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B.oyeis'weittÄi'
ZEITSCHRIFT
für
MEDIZIN AL-BE AMTE.
Zentralblatt for gerichtliche Medizin und Psychiatrie,
für ärztliche Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬
sachen, sowie für Hygiene, öffentliches Sanitätswesen, Medizinal-
Gesetzgebung and Rechtsprechung.
Heraasgegeben
von
Dp. Otto Rapmund
Reg.- und Geheimer Medizinalrat in Minden.
XVI. Jahrgang. 1003.
Berlin W. 35.
FISCHER’S MEDIZIN. BUCHHANDLUNG.
H. KORNFELD.
Hersofl. Bayer. Hof- and ErshersofL Kammer - Buohhändler.
Inhalt.
I. Original - Mitteilungen.
A. Gerichtliche ■•4Mn.
Seite.
Ueber eine Verletzung dar äusseren Geschlechtsteile bei einem sieben¬
jährigen Mädchen. 0r. Georgii.. 1
Ueber die gerichtsärstliche Begutachtung des Schwachsinns in Straf¬
sachen. Dr. Neidhardt . 4
Kopfrerletsang. Falsche Behandlung durch Kurpfuscher. Tod durch
Hirnabssesse und Gehirnhautentstkndung. Dr. Kornfeld ... 53
Ueber Vergiftungserscheinungen, hervorgerufen durch den Sprengstoff
Boburit. Dr. Bump. 57
Ueber die Verwertbarkeit individueller Blutdifferenaen fttr die forensische
Praxis. Dr. Karl Landsteiner und Dr. Max Bichter. . . 85
Bin Fall von Thymustod. Dr. Karl Dohrn .121
Fall von Leichensorstftckelong und -Verbrennung. Dr. Hoffmann 125
Praktische Anleitung sur gerichtsärztlicben Blutuntersuchung vermittelst
der biologischen Methode. Dr. Uhlenhuth und Prof. Dr.
Drei Fälle von Vergiftung mit Knollenblätterschwamm (Amanita phal-
loides). Dr. Moers .412
Bin sweiter Todesfall in der Chloroform-Narkose. Dr. H. Hoffmann 417
Zar Kenntnis der Verletsangen durch Fiobert - Schusswaffen. Dr. Carl
Beckert .505
Bin deutsches gerichtsärstliches Leichenöffnungsverfahren. Dr.
Bekämpfung der Kurpfuscherei auf gerichtlichem und polizeilichem Wege.
Dr. Keferstein .585
Zar Frage der Honoraransprdche der Speaial&rste. Dr. Morits . . . 690
Achttägiges Leben nach Stars von der Hohe mit Schädelbasisbruch und
Lungenruptur. (Betriebsunfall.) Dr. Morits Mayer .717
Ueber Fischvergiftung. Dr. Seydel .760
Die Basiehungen der Backenmarksverletsungen su den chronischen
Blickenmarkskrankheiten vom gerichtlich- und versicherungs-
roohtlioh-medisinischen Standpunkte. Dr. P. Stolper .... 781
Cerebrospinalmeningitis oder Vergiftung ? Dr. Voigt .790
Strafbare Ueberschreitung des Züchtigungsrechtes der Lehrer. Dr. PrOlss 795
Zur postmortalen Ausstossung des Fötus. Dr. M. Freyer .818
KiadesmordF Dr. Heidenhain .816
Indnsiertes Irresein. Dr. Feige.862
IV
Inhalt.
B. Hygiene and öffentliches Sanitätswesen.
Ueber die Ausführung von Desinfektionen in ländlichen Kreisen. Dr.
Nobler . 15
Die Post als Vermittlerin bei der Weiter Verbreitung von Krankheiten.
Dr. Gisycki . 58
Kresolseifenflaschen für Hebammen. Dr. Schmidt . 61
Die Milohkontrolle in kleinen Städten. Dr. Straube . 90
Zwang««-Wiederimpfung bei Pockenepidemien. Dr. Litterski . . . 97
Karbolgangrän durch Karbol wassernmschlag. Dr. Borne ick . . . . 124
Die Mitwirkung der Medizinalbeamten auf dem Gebiete der Gewerbe¬
hygiene, namentlich mit Rücksicht aaf den Gesandheitsscbntz der
Arbeiter gegen Tuberkulose und andere Krankheiten. Dr. Klose 127
Entwurf eines Ausführungsgesetzes zu dem Reichsgesetz, betreffend die
Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900
Herausgeber .132
Zur Beseitigung und Desinfektion des Sputums. Dr. 0. Roepke . . 192
Die erste Beratung des Preussischen Abgeordnetenhauses über die Ge¬
setzentwürfe betr. die Gebühren der Medizinalbeamten u. das preuss.
Ausführungsgesetz zu dem ReichBseuchengesetz. Herausgeber 204
Die Krebserkrankungen des Dorfes Plötzkau von 1868 bis 1902. topo¬
graphisch dargestellt. Dr. Pilf . . . 242
Wochenbettfleber und Fieber im Wochenbett. Verhalten der Hebamme
dabei. Dr. P. Banmm .261
Erkrankungen der Arbeiter in der P.'sohen Asphaltpappe-Fabrik. Ein .
Beitrag zu den Gewerbekrankheiten. Dr. Rump .271
Ueber geschwefelte amerikanische Obstfrüchte. Dr. Rump .272
Anchylostomiasis im rheinisch - westfälischen Kohlenrevier; Ursache und
Bekämpfung. Dr. Tenholt .297
Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. Dr. Fielitz 805
Ein Beitrag zur Anzeigepflicht bei Infektionskrankheiten und zur Kur¬
pfuschereifrage. Dr. Coester .814
Zur Frage des Verkaufes von Karbolwasser ausserhalb der Apotheken.
Dr. Kühn .319
Wochenbettfleber nnd Fieber im Wochenbett. Dr. Coester . . . . 333
Zur Karbol wasserfrage. Dr. Rome ick .336
Kurze Mitteilung über eine neue Form der Bleivergiftung. Dr. Schrakamp 837
Die Post als Vermittlerin bei der Weiterverbreitang von Krankheiten.
Dr. Rieh. Müller .337
Die Tätigkeit der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher bei der Be¬
kämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. Dr. Dütschke 371
Bemerkungen zu dem Aufsatze des Kreisarztes u. Med.-Rats Dr. Fielitz
in Halle a. S.: „Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in
Landkreisen“ in Nr.5 dieser Zeitschrift, S. 805 ff. Dr. Springfeld 333
Kohlenoxydbildung durch Kohlenteilchen an eisernen Oefen. Dr. B ach m an n 384
Ueber Ortsbesichtigungen und deren zweckmässige Ausführung in mittleren
und grosseren Städten. Dr. Schaefer .405
Desinfektoren und Gesundheitsaufseher in Landkreisen. Dr. Fielitz . 441
Massenerkrankungen nach Genuss von gehacktem Pferdefleisch, beobachtet
in Düsseldorf im Jahre 1901. Dr. F. C. Th. Schmidt . . . . 473
Ueber die Notwendigkeit einer strengeren Handhabung der Nahrungs-
mittelkontrolle (exkl. Milch). Dr. Solbrig .478
Die praktische Verwertung der Widalsohen Blutprobe. Dr. Eyff. • 514
Ein Beitrag zur Widalschen Probe. Dr. N au werk .518
Beitrag zur Verbreitung des Krebses. Dr. 8tauss . . 591
Manganvergiftungen in Braunsteinmühlen nnd gesundheitspolizeiliche
Massregeln zu ihrer Verhütung. Dr. Friedei .614
Zur Desinfektion der Hebammen. Dr. H. Kornfeld .618
Entgegnung auf den Aufsatz des Herrn Med.-Rats Dr. Coester
„Wochenbettfleber und Fieber im Wochenbett" in Nr. 9 dieser
Zeitschrift. Dr. Banmm .619
Bemerkungen zu der vorstehenden Erklärung. Dr. Coester .... 621
aoq iwhiiatiii« nnd ihre Rntatehuiursursachen. Dr. Schlegtendal . 641
Inhalt.
V
Regelung des Desinfektionswesens im Kreise und Absonderungsverfahren
Dr. Bomeiok .649
Ueber eine Epidemie von Herpes tonsurans. Dr. G. Ban dt . . . . 685
Beitrag zur Bekämpfung der Tuberkulose. Dr. Staues.749
Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus durch Flusswasser.
Dr. Schmidt.753
Zur Verhütung ansteckender Krankheiten. Dr. Dünges.817
Prftventiv• Impfungen bei Diphtherie. Dr. Curtius. 817
Bin Staubschutz für den Lymphebebttlter bei Impfungen. Dr. Hagemann 825
Strafbare Anpreisung eines Heilverfahrens. Dr. Biberfeld . . . . 849
Grundsätze für die zeitweise Entziehung der Approbation. Dr. Biberfeld 851
Ueber Intoxikationsamblyopien von sanitätspolizeilichem Standpunkte.
Dr. Ohlemann.•.855
Bin interessanter Fall von Bleivergiftung. Dr. Klose.862
Ein Beitrag zum epidemischen Auftreten von Herpes tonsurans. Dr.
Bäuber.865
U. Berichte aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die Verhandlungen der Versammlung der Medizinalbeamten
des Beg.-Bez. Liegnits vom 5. November 1902 (Berichterstatter:
Dr. Schmidt).
Kurzer Bericht über die Teilnahme an den Berliner Fort*
bildungskursen. Dr. Steinberg u. Dr. Braun ... 21
Geschäftliche Angelegenheiten. Dr. Schmidt. 23
Die Kindersterblichkeit im Beg.-Bez. Liegbitz. Dr. Leske . 24
Verteilung einer Statistik der verkrüppelten Kinder in der
Provinz Schlesien im Jahre 1901/1902 . 26
Bericht über die II. dienstliche Versammlung der Medizinalbeamten des
Beg.*Bez. Marienwerder in Graudens am 16. Oktober 1902
(Berichterstatter: Dr. Kasten).
Eröffnung der Versammlung. Dr. v. Hake . 99
Ueber Ortsbesiohtigungen im Zusammenhang mit den gleich¬
zeitig ausznführenden Schulbesichtigungen. Dr. Hasse . 99
Ueber die Verhütung und Bekämpfung gemeingefährlicher oder
sonst übertragbarer Krankheiten. Dr. St eg er . . . . 103
Bericht über die Versammlung der Medizinalbeamten des Beg.-Bez.
Gumbinnen in Insterburg am 13. Oktober 1902 (Bericht¬
erstatter: Dr. Forstreuter).
Eröffnung der Versammlung. Dr. Doepner .246
Verhütung und Bekämpfung gemeingefährlicher oder sonst
übertragbarer Krankheiten. Dr. Schawaller . . . . 246
Bekämpfung der Cholera. Dr. Baetzel .248
Einfache, physikalische, chemische, mikroskopische und bak¬
teriologische Untersuchungen des Kreisarztes. Dr. K r a u s e 248
Ueberwacbung des Arzneimittelverkehrs nnd des Handels mit
Giften und Geheimmitteln ausserhalb der Apotheken.
Dr. Cohn. .248
Begräbniswesen. Dr. Herrendörfer .249
Fürsorge für Geisteskranke in- und ausserhalb der Irren¬
anstalten. Dr. Stumm .250
Wohnungshygiene. Dr. Schulz.250
Bericht über den ersten Kongress der Deutschen Gesellschaft
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in
Frankfurt a. M. am 9. und 10. März 1903.
Die strafrechtliche und zivilrechtliche Bedeutung der Ge¬
schlechtskrankheiten. Oberlandesgerichtsrat Schmölder 320
Wie können die Aerzte durch Belehrung der Gesunden und
Kranken der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten
steuern? Dr. Neubörger .321
Das Wohnungselend der Gressstädte und seine Beziehungen
zur Verbreitung der Geschlechtskrankheiten und zur
PrnaHtntlnn Dr Pf*iff*r n. Dr. TC amnff mever
VI
Inhalt.
Nach welcher Richtung lat eine Reform der heutigen Regle«
mentierung der Proetltntion möglich? Dr. Neisser . . P22
Bericht über die 17. Versammlung der Medizinalbeamten dea Reg.-Ber.
Merseburg za Halle a. S. am 29. November 1902 (Bericht¬
eratatter: Dr. Schneider).
Eröffnung der Veraammlong and Referat Ober die seit der
letzten Veraamminng erlassenen Verordnungen und Ver¬
fügungen. Dr. Penkert .323
Ueber Desinfektion. Dr. Hermann .324
Konferenz der Mediziualbeamten des Reg.-Bez. C o b 1 e n z am 10. De¬
zember 1902 im Sitzungssaal der Königlichen Regierung zu
Coblenz (Berichterstatter: Dr. Baizar).
Eröffnung der Versammlung. Dr. Finger .339
lieber die Wasserversorgung im linksrheinischen Teile dea
Reg.-Bez. Coblenz. Dr. Lembke .339
Zur Regelung der Desinfektion. Dr. Kirchgässer . . . 341
Verschiedenes. Dr. Finger .344
Bericht Ober die 14. ordentliche Versammlung des mecklenburgischen
Medizinalbeamtenvereina am 27. November 1902, nach¬
mittags 2 1 /* Uhr, in Rostock, Rostocker Hof (Berichterstatter:
Dr. Viereck).
Vortrag Ober Trachom. Dr. Peters .344
Ordnung und Vervollstftndigung der Kreisphysikatsakten. Dr.
Malert . 344
Geschäftsbericht. Vorstandswahl.345
Ueber eine tödliche Herzatichverletzung. Dr. Wilhelmi. . 315
Demonstration eines Menschenscbädels. Dr. Lesenberg. . 345
Medininalbeamten-Konferenz am 16. Dezember 1902 in Magde¬
burg (Berichterstatter: Dr. Strassner).
Eröffnung der Versammlung. Dr. Hirsch .385
Wie sind Ortsbesichtigungen anszufflhrenP Dr. Moritz . . 380
Ueber die bisherigen Erfahrungen bei den kreisärztlicben
Schulbesichtigungen. Dr. Kluge .388
Einführung der Anzeigepflicht fflr tuberkulöse Erkrankungen
und obligatorische Desinfektion aller Räume, welche von
Tuberkulösen bewohnt waren. Dr. Kühn .390
Amtliche Versammlung der beamteten Aerzte des Reg.-Bez. Cöln am
11. Dezember 1902, vormittags IV j* Uhr, im grossen Sitzungs¬
saale der KOnigl. Regierung zu COln (Berichterstatter: Dr. Meder).
Eröffnung der Versammlung.421
Ueber Ortsbesichtigungen. Dr. Wirsch .421
Ueber die Besichtigung von Wasserleitungen. Dr. Schneider 422
Ueberwaohung des Haltekinderwesens. Dr. Krautwig . . 424
Eine Massenvergiftung mit Pilzen (Amanita pballoides). Dr. MOr s 426
Bericht Ober die amtliche Versammlung der Medizinalbeamten des
Reg.-Bez. Minden am 29. November 1902 im Sitzungssaal der
Königlichen Regierung (Berichterstatter: Dr. Rapmund).
Eröffnung der Versammlung.443
Die Tätigkeit der Medizinal beamten auf dem Gebiete der
Schulhygiene. Dr. Schlüter . 443
Bekämpfung des Unterleibstyphus und der Ruhr mit beson¬
derer Berücksichtigung der durch den Ministerialerlass
vom 25. September 1902 mitgeteilten Entwürfe zu einer
gemeinverständlichen Belehrung über diese beiden Krank¬
heiten und zu Ratschlägen für Aerzte betreffs der zu
beobachtenden Vorsichtsmassregeln. Dr. Sndhölter u.
Dr. Rheinen .'.448
Berioht Ober die 57. Konferenz der Medizinalbeamten des Reg.-Bez.
Düsseldorf in Düsseldorf am 14. Juni 1902 (Berichterstatter:
Dr. Hofacker).
Eröffnung der Versammlung. Dr. Meyhoefer . . ■ 452
Besprechung von Fragen auB der amtsärztlichen Praxis . . . 452
Inhalt. VII
Düsseldorf in Düsseldorf am 12. Dezember 1902 (Bericht-
ent&tter: Dr. Hofacker).
Eröffnung der Versammlung. 453
TJeber die desinfizierende Wirkung des Formaldehyds. Dr.
Czablewski . . 453
Schalsehlies8nng bei Angenkrankheiten. Dr. Meyhoefer 453
Ueber die bei den Ortsbesichtignngen gemachten Erfahrungen.
Dr. Carp u. Dr. WoltemaB .454
Bericht über die II. Jahresyersammlung des Wfirttembergischen
M edizinalbeam te »Vereins am 26. April 1908 in Stuttgart.
Geschäftsbericht. Dr. Köstlin .455
Kassenbericht. Dr. Cless .454
Bericht über den XIV. internationalen medizinischen Kon¬
gress zu Madrid yom 23.—30. April 1903 (Berichterstatter:
Dr. Strassmann).
Bericht Ober die Reise nach Madrid.487
Ueber den geriehtsftrztlichen Senat in Ungarn. Dr. Schichter 490
Die Notwendigkeit der Einrichtung staatlicher Anstalten für
Idioten bezw. Imbezille. Dr. Courjon .490
Die Organisation der gerichtlichen Medizin in Deutschland
mit Demonstration yon Abbildungen bemerkenswerter Be*
fände. Dr. Strassmann .491
Bericht über die dienstliche Versammlung der Medizinalbeamten des
Beg.-Bez. Osnabrück in Osnabrflck am 23. Oktober 1903
(Berichterstatter: Dr. Bitter).
Eröffnung der Versammlung. 520
Ländliche Krankenpflege. Dr. Heilmann .520
Die Wartefrauen-Frage. Dr. Rissmann .522
Beliebt über die Versammlung der Medizinalbeamten der Provinz
Schleswig-Holstein in NeumOnster am 19. April 1908
(Berichterstatter: Dr. Rohwedder).
Erläuterung der Verfügungen, welche seit der vorjährigen
Versammlung erlassen sind. Dr. Bertheau .524
Erbittung der Abschriften der von den Hebammen auege-
füllten Fragebögen. Dr. Bockendahl .524
Bemängelung der von verschiedenen Firmen bezogenen Dienst¬
formulare. Dr. Asmussen .524
Die zwischen Aerztekammer und Provinzialvorstand der land¬
wirtschaftlichen Bernfsgenossenschaft vereinbarten Attest-
formulare und Gebührensätze. Dr. Horn .524
Gründung einer zwangsmässigen Unterstützungskasse für die
Aerzte des Bezirks. Dr. Horn .524
Die Bekämpfung des Typhus. Dr. Fischer .524
Kleine Pocken - Epidemie in Altona. Dr. Schröder . . . 525
Verhandlung der Medico-legal society of New-York am
17. Dezember 1902 (Berichterstatter: Dr. Mayer).
Deutsche Ansichten über Geisteskrankheit vom juristischen
Standpunkte. Dr. Kornfeld .526
Ueber die Abschaffung deB Coroner. Dr. Purdy .526
Ueber Aenderungen im Gesetze über Pflichten und Amt des
Coroners. Dr. Smith .526
Bericht über die 18. Versammlung der Medizinalbeamten des Reg.-Bez.
Merseburg zu Merseburg am 19. Mai 1903j(Berichterstatter:
Dr. Schneider).
Die seit der letzten Versammlung ergangenen Verfügungen
und Verordnungen. Dr. Penk er t . . . ..657
Mitteilungen über die Grundlagen einer beabsichtigten Ver-
sichen» gskasse für Hebammen. Dr. Fielitz . . . . 557
Reinigungsverfahren städtischer Abwässer. Dr. Schneider 557
VIII
Inhalt.
Bericht Aber die offizielle Versammlung der Medizinalbeamten des Beg.-
Bez. 8 tade am 12. Noyember 1902 im Kreishause zu Geeste¬
münde (Berichterstatter: Dr. Nesemann).
Eröffnung der Versammlung..
Welche sanitätspolizeilichen Massnahmen sind zulässig oder
geboten, falls die Cholera im Beg.-Bes. Stade auftritt oder
denselben bedroht P Dr. Ocker . 593
üeber die Bestimmungen der §§ 74 (Wasserversorgung) und
76 (Beinhaltung der Wasserläufe) der Dienstanweisung für
die Kreisärzte unter Berücksichtigung der besonderen Ver-
hältnisse des Begierungsbezirks Stade. Dr. Gaehde . . 696
Versammlung der Medizinalbeamten des Beg.-Bes. Magdeburg in
Magdeburg am 26. April 1903 (Berichterstatter: Dr. Strassner).
Eröffnung der Versammlung. Dr. Hirsch .622
Ueber gerichtsärztliche Sachyerständigentätigkeit des Kreis¬
arztes vor dem Amtsgericht in Strafsachen. Dr. Keferstein 623
üeber Manganvergiftung. Dr. Friedei .624
Verbesserungsvorschläge für ein neues Hebammenlebrbucb.
Dr. Schade .624
Die Schularztfrage für ländliche Gemeinden. Dr. Kluge . 626
Anfrage wegen einer in Aussicht gestellten Desinfektions-
oranung. Dr. Herme .626
Mitteilung betreffs Granulöse. Dr. Herme .626
Bericht über die Hamburger allgemeine Ausstellung für
hygienische Milch Versorgung unter besonderer Berück¬
sichtigung der die Medizinalbeamten interessierenden Fragen.
Berichterstatter: Dr. Wolff . . . ;.703
Bericht über die 28. Versammlung des Deutschen Vereins für
Offentliohe Gesundheitspflege in Dresden am 16.—19.
September 1903 (Berichterstatter: Dr. Bapmund).
Eröffnung der Versammlung.764
Nach welchen Bichtungen bedürfen unsere derzeitigen Mass¬
nahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose der Ergänzung P
Dr. Gaffky .765
Hygienische Einrichtungen der Gasthäuser und Scbankstfttten.
Dr. Bornträger .767
Die gesundheitliche Ueberwachung des Verkehrs mit Milch.
Dr. Dunbar .797
Beinigung des Trinkwassers durch Ozon. Dr. Ohlmüller . 800
Die Bauordnung im Dienste der Öffentlichen Gesundheitspflege.
Dr. Bumpelt n. Baurat Stübben .833
Bericht über die 75. Versammlung Deutscher Naturforscher
und Aerzte in Kassel vom 20.—26. September 1908 (Bericht¬
erstatter: Dr. Meder).
Allgemeine Sitzungen.
Einfluss der Naturwissenschaften auf die Weltanschauung.
Dr. Ladenburg .769
Physiologische Psychologie der Gefühle und Affekte. Dr.
Ziehen .769
Ueber den Stand der Schulhygiene. Dr. Griesbach . . . 769
Ueber Tuberkulosebekämpfung. Dr. v. Behring . . . . 770
Ueber die physiologischen Wirkungen des LichteB. Dr. J e n s e n 801
Ueber die bisherigen Erfolge der Licbttberapie. Dr. Bieder 801
Ueber das Vorkommen und den Nachweis von intrazellulären
Toxinen. Dr. Macfadyan.802
Abteilung für gerichtliche Medizin.
Ueber akute Kupfervergiftung. Dr. Schäffer .803
Lehre von den Stichverletzungen des Bückenmarks in gericht¬
lich - medizinischer Beziehung. Dr. Strauch .803
Zwei Fälle von geheilter Kehlkopffraktur. Dr. Stolper . . 804
Ueber die psychiatrische Begutachtung in Zivilsachen, ledig¬
lich auf Grund der Akten. Dr. Weygandt.805
Inhalt
IX
8eite.
Abteilung für Hygiene.
Tuberkulose und akhttuberfculOee Erkrankungen der Atmungs-
orgaae in Preussen Beit 1876. Dr. Ascher.844
Kriterien und Kontrolle der Heilung bei Lungentuberkulose.
Dr. Petruschky.844
Ueber die Identitit des Löfflersehen Mäusetyphusbacillns mit
dem Paratyphnsbacillus des Typus B. Dr. Bonhoff . . 845
Die Agglutination der Bakterien, ein physikalisch - chemisches
Phänomen. Dr. Beohhold.845
Ueber neue, bisher latent gebliebene Prisipitine. Dr. Neisser 845
GemeindeOrtliche Einrichtungen auf dem Gebiete der Gesund*
heitspflege. Oberbürgermeister a. D. am Ende . . . . 845
Ueber Zahnbeilkunde als Volkshygiene. Dr. Sickin ge r . . 845
Steigerung der Milchsekretion bei stillenden Müttern. Dr.
Zloeisti.846
Demonstration eines neuen Desinfektions- und Inbalations-
apparates und die bisherigen Versuche mit demselben.
Dr. Stöcker.846
Messung und Abwehr Ton Luftstaub nebst Demonstration
eines Sprengapparatee für Turn- und Exersierhallen,
Krankenhäuser usw. Dr. Stieb.816
Ueber die KlärschlammTerwertungsanlage der Stadt Cassel.
Dr. Paul mann.867
Ueber Dysenterie in den Tropen. Dr. Buge.868
Prophylaxe und Behandlung des Schwarswasserfieben. Dr.
Plehn.869
Ueber Blutparasiten der Kolonisten und ihrer Haustiere in
tropischen Gegenden. Dr. Martini.869
Aus anderen Abteilungen:
Ueber den Syphilisbacillus. Dr. Joseph, Dr. Piorkowsky
u. Dr. Pfeiffer.870
Ueber den Strafvollzug an Geisteskranken. Dr. Aschaffen¬
burg .870
Bericht über die XIII. Sitsung des Vereins der Medisinalbeamten des
Reg.-Bes. Gumbinnen nu Tilsit am 20. und 21. Juni 1908
(Berichterstatter: Dr. Forstreuter).
Ueber Selbstmord im kindlichen Lebensalter. Dr. Vossius. 805
Ueber die amtliche Tätigkeit des Kreisarstes bei der Schntx-
pockenimpfung. Dr. Ploch.806
Vorlegung einer aufgestellten Tabelle fÜrGranuloseambulatorien.
Dr. Cohn.809
Das Wasserwerk Tilsit. Dr. Behrendt .809
Kleinere Mitteilungen. Dr. Doepner.810
Bericht über die Verhandlungen der Versammlung der Medisinalbeamten
des Reg.-Bes. Liegnits vom 26. April 1903 (Berichterstatter:
Dr. Schmidt).
Beiohsgesets, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher
Krankheiten vom 30. Juni 1900 nebst Ausführungsbestim-
mengen. Dr. Leder n. Dr. Horn.826
Poliseirerordnung, betreffend den Verkehr mit Arsneimitteln
ausserhalb der Apotheken vom 14. April 1903 nnd die An¬
weisung für die Aufsicht über die Drogen-, Material-,
Farben- und ähnlichen Handlungen. Dr. Feige und
Dr. Meyen.830
Geschäftliche Mitteilungen.832
Ein Gang durch die diesjährige Deutsche Städte-Ausstellung
in Dresden.
Berichterstatter: Dr. Israel.839
Inhalt.
A nhan g.
Omiteil«*.. Bef f «**$*« r die XX' Hft**tref«atamlaBg
d»a Fr«ftsai#chÄfi Medicinalhe atdIbo-V fcteins.
ErtJffaaog der VeraaaimJnftg
OeschBftH- und KaaaeoherteU . '
Pf»kti«ch« Erfahrungen bwßglich der Dienstanweisung der kreist
&r*te, insbesondere betreffs OmbeatehiigaBgon (Hefereatea; Kreis-
a«t Hed.-Ra* r>r. Schäfer-Fraskfhrta./O. and Xteiearat Med-'
Rat Or. Herr mann. Bitterfeld) . . . . .
Oebar die forensisch« BenrteHnög der EpUensIe. (Utimtt; öüricht«-
arzt Dr. NeidhardUAlt««!«} , . . . . ; .
Bericht der Xnssenwisoren, VerstäödMMkhi^i^o;'^; '■■ji
Das Verhalten der DiphthsriesterblieblteH Via Halle .»./&' »äter dem
Sinflnss der Wohnnngmteaicfebtiüß nnd der Eeiiseninibeibtodhine
aehst DeuDenstmtiott (Referent: Krasarat Heb. Med.-Bat Dr.
Bisel-Halle u.l S.) . . , . . , ,
Anhang: Jahresberichte (Berichterstatter: Kreb*t*t Med. • Hat Dr.
Sch&fer .Frankfurt a./0) . . .
Offl*taller Bericht hher di* «weite Haoptv»rsanun 1 nng
de s D «a. t e c h e n M e d i» i n a 1 b e a m t e c * V e r «i o s.
Ertfenng der Veraiunminng ...
Geschäft®- and Kaasenberlcht
Beichagesfjfaiicbe Brgelnng des Irrcnweaena. Beferenton; Landearat
Vnretar-DlbBftldörf •./■:. \.'V. •
Oeb, Med.-Raf Dr. Weber.SaflneßsteiD .....
Reg.- ii. Med. »Rat Dr. Basak-Köln . . . ...
Vorstandswahl
Bericht der Kaasenroutsorea •-y VlV . . . *'vy v- , . .
Verhütung der yerb|^itai^ ; »Butebhender Krankheit««* darob die
Suhnien, B«f*t«»tent.. •«. D; Prof. Dr/'T/äde n-Bremen
Heg,* n. Med.-Rat Prof.. jßy; Lenbascfaar-MeUimgeTj. . \
Beitrage »nt pathpl<^Nb^}rvAäitoii)'ie.' der akutes KehlwosydTer-'
cifttmg. Eefereiit: Kwbarst Dr., Scbäffe. r* Bingen «. Bh. l
Die Photographie im Dienste dor gerichtlichen Mediais. Beferentea;
Prof. Dr, 8trasanv&nn-Barün l
Br, Arthur Schal c-Berlin •. .. 1
Anlage ... .1
Mitglieilervenseichiiis . i
«eit«.
III. Kleiner© Mitteilungen und Referate aus
2eits<?l)-riften u. s. w, 1 j
A. öertohtitohe Mbdialn ßnd PayehUtrto.
U«v \t-(l Vflr Hark-iif.. .Di . X K &$$;$;£
ffin fall Ton1i«rphio/n?tfi«ftnBk iw jrriww&i« A d v/VöV
V ateia (Waihel)... &*>&.
TTobar Paranoia
(peiiits)
Kar Kasabtik
K<rFd«A
■
Inhalt.
XI
Zwei FUle tob Stramonium-Vergiftung. Dr. Kn aut (Bftnber) ... 875
Verblutung im Anschluss an die Geburt. Beitrag rar Aetiologie der
Poatpartamblntnngen und partielle Kontraktionen des schwangeren
Uterus, Myom Vortäuschen d. Prof. Dr. Ahlfeld (Walther) . . 276
Zur Frage der Uterusrnptur in frQheren Monaten der Schwangerschaft.
Dr. Kober (Walther).276
Bin Fall von Strafverfolgung gegen einen Arst wegen Unterlassung
einer Dammnaht. Dr. Zweifel (Walther).277
Eine tödliche Verletzung des hinteren ScheidengewOlbes sub coitu. Dr.
Karl Btths (Hoffmann).277
Zwei Fälle von Fremdkörpern des Uterus. Dr. To ff (Waibel) . . . 278
Fremdkörper im Mastd&rm. Dr. Scherenberg (Waibel).279
Endzflndlicher Bauchdeckentumor, hervorgerufen durch einen aus dem
Darm durchgebrochenen Fremdkörper. Dr. Wagner (Waibel) . 279
Gutachten Ober eine Untersuchung, betr. Identifizierung anfgefundener
halb verbrannter Knochen. Dr. C. Strauch (Ziemke) .... 345
Die Blutdichte als Zeichen des Ertrinkungstodes. Dr. Placseok
(Ziemke) . 345
Ueber Gefrierpunktsbestimmungen von Leichenflüssigkeiten und deren
Verwertung rar Bestimmung des Zeitpunktes des eingetretenen
Todes. Dr. Bevenstorf (Ziemke).346
Beiderseitige Ophthalmologie interna, hervorgerufen durch Bxtractum
Secalis cornuti. Dr. Schneider (Waibel).346
Zwei Fälle schwerer Otitis medica acuta durch Scbneeberger. Dr.
Sehroeder (Waibel).346
Intoxikationspsychose nach Injektion von Jodoform in die Blase. Dr.
Sohworin (Hoffmann).347
Hypnose vor Gericht. Dr. Job. Longard (Ziemke).847
Die Psychosen der Landstreicher. Karl Willm an ns (S. Kalischer) . 347
Krankhafte Eigenbeziehung und Beachtungswahn. Prof. Dr. A. Cr am er
(Lew&ld).348
Entwickelungsjahre und Gesetzgebung. Prof. Dr. A. Cr am er (Lewald) 349
Die SeelenstOrungen auf arteriosklerotischer Grundlage. Dr. Alzheimer
(Pollitz).349
Die chirurgischen Erscheinungen der genuinen Epilepsie. Prof. Hermann
Fischer (Kornfeld).350
Ueber Ziele und Erfolge der Familienpflege Geisteskranker, nebst Vor¬
schlägen fttr eine Abänderung des bisher in Berlin angewendeten
Systems. Dr. Nawratzki (Pollitz).350
Becherches experimentales sur la pathogenie de la mort par brfilare.
E. Stockis (Schrakamp).455
Ein besonders bemerkenswerter Fall von Kohlenoxydgasvergiftung. Prof.
Dr. Kurt Wolf (Waibel).456
Die ersten Phasen der Kohlenoxydvergiftnng. Definition des Vergif-
tnngskoefAsienten. Nestor Gr6hant (Mayer).457
Die Extraktion von Kohlenoxyd aus dem geronnenen Blute. M. Nioloux
(Mayer).457
Zwei Fälle tödlicher Kohlenoxydvergiftungen. Analyse der Blutgase.
Lacassagne, E. Martin und M. Nieloux (Mayer) .... 457
Ueber Salmiakgeistvergiftung. Dr. Beckzch (Waibel).458
Selbstmord dnrch Chloroform-Inhalation. Dr. Hoffmann (Autoreferat) 460
Ueber Ohreiterungen vom gerichtsärztlichen Standpunkte. Dr. Troeger
(Bump)...460
ZwOlf Vorträge, referiert von Dr. Hof f mann-Berlin:
Feststellung des Todes und der Todesursache. Prof. Dr. 0. Israel. 463
Saohverständigentätigkeit und Technik, des Gerichtsarztes. Prof. Dr.
Strassmann.463
Gesundheitszustand in zivilrechtlicher und strafrechtlicher Beziehung.
Prof. Dr. 3trassmann .463
Traumatische Todesarten. Dr. O. Puppe .463
Tod dureh gewaltsame Erstickung u. abnorme Temperatur. Dr. G. Puppe 4b
Ueber die Beurteilung von Vergiftungen. Prof. Dr. Oskar Liebreich
XII
Inhalt.
Ueber Fortpflanzungsfähigkeit, Schwangerschaft nnd Geburt. Prof. Dr.
(Hahausen.
Krimineller Abort und Kindesmord. Dr. Siegm. Gottschalk. . .
Die Zurechnungsfähigkeit. Prof. Dr. Mendel .
Die Geisteskrankheiten in zivilrechtlicher Hinsicht. Prof. Dr.Moeli .
Perverser Sexualtrieb and Sittlichkeitsverbrechen. Prof. Dr. Jolly .
Ueber Epilepsie and Hysterie in forensieher Beziehung. Prof. Dr. M.
KOppen .
Ueber hysterische Dämmerzustände u. das Symptom des „Vorbeiredens".
Prof. A. Westphal (Kalischer).
Probleme auf dem Gebiete der Homosexualität. Dr. Näcke (Pollitz) .
Lysolvergiftung. Dr. Fritz Hammer (Waibel).
Lokale Wirkungen der Chromsäure. Ein Fall von akuter Chromsäure¬
vergiftung. Dr. Robert Rössle (Risel).
Vergiftung mit Kalibichromat. Dr. Franz Berka (Waibel) ....
Lokalisation und Elimination der metallischen Gifte bei den gewerblichen
Vergiftungen — Ueber das Vorkommen von Blei im Organismus
—Lokalisation des Bleies im Organismus der Bleikranken. G. Meil-
16re (Mayer).
Vergleichende Wirkung des Jods und der Jodsalse auf die Lunge. Marcel
Labbe und L6on Lortat-Jaoob (Mayer)..
Versuohe Uber die Dauer des Aufenthalts von Flüssigkeiten im Magen.
G. Leven (Mayer).
Funktionsprflfungen bei akuten Mittelohrentslindungen. Dr. Friedrich
W a n n e r (Rudloff).-.
Anatomische Besonderheiten des kindlichen Gehörorganes. Dr. G. Br fl hl
(Rudloff).
Sektionsergebnis eines Falles von angeborenem Herzfehler. Dr. A. Gut¬
kind (Waibel).
Hermaphroditismus verus. W. Simon (Risel).
Einwirkung der Kastration auf die Entwickelung des Skelettes. Prof.
Antonin Poncet (Mayer)..
Zusammenhang zwischen männlichen Geschlechtsdrüsen und Skelett¬
entwickelung. P. E. Launois und P. Roy (Mayer) ....
Ueber psychische Storungen nach Schädelverletzungen. Dr. Viedenz
(Pollitz).
Ueber das Gansersche Symptom mit Berflcksichtigung seiner foren¬
sischen Bedeutung. Dr. Lflck (Pollitz).
Beitrag zur Lehre von der Melancholie. Dr. A. Schott (Pollitz) . .
Zur Frage der Dementia praecox. Dr. Max Jahrmärker (Pollitz)
Die Grenzen der geistigen Gesundheit. Prof. Dr. Hoche (Pollitz) . .
Die Exhibitionisten vor dem Strafrichter. Dr. G. Burgl (Pollitz) . .
Ueber einige Fälle von Simulation. Dr. Bolte (Pollitz).
Blausäure, ein Verbrennungsprodukt des Celluloids. Prof. Dr. Ko ekel
(Ziemke)._ • •
Uebertritt und Wirkung des Phosphors auf menschliche und tierische
Frflchte. Dr. Wassmuth (Ziemke).
Normaler ArBengehalt der Tiere und normales Vorkommen nnd Herkunft
des Arsens bei Tieren und Pflanzen. Armand Gautier (Mayer)
Resultate der Kryoskopie bei Ertrunkenen. Dr. Revenstorf (Ziemke)
Ueber den Nachweis von Blutkörperchen mittelst Chinin. Dr. Marx
(Ziemke).
Die elastischen Fasern in der fötalen Lunge und in der Lunge des Neu
geborenen. Prof. Ottolenghi (Ziemke).
Plötzlicher Tod im elektrischen Bade. Dr. v. Brunn .
Verletzungen der Gebärmutter. Dr. Osterloh (Waibel) ....
Ueber einen forensisch interessanten Fall von Manie. Dr. KOlpin
(Pollitz).
Die einfache demente Form der Dementia praecox (Dementia Simplex'
Otto Diem (Pollitz)..
Ueber die Detlnierung nicht entmündigter Geisteskranker in Irrenanstalten
Dr. LOwenthal (Pollitz).
Beite.
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Inhalt.
XIII
Seite.
Zar Frage der sogenannten freiwilligen Pensionäre. Dr. Boedeker
' (Pollits).669
Jahresbericht des Hilfsvereins fttr Geisteskranke im Königreich Sachsen
für das Jahr 1902. Dr. Weber (Bpd.).670
Kohlenoxyd vergiftnng. Verschwinden des Gases aas dem Blnte. L. Garnier
(Mayer).733
VergiftangBerscheinangen nach Aspirin. Dr. Franke (Waibel) . . . 734
Vier Fälle von innerer Lysolvergiftang. Dr. Liepelt (Räaber) . . . 736
Sin Fall von Lysolvergiftang. Dr. Schwärs (Glogowski).735
Nochmals Shock and der Shooktod, speziell nach Kontusionen des
Bauches. Dr. P. Seliger (Glogowski).735
Fragliche Todesursache im Säuglingsalter. (Tod darch Thymasdrttsen-
hyperplasie?). Prof. Dr. Leabascher (Waibel).766
Ueber Todesursachen bei Neugeborenen and gleich nach der Geburt mit
Bhcksicht auf ihre forensische Bedeutung. M. Hof meier (Waibel) 736
Fett, Glykogen und Zellent&tigkeit der Leber des Neugeborenen. L. Nat-
lan-La'rrier (Mayer).738
Ueber den Mechanismus des Todes infolge von Lufteintritt in die Venen.
Embolien der Koronargefässe. Tb. A. Francois-Franck (Mayer) 738
Der Nachweis individueller Blutdifferenzen. Dr. Wolfgang Weiohardt
(Autoref.).739
Ueber Röntgenstrahlen in gerichtlich •medizinischer Beziehung. Dr.
Troeger (Rump).739
Ueber angeborenen Mangel der Schlüsselbeine. Dr. Gross (Waibel) 739
Haftpflicht des Arztes bei fahrlässiger Ausstellung eines Zeugnisses (Mayer) 740
Ueber Störungen des Erwachens. Prof. Dr. H. Pfister (Räuber) . . 740
Ueber akute transitorische Aphasie. Dr. Max Rothmann (Räuber) . 741
T&Ueber Psychosen unter dem Bilde der reinen primären Inkohärenz. Dr.
■ L. W. Weber (Waibel).741
VZur Kasuistik der familiären amaurotischen Idiotie. Dr. Gessn er (Waibel) 742
Die Beschäftigungsneurose der Telegraphisten. E. Cronbach (Pollits) 742
Bin Fall von Arsenikmord. Prof. Dr. Rud. Kob er t (Tröger). . . . 872
Findet sich Arsen in allen Geweben des tierischen Haushaltes? Armand
Gautier (Mayer).872
Anetonvergiftung nach Anlegung eines Zelluloid - Mullverbandes. Dr.
C os am an n.(Waibel).872
Aspirin-Nebenwirkung. Dr. Winckelmann (Waibel).873
Tod einer Tracheotomierten durch Erhängen. Dr. Bertelsmann
(Ziemke).878
Zur Frage der Spätapoplexie. Prof. Dr. Israel (Ziemke).878
Ueber Nebennierenblutungen bei Neugeborenen. Dr. Dörner (Ziemke) 874
Lungenfäulnis und Schwimmprobe. Dr. Leubuscher (Ziemke) . . . 874
Jodoformgazerest in der Vagina einer Wöchnerin. Dr. Pilf (Ziemke) . 874
Experimentelle Studien zur Pathogenose akuter Psychosen. Dr. Hans
Berger (Räuber).874
Hysterische Selbstbeschädigung unter dem Bilde der multiplen neu¬
rotischen Hautgangrän. Prof. Dr. Bettmann (Waibel) . . . 875
Zu forensisch - psychiatrischen Beurteilung spiritistischer Medien. Dr. R.
Henneberg (Pollitz).876
Welche besonderen Einrichtungen sind bei der Anstaltsbehandlung der
Epileptiker erforderlich. Dr. H. Stakemann (Pollits).876
Das belgische Irrenwesen, speziell die Familienpflege (Pollitz) .... 876
Zu Revision des deutschen Strafgesetzbuchs. Dr. Ger lach (Pollits) . 877
B. Sachverständigen - Tätigkeit ln Unfall- and Invalldltätssaohen.
A. Gutachten und Referate.
Zum Nachweis der Simulation bei Hysterischen und Unfallsaohen. Hofrat
Dr. v. Hoesslin (Waibel). 33
Zusammenhang zwischen Betriebsunfall (Fall auf den Hinterkopf aus
einer Höhe von l 1 /* m) und einer organischen Erkrankung des
Kleinhirns und der diesem unmittelbar benachbarten Teile des
XIV
Inhalt
zentralen Nervensystems, nicht aber lediglich ein funktionelles
Nervenleiden (insbesondere eine Hysterie). Obergutachten. Dr.
Cassirer u. Prof. Dr. Oppenheim .
Die Unfallverletzungen des Gehörorganes ond die prozentuale Abschätzung
der durch sie herbeigeftthrten Binbusse an Erwerbsfähigkeit im
Sinne des Unfallversicberungsgesetzes. Dr. Röpke (Rudloff). .
Ursächlicher Zusammenhang zwischen einem tödlich verlaufenen Magen¬
krebs und einem Betriebsunfall (Schlag von einer zurflckachnellen-
den Brechstange gegen den Magen). Obergutachten. Prof. Dr.
Bwald .
Ueber die Begutachtung der UnterleibsbrQche. Prof. Sultan (Waibel)
Bin Fall von traumatischer Hysterie, durch einen nicht entschädigungs¬
pflichtigen Unfall hervorgerufen und unter psychischer Behandlung
rasch in Heilung übergehend. Dr. Traugott (Waibel) . . .
Dar funktionelle Plattfuss mit besonderer Berücksichtigung seines Ent¬
stehens durch Traumen. Dr. Her hold (Fielits jun.) . . . .
Entstehung einer primären Herzerweiterung durch eine ungewöhnlich
grosse, plötzlich eingetretene Muskelanstrengung bei dem Heben
eines schweren Baumstamms. Obergntachten. Dr. Frohmann
Unfallheilkunde und Neuropathologie in ihren Wechselbeziehungen. Dr.
Paul Schuster (Räuber).*.
Zur Kenntnis der nach Trauma entstandenen Aorteninsuffizienz. Dr.
Struppler (Waibel).
Epilepsie und Hysterie vom Standpunkt der Invalidenversicherung. Dr.
W. Stempel (Tröger).
Ueber die Bedeutung der Aphakie für die Erwerbsfähigkeit. Dr. F.
Kauffmann (Tröger).
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B. Entscheidungen ln Unfall- und Invaldltätssachen.')
1902. 17. April: Maoht eine LaudesversioherungBanstalt gegen eine Kran¬
kenkasse eine Forderung auf Grund des Abs. 3 § 18
des Invalidenversicherungsgesetzes geltend, so hat
der Verwaltungsrichter zu prüfen, ob die Erkrankung
des Versicherten derartig war, dass die Anstalt das
Heilverfahren zu übernehmen befugt war. Eine gegen
die klare Sachlage verstossende tatsächliche Wür¬
digung eines ärztlichen Gutachtens seitens des Rich¬
ters stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar
(Preues. Oberverwaltungsgericht). 65
30. Sept.: Entziehung der Rente wegen Angewöhnung bei Verlust
des linken Ringfingers. 64
2. Okt.: Unfall und Leistenbruoh. Kein ursächlicher Zusammen¬
hang .352
10. „ : Tod durch Herzschlag infolge grosser Hitze beim Ar¬
beiten am Ziegelofen. Betriebsunfall anerkannt . . 353
10. „ : Lungenaffektion und Herzvergrössernng infolge von Ver-
sohüttung. Grad der ErwerbBverminderung. Der
Erhöhungsantrag des Klägers war unbegründet . . 354
„ 20. „ : Ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Betriebsunfall
und dem die Erwerbsunfähigkeit bedingenden Leiden
(Hysterie) verneint, weil dasselbe lediglich durch die
Bemühungen um Durchsetzung des vermeintlichen,
aber unberechtigten Anspruchs zur Entwicklung ge¬
langt ist, während der Unfall selbst als wesentliches
Moment für die Entstehung des Leidens ausscheidet 355
„ 28. „ : Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Krankenveraicherungs-
gesetzes (Badischer Verwaltungsgerichtahof) ... 67
') Wo kein besonderer Vermerk gemaoht ist, sind die nachstehenden
Entscheidungen solche des Reichsversicherungsamts.
Inhalt.
XV
1902. 30. 0kt.: Zar Gewährung der sogenannten Hfllfloeenrente liegt
bei euer Abquetschung der rechten Hand mit Aus¬
nahme des Daumens, sowie des Zeige-, Mittel- und
Bingfingers der linken Hand kein ausreichender
Anlass vor.356
. 29. Nor.: Grad der Erwerbsverminderung bei traumatischem
Plattfass.355
„ 5. Dez.: Ursächlicher Zusammenhang zwischen Tod und Unfall
(Urteil des Reichsgerichts).672
1903. 10. Jan.: Eine nennenswerte Beschränkung der Arbeite- and Er¬
werbsfähigkeit wird durch den Verlast der beiden
Endglieder des linken Zeigefingers nicht mehr ver¬
ursacht .468
„12. „ : Die Annahme teilweiser Erwerbsunfähigkeit vor dem
Unfälle ist bei geringfügigem Emphysem nicht zu-
läsBig (§ 13 des Unfallversicherungsgesetses für
Land- und Forstwirtschaft vom 30. Jani 1900) . . 468
„13. „ : Eine Veränderung der Verhältnisse im Sinne des § 47
Abs. 1 des Invalidenversicherungsgesetzes kann nur
im Falle einer Aenderung des geistigen oder körper¬
lichen Zastandes des Rentenempfängers angenommen
werden. Unter Umständen liegt eine solche Aende-
rang in der Gewöhnung an einen krankhaften Zu¬
stand oder in dem Erwerbe neuer Fertigkeiten . . 880
„28. „ : Entschädigung der Unfallfolgen bei chronischen Leiden 467
„ 24. Febr.: Geringe Winkelstellung der Brachenden nach Bruch
des Unterschenkels bedingt an sich keine Erwerbs-
rerminderung.673
„27. „ : Berücksichtigung des bisherigen Berufs bei Beurteilung
des Grades der Erwerbsunfähigkeit eines Verletzten 673
„ 14. Mal: Die Pflicht zur Gewährung der zur Sicherung des Er¬
folges des Heilverfahrens und zur Erleichterung der
Folgen der Verletzung erforderlichen Hilfsmittel
sohfiesst auch die Pflicht zu deren Instandhaltung und
Erneuerung in sich (Bescheid des Reiohs-Versiche-
rangsamts).881
15. „ : Eine messbare Beeinträchtigung im wirtschaftlichen
Leben liegt bei Verletzung des Nagelgliedes des
linken Mittelfingers nicht vor.674
5. Juni: Lungenentzündung infolge von Erkältung. Betriebs¬
anfall anerkannt.672
SO. „ : Anhörnog des behandelnden Arztes ist nicht nur für
das Bescheidsverfahren, sondern auch für die Rechts-
mittolinstanzen vorgeschrieben.674
1. Juli: Ursächlicher Zusammenhang zwischen Betriebsunfall und
Tod ist als vorliegend zu erachten. Sehwefelwasser-
stoflgasvergiftung.879
3. „ : Grad der Erwerbsvermindernng bei glattem Verlast
des linken Mittelfingers.880
0. Bakteriologie, Infektionskrankheiten, Hygiene and öffentliches
Sani t&tswesen 1 ).
Ueber Öen bakteriologischen Befand bei einer Dysenterieepidemie in Süd¬
steiermark. Dr. Paul Theodor Müller (Lents). 38
Zur Frage der Widerstandsfähigkeit der Sbiga-Kruseschen Ruhr-
bazillen gegen Winterfrost Dr. Georg Schmidt (Lents) ... 88
Beitrow zur Differenzierung von Typhös-, Coli- und Ruhrbazillen. Dr.
Martin Klopstook (Räuber). 88
’) Die Namen der Referenten sind in Klammen beigefügt.
XVI
Inhalt.
üeber die Differensierang der Ruhrbazillen mittelst der Agglutination.
Dr. C. Martini (Lents).
Vergleichende kulturelle Untersuchungen über die Rohrbazillen nebst
einigen Bemerknngen über den Lakmusfarbstoff. Dr. 0. Lents
(Lentz).
Die in Ostpreussen heimische Rühr, eine AmObendysenterie. Prof. Dr.
Jaeger (Lents).
Bemerkungen zu Jaegers „die im Osten einheimische Ruhr, eine
Amöbendysenterie“. Dr. K. Shiga (Lentz).
Erwiderung auf die Bemerkungen Shigas über meine AmObenbefunde bei
der in Ostpreussen herrschenden Ruhr. Prof. Dr. Jaeger (Lentz)
Verlauf und Ursache einer Hospitaldiptherieepidemie. Dr. Fritz Cuno
(Bttsiug).
Das Bad als Infektionsquelle. Dr. Winternits (Rpd.).
Kohlenoxyd Vergiftung in einer Schule. Dr. Majer (Rpd.).
Die Bedeutung der tuberkulösen Belastung für die Entstehung von Ohren«
krankheiten bei Kindern. Prof. Dr. Ost mann (Waibel) . . .
Ueber die Notwendigkeit, die untere Grenze des schulpflichtigen Alters
heraufzusetzen. Dr. Arthur Newsholme (Mayer).
Zar Beurteilung der Borsäure und des Borax als Fleischkonservierungs-
mittel. Dr. Boehm (Waibel).
Die staatsärztliche Prüfung in England (The diplom in pubic health).
(Mayer).
Ueber das Wesen der Bakterienvirulenz nach Untersuchungen an Cholera¬
vibrionen. Pro! Dr. R. Pfeiffer und Dr. E. Friedberger
(R&uber).
Beiträge zur Agglutination des Pestbacillus. Dr. Adal&r Anjesky
(Räuber).
Ueber die Gefahr der Tetanusinfektion bei subkutaner Anwendung der
Gelatine su therapeutischen Zwecken und ihre Vermeidung. Dr.
Paul Krause (Räuber).
Ueber ein neues Verfahren der Schutzimpfung gegen Milzbrand. Dr.
G. Sobernheim (Räuber).
Inhalationsmilzbrand durch Verarbeitung von ausländischen Drogen. Dr.
Risel (Rpd.).
Ueber die Bedingungen des Eindringens der Bakterien der Inspirations-
luft in die Lungen. Dr. Ludwig Paul (Martini).
Kann in Inhalatorien bei richtigem Betriebe eine grossere Menge der
zerstäubten Flüssigkeit in die Lunge gelangen. Prof. Dr. Em¬
merich (Waibel).
Zur Prophylaxe des Keuchhustens. Dr. Stamm (Waibel).
Das Verhalten einer Diptherieepidemie in einem Genossenschaftsmolkerei¬
bezirke. Dr. Fritz PrOlss (Glogowski).
Zur Aetiologie des Recurrenstyphus. Dr. Justin Karlinski (Lentz) .
Upon a spizial methol for the detection of the typhoid bacillus in the
blood. By Aldo Castellani (Lentz).
Beitrag zar kulturellen Typhusdiagnose. Dr. Friedr. Krause (Lentz)
Zur Pathogenese des Typhus abdominalis. Dr. H. Schottmüller
(Waibel).
Die Verbreitung des Typhus durch Milch. Dr. Rem bold (Schlechtendal)
Die Sammelmolkerein als Typhusverbreiter. Dr. R. B e h 1 a (Schlechtendal)
Fleischvergiftung und Typhus. Prof. R. Levy und Dr. Erwin Jacobs¬
tal (Lentz)..
Eine Endemie von Paratyphus. F. M. G. de Feyfers (Waibel). . •
Ueber eine unter dem Bilde des Typhus verlaufende, durch einen be¬
sonderen Erreger bedingte Epidemie. Dr. H. Conradi (Büsing)
Ernährung und Trinkwasserversorgung im Felde. Prof. Dr. Martin
Kirchner (Roepke).
Das Schumburgsohe Verfahren der Trinkwasserreinigung mittelst Brom.
Dr. Engels (Lents).
Ueber die Bedeutung der Zerkleinerung und des Kochens der Speisen
für die Verdauung. Prof. Dr. K. B. Lehmann (Lents). . . .
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Inhalt
XVII
(Jeher 4ie Wirkung des Einlegens von Fleisch in verschiedene Salze.
Dr. phil. Kuschel (Lentz).252
Bakterielles Verhalten der Milch bei Boraxansatz. Dr. Albreoht n.
P. F. Richter (Lentz).252
Chemische Untersuchung eines neaen im Handel befindlichen Dauer*
wnratsalzes „Barolin“ and eines „ Dauer wurstgewürzes*. Dr. Adolf
Günther (Rost).263
Ucber den Missbrauch der Borsäure. Dr. Wilhelm Dosquet (Räuber) . 253
Ueber die Wirkung der Borsäure und des Borax. Prof. Dr. 0. Lieb¬
reich (Hildebrandt).253
Die Verwendung der Borsäure in der inneren Medizin. Dr. G. Merkel
(Waibel).254
Borsäure als Konservierungsmittel. Dr. E. Rost (Rpd.).255
Die Differentialdiagnose der verschiedenen in-die Groppe der Bakterien
und der hämorrhagischen Septicämie gehörigen Mikroorganismen
mit Hille der spezifischen Seramreaktion. (0. V o g e s (Lentz) . 280
Der Pestbacillas im Organismus der Flohe. Dr. Giuseppe Zirolia . . 280
Der Widerstand des Inflaenzabacillos gegen physische und chemische
Mittel. Dr. Raffaele 0 n o r a t o (Lentz).280
Eine kurze Zusammenfassung der Resultate einer Untersuchung (vom
Januar 1899 bis August 1901) betreffend die Pathogenesis des
akuten Rheumatismus. F. John P o y n t o n und A. P a i n e (Lentz) 280
Ueber die Lebensbedingungen des Taberkuloseerregers in der Salzbutter.
Dr. Alfred Petersson (Lentz).281
Ueber die tuberkelbazillenähnlichen Stäbchen und die Bazillen des
Smegmas. Dr. A. Weber (Rost). .281
Versuche über FUtterungstuberkulose bei Rindern und Kälbern. Prof.
Dr. Max Schottelius (Waibel).282
Ueber einige Zeit* und Streitfragen aus dem Gebiete der Tuberkulose.
Prof. Dr. J. Orth (Räuber).283
Uebertragung der Tuberkulose des Menschen auf das Rind. Dr. Johannes
Fi big er (Räuber).284
Ueber die Bedeutung der Zigarren und besonders der Stummel derselben
im Hinblick auf die Verbreitung der Tuberkulose. Dr. Luigi
Peserico (Lentz).285
Die Auswahl der Kranken für die Lungenheilstätten und die frühzeitige
Erkennung der Lungentuberkulose in der ärztlichen Praxis. Dr.
Kurt Brandenburg (Rump).285
Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. Dr. Max Schot¬
tel ius (Lentz).256
Ueber die Widerstandsfähigkeit der Pestbazillen gegen die Winterkälte
in Tokyo. Dr. C. Toyama (Lentz).. . 857
Ueber das Verhalten des Lyssavirus im Zentralnervensystem empfänglicher,
natürlich immuner und imunisierter Tiere. Dr. Kraus, Dr. E.
Keller und Dr. P. Clairmont (Martini).357
Ueber einen Fall von Ausbruch der Tollwut, sieben Monate nach der
Pasteurschen Schutzimpfung. Prof. Dr. Theodor Kaaparek
und Dr. Kail Tenner (Räuber) . ..359
Zar Einheit der Streptokokken. Dr. Fritz Meyer (Räuber) .... 359
Untersuchungen über Streptokokken* uni Antistreptokokken. Dr. Hans
Dr. Hans Aronson (Räuber).360
Ueber Antistreptokokkenserum bei Scharlach. Adolf Baginsky (Räuber) 360
Bin Fall von Gonokokken• Pneumonie. Dr. Bressel (Waibel) . . . 361
Ueber Meningokokkensepticämie. Dr. H. Salomon (Räuber) .... 361
Neue Erfolge des Cancroin beim Krebs der Lunge, des Kehlkopfes, der
Speiseröhre, des Magens und der Brustdrüse. Prof. Dr. A. Adam*
kiewicz (Räuber).. . ..862
Eine Krebsstatistik vom pathalogisch* anatomischen Standpunkt. Dr.
W. Rieohelmann (Räuber).86?
Ueberaicht über die Verbreitung der Krebskrankheit am Ende des 19. Jahr¬
hunderts in einigen ausserdeutschen Gebieten. Dr. Bahts
(Bost)..
XVIII
Inhalt.
Die kombinierte Wirkung chemischer Desinfektionsmittel nnd heisser
Wasserdampfe. Keisakn Eoknbo (Lentz).364
Bin Beitrag zur Frage der Anwendung des Formaldehydgases zur Des¬
infektion. 0. V o g e s (Lentz).364
Untersuchungen ttber die bakterizide Wirkung des Aetbylalkohols. Dr.
J. Weigl (Lents) . . . . ..364
Ueber die bakterizide Wirkung der Seifen. Dr. D&niel E o n r a d i (Lentz) 364
Untersuchungen ttber die vermutete Absorptionsgefahr bei Verwendung l
des Quecksilbers za Desinfektionen mit Eorrosiv-Sublimat. Dr.
B. Bertacelli (Martini).365
Vergleichende Versuche ttber die Infektionskraft älterer und neuerer
Quecksilber- und Phenolpräpavate. Dr. Fritz Hammer (Waibel) 366
Untersuchungen ttber die keimtodende und entwickelungshemmende Wir¬
kung des Lysoforms. Dr. Otto Seidewitz (Lents).366
Brginsungsblatt 3 und 8 zum preussischen Hebammenlehrbuch. Prof.
Dr. Ahlfeld (Walther).366
Bin weiterer Beitrag zum mikroskpischen Nachweis vom Bindringen des
Alkohols in die Haut bei der Heisswatser-Alkoholdesinfektion.
Dr. Fett (Walther).366
Beitrag zum bakteriologischen Nachweis von Trinkwasserverunreinigungen
anlässlich infektiöser Erkrankungen. Dr. Mensburger u. Dr.
Bambousek (Lentz).367
Ueber die Verunreinigung des städtischen Hafens und des Flusses Aker-
selven durch die Abwässer der Stadt Christiania. Dr. Axel Holst,
Dr. Magnus Geirsvold und Sigval Schmidt-Nielsen (Lentz) 367
Versuche mit Nachbehandlung der Frankfurter Abwässer in Oxydations¬
filtern. Prof. Dr. Freund und H. Uhlfelder (Glogowski) . . 368
Studien Ober krankheitserregende Protozoen. Plasmodium vivax (Grassi <
und Filetti), der Erreger des Tertianfiebers beim Menschen. Fritz
Schandinn (Bost).393
Ueber die Bekämpfung der Malaria. William Max Gregor (Ohlemann) 395
Die gesundheitlichen Gefahren der Prostitution und deren Bekämpfung.
Prof. Dr. Lesser .395
Ueber Urethritis gonorrhoica bei Bindern männlichen Geschlechtes. Dr.
Fischer (Waibel).396
Schutzmassregeln gegen die Augeneiterung der Neugeborenen und gegen i
die Ansteckung durch dieselbe. Dr. L. Wolffberg (Boepke) . 397
Entstehung und Verhütung der Blindheit. Dr. Ludwig H i r s c h (Ohlemann) 897
Eindenchutzgesetsgebung nnd Arzt. Dr. Paul Schenk (Hoffmann) 398
Ueber die Eunst, gesund und glttcklich zu leben und Erankheiten zu ver-
httten. Prof. Dr. P. E. Pehl (Boepke).398
Ueber einige Fehler bei Ventilationsanlagen. Prof. Dr. Eurt Wolf (Wolff) 398
Ueber die Anforderungen, welohe vom gesundheitlichen Standpunkte aus
an ein Öffentliches Schlachthaus zu stellen sind. Dr. G. Feld-
mann (Glogowski).399
Das Abdeckereiwesen und seine Begelung. Dr. Boretius (Glogowski) 402
Ueber die Untersuchung des Pockenerregers. Zur Erforschung der Im- I
munität durch Vaccination. Dr. Ealsnke Tanaka (Lentz) 426
Beiträge zur Eenntnis der Nebenpocken im Verlaufe der Vaccination,
sowie der postvaccinalen Exantheme. Dr. Groth (Waibel) . . 427
Ueber eine Conjunktivitis- Schulepidemie nebst einigen allgemeinen Be¬
merkungen ttber ärztliohe Anordnungen bei Schulepidemien. Dr.
Zia (Waibel).429
Die LOsung der Schularztfrage auf dem Lande. Dr. Heinrich Berger
(Glogowski).431
Das Bedürfnis nach Schulärzten fttr die höheren Lehranstalten. E. Boiler
(8chrakamp).431
Die Beaufsichtigung der Schulen und das neue englische Unterrichtsgesetz.
Dr. H. Meredith Bichards (Mayer).432
Schule und Bttckgratsverkrttmmungen. W. Schaltess (Schrakamp) 432
Tuberkulosebekämpfung und 8chule. Dr. Windheuser (Schrakamp) . 483
NervOse Schulkinder. Dr. B. Landau (Schrakamp).483
Inhalt.
XIX
Belte.
Bin Beitrag zur Frage nach den Ursachen der Minderbegabung von
Schalkindern. Dr. Wegen er (Glogowski).438
Ueber die Gefährlichkeit der Schaltinte. Dr. B. Heymann (Glogowaki) 488
Zar Lösang der Schaltafelfrage. Dr. 0. Lange (Glogowaki) .... 484
Die Hygiene der Sohnlbank. Dr. Hans Sack (Saessmann).485
Bin* Bemerkung Ober die Verwendung stanbbindender Fassbodenöle in
Schulräamen. Prof. Dr. Rflhl (Glogowaki).436
Zar Bekämpufnng des Typhös. Dr. P. Mose hold (Glogowaki) . . . 491
Die Bekämpfaag des Typhus in Paris. Dr. Bienstook (Wolf) . . . 481
Eine explosionsartige Typhasepidemie, verursacht daroh einen mangel¬
haft aalgeführten Röhrenbrunnen. Dr. Bachmann and Dr. A.
K a 11 e i n (Wolft).492
Zar Abwasserreinigung in Oxydationskörpern mit kontinuierlichem Be¬
triebe. Prof. Dr. Dun bar (Wolff).498
Grundsätze für die biologische Beurteilung des Wassers nach seiner
Flora und Fauna. Dr. R. Eolkwits u. Dr. M. Marsson (Beck) 494
Beitrag sur Kenntnis der Reinigungseffekte in den Filtern beim biolo¬
gischen Abwässerreinigungs verfahren. Dr. Emmerling (Beck) 496
Untersuchung über die Bestandteile der Schwimmschicht und ihr En£
stehen auf den Abwässern in den Faulbassins biologischer An¬
lagen. Dr Emmerling (Beek).495
Beitrag sur Kenntnis des sog. biologischen Verfahrens, insbesondere der
bei der Herstellung in dem Betriebe biologischer Abwässerreini-
gungsanlagen su beobachtenden allgemeinen Gesichtspunkte (Beck) 496
Zar Frage der Müllbeseitigung mit spezieller Berücksichtigung der land¬
wirtschaftlichen Verwertung. Dr. Thiesing (Beck) .... 497
Ueber die Verarbeitung der Rückstände aus der Schmutswasser-Reini¬
gungsanlage der Stadt Kassel. Stadtbaumeister Höpfner und
Dr. Paulmann (Beck).498
Bin Bürette mit automatischer Einstellung des Nullpunktes und Ent¬
leerung durch direktes Zarttckfliessen der nicht verbrauchten
Titrier (Bissigkeit. Dr. Zehn (Beck).499
Ueber Fortschritte auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege
in England in den letsten 25 Jahren — und in den nächsten.
Dr. J. Spothis woode Gameron (Mayer).499
Die Sterbefälle im Deutschen Reiche während des Jahres 1899 unter der
Gesamtbevölkerung und unter den Bewohnern der Grossstädte
(Raths).601
Bewegung der Bevölkerung im Deutschen Reiche während des Jahres
1901 602
Die Blutserumtherapie bei der Dysenterie. Prof. Dr. Kruse (Rpd.) 626
Ueber Fütterongstuberkulose. Prof. Dr. v. Hanse mann (Ränber). . 628
Fätterungstuberkulose in einer Abdeckerei. Dr. Köhler (Schrakamp) 628
Beitrag sum Studium der Rinder- und menschlichen Tuberkulose. Dr.
Angelo Cipollina (Räuber).629
Zur Kritik der Taberkulosefrage. Dr. Schottelius (Riesel) . . . 629
Der Kampf gegen die Taberkulose als Volkskrankheit. Dr. Julius
Kats (Räuber).629
Tuberkulosebekämpfung. E. v. Behring (Räuber).680
Tobercalosis and the Sanatorium. Prof. Dr. JohnLowman (Kornfeld) 631
Ueber Abtötung von Tuberkelbasillen in erhitzter Milch. Dr. Rull-
mann (Waibel).631
Für und wieder die Auseigepflioht bei Tuberkulose. Dr. Alfred Hillier
(Mayer).631
Beitrag sur Kenntnis der Tuberkuloseverbreitung in Baden. Dr.
W. Hoffmann (Roepke).632
Das Auftreten der Taberkulose in Zigarrenfabriken. Prof. Dr. Brauer
(Roepke).638
Ueber die Septumperforation der Chromarbeiter. Dr. Bamberger
(Waibel) . :.. • • • 6 8B
Die Glasuren unserer irdenen Geschirre vom Standpunkte der Hygiene.
Prot Dr. K. B. Lehmann (WbliE).™
XX
Inhalt.
In welchen Fällen schreibt das Hebammenlehrbach das Hlnsnsiehen des
Arztes vorP Dr. Dahlmann (Sohrakamp) ..637
Eine bösartige Scharlachepidemie. Dr. Günther (Waibel).675
Die Pookenepidemie in Strassbarg im Frlibjabr 1908. C. Belin
vom Jahre-1901, nebst Anhang, betreffend die Pookenerkrankungen
AUl U MU1V* JLVVV* A/i* Al. U i V i U .. \J I Vt
Verurteilung einer Distriktsbehörde wegen Fahrlässigkeit bei Errichtung
und Betrieb eines Pocken-Nothospitals. (Mayer).677
Uober- die Dauer des Krankenhausaufenthaltes infektiös Erkrankter und
ttber Heimkehrfälle (Beturn cases). Dr. W. A. Bond (Meyer) . 678
Zur Kenntnis der Arteigenheit der verschiedenen Eiweiskörper der Milch.
Arthur Schlossmann und Ernst Moro (Waibel):.678
Kann in dem Zusatz von sohwefligsaurem Natrium zu gehacktem Bind*
fleisch eine Fälschung »blickt werden. Dr. A. Kraus und Dr.
H. Schmidt (Waibel).679
Unser Hebammen wesen und die Beformpläne. B. S. Schulze (Bio*
kusewski).679
Die Lebensdauer der Pestbazillen in Kadavern und im Kote von Pest*
ratten. Dr. Albert Maassen (Bost).743
Die Pest in Odessa. Dr. J. Wernitz (Bäuber).744
Ueber die im Institute für Infektionskrankheiten erfolgte Ansteckung
mit Pest. W. Dönits (Bäuber).744
Der Berliner Pestfall in seiner epidemiologischen Bedeutung. Prof. Dr.
F. Plehn (Bäuber).745
Der PeBtbacillus und das Pcstserum. Dr. Erich Martini (Bäuber) . . 746
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte (Beferiert von Bost):
XIV. Gutachten ttber die Einleitung der Abwässer Dresdens in die
Elbe. Prof. Dr. Gärtner und Prof. Dr. Bubner.747
Beitrag zur Untersuchung der Erdfarben auf Arsen. Dr. Carl Fischer 747
Ueber eine von einem atypischen Colibacillus veranlasst« typhusfthnliche
Hansepidemie bydrischen Ursprunges. Prof. V. Sion und Prof.
Negel (Lenti).881
Zur Epidemiologie des Typhus abdominalis. Prof. Dr. Tavel (Lentz). 881
Ueber die Lebensdauer von Typhusbazillen, die im Stuhle entleert werden.
Prof. Dr. E. Levy u. Dr. Heinr. Kayser (Lentz).882
Experimentelle Untersuchungen ttber die Ausscheidung der Typhusaggluti-
nine. Versuche an Meerschweinchen. C. Stäubli (Lentz) . . 882
Ueber die Ankylostoma^efahr in Kohlengruben. Dr. I b e r e r (Glogowski) 883
A propos de l’ortöpathie paluetre snr un oas de trophonövrose ossifiante
des extrömitds chez an paludöen. Troussaint (Bisei) . . . 883
Entstehungsursaohe der Pustula maligna. Dr. Hölscher (Fielitz) . . 8 s -3
Beiträge zur Pathologie des Balantidium (Paramaecium) coli. W. Kli-
menko (Bisei).883
The etiology of tbe summer diarrheas of infants. C. W. Duval und
V. H. Basset (Lentz). 885 (
Die Säuglingssterblichkeit und die Massregeln öffentlich‘hygienischer
Art, die zum Zweck ihrer Herabsetzung genommen werden können
Dr. Ad. Wttrz (Glogowski).886
Die amtsärztliche Beurteilung der Fleischvergiftung (Botulismus). Dr.
Lochte (Glogowski).886
Untersuchungen ttber die sogenannte „rohe Karbolsäure* mit besonderer
Berücksichtigung ihrer Verwendung zur Desinfektion von Eisen-
bahnviehtransportwagen. Dr. Carl Fisoher und F. Koske
(Bost).888
Bericht ttber die Verwaltung der Landesversieherungsanstalt Schleswig-
Holstein für das Jahr 1900 . 888
Inhalt.
XXI
8e!te.
ITT. Besprechungen. 1 )
Ahlfeld, Geh. Med.-Rgt Prof. Dr. F.: Lehrbuch oer Geburtshilfe . . 889
Bardeleben, Dr. 0. t.: Handbuch der Anatomie des Menschen (Rpd.) 586
Banr, Dr. A.: Das kranke Schnlkind (Räuber).697
Besold, Prof. Dr. Friedr.: Die Taubstummheit auf Grund obrenärzt-
licher Beobachtungen (Rudloff).469
Biehele, Dr. Max: Die chemischen Prosesse und stöchiometrischen
Berechnungen bei den Prüfungen und Wertbestimmungen der im
Araeibuche für das Deutsche Reich (IV. Ausgabe) anfgenom-
menen Arzneimittel (Weise).224
Bloch, Dr. Iwan: Beiträge sur Aetiologie der' Psychopathie sexualis
(Rump).778
Boltenstern, Dr. Die Vergiftungen (Hoffmann).828
Bonhoeffer, Dr. K.: Die akuten Geisteskrankheiten der Gewohnheits¬
trinker (Pollits). 73
Borntraeger, Dr. S.: Diät-Vorschriften für Gesunde und Kranke
jeder Art (Rpd.).778
Bumm, Prof. Dr.: Grundriss zum Studium der Geburtshülfe (Walther) 178
Burgerstein, Dr. Leo und Netolltzky, Dr. Aug.: Handbuch der
Schulhygiene (Rump).864
Buttenberg, siehe Farnsteiner.
Cramer, Prof. Dr. A.: Gerichtliche Psychiatrie (Rpd.).773
Dämmer, Dr. 0.: Handbuch der Arbeiterwohlfahrt (Rpd.)-.586
Deutsch, Dr. A. und Feistmantel, Dr. C.: Die Impfstoffe und
Sera. Grundriss der ätiologischen Prophylaxe und Therapie der
Infektionskrankheiten (Weicbardt). 682
Deutscher Hebammen-Kalender 1908 (Blokusewski) .... 49
DOlger, Dr. Robert: Die Mittelohr-Eiterungen (Rudloff).603
Dürck, Dr. H.: Atlas und Grundriss der allgemeinen pathologischen
Histologie (Rpd.).486
Dunbar, Prof. Dr.: Zur Ursache und speziellen Heilung des Heu¬
fiebers (Roepke).778
Bbstein, Prof. Dr. W.: Dorf- und Stadthygiene (Sieyeking) .... 582
Bllis, Dr. Havelock: Geschlechtstrieb und Schamgefühl (Lewald) . . 530
Bsehle, Dr.: Das Arbeitsanatorinm (Schrakamp).567
▼. Bsmarch, Prof. Dr. E.: Hygienisches Tagebuch für Medizinal- und
Verwaltungsbeamte, Aerzte, Techniker und Schulmänner (Rpd.) . 538
Baienburg, Prof. Dr. A.: Sadismus und Masochismus (Lewald) . . 528
Farnsteiner, Dr. R., Buttenberg, Dr. P., und Rom, Dr. 0.:
Leitfaden für die ohemische Untersuchung von Abwässer (Engels) 681
Feistmantel, siehe Deutsch.
Flesch, Prof. Dr. med. Max und Westheimer, Dr. jur. Ludwig:
Geschlechtskrankheiten und Rechtsschutz (Blokusewski) .... 581
Flügge, Prof. Dr. Carl: Grundriss der Hygiene für Studierende und
praktische Aerzte, Medizinal- und Verwaltnngsbeamte (Rump) 47
Frieboer, Dr. Walther: Beiträge zur Kenntnis der Guajakpräparate
(Hoffmann). .680
Gottschalk, Dr. R.: Grundriss der gerichtlichen Medizin (Kornfeld) 847
Granier, Dr. R.: Lehrbuch für Heilgehilfen und Masseure (Rpd.) . . 535
Haines, siehe Peterson.
Hartig, Prof. Dr. R: Der echte Haussohwamm u. andere das Bauholz
zerstörende Pilze, herausgegeben von Prof. Dr. Tubeuf (Engels) 846
Hang, Prof. Dr. med. R.: Hygiene des Obres im gesunden und kranken
Zustande (Rudloff).503
Hocke, Dr.: Arst und Hebamme (Blokusewski).566
Holtz, Dr. H.: Die Fürsorge für die Reinhaltung der Gewässer (Rpd.) 583
Jahresbericht, XXXIII., des Königl. Landes-Medizinal¬
kollegiums Uber das Medizinalwesen im Königreich
8achsen auf das Jahr 1901 (Rost).777
’) Die Namen der Referenten sind in Klammern beigefügt.
XXII
Inhalt
Kahane, Dr. Max: Therapie der Erkrankungen den Respirations- and
Zirkul&tionsapparates (Boepke) . 869
Klein, Dr. Joseph: Elemente der forensiseh-chemischen Ansmittelang
der Gifte (Hoffm&nn). 287
Kobert, Prof. Dr.: üeber die Schwierigkeiten bei der Aaslese der
Krankheiten für die VolkslungenbeUstätten and Aber den Modas
der Aufnahme in dieselben (Boepke).286
-Lehrbuch der Intoxikationen (Hoffm&nn).827
-Compendium der praktischen Toxikologie snm Gebrauche für
Aerste, Studierende and Medisinalbeamte (Hoffmann).680
Korn, siche Farnsteiner.
v. Krafft-Ebing, Prof. Dr. B.: Lehrbuch der Psychiatrie (Bpd.) 772
Karella, Dr. Hans: Zurechnungsfähigkeit und Kriminalanthropologie
(Lewald).681
Lang, Prof. Dr. Eduard: Lehrbuch der Hautkrankheiten (Boepke) . . 76
Lebbin, Dr. Georg: Das Weingesets (Bpd.).666
-und Baum, Dr. Georg: Das Fleisohbeschaugesets (Bpd.) . . . 567
Lehmanns mediiinisohe Handatlanten. Seiffer, Dr. W.:
Atlas und Grundriss der allgemeinen Diagnostik und Therapie
der Nervenkrankheiten. — Dflrek, Dr. H.: Atlas und Grundriss
der allgemeinen pathologischen Histologie (Bpd.).486
Lesser, Prof. Dr.: Stereoskopischer Gerichtsärztlicher Atlas (Bpd.). . 228
LOwenfeld, Dr. L.: Sexualleben und Nervenleiden. Die nervösen
Störungen sexuellen Ursprungs nebst einem Anhänge Ober Prophy¬
laxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie (Lewald). . 847
Mann, Dr.: Leitfaden Ober die Pflege der Wöchnerin und des Säug¬
lings (Bpd.).287
Mendel, Dr. E.: Leitfaden der Psychiatrie (Bump). 74
Migula, Dr. W.: Compendium der bakteriologischen Wasserunter-
suohung nebst vollständiger Uebersicht der Trinkwasserbakterien
(Boepke). 224
Mugdan, Dr. 0.: Kommentar für Aerste snm Gewerbe• Unf&llver-
richerungsgesetse nebst dem Gesetse betr. die Unfallversicherungs-
gesetse vom 80. Juni 1900 (Bpd.).628
Netterer, Dr.: Kurze Darstellung des preussisohen Gesetzes, betreffend
die ärztlichen Ehrengerichte, das Umlagerecht und die Kassen
der Aerztek&mmern vom 26. November 1899 (Boepke) .... 896
Netolitski, siehe Burgerstein.
Obergutachten ärztliche in Uafallsachen, Sammlung (Bpd.) . . . 772
Ohlemann, Dr. M.: Die neueren Augenheilmittel fQr Aerste und
Studierende (Boepke).403
Pollatsohek, Dr. Aniold: Die therapeutischen Leistungen des Jahres
1901 (Boepke). 76
Peters, Hermann: Der Arzt und die Heilkunst in der deutschen Ver¬
gangenheit (Pilf).027
Peterson, Dr. F. und Haines, Dr. W. 8.: Textbuch der. gericht¬
lichen Medizin und Toxikologie (Kornfeld).847
Prausnitz, Prof. Dr.: Physiologische und sozial - hygienische Studien
Ober Säuglings-Ernährung u. Säuglings-Sterblichkeit (Hirschbrucb) 531
Rapmund, Dr. 0.: Kalender fQr Medizinalbeamte (Fielitz) . . 46, 890
Bosinski, Dr. Bernard: Die Syphilis in der Schwangerschaft
(Blokusewski).531
Both, Dr. B.: Die Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Land in
gesundheitlicher Beziehung und die Sanierung des Landes (Bpd.) 533
Rubner, Prof. Dr. M.: Lehrbuch der Hygiene (Bpd.).534
Sanitätswesen des Preussisohen Staates. L In den Jahren
1898, 1899 und 1900; II. im Jahre 1901 (Räuber).774
Schmidt, Jobs., und Weiss, Fr.: Die Bakterien (Boepke) .... 224
Schnitze, Ernst: Wichtige Entscheidungen auf dem Gebiete der Psy¬
chiatrie (Pollitz). # .889
Sohuster, Dr. Paul: Die psychischen Storungen bei Hirntumoren.
Klinische und statistische Betrachtungen (Pollitz). 48
Inhalt.
XXIII
Sommer, Dt. Robert: Diagnostik der Geisteskrankheiten für praktische
Aente und Studierende (Pollita).
Ssiffer, Dr. W.: Atlas und Grundriss der allgemeinen Diagnostik und
Therapie der Nervenkrankheiten (Bpd.).
Seilkeim, Prof. Dr.: Leitfaden für gebortshülflich-gynäkologische
Untersuchung (Walther).
Teaholt, Dr.: Die Untersuchung auf Anchylostomiasis (Wiese). . .
Ttbeuf, siehe Hartig.
Vogel, Dr. M.: Die erste Hülfe bei Unfällen mit besonderer Berück*
■ichtigung der Unfälle im Bergbau und in den verwandten Be¬
trieben (Dietrich).
Vogel, Dr. Gustav: Leitfaden der Geburtshülfe für praktische Aerste
und Studierende (Walther).
Wehmer, Dr.: Bnsyklopädisches Handbuch der Schulhygiene (Bpd.) .
Weiss, siehe Schmidt.
Westheimer, siehe Flesch.
Ziehen, Prof. Dr. Th.: Psychiatrie (Pollits).
Saite.
47
436
811
810
46
810
774
721
V. Tagesnaohricliten.
Zuaamentritt des Bayerischen erweiterten Obermedisinalaussohusses 49
Uekertragung der Vornahme bakteriologischer Untersuchungen an die
Universitäten München, Würzburg und Erlangen ....... 49
Krrichtung einer Akademie für praktische Medizin in Frankfurt a. M. . 50
8ehulärzte in Meiningen. 50
Todetlall (Hofrat Prof. Dr. v. Krafft-Ebing) . 50
Verordnung betr. das Selbstdispensieren der homöopathischen Aerste sowie
die Errichtung und den Betrieb homöopatischer Apotheken und
Dispensatorien in Hessen. 50
Haushaltsetat des Deutschen Beiches für 1903 . 76, 117
Plenarversammlung des Kgl. Sächs. Landes-Medisinalkollegiums 80,372,437,891
Vorlegung eines Gesetzentwürfe betr. Abänderung der Aerzteordnung
und Bildung eines ärztlichen Ehrengerichts in Hamburg ... 81
Hingabe einer Denkschrift des Gesohäftsausschusses des deutschen Aerzte-
vereinsbundes an den Bundesrat, betr. nas Beichsversicherungsgesetz 82
Deutscher Aerztetag.82, 504, 714, 892
UL internationaler Kongress gegen den Alkoholismus ....... 82
Neue preussische Arzneitaxe für 1903 . 83
Verbot der öffentlichen Ankündigung von Heilmethoden und Heilmittel
in Bremen. 83
Annahme des Antrages betr. Erlass eines Verbotes der öffentlichen An¬
preisung von Heilmitteln oder Heilmethoden in der Sitzung des
Badischen ärztlichen Landesausschusses. 84
Pest. 84, 472, 716
Cholera. 84
Das preussische Medizinalwesen in dem Staatshaushaltsetat 1908/1904 . 111
Ans dem prenssischen Abgeordnetenhause:
Antrag auf Zulassung der fakultativen Feuerbestattung. . . 116, 831
Gewährung des vollen Stimmrechtes der bei den Begierungen be¬
schäftigten technischen Bäte. 118
Erlass eines prenssischen Schlachtviehversicherungsgesetses . . 116
Bekämpfung des Alkoholismus.118
Kurpfnscherprozess Nardenkötter 225
Kreisärzte als Sachverständige in Entmündigungssachen .... 225
WurmkTankheit .226
Beratung des Medizinaletats.259
Ansführungegesetz zum Beichsseucbengesetz 80, 269, 295, 403, 747
Errichtung eines Lehrstuhls für gerichtliche Medizin an der Uni¬
versität in Bonn.. • • • • 269
Errichtung einer medizinischen Fakultät an der Universität in
Münster L .. 269
XXIV
Inhalt.
Abtrennung der Medizinal Verwaltung vom Kultusministerium und
Ueberweisung an das Ministerium des Innern . . . 289
Frauenfrage. 289
Stellung und amtliehe Tätigkeit des Kreisarztes ’ . 289
Anfrage betreffs Auflösung oder Reform der veralteten Hinrichtung
der Provinzial-Medizinalkollegien. 290
Unterstützung der auf Wartegeld gestellten Medizinalbeämten 290
Bestimmungen über die ärztlichen Ehrengerichte. 291 370
Erörterung über das durch die medizinische Prüfungsordnung ’
eingeführte praktische Jahr. 291
Bestimmungen über die Beschaffenheit der Arzneigefässe '. 292
Apothekenkonzessionswesen. 292
Kurpfuscherfrage.. 1 226, 292
Reform des Hebammen- und Förderung des Krankenpflegerwesens ' 292
Versuchsanstalt für Wasserversorgung und Abwässerbescitigung. 293
Neubau des hygienischen Instituts in Pobou .293
Erforschung und Bekämpfung der Ruhr und Bekämpfung der
Granulöse.295
Zur Frage der obligatorischen Leichenschau ....... 295
Errichtung von Kurhospitälern und von Genesungsheimen für
Eisenbahnbeamte ..
Wohnungsfürsorge und Wohnungsgesetz. 370
Gesetzentwurf, betr. die Gebühren der Medizinalbeamten . . 184, 403
Anstellung von Schulärzten in den Städten und auf dem Lande . 404
Zugang der Novelle zum Krankenversicherungsgesetz an den Bundesrat 121
Versammlung des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege . . 120, 180, 333
Kongress der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten .. 120 260
Aus dem Regierungsbezirk Liegnitz. 120
Aus dem Reichstage:
Bemängelung der von den Landesversicherungsanstalten gebauten
Krankenanstalten.224
Schlechte Bezahlung der Krankenpfleger. * 225 257
Schutz der Arbeiter in den Gerbereien gegen Milzbrand und Be¬
kämpfung der Wurmkrankheit. 225, 267
Ueber Borsäureverbot, öffentliche Untersuchungsanstalten und ein¬
heitliche Kontrole des Verkehrs mit Nahrungs- u. Genussmitteln 225
Geheimmittelfrage.226
Novelle zum Krankenversicherungegesetz. . . 225, 257, 288’ 371, 403
Denkschrift über die Tuberkulose und deren Behandlung ... 224
Reichsgesetzlicho Regelung des Verkehrs mit Arznei- und Geheim¬
mitteln .288
Verbot medizinischer Eingriffe bei Menschen zu anderen als Heil¬
zwecken .288
Reiohsgesetzliche Regelung des Irrenwesens und Aenderung des
Entmündigungsverfahrens.288
Gesetzentwurf, betr. Zündwaaren. 371, 403
Neuregelung der Bedingungen für die Fleischeinfabr.890
Lösung der Wohnungsfrage.891
Typhus- und Ruhr-Merkblatt.226
Zur Kurpfuscherfrage. 226, 714
Annahme des Entwurfs eines neuen Medisinalgesetses in Braunschweig 226
Anstellung eines städtischen Amtsarztes in München.226
Vorlegung eines Gesetzentwurfs über die Errichtung und den Betrieb
von Apotheken im Landesaussohuss von Elsass-Lothringen . . . 226
Ausserordentlicher Aerztetag. 226, 259
Gesetzentwurf, betr. Errichtung einer gemeinschaftlichen Thüringischen
Aerztekammer und ärztlichen Ehrengeriehtshofs für dio Thürin¬
gischen Staaten.226
Verkauf einer ärsliohen Praxis.227
Allgemeine Ausstellung für hygienische Milchversorgung in Hamburg
1903 . 227. 382
Inhalt.
XXV
80! to*
XIV. Internationaler medisinisober Kongress in Madrid. 287, 404
Ausgebroohene Steine and lebende Frösche.228
Penooalien (Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bob. K 0 0 b) 82,60,470,688,890, (Geh.
Med.-Bat Prof. Dr. Flügge. Prof. Dr. Danbar and Geb. Beg.-
Bat Dr. Ohlmfiller) 832, (Geh. San.-Bat Dr. WaHiebs) 408,
(Dr. Pool Stolper) 636, (Prof. Dr. ▼. Behring) 688, (Geh.
8an.-Bat Dr. Alex Spie es) 715, (Geh. Med.-Bat Prof. Dr. 8chmidt) 888
Sitsnngoprotokolle der Bayerischen Aerztekammer.260
Annahme eines Gesetzentwurfs zar Brrichtang einer Aerntekammer and
eines Ehrengerichts für Aerzte in Lübeck.260
Versammlung der Vereinigung Deutscher Hebammenlehrer.260
Schaffung einer einheitlichen Arzneitaxe für das ganze Deutsche Beich 260,848
Umfrage betreffs des Selbstdispensierrechts der Homöopathen .... 296
Gründung eines eigenen Hauses des Zentralkomitees für das ärztliohe
Fortbildungswesen ..29<>
IL allgemeiner Deutscher Krankenkassenkongress.296
75. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte
296, 471, 668, 714
Konferenz betr. die zur Bekämpfung der Wurmkrankheit notwendigen
Massnahmen. .829, 891
Jahresversammlung des Württembergischen Medizinalbeamtenvereins 881
Einrichtung eines Sanatoriums für unbemittelte Nervenkranke des Mit¬
telstandes und der unteren Stinde bei Göttingen.831
Kurpfuscherfrage im Württembergischen Landtage.871
Jahresversammlung des Vereins Deutscher Irrenärzte.371
XL internationaler Kongress für Hygiene und Demographie .... 871
Internationaler Kongress gegen den Alkoholismus.372
Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder . . . 872, 715
Bereiterklftrung der Vereinigung der Deutschen medizinischen Fachpresse
betreffs Gutachten über Kurpfuscher-Inserate.372
XII. Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter-Woblfahrtseinrichtungen. 404
Vervollständigung der Universität Münster durch allmähliche Errich¬
tung einer medizinischen Fakultät.404
Bescheid des Ministers auf eine Eingabe der Berliner Drogisten-Innung
betr. den Verkehr mit Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken . 404
Rundschreiben des Reichskanzlers in bezug auf Massnahmen gegen die
Kurpfuscherei.487
47. Sitzung des Landesausschusses der Württ. ärztl. Landesvereine . . 488
Erörterungen über die Einführung einer allgemeinen 8cblachtviehver-
sieherung im ganzen Beicbe im Anhaitischen Landtage .... 488
Errichtung einer Tollwutklinik in Breslau. 488
Sitzung des engeren Rates des internationalen Zentralbureans zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose in Paris.488
Jahresversammlung des Deutschen Zentralkomitees für Lungenheilstätten 438
IV. Jahresversammlung des allgemeinen Deutschen Vereins für Schul-
gesundheitspffege.488
VI. Kongress des Vereins für Volks- und Jngendspiele.489
Generalversammlung des Deutschen Vereins für Volksbygiene . . . 439, 688
Einschleppung von Typhusbasillen nach England aus Südafrika. . . . 448
Pestfall in Berlin. 470, 509
Warnung vor den Ankanf von typhusverdäohtigen wollenen Decken aus
England.471
Uebergabe des fertiggestellten Laboratoriums für Krebsforschung in Berlin 471
8itzung des preussisehen Apothekerrats.471
Versammlung der deutschen Landesgroppe der internationalen krimi¬
nalistischen Vereinigung.471
Deutsche Städteausstellung in Dresden . 471
Zyklus des Berliner Dozenten • Vereins für ärztliche Ferienkurse . . . 472
Entwurf einer Novelle zum Gesetz betr. die ärztlichen Ehrengerichte . . 504
Entwurf einer Aerzteordnung des Grossherzogtums Baden. 504 , 892
VL Deutscher Samaritertag.£04
Zur Bekämpfung des Typhus. 686
XXVI
Inhalt.
Forderung der Brrichtung eine« homöopathischen Lebntnhliin Württemberg 686
Regelang des Verkehrs mit Geheimmitteln in Prenssen.567
Bekanntmachung betr. Ausübung der Heilkande darch Karpfaseher im
Königreich Sachsen. 568
Zeitschrift fftr Krebsforschung.568
Iuslebenrufen internationaler Kongresse für Schulhygiene. 598, 686
Preisaassehreiben der Deatsehen Gesellschaft für Sehnlhygiene.... 598
Verteilnng von RatscblKgen für Aenste bei Typhös and Rohr .... 638
Uebernahme des hygienisch-bakteriologischen Laboratorinms in Stral-
snnd darch die Medisinalverwaltang.689
Unentgeltliche Abgabe von Rohrheilsernm.639
IIL internationaler Taberknlosekongress.689
82. Hauptversammlung des Deutschen Apothekervereins.689
Wasserversorgung und Typhus in der Stadt Metx.682
Neues Irrengesets.683
Akademie für praktische Medisin in Düsseldorf.683
Verein der Medisinalbeamten des Hersogtums Brannschweig.688
Beabsichtigte Reform des Apothekenweeens. 684, 715
XX. Hauptversammlung des Preussischen Medisinalbeamten-Vereins. . 718
Zweite Hauptversammlung des Deutschen Medisinalbeamten-Vereins 71
Uatersuchungskmter für ansteckende Krankheiten in Baden.714
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten durch Krankenkassen . . . 714
Binführung einer staatlich anerkannten Standesvertretung der Tierkrste
und Reform der Dienststellung der Kreistierärste.716, 891
Vorlegung der Ausführungsbestimmungen su dem Reichs •Seuchengesets 747
Internationale Sanitätskonferens in Paris. 748, 848, 892
Errichtung von Untersuchungslmtern seitens der Städte.748
Zahl der vor ihrem Tode nicht ärstlicb behandelten Gestorbenen in Bayern
Eröffnung der Königlichen Akademie in Posen.779
Beabsiohtigung der Errichtung eines deatsehen Instituts Behring nach
Pasteurschem Master.779
Beiträge su den Apothekerkammern und Brsats des Apothekerrats durch
den Apothekerkammerans8chuss.779
Brrichtungeines Denkmals für Rudolf Virehow.779
Komitee bebnfs einer Ehrung Robert Kochs.780
Stand der Warmkrankheit im Oberbergamtsdistrikt Dortmund . . . 811
Gerichtliches Verfahren bei Anklagen wegen ärstlioher Kunstfehler in
Oesterreieh.812
Interpellation wegen angeblichen Missbrauche der Vivisektion im nieder-
Verfügnng betr. des Verkehrs mit Geheimmitteln in Württemberg . . 848
Ausführungsbestimmungen su den Vorschriften über Tagegelder nnd
Reisekosten der Staatsbeamten.891
Untersuchung sämtlicher höherer Schulen in besag auf ihre gesundbeit-
Teilnahme der Kreisärste an den Kreislehrerkonferensen.891
26. Balneologenkongress.892
21. Kongress für innere Medisin.892
Aerstliche Fürsorgestelle für Tuberkulose in Deutschland.8'.)2
Allgemeiner Deutscher Wohnungskongress.892
Verschiedenes.
Nachruf.
Deutscher Medisinalbeamten-Verein.
Prenssiscber Medisinalbeamten-Verein ....
Sprechsaal.
Berichtigungen . . •.
. 52
51. 332, 439, 600, 640
51, 332, 439, 699, 640
. 228, 748
.... 51, 84, 688
> f— 1 f
Sach "Register.
Abdeckereiwesen and seine Regelung
402*
Abgeordnetenhaus, preassisches, ans
demselben 116, 204, 226, 269, 289,
870.
Abort, krimineller, nnd Kindsmord 464.
Abeoaderungsverfahren 649.
Abwksser, Beinignng 298, 867, 496,
biologisches Verfahren 498, 496,747,
(in Dresden), 867 (in Christiania),
ehemische Untersuchung 691.
Aenrtekammer, thüringische, Bildung
einer solchen 262; bayerische, deren
Sitiuogsberichte 260; in Lübeck 260;
Beitrlge tu Aerstekammern 779.
Aersteordnung in Hamburg 81, in
Sachsen 80,891; in Baden 604,892.
Aerstetag, deutscher, in Köln 82, 604,
714; ausserordentlicher zu Berlin
226, 269, für 1904 in Rostock 892.
Aenterereinsbund, deutscher, Ge*
schäftsaussehuss desselben 82.
Aetiologie der Psychopathie 798.
Aethylalkohol, Untersuchung über
dessen bakterizide Wirkung 864.
Agglutination des Bakterien, ein pby-
sik&l-chemiscbes Phänomen 846.
Akademie, in Posen 714, für praktische
Medisin in Frankfurt a. M. 60, in
Düsseldorf 688.
Alkoholismus, IX. internationaler Eon*
giess gegen denselben 269, 872,
dessen Beklmpfung 294.
Amanita phalloides 412, 426.
Amblyopien, Intoxikations-, von sani¬
tätspolizeilichem Standpunkte 866.
Amtsarzt, städtischer, in Münehen 226.
Anatomie des Menschen, Handbuch
derselben 636.
Anatomische Sonderheiten des kind*
liehen Gehörorgans 662.
An k ü ndigung , öffentliche, von Heil¬
methoden, Heilmittel usw.. Verbot
derselben in Bremen 88, in Baden 84.
Ankylostomiasis im rheinisch - west¬
fälischen Kohlenrevier, Ursache und
Bekämpfnng 297, 810; über deren
Gefahr in Kohlengruben 888.
Antistreptokokkensernm bei Scharlach
860.
Anzeigepflicht bei Tuberkulose 890,681.
Aorteninsuffizienz, Kenntnis der nach
Trauma entstandenen 878.
Aphakie nach Altersstar, Bedeutung
für die Srwerb8fähigkeit 878.
Aphasie, akute transitorische 741.
Apotheken, Neuerrichtung und Betrieb
derselben, Gesetz darüber in Eisass-
Lothringen 226, Konzessionswesen
292, Reform desselben 684.
Apothekerverein, deutscher, Versamm¬
lung in München 260, 689.
Approbation, zeitweise Entziehung,
Grundsätze dafür 861.
Arbeiterkrankheiten 271.
Arbeiterwoblfahrt8einrichtungen, XII.
Konferenz der Zentralstelle dafür
404, Handbuch derselben 684.
Arbeitersanatorium 667.
Arsen, Untersuchung der Erdfarben
darauf 747, in Geweben des tierischen
Haushaltes 872.
Arsengehalt der Tiere 666.
Arsenikmord 872.
Arzneigefässe, deren Beschaffenheit
292
Arzneimittel, deren Prüfung und Wert¬
bestimmung 224, Verkehr damit
ausserhalb der Apotheken 248, 404,
Arzneitaxe für 1908, preussische
88, einheitliche für das Deutsche
Reich 260. _ .
Arzt, dessen Anhörung In den Rechts-
slttelinstanzen der Unfall versiehe
XXVIII
Sach -Begister.
rang 674; als Sachverständiger vor
Gericht 27; Ant and Heilkunst in
der deutschen Vergangenheit 627;
Zuziehung des Amtes durch Heb¬
ammen 566, 637.
Aspirin, dessen Nebenwirkung 873.
AtJas, gerichtsärztlicher, stereosko¬
pischer 223, der allgemeinen Dia¬
gnostik 436.
Augenciterung der Neugeborenen,
Schutzm assregeln dagegen 397.
Augenheilmittel, neuere 403.
Ausffihrangsgeaetz, preussisches, zum
Beiobsseuoheogesetz 204, 259, 826.
Ausstellung, Hamburger, allgemeine,
fdr hygienische Milchversorgung 207,
703
Auszeichnung 683.
Azetonvergiftung, nach Anlegung eines
Zelluloid-Mullverbandes 872.
Bad, als Infektionsquelle 42.
Bakterien 224, deren Virulenz 66.
Bakteriologie 568.
Bakteriologische Untersnchungsftmter
in Bayern 49.
Bauchdeckontumor, entzündlicher 279.
Bauordnung im Dienste der Öffent¬
lichen Gesundheitspflege 838.
Bazillen des Smegma 281.
Beachtungswahn und Eigenbeziehung
348.
Begräbniswesen 249.
Begutachtung, psychiatrische in Zivil¬
sachen, lediglich auf Grand der
Akten 805.
Bergbau, erste Hfllfe bei Unfällen in
demselben, 46.
Beschäftignngsneuroee der Tele¬
graphistinnen 742.
Betriebsunfall und tOtliche Verletzung
672, und organische Erkrankung des
Kleinhirns 34, und Magenkrebs 63,
und Hysterie 355, 466, und Leisten-
brach 352, und Tod, ursächlicher Zu¬
sammenhang 879.
Biologische Beurteilung des Wassers
nach seiner Flora und Fauna 494.
Biologisches Verfahren, insbesondere
die bei der Herstellung desselben zu
beobachtenden Gesichtspunkte 496;
siehe auch Abwässer.
Blausäure, ein Verbrennungsprodnkt
des Zelluloids 664.
Blei im Organismus 560.
Bleivergiftung, eine neue Art der¬
selben 337, interessanter Fall von
862.
Blindheit, deren Entstehung und Ver¬
hütung 397.
Blutdifferensen, individuelle, deren
Verwertbarkeit für die forensische
Praxis 85.
Blutgase, deren Analyse 457.
Blutparasiten der Kolonisten und ihrer
Haustiere in tropischen Gegenden
869.
Blutseramtherapie bei der Dysenterie
626.
Blutuntersuchung, gerichtsärztliche,
vermittelst der biologischen Methode,
praktische Anleitung dazu 185, 229.
Borolin 253.
Borsäure und Borax, als Fleieohkon-
servierungsmittel 44, deren Miss¬
brauch 253, 254, 255.
Braunsohweig, Herzogtum, Verein der
Medisinalbeamten daselbst 683.
Cancroin, Erfolge desselben beim
Krebs 362.
Cerebrospinalmenigitis oder Vergiftung
790»
Chinin, Verwendung zum Nachweis
von Blutkörperchen 665.
Cholera, deren Bekämpfung 248, Naoh-
riohten darüber 84.
Choleravibrionen, über das Wesen der
Bakterienvirulenz 66.
Chromsäure, lokale Wirkung derselben,
akute Vergiftung 669, Septumper¬
foration bei Arbeitern infolge der¬
selben 635.
Chloroform, Selbstmord durch 460.
Chloroformnarkose, Tod in dieser 417.
Colibazillen, deren Differenzierung von
Bohrbazillen 38.
Conjunctivitis, Schulepidemie 429.
Coroner, dessen Abschaffung 526.
Dämmerzustände, hysterische 465.
Dammnaht, deren Unterlassung, Be¬
strafung eines Arztes deshalb 277.
Darmbakterien, deren Bedeutung für
die Ernährung 856.
Dauerwurstsals und Dauerwurstge-
würz 253.
Decken, wollen e,typhusverdächtige 470.
Dementia praecox 664, 668.
Demographie, internationaler Kongress
dafür 371.
Desinfektion, in ländlichen Kreisen
15, 649, deren Begelung 841, kom¬
binierte Mittel derselben 864, der
Hebammen 618, durch ältere und
neuere Quecksilber- und Phenol¬
präparate 866, und Inhalation, ein
neuer Apparat dafür 846.
Desinfektoren, deren Tätigkeit bei der
Bekämpfung ansteckender Krank¬
heiten in Landkreisen 6,878,441,689.
Detenierung nicht entmündigter Gei¬
steskranker in Irrenanstalten 669.
Diätvorschriften für Gesunde und
Kranke jeder Art 778.
Sach - Register.
XXIX
Diagiostik, allgemeine, Atlas und
Grundriss dafür 436.
Diplooerteilang 832.
Diphtherieepidemie im Hospitale 41,
durch Genoeseoschaftsmolkemen 72,
deren Mortalität in Halle a. S.
(offiz. Preass. Bericht) 70.
Dispensaires antitnbercnlenx in Berlin
892.
Dispensierrecht homöopathischer Aerzte
in Hessen 51.
Drogenhandlangen, deren Beaufsichti¬
gung 830.
Dysenterieepidemie in Sttdsteiermark,
bakteriologischer Befund dabei 88.
Ehrengericht, ärztliches, in Lübeck
260, in Preassen 291, Gesetz darüber
in Preassen 369, 870, 604.
Eigenbeziehung, krankhafte, und Be-
achtungswahn 348.
Eiweisskörper, deren Arteigenheit 678.
Elektrisches Bad, Tod darin 666.
Entwicklungslehre und Gesetzgebung
349.
Epilepsie, genuine, die chirurgischen
Erscheinungen dabei 350, deren fo¬
rensische Beurteilung (offiz. Preuss.
Bericht) 53, und Hysterie vom Stand¬
punkt der Invalidenversicherung 879.
Epileptische, deren Anstaltsbehand¬
lung, besondere Einrichtungen dafür
876.
Ernährung im Pelde 261.
Erstickungstod, gewaltsamer, durch
abnorme Temperatur 463, Blutdichte
als Zeichen dafür 345.
Erwerbsfähigkeit im Sinne des Kran¬
kenversicherungsgesetzes 66, keine
Minderung derselben durch Verlust
des Endgliedes des Zeigefingers 468,
Berücksichtigung des bisherigen Be¬
rufs des Verletzten bei ihrer Beur¬
teilung 673.
Erwerbsverminderung, Grad derselben
354, 315, 673, 880.
Exantheme, postvaccinale 427.
Exhibitionisten vor dem Strafrichter
565.
Familienpflege der Geisteskranken
350.
Fasern, elastische, in der fötalen Lunge
und in der Lunge der Neugeborenen
666 .
Fanlbassins bilogischer Anlagen 496.
Fett, Glykogen, und Zellentfttiskeit
der Leber der Neugeborenen 738.
Fischer, Fall 29.
Fischvergiftung 760.
Fleisch, die Wirkung des Einlegens
desselben in verschiedene Salze 252.
Fleischeinfuhr 890,
Fleischschaugesets 567, Ausfübrungs-
bestimmun gen dazu 403.
Fleischvergiftung und Typbus 102;
amtsärztliche Beurteilung 886.
Flüssigkeiten, die Dauer des Aufent¬
halts derselben im Magen 561.
Flassverunreinignng,Gutachten darüber
747.
Foetus, postmortale Ausstossung 813.
Formaldehydgate zu Desinfektions-
zwecken 364.
Fortbildungskurse für Medizinalbeamte
in Berlin 21.
Fortbildungswesen, ärztliches, Zentral¬
komitee dafür 296.
Fortpflanzungsfähigkeit, Schwanger¬
schaft und Geburt 464.
Freispruch oder Sonderhaft SO.
Fremdkörper des Uterus 278, 279.
Fütterungstuberknlose 628.
Fussbodenöle in der Schule 485.
GanzerscheB Symptom in forensischer
Beziehung 568.
Gase im Blute, deren Verschwinden 738
Gebärmutter-Verletzung 666, Kontrak
tionen der schwangeren 276, Fremd¬
körper 278, 279.
Gebühren der Medizinalbeamten, Ge¬
setzentwurf 184, 204.
Geburt, Verblutung dabei 276.
Geburtshülfe, Grundriss derselben 178,
Lehrbuch 889.
Geheimmittel, ausserhalb der Apo¬
theken 248, 507.
Gehörorgan, Verletzung durch Unfall,
Erwerbsbeeinträchtigung dadurch62.
Geisteskranke, Fürsorge für dieselben
in und ausserhalb der Irrenanstalten
250, Familienpflege 350, über Straf¬
vollzug an denselben 871; Detenie-
rung nicht entmündigter in Irren¬
anstalten 669.
Geisteskrankheit vom juristischen
Standpunkte 526, in zivilrechtlicher
Hinsicht 465, Diagnostik derselben
47, akate, der Gewohnheitstrinker73,
die Anwendung der Isolierung dabei
871, Geisteskrankheit und Sektierer¬
tum 32.
Gemeindeörtliche Einrichtungen auf
dem Gebiete der Gesundheitspflege
845.
Genesungsheime, deren Errichtung 71.
Genossenschaftsmolkerei, als Ursache
von Diphtheriepidemien 72.
Gerichtliche Medizin, auf der Natur-
forscherversammlnng 568, Grundriss
derselben 847, die Photographie im
Dienste derselben (offiz. Deutscher^
Bericht) 189.
Gerichtliche Psychiatrie 773.
XXX
Sach-Register.
Gerichtsärstliches Leichenöffnungsver¬
fahren, deotsehes 537, 569, 601,655,
729 .
Gerichtsärztlicher stereoskopischer At¬
las 223.
Geschlechtsdrüsen, männliche, nnd
Skelettentwicklong 563.
Geschirre, s. Glasuren.
GeBohlechtskr&nkeiten, nnd Rechts¬
schatz 680, deren Bekämpfung 714;
deutsche Gesellschaft sur Bekäm¬
pfung derselben, I. Kongress dafür
120, 260, 320.
Geschlechtsteile, äussere, Verletsung
bei einem 7 jährigen Mädchen 1.
Geschlechtstrieb und Schamgefühl 528.
Gesetzgebung und Entwickelangsjahre
849.
Gestorbene, ohne ärztliche Behandlung,
Zahl derselben in Bayern und Baden
748.
Gesundheit, geistige, deren Grenze 565.
Gesundheitsamt, Kaiserliches, Haus¬
haltungsetat desselben 1903 76.
Gesnndheitsaufseher und Desinfektoren,
deren Tätigkeit bei ansteckenden
Krankheiten in den Landkreisen 873,
441.
Gesundheitspflege, Offentliehe, Deut¬
scher Verein für dieselbe 120, 184,
764, 797, 888, in England, Fort¬
schritte auf dem Gebiete derselben
in den letzten 25 Jahren 499.
Gesundheitszustand in zivil- und straf¬
rechtlicher Beziehung 403.
Gewässer, deren Reinhaltung 500.
Gewerbehygiene, die Mitwirkung der
Medizinal beamten 127.
Gewerbekrankheiten 271.
Gewohnheitstrinker, deren akute Gei¬
steskrankheiten 78.
Gifte, Elemente der forensischen und
chemischen Ausmittelung dafür 287,
metallische, Lokalisation und Eli¬
mination derselben bei gewerblichen
Vergiftungen 560, Handel damit,
ausserhalb der Apotheken 248; me¬
tallische bei gewerblichen Vergif¬
tungen 560.
Glasur irdener Geschirre vom Stand¬
punkte der Hygiene 686.
Gonokokkenpneumonie 861.
Granulöse, deren Bekämpfang 294, Am¬
bulatorien 809.
Guajakpräparate 680.
Haftpflicht des Arztes bei fahrlässiger
Ausstellung eineB Zeugnisses 740.
Haltekinder, deren Ueberwachung 424.
Handatlas, Lehmanns medizinische 486.
Hauptversammlung des preussischen
Medizinal beamtenvereins in Halle
a. 8. 718, des deutschen in Leipzig
718 und Berichte.
Hausepidemie, typhusähnliche, durch
atypischen Colibacilius veranlasste
881.
Hausschwamm und andere das Bauholz
zerstörende Pilze 846.
Hautkrankheiten, Lehrbuch derselben
75.
Hebammen, deren Verhalten bei Wo¬
chenbettfieber 261, Versicherungs-
kasse für diese 657, Kalender, deut¬
scher für diese 1903 49.
Hebammenlehrbucb, Ergänzungsblatt
886, 848, ein neues, Verbesserungs-
Vorschläge dafür 524, Vorschrift be¬
treffs Zuziehung des Arztes 566,687.
Hebammenlehrer, deutsche, deren Ver¬
einigung 260.
Hebammenwesen, dessen Reform 292,
676.
Heilgehülfen und Masseure, Lehrbuch
für diese 585.
Heilkunst und Arzt in der Vergangen¬
heit 527.
Heilmittel, erforderliche, die Pflicht zur
Gewährung solcher zur Sicherung des
Heilverfahrens usw. scbliesst anch
die Pflicht zur Instandhaltung und
Erneuerung in sich 881.
Heilverfahren, dessen Uebernahme
durch die Landesversicherungsan-
stalten 65, strafbare Anpreisung 879.
Heimkehrf&lle 678.
HeisswasseralkoholdeBinfektion 366.
Hermaphroditismus verus 562.
Herpes tonsurans, Epidemie 686, Bei¬
trag zum epidemischen Auftreten
865.
Herzerweiterung, primäre, Entstehung
derselben daroh Muskelanstrengung
670.
Herzfehler, angeborener, 8ektionser-
gebnis dabei 662.
Herzschlag, od dadurch 858.
HerzvergrOsserung infolge von Ver-
Bchüttung 854.
Heufieber, dessen Heilung 788.
Hirntumoren, psychische Störung bei
denselben 48.
Histologisch- pathologischer Atlas 436.
HomOopathen, deren Selbstdispensier-
recht in Hessen 296.
HomOopathiBcher Lehrstuhl, Errichtung
desselben 536.
Homosexualität, Probleme auf dem Ge¬
biete derselben 466.
Honoraransprüche der Spezialärzte 690.
Hilflosenrente, deren Gewähiung 856.
Hygiene, Grundriss derselben 47, 533,
X. internationaler Kongres dafür 871,
der Schulbank 488, der Ohren 508,
von Dorf und Stadt 582, Taschen-
Saeh-Register.
XXXI
buch dafür 588, Abt. für Hygiene
auf der Naturforsoherversammlung
568, 844, 870.
Hypnose, vor Gericht 347.
Hysterie and Unfall 354, traumatische
466.
Jahresbericht des Hiifsvereins für
Geisteskranke im Königreich Sach¬
sen 670, der Kreisärzte (offiz. preass.
Bericht) 74, XXX. des Königl. Lan-
lesmedizinalkollegiums in Sachsen
1901 777.
Idiotie, f&miliere amaurotische, Ka-
•nistik 742.
Impfstoffe und Sera 682.
Infektionskrankheiten, ein Beitrag snr
Anseigepflicbt 314, Grundriss der
aetiologischen Prophylaxe und The¬
rapie derselben 682; s. auch Krank¬
heiten.
Infiuenzabazillen, deren Widerstand
gegen physikalische uni chemische
Mittel 280.
Inhalationsmilzbrand durch Verarbeiten
ausländischer Drogen 68.
Inhalatorien, kann in solchen bei rich¬
tigem Betriebe eine grössere Menge
der zerstäubten Flüssigkeiten in die
Lunge gelangen 71.
Iaspirationsluft, über die Bedingungen
des Bindringens der Bakterien der¬
selben in die Lunge 69.
Institut, hygienisches in Posen, Neu¬
bau desselben 293, Behring 279.
Internationale Sanitätskonferenz in
Paris 748, 848, 892.
Intoxikationen, Lehrbuch dafür 327,
Psychosen bei Jodoforminjektion in
die Blase 347.
Jod- und Jodsalse, deren Wirkuhg auf
die Langen 560.
Irresein, indaziertes 852.
Irreaürzte, deutscher Verein derselben
871.
Irrengesetz, neues 683.
Irrenwesen, reichsgesetzliche Regelung
desselben (offiz. deutscher Bericht) 8,
belgisches 876.
Isolierung, bei Geisteskranken 371.
Kalender für Medizinalbeamte 46.
Kalibichromatvergiftung 659.
Karbolgangrän durch Karbolwasser-
amsclag 124.
Karbolsäure, sog. rohe, ihre Verwen¬
dung zur Desinfektion yon Eisen¬
bahnviehtransportwagen 888.
Karbolwasser, der Verkehr desselben
ausserhalb der Apotheken 819, 836.
Kastrationsein Wirkung auf das Skelett
578.
Kehlkopffraktur, geheilte 804.
Keuchhusten, zur Prophylaxe desselben
72.
Kinderschutzgesetzgebung und Arzt
398.
Kindersterblichkeit im Bezirk Liegnitz
24.
Kindesmord 816.
Klftrschlammanlage der Stadt Kassel
867.
Klauenseuche, s. Maulseuche.
Kleinhirn, organische Erkrankungen
desselben und Betriebsunfall 34.
Knochen, balbverbrannte, Identifizie¬
rung derselben 845.
Koch, Robert, Ehrung desselben 780,
890.
Kochen der Speisen, dessen Bedeutung
für die Verdauung 252.
Kohlenoxydbildung durch Kohlenteil-
oben an eisernen Oefen 334.
Kohlenoxydvergiftung, in einer Schule
42, 456, 457, 783, (offiz. deutscher
Bericht) 182.
Kongress, medizinischer, XIV. inter¬
nationaler in Madrid 227, 404, 487,
internationaler für Volksbygiene in
Brüssel 683, für Schulhygiene 598,
684, baineologischer 892, für innere
Medizin 892, deutscher Wohnungs¬
kongress 892.
Koronargeffese, Embolie derselben 788.
Krankenhausaufenthalt, Dauer dersel¬
ben bei infektiös Erkrankten 678.
Krankenkassengesetznovelle 870, 403.
Krankenkassen, deutsche, Kongress
derselben 296.
Krankenpflege, ländliche 620.
Krankenpflegewesen, dessen Förderung
292.
Krankenversicherungsgesetz, Novelle
zu demselben 120, 256, 259.
Kiankheiten, ansteckende, deren Ver¬
breitung durch die Post 58, Ver¬
hütung derselben in den Schulen
(offiz. deutscher Bericht) 98, gemein¬
gefährliche und sonst übertragbare,
deren Verhütung und Bekämpfung
103, 246, 826, deren Bekämpfung
in Landkreisen 805, 374; s. auch
Infektionskrankheiten.
Krankheitsverhütung und die Kunst,
glücklich zu leben 398.
Krankheits- und Sterblichkeiisstatistik
des Kaiserlichen Gesundheitsamtes77.
Krebs, dessen Verbreitung 362, 591,
Erfolge des Cancroin bei demselben
362, dessen Auftreten im Dorfe
Ploetzkau 242.
Krebsforschung, Laboratorien dafür470,
Zeitschrift dafür 567,
Kreisarzt, dessen Zuziehung als Sach¬
verständiger in Entmündigungs-
s nahen 225, einfache physikalisch r
XXX
Sach* Register.
Gerichtslrztlicbss Leiohenöffouugsver* *• S. 7IS, derdeotschöß in Leipzig
fahren, deutsches 537, 669, 60t, 655, 713 und Berichte.
722. Hausepidemie, ijphtisäh'nliche, durch
GeriebtsAfztlicbcr stereoskopischer At* atypischen CoLbaf.üias veraoiastie
Us 223. I 881.
Geschlechtsdrüsen, inänjiHr.hü, und Haoeacb wamrn und aaüore das Bunhuh:
Skeletleatwieklufig: 563. zerstörende Pilze 846.
Geschirre, 8. Glasuren. Hautkrankheiten, Lehrbuch derselbe» v.a.’'
Geaoblechtakraaköiteo, und Hechts* 76.
schätz 530, deren Bekämpfung 714; , Hobamnieu» deren Verhalten hei Wo-
deutsch« Gesellschaft zeit BeMac» ehenbettfieber 281, Ver&icheruogs-
pinag derselben, I. Kongress dafür hasse für diese 557, Kalender, deal«
120, 260, 320. schar für diese 1303 49.
Geschlechtsteile, äussere, Verletzung Hebammealehrbucb, Ergünzungsblatt
bei einem 7 jährigen MMehen 1. ' 836, 848, eia neues, Verbeaserungs
GcschleebtHrieb and Schamgefühl 628. Vorschläge dafür 524, Vorschrift be-
Gesetzgebung und Eutwiokelangajabra trefls Zuziehung des Arztes 666,637..
349. Hebammealuhrer, deutsche, deren Ver-
Geatorbene, ohee üreGichc Behandlung, oinigaag 260.
Zahl derselben in Bayern and Baden Hebammenwbsen, dessen Reform 292,
748. i 676.
Geuundheit, geistige, deren Grenze 565. [ HeUgehÜlfeii und Masseure, Lehrbuch
Gesundheitsamt, Kaiserliches, Haus- ’ för dieae oSB.
haittutgsetat desselben 1903 76. fieilkunst und A?*t ia der Vergangen-
GesandheitHattfseherundDdsinfektoren, heit 627.
deren Tätigkeit bai anstcekeodeo HmitoiUeljetforderijch^dfe PflicJit zur
Krankheiten ln den Landkreisen 873, Gewährung solcher *o*Sicherung de»
441. .. Hetiverfahtens narr, schliesst anch
GeBundhcitspÖftge, iJffentiiohe, Deut* die Pflicht zur taetanähaitung und
scher Verein für dieselbe 120* 184, Erneuerung in «ich 881.
764, 797, 838, in England, Fort* Heilverfahren, dessen UebetDahm*
schritte auf dem Gebiete derselben durch die
in deu letalen 25 Jahren 499. stalten 65, strafbare Anptt-isnng 879.
Gesund heitBzastand in zivil* und straf* Heimkehrf&ile 676,
rechtlicher Beziehung 403. Heise waeseraUcoholdeeinfcktiöo M6.
Gewässer, deren Reinhaltung 600. Hermaphroditismus vems 562.
Gewerbafcygiene, die Mitwirkung der Herpea tonsurans, Epidemie 686, Bei*
Mtidizmaiheamten 137. trag zum epidemischen Auftreten
Gewerbekrankheiten 271. 866.
Gewohnheitstrinker, deren akute Gei- Herzerweiterung, primäre, Batst «kling
atoekrankbeiten 78. derselben daroh Maskelanstrecgaog
Gifte, Elemente der iüfrezMeche» und 670.
chemischen AuamitteJung dafür 287, Herzfehler, angebcreiter, SekGonztr-
meraUiaobe, Lokalisation und Elt* gebnia datai 562.
minatiou derselben hei gewerblichen Herascblag, ‘. ad dadarch 858.
Vergütungen 560, Handel damit, Ber*sefgrö*seruag infolge von Ver-
ausserhalb der Apotnekea 2*8; me- sebttttung 864.
taUisohe bei gewe/hii'.'hea Vergif* Heh^Ahur, SeBsen Heilung 788.
tangea 680. Hirntumor«», iwychifcchs Störung bei '
Glasur irdene» Oeschiiro vom Stand* desselben 48.
punkte der Hygiene 636. Histologisch* pathologischer Atlas
Gon&kokk«öpu«amöuie 361, Homöopathen, deren Selbstdispondiei 1 * K’r?
Granulöse, deren Bekämpfung 294, Am- recht in Besse» 29fl. V
balatorlen 809 . Homöopathischer Lehrstuhl, Errichtung
Guajakprlparate 680. desselben 586, f-.> '$■■$ .f .
Homosexualität, Probleme, an f dem öe*
v. v ; .-' hiet« derselbe» -• v ;:
Haftpflicht des Atzten hei fahrlässiger
Ausstellung eines Zeugnisses 740. Hilfl« ’*, ;
Hallekiuder, deren Ueherwachueg 424. Bygfco«, Grfüidj'i««. ■}.
Handatlas, Lehmanns »wüziniaclie 486 | X. ■ ■ •, Ate? ' v *“tir
Hauptversammlung des prenssiachon | der4 Bll,
Medlääielbtiantenvendwi’ 1® HaU« ‘ yw. Xtett vn.t ,8t«/
lach dsfcjr 58S, Abt- fflr Hygri***
Mf <Jer Kurt rtaraahe nremmaiuK
•:*&•*%8?o, .• 1
Sy»5«, rot (SeTtebt 34“.
Sjsttfie aa : i ; Bafali ;3&ii traomatiiciit
Aarsfjbee. 58 $;'■■-& sa» £»*kfc-
‘jiJtet- ': •. ,;Vv
M«4SAb*£iÜfcB r d«n« WUtrfli &i
e*?w pbyaikalata« a&4 sien^as»
Mittel 3S0.
laialitionsmilibnurd siuti T—•tn.ti’iax
u*iä4is«ßct ftrtsjen öl
Uutaones, käse in »frk&et he nst
tat® Betriebe et«? gttetese Xtssgi
äs jenstiabten ? itavtghisia 3 ^
Lesfe gelange» "i.
ii^inüonsluft, über 4it fctkem^a
4** Rindringcna der R«kt 2 öa »«.
tilfeo in die Lange 69.
Isnilit, hygienische« in Fesen.
bin desselben 298, Behring 2 ?t
Internationale S&nitätskonfere» 3
Paris 748, 848, 892.
i<tto 3 ik*t tunen, Löhrbach daföt $£■[
Psychosen bei .JodolörmiBieits,« *
* ■■ EU*« 34& cj < v : . v•; •: • J
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IbtS&iM» 1 fau Ssi'Är
XXXII
Sach* Register.
mikroskopische and bakteriologische
Untersuchungen desselben 248, die
Stellung and amtliche TStigkcit des¬
selben 289, Teilnahme an Lehrer¬
konferenzen 891.
Kreisarztgesetz, dessen Wirkung auf
das ärztliche Vereinsleben 128.
Kreisphysikatsakten, Aber deren Ord¬
nung nnd Vervollständigung 344.
Kreistierärzte, Reform ihrer Stellnng
716, 891.
Kresolseifenflaschen fflr Hebammen 61.
Kriminalanthropologie nnd Zurech¬
nungsfähigkeit 681.
Kriminalistische Vereinigung, inter¬
nationale Versammlnng derselben 471.
Kryoakopie bei Erkrankungen 665.
Kunstfehler, ärztliche 812.
Kupferaalzvergiftung 275.
Kupfervergiftung 803.
Kurhospitäler seitens der Eisenbahn¬
verwaltung 370.
Kurpfuscher, falsche Behandlung durch
diese 53.
Kurpfuscherei 225, 226, 292, 314, 371,
872, 437, 438, 568, 583, 714.
Laboratorium, hygienisch - bakterio¬
logisches 638.
Lakmusfarbstoff 89.
Landesaussohuss, ärztlicher in Baden
84.
LandesmedisinalkoUegium im König¬
reich Sachsen 80, 872.
Landes • V ersioherungsanstalt Schles¬
wig-Holstein, Bericht aber deren
Verwaltung fär das Jahr 1900 888.
Landtag, preussischer, aus demselben
225, 403.
Leber der Neugeborenen, Zellentätig¬
keit derselben usw. 838.
Lehrbuch, fttr Heilgehttlfen und Mas¬
seure 535, der Psychiatrie 801; fttr
Geburtshülfe 889.
Leiohenflilssigkeiten, deren Gefrier-
punktsbestimmungen 846.
Leiehenöffnungsverfahren, geriohtsärzt-
liches 537, 569, 601, 655, 691, 722.
Leichenpass 748.
Leichenschau, obligatorische 295.
Leiehenzerstttcklung und Verbrennung
125.
Leistenbruch und Unfall 852.
Leitfaden für die chemische Unter¬
suchung von Abwässern 681, der
Geburtshilfe 810, für geburtshilfliche
gynäkologische Untersuchungen 811.
Liohttherapie, deren Erfolge 801.
Lieht, dessen physiologische Wirkung
801.
Lufteintiitt in die Venen, der Mecha¬
nismus des Todes Infolge eines solchen I
788.
Luftstaub, Messung und Abwehr des¬
selben 846.
Lungen, fötale und solche Neugeborener
666 .
Lungeninfektion infolge von Verschüt¬
tung 355.
Lungenentzündung infolge von Er¬
kältung 672.
Luugenfäulni8 nnd Schwimmprobe 874.
Lungenheilstätten, deutsches Zentral¬
komitee dafür 438.
Lungentuberkulose, Heilung derselben
844.
Lysoform, dessen keimtötende Wirkung
366.
Lysolvergiftung 558, 735.
Lyssavirus, dessen Verhalten im
Zentralnervensystem empfänglicher,
immuner und immunisierter Tiere
367.
Magenkrebs und Unfall 63.
Malaria, deren Bekämpfung 393.
Manganvergiftung und Braunsteinmüh¬
len 614, 624.
Manie 668.
Massenerkrankungen nach Genuss von
Pferdefleisch 473.
Massenvergiftung durch Pilze 426.
Mastdarm, Fremdkörper darin 279.
Mäusetyphusbacillus Löffler, dessen
Identität mit Paratyphusbazillen 845.
Maul- und Klauenseuche, Untersuchun¬
gen darüber 294.
Medien, spiritistische, zur forensisch-
psychiatrischen Beurteilung 876.
Medizin, gerichtliche, Errichtung eines
Lehrstuhles dafür in Bonn 259, Or¬
ganisation derselben in Deutschland
490.
Medizinalabteilung, deren Abtrennung
vom Kultusministerium 289.
Medizinalbeamten, Versammlung der¬
selben im Bez. Liegnitz 21, 826,
Marienwerder 98, Gumbinnen 245,
805, Merseburg 323, 556, Coblenz
338, Magdeburg 385, 622, Minden
443, Düsseldorf 451, Württemberg
455, Osnabrück 520, Schiewig-Hol¬
stein 524, Stade 593, deren Gebühren
370, 403, Unterstützung der auf
Wartegeld gestellten 290, deutscher,
Verein derselben 51 und Bericht Über
Versammlung, mecklemburgischer
844, preussischer 51 und Bericht
über Versammlung.
Medizinalgesets, braunschweigisches
226.
Medizinalwesen, das preussische im
Staatsbaushaitsetat 1903 111.
Medizinische Fakultät, deren Errich¬
tung in Münster 259.
Medico-legal soclety in New-York 526.
Sach-Register.
XXXIII
Melancholie 664.
Meaiigokokkensepticämie 361.
Metallische Gifte bei ge werbliehen
Vergiftungen 560.
Mikh, Verkehr damit, dessen gesund¬
heitliche Ueberw&chnng 797, die
Verbreitung des Typhus durch die¬
selbe 107, Aber deren bakterielles
Verhalten bei Boraxzusatz 262.
Milehbygiene 332.
Milehiontrolie in kleinen Städten 90.
Milchsekretion, Steigerung bei_ stillen¬
den Uttttern 846.
Mikhvenorgung, hygienische, Ausstel¬
lung daiOr in Hamburg 227, 708.
Milzbrand, Schutzimpfung dagegen 68,
Uebertragnng durch Inhalation beim
Verarbeiten ausländischer Drogen 68.
Mittelohr, s. Ohr.
Molkerei, Diphtherieepidemie in deren
Bereich 72, als Typhusverbreiter 108.
Mord an Therese Pucher 29.
Morphiumrergiftung im frühesten Ein¬
desalter 27.
MUlbeseitigungsfrage 497.
Münster, Universität daselbst, Errich¬
tung einer m edizinischen F aknltät299.
Nachweis individueller Blutdifferen-
sen 739.
Nagelglied des linken Mittelfingers,
keine Erwerbsfähigkcitsverainde-
rang 674.
Nahrungsmittelkontrolle, Notwendig¬
keit einer strengen Handhabung der¬
selben 418.
Natrium, schwefligsaures, Zusats zu
gehacktem Fleisch 679.
Naturforscher- und Aersteversammlung
in Kassel 296, 471, 668, 714, 769,
801, 844, 867.
Naturwissenschaften, deren Einfluss
auf die Weltanschauung 769.
Neugeborene, deren Lungen 665, Zell-
tiiigkeit der Leber Neugeborener
788, Nebennierenblutungen bei den¬
selben 874.
Obergutachten, ärztliche, Sammlung
derselben 772.
Qbermadisinnlswswfthnss in Bayern 49.
Obstfrflchte amerikanische, geschwe¬
felte 272.
Ohreiterung in gerichtlich medizini-
niseher Beziehung 460; Mittelohr-
eiterung u. Entzündung 603, 661;
durch Schnupftabak 346.
Ohrenerkrankungen bei Kindern 48.
Ophthalmologie interna, beiderseitige
durch Extraetum Seoul, coruu.846.
Ortsbesichtigungen 99, 386, 804 (offiz.
nreuss. Bericht! 8.
Otitis media, s. Ohr.
Ozon, Reinigung des Trinkwassers da¬
mit 800.
Paranoia chronica querulatoria 32.
Paratyphus, Endemie 109, 110.
Pensionäre, freiwillige 669.
Pest, deren Ausbreitung in Indien 472,
in Odessa 744, in Berlin 479, 604,
746.
Pestbazillen, deren Widerstandsfähig¬
keit gegen die Winterkälte in Tokio
367, deren Lebensdauer in Kadavern
und Kote der Pestratten 742, in den
Flöhen 280, deren Agglutination 67.
Pestnachrichten 84.
Pestserum 746.
Pferdefleisch, Massenerkrankungen da¬
durch 473.
Phosphor, dessen Uebertritt und Wir¬
kung auf menschlicne und tierische
Früchte 664.
Phosphorztindwaren, Gesetz darüber
370, 403.
Physiologie, der Gefühle u. Affekte 769.
Pilze, Massenvergiftungen 426.
Plasmodium vivax, der Erreger des
Tertianfiebers beim Menschen 898.
Plattfuss 467.
Pocken, Todesfallstatistik im Deutschen
Reich 1908, Erkrankungen 1900 676,
Nothospitäler dafür, Verurteilung
einer DistrikBbehörde wegen Fahr¬
lässigkeit bei Errichtung und Be¬
trieb desselben 677, Epidemie 526,
in Strassburg 675, Zwangswiederim¬
pfungen bei solchen Epidemien 97,
Untersuchungen über den Erregerder
Pocken 426.
Posen, Eröffnung der Akademie da¬
selbst 779.
Post, als Vermittlerin der Weiterver-
breitung von ansteckenden Krank¬
heiten 53, 337.
Präventivimpfung bei Diphtherie 817.
Präzipitine, neue, bisher latent geblie¬
bene 846.
Praxis, ärztliche, deren Verkauf 227,
amtsärztliche, Besprechungen dar¬
über 462.
Protistution, deren gesundheitliche Ge¬
fahren und Bekämpfung 895.
Protozoen, krankheitserregende, Stu¬
dien darüber 393.
Prüfung, staatsärztliche in England 45.
Prüfungsordnung, medizinische, Ein¬
führung des praktischen Jahres 291.
Psychiatrie 712, Leitfaden derselben
74, gerichtliche 778, Lehrbuch der¬
selben 772; Sammlung gerichtlicher
Entscheidungen 889.
Psychische Störungen und Schädel¬
verletzunsen 568.
XXXIV
Saab-Register.
Psychopathie, deren Aetiologie 702.
Psychopathischer Aberglaube 81.
Psychosen, der Landstreicher 347, unter
dem Bilde der reinen primären
Inkohärens 741, akute, experimen¬
telle Studien sur Pathogenese der¬
selben 874.
Pnstula maligna, Uber deren Eutste-
hungsursaohe 886.
Recurrens, febris 104.
Reform des Apothekenwesens 715, der
Stellung der Kreistier&rste 716,892.
Reichsarsneitaxe 848.
Reichshausbaltsetat 1903, aus dem¬
selben 117.
Reiohsseuchengesets, die Ausführungs-
bestimmungen für dasselbe 295, 870,
403, 747.
Reichstag, aus demselben 224, 256,
288, 370, 403, 891.
Reinigungseffekte in den Filtern beim
biologischen Abwässerreinigungsver-
fahren 495.
Reinigungsverfahren städtischer Ab¬
wässer 557; s. auoh Abwässer.
Reisekosten der Staatsbeamten, Neu¬
regelung im Deutschen Reich und
Preussen 891.
Rentenempfänger, Veränderung der
Verhältnisse im Falle einer Aende-
rang des geistigen oder körperlichen
Zustandes 880.
Rheumatismus, akuter 280.
Ringfioger, linker, Verlust desselben,
Rentenentsiehung wegen Angewöh¬
nung 64.
Roburit, Vergiftung dadurch 67.
Röntgenstrahlen in gerichtlich -medi-
ninischer Besiehung 789.
Rückgrats Verkrümmung in der Schule
482.
Rttckenmarksverletsungen, deren Be¬
siehung su den chronischen Rttcken-
markskrankheiten 781, 782.
Ruhr, deren Erforschung und Be¬
kämpfung 10, 294, 497, in Ost-
prenssen, eine Amöbendysenterie 41,
Merkblatt dafür 226.
Ruhrbasillen, Shiga-Krusesche, über
deren Widerstandsfähigkeit gegen
Winterfrost 88, Beitrag su deren
Differenzierung von Coli- und Typhus-
basillen 88, 89.
Ruhrheilserum 688.
Sachverständigentätigkeit des Ge-
richtsarstes 468, des Kreisarztes vor
dem Amtsgericht 628.
Sadismus und Masochismus 628.
Säuglingspflege, Leitfaden dafür 287.
Säuglingsernäkrung und Sterblichkeit
581, Massregeln öffentlich - hygie¬
nischer Art sum Zweck ihrer Herab-
setsung 886.
Salmiakvergiftung 458.
Samaritertag, 6. deutscher 504.
Sammelmolkereien als Typhus verbreiter
106.
Sanitätskonferens, internationale in
Paris 748, 848, 892.
Sanitätswesen des preussischen Staaten
775.
Schamgefühl und Geschlechtstrieb 528.
Scharlach, Antistreptokokkenseram360;
Epidemie, bösartige 675.
Soheidenge wölbe, hinteres, tötliche
Verletzung desselben 277.
Schlachthaus, öffentliches, Anforderun¬
gen vom gesundheitlichen Stand¬
punkte 399.
Seblachtviehversicherung 488. T
Schlüsselbeine, angeborener Mangel
789.
Sehmutswasserreinigungsanlage in
Kassel, über die Verarbeitung der
Rückstände in derselben 498.
Schularatfiage 81, Lösung derselben
auf dem Lande 431.
Schulärzte, deren Anstellung 403, Be¬
dürfnis danach bei den höheren
Lehranstalten 431.
SchulbeBichtigungen 99, 888.
Schule und Rückgratsverkrümmung
482, Taberkuloeenbekämpfung darin
438, deren Beaufsichtigung und das
neue englische Unterrichtsgesets 482;
hygienische Ueberwaohung der höhe¬
ren Schulen 891.
Scbulepidemien 429.
Schnlgesundheitspflege, Deutscher Ver¬
ein für dieselbe 439.
Schulhygiene, internationaler Kongress
für dieselbe 598, 684, Handbuch
dafür 584, 774.
Schulkinder, kranke 687, nervöse und
minderbegabte 488.
Schulpflichtiges Alter, über die Not¬
wendigkeit, die untere Grenze des¬
selben heraufznsetsen 48.
Schultafelfrage 484.
Schultinte, deren Schädlichkeit 488.
Schutspockenimpfüng, amtliche Tätig¬
keit des Kreisarstes dabei 806.
Schwachsinn, die gerichtsärstlicbe Be¬
gutachtung desselben in Strafsachen 4.
Schwangerschaft, zur Frage der Uterus-
raptur in frühen Monaten derselben
276.
Schwarzwasserfieber, Prophylaxe und
Behandlung desselben 869.
Sehwimmaohicht, deren Bestandteile
auf den Abwässern in den Faul¬
bassins biologischer Anlagen 496.
Seelenstörungen auf arteriosklerotischer
Grundlage 349.
Sach-Register.
XXXV
Saite, bakterizide Wirkung 364.
Sektierertum and Geistesstörung 42.
Selbstbesehädigung, hysterische, unter
den Bilde der multiplen neurotischen
Hutgangrän 875.
Seltatuord im kindliehen Lebensalter
805.
Septieimie, hämorrhagische, die Diffe-
reatialdiagnoee der verschiedenen
hierzu gehörigen Mikroorganismen
280.
Sep tu Perforation der Chromarbeiter
685.
Sescheugeeetz, preussisches 80.
Sexualleben und Nervenleiden 847.
Sexualtrieb, perverser, und Sittlich¬
keitsverbrechen 465.
Shok und Shoktod, insbesondere nach
Koutnsionen den Bauches 785.
8walation 566, bei hysterischen und
Uufallkranken 33.
SsMgmabasillen 281.
Sommerdiarrhoe, Ober deren Aetiologie
885.
Sonderheft oder Freispruch 30.
Spltapoplexie. nur Frage derselben 873.
Sprechsaal 228, 748.
8prengapparat für Tarn- und Exerzier¬
hallen 846.
Sputum, Beseitigung und Desinfektion
desselben 192.
8taatsirztliche Prüfung in England 45.
Stldteausstellnng in Dresden 471, 889.
Standesvertretnng der Tierirute 716.
3taubschnts für Lymphbehftlter bei
Impfnugen 825.
Strafgeeetibnch, deutsches, zur Revi¬
sion desselben 877.
Sterbefllle im Deutschen Reich 501.
StiehverletsuDg des Rückenmarks in
gerichtlich-medizinischer Beziehung
803.
Störungen, nerröse, sexuellen Ursprungs
847, des Erwachens 740.
ätnnoniam Vergiftung 275.
Strastokokken, zur Einheit derselben
359, 360.
Sturz von der HOhe mit Scbädelbasis-
hrueh und Lungenruptur 717.
Sublimatdesinfektion 365.
Syphiliibacillas 871.
ftgegelder, s. Reisekosten.
Taubstummheit auf Grand obren-
Irztlicher Beobachtang 269.
Technik des Gerichtsarztes 463.
Telegraphistinnen, Besohäftigongsnea-
rose bei diesen 742.
Tertianfieber beim Menschen, dessen
Krankheitserreger 898.
Tetanus infektion bei Gelatineein-
epritznngen 67.
Tbsnnis der Nervenkrankheiten. Atlas
and Grundriss 436, der Erkrankungen
des Respirations- und Zirknlations-
apparates 369.
Tbymnstod 121, 736.
Tilsit, Wasserwerk daselbst 809.
Tod einer Traoheotomierten durch Er¬
hängen 873.
Todesursache und Feststellung des
Todes 463, bei Neugeborenen 786.
Tollwut, 7 Monate naeh der Schatz-
impfnng 359.
Tollwntklinik in Bresl&n 438.
Toxikologie, Kompendium 680.
Toxine, intrazelluläre 802.
Trachom 344.
Tranmati8cbo Todesarten 463.
Trinkwasserbakterien, Uebersicht über
dieselben 224.
Trinkwasserrelnignng mittels des
Schumburgsehen Verfahrens 252, mit
Ozon 800.
Trinkwasserversorgung im Felde 251.
Trinkwasserverunreinigung, deren bak¬
terieller Nachweis anlässlich infek¬
tiöser Erkrankungen 367.
Tropenbygiene 568.
Tryp&nosomenforschnngen, praktische
Schlussfolgerungen 870.
Tnberkelbasillen, AbtOtnng in erhitzter
Milch 631.
Taberkelbszillenähnliche Stäbchen 281.
Tuberkulöse Belastung and Ohren¬
krankheiten bei Kindern 43.
Tuberkulöse und nichttuberkulöse Er¬
krankungen der Atmnngsorgane in
Prenssen 844; ärztliche Fürsorge-
steile in Berlin 892.
Tuberkulose, Anzeigepflicht 390, 631;
Fütterungsversuche bei Bindern u.
Kälbern 282, Uebertragung vom Men¬
schen auf das Bind 284, Verbreitung
derselben im Hinblick auf Zigarren
und Stummel 285, als Volkskrank¬
beit 629, internationaler Kongress
dafür 639, deren Erreger in der
Salzbutter 281.
Typhus, Bekämpfung desselben 79,448,
491, kulturelle Diagnose 105, Patho¬
genese 105, Verbreitung durch Milch
107, nnd|Fleisch Vergiftung 109, dnreh
Sammelmolkereien 108, Merkblatt
dafür 226, 536, Epidemien 492, 641,
in Mets 682, Ratschläge für den
Arst bei Typnns 448, 638, Verbrei¬
tung durch Flosswasser 753, typhus¬
ähnliche Erkrankungen 110; zur
Epidemiologie des Typhös 882.
Typhnsagglntinine, experimentelle Un¬
tersuchung über deren Ausschei¬
dung 883.
Typhnsbasillen, deren Unterscheidung
von Ruhrbasillen 38, Feststellung
im Blnt 104. naeh England durch
XXXVI
Sach-Register.
Wolldecken eingeschleppt 489; aber
ihre Lebensdauer 888.
Unfall, siehe Betriebsunfall.
Bnfallfolgen, hei ohronischen Leiden467.
Unfall Verletzung des Gehörorgans 62.
Unfallversicherungsgesets, fttr Land¬
end Forstwirtschaft 468, Kommentar
fttr Aerzte dann 528.
Unterleibsbrüehe 351.
Unterleibstyphus, siehe Typhus.
Unterrioht8gesets, neues, englisches
482.
Untersuchungen aber Maul- und Klauen¬
seuche 294.
Untersuohung8&mter 714, 748.
Urethritis gonorrhoica bei Knaben 396.
Uterus, s. Gebärmutter.
V&ccination, nur Erforschung der
Immunität durch dieselbe 426.
Ventilationsanlagen 899.
Verblutung im Anschluss an die Ge¬
burt 276.
Verbrennung, Tod durch dieselbe 455.
Vereinsleben, ärstl., die Wirkung des
Kreisarstgesetses auf dasselbe 120.
Vergiftung, nach Aspirin 734, durch
Knpfersalze 275, durch Stramonium
275, mit Knollenblätterschwamm 328,
412, 464.
Verkehr mit Araneimitteln ausserhalb
der Apotheken 839, mit Geheim¬
mitteln 848.
Verletzung durch Flobert-Schusswaffen
505.
Versicherungskasse fttr Hebammen 557.
Versuche, ärztliche, an Lebenden 812.
Versuchsanstalt fttr Wasserversorgung
298.
Vidalsche Blutprobe 514, 518.
Virchowdenkmal 779.
Vivisektion, Missbrauch 812.
Volksbäder, deutsche Gesellschaft dafür
872, 598, 716.
Volkshygiene, deutscher Verein dafür
439.
Volks-Heilstätten, die Schwierigkeit
der Auslese fttr dieselben 286.
Volksspiele und Jugendspiele, 6. Kon¬
gress dafür 489.
Vorbeireden, Symptom desselben 465.
Wasserleitungen, deren Besichtigung
422.
Wasseruntersuehung, bakteriologische,
Kompendium 224.
Wasserversorgung, Versuchsanstalt da¬
für 293, im linksrheinischen Teile
des Bezirks Coblenz 889, 596.
Wasserwerk Tilsit 809.
Wartefrauenfrage 522.
Wechselbeziehungen, zwischen Stadt
und Land in bezug auf ansteckende
Krankheiten 533.
Woohenbettfiebcr, Verhalten der Heb¬
amme 261, 363, 619.
Wöchnerin, Jodoformgaserest in der
Vagina 874.
WOchnerinnenpflege, Leitfaden daf. 287.
Wohnungsfttrsorge 870, 890.
Wohnungsgesets 870.
Wohnungsbygiene 350.
Wurmkrankheit, Bekämpfung 257, 329,
811, 891.
Zahnheilkunde als Volksbygiene 845.
Zeitschrift ftlr Krebsforschung 568.
Zerkleinerung der Speisen, deren Be¬
deutung fttr die Verdauung 252.
Zttchtigungsrecht der Lehrer, Ueber-
achreitung desselben 795.
Zurechnungsfähigkeit* 464, und Krimi¬
nalanthropologie 681.
Zwangswiederimpfungen bei Pocken¬
epidemien 97.
N amen ^ Verzeichnis.
Adikes 260.
Adankiewitz 362.
Ahlfeld 276, 366, 889.
Altacht 252.
Alaheimer 349.
Althoff 470, 779.
Altaehnl 767, 799.
Aniehel 29.
Aijesky 67.
Arontoa 360.
Aachtffenbnrg 871 (B. Pr.
M.) 67, (B. D. M.) 77.
Ai eher 844.
Anrassen 524.
Baehraaan 384.
Bagiasky 360, 799.
Baba 421.
Baiser 344.
Balz 622.
Baaberger 635.
Bardeleben 535.
Baraekow 620.
Baaaet 885.
Baaer 637.
Baam 567.
Baameiater 838.
Baamm 261, 619.
Becher 322.
Beehold 845.
Beek 322. 438.
Beekert 505.
Behla 108.
Behring, tos, 630, 683,
770, 779, 818.
Behrendt 809.
Belin 675.
Berger 431, 626, 874.
Berka 559.
BertaeeUi 865.
Bertelsmann 873.
Berthens 524.
Battmann 874.
Beti 871.
Benmer 185, 229.
Bentler 765.
Begold 469.
Bichela 224.
Biberfeld 849, 851.
Blaschko 395.
Bloch 773.
Bockendahl 524.
Boehm 44.
Bödiker 669.
Böhlendorf 291.
Bötticher, yon, 557.
Bolte 566.
Boltenatern 428.
Bonhöfer 73.
Bonhof 845.
Bont 678.
Bornetins 402.
Borntrlger 331, 767, 778,
(B. D. M.) 124.
Braun 23, 25.
Brandenburger 285.
Brauer 638.
Bressel 361.
Brtthl 562.
Bnehholz 871.
Bülow, von, 714.
Bnmrn 178, 748.
Bnntt 686.
Bnrgerstein 634.
Bargel 565.
Battenberg 681.
Cassierer 34.
Castellani 164.
Chon 248, 809.
Cipolüna 629.
Clairmont 857.
Coester 814, 333,621,821.
Coler, yon, 282.
Conradi 110.
Cossmann 872.
Cramer 381, 348, 349,
371, 773.
Creite 683.
Cronbay 742.
Cano, Fritz 41.
Cartius 817.
Czygnn 247, 249, 806.
Czablewski 453.
Dahlmann 637.
Dämmer 584.
Darideohn 715.
Delbrück (Bremen) 82,372
Deutsch 682.
Diem (Otto) 668.
Dippe (B. Pr. M.) 7, 69.
Dittrich 713, (B. D. M.) 2.
Doegner 246, 248, 249.
Dönits 744.
Dörner 874.
Dohrn 121.
Dombois 344.
Douglas, Graf 292, 293,
294.
Doequet-Mannose 253.
Drigalski, y. 110.
Düng es 817.
Dttrck 436.
Dütechke 378.
Dogge 345.
Dunbar 381, 332, 595,
779, 797.
Dural 885.
Ebstein 532.
Eckels 292.
Eikhoff 421.
Ekart 291.
Ellis 528.
Emmerich 71.
‘) B. Pr. M.: bedeutet Berieht über die Hauptversammlung des Preus-
üsehea Medizinalbeamtenrereins; B. D. M.: Bericht über die Hauptrersamm-
liag des Deutsehen Xedizinalbeamtenvereins.
XXIV
Inhalt,
Abtrennung der Medisisnl Verwaltung *eui KuituBministcrfu» na<1
Öebetwdroor ft« d»? Mtcfeiarlttm de« lßncrn 289
FfawBirffÄge •«.. .,. v . . .. 289
Steüntig ttnd &ajiHe-be TStigkeH de» Kretee.T*t** : ... . $89
Aaiiasaog oder Reform der rer*!loten Einrichtung
der PröTiiB8i*i-MoiHeia4ihe{)<fgien , .^ _ __
Uaterstflieang der auf WRrtegeW cceteßtim Jdedi$n«IWbarten 29Ö":’;
BeetitntaaogöB tlber die tr»Uicii6tt Ehreog«l#ii^ 291,070
Erörterung aber du* durch die ®st5rrfnipd)«> P*ü(ucg**fdnujBjj
ciugrfttkrte praktische Jahr ~ 291
Besümmangeu flheir die BeBch*ltenh^t der AriiiuigeiSs«e . i 292
Apotbekeukfluresajoa« wesen v'-- "i ... 292
Kttrpfnsdierfrage ..22(5 292
Reform de» Heb»»»«»' asd FCrd*rttag de» Kreckenpflcg-erwceeDB 292
Verettcheanftldti fdr Waseerfetsorgnög und Afa#rftM,etbj<rcHigßug .
Ketthau des hygienischen. insiUuts in Rosen . . . .... .
Erforschung und Bekämpfung 1 der Hahi' Bud BeklMpfong dfcr
298
* "
29b
29b
ppii&^JJR I.| __I
Zur Frag© der obligatorischen Leichenschau '%
Errichtung von ÄMbespMfors nud m 'Häneeuagabehnes fflr
EmmbaSmbewste . . . . . . 370
WobnBUg&Jöfsergc und WobnaugsgjjsH* „ . / .. . . 37Q
Qeeeteeotwurf, butr, di« OehHbrett der MedlrinnJbnsiBten . . 1*4. Krf
Anafotinng von RehuUmnu I« den SUdtcr» und sof dem Lende . 404
2üug*ng der Nor eile sa® Erenkeov^rfkborfiijjgsgieeelE an den Bondfemt 12 i
VeMemniJuBg dw Vereine fttr uileotHche 06^öudheiispflege . .120, IH>,
Kongress der Öenteehen «3ö«eliarfj*Xt *nr Bekämpfung der öescbfocbfo' i
krankbeites .... ... ... , 1*2«), ÖOÖ
Au« dem RegieTuhgsbesirk Liegr.it*. . 190
Aue dom Reichstage:
Bemängelung dar tob deu LaBdesveraieherungBiMtalteiß gebauten
Krankeoaufttailen . ........ 224
Schlechte BeeahJung der Krankenpfleger ...... . . 22C>, 857
Höhnt* der Arbeiter in dsc Gerbereien gegen llilnbrand und Be-
kfmpfang der Wormkrankheii . . . . . . . 225, 2f>7
lieber Borsknrererlmt, öfttMilliche Hnteraucbongaahst-alien und ein¬
heitlich« Kontrole dea Verkehrs mit. NabrougB- «. Geuusamiucitj 226
GebeluiujHteJfrnge . . . . . 22b
Novell* »um KjriukeBVftrstcberMngisgesets. . 225, '2ft7, 288, 371, 403
öenisrfirfft fib»r di©'fttberkuloae naij deren BehMdinug »■ ■ 221
Relcb«ge»ets!iehe Regelung de« Verkehrs toit Artuei- und öfhein^
mittein . . . . , . . . ... . . ‘-'SK
Verbot »«disiniseber Eingriffe bei Menschen *u anderen *ie H«Ü*
»wecken .. .288
Belchageseiaiiche Regeiung des Irren wesen« und AendoniDg des
EntmanAigtingBrerfahrcns. 288
GeseUent'imrf, betr Zü-ndwnnren ....... . s|?i, 403
Neörsgdiiiig der Bedingungen für die Fleiscbeinfubr . .
Lösung Akt Wohnungsfrage . * - . . *•.•', . 6
Typhus- und Ruhr »Merkblatt ...
Zur Karpfuacherfragti .
891
j : j|fV-?. 226
. 226 f . .7l4
Annahme dee Entwurfs eines ueneu tfedfeinaigehetne* iü ßrauBgchnr#g 22C
^<öt@r .fsmeiaBehnftUnnwa ThÖ.f ii>ieificheu
■ ’ 2 nnd Sr^iifehn'ü iitiengerlchtshrefs fflr din Thörin-
w
-JfpU&t iva
; : Milehrsrncrgung in Eand.erg
Inhalt.
XXV
Seite.
XIV. internationaler medizinischer Kongrees in Madrid. 227, 404
Angebrochene Steine and lebende FrOsche.228
Personalien (Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bob. K o e h) 82, 60,470,638,890, (Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. Flügge. Prof. Dr. Danbar and Geb. Reg.-
Bat Dr. Ohlmüller) 332, (Geh. San.-Rat Dr. Wallichs) 403,
(Dr. Paal Stolper) 536, (Prof. Dr. v. Behring) 683, (Geh.
8an.-Rat Dr. Alex Spie es) 715, (Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 8chmidt) 838
Sitsusgsprotokolle der Bayerischen Aerztekammer.260
Annahme eines Gesetzentwurfs zur Errichtung einer Aerztekammer and
eines Ehrengerichts für Aerzte in Lübeck.260
Venzmmlang der Vereinigang Deutscher Hebammenlehrer.260
Sebaffang einer einheitlichen Arzneitaxe fBr das ganze Deutsche Reich 260,848
Umfrage betreffs des Selbstdispensierrechts der Homöopathen .... 296
Gründung eines eigenen Haases des Zentralkomitees für das ärztliche
Fortbildnngswesen ..29o
II. allgemeiner Deutscher Krankenkassenkongress.296
75. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte
296, 471, 568, 714
Konferenz betr. die zur Bekämpfung der Wurmkrankheit notwendigen
Massnahmen. . 329, 891
Jahresversammlung des Wflrttembergischen Medizinalbeamtenvereins 331
Biarichtung eines Sanatoriums für unbemittelte Nervenkranke des Mit¬
telstandes und der unteren Stände bei Göttingen.331
Knrpfnscherfrage im Württembergiechen Landtage.371
Jahresversammlung des Vereins Deutscher Irrenärzte.371
XL internationaler Kongress für Hygiene und Demographie .... 871
Isternationaler Kongress gegen den Alkoholismus.372
Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder . . . 872, 715
Bereiterklärung der Vereinigang der Deutschen medizinischen Fachpresse
betreffs Gutachten über Kurpfuscher-Inserate.372
XII. Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen. 404
Vervollständigung der Universität Münster durch allmähliche Errich¬
tung einer medizinischen Fakultät.404
Bescheid des Ministers auf eine Eingabe der Berliner Drogisten-Innung
betr. den Verkehr mit Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken . 404
Randschreiben des Reichskanzlers in bezug auf Massnahmen gegen die
Kurpfuscherei.437
47. 8itzung des Landesausschusses der Wttrtt. ärztl. Landesvereine . . 438
Erörterungen über die Einführung einer allgemeinen Schlachtviehver¬
sicherung im ganzen Reiche im Anhaitischen Landtage .... 438
Errichtung einer Tollwutklinik in Breslau.* 488
8itznng des engeren Rates des internationalen Zentralbureans zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose in Paris. .438
Jahresversammlung des Deutschen Zentralkomitees für Lungenheilstätten 438
IV. Jahresversammlung des allgemeinen Deutschen Vereins für Schul¬
gesundheitspflege . 438
VI. Kongress des Vereins für Volks- und Jagendspiele.439
Generalversammlung des Deutschen Vereins für Volksbygiene . . . 439, 683
Einschleppung von Typhusbasillen nach England aus Südafrika. . . . 443
Pestfall in Berlin. 470, 509
Warnung vor den Ankauf von typhusverdäohtigen wollenen Decken aus
England. .471
Uebergabe des fertiggestellten Laboratoriums für Krebsforschung in Berlin 471
Sitzung des preussischen Apothekerrats. 471
Versammlung der deutschen Landesgrnppe der internationalen krimi¬
nalistischen Vereinigung.471
Deutsche Städteauestellung in Dresden . 471
Zyklus des Berliner Dozenten - Vereins für ärztliche Ferienkurse . . . 472
Eatwurf einer Novelle zum Gesetz betr. die ärztlichen Ehrengerichte . . 504
Bat warf einer Aerzteordnung des Grossherzogtums Baden. 504, 892
VL Deutscher Samaritertag. ^
Zu Bekämpfung des Typhus. 5c
XXVI
Inhalt.
B,kMI tS&BL Kür*?. 4 ? HaUk ”“ de f-*. *
Zeitschrift für Krebsforschung. j?5§
Iuslebenrufen internationaler Kongresse für Schulhygiene ‘ 598 SK
Preisausschreiben der Deutschen Gesellschaft für Schulhygiene' ’ 59s
Verteilung von Ratschlägen für Aerzte bei Typhus un d Ruhr . . 638
Uebernahme des hygienisch- bakteriologischen Laboratoriums in Stral¬
sund durch die Medizinal Verwaltung. «oq
Unentgeltliche Abgabe von Ruhrheilserum ... 689
HI. internationaler Taberkulosekongress . . . 63g
82. Hauptversammlung des Deutschen Apothekervereins.639
Wasserversorgung und Typhus in der Stadt Metz . . 682
Neues Irrengesetz. g|o
Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf . 683
Verein der Mcdizinalbe&mteii des Herzogtums Braunscbweicr. fjfiß
Bea bsichtigte Reform des Apothekenwesens. 684 715
p. Hauptversammlung des Preussischen Medizinalbeamten-Vereins'. . ’ 713
Zweite Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamten-Vereins . 71
Untersuchungsämter für ansteckende Krankheiten in Baden .... 714
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten durch Krankenkassen . 714
Einführung einer staatlich anerkannten Standesvertretung der Tierärzte
und Reform der Dienststellung der Kreistierärzte.716, 891
voriegung der Äusführungsbestimmungen zu dem Reichs * Seuchengesetz 747
Internationale Sanitätskonferenz in Paris. 748 848 892
Errichtung von Untersuchungsämtern seitens der Städte . ...!.’ 748
Zahl der ?or ihrem Tode nicht ärztlich behandelten Qestorbenen in Bayern
Eröffnung der Königlichen Akademie in Posen. 779
Beabsichtigung der Errichtung eines deutschen Instituts Behring nach
Pas teil rachem Muster.779
Beiträge zu den Apothekerkammern und Ersatz des Apothekerrats durch
den Apothekerkammerausschnss.779
Errichtungeines Denkmals für Rudolf Virchow . 779
Komitee bebnfs einer Ehrung Robert Kochs . 780
Stand der Wnrmkrankheit im Oberbergamtsdistrikt Dortmund ... 811
Gerichtliches Verfahren bei Anklagen wegen ärztlicher Knnstfehler in
Oesterreieh.812
Interpellation wegen angeblichen Missbrauche der Vivisektion im nieder¬
österreichischen Landtage.812
Verfügung betr. des Verkehrs mit Geheimmitteln in Württemberg . . 848
Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften über Tagegelder und
Reisekosten der Staatsbeamten.891
Untersuchung sämtlicher höherer Schulen in bezug auf ihre gesundheit¬
liche Einrichtung.891
Teilnahme der Kreisärzte an den Kreislehrerkonferenzen.891
25. Baineologenkongress.892
21. Kongress für innere Medizin.892
Aerztliche Fürsorgestelle für Tuberkulöse in Deutschland.892
Allgemeiner Deutscher Wohnungskongress.892
Yerschiedenes.
Nachruf. 52
Deutscher Medizinalbeamten • Verein. 51. 332, 439, 600, 640
Prenssiscber Medizinalbeamten -Verein. 51, 332, 439, 599, 640
Sprechsaal. 228, 748
Berichtigungen . . . 51, 84, 638
1 f**» l i
Sach ^Register.
Abdeekereiweaen and seine Regelung
403 »
Abgeordnetenhaus, preußisches, ans
demselben 116, 204, 226, 269, 289,
370.
Abort, krimineller, and Kindsmord 464.
Absonderungsverfahren 649.
Abwlsser, Reinigung 293, 867, 496,
biologisches Verfahren 493, 496,747,
(in Dresden), 867 (in Christiania),
ehemische Untersuchung 691.
Aentekammer, thüringische, Bildung
einer solchen 262; bayerische, deren
Sitzungsberichte 260; in Lübeck 260;
Beitrüge in Aerztekammern 779.
Aerzteordnung in Hamborg 81, in
Sachsen 80, 891; in Baden 604,892.
Aentetag, deutscher, in Köln 82, 604,
714; ausserordentlicher za Berlin
226, 269, für 1904 in Rostock 892.
Aersterereinsband, deutscher, Ge-
schüftsaasschasa desselben 82.
Aetiologie der Psychopathie 798.
Aethylaikohol, Untersuchung Uber
dessen bakterizide Wirkung 364.
Agglutination des Bakterien, ein phy-
aUcal-chemisches Ph&nomen 846.
Akademie, in Posen 714, für praktische
Medizin in Frankfurt a. M. 60, in
Düsseldorf 683.
Alkoholismus, IX. internationaler Kon*
gross gegen denselben 269, 872,
dessen Bekümpfung 294.
Amanita phalloides 412, 426.
Amblyopien, Intoxikations-, von sati-
titspolizeilichem Standpunkte 866.
Amtsarzt, stkdtischer, in München 226.
Anatomie des Menschen, Handbuch
derselben 686.
Anatomische Sonderheiten des kind*
liehen QehOrorgans 662.
Ankündigung, Öffentliche, von Heil¬
methoden, Heilmittel usw., Verbot
derselben in Bremen 88, in Baden 84.
Ankylostomiasis im rheinisch - west*
filiscben Kohlenrevier, Ursache und
Bekümpfung 297, 810; über deren
Gefahr in Kohlengruben 888.
Antistreptokokkenserum bei Scharlach
860.
Anzeigepflicht bei Tuberkulose 890,631.
Aorteninsuffizienz, Kenntnis der nach
Trauma entstandenen 878.
Aphakie nach Altersstar, Bedeutung
für die Erwerbsf&higkeit 878.
Aphasie, akute transitorische 741.
Apotheken, Neuerrichtung und Betrieb
derselben, Gesetz darüber in Elsass-
Lotbringen 226, Konzeesionswesen
292, Reform desselben 684.
Apothekerverein, deutscher, Versamm¬
lung in München 260, 689.
Approbation, zeitweise Entziehung,
Grundsätze dafür 861.
Arbeiterkrankheiten 271.
Arbeiter woblfahrtseinriohtungen, XII.
Konferenz der Zentralstelle dafür
404, Handbuch derselben 684.
Arbeitersanatorium 667.
Arsen, Untersuchung der Erdfarben
darauf 747, in Geweben des tierischen
Haushaltes 872.
Arsengehalt der Tiere 666.
Arsenikmord 872.
Arzneigef&sse, deren Beschaffenheit
292.
Arzneimittel, deren Prüfung und Wert¬
bestimmung 224, Verkehr damit
ausserhalb der Apotheken 248, 404,
Arsneitaxe für 1908, preuasische
88, einheitliche für das Deutsche
Reich 260.
Arzt, dessen Anhörung in den Rechts
mittelinstanzen der Unfailvenich
xxvrn
Sach - Register.
rang 674; als Sachverständiger vor
Gericht 27; Arat and Heilkunst in
der deutschen Vergangenheit 527;
Zasiehnng des Arstes durch Heb¬
ammen 566, 697.
Aspirin, dessen Nebenwirkung 873.
Atlas, gerichtsärztlicher, stereosko¬
pischer 223, der allgemeinen Dia¬
gnostik 496.
Augeneiterung der Neugeborenen,
Schntzmassregeln dagegen 897.
Angenheilmittel, neuere 403.
Ausführungsgesetz, prenssisches, sum
Reicbssencheogesetz 204, 269, 826.
Ausstellung, Hamburger, allgemeine,
fdr^hygienische Milchversorgung 207,
Auszeichnung 688.
Azetonvergiftung, nach Anlegung eines
Zelluloid-Mullverbandes 872.
Bad, als Infektionsquelle 42.
Bakterien 224, deren Virulenz 66.
Bakteriologie 568.
Bakteriologische Untersuchungsftmter
in Bayern 49.
Bauchdeckontumor, entzündlicher 279.
Bauordnung im Dienste der Öffent¬
lichen Gesundheitspflege 888.
Bazillen des Smegma 281.
Beachtungswahn und Eigenbeziehung
848.
Begräbniswesen 249.
Begutachtung, psychiatrische in Zivil¬
sachen, lediglich auf Grund der
Akten 805.
Bergbau, erste Hülfe bei Unfällen in
demselben, 46.
Beschftftignngsneurose der Tele¬
graphistinnen 742.
Betriebsunfall und tütliche Verletzung
672, und organische Erkrankung des
Kleinhirns 84, und Magenkrebs 68,
und Hysterie 355, 466, nnd Leisten¬
bruch 352, und Tod, ursächlicher Zu¬
sammenhang 879.
Biologische Beurteilung des Wassers
nach seiner Flora nnd Fauna 494.
Biologisches Verfahren, insbesondere
die bei der Herstellung desselben za
beobachtenden Gesichtspunkte 496;
siehe auch Abwässer.
Blausäure, ein Verbrennungsprodukt
des Zelluloids 664.
Blei im Organismus 560.
Bleivergiftung, eine neue Art der¬
selben 837, interessanter Fall von
862.
Blindheit, deren Entstehung und Ver¬
hütung 397.
Blutdifferenzen, individuelle, deren
Verwertbarkeit für die forensische
Praxis 85.
Blutgase, deren Analyse 457.
Blutparasiten der Kolonisten und ihrer
Haustiere in tropischen Gegenden
869.
Blntserumtherapie bei der Dysenterie
626.
Blaton tersuchnng, gerichteärztliche,
vermittelst der biologischen Methode,
praktische Anleitung dazu 185, 229.
Borolin 253.
Borsäure und Borax, als Fleischkon¬
servierungsmittel 44, deren Miss¬
brauch 253, 254, 255.
Braunsohweig, Herzogtum, Verein der
Medisinalbeamten daselbst 683.
Gancroln, Erfolge desselben beim
Krebs 862.
Cerebrospinalmenigitis oder Vergiftung
790.
Chinin, Verwendung zum Nachweis
von Blutkörperchen 665.
Cholera, deren Bekämpfung 248, Nach¬
richten darüber 84.
Choleravibrionen, über das Wesen der
Bakterienvirulenz 66.
Chromsäure, lokale Wirkung derselben,
akute Vergiftung 559, Septumper¬
foration bei Arbeitern infolge der¬
selben 685.
Chloroform, Selbstmord durch 460.
Chloroformnarkose, Tod in dieser 417.
Colibazillen, deren Differenzierung von
Rnhrbazillen 88.
Conjunctivitis, Schulepidemie 429.
Coroner, dessen Abschaffung 526.
Dämmerzustände, hysterische 465.
Dammnaht, deren Unterlassung, Be¬
strafung eines Arztes deshalb 277.
Darmbakterien, deren Bedeutung für
die Ernährung 856.
Dauerwurstsalz und Danerwurstge-
würz 258.
Decken, wollene, typbusverdächtige 470.
Dementia praecox 564, 668.
Demographie, internationaler Kongress
dafür 371.
Desinfektion, in ländlichen Kreisen
15, 649, deren Regelung 841, kom¬
binierte Mittel derselben 864, der
Hebammen 618, durch ältere und
neuero Quecksilber- und Phenol¬
präparate 866, und Inhalation, ein
neuer Apparat dafür 846.
Desinfektoren, deren Tätigkeit bei der
Bekämpfung ansteckender Krank¬
heiten in Landkreisen 6,878,441,689.
Detenierung nicht entmündigter Gei¬
steskranker in Irrenanstalten 669.
Diätvorschriften für Gesunde und
Krtuike jeder Art 778.
Sach • Register.
XXIX
Diagnostik, allgemeine, Atlas and
Grundriss dafür 436.
Diplomerteilung 332.
Diphtherieepidemie im Hospitale 41,
durch OenosseDschaftsmolkereien 72,
deren Mortalität in Halle a. S.
(offiz. Preuse. Bericht) 70.
Dijpensairea antitnbercnlenx in Berlin
892.
Dispensierrecht homöopathischer Aerzte
in Hessen 51.
Drogenhandlangen, deren Beaufsichti¬
gung 830.
Dysenterieepidemie in Südateiermark,
bakteriologischer Befand dabei 38.
Ehrengericht, amtliches, in Lübeck
260, in Preassen 291, Gesetz darüber
'in Preassen 369, 370, 504.
Eigenbeziehung, krankhafte, and Be-
aohtungsw&hn 348.
Biweisskörper, deren Arteigenheit 678.
Elektrisches Bad, Tod darin 666.
Eutwieklangsjahre and Gesetzgebung
349.
Epilepsie, genuine, die chirurgischen
Erscheinungen dabei 350, deren fo¬
rensische Beurteilung (offiz. Prenss.
Bericht) 53, and Hysterie vom Stand¬
punkt der Invalidenversicherung 879.
Epileptische, deren Anstaltsbehand-
lnng, besondere Einrichtungen dafür
876.
Ernährung im Felde 251.
Erstickungstod, gewaltsamer, durch
abnorme Temperatur 463, Blutdichte
als Zeichen dafür 345.
Brwerbsfähigkeit im Sinne des Kran-
kenversicherungsgesetzes 66, keine
Hinderung derselben durch Verlust
des Endgliedes des Zeigefingers 468,
Berücksichtigung des bisherigen Be¬
rufs des Verletzten bei ihrer Beur¬
teilung 673.
Erwerbsverminderung, Grad derselben
354, 315, 673, 880.
Exantheme, postvaccinale 427.
Exhibitionisten vor dem Strafrichter
565.
Familienpflege der Geisteskranken
350.
Fasern, elastische, in der fötalen Lunge
und in der Lunge der Neugeborenen
666 .
Faulb&ssins bilogischer Anlagen 496.
Fett, Glykogen, und Zellentätigkeit
der Leber der Neugeborenen 738.
Fischer, Fall 29.
Fisehvergiftnng 760.
Fleisch, die Wirkung des Einlegens
desselben in verschiedene Salze 252.
Fleiseheinfohr 890,
Fleischscbangesets 567, Ausführungs¬
bestimmungen dasn 403.
Fleischvergiftung und Typhus 102;
amtsärztliche Beurteilung 886.
Flüssigkeiten, die Dauer des Aufent¬
halts derselben im Magen 561.
Flussverunreinignug,Gutachten darüber
Foetus, postmortale Ausstossung 813.
Formaldehydgate zu Desinfekt ions¬
zwecken 364.
Fortbildungskurse für Medizinalbeamte
in Berlin 21.
Fortbildungswesen, ärztliches, Zentral¬
komitee dafür 296.
Fortpflanzungsfähigkeit, Schwanger¬
schaft nnd Gebnrt 464.
Freisprach oder Sonderhaft SO.
Fremdkörper des Uterus 278, 279.
Fütternngstuberkulose 628.
Fussbodenöle in der Schule 485.
Gansersches Symptom in forensischer
Beziehung 568.
Gase im Blote, deren Verschwinden 733
Gebärmutter-Verletzung 666, Kontrak ■
tionen der schwangeren 276, Fremd¬
körper 278, 279.
Gebühren der Medizinalbeamten, Ge¬
setzentwurf 184, 204.
Geburt, Verblutung dabei 276.
Geburtshülfe, Grundriss derselben 178,
Lehrbuch 889.
Geheimmittel, ausserhalb der Apo¬
theken 248, 507.
Gehörorgan, Verletzung durch Unfall,
Erwerbsbeeinträchtignng dadurch 62.
Geisteskranke, Fürsorge für dieselben
in and ausserhalb der Irrenanstalten
250, Familienpflege 350, über Straf¬
vollzug an denselben 871; Detenie-
rung nicht entmündigter in Irren¬
anstalten 669.
Geisteskrankheit vom juristischen
Standpunkte 526, in zivilrechtlicher
Hinsicht 465, Diagnostik derselben
47, akate, der Gewohnheitstrinker 78,
die Anwendung der Isolierung dabei
371, Geisteskrankheit nnd Sektierer¬
tum 32.
Gemeindeörtliche Einrichtungen auf
dem Gebiete der Gesundheitspflege
845.
Genesungsheime, deren Errichtung 71.
Genossenschaftsmolkerei, als Ursache
von Diphtheriepidemien 72.
Gerichtliche Medizin, auf der Natnr-
forscherversammlnng 568, Grundriss
derselben 847, die Photographie im
Dienste derselben (offiz. Deutscher
Bericht) 189.
Gerichtliche Psychiatrie 773.
XXX
S&ch-Register.
Gerichtsärstliches Leichenflffnungaver-
fähren, deutsches 687, 669, 601, 666,
799 .
Gerichtsärztlicher stereoskopischer At¬
las 998.
Geschlechtsdrüsen, männliche, nnd
Skelettentwicklung 668.
Geschirre, s. Glasuren.
Gescfalechtskrankeiten, und Recbts-
schutz 630, deren Bekämpfung 714;
deutsche Gesellschaft cur Bekäm¬
pfung derselben, I. Kongress dafür
190, 960, 390.
Geschlechtsteile, äussere, Verletsung
bei einem 7 jährigen Mädchen 1.
Geschlechtstrieb und Schamgefühl 698.
Gesetzgebung und Entwickelungajahre
849.
Gestorbene, ohne ärztliche Behandlung,
Zahl derselben in Bayern und Baden
748.
Gesundheit, geistige, deren Grenze 666.
Gesundheitsamt, Kaiserliches, Haus¬
haltungsetat desselben 1903 76.
Gesundheitsaufseher und Desinfektoren,
deren Tätigkeit bei ansteckenden
Krankheiten in den Landkreisen 878,
441.
Gesundheitspflege, öffentliche, Deut¬
scher Verein für dieselbe 190, 184,
764, 797, 883, in England, Fort¬
schritte auf dem Gebiete derselben
in den letzten 96 Jahren 499.
Gesundheitszustand in zivil- und straf¬
rechtlicher Beziehung 403.
Gewässer, deren Reinhaltung 600.
Gewerbehygiene, die Mitwirkung der
Medizinal beamten 197.
Gewerbekrankheiten 971.
Gewohnheitstrinker, deren akute Gei¬
steskrankheiten 78.
Gifte, Elemente der forensischen und
chemischen Ausmittelung dafür 987,
metallische, Lokalisation und Eli¬
mination derselben bei gewerblichen
Vergiftungen 660, Handel damit,
ausserhalb der Apotheken 948; me¬
tallische bei gewerblichen Vergif¬
tungen 660.
Glasur irdener Geschirre vom Stand¬
punkte der Hygiene 686.
Gonokokkenpneumonie 861.
Granulöse, deren Bekämpfung 994, Am¬
bulatorien 809.
Guajakpräparate 680.
Haftpflieht des Arztes bei fahrlässiger
Ausstellung eines Zeugnisses 740.
Haltekinder, deren Ueberwachung 494.
Handatlas, Lehmanns medizinische 486.
Hauptversammlnng des preussisohen
Medizinal beamten vereine in Halle
Y
a. 8. 718, des deutschen in Leipzig
718 und Berichte.
Hausepidemie, typhusähnliche, durch
atypischen Colibaciilus veranlasste
881.
Haueschwamm und andere das Bauholz
zerstörende Pilse 846.
Hautkrankheiten, Lehrbuch derselben
76.
Hebammen, deren Verhalten bei Wo¬
chenbettfieber 961, Versicherungs-
kasse für diese 667, Kalender, deut¬
scher für diese 1903 49.
Hebammenlehrbuch, Ergänzungsblatt
336, 348, ein neues, Verbesserungs-
Vorschläge dafür 694, Vorschrift be¬
treffs Zuziehung des Arztes 666,687.
Hebammenlehrer, deutsche, deren Ver¬
einigung 960.
Hebammenwesen, dessen Reform 999,
676.
Heilgehülfen und Masseure, Lehrbuch
für diese 686.
Heilkunst und Arzt in der Vergangen¬
heit 697.
Heilmittel, erforderliche, die Pflicht zur
Gewährung solcher zur Sicherung des
Heilverfahrens usw. schlisset auch
die Pflicht zur Instandhaltung und
Erneuerung in sich 881.
Heilverfahren, dessen Uebernahme
durch die Landes Versicherungsan¬
stalten 66, strafbare Anpreisung 879.
Heimkehrfälle 678.
Heisswasseralkoholdesinfektion 366.
Hermaphroditismus verus 668.
Herpes tonsurans, Epidemie 686, Bei¬
trag zum epidemischen Auftreten
866 .
Herzerweiterung, primäre, Entstehung
derselben durch Muskelanst% m gung
670.
Herzfehler, angeborener, Sektionser-
gebnis dabei 669.
Herzschlag, J od dadurch 868.
Herzvergrösseruog infolge von Ver¬
schüttung 864.
Heufieber, dessen Heilung 788.
Hirntumoren, psychische 8törung bei
denselben 48.
Histologisch- pathologischer Atlas 436.
Homöopathen, deren Selbstdispensier¬
recht in Hessen 896.
Homöopathischer Lehrstuhl, Errichtung
desselben 636.
Homosexualität, Probleme auf dem Ge¬
biete derselben 466.
Honoraransprüche der Spezialärzte 690.
Hilflosenrente, deren Gewähiung 866.
Hygiene, Grundriss derselben 47, 683,
X. internationaler Kongrea dafür 871,
der Schulbank 483, der Obren 608,
von Dorf und Stadt 688, Taschen-
Sach-Register.
XXXI
buch dafür 588, Abt. für Hygiene
auf der Naturforscher Versammlung
568, 844, 870.
Hypnose, vor Gericht 847.
Hysterie and Unfall 354, traumatische
466.
Jahresbericht des Hilfsvereins für
Geisteskranke im Königreich Sach¬
ten 670, der Kreisärzte (offiz. preues.
Bericht) 74, XXX. des Königl. Lan-
desmedizinalkollegiums in Sachsen
1901 777.
Idiotie, familiere amaurotische, Ka¬
suistik 742.
Impfstoffe and Sera 682.
Infektionskrankheiten, ein Beitrag zur
äuzeigepflieht 314, Grundriss der
aetiologischen Prophylaxe und The¬
rapie derselben 682; s. auch Krank¬
heiten.
Iafluensabaaillen, deren Widerstand
gegen physikalische und chemische
Mittel 280.
Inhalationsmilzbrand durch Verarbeiten
ausländischer Drogen 68.
Inhalatorien, kann in solchen bei rich¬
tigem Betriebe eine grössere Menge
der zerstäubten Flüssigkeiten in die
Lunge gelangen 71.
Inspirationsluft, über die Bedingungen
des Eindringens der Bakterien der¬
selben in die Lunge 69.
Institut, hygienisches in Posen, Neu¬
bau desselben 293, Behring 279.
Internationale Sanitätskonferenz in
Paris 748, 848, 892.
Intoxikationen, Lehrbuch dafür 327,
Psychosen bei Jodoforminjektion in
die Blase 347.
Jod- und Jodsalze, deren Wirkung auf
die Lungen 560.
Irresein, indoziertes 852.
Irrenärzte, deutscher Verein derselben
371.
Irrengesetz, neues 683.
Irren wesen, reichsgesetzliche Regelung
desselben (offiz. deutscher Bericht) 8,
belgisches 876.
Isolierung, bei Geisteskranken 371.
Kalender für Medizinal beamte 46.
Kalibichromatvergiftung 559.
Karboigangrän durch Karbol waBser-
umsclag 124.
Karbolsäure, sog. rohe, ihre Verwen¬
dung zur Desinfektion von Eisen¬
bahnviehtransportwagen 888.
Karbolwasser, der Verkehr desselben
ausserhalb der Apotheken 819, 336.
Kastrationseinwirkung auf das Skelett
578.
Kehlkopffraktur, geheilte 804.
Keuchhusten, zur Prophylaxe desselben
72.
Kinderschutzgesetzgebung und Arzt
898.
Kindersterblichkeit im Bezirk Liegnitz
24.
Kindesmord 816.
Klärschlammanlage der Stadt Kassel
867.
Klauenseuche, s. Maulseuche.
Kleinhirn, organische Erkrankungen
desselben und Betriebsunfall 34.
Knochen, balbverbrannte, Identifizie¬
rung derselben 845.
Koch, Robert, Ehrung desselben 780,
890.
Kochen der Speisen, dessen Bedeutung
für die Verdauung 252.
Kohlenoxydbildung durch Kohlenteil-
ohen an eisernen Oefen 334.
Kohlenoxydvergiftung, in einer Schule
42, 456, 457, 788, (offiz. deutscher
Bericht) 182.
Kongress, medizinischer, XIV. inter¬
nationaler in Madrid 227, 404, 487,
internationaler für Volksbygiene in
Brüssel 683, für Schulhygiene 598,
684, baineologischer 892, für innere
Medizin 892, deutscher Wohnungs-
kongress 892.
Koronargefäese, Embolie derselben 738.
Krankenhausaufenthalt, Dauer dersel¬
ben bei infektiös Erkrankten 678.
Krankenkassengesetznovelle 370, 403.
Krankenkassen, deutsche, Kongress
derselben 296.
Krankenpflege, ländliche 520.
Krankenpflegewesen, dessen Förderung
292.
Krankenversicherungsgesets, Novelle
zu demselben 120, 256, 259.
Ktankheiten, ansteckende, deren Ver¬
breitung durch die Post 58, Ver¬
hütung derselben in den Schulen
(offiz. deutscher Bericht) 98, gemein¬
gefährliche und Bonst übertragbare,
deren Verhütung und Bekämpfung
103, 246, 826, deren Bekämpfung
in Landkreisen 805, 874; s. auch
Infektionskrankheiten.
Krankheitsverhütung und die Kunst,
glücklich zu leben 398.
Krankheits- und Sterblichkeitsstatistik
des Kaiserlichen Gesundheitsamtes 77.
Krebs, dessen Verbreitung 362, 591,
Erfolge des üancroin bei demselben
362, dessen Auftreten im Dorfe
Ploetzkau 242.
Krebsforschung, Laboratorien dafür470,
Zeitschrift dafür 567,
Kreisarzt, dessen Zuziehung als Sach¬
verständiger in Entmündigungs¬
sachen 225, einfache physikalische
XXXII
Sach-Register.
mikroskopische and bakteriologische I
Untersuchungen desselben 248, die
Stellung und amtliche Tätigkeit des¬
selben 289, Teilnahme an Lehrer¬
konferenzen 891.
Kreisarztgesetz, dessen Wirkung auf
das ärztliche Vereinsleben 128.
Kreisphyaikatsakten, über deren Ord¬
nung nnd Vervollständigung 844.
Kreistierärzte, Reform ihrer Stellang
716, 891.
Kresolseifenflaschen für Hebammen 61.
Kriminalanthropologie and Zarech-
nangsfähigkeit 681.
Kriminalistische Vereinigung, inter¬
nationale Versammlung derselben 471.
Kryoskopie bei Erkranknngen 665.
Kunstfehler, ärztliche 812.
Knpfersalzvergiftnng 275.
Kupfervergiftung 803.
Knrhospitäler seitens der Eisenbahn-
Verwaltung 370.
Karpfascher, falsche Behandlung durch
diese 53.
Kurpfuscherei 225, 226, 292, 314, 371,
372, 437, 438, 568, 688, 714.
Laboratorium, hygienisch - bakterio¬
logisches 688.
Lakmusfarbstofl 89.
Landesaassohuss, ärztlicher in Baden
84.
Landesmedisinalkollegium im König¬
reich Sachsen 80, 872.
Landes - Versicherungsanstalt Schles¬
wig-Holstein, Bericht über deren
Verwaltung für das Jahr 1900 888.
Landtag, preussischer, aus demselben
225, 403.
Leber der Neugeborenen, Zellentätig¬
keit derselben usw. 838.
Lehrbuch, für Heilgehülfen nnd Mas¬
seure 635, der Psychiatrie 801; für
Geburtshülfe 889.
Leichenflüssigkeiten, deren Gefrier-
pnnktsbestimmungen 346.
Leiohenöffnangsverfahren,gerichtaärzt-
liohes 537, 569, 60 t, 655, 691, 722.
Leiohenpass 748.
Leichenschau, obligatorische 295.
Leiehenzerstücklung und Verbrennung
125.
Leistenbrach und Unfall 352.
Leitfaden für die chemische Unter¬
suchung von Abwässern 681, der
Geburtshilfe 810, für geburtshilfliche
gynäkologische Untersuchungen 811.
Lichttherapie, deren Erfolge 801.
Licht, dessen physiologische Wirkung
801.
Lnfteintiitt in die Venen, der Mecha¬
nismus des Todes Infolge eines solchen
788.
Luftstaub, Messung und Abwehr des¬
selben 846.
Luogen, fötale und solche Neugeborener
666 .
Lungeninfektion infolge von Verschüt¬
tung 855.
Lungenentzündung infolge von Er¬
kältung 672.
Laugenfäulnis und Schwimmprobe 874.
Lungenheilstätten, deutsches Zentral¬
komitee dafür 438.
Lungentuberkulose, Heilung derselben
844.
Lysoform, dessen keimtötende Wirkung
866 .
Lysolvergiftung 558, 735.
Lyssavirus, dessen Verhalten im
Zentralnervensystem empfänglicher,
immuner und immunisierter Tiere
357.
Magenkrebs und Unfall 63.
Malaria, deren Bekämpfang 393.
Manganvergiftung und Braunateinmüh-
len 614, 624.
Manie 668.
Massenerkrankungen nach Genuss von
Pferdefleisch 473.
Masaenvergiftung durch Pilze 426.
Mastdarm, Fremdkörper darin 279.
Mäusetyphusbacillus Löffler, dessen
Identität mit Paratyphusbazillen 845.
Maul- und Klauenseuche, Untersuchun¬
gen darüber 294.
Medien, spiritistische, zur forensisch-
psychiatrischen Beurteilung 876.
Medizin, gerichtliche, Errichtung eines
Lehrstuhles dafür in Bonn 259, Or¬
ganisation derselben in Deutschland
490.
Medizinalabteilnng, deren Abtrennung
vom Kultusministerium 289.
Medizinalbeamten, Versammlung der¬
selben im £ez. Liegnitz 21, 826,
Marienwerder 98, Gumbinnen 245,
805, Merseburg 323, 556, Coblenz
338, Magdeburg 385, 622, Minden
443, Düsseldorf 451, Württemberg
455, Osnabrück 520, Schiewig-Hol¬
stein 524, Stade 593, deren Gebühren
370, 403, Unterstützung der auf
Wartegeld gestellten 290, deutscher,
Verein derselben 51 und Bericht über
Versammlung, mecklemburgischer
344, preussischer 51 und Bericht
über Versammlung.
Medizinalgesets, braunschweigisches
226.
Medizinal wesen, das preussische im
Staatshaushaitsetat 1903 111.
Medizinische Fakultät, deren Errich-
I tung in Münster 259.
1 Medico - legal society ln New-York 526.
Saab* Register.
XXX UI
Melancholie 664.
Meniugokokkensepticäime 361.
Metallische Gifte bei gewerblichen
Vergiftungen &60.
Milch, Verkehr damit, dessen gesund*
heitliche Ueberwachnng 797, die
Verbreitung den Typhus durch die¬
selbe 107, tlber deren bakterielles
Vathalten bei Bürareuaal» 262.
MÜehbygieue 332.
Miichhouiruite in kleinen Städten 90.
Miiclsseisretiön, Steiger flog bei stillen-
den Muttern 346
Huecroreorgoug, hygienische, Ausstel¬
lung dafür tu Ham barg 227, 703.
Milzbrand, SchuUimpfucg dagegen 68,
ütbenragoag durch lahalatiOD beim
Vwar beite» ausländischer Drogen 68.
Mittelohx, s. Öhr.
Melkern, EHphtheiieepidemie in deren
Bereich 72, als Typhusrerhreitcr JOS.
Msrd an Therese Pu. c her 29.
Morphin iejV ergiftung im frühesten Ein-
deealter 27,
Mflübceeitigungsfrage 497.
Munster, Universität daselbst, Errioh-
tung einer medizinischen Fakultät 299.
Nachwelt individueller Blutdifleren-
tea 739. .
Xagelgtied des linken Mittelfingers,
keine Erwerbsfäbigkcitsverminde-
rang 67«,
KabrungsmUtelkcmtrolle, Notwendig¬
keit einer strengen Handhabung der¬
selben 418.
Natrium. Bcbwefligsaures, Zusatz tu
gehacktem Pieisch 679.
Naturforscher- and Aeratevereammlutig
in ¨ 296, 471, &68, 7.14, 769,
801, 844, 867.
Naturvdsseoscbaften, deren Einfluss
auf die "Weltanschauung 769.
Neugeborene, deren Lungen 665, ZelJ-
tltigkeit der Leber Neugeborener
739, NebeuniereBblntungeu bei den¬
selben $74.
m
Otitis media, s. Ohr.
Ozon, Reinigung dne Trinkwassers da¬
mit 800,
Paranoia chronica quernlatoria 32.
Paratyphus, Endemie 109, 110.
Pensionäre, freiwillige 669.
Pest, deren Ausbreitung in Indien 472,
in Odessa 744, in Berlin 479, ö(n'
745.
Pestbaaüleo, deren Widerstandsfähig¬
keit gegen die Winterkälte in Tokio
857, deren Lebensdauer in K ad&T&rn
und Kote der Pestmren 742, in den
Flöhen 280, deren Agglutination 67.
Pestnacbricliten 84
Peetaernm 746,
Pferdefleisch, Hafisenerkrankungeu da¬
durch 473. 8
Phosphor, dessen Ueber tritt und Wir¬
kung auf menachücnu und tierische
Früchte 664.
PbospborstUidwaren, Gewetz darüber
370, 408.
Physiologie, der Gefühle u. Affekt« 769.
Pilze, Maasen Vergiftung en 426.
Plasmodium vivas, der Erreger das
Tertianfiebers heim Menschen 393.
Plattfuß« 467.
Pocken, TqdesfaUst&YiAtik im Deutschen
Reich 1908, Erkrankungen 1900 S76,
Nothospitäler dafür» Vernrtetittug
einer iiiatrjksbehörde wegen Fkhr-
iässigfeelt bet Erfiehmug und
trieb desselben 677, Epidemie 525,
in Strassburg 675, Zwangswiedeji« -
pfuRgCH bei solchen Epidemien 97,
Untersuchungen über den Erreger der
426.
■K
Obergutacfatan, ärztliche, Saatmlurig
derselben 772.
Ouermadiftinaiausachuai in Bayern 49.
Obstfrttehte amerikanische, geschwe-
Idle 372.
IMlpll in >> r ; entlieh inedizini-
r.is?htfr 460; Ifittelobr-
Ketsftudung 608, 661;
fMi
bei Kindern 48.
interna, beiderseitige
jfeiiaet«» 3eoal. cor du. 643. !
ru #, 3R6, 804 foffl*. ‘
ÖaAiai;'- Mw4efet'»': H
Posen, Eröffnung der Akademie da-
selbst 779,
Post, als Vermittlerin der Wcitervcr-
breituag Ton ansteckenden Krank¬
heiten 63, 337.
PräTentiTlmpfang bei Diphtherie 817.
Präzipitine, neue, bisher latent geblie¬
bene 845.
Präzis, ärstiiebe, deren Verkauf 227,
amtsärztliche, Besprechungen dar¬
über 4&2.
Protistution, daran gesundheitliche Ge¬
fahren und Bekämpfung 895.
Protozoen, krankheitserregende, Stu¬
dien darüber 398.
Prüfung, »taateärztli&be in England 46.
Prüfungsordnung, medizinische, Ein¬
führung des praktischen Jahres 291.
Psychiatrie 712, Leitfaden derselben
74 v gerichtliche 773, Lehrbuch der-
seihen 772; Sammlung gerichtlicher
Entscheidungen 889.
Psychische Störungen und Schädel-
XXXIV
Sach-Register.
Psychopathie, deren Aetiologie 702.
Psychopathischer Aberglaube 81.
Psychosen, der Landstreicher 347, nntar
dem Bilde der reinen primirea
Inkohärens 741, ahnte, experimen¬
telle Stadien zur Pathogenese der¬
selben 874.
Pnstula maligna, Uber deren Eatete-
hnngsnrsaehe 886.
Recnrrenn, febris 104.
Beform des Apothekenwesens 715, der
8tellong der Kreistierärste 716,892.
Reichsarsneitaxe 848.
Reichshanshaltsetat 1903, ans dem¬
selben 117.
Reiohsseuehengesets, die Ausfübrungs-
bestimmnngen für dasselbe 295, 370,
403, 747.
Reichstag, ans demselben 224, 266,
288, 370, 403, 891.
Reinigongseffekte in den Filtern beim
biologischen Abwlsserreinignngsrer-
fahren 495.
Reinigungsverfahren städtischer Ab¬
wässer 557; s. anch Abwässer.
Reisekosten der Staatsbeamten, Neu¬
regelung im Deutschen Reieh und
Preussen b91.
Rentenempfänger, Veränderung der
Verhältnisse im Falle einer Aende-
rung des geistigen oder körperlichen
Zustandes 880.
Rhenmatismus, akuter 280.
Ringfinger, linker, Verlust desselben,
Rentenentziehung wegen Angewöh¬
nung 64.
Robnrit, Vergiftung dadurch 67.
Röntgenstrahlen in gerichtlich - medi¬
zinischer Beziehung 789.
Rückgratverkrümmung in der Schule
432.
Rllckenmarksverletzungen, deren Be¬
ziehung zu den ohroniacben Rücken-
markskrankheiten 781, 782.
Ruhr, deren Erforschung und Be¬
kämpfung 10, 294, 497, in Ost-
preassen, eine Amöbendysenterie 41,
Merkblatt dafür 226.
Ruhrbazillen, Shiga-Krusesche, über
deren Widerstandsfähigkeit gegen
Winterfrost 88, Beitrag zu deren
Differenzierung von Coli- und Typhus-
basillen 88, 89.
Ruhrheilserum 688.
Sachvorständigont&tlgkeit des Oe-
riohtsarztes 463, des Kreisarztes vor
dem Amtsgericht 623.
Sadismus und Masochismus 528.
Säuglingspflege, Leitfaden dafür 287.
Säuglingsernährung und Sterblichkeit
631, Massregeln Öffentlich-hygie¬
nischer Art znm Zweck ihrer Herab¬
setzung 886.
Salmiakvergiftang 458.
Samaritertag, 6. deutscher 504.
Sammelmolkereien als Typhusverbr eitcr
106.
Sanitätakonfereaz, internationale in
Paris 748, 848, 892.
Saaitätswesen des preussiaehen Staates
775.
Schamgefühl und Geschlechtstrieb 528.
Scharlach, Antistreptokokkeasenua360;
Epidemie, böeartige 675.
Scheidengewölbe, hinteres, tötlicbe
Verletzung desselben 277.
Schlachthaus, Öffentliches, Anforderun¬
gen vom gesundheitlichen Stand¬
punkte 399.
Sch lach tviehrersichernng 438. T
Schlüsselbeine, angeborener Mangel
739.
Schmutswass «Reinigungsanlage in
Kassel, über die Verarbeitung' der
Rückstände in derselben 498.
Schularztfiage 81, Lösung derselben
auf dem Lande 431.
Schulärzte, deren Anstellung 403, Be¬
dürfnis danach bei den höheren
Lehranstalten 431.
Schulbesichtigungen 99, 388.
8chule und Bückgratsverkrümmung
432, Tuberkuloeenbekämpfung darin
433, deren Beaufsichtigung und das
neue englische Unterrichtsgesets 432;
hygienische Ueberwachung der höhe¬
ren Schulen 891.
Schulepidemien 429.
Schulgesundheitspflege, Deutscher Ver¬
ein für dieselbe 439.
Schulhygiene, internationaler Kongress
für dieselbe 598, 684, Handbuch
dafür 534, 774.
Schulkinder, kranke 687, nervOee und
minderbegabte 488.
Schulpflichtiges Alter, über die Not¬
wendigkeit, die untere Grenze des¬
selben heraufzusetzen 43.
Schultafelfrage 484.
Schultinte, deren Schädlichkeit 488.
Schutzpockenimpfung, amtliche Tätig¬
keit des Kreisarztes dabei 806.
Schwachsinn, die gerichtsärstliche Be¬
gutachtung desselben in Strafsachen 4.
Schwangerschaft, zur Frage der Uterus¬
ruptur in frühen Monaten derselben
276.
Sohwarzwasserfieber, Prophylaxe und
Behandlung desselben 869.
Schwimmschicht, deren Bestandteile
auf den Abwässern in den Faul¬
bassins biologischer Anlagen 496.
8eelen8t0rungen auf arteriosklerotischer
Grundlage 349.
Sach-Register.
XXXV
Seifen, bakterizide Wirkung 364.
Sektierertum und Geistesstörung 42.
SelbstbeeehidigUBg« hysterische, unter
dem Bilde der mnltiplen neurotischen
Hautgangrän 875.
Selbstmord im kindlichen Lebensalter
805.
Septieämie, hämorrhagische, die Diffe-
rentialdiagnose der verschiedenen
hierzu gehörigen Mikroorganismen
280.
Septum Perforation der Chromarbeiter
635.
Seuehengesets, preussisehes 80.
Sexualleben und Nervenleiden 847.
Sexualtrieb, perverser, und Sittlich-
keitsverbrechen 465.
Shok und Shoktod, insbesondere nach
Kontusionen des Bauches 785.
Simulation 566, bei hysterischen und
Unfallkranken 33.
Smegmabasillen 281.
Sommerdiarrhoe, über deren Aetiologie
885.
Sonderheft oder Freispruch 30.
Spitapoplexie. sur Frage derselben 873.
Sprachsaal 228, 748.
Sprengapparat für Turn- und Exerzier¬
hallen 846.
Sputum, Beseitigung und Desinfektion
desselben 192.
Staatsirztliche Prüfung in England 45.
Stldteausstellung in Dresden 471,889.
Standesvertretung der Tierärzte 716.
Staubschutz für Lymphbehülter bei
Impfungen 825.
Strafgesetnbucb, deutsches, zur Revi¬
sion desselben 877.
Sterbeftlle im Deutschen Reich 501.
Stichverletsung des Rückenmarks in
gerichtlich-medizinischer Beziehung
803.
Storungen, ner»Öse, sexuellen Ursprungs
847, des Erwachens 740.
8tramoniumvergiftung 275.
Streetokokken, sur Einheit derselben
359, 360.
Starz von der Hohe mit Scbädelbasis-
brueh und Lungenmptur 717.
Sablimatdesinfektion 365.
Syphilisbaeillus 871.
Tagegelder, s. Reisekosten.
Taubstummheit auf Grund ohren-
Irztlicher Beobachtung 269.
Technik des Gerichtsarztea 463.
Telegraphistinnen, Beschäftigungsneu-
rose bei diesen 742.
Tertianfieber beim Menschen, dessen
Krankheitserreger 898.
Tetanusinfektion bei Gelatineein¬
spritsungen 67.
Tharanie der Nervenkrankheiten. Atlas
und Grundriss 486, der Erkrankungen
des Respirations- und Zirkulations¬
apparates 369.
Tbymustod 121, 736.
Tilsit, Wasserwerk daselbst 809.
Tod einer Tracheotomierten durch Er¬
hängen 873.
Todesursache und Feststellung des
Todes 463, bei Neugeborenen 736.
Tollwut, 7 Monate nach der Schutz¬
impfung 359.
Tollwutklinik in Breslau 488.
Toxikologie, Kompendium 680.
Toxine, intrazelluläre 802.
Traohom 344.
Traumatiscbo Todesarten 463.
Trinkwasserbakterien, Uebersicht über
dieselben 224.
Trinkwasserreinigung mittels des
Schumbnrgsehen Verfahrens 252, mit
Ozon 800.
Trinkwasserversorgung im Felde 251.
Trinkwasserverunreinigung, deren bak¬
terieller Nachweis anlässlich infek¬
tiöser Erkrankungen 867.
Tropenbygiene 568.
Trypanosomenforschungen, praktische
Schlussfolgerungen 870.
Tuberkelbazillen, AbtOtung in erhitzter
Milch 631.
Tuberkelbazillenähnliche Stäbchen 281.
Tuberkulöse Belastung und Ohren¬
krankheiten bei Kindern 48.
Tuberkulöse und nichttuberkulöse Er¬
krankungen der Atmungsorgane in
Preussen 844; ärztliche Fürsorge¬
stelle in Berlin 892.
Tuberkulose, Anzeigepflicht 390, 631;
Fütterung?» vor suche bei Rindern u.
Kälbern 282, Uebertragung vom Men¬
schen auf das Rind 284, Verbreitung
derselben im Hinblick auf Zigarren
und Stummel 285, als Volkskrank-
beit 629, internationaler Kongress
dafür 639, deren Erreger in der
Salsbutter 281.
Typhus, Bekämpfung desselben 79,448,
491, kulturelle Diagnose 106, Patho¬
genese 105, Verbreitung durch Milch
107, nndTleischvergif tun g 109, durch
Sammelmolkereien 108, Merkblatt
dafür 226, 536, Epidemien 492, 641,
in Metz 682, Ratschläge für den
Arst bei Typhus 448, 638, Verbrei¬
tung durch Flusswasser 753, typhus¬
ähnliche Erkrankungen 110; zur
Epidemiologie des Typhus 882.
Typnusagglutinine, experimentelle Un¬
tersuchung über deren Ausschei¬
dung 883.
Typhusbasillen, deren Unterscheidung
von Ruhrbasillen 38, Feststellung
im Blnt 104. nach England durch
XXXVI
Sach-Register.
Wolldecken eingesehleppt 489; Uber
ihre Lebensdener 888.
Unfall, siehe Betriebsunfall.
Unfallfolgen, bei chronischen Leiden467.
Unfallverletsang des Gehörorgans 62.
Unfallveraicherungsgesetz, für Land¬
end Forstwirtschaft 468, Kommentar
für Aente dasu 528.
Unterleibsbrüehe 351.
Unterleibstyphus, siehe Typhus.
Unterriohtsgesets, neues, englisches
482.
Untersuchungen Uber Maul- und Klauen¬
seuche 294.
Untersuohungsämter 714, 748.
Urethritis gonorrhoica bei Knaben 396.
Uterus, s. Gebärmutter.
Vacoination, sur Erforschung der
Immunität duroh dieselbe 426.
Ventilationsanlagen 899.
Verblutung im Anschluss an die Ge¬
burt 276.
Verbrennung, Tod durch dieselbe 455.
Vereinsleben, ärstl., die Wirkung des
Kreisarstgesetses auf dasselbe 120.
Vergiftung, nach Aspirin 734, durch
Knpfersalse 275, durch Stramonium
275, mit Knollenblätterschwamm 328,
412, 464.
Verkehr mit Arsneimitteln ausserhalb
der Apotheken 839, mit Geheim¬
mitteln 848.
Verletsung durch Flobert-Schusswaffen
505.
Versicherungskasse für Hebammen 557.
Versuche, ärstüche, an Lebenden 812.
Versuchsanstalt für Wasserversorgung
298.
Vidalsche Blutprobe 514, 518.
Virohowdenkmal 779.
Virisektion, Missbrauch 812.
Volksbäder, deutsche Gesellschaft dafür
872, 598, 716.
Volkshygiene, deutscher Verein dafür
439.
Volks-Heilstätten, die Schwierigkeit
der Auslese für dieselben 286.
Volksspiele und Jugendspiele, 6. Kon¬
gress dafür 439.
Vorbeireden, Symptom desselben 465.
Wasserleitungen, deren Besichtigung
422.
Wasseruntersuchung, bakteriologische,
Kompendium 224.
Wasserversorgung, Versuchsanstalt da¬
für 293, im linksrheinischen Teile
des Bezirks Coblens 839, 596.
Wasserwerk Tilsit 809.
Wartefrauenfrage 522.
Wechselbeziehungen, zwischen Stadt
und Land in bezug auf ansteckende
Krankheiten 533.
Woehenbettfieber, Verhalten der Heb¬
amme 261, 363, 619.
Wüchnerin, Jodoformgaserest in der
Vagina 874.
WOchnerinnenpflege, Leitfaden daf. 287.
Wohnungsfürsorge 870, 890.
Wohnungsgesets 370.
Wohnungsbygiene 350.
Wurmkrankheit, Bekämpfung 257, 329,
811, 891.
Zahnhellknnde als Volkshygiene 845.
Zeitsebrift für Krebsforschung 568.
Zerkleinerung der Speisen, deren Be¬
deutung für die Verdauung 252.
Züchtigungsrecht der Lehrer, Ueber-
schreitung desselben 795.
Zurechnungsfähigkeit’ 464, und Krimi¬
nalanthropologie 681.
Zwangswiederimpfungen bei Pocken¬
epidemien 97.
N amen ^Verzeichnis.
Adikes 260.
Adamkiewitz 362.
Aklfeld 276, 366, 889.
Albreeht 252.
AUheimer 349.
Allboff 470, 779.
Altseknl 767, 799.
Anscbel 29.
Aijecky 67.
Aroiuoa 360.
Asehsffenbnrg 871 (B. Pr.
M.) 67, (B. D. M.) 77.
Aaeher 844.
Anlassen 524.
Baehmann 884.
Bsginsky 360, 799.
BtUn 421.
Baiser 344.
Bala 622.
Bamberger 635.
Bsideleben 535.
Banekow 620.
Bauet 885.
Bauer 637.
Baum 567.
Baumeister 838.
Baum 261, 619.
Bacher 322.
Beekold 845.
Beck 322. 488.
Becken 506.
BakU 108.
Behring, tob, 630, 683,
770, 779, 818.
Bekreadt 809.
B6U 676.
Berger 431, 626, 874.
Berka 569.
Bettaeelli 866.
BerteUmum 873.
Berthe« 524.
Bettmann 874.
Bets 371.
Beniner 185, 229.
Beutler 765.
Begold 469.
Bichele 224.
Biberfeld 849, 851.
Bl&achko 895.
Bloch 773.
Bockend&hl 524.
Boehm 44.
BOdiker 669.
Bohlendorf 291.
BOtticher, yon, 567.
Boite 566.
Boltenatern 428.
BonhOfer 73.
Bonhof 845.
Bont 678.
Bornetins 402.
Borntriger 331, 767, 778,
(B. D. M.) 124.
Braun 23, 25.
Brandenburger 285.
Brauer 633.
Bressel 361.
BrBhl 562.
Bachholz 371.
Bttlow, tod, 714.
Bamm 178, 748.
Bantt 686.
Bargentein 634.
Bargel 566.
Battenberg 681.
Cnmieror 34.
Castellani 164.
Chon 248, 809.
Cipollina 629.
Clairmont 357.
Coeeter 814, 383,621,821.
Coler, yon, 282.
Conradi 110.
Cossmann 872.
Gramer 331, 348, 349,
j 371, 773.
j Creite 683.
■ Cronbay 742.
! Cnno, Fritz 41.
| Cartias 817.
Czygan 247, 249, 806.
I Czablewski 453.
Dahlmann 637.
Dämmer 584.
Dayidsohn 715.
Delbrttckt Bremen) 82,372
Deutsch 682.
Diem (Otto) 668.
Dippe (B. Pr. M.) 7, 69.
Dittrich 713, (B. D. M.) 2.
Doegner 246, 248, 249.
DOnitz 744.
DOrner 874.
Dohrn 121.
Dombois 344.
Donglas, Graf 292, 293,
294.
Doeqnet - Manasse 253.
Drigalski, v. 110.
Dfinges 817.
Dtlrck 436.
Dtttechke 378.
Dogge 345.
Danbar 331, 332, 595,
779, 797.
Daral 885.
Ebstein 532.
Eckels 292.
Eikhoff 421.
Ekart 291.
EUis 528.
Emmerich 71.
0 B. Pr. M.: bedentet Bericht über die HaaptTcrsammlnng des Preus-
■•ehea MedizinalbeamtenTereins; B. D. M.: Bericht Ober die HaaptTonamm«
'•»t dos Deatschen MedizinalbeamtenTereins.
XXXVIII
Namen • Verzeichnis.
am Ende 845.
Engels 252.
Engelbreoht (B. D. U.)13i.
Brismann 799.
Ernst 370.
Esehle 567.
Esmarch 533,767.
Enlenbnrg 528.
Ewald 68.
Farnsteiner 681.
Feige 830, 852.
Feigell 446.
Feistmantel 682.
Feldmann 399.
Fett 366.
Feyfers 109.
Fibiger 284.
Fickert (B. D. M.) 129.
Fielits 305,328, 326. 441,
557, (B. Pr. M.) 5,6,9.
Fink 421.
Fischer 350, 896.
Fischer, Karl 747, 888.
Fischer (Kiel) 524, 799.
Flesch 530.
Flinser (B. D. M.) 5.
Flügge, C. 47, 382.
Förster 206, 292, 870.
Forstrenter 247, 248,249,
809.
Francois-Franck 738.
Fränkel 328,326,381,567.
Franke 784.
Frennd 868.
Freyer 814.
Frieboer 680.
Friedberg 289.
Friedberger 66.
Friedei 614, 624.
Fries (B. D. M.) 76.
Frbhmann 670.
Gärtner 747.
Gaffky 748, 765.
Gatnp 206.
Gantier 666, 872.
Geirsrald 867.
Georgii 1.
Oerlach 877.
Gessner 742.
Gizycki, ▼. 58.
Gock 876.
Goets 252.
Gottsohalk 464, 847.
Granier 535, 738.
Gregor, Max 393.
GregoroTius 445.
Grthant 457.
Griesbach 769.
Gröben 748.
Gross, Hans 31.
Groth 427.
Grünler 718 (B. Pr. M.) 2.
Gatknecht (B. Pr. M.) 46.
Häbler (B. Pr. M.) 44.
Hagemann 825.
Hahn 206.
Hainer 847.
Hake, ▼. 99.
Hammer'366, 558.
Hansemann 362, 628.
Hasse 99.
Hanoh 327.
Hayemann 345.
Hegel 247.
Heidenhain 816.
Heising 295.
Henneberg 876.
Hermann 824, 327.
Herms 388, 626.
Herrendörfer 249.
Hermann^ B. Pr. M.) 18.
Herhold 467.
Hertsch (B. D. M.) 130.
Hesse 838.
Heyer 801.
Heymann 433.
Hilbeck 258.
HiUier 631.
Hirsoh 397.
Hirschfeld 25.
Hoche 565, 566, 594, (R.
Pr.M.) 45, (B. D. M.) 127.
Höchst 344.
Hölscher 885.
Hoesslin, v. 33.
Hövel 338, 341.
Hoffmann (Berlin) 125,
417, 460.
Hoffmann, W. 632.
Hofmann 219.
Hofmeier 786.
Hohenlohe • Langenbarg
682.
Hölder 369.
Holst 367, 533.
Holthoff 888.
Horn 524, 827.
Jacobnthal 109.
! Jaeger 40, 41.
! Jahrmlrker 564.
j Janert 388.
i Johannen 767.
i Jolly 466.
Joseph 871.
I Jürgens 110.
I Iberer 888.
j Iderhoff 215.
i Inner 289.
Israel 468, 873.
Kälble 676.
Kampfmeyer 322.
Kant 387.
Kansow 52.
Karlinski 104.
Kasparek 359.
Kats 629.
Katsenstein 27.
Kaoffmann 879.
Kaysor, H. 109, 883.
Kaferstein 585, 622.
Keller 357.
Kindler 293, 370.
KirchgKsser 341.
Kirchner 251, 260, 293,
767.
Kirsch 290.
Klein 287, 888.
Kleine 82.
Klimenko 885.
Klopstock, Martin 38.
Klose 127, 862.
Klage 388, 450, 625.
Knaat 276.
Kober 276.
Kobsch 289.
Kobert 286, 327, 680,872.
Koch, Robert 82,252,260,
470, 638, 780, 889.
Kockel 664.
Koehler 25,628, 831, 829.
Kölscher 289.
Köppe 344.
Köppen 465.
Köstlin 454.
Kokabo, Keisska 364.
Konradi 364.
Kopsch 289.
Kornfeld 53.
Korn-Radelsdorf 216,681.
Kornalewsky (B. Pr. M.) 7.
Korosskiewics* 276.
Koske 888.
Krafft-Ebing, v. 50, 772.
Kraus, 367, 679.
Kraose, Paul 67,288,250.
Krause, Friedrich 105.
Kraatwig 424.
Kriege 454.
Krollick 774.
Kruse 626, 639.
Kühn 319.
Kühner, A. 27.
Kanse 765.
Karella 681.
| Kuschel 252.
Labbe 560.
[ Ladenbarg 714, 769,
| Landsteiner, Karl 85.
' Lang, Eduard 75.
I Lange 434, 841.
! Laagerhans 217, 291,370.
Lannois 568.
I Lebbin 566.
Namen - Verzeichnis.
XXXIX
Lehmann 252, 636.
Lekwald 767.
Leabke 839, 341.
Lem 765.
Lata 39.
Leumann 288.
Lemberg 345.
Lake 24.
Lemer, A., 223, 323,395.
Lenbnscher 736, 874, (B.
D. M.) 113.
Leven 561.
Lery, E. 109, 883.
Leyden 470.
liebreich 253,' 464.
Liepelt 735.
Lmgei 841.
Litterski 97.
Lochte 886.
Llbker 892.
Loefiler 366.
Löwenfeld 847.
Llwenthal 669.
Longard 347.
Lortet-J&cob 560.
Lowmann 631.
Lick 563.
LBpke 445.
Lnley 799.
Lympins 388.
Maannen 281.
Maefadyan 802.
Maeken«en 447.
Majer 42.
Mein 287.
Martens 209, 212/290.
Martini, C. 39.
Martini, Brich 746, 869.
Marz 665.
Mayer 259.
Mayer, Moritz 619, 717,
Meder 421.
Meülfere 560.
Meiaert 799.
Meadel, B. 74, 464.
Meubnrger 367.
Merkel 264.
Merklin 371.
Meyen 26, 826. 830.
Meyer, Fritz 369.
Meyer, Felix 252.
Migsia, W. 224.
Mittensweig 371.
Modi 466.
Moeller 258.
Moen 412, 421.
Moritz 386.
Moro 678.
MUler (Gras) 38.
Miller, Biebard 887.
Miller (Abgeord net er )288,
289.
Mngdan 528.
Mnlert 344.
Näcke 466.
Nardenkötter 225, 292.
Nation-Lanier 738.
Nanwerk 518.
Nawratzki 350.
Nebler 15.
Negel 881.
Neidhardt 4, (B. Pr. M.)
53, (B. D. M.) 156.
Neiaser 260,822,714,845.
Netolitzky 534.
Nenield 82.
Neweholme 43.
Nickel (B. D. M.) 155.
Nocht 748.
Nttnninghoff 450.
Nnaebanm 839.
Ocker 593.
Oebbecke (B. D. M.) 89,
128.
0hiemann 403, 855.
Ohlmttller 331, 382, 800.
Ohlshatuen 464, 839.
Ohrt 283.
Onorato 280.
Oppenheim 34.
Ostmann 43.
Paine 281.
Pannwitz 438.
Pappritn, Fräulein 323.
Paal, Ladwig 69.
Panli (Bremen) 82.
Panimann 867.
Penkert 323.
Peeerico 286.
Peters 344, 527.
Peternon 847.
Petrnschky 767, 799, 844.
Pettenkofer 252.
Petterson 281.
Pfeiffer, B. 66.
Pfeiffer (Königsberg) 322.
Pfeiffer (Wien) 871.
Pfister, Hermann 32, 740.
Pilf 242, 874.
Piorkowsky 871.
Placxeck 345, 539, 570,
601, 655, 691, 721.
Plehn 745, 869.
Ploch 806.
Podbielsky, ▼. 716.
Pötter 799.
Poncet 563.
Ponfick 714.
Ponadowsky-Webner, Gr.
▼on 82, 224, 256, 372,
471.
Poynton 281.
Pranssnitz 531.
Prölss 72, 595, 795.
Plltter 799.
Poppe 463, 717.
Pnrdy 526.
Quentin 522.
Raetxel 248.
Bfiuber 865.
Bambonsek 367.
Bapmnnd 46, 132, 445,
(B. Pr. M.) 1, 5, 6, 51,
52, 69, 73, (B. D. M.) 1,
4, 7, 75, 84, 86, 88,123,
131, 132,139, 155,156.
Beokzch 458.
Beincke 595, 839.
Beinsch 332.
Beiswitz 596.
Bembold 107.
Bevenstorf 346, 665.
Rheinen 449.
Biehards 431.
Biohter, Max 85.
Bichter, P. F.
Bieehelmann 362.
fiiedel (B. D. M.) 128..
Bieder 801.
Bisei 68, 327, (B. Pr. M.)
70, (B. D. M.) 88, 180.
Binsmann 522. .
Bitter 597.
Boesing 30.
Boepke 62, 162.
Boesicke 288.
Bössle 559.
BoUer 481.
Bomeik 124, 336, 649.
Bosinsky 581.
Bost 255.
Both 538.
Bothmann 741.
Boy 563.
Bubner 584, 747.
Bohl 485.
Bnge 868.
BnUmann 631.
Bnmpel 831, 837, 839.
Bnsack 421, (B. D. M-)
56, 86.
Bnss 277.
Sachse 258.
Salomon 861.
Sander 871, (B. D. M.) 80.
Sarismy, von, 208, 217,
293.
Schade 624.
Scbaefer (Frankfurt a. 0.)
405, (B. Pr. M.) 8, 85.
Schiffer (Bingen) 808,
(B. D. M.)f82.
XL
Sehaper 896.
Sohaadonn 898.
Schavaller 246.
Schenk, Pani 898.
Scherenberg 279.
Sehilling 26.
Sehlegdenial 641.
Schlossmann 678, 798.
Schlttter 443.
Schmidt (Liegnitz) 21,28,
27, 61,
Schmidt, H. 679.
Schmidt (Erfurt) 767.
Schmidt (Elbing) 763.
Schmidt, Georg (Berlin,
Tempelhof) 38.
Schmidt, Moritz 848.
Sohmidt, Job. 224.
Schmidt (Nielsen) 867.
Schmidtmann 98,247,248,
248, 293, 368, 713, (B.
Pr. M) 2.
Schmölder 820.
Schneider 846, 422.
Soholz 829.
Schott 564.
Sehottelius 282, 356, 629.
Schottmttller 105.
Schrakamp 337, (B. D. M.)
89, 123.
Schreiber 446.
Schröder 346, 625.
Schulz 247, 249, 250, (B.
D. M.) 150.
Schulze, Hans 32.
Sohulten 432.
Schnitze 679.
Sehuster, Paul 48, 877.
Schwerin 847.
Seberr-Thoss,T. 24,25,26.
Seiffer 436.
Seidel 760.
Selberg 704.
Seliger 785.
Seilheim 810.
Seydewitz 366.
SMga 41.
Siokinger 845.
Siefen 29.
Siereking (B. D. M.) 180.
Simon 662.
Smith 626.
Namen • Verzeichnis.
Sobernheim, G. 68.
Sommer 47.
Spieas 715, 765.
! Springfeld 383.
St&ubli 888.
Stakemann 876.
Stamm 72.
Stanke 718.
Staues 749.
Steger 103.
Steinberg 21, 929 (B. Pr.
M.) 48.
Stempel 878.
8tieh 846.
Stockis 455.
StOcker 846.
Stolper 536, 781, 804.
Strassmann 403 (B. D. M.)
139.
Stranch 845, 808.
Struppler 878.
Stnbben 763, 838.
Stndt, Ezz. 205, 207, 209,
259, 289.
Stflbben 331.
Stnmm 250.
Snck 402.
SndbOlter 447.
Snltan 851.
Tanaka, Kaisuka 426.
332
Tenholt 267,297,810,892.
Tenner 859.
Terpitz, y. 713 (B.Pr.M.) 3.
Thilow 889.
Thomson 871.
Tjaden (B. D. M.) 89, 131,
Ti essen 799.
Timann 841.
Toff 278.
Toldt 845.
Toyama 857.
Trangott 466.
Trimborn 288.
Troeger 460, 739.
Tronssaiat 884.
Tnbenf 846.
Uhlenhnth 185, 229.
Uhlfelder 868.
Unger 425.
Viedens 568.
Virchow 779.'
Vogel, Gnstay 810.
Vogel, M. 46.
Voges 280, 364.
Voigt 332, 790.
Vollmer 841.
Vorster (B. D. M.) 8, 85.
Voesins 805.
Wagner 289.
Wallenborn 289.
Waliichs 403.
Wanner 861.
Wassmnth 664.
Weber (Sonnenstein) 670,
(B. D. M.) 87, 84.
Weber, A. 741.
Weber 281.
Wegener 433.
Wehmer 774.
Weige 864.
Weiss, Fr. 224.
Weichardt 789.
Weizäcker 586.
Wernicke 779, 714.
Wernitz 744.
Westheimnr 530.
Westpbal 464.
Weygandt 805.
Wiedner (B. Pr. M.) 50,69.
Wilhelmi 345.
Wilmanns 847.
Windeis 715.
Windhänser 483.
Winkel, y. 49.
Winkel 714.
Winkelmann 872.
Winkler 293.
Winternits 42.
Wirseh 420.
Wolf, Kurt 899, 456, 767.
Wolfberg 897.
Wflrz 886.
Zedlits - Trtttachler,
Graf 260.
Zia 429.
Ziehen 712, 769.
Zirolia 280.
Zlocisti 846.
Zweifel 277.
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Qcötiik. Jä?v .müigbtfnx^^'.^^^M^k^''^ ■ 'BkHiV, Xfr, -'l
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i 1 •
Zentralblitt (ir geriebtMe Medizinlind Psychiatrie,
fir ärztliche Saehverständigenthätigkeit io Unfall- und InvaliditatMaehea, sowie
Rr Hygiene, SffeotL Siuitätewesen, Medizioal-Gesetzgebung oo4 Rechtsprechung
Heranegegeben
Ton
Dr. OTTO RAPMÜND,
Reglenugi- and Geb. Mediainalraib in Minden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
laaernte nehmen die Verlagehand Inn g eowie alle Annoeeneoipediklenea dee I»-
nnd Auslände« entgegen«
2
Dr. Georgii.
ist, die vorgelegte Frage in positivem Sinn zu beantworten, ob
nämlich zu einer bestimmten Zeit an einem angeblich gemiss-
brauchten Mädchen unzüchtige Handlungen oder Kohabitations-
versuche vorgenommen wurden oder nicht, selbst wenn nach der
sonstigen Lage des Falles der vollkommen negative Befund
keineswegs etwa vorgekommene Manipulationen zu Gunsten des
Beschuldigten ausschliesst.
Die Litteratur ist arm an Mittheilungen, welche den
klinischen Verlauf derartiger Verletzungen an den Geschlechts¬
teilen kleinerer Mädchen gerade von Anbeginn der Einwirkung
des Traumas an bis zur völligen Ausheilung genauer schildern.
Es dürfte daher gerechtfertigt sein, einen Fall hier bekannt zu
geben, der zwar in Folge seiner Aetiologie nicht Gegenstand
einer gerichtlich - medizinischen Untersuchung wurde, der aber
grosse Aehnlichkeit mit gerichtlichen Fällen zeigt und den aus¬
nahmsweisen Vortheil bietet, dass vom ersten Moment der Ver¬
letzung an die Erscheinungen an den Geschlechtsteilen des frag¬
lichen siebenjährigen Mädchens, die Begleitsymptome, die Heilungs¬
vorgänge und die für eine etwaige gerichtsärztliche Untersuchung
und Begutachtung wichtigen Veränderungen in den einzelnen
Stadien des Heilverlaufs wochenlang genau beobachtet werden
konnte. Aus letzterem Interesse wurde auch von den Eltern
die Erlaubniss erbeten, dass das Kind, so oft als es thunlich
erschien, also weit über die eigentliche, notwendige ärztliche
Behandlungsdauer hinaus, untersucht werden durfte.
Der Fall ist folgender:
Am 10. Oktober 1902, Nachmittage um */»8 Uhr, eiligst wegen starker
Blutung auB den Geschlechtstheilen zu der 7jährigen etwas skrofulös-anaemischen
F. K. gerafen, konnte ich folgendes erheben nnd feststellen: die Kleine wollte
etwa um 1 Uhr nach dem Mittagessen vor dem Hause ihrer Eltern über eine
niedrige, etwa 30 cm hohe Holzbank ohne Lehne springen, blieb mit der einen
Fussspitze hängen und fiel rittlings der Länge nach über die gegenüberliegende
stumpfe Kante des Sitzbretts. Dabei hatte sie so heftige 3chmerzen, dass auf
ihr Geschrei hin die in der Nähe weilende Mutter sofort herbeilief, um zu
sehen, was passirt sei; sie konnte nun wahrnehmen, dass das Hemdchen des
Kindes stark mit frischem Blut besudelt war und bekam dann einen grossen
Sehrecken, als sie bei näherem Zusehen bemerkte, dass das Blut aus den Ge-
schlechtstheilen kam; sie wischte oberflächlich die Gerinnsel mit kaltem Wasser
ab und legte das Kind ins Bett. Um V*3 Uhr meldete dasselbe, dass es wieder
stark blute, worauf ich hergerufen wurde.
Der Befund war folgender: Im Bett befand sioh im Leintuch ein teller-
grosser Blutfleck, noch feucht; das Hemd war vorn unten ausgedehnt nass
blutig; die Innenseiten der Oberschenkel bis herab zu den Knien zeigten theils
angeklebtes Blut, theils Spuren von nicht Bauber weggewischtem Blut.
Die dicht bei einander liegenden Labia majora waren mit frischem Blut
beschmiert und entsprechend der Rima mit einem federkieldicken Blutgerinnsel
leioht verklebt, ferner Blutgerinnsel zwischen den Beinen der Baphe entlang
bis zum Anus. Nach Wegwischen des Blutes an der EpidermiB der grossen
Labien und der weiteren Umgebung nicht die geringste Spur einer Verletzung
(Erosion, Krätzer und dergl.) zu sehen. Nach vorsichtigem Auseinanderfalten
der grossen Labien war der kleine Raum zwischen Foramen hymenaeum und
Clitoris mit wenig frischem flüssigem Blut angefüllt; die beiden medialen
(unteren) Falten der kleinen Labien waren blutig sugillirt und ziemlich stark
gedunsen; der Hymen war unverletzt, halbmondförmig und nur sein oberer
Band einschliesslich dem Orificium externum urethrae wenig geschwollen und
blutig unterlaufen; in dem zum Klaffen gebrachten Introitus vaginae war kein
Heber eine Yerletxnng der äusseren Geschlechtsteile eines 7jähr. Mädchens. 8
Blut, von dn bis mm Frenulum gleichfalls keine Veränderung; ebenso Clitoris
selber sammt Praeputium nicht in Mitleidenschaft gesogen. Nach Abspfilen
mit gekochtem Salzwasser trat ans der Schleimhant des Yestibnlam vaginae
sofort eine relativ heftige parenchymatöse Blutung auf, die sich aus kleinen
unregelmftssig gerinderten Bisschen ergoss. Es wurde mit einem schmalen
Jodoformgazestreifen die ganze sugillirte Gegend tamponirt; die Oberschenkel
wurden mit einem Tuch zusammengebunden.
Am 12. Oktober wurde ich Mittags um 12 Uhr gerufen, weil das Kind
seit dem Unfall, also seit ca. 48 Stunden, auch nach Wegnahme der Jodoform*
gase, keinen Urin lassen konnte und nun heftig Uber Drang und Schmerz zu
klagen hatte. Das Gehen war erschwert, vorsichtig, stark gebückt. Die
Blase stand hoch und reichte fast bis zum Nabel; die Urethralöffnung war ge*
walztet, dunkelroth und mit einem dunklen Blutgerinnsel verklebt, nach dessen
Entfernung das Kind im Sitzen Uber dem Nachtgeschirr auf energisches Zu¬
reden spontan viel Urin schmerzlos entleeren konnte. Die Blutung stand.
Am 17. Oktober zeigten beide grosse Labien, etwa einen Vs cm breit
von der Bima aus, eine leichtbräunliche Verfärbung, herrührend von einge¬
trocknetem Sekret der Yulva, das schwach blutig tingirt war. Dieses Sekret
war im übrigen hell, klar, fadensiehend. Die kleinen Labien und der Urethral¬
wulst dunkelroth und stark succulent; daneben reichliches Sebum zwischen den
Labien; keine Beschwerden im Gehen, keine subjektiven Beizempfindungen
entzündlicher Natur. Beinhaltung, Bleiwasser.
28. Oktober. Immer noch übermässig schleimige Sekretion von klarer
Beschaffenheit und dunkelrothes Aussehen der kleinen Labien.
31. Oktober. Feinste Oberhautabschuppung wie bei Masern an den
grossen Labien im Bereich des oben beschriebenen V* cm breiten bräunlich
verfärbten Saums; dunkelrothe Farbe des oberen Theils der (medialen)
Nymphen. Schleimsekretion verringert.
6. November. Die gedunsene Beschaffenheit der kleinen Labien und der
Urethralöffnung vollständig zurüokgegangen; die dunkelrothe Färbung der
Schleimhaut besteht noch; geringe Succulenz, jedoch stärker als normal.
12. November. Yiel Sebum; sonst Befund unverändert. Beinhaltung.
24. November. Die Schleimhaut zwischen Clitoris und Introitus noch
etwas dunkler gefärbt, als die der nicht mitverletzten Fossa navicularis, welche
die für Kinder gewöhnliche rosarothe Farbe zeigt.
Yom 12. Oktober an war die Kleine vollkommen besohwerdefrei; sie
konnte gehen und springen wie sie wollte ohne jeglichen Klagen.
Klinisch betrachtet, handelte es sich nm eine heftige Quetschung
des ganzen Scheidenvorhofs mit mehrfachen kleinsten, theils ober¬
flächlichen, theils tiefergehenden Gewebstrennungen, welche wieder¬
holte für ein Kind verhältnissmässig recht bedeutende Butungen
aus den kavernösen Venengeflechten der einzelnen Vorhofsgebilde
verursachten. Dazu trat wohl in Folge der stark gequetschten
Schleimhautpartien eine leichte katarrhalische Entzündung, welche
im Verein mit der für Kinder ungewöhnlich verzögerten Rück¬
bildung und Erholung der Quetschwunden — vielleicht trug hierzu
die skrofulöse Disposition des Mädchens das Ihrige bei — wohl
der Grund für die so lange Zeit fortbestehenden objektiv nach¬
weisbaren Veränderungen an den kleinen Labien etc. war, die
auch jetzt noch nicht vollständig zur Norm (rosarote Farbe) zu-
rückgeführt sind.
Unter Beobachtung möglichster Beinhaltung der Theile und
unter geeigneter Behandlung mit Bleiwasserumschlägen blieb es
bei der katarrhalischen Entzündung, ohne dass das Sekret mit
der Zeit eine purulente Beschaffenheit annahm und ohne dass die
Vagina im weiteren Verlauf infizirt wurde.
Ueber eine ähnliche zufällige Verletzung bei kleineren
4
Dt. Noidhardi.
Mädchen wie die geschilderte konnte ich in der mir zur Ver¬
fügung stehenden Litteratur [Casper-Liman and Hofmann
(gerichtliche Medizin), Henoch (Kinderkrankheiten), Tillmanns
(Ohirtigie) and Schröder (Gynäkologie)] keinen gleichen Fall
finden, wohl der beete Beweis für die grosse Seltenheit solch zu¬
fälliger Genitaltraumen im Kindesalter.
Bei Erwachsenen sind derartige an sich scheinbar unbedeu¬
tende Gewebsbeschädigungen häufiger und wegen ihrer lebens¬
gefährlichen Blutungen namentlich in der Geburtshilfe unter dem
Namen der Klapproth’schen Bisse äusserst gefürchtet.
In forensischer Hinsicht hätte der Fall am meisten Aehn-
lichkeit mit einer durch recht brutales Vorgehen bewerkstelligten
Betastung jener Theile mit dem Finger, was bei der ungemeinen
Zartheit und leichten Zerreisslichkeit der kindlichen Gewebe wohl
denselben Effekt erzielt hätte; es fehlten jedoch die für gerichtliche
Fälle unter Umständen so wichtigen Erosionen und Krätzer an
den Labien, was erentuell dffferentialdiagnostisch von Werth
sein kann.
Wie sehr übrigens auch im Publikum bei solchen rein zu¬
fälligen Verletzungen der Gesehlechtstbeile sich der Verdacht sofort
auf ein Sittlichkeitsattentat lenkt, beweist der Umstand, dass die
Mutter des Kindes Anfangs gar nicht an die beschriebene Ent¬
stehung der Verletzung glauben wollte, sondern der festen Ueber-
zeugung war, dass so etwas nur durch Vornahme unzüchtiger,
gewalttätiger Berührungen entstehen könne. Allein die beson¬
deren, genau untersuchten Umstände des Falles schlossen mit
Sicherheit jegliche strafbare Handlung von dritter Seite aus; ein
Glück für den, auf den sich auch nur ein entfernter Verdacht der
Thäterschaft gelenkt hätte.
Üfibar die gerichtsärztliche Begutachtung des Schwach¬
sinns in Strafsachen.
Von Qeriohtsarit Dr. Neidhardt-Altona.
Eine übergeordnete und zugleich präzise und brauchbare
Definition des Schwaohsinnsbegriff zu geben, die den Mediziner
und Juristen gleichmässig befriedigt, ist unmöglich, und zwar des¬
wegen, weil der Mediziner als Kliniker oder Pathologe vom natur¬
wissenschaftlichen Standpunkt aus urtheilt, während der Jurist
gezwungen ist, den Begriff unter den verschiedenen Gesichts¬
winkeln der bestehenden Gesetzesvorschriften zu fassen.
Die mit dem üblichen medizinischen Schwachsinnsbegriff
überhaupt nicht zu identifizirende „Geistesschwäche“ des Bürger¬
lichen Gesetzbuchs hat die Bedingung zu erfüllen, dass der Be¬
troffene ausser Stande sein muss, „seine Angelegenheiten zu be¬
sorgen“, während für den allerdings unausgesprochenen, aber in
der Praxis täglich zur Anwendung gelangenden strafrechtlichen
ftehwachsinnsbegriff (§. 51 Str.-G.-B.) der Ausschluss der Willens-
4 heit das unerlässliche Kriterium bildet.
lieber die geriehtaintliehe Begutachtung des 8ehweohaiaBs ia 8traisMhen. 6
Der gerichtsärztliohe Sachverständige hat eich in der Er¬
füllung seiner Aufgabe, den bestehenden Gesetzesvor-
sehriften in Verbindung mit dem Richter zur Geltung
zo verhelfen, dem juristischen Standpunkt anzupassen.
Wenn sich trotz einer solchen Gemeinschaftlichkeit des
Standpunktes gleichwohl in der Praxis häufig genug noch Meinungs¬
verschiedenheiten nicht nur zwischen Richtern und Sachverständi¬
gen, sondern auch unter den Sachverständigen selbst bezüglich
der Auffassung des Einzelfalles ergeben, so kann diese Erscheinung
nur ihre Erklärung finden in der Schwierigkeit der Abgrenzung
des Schwachsinnsbegriffs nach oben und unten durch allgemein
verständliche, praktisch werthbare Kriterien, d. h. in der Schwierig-
beit der Diagnose überhaupt.
Die nachstehenden Ausführungen haben sich den Versuch
zur Aufgabe gemacht, den strafrechtlichen Schwachsinnsbegriff in
einer für den Strafrichter annehmbaren Umgrenzung zu entwickeln
und zum Verständniss zu bringen.
Die Hauptvorbedingnng hierfür ist, dass der in foro demon-
strirende Gutachter die aufgefundenen Defekte der affektiven
und psychomotorischen Seite des Seelenlebens des Exploranden
zunächst vollständig bei Seite lässt und den Schwachsinnsfell ganz
einseitig unter dem Gesichtswinkel der intellektuellen
Störungen behandelt; denn wenn auch die Störungen im Gebiet
der verstandesmässigen Leistungen keineswegs den Begriff des
Schwachsinns decken und jedenfalls für die kriminelle Entgleisung
des betreffenden Individuums nicht immer die ausschlaggebende
Ursache gewesen sind, so ist doch ihr Vorhandensein die Conditio
sine qua non für den Nachweis des exkulpirenden Schwachsinns.
Man geht dabei am besten von dem Gedanken aus, das
sich bezüglich ihres Intellekts die Menschheit in vier Gruppen
eintheilen lässt, nämlich die Hoch veranlagten, die mässig Begab¬
ten, die Schwachsinnigen und die Idioten. Zu der ersten Gruppe
gehören, wenn man weiter theilen will, was unter Umständen,
zum Beispiel für die Abzweigung der Degenerirten (der Minder-
werthigenj, von Werth sein kann, die Genies, die klugen Menschen
und die normalen Durchschnittsköpfe, zur zweiten Gruppe die
minder Begabten und die Beschränkten. Eine Theilung innerhalb
der dritten und vierten Gruppe hat keinen praktischen Werth.
Mit den Beschränkten schneidet die Gesundheit
ab, bei den Schwachsinnigen beginnen die krank¬
haften Störungen der Geistesthätigkeit. Zwischen
beiden steht der §. 51 Str.-Ges.-B.
Anatomisch gedacht unterscheiden sich diese vier Gruppen
durch die Höhe der Anzahl der vorhandenen Ganglienzellen in
der Hirnrinde und durch die Mannigfaltigkeit der Assoziations-
fesera derselben, die Anzahl ihrer Anastomosen, ihrer Verbindungen
unter einander; je weniger Ganglienzellen vorhanden sind, und je
weniger mannigfelltig die Verbindung derselben unter einander
ist, desto tiefer steigt das Individuum auf der Stufenleiter des
Intellekts hinab. Die erste und zweite Gruppe unterscheidet sich
6
Dr. Neidhardt.
wesentlich dadurch, dass bei annähernd gleichem Reichthum an
Vorstellungsdepöts (Ganglienzellen) die Mässigbegabten dürftigere
und ungenügendere Verbindungen (Assoziationsfasern) dieser De-
pöts unter einander besitzen, als die Normalbegabten; sie können
gewissermassen häufig nur auf Umwegen an die einzelnen Vor¬
stellungen heran und haben daher, wie man sagt, „langsame
Leitung“.
Von den Mässigbegabten unterscheiden sich die Schwach¬
sinnigen — ich spreche natürlich stets von erwachsenen Individuen —
der Hauptsache nach durch ihre Armuth an Ganglienzellen; sie
haben nur wenig Vorstellungsdepöts, ihr Vorstellungsinhalt ist
dürftig und unzureichend. Die Idioten, die übrigens forensisch
keine Schwierigkeiten machen, haben noch weniger Ganglienzellen
und dieselben ausserdem auch noch schlecht verbunden.
Der klinische Unterschied besteht, abgesehen von der von
oben nach unten allmählich abnehmenden Reizbarkeit- und Re¬
aktionsfähigkeit des psychischen Organs überhaupt, der Haupt¬
sache nach in der grösseren oder geringeren Fähigkeit, den Vor¬
stellungsinhalt zu ordnen und zu gruppiren.
Der Hochbegabte verarbeitet seine Wahrnehmungen rasch
zu Vorstellungen und bringt jede einzelne Vorstellung — grob
mechanisch gedacht — sofort an den richtigen Platz, in die
richtige Rubrik. Eine Anzahl gleichwerthiger Vorstellungen schliesst
er zusammen und registrirt sie gemeinsam unter die Begriffe; die
Begriffe selbst werden in die Schubläden der Urtheile eingeordnet,
und diese sind wieder nach Lehrsätzen, allgemeinen Wahrheiten,
höheren Gesichtspunkten u. s. w. eingetheilt, die schliesslich, wenig¬
stens zum Theil, nach ethischen Vorstellungen;und Empfindungen
gruppirt werden.
Das Ganze aber wird zusammengefasst von dem Bewusst¬
sein, dass mit jeder Instanz, sowohl mit den übergeordneten
Instanzen, als auch mit jeder Einzelvorstellung in direkter
Verbindung steht, und im Stande ist, einerseits jede Vorstellung,
die es zur Vorbereitung eines Entschlusses oder sonstwie gebraucht,
willkürlich und momentan seinem ruhenden Vorstellungs¬
schatz zu entnehmen und an richtiger Stelle zu verwenden,
anderseits alle, aus der Tiefe des unbewussten Seelenlebens auf¬
steigenden und andrängenden Vorstellungen und Vorstellungs¬
gruppen willkürlich zurückhalten oder nach natürlichen lo¬
gischen Gesetzen geordnet durchzulassen.
Der „Normalbegabte thut sich also leicht“. Erarbeitet
zunächst deduktiv. Tritt eine neue Vorstellung an ihn heran, so
durchläuft diese mit Blitzesschnelle alle Instanzen, bis sie an das
richtige Fach gelangt; trifft sie hier nur auf Gegenvorstellungen,
so wird das Fach noch einmal durchmustert, und lässt sich die
Vorstellung weder hier, noch in einem Nebenfach unterbringen, so
wird ein neuer Begriff gebildet; — eine Erschütterung der ge-
sammten Registratur durch eine oder mehrere neue Vorstellungen
ist jedoch nicht möglich; dazu ist der ganze Wohnungsbau der
Vorstellungen zu gross, zu weit und zu hoch.
Ueber di« gerichto&Tztliehe Begutachtung des Schwachsinns in Strafsachen. 7
Der Normalbegabte arbeitet aber anch induktiv. Steht er
vor einem Entschluss, der von der Aussenwelt gefordert wird, so
öffnet er die Schleusen seines unbewussten Seelenlebens, und jetzt
ergiesst sich ein Strom von früher versenkten oder auch assoziativ
entstandenen Vorstellungen, befruchtend, anregend, belebend und
zugleich wohl geordnet durch die vorhandene Registratur — sit
venia verbo — in den Vordergrund des Bewusstseins, dergestalt,
dass es ihm leicht wird, aus der Fülle des Vorstellungsmaterials
das herauszunehmen, was er gebraucht.
Anders bei den Minderbegabten und Beschränkten.
Auch diese haben ihren Besitz an Vorstellungen wohl geordnet
zu Allgemeinvorstellungen, Begriffen, Urtheilen und Lehrsätzen.
Auch die Gewinnung gewisser übergeordneter Gesichtspunkte
und allgemeiner Wahrheiten macht ihnen in der gleich-
mässigen Thätigkeit des täglichen Lebens und in engem
Wirkungskreis keine erheblichen Schwierigkeiten; sie verbrennen
sich zwar öfter die Finger wie die Hochbegabten; aber schliess¬
lich sammeln sie sich doch eine ganze Reihe von Erfahrungs¬
sätzen, die sie in der Ruhe als ausreichende Direktiven verwenden
können. Gleichwohl ist ihre Vorstellungsregistratur nicht in voll¬
ständiger Ordnung; mancher Begriff und manches Urtheil liegt
an falscher Stelle; auch ist die Eintheilung nach allgemein
gültigen übergeordneten Standpunkten nicht durch¬
geführt; zugleich fliesst die Quelle der Vorstellungen und
Gegenvorstellungen aus ihrem unbewussten Seelenleben nur dürftig.
Kommt daher etwas Plötzliches, Unvorhergesehenes an sie heran,
das zu rascher Entscheidung drängt, so können sie sich nicht
schnell fassen, sich nicht besinnen, nicht den richtigen Standpunkt
gewinnen; sie werden vielmehr verwirrt und unruhig und handeln
schliesslich ohne die richtige und ausreichende Ueberlegung. In
srafrechtlicher Beziehung finden die Beschränkten allerdings
meistens einen starken Rückhalt an ihren gewöhnlich gut funk¬
tionierenden moralischen Hemmungen; vor zivilrechtlichem Schaden
werden sie durch diese Stütze ihrer Ueberlegung nicht bewahrt.
Der Beschränkte wird also im Allgemeinen — in der Ruhe stets
— zivilrechtlich handlungsfähig und strafrechtlich verantwortlich
sein. Er ist im Stande, eine Schuld auf sich zu laden,
weil er wider besseres Wissen und Gewissen handeln
kann. Er ist noch selbstständig sozial brauchbar.
Der Intellekt des Schwachsinnigen hört mit der
Begriffsbildung auf; seine Urteilsfähigkeit wird auch in der
Ruhe schon unzulänglich. Wohl kann er Wahrnehmungen
machen und die Wahrnehmungen zu Vorstellungen umlegen, auch
noch aus Vorstellungen Allgemeinvorstellungen und einfache Be¬
griffe bilden, die freie Verwendung aber der Begriffe zu selbst¬
ständigen Urtheilen ist ihm nur noch mehr für die einfach¬
sten Sachen möglich, zu allgemeinen Wahrheiten ringt er
sich nicht mehr durch, theils weil es ihm an zureichenden Vor¬
stellungen überhaupt fehlt, v theils wegen der ungenügenden Ver¬
bindungen dieser Vorstellungen untereinander. Beim Schwach-
8
Dt. Nei4fa*rdt.
sinnigen geht die logische Ordnung des Vorstellungsdepftte bedenklich
in die Brüche; er reiht die neu aufgenommenen Vorstellungen neben
einander und nicht mehr oder wenigstens unzulänglich unter ein¬
ander ein, weil er die übergeordneten Oedankenreihen nicht mehr
finden kann. Sein unbewusstes Seelenleben ist steril oder jeden¬
falls sehr dürftig und deswegen kann er auch die entsprechenden
Gegenvorstellungen nicht finden; es versagt also seine „in¬
tellektuelle Hemmung* und deshalb ist die Freiheit
seiner Willensbestimmung ausgeschlossen. Ist doch
der Wille im Grunde genommen nichts anderes als eine ein¬
zige, aus dem Assoziationsprozess gewonnene Vorstellung von
besonderer Klarheit und Betonung, die ihrerseits wieder
Vorstellungen erzeugt.
Der Assoziationsprozess ist aber der Kampf zwischen den
zur Handlung drängenden und den die Unterlassung derselben
fordernden Vorstellungen und Gefühle. Der Wille stellt den Sieg
der einen Partei dar und wird als etwas Entscheidendes empfunden.
Den Anstoss zum Assoziationsprozess giebt ein Beiz, der sich
zusammensetzt aus einer auslösenden Vorstellung — (einer äusseren
Sinneswahrnehmung oder einer inneren Denkvorstellung) — und
dem sie begleitenden Gefühl oder Trieb (Motiv). Der intellek¬
tuelle Theil des zwischen diesem primären Beiz und der schliess¬
lich resultirenden, die Handlung auslösenden Bewegung liegenden
Assoziationsprozesses, die Erwägung des Pro und Contra, ist
die Ueberlegung.
Bei dem Schwachsinnigen versagt dieser Assoziationsprozess,
weil der Unterbau fehlt, die geordnete Begistratur und das auf
das Zustandekommen der Gegenvorstellungen befruchtend ein-
witkende unbewusste Seelenleben. Der Schwachsinnige ist also
zu einer geordneten ausreichenden Ueberlegung nicht
im Stande und deshalb urtheilsunfähig.
Der Idiot kann auch keine einfachen Begriffe mehr bilden,
bei ihm wird alles mehr und mehr instinktiv.
Der Richtigkeit dieses Gedankenganges wird sich der ver¬
ständige Richter nicht verschliessen können und es wird jezt nur
darauf ankommen, den zur Beurtheilung stehenden Fall
an rechter Stelle einzureihen.
Zu dem Zweck thut man gut, zunächst differential-
diagnostisch den Nachweis zu bringen, dass der Untersuchte nicht
zu den Beschränkten gehört, weil er bislang selbstständig
sozial unbrauchbar war. Die soziale Brauchbarkeit
des Beschränkten ist der fundamentale Unterschied
gegenüber dem Schwachsinnigen.
Dieser Nachweis ist durch die Anamnese zu beschaffen«
Man wird sich daher die Mühe nicht verdriessen lassen müssen,
eine sehr genaue Anamnese aufzunehmen und zwar durch schrift¬
liche Erkundigungen bei dem Lehrer, Pastor, Dienstherrn, Orts-
versteher, den Verwandten, Bekannten u. s. j w. des Betreffenden
oder noch besser durch persönliche Erkundigungen und
Ueber di« gorfahtstntliehe BegutMhtung des SohwaebsiuBs in 8tiafsMhen. 9
«ine zu dem Zweck zu unternehmende kleine Reise nicht scheuen
müssen. Ergiebt sich dabei, dass Explorand bislang im Stande
war, sich in selbstständiger Arbeit seinen regelmässigen
Lebensunterhalt zu verdienen, so ist er sicher nicht Schwach¬
sinn nig; denn die selbstständige soziale Brauchbarkeit setzt
voraus ein unverkümmertes unbewusstes Seelenleben und eine zu¬
längliche Urteilsfähigkeit. Das unbewusste Seelenleben übt, wie
ich schon angedeutet habe, einen weitaus grösseren Einfluss auf
die geistige Individualität und soziale Brauchbarkeit des Menschen
aus, wie man annimmt; aus ihm steigen die befruchtenden Ideen
und die treibenden Impulse auf; wo es verkümmert ist, da setzt
die soziale Unbrauchbarkeit ein. Dieselbe erfährt eine
Verschärfung, wenn auch die Urtheilsfähigkeit, d. h. also
die Fähigkeit, den vorhandenen Vorstellungsinhalt äusseren und
inneren Vorgängen, Dingen, Personen und Geschehnissen gegen¬
über so zu ordnen, dass die Beurteilung dieser Vorgänge, wenig¬
stens im Sinne des Erwerbes, möglich ist, unzulänglich wird.
Die klinischen Aequivalente dieser beiden grundlegenden Faktoren
der sozialen Brauchbarkeit sind als Produkt eines ungestörten
Assoziationsvorganges der eigene Wille und als Resultat der
begrifflichen Ordnung der assoziativ gewonnenen Vorstellungen —
das eigene Urtheil — und weil diese beiden Hauptkompo¬
nenten der Vollsinnigkeit — der eigene Wille und die
eigene Meinung — dem Schwachsinnigen fehlen, so ist er selbst¬
ständig sozial unbrauchbar, d. h. er ist geschäftlich unfähig,
zu kombiniren oder zu produziren; es fehlt ihm an inneren Im¬
pulsen, an Streben, an Spontaneität und Initiative, an der Ver-
werthungsfähigkeit etwaiger rudimentärer intellektueller Impulse,
an Intelligenz überhaupt. Er schiebt nicht, sondern er muss ge¬
schoben werden; er ist daher auch nicht zum Herrn geboren und
kann es, wenn er als solcher geboren ist, nicht bleiben, er kann
nur Knecht sein; seine sozialen Wege weisen stets nach unten;
sich selbst überlassen, endet er mit zwingender Noth-
wendigkeit in Nothund Elend.
Der anamnestische Nachweis einer nicht vorget&uschten
selbstständigen sozialen Brauchbankeit schliesst also den Schwach¬
sinn sicher aus. Umgekehrt ist dieser Satz jedoch nicht richtig.
Wer sich als selbstständig sozial unbrauchbar erweist, braucht
nicht jedesmal schwachsinnig zu sein, er kann auch charakterlos
und alkoholverkommen sein oder zu den zuweilen einseitig hoch-
begabten, intelligenten Degenerirten, den psychopathigen Minder-
werthigen gehören. Die intelligenten Degenerirten unterstehen
keineswegs generell dem Schutz des §. 51, wenn sie auch häufig
genug partiell unzurechnungsfähig sind.
Mit dem Nachweis der selbstständigen sozialen Brauchbar¬
keit kann sich also der Gutachter, wenn sie ihm einwandfrei ge¬
lingt, begnügen, nicht aber mit dem Nachweis der selbstständigen
sozialen Unbrauchbarkeit. Ausserdem hat die Diagnose per exclu-
sionem etwas Negatives: der Richter ist Positivist; er will nicht
allein wissen, warum der Explorand nicht vollsinnig oder nich*
10
Dr. Neidhardt.
beschränkt ist, sondern auch, aus welchem Grunde gerade
Schwachsinn vorliegt. Deshalb muss der Gutachter des
weiteren auf die Organisation des Schwachsinnigen eingehen
und dessen Armuth an Ganglienzellen und die Dürftig¬
keit ihrer assoziativen Verbindungen wahrscheinlich
machen. Dies geschieht zunächst wieder anamnestisch durch
den Hinweis auf die verlangsamte geistige Entwickelung des
Schwachsinnigen, deren Erscheinungen ja allgemein bekannt sind,
anf seine Ungelehrigkeit in der Schule, in der Bibelstunde, in der
Lehre u. s. w., im Status praesens durch Hervorheben der
etwa vorhandenen körperlichen Entwickelungshemmungen, Inner¬
vationsstörungen und Degenerationszeichen (falls es sich um einen
schwachsinnigen Degenerirten handelt, was sehr häufig der Fall
ist), sowie insbesondere durch Hinweis auf den Umstand, dass der
Schwachsinnige, abgesehen von den Dressurresultaten der Schule,
der Lehr- und Militärzeit, bislang nicht im Stande gewesen ist,
selbstständig etwas hinzuznlernen, seinen Gesichts¬
kreis zu erweitern, Neues in sich aufzunehmen.
Die körperlichen Entwickelnngshemmungen und
Innervationsstörungen haben natürlich nur insoweit Werth, als sie
den Ansdruck eines mangelhaft organisirten Gehirns bilden; ins¬
besondere gilt dies also znm Beispiel von halbseitigen oder ander¬
weitigen trophischen Störungen und von paretischen Erscheinungen
im Gebiete der Gehiranerven. Da die Degenerationszeichen ge-
wissermassen periphere Signale zentraler Ernährungs¬
störungen sind, so trägt ihre Feststellung dazu bei, den Richter
aufzuklären und zu überzeugen, insofern sie ihm als sinnlich wahr¬
nehmbare Projektionen von Verkümmerungsprozessen
in den somatischen Abschnitten des Zentralorgans den Schluss
auf das muthmas8liche Vorhandensein ähnlicher Störungen in den
psychischen Hirnzentren plausibel erscheinen lassen.
Der Nachweis, dass der Schwachsinnige in seinem späteren
Leben selbstständig nichts hinzugelernt hat, wird am besten
durch seine Unorientirtheit über allgemeine bürgerliche Ver¬
hältnisse erbracht, durch 77 die Enge seines Gesichtskreises
— und das Fehlen allgemeiner Interessen. Dieser Nach¬
weis deckt sich keineswegs mit einer Gedächtnissprüfung im
landläufigen Sinn.
Das Gedächtniss ist die Summe der Erinnerungsbilder von
einmal Gemerktem, setzt sich also aus der Merkfähigkeit und Er¬
innerungsfähigkeit zusammen. Die einfache Erinnerungsfähigkeit,
d. h. also die Produktion von einmal Gemerktem, ist bei dem
Schwachsinnigen keineswegs gestört, weil er sich das, was er
überhaupt gemerkt hat, in der Regel gründlich einprägt, und kein
Grund vorhanden ist zu der Annahme, dass dieselben Bahnen, auf
denen die Erinnerungsbilder in das Gedächtniss hineingetragen
sind, rückläufig nicht benutzbar sein sollten. Von eigentlicher
Gedächtnissschwäche im Sinne einer ungenügenden Er¬
innerungsfähigkeit kann also bei einem Schwachsinnigen (logischer
Weise) für gewöhnlich nicht die Rede sein. Und doch prüft der
Deber die geriohtaftrstliehe Begutachtnng des Schwachsinns in Strafsachen. 11
Richter, der sich zum Beispiel in Entmttndigungsterminen kühn
an die Diagnose des Schwachsinns heranwagt, jedesmal fast aus¬
schliesslich die Erinnerungsfähigkeit, indem er nach Daten, Zahlen
oder nach Geboten, Bibelsprüchen, grammatikalischen Hegeln and
dergleichen fragt, am dann fast ebenso regelmässig za dem Schluss
za kommen, dass der Explorand ein ausgezeichnetes Gedächtniss
habe. Er übersieht dabei, dass das einfache Wiedererinnern von
Gemerktem keineswegs den Begriff des menschlichen Gedächtnisses
deckt. Das einfache Wiedererinnem von einmal Gemerktem, d. h.
ein mechanisches Gedächtniss findet sich auch bei den
Thieren. Das mechanische Gedächtniss ist um so besser, je mehr
vorher gepankt, je mehr Dressur vorausgegangen ist. Die Fest¬
stellung eines guten Gedächtnisses in diesem Sinne beweist also
höchstens, dass der Explorand eine gute Schulbildung genossen
hat, dass Eltern und Lehrer sich keine Mühe haben verdriessen
lassen. Will man auf das Gedächtniss eines Schwachsinnigen
überhaupt Gewicht legen, so muss man den Umfang, die Kontinuität
und die Erweiterungsfähigkelt, das Hekonstruktionsvermögen und
die logische Ordnung seines Gedächtnisses prüfen und da wird
man sehr bald erhebliche Abweichungen von dem normalen Durch-
schnittsgedächtniss feststellen können, weil die zweite Gedächtniss-
komponente, die Merkfahigkeit, beim Schwachsinnigen regelmässig
Schaden gelitten hat.
Die geschädigte Merkfähigkeit ist zugleich die Erklärung
für die Dürftigkeit seines Vorstellungsinhaltes überhaupt, für
die Frage nach dem Umfang seines Gesichtskreises und dem
Fehlen allgemeiner Interessen. Eine normale Merkfähigkeit, d. h.
also die Fähigkeit, etwas zu merken und sich etwas zu
merken, setzt — abgesehen von gesunden Sinnesorganen und ge¬
sunden Sinnesleitungsbahnen — voraus einmal die Fähigkeit,
Wahrnehmungen in Vorstellungen umzulegen und diese Vor¬
stellungen in den dafür vorhandenen differentiirungsfähigen Gang¬
lienzellen festzuhalten, und zum andern eine stete Aufmerksam¬
keit, d. h. ein fortgesetztes Verknüpfthalten entsprechender
Abschnitte seines Vorstellungsinhalts mit den Vorgängen der
Aussenwelt (Interessirtheit).
Dem Schwachsinnigen gebricht es vor allem an dieser Auf¬
merksamkeit. Schon als Kind hat er für nichts oder doch für
weniges Interesse, weil die Vorgänge der Aussenwelt in seinem,
in Folge der Mangelhaftigkeit der Organisation seines Gehirns
von vornherein dürftigen Seelenleben keinen Widerhall finden;
während der Schul-, Lehr- und Militärzeit erfährt seine Aufmerk¬
samkeit allerdings eine gewisse Schärfung, der fremde Wille
giebt seinem lose geknöpften Vorstellungsinhalte eine bestimmte
Richtung, wie der Magnet den kleinsten Theilen eines Eisen¬
stabes, und während der Dauer dieser fremdgewollten Aufmerk¬
samkeit nimmt er eine Reihe von Vorstellungen auf, die er, soweit
sie einigermassen verbreiteten Boden vorfinden, auch festhält:
ausserhalb dieses Zwangs Verhältnisses aber merkt er und merkt
er sich spontan nur wenig; er merkt zum Beispiel vor allem
12
Dr. Neidhardt.
nicht, dass seine Kameraden ihn necken, hänseln und aufeiehen,
solange er keine Unlustgefühle empfindet, und kümmert sich nur
um das, was ihm keine Unbequemlichkeiten verursacht. So er¬
klärt es sich, dass er späterhin, sich selbst überlassen, nichts
Wesentliches mehr hinzulernt und ungefähr auf dem Standpunkt
seiner Lehrjahre stehen bleibt.
Daher ist der Explorand, der sich über allgemeine bürger¬
liche Verhältnisse im Wesentlichen orientirt zeigt, der
einen Einblick in die Ordnung unseres Staatslebens hat, sicher
nicht schwachsinnig. Umgekehrt aber hat auch dieser Satz
keine Richtigkeit. Wer sich in dieser Beziehung nicht allgemein
orientirt zeigt in seinen erwachsenen Jahren, braucht noch lange
nicht schwachsinnig zu sein; man stösst bei der Aufnahme des
positiven Wissens auch bei im übrigen vollsinnigen Menschen oft
genug auf erschreckende Lücken. Deswegen soll man mit der
Verwendung des Symptoms der Dürftigkeit des Vorstellungsinhalts
für die Schwachsinnsdiagnose recht vorsichtig sein. Wichtiger
als das Wissen selbst ist der Nachweis der Unfähigkeit des
Exploranden, sich solches zu erwerben.
Wo energische Bildungsversuche nachweislich vorausgegangen
sind, mag an der Hand des gegenwärtigen Wissenstandes der
Hinweis auf das Scheitern dieser Versuche genügen; in allen an¬
dern Fällen ist es die Pflicht des Gutachters, das zweite Symp¬
tom des Schwachsinns, die Unzulänglichkeit der assoziativen
Verbindung der vorhandenen Vorstellungen beweislich
zu unterlegen. Dies geschieht — abgesehen von dem Hinweis
auf seine soziale Unbrauchbarkeit — zum Zwecke der Demonstra¬
tion am besten dadurch, dass man den Exploranden rechnen lässt
oder ihn veranlasst, eine Schilderung zu geben.
Was zunächst die Fähigkeit der rechnerischen Ver¬
knüpfung einfachster Zahlenvorstellungen angeht, so scheitert die
Mehrzahl der Schwachsinnigen am Subtrahiren und Dividiren,
während ihnen das Addiren und Multipliziren geläufig bleibt; zu¬
gleich bleibt die Unfähigkeit, längere Aufgaben, wie zum Beispiel
3 -f- 9 + 7 -j- 18 + 18 — 13 = P zu lösen, einen Beleg für
die herabgesetzte Merkfähigkeit des Kranken. Der Beschränkte
wird in der Regel im Stande sein, eine solche einfache Aufgabe
im Kopf zu rechnen.
Aehnlich verhält es sich mit den Schilderungen. Wer
im Stande ist, in beredten Worten fliessend eine lebhafte, in sich
geschlossene Schilderung seiner Streit- und Strafsache zu geben,
mag anderweitig geisteskrank sein, schwachsinnig aber ist
er sicher nicht. Dem Schwachsinnigen fliessen in den meisten
Fällen die Worte nicht zu; er braucht eine gewisse Zeit, um von
einer Vorstellung auf die andere zu kommen; ihm fehlen die un¬
vermittelten Uebergänge zwischen den einzelnen Gedankenreihen;
er ist träge und denkt träge, aber er bringt, wenn auch um¬
ständlich oder umschweifig, schliesslich doch — im Gegensatz
zum Idioten — eine einfache Schilderung zu Wege. Spontan
schildert der Schwachsinnige jedoch nie, höchstens unter Alkohol;
Uebcr die geriehttftritliche Begntachtnag de* Schwachsinne in Strafeachen. 13
lieber lässt er sich fragen und durch Fragen seinen schwer¬
fälligen Vorstellungsablauf dirigiren.
Etwas anders verhält sich der erst in späteren Jahren
erworbeneSchwachsinn, der nicht ein psychisches Stillstehen,
wie der angeborene Schwachsinn, sondern ein seelisches Zurück¬
gehen bedeutet, insofern der ehemals gesund und vollzählig
gewesene Ganglienzellenbestand gewissermassen schwundartig an
Umfang und innerem Zusammenhang eingebüsst hat. Dabei bleibt
solchen Schwachsinnigen aus der Zeit ihres gesunden oder jeden¬
falls r&stigeren Geisteslebens zunächst noch eine Menge assoziativ
gut verbundenen Vorstellungs- und Gedächtnissmaterials erhalten,
dass sie häufig in demonstrativer und grosssprecherischer Weise
wie ein gerettetes Prunkstück zur Schau tragen, und das wie
eine alte Säule aus der Pracht und Herrlichkeit des ehemaligen
Geistesreichthums noch achtunggebietend in die Zeit des geistigen
Niederganges hineinragt. Solche Kranke werden also mit ihrem
durchlöcherten psychischen Organ und den stehengebliebenen
Intelligenzinseln dem Beobachter ein eigenartiges Gemisch
von normaler Intelligenz und Blödsinn bieten, aber je nach dem
Sitz der Angriffspunkte der Grundkrankheit und ihrem Stadium unter
Umständen sehr wohl im Stande sein können, geläufig zu rechnen und
eine lebhafte Schilderung zu geben. Wird die Situation nicht
ohne Weiteres durch die Art der Grundkrankheit erhellt, so kann
die Frühdiagnose des späterworbenen Schwachsinns
auf grosse Schwierigkeiten stossen — ich denke z. B. an die zum
Blödsinn führenden Uebergangsformen des Schwachsinns nach
multipler Sklerose, Bulbärparalyse u. s. w. Die Zerfahrenheit,
Vergesslichkeit, Zerstreutheit u. s. w. des Kranken fällt auf, aber
der Nachweis psychischer Elementarstörungen gelingt bei dem
hochkomplizirten Mechanismus des psychischen Organs sobald
noch nicht. In allen diesen Fällen müssen wir uns wieder an
den äusseren Effekt, die soziale Insuffizienz halten — und
zwar ist die beginnende soziale Insuffizienz — wie sie z. B. im
Zur&ckgehen des Geschäfts, in der mangelhaften Buchführung
u. s. w. zum Ansdruck kommt, ein weitaus feineres Beagenz
auf den erworbenen Spätschwachsinn, als die nicht
eingetretene soziale Brauchbarkeit auf den angeborenen Früh¬
schwachsinn.
Das sicherste und stets vorhandene Symptom des Schwach¬
sinns bleibt die Unzulänglichkeit der Urtheilsfähigkeit.
Das Urtheil ist das Ergebniss des Vergleichs der Beziehungen
der Dinge n. s. w. zu einander und zu der eigenen Person. Wer
die Dinge n. s. w. subjektiv und objektiv richtig ein¬
schätzt, ist urtheilsfähig und sozial brauchbar.
Die Urtheilsbildung setzt demnach die Fähigkeit voraus,
aus einer hinreichenden Anzahl vorhandener, unter einander wohl
verbundener Begriffe das Gemeinsame herauszufinden; sie be¬
ruht also im Wesentlichen auf der Fähigkeit zu abstrahiren, und
diese Fähigkeit des Abstrahirens fehlt dem Schwach¬
sinnigen. Es geht ihm mit der Urtheilsbildung gerade wie
14 Dr. Neidhardt: Ueber die gerichteftrstliche Begutachtung u. s. w.
mit dem Rechnen; er kann addiren und multipliziren, aber divi-
diren und subtrahiren kann er nicht; ebenso ist er wohl im Stande,
synthetisch aus Allgemeinvorstellungen Begriffe aufzubauen,
aber rückwärtsdenken, abstrahiren und definiren kann er
nicht. Er kennt das „wer“ und „was“, aber nicht das „weil“
und „warum“.
Er kennt z. B. einen Tisch, Stuhl und Schrank, aber er
kann nicht sagen, was ein Tisch, Stuhl oder Schrank ist. Er
kennt einen Fichtenbaum, eine Bose und Petersilie, aber er kann
nicht sagen, was eine Pflanze ist. Allerdings muBS man mit der
Feststellung der Unfähigkeit zu definiren für die Verwendung der
Schwachsinnsdiagnose etwas vorsichtig sein; denn man wird finden,
dass häufig auch vollsinnige Menschen in derartigen kleinen all¬
gemeinen Denkoperationen sehr ungewandt sind. Sicherer ist es,
die Feststellung der Unfähigkeit zu abstrahiren und sich be¬
treffs der Unzulänglichkeit der Urtheilsbildung auf den Inter¬
essenkreis des Exploranten zu beschränken. Man wird also
z. B. einen Landbewohner nach dem Nutzen und Zweck der ein¬
zelnen landwirtschaftlichen Arbeiten, nach dem Werth und der
Güte der benachbarten Betriebe u. s. w. fragen müssen, um ein
sicheres Urtheil über dessen Urtheilsunzulässigkeit, seinem Mangel
an höherem Orientirungsvermögen zu gewinnen; — mit dem
schwachsinnigen Kaufmann wird man sich über geschäftliche
Sachen unterhalten müssen, um ihn auf Urtheilsmängel festnageln
zu können. In Zivilsachen wird vielfach der Streitgegenstand
selbst, die von einem Mangel an jeglichem Ueberblick zeugende
Uebernahme einer ganz faulen Bürgschaft, die Blödsinnigkeit
eines abgeschlossenen Geschäftes, das fortgesetzte Uebervortheilt-
und Hineingelegtwerden des Betreffenden u. a. mehr, genügendes
Material zum Nachweis der Urtheilsunzulänglichkeit abgeben. In
Strafsachen thut der Sachverständige gut, die Straftat selbst
thunlichst ausserhalb der Diskussion zu lassen; er wird vielmehr
nach analogen Vorgängen, nach ähnlichen Handlungen und
Aeus8erungen suchen, die über den Mangel an Uebersicht und
Einsicht des Beschuldigten keinen Zweifel lassen. Auch die
automatische Wiederholung immer desselben Tricks, die bei den
einzelnen Strafthaten bekundete Unbedachtsamkeit, Unbesorgtheit,
Harmlosigkeit, die leichte Bestimmbarkeit durch augenblickliche
Eingebung oder durch andere wird sich für den Nachweis des
Mangels an Kritik verwerthen lassen.
Jedenfalls ist die Feststellung der Urtheilsunzuläng¬
lichkeit die Hauptaufgabe des {Sachverständigen bei der
Diagnose des intellektuellen Schwachsinns.
Trotz Erfüllung dieser Hauptaufgabe darf der Sachver¬
ständige nicht vergessen, dass die Grundlage jedes psychiatrischen
Gutachtens die Erkenntnis der Gesammtpersönlichkeit
ist. Die wissenschaftliche Diagnose ist erst dann vollständig,
wenn zu den reinen Intellegenzstörungen, — die natürlich nie¬
mals isolirt dastehen —, auch die gemüthliche und psycho¬
motorische Seite des Seelenlebens des Exploranden stimmt,
Di. Nebler: Heber die Anaffihnu>g ton Desinfektionen in lftndJ. Kreisen. 15
wenn sich zu der gesammten psychischen Persönlichkeit auch die
körperliche Erscheinungsweise in Einklang bringen lässt,
und schliesslich das ganze gegenwärtige Bild durch das Vor¬
leben als eine Probe auf das Exempel gedeckt wird. Durch
eine solche, in sich geschlossene Diagnose wird zugleich am besten
dem Einwand der Anfechtbarkeit des Gutachtens auf Grund der
Verwendung unbeeidigter Zeugenaussagen begegnet.
Die Abgrenzung des Schwachsinns gegenüber der
Idiotie, dem Blödsinn, ist für die strafrechtliche Praxis belanglos.
Es ist aber wichtig, die Unterschiede zu kennen, weil unter Ver¬
wechslung der Begriffe des Schwachsinns und Blödsinns zuweilen
der Einwand gemacht wird, dass der Explorand gar nicht schwach¬
sinnig sei, da er sehr wohl im Stande sei, Wahrnehmungen
zu machen. Demgegenüber ist festzustellen, dass das Aufhören
der Fähigkeit, Wahrnehmungen zu machen und zu Vorstellungen
und Begriffen zu verarbeiten keineswegs ein Schwachsinnszeichen
darstellt, sondern in das Gebiet des Blödsinns gehört, und dass
die Schwachsinnsdiagnose von diesem Sypmptom nicht abhängig
gemacht werden kann. Im Uebrigen ist das wesentlichste Unter¬
scheidungsmerkmal wieder die soziale Brauchbarkeit. Der Schwach¬
sinnige kann in unselbstständiger, dienender Stellung
und unter fremdem Willen mit einiger Anleitung noch sehr
wohl seinen Unterhalt verdienen, der Idiot ist absolut abhängig
von der öffentlichen Fürsorge.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass der Sachver¬
ständige mit dem vorstehend umgrenzten Begriff des interlek-
tuellen Schwachsinns im Allgemeinen — wie ich hier und
da schon angedeutet habe — auch in Zivilsachen auskommen
wird, zum Beispiel bei der Feststellung der Geschäftsunfähigkeit
eines Individuums (§. 104 B.-G.-B.).
Dagegen darf er sich für berechtigt halten, die Geistes¬
schwäche des §. 6 B.-G.-B. als Erforderniss der Entmündigungs¬
möglichkeit unter Umständen erheblich weiter zu fassen.
Eine medizinische Definition dieses aus rein juristischen Bedürf¬
nissen herausgewachsenen, ganz generellen Schwachsinns-
Begriffes zur Deckung der Unfähigkeit eines Individuums seine
Angelegenheiten zu ordnen, lässt sich überhaupt nicht geben.
Ueber die Ausführung von Desinfektionen in ländlichen
Kreisen.
Von Kreisarzt Dr. Ne bl er in Nimptseh i/Schles.
Bei der Lektüre eines Aufsatzes „Die Aufgaben der Des¬
infektion und ihre Durchführung" von Geh. Ober-Med-Bath Prof.
Dr. Kirchner (Aerztl. Sachverständigen - Zeitung Nr. 17) und
einer sehr ausführlichen instruktiven Arbeit des Direktors des
bakteriologischen Laboratoriums zu Cöln, Dr. Czaplewski, über
Entwicklung und Ausführung der Desinfektionen in Cöln, ver¬
öffentlicht in der „Deutschen Praxis“, kam mir der Gedanke, es
16
Dr. Nobler.
möchte nicht uninteressant sein, zu berichten, wie auch in länd¬
lichen Kreisen, denen keine bedeutenden Mittel zur Verfügung
stehen, Desinfektionen ausgefühlt werden können. Dass dieses
Thema augenblicklich im Vordergründe der Diskussion steht, be¬
weist eine Anzahl von Artikeln über diesen Gegenstand in den
letzten Heften dieser Zeitschrift, beweisen auch zahlreiche schrift¬
liche Anfragen aus den verschiedensten Theilen des Reiches,
welche Auskunft erbitten über die praktische Durchführung der
Desinfektionen im diesseitigen Kreise, und wie sie sich bewährt habe.
Der Kreis Nimptsch zählt bei einer Grösse von 375,86 qkm
29,257 Einwohner; er besitzt ausser der Stadt Nimptsch mit
2199 Einwohnern nur noch eine grössere Anzahl ziemlich zer¬
streut liegender Dörfer von durchaus ländlichem Charakter. Auf
Anregung und unter Mitwirkung des damaligen Kreisphysikus
Dr. Kef erst ein wurde nach 2 jährigen Vorbereitungen am 16. De¬
zember 1899, fast zu gleicher Zeit mit der Desinfektionsordnung
der Stadt Breslau — diese datirt vom 11. Dezember 1899 —
ein Reglement erlassen, publizirt im Nimptscher Kreisblatt Nr. 7
vom 14. Februar 1900. Der Inhalt ist kurz folgender:
Im Kreise Nimptsch wird die erforderliche Anzahl Kreisdesinfektoren
angestellt. Sie siud von dem Kreisphysikus aasgebildet and werden von der
OrtBpolizeibehörde, wo der Kreisdesinfektor seinen Wohnsitz hat, vereidigt.
Jeder Desinfektor steht unter der Aufsicht des Kreisarztes and hat dessen
Anordnungen laut der ihm bei der Vereidigung zugestellten Dienstanweisung
genau zu befolgen.
Die Desinfektion ist für jeden einzelnen Fall von der zostlndigen Orts¬
polizeibehörde im Aufträge des Landraths anzuordnen and zwar auf Antrag
des Kreisphysikus. Fflr eine Desinfektion erhält der Desinfektor ans Kreis¬
mitteln 8 M. Die Auslagen für Desinfektionsmittel sind besonders zu Bänden
des Kreisphysikus in Rechnung zu stellen. Die Kosten der Desinfektion werden
durch den Kreis von den bemittelten Haushaltungen wieder eingezogen. Aach
von Privatärzten können die Desinfektoren herangezogen werden; die Kosten
dieser Desinfektionen sind jedoch von den betreffenden Hanshaltnngsvorständen
direkt zu entrichten, in gleichem Betrage von 8 M.
Sind Desinfektionen im Dampfdesinfektionsapparate, der sich in der
Kreisstadt befindet, nothwendig, so erhält der Desinfektor, falls er den Trans¬
port begleitet, für die erste Stunde 1 M., für jede folgende 50 Pf.
Die Kündigung hat für den Kreis, wie für den Desinfektor vierteljährlich
an dem Vierteljabrstermin zu geschehen. Der Desinfektor erhält ein äusseres,
vom Kreise zu beschaffendes Abzeichen.
Bei Widerstand der Betheiligten, deren Wohnung, Sachen etc. auf An¬
trag des Kreisphysikus zu desinfiziren sind, hat der Desinfektor sich an die
Ortspolizeibehörde zu wenden. Beschwerden Aber den Desinfektor gehen an
den Kreisphysikus und den Landrath.
Die Desinfektion ist unbedingt erforderlich bei Erkrankungen oder
Sterbefällen an asiatischer Cholera, Pocken, Typhus und Diphtherie; bei
anderen ansteckenden Krankheiten, z. B. bösartigem Scharlach, Tuberkulose eto.
nach dem Ermessen des Landraths im Einvernehmen mit dem Kreisphysikus.
Oegen Widerstand resp. Uebertretung sind Geldstrafen bis zu 80 M.
festgesetzt.
Diesem Reglement ist eine sehr ausführliche Dienstanweisung beigefägt,
welche sich genau der „Instruktion und Tabelle zur Ausftlhnung der Breslauer
Desinfektionsmethode nach Prof. C. Flügge“ anlehnt.
Wie hat sich nun diese Einrichtung in praxi gestaltet
and in den 3 Jahren ihres Bestehens bewährt?
An 4 Kursustagen wurden die 7 zu Kreisdesinfektoren
lieber die Ausführung von Desinfektionen in ländlichen Kreisen. 17
ge wei detem Männer: Gememdediener, Krankenwärter, Todten-
grftber, kleine Handwerker theoretisch nnd praktisch unterwiesen,
nachher geprüft und vereidigt. Diese Kandidaten waren
aemüeh gleichmässig aus über den Kreis vertheilten Ortschaften ent¬
nommen; für ihre Versäumniss der Auslagen — manche wohnten
95 Kilometer weit — bekamen sie Reisekosten und Tagegelder.
Meines Erachtens ist es weniger wichtig, den Kandidaten ein¬
gehende Kettntniss über Natur und Verbreitung der Infektions¬
krankheiten beizubringen; dazu ist im Allgemeinen das geistige
Niveau der Leute zu niedrig und ihre Vorbildung doch zu mangel¬
haft, um ihnen ein klares Verständniss dieser subtilen, ihrem
Ideenkreise so fernstehenden Dinge beizubringen. Mehr Werth
muss bei diesem Kursus auf die Gewissenhaftigkeit in der Aus¬
führung und auf den Drill gelegt werden. Wie es verfehlt wäre,
den gemeinen Soldaten in die Gesetze der Taktik und den Zweck
dieser oder jener Uebung einzuführen, es vielmehr genügt, wenn
er an seinen Platz gestellt pünktlich und präzise dem Kommando
und de** Instruktion entsprechend seinen Dienst versieht, so soll
es mit dem Desinfektor sein. Der Kreisarzt giebt ihm genaue
Anweisung, wie er in diesem oder jenem Falle desinfiziren soll,
was er zu scheuern, zu verbrennen, auf Leinen aufzuhängen hat
o. s. w. u. 8. w.; Sache des Desinfektors ist es dann, diese An¬
ordnungen strikte zu erfüllen, seinen Apparat und dessen Bedienung
genau zu kennen.
Der Kreis hat drei Formalindesinfektionsappar8te
von Schwarzlose Sühne-Berlin (Breslauer Methode) angeschafft
und sie 3 Desinfektoren, gleichmässig Über den Kreis vertbeflt,
anvertrant. Diese desinfiziren bei schwereren oder besonders
infektiösen Erkrankungen mit Formalin, während bei leichteren
Affektionen von ihnen nnd den 4 übrigen Desinfektoren je nach
Vorschrift mit Chlorkalk desinflzirt, mit Lysol, Schmierseife,
Sbda u. s. vr. gescheuert, die Möbel abgerieben, werthlose Sachen
verbrannt werden n. s. w. Die nothwendigen Apparate: Formalin-
und Ammeniakentwickler, sowie die übrigen Utensilien: Anzüge,
Schüsseln, Eimer, Leinen, Wattezylinder, Hammer, Messer, Kitt,
Papier u. s. w. sind in einer festen Kiste verpackt. Da diese
exklusive der Desinfektionsmittel nur 25 Kilogramm wiegt, lässt
sie sich bequem in einem Handwagen nach den benachbarten
Dörfern transportiren, wofür dem Desinfektor natürlich eine Extra¬
vergütung von 1—2 M. je nach der Weite des Weges gewährt wird.
Es darf nicht verhehlt werden, dass gerade die Formalm-
deefafektion an die Pflichttreue des Desinfektors grosse Ansprüche
stellt. Erstens ist es für den im Ganzen doch ungebildeten Mann
nieht immer leicht, die für den Knbikraum des za desinfizirenden
Zimmers nöthige Menge der Stoffe ausznreehnen, wenn dies
neb in dankenswerther Weise durch die Tabelle, welche jedem
Desinfektor übergeben wird, ansserordentlich erleichtert ist,
da in dieser je nach der Höhe, Längs nnd Breite des Raumes
die genaue Menge Formalin, Ammoniak, Wasser und Spiritus an¬
gegeben ist.
18
Df. Nobler.
Weit schwieriger ist aber zweitens eine gewissenhafte Abdich¬
tung nud gründliche Zustopfung aller Eitzen und Löcher, und doch
ist dies absolut nothwendig, wenn anders man eine wirksame Desni-
fektion ausführen will. Drittens ist die lange Dauer der nothwen-
digen Formalinentwicklung eine schwere Geduldsprobe für den Des¬
infektor, besonders wenn die Desinfektion nicht an seinem Wohn¬
orte vorgenommen werden soll; in letzterem Falle kann er nach
Aufstellung des Apparates entweder nach Hause oder seinen Ge¬
schäften nachgehen, um nach 7 oder bei doppelter Formalinmenge
nach 3 } /i Stunden wieder zu erscheinen und die Ammoniakent¬
wicklung zu beginnen. In einem fremden Dorfe ist jedoch die
Gefahr nicht zu unterschätzen, dass dem Desinfektor die Zeit zu
lang wird, er deswegen die Desinfektion vorher abbricht und so
deren Wirkung illusorisch macht; diese Gefahr wird um so grösser,
wenn er weiss, dass der Kreisarzt weit entfernt ist und ihn nicht
kontrolliren kann. Um dem vorzubeugen, habe ich mich zumeist
mit Erfolg bemüht, den Amtsvorsteher oder den Gendarm dafür
zu interessiren, damit sie sich etwas darum kümmern und dem
Desinfektor bemerklich machen, dass sie über die nothwendige Zeit
der Formalinentwicklung genau orientirt seien. Schon das Gefühl,
dass gewissenhafte Kontroleure sein Thun beobachten, wird bei
dem Desinfektor die Versuchung, den Prozess vorzeitig abzu¬
brechen, im Keime ersticken.
Von grosser Wichtigkeit scheint mir eine Desinfektions -
schule, wie solche bereits in Breslau besteht, besonders für die
intelligenteren, bereits etwas erfahreneren Desinfektoren, denen
man schon etwas mehr Verständniss über das Wesen der Infek¬
tionsträger und die Wirkung der Desinfektion Zutrauen kann.
Da dem Kreise durch die Theilnahme an diesen Kursen nur die
Unterhaltungskosten und die Examengebühr erwachsen, stiess
mein Vorschlag, zunächst einen Desinfektor nach Breslau zu
senden, auf keinen Widerstand; ich beabsichtige, wenn möglich,
in den nächsten Jahren auch die beiden anderen, mit Formalin¬
apparaten ausgerüsteten Desinfektoren einen solchen Kursus durch¬
machen zu lassen.
Betreffs Anordnung der Desinfektion hat sich die Bestim¬
mung des Reglements, dass die Desinfektion „in jedem einzelnen
Falle von der zuständigen Ortspolizeibehörde im Aufträge des
Landraths und auf Antrag des Kreisphysikus“ anzuordnen ist,
in der Praxis etwas geändert. Um möglichst schnell nach
Erlöschen der Seuche oder Entfernung des Kranken aus der
Wohnung — sei es, dass er einem Krankenhause zugeführt
oder gestorben ist — die Desinfektion vornehmen zu können, er-
theilt der Kreisarzt im generellen Aufträge des Landraths dem
Desinfektor den Auftrag, mit der Massgabe, dass derselbe bei
dem behandelnden Arzte sich erkundige, wann die Desinfektion
baldmöglichst erfolgen könne. Bisher haben mich die Aerzte darin
bereitwilligst unterstützt; auch die Amtsvorsteher, denen
natürlich die Desinfektion gemeldet wird, sind über die Ver¬
minderung des Schreibwerks nicht unzufrieden, zumal ihnen ohne¬
dem noch ein genügendes Quantum bleibt.
Ueber die Ausführung tos Desinfektionen in ländlichen Kreisen. 19
Was die Kosten anlangt, so hat sich die Einrichtung, dass
die Desinfektoren vom Kreise bezahlt werden, ausserordentlich be¬
währt. Erfahrungsgeinäss ist kein Haushaltungsvorstand darüber
erfreut, wenn der Desinfektor erscheint und für viele Stunden das
gewöhnlich schwer entbehrliche Zimmer mit Beschlag belegt. Soll
er nun sofort dem Manne zahlen, so wird der Unmuth noch wachsen,
und der Desinfektor eher Widerstand als Unterstützung finden,
zumal ja der Haushaltungsvorstand nicht Auftraggeber und selten
so einsichtig' ist, um den Zweck und Segen der Desinfektion zu
verstehen. Anderseits ist es nicht mehr als billig, dass dem
Desinfektor der Lohn für seine immerhin mühevolle Arbeit garan-
tirt wird, unabhängig davon, ob die Familie, in der er desinfizirt,
arm oder reich ist, und dass er, der ja zumeist mittellos ist und von
der Hand in den Mund lebt, auch bald für seine Leistung honorirt
wird. Es fordert die Berufsfreudigkeit und den Eifer ungemein,
wenn der Desinfektor sich sagt, dass seine Bemühungen und Aus¬
lagen sofort baar vergütet werden. Dadurch ist der Gefahr, dass
bei etwaigen Vakanzen der Nachwuchs fehlen könnte, einiger-
lnassen begegnet.
Diese Kosten werden von wohlhabenden Familien wieder
eingezogen. Mir ist nicht unbekannt, dass eine gesetzliche Ver¬
pflichtung eigentlich nicht besteht, ja, dass das Oberverwaltungs¬
gericht in seiner Entscheidung vom 10. Juli 1900 (Bd. XXXVIII
8. 6 u. f.) sich dagegen ausgesprochen hat. Auch erscheint es
mir durchaus gerechtfertigt, dass nicht der Haushaltungsvorstand,
sondern die Allgemeinheit die Kosten trägt; denn die Familie, in
der eine Seuche geherrscht hat, war während der Krankheit oft und
lange genug der Gefahr einer Ansteckung ausgesetzt, und, blieb
sie verschont, so hat sie es ihrer Immunität oder ihrer Vorsicht
nnd Achtsamkeit zu danken; für sie erscheint die Schluss¬
desinfektion im Allgemeinen entbehrlich. Diese hat vielmehr den
Zweck, die Umgebung, die Besucher, diejenigen, welche später
das Zimmer betreten oder bewohnen, diejenigen, welche die Betten,
Kleider, Möbel, Spielsachen etc. berühren oder benutzen werden,
zu schützen; mit einem Wort: die Schlussdesinfektion ist
eine allgemein sanitäre Massregel und sollte dement¬
sprechend auch von der Allgemeinheit getragen werden.
Immerhin hat sich der Modus, dass die Wohlhabenden die Un¬
kosten nachträglich bezahlen, recht bewährt; denn diese sind zu¬
meist einsichtig genug und dankbar für diese Einrichtung; sie
zahlen diese kleine Summe auch gern, während dadurch der Etat
des Kreises doch etwas entlastet wird. Es wird mit grosser
Nachsicht nnd Milde verfahren, und sobald die Vermögenslage
des Betreffenden oder sonstige widrige Umstände ein Erlassen
der Summe rechtfertigen, dieselbe auf den Kreis übernommen. Im
Durchschnitt wird noch nicht die Hälfte der Desinfektionen von
den Betreffenden zurückerstattet.
Die Desinfektionsmittel: Chlorkalk, Salzsäure, Schmier¬
seife, Soda, Lysol etc. kaufen sich die Desinfektoren selbst, während
Form&lin und Ammoniak ihnen vom Kreisarzt geliefert werden.
20 Dr. Nebler: lieber die Aasfohrong von Desinfektionen in kaä). kreisen.
damit diese die vorschriftsmässige Güte und Stärke haben. Auch
Sublimat nnd Karbol wird ihnen direkt vom Kreisarzt mit der
entsprechend genauen Anweisung übermittelt. Selbstredend werden
diese gefährlichen Desinfizientien auf das Nothwendigste be¬
schränkt. Die Auslagen werden sofort zurttckerstattet.
Bis jetzt ftmktionirt dieser Apparat ganz zufriedenstellend;
nur selten sind Klagen eingelaufen, welche sich durch mündliche
Vorhaltungen und Besprechungen abstellen liessen. Auch die Be¬
völkerung sieht mehr und mehr den Nutzen, die Bequemlichkeit
und die relative Billigkeit dieser Desinfektionsart ein, denn ein öfteres
Wetssen, Neutapezieren der Bäume etc. war viel theurer, lästiger
und unwirksamer. Alles aber hängt davon ab, dass man
über einen Stamm guter, gewissenhafter Desinfek¬
toren verfügt, und dies wieder wird man nur er¬
reichen, wenn die Bezahlung eine prompte und den
ortsüblichen Verhältnissen entsprechend gute ist.
Der Vorschlag des Herrn Ob.-Med.-Rath Dr. Kirchner, Krfeis-
desfnfsktoren mit 1500 Mk. Gehalt anzusteüett, ist wohl nur in
grossen, reichen Kommunen durchführbar. In den ländlichen
Kreisen wird es sich empfehlen, der weiteren Entfernungen wegen
eine grössere Anzahl von Desinfektoren anzustellen, und sie pro
Leistung zu honoriren, nach dem Erfhhrungssatze, dass die meisten
Arbeiter ihre Pflicht besser und freudiger erfüllen, wenn sie für
jede Einzelverrichtung entlohnt werden.
Die besten Vorschläge scheitern oft an der Kosten-
frage. Es ist daher vielleicht von Interesse, einige diesbezüg¬
liche Daten zn geben, umsomehr, als es den Medizinalbeamten
allenthalben zur Pflicht gemacht wird, in ihren Bezirken für die
Einführung eines geregelten Desinfektionswesens einzutreten. Um
nun die von den Verwaltungsbehörden erhobenen Bedenken be¬
treffend der Kostenfrage zu widerlegen, möchte ich zum Schluss
noch die dem diesseitigen Kreise während der 9 Jahre entstande¬
nen Kosten speziflziren. Sie setzten sich zusammen aus den Aus-
rüStungs- Und den Erhaltungskosten.
A. Aasrastungskosten.
1. Anschaffung von 8 Förm&lkapparatem.208,60 *4?
Araefat .................. 7,80 „
2 Sonstig* CtoMÜitRfür die 7 Desinfektoren.216,60 „
8. Tagegelder and Reisekosten für die 4 Kanastege 4 24,80 99,20 „
läämma 6 24,60 T&
B. Er haltufigskosten.
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Hierin sind sabbelte») beioeae Mittel Jttlmn.Iteeltetfbltoge.TMcbfa,
Buchsen, Masssttbe, H&auner, Zange, Nagel, Watteaylinder,, Eiteer, ScMaseln,
Packpapier, Gummi, Wäscheleinen, Zerstäuber mit Geblase.
Am Versammlungen ud Vereinen.
21
An die Desinfektoren werde gezahlt für Desinfektionen:
1900: 36 M,, 1901: 242 M., 1902: 161 M. Summa 439 M., wo-
Ton etwa 2 00 M. von den Wohlhabenden eingezogen wurden.
Unter gleichen Verhältnissen würden also 500 M. zur ersten Aus¬
rüstung und 800 M. jährlich in den Etat eingesetzt genügen,
selbst wenn man auf die Einziehung von den Haushaltungsvor-
ständen verzichten wollte.
Eine vom Herrn Minister angeordnete unvermuthete Revision
im Oktober ergab das erfreuliche Resultat, dass trotz Sjähriger
Benutzung, von einigen Kleinigkeiten abgesehen, Alles in bestem
Zustande war.
Dass die Schlussdesinfektion des Desinfektors nur die letzte
sanitäre Anordnung des Medizinalbeamten ist, dass seine Haupt¬
aufgabe viel eher beginnt, nämlich von dem Moment, wo er
Kenntnis3 von dem Auftreten einer infektiösen Krankheit in seinem
Kreise erhält, bedarf nicht erst der Erwähnung. Sobald ein
Feuer signalmirt wird, mit die Feuerwehr herbei, um den Herd
einzu dämmen und von dem ergriffenen Gebäude zu retten, was
möglich ist; zuletzt erfolgt ein allgemeines Ablöschen, wo die
ganze Brandstätte gereinigt und jeder glimmende Funke ge¬
löscht wird. So auch eilt der Medizinalbeamte, aus eigener Ini¬
tiative oder wenn ihm der Auftrag wird, eine Senche festzustellen,
in das ergriffene Haus, am die Umgebung des Kranken, seine
Familie and seine Pfleger za schützen. Ist die Krankheit er¬
loschen, so erfolgt die Schlossdeainfektion, das allgemeine Ab¬
löschen. Sie ist die letzte, aber lange nicht die unbedeutendste An¬
ordnung ; denn von ihrer mehr oder minder sorgfältigen Ausführung
hängt es ab, ob nicht in längerer oder kürzerer Zeit von dem
anscheinend ausgelöschten Herde eine Funke wieder aufflammt,
der einen neuen Brand entfachen kann. Daher möglichst voll¬
kommene Scfalussdesiufektien und möglichst tüchtige, geübte und
gewissenhafte Desinfektoren!
Aut Versammlungen und Vereinen.
Bericht Über die Verhandlungen der Versammlung der
Hedizlnalbeamten des Regierungsbezirks Oegjucz
vom 5. November 1902.
Zu dar vom Herrn Regierungspräsidenten so Nachmittag 1 Uhr oster
den Vorsitz des Regierung»- and Geheimen Medisinalraths Dr. Schmidt an-
hemwmtea Versammlung waren sämmtliche 17 Kreisärzte, der Kreisaasistenzarst
za Carolstb, sowie von den 12 mitgeladenen staatsärztlich geprüften prakti¬
schen letzten des Bezirks, Dr. Neetske-Laadsbat, Dr. Talks-Retbenbnqg
0./L., Dr. K 1 ewe-Nanmbosg a./Q., Dr. K. Scholz-Görlitz erschienen.
L Kaiser Bericht über die Thcümtm na den Berliner Vovt-
MUnagnkuraea. Referenten: Kreisarzt Dr. Steinberg-Birsekbergnnd Kak*
amt Med.-Batk Dr. Brsun-GörKts.
Kioiiaert Sr. Stein he rg-Bknehherg b ori a ht et unter Serag nehme anf
dm Referat des Kreisarztes Dr. Meder-Küin in Nr. 16 der Zeitschrift für
Medizinalbeamte 1902 Uber den 1. Fortbildangskttrsns für Medizi eeibcamte
iaMaid. J. and a wor enent Uber Wasserversorgung. Besonders hervor-
phohm irnrden die Fortschritte in der Trinkwaeserstarihsirang denk das
Ozonisirnngs verfahren. Lille und Paderborn arbeiten bereits mit Oeon,
22
Aas Venammlangeo and Vereinen.
ebenso ist in Wiesbaden eine solche Anlsge vollendet. Die Kosten richten sich
nach dem Bakteriengehalt des Rohwassers. Siemens & Halske berechnen
sie aaf */* Pfg. für den Kubikmeter, auf 5 Pfg. für den Kubikmeter einschl.
Aulagekosten, während sich z. Z. in Berlin 1 cbm Wasser anf 16 Pfg., in Char¬
lottenburg auf 20—21 Pfg. stellt. — Das Wormser Filterplattenverfahren kann
gegen die Sandfiltration nicht aufkommen (Risse, schwere Reinigung). Aehn-
iicnes gilt von den Berkefeldfiltern. Der Hygieniker muss bei jeder Filtration
eine Regulirkammer fordern, die eine Messung der Filtrirgeschwindigkeit ge¬
stattet. Die Keimzahl 100 als zulässiges Maximum für filtrirtes Obeiflächen-
wasser gilt nur für stark verunreinigtes Flusswasser und vollends nicht für
Grundwasser. Doppelte Filtration nach Goetze, d. h. Einschaltung eines
zweiten Filters nach Passiren des ersten, bewährt sich in Bremen durch längere
Haltbarkeit der Filter. — Die sog. „organischen Stoffe“ der Tiefbrunnen Wässer
sind harmlose Huminsäuren.
Referent bespricht hierauf die Desinfektionsapparate. Die jetzt
gebräuchlichen lassen den Dampf entweder a) von unten nach oben oder b) von
oben nach unten eindringen. Bei a) darf mit dem Dampf keino Luft ent¬
strömen, anderseits muss die Luft aus den eingestellten Sachen durch den
Dampf völlig aasgetrieben werden; — das ist bei ‘/io - */* Atmosphären Ueber-
druok nur bei Temperaturen von 100—105° C. möglich. Der Dampf muss
ferner bei a) aus feinen Oeffnungen ausströmen, weil sonst neben dem aus¬
strömenden Dampf an den Rändern der Oeffnungen Luft nach unten in den
Apparat eindringt. Schliesslich muss der Dampf gesättigt sein; daher darf
neben dem Manometer ein Thermometer nicht fehlen. Bei 2 Atm. Druck ist
der Dampf nur bis zur Temperatur von 140° C. gesättigt und würde bei 200° C.
geradezu wirkungslos sein. Aus demselben Grande muss Ueberhitzung des
Dampfes in unmittelbarer Nachbarschaft der Rippenkörper vermieden werden.
Testobjekte sollen deshalb nicht nur in die Mitte, sondern auch an die Ober¬
fläche der zu desinfizirenden Wäscheballen etc. gelegt werden.
Als bestes Mittel zur Prüfung der Luftheizungskaloriferen auf
Dichtigkeit wird Einheizen mit Schwefelblumen empfohlen.
Bei der Besprechung des KreiBarztgesetzes wurde als erstrebens-
werthes Ziel hingestellt, der Kreisarzt möge in den Augen des Publikums mehr
das Ansehen eines Beratbers geniessen, als das eines polizeilichen Aufsehers.
Die Reinhaltung der Gewässer gemäss der in dem Min.-Erlass vom
20. Februar 1901 aufgestellten Grundsätze müsse mit allen Kräften angestrebt
werden.
Die gelegentliche Besichtigung (Musterung) der Apotheken be¬
zwecke, Einblick in den Geschäftsbetrieb zu erhalten. Daher sei die Erledi¬
gung etwaiger Monita zu überwachen, das Giftbuoh einzusehen, die Sauberkeit
der Gefässe und Tüeher, sowie die Ordnung in den Schüben zu prüfen, die
Innehaltung der Arzneitaxe und Einführung der neueren Nomenklatur (Pyra-
zolone etc.) zu beachten. Mit Strenge sei auch darauf zu halten, dass Lehr¬
linge nicht ausgenutzt werden, sondern etwas Gründliches lernen; §. 53 der
Dienstanweisung verdiene vollste Beachtung.
Beim Besuche des Nahrungsmitteluntersuohungsamts erregte
besonderes Interesse, dass 32 °/ 0 der geheimen Butterankäafe za Beanstandungen
führten, 15°/o der gekauften Butterproben aus reiner Margarine bestanden.
Im Hackfleisch wurde 0,1—1,2°/„ Präservesalz gefunden.
Bezüglich des Krankenhauswesens wurden verschiedene Missstände
erörtert. Auch in bestehenden Anstalten dürfe eine Ueberlegung nicht statt¬
finden: 25 cbm p. Kopf müssten mindestens gewährt werden. Rettungs¬
wachen seien, weil Krankenanstalten, jährlich zu besichtigen. Auch die, im
übrigen eine Ausnahmestellung geniessenden Johanniter-Krankenhäuser
haben dem Kreisarzt die statistischen Uebersichten (Fragebogen, Zählkarten)
einzusenden. Der Kreisarzt habe auch die in Provinzialanstalten be¬
findlichen Apotheken zu mustern, die Anstalten selbst aber nur auf Requisition
seitens der Oberpräsidenten zu besichtigen. Polikliniken gehören zu den
Krankenanstalten im Sinne des §. 30 R. G. 0.
Es bestehen wenig Aussichten, die Invaliditätsvenioherung für Heb¬
ammen obligatorisch zu machen, bezügliche Schritte bleiben den Kreisen und
Gemeinden überlassen.
Aas Versammlungen and Vereinen.
28
Die im Kreise der Theilnehmer des FortbUdangskarsas laut gewordenen
Verbesserungsvorschläge sind:
1. Umgestaltung des Stundenplanes, sweoks Vermeidung der Beise vom In*
stitut für Infektionskransheiten sur Irrenanstalt Hersberge;
2. Brleiohterung des Verständnisses und Zeitersparnis durch Drucklegung
der gegebenen Vorschriften and Uebersichten;
3. Mehr Besichtigungen;
4. Allgemeine Einführung von Besprechungen.
. Ansätze sur Verwirklichung der Wünsohe 2 and 4 erfreuten sich all¬
gemeinen Beifalls. Die BinfOhrang der Karse wurde allseitig als eine dankens¬
werte, bei der Falle der dem Kreisarst obliegenden Amtsgeschäfte geradeso
notwendige, regelmässig su wiederholende Einrichtung begrünst.
Korref. Med.-B. Dr. Braun- Görlitz, Theilnehmer am 2. Fortbildungs¬
kurses, schliesst sich den Ausführungen des Bef. namentlich in Anerkennung
der Reichhaltigkeit des gebotenen Stoffes an, wünscht aber dringend, dass
künftig die theoretischen Vorträge eingeschränkt und dafür mehr Gelegenheit
in praktischen Arbeiten gegeben werde.
Anschliessend hieran teilt der Vorsitzende mit, dass auch gelegent¬
lich der Konferenz der Regierungs- und Medisinalräte zu Berlin am 26. und
27. Augustd. J. betreffs der Fortbildungskurse mehrfach Wünsche naoh einer
besseren Verteilung des Lehrstoffes und einer mehr praktischen Ausbildung
der Medisinalbeamten für die nach §. 37 der Dienstanweisung den Kreisärzten
obliegenden Untersuchungen geäussert worden seien; su diesen seien auch die
Anfangsgründe der Bakteriologie zu rechnen, Ansetzen von Kulturen u. dgl. m.
Hinsichtlich der vom Referenten berührten Apothekenmusterungen durch die
Kreisärzte ersucht er, durch eingehende Prüfung der Lehrlinge sich von deren
Kenntnissen zu vergewissern, die, wie er an einem Binzelfall erläutert, häufig
ungemein mangelhaft seien; wo das Brgebniss unbefriedigend sei, seien die
Lehrherrn auf ihre Pflichten hinznweisen. Des Weiteren macht er auf die
Bestimmungen über die Herstellung der Arzneitabletten, welche Mittel der
Tabelle B. und C. des Arzneibuchs enthalten, mittelst der durch die Betriebs¬
ordnung neu eingeführten Tablettenmaschine aufmerksam, gegen die häufig
aoeh veratossen werde (Stypticin, Morphin u. a. von Wellcome, Linkenheil).
Bezüglich der Desinfektoren theilt er mit, dass ein Brlass über deren
AusbUdung in 6 tägigen Kursen an Desinfektorenschulen in Aussicht stehe.
II. Geschäftliche Angelegenheiten. Der Vorsitzende bespricht
zunächst die Berichte über die Schulbesichtigungen; für jede einzelne
Sehule sei ein besonderer Begleitbericbt erforderlich. Br verweist hinsichtlich
der formalen Seite auf die Reg.-Verf. vom 15. Oktober d. J., d. h. genaue Unter¬
scheidung zwischen nothwendigen und wünsohenswerthen Verbesserungen, Bin-
reiehang an die Schulabtheilung durch die Hand a) des Kreissohulinspektors
b) des Landraths.
Bezüglich der Unterschriften erwähnt er die Öfters beobachtete
Unleserlichkeit der Namenszüge und macht auf die Nothwendigkeit einer deut¬
lichen Schrift in den amtlichen Schriftstücken aufmerksam.
Des Ferneren sei es mehrfach vorgekommen, dass nrsohriftliche Ver¬
fügungen g. B. nicht zurückgegeben seien, was im Interesse geordneter Akten¬
führung nothwendig sei.
In den vierteljährlichen Gebühr en-Verzeichnissen sei es hin und
wieder nicht ohne Weiteres ersichtlich, ob eine Verrichtung gebührenpflichtig
"ei; es sei deshalb in zweifelhaften Fällen eine Begründung unter „Bemer¬
kungen* anzugeben.
Bei der Prüfung der Entwürfe für Begräbnissordnungen seien
mehrfach die Bestimmungen des Min.-Erl. vom 20. Januar 1892, M. Nr. 9127,
sieht genügend beachtet worden; so bezüglich des „Grundplanes“, aus dem die
Verkeilung der Gräber, der Wege, der Plätze für Erwachsene und Kinder er¬
sichtlich sei, oder der Bestimmungen betreib der Begisterführung u. dgl. m.
Eine Verfügung mit einem Master für den Bntwurf von Begräbniss-Ord¬
nungen werde demnächst ergehen.
Mit Bezug auf die vierteljährlichen Gesundheitsberichte (Zeitungs¬
berichte) wird der Wunsch ausgesprochen, sich in gedrängter Kürze und
übersichtlich auf die Gegenstände 1. Allgemeiner Gesundheitszustand, 2. Sterb-
u
Am Versammlungen «»4 Vereine*.
liahhak, 8. vcrherasehcnder Kr anfcheitscharaktor, 4. varherzseh on de Iniektione*
krankheiten, hier mit Zahlenangaben und Benennung des Orten, w* eie epi-
demisoh aaftreten, na beschränken, denen zutreffenden Falles 5. besondere Vor¬
kommnisse anzosoklieseen wären.
Ueber die Abfassang der Jahresberichte werde die Bestimmung ge¬
troffen werden, dass die 14 Abschnitte in je einem Heft bearbeitet and durch
raadständige Bezeichnung der einzelnen Abteilungen and Untembtbeilttngen
eine grössere Uebersichtlichkeit erzielt werde. Nar die wichtigsten Ereignisse
der Berichtszeit seien za bringen, kurze Darstellung dringend geboten. Als
Friert fit die Bmrefohnng des Jahresberichts werde der 1. März j. J. festgesetzt
werden. —
An der nunmehr erfolgenden Berathang des folgenden Gegenstandes der
Tagesordnung:
UI. Die Kindersterblichkeit ins Regierungsbezirk Liegnit*, nimmt
der Herr Regierungspräsident Freiherr von Beb err-These theil. Er begrünst
die ihm vielfach persönlich noch uubekannten Mitglieder der Versammlung und
bittet nm die Unterstützung der Kreisärzte auch auf solchen Gebieten, die
zwar über den Rahmen, welche die Dienstanweisung umschliesst, hinansgehen,
jedoch eine Förderung im allgemeinen Interesse wünschenswert!! machen. Er
knüpft hieran die Zusicherung seiner thatkräftigen Unterstützung bei allen
dahingehenden Bestrebungen.
Hierauf hält Kreisarzt Dr. Leske-Liegnitz seinen Vertrag:
Aus der Preußischen Stastitfk, Heft 166 and 171 ergiebt sich, dass der
Reg.-Bes. Lieguitz sowohl bezüglich der allgemeinea Sterbeziffer, wie der
Sterblichkeit des 1. Lebensjahres eine recht ungünstige 8telle einnimmt.
Während nämlich für die Jahre 1887—1901 die allgemeine Sterbeziffer im
preussiseben 8taat 21,6 # /oo beträgt, ist sie im Reg.-Bez. Liegnits 25,1 °/ M .
Zur Beurtheilnng der Kindersterblichkeit muss das Verhlltniss 1) der
im 1. Lebensjahr Gestorbenen zur Zahl der überhaupt Gestorbenen, 2) der hm
1. Lebensjahr Gestorbenen zur Zahl der Lebendgeborenen, 8) der Todtgeborenen
zur Zahl der Lebendgeborenen herangezogen werden. Es ergiebt sich auch hier,
dass der Reg.-Bez. Liegnitz eine ziemlich ungünstige Stelle einnimmt, wie aas
mehreren anfgestellten and ausreichend vervielfältigten Tabellen zu entnehme*
war. Ebenso wurden die entsprechenden Verhältnisse für die einzelnen Kreise
des Regierungsbezirks in einer Tabelle susammengesteUt, aas der sieb ergab,
dass die Gebirgskreise Hirecbberg and Landeshut die höchste! Sterbeziffern
im Allgemeinen, wie für das 1. Lebensjahr anfweisen.
Nach einer Uebersicht über die hauptsächlichen Todesursachen des
1. Lebensjahres, wobei anf die Unsicherheit der den Standesämtern gemachten
Angaben wegen Fehlens einer allgemeinen ärztlichen Leichenschau hingewiesen
wurde, ging Referent zunächst anf die allgemein angenommenen Ursachen
für die hohe Kindersterblichkeit ein: Allgemeine Aranth, mangelhafte
Wohnnngsverhältnisse, Unverstand, auch eine gewisse Gleichgültigkeit der
Eltern bei hoher Kinderzahl nnd schlechte Ernährung.
Jede dieser Ursariten wurde daun erörtert unter gleichtzeitiger Anführung
der Wege, welche sich zu ihrer Bekämpfung bieten.
In Frage kommt die Einführung von Hanshaltangsnnterrleht,
der Erlass von Poliseiverordnnngen über den Verkehr mit Milch, die Ver¬
keilung gedruckter Anweisungen über die Pflege der Kinder nnd Ihre
künstliche Ernährung seitens der Standesämter. Hingewiesen wurde auch
auf den günstigen Einfluss, den man mit der Zeit von den Ortsbesichtignngen
bezw. Gesondheitskommissionen bezüglich der Wohnnngsverhältnisse zu
erwarten berechtigt ist.
Im Weiteren führt Referent ans, dass aber ein wirksamer Erfolg nnr von
einer durchgreifenden Neuro ge lang der gesummten, vornehmlich der öffent¬
lichen Kinderpflege za erwarten ist, wobei besonders anf die mustergültige
Organisation der Stadt Halle a. S. hingewiesen wurde. An der Spitze steint
dort «in Ziehkinderarzt, unter dessen Leitnng nnd Aofsicht besoldete
Pflegerinnen thätig sind, welche die Kinder in bestimmten Zwischenräumen
amfunhsn «ad diejenigen, bei welchen sich Krankkei t seno h einnngen bemerkbar
Ans Versammlungen und Vereinen.
25
■neben, h die Wocbensprechstunde des Ziehkinderarztes bestellen, wo dann
Im Erforderliche angeordnet wird. *)
ttie gesetzliche Unterlage zu der Einffihrung dieser Beaufsichtigung
Uttet Art. 78, §. 4 des preussischen Ausffihrungsgesetres zum B. G. B.
Für eheliche Kinder, die weder der Armenverwaltung zur Last fallen,
aoeh unter Polizeiaufsicht stehen, kommen ehrenamtlich thätigePflege-
rinnen in Frage, die in der Wohnung der Eltern mit Einverständnis oderauf
Wunsch Berathung und Unterstützung mannigfacher Art zu Tbeil werden lassen.
Weitere Massnahmen sind die unentgeltliche Verabfolgung von
Sieh, die Errichtung von Krankenküchen oder Suppenanstalten, Ausbildung
und Anstellung von Wochenpflegerinnen, Beschaffung der sog. „Margarethen*
spenden* 1 oder Ihnlicher Einrichtungen zur Krankenpflege, g. F. auch die Er*
Achtung von Kinderbewahranstalten unter Leitung von in der Kinderpflege
ungebildeten Pflegerinnen.
Um eine Herabsetzung der Kindersterblichkeit im ganzen Regierungs-
benirk an erzielen, empfahl Referent die Neuregelung der Kinderfür-
sorge in einheitlicherWeise über den ganzen Bezirk auszudehnen
and zu dem Zweck, im Anschluss an die Zweigvereine des Vaterländischen
Franenvereins, einen Verein in’s Leben zu rufen, der seinen Hauptsitz in Lieg¬
nits hüben und möglichst in jedem Kreise und in jeder Stadt Zweigvereine
bilden muss.
Nach den in der Stadt Halle a. S. gemachten Erfahrungen ist man zu der
Hoffnung berechtigt, auf diesem Wege mit der Zeit eine Herabsetzung der
Kindersterblichkeit zu erreichen.
Zum Schluss hatte Beferent eine Anzahl von Leitsätzen aufgestellt, die
mit einigen Abänderungen und Ergänzungen angenommen wurden. (Weiteres
hierüber folgt unten.)
Die an den Vortrag und die anfgestellten Leitsätze sich knüpfende De¬
batte eröffnete der Herr Regierungspräsident, indem er zunächst seine Be¬
friedigung darüber aussprach, dass ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt
wurde, das besonders geeignet sei, seine im Anfänge geäusserten Anschauungen
über die Mitwirkung der Medizinalheamten zu erläutern. Der Umstand, dass
die Kindersterblichkeit im Beg.-Bez. Liegnitz gross sei, sei unbestritten und
lenke die Aufmerksamkeit auf ein Gebiet, auf dem die Privatwohlthätigkeit
erfolgreich wirken könne, nämlich auf das der Krippen, des Haltekinder¬
wesens, sowie der Wöchnerinnenpflege; hier erschliesse sich den
Vaterländischen Frauenvereinen ein weites Feld für ihre Liebesthätigkeit, das
sieh nicht nur auf die 8tädte, sondern auch auf ländliche Verhältnisse erstrecken
müsse. Diese Bestrebungen zu fördern und zu unterstützen, sei auch eine der
in seiner Ansprache erwähnten Aufgaben der Medizinalbeamten.
Geh. Med.-Rath Dr. Köhl er-Landeshut stellt fest, dass in dem Vor¬
trage Alles enthalten sei, was über Kindersterblichkeit und die Mittel zu ihrer
Verminderung gesagt werden könne; er ist nicht im Zweifel darüber, dass beim
Erlass von Verfügungen nach den in den Leitsätzen angedeuteten Richtungen
hin eich eine Abnahme der Sterblichkeit erzielen lassen wird; nur ergeben sich
mancherlei Schwierigkeiten für die Durchführung auf dem Lande. Als eine
erwähnt er, dass in den Arbeiterfamilien der Industriebezirke nach kaum be¬
endetem Wochenbett die Säuglinge in Pflege gegeben werden; der hierfür ge¬
zahlte Entgelt sei sehr gering, deshalb die Pflege mangelhaft, was wiederum
die Widerstandskraft der Kleinen sehr herabsetze.
Kreisarzt Dr. Hirschfeld-Glogau bestätigt diese Erfahrungen und
hält es für zweckmässig, die Oberpräsidialverordnung, betreffend das Halten
von Pflegekindern, vom 10. Februar 1881 (Amtsbl. S. 60) dabin zu erweitern,
dass die Polizeibehörden verpflichtet werden, jeden Todesfall bei Haltekindern
lern Kreisarzt mitzutheilen, damit dieser sich überzeugen könne, ob etwa eine
Vernachlässigung vorliege.
Med.-Rath Dr. Braun-Görlitz weist darauf hin, dass in Görlitz die
*) Näheres siehe bei Stadtrath Pütter-Halle a. S.: 1. „Das Ziehkinder-
wesen*, Leipzig 1902 ; 2. „Die Beaufsichtigung der Zieh- und Pflegekinder
durch besoldete Pflegerinnen in der Stadt Halle a. S.* „Jugendfürsorge*,
fl. Jalug, fl. 3—6 und 11. Berlin 1901.
26
Aas Versammlungen and Vereinen
Ziebmtttter verpflichtet seien, dem beamteten Arzt auch jede Erkrankung
ihrer Pfleglinge anzuzeigen; er wUnscht diese Gepflogenheit verallgemeinert.
Kreisarzt Med.-Rath Dr. Leder-Lauban macht auf die im Vortrage
erwähnte grosse Anzahl der Todtgebunen aufmerksam und hält' eine Er¬
mittelung des ursächlichen Zusammenhanges dieser auffallenden Erscheinung fttr
zweckmässig.
Dem gegenüber weist der Herr Regierungspräsident auf den Um¬
stand als muthmassliche Ursache hin, dass die Frauen häufig bis zum letzten
Augenblick ihrer Schwangerschaft auf Arbeit gehen und dadurch die Aussichten
für Lebendgeburten herabgedrllckt wflrden.
Hinsichtlich des Vortrages des Kreisarztes Dr. Leske spricht der Herr
Regierungspräsident den Wunsch aus, dass er, um ihn den Landräthen,
Magistraten, Fabrikvorständen etc. zugänglich zu machen, in Druck gelegt
werde unter Anfügung der benutzten Litteratur und der aufgestellten Leitsätze,
zu deren Besprechung nunmehr geschritten wird.
An letzterer betheiligten sich der Herr Regierungspräsident, der
Vorsitzende, der Referent und die Kreisärzte Dr. Schilling, Dr. Brann
und Dr. Meyen. Zur Erörterung kamen die Fragen, ob die Familienpflege
der Anstaltspflege und die Unterbringung auf dem Lande derjenigen in Städten
vorzuziehen sei, ferner, ob die Ausbildung und Beaufsichtigung der Kinder¬
pflegerinnen nur einem Arzte oder auch anderen Vertrauenspersonen zu über¬
tragen sei.
Demnächst erfolgte die Annahme der vom Referenten aufgestellten vier
Leitsätze in nachstehender Fassung:
„I. Eine erfolgreiche Bekämpfung der hohen Kindersterblichkeit im Reg.-
Bezirk Liegnitz ist nur von einer einheitlichen Neuregelung der Kinderfürsorge,
vornehmlich der öffentlichen, zu erwarten.
II. Die Unterbringung der Kinder in Familien bei sorgfältiger Auswahl
der Pflegemütter verdient den Vorzug vor der Anstaltspflege.
III. Die Ausbildung aller nicht in geeigneten Anstalten vorgebildeten
Kinderpflegerinnen ist einem Arzt zu übertragen.
Die Beaufsichtigung der Kinderpflegerinnen ist ebenfalls in erster Reihe
einem Arzt, im Uebrigen einer Vertrauensperson zu übertragen, unbeschadet
der Vorschriften des §. 98 der Dienstanweisung fttr die Kreisärzte.
IV. Ausserdem kommen in Frage:
1. Die Regelung des Handels mit Milch im Wege der Polizeiverordnung.
2. Die unentgeltliche Verabfolgung geeigneter Milch an Säuglinge,
3. Die Ausbildung und Anstellung von Wochenpflegerinnen und Anschaffung
der sogenannten Margarethenspenden oder ähnlicher Einrichtungen zur
Krankenpflege.
4. Die Förderung des Haushaltungsunterrichts in Verbindung mit der Abgabe
von Kost an Wöchnerinnen und deren Angehörige.
5. Die Errichtung von Kinderbewahranstalten, Krippen und dergl. unter
Leitung ausgebildeter Krippenpflegerinnen."
In einem letzten Leitsatz wünscht der Herr Regierungspräsident
die Zentralisirung aller die Kinderpflege betreffenden Bestrebungen betont zu
sehen und schlägt als Mittelpunkt den Vaterländischen Frauenverein vor. Die
dem Vortragenden überlassene Fassung des zur allgemeinen Besprechung nicht
mehr gelangenden Leitsatzes wird von ihm folgendermassen ausgedrückt:
V. „Es ist wünschenswert^ dass die Zweigvereine des Vaterländischen
Frauen Vereins der Kinderfttrsorge ihr reges Interesse zuwenden."
Im Anschluss an den Vortrag gelangte eine Statistik der verkrüppelten
Kinder in der Provinz Schlesien im Jahre 1901/1902 nebst den Aufnahme¬
bedingungen des schlesischen Krüppolheims zu Rothenburg O.-L. zur Vertheilung,
wobei der Herr Regierungspräsident unter Hinweis auf die grosse Zahl
der Krüppel in Schlesien seine Ueberzeugung zum Ausdruck brachte, dass viele
darch eine rechtzeitige Unterbringung in eine entsprechende Anstedt noch ge¬
heilt und gebessert werden könnten and dass durch Anregung der privaten
Wohlthätigkeit, z. B. bei Familienfeiern, Geburt eines Stammhalters etc. diese
Bestrebungen wirksam unterstützt werden sollten.
Das ausserdem noch auf die Tagesordnung gestellte Referat über das
Reichsseuchengesetz vom 30. Juni 1900, betreffend die Bekämpfung
Kleinere Mittheilungen and Referate aas Zeitschriften.
27
ansteckender Krankheiten musste wegen der vorgeschrittenen Zeit für eine
spätere Berathang verschoben werden.
Aaf die Anregung des Herrn Vorsitsenden betreffs einer jährlich
absahaltenden s weiten, nicht offi siel len Versammlung wird allseitig der
Wunsch in erkennen gegeben, eine solche stattfinden sa lassen and für die nächste
Zsoammenkonft das Frühjahr 1903 bestimmt. Nachdem der Herr Vorsitzende dem
Herrn Regierungspräsidenten den Dank der Versammlung für sein Erscheinen
nnd die rege Antheilnahme an den Verhandlungen ausgesprochen hat, wird die
Sitzung um 4 1 /, Uhr geschlossen.
Es folgte ein Festmahl im Rautenkranz unter zahlreichster Betheiligung.
_ Schmidt-Liegnitz.
Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin und Psyohiatrie.
Der Arat vor Gericht. Von Dr. A. Kühner, Geriohtsarst a, D.
Deutsehe Medizinal-Zeitung; 1902. Nr. 71—76, 79—81, 84—87 und 90.
In einer Reihe von Aufsätzen behandelt der Verfasser verschiedene
Kapitel aus der gerichtlichen Medizin. Die lebendige Schilderang nnd der
flotte 8til machen die Abhandlangen za einer angenehmen Lektüre, die man
nicht ohne Nutzen aus der Hand legen wird; treffende Beispiele aus der
eigenen Erfahrung und ans der Litteratur — vornehmlich der englischen —
tragen zum Verständnis» und zur Belehrung bei.
Die Haupt - Abschnite sind ttberschrieben: Der gewaltsame Tod und die
Untersuchung von Leichen, — Feststellung der Persönlichkeit, — Streitige
geschlechtliche Verhältnisse, — Schwangerschaft; Geburt; Kindesmord, —
Selbstmord, — Gewaltsame Todesarten, — Psychische Insalte.
Gerade das letzte Kapitel ist nicht am uninteressantesten. Es handelt
davon, dass allmählich wirkende, lang andauernde Gemüthsbewegungen ge¬
wisse Gesundheitsbeschädigungen verursachen und heftige plötzliche psychische
Einwirkungen sogar den Tod herbeiführen können.
Za den Gesundheitsbeschädigangen gehören u. A. die Wirkungen des
Schreckes, _ der z. B. in einem Falle eine Blutung hervorrnfen und in einem
anderen eine solche stillen kann, und weiter die Fälle, in denen mächtige
seelische Erschütterungen die Betroffenen in einem völlig traumhaften Zustand
versetzen („Starr vor Schreck“).
Bei den Todesfällen in Folge heftiger Gemttthsbewegung, Angst u. s. w.
fessselt uns am meisten die Schilderung solcher Vorkommnisse, wo Patienten
shokartig beim Beginn einer Operation, bei der ersten Berührung, vor
der Narkose u. s. w. plötzlich gestorben sind.
Dass allmählich wirkende seelische Einflüsse deprimirender Art
aioht nur die Ursache von Nerven - Erkrankungen, sondern auch von
somatischen Beschwerden mit organischer Grundlage sein können, betont Ver¬
fasser am Schluss besonders nnd empfiehlt, diese hochwichtigen seelischen Be¬
ziehungen bei der Krebsforschung und bei der Aetiologie .der Tuberkulose
nicht zu übersehen. _ (Dr. Hoff mann-Elberfeld.
Ein Fall von Morphiumvergiftung im frühesten Kindesalter. Von
Dr. Katzenstein in München. Münchener med. Wochenschrift; Nr. 44, 1902.
In Anbetracht der Seltenheit von Morphinmvergiftnngen im frühesten
Kindesalter theilt Verfasser einen solchen schweren Fall mit, welcher ein
24 Tage altes Kind betraf, das von der Wärterin ca. 7 mgr Morphium in
Pulverform verabreicht bekam und nach 26 Stunden so gut wie ganz frei von
jeglichen Symptomen der Morphiumvergiftung war.
Bei seiner Anknnft fand Verfasser das Kind in einem eklamptisehen
Anfall; die Athmung war sehr erschwert, das Kind hochgradig zyanotisch.
Die Pupillen waren klein, jedoch nicht übermässig verengt. Pnpillar- und
Kornealreflex waren erloschen. Obwohl Verfasser sofort an Vergiftung mit
einem Narcoticum dachte, gelang es ihm erst später, seinen Verdacht bestätigt zu
erhalten. Die Krampfanfälle wiederholten sich Anfangs in Pausen von einer
halben und später von einer ganzen Stunde, so dass innerhalb 17 Standen
20 Anfälle auftraten. Die Pupillen verengten sich später bis zur Stecknadel-
28 Kleinere Mittheilungen und Referate ans Zeitschriften.
bnopfgröese. In den zwischen den Anfällen liegenden Pansen lag das Kind
bewusstlos auf seinem Bettchen; dabei beobachtete man beständige Zachungen
und zitternde Bewegungen an den Lippen- und Gesichtsmuskeln; Puls war
klein aber deutlich fühlbar, Athmung verlangsamt.
Im Anfalle selbst sah man zuerst eine allmählich stärker werdende
Blaufärbung der Fingernägel and der Lippen, verzögerte und verflachte
Athmung, hierauf Tetanus am ganzen Körper und zu gleicher Zeit mit diesem
vollständiges Aufbören der Athmung, während das Herz zunächst ruhig nnd
gleichmässig fortschlug. Nach ca. 15 bis 30 Sekunden löste sich der Tetanns,
es trat vollständige Erschlaffung der Muskeln ein und der Zustand war genau
so, wie man ihn bei neugeborenen aspbyktischen Kindern beobachten kann.
Die Dauer der Anfälle war verschieden und betrug 16—85 Minuten, der
längste Anfall dauerte 40 Minuten. Die Anfälle gingen vorüber, indem das
Kind vereinzelte Athens süge machte, welche allmählich sich vertieften nnd
vermehrten.
Der Urin war eiweisshaltig und wurde erst nach ca. 6 Wochen eiweiss¬
frei. Da vor der Vergiftung zu einer Urinuntersuchung keine Veranlassung
bestand, lässt sich nicht feststellen, ob die Vergiftung das Auftreten des AL
bumens verursacht hat.
Am 3. Tage hatte das Kind noch eine vorübergehende Temperatur¬
erhöhung von 40,5 in ano, welche am Abend auf 88,5 herunterging (vielleicht ln Folge
der subkutanen Bluteinspritzung). Am 4. Tage machte das Kind einen voll¬
ständig gesunden und frischen Eindruck.
Verfasser behandelte das Kind hauptsächlich mit künstlicher Athmung,
warmen Bädern, kalten Uebergiessungen, Mastdarmeinläufen, Einpackungen,
Abreibungen mit heissen Tüchern, Eintauoben in heisses Wasser, subkutanen
Kochsalzeinspritzungen, Kalomelpulvern, Verabreichung von schwarzem Thee,
Kaffee, Cognak etc.
Den günstigen Ausgang dieser Vergiftung schreibt Verfasser der künst¬
lichen Athmung nnd Massage des Herzens zu. Wurde die Manage des Brust¬
korbes in den Anfällen nicht konstant fortgesetzt oder auch nur auf Sekunden
unterbrochen, so liessen die Herztöne an Kraft nach und die Herzschläge
folgten in immer grösser werdenden Intervallen. Verfasser übte innerhalb
14 Stunden mindestens 6 bis 7 Stunden die Massage des Brustkorbes. Von
besonderem Interesse erscheinen dem Verfasser die beschriebenen klonischen
und tonischen Krämpfe.
In Folge narkotischer Vergiftung treten nach Angabe der Lehrbücher
der Toxikologie und der Arzneimittellehre derartige Krämpfe regelmässig bei
niederen Thieren, z. B. Fröschen auf. Bei Menschen sind sie nur dem frühesten
Kindesalter eigentümlich.
Nach Soltmann besitzt das Gehirn des Neugeborenen, schon gegen¬
über dem des älteren Säuglings, auf Grund seiner rückständigen anatomischen
Beschaffenheit (Fehlen der strengen Trennung zwischen weisser and grauer
Substanz, vielfaches Fehlen der Markscheide um die Acbsensylinder, mangel¬
hafte Entwicklung der Pyramidenbündel etc.) an und für sich eine erhöhte
Beflexdisposition. Auf Grund dieser verschiedenen physiologischen Entwick¬
lungen reagirt der Neugeborene auf Opium, wie ein niederes Rttckenmarkswesen.
So konnte Verfasser in Folge der grcssen Jugend des Kindes die delitäre
Wirkung des Morphiums auf die Zellen der Grosshirnrinde und der Medulla
oblongata nebeneinander beobachten. Bei älteren Säuglingen und Erwachsenen
fällt die bisher zu Krämpfen führende Wirkung des Morphiums in Folge der
zahlreichen Reflexhemmungsvorrichtungen gewöhnlich fort.
Während bei Erwachsenen der Toleranz gegen Morphium verschieden
ist, zeigt sich die Intoleranz gegen Morphium bei Kindern im Verbältniss zu
ihrem Gewichte und ihrer Jugend ganz unverhältnissmässig gross. Nach
Tappeiner kann bei Säuglingen schon ein Tropfen Opiumtinktur oder
0,001 gr Morphium lebensgefährliche Vergiftungen hervorrufen. Dr. Edlefsen
theilt einen Fall mit, welcher einem Arzte verhängnisBVoll wurde, wobei ein
7 Monate altes Kind pro Körpergewicht 1,045 mg Morphin innerhalb eines Zeit¬
raumes von mehreren Stunden bekam und daran zu Grunde ging.
Im vorliegenden Falle, bei dem die Toleranz der grösseren Jugend
wegen entsprechend kleiner als im vorhergehenden Falle angenommen wurden
muss, erhielt der Patient auf einmal 2 mg Morphin pro Kilo Körpergewicht.
Kleinere ttittheilungen and Referate aas Zeitschriften. Ö9
Der eelten schwere Verlauf der Vergiftung, in Folge deren das Kind einmal
40 Minuten, mehrere Male rund 30 Minuten vollständig ohne eigene Athmnng
war, und das Hers Öfter seine Thätigkeit einstellen drohte, beweist, dass
die Gabe von 2 mg Morphin pro Kilo Körpergewicht des kind¬
lichen Körpers als im Allgemeinen letal gelten muss.
_ Dr. Waibel-Kempten.
Der Mord an Therese Pacher. Von Alfred Amsehl, k. k. Staats-
anwalt im Gras. Archivfür Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik; 1902;
& Bd., 3. und 4. H.
Der Fall ist gerichtsärztlieh lehrreich wegen des Befundes der mikro¬
skopischen Untersuchung von Haaren und der Deutung dieses Befundes. Die
72jährige Pfandvermittlerin Tb. P. in Gras wurde eines Tages in ihrer Woh¬
nung todt mit weitgehenden Zertrümmerungen der Schädelknochen aufgefunden;
in ihren Händen klebten swischen den Fingern drei Haare. Die Öffentliche
Meinung heseiobnete sofort den Sohn der P. als den Thäter, der auch alsbald
verhaftet wurde. Es worden nun die drei in den Händen der Ermordeten ge¬
fundenen Haare, sowie Kopf- und Barthaare des Sohnes Mikroskopikern nur
Untersuchung Obergeben, welche zunächst feststellten, dass die betreffenden drei
Haare menschliche Haare und swar Barthaare waren. Zur weiteren Ver¬
gleichung wurden sämmtliche Haare Ober verschiedene, in weisses Papier ein-
geuchaittaae längliehe LOcher geklebt, so dass dieselben abwechselnd gegen einen
hinter den Löchern liegenden weissen oder schwarsen Grund betrachtet and
verglichen weiden konnten. Dabei fielen die Farbennüancen, welche die drei
Haare darboten, vollständig zusammen mit bestimmten FarbennOancen, die auch
in der Reih« der Kopf- and Barthaare des Sohnes vertreten waren. Ausser
dieser allgemeinen Uebereinstimmung trat an den helleren braunen Barthaaren
des Verdächtigen noch eine besondere Erscheinung hervor. Die Haare zeigten
aämlieh der Länge nach abschnittweise hellere and dunklere Strecken, ein Be¬
fund, dar an meusehliohen Haaren nicht zu den häufigen geboren soll. Dieselbe
Bmehetamig fand sich nun auch an zwei Haaren ans den Händen der Leiehe.
Die Vertbailnag der helleren and dunkleren Abschnitte an diesen Haaren
stimmte endlich mit der Vertheilang solcher Abschnitte an den donneren Bart¬
haaren des Verdächtigten noch besser Oberein, als mit den an den dickeren
Barthaaren. Dieser Befand, so sagten die Untersuchet, lässt, die Annahme,
daea die drei Haare aus den Händen der Leiche von jenem Bart, dem die
Urigen Haare entnommen sind, herrtthren, als dnroh viele Gründe unterstOtst
erscheinen. Vorsichtiger Weise fügten aber die Gutachter hinzu: entschieden
musa hervorgehoben werden, dass im vorliegenden Falle ebenso wenig wie in
■aderen ähnlichen Fällen auf Grand der Vergleiohang der Haare mit absoluter
Siekerbeit ein Schluss auf die Identität gezogen werden darf. Der Verdächtige
kennte in einwandsfreier Weise den Alibibeweis erbringen und wurde deshalb
wieder ans der Haft entlassen. Bei den weiteren Nachforschungen lenkte eich
4« Verdacht auf einen gewissen M. Die Haare desselben wurden nun ebenfalls
mit den bei der Leiche gefundenen verglichen. Der Gerichtsarzt gab an: Die
Barthaare des M. stimmen mit jenen in den Händen der P. gefundenen gar
rieht Oberein. Andere Sachverständige — aber nicht diejenigen, welche die
Haare des jungen P. begutachtet batten — kamen zu dem Ergebnisse, dass
eilige Haare M.’s vollkommen mit den Haaren ans der Leicbenband in Form,
Dicke, Beschaffenheit and Farbe Qbereinstimmten: Gleichgeartete schwarze
waren sehr viele vorhanden, nnd die dunkelbraunen, sowie lichtbraunen Hessen
Im Schuft abschnittweise hellere nnd dunklere Strecken hier erkennen. Es sei
daher ganz gut möglich, dass die in den Händen der Ermordeten gefundenen
Husre von H. herstammen! Dr. Bost-Rudolstadt.
Der FaH Fischer. Mitgetheilt vom Ersten Staatsanwalt Siefert in
Wrina*. Archiv für Kriminal- Anthropologieund Kriminalistik. 1902, 9. Bend,
2. nnd 3. Heft.
S. giebt eine aktenmissige Darstellung des Falles F., der wohl noeh in
Aller Gedächtniss ist. F., Student in Berlin, ein erblich belasteter, von jeher
rin whr jähzor niger, leicht verletzter, fibernanpt zu gewaltsamen Vorgängen
geneigter, dabei zerstreuter und in sich versunkener, 23 Jahre alter Man 1 '
80 Kleinere Mittheilnngen and Beiernte aas Zeitsahrilten.
hatte in den Osterferien 1901 in seiner Vaterstadt Eisenach mit Hartha
Arnberg, Tochter einer Todtenlraa, ein Liebesverhältniss angefangen and wieder¬
holt die Absicht ge&assert, dieses soviel tief anter ihm stehende Mädchen später
so heirathen. Nach Berlin znrückgekehrt, erhält er eine anonyme Denun-
siation, die ihm die Untreue der Geliebten schildert. Diese Denunziation ver¬
setzt ihn in eine furchtbare Erregung und dabei taucht zum ersten Male in
ihm der Gedanke auf, das Mädchen zu tödten. Bei seiner Abreise in die
Pfingrtferien bittet er seine Wirthin, den ihrem Manne gehörigen Revolver
mitnehmen za dürfen, ln Eisenach angekommen, verkehrt er täglich
mit der M. Am Mittwoch nach Pfingsten kauft er sich einen Revolver nebst
Munition und veranlasst die M. zu einem Spaziergange ausserhalb der Stadt.
Während desselben lässt er die M. unter einem Vorwände etwas vorausgehen
und ladet während dieser Zeit, ohne dass die M. es merkt, den Revolver mit
6 Patronen. Er holt das Mädchen wieder ein, nimmt es im Laufe der weiteren
Unterhaltung in seinen linken Arm, so dass ihr Kopf an seiner Schulter lehnt,
zieht den Revolver aus der Tasche und schiesst die M. in die linke Schläfe.
Da sie nicht sofort todt ist, schiesst er nochmals nach ihrem Kopfe. Er blieb
drei Stunden bei der Leiche, die er mit Blumen schmückte, lief dann planlos
umher und stellte sich nach Eintritt der Dunkelheit selbst der Polizei. Das
Schwurgericht in Gotha verurtheilte den F. wegen Todtschlags, indem es die
Zurechnungsfähigkeit bejaht. Das Reichsgericht hob das Urtheil auf und ver¬
wies die Sache an das Schwurgericht Weimar. In der Weimarer Haupt¬
verhandlung standen sich die Gutachten der beiden psychiatrischen Sach¬
verständigen — Binswanger aus Jena und Ganser aus Dresden — gegen¬
über. B. bezeichnet die Zurechnungsfähigkeit F.’s nur als gemindert. Die
zweifellos vorhanden gewesene geistige Störung habe eine völlige Ausschliessung
der freien Willensbestimmung nicht zur Folge gehabt; es sei nicht jede Vor¬
stellung gegen die Ausführung der Handlung beseitigt gewesen. Höher zu
bezeichnen seien die wirksam gebliebenen Urtheile allerdings nicht. G. trat
für völlige Unzurechnungsfähigkeit F.’s bei der That ein. F. habe mit ge¬
bundener Marschroute unter dem Gefühle des Zwanges gehandelt; die Idee, die
Handlung nicht aussuführen, sei ihm gar nicht gekommen; er habe nicht de-
librirt, dumpf und brütend habe er nur den einen dominirenden Gedanken ge¬
habt: Da musst das Mädchen tödten. Er habe nicht die geistige Möglichkeit
gehabt, zu überlegen und Gegenvorstellungen zur Geltung kommen zu lassen.
Der krankhafte Affekt habe sich bis zur Ausführung der That gesteigert;
Ueberlegung bezüglich der Ausführung sei auch da nicht vollständig aufge¬
hoben, wo eine ausgesprochene Geisteskrankheit vorhanden sei. Nach der That
sei ein Zustand der Bewusstlosigkeit, eine offenkundige Geistesstörung ein¬
getreten, bis dieser dann später ein Zustand der Ruhe und Erleichterung gefolgt sei.
Diesem Gutachten trat der Staatsanwalt bei und empfahl den Geschworenen,
das Nichtschuldig aaszusprechen. In seiner sog. Rechtsbelebrung hielt es der
Schwurgerichtsvorsitzende für nothwendig, die Geschworenen vor Sentimentalität
za warnen und aufzufordern, als Männer an ihre Aufgabe heranzutreten. Die
Geschworenen spraohen F. des Todtschlags unter Annahme mildernder Um¬
stände schuldig, und der Gerichtshof verurtheilte ihn zur höchsten Strafe.
Dr. Rost-Rudolstadt.
Freisprach oder Sonderheft? Von Dr. med. Boesing-Hambarg.
Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik; 1902 ; 9. Bd., 4. H.
R. beklagt es, dass der Gerichtsarzt in nicht seltenen Fällen ein Indi¬
viduum als nicht straffähig erklären muss, welches anderseits in der Irrenan¬
stalt, selbst wenn es zur Zeit der Verhandlung zur Ueberführung in dieselbe
geeignet ist, dort nicht für länger, oder gar dauernd festgehalten werden kann.
Br theilt diese Individuen in zwei Kategorien, in solche, die zum ersten Male
mit dem Gerichte in Konflikt kommen, und solche, die bereits vorbestraft
sind. Diese Letzteren unterzubringen, sei ganz besonders schwierig, da die
meisten Irrenanstalten Abneigung haben, derartige Elemente, die den Ruf der
Anstalt schwer sn schädigen geeignet sind, aufzunehmen. Unter den bisher
noch Unbestraften aber giebt es eine grosse Anzahl, die als zwar zurechnungs¬
fähig nach dem Wortlaut des Gesetzes, aber als nicht strafvollzugsfähig bei
den heutigen Verhältnissen angesehen werden müssen. Es ist das grosse Heer
Kleinere Mittheilungen and Bef erste am Zeitschriften
81
derer, die im Bürgerlichen Gesetzbuch eine besondere Stellung eingeräumt er«
hielten durch die Einführung des Begriffes „Geistesschwäche*. Solche Menschen
stad nach B. unter der Disziplin des Gefängnisses im höchsten Grade der Ge¬
fahr geistiger Erkrankung und durch das herrschende System der Disziplinar¬
strafen auch der körperlichen Schädigung ausgesetzt. Anderseits ist es auch
absolat unmöglich, solche Individuen einer Irrenanstalt zu überweisen, da sie
ja noch gar nicht geisteskrank sind, und nur auf die Möglichkeit bin, dass sie
dermaleinst geistig erkranken könnten, oder gar nur in Berücksichtigung des
Umstandes, dass sie bei ihrer Minderwertigkeit ja bald wieder Delikte be¬
gehen konnten, ist es nicht angängig, dieselben Zeitlebens einzusperrcn. Eine
besondere Berücksichtigeng verdienen nacb B. ferner diejenigen Gestörten, die
■an im Allgemeinen den Epileptikern znrechnet, d. h. nicht diejenigen Epilep¬
tiker, die unter gehäuften Krampfanfällen rasch der Verblödung entgegen gehen,
sondern diejenigen, welche nur sehr selten Krampfanfälle, oder an Stelle der¬
selben, dem Laien oft gar nicht auffallende Storungen des Bewusstseins zeigen.
Diesen reiben sich diejenigen an, welche mit einem abnormen Triebleben be¬
haftet sind. Für alle diese Individuen würde es nach B. human sein, wenn es
eine Möglichkeit gäbe, dieselben zwar gerichtlich zu vemrtbeilen, aber die
3trafe gesondert an ihnen zu vollziehen. Es würden dann nicht nur die Irren¬
anstalten entlastet, sondern auch die Gesellschaft recht lange von diesen
sozialen Schädlingen befreit werden können, ohne ihnen ein unnOtbiges Maas
von (Jnbill zusufügen und ohne die Ordnung der Strafanstalten durch diese un-
diasiplinarbaren Elemente zu stören. B. denkt hierbei an Anstalten, welche
etwa nach dem Prinzip der „Landwirtschaftlichen Kolonien* der Irrenanstalten
einturichten und unter ärztlicher Leitung zu stellen wären. Auch unter den
bestehenden Verhältnissen ist nach B. nach dieser Bichtung Etwas zu erreichen,
wenn man die Verwaltungen der grösseren Gefängnisse anwiese, für diese
Kategorie der Verurteilten besondere Bäume mit einem speziellen Beglement
bereit zu stellen. Dr. Bost-Budolstadt.
Psychopethischer Aberglaube. Von Hans Gross. Archiv für Kri¬
minal-Anthropologie und Kriminalistik; 1902 ; 9. Bd., 4. H.
Amgehend von den verschiedenen Mordthaten am der neueren Zeit,
welche sämmtlioh das Gleichartige zeigen, dass sich eines der gewöhn¬
lichen Motive zu einem Morde bei ihnen nicht feststellen liess, und dass
bei allen Kleider oder KOrpertheilen des Opfers in auffallender und nicht
weiter zu erklärender Weise herumgelegt oder fortgetragen wurden, erOrtert
Gr. die Frage, ob bei diesen rätselhaften Vorgängen nicht etwa eine der so
häufigen psychopathischen Aeusserungen des Aberglaubens im Spiele sei. Nach
Gr. sind abergläubische Vorstellungen, auch der krassesten und gefährlichsten
Art, im Volke noch viel mehr verbreitet, als in der Begel angenommen wird.
Dass mau fliegen kann, wenn man das Blut unschuldiger Kinder trinkt, dass
man Schätze findet, wenn man einem Andern unter gewissen Zauberformeln
den Hals absebneidet u. s. w.; — diese und tausend andere grauenhafte Aber¬
glauben sollen noch überall bestehen und erschreckend oft den Gegenstand von
Gerichtsverhandlungen bilden. Aber unter normalen Verhältnissen ziehen die
Leute doch nicht die letzten Konsequenzen am derartigen abergläubischen
Meinungen und schrecken von der Verwerthung derselben zurück, wenn bei
derselben strafrechtliche Grenzen überschritten werden müssen. Erst dann
begeht nach Gr. Jemand solche abergläubische Thaten, „wenn die dagegen
sprechenden ethischen Hemmungsvorstellungen den äusserlichen Verhältnissen
unterliegen, oder innerlich geschwächt wurden*, wenn also die äusseren Um¬
stände swingend werden (z. B. drückendste Armuth und Noth), oder wenn
psyehopathisebe Zmtände die ethisohen Gegenvorstellungen vollkommen ge¬
schwächt haben. „In diesen Fällen verschwinden so zu sagen die Bedenken
gegen verbrecherisches Vorgehen, die Vorstellungen von der Wichtigkeit der
abergläubischen Handlung werden überwerthig, und so wird diese begangen.*
Dies ist nach Gr. die einzige Erklärung für eine lange Beibe sog. „entsetz-
Keher* Verbrechen, die sich beim normalen Empfinden nicht erklären lassen.
Was nun die angeführten sechs Morde anlangt, so war es nur möglich, über
einen einzigen Thäter etwas Genaueres zu ermitteln und dabei festsustellen,
&2 Kleinere Mittheilungen and Referate aus Zeitschriften.
dass er ein psychopathisch veranlagtes Individuum war und mindesten» in einer
Richtung unter dem Einfluss eines Aberglaubens gehandelt habe, des Aber¬
glaubens nämlich: dass man ungestraft Jemanden etwas Uebles anthun kann,
wenn man ein Stück seines Kleides bei sich trägt. Da er aber auch aooh
weiter in sonst vollkommen unerklärlicher Weise vorgegangen ist, indem er
die Kleider des Opfers ringsherum ausgebreitet hat, so kann nach alter Er¬
fahrung, wie Gr. sagt, zum Mindesten angenommen werden, dass auch dieser
zweite, mit der ersten, zweifellos auf Aberglauben beruhenden Handlung zu¬
sammenhängende Vorgang ebenfalls auf abergläubische Motive zurückgefükrt
werden darf. Hierdurch kommt Gr. zu folgender Endannahme: „wenn wir
sagen können, dass eine Reihe von Mordthaten untereinander auffallende Aehn-
lichkeit besitzt, und dass bei Allen ein unklares Moment (Herumlegen von
Kleidern oder Körpertheilen des Opfers) wahrzunehmen ist, und wenn wir
wenigstens bei einem dieser Fälle sagen dürfen, dass sich dieser Vorgang durch
Überwerthig gewordenen Aberglaubens eines psychopathischen Individuums er¬
klären liesse, so ist die Vermuthung gestattet, dass sich auch die übrigen
Mordthaten auf ähnliche Momente zurückführen lassen.“ Welcher Art dieser
Aberglauben ist, was damit erreicht werden soll, und welche Verbreitung dieser
Aberglaube besitzt — dies Alles wissen wir nicht. Gr. will hiermit die An¬
regung für weitere Forschungen zur Feststellung eines besonderen Verbreoher-
typus gegeben haben. Gelingt es, nachsuweisen, dass eine grosse Reihe aller¬
schwerster Verbrechen nur durch Aberglauben veranlasst wird, dann ist nach
Gr. höchste Zeit, einmal ernsthaft darnach zu fragen, welchen Einfluss Aber¬
glauben auf die Zurechnung hat, d. h. ob eine auf Aberglauben beruhende
Ueberzeugung als entschuldigender Irrthum aufzufassen ist.
Dr. Bost-Rudolstadt.
Sektirerthum und Geistesstörung. Von Dr.Hans Schulze, Assistenz¬
arzt an der Landes - Irrenanstalt Sorau N.-L. Allgemeine Zeitschrift für
Psychiatrie; 59. Bd., 5. H.
In dem vortrefflich analysirten Falle theilte Sch. die Gesohichte einer
Bauernfamilie mit, die seit langen Jahren von allen Gemeindegliedern getrennt
lebend, in einen krankhaften ekstatisch-religiösen Zustand gerieth unter dem
Einfluss aszetischer Uebungen und religiöser Wahnvorstellungen. Es ist von
Interesse, dass diese religiöse Bewegung innerhalb der Familie von einem
schwachsinnigen Bauernburschen ausging, der unter dem Eindruck von Pseudo¬
halluzinationen gänzlich von religiösen Ideen beherrscht war, die sich nach und
nach bis zur wahnhaften Auffassung einer besonderen göttlichen Mission
steigerten. Die Folge der langen aszetischen Uebungen, an die sich schliesslich
energische Versuche des Ezoroismus anschlossen, war der Tod zweier beteiligter
Frauen, die aller Wahrscheinlichkeit nach an Kollapsdelirien zu Grunde ge¬
gangen waren. _ Dr. Pollits-Mttnster.
Ucker Paranoia chronica querulatoria. Von Prof. Dr. Hermann
Pfister, erstem Assistenzarzt der psychiatrischen Klinik Freiburg i. B. All¬
gemeine Zeitschrift für Psychiatrie; 59. Bd., 5. H.
Verfasser ergänzt die bereits recht reichliche Literatur über Qaerulanten-
wahn durch einen eingehend beobachteten Fall, in dem die Entmündigung be¬
antragt war. Pf. gelangt zu folgenden Erwägungen: W. kann zwar einfache
Dinge sehr wohl überlegen, übersieht die Verhältnisse des Lebens nach vielen
Richtungen hin gut, kann auch die Thätigkeit und Leistungen eines Agenten
(seines Berufes) nach Beinern theoretischen Wissen sehr wohl erfüllen, auf Er¬
werb oft mit Erfolg ausgehen.Aber damit ist er noch nicht voll int
Stande, seine Angelegenheiten im Sinne des §. 6 des & G. B. zu besorgen.
Wenn man unter Angelegenheiten nicht einzig und allein die eigenen
Vermögensangelegenheiten versteht, sondern „die Gesammtkeit der Beziehungen
eines Menschen za seiner Familie, seinem Vermögen und der Gesellschaft, so
gilt dies nicht für einen Menschen, dessen Denken und Handeln durch Wahn¬
vorstellungen vollkommen beherrscht ist.“ Der Kranke ist daher wegen Geistes¬
schwäche nicht im Stande, seine Angelegenheiten zu besorgen.
Dr. Pollitz-Münster.
Kleinere Mittheilungen und Referate ans Zeitschriften.
33
B. Sachverständigen thätigkeit in Unfall- nnd Invaliditäts-
sachen.
Znm Nachweis der Simulation bei Hysterischen nnd Unfall-
kranken. Von Hofrath Dr. v. Hoesslin, dirigirendem Arzt der Kuranstalt
in Nenwittelsbach bei München. Münchener mediz. Wochenschr.; 1902, Nr. 87.
Verfasser l&ngnet ebensowenig, dass bei einer bestehenden Hysterie nach
einem Unfall, sei er mit einer Verletzung oder auch nur mit einem grossen
Schreck verbanden, eine Aggravation eintreten oder ans einer latenten Hysterie
iveh ein Trauma eine paroxysmale werden kann, wie dass bei einem Gesunden
nach einem Trauma, besonders wenn es mit einer Commotio cerebri einhergeht,
sich eine schwere Neurose entwickeln kann. Anderseits ist aber Verfasser
ebenso überzeugt, dass sehr viele der sog. traumatischen Neurosen lediglich als
Produkte der Uebertreibung und Simulation anzusehen sind. Diese Heber-
traibung ist besonders dann sehr wahrscheinlich, wenn die angegebenen Folgen
ia gar keinem Verhftltniss zu dem erlittenen Unfall stehen und mit dem Unfall
weder eine schwere Verletzung, noch ein grosser psychischer Schreck ver¬
banden war.
Für den Nachweis der Simulation giebt die Untersuchung des Gesichts¬
feldes sehr wichtige Anhaltspunkte, besonders wenn ein röhrenförmiges Ge¬
sichtsfeld (Greef) besteht. Verfasser hftlt das röhrenförmige Gesichtsfeld unter
allen Umständen für simulirt, d. h. eher charakteristisch für die Simulation
als für die Hysterie. Ebenso lüsst sich ein anderes Symptom, die vom Ver¬
fasser Vorjahren genannte paradoxeKontraktionderAntagonisten
für den Nachweis der Simulation sehr häufig verwerthen. Die Prüfung wird in
folgender Weise vorgenommen: Man verlangt die Ausführung einer bestimmten
Bewegung, z. B. Bewegung im Ellbogengelenk und Annäherung der Hand an das
Gesicht; dabei erschwert man durch eine entsprechende Widerstandsbewegung
diese Bewegung, indem der Untersuchende den Ellbogen deB Untersuchten auf seiner
linken Hand ruhen lässt und durch Druck seiner rechten Handfläche gegen die
Volarfläche des Handgelenks des Untersuchten der Flexion im Ellbogengelenk
catgegenarbeitet. Der den Bewegungen des Untersuchten entgegenzusetzende
Widerstand wird nach der Kraftleistung des Letzteren bemessen. Je kräftiger
der Untersuchte die Bewegung ausführt, um so stärker kann der Widerstand sein
ud umgekehrt. Durch den Widerstand soll die Bewegung nicht unmöglich,
senden nur erschwert und verlangsamt werden. In dem Augenblicke, in
welchem der Untersucher seinen Widerstand plötzlich aufgiebt, schnellt der
Vor de ra rm wie eine schnellende Feder in der Richtung der intendirten Be¬
wegung, im gegebenen Falle also gegen das Gesicht des Untersuchten. Genau
das gleiche Verhalten beobachten wir ceteris paribns bei allen anderen Be¬
wegungen. Mit dem plötzlichen AufhOren des Widerstandes
schnellt das Glied immer in der Richtung der intendirten
Bewegung. Dies Verhalten beobachten wir bei allen Gesunden, ferner bei
allen durch organische Erkrankungen bedingten Lähmungen, soweit es
rieh nicht um absolute Paralysen, sondern um Paresen handelt. Je bedeutender
die Parese ist, einen um so geringeren Widerstand dürfen wir anwenden.
Verfasser hat seit Jahren hei jeder anatomisch begründeten Parese nie
rine Ausnahme in dem geschilderten Verhalten gefunden, es müssten denn
schmerzhafte Gelenkerkrankungen vorliegen, welche den Kranken veranlassen,
eine beabsichtigte Bewegung durch gleichzeitige Kontraktion der Antagonisten
willkürlich reflektorisch zu hemmen. Ganz anders ist das Verhalten bei simu-
Hrton und den sog. funktionellen oder hysterischen Lähmungen. Lässt man
derartige Kranke eine Bewegung mit der scheinbar paretischen Extremität
susführen, so fühlt man sofort, dass gar kein energischer Versuch gemacht
wird, den Widerstand, den man der Bewegung entgegensetzt, zu überwinden;
wird wirklich ein gewisser Kraftaufwand geleistet, dann geschieht es nicht
■it denjenigen Muskeln, welche die verlangte Bewegung ausführen müssten,
sondern es werden gleichzeitig die Antagonisten kontrahirt,
so dass die Muskeln gegenseitig ihre Wirkung aufheben oder es werden über¬
haupt alle Muskeln der Extremität gleichzeitig gespannt, so dass es zu keinem
BewegungsafTekt kommt, ln Folge dessen schnellt non das unter-
siebte Glied beim plötzlichen AufhOren des Widerstandes
zieht in die Richtung der verlangten Bewegung, weil eine
84
Klda«N Mitteilungen ud Referate au Zeitschriften.
Intention, das Glied in diese Bichtung an bringen, Oberhaupt nicht gemacht
wurde. Diese Kranken wollen den üntersucher überzeugen, dass Bie eben nicht
die Kraft haben, die von ihnen verlangte Bewegung auszuftthren und sie kon-
trahiren zu diesem Zwecke Muskeln, welche ein Zustandekommen der ver¬
langten Bewegung direkt verhindern.
Verfasser hält die sog. hysterischen Lähmungen ebenso simulirt, wie
verschiedene andere Krankheitserscheinungen bei diesen hysterischen Personen
(Fieber, notorische Krampfanfälle, Bespirationskrämpfe etc.); er hält diese Si¬
mulation und Uebertreibung bei den Hysterischen nur für ein Symptom der
Allgemeinerkrankung, der psychischen Veränderung, der abnormen Charakter¬
anlage. Findet man daher neben einer ausgesprochenen hysterischen Veran¬
lagung eine oder mehrere Erscheinungen, die wir fttr simulirt oder übertrieben
halten, so wird man diese Simulation ebenso unter die Symptome der Hysterie
rechnen und den Kranken nicht wie einen Simulanten, sondern wie einen
Hysterischen behandeln. Ebenso wird man sich bei Begutachtung eines der¬
artigen Hysterischen dahin aussprechen, dass der Kranke zwar übertreibt und
die oder jene Symptome simulirt, dass aber diese Simulation nur eine Theil-
ersoheinung der Grundkrankheit, der Hysterie, sei. Man wird vielleicht auch
darauf hinweisen, dass bei Hysterischen, die keine Bentenansprüche machen,
ebenfalls genau die gleichen Uebertreibungen und Simulationen Vorkommen.
Werden dagegen bei Unfallhranken ausser den beiden erwähnten Simnlations-
zeichen (röhrenförmiges Gesichtsfeld und paradoxe Kontraktion der Antago¬
nisten) keine anderen Anhaltspunkte fttr Hysterie festgestellt, so muss man
sioh hüten, aus den als übertrieben und simulirt erkannten Erscheinungen eine
Unfallneurose konstruiren zu wollen.
Verfasser nimmt bei Unfallkranken nur dann eine Depression nach Unfall
an, wenn diese Kranken dabei keine Symptome bieten, welche als simulirt er¬
kannt werden; der wirkliche Hypochonder giebt seine krankhaften Sensationen
an, er simulirt aber keine Krankheitsersoheinungen etc. Zum Schlüsse werden
noch einige Beispiele angeführt, in welcher Weise das Symptom der paradoxen
Kontraktion der Antagonisten für hysterische resp. simulirte Lähmungen und
anderseits das Fehlen dieses Symtoms für organische Storungen sich ver-
werthen lässt. _ Dr. Waibel-Kempten.
Zusammenhang zwischen Betriebsunfall (Fall auf den Hinterkopf
aus einer Höhe von 1 */» m) und einer organischen Erkrankung des
Kleinhirns und der diesem unmittelbar benachbarten Theile des zen¬
tralen Nervensystems, nicht aber lediglich ein funktionelles Nerven¬
leiden (insbesondere eine Hysterie). Obergutachten, auf Veranlassung
des Beichsversicherungsamts erstattet unter dem 9. April 1901 von Dr.
Cassirer, L Assistenten an der Poliklinik des Professors Dr. Oppen¬
heim in Berlin und von Prof. Dr. Oppenheim.
Der 48jährige Patient erlitt nach seinen eigenen Angaben, die im
Wesentlichen der aktenmässigen Darstellung entsprechen, am 24. September 1900
einen Unfall dadurch, dass er durch Umkippen eines Brettes von einer l 1 /» m
hohen Büstung herabfiel und mit dem Hinterkopf auf den Boden aufschlug.
Er war einen Augenblick lang wie benommen, setzte sich eine kurze Weile
hin und konnte dann bald wieder weiter arbeiten. Am Hinterkopfe war eine
Beule entstanden, die er selbst sich mit kühlen Umschlägen behandelte. Am
27. September 1900 wandte er sich an Herrn Dr. L., dem er über Schmerz¬
haftigkeit der linken Hinterkopfseite bei Druck und bei Bewegungen klagte.
Ein objektiver Befund konnte von Herrn Dr. L. nicht erhoben werden. 0.
arbeitete weiter bis zum 6. Oktober 1900, an welchem Tage er von Herrn
Dr. L. wegen einer Bronchitis diffusa und Lungenemphysem für erwerbsunfähig
erklärt wurde. Am 29. Oktober 1900 erklärt ihn dieser Arzt für arbeitsfähig
(Blatt 14 der Bernfsgenossenschaftsakten). 0. versuchte aber nicht zu arbeiten,
wandte sich vielmehr an einen anderen Arzt, Herrn Dr. St., dann am 26. No¬
vember wiederum an Herrn Dr. L., dem er über Kopfschmerzen und Schwindel
klagte; er wurde auf Bath dieses Arztes am 4. Dezember in die Nervenab-
theUung der Königlichen Charitä aufgenommen, wo er bis zum 14. Januar 1901
blieb. Auch hier bestanden seine Klagen in fortwährendem Schwindelgefühl
Und Hinterkopfsehmerzen. Bei der ärztlichen Untersuchung wurde hier die
Kleinere Mittheilungen and Referate atu Zeitschriften. 85
Uaaäeherheit des Gehens and Stehens festgestellt, ausserdem eine übermässige
Erregbarkeit der Hersaktion, and eine allgemeine Schlaffheit and Depression.
Dareh die Behandlung (Galvanisation des Kopfes, leichte Abreibungen) wurde
eine gewisse Besserung erzielt (Blatt 8 der Schiedsgerichtsakten). Doch konnte
0. nach seiner Entlassung seinen Angaben zufolge ebenso wenig irgend etwas
arbeiten, wie Torher. In der Folgezeit ist er dann noch verschiedentlich ärzt-
liek untersucht und begutachtet worden. Die Klagen des Untersuchten be¬
wegten sich immer in derselben Richtung; der objektive Befund beschrftnkte
ach auf Feststellung der starken Unsicherheit beim Gehen und Stehen und die
Sehwiche der Hersaktion. Nur in dem Gutachten von Herrn Dr. R. ist noch
eine Ungleichheit der Papillen bemerkt, „die rechte ist weiter und reagirt
träger als die linke*. Von diesem Untersucher wurde eine Blutung unter das
9ehftdeldach angenommen. In der Nervenklinik der Charitö, in welcher der
Patient sich nun Zwecke der Begutachtung vom 29. Juni bis 11. Juli 1901
wiederum aufhielt, ergab die Untersuchung durch Herrn Privatdozent Dr. S.
dasselbe Resultat wie beim ersten Aufenthalte, nur war die Unsicherheit noch
stärker geworden, und es hatte sich ein Zittern der Hftnde eingestellt. Der
üshlaf war mangelhaft, bei Ablenkung der Aufmerksamkeit wurde ein Nachlass
des Schwankens beobachtet. Objektive Symptome anderer Art wurden nicht
hstgesteUt. Die Diagnose wurde auf Neurasthenie gestellt. Die Klagen des
0. selbst, die er bei seinen jetzigen Untersuchungen äUBsert, decken sich im
Grossen und Ganzen mit den von ihm froheren Untersuchern gegenüber ange¬
gebenen. Er leide an einem dauernden Schwindel, so dass er immer wie ein
Betrunkener gehe, der Schwindel habe in letzter Zeit noch weiter zugenommen,
» dass er allein Oberhaupt nicht mehr auszugehen wage; auch in seiner Woh-
mng bewege er sich so unsicher, dass er h&nfig, wie seine ihn stets be¬
gleitende Frau bestätigt, die Gegenstände umreisse. Auf der Strasse sei er
aekon wiederholt vor Schwindel umgefallen und habe sich dabei geschlagen.
Zeitweise trete auch Uebelkeit ein, niemals Erbrechen. Der Schwindel komme
besonders, wenn er den Kopf nach vorne oder hinten bringe, er mOsse ihn
daher immer steif halten. Weiterhin habe er heftige Schmerzen im Kopfe,
besonders im Hinterkopfe. Beim Schlafen könne er nur auf der rechten Seite
des Gesichts liegen und müsse sich dabei auch noch auf ein Wattekissen auf-
legen, weil er sonst den Druck nicht aushalte. Der Schlaf sei immer sehr
schlecht; allmählich habe sich auch ein Zittern am ganzen Körper eingestellt,
m sei schreckhaft und empfindlich gegen Geräusche geworden. Ueber Angst¬
gefühl habe er nicht zu klagen. Im Anfänge habe er Sausen auf dem linken
Oise gehabt, jetzt nicht mehr.
Weiter klagt 0. dann noch Ober ein heftiges DurstgefOhl, das ihn zwingt,
sehr häufig und auch ziemlich grosse Quantitäten zu trinken (nach Angaben
der Frau Ober 8 Liter täjglich), ferner Ober eine Störung des Sehens, indem bei
längerem Hinsehen auf eine Stelle regenbogenförmige Ringe vor seinen Angen
anftreten.
Ueber vorausgegangene Krankheiten berichtet er nur, dass er vor einigen
Jahren an einer Ischias gelitten habe. In der Jugend sei er wegen einer an¬
geborenen Hasenscharte operirt worden. Er sei zwar immer ein schwächlicher
Mensch gewesen, habe aber doch seine volle Arbeit leisten können. Ueber-
aässiger Alkoholismus und syphilitische Infektion werden geleugnet. Vier
Kinder sind früh gestorben, lebende Kinder hat der Patient nicht.
Die Untersuchung ergiebt: 0. ist ein ziemlich grosser, hagerer Mann
tob blasser Gesichtsfarbe und ziemlich schlechtem allgemeinen Ernährungszu¬
stände. Nase und Oberlippe sind durch Hasenschartenbildung entstellt. Der
Gesichtsausdruck des Untersuchten ist stets ein deprimirter. Beständig sind
beiderseits die Stirnmuskeln stark angespannt, wodurch auf der Stirn tiefe
Qierfalten entstehen. Bei der Untersuchung fällt zuerst die Unsicherheit des
Gehens und Stehens auf. Der Patient geht mit Unterstatzung eines Stockes
breitbeinig, unsicher, mit grossen Schwankungen und gelegentlich unter wirk¬
lichem Schleudern der Beine. Die Unsicherheit nimmt zu, wenn 0. ohne Stock
geht. Beim Stehen mit offenen Augen stützt er sich, indem er sich vornOber
sögt, fest auf den Stock und stellt die Fasse breit auseinander. Auch dabei
schwankt er schon. Das nimmt zu, wenn der Patient die Beine näher anein¬
ander bringen will, oder wenn er die Augei schliesst. Die geschilderten
Kleinere liittheilungen und Referate ans Sieitschri&efl.
36
Störungen des Gehens nnd des Stehens sind völlig konstant, es gelingt nicht,
sie dnreh Ablenkung der Aufmerksamkeit in irgend einer Weise an modifiziren,
ebenso wenig anf suggestivem Wege. Ich bin dem Patienten, ohne dass er
mich sehen konnte, auf der 8trasse gefolgt und habe mich überzeugen können,
dass auch dabei die Unsicherheit des Ganges unverändert blieb. Besonders
charakteristisch war sein Benehmen beim Uebergang über die Strasse und beim
Binsteigen in die Droschke, das sehr vorsichtig und mühsam geschah. Beim
Gehen und Stehen macht sich noch die weitere Erscheinung hemerklich, dass
der Kranke seinen Kopf dauernd in einer bestimmten (Vertikal*) Stellung fixirte.
Die Aufforderung, sich nach vorn- oder hintenüber zu beugen, führt er nur
sehr unvollkommen aus, weil der Sohwindel dabei angeblich zu stark wird.
Beim Liegen legt er die Hand unter den Hinterkopf. Als BrklSrung dafür,
dass er beim Gehen sich immer stark nach vorn neigt, und den Stock dabei
dementsprechend immer weit vorsetzt, giebt er an, dass er die Neigung habe,
nach hinten zu fallen, nnd dass er dieser Neigung auf die geschilderte Weise
entgegenwirke.
Beim Sitzen schwankt der Rumpf nur anbedeutend hin und her. In
der Rückenlage besteht in den Beinen keine Bewegungsunsicherheit. Die Be¬
wegungen der Arme sind ebenfalls frei von einer solchen.
Am Kopfe ist eine Narbe nicht zu fühlen; die Hinterhauptsschuppe ist
auf Druck {angeblich empfindlich; ein Einfluss auf den Puls lässt sich dabei
nicht feststellen. Die Papillen sind gleich, mittelweit, reaglren prompt auf
Lichteinfall und Konvergenz. Die Augenbewegungen sind frei, der Augenhinter¬
grund ist normal, das Gesichtsfeld zeigt normale Grenzen. Die Zunge wird
gerade herausgestreckt, die Gesiehtsmnskulatur weist keinen Bewegungsausfall
auf. Die Kraft der Arme und Beine entspricht der Norm, in den ansgestreckten
Händen und bisweilen auch in den Beinen macht sich ein rasches Zittern be¬
merkbar. Die Empfindungsfähigheit für Gefühlsreize ist nirgends am Körper
gestört, die Sehnenphänomene sind an Armen nnd Beinen von gewöhnlicher
Stärke, der Reflex beim Bestreichen der Fnsssohle erfolgt links dnreh Beugen
der grossen Zehe, rechts kommt es dabei überhaupt nicht zu einer deutlichen
Zehenbewegung.
Der Puls beträgt in der Ruhe etwa 80 Schläge in der Minute, beim
Versuche des Patienten, sich zu bücken oder den Kopf nach hinten zu beugen,
ändert sich die Pulsfrequenz nicht, dagegen tritt regelmässig eine sehr erheb¬
liche Erhöhung derselben ein, wenn 0. einen Stuhl oder einen ähnlichen etwas
schwereren Gegenstand ein- bis zweimal durch das Zimmer trägt. Die Puls¬
zahl steigt dann bis auf 144, während der Pnls beim Gesunden auf diese Weise
höchstens um 8 bis 12 Schläge erhöht wird. Die Herztöne sind leise, aber
rein, die Herzdämpfnng ist nicht verbreitert. Die Erregbarkeit der Gefäss-
nerven für meohanisshe Reize ist unbedeutend erhöht. — Der Urin ist frei von
Eiweiss und Zucker. Die inneren Organe weisen keine krankhaften Verhält¬
nisse auf.
Die von mir ansgeftthrte Untersuchung hat also als Hauptsymptom eine
sehr erhebliche Störung des Gehens und Stehens ergeben. Diese
Störung der Bewegungsfähigkeit (Ataxie) muss als Ausdruck
eines materiellen organischen Hirnleidens angesehen werden.
Es kann zwar eine funktionelle Erkrankung des Nerven¬
systems, insbesondere die Hysterie, zu einer Bewegungsstörung führen,
die in manchen Punkten dem hier vorhandenen Bilde ähnelt (sogenannte hysterische
Ataxie); aber dass es sich um eine solche hier nicht handelt, dafür lässt sich
eine von Merkmalen anftthren. Es wnrde hervorgehoben, dass die
Störung eine vollkommen konstante ist; sie blieb bestehen, auch wenn sich der
Patient ganz unbeobachtet glaubte, sie war weder durch Ablenkung der Auf¬
merksamkeit, noch dnreh irgendwelche psychische Beeinflussung zu beseitigen
oder auch nur za modifiziren; sie erwies sich somit als unabhängig von irgend
welchen Vorstellungen des Individuums, während diese Abhängigkeit von Vor¬
stellungen gerade bei der hysterischen Ataxie wie bei anderen hysterischen
Symptomen meist nachweisbar ist. Die Ataxie hat dabei im vorliegenden Falle,
wenn sie auch sehr hochgradig ist, nichts Uebertriebenes und Gemachtes an
sieh, sie wechselt in ihrer Stärke nicht, sondern es besteht bei allen Unter¬
suchungen eine Gleichmässigkeit der Störung, was ebenfalls gegen die Auf¬
fassung des Symptoms als eines hysterischen spricht. Im gleichen Sinne ist
Kleinere Mittheilungen and Befer&te aas Zeitschriften.
87
zu Terwerthen die Art and Weise, wie der Patient seine subjektiven Be¬
schwerden schildert and mit den angeführten Störungen in Einklang bringt.
Daau kommt, dass ausgesprochene sonstige hysterische Symptome fehlen. Die
oben angeführten allgemeinen nervOsen Symptome (schlechter Schlaf, leichte
Erregbarkeit u. s. w.) können sehr wohl als Folgen des bestehenden schweren
Nervenleidens angesehen werden.
Anf Grand dieser Erwägungen kommen wir sa der Ueberseagnng, dass
es sieh am ein funktionelles Nervenleiden, insbesondere am eine
Hysterie, bei 0. nicht handeln kann. Für diese Auffassung ergeben sich
ater auch noch weitere Gründe. Die Bewegungsstörung hat sieh mit einer
Reihe anderer Krankheitsseichen kombinirt, und gerade diese Kombination
spricht für die organische Notar des Leidens und weist uns auch auf eine
bestimmte Stelle des neutralen Nervensystems als Sits des Leidens hin. Za
diesen Erscheinungen gehört in erster Reihe das gesteigerte Durstgefühl and
die dementsprechend gesteigerte Aufnahme von Flüssigkeiten, die allerdings
nor aas den Angaben des Kranken und seiner Frau geschlossen werden kann.
Für diese Auffassung spricht die Erscheinung, dass der Patient den Kopf beim
Gehen dauernd in einer bestimmten Stellung fixirt hält, dass er bei Lage-
veränderangen einen brüsken Stellungswechsel der Kopfhaltung vermeidet, s. B.
beim Sichniederlegen den Kopf durch die untergeschobene Hand stfitst. Diese
Fixirang des Kopfes hat darin ihren Grund, dass sich bei Aenderung der Kopf¬
haltung, die sich dem Patienten erfahren gsgemäsa als die günstigste erwiesen
hat, die Beschwerden steigern, namentlich das Schwindelgefübl nnd die Un¬
sicherheit sunehmen.
Des Ferneren ist in diesem Zusammenhänge noch sn bemerken, dass
Anfangs bei dem Kranken auf der linken Seite starkes Ohrensausen bestanden hat.
Die genannte Kombination von Krankheitserscheinungen weist ans auf
das Kleingehirn und die diesem unmittelbar benachbarten
Theile des zentralen Nervensystems (vierte Gehirnkammer, Ver-
biadangen des Kleingehirns mit dem verlängerten Mark) als Sitz der Affektion.
Erfahrungsgernftss entwickeln sich nun nach Verletzungen des Schädels and
namentlich des Hinterkopfes in den genannten Gebilden kürzere oder längere
Zeit nach dem Unfälle nicht selten Veränderungen, die eine verschiedene
anatomische Grundlage haben können. Es kann sich nm mehrfache Blutungen
ia die 8ubstanz dieser Hirntheile bandeln, nnd es kann sich dann um die
kleinen Blutherde herum eine allmählich fortschreitende Erweichung entwickeln.
Es kann auch eine grossere Blutung eintreten, die eventuell in eine schon
variier vorhandene, vielleicht angeborene Zyste hinein stattfindet. An eine
solche Entstehungsart konnte man im vorliegenden Falle deswegen denken,
weil wir bei dem Patienten auch an einer anderen Stelle des Körpers das
Vorhandensein einer angeborenen Entwickelungsanomalie (in Form der Hasen¬
scharte) vor uns sehen. Eine ganz sichere Diagnose über die Art des zu
Grande liegenden anatomischen Prozesses lässt sich aber im vorliegenden Falle
licht stellen.
Da 0. bis zum Zeitpunkte seines Unfalls völlig arbeitsfähig gewesen ist
■ad erst seither alle die seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigenden Symptome
anf ge treten sind, so ist es absolut geboten, einen Zusammenhang
des jetzt bestehenden Leidens mit dem am 24. September 1900
stattgehabten Unfall ansunehmen, zumal, wie schon betont wurde,
die Art des Unfalls wohl geeignet erscheint, einen Krankheitszustand wie den
vorliegenden hervorzurufen.
Als ein Symptom, das für die Beurtheilang der Arbeitsfähigkeit des
Kranken von besonderer Bedeutung ist, muss noch die abnorm starke Beein-
flaeeberkeit des Pulses durch körperliche Thltigkeit erwähnt werden.
Ich nehme an, dass die Brwerbsfähigkeit des 0. durch die Folgen des
Unfalls, den er am 24. September 1900 erlitten hat, auf 10 Prozent der vollen
ErwerbafKUgkeit herabgesetzt ist. 0. ist nur noch im Stande, sitzend leichte
Arbeit zu verrichten. Dieser hohe Grad von Beschränkung der Erwerbsfähig-
kalt hat rieh wahrscheinlich ent allmählich in den letzten Monaten eingestellt,
Dean sowohl nach den Angaben des Patienten, als nach den vorliegenden ärzt¬
lich» Aeusserungen seheint es, als ob die BewegungstOrang erst nach nnd nach
den jetat vorhandenen hohen Grad erreicht hat, doch ist es nicht möglich, einen
koatuuntea Zeitpunkt dafür anzugeben.
38
Elmare Mitheilungen und Referats aus Zeitschriften.
Die Beurtheilung, welche das Leiden des Klägers in dexa vorstehenden
Obeigntachten gefunden hat, in Verbindung mit der daselbst getroffenen
Sobätsung der Es^erbailihigfedf. und dem Sind rucke, den der Vertatst» per-
sönlibh auf da» Keknt^gmtht machte, aind för dieses bestimmend geweses.
statt der von ikti Vorinöfaitiea för ausreichend srachtetea Thsilrente von
66*;* Present die Vollrente zu gewähren.
0, Bakteriologie, Infektiunskraakheiten, Hygieoe und
ö.f lautliches Saaltä tswesen.
lieber den bakteriologischen Befand bei einer Dysenterie»
epidemie in Sftdsteiermnrk. Von Br. Paul Theodor Möller, Aaaisteoten
am Institute. Aas dem hygienischen Institute der Universität Grat. Zentral-
hlatt für Bakteriologie, ParaaHenkunde and Infektionskrankheiten; I. Abtb.,
1902, 81. Band, Nr. 12,
Möller hat Vier Fälle ans einer l,n Südsteiermatk anfgatretenen Rohr*
epidemie untersucht und in den Detektionen von dreien derselben einen Bacillus
isolirt, dessen Identität mit dem .-'Kt »aersehen Dysentetiabacillos er durch die
verschiedensten Zttobtangsmethoden und die Agglutination mit dem Seria von
Kaninchen feststellen konnte, die gegen Bac. Kruse sowie erneu seiner Stämme
immunisirt waren, „ Dr« Le o t z - Berlin.
Zur Frage der 'Widerstandsfähigkeit der Sbig» - gjrnee'ÄcbeD
Ruhrhazilleu gegen Winterfrost Von Oberarzt Dr« Georg Schmidt,
Aus der baMbrioli^isehen Station des Garaieonlamretke Berlin • Tempelhoff.
Ibidem.
Es &£ eine immer wieder zu machende Beobachtung, dass eine Rnhr-
epidestiö zu Beginn derwatmea Jahreszeit dort wieder atiftrtu, wo‘gegen
Ende des Vorjahres die letzten Ruhrfälle beobachtet sind. Diese Erscheinung
kann «wei lirsacbea haben« Einmal können leichte, unbemerkt gebliebene, so¬
wie chronische Erkrankungen die Natjerkrankungen veranlassen oder die Rtihr-
erreger können in irgend einer Weise ausserhalb des menschlichen Körpers
überwintern, und so im folgenden Jahr« neue Krfcranknngeu veranlassen,.
Dm die letztere Möglichkeit cu prüfen, hat Schmidt in der Annahme,
dass der S h lg a ‘ eebe Baeiüas der Erreger der (nicht-tropischen) Bahr sei,
von einer.frischen ßubrbftaUle»*BouiHö»kttttar mehrere Oösea in je eine Garten*
erdepföfm, die mit Stuhl und Drin vermengt war, auf Kartoffelaokeiben, in
Leitung«’*- Und sterilieirteB W&sser, KaffeeAOfguii» 1 KaffflemUchattfgüss, Kaffee-
zackeraalgos«, Kftfföcmilt&suckeraniguss übertragen und je eine RaihA dieser
Proben zusammen mit jo einer frisch angelegten Agar« Und BouiUonkalttir dee«
selben Baciüaa Wibread zweier Wintenuonate Im Freien und bei Zimmer*
temperatur auf bewahrt.
Ana der nicht gao* Waren Schilderung der ITntersachuagsresult&ter geht
hervor, das ia den Medien,: j.» denen noch andere Bakterien ausser den Rühr*
bazilleu eathaltea waren, diu leUteren schnell Über wuchert wurden uud zu
Grunde gingen; dass sie aiöh dagegen in deh Reinkulturen sowohl bei Zimmer*
lemperatar, nl» auch in der Wteterkäll» 2 Monate lang i&bens- und entwiche,
lungafShig erhalten hatten. Dr. Leuts*Berlin.
Beitrag zue ’Di&ereiurirtt&gr von Typhaa-, Coli* und Rahrb&ziUen. I
, Aus dem Institut für utedis. Diagnostik hi Berlin, Von Dr. Martin Elop*
stock. Bert- klia. Wochenschrift; Nr- 34, 1902.
Zwecks Dlößrenzirung der genannten Bazillen tritt Verfasser Iftr deu
Ban»! ekow'scheu Nutrosa* Nährboden ein. Es sind 2 mit Lakmustinktur
gefärbte Nährboden erforderlich. Der eine besteht aus Nutrase (Utah Eascjn*
natriam), Milchzucker äs I.G, Na CI 0,5, Aq dest, ad 100,0. dar «weite enthält
an Stelle von Milchzucker Traubenzucker. Typhi»* Und RuhrbaciDns lleeso»
den Mlshzacker eatbaHeaden Nährboden unverändert, während öaet eoü Säure
bildete, ln dem Traubenzucker enthaltenden Nährboden bewirkten Bari. typhi
und Baofc. coli Säumbildung und Geriunung, letzterer jedbbh eofcuelter als ;
eraterer, RuhrbaalUau böwirkten nur Säurebildung. Auch eine Kombination t
van Milch aal Traubetszack« in der Barsiek’ow’Bhhbu Nährdäsaigkeit er*
Heisere Mittheilungen and Referate aas Zeitschriften.
8 »
wies nah sar DüFerensirang der Bokterien&rten gut, ebenso wie die Anwendung
dar Nährboden im GährungskOlbchen. Die 8 mit TraabenzaekerlOsnng be¬
spickten GährungskOlbchen boten noch 36 stttndigem Aufenthalt im Brutschrank
folgendes Bild: RuhrkOlbchen: Säurebildung, TyphuskOlbchen: Säurebildung
und Gerinnung, Colikölbchen: Säurebildung, Gerinnung und Gasbildung.
_ Dr. Räuber-Düsseldorf.
Ueber die Differenzirung der Ruhrbonillen mittels der Agglu¬
tination. Von Morinestabsant Dr. C. Martini und Kreisassistenzarst
Dr. 0. Lents, kommandirt zum Institut für Infektionskrankheiten.
Vergleichende kulturelle Untersuchungen über die Ruhrbasillen
nebst einigen Bemerkungen über den Launusfarbstoff. Von Kreis-
ssristensarat Dr. 0. Lentz. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrank¬
heiten; 1902, Bd. 41, Heft 3.
Bisher gingen die Ansichten über die Identität der an verschiedenen
Stellen gefundenen, als Erreger der Ruhr angesprochenen Bazillen sehr aus¬
einander. Während Shiga und Flexner die von ihnen und Kruse ge-
fsndenen Bazillen für identisch hielten, sieht Kruse in dem seinen eine
besondere, wenn aueh den Shiga-Flexner’schen nahe verwandte Spezies.
Auch eine aus Pfuhl, Schmiedioke, Sohüder und Lents bestehende
Kommission war noch zu keinem endgiltigen Resultat gelangt.
Die Verfasser sahen bei ihren Versuchen, die sie zunächst mit dem
Serum von Rohr-Rekonvaleszenten Vornahmen, dass durch dieses auch Stäb¬
ehen, welche zwar aus dem Darm Ruhrkranker stammten, aber von den
Shiga- und Kruse'sehen Bazillen mit Leichtigkeit sowohl morphologisch, als
auch kulturell zu trennen waren, ebenso stark agglutinirt wurden wie die
8täbchen, welche bei der DOberitzer Epidemie von v. Drigalski, Pfuhl und
Sehmiedieke gefunden waren. Die einzige Möglichkeit, die Frage einwands¬
frei zu lOsen, schien daher in der Beschaffung eines hochwerthig agglutinirenden
künstlichen Serums zu beruhen, welches durch Immunisirung geeigneter Thiere
gewonnen war.
Die Immnsirung kleinerer Thiere, Kaninchen und Meerschweinehen,
seheiterte an der hohen Giftigkeit der Ruhrbazillen. Es wurde deshalb eine
Ziege in Versuch genommen und mit dem Stamm Shiga behandelt. Es ge¬
lang, den Agglutinationswerth des Serums dieser Ziege bis auf den Titer
1:500 zu bringen. Mit diesem Serum untersuchten die Verfasser nun eine
Reihe von 22 Stämmen verschiedenster Herkunft, die sämmtlich durch das
Serum Ruhrkranker agglutinirt worden waren. Kulturell und morphologisch
waren die meisten dieser Stämme von den Shiga-Kruae-Flexner’achen
Stäbchen nicht zu unterscheiden. Dagegen wurden nur 10 von ihnen durch das
Serum der Ziege bis mindestens 1:400 agglutinirt, während die sämmtlichen
anderen nur noch in den Sernmverdünnungen 1:10, 1:25 oder 1: 50 schwache
Agglutination zeigten. Zu der ersten Gruppe gehörten Bazillen, welche in
Deutschland (Westfalen [Kruse] und DOberitz), Steiermark, China, Japan und
Nordamerika gefunden waren; in der zweiten Gruppe befanden sich über¬
raschender Weise die bisher für identisch mit dem Shiga’sehen Bacillus ge¬
haltenen Stämme Flexner und Strong, welche auf den Philippinen
gefunden waren.
Mittels des Stammes Flexner hatten die Verfasser ein Kaninchen im-
munisirt; das Serum des letzteren agglutinirte 2 Philippinenstämmo Flexner
bis zur Verdünnung 1: 4000, dagegen den Stamm Strong nur bis 1:50 und
Stämme der ersten Gruppe nur bis 1:25.
Die Verfasser halten es daher für erwiesen, dass die Stämme der Gruppe I
unter einander identisch sind, die Stämme Flexner und Strong dagegen
sowohl von jenen, wie auch unter einander artverschieden sind. —
Lentz suchte das oben gefundene Resultat auch auf kulturellem
Wege zu bestätigen. Der Stamm Strong hatte bereits in der Bouillon in¬
sofern ein anderes Verhalten gegenüber den echten Ruhrbazillen und dem
Stamm Flexner gezeigt, als er die Bouillon klar liess und einen dicken
Bodensatz bildete, während die anderen Stämme die Bouillon gleichmässig
trübten. Im Uebrigen war kein Unterschied in dem kulturellen Verhalten
herv or g e treten. L. untersuchte nun [das Verhalten der in Frage stehenden
40 Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften.
Bakterien gegenttber Tenehiedenen Znckerarten and Alkoholen, die er in Ver¬
bindung mit Lskmuslösung dem gewöhnlichen Fleisobwasser - Popton - Agar
znfBgte. Dabei fand er, dass die Stimme, welche durch das Ziegen-
Immnnsernm in gleicher Weise beeinflusst worden waren, und der Stamm
S t r o n g im Oberflächen - Ausstrich auf Maltose - Lackmus - Agarplatten wuchsen,
ohne den Agar sichtlich su verändern. Der Stamm Flexner dagegen hatte
den L&kmusfarbBtoff des Agars durch Säurebildung geröthet. Den Stamm
Strong von den echten Ruhrbazillen zu trennen, gelang schliesslich in Stich-
kulturen von Mannit - Lakmus&g&r. Diesen Letzteren liessen nur die 10 durch,
das Ziegen -Immunserum agglutinirten Bazillen völlig unverändert, alle an¬
deren untersuchten Stimme dagegen veränderten den Agar. Die Stimme
Flexner und Strong liessen ihn leuchtend roth erscheinen.
Durch diese biochemischen Reaktionen wird somit das durch die Agglu¬
tination erzielte Resultat bestätigt, nämlich, dass die von dem Immunserum
in gleicher Weise stark beeinflussten Stämme auch kulturell Bich vollständig
gleich verhalten, dass dagegen sich die Stämme Flexner und Strong von
den echten Ruhrbazillen wie auch von einander durch ihr verschiedenes Ver¬
halten der Maltose und dem Mannit gegenüber trennen lassen.
Die meisten der untersuchten Bazillen hatten in den Lakmus-Agar-
ROhrchen in der Tiefe der Agarsäule den Lakmusfarbstoff reduzirt; der Agar
erschien hier hell. Wurde eine solche Agarsäule der Luft ausgesetzt, so nahm
ihr entfärbter Theil schnell die Farbennüance an, die der obere Teil zeigte,
ein Beweis dafür, dass die Lenkobase des Lakmusfarbstoffs ein sehr labiler
KOrper ist, und dass die Bakterien bei anaerobem Wachsthum (in der Tiefe
des Agars) ebenso stark Säure bezw. Alkali bilden, wie unter aeroben Be¬
dingungen (in den oberen Schichten des Agars). Dr. Lentz-Berlin.
Die in Ostpreussen heimische Ruhr eine Amöbendysenterie. Von
Oberstabsarzt Prof? Dr. Jaeger in Königsberg i. Pr. Mit 8 Tafeln. Zentral¬
blatt für Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infektionskrankheiten: 1902 81. Bd„
Nr. 12.
Nach der preussischen Sterblichkeitsstatistik ist die Ruhr in den preußi¬
schen Regierungsbezirken erheblich stärker verbreitet, als in den rheinisch-
westfälischen Bezirken.
Jaeger unterscheidet:
1. die tropische Ruhr, bei der Koch, Kartulis, Kruse und Pasquale
AmOben fanden,
2. die japanische Ruhr, als deren Brreger man den Bac. dysenteriae Shiga
ansieht,
8. die rheinische Ruhr, deren Brreger von Kruse beschrieben, dem Bac.
Shiga sehr ähnlich ist.
LOsch hat schon 1878 in St. Petersburg in einem Falle von chronischer
Dysenterie AmOben gefunden.
Jaeger selbst fand in Königsberg in 86 Fällen, welche 2 Ruhrepidemien
aus den Jahren 1900 und 1901 angehörten, ausnahmslos Amöben.
Zur Untersuchung verwandte Jaeger den frischen, noch warmen Stuhl;
er brachte eine Schleimflocke unter ein Deckglas, dessen eine Kante er auf
einen kleinen Wachstropfen auflegte, um eine Quetschung des Präparates zu
vermeiden. Er konnte so die AmOben mit ihren rundlichen, stets byalinen
Fortsetzen mit Sicherheit von den in amöboider Bewegung befindlichen Leukozyten
mit mehr spitzen, stets gekörnten Fortsätzen unterscheiden.
Zrr Färbung brachte er nach Doflein’s Vorschrift das noch feuchte
Deckglaspräparat Dir 10 Min. in die Fixationsflüssigkeit (1 proz. Sublimatlösung
100 ccm Alcohol absol. 50 ccm + 6 Tropfen Eisessig), dann für 2 Min. in
70 proz. Alkohol, dem einige Tropfen Jodjodkaliumlösung bis zur schwachen
Gelbfärbung zugesetzt wurden; darauf färbte er in Hämatoxilin Grenaoher
10 Min., wusch bis zur Blaufärbung in Wasser und färbte in l # /«0 Eosin
1—2 Min. nach. Die Kerne der AmOben waren dann stets rotb, die der
Leukozyten und Bindegewebszellen stets blau gefärbt. Auch in Schnitten waren
diese Unterschiede deutlich.
Die Veränderungen im Darm stellten sich in den Fällen, die zur Sektion
kamen, als ein fast völliger Verlust der Schleimhaut des Dickdarms dar. Die
Kleinere Mittheilongen and Referate ans Zeitschriften.
41
Sahnen» lag frei an Tage. Mikroskopisch zeigten sich starke, zellige Infil¬
trationen, die in die Oewebeepalten eindrangen and als massenhafte Amöben-
i—lniigan erkannt werden.
Die Uebertragong der Amöben anf Katzen gelang J a e g e r bei 3 yon 4
VswnchiUitoca. In den Entleerungen zeigten sich im blutigen Schleim zahl-
frishe Amöben. Ein Thier ging rin; in seinem Dickdarm, dessen ganze Schleim-
baat injizirt war, fanden sich zwei kleine Geschwüre. In Schnitten dieses
Bunas fanden sich indessen bisher keine Amöben.
Jaegar misst den yon ihm gefundenen Amöben ätiologische Bedeutung
bei und will die Bezeichnung tropische Rohr für diese Form der Dysenterie
gestrichen wissen, da dieser Name für eine Krankheit, die sowohl in südlichen,
wie in nördlichen Breiten vorkommt, seiner Ansieht nach keine Berechtigung
mehr hat. Dr. Lents-Berlin.
Bemerkungen zu Jäger’« „Die im Osten einheimische Ruhr, eine
Asaöheadysenterie. u Von Dr. K. Shiga ans Japan. Zentralblatt für Bak¬
teriologie, Parasitonkunde nad Infektionskrankheiten; I. Abtb., 1902,32. Bd.,Nr. 5.
8kiga giebt als Unterscheidnngsmerkmale zwischen der Amoeba coli
und der Amoeba dysenteriae an: 1. die bedeutende Grösse der letzteren, welche
3—5 Mal so gross ist wie die erstere; 2. die ausserordentlich lebhafte Beweg¬
lichkeit der letzteren gegenüber der Trägheit der ersteren und 8. die Zahl der
im 8tuhl vorhandenen Exemplare, welche bei der Dysenterie-Amöbe gewöhnlich
sehr gross, bei der Amoeba coli ausserordentlich gering ist.
Da Jäger die yon ihm gefundenen Amöben (siebe das vorstehende Be¬
tont) ab verhältnissmftssig trüge beweglich schildert, bezweifelt Shiga, dass
Jiger die echten Dysenterie-Amöben gefunden hat. Dass derselbe den
8kiga-Krnse’sehen Dysenteriebacillus in den Dejektionen der von ihm unter¬
suchten Djsenteriekranken niemals fand, ist Shiga nicht auffallend; denn auch
ihm gelang es oft bei leichten Füllen nicht oder doch erst nach mehrfach
wiederholten Untersuchungen, den Bacillus festzustellen. Dr. Lentz-Berlin.
Erwiderung auf die Bemerkungen Shiga’s über meine Amöben-
befinde bei der iu Ostpreussea herrschenden Ruhr. Von Prof. H. J ft g e r
in Königsberg. Ibidem; Heft 12.
J. bleibt gegenüber der Behauptung Shiga’s, dass es sieh bei seinen
Amöbenbefanden nm Amoeba eoli gehandelt habe, dabei, dass er echte Rnhr-
amöben gesehen und beschrieben habe. Er identifizirt dieselben mit den in
Aegypten bei Ruhrkranken gefundenen Amöben, die er als besondere Spezies
isn ostasiatisehen gegenüberstellt. Als Belege für die Richtigkeit seiner An¬
tritt führt er die Urtheile der hervorragendsten Amöbenkenner, Braun, Lühe,
8ehandian und Robert Koeh an, welche seine Prftparate gesehen und sieh
dahin ausgesprochen haben, dass sie solchen von ägyptischen Ruhrf&llen voll¬
kommen glichen. _ Dr. Lontz-Berlin.
Verlauf und Ursache einer Hospitaldiphtherieepidemie. Von Dr.
Fritz Cuno. Deutsche med. Wochenschrift; 1902, Nr. 43.
Verfasser berichtet über eine interessante Diphtberiebausepidemie im
Chris t’sehen Kinderhospital in Frankfurt a. M., welche 16 Fülle von Februar
bis Jaul 1902 umfasst. Klinisch charakterisirtcn sich 11 Fülle als Bachen¬
diphtherie, während 5 Fülle eiterigen Nasenfluss darboten. Da jeder pnrnlente
Ausfluss aus der Nase sofort auf Diphtheriebazillen untersucht wurde, wurde
es ermöglicht, auch diese Fülle als Diphtherie zu erkennen. Trotzdem nach
Ausbraeh der Krankheit die betreffenden Sftle sofort gesperrt, die dipbtberie-
kranken Kinder auf die Diphtherieabtheilnng verlegt nnd die gesunden Kinder
koHrt wurden, ungeachtet auch der eingeleiteten Desinfektion nnd Einstellung
von Neuaufnahmen, dauerte die Epidemie fort. Die Entstehung derselben blieb
im Unklaren, bis die Untersuchung des Rachensekrets der Spitalskinder,
8ekweotern und Aerate die Aetiologie anfklärte, indem bei einer Schwester,
doren Rachen das Bild der chronischen Pharyngitis zeigte, Diphtheriebazillen
■angewiesen wurden. Es ergab sieb, dass das Auftreten der Diph¬
therie auf den einzelnen Sälen mit dem Dienstgang dieser
8ehwester seitlieh und örtlich korrespondirte. Sie wurde auf
42
Kleinere Mittheilungen und Referate ans Zeitschriften.
der Diphtherieabtheilung isolirt, mit Heilserum iojisirt und nach 10 Tagen
bei negativem bakteriologischen Befände in’s Mutterhaus entlassen.
Nach dem lotsten der 16 Diphtheriefttlle worden bei einer anderen
Schwester, die an chronischer Laryngitis litt, ebenfalls Diphtheriebasillen nach-
gewiesen. Da bei ihr frühere Untersuchungen anf solche negativ gewesen
waren, so nimmt Verfasser an, dass sie ebenso, wie die diphtheriekranken
Kinder von der ersten Schwester infizirt war.
Diese Hausepidemie bildet wiederum einen sehr lehrreichen Beitrag für
die Möglichkeit der Verbreitung der Diphtherie und seigt, dass auch scheinbar
gesunde bezw. an chronischen Bachenaffektionen erkrankte Individuen Trlger
aer Basillen sein und damit sur Entstehung von Epidemien Anlass geben
können (Referent). _ Dr. Btt sing-Bremen.
Das Bad als Infektionsquelle. Von Dr. Winternits in Tübingen.
Therapeutische Monatshefte; XVI. Jahrg., September 1902.
Verfasser bat die Untersucbnngsergebnisse von Sticher und 8troga-
noff, wonach beim Baden von Schwangeren und Kreissenden das Badewasser
in die Scheide eindringen und hierdurch eine Infektionsquelle geschaffen werden
soll, einer Nachprüfung durch eingehende Untersuchungen unterworfen und ist
dabei zu folgendem Ergebniss gekommen:
1. „Ein Eindringen des Badewassers in die Scheide konnte nioht nach¬
gewiesen werden.
2. Da beim Baden sehr viele Keime vom KOrper abgegeben werden und
in’s Badewasser gelangen, so ist es rathsam, nur solche Wannen zu benutzen,
die gut gereinigt und desinfizirt werden kOnnen.
8. Ein Bad soll nur ein Mal, auoh für dieselbe Kreissende benutzt werden.
4. Nach jedem Bade sollen, besonders vor der inneren Untersuchung, die
Kusseren Genitalien desinfizirt werden.
5. Werden diese Vorsiohtsmassregeln innegehalten, so ist das Bad nicht
als Infektionsquelle zu fürchten. _ Rpd.
Kohlenoxydvergiftung in einer Schule. Von Med.-Rath Majer,
Oberamtsarzt in Heilbronn. Mediz. Korrespondenzblatt des Wttrtt. ärztlichen
Landesvereins; 1902, Nr. 43.
In der Schale zu G. (Württemberg) waren am 13. April v. J. eine Anzahl
Kinder und die Lehrerin während des Unterrichts erkrankt. Nach dem Bericht
der letzteren hatte um 8 Uhr Morgens der Unterricht in dem geheizten Schul¬
zimmer begonnen; eine halbe Stunde später hatte ein Knabe angefangen, zu
schwanken und sich zu drehen; bald darauf wurde es einem zweiten Knaben
schlecht und kurz darauf fühlte sich die Lehrerin selbst ganz schwach. Sie
ist dann sehr bald und verhältmässig plötzlich, ohnmächtig geworden und mit
10—12 inzwischen ebenfalls erkrankten Kindern von den zu Hülfe gekommenen
Personen auf dem Boden liegend gefunden, während sich die übrigen Kinder
schreiend und weinend aus der Scbule geflüchtet haben. Nachdem die Kranken
in’s Freie getragen sind, haben sich einige alsbald wieder erholt, andere erst
nach längerer Zeit; die schwerer Erkrankten — 8 an der Zahl — sind in ärzt¬
liche Behandlung genommen und nach 24 Stunden wieder gesund und munter
gewesen, so dass der Unfall glücklicherweise ohne weitere schlimme Folgen
vorübergegangen ist. Es handelte sich bei den Erkrankten zweifellos um
eine Kohlenoxydvergiftung, deren Ursache in einer mangelhaften Verbindung
des Ofens mit dem Ofenrohre zu suchen war. Der Ofen, ein sogenannter Mantel¬
ofen, zeigte nach Entfernung des Mantels einen ganz bedeutenden Defekt in
der Wand des sogenannten inneren Mantels, also des eigentlichen Ofens. En
war hier das Blech auf beiden Seiten durchgebrannt, so dass beiderseits eine
grosse Oeffnung entstanden war. Der Defekt in dem inneren Mantel war
wahrscheinlich allmählich entstanden; so lange nun die Verbindung des Ofens
mit dem Ofenrohr noch gut und demzufolge der Zug gegen das Kamin ziemlich
stark war, wurden die Gase in’s Kamin fortgerissen; nachdem aber die Ver¬
bindung des Ofens mit dem Ofenrohr gelockert war, hürte dieser Zug gegen
das Kamin auf, die Kohle im Ofen verbrannte nnr langsam, so dass sich statt
Kohlensäure Kohlenoxyd bildete, das durch die Defekte im inneren Mantel in
den Raum zwischen äusseren und inneren Mantel gelangte, hier emporstieg und
Kleinere Mittheitungca und Betonte ms Zeitschriften.
43
sieh der Luft des Sehulztmmers beimengte. Interessent wer euch der Umstand,
dass sieh die Lehrerin and die ohnmächtig gewordenen Kinder nicht in der
Nähe des Ofens, sondern in der diesem gegenüber gelegenen Beke des Zimmers
befanden. Des giftige Ges ist daher vom Ofen an die Decke emporgestiegen,
hat seinen Weg der Decke entlang genommen and ist dann an der dem Ofen
entgegengesetzten Wand des Zimmers herabgesunken. BpdL
Die Bedeutung der taberknl3sen Belastung für die Entstehung
von Ohrenkrankheiten bei Kindern. Von Prof. Ostmann in Marburg aL
MAachener med. Wochenschrift; 1902, Nr. 20.
Verfasser hat durch Untersuchung sämmtlieher Volksschulkinder des
Kreises Marburg auf Krankheiten des Gehörganges ein hinreichend grosses
Material zur Prüfung der Frage gewonnen, ob besw. wie weit der tuberkulösen
Belastung eine Bedeutung für die Entstehung von Ohrenkrankheiten bei Kindern
sakommt.
Es wurden bei den Schuluntersuchungen 7687 Kinder im Alter von 6 bis
13 Jahren untersucht und von diesen 2141 = 28,4 °/ 0 ohrenkrank befunden.
Verfasser beschränkte dann später im Interesse sicherer Erhebungsreeul-
täte seine Untersuchungen hauptsächlich auf 8 Landgemeinden, von denen
sämmtüche Kinder, normalhOrende, wie schwerhörige nach ihrer Familienzuge-
kOrigkeit gmppirt und für jede der Familien feetgestellt wurde, ob tuberkulöse
Belastung vorlag oder nicht.
Hierbei wurden im Ganzen 676 Bänder vom 5. bis 13. Lebensjahre unter¬
sucht, von denen 162 = 23,9 % schwerhörig waren, d. h. auf einem oder beiden
Obren nur auf etwa */, der normalen Entfernung hGrten oder weniger. Diese
676 Kinder gehörten 385 Familien an, welche Verfasser in 3 Gruppen theilte:
a. Familien mit normalhOrenden, b. Familien mit normalhOrenden und schwer¬
hörigen, c. Familien mit nur schwerhörigen Kindern. Es ergab sich, dass
1. die tuberkulösen Familien prosentuarisch doppelt so viel sohwerhOrige
Kinder als die gesunden Familien haben;
2. unter denjenigen Familien, welche die relativ meisten schwerhörigen
Kinder haben, sich auch relativ am häufigsten tuberkulöse Belastung der Kinder
(73,4 # / c ) findet;
3. unter den tuberkulösen Familien sich bei denjenigen, welche die relativ
grösste Zahl schwerhöriger Kinder haben, auch relativ am häufigsten die
schwerste Form der tuberkulösen Belastung des Kindes findet;
4. die tuberkulöse Belastung die Entstehung von Ohrerkrankungen fördert
und einen ungünstigen Einfluss auf den Ablauf der entstandenen Ohren¬
erkrankung ausübt und swar um so mehr, je schwerer die Belastung ist.
Bezüglich der geheimnissvollen Fäden, die man zwischen der tuberkulösen
Belastung der Kinder und ihren Ohrenerkrankungen gezogen zieht, äussert sich
Verfasser am Schlüsse seiner äusserst interessanten und verdienstvollen Arbeit
dahin, dass das Bindeglied zwischen der Tuherkulose des nächsten Blutsver¬
wandten und den Ohrenerkrankungen der Kinder in erster Linie in der durch
die tuberkulöse Belastung bedingten erhöhten Vulnerabilität der Nasen- und
Raehensohleimhaut. einschliesslich des in ihr eingeschlossenen adenoiden Ge¬
webes, in zweiter Linie in der geringen Widerstandiskraft des Gesammtorganis-
mus der Kinder gegen schädigende Einflüsse zu suchen sei.
Dr. Waibei-Kempten.
Ueber die Nothwendigkeit, die untere Grenze des schulpflich¬
tigen Alters heraufsusetzen. Von Dr. Arthur Newsholme, med. off. of
healt for Brighton. Public Health; XIV, Juli 1902, 570—583.
Am Ende des Schuljahres 1900/1901 wurden die Elementarschulen von
England und Wales von insgesammt ca. 5700000 Schnlkindern besucht. Von
diesen standen im Alter von 2—3 Jahren 3258, 3—4 Jahren 205744, 4—5
Jahren 418742, 5—6 Jahren 583167 Kinder.
Der Autor woist nun darauf hin, dass dieser gar zu frühzeitige Schul¬
besuch erziehliche Vortheile nicht bringt, jährlich dem Staate 1 Million Sterling
unaöthige Kosten verursacht, die körperliche und seelische Entwickelung der
Kinder schädigt, die Morbidität an Infektionskrankheiten erhöht und die allge¬
meine Mortalitätsziffer steigert.
44
Kleiner« Mittbeilongen and Befer&te ans Zeitsohrilten.
Lesen, Schreiben, Beehnen sollte als Unterriehtsgegenstand vor dem
6. Lebensjahre nnbedingt Wegfällen. Auch die Bescbiftignng mit Nadel nnd
Gam stellt so höbe Ansprache an Angen nnd Finger, als dass die Kleinen ohne
jeden Schaden ihr nachkommen konnten.
Interessant ist, dass in Schottland von allen Schulkindern nur 2,2°/o
das Alter von 5 Jahren nicht erreicht hatten, wfthrend in England der
Prozentsatz 10,9 ist. Im Durchschnitt ist die schottische Bevölkerung
trotzdem weiter voran, besser erzogen, als die englische. Dann kommt aller¬
dings auch, dass für die geistige Entwickelung die häuslichen Verhältnisse dort
gttnstiger zu sein scheinen, als in England.
Die Luft in den Schulklassen bei den jüngsten Kindern ist bei einer
SohOlerzahl von 60—70 Kindern trotz aller Laftungsvorrichtungen eine hoch¬
gradig verdorbene. Die einfachste Häuslichkeit ist fttr die körperliche Ent¬
wickelung der Kleinen günstiger, als solch eine überfüllte Klasse. Kommen nun
noch Infektionskrankheiten dazu, so ist der Schaden ein gewaltiger. Nach
der Erfahrung des Autors, als Medizinalbeamten, ist der Schul¬
besuch unter 5 Jahren eine wesentliche Ursache dafür, dass Masern,
Scharlach, Keuchhusten und Diphtherie so sehr rasch und in so verhängnis¬
voller Weise epidemische Verbreitung erlangen.
Möglichst frühes Schüssen der Schale hält Verfasser nach seiner per¬
sönlichen Erfahrung für ein unzweifelhaft wirksames Mittel im Kampfe gegen
die einheimischen Infektionskrankheiten, insbesondere bei Diphtherie. „Aller¬
dings kommen auch nach Schluss der Schule die Kinder in den Nachbarhäusern
und auf der Strasse miteinander in Berührung und es scheint dem gesunden
Menschenverstand zu widersprechen, eine 8chule zu schliesBen und dabei
doch einen Verkehr in Haus und Strasse zu gestatten. In der
Praxis aber zeigt sich der Schulschluss wirksam, und wenn es bei Diphtherie
nicht gelingt, das epidemische Ausbreiten durch Ausschluss der verdächtigen
Kinder vom Schulbesuche einzudämmen, so giebt es kein anderes so wirksames
Mittel, als den Schulschluss. Gesunde und Kranke kommen ausserhalb der
Schule eben doch nicht in so nahe Berührung, als in derselben, besonders wenn
sie zu 60 in einer Klasse zusammensitsen. Dasselbe gilt für Scharlach in ge¬
ringerem Massstabe, mehr für Masern und Keuchhusten.“
Verfasser empfiehlt kleine Kinder-Bewahranstalten, die derart zu 8tande
kommen sollen, dass sich in einer bestimmten 8trasse die Mütter zusammen-
thun und abwechselnd die Fürsorge der eigenen und der fremden Kinder
übernehmen.
Die zuständigen Orts- und Zentralbehörden sollten aber unter allen Um¬
ständen den Schulbesuch der Kinder unter 5 Jahren um jeden Preis verbieten.')
_ Dr. Mayer-Simmern.
Zur Beurtheilung der Bors&nre und des Borax als Fleiseh-
konservirungsmittel. Von Dr. Boehm, Prof, der Pharmakologie in Leipzig.
Münchener medizinische Wochenschrift; Nr. 49, 1902.
Verfasser fasst seinen Standpunkt in der Borsäure-Borax-Frage in fol¬
genden Sätzen zusammen:
1. Kann der Zusatz irgend eines fremden Stoffes zu einem unentbehr¬
lichen Nahrungsmittel als Konservirungsmittel geduldet werden, so muss dieser
Stofffür die menschliche Gesundheit zweifellos unschädlich sein.
2. Borsäure und Borax gehören nicht zu den stark wirkenden Giften,
doch kann erfahrungsgemäss der länger fortgesetzte medikamentöse Gebrauch
dieser Stoffe Verdauungsstörungen, Hautausschläge und andere Krankheita-
symptome zur Folge haben. Vergiftungen mit tödtlichem Ausgang sind in
mehreren Fällen nach Einspritzung grosserer Mengen Borsäurelösung in
KOrperhOhlen, einmal auch nach innerlicher Einnahme einer grosseren Bor¬
säuredosis vorgekommen.
3. Wenn gegenüber den Erfahrungen bei der arzneilichen Anwendung
Gesundheitstorungen nach dem Genüsse borazirter Nahrungsmittel bis jetzt noch
>) Dem gesundheitlichen Interesse der Kinder entspricht es jedenfalls
mehr, das sechste Lebensjahr als unterste Grenze des schulpflichtigen Alters
m bestimmen, wie dies in Deutschland allgemein der Fall ist.
Kleinere Mittheilunnge und Referate ans Zeitschriften. 46
■kht bekannt geworden sind, so darf solche Nahrung noch nicht als unschäd¬
lich gelten.
4. Experimente mit Borsäure and Borax an Keuschen and Thieren sind
sehon wiederholt von verschiedenen Aerzten aasgeführt worden and haben zu-
nichst die am Krankenbette bei der Anwendung der Borate als Medikamente
gemachten Erfahrungen bestätigt, dasB kleinere Mengen dieser Stoffe eine
deutliche Wirkung nicht erkennen, Versuche mit grösseren Dosen hauptsächlich
■ehr oder weniger tiefe Schädigungen der Verdauungsorgane zur Beobachtung
kommen Hessen.
5. Durch neuere Beobachtungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes Uber
den Einfluss der Borpräparate auf die Ernährung und den Stoffwechsel ist er¬
wiesen, dass Borsänre und Borax die Ausnutzung der Nahrungsmittel im Darm¬
kanal -verringern und dass länger dauernde Znfahr von Borsäure oder Borax
mit der Nahrung, ohne den Stickstoffumsatz zu beeinflussen, das Körpetgewicht
trotz ausreichender Nahrungszufuhr verringert und eine Vermehrung der
KohleBaftureausscheidung bedingt.
Die jetzt vorliegenden Versuehsresnltate sind vollkommen ausreichend,
um einen nachtheiligen Einfluss der Borzufuhr auf die menschliche Ernährung
daran thnn.
6. Es ist der Einwand gemacht worden, dass die bei den Stoffwechsel-
versmehen an Menschen mit Borsäure und Borax verabreichten Mengen dieser
Stoffe grösser gewesen seien, als sie beim Genüsse borazirter Nahrungsmittel
in Betraeht zu kommen brauchten. Die in den Nahrungsmitteln faktisch vor¬
handenen Mengen dieser Konservirnngsmittel entziehen sich aber im gewöhn¬
lichem Leben jeder Kontrole und können nach den Ergebnissen der chemischen
Untersuchung verschiedener borazirter Fleischwaaren sehr leicht den Betrag
vom 2—S g pro Tag erreichen.
7. Das Vorkommen von Borsäure als normaler Fflanzenbestandtheil bat
nicht die geringste Bedeutung bei der Beurtheilnng der Wirkung dieses Stoffes
anf den menschlichen Organismus. Man braucht nur an die Entstehung sehr
starker Gifte fftr den Thierkörper, wie s. B. des Strychnins in der lebenden
Pftaase, an das Vorkommen von Blansknre, Jod- und Bromverbindungen in
vielen Pflanzen zu erinnern. _ Dr. Waibei-Kempten.
Die staatsärztliche Prüfung in England (The diplom in pnbic
health). Public Health; XIV, 1902, S. 669 und 615.
Beit dem 3. Juni 1902 sind nene Vorschriften fflr den staatsärztlichen
Dienst in England in Kraft getreten.
Zwischen der Approbation als Arzt und der Zulassung zur staats&rzt-
liehen Prüfung muss mindestens ein Jahr verflossen sein. Der Kandidat hat
den Nachweis zu liefern, dass er 6 Monate hindurch praktischen Unterricht in
einem Laboratorium genossen hat, in dem Chemie, Bakteriologie und
Pathologie der auf den Menschen übertragbaren Thierkrankheiten gelehrt
werden. Er hat ferner den Nachweis zu führen, dass er 6 Monate hindurch
Tag für Tag unter der Aufsicht eines Gesundheitsbeamten sich mit
den besonderen und allgemeinen Dienstpflichten des medical officer of health
bekannt gemacht hat. 1 )
Als Medizinalbeamte, die solche Kandidaten anfnebmen dürfen, dürfen
nu die Grafachaftsgesnadheitsheamten und jene Distriktsgesnndheitsbeamten
fanfirei, die voll beamtet sind oder in einem Distrikt — hi England von nicht
unter 60000, in Schottland and Irland von nicht unter 30000 Einwohner —
wirken.
Der Kandidat hat weiterhin in einem Hospital für .ansteckende
Kranke den Verwaltungsdienst kennen zu Immen; er muss mit den
Formalitäten der Aufnahme, der Entlassung der Kranken vertrant sein, muss
den Dienet des Oberarztes kennen und hat den betreffenden Nachweis durch
eia Zeugniss über einen 3 monatlichen Hospitalbesuch zu führen.
Die Prüfung dauert 4 Tage. Ein Tag wird zu praktischen Arbeiten
im Laboratorium verwandt. Dr. Mayer- Simmern.
*) Vergl. hierzu die Forderung von Reg.- und Med.-Rath Dr. Wodtk<*
.Der Vorbereitungsdienst des Kreisarztes“. Zeitschrift für Medizinal -Beam
1902, Seite 42.
46
Besprechungen.
Besprechungen.
Dr. O. Btpmnnd, Beg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden i. Westf.: Kalender
für Medizinalbeamte. EL Jahrgang. Berlin 1903. Fischer’« medi¬
zinische Bachhandlang (H. Kornfeld). Preis der Aasgabe A. (für die
preossischen Medizinalbeamten): 3,60 M.; Aasgabe B.: 3 M..
Pünktlich vor Jahresschiass ist der U. Jahrgang des Kalenders nur Aus¬
gabe gelangt. Er zeigt dieselbe handliche and elegante Form and bringt im
Allgemeinen den gleichen Inhalt. In der Anordnung des Stoffes hat dagegen
der Verfasser den ihm geäusserten Wünschen soweit als möglich Rechnung
getragen.
Wirkliche Mängel waren schon im I. Jahrgang nicht vorhanden und mit
den diesjährigen Verbesserungen dürfte der Kalender allen Ansprüchen ge¬
nügen, die der Medizinalbeamte an ein Taschenbach überhaupt stellen kann,
das ihm als Bathgeber bei dienstlichen Verrichtungen jeder Art dienen soll.
Die einzelnen Abhandlungen sind sorgfältig dnrebgesehen und zum Theil
ergänzt. So ist im Abschnitt IV. unter I.B. bei den ansteckenden Krankheiten
die Dauer der Immonität angegeben, sowie unter C. das Reichsgesetz vom
30. Jnni 1900 eingefügt worden.
Der Terminkalender ist wesentlich brauchbarer geworden, nachdem
für jeden Monat 2 ganze Seiten and genügender Baam. für Adressen verfügbar
gemacht wurde.
Besonders zweckmässig ist aber eine andere Vertheilang des Inhalts auf
Kalender and Beiheft. In das letztere sind nämlich alle die Abschnitte anf-
genommen, deren der Medizinalbeamte nicht überall, sondern meistens nnr im
Arbeitszimmer bedarf. Dahin gehören Untersuchung menschlicher Se- and Exkrete,
die bakteriologische Diagnose bei ansteckenden Krankheiten und die Todes-
arsachen-Statistik; ferner die ärztliche und amtsärztliche Gebührenordnung, sowie
die hauptsächlichsten Bestimmungen der Arzneitaxe zur Prüfung der Arzneirech-
nungen und endlich ein Verzeichniss aller für den Medizinalbeamten hauptsäch¬
lich in Betracht kommenden Anstalten im Deutschen Beiehe. Ausserdem bringt
das Beiheft in zuverlässigster Weise die Personalien der Medizinal-Behörden
und -Beamten im Beicbe und in den Einzelstaaten,
In den Kalender selbst — und zwar in die für die preossischen Medi¬
zinalbeamten bestimmte Ausgabe — wurden dagegen das Kreisarztgesetz, die
Dienstanweisung für Kreisärzte mit den bei Besichtigungen nöthigen Formu¬
laren und schliesslich die Geschäftsanweisung für die Gesundheitskommissionen
übernommen.
Vieles ist übersichtlicher geworden, z. B. die Bestimmungen über den
Verkehr mit Arzneien und Giften, der die Anzeigepflicht behandelnde Abschnitt
und Anderes mehr.
Die Mitarbeiter sind dieselben geblieben.
Die Ausstattung des Kalenders ist tadellos; der Preis ein Verhältnis«-
mässig niedriger. Am Einband wurde Bleistifthülle und Gummiband ange¬
bracht; das Beiheft erhielt einen stärkeren Umschlag.
Besonderer Empfehlung bedarf der Kalender hiebt; er ist unentbehrlich
für jeden deutschen Medizinalbeamten. Dr. Fielitz-Halle a. S.
Dr. M. Vogel, Sanitätsrat in Eisleben: Die erste Hülfe bei Unfällen
mit besonderer Berücksichtigung der Unfälle lm Bergbau und
ln den Terurandten Betrieben. Mit 81 Abbildungen im Text. Her¬
ausgegeben vom Vorstand, der Knappschafts-Berufsgenossenschaft in Berlin.
1902. Kl. 8«. 93 Seiten.
Verfasser hat seit 16 Jahren die Schüler der Bergschule in Eisleben in
der ersten Hülfe bei Unfällen unterrichtet und dabei naturgemäss auf die
besonderen Schwierigkeiten bei den Unfällen im Bergbau Rücksicht nehmen
müssen. Da er fand, dass keines der bis jetzt vorhandenen Samariterbücher
diesen besonderen Verhältnissen Rechnung trug, suchte er diesem Mangel
durch das vorliegende Büchlein abzuhelfen. Dasselbe berücksichtigt in enter
Linie die Hülfeleistungen bei Unglücksfällen unter Erde. Namentlich der
Transport in den Schächten, welcher bei den niedrigen und engen Gängen
und Strecken eigenartigen Schwierigkeiten begegnet, ist sorgfältig behandelt
Besprechungen.
47
Die meisten der vorhandenen Leitfaden gehen davon ans, dass ein
Bettangikuten mit Verbandstoffen und Schienen dem Samariter nicht an Ge¬
bote steht. Deshalb wird überall der grösste Werth anf die Improvisations-
techaik der Verbände gelegt, dagegen die Unterweisung in der Handhabung
der Rettungskästen und ihres Materials meist nicht eingehender behandelt.
Asch in dieser Beziehung wird Verfasser dem Bedürfnisse der modernen Ver¬
hältnisse gerecht, indem er grössere Aufmerksamkeit dem Anlegen der Verbände
mit Binden und Schienen widmet, und auf die reichen Mittel der Schachtwerk-
Hätten, welche bei Improvisation eines Verbandes, besonders auch bei Knochen-
hrficheo, zu Gebote stehen, hinweist. Zugleich gibt er einen Ueberblick über
die Erkennung der wichtigsten und häufigsten Knochenbrüche unter Angabe
das erforderlichen Verbandes.
Das Büchlein zeichnet sieh, wie die Arbeiten des Verfassers überhaupt, x )
darck Klarheit und Knappheit der Sprache, sowie durch Reichhaltigkeit und
Gründlichkeit der Bearbeitung des Stoffes aus. Es ist in erster Linie für die
Berggsehulen und Bergwerksbeamten geschrieben. Auch die Knappschaftsärzte
werden es mit Nutzen lesen und gebrauchen. Den Kreisärzten aber, in deren
Amtsbezirke Bergwerke oder verwandte Betriebe vorhanden sind, sei es mit
BAeksicht auf die §§. 21, 93, 94 Abs. 6, 99 und 100 der Dienstanweisung zur
Beschaffung bestens empfohlen. _ Dr. Dietrich-Berlin.
Prof . Ihr. Carl Flügge, Geh. Med. - Rath und Direktor des hygienischen
Instituts der Universität Breslau: Grundriss der Hygiene für 8tu-
dir ende und praktische Aerzte, Medizinal- und Verwaltnngs-
beamte. 5. vermehrte und verbesserte Auflage mit 173 Figuren im Text.
Leipzig 1902. Verleg von Veit & Co. Preis: 14 M.
Besonderer Werth ist auch in dieser Auflage von dem berühmten Ver¬
fasser darauf gelegt worden, die Lehren der Hygiene in streng kritischer Dar¬
stellung vorzutragen, und unbewiesenen oder ungeklärten Lehren gegenüber,
wie die Wirkung chemisch unreiner Luft, die Art der Gesundheitsschädigung
durch die Wohnung, der Begriff der kräftigen Kost, die Bedeutung des indivi¬
duellen Schutzes gegen Infektionskrankheiten, den rein wissenschaftlichen
Standpunkt zu beobachten.
Der Grundriss, welcher das ganze Gebiet der wissenschaftlichen und
praktischen Hygiene unter gleichmäßiger Berücksichtigung der einzelnen Theile
enthält, ist in dieser neuen Auflage völlig umgearbeitet worden. Einzelne Ab¬
schnitte des Buches, so „die Einleitung“, Theile „der Mikroorganismen“, „der
Wohnung“, der „parasitären Krankeiten“, das Kapitel „Immunität“ sind völlig
neu geschrieben, ebenso sind zahlreiche Abbildungen neu in den Text ein¬
gefügt. Bisher nicht veröffentlichte Resultate eigener Untersuchungen, sowie
Erfahrungen aus der praktischen hygienischen Thätigkeit des Verfassers sind
hinzugekommen. Alles ist in möglichster Kürze streng sachlich abgehandelt
und denjenigen, welcher hygienische Vorlesungen gehört und bakteriologische
Kurse besucht hat, ist Gelegenheit gegeben, das dort aufgenommene Bild
zu vervollständigen, abzurunden und vorhandene Lücken auszufüllen.
Dr. Rump-Reoklinghausen.
Br. Bobort Sommer, o. Prot an der Universität Giessen: Diagnostik der
Geisteskrankheiten für praktische Aerzte und Studierende.
IL umgearbeitete und vermehrte Auflage. Wien und Berlin. 1902. Ver-
von Urban & Sohwarzenberg. Preis: 10 Mark.
Unter den neueren Bestrebungen, durch eingehende Analyse psycho¬
pathischer Zustände zu tieferer Erkenntniss der Geistesstörungen zu gelangen,
wie sie in den meist gelesenen Lehrbüchern von Wernicke und Kraepelin
hervortreten, nehmen die Untersuchungen Sommer’s einen hervorragenden
Platz ein. Es entspricht nur der Wichtigkeit des Gegenstandes, wenn der
Verfasser der neuen Anflage seiner früher bereits geschätzten Diagnostik dies¬
mal eine umfangreiche allgemeine Diagnostik vorausgeBchickt hat, die reichlich
ein Drittel des ganzen Buches umfasst. Mit einer gewissen Ausführlichkeit
wird der Leser in eine Reihe psychophysischer Untersuchungsmethoden einge-
») Vergl. Z. f. M.; Jahrg, 1897. S. 162.
48
Besprechungen.
weiht, die sieh speziell anf Messung and Begistrirang der Reflexe erstrecken.
Bei der Erörterung der allgemeinen Krankheitsursachen wendet sich Verfasser
gegen die vielfach missbräuchliche Anwendung des Begriffes hereditär, dem
mit Unrecht die Bedeutung eines ungünstigen prognostischen Momentes bei¬
gelegt wird, während die Bezeichnung degenerativ nur für Krankheitszustände
anzuwenden sei, die zu einem dauernden geistigen Schwächezustand führen.
Die mi8sbräuliche Ansdehnung dieses Begriffes hat zu einer vollkommenen Ver¬
wirrung geführt, indem morphologischen Kuriositäten eine übermässige Be¬
deutung beigelegt wird. Ganz besonders wendet sich S. gegen die statistische
Methode auf dem Gebiete der Degenerationslehre und verlangt Einzelbeobach-
tung statt Massenuntersuchung. Eine höchst lehrreiche Besprechung der Me¬
thodik der psychiatrischen Untersuchung bildet den Schluss des allgemeinen
Theiles; auch hier tritt das Bestreben des Verfassers immer wieder deutlieh
hervor, die psychischen Phänomen scharf abzugrenzen und den Leser zu klaren
psychologischen Begriffen zu führen. — In der Gruppirung der Psychosen be¬
gnügt sich Verfasser mit einer Theilung in solche mit anatomischen besw.
chemisch bedingten Veränderungen und ohne solche. Unter letztere begreift
er 1. Anfälle von Geistesstörungen auf endogener Basis, 2. Störungen, die za
dauernden Schwächeznstanden führen, degenerative Formen (primärer Schwach¬
sinn, originäre Verrücktheit, Paranoia tarda). Eine gesonderte Grnppe bilden
Katatonie, Melancholie, Manie, halluzinatorische Verwirrtheit, denen sioh ge-
wissermasser als Uebergang zu den organisch bedingten Psychosen die Epilepsie
anschliesst. Dass auch diese Gruppirung, wie jede andere, ihre Schwächen hat,
ist leicht zu erkennen. Die einzelnen Störungen erfahren eine ein gehende und
originelle Betrachtung, deren Ergebniss der Verfasser am Schloss jeden Ka¬
pitels zusammenfasst, die dem Leser es erleichtert, sich wichtige diagnostische
Sätze einzuprägen. Darchaus beherzigenswert ist, um nur Weniges heraus-
zugreifen, der Schlusssatz über die Paralyse, das letztere unter jeder Form
geistiger Störung verlaufen kann; etwas angreifbar erscheint dagegen die Auf¬
fassung, die Verfasser pag. 147 Uber den diagnostiteheo Werth des Hereditäts¬
nachweises bei Paralytischen äussert. Ganz besonderes Interesse verdienen die
geistvollen Ausführungen des Verfassers Uber die verschiedenen Schwachsinus¬
formen, die durch eine Reihe vortrefflicher Krankheitsgeschichten illnstrirt und
an der Hand dieser analysirt werden. — Als Paranoia lässt er nur ein eng-
begrenztes Krankheitsbild der chronisch-progressiven Wahnbildong gelten,
während er den halluzinatorischen Wahnsinn entschieden von ersterer getrennt
wissen will. So unterscheidet er zwei Hauptgruppen: die bereits in der Kind¬
heit einsetzende originäre Paranoia und eine Paranoia tarda — als reiner Ver¬
folgungswahn chronisch verlaufend, oder progressiv in Verwirrtheit übergehend.
Als Mittelform kann die Dementia paranoides gelten. Dass gegen diese Auf¬
fassung mancherlei Einwände berechtigt erscheinen, soll hier nur angedeutet
werden.
Zum Schluss sei das S.’sch Buch, dass zu den Besten in der neueren
psychiatrischen Litteratur gerechnet werden darf, wärmstens empfohlen.
Dr. Pollits-Münster.
Br. Pani Bolmeter, Nervenarzt in Berlin-Charlottenburg, Assistent an
Prof. Mendel’* Poliklinik: Die psychischen Störungen bei Hirn¬
tumoren. Klinische und statistische Betrachtungen. Stuttgart
1902. Verlag von F. Enke. 368 S. Preis: 10 Mark.
Das vorliegende Werk, das eine nothwendige Ergänzung zu jedem Buche
der Neurologie and Psychiatrie bildet, hätte kaum des warm empfehlenden
Vorwortes von Prof. Mendel bedurft. Sch. hat ein gewaltiges Material zer¬
streuter Einzelbeobachtungen gesammelt, kritisch verwerthet und damit Dir
die Diagnostik organischer Hirnleiden ein hüchst werthvolles, bisher ver¬
misstes Hülfsmittel geschaffen. Es wird das Verdienst des Sch.’scben Buches
sein, wenn die psychiatrische Diagnose eingehender auf organische Störungen
achtet, während der Nenrologe sich stets erinnern wird, dass Hirntumoren in
überaus zahlreichen Fällen psychische Störungen verschiedenster Art hervor-
rufen können.
Das gesammte Material ist nach topographischen Gesichtspunkten grnppirt.
Bei jeder einzelnen Hirnregion sind die physiologiscnen, experimentellen und
Tagesnachrichten.
49
klinischen Erfahrungen gewürdigt und eine Kasuistik der sicher beobachteten
Pille angeschlossen. Es geht ans der Zusammenstellung des Verfassers hervor,
das am häufigsten Tumoren des Kleinhirns, nächst diesen solche des Stirnhirns
ud der motorischen Region beobachtet werden, unter diesen haben die Stirn-
kirntnmoren die grösste Zahl von psychotischen Begleitsymptomen, während
solche bei Tumoren der Zentralgegend wesentlich seltener sind. Auffallend
häufig finden sich psychische Symptome bei den an sich seltenen Geschwülsten
der Hypophysis und regelmässig bei Balkengeschwülten. Die Formen geistiger
Störungen hat der Verfasser in einer Reihe Tabellen zusammengestellt, aus
denen zn entnehmen ist, dass die verschiedensten psychotischen Bilder beobachtet
werden, doch scheinen Zustände einfacher Demenz bei allen Tumoren am
häufigsten zu sein. Der Paralyse gleichende Fälle finden sich verhältnissmässig
zahlreich hei Stirnhirntumoren, daneben überwiegen Depressionen und manische
Zustände; auch eine erhöhte Reizbarkeit, ähnlich dem epileptischen Charakter,
wird häufig bei Tumoren verschiedener Gegenden angegeben, and ist filr keine
Hirnregion an sich charakteristisch. Verhältnissmässig selten ist das Bild der
reinen halluzinatorischen Paranoia gefunden worden, auch hier sind die ein*
seinen Fälle auf die verschiedensten Partien vertheilt. Auffallend häufig sind
delir&nte Zustände bei Geschwülsten des Occipitalhirns beobachtet. Auf weitere
interessante Einzelheiten einzugehen, verbietet der Ranm.
Für Aerzte und Medizinalbeamte, die mit Unfallbegutachtungen n. s. w.
zu thun haben, wird das Sch.’sche Werk eine werthvolle nnd unentbehrliche
Ergänzung ihrer Bibliothek bilden. Dr. Pollitz-Münster.
Deutscher Hebammen-Kalender 1003. Verlag von Elwin Staude,
Berlin W. Preis inkl. Beilagen nnd Porto: 1,20 M.
Derselbe erscheint heute znm 15. Male nnd dürfte sich als unentbehr¬
licher Rathgeber der Hebammen hinlänglich bewäbrt haben, da in ihm nicht
nur alles für die Hebammen Wissenwerthe, sondern anch alle von ihr zu
beachtenden Vorschriften n. s. w. klar und übersichtlich zusammengestellt sind.
Hervorheben will ich gegen früher: die zeitgemässe Abhandlungen über
Geschlechtskrankheiten, Krebs und Verhütung von Krankheiten, Gesundheit^
Vorschriften für Hebammen, Hebammenkleidnng.
Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rb.
Tagesnachrichten.
Der Bayerische erweiterte Obermedizin&lausschnss ist am 22. De¬
zember v. J. zn seiner Jahresversammlung susammengetreten. Zur Verhand¬
lung gelangte die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten,
worüber Geheime Rath Prof. Dr. v. Winkel das Referat übernommen hatte.
Durch Erlass vom 14. November v. J. ist jetzt in Bayern den
hygienischen Instituten an den Universitäten in München, Würzbnrg nnd Er¬
langen die Vornahme bakteriologischer Untersuchungen auf amtlicher
Veranlassung der zuständigen teilen nnd Behörden Sübertragen. Die Unter¬
suchungen sollen insbesondere dienen: a) zur bakteriologischen Diagnose bei zweifel¬
haften Krankheits- nnd Todesfällen von Menschen und Thieien bei drohenden
oder ausgebrochenen Seuchen, b) zur Feststellung der Verunreinigung von Wasser,
Eis, Erdboden n. s. w. bezw. zur Feststellung des Vorhandenseins bestimmter
Krankheitserreger in denselben, sowie c) zur Feststellung des Vorhandenseins be¬
stimmter Krankheitserreger, giftbildender Bakterien oder von denselben ge¬
bildeter Giftstoffe in Nahrungs- und Genussmitteln. Der Bekanntmachung sind
sehr zweckmässige Vorschriften für die Entnahme, Verpackung und Versendung
von Proben zur bakteriologischen Untersuchung, sowie ein Gebührentarif bei¬
gegeben, der aber leider so hoch bemessen ist, dass sich manche Behörde dadurch
abhalten lassen wird, Untersuchungen vornehmen za lassen. Die Bekannt¬
machung nebst Anlagen wird in der Beilage zur nächsten Nummer abgedruckt
werden.
ßO
Tagetmachtichten.
In Frankfurt a. M. ist die Errichtung einer Akadeinie für prakti¬
sche Medizin beschlossen, die sowohl ittr Weitere Ausbildung der Praktikanten
der Medisin, also derjenigen Mediziner, die naoh Ablegung der Staatsprüfung
noch ein praktisches Jahr zu absol Viren haben, als ittr die Fortbildung der
praktischen Aerzte bestimmt ist. Zn diesem Zwecke soll neben den Bchon be¬
stehenden Anstalten (städtische Krankenanstalten, städtische Irren- nnd Ent¬
bindungsanstalt n. 8. w. staatliches Institut fttr experimentelle Therapie) noch
Spezialkliniken, ein hygienisches nnd anatomisches Institut nen eingerichtet
werden. Der Kostenbetrag von 2‘/ 4 Millibnen ist durch Stiftung gedeckt
Dar Allgemeine Deutsche Verein fttr SchnlgeSuhdheitS-
pflege, Sitz in Meiningen, hat sich in einem Handschreiben an die Regie-
rnngen und Stadtverwaltungen mit dem Ersncheh gewandt, fttr die Anstellang
von Schalärzten eintreten za wollen. Die Grandzttge der schalärztlichen
Thätigkeit werden wie folgt znsammengefasst: 1. Begutachtung aller Schalen
nnd ihrer Einrichtungen, von Zeit za Zeit erfolgende Kontrolle dieser Ein¬
richtungen ; 2. Untersachang der nen in die Schale eintretenden Kinder; Wieder¬
holang der Untersachang jedenfalls der krank befundenen Kinder inner¬
halb gewisser Zwischenräume etc.; 3. Unterstützung nnd Förderung aller mit
der Schale auch im weiteren Sinne zusammenhängenden hygienischen Bestre¬
bungen (Schalbäder, Heilstätten, hygienische Vorträge u. s. w.).
Todesfall. Am 22. Dezember d. J. ist der in weiten Kreisen be¬
kannte Hofrath Prof. Dr. v. Krafft-Eling in der von ihm gegründeten and
geleiteten Irrenheilanstalt Maria -Grün bei Graz im Alter von 63 Jahren ge¬
storben. Der Dahingeschiedene Wnrde im Jahre 1872 als Professor der Psy¬
chiatrie nach Strassbarg berafen; 1875 folgte dann seine Berufung in gleicher
Eigenschaft nach Graz nnd im Jahre 1889 nach Wien, wo er sich nm die Refor-
mirang der Irrenpflege in den österreichischen Irrenanstalten besondere Verdienste
erworben hat. Seine Hauptverdienste liegen aber anf dem Gebiete der gerichtlichen
Psychiatrie; namentlich hat die Kenntniss der psychopathischen Erscheinungen
des modernen Kulturlebens durch seine hervorragenden Arbeiten eine wesentliche
Förderang erfahren. Besonders lebhaft ist der Verstorbene in Wort and Schrift
für eine entsprechende Berücksichtigung der psychischen Momente im Straf¬
verfahren eingetreten nnd hat in dieser Hinsicht eine ausserordentliche Thätig¬
keit entfaltet. Das bekannteste seiner Werke ist die in zahlreichen Auf¬
lagen erschienene „Psychopathie sexnalis“.
Im Grossherzogthum Hessen ist nnter dem 6. Dezember v. J. eine neue
Verordnung betreffend das Selbstdispensiren der homöopathischen
Aerzte sowie die Errichtung nnd den Betrieb homöopathischer Apo¬
theken nnd Dispensatorien erlassen. In derselben wird in zweckmässiger
Weise das den homöopathischen Aerzten bisher allgemein gestattete Selbst-
znbereiten and Selbstdispensiren homöopathischer Heilmittel vom 1. Januar 1904
ab nnr anf solche Fälle beschränkt, wo an dem Wohnort des Arztes oder in
einer Entfernung von 5 Kilometer von demselben eine den gegebenen Vor¬
schriften entsprechende homöopathische Apotheke oder ein homöpathisches Dis¬
pensatorium sich nicht befindet. Die Erlaubnis dazu wird jedem Arzt — also
ohne besondere Prüfung — von der Abtheilnng fttr öffentliche Gesundheitspflege
vom Minister des Innern widerruflich ertheilt. Die Apotheker, welche eine
homöopathische Apotheke oder ein homöopathisches Dispensatorinm einrichten,
sind verpflichtet, diejenigen homöopathischen Arzneimittel nnd deren Potenzen
vorräthig za halten, welche die am gleichen Orte nnd dessen Umgebung an¬
sässigen Aerzte za verordnen pflegen. Die homöopathischen Aerzte des Ortes
sind berechtigt, an der Besichtigung der homöopathischen Apotheken and Dis¬
pensatorien dnrch einen Vertreter theilznnehmen.
Hoffentlich werden in Prenssen recht bald ähnliche, das Dispensirrecht
der homöopathischen Aerzte einschränkende Bestimmungen getroffen. Während
hier die sorgfältigste Prüfung der Verhältnisse bei Nenanlage einer Apo¬
theke namentlich auch mit Rücksicht anf die Existenzfähigkeit der bestehen¬
den Apotheken stattfinden muss, wird den homöopathischen Aerzten ohne
jede derartige Berücksichtigung das Dispensirrecht eingeräumt, gleich-
IfcfMBMfcrfokttB.
51
Hltig, ob eine Apotheke dabei so Grande geht oder nicht. Welche
Konsequenzen hieraus erwachsen, zeigt z. B. recht treffend ein Beispiel ata
dem hiesigen Reg. - Bezirk (Minden): In Delbrück, einem kleinen Land*
Städtchen im Kreise Paderborn, waren bis vor wenigen Jahren 3 allo¬
pathische Aerzte ansässig, ein älterer and zwei jüngere. Von den beiden letzteren
machte annächst der eine das homöopathische Dispensir - Examen und kam dam
am die Brian bniss zum Selbstdispensiren ein, die er auch erhielt, da sie ihm
nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht versagt werden konnte. Der zweite
jüngere Arzt sah in Folge dessen seine Existenz bedroht and entdeckte eben¬
falls sein homöopathisches Hers. Er folgte dem Beispiele seines Kollegen, ae
Ihn der betreffende Apotheker nunmehr auf die paar Rezepte angewiesen
tot, die der ältere, nur noch in geringem Masse praktizirende Arzt ver¬
ordnet. — Also auf der einen Seite wird die Existenzfähigkeit der Apotheken
ängstlich gewahrt, nicht selten in einer mit den Interessen der Bevölkerung
keineswegs immer in Einklang stehender Weise, während auf der anderen Seite
fieser Schatz vollständig anberücksichtigt bleibt, obwohl seine im öffentlichen
Interesse durchaus gebotene Wahrung mehr oder weniger die Grundlage and
den hauptsächlichsten Zweck der prenssischen Gesetzgebung Über die Anlagen
▼on Apotheken bildet!
Dass die Benachtheiligung der allopathischen Aerzte durch das Selbst¬
dispensirrecht der Homöopathen nicht minder gross ist, als die der Apotheker,
braucht nicht erst noch hervorgehoben zu werden; in dem vorliegenden Falle
bat sich der eine Arzt nicht anders zn helfen gewnsst, als dass er ebenfalls
selbstdispensirender Homöopath geworden ist!
Heriehtiguiig : Auf S. 862 in Nr. 24, Jahrg. 1902, muss es anf
Zeile 12 von oben statt „Zentr&lbl. f. Bakteriologie u. s. w.“ heissen: „Archiv
für Hygiene, Bd. XLH., Heft 2“; und anf Zeile 21 von unten statt „Bd. XLII.“:
„Bd. XLIIIV
Deutscher Medizinalbeamten - Verein.
Die Versendung des offiziellen Beriohtz Aber die diesjährige
Mete Hauptversammlung ist durch besonderen Umschlag erfolgt. Die
Mitglieder werden gebeten, den Beitrag pro 1903 unter Benutzung der bei¬
gefügten Postanweisung an den Schriftführer und Kassirer des Ver¬
eins — Herrn Bezirksarzt Dr. F1 inzer-Plauen i/Vogtlande — einzusenden.
Minden, den 25. Dezember 1902.
Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereins.
Im Aufträge:
Dr. Rapmund, Vorsitzender,
Reg.- n. Geh. Med .-Rath in Minden.
Preußischer Medizinaibeamtenverein.
_ Die Versendung des offiziellen Berichts Aber die diesjährige
BZ. Hauptversammlung ist durch besonderen Umschlag erfolgt. Die
Mitglieder werden gebeten, den Beitrag pro 1903 unter Benutzung der bei¬
gefügten Postanweisung an den Schriftführer and Kassirer des Ver¬
eins — Herrn Medizinalrath und Kreisarzt Dr. Fielitz in Halle a/S. —
einzusenden.
Minden, den 25. Dezember 1902.
Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins. '
Im Aufträge:
Dr. Rapmnnd, Vorsitzender,
Reg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden.
Xlttheilnng : Die Absendnng des vollständigen Inhaitsver-
leichnisses und Sachregisters für den Jahrgang 1902 wird mit Nr.fi^
der Zeitschrift erfolgen.
Nacliruf.
Am 29. Dezember 1902 ist der Ehrenvorsitzende des Preussischen
Medizinalbeamten - Vereins
Herr Reg.-Kath a. D. und Geh. Mei-Rath Dr. Kanzow
in Potsdam nach längerem Leiden im Alter von 81 Jahren sanft ent¬
schlafen.
Im Jahre 1821 za Prenzlaa geboren and 1846 in Berlin approbirt,
war der Entschlafene zunächst Kreispbysikus in Halber Stadt, dann
Direktor der HebammenlehranBtalt in Magdeburg, seit 1867 Reg.- und
Medizinalrath in Gumbinnen, sowie gleichzeitig Direktor der dortigen
HebammenlehranBtalt and bald darauf Reg.- and Medizinalrath in Potsdam,
wo er länger als 30 Jahre (bis znm 1. Oktober 1898) diese verant¬
wortungsvolle Stellung eingenommen hat. — Ausgezeichnet durch reiche
Kenntnisse und praktische Erfahrungen hat er sich in allen diesen amt¬
lichen Stellungen als ein ausserordentlich tüchtiger Medizinalbeamter
bewährt und sich namentlich um die Entwickelung des Medizinalwesens
im Regierungsbezirk Potsdam während seiner langjährigen Thätigkeit
als technischer Leiter desselben grosse Verdienste erworben. — Auch
wissenschaftlich ist der Verstorbene durch vorzügliche Arbeiten hervor¬
getreten ; es möge in dieser Hinsicht nur an die von ihm bewirkte Aus¬
arbeitung der dritten Ausgabe des preussischen Hebammenlehrbuches,
sowie an seine im Jahre 1868 erschienene Studie ttber den exanthe-
matischen Thyphus im ostpreussischen Regierungsbezirke Gumbinnen
erinnert werden!
Am 22. August 1894 war es K a n z o w vergönnt, in seltener körper-
licherwie geistiger Frische sein 50 jähriges Doktor-Jubiläum zu feiern.
Die ehrenden Anerkennnngen und Ovationen, die ihm damals namentlich
von Seiten der Medisinalbeamten, der Aerzte und Apotheker seines Bezirkes
zu Theil geworden sind, bekundeten die allseitige Verehrung, die sich
der Verstorbene in so hohem Masse durch seinen reinen und lauteren
Charakter, durch seine grosse persönliche Liebenswürdigkeit und wohl¬
wollende Gesinnung zu erwerben und zu erhalten verstanden hat.
Mit der Geschichte des Preussischen Medizinalbe¬
amten-Vereins ist der Name und die Persönlichkeit des
Verschiedenen auf’s engste verknüpft. Seit Gründung des
Vereins im Jahre 1883 hat Kanzow 10 Jahre hindurch nicht nur das
Amt des Vorsitzenden mit Umsicht und verbindlichem Entgegen¬
kommen für jedes Mitglied wahrgenommen, sondern auch den Vereins-
bestrebnngen das wärmste Interesse, sowie volles Verständnis entgegen¬
gebracht und diese nach allen Richtungen hin gefördert. Als er daher
im Jahre 1893 auf der Hauptversammlung wegen Ueberlastung mit amt¬
lichen Geschäften von seiner Wiederwahl Abstand zu nehmen bat, wurde,
er in dankbarer Verehrung seiner besonderen Verdienste um den Verein
einstimmigzu dessenEhrenvorsitzenden gewählt. In seltener Jugend¬
frische haben wir ihn dann noch wiederholt in den Hauptversammlungen
des Vereins begrüssen können, bis ihm leider viel zu früh sein körperlicher
Zustand nicht mehr die Theilnahme an denselben gestattete. Aber bis
zuletzt ist er ein aufrichtiger, treuer Freund des Vereins geblieben
In tiefer Trauer stehen wir an seinem Grabe! Ueber das Grah
hinaus werden wir ihm aber ein unvergängliches Andenken in hohen
Ehren bewahren!
Der Vorstand
des Preussischen Medizinalbeamten-Vereins.
VerantwortL Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden i. W
Je Ce C. Bnuu, H. 8. n. F. 8ch.-L. Hof-Buchdrucker«!, Minden.
Nadumf.
Am 29. Dezember 1902 ist der Ehrenvorsitzende des Preassischen
Medizinalbeamten - Vereins
Herr Reg.-Rath a. D. und Geh. Med.-Rath Dr. Kanzow
in Potsdam nach l&ngerem Leiden im Alter von 81 Jahren sanft ent¬
schlafen.
Im Jahre 1821 zu Prenzlau geboren nnd 1845 in Berlin approbirt,
war der Entschlafene zunächst Kreitphysikus in Ealberstadt, dann
Direktor der Eebammenlehranstalt in Magdeburg, seit 1867 Reg.- und
Medizinalrath in Gumbinnen, sowie gleichzeitig Direktor der dortigen
Eebammenlehranstalt und bald darauf Reg.- und Medizinalrath in Potsdam,
wo er länger als 80 Jahre (bis zum 1. Oktober 1898) diese verant¬
wortungsvolle Stellung eingenommen hat. — Ausgezeichnet durch reiche
Kenntnisse und praktische Erfahrungen hat er sich in allen diesen amt¬
lichen Stellungen als ein ausserordentlich tüchtiger Medizinalbeamter
bewährt und sich namentlich um die Entwickelung des Medizinalwesens
im Regierungsbezirk Potsdam während seiner langjährigen Thätigkeit
als technischer Leiter desselben grosse Verdienste erworben. — Auch
wissenschaftlich ist der Verstorbene durch vorzügliche Arbeiten hervor¬
getreten ; es möge in dieser Einsicht nur au die von ihm bewirkte Aus¬
arbeitung der dritten Ausgabe des preussischen Eebammenlehrbuches,
sowie an seine im Jahre 1868 erschienene Studie über den exanthe-
matischen Thyphus im ostpreussischen Regierungsbezirke Gumbinnen
erinnert werden!
Am 22. August 1894 war es Kanzow vergönnt, in seltener körper-
licherwie geistiger Frische sein 50jähriges Doktor-Jubiläum zu feiern.
Die ehrenden Anerkennungen nnd Ovationen, die ihm damals namentlich
von Seiten der Medizinalbeamten, der Aerzte und Apotheker seines Bezirkes
zu Theil geworden sind, bekundeten die allseitige Verehrung, die sich
der Verstorbene in so hohem Masse durch Beinen reinen und lauteren
Charakter, durch seine grosse persönliche Liebenswürdigkeit und wohl¬
wollende Gesinnung zu erwerben und zu erhalten verstanden hat.
Mit der Geschiohte des Preussischen Medizinalbe-
amten-Vereins ist der Name und die Persönlichkeit des
Verschiedenen auf’s engste verknüpft. Seit Gründung des
Vereins im Jahre 1888 hat Kanzow 10 Jahre hindurch nicht nur das
Amt des Vorsitzenden mit Umsicht und verbindlichem Entgegen«
kommen für jedes Mitglied wahrgenommen, sondern auch den Vereins-
bestrebungen das wärmste Interesse, sowie volles Verständnis entgegen¬
gebracht und diese nach allen Richtungen hin gefördert. Als er daher
im Jahre 1893 auf der Eauptversammlong wegen Ueberlastung mit amt¬
lichen Geschäften von seiner Wiederwahl Abstand zu nehmen bat, wurde,
er in dankbarer Verehrung seiner besonderen Verdienste um den Verein
einstimmig zu dessenEhrenvorsitzenden gewählt. In seltener Jugend¬
frische haben wir ihn dann noch wiederholt in den Eauptversammlnngen
des Vereins begrüssen können, bis ihm leider viel zu früh sein körperlicher
Zustand nicht mehr die Theilnahme an denselben gestattete. Aber bis
zuletzt ist er ein aufrichtiger, treuer Freund des Vereins geblieben
In tiefer Trauer stehen wir an seinem Grabe! Ueber das Grab
hinaus werden wir ihm aber ein unvergängliches Andenken in hohen
Ehren bewahren!
Der Vorstand
des Preussischen Medizinalbeamten - Vereins.
Vorantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden i.W
J. C. G. Bruns, H. 8. n. P. 8eh«-L. Hof-Buchdruokcrel, Minden.
tt- Jihrg.
190B.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zeutralblatt für gerichtliche Medizin ud Psychiatrie,
fir ärztliche SachverstäudigeHthätigkeit in Unfall* und Invaliditatesachen, sowie
firljgieae, ofentL Sanititswesen, Medizinal - Gesetzgebung and Rechtsprechung
Herausgegeben
▼on
Dr. OTTO RAPMUND,
Regierung!- and Geh. Medizinalrath in Minden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Berlin W. 85, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die Verlagahandlnng sowie alle Annoeenexpedltiofcen des In¬
end Auslandes entgegen.
Nr.
2 .
Erseheint
1. und 15* Jeden Monate
15. Januar.
Kopfverletzung. Falsche Behandlung durch Kurpfuscher.
Tod durch Hirnabszesse und Gehirnhautentzündung.
Von Geh. Med.-Rath Dr. Kornfeld, Gerichtsarzt in Gleiwitz.
Für die Kenntniss der unheilvollen Folgen des Kurpfuscher-
thnms sind insbesondere diejenigen Begebnisse werthvoll, in denen
thatsächlich eine falsche, kunstwidrige Behandlung stattgefunden
hat, ein ursächlicher Zusammenhang derselben mit dem un¬
günstigen Ausgang mehr oder weniger wahrscheinlich ist und doch
bei der Unmöglichkeit, mit voller Sicherheit die Folgen auf die
Behandlung zurückzuführen, eine Anklage nicht erhoben bezw.
eine Verurtheilung nicht erreicht werden kann.
Ein prägnanter derartiger Fall ist der folgende, welcher
geeignet sein dürfte, zu zeigen, dass ohne ein Verbot des Kur-
pfnscherthums das Uebel nicht an der Wnrzel gefasst werden kann.
Die Erhebung der Anklage musste unterbleiben, da eine fahrlässige
Gefährdung des Lebens durch fehlerhafte Behandlung im St. G. B.
nicht bedroht ist.
Geschichtsersählnng. Der Grubenarbeiter Gk. wurde am 4. Juli
d. J., Vormittags IO 1 /, Uhr, yon einem Tom Stiele abgebrochenen Körper des
Groasfäuatels auf den Kopf getroffen; er erlitt eine 2 ( /> cm (1 Zoll) lange,
stark blutende Wände, welche ihm yon dem Häner Z. ausgewaschen wurde.
Nachdem er nooh 8—4 Wagen mitgefttllt hatte, erklärte er, wegen Kopf¬
schmerzen nicht mehr arbeiten zn können und fuhr ans. Dem Zengen P., dem
er die Verletzung zeigte, schien dieselbe unbedeutend zn sein; er machte den
Verletzten jedoch aufmerksam, sich einen Zettel fttr’s Krankenhaus nn holen.
Nach Anssage des letzteren hat er aber den Unfall wegen Schwäche den Tag
tber nicht gemeldet, sondern ist auf Anrathen des Aufsehers B. nach Ankleiden
nn Hanse so dem Barbier G. gegangen, der die Wände für eine Kleinigkeit
54 Dr. Kornfeld: Kopfverletzung. Falsche Behandlung dnroh
erklärte, sie mit, seiner Ansicht nach, reiner, in Karbol getauchter Watte
reinigte nnd ein Pflaster anfklebte, nachdem er die verletste Stelle rasirt hatte.
Gk. hat den p. G. später noch 9 Mal besucht; jedesmal wurde die Wunde gereinigt
sowie ein Pflaster aufgelegt und zwar in Zwischenräumen von 2—8 Tagen.
Bei dem letsten Besuche hat G. den Verletsten aufgefordert, ihn nochmals sn
besuchen; da sich aber gegen Ende der Woche die Kopfschmerzen steigerten,
besw. Brennen der Kopfhaut im Bereiche der Wunde auftrat, bat dieser in
der Nacht vom 25. sum 26. Juli, weil er es vor Schmerzen nicht mehr ans¬
halten konnte, das alte Pflaster entfernt; sein Bruder hat ihm dann nach
Beinigung mit Karbol ein anderes aufgelegt. Während der Behandlung hat
G. zn Gk. angeblich gesagt: „Er hätte es nöthig“, später aber: „er hätte es
nicht nöthig, in’s Lazareth zu gehen; denn er (G.) würde es ausheilen.* 1
Vor dem Verbände soll sich G. jedes Mal die Hände gewaschen haben.
Am 27. Juli, also 28 Tage nach der Verletzung, liess sich Gk. in’s La¬
zareth aufnehmen. Der Anstaltsarzt fand ihn sehr krank, stark fiebernd. Nach
Entfernung des Pflasters zeigte sich eine 4 : 2 cm grosse, klaffende Scheitel-
wunde, in deren Tiefe der Knochen bloss lag. An dem Knochen wurde ein
unregelmässiger, zackiger, haarbreiter Spalt mit leicht eingedrückten Bändern
festgestellt, auf dem ein Tröpfchen Eiter lag. Nach Aufmeisselung des
Schädels wurde kein Eiterherd vorgefunden. Die Anheilung des ausgemeissel-
ten Stückes gelang nicht. Unter zunehmendem Eiterfieber erfolgte der Tod in
der Nacht vom 8. sum 4. August
Die am 5. August erfolgte Sektion ergab im Wesentlichen:
11. Auf dem Schädeldach befindet sich eine rundliche Hautpartie, welche»
durch einen, nur 4 cm breiten Band hinten mit der übrigen Haut zusammen¬
hängt. Dieser Band, welcher die Grundfläche des Hautlappens bildet, ist 4 cm
breit, der Lappen 5 om lang. Seine Innenfläche ist blutreich, stellenweise ge-
röthet Der Lappen beginnt etwas nach unten vom Scheitel, erstreckt sich
nur über die linke Seite des Schädeldachs.
12. 1 */* cm nach links von der Mittellinie des Schädels und etwa im
mittleren Theile des Lappens befindet sich eine 2 cm lange, etwas klaffende
Zusammenhangstrennnng der weichen Schädeldecken mit ziemlich geraden,
etwas rundlichen, röthlich - grauen Bändern.
13. Nach Zurückschlagen des Lappens erblickt man eine rundliche, sum
Tbeil unregelmässig umrandete, 5:5 cm grosseKnochenlflcke, die schräg nach
innen abgestutzt ist und hier eine rauhe, schmutzig röthliche, sum Theil auch
grüngelbliche Farbe hat.
Etwa in der Mitte dieser Knochenlücke sieht man in der harten Hirn¬
haut eine etwa 1 */* cm lange, 1 cm breite, unregelmässig eiförmige Zusammen-
hangstrennung, aus der sion etwas röthlicnes, festes, sowie grünlich erweichtes
Gewebe herausgedrängt.
24. An der Stelle Nr. 18 ist der freie Band auch stellenweise zackig
und lässt stellenweise kleine 8plitter erkennen.
25. Die harte Hirnhaut der Oberfläche ist gespannt, auf der Aussen*
fläche trocken, gefässlos; auf der Innenfläche matt, grauweiss.
26. Die weiohe Hirnbaut der Oberfläche zeigt an der Stelle Nr. 18
einen 1:1V* cm grossen Biss. Sie ist hier frei von Eiter, aber mit einer
sohmutzig - bräunlichen Flüssigkeit bedeckt.
Etwa 5 cm nach vorn von dieser Stelle beginnt eine etwa 8 mm dicke
8chieht gelben Eiters, welche sich über einen grossen Theil des Scheitel*
lappens und zum Theil auch des Stimlappens erstreckt.
Im Ueorigen war die weiche Hirnhaut matt, trocken, ihre kleinen nud
grossen Gefässe durchweg stark gefüllt.
80. An der Stelle Nr. 18 befindet sich, entsprechend dem Schlitze der
Hirnhaut, eine 2 1 /* cm tiefe und l 1 ', cm brei'e Erweichung der Qehirnsubstans,
die im Innern grau-röthliche, schmutzige Flüssigkeit enthielt und sohmutsig
grau-grüne Bänder zeigte.
81. Eine ebenso beschaffene Partie, jedoch nur •/« cm im Durchmesser
gross, befindet sieh etwas nach unten und innen in der Hirnsubstanz.
88. Die zarte Gehirnhaut der Grundfläche ist an vielen Stellen mit
dickflüssigem, gelben Eiter in dünner und etwas dickerer Lage bedeckt.
86. Das von dem Krankenhausarzt übergebene Knochenstück, welches im
Kvpfoaeher. Tod durch Hiroabsiene und GehirnhantentBttndnng. 55
Lasareth durch Operation ans der Stelle Nr. 18 entfernt worden war, hat
eine 5 cm lange Grundfläche and ca. ebensolchen Durchmesser, eine bis anf
die geradere Grundfläche rondliche Gestalt, meist abgestntzte, snm Theil auch
zackige Rinder. Die freien Ränder sind schmntzig*gran, stellenweise rOthlich.
An! der Anssenfläche bemerkt man eine von der Grundfläche ans ziemlich
gerade 2 cm weit nach vorn mit einer leiohten winklichen Einbiegung am
Ende verlaufende Spalte, deren innerer Rand etwas eingedrückt und von dem
anderen Rande überdeckt ist.
37. 7 mm vom inneren Rande und 5 mm vom änsseren Rande (des
8paltes) befindet sich eine von der Grundfläche ansgehende, noch 6 mm Aber
das Ende des Spaltes hinansreichende, ihn wie ein Oval umgebende Vertiefung.
Dieselbe ist theils oberflächlich, theils rinnenförmig, hat einen ranhen, grau-
hlassröthlichen Grand.
38. Anf der Innenfläche sieht man, entsprechend der Gegend der änsseren
8palte, eine ebensolche, mit entsprechender Ueberragnng des einen Randes.
Derselbe setzt sich in eine l 1 /* cm lange nnd */• cm breite und unregelmässige
Höhle fort, deren Grand die änssere Glasstafel bildet. Der Grand ist höckerig
Maas - blan - röthlioh.
Gutachten. Als festgestellt ist zu erachten, dass der
Verstorbene einen mit Quetschwunden verbundenen, den Knochen
durchdringenden Bruch des Schädeldachs erlitt, und dass in Folge
Eindringens von Infektionserregern in das Schädelinnere zwei Ge¬
hirnabszesse und eine Entzündung der weichen Hirnhaut erfolgte.
Letztere ist zweifellos die Ursache des schliesslichen Todes ge¬
worden.
Die Akten ergeben, dass der Barbier G. die Wunde in Be¬
handlung nahm, sie für eine leichte erklärte und sie in nicht
kunstgerechter Weise behandelte; denn Waschen der Hände vor
dem Verbände genügt nicht, um diese aseptisch zu machen;
ebensowenig giebt Rasiren und Abwaschen der Wunde mit
Karbolwasser eine genügende Sicherheit, dass in der Tiefe der
Wunde etwa eingedrungene Eitererreger vernichtet sind. Das
Bedecken der Wunde mit einem, jedenfalls nicht aseptischen,
Pflaster verhindert weiterhin den Abfluss der Wundabsonderungen
und begünstigt ihre Verbreitung in der Tiefe. Bei Auseinander¬
ziehen der Wunde hätte ein Kunstverständiger entweder den Spalt
in der knöchernen Schädeldecke bemerken müssen, oder durch den
umschriebenen Schmerz an der Bruchstelle vermuthen können. Bei
der rauhen, zackigen Oberfläche, namentlich des einen Randes des
Bruches, ist es sogar höchst wahrscheinlich, dass die oberflächliche
Splitterung zu fühlen gewesen ist. Ein Kunstverständiger würde
ferner, auch wenn er, allerdings unzweckmässiger Weise, eine Naht
angelegt hätte, den Verletzten sorgfältig beobachtet und bei irgend¬
wie verdächtigen Symptomen diese entfernt, event. auch alsbald
die Abmeisselung des Knochens vorgenommen oder veranlasst
haben. Es kann daher nicht bezweifelt werden, dass die Behand¬
lung durch den Barbier G. keine sachgemässe, sondern geeignet
war, das Leben des Gk. zu gefährden.
Für die Beurtheilung des vorliegenden Falles ist aber weiter¬
hin die Frage zu beantworten, ob der Verstorbene durch eine
sachgemässe Behandlung hätte gerettet werden können, d. h. ob
hier unter Berücksichtigung des Grundsatzes: „Alle Wundinfek-
üonskrankheiten werden sicher durch strengste und baldige
56 Dr. Kornfeld: Kopfverletzung. Falsche Behandlung durch Kurpfuscher etc.
antiseptische Wundbehandlung vermieden“, die Infektion vermieden
werden konnte? Es fragt sich also: Zu welchem Zeitpunkte hat
die Infektion stattgefunden? Konnte diese ev. noch im Beginne
mit Erfolg bekämpft werden? Hat die Behandlung des Gk. die¬
selbe direkt veranlasst oder begünstigt?
Ob G. den Verstorbenen, wie von einer Seite angegeben,
direkt verhindert hat, sachverständige Hülfe in Anspruch zu
nehmen, bleibt hier ausser Betracht. Dagegen ist es von Wichtig¬
keit, zu wissen, wie das Befinden des Gk. im Allgemeinen und
der Zustand der Wunde insbesondere in der Zeit zwischen der
Verletzung und dem Auftreten der schweren Symptome einige
Tage vor der Aufnahme in das Krankenhaus gewesen ist. Der
Umstand, dass der Verletzte, obgleich die Wunde für eine leichte
gehalten wurde, für die ein Pflaster genügte, nicht in Arbeit ging*,
spricht dafür, dass er ernstliche Beschwerden, vielleicht auch,
(wenigstens ab und zu) Fieber hatte. Bei der Aufnahme in das
Krankenhaus war die Wunde noch nicht geschlossen nnd der
Knochen von der Beinhaut in der Tiefe entblösst. Im Uebrigen
scheint die Wunde nicht geeitert und gut ausgesehen zu haben;
ebenso ergab das abgemeisselte Knochenstück keine Zeichen einer
Entzündung, insbesondere der Schwammsubstanz. Auch die harte
Hirnhaut hat weder bei der Trepanation, noch bei der Sektion
einen eitrigen Belag gezeigt. Da nun die bei der Obduktion
gefundene eitrige Entzündung der weichen Hirnhaut in wenigen —
meist drei Tagen — zum Tode führt, der Verletzte aber schon
am 29. Juli, also 9 Tage vor dem Tode, schwere Erkrankungs¬
erscheinungen darbot, so können diese nicht durch die jedenfalls
erst im Krankenhause dazu getretene Hirnhautentzündung verur¬
sacht sein; ihre Ursache ist vielmehr auf die beiden, bei der
Sektion gefundenen zwei Gehirnabsesse zurückzuführen, von denen
der unter Nr. 31 beschriebene schon vor der Hirnhautentzündung
vorhanden war. Von ihm aus hatte sich, ebenso wie der nach
der Probepunktion enstandene Abszess, die Hirnhaut infizirt.
Wenn der Arzt nach Entfernung des Knochenstücks nicht Eiter
traf, so musste dies daran gelegen haben, dass der Nr. 31 be¬
schriebene Herd nicht im Bereich der ausgemeisselten Stelle ge¬
legen war und in Folge dessen die gemachten Probestiche ihn
nicht treffen konnten.
Die Eitererreger können nun sowohl von der Wunde
aus direkt nach der Kontinuität, als durch den Lymphstrom,
durch welchen die äusseren Schädeldecken mit der Schädel¬
höhle in unmittelbare Verbindung stehen, in diese gelangt sein.
Es ist jedoch auch möglich, dass es gleichzeitig mit dem kompli-
zirten Splitterbruch des Knochens zu einer Quetschung der
Gehirnsubstanz gekommen ist, durch welche in dieser an der
erwähnten Stelle ein besonders günstiger Boden für die An¬
siedlung von Eitererregern geschaffen wurde. Dass der Ver¬
storbene nach dem Unfall noch einige Wagen nachher gefüllt hat,
beweist nichts hiergegen; denn solche und selbst viel grössere Hirn¬
verletzungen können symptomlos verlaufen, wenn sie an Stellen
Dr. Rump: Vergiftuoguerscbeinungen, hervorgenifen durch Sprengstoff Roburit. 57
sitzen, welche eine minderwerthige Bedeutung haben oder wenn
andere, gleichwertige Stellen die Vertretung übernehmen. „Bei
Gehirnverletzungen sind oft die Gehirn - Zufälle sehr unbedeu¬
tend, verschwinden alsbald und machen einem nahezu vollständigen
Wohlbefinden Platz“ (Hasse, Krkh. d. Nervensyst.). Es lässt sich
somit die Möglichkeit, dass die Wunde schon innerhalb der Zeit
zwischen Verletzung und ersten Verband infizirt worden ist, nicht
bestreiten; für diesen Fall würde es aber mindestens zweifelhaft
sein, ob der Verletzte auch bei kunstgerechter Behandlung hätte
gerettet werden können. Desgleichen muss zugegeben werden,
dass, selbst wenn der Bruch rechtzeitig erkannt, demzufolge
nach dem jetzigen Standpunkt der Chirurgie der Schädel sofort
geöffnet worden wäre, diese Operation nicht sicher einen lebens¬
rettenden Erfolg gehabt haben würde.
Endlich muss noch an die Möglichkeit gedacht werden, dass
die Infektion zwar erst während der Behandlung durch G. stattfand,
dass aber der Verstorbene oder dessen Umgebung selbst sich mit der
Wunde zu schaffen gemacht und diese verunreinigt haben. Für
die Annahme, dass der Verstorbene irgendwo sonst am Körper
einen Herd besass, von dem aus Eiter in die gequetschte Hirn-
steile verschleppt werden konnte, hat sich dagegen kein Anhalt
ergeben.
Hiernach ergiebt sich, dass die Behandlung durch den Barbier
geeignet war, das Leben des Gk. zu gefährden, weil sie nicht
genügte, den Verletzten vor Infektion zu schützen, und weil durch
sie die sofortige oder wenigstens in der ersten Zeit nothwendige
Eröffnung des Schädels hintenan gehalten wurde.
Hat hier aber keine Infektion vor dem ersten Verbände
stattgefunden, so muss es sogar als höchstwahrscheinlich angesehen
werden, dass G. durch die Behandlung, also fahrlässiger Weise,
tatsächlich den Tod verschuldet hat.
Mit vollständiger Sicherheit lässt sich jedoch der Tod des
Gk. nicht auf diese Behandlung zurückführen.
lieber Vergiftungserscheinungen, hervorgerufen durch den
Sprengstoff Roburit.
Von Kreisarzt Med. • Rath Dr. Rump in Recklinghausen.
Bei einigen Schiessmeistern der Zeche G. Bl. traten schwerere
und leichtere Vergiftungserscheinungen, hervorgerufen durch den
Sprengstoff Roburit, ein. Die leicht Erkrankten waren taumelig,
müde, schwach, der Lippensaum war blau. Nach längerem Auf¬
enthalt im Freien verschwanden die Erscheinungen. In schweren
Fällen verliefen dieselben unter dem Bilde des katarrhalischen
Icterus, die Stühle waren indess nicht entfärbt. Zunge und
Gaumen zeigten einen gelben Belag; die Leber war angeschwollen,
druckempfindlich. Auffallend waren die enorme Mattigkeit und
eine stark blane Färbung der Lippen und des Gesichtes mit
68
Dr. y. Gisycki.
heftigster Athemnoth, Gefühl der Beklemmung auf der Brust
und sehr beschleunigtem kleinen Pulse. Nach 8—14tfigigem
Krankenlager waren die Kranken genesen. Die Blutuntersuchung 1
ergab niemals eine Zersetzung des Blutes.
Der Sprengstoff Roburit, welcher neuerdings seiner relativen
Gefahrlosigkeit wegen eine immer grossere Bedeutung gewinnt,
ist ein Gemenge von chlorhaltigem Dinitrobenzol und Dinitro-
napthalin mit salpetersaurem Ammoniak. Die Gefährlichkeit liegt
in der Giftigkeit des Nitrobenzols und seiner eminenten Flüch¬
tigkeit. Wie dasselbe zur Wirkung kommt, ist schwer zu sagen,
wahrscheinlich dadurch, dass die Schiessmeister die Patronen
rollen, d. h. dieselben durch hin und herreiben zwischen der Hohl¬
hand dünner und für die Bohrlöcher passend machen, durch die
Wärme kann sich hierbei die Paraffinwachshülle der Patronen lösen.
Weiterhin wird durch Untersuchung des gebrauchten Sprengstoffes
festzustellen sein, ob verunreinigende Zusätze des Nitrobenzols die
Hauptgefahr bilden. Diese Körper sind einmal sehr giftig und bei
gewöhnlichen Temperaturen flüchtig, anderererseits geben sie dem
Nitrobenzol eine gewisse Festigkeit, wodurch es leichter an den
Fingern haftet und die Resorption von der Haut aus erleichtert wird.
Bemerken will ich noch, dass nach Vergiftungen mit Roburit
Sehnervenatrophie beobachtet worden ist.
Die Poet als Vermittlerin bei der Weiterverbreitung
von Krankheiten.
Von Kreisart Dr. v. Giryckl in Stnhm.
Auf der Suche nach dem Ursprung und dem Sitz eines hin¬
sichtlich der Weiterverbreitung einer übertragbaren Krankheit
besonders wirksamen Herdes bin ich kürzlich auf eine Fährte
gestossen, die bisher in Wort und Schrift meines Wissens nicht
die Würdigung gefunden hat, die sie durchaus verdient. Dieses
soll folgende Mittheilung beweisen.
Im Dorfe P. (1037 Einw.) trat Anfangs September v. Js. in
vereinzelten Fällen Scharlach auf. Woher die Krankheit einge¬
schleppt ist, kann dahingestellt bleiben. Sie hatte etwa Mitte
Oktober den Höhepunkt erreicht; 9 Kinder waren gestorben.
Dann trat ein Stillstand ein und der wegen Scharlachs im Scbul-
hause geschlossene Unterricht wurde auf den günstigen Bericht des
Amtsvorstehers aus den ersten Tagen des November am 17. No¬
vember 1902 unter Anordnung gewisser, streng zu beobachtender
Vorsichtsmassnahmen wieder eröffnet, allerdings mit einer nur
geringen Schülerzahl.
Gerade in der Woche, als hinsichtlich der Wiedereröffnung
der Schule die Erwägungen angestellt und Anordnungen getroffen
wurden, erfuhr die Krankheit wieder eine plötzliche Zunahme: es
waren wieder 7 Kinder daran gestorben. Auf den Bericht
des Amtsvorstehers wurde die Schule nach nur mehrtägigem Unter¬
richt sofort wieder geschlossen. Anfangs Dezember zeigte ein
Gendarm dem Königlichen Landrathsamt an, dass die Scharlach-
Di* Post als Vermittlerin bei der Weiterbreitang von Krankheiten. 69
krankheit in P. immer weiter nm sich greife und fast täglich neue
Opfer fordere. Infolge an mich ergangenen Ersuchens begab ich
mich am 10. Dezember wieder nach P., um den Stand der Krank¬
heit festzustellen und die Ursache der neuen Zunahme der Er¬
krankungen zu ermitteln. Es waren nunmehr vom 11. September
bis 10. Dezember schon 88 Kinder an Scharlach ge¬
storben (von 61 bis dahin in diesem Jahre überhaupt — ohne
Unterschied des Alters — gestorbenen Personen).
Die angestellten Ermittelungen ergaben, dass die erneute
Zunahme der Erkrankungen um den 20. November herum zeitlich
zusammenfiel mit 2 Scharlachtodesfällen in der Familie des
Chausseeaufsehers und Postverwalters K., in dessen Haushaltung
auch am 10. Dezember sich noch eine Tochter im Abschuppungs¬
stadium (8. Woche) befand und ein schulpflichtiger Sohn scharlach-
verdächtige Erscheinungen darbot.
In der Haushaltung des K., in welcher die beiden verstorbe¬
nen Kinder schon gegen Mitte November an Scharlach erkrankt
gewesen sein müssen, war das Postdienstzimmer den beschränkten
Wohnräumlichkeiten des K. völlig ungetrennt angereiht, und
konnte von HauBhaltungsangehörigen betreten werden — bei
meinem Besuche befand sich darin der scharlachverdächtige Knabe
und erschien auch sofort darin eine weibliche Haushaltungs¬
genossin. Während der ganzen, bis dahin mehr als dreiwöchigen
Dauer der Krankheit waren in dieses Zimmer täglich zweimal die
Postsachen von der nächstgelegenen Bahnstation eingeliefert. Die
Ordnung und Verkeilung der Postsachen führte K. selbst aus,
obwohl er sich, da er Wittwer ist, an der Krankenpflege und den
Begräbnissvorbereitungen betheiligen musste. Sodann wurden die
Postsachen täglich zweimal durch 2 Briefträger in das Dorf and
auf die Abbauten auseinander getragen.
Geeignetere Verbreitungswege für die Schar¬
lachkrankheit konnten kaum geschaffen werden, wenn
man bedenkt, dass diesen Weg ausser Briefen und Zeitungen auch
Packete in Umhüllungen aus verschiedensten Stoffen passiren, an
denen der Infektionsstoff leicht und lange — bedeutend länger als
das Maserngift 1 ) — haften bleibt. Welch’ eine Fülle von Ver¬
breitungswegen eröffnet sich dem nachforschenden Gesundheits¬
beamten, wenn man berücksichtigt, wie die Postboten täglich von
Haus zu Haus gehen und — wissentlich oder unwissentlich —
jedenfalls unterschiedslos verseuchte und nichtverseuchte Woh¬
nungen betreten und so an der Verbreitung des Krankheitserregers
mitarbeiten. Ein Versuch, mit dem grade im Postzimmer an¬
wesenden Briefträger über eine gewisse, von ihm zu beobachtende
Vorsicht bei Bestellungen in verseuchten Haushaltungen zu ver¬
handeln, scheiterte glänzend: „Davon steht nichts in meiner
Instruktion.“
Aber auch die aus einem schwer verseuchten Orte abgehen¬
den Briefe und Packete bilden geradezu eine gemeine Gefahr,
*) Es mar eh; Hygienisches Taschenbuch.'III. Aufl. S. 248.
60 Dr. v. Gizycki: Dio Post als Vermittlerin bei Weiterrerbreitung v. Krankheiten.
nicht allein weil sie eine verseuchte Postagentur passiren, son¬
dern auch als Sendungen, die aus verseuchten Haushaltungen auf¬
geliefert werden. Postbeamte und Empfänger können sich zur
Zeit absolut nicht schützen vor dem so heimlich sie beschleichen¬
den Krankheitserreger. Zweifellos würde mancher, seinem Ur¬
sprung nach nicht aufzuklärende erste Fall einer ansteckenden
Krankheit in einer Postsendung aus verseuchtem Orte oder in
deren Behandlung durch Beamte aus verseuchten Haushaltungen
seine Erklärungen finden können.
Nicht zu unterschätzen ist die Gefahr der Weiterverbreitung
von Krankheiten durch Briefumschläge. Diese werden sorglos
weggeworfen, sie bilden oft ein beliebtes Spielzeug für kleine und
kleinste Kinder. Anstatt sie sofort zu vernichten, geschieht es —
obwohl dieses Verfahren auch vom ästhetischen Standpunkt aus
verurtheilt werden muss — nur zu häufig, dass Briefumschläge,
deren Gummistreif noch bei weitem am häufigsten mit der Zunge
unmittelbar befeuchtet wird, gewendet und wieder benutzt werden.
So kommt es, dass ich selbst, der ich die von P. ausgehende Gefahr
zu erforschen mich bemüht habe, mich vor der Einschleppung der
Krankheit in mein Haus trotz aller persönlichen Vorkehrungs-
massregeln kaum zu schützen vermochte. Erhalte ich doch heute
einen Brief von der Königlichen Kreiskasse zu M. in einem ge¬
wendeten, schon einmal benutzten Umschlag; die innere Seite
desselben trägt das Dienstsiegel des katholischen Pfarramts und
den Stempel des Postamts zu — P. Wenngleich auch meines
Wissens im katholischen Pfarrhause zu P. die Scharlachkrankheit
nicht geherrscht und der Brief auch schon am 9. Oktober 1902
P. verlassen hatte, so habe ich dem Umschlag doch die verdiente
desinfizirende Behandlung zu Theil werden lassen und bewahre
ihn sorgsam bei den Akten über „Scharlach in P.“ auf.
Es ist nun nicht meine Absicht, in diesen wenigen Zeilen
die Frage, was geschehen, welche Besserungsvorschläge gemacht
werden sollen, auch nur in Kürze zu behandeln. Es lag mir nur
daran, gewisse Verbreitungswege für übertragbare Krankheiten,
denen ich nachzuspüren Gelegenheit gehabt habe, an geeigneten
Beispielen zu erörtern, obwohl ich überzeugt bin, dass Kollegen
ähnliche Beobachtungen gleichfalls gemacht haben werden.
Die anzuordnenden Massnahmen werden nach den in jedem
Sonderfall gemachten Feststellungen zu beurtheilen sein und sind
auch in P. entsprechend getroffen worden. Der Fall drängt aber
gewisse Fragen von allgemeiner Bedeutung in den Vordergrund,
vor allen diejenige: lassen sich nicht rechtzeitige Vorkeh¬
rungen treffen, damit eine öffentliche Verkehrsanstalt nicht
wochenlang der Weiter Verbreitung einer Seuche Vorschub leistet
und grosses Unheil anrichtet? Was heute in P. möglich war,
kann morgen unter ähnlichen Umständen an vielen anderen Orten
sich ereignen. Gewiss könnte von der Ortspolizeibehörde verlangt
werden, dass sie auch aus eigener Ueberzeugung die Gefahr er¬
kennt, ehe sie erst vom Kreisarzt darauf aufmerksam gemacht
wird; im vorliegenden Falle hatte sie sich begnügt mit der
Dr. Schmidt: Kresolaelfeoflaschen für Hebammen.
61
Kennzeichnung des Hauses durch eine entsprechende Aufschrift
Aber der Haasthür, welche die wenigsten beachten. Eine dienst¬
liche Verpflichtung des Beamten, den Ausbruch einer ansteckenden
Krankheit in seiner Haushaltung umgehend der Vorgesetzten Be¬
hörde anzuzeigen, würde jedenfalls sehr viel schleunigere Abhilfe
geschafft haben. Sollte sich dann der betreffende Beamte eine
Unterlassung zu Schulden kommen lassen, so wäre er bei der
Schwere des Falles auch voll zur Verantwortung zu ziehen.
Das Gleiche würde auch für den Briefträger gelten, wenn
er anders handelte, als seine „Instruktion“ es ihm vorschreibt.
Der Briefträger in P. aber erklärte: „Meine Instruktion schreibt
es mir nicht vor, dass ich in verseuchten Haushaltungen anders
zu verfahren habe, als in unverseuchten; daher kann ich auf
andere Anordnungen nicht hören; bei Bestellungen von Post¬
anweisungen und dergl. muss ich in die Wohnungen hineingehen.“
Es lässt sich m. E. sehr wohl mit dem Postbestelldienst ver¬
einigen, wenn die Briefträger angewiesen würden, sich vor ihnen
bekannten oder als solchen gekennzeichneten verseuchten Haus¬
haltungen mehr Zurückhaltung aufzuerlegen und dieselben nur in
dorchaus nothwendigen Fällen zu betreten, im Uebrigen aber die
Empfänger zwecks Annahme der Postsendungen grundsätzlich aus
den Wohnungen oder Krankenzimmern heraustreten zu lassen.
Ich bin überzeugt, dass sich noch manche andere, den praktischen
Verhältnissen zu entnehmende Vorbeugungsmassregeln treffen und
mit dem Postbestelldienst vereinigen Hessen.
Eine grosse, äusserlich leider nicht erkennbare Gefahr werden
wohl noch lange Postsendungen aus verseuchten Haushaltungen
und Ortschaften bleiben, es sei denn, dass eine generelle Kennt¬
lichmachung derselben als „aus verseuchtem Orte stam¬
mend“ denkbar wäre. Briefumschläge aber müssten stets sofort
vernichtet (verbrannt) werden; dass speziell Behörden gewendete
Briefumschläge benutzen, sollte keinesfalls statthaft erscheinen.
Kre80lseifenflaschen für Hebammen.
Von Reg.- und Geb. Medizinalrath Dr. Schmidt in Liegnitz.
Im Regierungsbezirk Liegnitz findet seit zwei Jahren eine Be¬
aufsichtigung der Hebammen-Nachprüfungen durch den Regierungs-
nnd Medizinalrath statt, unabhängig von der durch §. 5 Ziff. 6 der
aUgemeinen Verfügung vom 6. Aug. 1883 eiugeführten Theilnahme
der Direktoren der Hebammen-Lehranstalten als Examinatoren an
diesen Nachprüfungen. Es ergab sich im Laufe der Herbst¬
monate, dass die nach dem Ministerialerlasse vom 21. Mai 1902 —
Ergänzungsblatt 8 zum Hebammen-Lehrbuch — als Desinfektions¬
mittel an Stelle des Lysols zugelassene Kresolseifenlösung wohl
vielfach angeschafft, aber in den Geräthebehältern nicht in den
vorschrittsmässig bezeichneten Flaschen vorhanden war. Bei
einem zufälUgen Zusammentreffen mit dem Direktor der Breslauer
Hebammenlehranstalt Dr. Baumm an einem Nachprüfungstermin
62 Klitun Mittheüungen and Referate au Zeitschriften.
wurde daher die Anfertigung' geeigneter Eresolseifenflaschen ver¬
abredet und vom Verfasser das Nöthige — nach Einsendung einer
Zeichnung an die Adlerhtttte zu Penzig, Landkreis Görlitz —
veranlasst. Diese Flaschen sind jetzt fertiggestelt, werden den
Kreisärzten durch Verfügung des Herrn Regierungspräsidenten
zur allgemeinen Einführung empfohlen und werden zugleich durch
die Provinzial - Hebammenlehranstalt Breslau eingeführt werden.
Sie sind von handlicher Form, flach, einschliesslich des 4 1 /» cm
langen Flaschenhalses 15 cm hoch, 5,3 cm breit und nur 3 cm
tief, aus weissem Glase, sechseckig, drei Flächen glatt, drei mit
Längsrippen, die seitlichen Ecken abgestumpft, ferner mit der
vorgeschriebenen Aufschrift: „ Vorsicht! Kresolseife. Nur gehörig
verdünnt und nur äusserlich zu gebrauchen", in schwarzer Schrift
auf weissem, viereckigem Schilde und mit Patent-Bügelverschluss
(Messingdraht, Porzellanstopfen und Gummiring) versehen; Inhalt
90 ccm.
Der Verkaufspreis dürfte 75 Pfg. betragen. Die Flaschen
können zu Fabrikpreisen aus der hiesigen Schloss - Apotheke —
Inhaber Dr. Jedamski — bezogen werden.
Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Sachverständigenthätigkeit in Unfall- nnd Invaliditäts-
Bachen.
Die Unfallverletsnngen des Gehörorganes nnd die pronentnale
Abschätzung der durch sie herbeigeführten Binbnsse an Brwerbi-
fähigkeit im Sinne des Unfallversicherungsgesetzes. Von Dr. Böpke,
Onrenarzt in Solingen. Verhandlungen der Deutschen Otologisehen Gesellschaft
auf der elften Versammlung in Trier am 16. und 17. Mai 1902.
Böpke, dem dieses Thema von der Deutschen Otologisehen Gesellschaft
wegen seiner eigenen grossen Erfahrung und seiner gründlichen Kenntniss des
betreffenden Materials gestellt war, bespricht in seinem Vortrage folgende
Punkte:
1. Die Häufigkeit der Unfallverletsungen des Gehörorganes.
2. Die Entstehnngsart der Ohr-Unfall Verletzungen.
8. Die Folgesustäade, welche nach Unfallverletzangen des Gehörorgans
eine seitweise oder dauernde völlige oder theilweise Erwerbsunfähigkeit des
Verletzten im Sinne des Uafallversicherungsgesetses herbeifahren können.
Bei Paukt 3 werden die Entstellang durch Verlast einer Ohrmuschel,
die nach Verletzung des äusseren Gehörganges zurückbleibenden Stenosen des
Gehörganges mit nachfolgender Schwerhörigkeit, die Trommelfell- und Mittel-
ohrverletsnngen mit ihren Folgezuständen und schliesslich die Verletzungen
des inneren Ohees erwähnt.
4. Die prozentuale Abschätzung der durch Unfallverletsungen herbei-
geführtea Einbusse an E' werbsfäbigkeit.
Die Folgezastände einer Verletzung des Gehörorgans, welche eine Ent¬
schädigung bedingen, sind Herabsetzung oder Verlust des Gehörvermögens, mit
oder ohne Ohreiterung, Schwindelerscheinungen, subjektive Geräusche, Kopf¬
schmerzen, Entstellungen.
Eine Beschränkung der Erwerbsfähigkeitt tritt bei dem Durohschnitts-
arbeiter ein, wenn er bei normalem Hörvermögen auf der einen Seite nicht
mehr im Stando ist, Flüstersprache auf dem anderen Ohre auf 4 Meter Ent¬
fernung zu hören. Bei einseitiger hochgradiger Schwerhörigkeit sind 10 */..
bei einseitiger Taubheit 20 °/ 0 der Vollrente zu gewähren; die durch Schwindel-
erscheinäugen bedingte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ist auf 10 °/o.
ebenso hoch ist die Sohädigung durch subjektive Geräusche einsusohätsen.
Dr. Ru dl off-Wiesbaden.
Kleinere Mittheilungen and Beiente ans Zeitsahrilten.
68
Ursächlicher Zusammenhang zwischen einem tödtlich verlaufenen
Magenkrebs und einem Betriebsunfall (Schlag von einer anrück-
schnellenden Brechstange gegen den Magen). Obergutachten, anf
Branchen des Reichsversicherungsamts unter dem 27. Mai 1902 erstattet ron
Geh. Med. - Rath Prof. Dr. B w a 1 d in Berlin. Amtliche Naohriohten des Reichs-
Versicherongsamts; 1902, Nr. 10.
Indem ich mich in Besug anf den Hergang des Unlalls auf die Beweis*
anfnahme Blatt 84 ff. der Akten des Reichs -Vereichernngsamts, in Besug anf
die Ergebnisse der Leichenöffnung anf Blatt 18 der Sektionsakten besiehe und
ferner anf das Gutachten Herrn Prof. Dr. A. in B. vom 27. Jnli 1901 (Blatt 8 ff.
der Schiedsgerichtsakten) verweise, gebe ich mein Gutachten dahin ab:
L das tOdtliche Leiden (Krebs des Magens mit Uebergreifen anf die Leber
and Verwachsung mit den Nachbarorganen) ist durch den in Rede stehenden
Unfall von Anfang September 1900 weder mittelbar, noch nn*
mittelbar verursacht oder angeregt;
n. es liegt aber eine geringe Möglichkeit vor, dass der Unfall den Verlauf
des Leidens nngttnstig beeinflusst hat.
Begründung. Zu I schliesse ich mich vollständig den Auseinander*
Betsungen an, welche Prof. Dr. A. auf Blatt 8 ff. der Sohiedsgerichtsakten unter
dem 27. Juli 1901 angegeben hat. Ich gehe aber insofern über die Schluss*
folgerangen dieses Vorgataohters hinaus, als ich es „nicht nur für im höchsten
Grade unwahrscheinlich*, sondern geradeso für sicher ausgeschlossen
halte, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Tode
des Sp. besteht. Prof. A. ist offenbar zu der von ihm vertretenen Annahme,
welche die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges zwar für sehr un¬
wahrscheinlich, aber doch nicht für absolut ausgeschlossen erachtet, durch die
Brwägung gekommen, dass der Unfall, der Schlag einer Brechstange vor die
Magengegend, mOglioher Weise ein Magengeschwür verursacht habe, ans welchem
dann später der Magenkrebs zur Entwickelung gekommen sei. Abgesehen da¬
von, dass die Entstehung eines Magenkrebses aus einem Magengeschwür zu den
seltenere j Vorkommnissen gehOrt, bedingt sie nach unseren Erfabrnngen auch
stets eine längere, über Jahre sich erstreckende Krankheitsdauer. Professor A.
macht mit Recht darauf aufmerksam, dass die Zeit zwischen Unfall und Tod,
die etwa 6 bis 7 Monate betrag, hierzu nicht ausreicht. Aber selbst wenn dies
der Fall wäre, so müssten sich doch bald nach dem Unfall irgend weiche An¬
zeichen eines Magengeschwürs gezeigt haben. Hiervon ist aber in den Akten
nirgends die Rede, vielmehr wird ausdrücklich angegeben, dass Sp. nur wenige
Tage über Magenbeschwerden klagte, sich nur zwei Tage vorübergehend in
ärztliche Behandlung begab und seine schwere Arbeit nie unterbrochen hat.
Ich habe eine nicht unerhebliche Anzahl von Fällen beobachtet, in denen
sich Krebs auf dem Grunde eines Magengeschwürs entwickelte, stets aber
fanden sich in der Vorgeschichte des Kranken charakteristische Angaben, welche
auf ein schon früher vorhanden gewesenes Magengeschwür hinwiesen, wie z. B.
Bluterbrechen, regelmässig wiederkehrende Scbmersen nach dem Essen und
Aebnliehes. Hiervon ist jedoch bei Sp. nirgends die Rede. Dass aber ein
leichter 8chlag gegen den Magen ohne das Mittelglied einer Zerreissung der
Magenschleimhaut bezw. eines dadurch entstandenen Magengeschwürs eine bös¬
artige Nenbildnng zur Folge haben konnte, ist nach unseren bisherigen Kennt¬
nissen völlig ausgeschlossen. Diejenigen Fälle, in welchen sich Magenkrebs
längere oder kürzere Zeit nach einem Trauma gegen die Magenwand ent¬
wickelte — ob das Trauma Ursache war oder nicht, bleibe dahingestellt —,
betrafen immer sehr schwere Verletzungen, wie z. B. den Stoss einer Dpichsel
vor die Magengegend, die Quetschung zwischen zwei Pnffern von Eisenbahn¬
wagen etc. Umgekehrt lehrt uns die tägliche Erfahrung, dass viele Kranke
erst bei Gelegenheit eines Unfalls auf eine krankhafte Veränderurg ihres
Organismus aufmerksam werden, die off-nbar schon lange vorher, ohne ihnen
zum Bewusstsein zu kommen, bestanden hat. So habe ich erst vor einigen
Tagen die Obduktion eines Mannes vorgenommen, der vor wenigen Wochen bei
einem Fall aus einem Wagen der elektrischen Bahn heftige Leberscbmerzen
und eine enorme LebervergrOsserung davongetragen haben wollte. Die Ob¬
duktion ergab 'aber.üdass es sich zweifellos um eine ganz alte Lebergeschwulst
bei einem tuberkulösen Manne handelte, die ganz sicher schon viele Monate
64
Kleinere Mittheilungen and Beferate ans Zeitschriften.
▼or dem fraglichen Unfälle bestanden hatte. Ich halte es auch in dem vor¬
liegenden Falle für wahrscheinlich und stimme auch darin Herrn Professor A.
bei, dass die ersten Anf&nge des Magenkrebses, an dem Sp. gestorben ist, auf
die Zeit vor dem fraglichen Unfälle znrückgreifen. Denn es kommt häufig vor,
dass sieh ein solcher Krebs monatelang auf einen sehr geringen Umtang be¬
schränkt und keine Symptome macht. Erst bei der Untersuchung der Ge¬
schwulst nach dem Tode erkennt man, dass dieselbe älter sein muss, als der
Zeit entspricht, von der ab der Kranke Ober sein Leiden klagte. Jedenfalls
ist aber der fragliche Unfall nicht als ursächliches Moment ftkr die Entstehung
der Neubildung anznseben.
It. Dass der Unfall auf die bereits vorhandenen Keime der Neubildung
in dem Sinne ungflnstig eingewirkt hat, dass er dieselbe zu schnellerem Wacbs-
thum gereizt hat, ist zwar unwahrscheinlich, aber immerhin möglich. Unwahr¬
scheinlich, weil sich das gesteigerte Wachsthum früher auch nach aussen, d. b.
durch die subjektiven Beschwerden des Kranken kenntlich gemacht haben
würde. Thatsächlich sind aber zwischen dem Unfall und den ersten Er¬
scheinungen der tödtlichen Krankheit mehrere Monate verflossen. Doch ist mit
Rücksicht auf die oben dargelegte Erfahrungstatsache, dass das Wachsthum
des Krebses gelegentlich eine längere Latenzperiode hat, nicht ausgeschlossen,
dass eine solche auch hier vorliegt, bezw. dasB dieselbe sich noch länger aus¬
gedehnt hätte, wenn nicht durch den Schlag vor die Magengegend die bereits
vorhandene Geschwulst gereizt und zu beschleunigtem Wachstbum angeregt
worden wäre. Deshalb lässt sich eine geringe Möglichkeit, dass der Unfall
den Verlauf des Leidens bei dem Sp. in ungünstiger Weise beeinflusst hat,
nicht von der Hand weisen.
Ungeachtet der Ansicht des behandelnden Arztes, dass der Unfall das
Krebsleiden hervorgerufen, wenigstens aber in seinem Verlaufe wesentlich be¬
schleunigt habe,. hat das Rekursgericht auf Grund des vorstehenden Obergut¬
achtens nicht nur den unmittelbaren, sondern auch den mittelbaren Zusammen,
hang zwischen dem Unfall und der Erkrankung verneint, wobei bemerkt worden
ist, dass die blosse Möglichkeit eines solchen Zusammenhanges zur Begründung
eines Entschädigungsanspruches nicht aasreiche. Es ist daher der Rekurs der
Hinterbliebenen des Sp., deren Ansprüche von den Vorinstanzen abgelehnt
waren, ebenfalls zurückgewiesen worden.
Entziehung der Rente wegen Angewöhnung bei Verlust des linken
Ringfingers. Rekursentsoheiduugdes Reichs Versicherungsamts
vom SO. September 1902.
Als alleinige Unfalifolge kommt nur der Verlust des linken Ringfingers
iu Betracht. Das Reichsversicherungsamt ist zu der Ueberseugnng gelangt,
dass in dem langen Zeiträume von 18 Jahren, die seit dem Unfälle verflossen
sind, der Beklagte sich so weit an den Verlast seines Fingers gewöhnt bat,
dass sein Fehlen für ihn nicht mehr die Bedeutung eines wirtschaftlichen
Schadens hat. Diese Feststellung bedeutet eine wesentliche Veränderung
gegenüber don Verhältnissen, welche für die in dem Bescheide vom 25. Ja¬
nuar 1390 ausgesprochene Bewilligung der Theilrente von 5°/ 0 massgebend
waren. Denn damals war seit der Exartihulation jenes Fingers erst ein halbes
Jahr verstrichen, so dass sich der günstige Einfluss der Anpassung und Ge¬
wöhnung an die veränderten Verhältnisse der verletzten Hand noch nicht
geltend machen konnte. Weon damals und auch noch in don darauffolgenden
Jahren durch den Verlust des Ringfingers die Gebrauchsfähigkeit der linken
Hand immerhin noch in messbarem Grade beeinträchtigt gewesen sein mag, so
ist doch ansunebmen, dass es nunmehr dem Beklagten gelungen ist, die fehlende
Mitwirkung des Ringfingers bei der Handhabung des Arbeitsgerätes daroh
erhöhte Inanspruchnahme der benachbarten Finger zu ersetzen. Diese An¬
nahme erscheint selbst dann berechtigt, wenn dem Beklagten zusngeben ist,
dass sein Beruf als Holzbildhauer hohe Anforderungen an die Geschicklichkeit
haUer Hände stellt.
Das Rekursgericht fand hiernach keinen Anlass, der Auffassung des
Ngerichts, dass der Beklagte keinen Anspruch mehr auf Fortgewährung
Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften.
65
der ihm bisher wohlwollender Weise belassenen Rente habe, entgegensutreten.
Dem Rekurse war daher der Erfolg so versagen.
Macht eine Landesversieherungsanatalt gegen eine Krankenkasse
eine Forderung auf Grand des Abs. 3 §. 18 des Invalidenversichernngs*
gesetztes geltend, so bat der Verwaitnngsrichter zu prüfen, ob die
Erkrankung des Versicherten derartig war, dass die Anstalt das Heil*
verfahren an übernehmen befngt war.
Eine gegen die klare Sachlage verstossende tbatsächliche Wür¬
digung eines ärztlichen Gntachtens seitens des Richters stellt einen
wesentlichen Verfahrensmangel dar. Entscheidung des prenssisohen
Oberv erwaltnngsgeriohts (III. Senats) vom 17. April 1902.
Die Klägerin hat für das an Rheumatismus erkrankte Mitglied der Be¬
klagten, den Former Hermann Z., das Heilverfahren fibernommen und ihn vom
3. September bis 3. Oktober 1900 in Bad Sch. ärztlich behandeln und verpflegen
lassen. Da sie der Ansicht ist, dass der Erkrankte vom 3. September ab er¬
werbsunfähig im 8inne des Krankenversicherungsgesetzes gewesen sei, so ver¬
langte sie die ihr erwachsenen Kosten in Höhe desjenigen Krankengeldes er¬
stattet, welches Z. für den gedachten Zeitraum von der Beklagten für sich
beanspruchen konnte. Die Letztere bestritt die Erwerbsunfähigkeit, weil Z.
noch dem Gutachten des Kassenarztes ohne Verschlimmerung Beines Zustandes
habe weiter arbeiten können.
Der Bezirksausschuss erhob zunächst über den Grad der Erwerbsunfähig¬
keit nnd der Erkrankung Beweis und wies Bodann die Klage durch Urtheil
vom 15. Juni 1901 ab, indem er nach dem Ergebniss der Beweisaufnahme an¬
nahm, dass bei Z. als Folge der Krankheit nicht eine Erwerbsunfähigkeit zu
besorgen gewesen sei, die einen Anspruch auf reichsgesetzliche Invalidenrente
begründe und deshalb der Klägerin die Befngniss absprach, ein Heilverfahren
nsuih §. 18 des Invalidenvcrsicherungsgesetzes eintreten zu lassen. Die von der
Klägerin gegen diese Entscheidung unter der irrthfimlichen Bezeichnung als
Berufung eingelegte Revision (§. 1 der Verordnung vom 23. August 1890 —
Gesetz-Sammlung S. 166) ist begründet.
Die Annahme der Klägerin, dass fflr den von ihr geltend gemachten
Ersatzanspruch lediglich der Absatz 3 §. 18 des In validen verBichernngsgesetzes
vom 13. Juli 1899 massgebend sei und dass deshalb der Verwaltungsrichter
nicht nachzuprfifen habe, ob ein Heilverfahren von der Versicherungsanstalt
befagt oder unbefugt Übernommen worden sei, geht allerdings fehl. Nach
Absatz 1 daselbst ist die Versicherungsanstalt zur Anordnung eines Heil¬
verfahrens nur dann befugt, wenn ein Versicherter dergestalt erkrankt, dass
als Folge der Krankheit Erwerbsunfähigkeit zu besorgen ist, welche einen
Anspruch auf reichsgesetzliche Invalidenrente begründet. Das Vorliegen dieses
Toatbestandes bildet mithin eine Voraussetzung lür den durch die Vorschriften
des Absatz 3 eingeführten Erstattungsansprnch. Da»s die Frage, ob diese Vor¬
aussetzung gegeben ist, der Nachprüfung des Vorwaltungsrichters unterliegt,
kann um so weniger bezweifelt werden, als der §. 23 des Invalidenversicherungs-
gesetzes das Verwaltungsstreitverfahren über die hier in Rede stehenden Ersatz¬
ansprüche ohne jegliche Einschränkung eröffnet.
Dagegen fällt dem Vorderrichter insofern ein wesentlicher Mangel des
Verfahrens zur Last, als er bei der Würdigung der seiner Entscheidung auch
zu Grunde liegen len Gutachten des Dr. med. H. vom 21. August 1900 und des
Dr. med. Sch. vom 25. Mai 1901 gegen die klare Lage der Sache veratossen hat.
An den Dr. H. war vom Magistrat in W. am 21. August 1901 die Frage
gestellt worden, „ob Z. dergestalt krank sei, dass als Folge der Krankheit eine
Erwerbsunfähigkeit zu befürchten sei, welche einen Anspruch auf reiebsgesetz-
liche Invalidenrente begründe“. Wenn der Sachverständige darauf antwortete,
„dass der Z. arbeitsfähig sei mit öfteren Unterbrechungen, so dass bei nicht
völliger Auskurirnng eine Wiederholung des Rheumatismus und damit eine
Erwerbsunfähigkeit zu befürchten sei“, so konnte der Vorderrichter mit Rück¬
sicht auf die voranfgegangeue Frage nicht feststellen, Dr. H. habe nur be¬
seheinigt, dass bei Z. Erwerbsunfähigkeit schlechthin zu befürchten sei, nicb*
aber, dass auch eine solche zu besorgen sei, welche einen Anspruch auf reic 1
66
Kleinere Mittheilungen and Befer&te ans Zeitschriften.
gesetsliche Invalidenrente begründe. Br durfte dies nm so weniger, als Dr. H.
bereits in dem Atteste vom 16. August 1900 die Frage: „Seit welchem Zeit«
pnnkte ist die Erwerbsfähigkeit nach Ihrem Ermessen unter 33*/ a 0 /o gesunken?“
mit: „seit dem Rheumatismus“ beantwortet hatte. Was ferner das Qntachten
des Dr. med. Sch. angeht, so bejaht dieser in dessen Eingang das Vorliegen
der Besorgnias einer Erwerbsunfähigkeit, die einen Anspruch auf reichsgesets-
liche Invalidenrente begründet, mit den Worten: „loh glanbe diese Frage nn«
bedenklich mit ja beantworten zu können“. Der Vorderrichter konnte sich
deshalb mit diesem Gutachten nicht mit dem Satze abfinden: „Insbesondere ist
der Sachverständige in dem Schlussergebniss seiner Darlegungen nur der
Ansicht, dass bei Z. eine Erwerbsunfähigkeit, die den Ansprach auf reiche«
gesetzliche Invalidenrente nach sich zog, „befürchtet werden konnte“, nicht
etwa „zu besorgen war“. Mit den Worten „befürchtet werden konnte“ hat
der Sachverständige, wenn man den Eingang seines Gutachtens berücksichtigt,
doch offenbar sagen wollen: „es war zu besorgen“. Auch ist es nicht zutreffend,
wenn der Vorderrichter dem Sachverständigen vorwirft, dass er in seinem Gut¬
achten zu der vorliegenden Streitfrage in ihren wesentlichen Pankten nur in
unbestimmten Ausdrücken Stellung genommen habe.
Hiernach unterliegt die Vorentscheidung der Aufhebung (§. 94 Ziffer 2.
§. 98 des Landesverwaltangsgeaetzes). Bei der eintretenden freien Beurtheilung
erscheint die Sache nicht spruchfrei.
Wenn auch auf Grund des Sch.’sohen Gutachtens sowie mit Rücksicht
darauf, dass der Dr. med. H. die Besorgniss einer Erwerbsunfähigkeit im Sinne
des §. 18, Abs. 1 des Invalidenversicherungsgesetzes anfänglich ebenfalls bejaht
hatte, davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin zur Anordnung des
Heilverfahrens befugt war, so bedarf das Sachverhältniss doch nach einer an¬
deren Richtung hin noch der Aufklärung. Hach dem hiermit in Bezug genom¬
menen Endurtheil des erkennenden Senates vom 17. Oktober 1901 ist nämlich
eine fernere Voraussetzung für den vorliegenden Ersatzanspruch die, dass Z.
während der Zeit vom 3. September bis 8. Oktober 1900 erwerbsunfähig im
Sinne des Krankenversicherungsgesetzes war und einen noch nicht erfüllten
Ansprach auf Krankengeld hatte. Da die beklagte Krankenkasse das Vor¬
handensein dieser Voraussetzung mit der Behauptung in Abrede genommen hat,
dass Z. arbeitsfähig gewesen sei und bis zum Antritt seiner Badereise regel¬
mässig gearbeitet habe, so sind noch weitere Ermittelungen über diesen Punkt
erforderlich. Zu deren Anstellung war die Sache in die Vorinstanz znrück-
zuweisen. Der Vorderriohter wird bei den ferneren Verhandlungen zu beachten
haben, dass nach der gleichmässigen Rechtsprechung des Gerichtshofes unter
der durch Krankheit herbeigeführten Erwerbsunfähigkeit schon die Unmöglich¬
keit, der Erwerbsthätigkeit ohne Verschlimmerung der Krankheit nacbgehen
zu können, zu verstehen ist. _
Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Krankenversieherungsgesetzes.
Urtheil des Badischen Verwaltnngsgeriohtshofes vom 28. Ok¬
tober 1902.
Damit ein Anspruch auf Krankengeld begründet sei, verlangt das Gesetz
nicht, dass der Versicherte nicht zur geringsten ErwerbBthätigkeit mehr im¬
stande sei, sondern es begnügt sich mit der wesentlichen Beschränkung der
Erwerbsfähigkeit. Theorie und Praxis stimmen darin überein, dass die Er¬
werbsunfähigkeit durch unbedeutende Lohnarbeit mit verhältnissmässig geringem
Ertrag, der im Verhältnis zum Taglohn oder Krankengeld nicht mehr be-
achtens werth erscheint, nicht ausgeschlossen wird. Die Ansicht, Niemand darf
Lohn aad Krankengeld für die gleiche Zeit beziehen, ist in dieser Allgemein¬
heit eine rechtsirrthümliohe.
B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitätswesen.
Ueber das Wesen der Bakterienvirulens naeb Untersuchungen
an Choleravibrionen. Von Prof. B. Pfeiffer und Dr. E. Friedberger.
Berlin. Klin. Woohenschr.; Nr. 25, 1902.
Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften.
67
Die Untersuchungen worden vorgenommen mit Cholerakulturen aas dem
Anfang der nennsiger Jahre. Sie führten so folgenden Schlüssen:
1. Bei den Choleravibrionen unterscheiden sich virnlente nnd avirnlente
Stimme dnrch die Ansahi oder durch ein Qr&d der Affinität ihrer haptophoren
Groppen. Die virulenten Cholerastämme besitzen eine mindestens fünf- bis
zehnmal grossere Affinität resp. grossere Zahl der haptophoren Groppen als
die avirnlenten.
2. Der immnnisirende Effekt durch die Impfnng mit Choleravibrionen
ist ans dem gleichen Grande abhängig von der Hohe der Virulenz der ver-
impften Knltnr. Analoge Verhältnisse sind für Typhös- and Pestpasillen voraus-
so setzen.
8. Das Wesen der Virulenz bernht demnach für die angeführten Bak¬
terienspezies auf ihrem BindongsvermOgen gegenüber den zn ihnen passenden
Ambozeptoren.
Inwieweit neben diesem Moment noch andere Faktoren das Wesen
der Virulenz mitbestimmen nnd inwieweit die gefundenen Thatsachen allgemeine
Gültigkeit für andere Bakterienspesies haben, bleibt hier unerwähnt.
Dr. Räuber-Düsseldorf.
Beiträge zur Agglutination des Pestbacillus. Ans der II. med.
Universitätsklinik in Budapest (Dir.: Prof. Dr. Karl v. K&tli) and aas dem
nngar. staatlich bakteriol. Institute (Dir.: Prof. Dr. Hugo Preisz). Von
Dr. Alad&r Anjeszky, Adjunkt am bakteriol. Institut nnd Dr. Johann Wen-
hardt, Assistent der Klinik. Berliner klin. Wochenschrift; 1902, Nr. 82.
Die Agglutination hat eine Bedeutung, wenn nach Genesung eines
Kranken ein vor kurzer Zeit überstandenes fragliches Leiden festgestellt werden
soll. Das Blut der von Pest geheilten Menschen soll selbst nach 8 Wochen,
vielleicht auch noch später, agglutiniren. Es galt festzustellen, ob der Pest-
baeillus nur das von pestinfizirtem Organismus stammende Blutserum aggluti-
nirt. Za ihren Versuchen benutzten die Verfasser einen aus Glasgow stammenden
Pestbaeillns, von dessen 2 tägiger Agarknltnr sie mittelst Bomllon und physio¬
logischer Kochsalzlüsuag eine gteichmässige Emulsion herstellten. Das Blut¬
serum wurde mittelst einer Pasteur ’sehen Pipette in sterilisirte Eprouvetten
eiagetrfiufelt und mit einer gleichen Pipette die Emulsion dazu gegeben. In
den ausgeprägten Fällen der Agglutination bildet sich über dem Bodensatz oft
ein wolkenartiger, verschwommener Niederschlag, über welchem die Flüssigkeit
ganz klar wurde.
Die Besaitete der Untersuchungen sind folgende: Auch das Blutserum
des gesunden Pferdes kann den Pestbaoillus agglutiniren, aber nur bis zur
Verdünnung 1:10. Das Pestsernm agglntinirt in grösserer Konzentration als
1:6 nicht nnr den Pestbaeillns, sondern auch andere Bakterien. Das Blut ge¬
sunder und an Tabe'knlose leidender, fiebernder Menschen agglntinirt den Pest-
haeillns nicht. Nach Immnnisirnng mit Pestsernm erhält manchmal das Blut
des Menschen den Pestbaeillns agglotinirende Fähigkeit. Das Blutserum ge¬
sunder Kaninchen agglntinirt den Pestbaeillns nicht; jedes der mittelst Pest-
serum immnnisirten Kaninchen agglntinirt aasnah ms weise. Der Urin gesunder
Menschen agglntinirt den Pestbaoillus nicht, aber nach Injektion des Sernms
kein es Vorkommen, dass auch der Urin agglntinirt. Das Blutserum der
Kauinehen agglntinirt nicht selbst nach Haffkinisation den Pestbaeillns. End¬
lich haben die Verfasser bewiesen, dass auch der Haffkine’sche Impfstoff zu
Agglutlnationszwecken verwendbar ist, dass aber die Reaktion mit lebenden
Pestbaiillen lebhafter ist. _ Dr. Räuber-Düsseldorf.
Ueber die Gefahr der Tetanusinfektion bei subkutaner An¬
wendung der Gelatine zu therapeutischen Zwecken und ihre Ver¬
meidung. Ans der Königl. med. Klinik za Breslau (Geheimrath Käst). Von
Dr. Pani Kr aase, Oberarzt. Berliner klin. Wochenschrift; 1902, Nr. 29.
Die Schlusssätze lanten: „1. Die beobachteten Tetanusinfektionen nach
Gelatineinjektionen beruhen aaf einer fehlerhaften, nicht genügenden Sterili¬
sation der Gelatine. 2. Durch fraktionirte Sterilisation der Gelatinelösung an
5 aufeinander folgenden Tagen je '/* Stande im strömenden Dampfe bei 100° C.
66 Kleinere Mltthellungeu und Referate atu Zeitschriften.
gesetitlche Invalidenrente begründe. Er darfte dies um so weniger, »b
bereits iu dein Atteste fura 16. August 1900 die Fragen »Seit weichet;-
paukte ist dk Kf Wesbifbblgkeit nach Ihrem Ermessen unter 33'/«“Ä ges» 1
mit: »seit der« Rheumatismus“ leaatwortct hatte. Wae ferner das Hut
de« OrbmeA Sek eogeht, 8ft bejaht dieser iu dessen Eingang de« Vor -:
der Bvsorgiiws einer EjwerbennfftMgkeit^ die einen Ansprach *«f reichte
liebe loVi3ldeare;Btv begründet, mit den Worten: »loh glaob« diese I
bedenklich mit ja beantworten nü können“. Oer Vorderrichter hont
deshalb mit diesem Outachten nicht mit dem Satze abfinden: „iaabwu u •
d«r Saehrentködige in dem Scblassorgebuiss seiner X'aelagnngi 1 ;;
Ansichlh, dass hei Z. eine ErwerbsBnf&higkeit, die den Äaaprucb ;
gesetaliofe« Invalidenrente nach sich sog, „befürchtet werden km**,',
etwa »an besorgen war*. Mit den Worten ,befClrcbt»t werden k
der S&ehvoratfcndig«, wenn ;mao den Eingang seines Gutachtens her'
doch offenbar sagen wnllea: »es war «tt besorgen“. Auch ist w niclS
wenn der Vordem chter dam Saab verständigen verwirft* das« er in
achten na dar vorliegenden Streitfrage in ihren wesentlichen Pu»;]: 1
an bostimmteH Aasdröokeu StoilöBg genommen habe.
Hiernach unterliegt die Vorentscheidung der Aufhebung {£
§. 93 des Laodesverwaltttagsgesetzfta}. Bei der cintretenden freien :
erschatut dl« 3ache nicht spruehtrei, • • '«
Wenn auch auf öraad d«a 3ch.-sehea Gutachtarcs sowie je’;-
d&r&nf, dass der Dr. laad. S- dio Basorgnias einer Erwerhsnafähig«.;
des §, 18, Aba» t des Invilidfittvereicherangsgesetae» anfängUnh eh>
hatte, davon »angegangen werden kann, dass die Klägerin *ox A
Heilverfahrens betagt war, so bedarf, das SaahverhiltnisB doch i
deren Richtung hin noch der Aufklärung. Nach dem hiermit »a
menen EndartbeÜ dee erkennenden Senates vom 17. Oktober 1?
»ins fernere Vor&aagetznng für den vorliegenden KrsatnitJsgr ö<
während der Zeit vom 8. September bla 3» Oktober 1900 er«
Sinne des Kraufcenvajisicberuögsgeseizes war and einen Sech
Amprotb auf Krankeagelil hatte. Da die beklagte Kranke*
haadeosein dieser VoMuseetnong mit der Behnnptüng in Abrede. *' Är
dass Z. arbeitsfähig gewesen eet and bi« am® Antritt seiner
märntg gearbeitet habe, so sind noch weitere Ermittelungen 6
erforderlich. Za deren Anstellung War die Sache ln die Vc
sawfiissn. Der Vorderrijehter vrird bei döa Inraerea Verhandir • •'
haben, dass nach der gleich «lässigen Rechtsprechung des G*
der darob Krankheit herbeigeführinn Erwerbsunfähigkeit sch
kolt, der Erwerbsthätigkoa ohne Verschlimmerung der Ktn
su können, an verstehen ist.
Erwarbst!»fühJgkelt in* Staute des Krankenversi< ‘ .
Urtbeit des üadisuhen Vnr waltnngsgerlohtehd - .-«um ■
tober 1902.
Damit ein Anspruch auf Krankengeld begründet set «**
nicht, das« der Versieh«»!« nicht nur- gv-nogst*» Erwerbe i<P*
8t«»de • v.» .‘i«r ^eo»jniÜftbv' . ’ :
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Kleinere Mittheilungen and Referate aas Zeitschriften.
69
Ftden zusammenhängende Hilzbrandbazillen nachgewiesen, des*
gleichen in den Alveolenund Lymphspalten der Langen, während sie in den
Blutgefässen derselben nur spärlich anzatreffen waren, ebenso wie in den
übrigen Organen (Leber, Nieren n. s. w.).
In Besag aaf die Aetfologie dieses Falles ergaben die angestellten
Ermittelungen nun Folgendes: Gewisse ausländische Drogen werden in rohen
Thierhäuten verpackt and verschickt. Die erkrankte Fraa hatte mit der Ver¬
arbeitung solcher Drogen za schaffen gehabt. Dadurch erscheint die Annahme
gerechtfertigt, dass snr Verpackung der Drogen die Haut eines an Milz¬
brand eingegangenen Thieres benntst worden war, von der Bant aas Mils¬
brandkeime aaf die Droge gelangt, bei dem Zerkleinern nnd Reinigen der
Droge verstäubt and von der Arbeiterin eingeatbmet waren. Es können
die Milsbrandbasillen auch direkt von der Haat aas in die Laft des Arbeits¬
saals gelangt sein. Der Fall weist aaf die Nothwendigkeit hin, dass die
Massnahmen zum Schatze der Arbeiter gegen Milzbrandgefahr auch aaf die
Betriebe, wo Drogen verarbeitet werden, auszuduhnen sind. Leicht wird es
sieht sein, eine Vorbeagang gerade hier herbeizuftthren, da bei den allgemein
üblichen Desihfektionsverfahren die Drogen unbrauchbar gemacht werden
dürften. Am besten wird es allerdings sein, wenn seitens des Gross-Drogen¬
handels darauf hingewirkt wird, dass zar Verpackung von Drogen keine rohe
Thierhftnte mehr benutzt werden._ Rpd.
Ueber die Bedingungen des Eindringens der Bakterien der
Inspirationslnft in die Langen. Von Dr. Ludwig Paal. Zeitschrift für
Hygiene and Infektionskrankheiten; 1902, Band 40, Heft 3.
Da der Keimgehalt der Luft, welcher im Freien zwar ein ziemlich ge¬
ringer ist, in bewohnten Rfinmen ein Behr beträchtlicher sein kann (Hesse fand
in Krankenhäasern bis za 12000, in staubiger Luft sogar bis za 200000 Keime
im Kubikmeter), so hat die zuverlässige Beantwortung der Frage, ob Bakterien
durch die Inspirationslnft bis in die feinsten Bronchien nnd Alveolen befördert
werden können, eine hohe praktische Bedeutung, wenn man bedenkt, dass der
Mensch darch die Athmang täglich etwa 9 cbm Luft in seine Langen aafnimmt.
Man sollte zunächst meinen, dass der Keimgehalt der Lungen ein ausserordent¬
lich hoher sein müsste, dieser Annahme widerspricht aber meinerseits die kli¬
nische Erfahrung, dass die meisten penetrirenden Brnstwnnden aseptisch ver¬
heilen, anderseits haben auch viele Forscher wie Mttller, Klipstein,
Göbell, Barthel u. A. m. experimentell die Lungen kleiner Versnchstbiere
in einer grossen Zahl von Fällen steril oder nur äusserst wenig keimhaltig ge¬
funden ; auch bei grösseren Schlachtthieren waren erhebliche Keimmengen in
den untersuchten Lungentheilen niemals zu finden.
Die Sterilität der Lungen oder irgend eines anderen Organs kann nun
entweder darauf beruhen, dass Oberhaupt keine Bakterien in dasselbe einzu¬
dringen vermögen, oder dass dieselben darin sehr rasch abgetödtet oder be¬
seitigt werden. Obwohl das häufige Vorkommen der Lungentuberkulose beweist,
dass die erste dieser beiden Ursachen ffir die Lungen nicht unbedingt statt¬
haben kann, so fanden wiederum einzelne Autoren wie Claisse, Thompson
und He wett einen um so geringeren Keimgehalt in den Lungen, je tieferen
Thailen des Athmungstraktus sie ihr Uotersuchnngsmaterial entnahmen, woraus
sie den Schluss ziehen, dass die Mikroorganismen meist in den oberen Theilen
der Luftwege zarfickgehalten werden. Um diese WidersprQche einer Lösung
näher zu bringen, hat nun Verfasser im hygienischen Institut der Universität
Breslau mehrere Reihen höchst interessanter Versuche angestellt, welche nicht
nur manche bisher offene Frage einer exakt wissenschaftlichen Lösung zugefQhrt
haben, sondern auch geeignet sind, in mehrfacher Hinsicht die Anregung zu
weiteren neueren Forschungen zu bieten.
Sieht man von der Invasion der Bakterien in die Lungen durch den
Siftestrom ab, so bleibt nur der auf alle Fälle näher liegende und zweifellos
häufigere Weg ihres Eindringens mit der bis in die feinsten Lungenbläschen
einströmenden Athmungsluft übrig. Hierbei sind nur zwei Möglichkeiten ins
Auge zu fassen: erstens, dass die Keime in den Schleim, welcher stets an die
Wandungen der Luftwege haftet, gelangen nnd mit diesem in die tiefer ge¬
legenen Theile des Respirationsorgans hinabfliessen, wie dies z. B. für das Zu-
70
Kleinere MittbeUungea and Referate aas Zeitschriften.
staudekommen der Aspirationspneumanien charakteristisch ist, oder zweitens,
dass dieselben, ohne mit der Schleimhaut und ihren Sekreten in Berührung an
kommen, durch den inspirirten Luftstrom bis in die feinsten Luftröhrnähte
tranBportirt werden. Der erste Weg wird wohl kaum der häufigere sein, zumal
der Bespirationstraktus in seiner Auskleidung mit Flimmerepithel, dessen
Flimmerbewegung dem Inspirationsstrom entgegengerichtet ist, ein mächtiges
Sohntsmittel gegen das tiefere Eindringen fremder Körper besitzt. Dagegen
verlohnt es sich wohl, den zweiten Modus einmal einer genaueren PrUfung zu
unterwerfen. Darch die Arbeiten von Büchner, Flügge, Königen u. Au
ist der Nachweis erbracht, dass Mikroorganismen an ausserordentlich feinen
8täubchen und Tröpfchen halten, wenn sie sich in der Luft schwebend erhalten
sollen. Sänger glaubte nun aus seinen Versuchen folgern zu müssen, dass
zerstäubte Flüssigkeiten nicht weit über die ersten Bronchialverzweigungen
hinausgelangen. Er leitete eine fein zerstäubte Methylinblaulösung durch ein
1 cm weites und in seinem Verlaufe in einem Winkel von 110° abgeknicktes
Glasrohr und bemerkte, dass sich alle Tröpfchen an der Biegungsstelle als
feiner blauer Nebel niederschlugen; sodann liess er denselben Spray von einer
Versuchsperson inhaliren und fand bei direkter Beobachtung mit dem Spiegel
■deren Kehlkopfinneres und die Stimmbänder völlig frei von Tröpfchen der
Lösung.
Üa Verfasser eine Fehlerquelle dieser Versuche darin erkannte, dass die
Lösung nicht fein genug zerstäubt worden war, wiederholte er sie unter An¬
wendung eines sog. Büchner’sehen Zerstäubers, mit welchem man im Stande
ist, äusserst feine Tröpfchen zu. erzeugen, und fand in der That, dass sowohl
destillirtes Wasser, als auch Salzlösungen, wenn man sie nur in allerfeinste
Tröpfchen auflöst, zu einem gewissen Prozentsatz durch eine ganze Reihe recht¬
winklig abgeknickter Glasröhrchen von 1 cm Durchmesser hindnrehpassirten
und sich nach einiger Zeit in Tropfenform aut einem vor die Ausströmungs¬
öffnung gehaltenen Objektträger ansammelten. Auch der Nachweis, dass die¬
selben Verhältnisse bei den enger and mit Schleimhaut überkleidetan Eingangs¬
wegen der thierischen Athmungsorgane statthaben, konnte er erbringen, indem
er Kaninchen tracheotomirte und in beide Trachealenden je eine Kanüle ein¬
legte. Die untere Kanüle gestattete dem Thiere das Athmen, während die
obere die Trachea mit einem Fick er’sehen Glasfilter und einem dahinter ange¬
brachten Aspirator in Verbindung setzte. Wurde nun das Thier in einen Glas¬
kasten eingesetzt, der mit einem Spray feinster zerstäubter Bouillonaufschwem¬
mung 24 bis 48 ständigen Prodigiosuskulturen angefüllt war und der Aspirator
in Thätigkeit gesetzt, so dass die mit Bakterien erfüllte Luft der Reihe nach
Nase, Rachenraum, Kehlkopf und Trachea des Versuchstieres, und darauf die
Kanüle und den Glasfilter durchstreichen musBte, so zeigten sich auf den aus
dem Glasstaubinhalte des Filters gegossenen Platten schon nach 24 Stunden
unzählbare Prodigiosuskolonien. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass
auch bei normaler Athmung feinste Tröpfchen und Stäubchen sammt den an
ihnen haftenden Keimen die oberen Luftwege durchfliegen und ungehindert in
die tiefsten Teile der Langen Vordringen können; eine Tbatsache, welche übri¬
gens für feinste Stäubchen durch den Befand der Steinhauer- und mit Kohlen¬
staub pigmentirten Städter-Lungen schon längst bekannt ist.
Ueber das Eindringen von Bakterien in die Lungen liegen zwar auch
schon Arbeiten von Büchner, Hildebrandt, Wyskowitsch und Nen-
ninger vor, welche mit Milzbrand, Aspergillus fumigatus und anderen Bak¬
teriengemischen durchaus positive Resultate ergeben hatten, allein die unter¬
suchten Lungentheile waren hierbei den Thieren stets erst nach dem Tode ent¬
nommen worden, so dass die Möglichkeit der Aspiration des keimhaltigen Mund-
und Tracheaischleimes während der vertieften und krampfhaften Einathmungen
in der Agone nicht ganz ausgeschlossen erscheint. Verfasser wiederholte ans
diesem Grande dieselben Versuche, aber unter Entnahme der Lungenproben
neah während des Lebens der Versuchsthiere und unter thunlichster Fernhaltung
vertiefter Inspirationen, und konnte auf diese Weise in durchaus einwandsfreier
Weise den Beweis erbringen, dass bei der Einathmung bakterienhaltiger Luft
unmittelbar nachher die Keime in reichlicher Zahl in den Lungen wiederzu-
fittden sind. Es lässt sich sogar durch die Zählung der zur Zerstäubung ge¬
langten Bakterien unter Berücksichtigung des bekannten Lnftvolumens des
Kleinere Mittheilungen und Referate mm Zeitaahri&n.
71
Glaskastens, in welche die Versuchsthiere eingesetzt wurden, sewie docdi
WSgung der Lungeutheile und Auszählung der nach den Verwehen entwickel¬
ten Plattenkultorea rechnerisch der Bruchtheil der zerstäubten Keime ermitteln,
welcher bis in die Lungen eingedrungen war. Derselbe war ein Verhältnis»-
mässig nicht unbeträchtlicher und betrag im Kittel aller Versuche, a«f denn
Einzelheiten näher einzugehen hier nicht der Ort ist, etwa 4%. Ein Eindringen
der Bakterien in die Lungen durch den Lymphstrom von den Baohentheilen aus
war bei diesen Versuchen schon wegen der Kürze der Zeit ausgeschlossen und
wurde auch durch einen Kontrolversuch, bei welchem die keimhaltige Luft dem
uacheetomirten Versuchst hier e durch eine Trachealkanflle direkt angeführt
wurde, als nicht in Betracht kommend nachgewiesen.
Es taucht nun die weitere Frage auf, wie dieses Resultat mit der höchst
auffallenden, aber durch vielfache Erfahrungen erhärteten Thatsache in Einklang
an bringen ist, dass trota des unausgesetzt reichlichen Eindringens von Keimen
bis in die tiefsten Theile des Athmungskanals die Lungen bei Gesunden meist
keimfrei gefunden werden. Der Verfasser suchte durch eine weitere Versuchs¬
weise auch Ober diesen Pankt Klarheit au schaffen, indem er Kaninchen paar¬
weise unter den gleichen Bedingungen in demselben Glaskasten dieselbe bak¬
terienhaltige Luft von berechnetem Keimgehalt einathmen liess. Dem einen
Tkiere wurden dann sogleich in vivo Lungenstttckchen zur Untersuchung ent¬
nommen und festgestellt, dass die Zahl der in die Lungen eingedrungenen
Keime eine verhältnissmässig grosse war, während das andere in Freiheit ge¬
setzt und erst nach längerer Pause getödtet und auf den B&kteriengehalt der
Lungen untersucht wurde. Dabei fanden sich bei einem Thier, welches nach
1 */ 4 Stunden untersucht wurde, noch */ 10 , nach 2 Stunden ‘/ist nach 6 Stunden
‘/«m, nach 17 x / t Stunden ‘/»wo* der Anzahl der bei den sogleich untersuchten
Thiere ermittelten Keime vor.
Daraus muss man den Schluss ziehen, dass im lebenden Organismus that-
sächlich eine ungeahnt rasche und massenhafte Beseitigung der in die Lungen
eingedrungenen Keime stattfindet. Die Frage, ob dieselben mittels des Lymph-
stromes fort geschafft werden oder in der Lunge selbst der Vernichtung durch
gewisse bakterizide Stoffe oder darch Phagozytose anheimfallen, harrt noch der
Aufklärung. Vom Verfasser auch nach dieser Richtung hin angestellte Versuche
machen indessen das Letztere wahrscheinlich; wenigstens nahm die Zahl von
inhalirten Subtilisbazillen, welche bekanntlich weit widerstandsfähiger sind als
Prodigiosnsbakterien, selbst nach 24 Standen nur unbedeutend ab, während
Prodigiosus bereits nach wenigen Stunden eine sehr beträchtliche Verminderung
erfahren hatte. _Dr. Martini-Langensalza.
Kann in Inhalatorien bei wichtigem Betriebe eine grössere Menge
der zerstäubten Flüssigkeit in die Lnnge gelangen? Von Professor
Dr. Bmmericb. Ans dem hygienischen Institut zu München. Münchener med.
Wochenschr.; 1902, S. 1610.
Verfasser stellte sich vereint mit Dr. Bulling-München di« Aufgabe,
tu entscheiden, ob beim Athmen im Bnlling'sehen Inhalatorium Flümigkeits*
trOpfeben in die feineren Broncbialwege gelangen oder nicht.
Die Versuche worden mittels Borsäure und Kochsais (bei Soolezerstäubug)
gemacht, im enteren Falle qualitativ, im letzteren Falle quantitativ.
Im enteren Falle wurde der Nachweis erbracht, dass beim Zerstäuben
von 2proz. Borsäurelösung im Bölling'sehen Inhalatorium ziemlich beträcht¬
liche Mengen der letzteren bei einstttndiger Inhalation in die feineren Bron¬
chien und Alveolen der Hnndelnnge gelangen, während die Hönde im Inhalatkmo-
■aum ruhig an einer Stelle lagen und nur durch die Nase athmeten. Di« Nase
des Höndes bietet dem Darobgang der Flüsaigkeitströpfahen jedenfalls g ro ssere
Hindernisse, als die Nase des Menschen; es lksBt sich daher annehmen, dass beim
Menschen and namentlich beim Athmen darch den Mund noch viel beträcht¬
lichere Mengen der serstänbten Flüssigkeit in alle Partien der Luftwege gelangen.
Die Versnobe mit Soolezeratänbnng berechtigen an dem Schlüsse, dass es
bei rationellem Betriebe der Inhalatorien sehr wohl möglich ist, nicht anr die
Nasen-, Rachen-, Kehlkopf- and Bronchialeehleimbaat, senden auch die
Wandung der feinsten Bronchien and Alveolen mit medikamentösen Lösungen
so reichlich zu betauen, das* therapeutische Wirkungen erzielt werden können.
72
Kleiner« Mitteilungen and Referate an Zeitschriften.
Dabei nass jedoch unter Berücksichtigung des Slttigungsdeflzits der Luft,
sowie der durch den Inhnlationsraum geführten Menge der letsteren, die
Qaantitüt der sa serstlubenden Flüssigkeit jeweils rechnerisch ermittelt und
für die BUdang feinster, den gansen Inholationsraom dicht erfüllender Flüssig-
keitströpfohen Sorge getragen werden. Dr. Wai bei -Kempten.
Zar Prophylaxe des Keuchhustens. Von Dr. Stamm in Hamborg.
Münchener medis. Wochenschrift; Nr. 89. 1902.
Als bewiesen muss angenommen werden, dass der expektorirte Schleim
der keuchhnstenkranken den Infektionskeim birgt and die Uebertragnng des
Krankheitserregers nioht nur direkt yon Kranken aus, sondern aach vermittelt
darch Gesunde oder daroh Kleidungsstücke, Spielsachen etc., an welchen der
Aaswarf haftet, erfolgt bezw. erfolgen kann.
Gerade mit Keachhustenkranken Kindern wird zu Heilswecken gern
ein Klima- oder Ortswechsel vorgenommen.
Die Elsenbahnrerwaltung kann und darf nach den bestehenden Be¬
stimmungen, welche der Staatsbahn betreffs Beförderung ansteckender Krank¬
heiten bestehen, jeden Fall einer ansteckenden Krankheit, von dem sie Kenntniss
bekommt, von der Fahrt ausschliessen, wenn nicht eine ganze Wj^enabtheilung
in vollem Preise (d. h. der 6 bis 8 fachen Fahrpreise) bezahlt wird. Natürlich
weigert sich fast Jedermann auf dieses Verlangen einsogehen and so fahrt
das Keuohhnstenkind unangemeldet bei der Eisenbabnverwaltnng in grösserer
oder kleinerer Gesellschaft nach seinem Bestimmungsorte. Unterwegs treten
AnfAUe auf, trotz aller Vorsicht der Begleitung ist der Aaswarf nicht gans
aafznfangen, er beschmutzt Gardinen, Sitze, Teppiche u. s. w. und wird, von
anderen empfänglichen Wageninsassen eingeathmet, zur Quelle neuer Infektionen.
Verfasser meint nun, die Beförderung keuchhnstenkranker Kinder
erfordere, dass das benutzende Koupö leicht za desinfiziren sei, dass also
Polsterung fehle oder mit abwaschbaren, wasserdichten Stoffen bedeckt sei,
dass Teppiche nicht benutzt werden oder durch eine leicht desinfizirbare
Unterlage ersetzt, dass Gardinen und Rmleaux abgenommen werden.
Von grösster Wichtigkeit aber hält Verfasser eine Verminderung
der Isolirung«kosten bei solchen Infektionskranken und appelirt an die
massgebenden Kreise, um bei ihnen erhöhtes Interesse an der Prophylaxe der
Infektionskrankheiten zu erwecken. Dr. Waibel-Kempten.
Das Verhalten einer Diphtherieepidemie in einem Genossenscbafts-
molkereibezirke. Von Dr. Fritz PröIss in Scheesei. Deutsche Vierteljahrs¬
schrift für öffentliche Gesundheitspflege; Bd. XXXIV, H. III.
Ein sehr lesenswerther kleiner Aufsatz, der mehr enthält, als die Ueber-
schrift andentetl Mit scharfer Logik werden einzelne Fragen der modernen
genohenlehre kritisch besprochen, and kann man den Ausführungen vorbehaltlos
snstimmen. Der Verfasser hatte Gelegenheit, eine in sich abgeschlossene
Diphtherieepidemie in einem Dorfe zu beobachten, das Beine Milch in eine
{ grössere Molkerei (auch während des Bestehens der Epidemie)
ieferte, in welche aach andere Ortschaften, die gleichfalls zum Arztbesirk des
Verfassers gehörten (der zweite Arzt hatte ihm sein Material zur Verfügung
S estellt), ihre Milch täglich ablieferten und nach erfolgter Verarbeitung die
[agermiloh in denselben Transportgefässen, die in der Molkerei nicht be¬
sonders gereinigt wurden, zurückerbielten.
Eine Verbreitung der Diphtherie darch den Molkereibetrieb fand nicht
statt, trotzdem in dem ersten Dorfe von 71 Haushaitangen 81 verseucht, und
von seinen 888 Bewohnern 47 an Diphtherie erkrankt waren, also 42 resp. 12®/,.
Verfasser neigt der Ansicht sa, dass die Milch ein sehr guter Nährboden für
den Löffler'sohen Bacillus sei und glanbt die erwähnte Erscheinung auf den
akkuraten Betrieb in der Molkerei snrückführen za sollen. Er schlägt vor,
dess die Medisiaalpolisei den Molkereien schon in gesunden Zeiten ihre Auf¬
merksamkeit zuwenden möge und würde vor Allem in ihnen Folgendes zu er¬
wirken und sn Üben sein:
1. Es dürfen nur glattwandige, sauber gehaltene Lieferangsgeft sse ge¬
stattet werden.
2. Die Milch mass schon im Baaemhaashalte gut gekühlt werden.
Besprechungen.
78
8. Die gelieferte Vollmilch and die Magermiloh müssen pastearisirt werden.
4. Der Zentrifagensobleim muss oft gesammelt and direkt im Kesselfeuer
vernichtet werden.
5. Es dürfen nur sterilisirte Gef&sse zur Abgabe von Milch an die
Käufer benutzt werden.
Die Sterilisirung der Anlieferungsgefässe wäre nur mit grössten
Schwierigkeiten in den bäuerlichen Verhältnissen ausführbar und ist nach den
Erfahrungen des Verfassers bei Diphtherie nicht unbedingt erforderlich.
Die Aussperrung der Milch aus verseuchten Haushaltungen vom
Molkereiverkehr lässt sich zwar behördlicher Seite anordnen, diese Anordnung
wird aber zweifellos umgangen werden, wie Jeder, der die ländlichen Verhält»
niase aus eigener Anschauung kennt, dem Verfasser zugeben wird.
Dr. Glogowski-Görlitz.
Besprechungen.
l>r. K. Bonhosffer, Privatdozent in Breslau: Die akuten Geisteskrank¬
heiten der Gewohnheitstrinker. Eine klinische Stndie. Jena 1902.
Verlag von H. Fischer. Preis: 5 Mark.
Der Verfasser, dem wir bereits eine ausgezeichnete Monographie Über
das Delirium tremens verdanken, hat in dieser neuen Arbeit alle diejenigen
akuten Psychosen im Zusammenhänge dargestellt, die ihrer Entstehung und
ihrem Verlaufe nach als alkoholistisohe zu bezeichnen sind. Dabei ist jedoch
su beachten, dass ganz ähnliche and gleiche Krankheitsbilder auch auf anderer
ätiologischer Basis entstehen, und dass Symptome der chroaischen Alkohol¬
intoxikation sich vielfach den verschiedenartigsten Psychosen beimengen. Den
Mittelpunkt für das Verständniss dieser besonders in forensischer Hinsicht so
wichtigen Störungen bildet das Delirium tremens. Von ihm verschieden in
Symptomen and Verlaaf ist die akute Hallnzinose der Trinker (akuter
Wahnsinn von anderen Autoren genannt), ihr sohliessen sich die ver¬
schiedenen Rauschzustände deliranter und epileptoider Form an. Gewisser-
masseu als üebergang zu den chronischen alkoholistischen Psychosen
kann die Korsakow’sohe Psychose (chronisches Delir) bezeichnet werden.
Geht man von den Symptomen der erstgenannten Krankheit ans, so
kann man als zusammen fassendes Charakteristicum des ganzen Zustandes die
totale Verkennung des Bildes der Anssenwelt bei erhaltener Orientirnng über
die eigene Persönlichkeit bezeichnen. In erster Linie sind es Halluzinationen
aller Sinnesgebiete, — szenenbafte Halluzinationen — inhaltlich an die Be¬
schäftigung und Erlebnisse des Alltagslebens anknüpfend, welche die eigen¬
artige Desorientirung des Deliranten hervorrnfen. Meist stehen die optischen
Störungen voran, im Gegensatz zur akuten Hallnzinose, bei der die aknstisehen
Halluzinationen vorherrschen. Ein weiteres unterscheidendes Moment ist das
Fehlen eigentlicher Wabnbildung, in Folge der geringen assoziativen Thätig-
keit. Es fehlt dem kranken Gehirne die Fähigkeit, die neuen Eindrücke
mit dem alten Bewusstseinsinhalt zu verbinden. B. betont insbesondere, dass
Grösieawaha- wie hypochondrische Wahnideen beim Delirinm tremens nicht Vor¬
kommen und stets den Verdacht einer andersartigen Störung erwecken müssen.
Ebenso fehlt ein aasgeprägter Gedächtnissdefekt, wie er für die Korsakow’-
sehe Psychose besonders charakteristisch ist. Von den weiteren Symptomen
und za nennen der Affekt — meist ängstlich gefärbt, beim Abklingen dagegen
eigenartig euphorisch — das charakteristische, oft den ganzen Körper befallende
Zittern, das am deutlichsten im nüchternen Zastande hervortritt, ferner die biz
tarn Ende der Krankheit dauernde Schlaflosigkeit. Von körperlichen Symp¬
tomen mag die Häufigkeit von Temperaturerhöhungen nnd Albuminurie erwähnt
werden. Von diesem typischen Delir weichen manche Fälle ab, entweder durch
Hinzntreten fremdartiger Symptome, die als zerebrale Reiz- nnd Lähmnngs-
erscheinnngen gedentet werden können oder durch die Schwere des gesamtsten
Bildes; anderseits finden sich nicht selten Abortivffille, in denen dss Krank¬
heitsbild in seinen einzelnen Zügen eben angedentet erscheint. In ätiologisch er
Hinsicht nimmt B. an, dass durch den dauernden Schnappgenuss Giftstoffe ift
Körper entstehen, die von den geschwächten Organen nicht mehr ausgeschied
74
Besprechungen.
werden können. Abstinenz • Delirien liest er gelte , während die meisten
Antoren sie vollkommen geleugnet heben.
Als sweite Form der akuten Psychosen wird die olyneuritische Psychose
(Korsako w’sche Psychose) eingehend erörtert. Sie eginnt meist mit einer
deliranten Phase, nicht selten mit einem stnporOsen Z tand, nach dessen Ver-
sehwinden deutlich die Symptome der Krankheit hervoreten. Als solche sind
su nennen der Verlust der Merkffthigkeit, mit dem sich ein Defekt in den Er¬
innerungen der jttngeren Vergangenheit (retrograde Amnesie) und der seitlichen
Sueeession der Ereignisse verbindet. Auf diese Weise können die Erinnerungen
langer Zeitepochen grOsstentbeils verloren gehen; der Kranke lebt in einer
wahnhaften Situation, die an lingst zurückliegende Verhältnisse — s. 8. als
Soldat oder Student — anknflpft. In engem Konnex mit diesen Gedächtnis»*
Störungen steben die Konfabulationen der Kranken, die vorgebracht werden,
um die Gedächtnislücken su verdecken, nicht selten jedoch darüber hinaus
sioh in phantastischen Erzählungen und GrOssenideen änssern. Die Aufmerk¬
samkeit ist bei Anspannung derselben gut, fflr die regelmässigen Vorgänge
jedoch stark herabgesetzt. Dagegen ist der formale Denkvorgang, soweit die
Defekte nicht in Frage kommen, nicht gestOrt. Auf körperlichem Gebiete
können Lähmungen verschiedener Art, ebenso tabesähnliche Symptomkomplexe
beobachtet werden, die einzelne Autoren zur Aufstellung einer Pseudotabes
alcoholica veranlassten. Als Alkoholparalyse will B. dagegen nur gewisse Defekt-
sustände nach Ablauf des chronischen Deliriums gelten lassen. Hier finden
sieh nahlreiche Berührungspunkte mit der progressiven Paralyse, doch zeigt
ihr Verlauf einen mehr remittirenden Charakter. Im Allgemeinen tritt die
Krankheit Mitte der 40er Jahre auf, häufig noch später; Frauen erkranken
nicht selten und ganz besonders schwer.
Aueh die dritte Form alkoholietiacher Psychose lässt die verwandten
Züge des Delirium tremens erkennen; wegen des starken Hervortretens
des halluzinatorischen Symptoms wird sie als akute Hallnsinose, auch
als halluzinatorischer Wahnsinn oder akute Paranoia der Trinker bezeichnet.
Im Vordergründe steben hier die massenhaften akustisohen Halluzinationen
meist bedrohenden oder beschimpfenden Inhaltes; hierher gehört das von
Cr am er zuerst studirte Symptom des Gedankenlautwerdens. Gesichts¬
täuschungen treten vereinzelt auf und sind meist unsinnigen und aben¬
teuerlichen Inhaltes (z. B. „Ochsen vor eine Lokomotive gespannt“). Fast
regelmässig stellen sich Beziebnngs- und Erklärungswahnideen ein, während
Otüssenideen selten sind. Stets ist der Kranke besonnen und orientirt, doch
finden sich delirante Phasen. Von grosser Wichtigkeit ist der tiefgehende
ängstliche Affekt, dessen Rückgang zuerst die Rekonvaleszenz einleitet. Die
Krankheit dauert meist nicht über 8 Wochen und endet beim ersten Anfall
regelmässig mit Genesung. In einzelnen Fällen geht jedoch die Krank¬
heit, die nach Wer nicke nicht selten ein paranoisches 8tadium durchläuft,
in einen chronischen Prozess über.
Sehr lehrreich ist das letzte Kapitel, in welohem die akuten patho¬
logischen Rauschzustände abgehandelt werden. Hier findet besonders der
Geriehtsarst so viel werthvolle Hinweise, dass er die Lektüre des hier ein¬
gehender gewürdigten Buches nicht versäumen sollte.
Dr. Pollitz-Münster.
Sr. B. Kendel, a. o. Professor an der Universität Berlin: Leitfaden der
Psychiatrie. Stuttgart 1902. Verlag von Ferdinand Enke. Gr. 8 0 ; 242 S.
Veranlasst durch die Einfügung der psychiatrischen Klinik unter di*
Übligen obligatorischen Kliniken und der Aufnahme der Irrenheilkunde unter
die-Prüfungsgegenstände für Aerzte will Verfasser durch seinen Leitfaden „dem*
innigen, der die Klinik besucht, die Möglichkeit geben, den dort, demonstrirten
Ball in das Gesammtgebiet der Psychiatrie einzufügen nud die Lücken, welche
die Klinik in einer knrs begrenzten Zeit selbstverständlich lassen muss, ans-
zafüllen“. Das Werkchen zerfällt in einen allgemeinen und einen speziellen Theil.
In der Einleitung giebt Verfasser, nach kurzer Definition der Geistes¬
krankheiten überhaupt in zwar gedrängter, aber doch leicht verständlicher
Weise eine Uebersicht über die Komponenten normal entwickelter Geistes-
thätigkeit. Hierdurch kommt er zugleich zu einer Eintheilung der krankhaften
Besprechungen.
7B
Störungen der Geisteathätigkeit, die er zergliedert in die Storungen der Sinnes-
empfindnngen nnd Sinnes Wahrnehmung, des Denkens, der Reprodnktionkflhigkeit
und ln die Störungen der jene pbycbischen Vorgänge begleitenden Gefühle.
Besonders ausführlich werden behandelt die Halluzinationen oder Sinnea-
tiuschungen und die Wahnvorstellungen. Hieran reibt Verfasser in besonderen
Abschnitten die Störungen des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins und des
Handelns.
Diese Eintheilung, deren Ausführung der 1. Theil des Leidfadens gewidmet
ist, weieht von der sonst am meisten üblichen Eintheilung - Störungen des
Gefühls, der Veratandesänsserungen und der Willenstbätigheit — insofern ab,
ab sie in weitläufiger Weise spezifizirt und damit zugleich etwa zusammen¬
gehörige Glieder in abweichender Reihenfolge unterbringt. Doch ist dies für
das Verständniss von nur geringer Bedeutung. Die Ausführungen selbst sind
leicht fasslich und übersichtlich. Neben diesen Störungen der Geistesthätigkeit
behandelt Verfasser in besonderen Kapiteln die Störungen der Sprache, der
Sehrift und des Gesichtsausdruckes, die Storungen im körperlichen Zustande
und Anomalien der inneren Organe. Endlich sind auch der allgemeinen Aetio-
legie, dem Ausbruch, Verlauf, Dauer, Ausgängen sowie der pathologischen
Anatomie, der Diagnose, Prognose nnd allgemeinen Therapie der Geistes¬
krankheiten besondere Abschnitte gewidmet.
Der spezielle Tbeil umfasst die Beschreibung der einzelnen Geistes¬
krankheiten. Auch hier hat Verfasser eine eigene Eintheilung. Die Aus¬
führungen selbst sind indess übersichtlich und enthalten in gedrängter Kürze
alles Wissenswerthe. Auch auf die Differentialdiagnose nimmt Verfasser
Bedacht. Von einer eingehenden Besprechung der einzelnen Kapitel muss
hier aus erklärlichen Gründen Abstand genommen werden.
Zum Schloss. wird in Anlagen noch ausführliche Anleitung zur Unter¬
suchung von Geisteskranken, Anfertigung der Krankengeschichten und zur
Ausstellung der verschiedenen Gutachten über Geisteskranke gegeben.
Alles in Allem hat Verfasser seinen Zweck voll und ganz erreicht.
Das Werkchen wird jedem Stndirenden beim Besuche der Klinik ein nützlicher
Batbgeber sein, ihn znm Studium grosserer Werke anregen und ihm beim
Examen als übersichtliches Repetitorium willkommen sein.
Dr. R u m p - Recklinghausen...
Profi Dr. Eduard Lang -Wien: Lehrbuch der Hautkrankheiten.
Wiesbaden; 1902. Verlag von J. F. Bergmann. G. 8°; 656 Seiten.
Preis: 14,60 Mark.
Der Autor hat seinem weit verbreiteten Lehrbuch der Syphilis das vor¬
liegende über Hautkrankheiten nachfolgen lassen in der Ueberzengnng, dass
das 8tudinm der venerischen Krankheiten und das der Dermatologie ans prak¬
tisch-klinischen wie theoretisch - didaktischen Gründen nicht zu trennen sind.
Das mit 87 guten Abbildungen illustrirte Werk erläutert einleitend die
Physiologie der Haut sowie die allgemeinen pathologischen, ätiologischen nnd
therapeutischen Verhältnisse, behandelt dann in knapper Form die Haut¬
veränderungen im Gefolge anderer schwerer Affektionen und bei akuten
Infektionskrankheiten, etwas ausführlicher die akuten Exantheme nnd giebt
sehliesslich eine erschöpfende Uebersicht nnd glänzende Darstellung der eigent¬
lichen Dermatosen. Entsprechend den Anschanungen der Wiener Schule basirt
L.’s Lehrbuch in allen seinen Kapiteln ausschliesslich anf klinischem Studium;
dabei findet die pathologische Anatomie überall entsprechende Erwähnung.
Die wissenschaftlichen Untersuchungsroetboden und die Hülfsmittel der moder¬
nen klinischen Forschung sind ausgiebig verwerthet nnd bezüglich der Therapie
erkennt man anf allen speziellen Gebieten den gereiften Kliniker und erfahre¬
nen Mann der Praxis. Die Sprache ist einfach und klar, die Schilderung des
klinischen Bildes kurz nnd markant; in der Anordnung nnd Behandlung des
8toffes hebt sich das Wichtige von dem Unwichtigen deutlich ab. Am Schlüsse
finden sich über 200 nach Art nnd Applikationswoise zusammengestellte
Ordinationsformeln, auf die im Texte durch Bezeichnung der Nummern ver¬
wiesen ist. Dr. Boepke -Lippspringe.
7«
Tagesnachrichten.
Dr. Araold Pollntnohek- Karlsbad: Die therapeutischen Leistungen
des Jahres 1901. Wiesbaden 1902. Verlag von J. F. Bergmann. Gr.8",
320 Seiten. Preis: 8 Mark.
Mit diesem Bande tritt das P.’sche „Jahrbuch für praktische Aerzte“ in
das dreizehnte Jahr seines Bestehens ein. Wir finden auch diesmal aus der
im Jahre 1901 erschienenen Litteratur die therapeutischen Fortschritte auf allen
Gebieten der Medizin sorgfältig zusammengetragen, unter besonderer Bevor*
zngnng der für das therapeutische Wirken in der allgemeinen Praxis inter-
essirenden Forsohungsresultate. Uehersichtliohe Inhalts*, Autoren- und Sach-
Begister ermöglichen dem Praktiker die schnelle Orientirung.
Dr. Boepke-Lippspringe.
Tagesnachrichten.
Ans dem Haushalts-Etat des Deutschen Reiches fttr 1903 interes-
siren die Leser der Zeitschrift folgende Positionen: Die fortdauernden Aus¬
gaben des Gesundheitsamtes sind mit 636420 M. (18260 M. hoher als im
Vorjahre) eingestellt. An einmaligen Ausgaben finden sich 20000 M. fttr
Unterstützung der Protozoenforschung der zoologischen Station in Bovigno,
15000 M. für den V. internationalen Kongress in Berlin fttr angewandte Chemie.
10,000 M. fttr den internationalen Kongress in Bremen zur Bekämpfung der
Trunksucht, 10000 M. als erste Bäte fttr ein Höhensanatorium in West-Üsambara,
80000 M. fttr die Beendigung der Versuche betreffs der Bekämpfungder Malaria
in Dar-es-Salaam, 600000 M. als zweite Bäte fttr die biologische Abtheilnng fttr
Forst- und Landwirtschaft im Kaiserlichen Gesundheitsamt; 75000 M. als
erste Bäte zur Errichtung von Laboratorien des Gesundheitsamts fttr bak¬
teriologische Arbeiten und Protozoen • Forschung, 50000 M. als erste Bäte fttr
eine Krankheits- und Sterblichkeitsstatistik, 150000 M. fttr Bekämpfang des
Typhas, 15000 M. fttr Tuberkaloseforschung und 4 Millionen fttr Förderung
der Herstellung geeigneter Kleinwohnungen fttr Arbeiter und gering besoldete
Beamte. Ueber die fünf zuletzt aufgeftthrten Positionen sind ausführliche
Denkschriften dem Etat beigefttgt von dem besonders die ersten vier interessiren,
so dass wir sie nachstehend im Auszuge wiedergeben.
a. Denkschrift über die Errichtung Ton Laboratorien des
Gesundheitsamts.
„Die Anwendung bakteriologischer Untersuchungsmethoden hat mit der
schnellen Entwicklung der bakteriologischen Wissenschaft eine immer grössere
praktische Bedeutung gewonnen. Der Kreis der Aufgaben, welche man mit
Ihrer Hülfe zu lösen hofft, hat sich stetig erweitert. Man kann heute diese
Methoden nicht mehr entbehren, wenn es sich darum handelt, ttbertragbare
Krankheiten als solche zu erkennen, sie zu bekämpfen und Mittel zu ihrer
Heilung zu finden. Es ist leicht verständlich, dass während dieser Entwicklung
die bakteriologischen Methoden in manchen Beziehungen bedeutende Wand¬
lungen erfahren haben. Besonders auf dem Gebiete der Erkennung und der
Vorbeugung ansteckender Krankheiten sind die Untersuchungsmethoden stetig
verfeinert und die Anforderungen gewachsen, welche an die Ausbildung der
Bakteriologen und an die von ihm zu benutzenden Httlfsmittel zu stellen sind.
Die Einführung serodiagnostischer und serotherapeutischer Methoden brachte
es z. B. mit sich, dass weit mehr als früher grössere Thiere zu den Versuchen
herangezogen wurden, deren Benutzung neben dem an und fttr sich höheren
Werthe der grossen Thiere erheblichere Kosten fttr sweckmässigere Unter¬
bringung und fdr Fatter bedingte. Vollends bei der Bekämpfang der Vieh¬
seuchen konnte man Erfolge nur dann erwarten, wenn man die Krankheiten
an denjenigen Thierarten studirte, welche unter natürlichen Verhältnissen von
ihnen befallen werden, abgesehen davon, dass es bei manchen Krankheiten,
wie z. B. bei Maul- und Klauenseuche, Lungenseuche und a., Oberhaupt nicht
gelingt, sie auf kleinere Versuohsthiere zu übertragen.“
Es wird dann weiter ausgeftthrt, dass die bakteriologischen Laboratorien
im Gesundheitsamt und die dazu gehörigen Thierställe den gestellten An¬
forderungen ebenso wenig genügen, wie das auf dem Versuchsfelde der biolo¬
gischen Abtheilung in Dahlem provisorisch errichtete Seuchengehöft, dass ferner
die räumliche Trennung dieser beiden Einrichtungen mit grossen Unzu-
Tagesnachrichten.
77
trftehliehkeiten verbunden and für fiele Untersuchungen überhaupt unhaltbar
«ei. Büdlich «ei es wünschenswert^, dass die ttber menschliche and die Ober
thierische Iafektionskrankheiten arbeitenden Forscher stets in enger Fühlung
mit einander bleiben, da oft Fortschritte anf dem Gebiete menschlicher In*
fektionakrankheiten für die veterinärmedizinischen Versuche verwerthet werden
können und umgekehrt. Dieser Uebelstand könne nur dadurch beseitigt
werden, dass die Laboratorien an einer gemeinsamen Arbeitsstätte vereinigt
würdea, wo hinreichend Raum für zweckentsprechende Unterbringung von
Veraachsthieren vorhanden sei. Eine Erweiterung des 8enchengehöfts anf dem
Versuchsfeld in Dahlem durch Vergrößerung des Laboratoriumsgebäudes, Neubau
von Gefldgelställen, von Ställen für kleinere Versnchsthiere, ferner für Pferde,
8«hafe and Ziegen, würde den geschilderten Anforderungen bis zu einem ge*
wissen Grade haben Reehnang tragen können. Preossischerseits sei jedoch
das für die Ueberlassung der biologischen Abtheilung in Aussicht genommene
Grundstück mit Rüoksicht auf die geplante Ausgestaltung seiner Umgebung
als einer Villenkolonie an die Bedingung geknüpft worden, dass Ver¬
snobe mit menschlichen und thierischen Krankheitserregern auf jenem Grund¬
stücke von einem bestimmten Zeitpnnkt ab nicht mehr angestellt werden
dürfen. Dagegen habe sich die preußische Regierung bereit gefunden, behufs
Ermöglichung der Verlegung des Seuchengehöfts ein für diese Zwecke gut
geeignetes grösseres Gelände unter besonders günstigen Bedingungen dem
Reiche käufl eh za überlassen. „Dasselbe liegt in dem südwestlichen Ausläufer
des Dahlemer Gatsbezirks an der Berlin - Potsdmer Chaussee. Es ist nahezu
4 Hektar gross und ermöglicht daher nicht nur eine räumlich günstige An¬
ordnung der verschiedenen Stallungen, Laboratorien uud Dienstwohnungen für
die gesammte bakteriologische Abtheilang des Gesundheitsamts, sondern ge¬
stattet aach, die Gebäude mit einem mit Bäumen bepflanzten S -hatzstreifen
von 60 m Breite zu umgeben, der jede Möglichkeit der Verbreitung von In¬
fektionsstoffen durch Insekten oder dergleichen ausschliesst und der Anlage
nach aussen einen freundlichen Abschluss giebt. Es ist ferner weniger als
1 km von dem Vorortsbahnhofe Gross-Lichterfelde-West belegen und kann in
Folge dessen von dem Scammgrundstücke des Gesundheitsamtes in der Klop-
stockstrasse verhältnissmässig leicht erreicht werden. Hierauf ist besonderer
Werth zu legen, weil die Arbeiten in den bakteriologischen Laboratorien viel¬
fach die Grundlage und die nothwendige Ergänzung der vom Gesundheitsamt
abzngebenden Gutachten und anzurathenden Verwaltungsmassregeln bilden.
Eine ständige Fühlung mit den anderen Abtheilungen des Gesundheitsamts
ist unerlässlich. Endlich bietet sich auf dem neuen Baugelände eine günstige
Gelegenheit, der neu hinzugetretenen Protozoen-Forschung, welcher bereits
wiederholt durch Bereitstellung einmaliger Mittel im Reichshaushaltsetat die
Wege geebnet wnrden, eine ständige Arbeitsstätte zu verschaffen. Seit die
Entdeckungen des englischen Arztes Ross neue Gesichtspunkte für die Er¬
forschung und Bekämpfung der Malaria lieferten, ist nicht nur auf dem Gebiete
der Malaria, sondern aach auf verwandten Gebieten eine rege wissenschaftliche
Thätigkeit seitens des Protozoen-Forschers entfaltet worden. Es ist zn hoffen,
dass diese Thätigkeit fruchtbringend zunächst für die Erkennung der Ursachen
von Krankheiten sein wird, bei denen die bakteriologischen Untersuchungen
*ur Endecknng dos Erregers nicht geführt haben. Um die Protozoen-Forschang
für die Pathologie der menschlichen and thierischen Infektionskrankheiten
nutzbringend zn gestalten, ist es erforderlich, dass den betreffenden Forschern
Gelegenheit gegeben wird, Untersuchungen auch an grösseren Tbieren vorzu¬
nehmen. Und zwar müssen für diese Beobachtungen Ställe and Labaratorinm
möglichst nahe zasammenliegen, da bei den Protozoen die sofortige Unter¬
suchung des entnommenen Materials fast noch wichtiger ist, als bei den
Bakterien. Da somit die Beschaffung besonderer Einrichtungen für diese
Zwecke dringend wünschenawerth ist, der Protozoen - Forscher aber bei seinen
Untersachtingen bakteriologische Methoden sowie Rath von medizinischer oder
vsterinär-medizinischer Seite nicht entbehren kann, so empfiehlt sich eine
Verbindung des Protozoen-Laboratorinms mit den bakteriologischen Laboratorien
des Gesundheitsamts."
b. Denkschrift über Krankheits- und Sterblichkeits - Statistik.
„Das Fehlen einer Krankheitsstatistik hat sich in mehr als einer Hinsich
78
Tagesnaehrlehten.
als ein empfindlicher Mangel heransgeatellt. Der Bundesrath bedarf in Aun-
fibnng seiner Vollmacht ans §. 120 e Abs. 3 der Gewerbeordnung der Beant¬
wortung der Frage, in weicher Weise die Thätigkeit in den einzelnen gewerb¬
lichen Berufen anf die Gesundheit der diesen Berufen Angehörigen einwirkt.
So sehr sich auch in Fallen, wo es sich um die Anwendbarkeit jener Bestimmung
handelte, die bisherige Methode, durch besondere Untersuchungen für die ein¬
zelnen Berufe die in ihnen übliche Arbeitszeit festzustellen, bewährt hat, so ist
doch bei jeder einzelnen Untersuchung der unerwünschte Umstand hervor¬
getreten, dass es an genügend sicheren Angaben über die in dem betreffenden
Berufe herrschenden Krankhcits- und Sterblichkeitsverhältnisse fehlte. Durch
die Ergänzung dieser auch bei anderen Fragen häufig empfundenen Lücke
mittels einer brauchbaren und zuverlässigen Statistik würde der Weiterführung
der Arbeiterschutz-Gesetzgebung, insbesondere der weiteren Ausführung des
§. 120 e a. a. 0., ein wesentlicher Dienst geleistet werden. Eine solche Sta¬
tistik würde ferner dem Kaiserlichen Gesundheitsamte bei Gelegenheit erforderter
Gutachten über die gesundheitlichen Verhältnisse in einzelnen Geweihen, sowie
auch den Aufsichtsbehörden der Krankenkassen zur Beurtheilnng der bei letzteren
za Tage tretenden Verhältnisse, den Gewerbeaufsichtsbeamten zur Beurtheilnng
der Gesundheitsverhältnisse, namentlich der mit eigenen Betriebskrankenkassen
versehenen grösseren Betriebe, von hohem Nutzen sein. Die Krankenkassen
selbst erwarten von einer Krankheitsstatistik werthvolle Aufschlüsse, die ihnen
unmittelbar praktischen Vortheil bringen, so z. B. würde durch sie die Be¬
messung der finanziellen Tragweite von Statutenänderungen hinsichtlich der
Miodestunterstützungsdauer ermöglicht werden.
Die von dem Kaiserlichen Statistischen Amte seit 1886 jährlich bearbeitete
Statistik der Krankenversicherung bietet zur Beurtheilnng der Fragen der
Morbidität und insbesondere der beruflichen Erkrankungen sowie auch der
beruflichen Sterblichkeit kein verwerthbares Material, weil die dieser Statistik
zu Grande liegenden Aufstellungen — die von den Krankenkassen anf Grund
des Bundesrathsbeschlusses vom 16. November 1892 auszufüllenden Nach¬
weisungen — diejenigen Angaben nicht enthalten, welche zur Aufmachung
einer Statistik über die Krankheits- und Todesgefahr in den einzelnen BerufB-
arten erforderlich sind. Die Schwierigkeiten für die Herstellung einer Krankheits¬
statistik und auch insbesondere einer Krankheitsstatistik nach Berufsarten
liegen vornehmlich darin, dass sich hierzu nur bei einzelnen Krankenkassen
genügend genaue uni hinreichend umfangreiche Aufzeichnungen vorfinden, und
dass die Bearbeitung des Materials, um zu wirklich brauchbaren Ergebnissen
zu gelangen, sehr eingehend, umständlich und darum auch kostspielig sein muss.
Zur Gewinnung einer allgemeinen Krankheitsstatistik sind die Erkrankungs¬
häufigkeit und die Erkrankungsdauer unter Berücksichtigung von Geschlecht
und Alter nach Krankheitsarten, und zur Gewinnung einer Statistik der beruf¬
lichen Krankheiten dieselben Thatsachen nach denselben Unterscheidungs¬
merkmalen unter weiterer Berücksichtigung des Berufs auf so breiter Grund¬
lage zahlenmässig zu ermitteln, dass man die von der Untersuchung zu
erwartenden Ergebnisse als für die Verhältnisse des Reichs gültig würde
ansehen dürfen.
In den Erhebungen der „Ortskrankenkasse für Leipzig und Umgegend“,
welche vom Jahre 1887 an benützbar sind und sich auf über 1600000 Mitglieder
erstrecken, liegt ein Material vor, das zu diesem Zwecke geeignet und
insbesondere auch so umfänglich ist, dass die Be&rbeitnng desselben auch über
den Rahmen des engeren Erhebungsbezirkes hinaus Bedeutung beanspruchen
kann. Auch über die berufliche Sterblichkeit würden aus dem Leipziger Ma¬
terial immerhin werthvolle Daten gewonnen werden, da bei der Kasse seit dem
Jahre 1887 gegon 18000 Todesfälle von Mitgliedern — abgesehen von deren
Angehörigen — vorgekommen sind. Die Möglichkeit der Bearbeitung ist, unter
Voraussetzung der Ausführung durch Organe deB Reichs und der Uebernahme
der Kosten auf dasselbe, durch das Entgegenkommen des Vorstandes der Kasse
und der ihr Vorgesetzten Behörden gesichert.
Die technische Ausarbeitung der Statistik würde durch das Kaiserliche
Statistische Amt unter dem Beirathe des Kaiserlichen Gesundheitsamts, die
^wissenschaftliche Bearbeitung von beiden Aemtern unter angemessener Theilung
des Stoffes, aasgeführt werden.“
Tagesoachrichten.
79
o. Denkschrift betreffs Bekämpfung des Typhus.
Ji der Bekämpfung ansteckender Krankheiten sind in den letzten beiden
Jahrzehnten wesentliche Fortschritte gemacht worden. Die Erfolge, welche hei
der Abwehr der Cholera nach Aasbruch dieser Seache in Hamburg im letzten
Dezennium des vergangenen Jahrhunderts erzielt wurden, sind in hervorragendem
Masse dem Umstande zu verdanken, dass die Bekämpfung nach den bewährten,
von Prof. Bobert Koch auf Grund seiner bakteriologischen Forschungen auf¬
gestellten Grundsätze erfolgen konnte. Zur Durchführung der Massnahmen
gegen die Cholera hat sich damals die sichere Erkennung der Träger des An-
steckungsstoffes als dringende Nothwendigkeit erwiesen. Nur durch die An¬
wendung der bakteriologischen Untersuchungsverfahren liess sich diese Forde¬
rang erfüllen, namentlich bei solchen Fällen, in denen die Krankheits-
•mcheinungen so milde und so vorübergehend auftraten, dass sie allein keinen
Verdacht auf Cholera erweckt hätten. Solche scheinbar harmlosen Erkrankungen
hat man aber bei der Cholera als höchst gefährlichen Vermittler für die Ueber-
tragnng von Mensch zu Mensch, von Ort zu Ort und von Land zu Land kennen
ud fürchten gelernt
Aehnlich wie die Cholera verhält sich in dieser Beziehung eine Krank¬
heit, welche, wie fast überall,, so auch in Deutschland eine weitere Verbreitung
besitzt, nämlich der Darmtypbus. Auch bei dieser Krankheit spielt die Ueber-
tragung von Kranken, namentlich von Leichtkranken, auf Gesunde entweder
anmittelbar oder durch Vermittelung von infizirtem Wasser, infiziiten Nahrungs¬
mitteln und Gebrauchsgegenständen eine wichtige Bolle. Diese Thatsache ist
der Grund, weshalb der Typhus in manchen Gegenden überhaupt nicht erlischt,
besonders in ländlichen Bezirken und unter Verhältnissen, wo ein enges Zu¬
sammenleben unter gesundheitlich ungünstigen Bedingungen die Begel ist.
8olche Typhusherde sind aber nicht nur für diejenigen Personen gefährlich,
welche dort zu leben gezwungen sind, sondern von ihnen aus verbreitet sich
die Krankheit bei den heutigen Verkehrsverhältnissen leicht nach allen Bich-
tongen. Ein noch so unbedeutender Typbusherd in einem Dorfe kann der Aus¬
gangspunkt für die Verseuchung ganzer Bezirke werden und namentlich dann
za grossem Unheile führen, wenn zentrale Wasseivcrsorgungsanlagen grösserer
Gemeinwesen durch ihn gefährdet sind.
Auch bei der Bekämpfang des Darmtyphus muss daher das Hauptgewicht
darauf gelegt werden, in einem Bezirke, welcher von Typhus befreit werden
soll, die Herde kennen zu lernen, von denen aus die Krankheit sich verbreitet.
Hierzu ist erforderlich, dass jedem einzelnen Typhusfaile nacbgegangen und
die Quelle aufgedeckt wird, auf welche die Ansteckung zurttckzuführen ist.
Bin erfolgreiches Vorgehen in dieser Richtung lässt eich jedoch nur erhoffen,
wenn es gelingt, durch bakteriologische Untersuchungen den Typhuserreger
nachzuweisen und namentlich im einzelnen Falle festzustellen, ob eine Person
den Typhusbacillus in ihrem Körper beherbergt und mit ihrer Ausscheidung
entleert. Denn bei jedem solchen Träger des Krankheitserregers müssen die
erforderlichen Vorsichtsmassnahmen zur Anwendung gebracht werden, wenn es
gilt, der Uebertragung von Person zu Person und der Verschleppung durch die
oben genannten Vermittler vorzubeugen.
In besorgnisserregender Weise ist der Typhus im Laufe der letzten Jahre
mehrfach im Beiche aufgetreten. Es darf beispielsweise an die Epidemien in
Beuthen, Gelsenkirchen und Pforzheim erinnert werden. Auch im Regierungs¬
bezirk Trier scheint die Krankheit schon seit einiger Zeit mehrfach festen
Fass gefasst zu haben. Es ist deshalb dort seitens der Königlich preussischen
Regierung die Bekämpfang des Typhus nach den oben bezeichnten Gesichts¬
punkten unter der Leitung von Prof. Dr. Koch mit besonderem Nachdruck in
die Wege geleitet worden. Durch Errichtung bakteriologischer Untersuchungs-
Stationen in Trier und Saarbrücken ist Fürsorge getroffen worden, dass die zu¬
verlässige Feststellung von Typbustrftgern durch bakteriologische Unter¬
suchungen erfolgen kann. Nach den auf diesen beiden Stationen gemachten
Brfahrungen hat der Typhus auch in den benachbarten Th eilen der Rhein¬
provinz, sowie in den angrenzenden nichtpreussischen Theilen des Reichs be¬
reits grossere Verbreitung gefunden. Bei der Feststellung der Ansteckungs-
quellen der im Regierungsbezirk Trier erkrankten Personen haben sich Ausläufer
namentlich den Typhusherdes im Saarbrückener Industriebezirke bis nach
80
Tagesnachrichten.
Lothringen, in die baierische Pfalz and in die oldenburgisehe Enklave Birken«
feld verfolgen lassen. In Folge dessen ist aneh in Mets an die Bildung einer
Typhasstation her&ngetreten worden. Die anlässlich der militärischen Debnngen
während der lotsten Jahre gemachten Erfahrungen haben ferner geneigt, dass
in der Rheinprovinz and deren benachbarten Gebieten Typhusherde bestehen,
die eine ständige Gefahr für die Trappen bilden. So hat dort erst jüngst ein
Regiment, dessen Angehörige gesund zur Uebung ansmarschirt waren, bei der
Rttckkehr den Typhus in die Garnison mitgebracht.
Es liegt nicht nnr im Landesinteresse der betheiligten Einzelstaaten,
den Typhns in den betreffenden Gebieten bald möglichst zu unterdrücken.
Auch das Reichsinteresse ist in hervorragendem Masse bet heiligt. Insbesondere
kommen die vorerwähnten militärischen Interessen mit in Betracht. Ausserdem
wird ein wirklicher Erfolg bei den Massnahmen gegen Typbns sich nnr dann
versprechen lassen, wenn die in Frage kommenden Bundesstaaten und die
Reichslande nach einheitlichen Gesichtspunkten und in engem Zusammenwirken
an die Bekämpfung der Krankheit herantreten. Dies hat zur Voraussetzung,
dass das Reich dabei seine vermittelnde Thätigkeit eintreten lässt. Ins*
besondere werden das Kaiserliche Gesundheitsamt nnd der Reichs-Gesundbeits-
rath zur Mitwirkung berufen sein. Bei der Abwehr der Cholera hat sich ein
solches einheitliches Vorgehen bestens bewährt. Es ist zu hoffen, dass auch
beim Darmtyphus gemeinsam durchgeffihrte Massnahmen zu dem gewünschten
Ziele führen werden.
Die erbetenen Mittel in der Hohe von 160000 M. sollen in erster Linie
die Bildung dreier Typhusstationen nach dem Vorbilde der ln Trier und Saar¬
brücken bereits bestehenden Stationen ermöglichen. Diese drei Stationen sollen
jedoch grossere Beweglichkeiten erhalten, damit sie je nach Bedarf bald hier,
bald dort, wo ein Typbusherd festgestellt wird, ihre Thätigkeit eröffnen können.
Ein Leiter und zwei geschulte Assistensen würden den Stab dieser Stationen
bilden, deren jede für Einrichtungs- nnd Betriebskosten etwa 40000 M. be¬
anspruchen wird. Die übrigen znr Verfügung stehenden Mittel würden für
besondere, im Reichsinteresse erfolgenden Arbeiten bei den von den Landes¬
regierungen eingerichteten Typhusstationen und zur Deckung der sonstigen
Kosten, vor allen Dingen der Dienstreisen, der wissenschaftlichen Publikationen
und dergleichen Verwendung zu finden haben. Ein Zusammenarbeiten der ver¬
schiedenen Untersuchungsstationen würde durch eine einheitliche Leitung zu
gewährleisten sein. Im Reichs - Gesundheitsrathe soll ein Unterausschuss für
Typhus gebildet werden, um eine Zentralstelle zu schaffen, wo die im besonderen
gegen diese Krankheit zu ergreifenden Massnahmen eingebende Erörterung
finden und sich namentlich auch Gelegenheit ergiebt, unter Heranziehung der
bei der unmittelbaren Bekämpfung der einzelnen Typhnsherde verwendeten
Kräfte jeweils einen Meinungsaustausch zwischen den Sachverständigen aus
den betheiligten Bundesstaaten eintreten zu lassen.“
Die Thronrede, durch welche am 13. d. M. der preussisobe Land¬
tag erOffaet ist, enthält den höchst erfreulichen Passus: „Im Interesse der
Förderung der allgemeinen Volksgesnndheit wird dem Hause alsbald ein
Gesetzentwurf zugehen, um das Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfung
gemeingefährlicher Krankheiten, innerhalb des preussischen Staates zur
Ausführung za bringen.“ Hoffentlich gelangt das Gesetz zur Verabschiedung!
In der am 16. Dezember 1902 abgehaltenen Plenar-Versammlung
des Sächsischen Landes-Medizinalkollegiums wurde bei Berathung des
ersten Gegenstandes der Tagesordnung: Entwurf einer abgeänderten
ärztlichen Ehrengerichtsordnung entgegen den Bestimmungen des
Entwurfs beschlossen, dass auch die beamteten Aerzte wählbar zum Ehrenrath
sein, die juristischen Beisitzer des Ehrenratbes nicht vom Ministerium. sondern
von jedem Vereinaausschusse sowie die ärztlichen Beisitzer des Ehrengerichts-
hofea von den Kreisvereinsausschüssen gewählt werden sollen. Ferner wurde für
§. 12, Abs. 2 betreff« der Zuständigkeit der Ehrengerichte folgende Fassung vor¬
geschlagen: „Auf Grund der Standesordnung kann von keinem Arzte verlangt
werden, dass er zwingende Rechtspfliohten nicht erfüllt oder Organe oder
Körperschaften des Öffentlichen Rechts den zur Erfüllung ihrer Öffentlich-
Tagesnachrichten.
81
rechtlichen Obliegenheiten erforderlichen Beistand — anch nnter Bedingungen,
welche der Standesordnung nicht widerspiechen — nicht leiste.“ Die Vor¬
schriften aber die Anfechtungsklage (§§. 67—71) worden gestrichen; die Verhand¬
lungen vor dem Ehrenrath sollen nicht öffentlich sein; auch wurde die Aufnahme
eine dem preuasischen Gesetze ähnliche Bestimmung gewünscht, wonach die
Dienstbehörde eines dem Ehrengerichte nicht unterstehenden Arztes Ton dem
Ausgang des Ton ihr gegen diesen wegen Verletzung der Standesehre einge¬
leiteten Verfahrens das Ehrengericht zu benachrichtigen hat.
Za Gegenstand 11 der Tagesordnung: Schularzt- und Schulüber-
bflrdungsfrage wurden folgende Beschlüsse gefasst:
I. „Die Anstellung hygienisch Torgebildeter Schulärzte für sämmtlicbe
Unterrichtsanstalten des Landes bildet das Endziel der schulbygieniscben Be¬
strebungen; dasselbe ist jedoch zur Zeit aus praktischen Gründen noch nicht
erreichbar. — Dagegen macht Bich die alsbaldige Durchführung folgender Mass¬
nahmen bereits jetzt erforderlich:
I. „Die Anstellung Ton hygienisch Torgebildeten Schnlärzten ist noth-
wendig für grosse und mittlere Städte, wünschenswert!! (mindestens ein Scbul-
arat) für die Schulen in kleineren Orten.
. 2. Es macht sich eine Beaufsichtigung in schulärztlicher Hinsicht für
•ämmtliche Privatschulen sowie der höheren Lehranstalten erforderlich.
3. In den Orten, in denen Schulräzte angestellt sind, ist die Mitwirkung
eines Schularztes bei den Schnlausschttssen und -Vorständen erfordeilicb.
4. Es ist auf eine schulhygienische Ausbildung der Aerste auf der
Universität besonders Gewicht zu legen.
&. Bei dem Unterricht auf dem Seminar sind die Grundlagen der Hygiene
bemw. Schulhygiene zu berücksichtigen und zwar thunlichst durch ärztliche
Vorträge.
6. In den Angelegenheiten der Schulgesundheitspflege Bind auch die
Bezirksärzte stärker als bisher heranzozieben. Wo keine Schulärzte angestellt
sind, soll der Bezirksarzt eintreten und die Schule mindestens jährlich einmal
revidiren, wobei er auch dem Gesundheitszustand der Schulkinder besondere
Aufmerksamkeit zuzuwenden hat.
7. Für die Bevisionen der Schulen durch die Schul- bezw. Bezirksärzte
sind besondere Fragebogen aufzustellen.
8. Kein Schularzt darf ohne Instruktion angestellt werden, die Ton der
Besirksschulinspektion nach Gehör deB Beziiksarztes aufgestellt wird.
II. Bezüglich der Frage der Ueberbttrdong Ton Schülern und Lehrern
hat das Kollegium nicht zu der Ansicht gelangen können, dass eine solche bis
jetzt nachgewiesen ist, wohl aber bat man die Ueberzeugung gewonnen, dass
bereits von seiten der Schulbehörden den Verhältnissen in dieser Sichtung mit
Erfolg fortdauernde Aufmerksamkeit geschenkt wird.“
Der Antrag: „Königliche Staatsregierang wolle darauf hinwirken, dass
die laut §. 80 der Gewerbeordnung von den Zentralbehörden zu erlassenden
Arzneitazen, unter Vermittlung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, für
alle Bundesstaaten gleichlautend festgestellt werden“ wurde ab¬
gelehnt. _
In Hamburg hat der Senat der Bürgerschaft unter dem 29. Dezember
v. J. einen Gesetzentwurf betreffend Abänderung der Aerzte-Ordnung vom
21. Dezember 1894 und Bildung eines ärztlichen Ehrengerichts vor¬
gelegt. Nach dem Entwarf soll zunächst die bisherige Anmeldepflicht der
Aerzte bei dem Gewerbebarean und die Entrichtung einer Gebühr für den von
diesem zu ertbeilenden Gewerbe-Anmeldungsschein fortfallen; es bleibt somit
nur eine Anmeldepflicht bei den Medizinalneamten bestehen. Ausserdem wird
dem Vorstand das Becht eingeräumt, Geldstrafen bis 300 Mark auch ohne
ehrengerichtliches Verfahren zu verhängen. Die hauptsächlichste im Gesetz¬
entwurf vorgesehene Aeuderung ist die Bildung eines ärztlichen Ehrengerichts,
für dessen Bestimmungen diejenigen des Displinargesetzes für die nichtricbter-
lichen Beamten in Hamburg als Grundlage gedient haben. Dieselben ent¬
sprechen im Allgemeinen den für die ärztlichen Ehrengerichte in Preussen
geltenden Vorschriften, nur ist kein Ehrengerichtshof vorgesehen. Das Ehren¬
gerieht soll aus einem Vorsitzenden und vier Beisitzern bestehen, der ersteie
82
Tageo n aohrichten.
wird vom Senat gewählt and muss entweder ein lUtglied desselben oder ein
Syndikat oder ein Senatssekretärsein; von den Aerzten müssen drei den in die
Matrikel der hambargischen Aerzte angenommenen Aerzten angeboren und von
der Aerztekammer gewählt werden, der vierte ein vom Senat za wftblendes
richterliches Mitglied eines ordentlichen Gerichtes sein. Das Ehrengericht
kann Geldstrafen bis za 3000 Mark verhängen. Es ist nar bei Anwesenheit
sämmtlicher Mitglieder beschlussfähig; seine Entscheidungen and Beschlüsse
werden mit absoluter Stimmenmehrheit gefasst, bei einer Verurtheilnng ist
jedoch eine Mehrheit von 4 B der Stimmen erforderlich. Die von einer Behörde
Angestellten Aerzte, die dem Disziplinargesetze oder den Vorschriften der
Disziplinargewalt des Vorstandes einer Behörde unterworfen sind, unterstehen
dem ärztlioben Ehrengericht ebensowenig wie Militär- nnd Marineärste; sie
können nach nicht za Mitgliedern desselben gewählt werden.
Der Geschftftsansschnss des deutschen Aerztevereinsbundes hat
unter dem 28. Dezember v. J. an den BnndeBrath eine Denkschrift gerichtet,
worin er am Schloss die Bitte ausspricht, „zur Berathang der Abänderung des
Krankenkassengesetzes die Znziehong von Vertretern der deutschen
Aer st esohaft za veranlassen, welche von dieser gewählt werden*. Zur
Begründung dieser Bitte heisst es in der Denkschrift:
„Die Umsetzung des Krankenversichernngsgesetzes in dns praktische
Leben ruht zum grossen Theile auf den Schultern der Aerzte. Ohne Ant
kann keine Krankenkasse die ihr vom Gesetz anferlegten Pflichten erfüllen.
Dnrch die Erfahrungen, welche die Aerzte während der 18 Jahre des Bestehens
des Gesetzes gesammelt haben, sind sie gewiss in der Lage, bei der als noth-
wendig erkannten Abänderung eines für das gesammte Volkswohl so eminent
wichtigen Gesetzes praktische Winke nnd Anregungen zu geben. Denn einerseits
sprechen die Aerzte die Versicherten nicht blos bei ihrer Arbeit, sondern sie
besuchen sie auch in ihren Wohnnngen, kennen ihre häuslichen Verhältnisse
nnd verfolgen ihr Familienleben; andererseits stossen sie bei der Behandlung
der Krankenkassenmitglieder tagtäglich anf Missstände, UnZuträglichkeiten nnd
anf Gebräuche, die sich — mit dem Geiste des sozialen Gesetzes unvereinbar
— durch die Art der Kranken, dnrch die Gesetzgebung selbst nnd dnrch die
Art der Ausführung des Gesetzes heransbildeten. Nicht znletzt sind die AeTzte
selbst dnrch das Krankenversichernngsgesetz in ihrem Erwerbsleben nnd ihrer
sozialen Stellung in einer Weise in Mitleidenschaft gezogen, dass es nicht un¬
berechtigt erscheint, wenn sie auch ihre Interessen selbst zu vertreten wünschen.“
Am 5. d. M. ist Geb. Med.-Rath Prof. Dr. Koch nach Südafrika ab¬
gereist, um die dort auftretende verheerende Viehkrankheit sn stndiren, nnd,
wenn möglich, Mittel sn ihrer Bekämpfang ausfindig za machen. Diese Krank¬
heit, die ganz Südafrika von Vieh zn entvölkern droht, ist erst nach Beendi¬
gung des Burenkrieges senchenhaft anfgetreten. Sie ist nach Ansicht Koch's
völlig verschieden von allen bisher bekannten Kinderkrankheiten nnd spottet
aller Heilmittel. Ihre Erforschung und Bekämpfung bedingen deshalb höchst
umfangreiche Vorkehrungen an chemischen Httlfsmitteln nnd wissenschaftlichen
Geräthen aller Art. Koch wird von seinen beiden Assistenten, Stabsarzt
Dr. Kleine and Dr. Neafeld begleitet; er beabsichtigt, sieh über Beira
nach der Brutstätte der Seuche im Herzen Rhodesias zn begeben.
Der diesjährige XXXI. Deutsche Aerztetag wird am 26. und 27. Joni
in Köln abgehaiten werden.
Der IX. Internationale Kongress gegen den Alkoholismus wird
vom 14.—19. April 1903 in Bremen unter dem Ehrenpräsidium des Dr. Graf
v. Posadowsky-Wehner-Berlin und Dr. Pauli-Bremen stattfinden.
Das Programm weicht insofern von demjenigen früherer Kongresse ab, als das
Organisationskomitee — Präsident: Dr. med. Del brück-Bremen — einem
Wnnsche des Wiener Kongresses entsprechend, grundsätzlich nicht die ganse
Alkoholfrage, sondern nur einige aasgewählte Kapitel behandeln lässt, über die
auf Grand von Referaten, zn denen das Komitee anffordert, eingehend diskntirt
werden soll. Die Tagesordnung ist wie folgt festgestellt:
Tagesnachrichten.
85
1. Vorträge der Eröffnungssitzung? a) Dr. phil. J. Berg mann* Stock¬
holm: „Die modern« Kultur and der Kampf gegen den Alkohol." b) Prof. Dr.
med. Bneppe-Prag: „Körperübungen and Alkoholismas."
II. Diskassions-Themata: 1. Alkoholismas and Tuberkulose. Referent:
Dr. med. Legrain-Parts.
2. Der Alkohol kn Lebensprosees der Rasse. Referent: Dr. med. Alfr.
PlOtz-Berlin.
3. Der Alkohol als Genassmittel. Referenten: a) Prof. Dr. med.
Fraenkel - Halle a. S.: „Was ist der Missbrauch geistiger Getränke?"
b) Dr. med. A. Forel-Morges: „Der Mensch und die Narkose."
4. Die Rolle des Alkohols im Budget der Kulturvölker. Referenten:
a) Dr. polit. K. Helenins-Helsingfors: „Die Rolle des Alkohols im Staats¬
haushalt." b) Dr. jur. H. Bloch er-Basel: „Die Rolle des Alkohols im
Arbeiterhaushalt."
5. Die Entmündigung wegen Trunksucht. Referenten: a) Prof. Dr. med.
Cramer-Güttingen, b) Prof. Dr. jur. Endemann-Halle a. 8.
6. Die Gastbausreferm. Referenten: a) Direktor Peter Fitger-
Gothenbnrg: „Das Gothenburger System in Skandinavien." b) Joseph Bentley-
Bradford: „Die alkoholfreien Wirtschaften in England." c) Freib. v. Dier-
gardt-Mojawola: „Die Gasthausreform in England und in Deutschland."
7. Alkoholismas und Bier. Referent: unbestimmt.
8. Vereinsthätigkeit. Referenten: a) Dr. jur. v. Strauss u. Torney,
Senatspräsident * Berlin: „Grundsätze und Erfahrungen des Deutschen Vereins
gegen den Missbrauch geistiger Getränke." b) Dr. med. LidstrOm-Upsala:
„Die Organisation der Abstinenzvereine."
9. Die Bekämpfung des Alkeholismus auf Seeschiffen. Referent: unbestimmt.
10. Aufgaben der Frau im Kampfe gegen den Alkoholismus. Referentin:
The Lady Henry Somerset-Eastnor Castle, Ledbury, London.
11. Erziehung und Schule im Kampfe gegen den Alkoholismus. Re¬
ferenten: a) Anton Don-Rotterdam, b) Charles Wakely-London. c) Mrs.
Mary Hunt- Boston (U. S. Amerika).
Anmeldungen zur Theilnahme am Kongress und allgemeine, sowie die
Presse betreffenden Anfragen sind zu richten an Schriftführer Franziskus
Hähne 1 -Bremen, Donandstr. 13. Geldsendungen an den Kassirer Cbr. H.
8uhling-Bremen, II. Schlachtpforte 5. Die Ansstellung betreffende Anfragen
an Rechtsanwalt Dr. jur. H. Eggers -Bremen, Osterthorstr. 30. Das Kongress¬
programm betreffende Anfragen an Dr. med. A. Delbrück-Bremen, Hum-
boldstrasse 127.
Mitgliedskarten zum Preise von 5 Mark berechtigen zur Theilnahme an
den Verhandlungen des Kongresses und zum Bezug des Kongressberichtes.
Die neue preussische Arzneitaxe für 1903 bringt gegenüber der vor¬
jährigen nur insofern eine Aenderung, als die Arbeitspreise für Korn-
primiren und Sterilisiren eine geringe Erniedrigung erfahren haben.
Es kostet jetzt das Komprimiren von je einer Tablette durchweg 5 Pfg. (früher
bei 5 und weniger Stück 10 Pfg.) und das Sterilisiren einer Arzneimischung
oder eines Arzneigefässes durchweg 30 Pfg. ohne Rücksicht auf die jeweilige
Menge. Neu aufgenommen sind in die Arzneitaxe 7; bei 110 Arzneimitteln
ist der Preis erniedrigt (darunter Acidum carbolicnm, Acid. salicylicum,
Adeps lanae, Aether pro Narkosi, Bals. peruvianum, Castoreum, Cocainum, Coffei¬
num, Flor. Chamomillae, Fol. Menth, pip., Liq. Kresoli saponat., Protargolum,
Besorcinnm, Secale cornutum, Spec. pectoralis, Styrax u. s. w.), bei 81 erhöht,
darunter alle spiritusbaltige und mit Spiritus hergestellte Arzneimittel (in
Folge des Fortfalls der Verwendung steuerfreien Spiritus), ferner Adeps suillus,
Bals. Copaivae, Chloral. formidat; fast alle Extrakte,[Fol. Menth, crisp., Gnaja-
eetinum, Jodoformium, 01. Jecoria Aselli (um 100 °/ 0 ), Physostigminum, Radix
Senegae, Santoninum. _
Ueber das Verbot der öffentlichen Ankündigung von Heilmethoden
and Heilmittel ist jetzt auch in Bremen unter dem 23. Dezember 1902 eine
ähnliche Verordnung wie in den preussischen Regierungsbezirken erlassen.
84
Tagesnachriohten
In der Sltsnug des Badischen ärztlichen Landes • Ausschusses vom
88. November v. J. wurde der Antrag des ärztlichen Kreisvereins Karlsruhe,
beim Ministerium nm Erlass eines Verbotes der öffentlichen Anpreisung
von Heilmitteln oder Heilmethoden vorstellig zu werden, angenommen.
Die .Pest ist in Odessa völlig e loschen; auch in Aegypten
scheint dies der Fall zu sein, wenigstens ist in Alexandrien seit der ersten
Woche des Novembers v. J. keine Pesterkrankung mehr vorgekommen, in
Port Elisabeth (Kapland) anch nnr ein vereinzelter Fall am 17. November.
In Indien ist zwar eine Abnahme der Seuche bemerkbar, aber doch
nicht im starken Masse. Die Zahl der Erkrankungen nnd Todesfälle betrug
in den Wochen vom 24. Oktober bis 18. Dezember: in der Präsidentschaft
Bombay 9310 (6679), 8828 (6687), 8710 (6821), 8642 (6711), 8340 ( 6067),
8632 (6130). 8631 (6544), davon in der Stadt Bombay- 138(124), 127 (121),
184 (126), 129 (119), 127 (121), 182 (128), 184 (128), in der Hafenstadt
Karachi während derselben Zeit 10 (7), 17 (16), 16 (11), 18 (9), 12 (11),
14 (12), 15 (10). In Kalkutta kamen vom 28. September bis 26. Oktto-
ber 84, vom 26. Oktober bis 1. Dezember 70 Pesttodesfäile vor.
In Japan sind im Oktober und November nur noch vereinzelte Pest*
erkrankungen zur amtlichen Kenntnissgelangt; in Queensland vom 26. Sep¬
tember bis 17. Oktober 87 (81), in St. Mauritius vom 10. Okt. bis 6. Nov.
85 (49), in Bio de Janeiro (Brasilien) vom 16. Okt. bis 15. Nov. 58
Todesfälle an Pest, in Asuncion (Paraguay) in der zweiten Hälfte des
Oktobeis 12 (6), im November 2 (1) und seitdem keine Erkrankung mehr.
Die Cholera ist im asiatischen Bussland erloschen; in Japan
im Erlöschen begriffen. In Nagasaki sind im Oktober nnr noch vereinzelte
Fälle vorgekommen, in Kobe vom 4. Oktober bis 5. November: 188 (165). Nur
im nördlichen Theil von Formosa herrscht die Seuche noch in grösserem Um¬
fange; die Zahl der Cholera-Erkrankungen und -Todesfälle betrug hier im Sep¬
tember 270 (188), im Oktober 114 (78).
In Korea und zwar in Söul sind vom 19.—29. September bezw. vom
80.8eptember bis 6. Oktober 1457 bezw. 428 Personen an Cholera erkrankt und 974
bezw. 849 gestorben. Seitdem hat die Krankheit derartig an Ausbreitung ab¬
genommen, dass im Oktober nur noch vereinzelte und seit dem 8. November
Oberhaupt keine Erkrankungen mehr angemeldet sind.
Auf den Philippinen hat die Seuche im November eine ausserordent¬
liche Abnahme erfahren; denn die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle be¬
trug vom 1.—15. Okt.: 16921 (9963), vom 16.—31. Oktober: 18470 (7885)und
vom 1.-16. Nov. 2753 (1172), davon in Manilla 52 (89;, 35 (28),218 (149).
In Kalkutta (Indien) sind vom 28. 8eptomber bis 6. Dezember 264
Personen an der Cholera gestorben.
In Aegypten ist eine grössere Anzahl von Cholerafällen nur noch in
Alexandrien beobachtet, während im Übrigen Aegypten die 8eucbe fast
erloschen ist. Es erkrankten bezw. starben Personen vom 4. November bis
27. Dezember: 144 (125), 64 (85), 83 (80), 20 (18). 42 (34), 60 (17), 61 (14)
und 40 (22), davon entfielen um Alexandrien: 87 (18), 15 (18), 12 (9), 13
(82), 49 (41), 8 (12), 69 (17), 4 (4).
In Palästina und Syrien (Türkei) hat die Seuche wieder abge¬
kommen; die Zahl der Todesfälle betrng hier bis zum 11. November: 1681
(davon in Tiberias 106. in Qaza 971, in Lydda 277, in Jaffa 13, in anderen
Orten 164), seitdem sind in den Wochen vom 11. November bis 23. Dezember
an Cholera gestorben: 333, 138, 198, 84, 80, 48, so dass die Gesammtziffer auf
2407 gestiegen ist. _
Berichtigung: In dem Sonderheft zum Jahrgang 1902 der Zeit¬
schrift für Medizinal-Beamte muss es auf Seite 93, Abs. 6, in dem 8atze:
.die Wochenpflegerinnen sind deshalb so beliebt 8 , heissen: „die
Pfusch er i n ne n sind deshalb so belicht“.
Notiz: Der heutigen Nummer int das Inhaltsverzeichnlss
and das Sachregister der Beilage beigefügt, dasjenige der Hanpt-
nnmmer wird Nr. 8 beigegeben. _
Verantworte Redakteur: Dr. Rapmund, Beg.-n.Geh.Med.-Bath »Minden LW.
J. C. O. Bront, Henofl. Sieht, n. F. Beh.-L. Hofbnehdrackerel in Minden.
iv. it) OerliB.
föfty <>, B'**&««'»
<w@i^^1^f^^p|ii^flPPRHI9iPRIffiHP!PiPPIPI9IVi
t£&e&ÜU* 'f| SÄWÄriWSfflfe
.
in ni>h 9 rigt. feoftiw, Otölrai-ahsafid - '*, ö. 3>f Bi>*b *.
nag«l in Lvfee *{im doi 6roi*a U'&e-WA-Joia; Pwatdöaont Prof Dt.
Asche . 'ün flMia^p bDfdABt.' ' ; : ,.ur paUiei. An»>.tv«iio ib UiifliUt-;;
def tfn'.hcisd.t; Ui,F Heiter ßr fäfM ««ob ü^iwrl. Regiörungsräth w Mit¬
glied dda önli Äcd^ßs.Ur P**»£ Pr. Rnlinnr «nm »fün¬
digen Stfeil^wrUßie« dea£o?«'itzcrj<)&Q den .B^fct^eiondWittnktÜfi«; det pralet
Arzt Dr. Schic ho ld in Kvttbaa »aa». i» Potedan*.
^NrtiOr'hen: öefe.Med ,-H« lh Cif. L,ah,d*.Wr*. Kreisam a. D. in Broste®
i!> " ■ ■ • iuoe ftr ?. 01 an ia l^eaenlAd« (itog,-Betr _4rii«bB*fj} # < Wi<
Ban.-Rett Dr, Kirchner inFkterbnig,». San.-Bttth z»r. S.sbvrtr f*» .Linz a./kL...
Dr. Lay da*-in Backe* .(Rcg.-Be*. Frankfurt * ,(' ,<
- ;x '' v :•;•'• <J*o*«hersc«thtUß H«s»*s
Gestorben: ,
■ • : ^‘:.;j'-Kdrtfgrotoh Bayern,
Ret«rorlj#.ß: Rer« frCjH ■»•*.? io. PrayyBg-Wolf dein,
Stabm«! s. P. Dr. P Hofntffc Pr. B.m rio b -S'o& tffjrx:
and Stahaarst a. D, Dr. H *1e« k ein Bsgeasbo/e;, Prof. Dr. G e b a n e r m Erlangen.
Kößtgrrslofe Saohaen,
Ernannt: Die Privatdozenten Dr. toed. Hoffman«and Dr. med.
Perthes in Leipzig sa anaserordentlichen Professoren.
Gestorben: Dr, Bertrand in Olbernhan, Oberstabsarzt Dr. Beyot im
Woissen Hirsch bei Dresden, Dr, Nenbert in Oetzsch, Stabsarzt a. D. Dr.
Triest (irtthsr ia Klotzsche bei Dresden) in Davoa-Fl&iz.
Königreich Württemberg.
Ansseichnoagen: Veriiehea: Das Ritterkreu* X, Klasse des
Friedrich * e r d a n a: dem Priratdozentea Dr. H a a s 1 er in Halle a. S.
Gestorben: ■ Dr. Paul König in Echterdingen, ünter&mtsaret». D. Dr.
S fctitnt« in Ebingen.
Chroizherzogthnm 8aohsen - Weimar.
Gestorben: Generalarzt a. D. Dr. Wenzel in Weimar.
los anderen deutschen Bundesstaaten.
Gestorben: Kantonalarzt. Dr. Hoffmann in Waaseinheim.
Pischer's medizinische Buchhandlung II. Kornfeld
Berzogl. Bayer. Höf- and Erzherzog!. Kammer - Buchhhoiller.
_ Berlin W. 85, Lfttnowatraeae 10. _ •
Erschienen ist:
Lteferimg VH
von
Der beamtete Arzt und ärztliche
Sachverständige.
Mit besonderer Berticksichtigui)^ der Deutschen Eeiciis-
und P) v ettssisfiheü Laüdesge8et%el)üb|j, '-v
' : .; , •’i; Herftüsgegüh«u vm. \ •.' •' .■ •
Dr. O. Itu{>»Ö UH< 1 ,
S*g 4 - '««$• OjAi. i.
bitter Mitarbeit von
Dr. A. Cinaiar, Pmatdoxutit Br» G. Pnptfe*
jo. 6 . ProföSÄor der i utvä
Wiktor der Prt’?tasi«l~ -♦'*>%» Ai 8 >. i■*}?** iha*r*nt Daric*!'' 1 * w- .
IH Oofcrtn^sb. in Heilut.
Sukslripiionjfiireii fcis im ErschBNüß ks puz.e.« Werkes: 23 Hart
1, Band: Die ArztlicliG 3achvomb.n<U^rori *TbHtiviKai:»
auf dem Gebiete der
Payohlntrle, der Unfall-^; Iö?«4iüju>,u*- u t.*d l ; ^l>ene-
feraiehoruzig. Jfe.trWetTiii vvl*u B -*ti ß.H-k#■>■ '• «••■ r, l'nvftt*
dozent Dr. Pappe and Profi Dr; i'rr»«ci,'
XL Bund; OeüTentiicheB^' .GnsundheUeweseh and M*>.
f 11 Jahrg
Zeitschrift
1903.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt fir gerichtliche Medizin und Psychiatrie,
Sr ärztliche Saehferstandigenthatigkeit in ünfaD- und Invaiiditätasachen, sowie
ir Hygiene, öffentL Sanitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung and Rechtspreehing
Heraasgegeben
toh
Dr. OTTO RAPMUND,
Regierung!- and Geh. Medislnalrath ln Minden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Bnehhandlg., H. Kornfeld,
Heraogl. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Berlin W. 35, Liitzowstr. 10.
Inierate nehmen die V erlagt handlang sowie alle Annoeenexpedlttonen des In-
and hallendes entgegen«
Nr. 3.
Ertehetnt mm 1. und 15. Jeden Monate
1. Februar.
Ueber die Verwerthbarkeit individueller Blutdifferenzen
für die forensische Praxis. 1 )
Von Dr. Karl Landsteiner und Dr. Max Richter.
(Aas dem pathologisch-anatomischen and dem gerichtlich-medizinischen Institut
der Wiener Universität.)
Mannigfache, in der letzten Zeit ausgeführte Untersuchungen
aber die Eigenschaften thierischer Flüssigkeiten und Zellen haben
sa dem Ergebnisse geführt, dass sich mit Hülfe gewisser Serum-
Reaktionen solche Stoffe verhältnissmässig leicht unterscheiden
lassen, deren differente Natur bis dahin schwer oder gar nicht zu
erweisen war. Es sei in erster Linie an die in gerichtsärztlicher
Beziehung wichtige Probe zum Nachweise menschlichen Blutes
erinnert, die sich aus den Arbeiten von Bordet, Uhlenhuth,
Wassermann and Schütze u. a. ergeben hat.
Ein weiterer Schritt in der angedeuteten Eichtnng würde
es sein, wenn man im Stande wäre, Unterschiede der Be¬
schaffenheit des Blutes auch bei verschiedenen Individuen der¬
selben Spezies nachznweisen.
Za diesem Zwecke könnte das Verhalten verwerthbar er¬
scheinen, welches vor einiger Zeit bei Versuchen über die Ein¬
wirkung menschlichen Serums auf Blutkörperchen anderer Indi¬
viduen beobachtet wurde.
') Auszugsweise vorgetragen von Dr. Richter in der Ahtheilnng für
letiehtiiehe Medizin der 74. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte
u Karlsbad 1902.
8fJ Dr. Laadtteiner oaij D?> Siebter: Ueber die Verwerthb&rkeit
Einer von uns 1 ) hat darauf aufmerksam gemacht, dass nor¬
males menschliches Serum fast regelmässig die Eigenschaft besitzt
fremde menschliche Blutkörperchen zu aggtetmirem — Ein Zu¬
sammenhang dieser Eigenschaft mit besonderen pathologischen
Zuständen, wie er von einzelnen Autoren (Sbattoek, Grün-
b&um u. a ) angenommen wurde, scheint nicht zu bestehen.
Diese physiologische Eigenschaft des menschlichen Serums,
fremde 8iuÄ*per0ben zu beelnflueaeo, zeigt gewisse auffallende,
noch nicht erklärte Regelmässigkeiten, deren Art am Beaten aus
der folgenden Tabelle bervorgekfc, die die Resultate der Ein¬
wirkung verschiedener Blutkörperchen umi Sera aufeinander
wiedergiebt. Zumeist findet man in Bezug auf die beschriebene
Reaktion drei sich verschieden verhaltende Arten von Blut¬
körperchen und Serum. Als positiv wurden nur starke Reak¬
tionen angeführt
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~T" V;
4 bedientet Agglutination
Aehnliche Zusammenstellungen finden sich bei Landsteiner
(1. c.) und in ausführlicher und genauer Weise bei v. DeoasteUo
und Sturii*)' Es zeigt sich mithin, dass Anzahl
Ritttarten sehr deutlich anterschieden und diflfei*eözirt werden
könne«, während hei anderen eine Unterscheidung auf: dtesfe Weise
nicht möglich ißt.
Die Erscheinung der Agglutination ist im Falle positiver
Reaktion so auffallend, dass sie eich beim ZusKimnenbringen eines
Tropfens Serums und eines Tropfens BlntkörpercheDaufsriiwemmuög
auf einem Objektträger auch mit freiem Auge nach kurzer Zelt
ohne Schwierigkeit erkennen lässt.
Wollte man die Erscheinung für die Zwecke der förensischen
Praxis verwerthen, so war naclizAisehen, ab sie auch mit Prob-e
angetrockneten und längere Zeit auf bewahrten Blutes gelingt,
■i Z*nUalbtaH. tdr Bakteriologie 1900, 5. Bßl und Wiener Klio. Wochen¬
schrift;lftOl, Kr. 46 .
*) Müuchen^ madiaiai&cbe Wochenschrift, 19Ü3-.
individueller Blntdifferensen für die forensische Praxis.
87
Die in dieser Beziehung nothwendigen Untersuchungen nahmen
wir in folgender Weise vor: Wir untersuchten zunächst das Blut
einer aus 6 Personen bestehenden Gruppe von Männern, indem
wir auf dünne Blutkörperchenaufschwemmungen derselben (in
0,8 °/ 0 Kochsalzlösung) das Serum der einzelnen Personen ein¬
wirken liesen. Dieses erhielten wir so, dass wir aus der Finger¬
beere durch Einstich mehrere Bluttropfen entleerten, in Kapillaren
auffingen und nach der Gerinnung die Fibrinfäden aus den
Röhrchen herauszogen.
Zu einem Tropfen der Blutkörperchenaufschwemmung wurde
ein kleiner Tropfen Serums mit einer Platinöse zugefugt und die
Untersuchung im hängenden Tropfen vorgenommen.
Das Verhalten des Blutes dieser Individuen in Bezug auf
die Agglutination giebt die folgende Tabelle wieder:
Blutkörperchen von
Serom von
Bi
Biff
Meix
Tom
May
Weiss
ffi . . . .
—
+
+
+
—
Kiff ... .
+
—
+
+
+
+
Meix....
+
—
—
—
—
+
Tom ....
+
—
—
—
—
+
May ....
+
—
—
—
—
+
Weise . . .
—
—
—
—
—
—
Von den geprüften Blutseris ist eines (Weiss) überhaupt
inaktiv (ein selten vorkommender Fall), drei verhalten sich unter¬
einander gleich (Meix, Tom, Mey), die Sera Eiff und Ri
verhalten sich gegenüber den anderen und untereinander ver¬
schieden.
Nachdem dieses Verhalten festgestellt war, wurden Bluts¬
tropfen der einzelnen Personen auf Leinwand, Glas, Holz ange¬
trocknet und ohne besondere Kautelen im Laboratorium aufbewahrt.
Nach verschieden langer Zeit wurden die Proben abermals vor-
genommen und zwar in der Art, dass von den Spuren auf Glas
and Holz kleine Partikel abgelöst und zu frischen Blutkörperchen¬
aufschwemmungen zugesetzt wurden, während bei den Blutspuren
aufftieinwand kleinste herausgeschnittene Stückchen einem Tropfen
der Aufschwemmung zugeftigt wurden. Die Beobachtung erfolgte
im hängenden Tropfen bei Zimmertemperatur und wurde durch
ca. eine Stunde fortgesetzt. Bei den Leinwandflecken gingen wir
in der Regel so vor, dass nach etwa 1 U Stunde, wenn das ange¬
trocknete fftut im Tropfen der Kochsalzlösung sich gelöst hatte,
das Deckgläschen gelüftet und die Flüssigkeit aus dem Leinwand¬
stückchen durch Druck mit einer ausgeglühten feinen Pinzette
der am Deckgläschen haftenden Flüssigkeit beigemengt wurde,
worauf wir das ausgepresste Fleckchen entfernten. Die auf diese
Weise untersuchten, bis zu einem Monat lang aufbewahrten
Proben, gaben dasselbe Resultat, wie die Proben mit frischem
Blutserum.
88
Dr. Landsteiner nnd Dr. Siebter: Ueber die Verwerthbarkeit
Um Kontrolle zn üben, worden die Versuche so ausgeführt,
dass derjenige, der die Untersuchung yornahm, in Unkenntniss
der Provenienz der Blutflecke blieb. Trotzdem gelang es fast
immer, die Identifikation der Blutproben vorzunehmen. Es kam
dabei kein Irrthum in dem Sinne vor, dass Blutproben, die
nach der ursprünglichen Reaktion sich hätten identisch ver¬
halten sollen, als different angesehen worden wären, wohl aber
geschah es, wenn auch selten, dass zwischen zwei, der ersten
Untersuchung zufolge differenten Proben nicht unterschieden
werden konnte.
Eine Schwierigkeit besteht darin, dass bei angetrockneten
Blutspuren die Reaktion in vielen Fällen nicht so ausgesprochen
ist, wie bei der Reaktion mit frischem Serum. Es ist deshalb
nöthig, sehr dünne Blutaufschwemmungen zu benützen und auch
die Entstehung sehr kleiner Häufchen von Blutkörperchen zu
beachten. Durch Herstellung von Kontrollpräpar&ten bewahrt man
sich vor Irrthümern bei der Beurtheilung der Bäufchenbildung.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Probe gewisse
Schwierigkeiten bietet und daher eine Einübung unbedingt er¬
fordert. Unter dieser Voraussetzung ist es aber in einer Anzahl
von Fällen möglich, die Provenienz eines angetrockneten Blut¬
fleckes von einer bestimmten Person nicht sowohl zu erkennen,
als vielmehr sicher auszuschliessen. Es ist leicht einzusehen,
dass einer solchen Konstatirung im konkreten Falle eine Bedeutung
zukommen kann, hauptsächlich dann, wenn ein Thäter Blutspuren,
die sich an seiner Kleidung finden, als von seinem eigenen Blute
herrührend erklären will.
So wurde z. B. in einem Falle, der vor einigen Jahren hier
zur Beobachtung kam, seitens des Thäters behauptet, dass
die an seinen Kleidern gefundenen zahlreichen Blutspuren von
seinem eigenen Blute herrührten, indem er vorgab, öfters an Nasen¬
bluten gelitten zu haben, wobei die Blutbefleckung seiner Kleider
zu Stande gekommen sein sollte. Es war nach dem damaligen
Stande unserer Kenntnisse trotz der offenbaren Unwahrheit dieser
Angaben prinzipiell nicht möglich, die Behauptung zu wider¬
legen. Mit der angeführten Probe wäre es unter gewissen Umständen
gelungen, zu zeigen, dass das angetrocknete Blut nicht mit dem
Blute des Thäters identisch sein konnte, nämlich dann, wennVine
Lösung von Partikeln der angetrockneten Flecke eine Auf¬
schwemmung von Blutkörperchen des Inkulpaten agglutinirt hätte.
— Es leuchtet ja ein, und ist durch vielfache Proben sicher ge¬
stellt, dass das Serum oder das eingetrocknete Blut eines
Individuums die Blutkörperchen dieses Individuums nicht ag¬
glutinirt.
Rathsam scheint es, soweit unsere bisherigen Erfahrungen
reichen, auf das Ausbleiben der Agglutinationsreaktion bei einer
angetrockneten Blutspur kein Gewicht zu legen da wie erwähnt,
die Reaktion durch das Eintrocknen des Blutes schwächer wird.
Würde die Agglutination der geprüften menschlichen Blut¬
körperchen durch ein anderes in dem untersuchten Fleck vor-
individueller Blatdifferensen für die forensische Praxis.
89
handenes Agens als Menschenblut, z. B. durch Thierblut hervor¬
gebracht worden sein, so wäre dies durch die Präzipitationsreaktion
oder daran zu erkennen, dass in diesem Falle auch andere mensch¬
liche Blutkörperchenarten, die gegen menschliches Serum sich stets
resistent verhalten (siehe Tabelle), beeinflusst werden würden.
Ein Hinderniss für die Verwerthung der Reaktion wäre es,
wenn sie etwa bei ein und demselben Individuum zu verschiede¬
nen Zeiten variiren würde. Wir haben in dieser Beziehung Unter¬
suchungen angestellt und innerhalb des Zeitraumes von 4 Monaten
keine Aenderung im Verhalten des Blutes bei 14 untersuchten
Personen finden können. Eine Konstanz des Verhaltens wird da¬
durch wahrscheinlich, dass bei den zahlreichen Untersuchungen
von Decastello und Sturli sich zwischen den einzelnen Blut¬
typen Uebergänge nicht fanden. 1 )
Ein ganz gleiches typisches Verhalten zeigten, wie nebenbei
erwähnt sei, auch die von uns untersuchten Sera eines Japaners
und eines Negers. — Das Blutserum neugeborener Kinder ist in
Bezug auf die Agglutination weniger wirksam, als das Serum Er¬
wachsener, z. B. auch als das Serum der Mütter. *) 8 )
Es ist aus dem Gesagten zu entnehmen, dass die Erkennung
der Nichtzugehörigkeit eines Blutes zu einem bestimmten Indi¬
viduum bis jetzt nur in einzelnen Fällen möglich sein wird. Man
kann aber erwarten, dass sich zur Lösung der Aufgabe noch
andere Wege finden werden. So sei darauf hingewiesen, das nach
einem Vortrage von Uhlen hu th Unterschiede zwischen dem
Blute von Hähnen und jenem von Hennen bestehen, und dann auf
die Thatsache, dass in Bezug auf Agglutinat\pns- und ähnliche
Reaktionen Differenzen zwischen verschiedenen Individuen einer
Thierart oft zu beobachten sind.
Es kann sein, dass weitere Untersuchungen ergeben, dass
verschiedene Individuen bezüglich ihres Blutes sich im Allge¬
meinen nicht völlig gleich verhalten, und vielleicht werden Diffe¬
renzen in dem Verhalten der Sera gegenüber verschiedenen Bak¬
terien oder thierischen Zellen, möglicherweise auch Unterschiede in
den praezipitabeln Substanzen des Blutes diagnostisch verwerthbar
sein. — Schon jetzt können Sera mit ausgesprochener Agglutina-
tionsreaktion auf Typhusbazillen, Bact. coli, Bac. tubercul. etc.
gelegentlich leicht unterscheidbar sein.
’) 8iehe »ach: Langer io der Abtheilnng für Kinderheilkunde der 74.
Versammlung deutscher Naturforscher and Aerzte in Karlsbad 1902.
*) Halb an; Wiener klin. Wochenschrift. 1900. Landsteiner, 1. c.;
Salb an and Landsteiner; Münchener medis. Wochenscbr. 1902. Nr. 12.
*) Es scheint nach einigen Versuchen, dass bei der Isolysinwirkung von
Menschenseram, die in einzelnen Fällen sporenweise beobachtet werden kann,
dieselben typischen Unterschiede and Gleichheiten der Blutkörperchen wie in
Besag aaf die Isoagglatination bestehen. (Bes. der Isoagglatination in der
is der Milch siehe Wiener klinische Bandsohan; 1902, Nr. 40.)
90
Dr. Straube.
Die Milchkontrolle in kleinen Städten.
Von Dr. Straube, prakt. Arzt in Rogaaen, staats&rztl. approb.
Die vielfachen Ziagen über die schlechte Beschaffenheit der
hiesigen Kuhmilch veranlassten mich im Sommer 1901, eine Reihe
von Milchuntersuchungen vorzunehmen. Die Milch Versorgung
der Stadt erfolgt durch eine Molkerei und durch einige Acker-
wirthe, welche die Milch theils direkt den Käufern in das Haus
zusenden, theils dieselbe an Zwischenhändler verkaufen. Einige
Konsumenten holen sich auch die Milch von den Produzenten,
welche dieselbe in der Küche oder Speisekammer aufbewahren.
Zu meinen Untersuchungen benutzte ich im wesentlichen den Feser’-
schen Milchprüfungsapparat (Laktodensimeter von Quevenue,
Laktoskop von Fes er, Kremometer). Besondere Aufmerksamkeit
widmete ich dem Schmutzgehalte der Milch. Zur Feststellung
desselben goss ich 1 Liter von der Milchprobe nach tüchtigem
Umrühren in ein 1 Liter haltendes Glassgefäss mit gut durchsichtigem
Boden und liess die Milch Vs Stunde zugedeckt stehen. Der
Bodensatz, welcher sich in dieser Zeit gebildet hatte, gab den
Massstab ab für den Grad der Verunreinigung 1 ). Ich bezeichnete
in meinen Tabellen mit I geringem Bodensatz, mit II mittlerem
Bodensatz, mit UI sehr starkem Bodensatz.
Die Untersuchungen ergaben nachstehendes Resultat:
Nr.
Spez. Gew.
Fett¬
gehalt
Schmatz¬
gehalt
Nr.
Spez. Gew.
Fett¬
gehalt
Schmatz¬
gehalt
1.
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19.
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3 1 /» „
I
8.
1080,6
B‘/ 4 „
ii
20.
1030,2
3*/« n
II
9.
1026,4
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n
21.
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10.
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22.
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ii
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I
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1031,4
3«/4„
i
24.
1030,6
3'/. .
II
Hieraus ergiebt
sich, dass
die :
Milch Nr. 2
!, 4, 5,
7 und 9
durch Wasserzusatz gefälscht und die Milch Nr. 1 und 15 ent¬
rahmt war. Mindestens 29 °/o der untersuchten Milchsorten waren dem¬
nach gefälscht! Der Kleinstädter giebt also dem Grossstädter in
Bezug auf Milchverfälschung kaum etwas nach: Trojanos intra
muros peccatur et extra! Die gröbsten Fälschungen fanden sich
bei den von Zwischenhändlern entnommenen Milchproben. Aber
auch bei sonst hochachtbaren Besitzern wurden Fälschungen fest¬
gestellt, die durch anstandslose Entrichtung der seitens der Polizei
auferlegten Strafe auch eingeräumt wurden. Die innigen Be¬
ziehungen, welche anscheinend zur Zeit Schillers zwischen der
Milch und einer frommer Denkungsart bestanden haben, scheinen
danach heute stark gelockert zu sein!
Abgesehen von diesen Fälschungen war die Milch in allen
V Ostermayr: Die Marktkontrolle der Kuhmilch.
Die MUehkontrolle in kleinen Städten.
91
Fällen mehr oder minder mit Schmutz durchsetzt; in 2^Fällen
war der Schmutzgehalt ein so immenser, dass sich schon nach
einigen Minuten eine dicke Bodenschicht in dem Gefässe zeigte.
Auf Grund dieser Untersuchungsergebnisse wurden ver¬
schiedene Milch Sorten auch polizeilich untersucht und 6 Straf¬
mandate erlassen, die widerspruchslos bezahlt wurden. Es ent¬
stand in Folge dessen eine grosse Aufregung unter den Milch¬
händlern und sogar den Kühen schien der Schrecken in die Brust
gefahren zu sein; denn dass pez. Gewicht auch der nicht mit dem
polizeilichen Bannstrahl belegten Milch schnellte plötzlich be¬
deutend in die Höhe, so dass ich in den nächsten Wochen nicht
ein einziges Mal ein spez. Gewicht unter 1029 gefunden habe.
Die vorher schlechteste Milch mit einem spez. Gewicht von
1023,6 hatte bei der folgenden Untersuchung 1031,0: ein sprechen¬
der Beweis für die wohlthätige — leider aber, wie ich mich
überzeugt habe, vorübergehende — Wirkung der polizeilichen
MUehkontrolle.
Der Schmutzgehalt der Müch blieb natürlich trotz der Kon¬
trolle unverändert; denn die kleinen Bauern hier in der Um¬
gebung der Stadt wissen meist gar nicht, wie die Milch zu be¬
handeln ist. Wie ihre Eltern und Ureltern gewirthschaftet
haben, so wirthschaften sie weiter, und Kinder und Kindeskinder
werden denselben Pfad weiter wandern.
Angesichts dieser Thatsachen wird sich wohl jedem die
Ueberzeugung aufdrängen, dass dies Zustände sind, die eine
schnelle und energische Abhülfe verlangen. Wenn man bedenkt,
dass es heute fast als Ausnahme zu bezeichnen ist, wenn der
Säugling die Brust bekommt, dass vielmehr die KuhmUch seine
gewöhnliche Nahrung bildet, so kann es nicht wunderbar er¬
scheinen, dass eine so ungeheure Menge Säuglinge in jedem Jahre
stirbt. Welche enorme Volkskraft geht dadurch Jahr aus Jahr
ein verloren 1 Wieviel Unglück könnte verhütet werden, wenn es
gelänge, die MUch in dem Zustande zu erhalten, in welchem sie
aus dem Euter entleert wird! So wie die Verhältnisse gegen¬
wärtig liegen, ist dies Problem allerdings unlösbar. Wohl aber
liegt es heute auch für kleine Städte im Bereiche der Möglich¬
keit, grobe Fälschungen und Verunreinigungen der Milch zu
verhüten.
Zu dem Zwecke ist eine ständige Milchkontrolle
unerlässlich. Dieselbe fehlt in kleinen Städten wohl aus¬
nahmslos. Der gute Wille scheint zwar hin und wieder früher
einmal vorhanden gewesen zu sein; hierfür spricht z. B., dass
ich in einer kleinen Stadt ein Milchuntersuchungsbesteck vor¬
fand, welches aber seit der Anschaffung am 9. Februar 1881
noch nie in Funktion getreten war. Der gegenwärtige Augen¬
blick, in welchem das öffentliche Gesundheitswesen einen mäch¬
tigen Aufschwung zu nehmen scheint, ist wohl besonders ge¬
eignet, dem jetzt in kleinen Städten herrschenden Zustande des
„laissez aller“ ein Ende zu machen. Man darf nicht in der¬
artigen wichtigen Angelegenheiten, wie die Milchkontrolle, sich
92
Dr. Straube.
auf die Initiative der Polizeibehörden verlassen, sondern es muss
auf diese ein Zwang zu ständiger Kontrolle und regelmässiger
Berichterstnttung an den Kreisarzt ausgeübt werden. Nur dann
können wir für die einzelnen Gegenden feste Normen für die Be-
urtheilung der Milch gewinnen. Eine jede kleine Stadt muss
einen Polizeibeamten mit der Milchkontrolle beauftragen. Der
betreffende Polizeibeamte muss eine genaue Anleitung zur Kontrolle
durch den Kreisarzt erhalten und dieser sich 1—2 Mal im Jahre
überzeugen, dass die Kontrolle richtig ausgeübt wird. Von dem
Resultate der Milchuntersuchungen ist dem Kreisärzte alle 3 Mo¬
nate Bericht zu erstatten; auf diese Weise erhält er ein sicheres
Urtheil über die Milchbeschaffenheit seines Kreises. Er kann den
Polizeibehörden denn auch bestimmte Direktiven geben, welche
Milch zu beanstanden ist, und ist in der Lage, ein sachverständi¬
ges Gutachten vor Gericht abgeben zu können.
In welcher Weise lässt sich nun in einer kleinen Stadt eine
regelmässige Milchkontrolle ohne besondere Mühe und Kosten,
aber trotzdem in ihrer Wirkung sicher durchführen P Diesen drei
Derivaten, welche die Vorbedingung für die meisten sanitären Mass¬
nahmen bilden, dürfte in folgender Weise genügt werden. Zu¬
nächst muss der Milchhandel, wie es ja schon in verschiedenen
Städten der Fall ist, anzeigepflichtig werden, da sonst eine
Kontrolle der Produktions- und Verkaufstellen nicht möglich ist.
Die Milchproduzenten und -Händler erhalten bei der Meldung eine
gedruckte ausführliche Anweisung (Behandlung der Milch bis zu
ihrem Verkaufe, Bestimmungen darüber, welche Milch vom Verkehr
auszuschliessen ist etc.) zugleich mit der Mittheilung, dass die
Milch einer regelmässigen Kontrolle unterzogen werden wird.
In diese Anweisung wäre auch die Bestimmung aufzunehmen,
dass die Besitzer von Kühen, deren Milch in den Verkehr ge¬
bracht wird, sich jeder Zeit die Besichtigung und Untersuchung
ihres Viehbestandes durch den beamteten Thierarzt und Kreis¬
arzt gefallen lassen müssen. Ebenso, dass der Kreisarzt jederzeit
freien Zutritt zu den Ställen, Milchkammern und Milchverkaufs¬
räumen hat. 1 ) Die Kontrolle der Stallungen u. s. w. der Milch¬
produzenten und der Verkaufsstellen der Milchhändler ist eine
unerlässliche hygienische Forderung. Die regelmässige Kontrolle
der Milch würde von einem Polizeibeamten in der Weise aus¬
zuführen sein, dass jeder Milchhändler vierteljährlich mindestens
ein Mal kontrollirt wird und das Ergebniss in einem Journal mit
nachstehendem Schema verzeichnet wird:
Ä
Name des
Milchb&ndlers
Tag der
Unter¬
suchung
Beschaffen¬
heit der
Milchgef&sse
Schmutz-
gehalt
der
Milch
Spez.
Gewicht
Be¬
merkungen
') Siehe Polizeiverordnung des Kgl. Regiernngspr&flidenten in Koblenz vom
12. Oktober 1901.
Die MilchkoDtrolle in kleinen Städten.
93
Bei der Kontrolle wäre in erster Linie anf Reinlichkeit der
Qefässe and der Milch zu achten. Der Schmatzgehalt der
Milch braucht nicht nach der umständlichen Renk’sehen Methode
festgestellt zu werden, sondern kann in derselben einfachen Weise,
wie oben angegeben, ausgeführt werden. Ich habe mich durch
sehr viele Untersuchungen davon überzeugt, dass man über den
Schmntzgehalt in */» Stunde, in vielen Fällen schon früher, ein
sicheres Urtheil hat. Diesem Akte der Untersuchung möchte ich
die grösste Bedeutung zumessen; denn je mehr Schmutz die Milch
enthält, um so schneller geht sie in Säuerung über (Soxhlet). Da
die Bakterien in der Milch zumeist den Verunreinigungen ent¬
stammen, welche die Milch bei und nach ihrer Entleerung er¬
leidet, so wird im Allgemeinen der Schmutzgehalt einen annähern¬
den Schluss auf die Bakterienzahl gestatten und als wichtigster
Ersatz der Feststellung der Bakterienzahl, deren Feststellung bei
der regelmässigen Milchkontrolle auf unüberwindliche Schwierig¬
keiten stösst, angesehen werden können. Wenn einzelne Opti¬
misten einwenden: Aber diese Keime werden doch durch das Kochen
der Milch unschädlich gemacht! so bemerke ich, dass ich auf
dieses Kochen meine besondere Aufmerksamkeit gerichtet und ge¬
funden habe, dass nicht in einem einzigen Falle die Milch
vorschriftsmässig gekocht wurde; es ist vielmehr allgemeiner
Brauch, die Milch nur aufzukochen, wodurch bekanntlich die pa¬
thogenen Keime nicht getödtet werden.
Aber auch wenn der Schmutz in der Milch nicht eine so
deletäre Bedeutung, zumal für den kindlichen Organismus, hätte, so
sollte doch die durch die Verunreinigung verursachte, Ekel erregende
Beschaffenheit der Milch genügen, um den Verkauf zu inhibiren.
Sicherlich würden wir, falls wir den Schmutz, der ja zumeist aus
Koth von den Kühen besteht, in klarem Wasser schwimmen sähen,
dasselbe voller Abscheu weggiessen und nicht etwa einem Säug¬
ling zu trinken geben. Aber die weisse Unschuldsfarbe der Milch
verbirgt leider dem Auge den hässlichen Inhalt.
Die Kontrolle der Milch auf ihren Schmutzgehalt ist zur
Zeit das einzige Mittel, welches den Milchproduzenten zwingt,
einige Aufmerksamkeit der Hygiene des Kuhstalles zu widmen.
Ist die von ihm gelieferte Milch einige Male wegen ihrer Ver¬
unreinigung konfiszirt und er in eine emfindliche Strafe genom¬
men, so wird seine Indolenz gegenüber den unerlässlichen For¬
derungen der Hygiene bezgl. der Milchbehandlung schwinden.
Er wird anfangen, auf Reinlichkeit der Kühe, der Melkenden, der
Milchbehälter und des Stalles zu halten, und dafür sorgen, dass
die Milch bis zum Transport zweckmässig aufbewahrt wird. Das
sind alles Massnahmen, die nichts kosten und die man mit Fug
und Recht von jedem Milchproduzenten verlangen muss. Bei der
Milchkontrolle wird es nicht möglich sein, jede Milch, die auch
nur den minimalsten Bodensatz zeigt, zu beanstanden; denn es
ist im Kleinbetriebe kaum möglich, alle diejenigen Einrichtungen
zu treffen, welche nothwendig sind, um die Milch völlig staubfrei
zu erhalten. Wohl aber kann die Kontrolle die groben Ver-
94
Dr. Straube.
schmutzungen ahnden, die übrigens sich meist da finden, wo die
Milch gefälscht ist.
Die Untersuchung auf Milchverfälschung, welche gegen¬
wärtig fast ausschliesslich Gegenstand der polizeilichen Markt¬
kontrolle bildet, ist m. E. von geringerer Bedeutung, weil diese
Fälschungen im Allgemeinen nicht eine so verhängnisvolle Wirknng
auf den menschlichen Organismus ausüben, wie die Bakterien.
Allerdings wird man so starke Fälschungen, wie die Milch Nr. 4 und
Nr. 7, als unbedingt gesundheitsschädlich wegen Mangels an nahr¬
haften Stoffen anzusehen haben; denn ein Säugling von 4 Wochen
würde bei der gewöhnlichen Verdünnung (1 : 3) bei diesem Grade
der Fälschung auf eine Flasche (150 g) nur etwa l 1 /» Esslöffel
Milch erhalten.
Was den Nachweis der Fälschung anbetrifft, so kann na¬
türlich bei der Kontrolle in kleinen Städten von einer exakten
Methode keine Rede sein. Einfachheit des Verfahrens mnss das
Bestimmende für die einzuschlagende Methode sein, falls man
etwas erreichen will. Ich habe mich in der That durch mehr als
100 Untersuchungen überzeugt, dass die Feststellung des spez.
Gewichts der Milch in den meisten Fällen genügt, um die bei nns
häufigste Fälschungsart — den Wasserzusatz — nachzuweisen.
Das spez. Gewicht der Milch ist bekanntlich von verschiedenen
Momenten abhängig (Beschaffenheit der Rassen, des Futters etc.)
und soll sich zwischen 1029—1034 bewegen. Ueber die obere
Grenze herrscht ziemliche Einigkeit. Die untere Grenze dagegen
wird anch bei unverfälschter Milch mitunter nicht erreicht (Alex.
Müller, Soxhlet, Martiny, Schatzmann nehmen 1028° an,
einige Autoren [Stutzer, Ostermayer] 1027°). Die Zahlen
1027—1029 kann man daher forensisch, wenn man sich auf Fest¬
stellung des spez. Gewichtes bei der Untersuchung beschränkt,
nicht verwerthen. Wohl aber kann man bei einem spez.
Gewicht unter 1027 mit Bestimmtheit behaupten,
dass die betreffende Milch gefälscht ist. Wenn wir uns
also als nächstes Ziel stecken, erst einmal die groben Fälschungen
zu eliminiren, so können wir dies sicherlich schon einzig und
allein mit dem Laktodensimeter von Qnevenue erreichen. Ich
möchte nach meinen Untersuchungen für hiesige Verhältnisse die
untere Grenze des spez. Gewichts unverfälschter Milch auf 1028,5
normiren, würde aber empfehlen, eine polizeiliche Beanstandung
der Milch vorläufig erst bei einem spez. Gewicht unter 1027 ein-
treten zn lassen. Es würden sich somit für die Kontrolle 3 Milch¬
qualitäten ergeben:
1. Milch mit einem spez. Gewicht von 1029—1034 und un¬
bedeutendem Schmutzgehalt.
2. Milch mit einem spez. Gewicht unter 1027 oder sehr
starkem Schmutzgehalt. Dieselbe wäre zn konfisziren und der
Verkäufer in Strafe zn nehmen, Eine weitere genauere Unter-
snchnng durch eine II. Instanz (chemisches Institut, Untersnchungs-
amt) ist überflüssig; denn diese Milch ist ohne allen Zweifel durch
Wasserzusatz gefälscht resp. sehr nachlässig behandelt.
Die Ifilchkontrolle in kleinen Stidten.
95
S. Milch mit einem spez. Gewicht von 1027—1029, oder
aber 1034, ferner Milch, die einen erheblichen Bodensatz bei der
Kontrolle ergiebt. Diese Milch wäre als verdächtig zu behandeln;
sie müsste häufig (etwa alle 8 Tage) untersucht werden und falls
sie dauernd dieselbe Beschaffenheit zeigt, ev. eine Probe zur ge¬
naueren Untersuchung an eine II. Instanz geschickt werden.
Hierher wäre auch etwa 1—2 Mal im Jahre eine Probe der von
Molkereien gelieferten Milch, auch wenn sie scheinbar tadellos
ist, zur chemischen Untersuchung zu senden. Denn ich habe in
sonst guter Molkereimilch im Hochsommer wiederholt Salizylsäure
(zur Konservirung der Milch zugesetzt) gefunden, die natürlich
durch die polizeiliche Kontrolle nicht entdeckt werden kann.
Wenngleich also, wie hieraus hervorgeht, eine II. Instanz
kaum ganz entbehrt werden kann, so wird sie doch nur aus¬
nahmsweise in Anspruch genommen zu werden brauchen. Es
erscheint mir eben als wesentliches Erforderniss einer praktisch
durchführbaren Milchkontrolle in kleinen Städten, dass die Kontrolle
im Allgemeinen nur durch die lokale Instanz erfolgt und nicht
etwa erst jede abnorme Milch zur definitiven Untersuchung ver¬
sandt werden muss. Die ewige Verpackung und der Versand
würden für die Stadt eine Last werden, die auf die Dauer kaum
getragen werden würde. Für viel richtiger halte ich es, sich auf die
geschilderte, allerdings etwas primitive Milchuntersuchung zu be¬
schränken, welche die grob verfälschte und verunreinigte Milch
mit Sicherheit eliminiren wird und für die Milchhändler einen
gewissen erzieherischen Werth hinsichtlich der Milchbehandlung
haben wird.
Durch die Feststellung des spez. Gewichts kann bekanntlich
eine Art der Milchfälschung nicht nachgewiesen werden, nämlich
die durch Entrahmung und entsprechenden Wasserzusatz vorge¬
nommene. Das spez. Gewicht kann in diesem Falle sich in den
normalen Grenzen bewegen. Indessen wird diese Fälschung
dauernd nur von demjenigen mit Erfolg vorgenommen werden können,
welcher durch ein Aräometer das spez. Gewicht seiner Milch fest¬
stellen kann. Und so weit werden unsere Bauern vorläufig noch
lange nicht vorgeschritten sein! Wohl aber muss man mit dieser
Art der Fälschung bei Molkereimilch rechnen, die auch aus diesem
Grunde hin und wieder einem chemischen Institut oder Unter¬
suchungsamte zur genaueren Untersuchung übersandt werden muss.
Die Prüfung des Fettgehaltes der Milch mittels des
Fes er’sehen Laktoskops halte ich bei der Kontrolle in kleinen
Städten für überflüssig. Es macht die Kontrolle umständlicher
und die Besultate haben doch nur einen sehr beschränkten Werth.
Ich habe bei meinen Untersuchungen nie einen Fettgehalt unter
den gesetzlich meist zulässigen 2,7 °/ 0 (Berlin) mittels des
Laktoskops gefunden, auch bei Milch, die auf Grund ihrer sonsti¬
gen Beschaffenheit zweifellos als gefälscht angesehen werden
musste. Forensisch können überdies die Ergebnisse mittels des
Fes er’sehen Laktoskops sicherlich nicht verwerthet werden, da
ihnen keinerlei Beweiskraft zukommt.
96
Dr. Straube: Die Milchkontrolle in kleinen Städten.
Die Bestimmung des Rahmgehaltes der Milch ist für die
Untersuchung in kleinen Städten ein zu umständliches Verfahren
und kommt daher nicht in Betracht.
Die Methode der Milchuntersuchung in kleinen Städten wäre
also folgende: Der Polizeibeamte besichtigt zunächst die Milch-
gefässe auf ihre vorschriftsmässige Beschaffenheit (Reinlichkeit,
ob die Verzinnung schadhaft ist etc.). Hierauf prüft er
die Farbe, den Geruch und Geschmack der Milch. Dann wird
eine volle Kanne ausgewählt, die Milch in derselben durch
starkes Umrühren mittels eines langen Porzellanlöffels in
wirbelnde Bewegung gesetzt, um eine gleichmässige Vertheilung
der Milchbestandtheile zu erzielen. Der Inhalt der Kanne giesst
man hierauf in ein reines leeres Gefäss (Eimer) und beobachtet,
ob sich auf dem Boden des entleerten Gefässes ein Bodensatz
findet, der an seiner braunen oder grauen Farbe als Schmutz er¬
kannt wird. Hierauf wird 1 Liter der in dem Eimer wieder gut
durchmischten Milch in ein etwa 1 Liter haltendes reines Glas-
gefäss mit ebenem gut durchsichtigen Boden gegossen und ruhig
hingestellt. Man stellt das spez. Gewicht und die Temperatur der
Milch fest. Hierauf werden die gebrauchten Instrumente gereinigt,
man hebt das Gefäss mit der Milch vorsichtig in die Höhe und
beobachtet, ob sich auf dem Boden Schmutzteilchen angesammelt
haben. Ist die Verureinigung der Milch durch Schmutz einiger-
massen erheblich, so haben sich schon nach einigen Minuten
Schmutztheilchen oder ein deutlicher Bodensatz abgeschieden.
Findet sich noch nichts, so muss bis zu einer halben Stunde ge¬
wartet werden. 1 )
Wird die Milch wegen zu niedrigen spez. Gewichts seitens
der Polizei beanstandet, so hat der Lieferant das Recht, die Ent¬
nahme einer Stallprobe und nochmalige Untersuchung einer im
Stalle unter Aufsicht gemolkenen Milch zu verlangen. Die Stall¬
probe ist spätestens binnen 2 X 24 Stunden vorzunehmen. Die
entstehenden Kosten trägt, falls die Stallprobe den Verdacht der
Milchfälschung bestätigt, der Lieferant, andernfalls die Stadt.
Wird in dieser einfachen Weise eine regelmässige scharfe
Kontrolle der Milch ausgeführt, so werden wir dadurch vielleicht
dem seitens der Hygiene zu erstrebenden Endziele näher kommen,
dass nämlich die Kleinbetriebe sich allgemein zu Genossenschafts¬
betrieben vereinen. Der Verdienst pflegt für die Milchlieferanten
dann zwar immer etwas geringer zu sein, aber sie sind denn doch
der lästigen polizeilichen Kontrolle überhoben. Dieser Effekt
würde am sichersten für eine gute Milch Gewähr leisten; *) denn
nur im Grossbetriebe kann man denjenigen Anforderungen in
einigermassen vollkommener Weise gerecht werden, welche an
eine gute Milch gestellt werden müssen. Anderseits wäre da¬
durch die Milchkontrolle natürlich ausserordentlich vereinfacht.
Hat man nun durch die oben geschilderten einfachen Mass-
’) Die M&rktkontrolle der Knhmilch. Ostermayer. 1891.
*) Vergl. 26. Jahres v. d. V. f. öffentL Gesundheitspflege in Boetoek.
Dr. Litterski: Zwangs* Wiederimpfung bei Pockenepidenien. 97
nahmen dafür Sorge getragen, dass die Milch bis zum Verkaufe
in einem unverfälschten und möglichst reinen Zustande bleibt, so
ist die Aufgabe des Gesundheitsbeamten noch nicht beendet.
Vielmehr muss das Publikum regelmässig (im Sommer) öffentlich
hingewiesen werden auf die Gefahren, welche mit dem Genüsse
schlecht behandelter Milch für den Säugling verbunden sind. Die
Zeitungen nehmen, wie ich mich überzeugt habe, im Allgemeinen
gern solche Mittheilungen unentgeltlich auf, in denen zugleich die
Beschaffung eines billigen MUchkochapparates angerathen werden
kann. Wir haben in unserer Stadt eine Verkaufsstelle eingerichtet
für den Flügge’sehen Milchsieder (2 M.), dem eine seitens
der Polizei gelieferte Anweisung über die Behandlung der Milch
nach dem Kaufe beigelegt wird.
Ist so durch regelmässige Kontrolle eine reinliche und un¬
verfälschte Beschaffenheit der Milch bis zum Verkaufe und durch
Belehrung des Pulikums eine zweckmässige Behandlung derselben
nach dem Kaufe gewährleistet, so wird man die Genugthung
haben, dass zur Verhütung des deletären Brechdurchfalles der
Kinder alles geschehen ist, was gegenwärtig in kleinen Städten im
Bereiche der Möglichkeit liegt.
Zwangs-Wiederimpfung bet Pockenepidemien.
Von Ued.-Rath Dr. Litteraki, Kreisarzt in Grottkan.
Der Herr Kollege Dr. Flatten hat vollständig Recht, wenn
er, sich stützend auf einen Min.-Erlass vom 16. Juni 1883 in
Nr. 23 dieser Zeitschrift, Jahrg. 1902, erklärt, dass meine Mass¬
nahme bezüglich der Wiederimpfung sämmtlicher Einwohner
des Dorfes V., soweit diese in den letzten 10 Jahren nicht
mit Erfolg geimpft waren, rechtlich anfechtbar sei, da beim
Ausbruch von Pocken nach §. 65 des Regulativs von 1835
nur die Vaccination, also die Impfung der noch Ungeimpften er¬
zwungen werden kann, aber nicht die Wiederimpfung der einmal
bereits im Leben Geimpften. — Jede Zwangs-Wiederimpfung von
Angehörigen, Nachbarn etc., gleichgültig, ob die erste Impfung
20 oder mehr Jahre zurückliegt, würde also rechtlich unzulässig
sein, sobald die betreffenden Personen ihre Impfung in glaubhafter
Weise (durch Vorlegung des Impfscheines) nachweisen, denselben
kann dann nach § 56 des Regulativs die Wiederimpfung nur em¬
pfohlen werden.
Allerdings ist in §. 55 von der Vaccination „noch ansteckungs-
fähiger Individuen“ die Rede und nicht von der „noch Unge-
impfter“. Jedoch dürfte wohl nach dem Sinne dieser Para¬
graphen und namentlich in Verbindung mit dem Wortlaut des §. 56
damals „ansteckungsfähig“ gleichbedeutend mit „ungeimpft“ erachtet
worden sein. Nach unserer jetzigen Auffassung müssen dagegen
für ansteckungsfähig auch alle geimpften Personen angesehen
▼erden, sobald ihre Impfung oder Wiederimpfung 5—10 Jahre
zorückliegt. Von diesem unsern wissenschaftlichen sowie prak-
98
Aus Versammlungen und Vereinen.
tischen Erfahrungen und Anschauungen entsprechenden Stand¬
punkte bin ich bei meiner Anordnung ausgegangen. In einem
eventuellen Streitfälle würde es übrigens noch auf die juristische
Interpretation des §. 55 ankommen, wenn ich auch befürchte, dass
diese eher zu Gunsten der ersten, als der zweiten Auffassung
ausfallen dürfte. Jedenfalls würde ich in einem zweiten Falle
wieder ebenso wie in dem mitgetheilten verfahren; denn mit
blossen Empfehlungen ist nach meiner Ansicht überhaupt nichts
zu schaffen.
Wie oft ergreift z. B. die Polizei-Verwaltung Massregeln
und führt sie durch, wenn es sich darum handelt, das Wohl
der Menschheit zu schützen und vor Gefahren zu bewahren,
elbst wenn diese Massregeln rechtlich auf recht wackligen
Füssen stehen. Wenn man sich bei der Bekämpfung der Cholera
in den Jahren 1892, 1893 und 1894 z. B. in Nackel, die ich selbst
erlebt, immer ängstlich gefragt hätte, lässt sich die zu verordnende
Massregel auch gesetzlich aufrecht erhalten oder nicht, dann würde
die Seuche auch nicht mit so vorzüglichem Erfolge wie damals be¬
kämpft sein. Fast alle Regierungspräsidenten in den acht älteren
Provinzen haben z.B. die Anzeigepflicht bei Diphtherie, Wochenbett¬
fieber, Kopfgenickkrampf u. s. w. durch Polizeiverordnung angeordnet,
trotzdem diese Anordnung nach wiederholten Entscheidungen des
Kammergerichts gesetzlich unznlässig ist; die Polizeiverordnungen
werden aber gleichwohl aufrecht erhalten, weil sich die Be¬
stimmungen des Regulativs als unzureichend erwiesen haben und
man sich sagt, dass die Ungesetzlichkeit der im öffentlichen Ge-
sundheitswohle unbedingt nothwendigen Verordnung den wenigsten
Leuten bekannt ist. Das Publikum ist jedenfalls in dem Glauben,
dass beim Ausbruch von Pocken die Polizeibehörden mit Zwangs-
massregeln auch gegen die Wiedergeimpften Vorgehen können;
deshalb ist die von mir getroffene Anordung auch nicht auf den
geringsten Widerstand gestossen. Zweifellos entspricht es auch dem
Allgemeinwohl mehr, das Publikum durch Anordnung der Zwangs¬
impfung in diesem seinen Glauben zu bestärken, als mit ver¬
schränkten Armen zuzusehen, wie sich eine der gefährlichsten
Seuchen weiter verbreitet, und offen zu erklären, wir sind mit
unserem Latein zu Ende, wir haben wohl ein sicheres Mittel zur
Eindämmung der Seuche, aber seine Anwendung ist gesetzlich
nicht ein wandsfrei!
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die II. dienstliche Versammlung
der Hedizinalbeamten des Reg.-Bes. Marienwerder in
Graudens am 16. Oktober 1901.
Anwesend sind: Geb. Ober-Med. -Rath Dr. Schmidtmann- Berlin,
Reg.- and Med.-Rath Dr. t. Hake-Marienwerder, die Ereisftrste Dr. Dr.
Heynaoher-Graudenz, Matz-Dt. Krone, Heise-Colin, Wagner-Schwetz,
Hasse- Plato w, S t e g e r - Tborn, Hopmann-Briesen, Kasten- Marien werder,
ßanick-Scblochan, Schmid t-Tochel, Schlee-Loeban, P o 81 - Strasburg,
t. Gizycki-Stnhm, der Kreisassistenzarzt Dr. Koenig-Sehwetz und als
Aus Versammlungen und Vereinen.
99
Oiste die pro pbysioatu geprüften Dr. Dr. Generaloberarst a. D. Kannen»
berg-Marien werder, Kreispbysikus s. D. Wolff, Oberstabsarst Brix, Ober-
stabearst a. D. Schondorf, Sander-Grandens, Curtius-Gollub, Gru-
maeb - Riesenburg.
Nach kurzer BegrUssung des Herrn Geb. Ober-Med.-Raths Dr. Schmidt-
aaan, so wie der anderen Medizinalbeamten and Giste durch den Vor¬
sitzenden, Beg.-u. Med.-Rath Dr. v. Hake, wies ersterer auf die Wichtigkeit
derartiger Versammlungen hin, die ein wesentliches Unterstützungsmittel zu
einer Segens- und erfolgreichen Durchführung des Kreisarztgesetzes seien. Mit
Geasgthuung und hoher Befriedigung habe auch der Herr Minister Kenntniss
Ton der regen Theilnahme der betheiligten Beamten, sowohl der Medizinal¬
beamten, wie der Verwaltungsbehörden an der Durchführung des Gesetzes
genommen.
Kreisarzt Dr. Hasse-Flatow referirt sodann: Ueber Ortsbe¬
sichtigungen im Zusammenhang mit den gleichzeitig auszuführenden Sehul-
beeichtigungen. (§. 69 und §. 94 der Dienstanweisung.)
Nach kurzer Anführung des Inhalts des §. 69 und der Bemerkung, dass
nach seinen Erfahrungen eine gelegentliche Ortsbesichtigung schon wegen
des Umfanges des Gesch&fts nicht möglich sei, geht Referent an der Hand des
für die Ortsbesiehtigungen Torgeschriebenen Formulars die einzelnen Abschnitte
desselben durch.
Im Abschnitt I wünscht er einen kurzen Ueberbliok der Epidemien, die in
dem Orte öfter aufgetreten sind, sowie auch die Zusammenstellung besonders
wichtiger Erkrankungen, wie Krebs, Tuberkulose, Unterleibstyphus, auch toü
Weichselzopf und Windpocken, da hin und wieder auch richtige Focken als
Windpocken bezeichnet werden.
Im Abschnitt II stellt er Normen und Mindestmasse für Wohnungen
ad besonders Sohlafrtume auf; die meist im Argen liegenden Abortanlagen
sind Tornehtnlich zu prüfen. Leider enthält die Bau - Polizeiverordnung für
die Prorinz Westpreussen für die Städte und für das platte Land vom 23. Juni 1891
in Bezug hierauf keine Bestimmungen. Lehmfussböden sollten am besten über¬
haupt verboten werden.
Im Abschnitt IU bei Besprechung der Wasserversorgung und der
Verunreinigung der Wasserläufe vertritt er die Ansioht, dass die in
der erwähnten Bau-Polizeiverordnung für die Städte im §. 80 vorgeschriebene
Entfernung von mindestens 10 Meter zwischen Brunnen und Dungstätte zu
gering bemessen sei, wenn es sich um Ziehflachbrunnen mit hölzerner Aus¬
kleidung handelt; in der gleichen Verordnung für das platte Land sind hier¬
über überhaupt keine Bestimmungen enthalten. Neubauten derartiger Brunnen
müssten von vornherein polizeilich nicht mehr gestattet werden. Des Weiteten
weist Referent auf die Unsitte des Waschens unsauberer Wäsche in der Nähe
der Brunnen hin. — Besonderes Augenmerk sei auf die Reinhaltung der Ge¬
wisser zu richten und bei schwieriger Beseitigung der Abwässer sollte mehr,
wie es bisher geschieht, ein Gutachten der Königl. Versuchs- und Prüfnngs-
aastalt für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung eingebolt werden.
In dem folgenden Kapitel: Nahrungs- und Genussmittel, sowie
Gebrauehsgegenstände geht Referent näher auf den Verkehr mit Milch ein.
In Molkereien ist die Privatwohnung von den Betriebsräumen vollkommen zu
trennen. Die Milchznfuhr aus verseuchten Haushaltungen ist zu verbieten, die
gemischte Milch vor der Entrahmung zu pasteurisiren und besonders ist darauf
so achten, dass die Senkgruben, in welche die Milchabwässer kommen, aus-
gemauert sind und regelmässig desinflzirt werden, da gerade diese Abwässer
einen besonders geeigneten Nährboden für Krankheitserreger abgeben. Mit den
gebräuchlichsten Milcbprüfnngsapparaten muss der Kreisarzt vertraut sein. —
Anzahl und Ausbildung der Trichinen- und Fleischbeschauer sind nicht aus-
reichend, zweckmässig seien auf dem Lande die intelligenteren Lehrer mit diesem
Amt zu betrauen.
Absohnitt VI: Schulen wurde am Schluss besonders besprochen.
Ferner klagt Referent über die unzweckmässige Einrichtung der kleinen
Gefängnisse, besonders auf dem Lande. Auch die staatlichen Gefängnisse
sind oft unzureichend, namentlich bezüglich des vorgeschriebenen A Luft- nnd
Lfehtraumes; ausserdem fehle es oft an Krankensellen.
Die Fürsorge für Kranke und Sieche auf dem Lande sei sehr
100
Ans Versammlungen und Vereinen.
mangelhaft; ee fehle an Unterkunftsräumen and armenärztlieher Behandlung.
Bei den Ortsbesiohtigungen seien besonders nach die Aufenthaltsräume der in
Priratpflege befindlichen Geisteskranken, sowie der Haltekinder zu besuchen.
Die Frage der Volksbäder sei auf dem Lande ganz, in den kleineren
8t&dten meist vernachlässigt.
ln Bezug auf das Begräbniss wesen habe er häufig Begräbnisse
Ordnungen ganz vermisst; Leichenhallen seien nur sehr vereinzelt vorhanden.
Das Ergebniss seiner Betrachtungen fasBt Referent in folgenden Sätzen
zusammen:
„1. Die gelegentliche Vornahme von Orts* und Sohulbesichtigungen
wird der Gründlichkeit derselben nicht immer förderlich sein.
2. Es ist im ersten 5jährigen Turnus nicht die Abstellung sämmtlicher
hygienischer Missstände zu fordern, sondern es ist in den Forderungen Maas
zu halten, um die Bevölkerung nicht kopfscheu zu machen und bei ihr zu*
nächst allgemeines hygienisches Interesse zu erwecken. Das meiste Gewicht
ist zu legen auf Abortanlagen und Brunnenbauten; für die Westpreussisohe
Bau - Polizei Verordnung sind Zusatsbestimmongen insbesondere bes. Grösse
und Beleuchtung der Wohnräume, sowie Höhe der Fundamente erforderlich.
Das Auffangen der flüssigen Abwässer in zementgemauerten Gruben ist au be¬
achten und der Neubau von Holzziehbrunnen zu verbieten.
3. Der Kreisarzt kann durch die Ortspolizeibehörde erhöhte hygienische
Anforderungen besonders an Miethswohnnngen stellen.
4. Der Kreisarzt muss mit den Miohprüfungsapparaten, sowie mit dem
Wolpert’sohen Apparat zur Bestimmung der Kohlensäure vertraut sein.
5. Bs ist zu erwägen, ob den Lehrern die Trichinenschau zu über¬
tragen ist.“
Der Korreferent, Kreisarzt Dr. Banick-Schlochau,geht mehr auf die
städtischen Verhältnisse ein: Die Besichtigungen der Keller- und Giebel¬
wohnungen sind gerade in den Städten besonders wichtig; entere werden nicht
nur durch Wasser, sondern auch durch das Eintreten von Grundlnft oft
ungesund. — Es sei zweckmässig, bei der Revision von Geschäften mit
Nahrungsmitteln einen Polizeibeamten zuzuziehen und gewerbliche Betriebe,
wenn irgend möglich, nur im Beisein des Gewerbebeamten zu besichtigen. —
Krankenhausbesichtigungen sollten mit den Ortsbesichtigungen Bchon aus Mangel
an Zeit nicht verbunden werden.
In der nunmehr eröffneten Diskussion bemerkt der Vorsitzende, das
es nicht zweckmässig sein dürfte, in die Erörterung der These 6 des Referenten
einsutreten, ob den Lehrern die Trichinenschau zu übertragen sei. Von
dem Erlass einer Polizeiverordnung, die die Trichinenschau im Bezirk abändern
und u. A. auch die regelmässigen Nachprüfungen der Trichinenschauer durch
die Kreisärzte einfflhren sollte, sei Abstand genommen worden, da diese Materie
z. Zt. eine gesetzliche Regelung erfahre.
Ferner sei auch (von den zuständigen Behörden) der Erlass einer neuen
Bau-Polizeiverordnung schon in Erwägung gezogen. In Ermangelung
polizeilicher Vorschriften könne nicht allgemein verlangt werden, dass jede
Jauche- und Abortgrube ausgemanert sein müsse. Zunächst sei, nm den
dringendsten hygienischen Anforderungen gerecht zu werden, die trotz der so
ungünstigen pekuniären Lage der meisten Orte des Bezirks durchgefflhrt werden
müssten, der Erlass einer Brunnenordnung in die Wege geleitet; in dieser
fänden auch Bestimmungen für die Anlage von Abortgruben und dergleichen
Aufnahme. Zur Zeit schweben Erhebungen darüber, ob es möglich sei, für
die beiden angrenzenden Bezirke Bromberg und Marienwerder eine gemeinsame
Bruunenordnung aufsustellon. Von den den Medizinalbeamten aus der Zeit¬
schrift für Medizinalbeamte bekannten Brunnenordnungen des Dr. Schroeder-
Wollstein ‘und Dr. Finger-Potsdam erscheint dem Vorsitzenden die erstere
für den hiesigen Bezirk zu weitgehend, die letztere jedoch für nicht aus¬
reichend genug. —
Heynaoher-Graudeus bittet bei Erlass solcher Verordnungen tim
rückwirkende Kraft derselben; es müssten Minimalforderungen für Brunnen-
und Bauverhältnisse geschaffen werden. Er vermisst in den Referaten das
praktische Moment; er hätte weniger theoretische Auslassungen in den Vor¬
trägen gewünscht, dafür aber das gerne erfahren, was die Vortragenden nun
eigentlich bei ihren Ortsbesichtigungen praktisch gethan hätten, wie sie vor-
Aus Versammlungen und Vereinen.
101
fahren wären. Nach seiner Ansieht müsse die Ortspoliseibehörde yollsfthlig
der Besichtigung beiwohnen; jedes Hans, jeden Abort könne der Kreisarzt
unmöglich besichtigen, da dies bei der Ausdehnung der hiesigen Ortschaften
mit ihren vielen Ausbauten nicht möglich sei. Jeder Kreisarzt wisse, was
aöthig und erforderlich sei, aber was ist praktisch wirklich gethan ? Vor allen
Dingen müsse auch darauf gedrungen werden, dass jede Arbeiterwohnung
wenigstens 2 Bäume habe.
Beferent erwidert, dass die Behörden entsprechend der Dienstanweisung
ungeladen seien, freilich Bei oft Niemand erschienen. S c h 1 e e - Löbau beklagt
sieh darüber, dass er nie erfahren habe, was eigentlich auf seine Vorschläge
tob Seiten der Ortsbehörden erfolge.
Der Vorsitzende bemerkt dazu, dass nach der Dienstanweisung von den
sirei aufzunehmenden Verhandlungen, die eine mit den Vorschlägen des Kreis¬
arztes versehen, an den Landrath einznsenden ist, und dass diese Verhandlung
von dem Landrath mit den Mittheilungen über die getroffenen Anordnungen
später dem Kreisarzt zurückgegeben werden muss. Dieses Exemplar ist vor-
sehriftsmässig in den Akten aufzubewahren. Ist der Kreisarzt mit den ge¬
troffenen Massnahmen nicht zufrieden, so hat er die Sache dem Begierungs-
präsidenten weiter zu unterbreiten.
Eine längere Debatte entspinnt sich Uber die Abfassung der Ver¬
handlungen an Ort und Stelle. Insbesondere weist H ey n a c h e r darauf hin,
dass bei dem Mangel an Schreibhülle es nicht möglich sei, zwei Verhandlungen über
die Ortsbesichtigung und, findet auch noch eine Schulbesichtigung statt, eine dritte
Verhandlung über diese aufzunehmen; — eine vierte Verhandlungsabschrift von der
Sehulbesichtigong muss auch noch bei den Akten des Kreisarztes bleiben — nur
bei letzterer habe man allenfalls SohreibhUlfe. Sei es schon jetzt manchmal bei
grösseren Ortschaften schwierig, so könnten dann wohl gewöhnlich nicht mehr
als eine Ortsbesichtigung ausgeführt werden. Kasten schliesst sich gleichfalls
dieser Auffassung an und meint, dass andernfalls die Oberrechnungskammer
wohl nicht einverstanden sein werde mit den unvermeidlichen höheren Beise-
koeten. An der Diskussion betheiligten sich weiter Banick, Post, Wagner,
ächlee. Letzterer will ent am Ende aller Ortsbesichtigungen dem Land¬
rath ein Besumö einreichen, was vom Vorsitzenden für unrichtig und den
Bestimmungen nicht entsprechend erklärt wird. Schlee empfiehlt dann bezüg¬
lich der Verbesserung der Wohnungen der armen Leute, namentlich bei Ge¬
legenheit akuter Krankheitsfälle energisch, auch wohl drohend, vorzugehen, um
die gestellten Forderungen durchzusetzen. — Auf Anfrage erklärt der Vor¬
sitzende, dass, obgleich es nicht vorgeschrieben sei, doch bei Besichtigung
der Gefängnisse der Gefängnissvorsteher benachrichtigt werden müsse.
Vorsitzender betont weiter, dass nach dem deutlichen Wortlaut der
Dienstanweisung eine Verhandlung jedes Mal an Ort und Stelle aufgenommen
und von den Anwesenden sofort unterzeichnet werden müsse. Es sei
durchaus falsch die Verhandlung nachträglich nach gemachten Notizen zu
Hause aufsunehmen und sie den Betheiligten zur Unterschrift zuzuschicken. Ob
es angängig sei naohsulassen, dass die Abschrift an den Landrath erst später
gemacht werde, darüber habe er nicht zu entscheiden, da auch diese an Ort
und Stelle durch die Dienstanweisung vorgeschrieben sei. Geh. Ober-Med.-Bath
Dr. Schmidtmann bemerkt auf eine diesbezügliche Frage: „Er sei nioht
beauftragt. Erklärungen abzugeben, sondern zuzuhören, und er habe dies mit
Freuden gethan. Die zur Erörterung stehenden Paragraphen seien einige der
wichtigsten der Dienstanweisung, denn dem Kreisarzt sei hierdurch Gelegenheit
gegeben, in der weitgehendsten Weise den Kreis und die Bevölkerung, auch
die sozialen Verhältnisse kennen zu lernen; bedauern müsse er jedoch, dass ab
uzd zu ein Ton des Murrens und der Unzufriedenheit durobgeklnngen sei, ge-
wiesermassen ein Vorwurf, als ob die obere Behörde etwas schlecht und un¬
praktisch gemacht habe. Dies sei eine Verkennung. Die Dienstanweisung sei
für Preussen erlassen, konnte also nicht auf jeden einzelnen Bezirk und Kreis
besonders Büoksicht nehmen. Sie hat die Grundzüge festgelegt und innerhalb
dieses Rahmens hat die Ausführung im Einzelnen unter Berücksichtigung der
örtlichen Verhältnisse sinngemäss zu erfolgen. Br müsse auch gegenüber einer
Asasserung betonen, dass der Kreisarzt nioht Polizeibeamter sei, sondern vor-
ühalich der Berather der Behörde und der Bevölkerung auf dem Gebiete des
ftswnilhsiNirssnni sein solle. Das Masshalten sei sehr dankenswert!! und das
102
Aas Versammlungen and Vereinen.
sei im Referat erfreulicher Weise nun Ausdruck gebracht. Die anfänglichen
Schwierigkeiten würden mit der Zeit schwinden. Der Ansicht, dass die Ge*
meinde- and Amtsvorsteher bei den Besichtigungen sagegen sein sollen, kOnne
er nar beitreten. Bezttglieh der Verhandlungen sei die Aasfüllang and Unter-
seichnang des einen Formulars an Ort and Stelle unumgänglich nöthig;
es müsse aber auch Zeit sein, gleich eine Abschrift der Verhandlung an Ort
und Stelle anzufertigen, wie dies die Dienstanweisung, die sachlich das Richtige
getroffen habe, vorschreibe.
Bei der nunmehr folgenden Erörterung des Abschnittes „Schulen* be¬
mängelt Referent Hasse nach knrser Erörterung der Bestimmungen der
Dienstanweisung die häufige Benutzung der Schulräume zur Impfung, zum
Gottesdienst und zu sonstigen Versammlungen, ferner das Fehlen ausreichender
Spielplätze, Aborte, Brunnen und dergleichen. Zum Schluss stellt er folgende
Thesen auf:
1. Die Schulbesichtigung bleibt der weitaus wichtigste und in ihren ver¬
bessernden Folgen wirksamste Theil der Ortsbesichtigung.
2. Die Schulräume sind nur zu Unterrichtszwecken zu verwenden.
8. Die Lehrer wohnung muss getrennt von den Sohulräumen sein, mit
besonderem Eingang.
4. Die Untersuchung der Schulkinder besteht in der Augenprttfung nach
Snellen, der Hörprüfang mittelst Flüstersprache, der Prüfung der Rückgrats*
besehaftenheit und der Untersuchung elender, schwächlicher Kinder mit Auf¬
nahme einer kurzen Anamnese.
Der Vorsitzende eröffnet die Diskussion mit dem Ersuchen, die
Verhandlungen über Schulbesichtignngen durch den Landratb, wie vorgeschrieben,
an die Regierung and nicht an den Regierungspräsidenten einzu-
reichen. Dann erörtert er die Frage nach der Zweckmässigkeit der Anstellung
von besonderen Schulärzten: diesen liege die gesundheitliche Ueberwachung
der Schulkinder ob. Es sei zunächst nur in Erwägung gezogen in den beiden
grösseren Städten des Bezirks, in Graudenz nnd Thorn, diese Sache in An¬
regung zu bringen. Die Anstellung von Schulärzten in kleineren Städten und
besonders auf dem Lande sei nicht gut durchführbar.
Steger-Thorn fürchtet, dass in grösseren Städten eine Ueberlastung
der Kreisärzte, falls ihnen dies Amt übertragen werde, eintrete; anderseits
müsse dem Kreisärzte eine gewisse Oberaufsicht gewahrt bleiben.
Geh. Ob.-Med.-Rath Dr. Schmidtmann vertritt den Standpunkt, dass
die Schularzteinrichtung gefördert, nicht gefordert, werden mÜBse. Die
Bezahlung der Schulärzte ist Sache der Schulgemeinde, nicht des Staates.
Schlee giebt an, dass bei den Schulbesiohtigungen oft nur der Lehrer
anwesend sei und ken Mitglied des Schulvorstandes. Der Vorsitzende kann
dies aus den eingegangenen Protokollen nicht bestätigen. Als Schalvorstand
komme nicht nur der Ortsschulinspektor, sondern auch jedes andere Gemeinde¬
mitglied, welches zum Schulvorstande gehöre, in Frage. Es sei zwar nicht vor-
gesohrieben, doch wünschenswert!!, dass die Verhandlungen von den anwesenden
Mitgliedern mit unterschrieben werden. Vorsitzender stellt in Aussicht, dass die
Schulvorstände nochmals darauf hingewiesen werden sollen, bei den Besichtigungen
zugegen zu sein. Ferner sei es zweckmässig, in dem Begleitschreiben, das mit
der Verhandlung einzureiohen ist, der Reihenfolge nach die Missstände kurz
anzuführen, die sich bei der Besichtigung ergeben haben und zwar in der Reihen¬
folge der Dringlichkeit. Bei den zu machenden Vorschlägen sei Vorsicht am Platz,
namentlich in Bezug auf bauliche Aenderungen; es solle nicht heissen: „Die
Abort- und Dunggrube muss auszementirt werden*, sondern „die Grube ist nicht
wasserdicht und muss entsprechend hergestellt werden*. Ob diesem Uebelstande
durch Aufstellen wasserdichter Tonnen, oder sonst wie abgeholfen wird, ist
8ache der Regierung. - Die Schulbauvorlagen sind mit einem Prüfungsver¬
merk zu versehen und dann dem Kreisbauinspektor zurück- und nioht
der Regierung weitersureiohen.
Korreferent Baniok-Schlochau rügt die Unzulänglichkeit der meisten
Turn- und Spielplätze, sowie der Lehrerwohnungen. Den Spucknäpfen in den
8chulstuben misst er keinen Werth bei, da sie doch nicht benutzt werden.
Vorsitzender erklärt, dass den Bestimmungen gemäss, die Spuck¬
näpfe vorhanden sein sollen, und dass er dies auch nur für zweckmässig halten
könne; zu empfehlen sei, dass dieselben mit Wasser, oder noch besser mit einer
Ana Versammlungen and Vereinen.
103
5—10 pro*. Lysollösung gefüllt seien. Diese Spnckn&pfe seien besonders zum
Gebrauche für den Lehrer, znm&l wenn derselbe an Hasten leide, aafgestellt;
tob den Sehalkindern selbst werden ja dieselben in Wirklichkeit nicht benntat
werden können, schon der Störung des Unterrichts wegen. — In jedem Schulranm
sei ein 1,6 m hoher Oelfarbenanstrich zu erstreben; die Farbe der Wände sei
möglichst graublau, die der Decke weias gehalten. Die Reinigung der Schul-
rftame durch Schulkinder sei möglichst zu beseitigen, direkt zu verbieten sei
es jedoch nicht, da die Ministerialerlasse vom 2. November 1868 und vom
8. Mai 1885, nach denen die Reinigung durch Schulkinder zulässig ist, noch zu
Hecht beständen. Weigere sich die Gemeinde für die Kosten, die durch die
anderweitige Reinigung entstehen, aufzukommen, so sei mit Strenge dafür
8orga za tragen, dass der Reinigung stets ein nasses Aufwischen vorhergeht.
Bezüglich der Schulbänke Bei ein neues Modell von der Bauabtheilung der Re¬
gierung aasgearbeitet, dessen Beschreibung in der nächsten Zeit den Kreis¬
inten zugehen werde. Der Vorsitzende hofft, dass die nach der jetzigen Vor¬
lage noch 6 bezw. etwa 7 cm betragende Plusdistanz auf 5 cm herabgesetzt
wird. Za beachten ist, dass die letzte Bank 0,3 cm mindestens von der
Wand abstehen und eine Rücklehne haben soll. — Dachrinnen sind bei vor-
springenden Dächern nicht unbedingt erforderlich. — Als bestes Mittel, Graben
dicht za machen, wird statt der Auszementirung bei der Ausmauerung die
Verwendung eines Mörtels aus einer Mischung von Theer und Sand bezeichnet.
— Bei Brunnen muss eine Abdeckung am besten mit Steinplatten verlangt
werden. Entlüftungsrohre sind nicht erforderlich, da sie sich leicht verstopfen
ud keine genügende Sicherheit bieten. — In jedem einzelnen Fall von Neu¬
bauten solle darauf gehalten werden, dass die Fensterfläche mindestens '/* der
Bodenfläche des Zimmers haben; in Nr. 3 des Formulars über die Besichtigungen
ist statt „G1 asfläche" das Wort „Fensterfläche" zu setzen. — Der These, dass
die Schmlräame nur zu Unterrichtszwecken zu benutzen seien, stimmt Vor¬
sitzender nicht ganz bei. Gerade bei den hiesigen ländliohen Verhältnissen
lasse es sich oft nicht umgehen, dass die Schulräume namentlich als Impflokal
Verwendung finden; andere Räume, insbesondere Dorfschenken, wenn dieselben
überhaupt vorhanden seien, könnten oft nicht in Frage kommen.
Za These 3 wünscht der Vorsitzende, dass in dem Bericht seitens
der Kreisärzte, falls es sich am eine neuere Schule handelt, ungefähr du Bau¬
jahr angegeben wird, um ersehen zu können, ob die Schule vor dem Ministerial¬
erlass vom 15. November 1896, betr. Bau und Einrichtung ländlicher Volks¬
schulen, bestanden habe, oder ob sie erst später gebaut sei. — Bezüglich der
Sehülerkrankheiten weist er besonders auch auf die Granuloseuntersuchungen
ud auf die strenge Beobachtung der von dem Herrn Minister unter dem
20. Mai 1893 gegebenen „ Anweisung zur Verhütung der Uebertragang an¬
steckender Angenkrankheiten durch die Schule" hin.
Nach der Diskussion erfahren die Thesen folgende Aenderung:
1. Die Schulbesichtigang ist ein besonders wichtiger Theil der
Ortsbesichtignng.
2. Die Schulräume sind möglichst nar zu Unterrichtszwecken za
verwenden.
n. Zn dem zweiten Punkte der Tagesordnung: Geber die Verhütung
und Bekämpfung gemeingefährlicher oder sonst übertragbarer Krank¬
heiten“ referirt Dr. S teger-Thorn. Er erwähnt zunächst die Regelung
dieser Materie durch die Dienstanweisung; das Regulativ vom 8. August 1886
sei alt und überlebt; der Erlass eines Seuchengesetzes, das besonders auf die
am häufigsten vorkommenden ansteckenden Krankheiten Bezug nimmt, sei
dringend erforderlich, insbesondere sei auch die Anseigepflicht auf „verdächtige*
Bälle aussudehneu. Sodann befürwortet er die Portofreiheit für die Melde¬
karten der praktischen Aerzte; desgleichen muss es als dringend wünschens-
werth bezeichnet werden, wenn den Gemeinden durch die Feststellung der
ersten Krankheitsfälle keine Kosten erwachsen, da hierbei doch das staat¬
liche Interesse vorwiegend betheiligt sei. Dann geht Referent auf die Be¬
sprechung von Cholera, Gelbfieber, Pest im Einzelnen ein.
Bei der vorgerückten Zeit konnte Referent sich nur kurz über die
Schutzmassnahmen verbreiten, die er nach Massgabe des §. 84 erläutert. Endlich
wurde auch das Gebiet der Desinfektion besprochen.
104
Kleinere Mitteilungen und Bef ernte au Zeitschriften.
Nachdem Korreferent hon snr (Anseigepflicht du Wort genommen,
wurde der Vortrag abgebrochen und du Thema nochmals auf die Tagesord¬
nung der nächsten Versammlung du hiesigen Medizinalbeamtenvereins gesetit.
Bine solche nicht dienstliche Versammlung wurde vom Vorsitzenden im
nächsten Frühjahr in Aussicht gestellt. — Mit einem kurzen Schlusswort
wurde die Versammlung gegen 8*/, Uhr Nachmittags geschlossen.
Ein gemeinsames Mahl im „Schwarzen Adler" vereinte die Theilnehmer
noch bis zum spiten Abend. Kasten- Marien werder.
Kleinere Mittheilungen und Referate aue Zeitschriften.
Bakteriologie, Infektionskrankheiten und Öffentliches
Sanitätswesen.
Zur Aetiologie des Becurrenstyphus. Von Dr. Justin Karlinski
in Cajnica, Bosnien. Vorläufige Mittheilung. Zentralblatt' für Bakteriologie,
Parasitenknnde und Infektionskrankheiten; L Abt., 1902, Bd. 81, Nr. 12.
Die Kultivirung der Recurrensspirochäten ist bis heute noch nicht ge¬
lungen und auch die diesbezüglichen Versuche du Verfassers haben trotz Ver¬
wendung zahlreicher verschiedener Nährboden zu keinem Resultat geführt.
Aus diesem Qrunde blieb bisher auch die Axt und Weise der Oebertragung der
Krankheit in Dunkel gehüllt. Den eifrigen Bemühungen du Verfassers ist es
gelungen, diese letztere Frage etwas zu klären.
Von der Beobachtung ausgehend, dass das Becurrensfieber hauptsächlich
die ärmere Bevölkerung Bosniens befällt, die in ihren unsauberen Behausungen
von Ungeziefer fast buchstäblich aufgefressen wird, untersuchte er den Darm¬
inhalt von Wanzen, Läusen und Flohen. Er fand bei den beiden letzt-
K nannten Thiergattungen nie Spirochäten; dagegen beobachtete er, dass die
ateren sich im Darminhalt der Wanzen in Musen und oft zu Knäueln ver¬
schlungen finden und bis zu 80 Tagen beweglich erhalten. Er glaubt nun, dass
dadurch, dass die Wanzen die Menschen beissen und in der Nähe der Bissstelle
ihre Fäces deponiren, den in letzteren enthaltenen Spirochäten der Eintritt in
die Blutbahnen des betreffenden Mensohen ermöglicht ist.
So erklärt Verfasser auch die Beobachtung, dass bei der leichten Bauart
der bosnischen Häuser die gebräuchliche Desinfektion, Streichen der Wände
und Scheuern der FussbOden, nicht im 8tande ist, die Krankheit aus einem
Hause, in dem einmal ein Fall von Becurrenstyphus vorgekommen ist, zu be¬
seitigen, da die Wanzen in ihren Schlupfwinkeln durch die Desinfektionsmittel
nieht abgetOdtet werden. Nur energische Vertilgung dieser Thiere kann nach
Ansicht des Verfassers der Weiterverbreitung der Krankheit Einhalt thun.
Verfasser machte bei seinen Untersuchungen auch die Beobachtung, dass
bewegliehe Spirochäten im Blute von Leuten, die vor 5—6 Woohen die Krank¬
heit überstanden hatten, in 1—2 Stunden ihre Beweglichkeit einbüssten und
sich streckten (BakterioidieP), während sie sich im Blute von Kranken 4—6
Tage beweglich erhalten; jene Eigenschaft verliert das Bekonvalenzenten-Blut
aber schon nach ca. 4—6 Monaten nach dem Ablauf der Krankheit. Dem ent¬
spricht auoh das häufige Vorkommen von Neuerkrankungen an Becurrens schon
nach 4 Monaten. Dr. Lents-Berlin.
Upon a spinial method for the detection of the typhoid b&cillns
in the olood. By Aldo Oastellani, M. D., Assistent, Medical Clinic,
Fiorence. Front the Jenner Institute of Preventive Medicine, London. Ibidem.
Castellani entnimmt zum Nachweis der Typhnabazillen in dem Blute den
Patienten mehrere ocm Blut aus der Armvene — und vertheilt dieselben auf
mehrere (5—6) KOlbohen, die 800 ocm schwachalkalischer Bouillon enthalten.
Die Kölbchen kommen in den Brutschrank. So konnte er bei 12 von 14 Typhus¬
kranken die Bazillen nach weisen, die weiterhin ihr Wachsthum auf den ge¬
bräuchlichen Nährboden und die Agglutination als Typhusbasillen kennseich-
neten. Die Bazillen wuchsen nicht Tn allen Kölbchen, oft nur in 1—2 von 6.
Er machte bei seinen Untersuchungen die interessante Beobachtung, dass
die Bazillen, wenn das Blut der Patienten Agglutinationsersoheinungen zeigte,
KMam Mittheilnngca «ad Brfent« tu Zeitschriften.
106
lieht unter gleiehmlssiger Trübung der Bouillon, eondeni in Häufchen (Agglu¬
tination?) um Boden der Kölbohen wuchsen, wfthrend die Bouillon darttber
klar blieb. _ Dr. Lenti-Berlin.
Beitrag nur kulturellen Typhusdiagnose. Von Dr. Friedr. Krause,
HUfsaeeistenten am Institute. Aus dem KönigL hygienischen Institut in Posen
(Direktor: Medisinalrath Professor Dr. Wernieke). Mit 1 Tafel. Archiv
L Hygiene; Bd. 44, Heft 1.
Gelegentlich einer Nachprüfung des Weyl’sehen und Piorkowski’-
ichen Typhusnthrbodens und daran sich ausohliessender weiterer Untersuchungen
konstruirte Krause einen neuen N&hrboden, auf welchem der Typbus in ganz
charakteristischer Weise wachsen soll. Dieser Nihrboden wird folgendermassen
bereitet: 1 Theil gewöhnlichen 8proz. Peptonfleischwasseragars wird mit 2
Thailen einer 20proz. Peptonfleisohwassergelatine, beide vom Koohsalsgehalt
0,7—0,8 °/o, gemischt. Sodann wird in der Mischung durch Titration gegen
Phenolphthalein ein Sfturegrad, welcher 0,27—0,8°/ 9 Milohs&ureazidit&t = 2,97
bis 3,3*/» Normaliaugendefisit entspricht, hergesteilt. Sodann wird su der
warmen Lösung 2,5 */» in möglichst wenig Wasser gelösten und flltrirten reinen
Harnstoffs hinzugesetzt und sogleich, wfthrend der Kolben mit dem fertigen
Nfthrboden auf dem Wasserbade verbleibt, zu je 10 ecm auf Röhrchen gefüllt.
Letztere werden sodann noch ein Mal 15 Minuten lang in strömendem Dampf
sterilisirt.
Soll der Nfthrboden für den Gebrauch aufgesohmolzen werden, so empfiehlt
es sieh, um die Zersetzung des Harnstoffes durch Hitze möglichst auf ein Mini¬
mum zu beschränken, die Röhrchen für 2—3 Minuten in kochendes Wasser zu
stellen und dann in Wasser von 45° zu bringen. Sie werden dann in der üb¬
lichen Weise mit dem su untersuchenden Material beschickt und zu Platten
ansgegossen. Wenn hier der Nfthrboden erstarrt ist, kommen die Platten in
den Brutofen (87*).
Nach 14—15 Stunden bildet der Typhus bereits Kolonien, die mit blossem
Auge sichtbar sind. Mit etwa lOOfacher Vergrößerung erkennt man an den
blassgrau gef&rbten, tiefliegenden Typhuskolonien die charakteristischen Aus-
Uufer, wie sie Piorkowski für seine Harngelatine auch beschreibt. Dem
gegenüber sind die tiefliegenden Kolonien des Bacterium coli grösser, dunkel¬
braun und von einem wie aus Glassplittern zusammengesetzt erscheinenden
Hofe umgeben. Die oberflächlichen Kolonien verhalten sich wie auf gewöhn¬
licher Gelatine.
Die tiefen, charakteristisch aussehenden Typhus-Kolonien werden abge-
stoohen und weiter geprüft besonders mittelst der Agglutination mit einem
hochwerthigen spezifischen Serum. Letzteres ist besonders nothwendig, da auch
der Ruhrbacillus in dem Gelatine-Agar das gleiche Wachsthum zeigt wie der
Typhosbacillus; ausser diesen bildete nur noch ein nach Gram f&rbbares Kurs-
Stäbchen, das die Gelatine verflüssigt, ein ähnliches Wachsthum in dem Nähr¬
boden. Alle anderen untersuchten Bakterien, Kartoffelbacillus, Subtilis, Proteus,
Zopfii, Milzbrand wachsen gftnslich anders. Bei Reinkulturen von Typhus und
Coli und Gemischen von solchen konnte ersterer stets mit Sicherheit erkannt
werden. Der Nfthrboden ist jedoch erst an einem Typhusstubl praktisch erprobt
worden; auch hier ist die Isolirung prompt gelungen. Die beigefügten Ab¬
bildungen von Typhus- und Coli-Kolonien erlftutern die Angaben des Verfassers;
sie lassen den Unterschied zwischen den beiden Arten sehr deutlich erkennen.
_ Dr. Lents-Berlin.
Zur Pathogenese des Typhus abdominalis. Von Dr. H. Schott-
uüller-Hamburg (Eppendorfer Krankenhaus). Münchener mediz. Wochen¬
schrift; Nr. 38, 1902.
Verfasser fand bei seinen bakteriologischen Blutuntersuchungen von
Typknskranken in 50 Fftllen des Jahres 1899 40 mal = 80 */», in 69 Fällen
des Jahres 1900 58 mal = 84 */» und in 101 Fftllen des Jahres 1901/02 84 mal
— 84°/» der Fälle im Blute der Kranken intra vitam Typhus¬
bazillen.
Die Blutuntersuchungen wurden bei allen Typhuskranken nach der nfther
beschriebenen Methode in den ersten 12 Stunden nach erfolgter Aufnahme der
Kranken vorgenommen.
106
Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften.
Als Ergebniss der vom Verfasser mitgetheilten Untersuchungsbefunde
steht für ihn zunächst der hohe diagnostische Werth der Blntnntersnchnng
aasser allem Zweifel und dürfte derselbe an Zuverlässigkeit von keiner anderen
Methode (s. B. der Gruber- Widal’schen Seramreaktion) erreicht werden.
Wir haben darin ein Mittel, in einem sehr hohen Prosentsats der F&lle and
namentlich in einem sehr frühen Stadium .der Krankheit den Erreger
derselben innerhalb von ca. 24—80 Standen mit derartiger Sicherheit nachzu-
weisen, dass eine negatiTe bakteriologische Blntantersnchong bei hocbfiebernden
and schwerkranken Patienten, bei dem klinische Symptome eine sichere Dia¬
gnose nicht stellen lassen, die Annahme eines Typhus so gut wie ausschliesst.
Es ist ans aber in der Blatplattenknltur nicht nar ein diagnostisches,
sondern aach ein prognostisches Mittel an die Hand gegeben, insofern eine
absolut niedrige Keimzahl während der Akme die Anssicht auf Abfall des
Fiebers bietet, während amgekehrt hohe Zahlen m e i s t ein schweres Krankheits¬
bild begleiten. Diese Untersachungsergebnisse sind aach dazu angethan, in
gewisser Weise unsere Anschauungen über die Pathologie des Typhas za be¬
einflussen bezw. za stützen. Bisher meinte man vielfach, dass sich die Typhus*
bazillen zunächst im Lymphapparat des DarmeB ansiedeln and sich dort der
Krankheitsprozess zunächst and zur Hauptsache abspielt. Von hier ans finde
dann eine Weiterbeförderung der Bazillen anf dem Blatwege in andere Organe
statt. Angesichts der Beobachtungen des Verfassers, welche darthun, dass die
Bazillen vom ersten Fiebertage ab and während der ganzen Fieberdauer zum
Theil in recht erheblioher Menge im Blate kreisen, dass insbesondere die Fieber-
schwankungen von einem Steigen resp. Fallen der Keimmengen im Blate be¬
gleitet werden (hohe Zahlen während der Continua, niedrige im amphibolen
Stadium, Wiederauf treten der Keime bei ephemeren Temperatarsteigerangen etc.),
in Anbetracht dieser Thatsachen glaubt Verfasser, dass das Krankheitsbild,
speziell das Fieber bei Typhas dnrah die Anwesenheit der Bazillen im Blot,
dem für bakterielle Gifte empfindlichsten Organe des Körpers sehr wesentlich
beeinflusst, wenn nicht beherrscht wird. Dieser Auffassung za Folge sind zum
Bilde des Typhas die Darmveränderungen nicht unbedingt erforderlich, and
kann in dieser Affektion nicht der Hanptkrankheitsherd gesehen werden, wozu
noch kommt, dass die Ausdehnung and Zahl der Darmgeschwüre ganz unab¬
hängig ist von der Schwere des Falles.
Verfasser nimmt also an, dass Typhusbazillen an irgend einer Stelle
des Magendarmtraktas in die Darmwand eindringen und sich dort in den Lymph-
gefässen an der Eingangspforte vermehren. Von da aus findet dann eine
Weiterverbreitang der pathogenen Mikroorganismen in die abführenden grösseren
Lymphbahnen and die zugehörigen Lymphdrüsen statt. Man kann sich nun
vorstellen, dass in einzelnen Fällen der Krankheitsprosess in dem bezeichneten
Gebiete lokalisirt und bald zar Heilnng kommt, genaa so wie eine Strepto-
kokken-Lymphangitis an äasseren Theilen des Körpers heilen kann, ehe sie zn
einer Blatinfektion führt Damit wäre eine Erklärung für die Abortivfälle
des Typhas gegeben. In den meisten Fällen aber schreitet die Krankheit
fort und für diese dürfte die bisherige lokale Entwicklung des Leidens das
Stadiam der Inkubation des klinischen Krankl eitsbildea bedeuten. Es erfolgt
nämlich, wenn die Krankheitsparasiten den schützenden Wall der Mesenterial¬
drüsen überwanden haben, eine Infektion des grossen Lymphstammes and, da¬
mit des Blates, gerade wie bei septischen Erkrankungen nach Wundinfektion
von neaem lymphangitischen oder thrombophlebitischen Herd aas eine Ein¬
schwemmung von Streptokken in’s Blat eintritt. Mit dem Blatatrom gelangen
die spezifischen Erreger in die verschiedenen Organe, am dort entweder mehr
oder weniger charakteristische Erscheinungen hervorzurufen oder nur deponirt
zu werden. Auf diese Weise sind die Entstehung der Roseolen und Ent¬
zündungsherde im Knochenmark, sowie in den Follikulargebilden des Darmes
(gleichsam als Metastasen) za erklären.
Die Frage, ob bei Typhaskranken eine Vermehrung der Erreger im Blote
selbst intra vitam (eine postmortale konnte Verfasser öfters nachweiBen) statt-
flndet, oder ob nar während der Fieberperiode eine beständige Einschwemmung
von den Lymphbahnen erfolgt, konnte Verfasser nicht entscheiden; er hält
das letztere für wahrscheinlicher. Dr. Waibei-Kempten.
KUatn MHtbeilungeo «ad Referate aas Zeitschriften.
107
Die Verbreitung des Typhus durch Milch. Von Oberamtearat Dr.
Be mb old. Württembergisches Media.- Korrespondeneblatt; 1902, Nr. 89 u. 40.
Unsere bisherigen Kenntnisse Aber die Bedeutung der Milch und des
Milehumsatsea für die Verbreitung des Unterleibstyphus erfahren durch den
▼«stehenden Artikel nach einer bisher unbekannt oder unbeachtet gebliebenen
Seite eine wesentliche Ergänzung nnd Vervollständigung. Bicken und der
Referent kannten nur kleinere Milcbwirthschaften und Sammelmölkereien (sei
es für den Vertrieb von Milch, sei es für die Gewinnung der Butter), und auch
Löffler und Behla (s. nachstehend) haben nichts darüber gebracht, dass
noch ein anderer Gewerbebetrieb hierfür in Betracht zu ziehen ist, wie uns
Bembold nachweist, nämlich die Käserei. Ich weise nicht, ob die Käserei
auch anderorts eine grössere Bolle spielt, insbesondere ob auch in Norddeutsch¬
land; in Süddeutschland kommt sie jedenfalls in Betracht, und es verlohnt ent¬
schieden, Bembold’s Erfahrungen und Beobachtungen auch einem weiteren
Kreise zu vermitteln.
Bembold hat die Bedeutung dieser Käsereien für den Typhus aus einer
sehr beweiskräftigen Epidemie kennen gelernt, die in der Gemeinde Arnach im
Aehthale im Frühjahr 1899 auftrat und bis Ende 1900 anbielt. Von 112 Einwoh¬
nern sind 48 Personen erkrankt und 8 gestorben. Der schleppende Verlauf der Epi¬
demie hatte Anfangs ihre Bedeutung und ihre Ursache nicht deutlich erkennen
lassen; es war einige Zeit unmöglich, auf schwankende Vermuthungen hin energische
und für den Wohlstand und das Einkommen der Dörfler tief einschneidende
Maasregeln zu beschliessen und durchsuführen; schliesslich schwanden die letzten
Bedenken, und die verdächtigte Käserei wurde geschlossen. Als damit aber
die Erkrankungen aufhörten, und jüs so das Experiment die Richtigkeit der
gehegten Erwägungen bestätigt hatte, lenkte sich die Aufmerksamkeit allgemein
den Käsereien zu. Und davon sei nach Bembold etwas mitgetheilt:
Der Verfasser schreibt: »Im Allgäu und in den angrenzenden Bezirken
des württembergischen Oberlandes hat sich die Landwirtschaft in den letzten
Jahrzehnten der besser rentirenden Milchwirtschaft zugewandt. In jeder Ge¬
meinde wurden eine oder mehrere (je nach Parzellirung) Käsereien eingerichtet,
teils von einseinen Unternehmern, teils von Genossenschaften. — In diesen
Käsereien werden Butter und sogen. Backsteinkäse bereitet, die Magermilch
und das übrigbleibende Käsewasser gehört den Milchlieferanten und wird von
diesen wieder aus den Käsereien abgeholt und zu Schweinefutter verwendet.*
Bern bold vermutet, dass ähnliche Verhältnisse mit verhältnissmässigem Klein¬
betrieb noch in vielen Gegenden Deutschlands zu finden seien.
Die Schilderung lässt klar erkennen, dass alle die Punkte, die bisher als
für die Typhusübertragnng durch Milch richtig festgestellt worden sind, auch
hier vorhanden sind: Die Milch wird aus mehreren kleinen Einzelbetrieben
(Höfen, Häusern) zusammengebracht, hier, d. h. im Mittelpunkte der Genossen¬
schaft besw. des Einzelunternehmers, gesammelt; die für den jeweiligen Zweck
(Gewinnung von Butter oder von Käse) gewünschten Bestandteile der Milch
werden surfiekbehalten, die übrig bleibende Magermilch aber gelangt an die
MUchlieferanten zurück. Es findet sich bei den Käsereien also dieselbe Mög¬
lichkeit wie bei den Molkereien, dass von einem ersten Hause die ganze Milch
an der Zentrale mit Typhuskeimen durchsetzt wird, so in die Häuser der Ge¬
nossen zurückgelangt und hier die Gefahr bietet, neue Typhuserkrankungen zu
erzeogen, so bald wie sie nicht nur als Viehfutter dient, sondern auch einmal
ungekocht von Menschen genossen wird. Dass dies auch in Arnach stattge¬
funden hat, und wie es Bembold hat nachweisen können, ist Wer nebensächlich.
Die Aehnlichkeit der bisher beschriebenen Molkerei - Epidemien mit der
Arnacher Käserei-Epidemie erstreckt sich auch noch darauf, dass nichts davon
bekannt geworden ist, dass die in der Zentrale gewonnenen Produkte eben¬
falls Typhuserkrankungen verursacht hätten. Es ist ja ungemein schwierig,
wenn nicht unmöglich, den Butter- und Käsesendungen nacbzuspttren, wenn sie
erst einmal in den Handel gelangt sind und sich nun weit und breit zerstreut
haben. Anderseits ist es aber auch bemerkenswert):, dass m. W. noch nirgends
Feststellungen erhoben sind, wonach Typhusfälle, etwa in Gressstädten, auf
solche Molkerei- und Käserei - Produkte, wie Butter und Käse zurückzuführen
gewesen seien. Es wäre von Werth, wenn der Frage einmal entschieden nach-
gegangen würde, ob die Typhusbazillen, wie Bembold vermuthet, bei der
Zeatrifugirung in der Magermilch bleiben und gar nicht in die spezifisch leich-
108
Kleinere MittheUungen und Bahnte ui Zeitsehrilten.
teren Fett - Ausscheidungen gelangen, oder oh eie in der Butter und im Klee
untergeben, oder doch unschädlich werden, oder — ob doch eine gewisse Gefahr
bestehen bleibt.
Es würde in weit führen, hier noeh auf die Bedenken Rembold’s
gegen die allgemein zwangsweise einsuführende Pastenrisirung der in derartige
Muohzentralen gelangenden Uileh einzngehen. Diese Frage ist noeh nicht reif,
wie es aneh ans den Darlegungen B e h 1 a ’ s in dem Elin. Jabrbnehe hervor¬
geht ; sie ist aber in Fluss gebracht und wird insbesondere aneh noch von den
Technikern eingehend geprüft, insofern als die Beschaffung zuverlässiger, zu¬
gleich aber auch einfacher und billig arbeitender Apparate hierbei eine sehr
wichtige Bolle spielt.
In einem Punkte unterscheiden sich die Käsereien nach Rembold sehr
wesentlich von unseren Genossenschafts-Molkereien: sie sind fast durchweg
ganz ausserordentlich primitiv angelegt und grOsstentheils anscheinend, mit
Verlaub zu sagen, unaussprechlich unappetitlich, weil unreinlich und übelduftend,
benachbart mit Düngergruben und räumlich identisch mit Schlafstuben oder
Viehställen. Dies ist aber ein Kapitel, das nur Örtliches Interesse hat und
dem zuständigen Medizinalbeamten, sei es in Nord- oder Süddeutschland, ein
dankbares Gebiet für belehrende und eventuell auoh energisch einscbreitende
Thätigkeit bietet.
Das, was mir das wichtigste schien, ist die Erweiterung unserer Kennt¬
nisse, die uns Bembold auf dem bedeutungsvollen Gebiete der Typhus Ver¬
breitung durch den Milchverkehr gebracht hat. Und dafür wird ihm jeder
Dank wissen. Dr. Schlechtendal-Aachen.
Die Sammelmolkereien als Typhusyerbreiter. Von Med.-Rath Dr.
R. B e h 1 a. Klinisches Jahrbuch; 10. Band. Jena 1902. Verlag von G. F i s ch e r.
Die an 60 Seiten lange Arbeit B e h 1 a ’ s bedeutet eine erfreuliche Bereiche¬
rung der Litteratur dieses in den letzten Jahren so schnell grossgewordenen Son¬
dergebietes. Von den 16 Abschnitten schliessen sich einige, wie dies nicht zu
umgehen war, dem Aufsatze des Referenten im Wesentlichen an. Das besondere
Verdienst Behla’s beruht dagegen einmal in der Anführung einer recht
umfangreichen Reihe von Veröffentlichungen nnd Aufsätzen und sodann darin,
dass er sich eingehend mit der Frage beschäftigt, ob und wie eine Sterilisirung
bezw. Pastenrisirung der gesammten Vollmilch In den Sammelmolkereien duroh-
zuführen sei. Dass die Einführung der obligatorischen Pastenrisirung hier
.ein baldiges dringendes Postulat“ ist, wird jedem klar, der sich mit dieser
Frage beschäftigt und der verfolgt, wie stets wieder neue Typhusepidemien
festgestellt werden, die durch Sammelmolkereien entstanden sind; auch Behla
bringt hierfür einen neuen Beleg, indem er eine von ihm beobachtete Epidemie
im Gebiete der Dobrilugker Molkerei (Juli bis Dezbr. 1901; 47 Erkrankungen
in 82 Haushaltungen; 2Ö°/o Mortalität) schildert. Es stehen leider aber viel¬
fach nooh technische und wirtschaftliche Bedenken entgegen. Die technischen
Bedenken beruhen im Wesentlichen darin, dass es noch nicht gewiss ist, ob
die „im kleinen betreffs AbtOdtung der Keime mit Erfolg nnternommenen Ex¬
perimente auch im grossen bei der Gesammtmilch in Molkereien durchführbar
sind, und ob letzteres geschehen könne, ohne die Qualität der Milchprodukte
in schädigender Weise zu beeinflussen.“ Es schliessen sich weiter die Fragen
an: „soll man niedrige Temperaturen länger oder hohe Temperaturen kürzer
anwenden P Welcher Grad der Erhitzung kann angewendet werden, ohne dass
die Milch in Farbe, Geruch und Geschmack geschädigt wirdP Bietet die Tem¬
peratur von 85° einen Grenzpunkt, über den man nicht hinausgehen kann,
Uber den man aber auch nicht hinauszugehen brauchtP“ Behla verweist
dieserhalb theils auf die Untersuchungen Weigmanns (Milchzeitung 1901,
Nr. 27—28 u. s. w.), theils auf die zur Zeit wohl massgebendste Arbeit von
Tjaden, Koske nnd Hertel: „Zur Frage der Erhitzung der Milch mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Molkereien“, die vom Minister der Landwirt¬
schaft angeregt ist und auf experimentellen Prüfungen des' 1 Kaiserlichen
Gesundheitsamtes beruht in dessen Veröffentlichungen (Bd. XVTIT, Heft 2,
S. 219) zum Abdruck gelangte. Nach diesen Forschungen stehen allerdings
technische Bedenken nicht mehr entgegen. Die Erhitzung anf 90 0 stOsst nach
Behla aber auoh nicht auf wirtschaftliche Hindernisse, namentlich wenn
Heiser* WttkeUagn und Betest* ibi Zeitschriften.
109
die Milch nach auf 90 0 erhitst und darauf sofort wieder abgekühlt wird.
Weder Milch, noch Bahm erfahren eine uenneswerthe Geschmacksänderung; die
Butter ist nach Qualität und Qantitit gut; nur die Eisegewinnung ist er¬
sehwert. Es ist aber klar, dass es nicht nur auf die Apparate ankommt,
sondern auch auf die Art, wie Bie bedient werden n. s. w. Und so gelangt
Behla im Schlusswort su 15 Schlussfttsen, deren Beachtung und baldige Durch-
ftkrung allerdings allgemein gewünscht werden muss.
Leider liegen in der Praxis die Verhältnisse nicht gans so günstig.
Einmal bedeutet die Anschaffung und Inbetriebhaltung eines guten Pasteuriair-
separates für manche kleine Molkerei eine so starke Belastung, dass der
Bestand ernstlich in Frage gestellt wird. Und dann hapert es auch bei guten
Apparaten noch leicht; so soll es s. B. umöglich sein, Milch, die auf längerem
Transporte schon leicht angesäuert ist, in den Apparat einsulassen, ohne eine
allgemeine Gerinnung herbeizuführen. Immerhin dürfen wir uns freuen, dass
wir dem Ziele der obligatorischen Pasteurisirung beträchtlich näher ge¬
kommen sind. Dr. Schleehtendal-Aachen.
Fleisch vergiften g und Typhus. Von Prof. E. Levy und Dr. Erwin
Jaeobsthal. Aus dem hygienischen Institut der Universität Strassburg.
Archiv f. Hvg.; Bd. 44, H. 2.
Die Verfasser fanden in einem Milsabssess bei einer Kuh, die auf dem
Behlachthof in Strassburg geschlachtet worden war, Kursstäbehen, die sie so¬
wohl durch das Kulturverfabren, als auch durch die Agglutination mit einem
hochwerthigen künstlichen Typhusserum als echte Typhusbazillen identifisiren
konnten. Da somit der Nachweis erbracht worden ist, dass der Typhnsbaeillus
Krankheiten bei unserem Schlachtvieh hervorrufen kann, so halten sich Ver¬
fasser zu der Vermuthung berechtigt, dass Erkrankungen von Menschen an
Fleischvergiftung unter dem Bilde von Typhus abdominalis in Wahrheit echte
Typhen sind, und dass die bekannten und viel besprochenen Epidemien von
Fleischvergiftung zu Birmensdorf, Würenlos, Andelfingen und Kloten auf den
Qeauss von Fleisch solcher Thiere zurttckzuführen sein dürften, die an einer
Infektion mit echten Typhusbazillen gelitten hatten. Wie die Bazillen in den
Thierkörper gelangen können, lässt sich heute noch nicht entscheiden; bei
Ulbern kann nach Ansicht der Verfasser die Nabelwunde die Eintrittspforte
ftr die Bazillen bieten.
Auch den sogenannten ParatyphusbasiUen, auf welche Kurth und
Sehottmüller als Ursache typhusähnlicher Erkrankungen beim Mensehen
aufmerksam gemacht haben, vindiziren die Verfasser eine ähnliche Bolle bei
der Entstehung von Fleischvergiftungen. Dr. Lents-Berlin.
Eine Endemie von Paratyphns. Von F. M. G. de Feyfers, prakt.
Arzt in Eibergen (Holland) und Dr. med. H. Kayser, I. Assistent am
hygienischen Institut in Strassburg. Münchener mediz. Wochenschrift; Nr. 41
ud 42. 1902.
Bei der hohen Bedeutung, welche die erst kurz aufgerollte Paratyphus-
frage für den Kliniker, Bakteriologen und Hygieniker hat, können es die
Verfasser nicht unterlassen, über die klinischen und bakteriologischen Beob¬
achtungen und Erscheinungen mehrerer derartiger Krankheitsfälle zu berichten,
wie sie auch des Weiteren die eventuellen Verbreitungswege in den Kreis der
Erörterungen ziehen wollen. Zunächst werden die Krankheitsschilderungen
von 18 Fällen durch de Feyfer's gegeben, welcher sich resummirend dahin
lassert, dass man es mit einer in Eibergen beobachteten Paratyphusendemie
m thun habe mit folgendem Charakter- bezw. Symptomenbilde:
1. ein knrzes Prodromalstadium von 1—4 Tagen mit unregel-
■Issigen Temperaturateigerungen (nicht höher als 88° C.), Appetitlosigkeit,
Kopf- Bücken- nnd Gliederschmerzen;
2. gutartiger Verlauf, kurze Bekonvaleszenz, die Patienten
werden nicht viel von der Krankheit mitgenommen;
8. akut-infektiöser Charakter mit leichter Uebertragbarkeit
uf die Umgebung des Patienten;
4. typische Temperaturkurve mit theils remittirendem, theiP
iatermittirendem Fieberstadium und bisweilen kritischem Abfall;
110
Kleiner« UttheilufM aed Referate ui Zeitschriften.
6. die Pulsfrequenz entsprechend der Temperaturhöhe;
6. am Traetne Intestinalis wird manehmal im Krankheitsbeginn
Vomitns and Magengarren (Borborygmus) wahrgenommen, dann belegte
Zange, manchmal Bauchschmerzen, stets ein lleocoecalgeräuseh; Mil« manchmal
vergrößert, fast immer starker Darehfall (gelb and stark riechend); Urin
stark saaer, meist eiweissfrei and mit positiver Diazoreaktion and starkem
Indikangehalt;
7. das Sensorinm meist frei;
8. Boseoien in der Hälfte der Falle;
9. das Blatseram der Patienten in allen daraufhin untersuchten
Fallen die Par&typhusbazillen des Typhös B agglatinirend;
10. häufige Komplikation mit Bronchitis;
11. häufige Angina im Beginn der Erkrankung;
. 12. leichte Darmblutungen spärlich vorkommend.
Die Benennung der Krankheit als „Paratyphus“ wurde von Schott*
mflller erstmals gebraucht, welcher 2 Arten unterschied, die von Brion
und Kayser als Typhus A und Typhus B beseichnet wurden. (MBnchener
medis. Wochenschrift; Nr. 15. 1902).
Es folgen nun genauere Mittheilungen über die bakteriologischen Ver¬
hältnisse der Krankheitserreger des Paratyphus, sowie differentialdiagnostisohe
Erörterungen im Verhältnisse zum Abdominaltyphus, zu der typhösen Form
der Iufluensa und zu den Catarrhus gastro-intestinalis (mit und ohne Fieber).
Nachdem noch kurz auf die verschiedenen Infektionskrankheiten durch flüssige
Milchprodukte, Butter und Trinkwasser hingewiesen und konstatirt wird, dass
die Paratyphen nicht so selten Vorkommen, indem unter 180 vorher als Typhen
geltenden Füllen 12 Paratyphen = 6,6 °/ 0 festgestellt wurden, kommen die
Verfasser zu dem Besaitete, dass im Paratyphus offenbar eine weit¬
verbreitete, typhusähnliche, akute Infektionskrankheit
vorliegt, weiche unter ähnlichen ursächlichen Verhältnissen,
wie der Typhus, epidemieartig auftreten kann, dass die
bisher beobachteten Fälle gutartig verliefen, dass ferner der
Paratyphus hygienisch sanitär wie der Abdominaltyphus be¬
handelt werden muss, dass endlich der Schwerpunkt der Dia¬
gnose anf die bakteriologische Untersuchung undden Agglu¬
tinationsversuch und nicht auf die klinischen Beobachtungen
allein zu legen sei. _ Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Ueber eine unter dem Bilde des Typhus verlaufende, durch einen
besonderen Erreger bedingte Epidemie. Von Dr. fl. Conradi, Stabsarzt
Dr. W. ▼. Drigalski und Stabsarzt Dr. 0. Jürgens. Aus dem Institut
für Infektionskrankheiten in Berlin. Zeitschrift für Hygiene und Infektions¬
krankheiten ; 1902.
Die Verfasser beschreiben eine Epidemie von typhusähnlichen Erkrankungen
und den dabei festgestellten Bacillus, der mit dem von Kurth beschriebenen
Bicillos bremensis febris gastricae identisch ist. Die Krankheitsfälle ereig¬
neten sich Anfang 1902 beim zweiten Bataillon des Infanterie - Begimeut Nr. 70
in Saarbrücken und betrafen 38 Mann desselben. Die bakteriologische Unter¬
suchung erstreckte sich auf Urin, Fäces und Boseoien und ergab 28 Mal die
als „Saarbrückener Stäbchen“ bezeichneten Bazillen. In den verbleibenden
15 negativen Fällen wurde überhaupt nicht oder ungenügend bezw. nach Ab-
laaf der Krankheit bakteriologisch untersucht. Typbusbasillen konnten in
keinem Falle nachgewiesen werden. Die Serumreaktion wurde sowohl auf
Typhnsbazillen, als auch später auf die isolirten Saarbrückener Stäbchen vor-
genommon; sie hatte bei ersteren unter 30 Fällen 26 Mal positiven Ausfall
(1:100), bei letzteren war sie immer positiv (1:100 und höher). Vergleichende
Untersuchungen, die sodann mit dem aufgefnndenen Bacillus und den von
Kurth und Schottmüller bei typhusähnlichen Erkrankungen nacbgewiesenen
angestellt worden, ergaben völlige Uebereinstimmung in morphologischer und
biologischer Beziehung, dagegen war eine solche nicht vorhanden mit dem von
Gärtner beschriebenen Bacillus enteritidis, der auf Saarbrückener Immun-
serum nicht reagirte und auch sonst ein abweichendes Verhalten zeigte. Sehr
interessant ist, dass auch Typhus -Immunserum den Saarbrückener Bacillus und
Tagesnaohriehten.
111
die als identisch festgestellten Formen agglntinirt nnd zwar noch in Ver*
Mannng 1: 600, während allerdings Saarbrückener Immnnsernm noch in Ver¬
dünnung 1: 9000 Agglutination herbeifübrte. Aehnlicb, nur umgekehrt ist das
Verhältnis» bei der Einwirkung beider Sera auf Typhus bazillen; ähnlich sind
auch die Besaitete, wenn statt Immunserams Krankenserum verwendet wird.
Gesaae tabellarische Uebersichten veranschaulichen die gewonnenen Resultate
der vielseitigen Untersuchungen. Klinisch verliefen die Fälle nnter Mils¬
sehwellung und Boseoien, der Beginn war ziemlich akut, das Fieber mässig
koch; das sonstige Verhalten des Kranken „dem Status typhosus“ entsprechend,
aber meist ebenso schnell wie der Anfang, war auch die Wendung zum Besseren.
Mmmtliche Fälle gingen in Genesung Ober.
Was die Aetiologie der Kasernen-Epidemie betrifft, so ergab sich, dass
die technische Möglichkeit einer Verunreinigung der Wasserleitung von einem
üpülkloset aus vorlag. Näheres darüber wird später veröffentlicht werden.
Vorgenommene Wasseruntersuchnngen waren negativ, jedoch waren die Aus¬
sichten auf positives Resultat nur sehr gering, wegen sofort eingeleiteter Durch¬
spülung des verdächtigen Rohrnetzes.
Die interessante Arbeit ist von Neuem ein Beleg dafür, wie wichtig es
ist, bei vorhandenem Typhus verdacht sich nicht mit der Serumprobe auf Typhus¬
bazillen zu begnügen, auch bei etwaigem positiven Ausfall derselben nicht,
sondern in allen Fällen auch die Reaktion des Blutes auf die hier wieder als
Krankheitsursache festgestellten Stäbchen zu prüfen. Dementsprechend werden
im bakteriologischen Institut zu Bremen bereits seit einem halben Jahre alle
sur Vornahme der Widal’sehen Reaktion übersandten Blutproben in Bezug
auf ihr Verhalten sowohl zum Bae. Typhi, als auch zum Bac. Bremens« einer
Untersuchung unterzogen. _ Dr. Büsing-Bremen.
Tagesnachrichton.
Daa preussische Medizinalwesen in dem Staatshaushalts-Etat
1903/1904. Wie bei der ungünstigen allgemeinen Finanzlage vornusznaehen
war, bringt der neue Etat verhältnissmässig wenig Aenderungen; gleichwohl
weist er trotz der durch die Verhältnisse bedingten Sparsamkeit immerhin
einen Fortschritt auf, ein günstiges Prognostikum für die Zeiten, in denen
dem Staate wieder mehr Geldmittel zur Verfügung stehen. In der Zentral¬
instans ist zunächst die Stelle eines vierten Ministerialdirektors vorge¬
sehen; es heisst dazu im Etat: „Die ausserordentliche Entwicklung der preussi-
sehen Sanitäts- und Medizinalverwaltung hatte es schon seit einiger Zeit erfor¬
derlich gemacht, die Leitung der Medizinalabtheilung des Ministeriums, welche
früher von dem Unterstaatssekretär, später von einem der Medizinaldirektoren
wahrgeuommen war, einem besonderen Dirigenten zu übertragen, so dass wesent¬
lich 4 Abtheilungen gebildet sind: eine für die geistlichen Angelegenheiten,
zwei für die Unterrichts-Angelegenheiten und eine für die Medizinal-Angelegen*
beiten. Als im Frühjahr 1902 der Direktor der 2. Unterrichtsabtheilung aus
dem Ministerium aasschied, erschien es angezeigt, den Dirigenten der Medi-
sinalabtheilung zum Direktor dieser Abtheilung zu ernennen und unter ander¬
weiten Verschiebungen der geistlichen Abtheilung einem Dirigenten zu unter¬
stellen. Der grosse Umfang des Ministeriums rechtfertigt aber dauernd die
Bildung von 4 Abteilungen mit 4 Ministerialdirektoren; es wird deshalb
Torgeschlagen, die Stelle eines Vortragenden Rathes in die Stelle eines Ministerial¬
direktors umzuwandeln, und diesem die geistliche Abteilung zu übertragen.“
Im Uebrigen ist die Organisation des Medizinalwescns in der Zentral-
iastanz ebenso wie in der Provinzialinstanz unverändert geblieben, eine zeit-
gemässere Reform des Provinzial-Medizinalkollegiums demzufolge
bis auf Weiteres verschoben. Dagegen lässt Bich aus den inzwischen in der
Bezirksinstanz bei den Regierungen in Gumbinnen, Potsdam
and Münster eingerichteten und den zuständigen Regierungs- und Medisinal-
räthen bereitgestellten bakteriologisch-hygienischen Instituten
die berechtigte Hoffnung hegen, dass auf diesem Wege fortgefahren wird. Auch
die Schaffung von neuen Kreisarzt - Assistenten in Hannover, Cassel nnd Trier,
deren Inhaber nötigenfalls die zuständigen Regierungs- und Medizinal-
rtthe unterstützen sollen, lässt daraus scbliessen, dass beabsichtigt wird,
112
Tufnitflhritbtti
allmählich m Jedem Sitze der Regierung einen Kreiaernt oder einen Kreisarst-
Assistenten als Hülfsar beiter des Regierungs- and Medizinalraths vorzusehen;
sind doch jetzt schon bei 7 Regierungen vollbesoldete Kreisärzte and bei
12 anderen Kreisarzt-Assistenten angestellt, von denen allerdings die letzteren
nicht überall ansscblieeslieh dem Begiernngs- and Medizinalrath als Hfllfskraft
beigeordnet sind.
Die Zahl der Tollbesoldeten Kreisärzte ist im Etat am 4 (2 in
Berlin, je 1 in Bixdorf and Magdeburg) vermehrt nnd beträgt jetzt mit den
Hilfsarbeitern bei den Begiernngen 29 = 5,8 */• der Qesammtzahl; die Zahl
der Kreisarzt-Assistenten ist anf 36 (-f- 3) gestiegen, diejenige der
Qeriohtsärzte anf 14 (— 1) gesunken, da sich die gerichtsärztlichen Ge¬
schäfte im Stadt- nnd Landkreise Bochum derart gering erwiesen haben, dam
sich eine besondere Gerichtsarztstelle hier erübrigt. Nach diesen Erfahrungen
wird man wohl künftighin mit der Schaffung weiterer derartiger Stellen sehr
vorsichtig an Werke gehen.
Die Geaammtsnmme der dauernden Ansgaben für das Medi-
zinalwesen weist gegen das Vorjahr ein Mehr von 215705 M. anf, das aller¬
dings fast ausschliesslich anf Rechnung des Charitfe-Krankenbansee (177 902 M.)
und der Versuchs- nnd Prüfnngsanstalt für die Zwecke der WasserVersorgung
and Abwässerbeseitigang in Berlin (30620 M.) fällt.
Die jetzt vorhandene grosse Fürsorge für das Öffentliche Gesundheits¬
wesen tritt jedoch ebenso wie im Vorjahre besonders im Extraordinarinm
hervor, das sich allerdings um 89100 M. niedriger als im Vorjahre stellt,
aber doch die staatliche Hohe von 997900 M. erreicht (die Kosten für
die Universitätskliniken nnd Charit^ - Neubauten ansgeschlossen). Besonders
erfreulich ist es, dass wiederum ein Betrag von 26 000 M. für die Abhaltung von
dreiwöchigen Fortbildungskursen für 50 Medisinalbeamte in den Etat ein¬
gestellt ist, dass jetzt ausser in Benthen auch in Saarbrücken die Errichtung
einer hygienischen Station vorgesehen nnd der Betrag für praktische
Versuche zur Bekämpfung des Typhus von 20000 M. anf 80000 M.
erhöht ist. Ebenso sind für Bekämpfung der Granulöse, Krebsfor¬
schung, Untersuchungen der Maul-and Klauenseuche die gleichen
namhaften Beträge wie im Vorjahre eingestellt; in anerkennenBwertber Weise
hat sich die Fürsorge auch auf die gerichtsärztlichen Universitäts¬
institute erstreokt, die mit den zum Unterricht erforderlichen Instrumenten
und Apparaten in ausreichender Weise aasgestattet werden sollen.
Die einzelnen Positionen des Medizinaletats ergeben sich ans der
nachstehenden Zusammenstellung:
A. Dauernde Ausgaben.
1. Besoldung von 38 Mitgliedern (600—1200 M. and 86
Assessoren (600—1050 M. der Provinzial-Medizinalkollegien 58955,— M.
2. Besoldung von 36 Begiernngs- und Medizinalräthen mit
4200—7200 M., nnd von 1 Begiernngs- and Medizinalrath
mit 1200 M. 207600,— „ *)
3. Besoldung von 7 vollbesoldeten Kreisärzten als ständige
Httlfsarbeiter bei den Regierungen in Königsberg, Gumbinnen,
Potsdam, Breslau, Oppeln, Arnsberg and Düsseldorf (mit
8600-5700 M.). 38400,— „ *)
4. Besoldung von 22 vollbesoldeten Kreisärzten (3600—5700M.) 106900,— „ *)
5. Besoldung von 478 nicht vollbesoldeten Kreisärzten (darunter
*) Mehr: 8000 M. nach Massgabe des Dienstalters der Begiernngs- and
Medizinalräthe.
*) Mehr: 6600 M. nach Massgabe des Dienstalters der Kreisärzte.
*) Mehr: 16100 M. and zwar 1700 M. nach Massgabe des Dienstalters
der Kreisärzte nnd 14400 M. für 4 vollbesoldete des Stadtkreises Berlin (2),
des Stadtkreises Bixdorf (1), des Stadtkreises Magdeburg (1) (je 3600 M.
Mindestgehalt). Die Mehrforderung wird wie folgt begründet: „Die Verhält¬
nisse in Berlin lassen es geboten erscheinen, die Kreisärzte unabhängig von
ärztlicher Privatpraxis zu stellen. Es sollen deshalb die Kreisarztstellen für
Berlin nach and nach zu voll besoldeten erhoben werden. Zunächst, ist die
Umwandlung von 2 nicht vollbesoldeten in vollbesoldete vorgesehen. Da sich
die Amtsbezirke für die vollbesoldeten gegen die bisherigen Bezirke nicht nn-
Tagesnachrichten.
113
2 künftig in Berlin fortfallend) and 14 nicht rollbesoldeten
Qerichtsärzten mit mindestens 1800, hüohstens 4200 M., im
Durchschnitt 2700 M. Gehalt, sowie für sonstige Besol¬
dungen . 1822746,— M. 4 )
Vermerk: 1. Ersparnisse können in Stellvertretongs-
kosten verwendet werden.
2. Bei der Bereehnong des pensionsfähigen Dienstein¬
kommens der nicht rollbesoldeten Kreisärzte werden
die amtsärztlichen Gebühren, welche nach g. 8 des
Gesetzes, betreffend die Dienststellung des Kreis¬
arztes n. s. w., rom 16. 8eptember 1899 nnd den
dasn erlassenen Ansführongsbestimmnngen von den
Tollbesoldeten Kreisärzten zur Staatskasse absnführen,
bezw. nicht mehr ans der Staatskasse sn erheben sind,
nach ihrem durchschnittlichen Betrage während der
drei letzten Etatsjahre vor dem Etatsjahre, in welchem
die Pension festgesetzt wird, mit der Massgabe rar
Anrechnung gebracht, dass das hiernach der Pension
sn Grande za legende DienBteinkommen nicht das
pensionsfähige Diensteinkommen eines vollbesoldeten
Kreisarztes von gleichem pensionsfähigen Dienstalter
übersteigen darf.
6. Wohnnngsgeldrasohüsse. 41460,— „ 6 )
7. Zar Remuneration von 86 Kreisarzt-Assistenten (mindestens
900 M., höchstens 1800 M., im Darehschnitt: 1200 M.),
sowie von Hfllfsarbeitern im Barean-, Kanzlei- nnd Unter-
beamtendienst bei den Provinzial-Medizinalkollegien und
zu Beihülfen für die Wahrnehmung der Obliegenheiten des
Kreisarztes durch Stadtärste. 65701,— „ ®)
8- Zu Bureaubedürfnissen der Provinzial-Medisinalkollegien,
Dienstaufwandsentschädigung für 2 Regierangs- und Medi-
sinalrüthe in Berlin (je 1200 M.), für Vertretung von Reg.-
und Medizinalräthen (8000 M.), an Remunerationen für die
Prüfung der Rezepte und Rechnungen über die für Staats¬
anstalten gelieferten Arzneien (8600 M.), zu Entschädigungen
für Amtsnnkosten für die voilbesoldeten Kreisärzte bis sn
1000 M., im Durchschnitt 760 M., für die nicht vollbesol-
deten Kreisärzte und Gerichtsärste bis zu 760 Mark, im
Darehsehnitt 260 M., sowie an Tagegeldern nnd Reisekosten
für auswärtige Mitglieder der Provinsial-Medizinalkollegien,
erbeblich vergrüssern lassen, so ist in Aussicht genommen, 2 demnächst fre
werdende nicht vollbesoldete Stellen einzuziehen. — Auch in den Stadtkreisen
Rizdorf nnd Magdeburg ist bei dem grossen Umfange der Dienstgeschäfte
die Anstellung vollbesoldeter Kreisärzte erforderlich. 4
4 ) Weniger: 13500 Mark und zwar Darchschnittsbesoldung für 4 nicht
Tollbesoldete Kreisärzte in Berlin (2), Rizdorf und Magdeburg in Folge Er¬
richtung vollbesoldeter Kreisarztstellen daselbst (10800 M.), sowie Durch-
Khnittsbesoldung für den nicht vollbesoldeten Gerichtsarst in Bochum. Betreffs
des Fortfalls der Geriohtsarztstelle in Bochum sagt die Begründung:
»Der Umfang der gerichtsärstlichen Geschäfte im Stadt- und Landkreise Bochum
izd im Stadtkreise Witten ist, wie die Erfahrung gezeigt hat, derart gering,
dass diese Geschäfte von dem Kreisärzte des Bezirks mit wahrgenommen werden
küssen. Die Stelle eines besonderen Gerichtsarztes für diese Kreise soll des¬
halb fortfallen. 4
s ) Mehr: 8120 an Wohnungsgeldrasahttssen für 4 weitere vollbesoldete
Kreisärzte.
*) Mehr: 3600 M. Darchschnittsremunerationen für 8 Kreisarzt-Assi¬
stenten in den Stadtkreisen Hannover, Trier und Cassel, »da die Geschäfte der
Kreisärzte in diesen Städten einen derartigen Umfang angenommen haben, dass
«• aothwendig erscheint, ihnen eine Hüifskraft beizuordnen. Diese Kreisarzt-
Awistenten sollen nüthigenfalls auch die Regierungs- nnd Medizinalräthe dieser
Bsrirke unterstützen. 4
114
Tagesnachrichten.
za Tagegeldern, Reisekosten and Entschädigungen für die
Erstattung schriftlicher Gutachten and Berichte an die
psychischen Mitglieder der Besnchskommissionen für die
Beaufsichtigung der Privat-Irrenanstalten .and za Tage¬
geldern und Reisekosten für die auswärtigen Mitglieder
des Beiraths fttr das Apotheken wesen . 164466,— M. 7 )
9. Zar Bemanerirang der Mitglieder and Beamten der Kom¬
mission fttr die Staatsprüfung der Aerzte, Zahnärzte u. s. w. 179700,—
10. Zuschuss fttr das Charit^ - Krankenhaus in Berlin .... 627924,86 „ 8 )
11. Institut fttr Infektionskrankheiten. 192320,— „ »)
12. Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt a. M. . 74760,— „
13. Zur Unterhaltung einer staatlichen Versuchs- und Prttfanga-
anstalt fttr die Zweeke der Wasserversorgung und Ab¬
wässerbeseitigung . 82060,— „ l0 )
14. Hygienisches Institut in Posen. 36062,— „ ")
16. Zuschüsse fttr einige Krankenanstalten. 6271,47 „
16. Zur Vermehrung des httlfsftrztlichen Personals in den Öffent¬
lichen Irrenanstalten. 6000,— „
17. Fttr das Impfwesen (Remunerirung der Vorsteher und Assi¬
stenten und Gewinnung thierischen Impfstoffs u. s. w.) und
sächlichen Ausgaben. 81820,— „
18. Zu Beagentien bei den Apothekenrevisionen ..... 1900,— „
19. Zu Unterstützungen fttr aktive Medizinalbeamte (6000 M.)
und fttr ausgeschiedene Medizinalbeamte (60000 M.), sowie
fttr Wittwen und Waisen von Medizinalbeamten .... 66000,— „
20. Wartegeld für die auf Grund des Kreisarztgesetzes zur
Verfügung gestellten Medizinalbeamten (künftig wegfallend) 146710,16 „ '*)
21. Zur Unterstützung fttr die auf Grund des §. 16 des Kreis¬
arztgesetzes auf Wartegeld gestellten Medizinalbeamten
(künftig wegfallend). 60000,— „
22. Zu Almosen an körperlich Gebrechliche zur Bfickkehr in die
Heimath, sowie fttr arme Kranke. 900,— „
23. Fttr medizinalpolizeiliehe Zwecke einschliesslich 16000 M.
zur Bestreitung der Kosten der sanitätspoliseilichenKontrole
behufs Abwehr der Choleragefahr und 15000 M. fttr das
Leprakrankenheim im Kreise Memel. 100000,— „
24. Verschiedene andere Ausgaben (Zuschuss fttr Arzt auf der
Kurischen Nehrung, Quarantaineanstalten, Beihttlfe für ärzt¬
liche Fortbildungskurse (6000 M.) u. s. w.) . . .... 21666,42 ,
Zusammen 3577687,19 M.
im Vorjahre 8361982,19 ,
Darnach mehr 215706,— „
B. Einmalige nnd ausserordentliche Ansgaben:
a) 831000 M. (letzte Rate) zum Neubau nebst innerer Ausgestaltung eines
T ) Mehr: 2000 M. zu Dienstaufwands -Entschädigung fttr 4 vollbesoldete
Kreisärzte (Differenz zwischen den Durchscbnittssätzen von 260—760 M. von
je 500 M. = 2000 M.) und weniger in Folge Wegfalls der Gerichtsarztstelle
in Bochum 260 M., bleibt mehr: 1760 M.
8 ) Mehr: 177902 M., hauptsächlich zur Verstärkung des sächlichen
Ausgabefonds, zur Deckung der grosseren wirtschaftlichen Ausgaben n. s. w.
•) Mehr: 2695 M.
,0 ) Mehr: 80620 M., darunter 11520 M. fttr sächliche Ausgaben, Tage¬
gelder, Fahrkosten u. s. w., sowie 18000 M. fttr 4 wissenschaftliche Mitglieder
mit dem Anfangsgehalt von je 3600 M. und 900 M. Wohnungsgeldzuschuss.
Die Begründung sagt hierzu: „Der Geschäftsumfang der am 1. April 1901 in
Wirksamkeit getretenen Anstalt ist in fortwährender Zunahme begriffen. Im
Interesse einer gedeihlichen Weiterentwickelung derselben ist die Errichtung
von 4 etatsmässigen Stellen fttr wissenschaftliche Mitglieder mit einer dem
Gehalte der vollbesoldeten Kreisärzte entsprechenden Besoldung erforderlich.
«) Mehr: 160 M.
**) Weniger: 18716 M. in Folge von Tod oder Wiedereinstellung auf
Wartegeld gestellter Beamten.
Tagesnachrichten.
116
Geschäftshauses für das Kultusministerium auf dem Grundstücke Behren*
■trasse 72, auf dem zur Zeit sieh das Dienstgebäude der Medizin alab-
theilnng befindet.
b) 2298830 M. (380790 M. mehr als im Vorjahre) für Neu- and Um¬
bauten von klinischen Universität eins ti tuten, Ergänzung des
Inventars derselben, Deckung von Fehlbeträgen u. s. w.; hiervon inter-
essiren besonders: Neuerrichtung eines hygienischen Instituts in
Berlin, einer Irrenklinik in Breslau, sowie Versuche im hygieni¬
schen Institut su Marburg mit Tuberkulose-Giftprftparaten
gegen die Binder tuberkulöse.
e) 1174840 M. zur Ergänzung der inneren Ausstattung des Charitd-
Krankenhauses, sur Deckung eines Fehlbetrages bei den sächlichen
Ausgabefonds desselben und für weitere Neubauten der psychiatrischen
nnd Nervenklinik, des pathologischen Instituts, des Erweiterungsbaues
der geburtshülflich-gynäkologischen Klinik u. s. w.
d) 10000 M. zur Beschaffung von Instrumenten und Apparaten
für den gerichtsärztlichen Unterricht an den Univer¬
sitäten. „Zur Bestreitung der Kosten des Unterrichts in der
gerichtlichen Medizin sollen bei jeder Universität, mit Ausnahme
von Berlin, wo dieser Unterricht in der hierfür bestimmten Unterrichts¬
anstalt für Staatsarzneikunde ertheilt wird, 900 M. bereit gestellt werden.
Daneben ist in Aussicht genommen, zur Beschaffung von Instrumenten
and Apparaten für diesen Unterricht einschliesslich Berlin, dessen Institut
für Staatsarzneikunde einer Aufbesserung seines Instrumentariums bedarf,
einen Betrag von 18000 M. aufzuwenden. Für 1903 sind hiervon 10000 M.
erforderlich.*
e) 10000 M. zu Beihülfen zur Veranstaltung von Forschungen über Ursache
und Verbreitung der Krebskrankheit. „Die von dem Komitee
für Krebsforschung in dem abgelaufenen Etatsjahre veranstaltete Sammel¬
forschung ist zum vorläufigen Abschluss gebracht und hat über das Vor¬
kommen der Krebskrankheit in den einzelnen Theilen der Monarchie den
wünschenswerthen Aufschluss gegeben. In verschiedenen Bezirken und
Orten, in denen ein auffallend Läufiges oder geringes Vorkommen von
Krebställen festgestellt worden ist, soll durch Entsendung junger, wissen¬
schaftlich erprobter Aerzte unter Zuziehung von beamteten und nicht
beamteten Aerzten, sowie der OrtsbehOrdo eine eingehende Nachforschung
an Ort und Stelle stattfinden. Ausserdem beabsichtigt das Komitee für
Krebsforschung die Herausgabe eines Zentralblattes für Krebsforschung.*
f) 40000 M. für die erste medizinische Klinik der Charitö sur
Erforschung der Krebskrankheit, insbesondere sur Aufstellung
von Baracken für Krebskranke (zweite Bäte).
g) 360000 M. zur Bekämpfung der Granulöse. „Die bei der Granulöse
bekämpfung in der Provinz Ostpreussen bisher erzielten Erfolge berech¬
tigen zu der Hoffnung, dass es bei der Foitsetzung des gegenwärtigen
pUomässigen Vorgehens in absehbarer Zeit gelingen wird, die Seuche
noch weiter einzuschränken. Es sind deshalb auch für das Etatsjahr 1903
wiederum 360000 M. eingestellt worden.*
h) 30000 Mark za praktischen, im Institut für Infektionskrankheiten zu Berlin
ansustellenden Versuchen in der Bekämpfung desTyphus. „Indem
Staatshaushalts-Etat für 1902 sind für den bezeichneten Zweck 20000 M.
bereit gestellt. Die hierauf von der Kommission zur Typhusbekfimpfung
unter Leitung des Direktors des Instituts iür Infektionskrankheiten an-
gestellten Untersuchungen haben bereits zu wichtigen Ergebnissen geführt.
Insbesondere hat sich die in dem genannten Institute ausgearbeitete
Untersuchungsmethode auf Typhus in der Praxis bewährt. Die Arbeiten
der Kommission haben sich jedoch mit den obigen Mitteln bislang nur
auf ein kleines Versuchsfeld erstrecken können, als welches das im Re¬
gierungsbezirke Trier belegene Dorf Waldweiler und seine Umgebung
gedient hat. Demnächst sollen die gemachten Erfahrungen in einem
stark bevölkerten Industriegebiete nachgeprüft und dabei die angefangenen
wissenschaftlichen Arbeiten fortgesetzt werden, wozu ein Betrag von
10000 M. erforderlich ist.*
i) 14900 M. su baulichen Herstellungen im hygienisohen Institut su
116
Tagesnaehrichten.
Posen, sowie zur Vervollständigung der Einrichtung nnd der Bibliothek
desselben.
k) 10000 M. snr Unterhaltung einer hygienischen Station inBenthen
0.-Schl, (wie im Vorjahre).
l) 22000 M. zur Unterhaltung einer bakteriologischen Anstalt
in Saarbrücken. „Das gehäufte Auftreten des Typhus und der Bahr
in der Rhoinprovinz und namentlich im Reg.-Bezirk Trier hat ein that-
kräftiges Vorgehen gegen diese Seuchen nothwendig gemacht. Za diesem
Zwecke ist die Unterhaltung einer bakteriologischen Einrichtung in Saar¬
brücken erforderlich gewesen, deren Aufgabe es sein soll, die bakterio¬
logische Feststellung zweifelhafter Krankheitsfälle, die Untersuchung und
Begutachtung von Wasserversorgung»-, Kanalisation»- und ähnlichen An¬
lagen auszuführen und überhaupt der Medizinalverwaltung in allen hy¬
gienischen Fragen mit Rath und That zur Seite zu stehen.“
m) 26000M. zar Abhaltung von Fortbildungskursen für Medisinal-
beamte. „Es ist beabsichtigt, im Etatsjahr 1903 wieder- Fortbildungs¬
kurse über Hygiene, gerichtliche Medizin, Psychiatrie und Staatsarznei-
kunde für 50 Medizinalbeamte abzuhalten, wie dies im Etatsjahr 1902
f eschehen ist.“
0000 Mark zur Untersuchung der Maul- und Klauenseuche.
„Die Untersuchungen über die Maul- und Klauenseuche sind auch im
Etatsjahr 1902 wesentlich gefördert. Dank den Bemühungen der Kom¬
mission ist es gelungen, auch grössere Thiere gegen das Krankheits¬
gift zu immnnisiren, während dies bei kleineren — Ferkeln, Schafen —
schon früher erreicht war. Die Schwierigkeit der entgültigen Lösung der
Immunisirungsfrage, welche noch zu beheben ist, besteht darin, dass nach
den jetzigen Versnoben die Immunisirung verhältnissmässig kurze Zeit
Zeit anhält. Es wird dahin zu streben sein, das Verfahren so zu vervoll¬
kommne u, dass die Wirkung desselben für längere Zeit gesichert wird.
Es sind deshalb, wie im Vorjahre, noch einmal 80000 M. in den Etat
eingestellt worden.“
Aus dem Pretuaisohen Abgeordnetenhaus« : Von der frei¬
sinnigen Partei ist wiederum ein Antrag auf Zulassung der fakultativen
Feuerbestattung eingebracht.
In der Sitzung vom 26. Januar erwiderte der Landforstmeister W e s e n e r
auf eine Anfrage des Abg. v. Hagen (Zentr.)über die Gewährung des vollen
Stimmrechtes der bei den Regierungen beschäftigten technischen Räthe,
speziell der Regierung»- und Forsträthe, dass er der Anregung durch¬
aus sympathisch gegenüberstehe; dass aber ausser den Forsträthen auch noch
die übrigen technischen Räthe Medizinal-, Bau-, Schul-, Gewerbe-
räthe in Betracht kämen. Es schwebten jedoch z. Z. Verhandlungen zwisohen
der Forstverwaltung, dem Kultus- und Arbeitsministerium, die hoffentlich zu
einem befriedigenden Abschluss führen werden.
Nach einer in derselben Sitzung gegebenen Antwort des Herrn Landwirth-
schaftsministers steht der Erlass eines preussischen Schlachtviehver-
sicherungsgesetzes nicht zn erwarten; die Einführung der allgemeinen
obligatorischen Schlachtviehversicherung sei nur auf reichsgesetzlichem Wege
möglich.
Die von beiden Häusern des Landtags angenommenen Anträge des Grafen
Douglas zur Bekämpfung des Alkoholismus haben nach einer dem Herren¬
hause mitgetheilten Uebersieht die Regierung vielfach beschäftigt und bereits
zu folgenden Entschliessungen geführt: 1) Es sind die Oberpräsidenten
veranlasst worden, im Polizeiverordnungswege Verbote zu erlassen für die Ver¬
abfolgung von Branntwein an Personen unter 16 Jahren, sowie von geistigen
Getränken an Betrunkene und an die von der Polizeibehörde bezeichneten
Trunkeabolde. Auch soll, wo dies örtlich angezeigt ist, darauf hingewirkt
werden, dass durch Polizeiverordnung der Verkauf von Branntwein in den
frühen Morgenstunden verboten wird unter Festsetzung einer Polizeistunde für
die Branntwein-Kleinhandlungen und Branntweinschenken, etwa auf 8 Uhr
Morgens. 2) Ist die Abfassung gemeinverständlicher Schriften über die schäd¬
lichen Wirkungen des übertriebenen Alkoholgenusses zu veranlassen. 3) Werden
Tagesnachrichten.
117
Erhebungen ang es teilt Aber die für Trinker bestimmten Heilanstalten. Dagegen
wird 4) von der Ausstellung bildlicher Darstellungen in Öffentlichen Lokalen
über die schädlichen Wirkungen des übertriebenen Alkobolgenusses ein Erfolg
sieht erwartet. 5) Ist an die Volkschulen ein Erlass ergangen, die Jugend
über die schädlichen Folgen aufzuklären. Den höheren Schulen ist derselbe
zur Kenntniss und Nachahmung mitgetheilt worden. Ferner sind in den oberen
Klassen mancher höheren Schulen in Berlin im Jahre 1902 probeweise yon
lernten Vorträge über allgemein verständliche Fragen gehalten, bei welchen
namentlich auch die schädlichen Wirkungen des übertriebenen Alkoholgenusses
zur Darstellung gebracht sind. 6) Mustergültige Einrichtungen zur Verhütung
de» Alkoholmissbrauches sind vorzugsweise in den zu den Ressorts der Minister
der Öffentlichen Arbeiten und des Innern gehörigen Betrieben bereits getroffen
worden. Den kommunalen Betriebsverwaltungen ist die Schaffung muster¬
gültiger Einrichtungen zur Vermeidung des Alkoholmissbrauchs empfohlen.
7) Soll die Angelegenheit einer Aenderung des Strafgesetzbuches bei der
allgemeinen Revision desselben erneuter Prüfung unterzogen werden. 8) Sind
die Erwägungen über eine Abänderung der Bestimmungen der Gewerbeordnung
über die Konzessionspflicht der Wirthe noch nicht zum Abschluss gelangt.
9) Der Anregung, auf Erlass eines diesbezüglichen Gesetzes hinzuwirken, konnte
von der Regierung nickt entsprochen werden.
InEngland ist bekanntlich am 1. Januar d. J. ein neues Trunksucht-
ge setz in Kraft getreten, nach dem Personen, welche betrunken auf der
Strasse angetroffen werden, mit Geldstrafe oder Gefängniss bis zu 14 Tagen
bestraft werden kOnnen. Aus den Berichten, die über die Ausführung des
Gesetzes bisher von den Zeitungen gebracht sind, geht hervor, dass die Zahl
der wegen Trunksucht verhafteten Personen eine ausserordentlich grosse ge¬
wesen ist und unter ihnen besonders das weibliche Geschlecht vertreten ge¬
wesen ist. * _
Ans dem Reichshausbalts - Etat 1903/1904 (s. Nr. 2, S. 76) ist noch
Folgendes nachzutragen: Im Reichsgesundheitsamt sind eine neue Stelle für
isrtliche Mitglieder, sowie eine neue Abtheilung für Wasserversorgung, Besei¬
tigung der Abfallstoffe u.s. w. vorgesehen. In der Begründung datu heisst es:
„Zwei technische Hülfsarbeiterstellen werden seit dem Jahre 1879/80 von
Aerzteu bekleidet. Ihre Thätigkeit ist im Wesentlichen der der ärztlichen
Mitglieder gleichartig. Insbesondere obliegt ihnen die Kontrole der ärztlichen
Prüfungsakten auf Einhaltung der PrüfungBVorschriften, die Bearbeitung der
Heilanstaitsstatistik, sowie anderer medizinalstatistischer Arbeiten. Eine dieser
Stellen ist zur Zeit unbesetzt; sie soll, da eine geeignete ärztliche Kraft für
diese Arbeiten sich nur gewinnen lässt, wenn die Ernennung znm Mitglied in
Aussicht gestellt werden kann, in eine Mitgliedstelle umgewandelt werden. Es
ist deshalb eine weitere Mitgliedstelle in Zugang und bei Titel 2 eine tech-
niche Hülfsarbeiterstelle in Abgang gebracht.
Die dem Gesundheitsamt obliegenden Arbeiten auf dem Gebiete der
Wasserversorgung, der Beseitigung der Abfallstoffe einschliesslich der Fluss-
Verunreinigung, der Heizung, Lüftung und Beleuchtung etc. haben im Laufe
der letzten Jahre einen solchen Umfang angenommen, dass dadurch die Bildung
einer besonderen, nach verschiedenen Richtungen selbstständigen Unterabtheilung
ianerhalb der naturwissenschaftlichen Versuchs-Abtheilung sich als nothwendig
erwiesen hat. Die Bedeutung dieser Unterabteilung und ihr Geschäftsumfang
ist insbesondere dadurch gewachsen, dass ihr die schwierigen und zeitraubenden
Vorbereitungen für die wichtigen Beratungen und Beschlussfassungen obliegen,
die der Reichs-Gesundheitsrath auf Beschluss des Bundesraths hinsichtlich der
ans gesundheits- und veterinärpolizeilichen Rücksichten gebotenen Reinhaltung
der das Gebiet mehrerer Bundesstaaten berührenden Gewässer vorzunebmen
hat. Die durch den Umfang der einschlagenden Geschäfte bedingte Selbst¬
ständigkeit des Leiters dieser Unterabtheilung in der Anordnung und Aus¬
führung experimenteller Arbeiten lässt es im dienstlichen Interesse geboten
erscheinen, ihm gegenüber den ihm zugewiesenen wissenschaftlichen Hülfs-
kriften eine gehobene Stellung einzuränmen. Dies sowie der Umfang und die
Bedeutung der auf ihm ruhenden Geschäfte rechtfertigen die Gewährung einer
persünlicheu, nicht pensionsfäliigen Zulage von 900 Mark.“
118
Tagesnaohrichten.
Schliesslich sei noch erwähnt die in der vorhergehenden Nummer durch
ein Versehen nicht snm Abdrubk gelangte:
Denkschrift über die im Kaiserlichen Gesundheitsamt in der
Ausführung begriffenen Untersuchungen und Forschungen über
menschliche und thlerisohe Tuberkulose sowie Uber die Sammel-
forsohung betreffs der ln den Lungenheilstätten erzielten Heil¬
erfolge.
„4nf dem Gebiete der experimentellen Tnberknloseforschnng stehen augen¬
blicklich zwei Fragen im Vordergründe des Interesses: die Beziehungen zwischen
der Taberkolose des Mensohen nnd derjenigen der Hausthiere, namentlich der
Perlsncht der Rinder, seitdem sie von R. Koch auf dem Taberknlosekongress
in London im Jahre 1901 znm Gegenstand eines Vortrages gemacht worden
sind; ferner die Angabe des Prof. Dr. v. Behring, dass es ihm gelangen sei,
Binder daroh Impfang vor Erkrankungen an Tuberkulose za schützen.
Das Gesundheitsamt ist in eine Bearbeitong der ersten Frage singe*
treten, nachdem von einer Sachverständigen * Kommission, der auch R. Koch
angehört, ein Versnchsplan aufgestellt worden ist. Dieser Plan sieht die An¬
stellung zahlreicher Versuche an grösseren Versuchstbieren, in erster Linie an
Rindern, vor. E9 sollen namentlich die Versuche von Koch und Schütz
wiederholt werden, aus deren Ergebnisse gefolgert wurde, dasB die menschliche
Tuberkulose auf das Rind nicht übertragbar ist. Eine grosse Reihe von Tuber-
kelbazillenkulturen, die aus den Gewebsveränderungen bei verschiedenen Formen
der Tuberkulose des Menschen gezüchtet Bind, boII auf ihre krankmachende
Wirkung dem Rinde gegenüber geprüft werden. Dadurch wird sich voraus¬
sichtlich feststellen lassen, ob die Tuberkelbazillen menschlicher Herkunft für
das Rind ganz unschädlich sind, oder ob es Ausnahmen von dem von Professor
Dr. Koch und Professor Dr. Schütz beobachteten Verhalten der menschlichen
Tuberkelbazillen giebt.
Stellt es sich heraus, dass zuweilen beim Menschen Tuberkelbazillen ge¬
funden werden, welche Rinder krank zu machen vermögen, so wird in jedem
Fall festzustellen sein, ob die Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass diese Bazillen
vom Rinde stammen, ob also die Ansteckung des Menschen von einem perl-
BÜehtigen Rinde ausgegangen iBt. Auf diese Weise würde sieb ermitteln lassen,
wie häufig bei menschlichen Erkrankungen Tuberkelbazillen gefunden werden,
welche in ihrem Verhalten mit den Perleuchtbazillen Ubereinstimmen.
Je nach den Formen der Tuberkulose, bei welchen diese für Rinder
pathogenen Tuberkelbazillen sich finden, wird sich dann beurtheilen lassen, ob
der Uebertragung vom Rinde her eine grössere oder geringere Bedeutung für
die Entstehung und Verbreitung der Tuberkulose unter den Menschen zukommt.
Daneben sollen Versuche angestellt werden mit Tuberkelbazillen, die aus
erkrankten Organen von perlsüchtigen Rindern gezüchtet sind, um festznBtellen,
wie unter den gleichen Versuchsbedingungen sich die Ansteckungskraft der
Perlsuchtbazillen verhält.
Die Versuche sind im Frühjahr dieses Jahres in Angriff genommen,
nachdem die erforderlichen Geldmittel im Reichsbaushalt für daB Rechnungs¬
jahr 1902 unter Kapitel 3 Titel 24 der einmaligen Ausgaben des Reiohsamts
des Innern bewilligt worden waren. Gegenwärtig befinden Bich im Versuch
etwa 60 Rinder, welche in den Ställen des Seuchengehöfts des Gesundheitsamts
in Dahlem untergebracht sind. Da jedes Thier etwa 5 Monate lang beobachtet
werden muss, bevor es getödtet und der Befund aufgenommen werden kann,
so ist stets eine erhebliche Zahl von Versncbsthieren vorhanden. Wie schwierig
und zeitraubend die Versuche sind, geht daraus hervor, dass die genaue Fest¬
stellung der Eigenschaften einer Tuberkelbazillenkultnr, von dem Augenblicke
der Gewinnung des Untersuchnngsmaterials an gerechnet, etwa 10—12 Monate
in Anspruch nimmt.
Aus diesen Gründen werden die Versuche sich in dem laufenden Rech¬
nungsjahre noch nicht zum Abschlüsse bringen lassen, vielmehr den grössten
TheU des folgenden Jahres noch in Anspruch nehmen.
Sobald über diese erste der oben erwähnten Fragen genügende Klarheit
gewonnen und Raum für andere Versuchsthiere in den Dahlemer Ställen vor¬
handen sein wird, soll die Frage der Schutzimpfung gegen Perlsuoht in Angriff
genommen werden.
Tagesnachrichten.
119
Zar ununterbrochenen Fortführung der bezeichneten Untersuchungen,
deren Ergebnisse für die richtige Auswahl von Massregeln gegen die Tuber*
kulose des Menschen und der Haastbiere von hervorragender Bedeutung sein
werden, wird ein Betrag von 65000 Mark für das Rechnungsjahr 1903 für er¬
forderlich erachtet“
Bei der Bekämpfung der menschlichen Tuberkulose ist in Deutschland
das Schwergewicht von vornherein auf die Behandlung der Erkrankten in ge¬
eigneten Heilanstalten gelegt worden; demgemäss wurden in den letzten Jahren
zahlreiche Lungenheilstätten unter Aufwendung sehr erheblicher Geldmittel
errichtet Da es zur Zeit des Beginns der Heilstättenbewegung — um 1896 —
noch an Erfahrungen über die durch Anstaltsbehandlung zu erzielenden Heiler¬
folge fehlte, wurde damals von dem Gesundheitsamt eine Sammelforschung
über diese Frage eingeleitet. Die Ergebnisse der Forschung sind in mehreren
Veröffentlichungen des Gesundheitsamts niedergelegt Ein abschliessendes
Ortheil über den Werth der Heilstättenbehandlung konnte indess bisher nicht
gewonnen werden; es erweist sich vielmehr als nothwendig, die Sammel-
foTBchung noch während einiger Zeit weiterzuführen. Um die Bearbeitung des
seit dem Jahre 1896 eingesammelten, auf gegen 30 000 Zählkarten angelaufenen
Erhebungsmaterials möglichst eingehend zu gestalten, namentlich auch um
sicher festzustellen, ob die Erfolge der Behandlung in Lungenheilstätten im
richtigen Verhältnisse zu den für den Bau der letzteren bisher verwendeten
beträchtlichen Summen — von mehr als 30 Millionen Mark — stehen oder ob
minder kostspielige Einrichtungen genügen würden, ist, da hierzu die durch
anderweitige dienstliche Arbeiten vollauf in Anspruch genommenen Beamten
des Gesundheitsamts nicht verwendet werden können, die zeitweilige Annahm e
von Hülfskräften für die Zusammenstellung jenes umfangreichen Zählkarten¬
materials nöthig geworden. Die Arbeiten, welche mit Beginn des Rechnungs¬
jahres 1902 ihren Anfang genommen haben, werden erBt im Rechnungsjahr
1903 abgeschlossen werden können. Ihre Ergebnisse sollen veröffentlicht werden.
Für die Fortführung der beseichneten Arbeiten und die Veröffentlichung ergiebt
sieh ein Bedarf von 15000 Mark.
Zur richtigen Abschätzung deB Werthes der Anstaltsbehandlung ist es
besonders wichtig, über die Dauer der erzielten Heilerfolge Aufschluss zu
gewinnen. Die Beschaffung eines nach dieser Richtung verwerthbaren zuver¬
lässigen UntersuchungBmaterials stösst insofern auf Schwierigkeiten, als die von
Zeit zu Zeit vorzunehmenden Nachuntersuchungen der früheren Heilstätten-
pfleglinge nothwendiger Weise von Aerzten auszuführen sind, für deren Ver¬
gütung denjenigen Stellen, welche sonst noch ein Interesse an der Feststellung
der Erfolgsdauer haben, also in erster Linie den Heilstätten Verwaltungen und
den Landesversioherangsanstalten Mittel entweder gar nicht, oder in nicht aus¬
reichendem Masse zur Verfügung stehen. Es erscheint daher billig, den be¬
theiligten Stellen für jede ärztliche Nachuntersuchung, deren Ergebnisse dem
Gesundheitsamt in verwendbarer Form zugängig gemacht werden, einen Kosten-
«schoss zu gewähren. Derartige Beiträge werden ausserdem für solche Pälle
«gezeigt sein, wo den Aerzten und ehemaligen Pfleglingen etwaige durch die
Nachuntersuchung erwachsende besondere Ausgaben für Reisen, Zeitverluste
und dergleichen ganz oder theilweise zu vergüten sind. Die Ausgaben für die
Ermöglichung und Förderung solcher Nachuntersuchungen sind auf 10000 Mark
veranschlagt.
Die Nachuntersuchungen werden so lange fortzusetzen sein, bis die an
einem ausreichend grossen Material von Heilstättenpfleglingen ärztlich festge¬
stellten Erfolge ein abschliessendes Urtheil über den Werth der Heilstätten-
bebandlung nach der medizinischen Seite hin ermöglichen.
Die durch Forschungen auf dem Gebiete der menschlichen und thierischen
Tuberkulose entstehenden Kosten werden sich demnach im Rechnungsjahr 1903
auf (65000 + 15000 + 10000) = 90000 Mark belaufen. Ein weiterer Be¬
trag von 60000 Mark wird, wie für das Vorjahr, dem Deutschen Zentral-Komitee
rar Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke zu über¬
weisen sein.
Eine umfassende Denkschrift über das Wesen und die Ausbreitung der
Tuberkulose, sowie über die Massnahmen zu ihrer Bekämpfung befindet siä im
Kaiserlichen Gesundheitsamt in der Ausarbeitung.“
120
Tagesnacbriohten.
Die Novelle snm Krankenversicherungsgesetz ist jetzt dem Bundes¬
rath zagegangen. Durch dieselbe soll die Zeit der Krankenunterstfitzung auf
26 Woeben und ebenso die Untersttttzungsdauer nach einer Entbindung auf
6 Wochen erhöht werden. Ferner fallen die Vorschriften fort, welche die Ge¬
währung einer Erankenuntersttttzung bei Geschlechtskrankheiten s. Z. aus-
schliessen. Wird diese Vorlage die Zustimmung des Bundesraths und Reichs¬
tages finden, so wird hierdurch die Lttcke, welche zwischen dem Ende der
Eranken- und dem Beginne der Invalidenunterstfitzung bisher lag, ausgefttllt,
und gleichseitig eine Bestimmung beseitigt, welche in unbegreiflicher Ver¬
kennung der öffentlichen Gesundheitspflege und aus überlebten Auffassungen
heraus den Geschlechtskranken von den Wohlthaten der Erankenuntersttttzung
auBSchloss.
Die diesjährige Versammlung des Vereins für öffentliche Gesund¬
heitspflege wird vom 16. bis 19. September in Dresden stattfinden.
Der erste Kongress der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten wird am 9. und 10. März in Frankfurt a. M.
stattfinden. Auf der Tagesordnung stehen: 1. „Die Strafbarkeit der Gesund¬
heitsgefährdung durch Geschlechtskranke“, Referent: Prof. Dr. v. Liszt,
Berlin-Charlottenburg. 2. „Die zivilrechtliche Bedeutung der Geschlechts¬
krankheiten“, Referent: Prof. Dr. Hellwig-Berlin. 3. „Wie können die
Aerzte durch Belehrung der Gesunden und Eranken der Verbreitung der Ge¬
schlechtskrankheiten steuern?“, Referent: Dr. med. Neub erg er -Nürnberg.
4. „Das Wohnungselend und die Prostitution“, Referent: Pbysikus Pf eiff er-
Hamburg. 5. „Nach welcher Richtung lässt sich die Reglementirung der Pro¬
stitution reformiren?“, Referenten: Prof. Dr. Neisser-Breslau und Fräulein
Papp ritz-Berlin. — Anmeldungen zur Theilnahme nimmt die Geschäftsstelle
der Gesellschaft, Berlin W., Potsdamerstr. 20 entgegen.
Aue dem Regierungsbezirk Liegnitz. Die Wirkungen des Erelsarzt-
gesetzes machen sich auch im Vereinsleben der Aerzte bemerkbar. Im
Reichsmedizinalkalender — 1903, S. 111 — sind nur 6 Ereisvereine — Landes¬
hut, Lauban, Bunzlau, Liegnitz, Görlitz, Hirscbberg (Riesengebirge) — ver¬
zeichnet; die Vorsitzenden der Vereine der Ereise Landeshut und Lauban,
welche letzteren schon längere Zeit bestehen, sind die Ereisärzte Geb. Med.-
Rath Dr. Eoehler und Med.-Rath Dr. Leder. Vor Jahresfrist bildete sich
aber auf die Einwirkung des Kreisarztes Dr. Scholz zu Goldberg ein Verein
der Aerzte der Ereise Goldberg und Schoenau. Neuerdings hat eich dann der
Ereis Loewenberg dem Ereis-Verein Lauban angeschloBsen; ferner haben sich
auf Veranlassung der Ereisärzte folgende ärztliche Vereine in den letzten
Monaten aufgethan: 1. Kreise Rothenburg O.-L. und Hoyerswerda, Vorsitzender
Kreisarzt Dr. Meyen- Moskau, Schriftführer Kreisarzt Dr. Fei ge-Hoyers¬
werda, Beisitzer Dr. Damero w-Muskau; 2. Ereis Glogau, Vorsitzender Kreis¬
arzt Dr. Hirschfeld; 3. Ereise Jauer und Bolkenhain, Vorsitzender Kreisarzt
Med.-Rath Dr. Erdner.
In die Aerztekammer der Provinz Schlesien wurden im November
v. J. zwei beamtete Aerzte aus dem Reg.-Bez. Liegnitz neu gewählt: Reg.-
und Med.-Rath Dr. Schmidt-Liegnitz als Mitglied und Kreiswundarzt z. D.
San.-Rath Dr. Knopf-Goldberg als Stellvertreter; im Reg.-Bez. Oppeln, wo
schon seit Jahren ständig der Reg.- und Med.-Rath Kammermitglied war,
wurden Reg.- und Med.-Rath Dr. Seeman-Oppeln und Kreisarzt Med.-Rath
Dr. Cimbal-Neisse wieder, Kreisarzt Dr. Traeinski-Zabrze neu gewählt
(Mitglieder). Beide Regierungsbezirke batten je 8 bezw. 9, zusammen 17 Mit¬
glieder und 17 Stellvertreter zu wählen; von diesen 34 Aerzten sied also 6 be¬
amtet. Im Reg.-Bez. Breslau, der allein 17 Mitglieder und 17 Stellvertreter
zu wählen hatte, wurde kein Medizinalbeamter gewählt, dagegen 4 Professoren
(Partsch, Buchwald, Groenonw, Neisser) und ein Pnvatdozent. 8.
Verantwort!. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-n. Geh. Med .-Rath in Minden i. W.
J. C. C. Bruns, Herzogi. Sachs, u. F. Sch.-L, Uofbuchdruckorei ln Minden.
Den verehrl. Abonnenten der
Zeitschrift für jtfedizinalbeamte
diene hiermit zur gefälligen Nachricht, dass sowohl der
Kalender für Medizinalbeamte
wie auch das
Sonderheft der Zeitsehrift
zur Versendung gelangte und jeder Sendung eine Post¬
anweisung mit Rechnung beigefügt war.
Es ergeht nunmehr an die verehrl. Abonnenten die Bitte,
wo Kalender oder Sonderheft nicht behalten werden soll,
das Nichtgewünschte freundl. retournieren, im Falle des Be-
haltens den Betrag gütigst einsenden zu wollen.
Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, diene zur
gefl. Kenntniss, dass das Sonderheft der Zeitschrift nicht
zum Abonnement gehört und der Preis dafür Mk. 2,— beträgt.
Der Kalender kostet mit Beiheft (Personalien) Mk. 3,50 für
die Prenssischen Medizinalbeamten und enthält für diese
gleichzeitig die Dienstanweisung, Mk. 3,— für die nicht
preussischen Medizinalbeamten ohne die Dienstanweisung.
Hochachtungsvollst
Fischer’s med. Buchhandlung
fl. Kornfeld
Henogl. Bayer. Hof- and Erzherzog]. Kammer-Bnehhiodler.
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Abi» anderen deutschen Euadaaet*? »ea.
16. Jahr#,
1903.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zeatnriblitt für gerkhtlieäe Medizin and Psychiatrie,
Sr intiiehe SaehTerstandigenthätigkeit in Unfall- und Invaliditatosaehen, sowie
Sr lygieae, offentL Sanitatswesen, Medizinal -Gesetzgebung and Rechtsprechung
Herausgegeben
toh
Dr. OTTO RAPMUND,
Regierangs- and Geh. Medlnlnalrath in Minden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Ineeraie nehmen die Ttrlofshandlanf sowie alle Annooenexpeditlonen des In-
and l.aslendes entgegen.
4. Brseheint am 1. und 15. Jeden Monate \ 5. Febniftr,
Ein Fall von Thymustod.
Von Dr. Karl Dohrn in Lennep.
Am 27. November 1902 wurde ich zu dem 15 # / 4 jährigen
Spiimereiarbeiter F. V. geholt, da derselbe angeblich einen Schlag-
antall erlitten habe. In der Wohnung des V. kurz danach ange¬
langt, fand ich denselben bereits als Leiche vor. Das Gesicht
war blass, die Lippen leicht zyanotisch, die Pupillen mittelweit;
die Leiche lag auf dem Rücken im Bett, die Arme an den Körper
angelegt, die Beine gestreckt.
Von den Angehörigen erfahr ich Folgendes:
V. war bisher vollständig gesund gewesen. Am 22. November 1902 er¬
litt er bei der Arbeit eine leichte Quetschung des linken Unterschenkels, die
mit einer oberflächlichem, 5 Markstück grossen H&ntabschürfnng am Süsseren
PoasknOchel verbunden war. Unter Salbenbehandlung war die Verletzung so
weit geheilt, dass die völlig reaktionslose Wunde mit einem trockenen Schorf
bedeckt war.
Am Vormittag des Todestages war V. des Morgens zn‘ seinem be¬
handelnden Arzt gegangen und hatte dann im besten Wohlbefinden mit seinem
Brader um 11 Uhr gefrühstUckt. Plaudernd und pfeifend sass er darauf bei
•einer Mutter, bis er sich auf deren Aufforderung zum Mittagsschlaf in’s Bett
legte. Als die Mutter bald darauf in’s Zimmer trat, lachte er sie freudig an,
worauf sich diese wieder entfernte. Als sie eine Viertelstunde später wieder
ia’s Zimmer trat, fand sie den Sohn leblos im Bette liegend vor.
Auf Ersuchen der Bernfsgenossenschaft nahm ich am 29. No¬
vember 1902 in Gemeinschaft mit Herrn Kreisarzt Dr. Meyer
die Leichenöffnung vor, um einen etwaigen Zusammenhang
zwischen der am 22. November 1902 erlittenen Verletzung und
dem am 27. November erfolgten plötzlichen Tod festzustellen.
122
Dr. Dohrn.
Aus dem Sektionsprotokoll gebe ich die wichtigsten Angaben
in Kürze wieder:
A. Aeussere Besichtigung.
I. Kräftig gebauter Körper mit spärlichem Fettpolster und kräftiger
Muskulatur.
3. Die Haut ist blass. In der Bauohgegend ist sie leicht grünlich ver¬
färbt. Die abhängigen Theile sind dunkelroth.
5. Ausserhalb des linken äusseren Fassknöchels fehlt die Oberhaut in
Gestalt eines 6,6 cm langen Ovals von 1 cm Breite. Die Umgebung der Wunde
ist blass, ohne die Zeichen einer Entzündung zu zeigen. Auf Durchschnitte-
sieht man den Schorf in dem Unterhautzellgewebe scharf abgegrenzt.
6. Spuren äusserer Verletzung sind nicht sichtbar.
B. Innere Besichtigung.
I. Kopfhöhle.
8. Das Schädeldach ist auffallend dünn. An der Stirn ist die dickste
Stelle 0,7 cm, an den übrigen Stellen durchschnittlich 0,3 cm dick. Ver¬
letzungen des Knochens sind weder am Schädeldach, noch an der Basis wahr¬
nehmbar.
10. Der Längsblutleiter und die Blutleiter am Schädelgrund sind reich¬
lich mit dunkelrothem, flüssigem Biut gefüllt.
II. Die harte Hirnhaut ist wenig verdickt und leicht gespannt.
14. Die Windungen des Grosshirns sind wenig abgeplattet, die Forchen
etwas abgeflacht. Die Beschaffenheit der Hirnmasse ist derb. Die Blutpunkte
zahlreich.
16. Das Vorderhorn ist wenig erweitert, enthält ca. V» Theelöffel klarer,
gelblicher Flüssigkeit.
16. Die Innenhaut der Hirnhöhlen ist glatt spiegelnd, ohne Körnung.
II. Brust- und Bauchhöhle,
a. Brusthöhle.
22. Die Lungen sind leicht gebläht. Das Brustfell nicht verwachsen.
Im rechten Brustfeliraum ca. 80, im linken 20 ccm blutig gefärbter Flüssigkeit.
23. Die Thymus ist 11 cm lang, 6,6 cm breit und 2,6 cm dick.
Die Masse des Gewebes ist graurotb, die Läppchenzeichnung
deutlich ausgeprägt.
26. Auf der Vorderfläohe des Herzens ziemlich reichliche Fettauflagerung
26. Die Grösse des Herzens entspricht der geballten Leichenfaust. Die
linke Herzkammer ist gewölbt, die rechte etwas eingefallen. Die Herzspitze
wird von der rechten und linken Kammer gebildet.
27. Im rechten Vorhof und Kammer wenig dunkelrothes, flüssiges Blut.
Die Klappen und Innenhaut zart. Die dreizipflige Klappe für drei Finger
durchgängig. Die Muskulatur derb, rotbbraun, mit deutlicher Zeichnung, nicht
von Fett durchwachsen, 0,6 cm dick.
Mikroskopisch ist die Streifang des Muskels deutlich erkennbar.
28. Im linken Vorhof und Kammer nur wenig flüssiges, dunkelrothes
Blut. Die Klappen und Innenhaut zart. Die zweizipflige Klappe für zwei
Finger durchgängig. Die Muskulatur derb, rothbraun, mit guter Zeichnung,
1,3 cm dick.
Mikroskopisch ist die Streifung deutlich sichtbar. An vereinzelten Stellen
sind die Fasern mit vereinzelten, kleinen Körnchen bestäubt.
29. Die Kransgefässe enthalten nur wenig flüssiges Blut. Die Innen¬
wand ist zart.
30. Die linke Lunge ist leicht gebläht. Das Lungenfell glatt spiegelnd.
Auf dem Durchschnitt ist die Farbe rothbraun. Der Luftgehalt überall er¬
halten. Auf Druck tritt schaumige, wenig reichliche, nicht getrübte Flüssig¬
keit hervor. Bronchialschleimhaut blass, ohne Schleim.
81. Die rechte Lunge bietet im Ganzen denselben Befund wie die linke.
Jedoch sind auf dem Lungenfell der Vorder- und Unterfläche des Oberlappens,
sowie auf der Vorderfläche des Unterlappens vereinzelte, kleine Blutaustritte
sichtbar. In beiden Lungen mikroskopisch keine Fettembolie.
82. Die Gefässe und die Luftröhrenäste beider Lungen werden mit der
Sin Fall von Thymnstod.
123
Sekeere bis in die feineren Veristelnngen geöffnet, ohne dass Qerinnael benw.
fremdartiger Inhalt gefunden werden.
33. Die Bronchialdrüsen sind vereinzelt bis erbsengross.
36. Die Halsgefftsse sind zart; im Bereich der Thymus namentlich ohne
Yerlnderangen, nicht znsammengedrttckt.
b. Bauchhöhle.
36. Die Miln ist 18 cm lang, 10 cm breit and 4 cm dick. Die Kapsel
ist glatt, snm Theil gerunzelt. Die Farbe aaf dem Durchschnitt dankelroth.
Konsistenz weich. Der Blntreichthum mftssig. Die Follikel sind deutlich
noktbsr.
37. Einzelne Gekrösedrüsen sind bis 3 cm Durchschnitt vergrOssert, derb
nit iunkelrothbrauner Farbe.
38—41. Nieren, Nebennieren, Harnleiter beiderseits ohne pathologischen
Bsfiad.
42. Die Harnblase enth< 5 ccm trübe, weissliche FlQssigkeit. Die
8eUeimhaut ist blass, getrübt, gewulstet, mit vereinzelten Blntaustritten.
Die Flüssigkeit enth< wenig Eiweiss. Mikroskopisch: zahlreiche platte
ud zylindrische Epithelien, vereinzelte EiterkOrper, wenig Bakterien, keine
Gonokokken.
45. Die Drüsenhaufen im unteren Dünndarm sind etwas geschwellt. Die
3ehleimhaut blass. Der Darminhalt flüssig, gallig.
48. Der Magen ist stark erweitert, enth< reichlich Speisehrei. Die
Schleimhaut ist grau, trübe, gewulstet, verdiokt, enth< vereinzelte Blutaus¬
tritte im Magengrunde.
49—50. Leber, Bauchspeicheldrüse ohne pathologischen Befund.
61. Die Aorta und ihre grosseren Verzweigungen, ebenso auch alle
•aderen w&hrend der Sektion zur Anschauung kommenden Schlagadern haben
im Verh<niss zu der sonst sehr kräftig gebauten Leiche einen auffallend ge¬
ringen Durchschnitt und dünne zarte Wandungen. Ebenso auch die Blutadern.
Stmmtlicbe Gef&sse enthalten nur flüssiges Blut, keine Gerinnsel. Das Lumen
der absteigenden Aorta betr> 1,4 cm.
Nach dem angeführten Sektionsbefund handelt es sich in dem
vorliegenden Fall mit Sicherheit um einen sog. Thymustod.
Der bei der Sektion gefundene chronische Magen- und Blasen¬
katarrh können als Todesursache nicht angeführt werden, zumal
da sie auch dem für sein Alter sehr kräftig entwickelten Mann
bisher nie Beschwerden verursacht hatten. Ebenso ergaben sich
auch aus den sorgfältigen makroskopischen und mikroskopi sehen
Untersuchungen der übrigen Organe keine Befunde, die den plötz¬
lich eingetretenen Tod erklären konnten. Insbesondere waren
Embolien (Fettembolie) nirgends nachzuweisen.
Dagegen sprach das Vorhandensein einer grossen persisti-
renden Thymus, der chronische Milztumor, die Vergrösserung der
lymphatischen Apparate des Darms, Mesenteriums und der Bron¬
chien, die auffallende Enge und Zartheit des Gefässsystems dafür,
dass es sich in dem vorliegenden Fall um ein Individuum mit
ausgesprochenem Status thymicus (Paltauf) handelte.
Die bisher noch nicht geklärte Frage nach der Ursache des
Todes bei diesen mit Status thymicus behafteten Individuen findet
auch in diesem Falle keine Lösung. Nach dem Sektionsbefunde
wäre nur mit Sicherheit auszuschliessen, dass die von einigen
Autoren angenommene und auch stellenweise beobachtete Todes¬
ursache, nämlich Druck der vergrösserten Thymusdrüse auf die
Gefässe oder die Trachea, hier Vorgelegen habe. Dagegen ist
eine Wirkung der Thymus auf die naheliegenden Herznerven nicht
ausgeschlossen.
124
Dr. Romeik: Karbolg&ngrän durch Karbolwasseramsohlag.
Besonders bemerkenswerth ist in dem vorliegenden Fall
ausser der besonderen Grösse der Thymus und der auffallenden
Enge und Zartheit der Gefässe noch der Umstand, dass der Tod
ohne jegliche äussere Einwirkung, als der Verstorbene im Bette
ruhte, erfolgt ist, während in den bisher veröffentlichten Fällen
meist äussere Ereignisse (Narkose, Sprung in’s Wasser, operative
Eingriffe) den plötzlich eintretenden Tod begleiteten.
Auf Grund des Sektionsergebnisses wurde in dem von der
Berufsgenossenschaft eingeforderten Gutachten ein Zusammenhang
zwischen dem Unfall und Tode des V. als nicht bestehend ange¬
nommen.
Karbolgangrän durch Karbolwasserumschlag.
Von Kreisarzt Dr. Romeick in Mohrnngen.
Am 27. September v. J. fügte sich der 19jährige Schuh¬
machergeselle G. B. von hier eine mässig tiefe Schnittwunde in
die Beugefläche des Mittelgliedes des rechten vierten Fingers zu
Er wickelte einen mit Karbolwasser getränkten Leinwandlappen
herum, behielt diesen Umschlag, ohne die Anfeuchtung zu er¬
neuern, nachtüber darauf und erschien am andern Tage 8 Uhr
Vormittags bei mir zur Behandlung. Die d kleine Schnittwunde sah
reizlos aus, aber die Umgebung auffällig hart und trocken. Ich
verordnete Borsalbenverband. In wenigen Tagen verwandelten sich
die Weichtheile des Mittelgliedes in einen schwarzen Brandschorf,
der sich unter Eiterung abstiess. Die Heilung des Fingers war
am 22. November, also nach vollen 8 Wochen beendet. Das
Fingerglied ist verdünnt, die Beweglichkeit des Fingers durch
Mitergriffensein der Sehnen sehr vermindert. Das Karbolwasser
war aus der Apotheke bezogen. Es kann mit Sicherheit ange¬
nommen werden, dass, wenn die Kompresse öfter mit Karbol¬
wasser nachgefeuchtet bezw. noch am andern Tage auf dem
Finger draufgeblieben wäre, der ganze Finger gangränös ge¬
worden wäre.
Karbolwasser wird leider vom Volke als Hausmittel bei
allen blutigen Verletzungen verwendet. Bei Kindern haben Um¬
schläge damit schon viele Opfer an Fingern gekostet; der vor¬
liegende Fall lehrt, dass auch bei Erwachsenen die Fingerweich-
theile selbst bei Einwirkung geringer Mengen und bei ge¬
ringer Zeitdauer dadurch brandig werden können. Leider darf
sowohl in den Apotheken als auch ausserhalb der Apotheken
Karbolwasser als Lösung zu Desinfektionszwecken abgegeben
werden; nur wenn die Lösung stärker als 8°/ 0 ist, unterliegt
ihre Abgabe den Bestimmungen über den Verkehr mit Giften.
So lange die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen unverändert
bleiben, werden auch ferner Unglücksfälle, wie der mitgetheilte,
nicht zu den Seltenheiten gehören.
Dr. Hoffmann: Fall von Leichenzerstttckelung and •Verbrennang. 125
Fall von Leichenzerstückelung und -Verbrennung.
Von Dr. Hoffmann, Gerichtsarzt in Elberfeld.
Am 28. August 19 . . wurde ich von dem hiesigen Unter¬
suchungsamte nach H. zu einer „Leichenschau" requirirt.
Ueber den Befund bei dieser habe ich ungefähr das Nach¬
stehende zu Protokoll gegeben:
In einem Sarge finden sich ca. 20 Stücke „Fleisch“, die kleinsten in der
Grösse eines Hühnereis, das grösste 27 cm lang, 21 cm breit nnd 9 cm dick.
Die meisten sind mit Hant bekleidet und haben ganz glatte RSnder.
Die Oberhant sieht bei einigen schmutzig - weiss ans, bei anderen blau-
rotb. Einschnitte in diese blan-rothen Stellen, welche theilB streifig, theils
gleichmässig verwaschen sind, lassen bis tief in die Muskulatur hinein freies
Blut im Gewebe erkennen.
Mit Sicherheit werden erkannt:
1. beide Schaltern, an der linken befindet sich noch das Schalterblatt
nad das annähernd in der Mitte platt darchtrennte Schlüsselbein, des freie
Bade erscheint wie blatdnrchtränkt.
Die Hantfarbe beider Schaltern ist bl&a-roth; freies Blot im Gewebe;
2. zwei Stücke der vorderen Banchw&nd angehörig, an dem einen noch
die männlichen Geschlechtsteile, das andere durch Scham haare kenntlich;
an dem linken Theile ist die Oberhaut blan-roth; freies Blnt im Gewebe;
3. die brüchige, schwarz-grüne Leber mit gefüllter Gallenblase;
4. das schmutzig - branne Herz, dessen linke Kammer durch einen von
oben nach unten verlaufenden, glatten Schnitt eröffnet ist;
5. der untere Theil des Dünndarms nnd der obere des Dickdarms, beide
noch zusammenhängend und am Gekröse befindlich;
6. von sämmtlichen Weichtheilen entblösst die untere Hälfte des linken
Oberschenkelknochens und die obere des linken Unterschenkelknochens beide
Schenkel durch die Bänder des Kniegelenks zusammenhängend.
Die sämmtlichen Theile waren Tags zuvor in einem Garten vergraben
anfgefunden worden. Es wurde nochmals nachgegraben nnd ausser 6 völlig
«■kenntlichen, je ungefähr hühnereigrossen, weichen Leichenresten nnd der
oberen Hälfte des linken Oberschenkelkopfes noch ein 40 cm langer, 10 cm
breiter und 4 cm dicker Fleischlappen zu Tage gefördert. Die Oberhaut
dieses Lappens war blau-roth gefärbt, Einschnitte zeigten freies Blut im
Gewebe in der Dicke von 4—5 mm.
Das Gutachten konnte natürlich irgend eine bestimmte
Todesursache nicht feststellen; es schloss: die blaurote Ver¬
färbung rührt her von äusseren Einwirkungen (Schlag, Stoss
Q. s. w.), die den Verstorbenen im Leben getroffen haben, und es
ist nicht unmöglich, dass sie die Todesursache darstellen.
Unterdessen durchschwirrte den Ort H. das Gerücht, der
Gelegenheitsarbeiter F. sei ermordet worden, und S., in dessen
Garten jene Leichentheile gefunden waren, sei der Thäter.
S. legte ein Geständniss ab und wiederholte es bei der am 6. Ok¬
tober stattgefundenen Schwurgerichtsverhandlung. Danach und
nach den Zeugenaussagen hat sich der Vorgang so abgespielt:
Am 24. August 19 . . haben F. nnd S. zusammen Schnaps getrunken. Als
die 8 jährige Tochter des S. neuen Vorrath holen sollte, begleitete sie F. und
•oll sie unterwegs unsittlich berührt haben. S. hat die beiden überrascht und
ist über die That in Wuth gerathen, jedoch kam die „Wuth“ erst zum Aus-
brach, nach dem die drei in die Wohnung des S. zurückgekehrt waren, und
P. u. 8. zusammen den neu geholten Branntwein ausgetrnnken hatten.
8. schlug den F. abwechselnd mit 3 Stöcken und einer Peitsche. Der
tize Stock wird geschildert als ein eichener Stock von 2 cm Durchmesser, oben
etwas gesplittert. Nach dem Schlagen hat S. seiner Ehefrau seine Hände
geaeigt, in denen durch das Schlagen Blasen entstanden waren; die Zahl der
126 Dr. Hoffmans: Fall von Leichenzerstttckelnng and -Verbrennung.
Schläge soll nach der eigenen Angabe des S. 20—80 betragen haben; die
Kleider des F. haben in Folge der Schläge in Fetzen um den Körper gehangen.
DieBe Prügelszene hat sich in verschiedenen Akten Uber den ganzen
Vormittag erstreckt, eine Aenssernng hat angeblich gelautet: „ich will Dir
keine Knochen kaput hauen, aber apfelweich musst Du werden 1“ F., der an¬
geblich betranken war, ist zu Boden gestürzt, hat nachher jammernd und
stöhnend sich hinter das Haus geschleppt, wahrscheinlich hat er hier noch
weitere Prügel bekommen. Im Laufe des Nachmittags ist F. hier gestorben.
S. will anfangs die Absicht gehabt haben, den Tod der Polizei zn melden,
da aber der Bücken des F. so blau und roth ausgesehen habe, so habe er aus
Angst vor Weiterungen von einer Anzeige Abstand genommen nnd den Leichnam
verborgen, nm ihn am anderen Tage zn beseitigen. Den Abend hat S. im
Wirthshans verbracht. Am anderen Morgen schleppte er die Leiche in den
Keller, loste mit einem grossen Fleischermesser die Weichtheile von den
Knochen nnd zestüokelte mit einer Axt die Leiche. Zuerst hat er nach seinen
Angaben den Kopf abgetrennt, dann die Gliedmassen, die Wirbelsäule hat
er dnrchgehackt, die Weichtheile hierauf vergraben, die Knochen verbrannt.
Den Kopf z. B. hat er in toto in den glühenden Stubenofen geworfen und ihn
mit Kohlen bedeckt, und so allmählich Alles bis auf die gefundenen Beste
durch das Feuer vernichtet, abgesehen von einigen kleinen Stücken, die durch
Katzen verschleppt worden seien.
Die Asche des Ofens wurde durchsucht und in ihr noch einige feste
Beste gefunden, die deutlich die Struktur eines Knochens erkennen Hessen.
Ausserdem fanden sich in der Asche Knochenreste, die in 3 Punkten
sicheren Anhalt für die Bestimmungen der naturgemässen Lagerung der
Knochen gaben. Es wurden erkannt die Hälfte eines verkohlten Gelenkkoptes,
verschiedene Finger- und Zehen • Knochen und endlich ein kleines, flaches,
etwas kugelförmig gebogenes Knochenstttok, auf dessen Innenseite eine Gefäss-
furohe sichtbar war; dieses letztere wurde als ein Best des Schädeldaches
angesproohen.
Auf Grund der Beweisaufnahme und des objektiven Be¬
fundes habe ich mein Gutachten dahin abgegeben, dass F. in Folge
der Misshandlungen gestorben sei, dabei sei es gleichgültig, ob
als letzte Todesursache ein „Nerven-Shock“ oder die zweifellos
nicht unerhebliche Blutung in die Gewebe anzusehen sei.
Die Verurtheilung erfolgte wegen Körperverletzung mit
Todes-Erfolg.
Nur noch einige Worte über die Persönlichkeit des Thäters
Ich will vorweg bemerken, dass er in Bezug auf seinen
Geisteszustand einen derartig günstigen Eindruck machte, dass
nicht einmal die Vertheidigung ihn als „minderwerthig“ oder dergl.
hinznstellen versuchte. Geboren am 17. Juli 1871 ist er nach
seiner Entlassung aus der Schule Kuhhirt, Viehwärter, Arbeiter,
Pferdeknecht, Schnapsbrenner, Abdeckereigehülfe, Hundezüchter
in bunter Abwechslung gewesen. Er hat seiner Militärpflicht
genügt, ist bis jezt nicht vorbestraft gewesen, stammt von ge¬
sunden Eltern, hat gesunde Geschwister und gesunde Kinder, ist
selbst stets gesund gewesen, hat erst in der Zeit, wo er Schnaps¬
brenner war, angefangen, Schnaps zu trinken, ist aber kein regel¬
mässiger Säufer gewesen und auch nicht oft betrunken gesehen
worden.
Trotzdem stand er nicht in gutem Rufe, er galt als arbeits¬
scheu, gewaltthätig und war im Verdacht, sich öfters gegen
fremdes Eigenthum zu vergehen; seine Frau wirkte — so hiess
es — als puella publica.
Dr. Klo«: Mitwirkung der Medizinalbeamten a. d. Gebiete der Gewcrbebygiene. 127
Er machte den Eindruck eines verschlossenen, aber durchaus
schlauen und „gerissenen“ Menschen. Während der Untersuchungs¬
haft habe ich ihn häufig aufgesucht; Spuren abnormer Beschaffen¬
heit seines Geisteszustandes sind nicht beobachtet worden.
Interessant ist dieser Fall sicher insoweit, als hier der
Thäter seine als Abdeckerei -Gehülfe erworbenen Kenntnisse be¬
nutzte. um einen Menschen zu „zerlegen“ und dann kalt und ruhig
seine That eingestand. Wäre dem Auffinden der Leichenreste
nicht die Entdeckung des Thäters auf dem Fusse gefolgt, so
wäre der Kombination Thor und Thür geöffnet gewesen.
Die Mitwirkung der Medizinalbeamten auf dem Gebiete der
Gewerbehygiene, namentlich mit Rücksicht auf den Gesund¬
heitsschutz der Arbeiter gegen Tuberkulose und andere
Krankheiten.
Von Kreisarzt Medizinalrath Dr. Klose in Oppeln.
Für die preussischen Kreisärzte schreibt §. 92 der Dienst¬
anweisung vor:
„Der Kreisarzt muss aneh den bestehenden Gewerbebetrieben seines
Bezirke, welche die öffentliche Gesundheit oder die der beschäftigten Arbeiter
za ssh&digen geeignet sind, oder welche durch ihre festen und flüssigen Ab¬
ginge eine Verunreinigung der öffentlichen Wasserlftufe und des Untergrundes
befürchten lassen, seine Aufmerksamkeit zuwenden und auf die Beseitigung
vorhandener gesundheitlicher Schädlichkeiten und Belästigungen hinwirken.
Er hat sich mit den zatsändigen Behörden und Beamten, namentlich den
Gewerbeinspektoren, in Verbindung zu setzen (vergl. §. 18 d. Anw.) mit diesen
gemeinschaftlich nach Bedürfnis die Anlagen, insbesondere solche, deren Betrieb
vorzugsweise Gesundheitsscbädigungen im Gefolge hat (z. B. Phosphor-, Ztind-
waaren-, Spiegel-, Bleifarben-, Akkumulatoren-, Glühlampen- und chemische
Fabriken) zu besichtigen und darauf zu achten, dass den hygienischen An¬
forderungen überall gebührende Rechnung getragen wird.
Auch die mit einzelnen Zweigen der Hausindustrie verbundenen Schädlich¬
keiten soll der Kreisarzt beachten nnd entsprechende Abhülfemassnahmen
aaregen.*
Bei der Neuordnung der Stellung der Medizinalbeamten in
Preussen erschien dieser Paragraph wohl mit als das schönste
Geschenk; denn er sicherte denselben doch eine Mitwirkung in
der Hygiene der gewerblichen Betriebe zu, die sie bereits lange
&nge8trebt hatten. Der Absatz 2 des Paragraphen, welcher be¬
stimmt, dass die Kreisärzte sich mit den Gewerbe-Inspektoren in
Verbindung zu setzen haben, um gemeinschaftlich mit ihnen zu
wirken, ist meiner Ansicht nach nicht als eine Einschränkung
einer gedeihlichen Thätigkeit der Medizinalbeamten anzusehen,
sondern eher geeignet, die Wirksamkeit ihrer Massregeln zu er¬
höhen, Dank der autoritativen Stellung in den Gewerben einschl.
den häuslichen Betrieben, welche die Gewerbe-Aufsichtsbeamten
sich im Laufe der Zeit zu gewinnen verstanden haben. Aber
diese Bestimmung bleibt lediglich eine leere Formel, so lange
nicht auch die Gewerbe-Inspektoren dort Halt machen, wo die
Medizin anfängt und sich zunächst hier mit den Medizinalbeamten
m-Verbindung setzen.
128
Dr. Klose.
Die Befürchtungen, welche an manchen Orten laut wurden,
dass die Medizinalbeamten im Vollbewusstsein der Machtfülle, die
ihnen die Dienstanweisung zuerkennt, die gebührenden Grenzen
überschreiten könnten, sind meines Wissens nirgends oder
wohl nur sehr vereinzelt in Erfüllung gegangen; ganz be¬
sonders sind gewerbliche Betriebe mit solcher Vorsicht und ledig¬
lich in rein gesundheitspolizeilichem Interesse besucht worden,
wenigstens soweit ich informirt bin, dass selbst der empfindlichste
Gewerbe-Inspektor kaum darüber klagen konnte, es habe ein Ein¬
griff in seine Machtsphäre stattgefunden. Keinem Medizinal¬
beamten dürfte daher mit Recht der Vorwurf gemacht werden
können, ein Gebiet betreten zu haben, auf dem er Laie und daher
inkompetent sei.
Umgekehrt bin ich nicht in der Lage, auch von den Gewerbe-
Inspektoren sagen zu können, dass sie sich meines Wissens
streng in den ihnen gezogenen Grenzen halten und in rein medi¬
zinischen Fragen sich erinnern, dass es auch staatliche Gesund¬
heitsbeamte gäbe. Hat doch z. B. in meinem Wohnorte ein
Gewerbe-Inspektor in einem Krankenhause Erkundigungen
über Gewerbe-Krankheiten eingeholt. Der Besuch des Kranken¬
hauses im September vorigen Jahres seitens des Gewerbe-
Inspektors rief dort solches Befremden hervor, dass der Anstalts-
arzt sich verpflichtet hielt, mir davon Mittheilung machen zu
müssen. Es handelte sich hier zweifellos um einen Fall, in dem
sicher ohne Noth die Beihülfe der Medizinalbeamten bei Seite ge¬
schoben wurde und, wie ich weiter glaube behaupten zu können,
die nothwendigen Massregeln mindestens hier am Orte nicht
richtig erkannt wurden, obwohl sie auf der Hand lagen. Auf
die von dem Krankenhausarzt erhaltene Nachricht frag ich bei
dem von mir hochgeschätzten Gewerbeinspektor an und erhielt in
der liebenswürdigsten Form bald die nachstehende Auskunft: Den
ersten Anstoss zu seinen Ermittelungen habe eine Eingabe der
Zentralkranken- und Sterbekasse der Tapezierer und verwandten
Berufsgenossen an das Kaiserliche Gesundheitsamt gegeben, in der
darauf hingewiesen sei, dass 1900 von 2511 Erkrankten der ge¬
dachten Berufsarten 252 (10°/ 0 ) an Lungenkrankheiten und
255 (10,1 °/ 0 ) an Rheumatismus gelitten hätten, und von den 178
in den Jahren 1896—1900 gestorbenen Kassenmitgliedern 87
(48,8 °/o) an Lungenleiden gestorben seien. Die Ursache dieser
ungünstigen Gesundheitsverhältnisse habe der Kassenvorstand theils
in der Beschäftigung mit stauberzeugenden Arbeiten, theils aber
auch und zwar ganz besonders in der Beschaffenheit der Werk¬
stätten gefunden, von denen eine erhebliche Zahl in einzelnen Orten
bis zu 25 °/ 0 in Kellerräumen untergebracht sei. Diese Keller¬
werkstätten seien zum Theil in Folge ihrer tiefen Lage unter
dem sie umgebenden Terrain feucht und schlecht ventilirbar, auch
der Belichtung durch Sonnenstrahlen entrückt. Durch Ministerial¬
erlass vom 2. Mai 1902, Verfügung des Regierungspräsidenten vom
19. Mai 1902, seien die Gewerbeaufsichtsbeamten beauftragt, über
die Berechtigung dieser Klagen zu berichten. Nach den von dem
Die Mitwirkung der Mediiinalbeamten auf dem Gebiete der Gewerbehygiene etc. 129
hiesigen Gewerbeinspektor angestellten Ermittelungen, die sieh
auch anf Mittheilungen des hierüber gefragten Kassenarztes
stützten, sollten nun Erkrankungen der gedachten Art, die auf
die Berulsthätigkeit zurückzuführen wären, bei den Mitgliedern
der hiesigen Tapezierer- und Sattlerinnung bislang nicht beobachtet
worden sein; ebensowenig sei die Unterbringung dieser Werk¬
stätten in Kellerräumen wahrgenommen worden.
Obwohl die Mittheilung der Zentralkranken- und Sterbekasse
nichts Ueberraschendes für mich bot, so versuchte ich doch auch
die Verhältnisse innerhalb meines Amtsbezirkes festzustellen, so¬
weit sich dies als unbeauftragter Gutachter thun liess. Den Be¬
such der Werkstätten unterbrach ich allerdings bald, da mir bei
aller Freundlichkeit stets ein ängstliches Misstrauen entgegen¬
gebracht wurde, was unangenehm berührte; auch hatte ich die
Ueberzeugung, bei diesen Besuchen nicht stets die volle Wahr¬
heit zu erfahren.
Meine Erkundigungen beim Kassenarzt der Stadt ergaben
ein günstiges Resultat, ebenso die Einsichtsnahme in das Kranken¬
register beim Rendanten der Krankenkasse.
Die Details kann ich übergehen, da nicht die Frage, welche
die Zentralsterbekasse der Tapezierer angeregt hat, von mir in
der Hauptsache besprochen werden soll, sondern sie allein in der
Art ihrer Behandlung mir Gelegenheit bietet, die etwas stief¬
mütterliche Stellung der Medizinalbeamten in der Gewerbehygiene
zu betonen. Es möge jedoch kurz erwähnt sein, dass die Kranken¬
kassenmitglieder, nur aus Gesellen und Lehrlingen, hierorts durch¬
weg sehr jugendliche Personen, bestehend, sämmtlich gesund
waren, die Meister mit 1 Lungenkatarrh und 2 Kehlkopfkatarrhen
9,7 °/o Morbidität an Krankheiten der Respirationsorgane und
7,0 °/ 0 Rheumatismuskranke aufwiesen, dass schliesslich innerhalb
15 Jahren 2 Todesfälle an Tuberkulose -vorgekommen waren und
zwar 1 Meister und eine Meisterstochter, die mitgearbeitet hatte.
Die Werkstätten waren nicht durchweg einwandsfrei; zwar war nur
eine Kellerwerkstatt vorhanden, doch mussten 6 weitere Parterre-
räume als feucht, theilweise dunkel und sonst eng bezeichnet
werden, soweit ich sie gesehen habe, so dass sie kaum einen
Vorzug vor den Kellerwohnungen boten. Der Kreisarztbezirk
Oppeln würde demnach 22,5 °/ 0 Werkstätten mit den gleich un¬
günstigen Verhältnissen aufweisen, in denen die Zentralkranken-
und Sterbekasse die Ursache der hohen Krankheitsziffer ihrer
Mitglieder an Lungen- und rheumatischen Erkrankungen und die
hohe Sterblichkeit an Lungenkrankheiten erblickt.
Die Frage, woher trotzdem hier die günstigeren Morbiditäts-
und Mortalitäts - Verhältnisse kommen, erscheint mir übrig; denn
die Zahlen, welche ein so kleiner Bezirk bietet, bei denen ein
Todesfall oder ein Krankheitsfall bereits 1,5 °/ 0 repräsentiren, sind
zu gering, um damit Statistik treiben zu können; der kleinste
Zufall wird nach der einen oder anderen Seite hier falsche Re¬
sultate zu Wege bringen müssen. Man darf sich eben nicht durch
die scheinbar günstige Sachlage in einem Orte täuschen lassen,
lao
Dr. Klose.
sondern die allgemeine Erfahrung ruft uns zu: „consules videant,
ne quid detrimenti respublica capiat“ und die consules haben
meines Erachtens hier die Medizinalbeamten zu sein.
Es besteht zweifellos eine Gefahr, die den Tapezierern droht:
das ist die Infektion seitens durchseuchter Polster, Sophas etc.,
die zur Umarbeitung denselben übergeben werden. Dieser Ge¬
danke gewinnt in hohem Grade an Wahrscheinlichkeit, wenn wir
die Zahlen uns ansehen, welche die Zentralkranken- und Sterbe¬
kasse nennt. Hierbei ist es sofort auffällig, dass die Nachtheile,
welche der hohen Mortalitätsziffer zu Grunde liegen, sich nur nach
einer Richtung hin hauptsächlich geltend machen und zwar be¬
züglich der Lungenleiden. 48,8 °/ 0 aller Todesfälle bedeutet etwa
den doppelten Prozentsatz, der im gesammten Deutschland auf
sämmtliche Todesfälle in Folge Erkrankungen der Respirations¬
organe kommt, von denen die kleinere Hälfte etwa auf Rech¬
nung der Tuberkulose fällt, wobei noch nicht einmal in Betracht
gezogen wird, dass es sich hier nur um die Altersklassen nach
15 Jahren handelt, also das Verhältniss in Wirklichkeit noch un¬
günstiger ist.
Die Lungenleiden, um die es sich bei den Tapezierern und
Sattlern handelt, dürften wohl überwiegend Tuberkulose betreffen.
Es muss, wenn diese Annahme zutrifft, woran kaum zu zweifeln
ist, eine Lücke bestehen in den Schutzmassregeln, welche für die
Gewerbetreibenden getroffen sind.
Die Massregeln, soweit sie die Werkstätten in Bezug auf ge¬
nügend Licht, Luftinhalt, Luftwechsel bezw. die mechanische Be¬
triebsvorrichtungen in Bezug auf Sicherheitsvorkehrungen beim
Betriebe der Maschinen u. s. w. betreffen, verweise ich gern in
das Dezernat der Gewerbe-Aufsichtsbeamten, wie es bisher war,
sie können auch ohne medizininische Kenntnisse ausreichend kon-
trollirt werden. Schwieriger ist es jedoch schon bei den Vor¬
kehrungen, welche den Zweck haben, schädliche Staubeinathmnng
und Kontaktinfektionen zu verhindern; hier fängt im vorliegenden
Falle das Dezernat oder wenigstens die Mitwirkung des Medizinal¬
beamten an.
Da, wo der Staub auf dem Arbeitstisch sich entwickelt, mag
es gelingen, ihn abzufangen, aber, wo es sich um grosse Gegen¬
stände, wie Matratzen und Sophas handelt, welche zertrennt und
aufgepolstert werden sollen, entwickelt sich unvermeidlich ein
Staub, der nicht ohne Weiteres absaugbar ist, sondern der im
Gegentheil durch luftige, sagen wir auch zugige Räume, noch mehl*
in verhängnisvoller Weise umhergejagt wird. Die Athmungs-
schutzmasken können in diesem Falle vielleicht schützen, aber
wer wendet sie an?
Wie würde es ferner in den Tapezierwerkstätten von Seiten
der Gewerbe-Aufsichtsbeamten zu ermöglichen sein, Vorkehrungen
zu treffen, um die Kontaktinfektion zur Zeit zu vermeiden? Gesetzt
den Fall, es gelänge, Anordnungen zu treffen, dass z. B. der Ta¬
pezierer jedes Mal, wenn er die Arbeit an infektiösem Material
nnterbricht, um vielleicht etwas zu essen oder eine andere Arbeit
Die Mitwirkung der Medixin&lbeamten aui dem Gebiete der Gewerbehjgiene etc. 181
zu übernehmen oder auch nur, nm sein Taschentuch zn ge¬
brauchen u. s. w., seine Hände zu reinigen habe, glaubt dann
irgend Jemand, dass die Anordnungen gewissenhaft befolgt werden
würden?
Es würde hier dieselbe gewissenhafte Desinfektion noth-
wendig werden, die in jedem bakteriologischen Laboratorium ge¬
boten ist, soweit reicht aber die Intelligenz der Handwerker doch
wohl nicht. Ehe ein Arbeiter zum Gebrauch solcher Mittel frei¬
willig bewogen wird — und freiwillige Mitwirkung ist hier nun
einmal unerlässlich — da muss es sich schon um Unbequemlich¬
keiten handeln, die sofort recht unangenehm lästig fallen. Der
Durchschnitt der Handwerker ist eben nicht intelligent genug,
am einzusehen, dass der ihm harmlos erscheinende Staub, der in
der Luft herumwirbelt oder an seinen Händen klebt, todtbringende
Keime enthalten kann. In einer grossen Zahl von Fällen werden
aber Matratzen, Sophas, Ruhesessel zur Umarbeitung und neuem
Ueberziehen fortgegeben, auf denen ein armes Menschenkind die
letzten müden Lebensmonate, bisweilen auch Jahre zugebracht
and die Augen geschlossen hat.
Bei einzelnen Krankheiten, z. B. bei Typhus, Diphtherie,
ist man nun glücklich soweit, dass die Sachen mehr oder weniger
wirksam vorher desinfizirt werden; bei Krebs herrscht im Allge¬
meinen solcher Abscheu, dass ein grosser Theil der Sachen ver¬
nichtet wird; nach Schwindsucht denkt jedoch bis jetzt nur der
kleinste Theil der Menschen an eine Desinfektion oder gar Ver¬
nichtung. Gerade diese Krankheit stellt aber das Hauptkontin-
gent der jahre- und monatelang siechen Patienten; die durch
Auswurf und Dejekte die Polsterungen infiziren, deren Staub
weiterhin den Tapezierern so verhängnisvoll werden kann.
Vielleicht ist besonders der Umstand, dass in grösseren wohl¬
habenderen Orten öfters äusserlich sonst noch gut erhaltene der¬
artige Möbel zur Umarbeitung gelangen, als in kleineren unbe¬
mittelten Orten, die Ursache, dass in letzteren, wie z. B. hier, die
Verhältnisse günstiger liegen, als in den grösseren Städten.
Um der Gefahr, welche von dieser Seite den Tapezierern
droht, mit Erfolg begegnen zu können, muss man die Werkstätten
verlassen. Jedenfalls würde es der Sache selbst dienlicher ge¬
wesen sein, wenn die Eingabe der Zentral - Krankenkasse der
Tapezierer vom Reichsgesundheitsamte aus auch den Weg in das
Kultusministerium gefunden hätte und bei den Ermittelungen auch
die Mitwirkung der Medizinalbeamten in Anspruch genommen
wäre. Jedenfalls fehlt es diesen nicht an gutem Willen, auch
auf dem Gebiete der Gewerbehygiene thätig zu sein und ihre
Kräfte nach Möglichkeit einzusetzen, um "sich des jetzt noch
fehlenden Vertrauens zu erwerben.
Eine gedeihlichere Mitwirkung wie jetzt wäre den Medizinal¬
beamten in der Gewerbe-Hygiene schon dann gesichert, wenn
ihnen das statistische Krankenmaterial aus den einzelnen Kranken¬
kassen ihres Amtsbezirks alljährlich zur Verfügung'gestellt würde;
«s ist dies ein Wunsch, der wohl billig und leicht erreichbar wäre.
132 Entwarf eines Ausftihrungsgesetzes na dem Reichsgesetz, betr.
Im vorliegenden Falle handelte es sich aber zweifellos nm
eine gesundheitliche Gefahr der Tapezierer, welche diesen dnrch
unzureichende Massregeln der Seuchenbekämpfung droht; sie liegt
weit ab von dem Gebiet, auf dem der Gewerbe - Aufsichtsbeamte
sich noch als Sachverständiger fühlen darf.
Zum Schluss noch eine Bemerkung: Ich weiss sehr wohl,
dass ich hier nur einen der uns Aerzten bekannten Schleichwege
berührt habe, deren unzählige die unheilvolle Seuche aufsucht,
um zur Geissei der Menschheit zu werden, aber diese Wege und
gleichzeitig sicher eine Reihe anderer, könnten verlegt werden,
wenn mau endlich dazu käme, die Schwindsucht, in Bezug auf
Meldepflicht und Desinfektionsmassregeln, unter die schweren
Infektionskrankheiten zu zählen. Ich stehe in dieser Hinsicht ganz
auf dem Standpunkt vom Kollegen Helves, dass die Melde¬
pflicht der Todesfälle nur eine halbe Massregel und deshalb die
Meldepflicht sämmtlicher Krankheitsfälle anzustreben ist, aber so
lange wir das Ganze nicht erreichen können, wäre es schon ein
Vortheil, die Hälfte zu erlangen. Die Meldepflicht der Tuber¬
kulose-Erkrankungen ist eben schwer durchführbar, dagegen
dürfte diejenige der Todesfälle auf keine Schwierigkeiten stossen;
soll diese aber auf Genauigkeit Anspruch machen, so müsste sie
die offizielle Leichenschau zur Voraussetzung haben.
Als weitere Massregel wäre der Desinfektionszwang
nach jedem Schwindsuchtstodesfall nothwendig.
Das Material, welches beweisend für die Nothwendigkeit der
angedeuteten Massregeln und wahrscheinlich noch mancher anderer
ist, kann allein gewonnen werden durch Mitarbeit der Medizinal¬
beamten auf dem Gebiet der Gewerbehygiene. Das Arbeitsfeld
ist hinreichend gross, um ohne Eifersüchtelei ein Zusammen¬
arbeiten der Gewerbe-Aufsichts- und Medizinalbeamten zu ge¬
statten, und die noch zu lösenden Fragen sind so viele und
mannigfache, dass eine Reihe von Wissenszweigen zu ihrer Be¬
wältigung herangezogen werden müssen; unter diesen nimmt aber
die medizinische Wissenschaft sicher nicht den unansehnlichsten
Platz ein! _ _
Entwurf eines Ausflihrungsgesetzes zu dem Reichsgesetz,
betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten
vom 30. Juni 1900
Der dem preussischen Abgeordnetenhause jetzt vorgelegte
Entwurf eines Seuchengesetzes hat folgenden Wortlaut:
Erster Abschnitt.
Anseigepflioht.
§. 1. Ausser den in dem §. 1 des Reichsgesetzes aofgeführten Fällen
der Anseigepflioht — hei Aassatz (Lepra), Cholera (asiatischer), Fleekfieber
(Flecktyphus), Gelbfieber, Pest fnrieutalische Benlenpest), Pocken (Blattern), —
ist jede Erkrankung and jeder Todesfall an:
Diphtherie (Rachenbräune),
Genickstarre, übertragbarer,
Kindbettfieber (Wochenbett-, Puerperalfieber),
Körnerkrankheit (Granulöse, Trachom),
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 19Ö0. 133
Lungen* und Kehlkopfstuberkulose, die Erkrankung jedoch nur, wenn ein
an vorgeschrittener Lungen- und Kehlkopfetuberkulose Erkrankter
seine Wohnung wechselt,
Rückfallfieber (Febris recurrens),
Ruhr, Übertragbarer (Dysenterie),
Seharlach (Scharlachfieber),
Syphilis, Tripper und Schanker, bei Personen, welche gewerbsmässig Un¬
sucht treiben,
Typhös (Unterleibstyphus),
Milzbrand,
Rots,
Tollwuth (Lyssa),
Fleisch-, Fisoh- und Wurstvergiftung,
Trichinose,
jeder Fall, welcher den Verdacht von Kindbettfieber, Rlickfallfieber, Typhus
oder Rotz erweckt,
der für den Aufenthaltsort des Erkrankten oder den Sterbeort zuständigen
Polizeibehörde unverzüglich anzuzeigen.
Wechselt der Erkrankte die Wohnung oder den Aufenthaltsort, so ist
dies unverzüglich bei der Polizeibehörde, bei einem Wechsel des Aufenthalts¬
orts auch bei derjenigen des neuen Aufenthaltsorts zur Anzeige zu bringen.
§. 2. Zur Anzeige sind verpflichtet:
1. der zugezogene Arzt,
2. der Haushaltungsvorstand,
3. jede sonst mit der Behandlung oder Pflege des Erkrankten ' be¬
schäftigte Person,
4. derjenige, in dessen Wohnung oder Behansung der Erkrankungs- oder
Todesfall sich ereignet hat,
6. der Leichenschauer.
Die Verpflichtung der unter Nr. 2 bis 5 genannten Personen tritt nur
dann ein, wenn ein früher genannter Verpflichteter nicht vorhanden ist.
Die unter 1 und 3 bezeichnten Personen haben in jedem Falle, in
welchem sie von Unteroffizieren und Mannschaften des aktiven Heeres zur Be¬
handlung von Syphilis, Tripper oder Schanker zugezogen werden, dies dem
Kommando des betreffenden Truppentheils oder dem bei demselben angestellten
Obermilitärarzte unverzüglich anzuzeigen.
§. 3. Für Krankheits- und Todesfälle, welche sich in öffentlichen
Kranken-, Entbindungs-, Pflege-, Gefangenen und ähnlichen Anstalten ereignen,
ist der Vorsteher der Anstalt oder die von der zuständigen Stelle damit beauf¬
tragte Person ausschliesslich zur Erstattung der Anzeige verpflichtet.
Auf Schiffen oder Flössen gilt als der zur Erstattung der Anzeige ver¬
pflichtete Haushaltungsvorstand der Schiffer oder Flossfübrer oder deren Stell¬
vertreter.
Der Minister der Medizinal angelegenheiten ist ermächtigt, im Einver¬
nehmen mit dem Minister für Handel und Gewerbe Bestimmungen darüber zu
erlassen, an wen bei Krankheits- und Todesfällen, welche auf Schiffen oder
Flössen Vorkommen, die Anzeige zu erstatten ist.
§. 4. Die Anzeige kann mündlich oder schriftlich erstattet werden. Die
Polizeibehörden haben auf Verlangen Meldekarten für schriftliche Anzeigen
ueatgeltlich zu verabfolgen.
§. 5. Das Staatsministerium ist ermächtigt, die ln den §§. 1 bis 4 dieses
Gesetzes enthaltenen Bestimmungen über die Anzeigepflicht für einzelne Theile
oder den ganzen Umfang der Monarchie auch auf andere übertragbare Krank¬
heiten vorübergehend auszudehnen, wenn und so lange dieselben in epidemischer
Verbreitung auftreten.
Das Staatsministerium ist ermächtigt, bei der Lungen- und Kehlkopfs-
teberkulose die Anzeigepflicht über den in dem §. 1 dieses Gesetzes bezeich¬
ne ten Umfang zu erweitern, auch wenn die Voraussetzungen des ersten Ab¬
satzes nicht vorliegen.
Zweiter Abschnitt.
Ermittelung der Krankheit.
§. 6. Die in den §§. 6 bis 10 des Reiebsgesetzes enthaltenen Be¬
stimmungen über die Ermittelung der Krankheit finden entsprechende An-
134 Entwarf eines Ausführungsgesetzes za dem Reichsgesetz, betr.
wendang auf Erkrankungen, Verdacht der Erkrankungen und Todesfälle an
Kindbettfieber, Rttokfalifieber, Typhus und Rotz, sowie auf Erkrankungen und
Todesf&lle an fibertragbarer Genickstarre, fibertragbarer Ruhr, Milzbrand, Toll-
wuth, Fleisch-, Fisch- und Wurst Vergiftung und Trichinose.
Auch kann bei Typhus- oder Rotzverdacht eine Oeffhung der Leiche
polineilich angeordnet werden, insoweit der beamtete Arst dies zur Feststellung
der Krankheit ffir erforderlich hält.
Die ersten Fälle der vorstehend nicht genannten übertragbaren Krank¬
heiten (§. 1) hat, falls sie nicht von einem Arzte angezeigt sind, die Ortspoli-
zeibehfirde ärztlich feststellen zu lassen.
g. 7. Das Staatsministerium ist ermächtigt, die in dem §. 6, Abs. 1
dieses Gesetzes bezeichneten Bestimmungen ganz oder theilweise ffir einzelne
Theile oder den ganzen Umfang der Monarchie auch auf andere als die daselbst
anfgefährten abertragbaren Krankheiten vorübergehend auszudehnen, wenn und
so lange dieselben in epidemischer Verbreitung auftreten.
Dritter Abschnitt.
Schutzmasaregeln.
§. 8. Zar Verhütung der Verbreitung der in dem §. 1 dieses Gesetzes
genannten Krankheiten können für die Dauer der Krankheitsgefahr die Ab¬
sperr ongs- und Aufsichtsmassregeln der §§. 12 bis 19 und 21 des Reichsgesetzes
nach Massgabe der nachstehenden Bestimmungen polizeilich angeordnet werden,
und zwar bei:
1. Diphtherie (Rachenbräune): Absonderung kranker Personen(§. 14,
Abs. 2), Verkehrsbeschränkungen ffir das berufsmässige Pflegepersonal (§. 14,
Abs. 5), Ueberwaohung der gewerbsmässigen Herstellung, Behandlung und Auf¬
bewahrung, sowie des Vertriebes von Gegenständen, weiche geeignet sind, die
Krankheit zu verbreiten, nebst den zur Verhütung der Verbreitung der Krank¬
heit erforderlichen Massregeln (§. 15, Nr. 1 und 2), mit der Massgabe, dass diese
Anordnungen nur ffir Ortschaften zulässig sind, welche von der Krankheit be¬
fallen sind, Fernhaltung von dem Schul- und Unterrichtsbesuche (§. 16), Desin¬
fektion (§. 19 Abs. 1 und 3), Vorsichtsmaßregeln bezüglich der Leichen (§. 21);
2. Ge nickstarre, tthertragbarer: Absonderung kranker Personen (§. 14,
AbB. 2), Desinfektion (§. 19, Abs. 1 und 3);
8. Kindbettlieber (Wochenbett-, Puerperalfieber): Verkehrsbe-
schränkongen ffir Hebammen und Wochenbettpflegerinnen (§. 14, Abs. 6), Des¬
infektion (§. 19, Abs. 1 und 3).
Aerzte, sowie andere die Heilkunde gewerbsmässig betreibende Personen
haben in jedem Falle, in welchem sie zur Behandlung einer an Kindbettfieber
Erkrankten zagezogen werden, unverzfiglioh die bei derselben thätige oder
thitig gewesene Hebamme zu benachrichtigen.
Hebammen oder Wochenbettpflegerinnen, welche bei einer an Kindbett¬
fieber Erkrankten während der Entbindung oder im Wochenbett thätig waren,
dürfen nicht vor Ablauf von acht Tagen nach Beendigung dieser Thätigkeit
und vor gründlicher Reinigung und Desinfektion ihres Körpers, ihrer Wäsche,
Kleidung und Instrumente nach Anweisung des beamteten Arztes eine andere
Entbindung oder Wochenpflege übernehmen oder eine Schwangere innerlich
untersuchen. Die Wiederaufnahme der Berufsthätigkeit vor Ablauf der acht¬
tägigen Frist ist jedoch zulässig, wenn der beamtete Arzt dies ffir unbedenk¬
lich erklärt.
4. Körnerkrankheit (Granulöse, Trachom): Beobachtung kranker
und krankheitsverdäohtlger Personen (g. 12), Meldepflicht (g. 13), Desinfektion
(g. 19, Abs. 1 und 8);
6. Lungen- und Kehlkopfstuberkulose: Desinfektion (§. 19,
Abs. 1 und 3);
6. Rfickf allfieber (Febris recurrens): Beobachtung kranker Personen
(g. 12), Meldepflicht (§. 13), Absonderung kranker Personen (§. 14, Abs. 2 und 3),
Kennzeichnung der Wohnungen und Hänser (§. 14, Abs. 4), Verkehrsbeschränkungen
für das berufsmässige Pflegepersonal (§. 14, Abs. 5), Verbot oder Beschränkung
der Ansammlung grösserer Menschenmengen (g. 15, Nr. 3), Ueberwachung der
Schifffahrt (g. 15, Nr. 4 und 5), Fernhaltung von dem Sohul- und Unterrichts-
besuehe (g. 16), Räumung von Wohnungen und Gebäuden (g. 18), Desinfektion
(g. 19, Aba 1 und 8);
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom SO. Jnni 1900. 135
7. Bahr, abertragbarer (Dysenterie): Absonderung kranker Personen
(§. 14, Abs. 2), Verbot oder Beschränkung der Ansammlung grosserer Menschon-
■MBgen (§. 15 Nr. 3), Fernhaltung von dem Schul- und Unterrichtsbesuche (§. 16),
Verbot oder Beschränkung der Benutzung von Wasserversorgungsanlagen u. s. w.
(§.17), Bäomnng von Wohnungen und Gebäuden (§.18), Desinfektion (§. 19,
Aba 1 und 3), Vor sich tamassregeln bezüglich der Leichen (§. 21);
8. Scharlach: wie zu Nr. 1;
9. Syphilis, Tripper und Schanker, bei Personen, welche ge¬
werbsmässig Unsacht treiben; Beobachtung kranker, krankheits- oder an¬
steckungsverdächtiger Personen (§. 12), Absonderung kranker Personen (§. 14,
Absatz SO;
10. Typhus (Unterleibstyphus): Beobachtung kranker Personen (§. 12),
Meldepflicht (§. 13), Absonderung kranker Personen (§. 14, Abs. 2 und 8, Satz 1),
Kennzeichnung der Wohnungen und Häuser (§. 14, Abs. 4), Verkehrsbe-
Kkränkungen für das berufsmässige Pflegepersonal (§. 14, Abs. 5), Ueberwachung
iw gewerbsmässigen Herstellung, Behandlung und Aufbewahrung, sowie des
Vertriebs von Gegenständen, welche geeignet sind, die Krankheiten zu ver¬
breiten, nebst den zur Verhütung der Verbreitung der Krankheiten erforder¬
liehen Hassregeln (§. 16, Nr. 1 und 2), mit der in Nr. 1 bezeicbneten Hassgabe,
Vmbot oder Beschränkung der Ansammlung grosserer Menschenmengen (§. 15,
Nr. 3), Fernhaltung von dem Schul- und Unterrichtsbesuche (§. 16), Verbot oder
Beschränkung der Benutzung von Wasserversorgungsanlagen u. s. w. (§. 17),
Btnmung von Wohnungen und Gebäuden (§. 18), Desinfektion (§. 19, Abs. 1 und
3), Vorsichtemassregeln bezüglich der Leichen (§. 21);
11. Milzbrand: Ueberwachung der gewerbsmässigen Herstellung, Be¬
handlung und Aufbewahrung, sowie des Vertriebs von Gegenständen, welche
geeignet sind, die Krankheit zu verbreiten, nebst den znr Verhütung der Ver¬
breitung der Krankheiten erforderlichen Massregeln (§. 15, Nr. 1 und 2), mit
der in Nr. 1 bezeichneten Massgabe, Desinfektion (§. 19, Abs. 1 und 8), Vor-
nehtsmassregeln bezüglich der Leichen (§. 21);
12. Botz: Beobachtung kranker Personen (§. 12), Absonderung kranker
Personen (§. 14, Abs. 2 u. 3, Satz 1), Desinfektion (§. 19, Abs. 1 u. 3), Vor-
üchtsmassregeln bezüglich der Leichen (§. 21).
13. Tollwuth: Absonderung kranker Personen (§.14, Abs. 2).
Erkrankungsfälle, in welchen Verdacht von Kindbettfieber (Nr. 3),
Bück fall lieber (Nr. 6), Typhus (Nr. 10) und Botz (Nr. 12) vorliegt, sind
bis zur Beseitigung dieses Verdachtes wie die Eirankheit selbst zu behandeln.
§. 9. Personen, welche an Körnerkrankheit leiden, können, wenn sie
nicht glaubhaft nachweisen, dass sie sich in ärztlicher oder anderweiter sach-
gemlmer Behandlung befinden, zu einer solchen zwangsweise angehalten werden.
Bei Syphilis, Tripper und Schanker kann eine zwangsweise Behandlung
dw erkrankten Personen, sofern sie gewerbsmässig Unzucht treiben, angeordnet
werden, wenn dies zur wirksamen Verhütung der Ausbreitung der Krankheit
erforderlich erscheint.
§. 10. Die Verkehnbeschränkungen ans den §§. 24 und 25 des Beichs-
gmetzes Anden auf Körnerkrankheit, Bückfailfieber und Typhus
nit der Massgabe entsprechende Anwendung, dass das Staatsministerium er¬
mächtigt ist, Vorschriften über die zu treffenden Massnahmen zu beschliessen
ud zu bestimmen, wann und in welchem Umfange dieselben in Vollzug zu
letzen sind.
§. 11. Das StaatsminUterium ist ermächtigt, die in den §§. 12 bis 19
ud 21 des Beichsgesetzes bezeichneten Absperrungs- und Aufsichtsmaseregeln
Ar einzelne Theile oder den ganzen Umfang der Monarchie über die in dem
$> 8 dieses Gesetzes bezeichneten Grenzen hinaus in besonderen Ausnahmefällen
Torfibergehend für zulässig zu erklären oder auch auf andere übertragbare
Krankheiten auszudehnen, wenn und so lange dieselben in epidemischer Ver¬
breitung auftreten.
Vierter Abschnitt.
Verfahren und Behörden.
§. 12. Die in dem Beichsgesetze und in diesem Gesetze den Polizei¬
behörden überwiesenen Obliegenheiten werden, soweit dieses Gesetz nicht ein
toteres bestimmt, von den Ortspolizeibehörden wahrgenommen. Der Landrath
iBö Entwarf eines Äusfftkrangsgesetzes 2a dem Reichsgesetz, betf.
ist betagt, die Amtsverrichtangen der Ortspoliseibehörden für den einzelnen
Fall einer gemeingefährlichen oder sonst Übertragbaren Krankheit an fiber¬
nehmen.
Gegen Anordnungen der Polizeibehörde findet mit Ausschluss der Klage
im Ver w&itungsstreitverfahren die Beschwerde bei der Vorgesetzten Polizei¬
behörde statt. In letzter Instanz entscheidet, im Einvernehmen mit den sonst
betheiligten Ministern, der Minister der Medizinalangelegenheiten.
Die Anfechtung der Anordnungen hat keine aufschiebende Wirkung.
§. 13. Beamtete Aerzte im Sinne des Beichsgesetzes und dieses Gesetzes
sind die Kreisärzte, die Kreisassistenzärzte, soweit sie mit der Stellvertretung?
von Kreisärzten beauftragt sind, sowie die mit der Wahrnehmung der kreis-
ärztlichen Obliegenheiten beauftragten Stadtärzte in Stadtkreisen, die Hafen-
und Quarantäneärzte in Hafenorten, ausserdem die als Kommissare der Regie¬
rungspräsidenten, der Oberpräsidenten oder des Ministers der Medizinalange¬
legenheiten an Ort und Stelle entsandten Medizinalbeamten.
Die Vorschrift des §. 36, Abs. 2 des Reichsgesetzes findet auf die in dem
§. 1 dieses Gesetzes bezeiohneteu Krankheiten entsprechende Anwendung.
Fflnfter Abschnitt.
Entschädigungen.
§. 14. Es finden entsprechende Anwendung:
1. die Bestimmungen des §. 28 des Reiehsgesetzes auf Personen, welche
auf Grund der §§. 8 und 11 dieses Gesetzes als krank oder krankheitsverdächtig
in der Wahl des Aufenthalts oder der Arbeitsstätte beschränkt oder als krank
oder krankheitsverdächtig abgesondert sind,
2. die Bestimmungen der §§. 29 bis 34, Satz 1 des Reichsgesetzes auf
-diejenigen Fälle, in welchen auf Grund der §§. 8 und 11 dieses Gesetzes die
Desinfektion oder Vernichtung von Gegenständen polizeilich angeordnet
worden ist.
§. 16. Die Festsetzung und Auszahlung der Entschädigungen in den
Fällen der §§. 28 bis 33 des Reiehsgesetzes und des §. 14 dieses Gesetzes erfolgt
durch die Ortspolizeibehörde.
Gegen die Entscheidung steht dem Empfangsberechtigten unter Aus¬
schluss des Rechtsweges nur die Beschwerde an die Vorgesetzte Polizeibehörde,
in Berlin an den Oberpräsidenten zu. Die Entscheidung dieser BeBChwerde-
instanz ist endgültig.
§. 16. Die Ermittelung und Feststellung der Entschädigungen aus §. 28
des Reiehsgesetzes und §. 14 Nr. 1 dieses Gesetzes geschieht von Amts wegen.
Die Entschädigungen sind nach Ablauf jeder Woche zu zahlen.
§. 17. Bei Gegenständen, welche auf polizeiliche Anordnung vernichtet
werden sollen, ist vor der Vernichtung der gemeine Werth durch Sachver¬
ständige abzuschätzen.
§. 18. Sind bei einer polizeilich angeordneten und überwachten Desin¬
fektion Gegenstände derart beschädigt worden, dass dieselben zu ihrem be-
stimmungsmässigen Gebrauch nicht weiter verwendet werden können, so ist
sowohl der Grad dieser Beschädigung wie der gemeine Werth der Gegenstände
vor ihrer Rückgabe an den Empfangsberechtigten durch Sachverständige ab-
zoschätzen.
§. 19. Bei den Abschätzungen gemäss der §§. 17 und 18 dieses Gesetzes
sollen die Berechtigten thunlichst gehört werden.
§. 20. In den Fällen der §§. 17 und 18 dieses Gesetzes bedarf es der
Abschätzung nicht, wenn feststeht, dass ein Entschädigungsanspruch gesetzlich
ausgeschlossen ist oder wenn der Berechtigte auf eine Entschädigung ver¬
zichtet hat.
§. 21. Ffir jeden Kreis sollen von dem Kreisausschusse, in Stadtkreisen
von der Gemeindevertretung, aus den sachverständigen Eingesessenen des Be¬
zirks alljährlich diejenigen Personen in der erforderlichen Zahl bezeichnet
werden, welche für die Dauer des laufenden Jahres zu dem Amte eines Sach¬
verständigen zugezogen werden können.
Aus der Zahl dieser Personen hat die Ortspolizeibehörde die Sachver¬
ständigen ffir den einzelnen Schätzungsfall zu ernennen. In besonderen Fällen
ist dis Polizeibehörde ermächtigt, andere Sachverständige zuzuzieben.
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Tom 80. Jnni 1900. 137
Die Sachverständigen sind von der Polizeibehörde eidlioh za verpflichten.
Sie verwalten ihr Amt als Ehrenamt and haben nnr Anspruch auf Ersatz der
haaren Aaslagen.
Auf das Amt der Sachverständigen finden die Vorschriften Aber die
Uebemahme unbesoldeter Aemter in der Verwaltung der Gemeinden und
Kommunalverbände entsprechende Anwendung.
§. 22. Personen, bei welchen fflr den einzelnen Fall eine Befangenheit
ss besorgen ist, dtlrfen za Sachverstftndigen nicht ernannt werden.
Ausgeschlossen von der Theilnahme an der Schfttsnng ist jeder:
1. in eigener Sache;
2. in Sachen seiner Ehefrau, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
3. in Sachen einer Person, mit welcher er in gerader Linie oder im zweiten
Grade der Seitenlinie verwandt oder verschwägert ist, aach wenn die Ehe,
durch welche die Sohw&gerschaft begründet ist, nicht mehr besteht
Personen, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden,
sind unffthig, an einer Schätzung theilzunehmen.
§. 28. Die Sachverstftndigen haben über die Schfttzung eine von ihnen
sz unterzeichnende Urkunde aufzunehmen und der Ortspolizeibehörde zur Fest¬
setzung der Entschädigung zu übersenden.
Hat eine ausgeschlossene oder unfähige Person (§. 22, Abs. 2 und 3) an
der Schfttzung theilgenommen, so ist die Schätzung nichtig und zu wiederholen.
§. 24. Die Entschädigung für vernichtete oder in Folge der Desinfektion
beschädigte Gegenstände wird nur auf Antrag gewährt.
Der Antrag ist bei Vermeidung des Verlustes des Anspruches binnen
einer Frist von einem Monat bei der OrtBpolizeibehörde, welche die Vernich¬
tung oder Desinfektion angeordnet hat, zu stellen.
Die Frist beginnt bei vernichteten Gegenständen mit der Vernichtung,
bei Gegenständen, welche der Desinfektion unterworfen sind, mit der Wieder-
aushftadigung.
Sechster Abschnitt.
Kosten.
g. 25. Die Kosten der amtsärztlichen Feststellung der gemeingefähr¬
liehen und derjenigen übertragbaren Krankheiten, auf welche die Bestimmungen
der §§. 6 bis 10 des Beichsgesetzes für anwendbar erklärt sind (§§. 6 Abs. 1, 7
dieses Gesetzes), sowie die Kosten, welche durch die Betheiligung des beamteten
Arztes bei der Anordnung, Leitung und Ueberwachuug der Schutzmassregeln
gegen diese Krankheiten entstehen, fallen der Staatskasse zur Last.
§. 26. Die Vorschrift des §. 37 Abs. 3 des Beichsgesetzes findet auf die¬
jenigen Fälle, in welchen die daselbst bezeichneten Schutzmassregeln auf Grund
der Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet werden, entsprechende Anwendung.
Wem die nach dem Beichsgesetze und nach diesem Gesetze ans öffent¬
lichen Mitteln zu bestreitenden Kosten und Entschädigungen einschliesslich der
den Sachverständigen nach §. 21 dieses Gesetzes zu erstattenden haaren Aus¬
lagen und die sonstigen Kosten der Ausführung der Schutzmassregeln zur Last
Men, bestimmt sich, soweit dieses Gesetz nicht ein anderes vorscbreibt, nach
den Vorschriften des bestehenden Bechts.
§. 27. Die Gemeinden haben auf Erfordern der Polizeibehörde diejenigen
Einrichtungen, welohe zur Bekämpfung der gemeingefährlichen oder sonst über¬
tragbaren Krankheiten nothwendig sind, schon in seuchenfreier Zeit zu treffen.
§. 28. Die Kreisverbände sind verpflichtet, denjenigen Gemeinden des
Kreises, welche die ihnen zar Last fallenden Kosten aufzubringen unvermögend
«ad, eine Beihülfe zu gewähren. Auf Beschwerden von Gemeinden gegen Be-
■ehlüsse der Kreisverbände, ob und in welcher Höhe Beihülfen zu gewähren
sind, entscheidet endgültig der Bezirksausschuss.
Einrichtungen der in dem §. 27 bezeichneten Art aus eigenen Mitteln zu
treffen, sind die Kreisverbände auf Anordnung des Begierungspräsidenten ver¬
pflichtet, sofern diese Einrichtungen Bedürfnissen dienen, welche über die
Grenzen einer einzelnen Gemeinde hinausgehen.
Siebenter Abschnitt.
Strafrorschrlften.
§. 29. Mit Gefängniss bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu
sechshundert Mark wird bestraft:
138 Entwarf eines Aasführungsgesetzes zu dem Beiehsgesetz, betr.
1. wer wissentlich bewegliche Gegenstände, für welche aaf Grand der
§§. 8 and 11 dieses Gesetzes eine Desinfektion polizeilich angeordnet war, vor
Ausführung der angeordneten Desinfektion in Gebrauch nimmt,, an andere über«
lasst oder sonst in Verkehr bringt.
2. wer wissentlich Kleidangsstücke, Leibwäsche, Bettzeug oder sonstige
bewegliche Gegenstände, welche von Personen, die an Diphtherie, Genickstarre,
Kindbettfieber, Langen- and Kehlkopfstaberkalose, Bückfalifieber, Bohr, Schar¬
lach, TyphoSj Milzbrand and Botz litten, während der Erkrankung gebraucht
oder bei deren Behandlung and Pflege benutzt worden sind, in Gebrauch nimmt,
an andere überlässt oder sonst in Verkehr bringt, bevor sie den von dem Mi¬
nister der Medizinalangelegenheiten erlassenen Bestimmungen entsprechend des-
infizirt worden Bind;
8. wer wissentlich Fahrzeuge oder sonstige Geräthsehaften, welche znr
Beförderung von Kranken oder Verstorbenen der in Er. 2 bezeicbneten Art
gedient haben, vor Ausführung der polizeilich angeordneten Desinfektion benntzt
oder anderen zur Benutzung überlässt.
§. 30. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft
wird bestraft:
1. wer die ihm nach den §§. 1 bis 3 oder nach den anf Grundidee
§. 5 dieses Gesetzes von dem Staatsministerium erlassenen Vorschriften ob¬
liegende Anzeige unterlässt oder länger als vierundzwanzig Stunden, nachdem
er von der anzuzeigenden Thatsaohe Kenntniss erhalten hat, verzögert. Die
Strafverfolgung tritt nicht ein, wenn die Anzeige, obwohl nicht von dem zu¬
nächst Verpflichteten, doch rechtzeitig gemacht worden ist;
2. wer bei den in dem §. 6, Abs. 1 dieses Gesetzes aufgeführten Krank¬
heiten, sowie in den Fällen des §. 7 dem beamteten Arzte den Zutritt zu dem
Kranken oder zur Leiche oder die Vornahme der erforderlichen Untersuchungen
verweigert;
3. wer bei den übertragbaren Krankheiten, auf welche die Bestimmungen
des §. 7, Abs. 3 des Beichsgesetzes für anwendbar erklärt worden sind (§§. 6
Abs. 1, 7 dieses Gesetzes), diesen Bestimmungen zuwider über die daselbst be-
zeichneten Umstände dem beamteten Arzte oder der zuständigen Behörde die
Auskunft verweigert oder wissentlich unrichtige Angaben macht;
4. wer den auf Grand der §§. 8 und 11 dieses Gesetzes in Verbindung
mit §.13 des Beichsgesetzes über die Meldepflicht erlassenen Anordnungen zu¬
widerhandelt.
§. 31. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft
wird, sofern nicht nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen eine höhere
Strafe verwirkt ist, bestraft:
1. wer bei den in dem §. 6, Abs. 1 dieses Gesetzes bezeicbneten Krank¬
heiten, sowie in den Fällen des §. 7 den nach §. 9 des Beichsgesetzes von dem
beamteten Arzte oder dem Vorsteher der Ortschaft getroffenen vorläufigen An¬
ordnungen oder den naoh §. 10 des Beichsgesetzes von der zuständigen Behörde
erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt;
2. wer bei den in dem §. 8 dieses Gesetzes aufgeführten Krankheiten,
sowie in den Fällen des §. 11 den nach §. 12, §. 14, Abs. 6, §§. 15, 17, 19 und
21 des Beichsgesetzes getroffenen polizeilichen Anordnungen zuwiderhandelt;
3. wer bei den in dem §. 10 dieses Gesetzes aufgeführten Krankheiten
den naoh §. 24 des Beichsgesetzes erlassenen Vorschriften zuwiderhandelt;
4. Aerzte, sowie andere die Heilkunde gewerbsmässig betreibende Per¬
sonen, Hebammen oder Wochenbettpflegerinnen, welche den Vorschriften in dem
§. 8, Nr. 8, Abs. 2 und 3 dieses Gesetzes zuwiderhandeln.
Achter Abschnitt.
Sohlnssbeatlmxnangen.
§. 32. Mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des gegenwärtigen Gesetzes
werden die zur Zeit bestehenden gesetzlichen Bestimmungen über die Be¬
kämpfung ansteckender Krankheiten aufgehoben.
Insbesondere treten die Vorschriften des Begulativs vom 8. August 1835
(Gesetz8amml. S. 240), jedoch unbeschadet der Bestimmung des §. 10, Abs. 3
des Gesetzes, betreffend die Dienststellung des Kreisarztes und die Bildung von
Gesundheitskommissionen, vom 16. September 1899 (Gesetzsamml. 8.172), über
die Belassung der Sanitätskommissionen in grösseren Städten, ausser Kraft.
die Bekämpfung gemeingefähr 1ioher Krankheiten vom 30. Joni 1900. 139
Unberührt bleiben auch die Vorschriften des §. 55 des Regulativs über
Zwangs impf angen bei dem Aasbrach einer Pockenepidemie.
§. 83. Der Zeitpankt des Inkrafttretens des gegenwärtigen Gesetses
wird darch Königliche Verordnung bestimmt.
Der Minister der Medizinalangelegenheiten erläsat, and zwar, soweit der
Geschäftsbereich anderer Minister betheiligt ist, im Einvernehmen mit diesen
die sar Ausführung des Gesetzes erforderlichen Bestimmungen.
Begründung.
Allgemeiner Th eil.
Das Reichsgesetz, betretend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank¬
heiten, vom 80. Joni 1900, hat an der Hand der Erfahrungen der neueren
Wissenschaft eine einheitliche Regelung der seuchenpolizeilichen Abwehr- und
Schutmnasaregeln herbeigefdhrt. Es hat sich jedoch nur mit der Bekämpfung
der Volksseuchen im engeren Sinne und zwar der wichtigsten pandemischen
Krankheiten — Aussatz, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber, Pest und Pocken —
befasst und sich in Bezug auf die anderen übertragbaren Krankheiten auf
einige wenige Bestimmungen von allgemeiner Bedeutung beschränkt (vgl. die
9§. 5 Abs. 2, 35 Abs. 2, 38, 89 Abs. 3), die eigentliche Bekämpfung dieser
Krankheiten dagegen, insbesondere die Anordnung der Abwehr- und Unter-
drückungsmassnahmen, der landesgesetzlichen Regelung Vorbehalten.
Ferner hat das Reichsgesetz auch für die Bekämpfung der gemein¬
gefährlichen Krankheiten eine Reihe von Ausführungsbestimmungen den Landes¬
gesetzen überlassen.
Hiernach erwächst der Landesgesetzgebung eine doppelte Aufgabe:
einmal, die der landesgesetzlichen Regelung vorbehaltenen Austührungsbestim-
mungen zur Bekämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten zu erlassen, —
soweit nach dem Stande der Bchon bestehenden preussischen Gesetzgebung ein
Bedürfniss hierzu vorliegt und die erforderlichen Massnahmen nicht im Ver¬
waltungswege getroffen werden können — und zweitens, die für die Bekämpfung
der gemeingefährlichen Krankheiten reicbsgesetzlich getroffenen Massnahmen,
soweit nach Lage der Verhältnisse angezeigt, auch auf die nicht gemein¬
gefährlichen (übertragbaren) Krankheiten auszudehnen.
In ersterer Beiiehung kommt, abgesehen von den in den §§. 5, Abs, 1,
16, 35 Abs. 3, 37 Abs. 2 des Reichsgesetzes enthaltenen Vorschriften, insbe¬
sondere die Regelung der in den §§. 34 und 37 daselbst vorbehaltenen Kosten-
and Entschädigungsfrage in Betracht.
Die gesetzliche Regelung der Bekämpfung auch der anderweitigen über¬
tragbaren Krankheiten ist für Preussen um so dringender geboten, als die zur
Zeit für die älteren Provinzen der Monarchie noch gültigen, mit Gesetzeskraft
Msgestatteten Allerhöchst bestätigten sanitätspolizeilichen
Vorschriften (Regulativ) bei ansteckenden Krankheiten vom
8. August 1835 — nicht erschöpfend und für die heutigen Verhältnisse
aueh zum Theil veraltet sind. In den neuen Provinzen ist die Ordnung der
Materie im wesentlichen auf Grund des allgemeinen Polizeiverordnungsrechts
erfolgt, ein Zustand, welcher schon mit Rücksicht auf die bei dieser Regelung
unvermeidbare Verschiedenheit der Behandlung und wegen des Mangels be¬
stimmter, die Zuständigkeit des polizeilichen Einschreitens im Einzelfalle be¬
grenzender gesetzlicher Normen ebenfalls als ein befriedigender nicht wird
erachtet werden können.
Seit Erlass des für die damalige Zeit mustergültigen Regulativs haben
rieh die Anschauungen über die Mehrzahl der in demselben eingehend be¬
handelten Krankheiten wesentlich geändert.
Die Krätze, welche man früher für eine Allgemeinkrankheit hielt,
ist als eine leicht zu verhütende Hautkrankheit erkannt, ebenso sind der bös¬
artige Kopfgrind und die Gicht aus der Reihe der Infektionskrankheiten
usgeschieden, während der Weichselzopf nach den neueren Untersuchungen
überhaupt keine Krankheit ist.
Dagegen haben sich Massregeln gegen andere übertragbare Krankheiten,
welche im Regulativ nicht erwähnt sind, als nothwendig erwiesen. Unter de»-^
gemeingefährlichen Krankheiten gilt dies von Aussatz, Gelbfieber uv
Pest, welche in den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Ti
140 Entwurf eines Ausführungsgesetzes zu dem Reiehsgesetz, betr.
keine Bedeutung Ar Preoeaen hatten. Von anderen libertragbaren Krankheiten
kommen hier insbesondere Diphtherie, lloertragbare Genickstarre,
Kindbettfieber, Rückfallfieber, Schanker, Tripper and Unter¬
leibstyphus in Betracht. Rückfallfieber and Unterleibstyphus wurden früher
sasammen mit Fleckfieber unter dem Namen Typhus zusammengefasst und erst
gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts als zwei Ton jenem yeischiedene Krank¬
heiten erkannt. Gleichfalls im Regulativ nicht erwähnt sind die erst in den
sechziger Jahren des rorigen Jahrhunderts näher.erforschte Trichinose und
die erst auf dem Boden der Bakterienkunde als übertragbare Krankheit er¬
kannte Fisch-, Fleisch- und Wurstvergiftung. Auch Über die Natur,
Entstehung und Verbreitung des Krebses und der Schwindsucht, welche
im Regulativ eine ganz nebensächliche Behandlung erfahren, haben sich in den
letzten Jahrzehnten die Anschauungen wesentlich geändert.
Nicht nur das Wesen der übertragbaren Krankheiten ist seit dem Erlasse
des Regulativs genauer erforscht worden, auch ihre Entstehung und Verbreitung
sind besser erkannt und damit ihre Bekämpfung erheblich aussichtsvoller ge¬
worden. Die Thatsache, dass die übertragbaren Krankheiten durch bestimmte
Krankheitsgifte entstehen, welche an dem Kranken, in seinen Ausleerungen,
an seinen Kleidungs- und Gebrauchsgegenständen und in seiner Umgebung
haften, war schon früher bekannt; sie führte zu dem Erlass der zum TheU
noch heute für zweckmässig zu erachtenden Absonderungs- und Desinfektions-
Vorschriften des Regulativs. Eine richtige Auswahl und zielbewusste An¬
wendung dieser Massregeln ist aber erst möglich geworden, seit die Krankheits¬
gifte als greifbare und belebte, theils pflanzliche theils thierische Mikroorga¬
nismen erkannt worden sind, welche je nach der Art der Krankheit nur in
dem Körper des Kranken selbst oder auch ausserhalb desselben zu leben und
sich zu vermehren im Stande sind. Ihre verschiedene Widerstandsfähigkeit
gegen äussere Einflüsse — Feuchtigkeit, Wärme u. s. w. —, ihr unterschied¬
liches Verhalten gegen chemische und physikalische Desinfektionsmittel, der
höhere oder geringere Grad der Leichtigkeit ihrer Uebertragung, sowie ihre
differente Giftigkeit für den Menschen und eine Anzahl von fiausthieren u. s. w.
sind genauer erforscht worden und haben zu der Erkenntniss geführt, dass
es weder nothwendig, noch auch zweckmässig ist, alle übertragbaren Krank¬
heiten in der gleichen Weise und mit denselben Mitteln zu bekämpfen, dass
vielmehr jede einzelne Krankheit eine ihrem individuellen Charakter ent¬
sprechende Sonderbekämpfung erfordert. Diese Art der Iudividualisirung ist
aber nach den Vorschriften des Regulativs in einer dem heutigen Stande der
Wissenschaft entsprechenden Weise nicht ausführbar.
Ueber die Reformbedürftigkeit des Regulativs und darüber, dass seine
Vorschriften über die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten für die
heutigen Verhältnisse durchaus unzulänglich sind, besteht keine Meinungs¬
verschiedenheit. Der Versuch, den Mängeln des Regulativs durch den Erlass
entsprechender Polizeiverordnungen abzubelfen, hat sich alB nicht angängig
erwiesen, da die böchstinstanzlichen Gerichte auf Grund der Annahme, dass
das Regulativ die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten erschöpfend
geregelt habe und habe regeln wollen, eine Ergänzung seiner Bestimmungen
Im Wege des Poliaeiverordnungsrechts für unzulässig erklärt haben.
Die Neuordnung der Materie und die Ersetzung des Regulativs durch
eine dem heutigen Stande der medizinischen Wissenschaft entsprechende
Seuchenordnung kann hiernach nicht länger hintangehalten werden. Die
Forderung auf Erlass eines neuen Seuchengesetzes wird seit Jahren mit steigender
Dringlichkeit erhoben und ist auch wiederholt im Landtage, zuletzt im Jahre
1899 bei Gelegenheit der Verhandlungen über das Kreisarztgesetz, zur Geltung
gebracht worden. In Bezug auf die gemeingefährlichen Krankheiten hat die
Forderung durch den Erlass des Reichsseuchengesetzes ihre Erfüllung gefunden;
in Bezug auf die übrigen übertragbaren Krankheiten steht die Erfüllung noch
aus — der vorliegende Gesetztentwurf bezweckt, dieselbe herbeizuführen.
I. Die Krankheiten, auf welche die Vorschriften des vorliegenden
Gesetzentwurfs sieh erstrecken, sind in dem §. 1 des Entwurfs im Einzelnen
aufgeführt.
Körnerkrankheit, Lungentuberkulose, Ruhr, Scharlach,
Syphilis und Typhus gehören davon zu denjenigen Krankheiten, welche
bereits in dem Regulativ von 1885 Erwähnung gefunden haben.
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900. 141
1. Die Körnerkrankheit (Granulöse, Trachom), in dem Regulativ
(§§. 62—64) als kontagiöse Augenentzündung bezeichnet, verdient auch heute
noch eine besondere Aufmerksamkeit. Sie herrscht in den rassischen Ostsee*
Provinzen und in Russisch-Polen, hat sich von dort aus in die preussischen Pro*
vinzen Ost- und Westpreussen, Pommern, Posen und Schlesien verbreitet, in
der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in diesen Gegenden festen Fass
gefasst und neuerdings sich auch bereits nach der Hitte und dem Westen
der Monarchie ausgedehnt. Russische, polnische und ostpreussische Arbeiter,
welche in den mittleren und westlichen Provinzen bei der Ernte, in Berg¬
werken, bei Erd- und Kanalarbeiten u. s. w. beschäftigt werden, schleppen die
Körnerkrankheit in steigendem Masse in jene Gegenden ein. Schon haben sich
in den Provinzen Sachsen, Hannover und Westfalen Herde der Körnerkrankheit
gebildet, und die Krankheit droht mehr und mehr zu einer Gefahr für die
ganze Monarchie zu werden. Nach den gemachten Erfahrungen und dem Gut¬
achten der Behörden und Sachverständigen wird es nicht möglich sein, der
Seuche in absehbarer Zeit Herr zu werden, wenn nicht den Behörden gesetz¬
liche Handhaben zu einer wirksameren Bekämpfung der Krankheit gegeben
werden. Die in dem Regulativ enthaltenen Bestimmungen beschränken sich in
der Hauptsache auf das Militär und schreiben bezüglich der Zivilbevölkerung
nur vor, dass die Kranken sich der näheren Gemeinschaft mit anderen, ins¬
besondere des Besuches öffentlicher Orte, zu enthalten haben. Schon diese
Bestimmung ist nicht durchführbar, wenn die Krankheit nicht zur Kenntniss
der Behörden kommt, was ohne Einführung der Anzeigepflicht nur ausnahms¬
weise der Fall sein wird. Soll die Bevölkerung in den befallenen Gegenden
auf die Dauer von der Senche befreit werden, so ist es geboten, die Anzeige-
Pflicht für die Körnerkrankheit einzuführen und den Polizeibehörden die Be-
fagniss zu geben, in den verseuchten Gegenden die augenkranken und krank¬
heitsverdächtigen Personen untersuchen, beobachten und zur Behandlung heran-
neben zu lassen. Man wolle sich gegenwärtig halten, dass die Körnerkrank¬
heit nicht nur für den einzelnen höchst verderblich ist, indem sie allmählich
zur Trübung der Hornhaut und dadurch zu ernsten Störungen deB Sehver-
nögens, nicht selten selbst zur Erblindung führt,, sondern dass sie auch das
Gemeinwohl empfindlich schädigt und die Ausbildung der Jugend in der Schule,
die Wehrfähigkeit der militärpflichtigen jungen Leute und die Erwerbsfähigkeit
der gesummten Bevölkerung ernstlich bedroht.
Die in dem Gesetzentwürfe vorgesehenen Massnahmen zur Bekämpfung
der Körnerkrankheit dürften um so unbedenklicher sein, als sie nach der Auf¬
fassung des Oberverwaltungsgerichts schon jetzt auf Grand der Bestimmungen
des Regulativs zulässig sind, ihre Aufführung in dem Entwürfe mithin nur
die Anerkennung des bestehenden Rechtszustandes zum Ausdrucke bringt.
2. Die Lungen- und Kehlkopfstuberkulose wird in dem Re*
gnlativ als Schwindsucht bezeichnet und zusammen mit bösartigem Kopf*
griad, Krebs und Gicht abgehandelt. Die gegen diese Krankheit nach dem Re*
gnlativ zulässigen Massnahmen — Reinigung bezw. Vernichtung der Kleidungs*
stfleke und sonstigen Effekten (§. 90 des Regulativs) — haben eich jedoch als
raulänglieh erwiesen, weil bei dem Fehlen der Anzeigepflioht die Krankheit
Iberhaupt nicht zur Kenntniss der Behörden gelangt.
Die Anschauungen über die Natur der Tuberkulose haben sich in den
letzten Jahrzehnten von Grund aus geändert. Während man sie früher für
eine durch Vererbung von den Eltern auf die Kinder sich fortpflanzende Er-
ilhrangsstörung hielt, ist durch die neueren Untersuchungen festgestellt, dass
de in der Wucherung und dem Zerfall kleiner Geschwülste besteht, welche
durch die Ansiedlung und Vermehrung der Tnberkelbazillen hervorgerufen
weiden. Die Tuberkulose ist nicht ein trauriges Erbtheil der Kinder schwind-
sflehtiger Eltern, gegen welche sie sich nicht schützen können, sondern eine
im hohen Grade übertragbare Krankheit, welche Jeden, auch den aus gesunder
Familie Stammenden befallen kann, die sich aber glücklicherweise auch ver¬
hüten und bekämpfen lässt.
Während früher die Meinung verbreitet war. dass die Schwindsucht ent¬
stehe, wenn der im Menschen etwa schlummernde Krankheitskeim durch eine
Irkiltng, einen kalten Trunk oder dergleichen znr Entwicklung gebraeht
wwde, ist jetzt erwiesen, dass die Tuberkulose nur dann zur Entstehung ge-
142 Entwarf eines Ausführungsgesetzes za dem Reiohsgeseetz, betr.
langt, wenn Taberkelbosillen in den Körper eindringen, and dass dieser Ge¬
fahr nicht nur Kinder Ton Schwindsüchtigen, sondern alle, nach die kriftigsten
Menschen, ansgesetzt sind, wenn sie mit lebenden and ansteckungsfähigen
Taberkelbazillen in Berührung kommen. Aach ist weiter festgestellt, dass die
Taberkelbasülen nicht überall verbreitet Bind, sondern sich in lebens- and
anstecknngsfähigem Zustande nur in der Umgebung von Tuberkniösen oder
da, wo Tuberkulöse sich eine Zeitlang vorher aufgehalten haben, vorfinden,
dass sie ausserhalb des Körpers unter dem Einfluss des Lichtes und der Luft
in verhSltnissmiUsig kurzer Zeit za Grunde gehen oder wenigstens ihre Fähig¬
keit, die Krankheit sn übertragen, verlieren. Auch finden sie sich nicht in der
Umgebung aller Tuberkulöser, sondern nur bei den an Lungen- und Kehlkopfs-
tuberknloee Erkrankten und auch bei diesen nur dann, wenn sie mit ihrem
Auswurfe unvorsichtig umgehen.
Es bedarf in der Begel eines längeren Zeitraumes, ehe die Krankheits¬
keime, welche in den Körper eindringen, in demselben zur Entwicklung gelangen.
Ein weiterer, zuweilen nicht unbeträchtlicher Zeitraum verstreicht, ehe sich deut¬
lich nachweisbare Krankheitserscheinungen zeigen. Der Kranke kann unter
Umständen Monate und selbst Jahre lang sich eines verhältnissmässigen Wohl¬
befindens erfreuen und fast ungestört seinem Berufe oder Erwerbe nacbgehen.
Ernstere Gesundheitsstörungen pflegen erst einsutreten, wenn die Tuberkel¬
knoten in der Lunge oder im Kehlkopfe anfangen zu zerfallen. Nunmehr gehen
die Bazillen in den Auswurf über und werden mit demselben nach aussen ent¬
leert. Von diesem Augenblicke ab beginnt der Kranke wegen der Möglichkeit
der Uebertragung der Bazillen für seine Umgebung gefährlich zu werden. An¬
fänglich ist diese Gefahr zwar noch nicht gross, weil die Kranken von selbst
mit ihrem Auswurfe vorsichtig umgehen, d. b. ihn mittels geeigneter Vorrichtungen
unschädlich beseitigen. Bei dem chronischen Charakter der Krankheit lassen
sie jedoch diese Vorsicht mit der Zeit ausser acht. Dass die Gefahr der An¬
steckung eine besonders grosse ist, wenn Beschäftigung und BerufBverbält-
nisse den Kranken mit einer grösseren Anzahl von Menschen in Berührung
bringen (Geistliche, Lehrer, Kaufleute, Fabrikarbeiter u. dergl.), braucht nicht
näher dargelegt zu werden.
Die leichte Uebertragbarkeit der Lungen- und Kehlkopfstuberkulose
enthält die Erklärung für ihre grosse Verbreitung. Im preussiscben Staate
starben in den Jahren 1890—1899 durchschnittlich jährlich 74050 Personen,
d. h. 236,6 von je 100000 der am 1. Januar Lebenden an Tuberkulose. Da
innerhalb der angeführten zehn Jahre in Preussen überhaupt durchschnittlich
jährlich 616226 Personen gestorben sind, so ergiebt sieb, dass von je 100 Todes¬
fällen nicht weniger als 10,6, also mehr als der zehnte Theil, auf Tnberkulose
entfallen. Die Verbreitung der Krankheit in den einzelnen Provinzen ist aber
keine gleiohmässige, ihre Häufigkeit nimmt vielmehr von Osten nach Westen
zu und ist besonders gross in den engbebauten Städten mit mangelhaften und
dicht belegten Wohnungen und in Fabrikgegenden. Es giebt ausgedehnte Be¬
zirke in der Monarchie, in welchen der siebente, sechste und selbst der fünfte
Theil sämmtlicher Todesfälle auf Schwindsucht entfällt.
Allerdings scheint sich bereits eine Abnahme der Krankheit anzubabnen,
da die Sterblichkeit eine Neigung zum Rückgänge erkennen lässt. Von je
100000 am 1. Januar Lebenden starben nämlich an Tuberkulose in Preussen
im Jahre.
1890:
281,1
1894:
238,9
1898:
200,8
1891:
267,2
1895:
232,6
1899:
207,1
1892:
260,1
1896:
220,7
1900:
211,7
1893:
249,6
1897:
218,1
Dieses verhältnissmässig günstige Ergebniss wird wesentlich mit durch
eine verbesserte Lebenshaltung grosser Kreise der Bevölkerung, die gesteigerte
Fürsorge für die Erhaltung der Gesundheit und ihre Wiederherstellung bei
eingetretenen Störungen, sowie durch den Fortschritt in der medizinischen
Wissenschaft und der Ausbildung der Aerzte herbeigeführt sein. Namentlieh
sind die erreichten Erfolge dadurch sehr gefördert, dass die Bedeutung der
Lungen- und Kehlkopfstuberkulose als Volkskrankheit in den letzten Jahren
und zwar zuerst in Deutschland mehr nnd mehr erkannt nnd gewürdigt worden
ist Es haben sich Komitees zur Bekämpfung der Krankheit gebildet, man hat
die Bekimpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom SO. Juni 1900. 143
auf Kongressen die Mittel zu ihrer Eindämmung berathen, and breite Schichten
der Bevölkerung haben sieh der Taberkolosebekämpfnng mit lebhaftem Interesse
»geschlossen. Es sind Heil- and Heimstätten fttr Langenkranke begründet
worden, deren Zahl and Bedeatnng von Jahr sa Jahr steigt Es darf anch
angenommen werden, dass die fortschreitende Verbreitung der Erkenntniss,
dass die Gefahr der Ansteckung der Tuberkulose fttr die Umgebung der
Kranken vornehmlich von dem Verhalten der letzteren abhängig ist, diese nnter
dem erzieherischen Einflüsse der Aerste mehr and mehr dasa bestimmen wird,
thualielmt selbst sar Verminderung der Ansteckungsgefahr beizutragen.
Anderseits ergiebt sich indess aus den oben mitgetheilten, fortdauernd
noeh ausserordentlich hoch gebliebenen Zahlen der Todesfälle an Tuberkulose,
insbesondere aas ihrer in den letzten Jahren wieder eingetretenen Steigerang,
dass das zu erstrebende Ziel, dieser Krankheit ihren verheerenden Charakter
zu nehmen, noch weit entfernt ist und in absehbarer Zeit nicht wird erreicht
werden können, wenn nicht die anerkennenswerthen Bestrebungen von Pri¬
nten und Vereinen durch staatliche Massregeln in wirksamer Weise unter¬
stützt werden.
Hierbei darf nicht fibersehen werden, dass die Statistik ein volles and
erschöpfendes Bild von den Opfern, welche die Taberlralose fordert, nicht za
geben vermag. Die angegebenen Zahlen bezeichnen im Wesentlichen nur die
Todesf&lle an Lungentuberkulose, während die Todesfälle an Tuber¬
kulose der Hirnhäute, der Knochen und Oelenke, der Unterleibsorgane u. s. w.
darin nicht enthalten sind. Die Zahl der Erkrankungen an Taberknloae
lässt sich anderseits nicht einmal annäherungsweise festsstellen und ist jeden¬
falls viel grosser, als man im Allgemeinen anzunehmen pflegt. Zieht man ferner
in Betracht, dass es in der Monarchie kaum eine Ortschaft giebt, in welcher
nicht regelmässig Fälle von Tuberkulose Vorkommen, dass sie sich in manchen
Familien wie eine Art von Familienleiden eingenistet hat, dann wird man zu¬
geben müssen, dass es nicht richtig wäre, auf dem Wege der Gesetzgebung
Handhaben zur Bekämpfung von Aussatz, Cholera, Pest und anderen gemein¬
gefährlichen Krankheiten, deren schädliche Wirkungen doch nur gelegentlich
und in beschränktem Umfange in die Erscheinung treten, za gewähren, gegen¬
über der Taberkulose dagegen, welche beständig und in allen Tbeilen unseres
Vaterlandes an dem Marke des Volkes zehrt, von gesetzlichen Bekämpfungs-
massnabmen abzusehen.
Die Massregeln dürften sich nicht auf Lungentuberkulose beschränken,
sondern müssen auch die Kehlkopfstuberkulose treffen, weil auch bei dieser
sehr bald reichliche Mengen ansteckungsfähiger Tuberkelbazillen in den Aus-
warf übergehen und weil Kehlkopfstuberkulose in der Mehrzahl der Fälle mit
Tuberkulose der Lungen verbunden ist.
Auf dem X. internationalen Kongress fttr Hygiene und Demographie zu
Paris im Jahre 1900 wurde der Beschluss gefasst: „La tuberculose ouverte
doit figurer parmi les maladies, dont la däclaration est obligatoire.“ Ebenso
sprach man sich auf dem Tuberkulosekongress in London 1901 fttr die Ein¬
führung der Anzeigepflicht fttr die Lungen- und Kehlkopfstuberkulose aus.
In mehreren Staaten ist man auch bereits mit gesetzlichen Bestimmungen
Regen die Tuberkulose vorgegangen, wie die der Begründung als Anlage bei¬
gegebene Zusammenstelinng ergiebt.
Die Frage, in welchem Umfange sich die Einführung der Anzeigepflicht
and die Anwendung von Aufsicht»- und Bekämpfungsmassnahmen gegenttber
der Lungen- und Kehlkopfstuberkulose empfiehlt, wird in dem besonderen TheU
der Begründung näher erörtert werden.
3. Die Buhr tritt alljährlich in verschiedenen Gegenden der Monarchie
in epidemischer Verbreitung auf und verursacht erhebliche gesundheitliche
nnd wirthschaftliche Storungen. Da eine allgemeine Anzeigepflicht fttr Buhr
sur Zeit nicht besteht, so entzieht sich die Zahl der Buhrerkrankungen unserer
Keantniss; die Zahl der Todesfälle in Prenssen betrug in den Jahren 1890
bia 1899 durchschnittlich jährlich 1058, entsprechend 3,4 von je 100000 der
am 1. Jannar Lebenden. Die Krankheit bat in letzter Zeit unverkennbar zu-
seaommen und insbesondere die Begierungsbezirke Königsberg, Gumbinnen,/^
Danzig, Marienwerder, Oppeln, Magdeburg, Merseburg, Arnsberg und Aacher
leimgesucht. Buhrkranke sind in hohem Grade ansteckend fttr ihre Umgeban
144 Entwarf eines Ausftthrungsgesetses za dem Reichsgesets, betr.
weil die als charakteristische Bakterien erkannten Bnhrerreger in den Darm*
wandnngen sieh ansiedeln, in den zahlreichen dünnen Darmentleerungen massen¬
haft nach aussen gelangen, and weil die Kranken bei der Häufigkeit und
Schmerzhaftigkeit der Entleerungen die gebotene Vorsicht hinsichtlich der un¬
schädlichen Beseitigung der letzteren häufig ausser Acht lassen. Die Folge
davon ist, dass Beschmutzungen der Wäsche und Gerätbe zu Ansteckungen von
Person su Person, die Verunreinigung von Brunnen oder Wasserleitungen mit
Bnhrerregern wohl auch zu Maesenerkrankungen führen.
Der vorliegende Gesetzentwurf hatte, wie das auch das Begulativ gethan,
dem Umstande Bechnung zu tragen, dass die Bevölkerung mit dem Namen
„Ruhr“ keine eigentliche Krankheit, sondern eine Beihe von Kranbheitsprozessen
verschiedener Art bezeichnet. Die schwere Dysenterie der Tropen ist etwas ganz
anderes und wird auch allem Anscheine nach durch einen anderen Krankheits¬
erreger verursacht, als die bei uns einheimische Ruhr, und auch unter dem
letzteren Namen pflegen selbst die Aerzte sowohl schmerzhafte, aber sonst
verhältnismässig harmlose Durchfllle, als auch schwere Fülle von blutiger
Buhr zusammenzufassen, wBhrend nur gegenflber den letzteren ernstere seuchen-
polizeiliche Massregeln geboten erscheinen. Der vorliegende Gesetzentwurf
beschränkt daher seine Bestimmungen auf die „übertragbare Bubr“.
4. Scharlach tritt in Örtlich begrenzten, aber in der Regel ziemlich
heftigen Epidemien auf und hat häufig sehr ernste Nacbkrankheiten im Gefolge.
Die Sterblichkeit an dieser Krankheit i*t verhäitnissmässig boch und schwankt
je nach der Schwere der Epidemie etwa zwischen 10 und SO von 100 Krank¬
heitsfällen. In Preussen starben in den Jabren 1890 bis 1899 durchschnittlich
jährlich 7586 Personen, entsprechend 24,1 von je 100000 Lebenden, an Schar¬
lach; die Mehrzahl der Gestorbenen gehört dem Kindesalter bis zum vollendeten
5. Lebensjahre an. Die Krankheit muss als eine besonders bösartige bezeichnet
werden, gegen welche Bcuchenpolizeiliche Vorschriften dringend geboten sind.
5. Die Syphilis ist nach dem Regulativ nicht allgemein, sondern nur
in den Fällen anzeigepflichtig, „wenn nach Ermessen des Arztes von der Ver¬
schweigung der Krankheit nachtheilige Folgen für den Kranken selbst oder
für das Gemeinwesen zu befürchten sind“ (§. 65 Abs. 1 d. R.). Inwieweit es
zweckmässig ist, dem Arzte die verantwortungsvolle Entscheidung über diese
Frage aufzubürden, wird in dem besonderen Tbeil der Begründung erOrtert
werden. Hier kommt in Frage, ob die Anzeigepflicht für Syphilis beizubehalten,
and bejahendenfalls, ob sie auf alle oder nur auf gewisse Fälle dieser Krank¬
heit, oder endlich, ob sie auch noch auf die beiden anderen Krankheiten,
welche durch den unreinen Geschlechtsverkehr übertragen werden, nämlich auf
den Tripper und den Schanker auszudehnen sei.
Die Verheerungen, welche die übertragbaren Geschlechtskrankheiten in
der Bevölkerung anrichten, sind überaus traurig und stehen denjenigen, welche
die Lungen- und Kehlkopfstuberkulose verursacht, kaum nach. Wenn sie auch
bei weitem nicht so viele Todesfälle berbeiführen, wie diese, so ziehen sie doch
um so beträchtlichere Schädigungen der Gesundheit, des Vermögens, des Be¬
rufes, ja des ganzen Lebens- und Familienglücks nach sich. Während der
Schanker gut heilbar und verhäitnissmässig harmlos ist, werden Tripper und
Syphilis von manchen Aerzten für unheilbar gehalten; in allen Fällen bedürfen
sie monate- und jahrelanger Behandlung, erzeugen immer wieder Rückfälle
und haben nicht selten Nachkrankheiten im Gefolge, welche die Gesundheit
des Menschen dauernd untergraben. Todesfälle an Syphilis sind verhältnies-
mässig selten, ihre Zahl beläuft sich im ganzen preussischen Staate auf durch¬
schnittlich 300 im Jahre; um so zahlreicher sind aber die schweren chronischen,
su langem Siechthum führenden Hirn-, Rückenmarks- und Knochenleiden,
welche auf eine Ansteckung mit Syphilis zurttckzuführen sind und mancher
Manneskraft und manchem Familienglüek ein vorzeitiges Ende bereiten.
Tripper erzeugt zwar nicht unmittelbar Todesfälle, aber überaus zahlreiche
schwere akute und chronische Nacbkrankheiten, namentlich bei den Frauen,
von denen manche zu langem Siechthum und zum Tode führen. Erschwerend
fällt bei diesen beiden Krankheiten ausserdem ins Gewicht, dass sie nicht nur
diejenigen treffen, welche sich die Ansteckung in unreinem Geschlechtsverkehr
selbst zuziehen, sondern dass sie oft auf Unschuldige übertragen werden.
Zahlreich« Minner stecken ihre Ehefrauen mit Syphilis oder Tripper an, die
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 80. Joni 1900. 146
eie eich toi oder nach der Verheirathong im aneeereheliehen Geschlechtsverkehr
sagesogen haben. Kinder werden vielfach schon im Matterleibe mit Syphilis
behaftet nnd gehen, wenn Bie nicht schon im Mntterleibe sterben, bald nach
der Gebart sa Grande. Und nach die Fälle sind leider nicht vereinzelt, in
welchen bei der Bntbindnng tripperkranker Frauen das Trippergift in die
Angen der neugeborenen Kinder eindringt nnd bei diesen eine Augenentsfindung,
die sogenannte Blennorrhoea neonatorum, erzeugt, welche bei nicht sachgemässer
Behandlung nnfehlbar su unheilbarer Erblindung fahrt. Ein staatliches Ein¬
greifen gegenOber den abertragbaren Geschlechtskrankheiten wird daher von
sahireichen Sachverständigen mit grösstem Nachdruck gefordert.
Andere Staaten sind in dieser Beziehung bereits mit Erfolg vorgegangen.
Am durchgreifendsten ist das Dänische Gesetz aber die gegen die Aus¬
breitung der venerischen Krankheiten sn ergreifenden Marsregeln vom 10. April
1874 mit dem Zusatzgesets vom 1. März 1896, welches sich anf alle drei
Krankheiten erstreckt, während die Gesetzgebung in Italien sich nur anf
Syphilis beschränkt.
Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt den Standpunkt ein, dass er zwar
alle Geschlechtskrankheiten, nicht aber alle an solchen erkrankte Personen in
den Bereich seiner Regelung gezogen und es für ausreichend erachtet hat,
wenn die Polizeibehörden gegenüber denjenigen Personen, welche gewerbsmässig
die Unzucht betreiben, eine wirksame Handhabe zum Einschreiten erhalten.
Da der Überwiegend grösste Theil der Uebertragungen von Geschlechts¬
krankheiten durch die Prostitution geschieht, so bat man in verschiedenen
Staaten und zu den verschiedensten Zeiten den Versuch gemacht, die Prosti¬
tution gewaltsam za unterdrücken. Die Versuche sind jedoch ausnahmslos
gescheitert, weil sie zur Folge hatten, dass die offenkundige und kontrollirbare
sich in die vielgefährlichere heimliche Prostitution verwandelte. Die Gefahren
der Prostitution lassen sich auf das verhältnissmässig geringste Mass ein¬
dämmen, wenn die Prostituirte sorgfältig Überwacht, eventuell behandelt und
geheilt und so an der Verbreitnng der übertragbaren Geschlechtskrankheiten
erfolgreich gehindert werden. Um dies zu erreichen, darf man sich nicht, wie
es im Regulativ geschehen ist, auf die Syphilis beschränken, sondern man muss
auch den in seinen Anfargsstadien von der Syphilis schwer unterscheidbaren
8chanker, vor allem den Tripper mit in das Gesetz einbeziehen.
Wollte man den Mahnungen der Abolitionisten folgen, welche jede Re-
glementirung der Prostitution verwerfen, so würde eine ungemessene Zunahme
der Geschlechtskrankheiten die unausbleibliche Folge sein.
6. Der Typhus (Unterleibstyphus) deckt sieh mit dem Typhus
des Regulativs. Letzterer umfasst, wie schon erwähnt, den Unterleibstyphus,
das Rackfallfieber und den exanthematischen Typhus, welch’ letzterer gegen¬
wärtig allgemein als Fleekfieber bezeichnet wird nnd eine der gemeingefähr-
liebsten Krankheiten des Reirhsgesetzes ist. Die Krankheit, welche wir jetzt
als Typbus bezeichnen, der sogenannte Unterleibstyphus, das gastrisch-nervOse
Fieber der früheren Zeit, bat eine kaum geringere sanitätspoliseiliche Bedeu¬
tung als das Fleckfieber. Zwar ist die Sterblichkeit des Typhus — durch¬
schnittlich etwa 10 vom Hundert der Erkrankten — geringer, als diejenige des
Fleekfiebers, welche je nach der Schwere der Epidemie zwischen etwa 8 und
60 vom Hundert schwankt. Daffir ist der Typhus aber in Preussen erheblich
verbreiteter, als das Fleckfieber, welches nur von Zeit zu Zeit, meistens aus
Bassland, oder Galizien bei uns eingeschleppt wird. Der Typhus kommt in
allen Theilen der Monarchie vor, er ist in einigen Gegenden endemisch ge¬
worden und pflegt in jedem Jahre in den verschiedensten des Landes in Form
von kleineren oder grosseren Epidemien aufzutreten, welche gelegentlich die
schwersten Schädigungen weiterer Kreise im Gefolge haben.
Die Krankheit wird durch Bakterien erzeugt, welche sich in der Schleim¬
haut des Dünn- und Dickdarms ansiedeln und mit den dflnnen Darm¬
entleerungen und dem Harn des Kranken in grossen Mengen in die Aussenwelt
gelangen, nicht selten in Brunnen und Wasserleitungen eindringen und die
Veranlassung su explosionsartig auftretenden, meist sehr ausgedehnten und
schweren Epidemien geben. Zahlreich sind auch die Beobachtungen von
Typhusepidemien in den Versorgunsrsgebieten von Sammelmolkereien, die nacb-
wdaMch dadurch entstehen, dass die Krankheitakeime von einem Gehöfte, auf
146 Entwarf eines Aasführangsgesetses za dem Reichsgesetz, betr.
dem ein Erkrankter sieh befindet, in die Milehbestände der Molkerei gelangen
nnd von dort ans mit der Magermilch in zahlreiche andere OehOfte verschleppt
werden.
In Prenssen starben in den Jahren 1890 bis 1899 durchschnittlich jähr¬
lich 4971 Personen, entsprechend 15,9 von je 100000 Lebenden, an Typhus.
Ueber die Zahl der Typhuskranken während des gleichen Zeitraumes können
in Folge der mangelhaften Erfüllung der Anzeigepflicht genaue Angaben nicht
gemacht werden; doch kann dieselbe mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit anf
jährlich etwa 50000 angenommen werden. Nach den Untersuchungen von
Robert Koch scheint die Krankheit noch viel häufiger zu sein und besonders
das Kindesalter beimzusuchen, in welchem sie im Allgemeinen milder verläuft
und daher der Erkennung sich häufig entzieht. Erwägt man aber, dass die
Krankheit häufig auch das kräftige Lebensalter zwischen dem 15. und 80.
Jahre befällt, in welchem die Erwerbsfäbigkeit am grössten ist, und bedenkt
man ferner, dass ein Typhuskranker durchschnittlich vier Wochen krank und
erheblich länger erwerbsunfähig ist, so erscheint es gerechtfertigt, zur Be¬
kämpfung des Typhus, welcher für Prenssen erheblich wichtiger als Cholera
nnd Pest ist, mit behördlichen Massnahmen vorzugehen.
II. Von den in dem §. 1 des Gesetzentwurfes aufgeführten, übertrag¬
baren Krankheiten sind in dem Regulativ nicht erwähnt: Diphtherie,
Genickstarre, Kindbettfieber und Rückfallfieber.
1. Die Diphtherie, unter dem Namen Angina maligna Bcbon im
Alterthum bekannt, trat in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts
in epidemischer Verbreitung auf und wurde 1826 von Bretonneau genau
beschrieben. In Deutschland wurde sie erst nach dem Erlass des Regulativs
die unter dem Namen „häutige Bräune" bekannte und gefürchtete Kinder¬
krankheit. Dies erklärt die sonst unverständliche Tbatsache, dass der Diph¬
therie in dem Regulativ keine Erwähnung geschieht.
Wegen der schweren Gesundheitsstörungen nnd der zahlreichen Todes¬
fälle, welche die Krankheit erzeugt, erfordert sie eine besondere Beachtung.
Im Durchschnitt der 5 Jahre von 1890 bis 1894 starben in Prenssen jährlich
nicht weniger als 44257 Personen, entsprechend 145,0 von je 100000 am
1. Januar Lebenden, an Diphtherie, also fast zehnmal so viel, als an Typhus
und mehr als die Hälfte, wie an Lungentuberkulose.
Zwar ist dank der Entdeckung des Diphtberieheilserums durch Emil
v. Behring die Sterblichkeit an Diphtherie in den letzten Jabren in einer
bis dabin noch niemals beobachteten Weise zurückgegangen. Im Durchschnitt
der 5 Jahre von 1895 bis 1899 starben nämlich in Prenssen jährlich nnr noch
21957 Personen, entsprechend 68,1 von je 100000 der am 1. Januar Lebenden,
an Diphtherie, also weniger als die Hälfte der in der Zeit vor der Anwendung
des Heilserums der Krankheit zum Opfer Gefallenen. Auch ist zu hoffen, dass
unter dem Einflüsse des Serums die Sterblichkeit noch weiter zurückgeben
wird, da von je 100000 Lebenden im Jahre 1890 noch 145,4, im Jabre 1899
dagegen nur 56,3 Personen an Diphtherie starben. Mit der Typhussterblichkeit
verglichen, ist die Sterblichkeit an Diphtherie auch jetzt noch eine ausser¬
ordentlich grosse. Da die segensreiche Wirkung des Heilserums nnr eintritt,
wenn es möglichst frühzeitig, womöglich an den beiden ersten Tagen der
Krankheit, zur Anwendung gelangt, so hat die Diphtherie auch nach der Ent¬
deckung des Heilserums ihre Schrecken nicht verloren; es liegt vielmehr alle
Veranlassung vor, den Gesundheitsbehörden wirksame Waffen zur Verhütung
und Bekämpfung dieser Seuche in die Hand zu geben, zumal da durch die
Entdeckung des Diphtheriebacillus die Erkennung der Krankheit an Sicherheit
gegen'früherTerhebiich gewonnen hat.
2. Auch die übertragbare Genickstarre, Meningitis cerebrospi¬
nalis epidemica, ist erst nach Erlass des Regulativs in der Mitte des vorigen
Jahrhunderts genauer bekannt geworden, wodurch sich ihre Nichterwähnung
im Regulativ erklärt. Sie tritt zwar verhältnissmässig selten auf, verläuft
aber in der Mehrzahl der Fälle in kurzer Zeit tödtlioh und zieht in den Fällen,
welche in Genesung enden, häufig schwere Naebkrankheiten, selbst Blindheit
nnd Blödsinn nach sich. In den drei Jahren von 1895 bis 1897 wurden in
Prenssen 1069 Todesfälle an dieser Krankheit amtlich gemeldet, entsprechend
1,1 yon je 100000 der am 1. Januar Lebenden, von welchen 720 = 68,7 Prozent
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom SO. Joni 1900. 147
enter 15 Jahre alt waren. Die Zahl der Erkrankungen steht nicht genau fest,
doch kommen erfahrungsgemäm anf je 100 Erkrankungen etwa 45 Todesfälle.
Es bedarf keiner weiteren Ausführung, dass auf eine so ernste Krankheit die
Vorschriften des Gesetzentwurfs sich mit zu erstrecken haben.
3. Dass das Kindbett-, Wochenbett- oder Puerperalfieber,
welches schon von Willis im Jahre 1682 genau beschrieben worden, in dem
Begulativ nicht erwähnt worden ist, findet seine Erklärung in dem Umstande,
dass sein Charakter als übertragbare Krankheit erst in den 60er Jahren des
▼origen Jahrhunderts durch Semmelweiss erkannt worden ist. Während
diese Krankheit früher, namentlich in den öffentlichen Entbindungsanstalten,
einen erschreckenden Prozentsatz der Gebärenden dahin raffte, ist die Zahl
ihrer Opfer seit 40 Jahren erheblich beruntergegangen, seitdem festgestellt ist,
dass sie zu den sogenannten Wundinfektionskrankheiten gebürt. Sie entsteht
dadurch, dass in die, in Folge der Entbindung wunden Gescblechtstbeile der
Wüehnerin durch die unsauberen Hände oder Instrumente yon Geburtshelfern
oder Hebammen die Erreger der Krankheit eingeführt werden. Daher kommen
überall da, wo Aerzte und Hebammen es an der erforderlichen Sorgfalt und
Sauberkeit fehlen lassen oder wo, wie vielfach in den östlichen Provinzen und
auch sonst auf dem Lande, die Entbindungen nicht durch die geübte Hand
von Aerzten oder Hebammen, sondern durch Kurpfuscherinnen geleitet werden,
auch jetzt noch zahlreiche Fälle von Kindbettfieber vor. In den 9 Jahren 1889
bis 1897 starben in Preussen von je 100000 weiblichen Personen durchschnitt¬
lich jährlich 29,2, von je 100 000 Entbundenen aber 392,8 im Kindbett. Wenn
auch nicht alle Todesfälle im Wochenbett auf Kindbettfieber znrückzufübren
sind, da in dieser Zeit auch andere Todesursachen, namentlich Blutungen, in
Wirksamkeit treten, so entfällt doch ein erheblicher Prozentsatz der Todes¬
fälle auf diese unheimliche Wundinfektionskrankheit, deren Opfer um so be-
klagenswerther sind, als es sich dabei meist um junge, kräftige, auf der Höhe
des Lebens stehende Personen handelt. Wie gross die in Betracht kommenden
Opfer sind, geht unter anderem daraus hervor, dass in Preussen in den Jahren
1890 bis 1899 die Zahl der Mütter, welche im Kindbett starben, durchschnitt¬
lich jährlich 4414, entsprechend 27,7 von je 100000 der am 1. Januar lebenden
weiblichen Personen betrug. Allerdings scheint die Sterblichkeit im Kindbett
in neuerer Zeit erfreulicher Weise etwas abzunehmen. Wenigstens starben in
Preussen im Kindbett von je 100000 weiblichen Personen im Jahre
1890 : 31,4
1894:
29,0
1898:
22,7
1891: 30,5
1895:
25,6
1899:
24.3
1892 : 29,5
1896:
24.8
1900:
24,0
1893 : 36,9
1897:
22,7
Dia Zahl dar Todesfälle im Wochenbette wird aber, namentlich in den
ländlichen Bezirken, noch in höherem Masse vermindert werden können und
müssen. Im Durchschnitt der Jahre 1890 bis 1894 starben in Preussen von
je 100000 Entbundenen in den Städten 338, auf dem Lande dagegen 476 im
Wochenbett. In den Begierungsbezirken im Osten der Monarchie, wo es an
Aerzten und zuverlässigen Hebammen noch stellenweise fehlt, starben nach
dem Durchschnitt der drei Jahre 1892 bis 1894 von 100000 Entbundenen
in dem Bezirk: in den Städten: auf dem Lande:
Danzig. 37,8 75,1
Marienwerder . . . 58,4 65,0
Gumbinnen .... 46,2 63,2
Köslin. 42J> 60,5
Bromberg .... 56,3 60,1.
Die vorstehenden Ziffern sprechen mit hinreichender Deutlichkeit für die
NothWendigkeit der Einführung sanitätspoliseilicher Massnahmen gegenüber
dem Kindbettfieber.
4. Das Bückfallfieber, Febris recurrens, im Jahre 1868 in
Deutschland zum ersten Mal beobachtet, wurde erst in der Mitte des vorigen
Jahrhunderts als eine besondere Krankheit erkannt, bis dahin aber von den
Aerzten mit Fleekfieber, Typhus oder Malaria verwechselt. Gesichert wurde
seine genaue Erkennung durch die Entdeckung seines Er reg e rs im Jahre 1878.
TTrsosilors in Bamlnad und Galizien heimisch, wird die Krankheit, w elche
ausserordentlich leicht übertragbar ist, von Zeit za Zeit durch Vagabunden,
148 Entwurf eines Ausftthnuigsgesetzes zu dem Beiehsgesetz, betr.
Wanderarbeiter nnd dergl. bei nns eingeschleppt. Enge und überfüllte Woh¬
nungen, elende Herbergen (Pennen), 8chmutz am Körper nnd in der Kleidung
begünstigen die Uebertr&gung, bei welcher allem Anschein nach stechende In¬
sekten, namentlich Wanzen und Flöhe, betheiligt sind.
In Preussen ist die Krankheit in der letzten Zeit weniger häufig aufge¬
treten. In den 6 Jahren von 1889 bis 1894 sind im Ganzen 78 Fälle amtlich
gemeldet, von welchen 65 im Regierungsbezirk Posen, 11 im Regierungsbezirk
Marienwerder und je 1 im Regierungsbezirk Oppeln und in Berlin sich ereig¬
neten nnd die zumeist in Genesung endigten.
Trotzdem liegt alle Veranlassung vor, der Krankheit mit seucbenpolizei-
lichen Massregeln entgegenzutreten, da sie gelegentlioh schwere Epidemien
herbeiführen und eine Sterblichkeit bis zu 7 vom Hundert der Erkrankten ver¬
ursachen kann.
m. Die auf Menschen übertragbaren Thierkrankheiten, Milzbrand,
Rotz und Wnth, welche in dem §. 1 des Gesetzentwurfes angeführt sind,
werden auch schon in dem Regulativ behandelt und bedürfen auch künftig
einer durchgreifenden sanitätspolizeilichen Bekämpfung.
1. Milzbrand, Anthrax malignus, kommt bei Rindern und Schafen,
aber auch bei Schweinen und Pferden vor und wird gelegentlich auch auf
Menschen übertragen, welche mit den lebenden oder todten Thieren oder mit
ihren Abfällen in Berührung kommen. Alljährlich wird eine Reihe von Milz-
branderkrankuugen bei Menschen beobachtet, und zwar entweder als Haut-
milsbrand, der sogenannte Milzbrandkarbunkel (bei Schlächtern, Abdeckern,
Gerbern u. s. w.), als Lungenmilz^rand, die sogenannte Hadernkrankheit
(bei Arbeitern in Wollsortirereien, Rosshaarspinnereien, Lumpensammlereien,
Papierfabriken u. s. w.), oder als Darmmilzbrand bei Personen, welche
Fleisch von milzbrandkranken Thieren genossen haben. Anlass zu den Milz¬
brandübertragungen giebt das Eindringen der gegen äussere Einflüsse überaus
widerstandsfähigen Früchte der Milsbrandbazillen, der sogenannten Sporen, in
kleine Hautverletzungen oder ihre Aufnahme in die Lunge beim Athmen in
der staubigen Luft in Fabrikräumen, in welchen Rosshaare, Schafwolle, Felle
u. s. w. der an Milzbrand eingegangenen Thiere verarbeitet werden, oder end¬
lich die Einverleibung der Bakterien mit ungenügend gekochtem Fleisch. Auch
in die Milch von milzbrandkranken Thieren können die Krankheitskeime
übergehen.
Bei der grossen Aufmerksamkeit, welche die Veterinärpolizei den Mils-
brauderkrankungen der Hausthiere zuwendet, tritt die Krankheit beim Menschen
nicht gerade häufig auf, welcher für sie auch weniger empfänglich ist, als unsere
Hausthiere. Immerhin sind jedoch in den neun Jahren von 1889 bis 1897 zu¬
sammen 428 Erkrankungen an Milzbrand in Preussen vorgekommeo, von welchen
nicht weniger als 73, also 17,1 vom Hundert, tödtlich endigten. Diese hohe
Sterblichkeit rechtfertigt es, auch den Milzbrand des Menschen in die Vor¬
schriften des Gesetzentwurfs einzubeziehen.
2. Noch seltener beim Menschen, dafür aber erheblich schwerer in seinem
Verlaufe, ist der Rotz, Malleus bnmidus, eine Erkrankung, welche besonders
bei Pferden, Maulthieren, Eseln, Zebras nnd verwandten Thieren vorkommt
und entweder als eine Lungenkrankheit, eigentlicher Rotz, oder als eine
Erkrankung der Haut, sogenannter Wurm, verlänft. Menschen erkranken
verhältnissmäSBig selten an Rotz, und stets sind es solche Personen, welche mit
den lebenden oder todten Thieren oder deren Abfällen sich beschäftigen, nament¬
lich Stallknechte, Rossschlächter, Abdecker; auch sind Ansteckungen von Bak¬
teriologen und Dienern beobachtet worden, welche in Laboratorien mit Rots¬
bakterien gearbeitet batten. Beim Menschen ist- die meist sehr chronisch
verlaufende Krankheit überaus schwer und in der Mehrzahl der Fälle tödtlicb.
In den 9 Jahren von 1889 bis 1397 kamen in Preussen im Ganzen 14
Erkrankungen zur amtliehen Kenntniss, von welchen 9, also 64,8 vom Hundert,
tüdtlieh endigten. Unter diesen Opfern befanden sich ausser mehreren Stall¬
knechten ein Kreisthierarzt, ein Rossschlächter und ein Sattlerlehrling, weleh’
letzterer sieb bei Geschirrreparaturen angesteckt hatte.
Die Erkrankung entsteht durch das Eindringen von Rotzbazillen in kleine
Verletzungen und ist um so gefährlicher, als sie auch von Mensch zu Mensch
übertragbar ist.
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Vom 80. Juni 1900. 149
3. Die Tollwnth, Lyssa humane, auch Wasserscheu genannt, entsteht
nach dem Bise wuthkranker Thiere, meist von Hunden, auch Katzen, Bindern
ud anderen Hausthieren. Die bisher noch unbekannten Erreger dieser Krank¬
heit müssen in dem Geifer der wuthkranken Thiere gesucht werden. Die
Kraikheit pflegt nach den gemachten Beobachtungen bei etwa nur 6 Prozent
der Gebissenen zum Ausbruch zu kommen, dann aber ausnahmslos tüdtlich zu
verlaufen. ln der Begel tritt die Krankheit nicht sofort, sondern erst einige
Wochen, zuweilen auch erst mehrere Monate nach der Bissverletzung in die
Knekeinung. Besonders gefährlich sind die Bissverletsungen, welche unbekleidete
Körpert heile, namentlich das Gesicht und die Hände, treffen.
In Folge der strengen Beaufsichtigung, welcher in Deutschland die
Hude unterliegen — Hundesteuer, Maulkorbzwang, Hundesperre — ist die
Wsth unter den Hunden bei uns verhältnissmässig selten. Sie kommt vor¬
wiegend in den an Bussland und Oesterreich anstossenden preussischen, säch*
tischen und bayerischen Grenzbezirken vor. Die Bissverletzungen von Menschen
iareh wuthkranke Thiere haben in den letzten Jahren in Deutschland eine
uverkennb&re Zunahme gezeigt. In Preussen kamen von Bissverletzungen
ur amtlichen Meldung im Jahre
1891: 78 1895 : 66 1899 : 302
1892 : 72 1896: 128 1900 : 232.
1898 : 60 1897: 161
1893 : 92 1889 : 268
Von diesen insgesammt 1207 Bissverletzungen haben 37, also 3,1, vom
Hindert, den Tod an Tollwuth zur Folge gehabt. Dem französischen Bakte¬
riologen Louis Pasteur verdanken wir ein Schutzimpfungsverfahren, dessen
rechtzeitige Anwendung eine fast absolut sichere Verhütung der Tollwuth bei
des Gebissenen gewährleistet, und das seit der Errichtung einer Tollwuth-
zbtheilung bei dem Königlichen Institut fUr Infektionskrankheiten in Berlin
ueh in Preussen in der Mehrzahl der Bissverletzungen von Menschen zur
izwendung gelangt. Diesem Umstande ist es augenscheinlich zuzusohreiben,
lass im Jahre 1900 überhaupt kein Todesfall an Tollwuth in Preussen sich
ereignet hat, während 1899, noch 3, 1898 sogar 9 Todesfälle an dieser Krank¬
heit zur Kenntniss der Behörden gelangt sind.
Diese günstigen Erfolge dürfen aber nicht dazu verleiten, die Aufmerk-
Mokeit gegenüber der Tollwuth des Menschen ausser Acht zu lassen. Die
NothWendigkeit der Einführung sanitätspolizeilicher Massnahmen ergiebt sich
schon allein aus der Thatsache, dass tollwuthkranke Menschen für ihre Um¬
gebung in hohem Grade gefährlich werden können.
IV. Der Gesetzentwurf erstreckt sich noch auf einige Krankheiten,
welche streng genommen nicht zu den von Mensch auf Mensch übertragbaren
Krankheiten gehören, aber doch von zu grosser sanitätspolizeilicher Bedeutung
lind, um hier ganz ausser Acht gelassen werden zu können. Es sind dies die
Krkrnakungen. welche nach dem Genuss gewisser Nahrungsmittel entstehen,
die Trichinose und die Fisch-, Fleisch- und Wurstvergiftung.
1. Die Trichinose ist eine schwere und nicht selten tOdtliche Muskel-
nkrankung, welche durch das Eindringen eines winzigen Bundwurmes, der von
Owen im Jahre 1835 entdeckten Trichina spiralis, in den menschlichen
Körper entsteht und unter Erscheinungen verläuft, welche an diejenigen des
Typhus erinnern. Die Trichine, deren Bedeutung erst in den sechziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts erkannt worden, ist ein Muskelparasit der Batten
tad Schweine und gelangt in den Menschen durch den Genuss des Fleisches
trichinöser 8chweine. Das sicherste Mittel zur Verhütung der Trichinen-
kraakheit ist die sorgfältige Durchführung der Fleischbeschau, sowie die
Unterlassung des Genusses von Fleisch in rohem Zustande. Es empfiehlt sieh
Ueh, den erkrankten Menschen eine sanitätspolizeiliche Beachtung zu schenken,
weil die Erkrankungafälle die Behörden darauf aufmerksam machen, dass die
Trishinenschau nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gebandhabt worden ist,
Ud die Verpflichtung zur Anzeige dieser Fälle daB einzige Mittel ist, um mit
Sekerheit feetzustellen, ob und wo noch etwa trichinenhaltige Nahrungsmittel
Urkunden und zu vernichten sind.
Brwähnt mag noch werden, dass in Preussen in den 20 Jahren vod
16Ö Bot warf eines Ausführungsgesetzes zudem Reichsgesets, betr.
1880 bis 1899 im ganzen 286, also dnrchschnittlieh j&hrlioh 13,4 Todesffille an
Triohinose zur Kenntniss der Behörden gelangt sind.
2. Die Fisch-, Fleisch- und Wurstvergiftung ist nach den
neueren Untersuchungen keine einheitliche Krankheit, sondern umfasst zwei
Krankheitsgruppen. Bei der einen, welche am längsten bekannt ist, entstehen
Schwindel, Muskellähmungen am Auge, Schlund, Kehlkopf u. s. w. als Folge
einer Vergiftung mit organischen Stoffen, die unter dem Einfluss von Fänlniss-
bakterien in verdorbenen Fleischwaaren zur Entstehung gelangt sind. Bei der
zweiten Oruppe, welche meist mit schweren Durchfällen, Fieber und allgemeiner
Schwäche und Hinfälligkeit einhergeht, handelt es sich um eine Infektions¬
krankheit, welche durch den OenusB frischen Fleisches von notbgeschlachteten
Thieren entsteht. Bei den KrankheitBprozessen der letzteren Gruppe, meist
puerperalen Ursprungs, ist es gelungen, eine Beihe wohlcharakterisuter Bak¬
terien nachzuweisen, welche bei Thierversuchen sich als höchst verderblich fttr
die Versuchsthiere erwiesen haben. Der Genuss derartiger Fleischwaaren
erzeugt in der Regel Massenerkrankungen mit schwerem, häufig tOdtlicbem
Verlaufe, weshalb alle Veranlassung vorliegt, auch diese Erkrankungen zum
Gegenstände der behördlichen Fflrsorge zu machen.
Unter den Krankheiten des Gesetzentwurfs (§. 1) fehlen von den im
Regulativ behandelten Krankheiten: Masern und Rötheln, Krätze,
Weichselzopf, bösartiger Kopfgrind, Krebs und Gicht.
1. Masern und Rötheln treten jahraus jahrein in Form von Epi¬
demien auf, welche zwar keine grosse räumliche Ausdehnung haben, aber in
den befallenen Orten einen grossen Theil der Kinderwelt heimzusuchen pflegen.
Die Sterblichkeit ist in der Mehrzahl der Epidemien verhältniesmässig gering
nnd beträgt bei den Masern durchschnittlich kaum 3 vom Hundert der Er¬
krankten, während Todesfälle an ROtheln kaum Vorkommen. Die grosse Ver¬
breitung der beiden Krankheiten gebt daraus hervor, dass trotz der verhältniBB-
mässigen Leichtigkeit ihres Verlaufes in Preussen innerhalb der zehn Jahre
von 1890 bis 1899 durchschnittlich jährlich nicht weniger als 8923 Personen
oder 28,5 von je 100000 der Bevölkerung an Masern und Rötheln gestorben sind.
Trotzdem werden Schutzmassregeln gegen diese Krankheiten von der Mehrzahl
der Sachverständigen nicht für erforderlich gehalten, im Gegentheil giebt es
zahlreiche hervorragende Aerzte, welche beim Auftreten eines Masern- oder
ROthelnfalles in einer Familie sämmtliche Kinder der Ansteckung auszusetzen
rathen, weil erfahrungsgemäss die Krankkeiten im höheren Lebensalter schwerer
zu verlaufen pflegen als in der Kindheit. Dazu kommt, dass das Regulativ
bei Masern und ROtheln die Anzeigepflicht nur fflr Aerzte, nnd auch nur dann
vorschreibt, „wenn besonders bösartige oder besonders zahlreiche Fälle ihnen
verkommen" (§. 59 deB Regulativs). Von einer derartigen halben Massregel
ist jedoch eine erfolgreiche Bekämpfung der Krankheiten nicht zu erwarten.
Da aber anderseits die Einführung der Anzeigepflicht für alle Fälle von Masern
nnd ROtheln im Verhältniss zu dem davon zu erwartenden Nutzen eine zu
zu grosse Belästigung der Bevölkerung zur Folge haben würde, so erschien es
zweckmässiger, von diesen beiden Krankheiten überhaupt im Gesetze ab-
suseben.
2. Vor der Entdeckung der Krätzmilbe, welche sich in der Haut des
Kranken aufhält, jedoch durch verhältnissmässig harmlose Mittel in kurzer
Zeit abgetödtet werden kann, hielt man die Krätze für ein bedenkliches All-
S emeinleiden, welches schwere Nachkrankheiten, die sogenannte „psorische
ijskrasie" im Gefolge haben sollte. Im Regulativ sind unter dem Gesichts¬
punkte dieser Auffassung nicht weniger als zehn Paragraphen der Krätze ge¬
widmet, während sich nach dem heutigen Stande der Wissenschaft der Erlass
gesetzlicher Bestimmungen gegenüber dieser Krankheit überhaupt erübrigt.
8. Dasselbe gilt vom WeichBelzopf, welcher zwar auch heute noch
in den östlichen Provinzen, namentlich in Posen und Westpreussen, sehr ver¬
breitet, aber überhaupt keine Krankheit, sondern in Folge von Unsauberkeit
entstehende Verfilzung der Haare ist. Ungebildete und abergläubische Per¬
sonen erzeugen sich häufig den Weichsclzopf absichtlich in der Annahme, sich
dadurch vor Erkrankungen bewahren zu können. Gegen diese Unsitte dürften
weniger Massregeln der Sanitätspolizei, als eine Aufklärung und Belehrung der
Bevölkerung am Platze sein.
die Bekämpfung gemeingef&hrlioher Krankheiten vom 80. Juni 1900. 161
4. Bösartiger Kopfgrind wird gleichfalls im Gesetzentwürfe nicht
erwähnt. Die Fortschritte der Dermatologie haben ergeben, dass die Sammel¬
bezeichnung „bösartiger Kopfgrind* 1 eine Mehrheit selbstständiger Krankheiten
umfasst, welche rein örtlich verlaufen nnd niemals zu Allgemeinkrankheiten
ausarten, so dass von einer Bekämpfung derselben mittels behördlicher Mass¬
nahmen abgesehen werden kann. Auch der Erlass der Minister der geistlichen
u. s. w. Angelegenheiten und des Innern, betr. die Verhütung der Uebertragung
ansteckender Krankheiten durch die Schulen vom 14. Juli 1884 (M. Bl. f. d. i.
V n S. 198) hat den bösartigen Kopfgrind mit Stillschweigen übergangen. Die
einzige sanitätspolizeilicle Masaregel, welche sich gegenüber dem Kopfgrind,
wie bei allen Haarkrankheiten, empfiehlt, ist eine sorgfältige Ueberwachung
des Barbier-, Friseur- und Perrückenmachergewerbes, deren Durchführung
jedoch nicht die Form des Gesetzes erfordert.
Auch die Vorschriften, welche das Begulativ (g. 90) über die Krebs¬
krankheit enthält, sind unzureichend und veraltet. Es ist erwogen worden,
ob es sich nicht empfiehlt, andere wirksame Massregeln gegen die Krebskrank¬
heit vorzuschreiben. Mach den Erfahrungen der letzten Jahre ist die Ver¬
breitung des Krebses in neuerer Zeit in unverkennbarer Zunahme begriffen.
Von je 100000 am 1. Januar Lebenden starben im preussischen Staat an Krebs
im Jahre
1890 : 43,1 1894 : 52,7 1898 : 57,0
1891: 45,0 1895 : 53,1 1899 : 60,6
1892 : 49,7 1896 : 55,3
1891:61,0 1897 : 56,7
Es ist zwar die Ansicht geäussert worden, dass die Zunahme des KrebseB nur
eine scheinbare sei und vorgetäuscht werde durch die Verbesserung der dia-
gnosistischen Befähigung der Aerzte und die Entwicklung der Chirurgie,
namentlich der Antisepsis und Asepsis, vermöge deren jetzt mehr Operationen
vorgenommen würden, als früher. Diese Ansicht erscheint jedoch nicht zu¬
treffend; sie wird schon durch die Thatsache des auch ausserhalb Freuesens
und Deutschlands beobachteten, gleichmässigen Ansteigens der Sterblichkeits¬
ziffern widerlegt. Der Gedanke, schon jetzt mit gesetzlichen Mastnahmen gegen
den Krebs vorzugehen, musste jedoch gegenüber der Erwägung aufgegeben
werden, dass zurZeit die Matur und das Wesen dieser Krankheit wissenschaft¬
lich noch nicht hinreichend geklärt ist, dass insbesondere noch nicht feststebt,
ob diese Krankheit von Mensch zu Mensch bezw. von Thieren oder Pflanzen
auf Menschen übertragbar ist, ob sie durch einen belebten Krankheitserreger
erzeugt wird, auf weichen Wegen derselbe sich verbreitet, ob eine Vererbung
der Krankheit anzunehmen ist. Erst wenn es der Forschung, die gerade in
neuerer Zeit sich mit der Angelegenheit lebhaft beschäftigt, gelungen sein
wird, diese und ähnliche Fragen zu lösen, wird man an eine gesetzliche Fest¬
legung von Bekämpfuogsmassregeln des Krebses herantreten können.
6. Von der Gicht steht schon jetzt mit Sicherheit fest, dass sie nicht
durch einen belebten Krankheitskeim entsteht und nicht übertragbar ist, so
Aase nanitätspollzeiliche Massregeln gegenüber dieser Krankheit nicht in Frage
kommen können.
VI. Weiterhin hat auoh eine Beihe von übertragbaren Krankheiten von
theilweise grosser Bedeutung keine Aufnahme in dem Gesetzentwurf gefunden,
z. B. die Influenza, Malaria, der Keuchhusten, die Maul- und
Klauenseuche, Schälblasen der Neugeborenen, ans Gründen, die
einer näheren Darlegung bedürfen.
1. Die Influenza oder Grippe ist eine fieberhafte Infektionskrankheit,
welche in epidemischer, häufig pandemischer Verbreitung aufzutreten pflegt,
seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wiederholt auch in Deutschland beobachtet
worden ist und gerade in den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, zu
der Zeit, in welcher das Regulativ erlassen wurde, mehrere schwere Epidemien
in Deutschland verursacht hat. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
kamen grössere Epidemien nicht vor, erst gegen Ende des JahreB 1889 trat
die Krankheit von Nenem auf und forderte bis in daa Jahr 1897 hinein fast
ununterbrochen ihre Opfer. Während die Zahl der Erkrankungen eine ausser¬
ordentlich grosse war, bei dem verschiedenartigen Verlaufe der Krankheit aber
152 Entwarf eines Ausführnngsgesetzes 2a dem Heichsgesetz, betr.
nicht festgestellt werden konnte, ist die Zahl der Todesfälle wenigstens an¬
nähernd za ermitteln and verhältnismässig gering gewesen. Es starben an
Infineon in Prenssen im Jahre
1889 : 814 1892: 16911 1896 : 6609
1890 : 9676 1898: 10413 1896 : 3669
1891: 8050 1894 : 7886 1897 : 6940.
Zusammen 67 608 Personen.
Die Krankheit entsteht dturch das Eindringen des Inflnenzabacillns in
den Körper; sie ist überaus leioht übertragbar, allem Anschein naoh von Person
in Person vermittelst des beim Räuspern, Husten, Sprechen, Niessen u. s. w.
verspritzten Schleimtröpfchen der Kranken, in welchen die Bakterien in reich¬
licher Menge enthalten sind. Bei ihrem epidemischen Auftreten pflegt sie sich,
dem Verkehre folgend, mit ausserordentlicher Schnelligkeit von Hans zu Haus,
von Ort zu Ort zu verbreiten, and ganze Schichten der Bevölkerung zu be¬
fallen, während die Sterblichkeit je naoh der Schwere der Epidemie verschieden
gross, im Verhältniss zu der Zahl der Erkrankungen aber in der Begel nicht
erheblich ist. Mit Rücksicht hierauf und in der Erwägung, dass die Art und
Weise, wie im einzelnen Fall die Uebertragung der Krankheit zu Stande
kommt, wissenschaftlich noch nicht mit hinreichender Bestimmtheit festgestellt
ist, erscheint es angezeigt, von der Bekämpfung dieser Krankheit im Entwürfe
zur Zeit noch abzusehen.
2. Die Malaria, das kalte oder Wechselfieber, ist eine Infektions¬
krankheit, welche in den Tropen und in Südenropa sehr schwer verläuft und
nicht selten zu langem Siecbthum und zum Tode führt, während sie bei uns
in zwei milderen Formen, der sogenannten Febris tertiana und quartana auf-
tritt und in der Regel einen leichteren Verlauf nimmt. Sie entsteht durch
das Eindringen mikroskopischer Thiere, der sogenannten Plasmodien, in die
rothen Blutkörperchen und wird von dem erkrankten Menschen auf den ge¬
sunden nicht direkt, sondern durch Vermittelung bestimmter Mückenarten, der
Anopheles, übertragen, welohe den Gesunden stechen, nachdem sie einige Zeit
vorher Blut von einem Kranken in sich aufgenommen haben. Nach den neueren
Untersuchungen vermehren sich die aus dem Blute des kranken Menschen
stammenden Plasmodien im Körper der Mücken, sammeln sich in der am
Grande des Stachels liegenden Giftdrüse an und werden beim Stiche, bevor
das Thier saugt, in die Haut and den Blutstrom des nächstgestochenen
Menschen entleert.
Es erhellt, dass jeder Mensch, welcher die Parasiten in seinem Blut¬
strome enthält, die Gesundheit seiner Umgebung gefährdet und dass das
sicherste Mittel zur Verhütung der Weiterverbreitung der Krankheit die mög¬
lichst schnelle und vollkommene Heilung jedes Malariakranken ist.
Mit Rücksicht darauf jedoch, dass wir in dem Chinin ein sicher wirk¬
sames Mittel gegen die Krankheit besitzen, dass die Krankheit in der Mehrzahl
der Fälle leicht verläuft and gegenwärtig in Prenssen nur in geringer Ver¬
breitung vorkommt, hat der vorliegende Gesetzentwurf auch bei dieser Krank¬
heit von näheren Bestimmungen Abstand genommen.
8. Der Keuchhusten ist eine von Krampfhustenanfällen begleitete,
von Person an Person übertragbare Krankheit, welche in der Regel mehrere
Monate dauert, das Allgemeinbefinden erheblich stört und unter den Kindern,
welche für sie besonders empfänglich sind, zahlreiche Todesfälle herbeiführt.
Sie hat in der Art ihrer Verbreitung grosse Aehnlichkeit mit den Masern und
verursacht wie diese Epidemien, welche ganze Ortschaften in Mitleidenschaft
zu ziehen pflegen. Die Zahl der Erkrankungen an Keuchhusten gelangt bei
dem Mangel einer gesetzlichen Anzeigepflicht nicht zur Kenntniss der Behörden;
die Zahl der Todesfälle betrug in Prenssen in den Jahren 1890 bis 1899 durch¬
schnittlich jährlich 14311, entsprechend 45,6 von je ICO 000 der am 1. Januar
Lebenden. Für die Kinderwelt ist die Krankheit erheblich gefährlicher, als
für Erwachsene. Im Jahre 1893 starben an dieser Krankheit in Prenssen von
je 100000 Lebenden der betreffen Altersklasse im
1. Lebensjahre . . . 868,6 4. n. 5. Lebensjahr. . 86,1
2. „ ... 318,2 6. bis 10. „ . . 6,4
3. „ ... 96,9 11. „15. „ . . 0,7
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 80. Juni 1900. 163
16.
bis 20. Lebensjahre . .
0,06
41.
bis 60.
Lebensjahre .
. 0,1
21.
» 26. „ . .
0,1
61.
» 60.
jp •
. 0,4
26.
»30.
0,16
6L
» 70.
n •
. 2,1
81.
»40- »
0,05
Bis jetst bestehen in Preossen gegenüber dem Kenehbasten nur Vor*
sehriften für die Sohulen (vergl. Min.-Erl. rom 14. Juli 1884, M.-B1. f. d. i. V.,
8.198). De die Krankheit aber die Kindheit vor dem Beginne des schulpflich¬
tigen Alters in fiel höherem Grade gefährdet und da ihre Verbreitung in der¬
selben Weise wie bei der Tuberkulose und Influensa, durch das Verspritzen
Ton 8chleimtr0pfchen beim Husten, Räuspern, Niesen u. s. w. erfolgt, so ist
erwogen worden, ob es nicht angebracht sei, durch die Einführung der Anzeige*
and Absonderungspflicht für die kranken Kinder bis zu einem gewissen Lebens¬
titer, etwa bis zum 10. Lebensjahre, der Ausbreitung der Krankheit entgegen-
ntreten. Es ist jedoch aus denselben Gründen, wie bei den Masern, von einem
Vorgehen in dieser Richtung, wenigstens zur Zeit, Abstand genommen.
4. Es ist auch davon abgesehen, die Maul- und Klauenseuche,
welche Rinder, Schafe und Schweine befällt und zu deren Bekämpfung seit
eia« Reihe von Jahren erhebliche Staatsmittel anfgewendet werden, in den
Bereich dieses Gesetzes zu ziehen, obgleich es sich um eine Krankheit handelt,
welche mit der Milch auf den Menschen übertragen werden kann und nicht
selten bei Säuglingen Entzündungen der Mundschleimhaut verursacht, durch
welche die Ernährung der Kinder erheblich beeinflusst wird. Entscheidend
hierbei war, dass die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche im Wesent¬
lichen Aufgabe der Veterinärpolisei ist.
5. Auch die Schälblasen der Neugeborenen sind in dem Gesetz
Entwürfe nicht berücksichtigt. Mit diesem Namen werden zwei verschiedene
Krankheiten bezeichnet, einmal eine Erscheinungsform der Syphilis, welche
nter diese Krankheit fällt, und dann eine verhäknissmäsBg harmlose Haut¬
krankheit, gegen welche sich sanitätspolizeiliche Massregeln erübrigen.
Besonderer TheiL
Der Gesetzentwurf sohliesst sich in seiner Eintheilung im Wesentlichen
u die des Reichsgesetzes an und behandelt in acht Abschnitten 1. Anzeige-
pflicht, 2. Ermittelung der Krankheit, 3. Schutzmassregeln, 4. Verfahren und
Behörden, 5. Entschädigungen, 6. Kosten, 7. Strafvorschriften, 8. Schlussbe-
kestimmungen.
Erster Abschnitt
Annelgepflioht.
Die unerlässliche Vorbedingung eines jeden seucbenpoliseilichen Vor¬
gehens gegen die übertragbaren Krankheiten ist die Einführung der Anzeige-
pflieht Nur wenn die Behörden möglichst frühzeitig und zuverlässig erfahren,
wann und wo die ersten Erkrankungen und Todesfälle einer übertragbaren
Krankheit vorgekommen, sind sie in der Lage, ihre Entstehungsursachen auf-
zaklären und wirksame Massnahmen zur Verhütung ihrer Weiterverbreitung
aazuordnen. Sind erst mehrere Fälle der Krankheit vorgekommen, so ist es
vielleicht mit Schwierigkeiten verbunden, die Wege, auf welchen die Krankheit
Eingang gefunden hat, festzustellen; auch sind dann bereits so zahlreiche
Krankheitskeime in der Bevölkerung ausgestreut, dass ihre Vernichtung und
die Verhütung des Ausbruchs einer Epidemie zuweilen überhaupt nicht mehr
•der nur im Aufwand unverhältnissmässig grosser Mühen und Kosten zu er¬
reichen ist. Gelingt es dagegen, in Folge rechtzeitiger Anmeldung von dem
ersten Falle oder den ersten Fällen der Krankheit Kenntniss zu erhalten, so
ist es den Behörden noch möglich, den glimmenden Funken zu ersticken, et¬
waige Uebertragungen der Krankheit unschädlich zu machen und die Bevöl¬
kerung vor grosserem Unheil zu bewahren. Dies gilt in erster Linie von den
direh das Reichsgesetz der Anzeigepflicht unterworfenen „gemeingefährlichen*
Krankheiten; es trifft aber in mehr oder weniger gleichem Masse auch bei den
übertragbaren Krankheiten des vorliegenden Gesetzentwurfs zu.
§. 1. Nach g. 1 des Reichsgesetzes sind Aussatz, Cholera, Fleck¬
fieber, Gelbfieber, Pest, Pocken sowie jeder Fall, welcher den Ver¬
dacht einer dieser Krankheiten «weckt, anzeigepflichtig.
Bei den anderen übertragbaren Krankheiten sieht der vorliegende
154 Entwurf eines Aüsführithgsgesetses in dem fteiohsgesetz, betf.
Gesetzentwurf die Anzeigepflicht toi: für einige der schon nach dem Regulativ
anzeigepflichtigen Krankheiten, nämlich für Ruhr, Scharlach, Syphilis,
Typhus, Milzbrand, Rotz and Tollwut-h, and sodann für einige,
welohe seit Erlass des Regulativs theils erst aufgetreten, theils genauer er¬
forscht worden sind, nämlich für Diphtherie, übertragbare Genick¬
starre, Kindbettfieber, KOrnerkrankheit, Lungen- und Kehl-
kopfstuberkulose, Rückfallfieber, Schanker, Tripper, Fleisch-,
Fisch- und Wurstvergiftung und Triohinose.
Abgesehen ist von der Anzeigepflicht bei Krätze, Masern, Rötheln
und WeiohselzopL
Das Regulativ schreibt, wie bereits im allgemeinen Theile der Be¬
gründung hervorgehoben ist, die Anzeigepflicht bei Masern, Scharia oh
und ROthein nur für Aerzte, und für diese auch nur dann vor, »wenn be¬
sonders bösartige oder besonders zahlreiche Fälle ihnen Vorkommen“ (vergl.
§. 59 d. R). Der vorliegende Gesetzentwurf weicht von dieser Bestimmung
nach zwei Richtungen hin ab, indem er für Masern und ROth ein die An¬
zeigepflicht überhaupt beseitigt und ferner bei Scharlach mit Rücksicht auf
die Bösartigkeit dieser Krankheit die Anseigepflicht anf alle Fälle ausdehnt
und nicht auf Aerzte beschränkt. Von der Beschränkung der Anzeigepflicht
auf die Aerzte nimmt der Gesetzentwurf grundsätzlich Abstand, um auch in
denjenigen Fällen, in welchen die Kranken sich nicht von einem Arzte be¬
handeln lassen, die Möglichkeit eines behördlichen Einschreitens zu sichern.
Bei der Ruhr erweitert der Gesetzentwurf gegenüber dem gegen¬
wärtigen ReohtszuBtand (vergl. §. 41 d. R.) die Anzeigepflicht, indem er sie
nicht von einer epidemischen Ausbreitung der Krankheit abhängig macht,
schränkt sie aber gleichzeitig auf Fälle von „übertragbarer“ Ruhr ein,
um nioht jeden verdächtigen Sommerdurchfall der Anzeigepflicht zu unter¬
werfen. Massgebend ist dabei der Umstand, dass der bakteriologischen
Forschung in jüngster Zeit die Entdeckung deB Ruhrerregers gelangen ist, so
dass in Zukunft die Feststellung der unzweifelhaften Ruhrfälle keinen Schwierig¬
keiten mehr unterliegen wird.
Nach §. 1 des Reichsgesetzes sind auch Fälle, welche den Verdacht
einer gemeingefährlichen Krankheit erwecken, anzeigepflichtig. Bei den Krank¬
heiten des vorliegenden Gesetzentwurfes erscheint nur bei Typhus, Rotz, Rück¬
fallfieber und Kindbettfieber eine Ausdehnung der Anzeigepflicht auf Verdachts¬
fälle erforderlich.
Wie schon früher auBgeführt ist, erzeugt der Typhus bei uns fast
jedes Jahr mehr oder weniger heftige Epidemien, welche der Gesundheit und
dem Vermögen der Bevölkerung schwere Schädigungen zufügen. Bei der ge¬
naueren Erforschung dieser Epidemien hat sich nachweisen lassen, dass sie
ihren Anfang fast stets von leichten Typhusfällen genommen haben, welche
den Behörden unbekannt geblieben waren, da sie wegen ihrer Leichtigkeit
nicht als Typhus erkannt bezw. überhaupt nioht angezeigt worden sind. Es
giebt eine beträchtliche Anzahl von Typhusfällen, die so leicht verlaufen, dass
die Kranken sich zwar matt und unpässlich fühlen, wohl etwas über Kopf¬
schmerz, FrOBteln, Mangel an Appetit und etwas Durchfall klagen, im Uebrigen
aber fast während der ganzen Dauer der Krankheit ausser Bett bleiben und
vielfach auch nicht behindert Bind, ihrer gewohnten Beschäftigung nachzugehen.
Diese sogenannten „ambulanten“ Typhen begünstigen die Verbreitung der Seuche
in viel höherem Grade, als die schweren Erkrankungen. Die Leiohtkranken,
sogenannte „Bazillenträger“, welche frei umhergehen, aber auch wie Schwer¬
kranke, wenn auch nicht in gleichem Masse, an Durchfällen leiden, können die
in den Durchfällen und dem Harn enthaltenen Typhusbasillen und damit die
Gefahr der Ansteckung viel leichter verbreiten, als Kranke, welche an das
Bett gefesselt, nur mit wenigen Menschen in Berührung kommen. Einschlepp¬
ungen von Typhus aus dem Auslände und von Ort zu Ort kommen meistens
gerade durch solche ambulanten Typhuskranken zu Stande, ganz in derselben
Weise, wie es bei der Cholera der Fall zu sein pflegt.
Aber nicht nur solche leichten Fälle entziehen sich der Kenntniss der
Behörden, sondern nicht selten werden auch ausgesprochene Typhusfälle gar
nicht oder erst nach mehrwöchiger Dauer zur Anzeige gebracht. Das hat vor¬
wiegend seinen Grund darin, dass die für die Typhuserkranknng charakteristischen
die -Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Vom 80. Jan! 1900. 166
Erscheinungen nicht gleich im Anfänge deutlich hervortreten, dass sie allmäh¬
lich und snksessiv sich entwickeln und einige von ihnen in manehen Pillen
überhaupt nicht rar Beobachtung gelangen. Vorsichtige Aerste pflegen eine
Erkrankung erst dann als Typhus su erklären, wenn sie alle Symptome der
Krankheit beobachtet haben, bis dahin aber, zur Vermeidung etwaiger Beun¬
ruhigung des Kranken durch eine vorschnelle Typhusdiagnose, von „gastri¬
schem Typhus“ zu sprechen oder der Krankheit gar keinen Namen zu
gehen. Dies wäre unbedenklich, wenn sie die Krankheit trotzdem als Typhus
behandelten und von vornherein durch Absonderung des Kranken und Desin¬
fektion seiner Wische und Ausleerungen einer Weiterverbreitung der Krank¬
heit eatgegentreten würden. Dies wird jedoch meistens unterlassen.
Die vorstehenden Brwigungeu enthalten eine ausreichende Rechtfertigung
für die Einfflhrung der Anseigepflicht auch für solche Erkrankungen, welche
nur den Verdacht des Typhus erwecken. Die Anzeige versetzt die Behörden
in die Lage, mit Httlfe der beamteten Aerzte sofort die erforderlichen Mass-
regeln anzuordnen und dadurch manche Epidemie zu verhüten, welche bei der
gegenwärtigen Lage der Verhältnisse unvermeidlich ist.
Eine noch grössere Bedeutung hat die Anzeigepflicht für verdächtige
Fälle von Rots, weil diese Krankheit besonders bösartig und ansteckend und
ihre sichere Erkennung mit den grössten Schwierigkeiten verbunden ist, so
dass bei dem langwierigen Verlauf der Erkrankung schon vor ihrer sicheren
Feststellung zahlreiche Uebertragungen stattfinden können.
Das Rückfallfieber ist mit Hülfe des Mikroskops leicht zu dia-
gnostisiren, ohne diese aber erst erkennbar, wenn der erste Anfall der Krank¬
heit vorüber und ein zweiter erfolgt ist, was einen Zeitraum von 8—14 Tagen
erfordern kann. Wird nicht auch der Verdacht der Krankheit anzeigepflichtig
gemacht, so entzieht sich der Fall der Kenntniss der Behörden, oder
diese erfahren erst zu einem Zeitpunkte davon, nachdem schon vielleicht zahl¬
reiche Uebertragungen der Krankheit stattgefundeu haben. Bei der Meldung
auch {des Krankheitsverdachts dagegen ist der beamtete Arzt in der Lage,
durch unverzügliche Vornahme einer mikroskopischen Untersuchung des Blutes
die Krankheit rechtzeitig als solche festzustellen und die erforderlichen Schutz-
maasregeln in die Wege zu leiten.
Der Umstand, dass auch das Kindbettfieber in der ersten Zeit der
Erkrankung als solches häufig schwer erkennbar ist, lässt es geboten erscheinen,
auch Erkrankungen, welche den Verdacht dieser Krankheit erwecken, anzeige¬
pflichtig zu machen, um rechtzeitig die Handhabe zu einer sicheren und wirk¬
samen Bekämpfung dieser für die gebärenden Frauen verhängnisvollen Krank¬
heit zu gewinnen.
Die der Begründung als Anlage 3 beigegebene „Uebersicht über die
Regelung der Anzeigepflieht der übertragbaren Krankheiten in den einzelnen
deutschen Bundesstaaten“ ergiebt, dass die in dem §. 1 des Gesetzentwurfes
aufgeführten Krankheiten schon jetzt in der Mehrzahl der deutschen Bundes¬
staaten anzeigepflichtig sind.
Bei der Lungen- und Kehlkopfstuberkulose hat der Entwurf
die Anzeigepflicht auf alle Todesfälle und bei Erkrankungen auf diejenigen
Fälle beschränkt, in welchen ein an vorgeschrittener Tuberkulose Erkrankter
die Wohnung wechselt. Während die Gesetzgebungen anderer Staaten zum
Tbeil weitergehende Bestimmungen enthalten und auch solche Erkrankungen
in die Anzeigepflicht einbeziehen, bei welchen mit Rücksicht auf die Verhält-
aisM der Kranken, insbesondere die Wohnungsverhältnisse eine Gefährdung
seiner Umgebung zu befürchten ist, bewegt sich der mehr zurückhaltende
Standpunkt des Entwurfs im Wesentlichen in der Richtung von Massnahmen,
walehe in der österreichischen Gesetzgebung zum Schutze gegen die Tuber-
knlose getroffen sind.
Wenn die Bestimmungen des Entwurfs die Sanitätspolizei nur in einem
bescheidenen Masse an dem Kampfe gegen die Tuberkulose betheiligen, so
wird dabei nieht unberücksichtigt bleiben können, dass die eigenartigen Ver¬
hältnisse bei der Tuberkulose, ihr chronischer Verlauf und namentlich ihre
passe Verbreitung in Bezug auf die Einfflhrung von behördlichen Bekämpfungs-
■usnahmen zu besonderer Zurückhaltung und zum massvollen Vorgehen
•ebnen, weshalb es sich empfiehlt, vorläufig nur die dringendsten Fälle »u
156 Antwort eines AusfÜhrtthgsgesetzes zu dem Beicbsgesetz, betf.
treffen and die Ausdehnung der Anzeigepflieht auf andere Erkrankungsfälle von
den Erfahrungen der Zukunft, insbesondere aneh von der weiteren Entwicklung
der Taberkulosebewegung abhängig zu machen (vergl. aneh f. 5, Abs. 2
d. Entw.)
Die Thatsaehe, dass gesunde Menschen, die von Tuberkulösen benntsten
Wohnungen bezogen haben, hänfig ebenfalls an Tuberkulose erkranken, macht
die Einführung der Anzeigepflieht für die im Entwarf bezeichneten zwei Fälle
an einem unerlässlichen Gebot dringender Nothwendigkeit. Bei zahlreichen
einwandsfreien Untersuchungen sind in dem Staube und an den Wänden von
Wohnungen, in welchen Lungentuberkulose mit reichlichem Auswnrf sich
längere Zeit hindurch anfgehalten hatten, Tuberkelbasillen in lebendem and
ansteckangsfähigem Zustande gefunden worden. Es wäre für Gesunde in hohem
Grade gefährlich, eine solche Wohnung zu beziehen, ohne sie vorher gründlich
desinfiziren zu lassen. Mit Becht ist daher in denjenigen Staaten, welche die
Anzeigepflicht für Tuberkulose eingeführt haben, dieselbe aneh für den Fall
des Wohnungswechsels vorgesohriebon worden.
Eine Einschränkung der Anzeigepflicht schlägt der Gesetzentwurf auch
bei Syphilis, Tripper und Schanker vor. Bei den Geschlechtskrank¬
heiten findet die Uebertragung nicht, wie bei der Tuberkulose, durch die frei
in die Aussenwelt beförderten Krankheitserreger, sondern ausschliesslich durch
unmittelbare Berührung mit dem Erkrankten oder mit gewissen Gebrancbs-
gegenständen desselben, am häufigsten durch den ausserehelicben Geschlechts¬
verkehr, statt. Es kann daher bei diesen Krankheiten die Anzeigepflicht un¬
bedenklich auf solche Personen beschränkt werden, welche den ausserehelicben
Geschlechtsverkehr zum Gewerbe machen.
Abgesehen von der Aufzählang der anzeigepflichtigen Krankheiten
stimmt der §. 1 des Entwurfs in seinem übrigen Inhalte mit dem §. 1 des
Beichsgesetzes überein. Abweichend ist nur die erweiterte Bestimmung des
Entwurfes, dass nicht nur der Weohsel des Aufenthaltsorts, sondern auch der
Wohnungswechsel zur Anzeige zu bringen ist.
Es erschien zweckmässig, die nach dem Beicbsgesetz anzeigepflichtigen
„gemeingefährlichen“ Krankheiten im Eingänge des §. 1 mit zu erwähnen, nm
an dieser Stelle eine für die praktische Handhabung wünschenswerte Zu¬
sammenstellung aller Krankheiten zu geben, für welche in Preussen überhaupt
die gesetzliche Anzeigepflicht besteht.
g. 2. Das Beicbsgesetz legt die Verpflichtung zur Anzeige in erster
Linie dem Arzte auf, weil er wegen seiner wissenschaftlichen Kenntnisse
und seiner Erfahrung am besten im Stande ist, zu erkennen, ob es sich im
Einzelfalle um eine anzeigepflichtige Krankheit handelt; dann folgen in der
Verpflichtung zur Anzeige der für das Wohl seiner Angehörigen in erster
Linie verantwortliche Haushaltungsvorstand, dann jede sonst mit der
Behandlung oder Pflege des Erkrankten beschäftigte Person, weiter
für den Fall, dass der Erkrankte allein steht, der Wohnungs- bezw.
Hausbesitzer nnd endlich der Leichenschauer. Mit Bücksicht auf
die Vortheile eines gleichmässigen und einheitlichen Verfahrens empfiehlt es
sich, die in dem Beichsgesetze festgelegte Beihenfolge der zur Anzeige ver¬
pflichteten Personen auch für die Krankheiten des vorliegenden Gesetzentwurfs
als massgebend anzunehmen.
Die besonderen Verpflichtungen, welche in Absatz 3 den Aerzten nnd
den sonst mit der Behandlung beschäftigten Personen auferlegt werden, ent¬
sprechen dem bestehenden Bechte. Syphilitisch kranke Soldaten müssen von
den sie etwa behandelnden Zivilärzten nach §. 65, Abs. 3 des Begulativs dem
Kommandeur des betreffenden Trnppentheils oder dem dabei angestellten
Oberarzt angezeigt werden. Die Aufrechterhaltung dieser Verpflichtung er¬
scheint wünschenswerth.
§.3. Für öffentliche Kranken-, Gefangenen-und ähnliche
Anstalten legt das Beicbsgesetz die Anzeigeflicht nicht dem Arzt, sondern
ausschliesslich dem Vorsteher oder der von der zuständigen Stelle damit
beauftragten Person auf. Dieser Vorschrift schliesst sich der vorliegende
Gesetzentwurf auch für die übertragbaren Krankeiten an.
Ebenso wird die Anzeigepflicht auf Schiffen und Flössen, entsprechend
den Bestimmungen des Beichsgesetzes, dem Schiffer oder Flocsführer oder deren
Stellvertreter übertragen. 1
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten rom 80. Juni 1900. 157
Durch die Bestimmung in Abs. 2 wird die in dem §. 8, Abs. 2 des Beichs-
gesetses beseiehnete Ermächtigung in Bezog auf die flbertragbaren Krank*
ketten dem Minister der Medizinalangelegenheiten ertheilt, welcher seine Ent-
eekliessnngen im Einvernehmen mit dem mitbetheiligten Minister f&r Handel
ud Gewerbe an treffen bat.
Der §. 4 des Entwurfs stimmt mit dem §. 4 des Beiohsgesetzes überein.
Es empfiehlt sieh, die schon jetzt in mehreren Begierungsbezirken üb¬
liche anentgeltliebe Verabfolgung gedruckter Meldekarten nach einheitlichem
Muter dnreh die Ortspoliseibehörden allgemein einznf&hren, am eine gleich¬
nissige and erschöpfende Beantwortung der in Betracht kommenden Fragen
n sichern and sogleich dem Meldepflichtigen die Ausführung der Anzeige
Möglichst zu erleichtern.
Nähere Bestimmungen über Inhalt und Form der Meldung, a. B. ob
offene Karten oder Kartenbriefe an verwenden sind, wird den Ausfuhrengs-
bestimmangen vorzubehalten sein.
Nach den in dem allgemeinen Theile der Begründung gemachten Aus-
Ehrnngen ist die in dem §. 1 des Entwurfs enthaltene Aufzählung der über-
tngbaren Krankheiten nicht erschöpfend. Es fehlen s. B. Influenza,
Keuchhusten, Malaria, Masern und Bötheln.
Es können aber Verhältnisse eintreten, welche die sofortige Einführung
4er Anzeigepflicht für einzelne Theile oder für den ganzen Umfang der Mon¬
archie auch bei anderen, als den in dem §. 1 des Entwurfes genannten über¬
tragbaren Krankheiten erforderlich machen, wenn sie nämlich in ungewöhn¬
licher Verbreitung oder mit ausserordentlicher Bösartigkeit |auftreten. Um
flr solche Fälle mit der durch die Verhältnisse gebotenen Beschleunigung|die
erforderlichen Massregeln treffen können, erscheint es gerchtfertigt, dem Staats-
ainüterium die Ermächtigung zu ertheilen, unverzüglich die Ausdehnung der
Anseigepflicht auf solche Krankheiten anzuordnen. Es erscheint dies um so
«bedenklicher, als für das Beich durch den §. 5 des Beichsgesetzes dem
Bundesrath die gleiche Befugniss beigelegt worden ist. Die Annahme, dass
diese reichsgesetzliche Ermächtigung des Bandesraths in Bezog auf die in
dem vorliegenden Gesetzentwürfe geregelten Krankheiten eine entsprechende
Isudesgesetzliohe Vorschrift als entbehrlich erscheinen lasse, erscheint nicht
ntreffend, da die Ausführungen in der Begründung zu dem §. 5 des Beichs-
gesetses ergeben, dass eine Ausdehnung der Anzeigepflicht von Beicbs wegen
hauptsächlich nur dann in Frage kommen wird, wenn es sich um ein ausser-
rewöhnlich bösartiges und weit um sich greifendes Auftreten einer in dem
Beiehsgesetse nicht genannten übertragbaren Krankheit in mehrere n a'n -
einander grenzenden Bundesstaaten handelt, während bei einer auf
•inen Bundesstaat beschränkten Krankheit das Beich keine Veranlassung zum
Kinschreiten nehmen, sondern das Erforderliche der betreffenden Landesregierung
therlassen will.
Die Bestimmung in Abs. 2 bezweckt, auch bei der Lungen- und Kehl-
kopfstuberkulose eine Ausdehnung der Anzeigepflieht über den in dem §. 1 be-
SNchneten Umfang zu sichern, falls besondere Verhältnisse eine sanitätspolizei-
Kehe Ueberwachung weiterer Erkrankungsfälle, als in dem §. 1 vorgesehen ist,
tls aothwendig erscheinen lassen.
Zweiter Abschnitt.
Ermittelung der Krankheit.
§. 6. Bei der Frage, ob und inwieweit die in den §§. 6 bis 10 des Beichs-
lesstses enthaltenen Bestimmungen über die Ermittelung der Krankheit auch
nf andere übertragbare Krankheiten auszudehnen sind, ist es geboten, alle
4iejeaigen Krankheiten zu treffen, bei deren Charakter zum Zweck einer er¬
folgreichen Verhinderung ihrer Ausbreitung gerade die Feststellung der ersten
Fülle durch den beamteten Arzt unerlässlich ist.
Es sind daher diejenigen Krankheiten ausgeschieden, welche eine mildere
Behandlung zulaasen oder bei denen wegen ihrer verhältnissmässig leichten
Mannbarkeit die Mitwirkung des beamteten Arztes im Allgemeinen als ent-
ahrlkh angesehen werden kann. Hierhin gehOrn: Diphtherie, Kürner-
krankheit, Lungen- and Kehlkopfstuberkulose, Scharlaoh,
Syphilis, Tripper und 8ehanker.
158 Entwurf eines Ausfflhrungsgesetzes zn dem Beichsgeaetz, betr.
Dagegen ist ea für erforderlieh erachtet, bei Erkrankungen and Todes*
iftllen an libertragbarer Genickstarre, Übertragbarer Bnhr,
Milsbrand, Tollwnth, Fleisch-, Fisch- nnd Wurstvergiftung
und Trichinose, sowie an Eindbettfieber, Bttokfallfieber, Typhus
nnd Botz, behnfs schleuniger nnd sicherer Feststellung der Entstehungsur-
saehen die Ermittelungen an Ort und Stelle durch den beamteten Arzt vor¬
nehmen zn lassen.
Nach §. 6, Abs. 1 nnd 2 des Beichsgesetses findet die Vornahme von Er¬
mittelungen durah den beamteten Arzt im Allgemeinen nnr dann statt, wenn
der erste Ausbrach einer Seuche in einer Ortschaft oder bei Ortschaften mit
mehr als 10000 Einwohnern in einem räumlich abgegrensten Theile der Ort¬
schaft in Frage steht. Nach §. 6, Abs. 3 daselbst ist die hfihere Verwaltungs¬
behörde jedoch berechtigt, Ermittelungen auch ttber die weiteren Erankheits-
nnd Todesfälle eintreten an lassen. Namentlich kann in Gegenden, in welchen
bestimmte fibertragbare Erankheiten, wie z. B. Typhus, Bohr, einheimisch
(endemisch) geworden sind, ohne die sorgfältige amtsärztliche Ermittelung
anoh weiterer Fälle die Ausrottung der Erankheit nicht erhofft werden. Auch
bei Erankheiten, die vereinzelt aufzutreten pflegen, wie Genickstarre, Eind¬
bettfieber, Bflokfallfieber, Milzbrand, Botz und Tollwuth, erscheint es geboten,
jeden einzelnen Fall amtsärztlich untersuchen zu lassen.
Bei den gemeingefährlichen Erankheiten schreibt das Beiehsgesetz auch
in denjenigen Fällen das Ermittelungsverfahren vor, in welchen es sich nm
den Verdacht der Erkrankung handelt.
Der vorliegende Gesetzentwurf hält die Ausdehnung des Ermittelungs-
Verfahrens auf Verdachtsfälle nur bei Eindbettfieber, Bfickfallfieber,
Typhus und Botz für erforderlich und ausreichend.
Das Eindbettfieber entsteht, wie in dem allgemeinen Theile der
Begründung ausgeftthrt ist, durch die Berührung der Geschlechtstheile der
Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen mit unreinen Fingern oder In¬
strumenten seitens derjenigen Personen, welche bei der Entbindung oder
Wochenbettpflege thätig sind; die Eirankheit ist ausserordentlich leicht über¬
tragbar, leider aber nicht ebenso leicht als solche zu erkennen. Hebammen
oder Wochenbettpflegerinnen, welche eine kindbettkranke WOchnerin in Pflege
haben, bei welcher die Erankheit noch nicht als solche mit Sicherheit erkannt
ist, würden ungehindert andere Schwangere untersuchen oder entbinden, andere
Wöchnerinnen pflegen und die Erankheit auf diese Weise fibertragen können, wenn
das Gesetz davon abseheu wollte, auch die verdächtigen Fälle von Eindbett¬
fieber dem amtsärztlichen Ermittelungsverfahren zu unterwerfen. Die Be¬
theiligung des beamteten Arztes erscheint aber auch aus dem Grunde uner¬
lässlich, weil ihm die Beaufsichtigung der Hebammen seines Bezirks obliegt,
und er in erster Linie darfiber vergewissert werden muss, ob Grfinde vorliegen,
eine Hebamme im gesundheitlichen Interesse vorübergehend ihrer Berufstätig¬
keit zu entziehen.
Ebenso notwendig ist die amtsärztliche Ermittelung hei dem Verdachte
der Typhuserkrankung. Die Häufigkeit der ambulanten Typhen, die
Gepflogenheit zahlreicher Aerzte, den Typhus als solchen erst zu bezeichnen
und anzumelden, wenn seine Erkennung unzweifelhaft ist, d. h. wenn der
Eranke schon 2 bis 3 Wochen darniederliegt, hat zur Folge, dass jetzt der
beamtete Arzt und die Sanitätspolizei mit ihren Anordnungen meist zu spät
kommen und die epidemische Ausbreitung des Typhus nicht mehr verhindert
werden kann. Nnr wenn der Typhus schon in dem Erankheitsstadium, in
welchem er als solcher klinisch noch nicht mit Sicherheit zu erkennen ist, dem
amtsärztlichen Ermittelungsverfahren unterworfen wird, ist der beamtete Arzt
in der Lage, durch sofortige Feststellung der Entstehungsursache und der
Verbreitungswege der Erankheit ihrer Weiterverbreitung wirksam zu begegnen.
Dazu kommt, dass wenn auch der behandelnde Arzt den Typhus als
solchen klinisch noch nicht mit Sicherheit erkennen kann, andere in bakterio¬
logischen Arbeiten gefibtere medizinische Sachverständige dazu bereits wohl
im Stande sind: durch den Nachweis der Typhusbazillen in den Ausleerungen
des Franken vermittelst Zflohtnng auf gefärbten Nährboden und durch die
Feststellung eines eigenthfimliehen Verhaltens des Blutes des Eranken znr
Kultur von Typhusbakterien, welche in Aufschwemmungen durch den Zusatz
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten rom 80. Juni 1000. 159
des Mangen Theiles dea Blotes eines Typhuskranken zusammengeballt (agglu-
tiairt) werden. Derartig wenig seitnabende Untersaehnngen ermöglichen die
Sicherstellung der Diagnose in 24 Standen nnd können in jedem hygienischen
•der bakteriologischen Institute nach Einsendung der Untersnchnngsobjekte
(Stuhlgang, Urin, Blot) ausgeführt werden.
Auch bei Erkrankungen, welche den Verdacht des Rückfallfiebers
erwecken, ist die amtsärztliche Ermittelung geboten, weil die sichere Er¬
kennung desselben dem in bakteriologischen Arbeiten nicht geübten Arzt erst
mOglich ist, wenn der erste Rückfall eingetreten ist, also za einer Zeit, wo
schon sahireiche Ansteckungen erfolgt sein können.
Die meist chronisch verlaufenden Botserkranknngen des Menschen
sind ebenfalls als solche schwierig sn erkennen. Mit Rücksicht hierauf er¬
scheint es geboten, auch schon den Verdacht einer Rotzerkrankung zum Gegen¬
stände der amtsärztlichen Ermittelung so machen.
Wegen der aasserordentüch leichten Uebertragbarkeit von Rotz ist es
sum Zweck der sicheren Feststellung der Krankheit in Zweifelsfüllen weiterhin
uaerlis8licb, beim Verdacht dieser Krankheit in gleicher Weise, wie das Reiehs-
gesets dies bei Cholera-, Gelbfieber- und Pestverdacht gestattet, der Polizei¬
behörde die Befugniss zur Anordnung der Leichenöffnung beizulegen.
Die gleiche Befugniss legt der Gesetzentwurf bei Typhusverdacht der
Polizeibehörde bei, weil eine Anzahl von anscheinend ganz leichten Typhus-
Allen meist in Folge von heftiger Darmentleerung erfahrnngsgemäss tOdtlich
verläuft, ehe sie als solche erkannt worden sind, nnd ihre Diagnose sowie die
Anordnung von Schutzmassregeln ohne die Ausführung der Leichenöffnung
unmöglich ist.
Der §. 10 des Regulativs legt der Polizeibehörde die Verpflichtung anf,
nach erhaltener Anzeige die ersten Fälle der anzeigepflichtigen Krankheiten
unterschiedslos ärztlich untersuchen zu lassen. Nach §. 6 des Reichsgesetzes
hat bei den gemeingefährlichen und nach §. 6, Abs. 1 dieses Gesetzes bei den
dort anfgeführten übertragbaren Krankheiten die ärztliche Untersuchung der
«raten Fälle durch den beamteten Arzt stattzufinden. Für die übrigen über¬
tragbaren Krankheiten soll nach der Bestimmung in dem §. 6, Abs. 3 wie
bisher die Untersuchung durch einen Arzt genügen nnd diese auch nur dann
erforderlich sein, wenn die Anzeige nicht von einem Arzt erstattet worden ist.
Diese wenig belästigende Massregel liegt in dem eigensten Interesse der Orts
poliseibehOraen, weil dadurch die Anordnung von Schutzmassregeln in Fällen
verhütet wird, welche sich bei der ärztlichen Untersuchung nicht als Fälle der
angezeigten Krankheit erweisen sollten.
§. 7. Wenn der §. 5, Abs. 1 des Gesetzentwurfs dem Staateministerium
die Befugniss beilegt, die Anzeigepflicht auch auf andere, als die in dem §. 1
aufgeführten übertragbaren Krankheiten auszudehnen, „wenn und so lange die¬
selben in epidemischer Verbreitung anftreten“, so erscheint es angemessen,
dass dem Staatsministerium auch die weitere Ermächtigung ertheilt wird, für
die von ihm als anzeigepflichtig erklärten Krankheiten vorübergehend auch
das Ermittelungsverfahren vorzuschreiben.
Es ist durch den Vorbehalt aber weiterhin die Handhabe gegeben, auch
für eine der in dem §. 1, aber nicht in dem §. 6 anfgeführten Krankheiten im
Bedarfsfälle die Möglichkeit einer schleunigen Feststellung und, intensiveren
Bekämpfung zu sichern.
Dritter Abschnitt.
Sohutamassregeln.
§. 8. Der Umfang, in welchem auf Grund der in den §ft. 12 bis 19
and 21 des Beiehsgesetzes gegebenen Vollmachten im einzelnen Falle vorzu¬
gehen ist, wird nach den Örtlichen Verhältnissen, vor allem aber nach der
Natur der Krankheit und nach der mehr oder minder bösartigen Form ihres
Auftretens ein verschiedener sein. Cholera und Pest bedürfen anderer Be-
kämpfungsmittel, als Flecktyphus und Pocken, Gelbfieber und Aussatz, und
diese besonders gefürchteten, gemeingefährlichen Krankheiten wieder anderer,
als die sonstigen übertragbaren Krankheiten, mit welchen es der vorliegende
Gesetzentwurf zu thun bat. Aufgabe einer umsichtigen Seuchenbekämpfung
wird es sein müssen, unter den Massregeln, welche nach den Erfahrungen der
Wissenschaft geeignet sind, die Krankheit zn unterdrücken, diejenige aussr
wählen und mit dem erforderlichen Nachdruck durchzuführen, welche sich
160 Entwurf eine« Ausführungsgesetaes za dem Reiohsgesetz, betr.
und eehnell mm Ziele führen, ohne in der Auferlegung von Opfern nnd Be¬
lästigungen für du Publikum du dnreh sachliche Rücksichten unbedingt ge¬
botene Maas zu überschreiten.
Die Massregeln, welche der vorliegende Gesetzentwurf gegenüber den
übertragbaren Krankheiten vorschlägt, sind zwar im Allgemeinen dieselben,
welche das Beichsgesetz rar Bekämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten
für zulässig erklärt. Um jedoch voreiligen, unnOthigen oder zu weitgehenden
Massregeln vorrabeugen, ist in dem §. 8 des Entwurfs eine Spezialisirung
dahin gegeben, dass die Massnahmen, welche bei jeder einzelnen der hier in
Betracht kommenden übertragbaren Krankheiten angeordnet werden können,
genau und bestimmt bezeichnet sind. Es ist hierbei ausdrücklich darauf hin-
raweiseo, dass diese Zusammenstellung nicht festzustellen beabsichtigt, was in
C ' m Falle angewendet werden muss, sondern dass sie das HOchstmass dessen
ichnet, wu im äussersten Falle angewendet werden darf, und hinter dem
in vielen Fällen nach Lage der Verhältnisse wird zurückgeblieben werden
können. Die näheren Einzelheiten in dieser Beziehung müssen den Aus-
fflhrungsbestimmungen du Gesetzes Vorbehalten bleiben.
Als Schutzmauregeln, deren Anordnung der Entwurf für zulässig erklärt,
kommen in Betracht:
1. die Beobachtung kranker, krankhelte- oder ansteokungs-
verd&ohtiger Personen (§. 12 du Beichsgesetzu). Als krankheits¬
verdächtig sind solche Personen zu betrachten, welche unter Erscheinungen
erkrankt sind, die den Ausbruch einer übertragbaren Krankheit befürchten
lassen, als ansteckungsverdächtig solche, bei welchen dergleichen Er¬
scheinungen zwar nicht vorliegen, wegen des Verkehrs, in welchem sie mit
Kranken gestanden haben, jedoch die Besorgnis« gerechtfertigt ist, dass sie
den Krankheitskeim in sieh anfgenommen haben.
a) Die Anordnung der Beobachtung kranker, krankheits- oder
ansteckungsverdächtiger Personen ist nach dem Entwürfe nur zu¬
lässig bei Syphilis, Tripper und Schanker. Den Behörden mum das
Buht verliehen werden, Personen, welche nachweislich aus dem ausser-
eheliohen Geschlechtsverkehr ein Gewerbe machen, in butimmten Zwischen¬
räumen auf ihren Gesundheitszustand amtsärztlich untersuchen zu lassen; ohne
diese Befugnis würde die Ueberwachung der Prostitution nicht durchführbar
und die rechtzeitige Behandlung erkrankter Prutitntirter nicht möglich uin.
Im Uebrigen entspricht die Bestimmnng auch dem geltenden Buhte.
b) Die Anordnung der Beobachtung kranker und krankheits-
verdäohtiger Personen ist zulässig: bei KOrnerkrankheit, Rück¬
fall fieber, Typhus und Rots (vergl. §. 8, Abs. 1, Nr. 4, 6, 10, 12 und
Abs. 2).
Schon das Regulativ schreibt bei kontagiOser Augenentsündung
eine Beobachtung der wegen dieser Krankheit zur Reserve entlassenen Militär¬
personen und der an derselben leidenden Zivilpersonen vor. Die Ausführungen
in dem allgemeinen Theile der Begründung ergeben, dass die mit staatlichen
Beihülfen in Angriff genommene planmässige Bekämpfung der KOrnerkrankheit
sieh in erfolgreicher Weise nicht durchführen lässt, wenn nicht den Behörden
die Befngniss beigelegt wird, nicht nur die kranken, sondern auch die krank-
heitsverdäohtigen Personen von Zeit zu Zeit ärztlich untersuchen zu lassen.
Dies wird unter möglichster Vermeidung zu weit gehender persönlicher Be¬
lästigungen in der Weise zu geschehen haben, dass in durchseuchten Bezirken
die augenkranken und krankheitsverdächtigen Personen, namentlich die Schul¬
kinder, polizeilich aufgefordert werden, zu vorher bekannt zu gebenden Öffent¬
lichen Terminen sich zur Untersuchung zu stellen und dass die hierbei für
krank befundenen Personen veranlasst werden, sich einer ärztlichen Behand¬
lung zu unterwerfen. Derartige Öffentliche Termine werden insbesondere in
Besirkon anzuordnen Bein, in welchen die KOrnerkrankheit wegen ihrer grossen
Verbreitung mit Öffentlichen Mitteln bekämpft wird. Hier sind sie nicht zu
entbehren und auch in der Bevölkerung bisher nicht als Belästigung empfanden
worden. Auch bei Arbeitern, welche aus verseuchten Bezirken nach bisher
unverseuohten ziehen, und bei dem engen Verkehr, welcher sich zwischen ihnen
und der Bevölkerung so entwickeln pflegt, rar Verbreitung der KOrnerkrank¬
heit in hohem Masse beitragen, wird sich die Anwendung der Massregeln als
zweckmässig empfehlen.
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Tom 90. Joni 1M0. 161
Dass Personen, welche einen Krstliehen Gesnndheitsschein einsenden oder
glaubhaft nachweisen, dass sie sieh in ärztlicher Behandlang befinden, von der
Verpflichtung, vor dem mit der Untersnchnng beauftragten Arzt zu erscheinen,
befreit werden, braucht kaum hervorgehoben zu werden.
Bei Büokfallfieber wird die Anordnung der Beobachtung nur bei
solchen Personen erforderlich sein, welche von auswärts zureisen und sich
innerhalb einer bestimmten Frist vor ihrer Ankunft in Ortschaften oder Bezirken
anfgehalten haben, in welchen Rückfallfieber auagebrocben ist; die Beobach*
taug wird hier ein wirksames Mittel sein, um die Einschleppung der in hohem
Grade ansteckenden Krankheit mit Sicherheit zu verhüten.
Bei Typhus und Rotz ist die Nothwendigkeit der Beobachtung der
Krankheitwerdäcbtigen bereits oben näher begründet worden.
2. Die Meldepflicht für zareisende Personen (§. 13 des Reichs¬
gesetzes) lässt der Entwurf zu bei Körnerkrankheit, Rückfallfieber
■ad Typhus, um die häufig beobachtete Verschleppung dieser Krankheiten
durch Wanderarbeiter, Hausirer, Vagabunden u. dergl. hintanzuhalten. Die
Gefahr der Verbreitung der Körnerkrankheit durch die sogenannten
8aehsengänger ist um so grösser, als den von auswärts angenommenen Saison¬
arbeitern vielfach enge und hygienisch nicht einwandfreie Unterkunftsräume
angewiesen werden.
3. Die Absonderung kranker und krankheitsrerdächtiger
Personen (§. 14, Abs. 2 u. 3 des Reiohsgesetzes) kann angeordnet werden
bei Rttekfallfieber, Typhus und Rotz; die Absonderung nur der
kranken Personen bei Diphtherie, Genickstarre, Ruhr, Schar¬
lach, Syphilis, Tripper, Schanker und Tollwuth.
Bei diesen Krankheiten kann die Absonderung der Kranken nicht ent¬
behrt werden. Sie ist, da der Kranke der Träger und die Hauptquelle der
Krankheitskeime ist, eines der wirksamsten Mittel zur Einschränkung und Be¬
kämpfung der Krankheit. Sache des beamteten Arztes in Verbindung mit dem
behandelnden Arzte wird es sein, die Absonderung womöglich in der Behausung
des Kranken durohsuführen; in Fällen aber, wo dies nach den Verhältnissen
zieht möglich ist, durch entsprechende Vorstellungen nach Möglichkeit dafür
zu sorgen, dass der Kranke sich freiwillig in ein geeignetes Krankenhaus über-
fähren lässt. Dies gilt namentlich von solchen Kranken, welche sich in engen,
dicht bevölkerten Wohnungen, in öffentlichen Gebäuden, Schnlen, Kasernen,
Gefängnissen n. s. w. oder in Räumen neben Milch- und Speisewirthschaften
oder auf Gehöften, welche Milohliefernngen besorgen, befinden, sowie von Per¬
sonen, welche kein besonderes Pflegepersonal zur Verfügung haben, sondern
von ihren zugleich anderweitig in Anspruch genommenen Angehörigen gepflegt
werden.
Wenn bei Rückfallfieber, Typhus und Rots neben den Kranken
such die Absonderung krankheitsverdächtiger Personen vorgesehen ist (§. 8,
Abs. 2 d. Entw.), ist dies in der leichteren Uebertragbarkeit begründet, welobe
diesen Krankheiten schon zu einer Zeit eigen ist, wo ihrer sicheren Feststellung
loch Schwierigkeiten entgegenstehen.
Bei Milzbrand, welcher für die Absonderung vielleicht noch in Frage
kommen könnte, erübrigt sich diese Massregel nach dem heutigen Stande der
Wissenschaft, da die häufigste Form der Krankheit beim Menschen, der Miln-
brandkarbunkel, auf andere Menschen nicht übertragbar ist, der übertragbare
Lungen- und Darmmilzbrand aber nur selten vorkommt.
Es verdient hervorgehoben zu werden, dass die Absonderung der Kranken
bssw. ihre Ueberführung in ein Krankenhaus in dem Regulativ vom 8. August
1885 eine viel weitere Anwendung findet, als in dem vorliegenden Entwürfe,
indem das Regulativ der Polizeibehörde die Befugniss beilegt, bei allen Arten
8er im Regulativ aufgefübrten ansteckenden Krankheiten unmittelbaren Zwang
behufs Ueberführung Kranker in eine Heilanstalt anzuwenden.
4. Die Kenntlichmachung der Wohnungen oder H&user, in
welchen erkrankte Personen sich befinden (§. 14, Abs. 4 des Reiehsgesetzes),
war im Regulativ ausser bei Cholera und Pocken, für welche sie auch das
Keichsgesetz anordnet, bei Typhus, bösartiger ansteckender Ruhr, besonders
^fertigen Fällen von Maseru, 8charlach und Rötheln, sowie bei Milsbrand und
Boti vorgeschrieben. Der §. 8 des Entwurfs ist erheblich milder, indem er
162 Äntwurf eine» Aasführangsgesetzes za dem Beichsgesetz, betf.
diese Massregel auf Bückf allfieber oadTypbnsbeschränkt. Ungeachtet
der Schwierigkeiten, mit welchen die erfolgreiche Durchführung der Msssregel
unter Umständen, s. B. in Qrossstädten, verbanden sein mag, wird doch in
Ortschaften mit dicht sosammenwohnender Bevölkerung, z. B. in Industrie¬
gebieten, von ihrer Anwendnng nicht gänzlich abgesehen werden können. Ihre
senchenpoliseiliche Bedeutung liegt darin, dass sie durch die Ablenkung des
Verkehrs von den gekennzeichneten Bäumen die Absonderung der Kranken er¬
heblich erleichtert und dadurch zur Verhütung von Krankbeitsübertragungen
in wirksamer Weise beiträgt. Der in ärmeren Kreisen der Bevölkerung übliche
Austausch von Wirthschafts- und Oebrauchsgegenständen aller Art, welcher
die Verbreitung von Krankheiten in hohem Hasse begünstigt, wird durch diese
Massnahme jedenfalls eingeschränkt.
6. Yerkehrsbesohränkungen für das berufsmässige Pflege¬
personal (§. 16, Abs. 5 des Beichsgesetzes) können nach dem Entwürfe ange¬
ordnet werden: bei Diphtherie, Kindbettfieber, Bückfallfieber,
Scharlach und Typhus, weil gerade bei diesen Krankheiten die Pflege¬
personen in besonders häufige und nahe Berührung mit den Absonderungen
der Kranken und den darin enthaltenen Krankheitskeimen kommen und er-
fahrung8gemäs8 sehr häufig selbst von der Krankheit ergriffen werden, wenn
sie an der erforderlichen Vorsicht fehlen lassen. Die Möglichkeit, den Verkehr
der Pflegepersonen ausserhalb der Wohnungen der Erkrankten einzuBchränken,
ist daher eine besonders wichtige Schutzmassregel zur Verhütung der Krank-
heitaverbreitung.
Die Sonderbestimmnng des §. 8, Nr. 8, Abs. 3, welche den Hebammen
und Wochenbettpflegerinnen in dem vorgesehenen Falle zeitweise die Ausübung
der Berufsthätigkeit untersagt, findet in der leichten Uebertragbarkeit und
Gefährlichkeit des Kindbettfiebers ihre Bechtfertignng und entspricht im
Wesentlichen den jetzt bestehenden Bestimmungen (vergl. Min.-Erlass vom
1. April 1899, M. Bl. f. d. i. V. S. 76, $. 69 der Dienstanweisung f. d. Kreis¬
ärzte vom 28. März 1901, Min.-Bl. f. Med.-Ang. S. 2). Wegen der Strafvor¬
schrift vergl. §. 81, Nr. 4 des Entwurfs. Unter der Voraussetzung, dass der
beamtete Arzt dies für unbedenklich erklärt, ist die Möglichkeit einer Ver¬
kürzung der achttägigen Frist und der früheren Wiederaufnahme der Berufs¬
thätigkeit vorgesehen; von dieser im Interesse einer Milderung der mit der
Berufsunterbrechung verbundenen mannigfachen wirtschaftlichen und persön¬
lichen Nachtheile gegebenen Vorschrift wird der beamtete Arzt in der Begel
Gebrauch machen und die Unbedenklichkeit der früheren Wiederaufnahme der
Berufsthätigkeit aussprechen können, sobald er sieb davon überzeugt bat, dass
die Hebamme seiner Anweisung gemäss eine gründliche Beinigong und Desin¬
fektion ihres Körpers, ihrer Wäsche, Kleidung und Instrumente vorge¬
nommen hat.
Besondere Anleitungen für die Art und die Dauer der im einzelnen
Falle dem Pflegepersonal aufsuerlegenden Verkehrsbeschränkungen, sowie, für
die Beinigungs- nnd Desinfektionsmassregeln vor der Wiederaufhebnng dieser
Beschränkungen müssen der Ausführung des Gesetzes Vorbehalten bleiben.
6. Beschränkungen des Gewerbebetriebes (§. 16, Nr. 1 und 2
des Beichsgesetzes) können erforderlich werden, wenn der Kranke sich in einer
Wohnung befindet, welche in unmittelbarer Verbindung mit Bäumen steht, in
denen solche Nahrungsmittel und Gebraucbsgegenstände hergestellt, aufbewahrt,
oder vertrieben werden, welche die Krankheitskeime leicht aufnebmen und die
Verbreitung der Krankheit besonders begünstigen. Als hierher gehörige Krank¬
heiten kommen in Betracht: die Diphtherie und Scharlach (Vorkost¬
handlungen, Molkereien, Milchhandlungen und dergl.1, Typhus (Molkereien,
Milehhandlungen), Milzbrand (Schlächtereien, Abdeckereien, Gerbereien, Boss¬
haarspinnereien, Wollsortirereien, Lumpenhandlangen, Papierfabriken). Gegen¬
über dem Beichsgesetse, welches die Beschränkungen der gewerblichen Tbätig-
keit auch für Ortschaften zulässt, die von einer gemeingefährlichen Krankheit
nur bedroht sind (§. 16, Abs. 1), hat der Entwurf für die übertragbaren
Krankheiten eine so weit gehende Vorsicht nicht für erforderlich erachtet nnd
die Zulassung der Massregeln ausdrücklich auf solche Ortschaften einge¬
schränkt, welche von der übertragbaren Krankheit thatsäohlioh bereits be¬
fallen sind.
die Bekämpfung gemeingefährlicher Knuüüieiteo tob 80. Juni 1800. 168
Mit dem Zeitpunkte, in welehem der Kranke in ein Krankenbette über¬
fährt and die Wohnung wirksam desinfisirt ist, können die Besebrinknngen
nbedenklich wieder aufgehoben werden.
7. Des Verbot oder die Beschränkung der Ansammlung
grosserer Menschenmengen (§. 15, Nr. 8 des Reichsgesetses) kann bei
Blekfallfieber, Ruhr und Typhus in Frage kommen. Die su Zeiten
von Epidemien besonders gebotene Vorsicht hinsichtlich der Beschaffenheit der
Nahrung, des Trinkwassers, der Kleidung und der Wohnung liest sich nur in
besehrinkter und unsureichender Weise durchführen, wenn eine Ansammlung
grosserer Menschenmengen auf einem yorhiltnissmisBig engen Raum stattfindet
(«. B. bei Mirkten, Messen, Öffentlichen Festen, Umstlgen). Die Krankheits¬
keime werden bei solchen Gelegenheiten leicht aufgenommen und Ton den heim¬
kehrenden Menschenmengen verschleppt, so dass derartige Ansammlungen ge¬
fährliche Mittel bilden, der Seuche eine weitere Verbreitung su geben. Diese
flefhhr tritt bei den beseichneten drei übertragbaren Krankheiten in besonders
bedenklichem Masse hervor.
8. Die Fernbaltung vom Schul- und Unterrichtebesuche (§. 16
des Reichsgesetses) besweckt, gesunde jugendliche Personen aus Behausungen,
is welchen übertragbare Krankheiten Vorkommen, von dem Schulbesuche aus-
sasehliessen, weil nachweislich Kinder, selbst wenn sie persönlich für die
Imkheit unempfänglich sind, doch die Oebertragung der Krankheit auf die
Ktsehüler vermitteln können. Diese Massregel ist von dem Entwürfe bei
Diphtherie, Rückfallfieber, Ruhr, Scharlach und Typhus für
nussig erklärt worden. Die Massregel erstreckt sich nicht nur auf alle Öffent¬
lichen und Privatschulen, sondern auf jede Art von Unterricht, mit welchem
die Ansammlung von Kindern und jungen Leuten verbunden ist. (Vergl. auch
Begründung su dem g. 16 des Reichsgesetses, Drucksache Nr. 690, S. 88.)
Das Recht der Schulverwaltung, behufs Verhütung der Verbreitung über¬
tragbarer Krankheiten durch die Schulen, ihr geeignet erscheinende Anord-
uagen su treffen, wird durch die Bestimmung des Entwurfs, welcher es nur
nit Massnahmen polizeilichen Charakters su thun hat, nicht berührt. (Vgl.
Kin.-Brlasse vom 14. Juli 1884 und 20. Mai 1898, M. Bl. f. d. i. V. S. 19S,
Z. Bl. f. d. ges. Unt. V, 1899, S. 372.)
9. Dan Verbot oder die Beschränkung der Benntmung ge¬
wisser der 8enohenTerbreitung förderlicher Einrichtungen (§. 17
des Beicbsgesetses) soll bei Ruhr und Typhus (Brunnen, Wasserleitungen,
öffentliche Bade-, Schwimm-, Wasch- und Bedürfnisanstalten) angeordnet
werden können. Die engen Beziehungen von Ruhr und Typhus sum Wasser
varden schon oben angedeutet. Die hinfige Verbreitung dieser Krankheiten
duck Wasserversorgungsanlagen lässt die obrigkeitliche Ueberwachung der¬
selben als dringend nothwendig erscheinen. Dies gilt namentlich von Wasser¬
leitungen, welche ihr Wasser aus Flüssen, Seen, Teichen oder aus deren
dckster Nähe entnehmen, wie noch jüngst die grosse Typhusepidemie im Ruhr-
koklengebiet gezeigt hat.
10. Die Räumung ron Wohnungen und Gebäuden (§. 18 des
Bsicbsgesetzes) erklärt der Entwurf für zulässig bei Rückfallfieber,
Ruhr und Typhus.
Schlecht geleitete Herbergen, sogenannte „Pennen“, sind die häufigsten
Brutstätten des Rückfallflebers. Durch die Anhäufung von zahlreichen Menschen
ia tagen, dunklen, schlecht lüftbaren und unsauberen Wohnungen wird die
Dckertragung von Ruhr und Typbus von Person auf Person und die Infektion
r*a Brunnen in hohem Grade begünstigt, sowie eine unschädliche Beseitigung
Abfallstoffe fast unmöglich gemacht. Die Krankheitskeime nisten sieh
Mar solchen Verhältnissen in den Wohnungen oder Häusern derart ein, dass
wm Desinfektion au ihrer Vernichtung nicht ausreicht und man ihrer nur Herr
v*dea kann, wenn man nach vollständiger Räumung die Desinfektion wieder¬
holt Ra ist selbstverständlich, dass diese Massregel nur in den dringendsten
VlUea und nur bei gleichzeitiger unentgeltlicher Anbietung einer anderweit
feinsten Unterkunft (vergl. §. 18 des Reichsgesetzes) aur Ausführung ge¬
wicht werden kann.
11. Die Desinfektion (§. 19 des Reiehsgesetses) ist dazu bestimmt,
w» Krankheitserreger unschädlich su machen. Sie hat nicht nur su erfolgen,
164 Entwarf eines Ausführungsgesetzes za dem Beiehsgesetz, betr.
wenn der Kranke genesen oder gestorben ist, sondern ist im Allgemeinen
während der g&nsen Dauer der Krankheit vorznnehmen, weil die Kranken mit
ihren Ansleernngen nnonterbrochen anstecknngsffthige Keime nm sieh ver¬
breiten. Die Desinfektion ist mit Ausnahme von Syphilis, Tripper, Sohanker,
Toilwnth, Fisch-, Fleisch* and Wurstvergiftung nnd Trichinose bei keiner der
übertragbaren Krankheiten zu entbehren.
Die Rachenbeläge, der Auswurf, die Gurgelwässer, der Nasenschleim
der an die Diphtherie nnd Scharlach Erkrankten, der Wochenfluss bei
Kindbettfieber, der eitrige Bindehautschleim bei KGrnerkrankheit,
die blutigen Stnblgänge bei Ruhr, der Aus warf und zuweilen die Stahl¬
entleerungen boi Tuberkulose, der Urin, das Wasch- nnd Badewasser bei
Typhus, sowie der Auswurf, Nasenschleim und Eiter bei Milzbrand und
Rotz sind in hohem Grade gefährlich und geeignet, die Krankheit auf die
Familienangehörigen, Pfleger und Besucher der Kranken zu übertragen. Ebenso
gefährlich sind die Leib- und Bettwäsche, die Taschentücher, Kleidungsstücke
nnd GebrauchBgegenst&nde, welche während des Krankenlagers zur Verwendung
kommen. Namentlich die Wäsche hat schon überaus oft die Krankheitsüber-
tragung vermittelt. Diese Dinge verdienen eine um so grossere Aufmerksam¬
keit, als eine Reihe von Krankheitserregern (z. B. bei Diphtherie, Rohr,
Typhus, Milzbrand, Tuberkulose) sich ausserhalb des menschlichen KOrpers
wochen- and selbst monatelang lebensfähig erhalten und die Krankheit hervor-
rufen können, wenn der Kranke selbst schon länger wieder genesen oder ge¬
storben ist. Deshalb wäre es in hohem Grade gefährlich, die Wäsche der
Kranken undesinfizirt längere Zeit liegen und dann mit der übrigen Haus-
wäsohe zusammen reinigen zu lassen. Ebenso gefährlich und unverantwortlich
wäre es, die Wäsche, Betten, Kleidang, Ess-, Trinkgeschirre nnd Gebranchs¬
gegenstände von Penonen, welche an einer übertragbaren Krankheit, z. B. an
Lungen- und Kehlkopftuberkulose, gestorben sind, ohne vorherige wirksame
Desinfektion an andere zum Gebrauche zu überlassen.
Wie an den Gebrauchsgegenständen, so haften die Krankheitskeime auch
in der Wohnung des Kranken. Dies ist besonders bei Diphtherie, Scharlach,
Rohr und Typbus der Fall. Bei der Tuberkulose macht man häufig die Er¬
fahrung, dass in Wohnungen, in welchen Lungen- oder KehlkopftuberkulOse
mit reichlichem Auswurf sich aufgehalten haben, die nachfolgenden Mietber
wieder an Tuberkulose erkranken, weil die Tnberkelbazillen sich über Monate
hinaus in solchen Wohnungen in ansteckungsfähigem Zustande zu halten ver¬
mögen. Es genügt hierzu schon ein kürzerer Aufenthalt der Kranken, nament¬
lich solcher, die, wie es bei ungebildeten Leuten häufig der Fall ist, die Ge¬
wohnheit haben, ihren Auswurf auf den Fussboden oder an die Wände zu
spucken. Aus diesen Gründen kann die Desinfektion auch bei der Tuberkulose
nicht entbehrt werden, wenigstens sofern es sich um Fälle handelt, in welchen
ein Kranker an vorgeschrittener Lungen- oder Kehlkopfstuberkulose stirbt
oder die Wohnung wechselt. Die Erwägungen, welche dazu geführt haben,
die Anzeigepflicht bei der Lungen- und Kehlkopfstuberkulose in engen Grenzen
zu halten, nOthigen auch zu besonderer Vorsicht bei der Frage, welche polizei¬
liche Massregel zur Bekämpfung der Taberkulose zuzulassen sind. Der Ent¬
warf hat sich darauf beschränkt, die Desinfektion als einzige polizeiliche Mass¬
regel für zulässig zu erklären, indem er die Auffassung vertritt, dass sich auch
hier zur Zeit eine mehr abwartende Stellung empfiehlt und die Einführung
darüber hinansgehender Massnahmen von den Erfahrungen der Zukunft ab¬
hängig zu machen sein wird.
Die Behörden werden es sich angelegen sein lassen müssen, das Des¬
infektionsverfahren so zu gestalten, dass es Sicherheit in der Wirkung mit
einem thunlichst geringen Masse von Schäden und Belästigungen für das
Publikum verbindet. Die vom Bundesrath für die gemeingefährlichen Krank¬
heiten, in erster Linie für die Pest, erlassenen Desinfektionsvorschriften werden
bei den für die anderen übertragbaren Krankheiten zu erlassenden Anweisungen
nieht unberücksichtigt bleiben können. Es wird Aufgabe der Ausfflhrungs-
bestimmung sein, in den Desinfektionsvorschriften für jede der in Betracht
kommenden Krankheiten ein der Natur ihrer Erreger entsprechendes Des¬
infektionsverfahren anzugeben, welches s. B. bei der KOrnerkrankheit erheblich
einfacher sein kann, als bei der Diphtherie oder Tuberkulose. Die Gemeinden
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten tom 3Ö. Juni 1900. 166
and Kreise werden für die Bereithaltnng eines gescholten Desinfektions*
personale nnd die Bereitstellung wirksamer Desinfektionsmittel sowie zureichen¬
der und im leistungsfähigen Zustande su erhaltender Desinfektionsappamte
8orge su tragen haben (§. 23 des Beichsgesetses).
12. In Bezug auf die Behandlung der Leichen (§. 21 des Beichs¬
gesetses) wird bei Diphtherie, Buhr, Scharlach, Typhus, Mils-
brand und Botz der Erlass oesonderer Vorsichtsmassregeln von dem Ent¬
würfe vorgesehen. Bei diesen Krankheiten haften erfahrungemfissig an-
■teekongsfähige Krankheitskeime an und in der Umgebung der Leiche, welche
bei Berührungen der Leiche bei der Einsargung, Ausstellung und Bestattung
leicht Uebertragungen verursachen können. Das Ausstellen der Leichen in
offenem Sarge, das Betreten der Sterbehäuser bei den sogenannten „Leichen-
schmänsen“, das Singen der Schulkinder am Sarge nnd am Grabe, die Leichen¬
gefolge sind häufig die Gelegenheitsursache zur epidemischen Verbreitung von
Krankheiten. Dasselbe gilt von Leichentransporten ans dem Sterbeorte behufs
Bestattung an einem anderen Orte. Die in Frage kommenden Massregeln be¬
treffen hauptsächlich das Waschen der Leichen, das Einsargen, die Besehaffen¬
beit der Särge, die Zeit nnd Art der Ueberffihrnng der Leiehe nach der
Leiehenhalle der Friedhöfe n. s. w.
13. Die Bestimmung, dass bei Kindbettfieber, Bttekfallfieber,
Typhus und Botz der Verdachtsfall bis zur Beseitigung des Verdaehtes wie die
Krankheit selbst su behandeln ist, hat bereits in den früheren Ausführungen ihre
Begründung gefunden: sie gestattet insbesondere, die Beobachtung nnd Ab-
londernng auch der krankheitsverdächtigen Personen in gleicher Weise wie bei
lestgestelltem Typhus, Bttekfallfieber nnd Botz anznordnen.
Von besonderen Schntzmassregeln gegenüber der Fleisch-, Fisch- nnd
Wnrstvergif tnng sowie gegenüber der Trichinose hat der Entwurf abgesehen,
weil zur Beseitigung der ans verdorbenen oder verfälschten Nahrungsmitteln
hervorgehenden Gesundheitsgefahren die Massnahmen, welche die bestehenden
Nahrnngsmittelkontrollgesetze — vergL Beichsgesetz, betreffend den Verkehr
mit Nahrungsmitteln, Genassmitteln nnd Gebranchsgegenständen, vom 14. Mai
1879 (B. G. Bl. S. 145) nebst Nachträgen — an die Hand geben, für aus¬
reichend erachtet werden können. v
Es wird Aufgabe der beamteten Aerzte sein, sich mit den gegenüber
den einzelnen gemeingefährlichen nnd sonst übertragbaren Krankheiten gesetz¬
lich zulässigen Schntzmassregeln vertrant zu machen nnd in den Sitzungen der
Gesnndheitskommissionen von Zeit zu Zeit eingehend za besprechen, am im
einzelnen Falle je nach der Art der Krankheit and den sonst in Betracht
kommenden Verhältnissen die geeigneten Massregeln bei den zuständigen Be¬
hörden in Vorschlag bringen an können. Sie werden es sich angelegen sein
lassen müssen, bei ihren Vorschlägen anf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung
mit Umsicht, Bestimmtheit nnd Entschlossenheit vorzngehen, andererseits aber
Mies an vermeiden, was über das Mass des unbedingt Erforderlichen hinaus-
gehen nnd den Behörden nnd der Bevölkerung nur Beunruhigung and unnöthige
Kosten verursachen würde. Durch weises Masshalten in den weniger ernsten
Fällen werden sie erreichen, in Fällen besonderer Gefahr auch bei der Anord-
■nag sohärferer Schntzmassregeln williges Entgegenkommen zu finden.
§. 9. Als einzige, im Beichsgesetz nicht enthaltene Schntzmassregel ist
bei Körnerkrankheit nnd bei den Geschlechtskrankheiten der Behandlungen
swang vorgesehen.
Nach dem Gutachten der Behörden nnd Aerzte der hauptsächlich von
Körnerkrankheit heimgesuchten Bezirke ist eine planmässige Bekämpfung
tsd die Ausrottung dieser Senche nicht möglich, wenn die zum Theil sehr
gleichgültigen Erkrankten nicht von Amts wegen ungehalten werden, sieh be-
bandeln zu lassen. Der Umstand, dass die Beschwerden nnd Schmerzen, welche
die Körnerknnkheit erzeugt, verhältnismässig gering sind, bewirkt, dass die
Kranken im allgemeinen wenig Neigung verspüren, sich in die ohnehin mit
Opfern an Zeit and Geld verbundene Behandlung eines Arztes zu begeben.
W«m der Entwurf die Säumnisse der eigenen Entschllessnng durch Einführung
der obligatorischen Behandlung unschädlich zu machen sucht, so er-
■kehlt dies als eine Massnahme, die eben sowohl in den vortheihaften Wirk-
VBfen für den Kranken wie in der Büeksicht auf die Notkwendigkeit der
166 Entwarf eines AuafÜhrangsgesCtzes sn dem Beichsgesetz, beit.
Gesundeharltung der Bevölkerung ihre Begründung findet. Des Beeilt, wider
den Willen des Kranken an dessen Körper Operationen vorzunehmen, wird
durch den Behandlungszwang nicht begründet.
Die gleiche Befugniss kann auch gegenüber solchen Personen, welche
den ausserehelichen Geschlechtsverkehr gewerbsmässig betreiben, nicht ent¬
behrt werden; die sittenpolizeiliche Ueberwachung der Prostitution würde ohne
dieses Mittel eine halbe Massregel bleiben.
§. 10. Nach §. 24 des Beichsgesetzes ist der Bundesrath ermächtigt,
zur Verhütung der Einschleppung gemeingefährlicher Krankheiten aus dem
Auslande Vorschriften über den Erlass von Schutzmassregeln zu be-
Schlüssen. Solche Massregeln haben sich bis jetzt namentlich zur Abwendung
von Cholera, Gelbfieber, Pest und Pocken als nothwendig und wirksam erwiesen.
Der vorliegende Gesetzentwurf will bei Körnerkrankheit, Rück-
fallfieber und Typhus dem Staatsministerium die gleiche Ermächtigung
ertheilen. Wenngleich diese drei Krankheiten auch vielfach im Inlande Vor¬
kommen, so werden sie doch am häufigsten aus dem Auslande, insbesondere
ans Polen und Galizien, bei uns eingesohleppt. Dies ist namentlich bei der
Körnerkrankheit der Fall. Aber auch Bückfallfieber undTyphus-
epidemien in den Grenzgebieten des Auslandes geben häufig Veranlassung
zur Entstehung von Epidemien im Inlande. Dieser Gefahr durch geeignete
Abwehrmassnahmen entgegenzutreten, ist der Zweck der Bestimmung des §. 10.
Im Hinblick auf die hierbei in Betracht kommenden mannigfachen
anderweitigen Interessen erschien es zweckmässig, den Erlass der bezüglichen
Vorschriften dem Staatsministerium vorzubehalten.
§. 11. Durch die Vorschriften des §. 8 des Gesetzentwurfs werden die
in den §§. 12 bis 19 und 21 des Beichsgesetzes aufgeführten Sobutzmaes*
regeln nur mit Auswahl und unter Beschränkung auf die in dem §. 1 des
Gesetzentwurfs aufgeführten übertragbaren Krankheiten in der näher bezeioh-
neten Weise für zulässig erklärt. Im Gegensätze zum Reichsgesetze, welches
die Auswahl unter den allgemein und unterschiedslos für zulässig erklärten
Schutzmassregeln im Einzelfalle dem Ermessen der Polizeibehörde überlässt,
werden im Entwürfe die bei jeder Krankheit zulässigen Bekftmpfungsmass-
nahmen genau bezeichnet und als gesetzliche Schranke für die EntRChliessungen
der Polizeibehörde über die zu treffenden Anordnungen festgelegt. Man darf
annehmen, dass die Sanitätspolizei in der Regel mit diesem unbeschränkten
Mass von Schutzmassregeln auskommen wird. Es empfiehlt sich jedoch, auch
der Möglichkeit Rechnung zu tragen, dass ausnahmsweise eine Epidemie mit
solcher Heftigkeit und in solcher Ausdehnung auftritt, dass es, um ihrer Herr
zu werden, unerlässlich ist, über den Rahmen der in dem §. 8 für die einzelnen
Krankheiten gegebenen Vollmachten hinauszugehen. Die Ermächtigung hierzu
ertheilt der §.11 des Entwurfs dem Staatsministerinm.
Es sind ferner, wie die früheren Ausführungen ergeben, in dem Entwürfe
mehrere übertragbare Krankheiten, welche bei der Krankenbewegung und
Sterblichkeit der Bevölkerung eine nicht unwichtige Rolle spielen, nicht er¬
wähnt. Die dem Staatsministerinm übertragene Ermächtigung begreift, falls
solche Krankheiten in ungewöhnlicher Heftigkeit und Verbreitung auf treten
sollten, zugleich die Befugniss, zur Bekämpfung auch dieser Krankheiten
die Anwendung der Schutzmassregeln des Reiohsgesetzes für zulässig zu
erklären.
Vierter Abschnitt
Verfahren und Behörden.
Der §. 12 enthält die Bestimmung, dass die in dem Beichsgesetze und
diesem Gesetzte den Polizeibehörden überwiesenen Obliegenheiten, soweit nicht
dieses Gesetz ein anderes bestimmt, von den Ortspolizeibehörden wahrzunehmen
sind. In gleicher Weise, wie dies in dem §. 2 des Gesetzes, betreffend die
Ausführung des Beichsgesetzes über die Abwehr und Unterdrückung von Vieh¬
seuchen, vom 12. März 1881 (Gesetzsamml. S. 128), für den Fall deB Ausbruchs
einer Viehseuche vorgesehen, ist dem Landrath die Befagniss eingeräumt, für
den einzelnen Fall des Ausbruches einer gemeingefährlichen oder sonst über¬
tragbaren Krankheit die Amtsverrichtungen der Ortspolizeibehörde zu über-
nehmen, eine Bestimmung, welche in der Erwägung ihre Begründung findet,
dass es beim Ausbruch ansteckender Krankheiten in noch höherem Masse, wie
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Vom 30. Juni 190Ö. 16?
bei Viehseuchen, nothwendig werden kann, die planmlarige und energische
Durchführung der Abwehr- nnd Unterdrückungsmassregeln in erhöhtem Hasse
su sichern.
■In Uebereinstünmnng mit der Vorschrift in dem §. 2 Abs. 2 des Ans-
führungsgesetzes znm Viebseuohengesetze ist ferner vorgesehen, dass gegen
Anordnongen der Polizeibehörden nicht die Klage im Verwaltungsstreitverfahren,
sondern nur die Beschwerde bei der Vorgesetzten Polizeibehörde, in letzter
Instanz bei dem Minister der Medizinalangelegenheiten stattfindet. Die Be¬
stimmung, dass in Fallen, in welchen der Geschäftsbereich anderer Minister
berührt wird, vor der Entscheidung eine Verständigung mit den betheiligten
Ministern stattzahnden habe, entspricht den bestehenden Ressortgrundsätzen.
Der Ausschluss des bestehenden Verwaltungsstreitverfahrens erscheint um des¬
willen gerechtfertigt, weil bei der Anfechtung einer polizeilichen Anordnung
im Verwaltungsstreitverfahren nur die rechtliche Zulässigkeit der Anordnung,
nicht aber auch deren Zweckmässigkeit oder Nothwendigkeit, auf welche es
bei den sanitätspolizeilichen Massnahmen vorzugsweise ankommt, einer Nach¬
prüfung unterzogen werden kann.
Nach §. 63 des Gesetzes Ober die allgemeine Landesverwaltung vom
30. Juli 1883 haben Beschwerden, sofern nicht die Gesetze ein anderes vor¬
sehreiben, aufschiebende Wirkung. Da die wirksame Abwehr und Unterdrückung
der übertragbaren Krankheiten zum grossen Theile von der schnellen und
energischen Durchführung der Schutzmassregeln abhängt, so erscheint es noth¬
wendig, in gleicher Weise, wie bei den gemeingefährlichen Krankheiten, für
welche der §. 11, Abs. 2 des Reichsgesetzes der Anfechtung die aufschiebende
Wirkung entzieht, den Beschwerden über polizeilichen Anordnungen die auf-
schiebende Wirkung zu versagen.
g. 13. schliesst sich an die Bestimmungen in dem §. 36 des Reichsgesetzes
an und enthält eine Aufzählung derjenigen Personen, welche in Preussen als
beamtete Aerzte in Betracht kommen.
Fünfter Abschnitt.
Entschädigungen.
Das Reichsgesetz enthält in den §§. 28—33 Bestimmungen über die
Leistung von Entschädigungen beim Auftreten gemeingefährlicher Krankheiten
und unterscheidet dabei persönliche Entschädigungen, welche an Personen, die
der Invalidenversicherung unterliegen, für die Zeit der Absonderung oder der
Beschränkung in der Wahl des Aufenthalts oder der Arbeitsstätte zu zahlen
sind (g. 28), und sachliche Entschädigungen, welche für den Fall, dass bei
einer polizeilich angeordneten und überwachten Desinfektion Gegenstände be¬
schädigt oder vernichtet sind, dem Beschädigten zu leisten sind (gg. 29—33).
Der g. 34 deB Gesetzes bestimmt weiter, dass die Kosten der Entschädigungen
aus Öffentlichen Mitteln zu bestreiten sind, und überlässt die näheren Vor¬
schriften über die Träger der Entschädigung, die Art der Aufbringung, die
Anmeldungsfrist und die Ermittelung und Feststellung der Landesgesetzgebung.
In dem allgemeinen Theile der Begründung ist hervorgehoben, dass ein¬
zelne übertragbare Krankheiten ebenso verheerend auftreten können, wie dis
gemeingefährlichen Krankheiten. Es ist daher gerechtfertigt, dass in allen den
Fällen, wo nach den Vorschlägen des vorliegenden Gesetzentwurfes bei einer
übertragbaren Krankheit dieselben Absperr- und Desinfektionsmassregeln zur
Anwendung gebracht werden können, welche im Reich6gesetse für den Fall
einer gemeingefährlichen Krankheit vorgesehen sind, auch die gleichen Ent¬
schädigungen gewährt werden. Dementsprechend ist in dem
§. 14 bestimmt, dass und bei welchen übertragbaren Krankheiten bei
Absperr- und Desinfektionsmassregeln die im Reichsgesetze für den Fall des
Auftretens gemeingefährlicher Krankheiten vorgesehenen Entschädigungen zu
leisten sind.
§. 16 enthält die näheren Bestimmungen über die Festsetzung der in
den Fällen der §§. 28—33 des Reichsgesetzes und des §. 14 dieses Gesetzes zu
gewährenden Entschädigungen. Die Festsetzung soll durch die Ortspolizei-
behOrde erfolgen. Zuständig ist diejenige Polizeibehörde, in deren Bezirke die
ungeordneten Maasregeln zur thatsächlichen Durchführung gelangt sind, also
bei Absonderungen und Beschränkungen in der Wahl des Aufenthaltsorts oder
der Arbeitsstelle diejenige Polizeibehörde, in deren Bezirk der Abgesonderte
16£ Antwort eines Ausföhrangsgesetzes kn dem Reichsgesets, betr.
oder in der Wahl seines Aufenthaltsorts oder der Arbeitsstelle Beschränkte
seinen thatsfichliehen Aufenthalt gehabt bat, bei Desinfektionmassregeln die*
jenige Polizeibehörde, in deren Bezirk die Desinfektion ansgeffihrt ist.
Gegen die Festsetzung ist unter Ausschluss des Rechtsweges nur die
Beschwerde an die Vorgesetzte Polizeibehörde, in Berlin an den Oberpr&sidenten,
mit der Messgabe zagelassen, dass die Entscheidung der Beschwerdeinstann
endgültig ist Der Ausschluss des Rechtsweges rechtfertigt sich bezüglich des
Anspruchs auf die persönliche Entschädigung aus §. 28 des Reichsgesetzes und
§. 14, Nr. 1 dieses Gesetzes aut Grund der Erwägung, dass über die Voraus-
setsung, ob die betroffenen Personen der Invalidenversicherung unterliegen,
der Rechtsweg überhaupt nicht stattfindet, und dass im Falle der Bejahung
dieser Voraussetzung die Hohe der zu gewährenden Entschädigung aus dem
Gesetze von selbst sich ergiebt
Bezüglich der Entschädigung für vernichtete oder bei der Desinfektion
beschädigte Gegenstände empfiehlt es sich, den Rechtsweg schon aus dem
Grunde auszuschliessen, weil nach dem Ausführungsgesetse zum Reichsvieh¬
seuchengesetze gegen die Festsetzung der Entschädigung für auf polizeiliche
Anordnung getödtete Thiere die Berufung auf richterliches GehOr ebenfalls
versagt ist.
§. 16. Da es sich bei den Personen, welche Anspruch auf die Ent¬
schädigung aus §. 28 des Reichsgesetzes und §. 14, Abs. 1 dieses Gesetzes haben,
in allen Fällen um weniger Bemittelte handelt, ist vorgesehen, dass die Er¬
mittelung und Festsetzung der Entschädigungen von Amts wegen zu erfolgen
hat, und dass die Entschädigung, ebenso wie beim Krankengelde (§. 6, Abs. 3
des KrankenversicherungsgeBetzes) nach Ablauf jeder Woche zu zahlen ist.
g. 17. Die Bestimmung hat den Fall im Auge, wenn Gegenstände, von
welchen anzunehmen ist, dass sie mit Krankheitsstoif behaftet sind, auf polizei¬
liche Anordnung zu vernichten sind, weil entweder die Desinfektion nicht aus¬
führbar oder im Verhältnisse zum Werthe der Gegenstände zu kostspielig ist.
Die Entschädigung wird zwar nur auf Antrag gewährt (§. 29 des Reichsgesetzes
und §.14, Abs. 2 dieses Gesetzes); da aber für die Stellung dieses Antrages
eine Frist von einem Monate nach der Vernichtung vorgesehen ist (§. 28, Abs. 2
dieses Gesetzes), so ist es geboten, die Abschätzung des zu ersetzenden ge¬
meinen Werthes in allen Fällen vor der Vernichtung vornehmen su lassen.
Ueber Ausnahmen vergl. g. 20.
g. 18. Nach g. 29 des Reichsgesetzes ist nicht für jede bei der Desin¬
fektion verursachte Beschädigung, sondern nur für eine solohe, wegen welcher
ein Gegenstand zu seinem bestimmungsmässigen Gebrauche nicht weiter ver¬
wendet werden kann, Entschädigung zu gewähren. Dementsprechend ist in
dem g. 18 bestimmt, dass sowohl der Grad dieser Beschädigung, wie der su
ersetzende gemeine Werth vor der Rückgabe der Gegenstände durch Sachver¬
ständige abzuschätzen ist.
g. 19. Soweit ausführbar, sollen die Berechtigten zu den Abschätzungs-
Verhandlungen zagezogen werden and ihnen Gelegenheit gegeben werden, sich
über die Höhe der zu gewährenden Entschädigung zu äussern.
Der g. 20 bedarf einer weiteren Erläuterung nicht.
§. 21. Die Ermittelung der Höhe der zu leistenden Entschädigungen soll
unter Zuziehung sachverständiger Personen erfolgen. Die hierzu geeigneten
Personen sollen für jeden Kreis alljährlich durch den Kreisausschuss, in Stadt¬
kreisen durch die Gemeindevertretung, in der erforderlichen Zahl bezeichnet
werden; die gleichen Bestimmungen gelten für die Wahl der Scbiedsmänner
für die bei Viehseuchen zu leistenden Entschädigungen (g. 18 des Ausführungs-
gesetzes vom 12. März 1881).
Aus der Zahl dieser Personen hat die Polizeibehörde die Sachverständigen
für den einzelnen 8chätzungsfall zu entnehmen. Es kann davon abgesenen
werden, in dem Getze selbst eine Bestimmung darüber zu treffen, wie viele
Sachverständige im Einzelfalle zur Schätzung zuzuziehen sind, es wird dies
vielmehr dem varständigen Ermessen der Polizeibehörde überlassen werden
können. Anderseits können Fälle Vorkommen, in welchen Gründe besonderer
Art, persönliche Behinderung, besondere Beschaffenheit der abzuschätzenden
Gegenstände u. s. w. die Zuziehung der gewählten Sachverständigen unthunllch
packen oder nicht rathsam erscheinen lassen. Für solche Ausnahmefälle ty
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Tom 80. Juni 1900. 169
der Polizeibehörde des Recht beigelegt, des Absehätsungsgesehäft durch endete
Sachverständige vornehmen zu 1 essen. Die Bestimmung, dass die Sech ver¬
ständigen eidlich zu verpflichten sind, stimmt mit der Vorsehrift in dem §. 18,
Abs. 4 des Ausfahrungsgesetzes vom 12. März 1881 ttberein.
§. 22. Die Bestimmungen dieses Paragraphen sehliessen sich im Wesent¬
lichen den Vorschriften im §. 19 des Ausfahrungsgesetzes vom 12. März 1881 an.
§. 23. Nach §. 18 des erwähnten Ausfahrungsgesetzes treten zur Ab¬
schätzung des Werthes bei Viehschäden zwei Sachverständige und der be¬
amtete Kreisthierarst zu einer Kommission zusammen. Von der Bildung einer
derartigen Kommission musste fflr die Zwecke dieses Gesetzes abgesehen werden,
weil eine zum Eintritt in dieselbe geeignete sachverständige und beamtete
Persönlichkeit nicht überall zu finden ist und es nicht angemessen erscheint,
der Polizeibehörde selbst bei der Abschätzung eine direkte Mitwirkung ein-
suräumen. Es wird deshalb vorgeschlagen, dass die Sachverständigen über die
Schätzung eine von ihnen zu unterzeichnende Urkunde aufzunehmen und der
OrtspolizeibehOrde zur Festsetzung der Entschädigung zu übersenden beben.
Auf Grund dieser Verhandlungen hat die Polizeibehörde nach pflichtmässigem
Ermessen die Festsetzung der Entschädigung selbstständig vorsunehmeu.
Die Vorschrift in Abs. 2 entspricht der Bestimmung in §. 20, Abs. 8
des Ausfahrungsgesetzes vom 12 März 1881.
§. 24. Die für vernichtete oder bei der Desinfektion beschädigte Gegen¬
stände zu leistende Entschädigung wird, sofern nicht der Anspruch zach den
t 32 und 33 des Reichsgesetzes ausgeschlossen ist, nur auf Antrag gewährt
29 a. a. 0.). Zur Venneidung von Weiterungen, welche sioh namentlich
dann ergeben können, wenn für bloss beschädigte und zurttekgegebene Gegen¬
stände erst nach geraumer Zeit eine Entschädigung verlangt wird, empfiehlt
es sieb, die Frist zur Anbringung des Entschädigungsantrages nicht zu weit
zu bemessen. Sie ist deshalb auf einen Monat festgesetzt. Die Frist beginnt
bei vernichteten Gegenständen mit dem Tage der Vernichtung, bei desin-
fisirten Gegenständen mit dem Tage der Wiederaushändigung.
Sechster Abschnitt.
Kosten.
§. 25. Nach §. 10 des Regulativs vom 8. August 1835 haben die Po¬
lizeibehörden die Verpflichtung, auf erhaltene Anzeige die ersten Fälle an¬
steckender Krankheiten ärztlich untersuchen zu lassen. Die Kosten der Er¬
füllung dieser gesetzlichen Verpflichtung sind von der Gemeinde als Kosten
der Ortspolizeilasten zu tragen. Die Verpflichtung zur Untersuchung der ersten
Fälle ansteckender Krankheiten beschränkt »ich auf eine ärztliche Unter¬
suchung; die OrtspolizeihOrde ist nicht verbanden, die erste Feststellung durch
einen beamteten Arzt ausführen zu lassen. Hält der Landrath oder der Re¬
gierungspräsident nach der von der OrtspolizeibehOrde bewirkten ersten ärzt¬
lichen Feststellung eine amtliche Untersuchung durch den zuständigen Medi-
sinaibeamten für erforderlich, so waren die hierdurch entstehenden Kosten
von dem Staate zu tragen. In diesem Zustande ist durch die §§. 6—9 des
Reichsgeeetses insofern eine Aenderung eingetieten, als die Polizeibehörde auf
erhaltene Kenntnis« von dem Ausbruche oder dem Verdachte des Auftretens
einer gemeingefährlichen Krankheit den zuständigen beamteten Arzt zu be¬
nachrichtigen hat, welcher verpflichtet ist, unverzüglich an Ort und Stelle
Ermittelungen über die Art, den Stand und die Ursache der Krankheit vor-
xunehmen. Diese Bestimmungen sollen nach dem §. 6 des vorliegenden Gesetz¬
entwurfes auch bei den dort angegebenen Krankheiten Platz greifen, denn bei
dem Charakter der in Rede stehenden Krankheiten und der grossen Bedeu¬
tung, welche gerade bei diesen der Feststellung der ersten Fälle beizulegen
Ist, um der Weiterverbreitung der Seuche wirksam und erfolgreich entgegen-
zutreten, erscheint es in Abweichung von dem §. 10 des Regulativs und unter
entsprechender Entlastung der Gemeinden geboten, die Ermittelung durch den
beamteten Arst eintreten zu lassen und dem Staate die hierdurch entstehenden
Kosten aufzuerlegen. Das Gleiche gilt von den Kosten, welche durch die Be¬
theiligung des beamteten Arztes bei der Anordnung, Leitung und Ueber-
wachung der Schutzmaesregeln gegen diese Krankheiten entstehen.
{. 26. Die Vorschrift des §. 87, Abs. 3 des Reichsgesetzes, wonach die
daselbst bezeichneten Kosten aus OffontUohen Mitteln zu bestreiten sind, gilt
170 Entwarf eines Ausführungsgesetzes za dem Reichsgesetz, betr.
ueb der Bestimmung in dem Abs. 1 nach bei denjenigen übertragbaren
Krankh eiten, bei welchen gem&ss den Vorschriften der §§. 8 and 11 dieses
Entwurfes die Anwendung der in dem §. 37, Abs. 3 des Beichsgesetzes be-
zeichneten Schutzmassregeln für zulässig erklärt ist.
In dem zweiten Absätze des §. 26 wird bestimmt, dass die Frage, wem
die nach dem Reichsgesetze und nach diesem Gesetze ans Öffentlichen Mitteln
so bestreitenden Kosten and Entschädigungen einschliesslich der den Sach¬
verständigen nach §. 21 des Entwurfes zu erstattenden baaren Auslagen, die
Kosten der ärztlichen Feststellung (§. 6, Abs. 3 d. Entw.) sowie die sonstigen
Kosten der Ausführung der Schutzmassregeln zur Last fallen, nach den Vor¬
schriften des bestehenden Rechtes zu entscheiden ist. Insbesondere soll, soweit
nicht nach vorstehendem abweichende Vorschriften getroffen sind, auch be¬
züglich der aus Öffentlichen Mitteln zu bestreitenden Kosten es bei dem be¬
stehenden Recht und den für das gesummte Gebiet der Polizei bisher mass¬
gebenden Bestimmungen sein Bewenden behalten, welche zur Entscheidung
der hier in Betracht kommenden Fragen eine genügende Grundlage geben.
Während hiernach die auf die Verhütung, Bekämpfung und Beschränkung
einer Seuche innerhalb einer einzelnen Gemeinde gerichteten Massnahmen Sache
der Ortspolizei sind und die entstehenden Kosten demjenigen zur Last fallen,
welcher nach dem geltenden Recht die Kosten der Örtlichen Polizeiverwaltnng
an tragen hat, sind aus der Staatskasse die Kosten derjenigen Massnahmen zu
bestreiten, welche vornehmlich zu dem Zwecke getroffen werden, um die Ein¬
schleppung einer Seuche aus ausserpreussischen Ländern in das Inland oder
deren Weiterverbreitung aus einer Gegend des Staatsgebietes in die andere
zu verhindern. Zu letzteren landespoliseilichen Massnahmen würden unter
anderen gehören:
Einrichtungen zur Absperrung der Landesgrenze und zur Verhinderung
des Eintritts seuchekranker oder verdächtiger Personen, sowie der Einführung
von Gegenständen, welche mit dem Ansteckungsstoffe behaftet sind oder sein
kOnnen, aus dem Auslande in das preussische Landesgebiet;
Veranstaltungen zur Untersuchung und zur Unterbringung der über die
Landesgrenze eintretenden und zu überwachenden Personen, sowie zur Desin¬
fektion ihrer desinfektionspflichtigen Habe und derjenigen Räume, in welchen
sie untergebracht sind;
die Bestellung von Aerzten und deren Geholfen, sowie die Beschaffung
der erforderlichen Desinfektionsmittel zur Durchführung der vorbezeichneten
Massnahmen;
die Bestellung von Staatskommissaren, soweit es sich um Preussen allein
zugehörige Stromgebiete handelt, von Hafenbeamten und von Aerzten nebst
deren Hülfspersonal zur Durchführung der gesundheitlichen Kontrolle Uber
8chiffe, Häfen und den Fluss verkehr;
die Einrichtung und der Betrieb von Quarantäneanstalten in den preussi-
sehen Seehäfen nebst der etwa nOthigen Herstellung von Verbindungen der
Quarantäneanstalten mit den Hafenämtern;
die Bereitstellung der zum Ueberwachungsdienst erforderlichen Dampfer
und Boote nebst ihren Mannschaften;
die behördlich angeordneten bakteriologischen Untersuchungen, welche
von den seitens der Zentralbehörden zu bestimmenden Stellen ausgefübrt
werden u. s. w.
§. 27. Für die wirksame Bekämpfung der Weiterverbreitung gemein¬
gefährlicher und sonst übertragbarer Krankheiten ist das Vorhandensein von
Beobachtungs- und Absonderungsräumen, von Unterkunftsstätten für Kranke,
Desinfektionsapparaten, Beförderungsmittel für Kranke und Verstorbene, von
Leichenräumen, Beerdigungsplätsen und dergleichen von entscheidender Be¬
deutung. Die hierzu erforderlichen Einrichtungen sind in einer Anzahl von
Gemeinden, namentlich auf dem Lande, nicht vorhanden; ein erheblicher Theil
dieser Gemeinden ist auch die durch die Beschaffung der Einrichtungen ent¬
stehenden Kosten aufzubringen ausser Stande, und auch bei denjenigen Ge¬
meinden, welche hierzu für fähig zu erachten sind, wird nicht immer die Ge¬
neigtheit vorhanden sein, auf die blosse Möglichkeit eines Seuchenausbruches
hin, die Einrichtungen schon zur Beuchenfreien Zeit vorrätbig zu halten. Jeden¬
falls würde in allen den Gemeinden, in welchen die Einrichtungen fehlen,
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 80. Jnni 1900. 171
durch die ent beim Seachenansbrnche einsoleitenden Verhandlungen auf Be-
Khaffang viele kostbare Zeit verloren gehen. Im Hinblick anf diese Verhält¬
nisse schreibt der §. 23 des Beichsgesetzes vor, dass die zuständige Landes¬
behörde die Gemeinden oder die weiteren Kommunalverbände dazn anhalten
kann, diejenigen Einrichtungen, welche zur Bekämpfung der gemeingefährlichen
Krankheiten nothwendig sind, zu treffen. Die gleiche Befngniss wird durch
das vorliegende Gesetz den Landesbehörden Uber den Bahmen der gemein¬
gefährlichen Krankheiten hinaus auch in Bezog anf die Bekämpfung der
sonstigen abertragbaren Krankheiten beigelegt.
Die Verpflichtung, die zur Seuchenbekämpfung erforderlichen Einrich¬
tungen zu beschallen, trifft in erster Linie die Gemeinden. Die Aufforderungen
hierzu sind durch die zuständigen Polizeibehörden zu erlassen.
§. 28. Die Bestimmung dieses Paragraphen trifft Vorsorge fttr den Fall,
dass Gemeinden der ihnen obliegenden Pflicht zur Kostentragung aus eigenen
Mitteln za genügen ausser Stande sind.
In §. 36 des Gesetzes, betreffend die Ausführung des Bundesgesetzes über
den UnterstützungsWohnsitz, vom 8. März 1871 (Gesetzsamml. S. 130) ist den
Laadarmenverbänden die Verpflichtung auferlegt, denjenigen ihrem Bezirke
zugehörigen Ortsarmenverbänden, welche den ihnen obliegenden Verpflichtungen
zu genügen unvermögend sind, Beihülfen zu gewähren. Beschwerden darüber,
ob uni in welcher Weise Beihülfen zu gewähren sind, unterliegen der end¬
gültigen Beschlassfassung des Provinzialraths (vergl. auch §. 42 des Zuständig¬
keitsgesetzes). Nach dem Vorbilde dieser Vorschriften ist in Abs. 1 des §. 28
die Bestimmung vorgesehen, dasB die Kreise als die nächst höheren Verbände
berufen und verpflichtet sein sollen, denjenigen Gemeinden des Kreises, welche
die ihnen bei der Bekämpfung der gemeingefährlichen und übertragbaren Krank¬
heiten obliegenden örtlichen Aufgaben aus eigenen Mitteln zu erfüllen unver¬
mögend sind, eine Beihülfe zu gewähren. Den Gemeinden sind die Gutsbezirke
gleichgestellt. Die Beschlussfassung darüber, ob und in welcher Höhe Bei-
aülteu zu gewähren sind, steht den Kreis verbänden bezw. deren Organen zu;
auf Beschwerden ist die endgültige Entscheidung dem Bezirksausschuss
übertragen.
Die Bestimmung in dem zweiten Absatz gestattet, die Kreise zur Be¬
schaffung der Einrichtungen der in dem g. 27 gedachten Art mit Umgehung
der zunächst verpflichteten Gemeinden in erster Linie heranzuziehen, sofern
es sich bei diesen Einrichtungen um die Befriedigung von Bedürfnissen han¬
delt, welche über die Grenzen einer einzelnen Gemeinde hinausgehen. Diese
Vorschrift empfiehlt sich umsomehr, als es in zahlreichen Fällen schon im
Interesse der Beschaffung besserer Einrichtungen und nicht minder auch aus
Rücksichten der Kostenerersparniss zweckmässiger sein wird, gewisse Einrich¬
tungen für alle Gemeinden eines Kreises oder doch für eine grosse Anzahl der¬
selben gemeinsam an treffen.
Siebenter Absohnitt.
Strafvoreohriften.
§§. 29 bis 81. Die Strafvorschriften sind den in dem Reichrgesetze ent¬
haltenen Strafbestimmungen nachgebildet und bedürfen keiner weiteren Er¬
läuterung. Hervorzuheben bleibt nur, dass der gegenwärtige Entwurf in mehreren
Fällen eine Milderung der vorgesehenen Strafen hat eintreten lassen.
Achter Abschnitt.
Sohlassbestimmungen.
§. 32. Der Umstand, dass das vorliegende Gesetz eine dem heutigen
Stande der Verhältnisse entsprechende erschöpfende Begelung der Seuchen-
Bekämpfung enthält, und insbesondere die durch die §§. 5, 7 und 11 gegebene
Möglichkeit, die Bestimmungen des Gesetzes über die Anzeige, Ermittelung
uni Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten im Bedarfsfälle auch auf
lodere Fälle auszadehnen, lassen es unbedenklich erscheinen, die auch im
Interesse der Herstellung einer klaren Bechtslage wünschenswerte Aufhebung
oller zur Zeit in den einzelnen Landestheilen bestehenden gesetzlichen Be¬
samungen über die Bekämpfang ansteckender Krankheiten, namentlich auch
des Begulativs vom 8. August 1836, auszuspreehen. Ein grosser Theil der
Vorschriften des Regulativs hat überdies einen lediglich Instruktionellen
172 Entwarf eines Aastahrungsgeseties zu dem Beicbzgezetz, betr.
Charakter, und die Ausführung dee vorliegenden Gesetzes wird Gelegenheit
bieten, dafür einen geeigneten Ersatz zu gewähren.
Wegen der Sonderbestimmnngen über die Sanitütskommissionen vergL
auch §. 16 des Gesetzes, betreffend die Dienststellung des Kreisarztes nnd die
Bildung tos Gesundheitskommissionen, vom 16. September 1899 (Gesetzsamm¬
lung S. 172).
Die Aufreehterhaltong der durch dae Beiehsimpfgesetz nicht berührten
und auch durch das Beichsseuchengesetz nioht beseitigten Bestimmungen des
Begulativs über die Zwangsimpfangen bei dem Aasbrache einer Pockenepidemie
(§. 66) rechtfertigt sich dnroh die Brwftgang, dass die Impfung erfahrnngs-
müssig das sicherste Schutzmittel gegen die Pookenerkranknng ist nnd ihre
nnverzügliohe Vornahme bei allen noch nicht geimpften Personen zur Zeit eines
Pookenansbraches von unschützbarem Werthe und um so mehr am Platze ist,
als sie eine Anzahl der sonst nothwendigen Schutzmassregeln, namentlich die
Beobachtung und Absonderang krankheits- und ansteckangsverdüchtiger Per¬
sonen in vielen Füllen entbehrlich machen wird. Ueber Zwangsimpfangen
vgl. auch $. 18, Abs. 8 des Beichsimpfgesetzes vom 8. April 1874 (B.-G.-B1.
8. 81), §. 8 des Gesetzes, betreffend die Ausführung des Beichsimpfgesetzes,
vom 12. April 1876 (Gesetzsamml. 8.191) und Begründung zu §. 46 des Ent¬
würfe eines Gesetzes, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank¬
heiten, 8. 61 der Drucksache Nr. 960 des Reichstags 1898 (1900).
§. 83. Zut Erleichterung des Verständnisses und der praktischen Hand¬
habung des Gesetzes wird es sich empfehlen, den mit der Ausführung des
Gesetzes betrauten Behörden ausführliche, das Verfahren bei jeder einzelnen
Krankheit erschöpfend behandelnde Anweisungen in die Hand zu geben. Auch
ist in Aussicht genommen, durch gemeinverständliche Belehrungen über das
Wesen und die Verbreitungsweise der übertragbaren Krankheiten die Laien¬
kreise aufzuklären und sie dadurch nioht zur Erfüllung der gesetzlichen An-
zeigepflicht in Stand zu setzen, sondern auch durch sonstige geeignete An¬
regungen und Hinweise auf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung zur Unter¬
stützung und wirksamen Mitarbeit heranzuziehen. Um für die Herstellung
aller dieser Ausführungsarbeiten die erforderliche Zeit zur Verfügung zu haben,
erscheint es angemessen, die Bestimmung des Zeitpunktes des Inkrafttretens
des Gesetzes Königlicher Verordnung vorzubehalten.
Dem vorstehenden Gesetzentwürfe sind ausser der mitge-
theilten, sehr ausführlichen Begründung noch das Reichsseuchen¬
gesetz und das Regulativ vom 8. August 1835, sowie eine Ueber-
sicht über die Regelung der Anzeigepflicht der übertragbaren
Krankheiten in den einzelnen deutschen Bundesstaaten und eine
Zusammenstellung der in ausserpreussischen Staaten in Geltung
befindlichen Bestimmungen über die Bekämpfung der Tuberkulose
beigefügt, von deren Abdruck hier wegen Raummangels Abstand
genommen werden musste.
Die Nothwendigkeit eines preussischen Landesgesetzes be¬
treffs Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten ist bereits
so oft in Wort und Schrift von den betheiligten Kreisen, insbe¬
sondere auch von Seiten der Medizinalbeamten, betont und sowohl
von den gesetzgebenden Körperschaften, als der Staatsregierung
anerkannt worden, dass darüber eigentlich kein Wort mehr ver¬
loren zu werden braucht. Nach dem Erlass des Reichsseuchen¬
gesetzes, das sich nur auf die Bekämpfung der wichtigsten pan-
demischen Krankheiten erstreckte, trat diese Nothwendigkeit in
noch erhöhterem Maasse hervor, allseitig wird es daher mit
Freuden begrüsst werden, dass sich der jetzt vorgelegte Ge¬
setzentwurf nicht bloss auf die Ausführung jenes Gesetzes be¬
schränkt, sondern vor allem auch eine einheitliche Regelung der
die Bek&mpfang gemeingefährlicher Krankheiten Tom 80. Juni 1900. 173
gesetzlichen Maassnahmen zur Abwehr und Unterdrückung der
übrigen, sogenannten einheimischen übertragbaren Krankheiten
beabsichtigt, die erfahrungsgemäss alljährlich weit grössere Opfer
an Menschenleben verlangen, als die im Reichsseuchengesetz ge¬
nannten . Den für das Bedtirfhiss einer solchen Regelung in
dem allgemeinen Theil der Begründung gegebenen Ausführungen
können 'wir uns in allen Punkten anschliessen; in zutreffender
Weise wird hier sowohl auf die Unzulänglichkeit der z. Z. in
dem grössten Theile der Monarchie geltenden, mit den Fortschritten
der Wissenschaft nicht mehr in Einklang stehenden Bestimmungen
des Regulativs vom 8. August 1885 und auf die Verschiedenheit
der einschlägigen Vorschriften in den einzelnen Landestheilen,
als auf die Unmöglichkeit hingewiesen, diese Bestimmungen in
rechtsgültiger Weise auf dem Verwaltungswege abzuändern.
Allen diesen schwer wiegenden Gründen gegenüber darf wohl auf
die Zustimmung des Landtages mit um so grösserer Bestimmtheit
gerechnet werden, als die Fassung des Gesetzentwurfes kaum
zu erheblichen Widersprüchen und Einwänden Veranlassung
geben dürfte.
Von mancher Seite, namentlich aus fachmännischen Kreisen,
wird vielleicht der Entwurf erhoben werden, dass der Gesetzent¬
wurf nicht weit genug gehe, dass er — wenigstens zunächst —
einzelne sehr verbreitete und viele Opfer, namentlich unter den
Kindern, fordernde Krankheiten, wie Masern und Keuchhusten,
unberücksichtigt lasse. Wenn wir auch den in der Begründung
dafür angeführten Gründen nicht beistimmen können, so halten
wir doch die Nichtberücksichtigung dieser Krankheiten für keinen
Fehler, sondern für eine weise Beschränkung, durch die das Zu¬
standekommen des Gesetzes zweifellos wesentlich gefördert werden
wird. Ausserdem bietet die in den §§. 5, 7 u. 11 dem Staats-
mini8terium vorbehaltene Ermächtigung, die im Gesetze vorge¬
sehenen Massregeln auch auf andere Krankheiten auszudehnen,
die Möglichkeit, jene Krankheiten ebenfalls in wirksamer Weise
zu bekämpfen. Von anderer Seite wird man wiederum die Auf¬
nahme der verhältnissmässig selten vorkommenden, auf Menschen
übertragbaren Thierkrankheiten — Milzbrand, Rotz und
Tollwuth — sowie der in Folge von Genuss bestimmter Nah¬
rungsmittel entstehenden Erkrankungen — Trichinose, Fleisch-,
Fisch- und Wurstvergiftungen — für überflüssig halten;
man darf hierbei jedoch nicht vergessen, dass die erstgenannten
Krankheiten nicht nur sehr gefährlich sind, sondern auch häufiger
im Inlande beobachtet wurden, als manche der im Reichsseuchen¬
gesetz aufgeführten gemeingefährlichen Krankheiten, und dass es
betreffs der Gesundheitsbeschädigungen durch Nahrungsmittel
im öffentlichen Interesse liegt, wenn die zuständigen Behörden
rechtzeitig von ihrem Auftreten Kenntniss erhalten, nicht nur,
um weiteren Erkrankungen im Einzelfalle vorzubeugen, sondern
auch um eine wirksame Kontrolle in Bezug auf die Handhabung
der hiergegen allgemein oder speziell angeordneten Massregeln
auszuüben.
174
Entwarf eines Aasfflhnwgsgesetces sa dem Eeichrgesetn, betr.
Als ein grosser Vorzug des Gesetzentwurfes ist es ent¬
schieden zu betrachten, dass er sich in seiner Einteilung und
Form im Wesentlichen an das Reichsseuchengesetz anschliesst;
seine Durchführung und praktische Handhabung wird dadurch
erheblich erleichtert. Die Bestimmungen über Anzeigepflicht,
Ermittelungsverfahren, Schufzmassregeln, Verfahren mit Be¬
hörden, Entschädigungen und Strafvorschriften sind denjenigen
des Reichsgesetzes unter Berücksichtigung der besonderen Ver¬
hältnisse des Einzelstaates angepasst; sie weichen nur in wenigen
Punkten von einander ab, und bedingen hier dann meist eine Ver¬
besserung. So ist z. B. mit Recht im §. 1, Abs. 2 des Entwurfes
eine wiederholte Anzeige nicht nur beim Wechsel des Auf¬
enthaltsortes, sondern auch beim Wechsel der Wohnung vor¬
zusehen; eine solche ist aber unbedingt erforderlich, wenn nicht
eine Infektionskrankheit in demselben Orte durch den betreffenden
Kranken immer weiter verschleppt werden soll. Noch mehr dürfte
sich hier die Bestimmung empfehlen, dass ein derartiger Kranker
ohne zuvorige polizeiliche Erlaubnis seinen Aufenthaltsort, noch
seine Wohnung (Logis, Schlafstelle, Obdach u. s. w.) wechseln
darf, soweit es sich nicht um seine unmittelbare Ueberführung in
die zunächst gelegene Krankenanstalt handelt; denn nur dann
ist die Ortspolizeibehörde in der Lage, die bei dem Aufenthalts¬
wechsel zu beobachtenden Vorsichtsmassregeln zu treffen, für die
rechtzeitige Desinfektion der bisherigen Krankenräume zu sorgen
u. s. w.
Ein besonders hervorzuhebender Vorzug des Gesetzentwurfes
ist es weiterhin, dass er nicht nur den neuesten wissenschaftlichen
Forschungen in Bezug auf die Entstehung, Verbreitung u. s. w.
der Infektionskrankheiten Rechnung trägt, sondern dass er auch
die Besonderheiten der einzelnen Krankheiten thunlichst berück¬
sichtigt und an dem Grundsatz festhält, „dass die verschiedene
Widerstandsfähigkeit der Krankheitserreger gegen äussere Ein¬
flüsse — Feuchtigkeit, Wärme u. s. w. — ihr unterschiedliches
Verhalten gegen chemische und physikalische Desinfektionmittel,
der höhere oder geringere Grad der Leichtigkeit ihrer Uebertragung
sowie ihre Giftigkeit für den Menschen u. s. w. . . . es weder
nothwendig, noch auch zweckmässig machen, alle übertragbaren
Krankheiten in der gleichen Weise und mit denselben Mitteln zu
bekämpfen, sondern vielmehr jede einzelne Krankheit eine
ihrem individuellen Charakter entsprechende Sonder¬
bekämpfung erfordert“.
In Bezug auf die Anzeigepflicht (§§. 1—5) wird aller¬
dings von mancher Seite eine verschiedenartige Behandlung der
einzelnen Krankheiten nicht für berechtigt anerkannt, sondern bei
jeder Krankheit die Anzeige auch bei Krankheitsverdacht ver¬
langt werden. Die Berechtigung dieser Forderung lässt sich vom
medizinischen, wie vom sanitätspolizeilichen Standpunkte aus nicht
verkennen; denn nur bei ihrer Erfüllung wird es möglich sein, recht¬
zeitig die ersten Erkrankungsfälle festzustellen und in wirksamer
Weise zu bekämpfen; anderseits darf aber nicht die Schwierigkeit
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 80. Juni 1900. 176
ihrer Durchführung, namentlich bei häufiger vorkommenden Krank¬
heiten, wie Diphtherie, Scharlach, Lungentuberkulose unterschätzt
werden. Deshalb dürfte es nicht unzweckmässig sein, dass der
Gesetzentwurf die Anzeigepflicht bei Krankheitsverdacht zunächst
nur auf diejenigen Krankheiten ausgedehnt hat, bei denen, wie
Kindbettiieber und Typhus, die Diagnose oft längere Zeit
zweifelhaft sein kann; auch bei Genickstarre ist dies häufig
der Fall und demgemäss angezeigt, auch bei ihr die Anzeige
für verdächtige Fälle vorzuschreiben. — Sehr wichtig ist, dass
jetzt auch jeder Todesfall nach einer der im §. 1 genannten
Krankheiten anzeigepflichtig sein soll; diese Bestimmung ist um
so nothwendiger, als in dem grössten Theüe der preussischen Mo¬
narchie eine obligatorische Leichenschau nicht besteht und in Folge
dessen eine der werthvollsten Unterlagen fehlt, um den Charakter,
Yerlauf u. s. w. einer Epidemie zu beurtheilen. Bei Lungen-
und Kehlkopfstuberkulose ist die Anzeige eigentlich nur auf
den Todesfall beschränkt, da eine derartige Erkrankung nur dann
anzeigepflichtig sein soll, wenn der betreffende Kranke sich im
vorgeschrittenen Stadium der Krankheit befindet und seine Woh¬
nung wechselt. Auch diese beschränkende Bestimmung ist u. E.
durch die Verhältnisse bedingt; sollte sich in Zukunft die Noth-
wendigkeit einer Erweiterung erweisen, so giebt § 5, Abs. 2 die
Handhabedazu. — Die Beschränkung der Anzeigepflicht bei Syphi¬
lis, Tripper und Schanker „auf Personen, welche gewerbs¬
mässig Unzucht treiben“, entspricht dem auf der vorjährigen Haupt¬
versammlung der preussischen Medizinalbeamten gefassten Be¬
schlüsse; eine starke Minderheit wünschte allerdings auch hier
die Ausdehnung „auf die der Prostitution verdächtigen Personen“
oder „auf andere Personen, sobald sie eine Gefahr für die All¬
gemeinheit besorgen lassen“. Man wird abwarten müssen, ob die
im Gesetz vorgesehene Bestimmung ausreicht, um im Verein mit
den anderen, gesetzlich zustehenden Mitteln die Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten wirksam durchzuführen. Die im §. 2 dem
Arzte u. s. w. auferlegte Anzeigepflicht für die in ihrer Behand¬
lung befindlichen geschlechtskranken Unteroffiziere und Mann¬
schaften des aktiven Heeres ist nicht neu, sondern war bereits im
§. 65, Abs. 3 des Regulativs enthalten, nur mit dem Unterschied,
dass jetzt die Anzeige auch auf Schanker und Tripper ausgedehnt
ist, während sie bisher nur bei Syphilis vorgeschrieben war.
Zweckmässig ist an sich die im §. 5 getroffene Bestimmung,
dass die Vorschriften über die Anzeigepflicht auch auf andere
fibertragbare Krankheiten ausgedehnt werden können, bedenklich
dagegen die Einschränkung, dass dies nur der Fall sein soll,
„wenn und so lange diese Krankheiten in epidemischer
Verbreitung auftreten“ und dass die Ermächtigung zu
einer solchen Ausdehnung nur dem Staatsministerium
zustehen soll. Diese Einschränkung bedeutet eine Verschlechte¬
rung gegen den jetzigen Rechtszustand; denn bisher konnte die
Bekämpfung jeder anderen ansteckenden Krankheit, soweit diese
nicht im Regulativ berücksichtigt war — also in den neuen
176 Entwurf einen AnsführungsgesetxeB zu dem Eeicbsgesetz, betr.
Provinzen unbeschränkt — im Wege des Polizeiverordnuugsrechts
sowohl vorübergehend, als ein für alle Mal geregelt werden. Jetzt
soll ausserdem nur das Staatsministerium berechtigt sein, in
solchen Fällen die erforderlichen Massregeln zu treffen; erwägt
man jedoch, dass gerade hier ein rasches Eingreifen nothwendig
nnd jede Verzögerung oft von den nachtheiligsten Folgen begleitet
ist, dann wird man zugeben, dass jene Ermächtigung, wenigstens
bei den akut auftretenden anderen ansteckenden Krankheiten, dem
Regierungspräsidenten zustehen muss, so lange diese epidemisch
auftreten, dass dem Staatsministerium dagegen dies Recht für
alle anderen ansteckenden Krankheiten, auch die mehr chroni¬
scher Natur, einzuräumen ist, und zwar nicht nur znr vorüber¬
gehenden, sondern auch zur dauernden Anordnung der Mass¬
nahmen.
•
Nach den im §. 6 getroffenen Bestimmungen über die amtsT
ärztliche Ermittelung der Krankheit wird eine solche be 1
den ersten Fällen von Diphtherie und Scharlach nicht für er"
forderlich erachtet, obwohl gerade bei diesen beiden Krankheiten’
besonders bei dem oft äusserst bösartigen Scharlach, durch recht¬
zeitiges Eingreifen des beamteten Arztes beim ersten Erkrankungs¬
fall eine ausgebreitete Epidemie verhütet werden kann. Die Auf¬
nahme dieser Krankheiten unter die im §. 6 Abs. 1 genannten
ist daher dringend zu empfehlen. Ausserdem sollte die bisherige
Bestimmung, wonach die Ortspolizeibehörde die ersten Er¬
krankungsfälle erst ärztlich feststellen lassen muss, auch in
der im §. 6 Abs. 3 vorgesehenen beschränkten Form — bei nicht
ärztlich festgestellten Fällen — beseitigt werden.
Zu §. 7 gilt das vorher zu §. 5 Gesagte.
In zweckmässiger Weise sind in den §§. 8—11 die erforder¬
lichen und nach dem Gesetz zulässigen Schutzmassregeln für
jede einzelne Krankheit angegeben und mit Rücksicht darauf,
dass diese Massregeln völlig abhängig sind von den Forschungen
der Wissenschaft und den praktischen Erfahrungen, in §. 11 die
Bestimmung getroffen, dass die in den §§. 12—19 und 21 des
Reichsgesetzes bezeichneten Absperrungs- und Aufsichtsmassregeln
auch über die in dem §. 8 des Gesetzentwurfs bezeichneten Gren¬
zen hinaus oder auf andere übertragbare Krankheiten aus¬
gedehnt werden können. Aber auch hierzu soll nur das Staats¬
ministerium in besonderen Ausnahmefällen ermächtigt und die
Anordnung nur vorübergehend zulässig sein, wenn und so lange
die Krankheiten in epidemischer Verbreitung auftreten. Eine Aen-
derung dieser Bestimmung im Sinne der zu §. 5 gegebenen Aus¬
führungen ist dringend erwünscht.
Betreffs der bei den einzelnen Krankheiten als nothwendig
anerkannten Schutzmassregeln dürfte hervorzuheben sein, dass
eine Kennzeichnung der Häuser eher bei Diphtherie und
Scharlach als bei Rückfallfieber und Typhus erforderlich
werden kann, dass sich dagegen bei den beiden zuletzt genannten
Krankheiten auch die Beobachtung krankheitsverdächtiger Personen
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900. 177
empfiehlt und bei Diphtherie ebenso wei bei Scharlach das Verbot
oder die Beschränkung der Ansammlung grosser Menschenmengen
(§. 15 Nr. 3) in Frage kommen kann. Ungeteilten Beifall wird die im
§. 8 unter Nr. 3 Abs. 2 bei Kindbettfieber vorgesehene Bestim¬
mung finden, dass Aerzte u. s. w. in jedem Falle, in welchem sie
zur Behandlung einer am Kindbettfieber Erkrankten zugezogen
werden, unverzüglich die bei derselben thätige oder thätig gewe¬
senen Hebamme zu benachrichtigen haben; diese Bestimmung be¬
steht z. B. seit über 10 Jahren im hiesigen Regierungsbezirke
und hat sich vorzüglich bewährt. Nicht minder kann man der
weiteren Vorschrift zustimmen, dass Hebammen und Wochenbett-
pflegerinnen, die bei einer am Kindbettfieber erkrankten Wöch¬
nerin thätig waren, nicht vor Ablauf von 8 Tagen nach Been¬
digung dieser Thätigkeit und vor gründlicher Reinigung und
Desinfektion ihres Körpers, ihrer Wäsche, Kleidung und Instru¬
mente eine andere Entbindung oder Wochenpflege übernehmen
oder eine Schwangere ärztlich untersuchen dürfen. Diese Frist
ist allerdings etwas lang bemessen, aber da sie jeder Zeit ab¬
gekürzt werden kann, wenn der beamtete Arzt dies für unbedenk¬
lich erklärt, so kommt sie nur dann zur Anwendung, wenn
Hebammen oder Wochenbettpflegerinnen sich der Kontrolle des be¬
amteten Arztes entziehen, und für diese Fälle ist sie nicht zu lang.
Mit den übrigen Bestimmungen des Gesetzentwurfs über das
Verfahren der Behörden (§§. 12 u. 131, die Entschädigun¬
gen (§§. 14—24) und Kosten (§§. 25—28) kann man sich nur
einverstanden erklären; sie bringen z. Th. ganz ausserordentliche
Verbesserungen im Vergleich zu den bisherigen Bestimmungen,
insbesondere gilt dies betreffs der Vorschrift im §. 25, dass die
Kosten der amtsärztlichen Feststellung einer gemeinge¬
fährlichen u. s. w. Krankheit, sowie die Kosten, welche durch die
Betheiligung des beamteten Arztes bei der Anordnung, Leitung
und Ueberwachung der Schutzmassregeln gegen diese Krankheiten
entstehen, der Staatskasse zur Last fallen. Nicht minder wichtig
ist ferner die Vorschrift im §. 27, wonach die Gemeinden auf Er¬
fordern der Polizeibehörden schon zu seuchefreien Zeiten diejenigen
Einrichtungen zu treffen haben, welche zur Bekämpfung der ge¬
meingefährlichen oder sonst übertragbaren Krankheiten nothwendig
sind, und dass die Kreisverbände nach §. 28 unvermögenden Gemein¬
den hierzu eine Beihülfe zu gewähren haben, sowie vom Regierungs¬
präsidenten verpflichtet werden können, derartige Einrichtungen
aus eigenen Mitteln zu treffen, wenn diese Bedürfnisse über
die Grenzen einer einzelnen Gemeinde hinausgehen. Sind damit
auch nicht alle Forderungen erfüllt, welche die vorjährige Haupt¬
versammlung des Preussischen Medizinal-Beamtenvereins in Bezug
auf die Regelung der Kostenfrage als wünschenswerth bezeichnet
hat, so ist dies doch annähernd geschehen und vor allem einer
etwaigen Ueberlastung der Einzelgemeinden vorgebeugt. Gerade
bei der Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten sollte man
bestrebt sein, die entstehenden Kosten entsprechend 7 den daraus
erwachsenden Nutzen mehr auf breitere Schultern, Kreis, Provinz
178
Besprechungen.
und Staat, zu vertheilen; wenn der Gesetzentwurf nach dieser
Richtung hin im Landtage noch einige Abänderungen erfahren
sollte, so würde ihm dies nur zum Vortheil gereichen.
Bei den Straf Vorschriften (§§. 29—31) ist insofern eine
Milderung gegenüber dem Reichsgesetze eingetreten, als im §. 29
nur eine Gefängnissstrafe bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe
von 600 Mark (statt einer Gefängnissstrafe von drei Jahren und
bei mildernden Umständen Geldstrafe von 1500 Mark), und im
§. 30 keine Mindeststrafe wie im Reichsgesetz (10 Mark) vor¬
gesehen ist.
Der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes soll durch
Königliche Verordnung bestimmt werden, um für die Herstellung
aller erforderlichen Ausführungsarbeiten die erforderliche Zeit zur
Verfügung zu haben. Zur Erleichterung des Verständnisses und
der praktischen Handhabung des Gesetzes sollen den mit seiner
Ausführung betrauten Behörden ausführliche, das Verfahren bei
jeder einzelnen Krankheit erschöpfend behandelnde Anweisungen
in die Hand gegeben werden, desgleichen sollen die Laienkreise
durch gemeinverständliche Belehrungen über das Wesen und die
Verbreitungsweise der übertragbaren Krankheiten aufgeklärt und
dadurch nicht nur zur Erfüllung der gesetzlichen Anzeigepflicht
in Stand gesetzt, sondern auch durch sonstige geeignete Anre¬
gungen und Hinweise auf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung
zur Unterstützung und wirksamen Mitarbeit herangezogen werden.
Auch dieses Vorgehen kann man nur mit Freuden begrüssen.
Als s. Z. das Reichsseuchengesetz erlassen wurde, haben
wir es lebhaft bedauert, dass sich dieses nicht auch auf die ein¬
heimischen ansteckenden Krankheiten erstreckte. Durch den jetzt
vorgelegten Gesetzentwurf wird jener Mangel für Preussen in
zweckentsprechender Weise abgeholfen werden; er bildet einen
weiteren ausserordentlichen Fortschritt nicht nur auf dem Gebiete
der Seuchenbekämpfung, sondern auf dem Gebiete des öffentlichen
Gesundneitswesen überhaupt, und ist in allen seinen Einzelheiten
so wohl durchdacht und den praktischen Bedürfnissen, wie den
wissenschaftlichen Anschauungen angepasst, dass er, abgesehen
von den vorher besprochenen Punkten, namentlich in den Kreisen
der Medizinalbeamten allseitige Zustimmung finden wird. Hoffent¬
lich wird ihm diese in gleichem Maasse auch seitens der beiden
Häuser des Landtages zu Theil, so dass er noch in der diesjährigen
Session zur Verabschiedung gelangt!
Besprechungen.
Prof. Dr. Bumm- Halle a. S., Grundriss zum Studium der Geburts¬
hülfe. In 28 Vorlesungen und 575 bildlichen Darstellungen. Wiesbaden
1902. Verlag von J. F. Bergmann.
Wer die geburtshfllf liehe Litteratur der letzten Jahrzehnte verfolgt hat,
wird die Beobachtung gemacht haben, dass gerade für die pädagogische Seite
ausserordentlich viel gethan wurde und dass wir immer über eine Serie aus¬
gezeichneter Lehrbücher vertagen, welche in immer wieder erscheinenden
Auflagen auoh den neuesten Errungenschaften Rechnung tragen; ich brauche
nur an das klassische (ursprünglich Sehr öd er’sehe) Lehrbuch von Olshausen-
Besprechungen.
179
Veit, das beliebte Runge’sche, dasv. Winkel’scheundZweif el’ sehe sowie
du vor 3 Jabren erschienene Ahlfeld’sche Lehrbuch zu erinnern. Gerade
du letztere bat insofern allgemeines Aufsehen erregt, als der Verfasser den
Anschauungsunterricht durch eine reichliche Anzahl instruktiver Abbildungen
sehr wesentlich zu fordern suchte. Hit dem Erscheinen des Bumm’sehen
Werkes ist nun diese Litteratur um ein hOchBt originelles Werk bereichert
worden, welches durch Ausstattung und den ausserordentlichen reichen Inhalt
an künstlerisch ansgefübrten (575!) Abbildungen alle bisher erschienenen über*
trifft und sich hierdurch schon von selbst zu einem Prachtwerk ersten Banges
stempelt. Bei der pädagogischen Bedeutung des Werkes für den theoretischen
geburtahfilflichen Unterricht erscheint es gerechtfertigt, dasselbe in Binsicht
auf Text und bildnerischen Schmuck etwas genauer zu prüfen.
Der Text ist in Form von Vorlesungen gehalten, welche das ganze
Gebiet der Physiologie und Pathologie der Schwangerschaft, der Geburt, des
Wochenbettes völlig erschöpfen und mit einem kurzen Abriss der operativen Geburts¬
hilfe ihren Abschluss finden. Weicht das Werk in der Einsicht viel von den
üblichen Lehrbüchern ab, so erleichtert aber gerade diese Form es dem Leser,
sich in anregender Weise in das grosse Gebiet der Geburtthülfe einzuarbeiten;
auch hat es der Verfasser trefflich verstanden, dem Leser mit den neuesten
Errungenschaften der geburtshülflichen Forschung, welche der Arzt wie der
Studirende nicht so zu verfolgen im Stande ist, in klarer Form bekannt zu
machen. Eine gedrängte Uebersicht dürfte den reichen Inhalt des Werkes
andeuten.
Der physiologische Theil wird durch einen Rückblick auf die historische
Entwicklung der Geburtshülfe eingeleitet und umfasst die Vorlesungen 1—18.
Obwohl der Schwerpunkt hier, wie in den späteren theoretischen Auseinander¬
setzungen auf der bildlichen Darstellung liegt, so findet der Leser doch eine
so vollständige textliche Bearbeitung, dass er neben den bekannten Lehren
auch über das Neueste sich bequem orientiren kann. Gerade die neuesten Unter¬
suchungen über die Einbettung des Eies, welche dem Praktiker nur schwer
zugänglich sind, werden in klarster Weise vorgetragen und, was gerade hier für
das Verständnis so wichtig, dorch ausgezeichnete Bilder illustrirt. Verfasser
hat die jüngsten Veröffentlichungen über die ersten Stadien der Entwicklung
beim menschlichen Ei, wie Bie von Peters, Graf Speeu. A. vorliegen,
und welche zum Theil veraltete Anschauungen, wie solche über die Reflexa-
bildung über Bord werfen, verwertbet (vgl. Fig. 49 und 50) und auch durch
instruktive eigene Präparate (Fig. 52-56) erläutert. Es reihen sich hieran,
gleichfalls reich illustrirt, die Abschnitte über Physiologie des Foetus, Ath-
mung und Ernährung (Vorl. 3 und 4), Haltung und Lage der Frucht (Vorl. 5),
Veränderungen des KOrpers durch die Schwangerschalt (Vorl. 6) sowie über
die Diagnose der Schwangerschaft (Vorl. 7) an. Bei der Diagnostik der
Schwangerschaft hätten die von anderer Seite beobachteten Erscheinungen der
Pulsation sowie die Veränderungen in der Konsistenz, auf welche Ahlfeld
aufmerksam machte, vielleicht erwähnt werden dürfen. Mit Vorlesung 8 beginnt
die Beschreibung der Geburtsvorgänge, speziell der austreibenden Kräfte und
des Geburtskanals; mit Hecht sind bei der Beschreibung des Beckens die geburts-
bülflich unwichtigen Beckenebenen nicht beschrieben, um so deutlicher lernen
wir aber den durch die gesunden Weichtheile in ihrer physiologischen Thätig-
keit gebildeten Geburtskanal kennen (vgl. Fig. 140—142;, ebenso die Ver-
Inderlichkeit des Beckenraumes bei verschiedenen Haltungen der Frau. Die
9. Vorlesung beschäftigt sich mit der Geburt als solcher. Bei der Beschreibung
des Geburtskanals (S. 171) muss demjenigen, welcher in dieser Beziehung
bisher der Schröder'sehen Auffassung folgte, auffallen, dass der Verfasser
den Kontraktionsring mit den inneren Muttermund für identisch ansiebt, also
der ursprünglich Ban dl’sehen Auffassung sich anschliesst. Bei der Be¬
schreibung der Nacbgeburtszeit wird der Duncan’scbe als der häufigere
gegenüber dem, von mancher Seite als häufiger beschriebenen B. Schaltzeichen
»gegeben; jedoch sind die Ansichten hierüber doch noch getheilt. In Fig. 16S
ist treffend der Vorgang der Lösung der Placenta nach Beobachtung an der
Lebenden, soweit er sich äusserlich verfolgen lässt, dargestellt. Auch über
die Art der LoslOsnng geben die folgenden mikroskropischen Bilder (Fig. 170—1711^
demjenigen, welcher nie Gelegenheit hatte, am Präparat diesen Vorgang zr
studiren, ein klares Bild hiervon. Die Retraktion des Uterus post partur
186
Besprechungen.
wird dnreh einige instruktive Schnitte durch den Uterus (Fig. 178) erllntert;
wir sehen hier deutlich, wie lediglich durch die gute Betr&ktion der Muskel¬
fasern der Verschluss der Uteropl¢agefässe bewirkt und eine Nachblutung
hierdurch verhütet wird; eine Thrombose, die man früher als wesentlich be¬
schrieb, kommt garnicht in Betracht, sondern findet sieb, wie Fig. 174 dax-
steilt, nur bei schlecht kontrahirtem Uterus. Nach Verfasser ist Thrombose
also gleichbedeutend mit. unvollkommener Retraktion der Muscularis und stellt
somit einen anormalen Zustand dar. Ausgezeichnet ergänzen sich Text and
Bild im Abschnitt .Geburtsmechanismua“ (Vor). 10). Wir lernen die Ein¬
stellung und die Drehungen des Kopfes bei der Hinterhauptlsge und der hier
vorkommenden Variante, der „hinteren Hinterhauptlage“ (= Rotation des
Hinterhauptes nach hinten) in Wort und Bild kennen; bezüglich der Ein¬
stellung der Kopfes auf den Beckeneingang findet auch die von de Seignenx
gemachte, vielfach auch anderseits bestätigte Beobachtung Erwähnung, dass
bei Erstgebärenden mit straffen Bauchdecken der Kopf mitunter in Hinter¬
scheitelbeineinstellung auf daB Becken tritt, bei Mehrgebährenden dagegen
häufiger die Vorderscheitelbeineinstellung sich findet. Die Drehung der kleinen
Fontanelle nach vorn („zweite Drehung“) wird mit Olshausen von der
Drehung des Rückens abhängig gemacht. Vorlesung 11 behandelt den „klinischen
Verlauf der Geburt“; hier dürfte gerade die Frage der Desinfektion, Aber
welohe in letzter Zeit so viel hin und hergestritten wurde, besonderes prak¬
tisches Interesse beanspruchen.
Mit Recht weist bezüglich der gebnrtshttlfliehen Prophylaxe
der Verfasser auf die Schwierigkeiten hin, mit welchem der Praktiker
draussen zu kämpfen hat. Unter den verschiedenen Möglichkeiten der
Infektion wird die Selbstinfektion als zweifelhaft angesehen, aber nicht
ganz ausgeschlossen. Zur Vermeidung der Infektion empfiehlt Verfasser in
erster Linie neben der subjektiven peinlichsten Antisepsis eine gründliche
Reinigung des Operationsfeldes, wesentlich der äusseren Genitalien; vaginale
Spülungen sind nach Verfasser unnöthig, es wird aber zugegeben, dass, wenn
richtig ausgeführt, dieselben nichts schaden, ein Standpunkt, der wohl von
den Meisten bezüglich der Gebnrtshülfe in praxi vertreten wird. So berechtigt
die Forderung der strengsten Desinfektion der Hand erscheint, so muss doch
anderseits zugestanden werden, dass es kein Mittel giebt, welches eine völlig
sichere Keimfreiheit der Haut herzustellen im Stande wäre (S. 227). „Wer
von einer Methode behauptet, dass sie stets sichere Keimfreiheit erziele, ver¬
spricht mehr als er halten kann“ (ib.). So skeptisch diese Ausführungen be¬
züglich der Möglichkeit der subjektiven Desinfektion klingen mögen, so müssen
sie bezüglich der rauhen Hand der Hebammen zugegeben werden, und dies
giebt uns mit einen Fingerzeig in der Hebammenfrage bezüglich der Be¬
schäftigung und Nebenbeschäftigung der Hebamme. Für die Praxis erscheint
aber trotzdem nach Verfasser die protahirte Fürbringer’sche Methode als
die brauchbarste: 10 Minuten warmes Wassers und Seife, 6 Minuten Bürsten in
70—80 # /o igem Alkohol, dann in 1 '/ M igem Sublimat. (Referent, welcher Jahre
lang auch nach dieser Methode gearbeitet und nie einen Fall von Infektion
erlebt hat. möchte diese Methode gegenüber dem neuerdings gebrauchten, un¬
sicheren Lysoform sehr empfehlen!) Sehr wichtig erscheint für den vielbe¬
schäftigten Praktiker, dass, wenn innerhalb der letzten zweimal 24 Stunden
Berührung mit Infektionsstoffen stattgefunden hat, Verfasser entweder Abstinenz
oder Gebrauch von Gummihandschuhen, wie sie, in Gaze verpackt, sich leicht
trocken sterilisiren lassen, fordert. Das Einfetten des Fingers wird mit Recht
als überflüssig verworfen. Ein sehr praktisches Verfahren besteht darin, nach
Art eines Reisekorbes schon vor der Geburt Verbandstoffe, Tücher u. s. w.
zu sterilisiren und bis zum Gebrauch staubfrei aufzubewahren. Bezüglich der
Durchführung der Antisepsis am Gebärbette sei der Leser auf die S. 280 ff.
empfohlenen sehr praktischen Mnssnahmen verwiesen. Fig. 207 illustrirt den
Dammschntz in anschaulichster Weise, jedoch hätte die linke Hand, welche
das jähe Dnrchtreten des Kopfes verhüten soll, mit gezeichnet werden können.
Die Ould-Ohlhansen’sche Modifikation des Dammschutzes dürfte vielleicht
zweokmässig, um die Hand aseptisch zu lassen, durch die Expression vom
Hinterdamm nach Ritgen-Löhleinzu ersetzen sein.' Sehr zweckmässig und für
den Praktiker werthvoll ist die bildliohe Darstellung der Episiotomie, welche auf¬
fallender Weise vielen jungen Aerzten nicht bekannt ist (cf. Fig. 212—218),
Besprechungen.
181
tker doch geeignet ist, mitunter dem Einreissen vorzubeugen. Die neuerdings
▼am M&rtin u. A. empfohlene starke Kürzung der Nabelschnur und Anlegung
einer Seidenligatur eignen sich, wie Verfasser sagt, nicht für die Praxis.
Mit Recht legt Verfasser der Besprechung der Nachgeburtsperiode einen ganz
besonderen Werth bei (ein Qrnndsatz, welcher besonders im Hebammenunter-
neht beachtet werden sollte; Bef.); denn „von der richtigen Ablösung und
Klimmirnng der Nachgeburtstheile ist der Verlauf des Wochenbettes ebenso
sehr abhängig, wie von der Handhabung der Antiseptik.“ Sozusagen als ab¬
schreckendes Beispiel lernen wir in der, dem Scanzoni’sehen Lehrbuch ent«
nommenen Figur (Fig. 217) den schädlichen alten „inneren Hand grill“ kennen
und im Gegensatz dazu, in den Figuren 219, 220 trefflich dargestellt „den
iwsoren“ Handgriff, wiederum als Gegenstück zu dem ursprünglich Credö’schen
(Fig. 218), da ja bei dem äusseren Handgriff die spontane Lösung der Placenta
«nt abgewartet wird. Das Einzige, was in Bild und Text hier auffällt, ist, dass
in Figur 219 die eine Hand einen sanften Zug an der Nabelschnur ausübt und
aneh im Texte (S. 249) dieser Zug als Unterstützung der Entwicklung der
Plaoenta beschrieben wird. Referent möchte bezweifeln, dass jüngere Aerzte
immer genau unterscheiden, ob die Placenta noch in utero oder beroits unter¬
halb liegt. Für das Verständniss der Involutionsvorgänge im Wochenbett
(VorL 12) sind die Figuren 222, 225 und 226 z. Tb. nach Präparaten des
Verfassers gezeichnet, ausserordentlich werthroll. Dem ersten Einsetzen der
Brustthäthigkeit wird ein gewisser Einfluss auf das Allgemeinbefinden zu¬
gestanden (S. 264) und eine, um einige Zehntelgrad stattfindende Erhöhung
der Temperatur als „Milchfieber“ bezeichnet, dabei aber hervorgehoben, dass
höheres Fieber stets auf andere Ursachen zurückgeführt werden muss. Als
Anhang zur Diätetik der Wöchnerin wird zweckmässig die Diätetik des Neu¬
geborenen besprochen. Bezüglich der gonorrhoeischen Entzündung der Binde¬
haut wünscht Verfasser zur Verhütung die obligatorische Durchführung des
C red 6’sehen Verfahrens. Auch weist er mit Recht darauf hin, dass auf den
Nabelverband grössere Sorgfalt gelegt werden solle. Bezüglich der Ernährung
der Neugeborenen schliesst sich Verfasser den neuesten Anschauungen an,
welche mit Recht eine relativ geringere Verdünnung der Kuhmilch anstreben,
so dass nach 4 Monaten dem Kinde bereits unverdünnte Kuhmilch gereicht
werden dürfte.
Vorlesung 13, welche die mehrfache Schwangerschaft, auch die Doppel-
Unbildungen behandelt, bildet somit den Uebergang zur Pathologie der
Schwangerschaft, welche in den Vorlesungen 14—18 ausführlich beschrieben
wird. Bei den Lageveränderungen der schwangeren Gebärmutter unterscheidet
Verfaner mit Recht (im Gegensatz zu anderen Lehrbüchern) die Retroversio
von Retroflexio Uteri gravidi. Die Möglichkeit der Aufrichtung der Retroflexio,
welche von jedem erfahrenen Geburtshelfer häufig genug beobachtet ist, wird
durch Fig. 260 u. a. erläutert; auch die im Ganzen selten beobachtete Retro-
flexio uteri gravidi partialis (von welcher Ref. zwei ausgesprochene Fälle mit Ein¬
klemmung sah), wird in Fig. 262 abgebildet. Jedenfalls erscheint die Erwähnung
praktisch wichtig, dass die Aufrichtung des retrovertirten graviden Uterus mit¬
unter erheblich schwieriger ist. Bei der Differenzialdiagnose dieser Retro-
deviation hätte vielleicht die Hämatocele retrouterina noch erwähnt werden
können. Bei der Komplikation der Schwangerschaft mit Myom weist der Ver¬
loster darauf hin, dass hier die Gefahren mitunter übertrieben dargestellt
werden. Fig. 270 veranschaulicht einen Fall, in welchem ein im unteren Uterin-
aegment sitzendes Myom sich bei der Geburt einkeilen kann. (Ref. sah den
analogen Fall und konnte das eingekeilte Myom nach Wendong der Frucht
und AnwendungdesSigemundin’sehen Handgriffes in Narkosereponiren.) Für
gonorrhoische Katarrhe in der Schwangerschaft empfiehlt Verfasser die 1 °/ 0 ige
Ichthyollösungen zu Irrigationen, welche jedenfalls mehr Linderung geben, als
die anderseits empfohlenen Karbolirrigationen. Durch ausgezeichnete Bilder,
vielfach nach Originalpräparaten des Verfassers, ist der Abschnitt über
ektopisehe Schwangerschaft (Vorl. 16) erläutert. Der tubare Abort muss auch
nach Verfasser als der häufigere Ausgang angesehen werden. Bezüglich der
Missbildungen der Frucht (Vorl. 17) wurde zweckmässig nur dasjenige
schrieben, was geburtshülflich von Interesse ist. In diesem Zusammenhang
ladet sich auch die Blasenmole abgehandelt. Bei der Geburt der Blar
arte ist der Hinweis darauf, dass die spontane Ausstossung durch die We
182
Besprechungen.
besser und sicherer erfolgt, als die geschickteste Hand es vermag, für
den Praktiker sehr beherzigenawerth, ebenso die sehr berechtigte Warnung
vor dem Gebrauch von Instramenten für die Ausräumung. Die Fehl¬
geburt (Vorl. 18) wird zweckmässig in zwei Abschnitten abgehandelt, als
uakomplizirte und komplizirte Fehlgeburt. Auch der in praxi so wichtige
putride und septische Abort wird genau besprochen; bei ersterem dringen
Fäulnisskeim wobl ein, aber nicht tiefer in das Gewebe, während bei dem
letzteren Wandkeime tiefer in die Gewebe gelangen; immerhin wird auf die
Erfahrung hinge wiesen, dass in Folge der geringen Entwicklung der Lymph-
und ßlatbahnen die Sepsis hier einen milderen Verlauf, als nach Geburten in
späterer Zeit nimmt. Trotzdem wird mit Recht hervorgehoben, dass der
Abort nicht als so harmlos hingestellt werden darf, wie es von manchem
Arzte, besonders aber von Hebammen (und vor Allem den indolenten Frauen
selbst — Ref.) geschieht. Bei der Ausräumung wird der digitalen vor der instru-
monteilen der Vorzug gegeben; von Caretten darf höchstens eine stampfe
grosse, wie Bie in Fig. 827 dargestellt ist, gebraucht werden. Sehr empfehlens-
werth erscheint es, bei zersetzten Eihautresten eine 50°/ 0 ige Alkoholspülung
ansusahliesaen.
In der Pathologie der Gebar t(Vorl,19—26) wird den praktisch wich¬
tigen Geburtsstörungen von Seiten der Mutter (Fehlen der Wehenthätigkeit,
enges Becken, Blatungen), ein breiter Raum gewidmet. Bei der Besprechung der
Wehenschwäche warnt Verfasser mit Recht vor Secale, welches mitunter Krampf-
zastfinde des Uteras hervorufen kann. Die falschen Lagen des Kindss werden
durch wnnder volle Abbildungen so klar besprochen, dass der Leser sich auch
ohne Phantom in die verschiedenen GeburtsmechaniBmen hineindenken kann;
sehr treffend stellt Fig. 319 die schwere Geburtskomplikation bei der Stirnlage
dar. Auch in der Pathologie des engen Beckens ist der Anschauung, besonders
bei der Diagnose des Beckens reichlich Rechnung getragen; zur Diagnostik
der Beckenform an der Lebenden ist die beigegebene Tafel (S. 619) ausser¬
ordentlich lehrreich, zamal man sich nur allzuleicht an die Betrachtung des
knöchernen Beckens gewöhnt, gegenüber der Beobachtung an der Lebenden.
Durch jene Figuren prägen sich aber die verschiedenen Beckentypen am besten
ein. Das praktisch wichtigste Kapitel der Blutungen während und nach
der Gebart, Rissblatangen u. s. w. wird damit eingeleitet, dass Verfasser
darauf hinweist, mit welchen Schwierigkeiten der Arzt, auf sich allein an¬
gewiesen, zu kämpfen hat, dass sich aber nur derjenige zu helfen weise, welcher
mit den Ursachen der Blutungen und den bewährtesten Mitteln zur Bekämpfung
derselben vertraut ist. Ein Studium dieses Kapitels (Vorl. 26) gerade lässt
den Leser in dieser Hinsicht auf die Blutungen in keiner Weise im
Unklaren. Wie sich die Uteruswand bei Verblutung, bes. die Placentastelle
verhält, ersieht man deutlioh aus der Fig. 466. Für die Entstehung der
Placenta praevia wird nicht für alle Fälle die Bildung einer Refiexaplacenta
im Sinne der Hofmeier-Kaltenbaoh’scheu Theorie angenommen, sondern
auch die Möglichkeit einer tiefen Insertion des Eies in Fig. 473 erläutert.
Den Praktiker dürfte besonders die Therapie interessiren; zu Beginn der
Geburt feste Tamponade mit Jodoformgaze, bei weiteren Wehen Wendung anf
den Fass; dabei ist zu beachten, dass der Kreissenden möglichst Blut zu er¬
sparen ist. Mit Erfolg ist vom Verfasser nach den Blasensprung auch die
Metreuryse verwendet worden. Die Metreuryse, welche auch vom Praktiker
darchgeführt werden kann, soll den tiefer tretenden Kopt ersetzen, drückt die
PUceata zar Seite und hat dabei den Vortheil in schonender Weise den Cervix
für die nachfolgende Extraktion wirksam zu erweitern; die Gefahr des Cervix¬
risses ist dabei erheblich geringer als bei der Extraktion im Anschluss an die
kombinirte Wendang ohne vorhergehende Erweiterung. Dass bei partieller
Lösung der Placenta nicht immer es sich um die „Verwachsung“ handelt,
welche ja von vielen Praktikern zu häufig diagnostizirt wird, wird in S. 605
klar auseinander gesetzt; überhaupt bat der Begriff „Verwachsung“, zu
dem doch auch das anatomische Substrat der entzüadliohen Stränge an
der Placenta gehört, von jeher viel zu viel Verwirrung hervorgerufen.
Viel häufiger scheint doch die unvollkommene Lösung, die ungünstige
Insertion der Placenta in einer Tabenecke oder am Fundus die Ursache
der Nachgeburtsblutung zu sein. Fig. 485 ist die Retraktion der Placenta
bei Striktur des inneren Muttermundes, welche ja nicht von Allen zu-
Besprechungen.
188
gegeben wird, dargestellt. (Bef. sah zwei solcher Fälle mit mehr als 15 ständiger
Verhaltung, bei welcher die Striktnr wahrscheinlich durch allzngrosse Secale
gaben hervorgernfen war; -vgl. Zeitschrift für prakt. Aerzte 1898;. Die Gefahr
der manuellen Lösung wird in wirksamer WeiBe geschildert; nach Bnmm
beträgt die Mortalität bei dieser Operation noch 10 °/ 0 !, ist also grösser als
beim Kaiserschnitt! Diese Zahlen sollten Jedem vor Angen schweben, bei der
Indikationsstellnng zu dieser so gefährlichen Operation, welche wohl Keiner
indikationslos vornehmen wird. Verfasser empfiehlt hierfür auch den Gebrauch
der Gummihandschuhe und im Anschluss an die Operation üterus-Alkohol-
sptllung, welche (wie sich Bef. auch überzeugen konnte) jedenfalls erhebliche
Vorzüge vor den nicht ungefährlichen antiseptischen Spülungen hat. Fig. 492—493
wird demjenigen interessiren, welcher die Dührssen’sche Tamponade öfters
ausgeführt hat; jeder sieht sofort, worauf es bei einer guten Tamponade
ankommt. Vor der Eisenchloridlösung, welche wohl Niemand mehr verwendet,
wird nochmals gewarnt. Auch die Inversio nteri, welche glücklicher Weise
selten noch vorkommt, wird nach einem Originalpräprarat der Hallenser Klinik
in Fig. 497 dargestellt. Die Blutungen im Puerperium werden im Zusammenhang
an dieser Stelle besprochen; auch hier wird gegenüber der viel gefährlicheren
Curettage die digitale Ausräumung in erster Linie empfohlen.
Ist dieses Kapitel von grossem geburtshülflichem und praktischem Interesse,
so hat neben dieser die Vorlesung 24, welche die Zerreissung der weichen Ge¬
burtswege schildert, dazu noch eine grosse forensische Bedeutung. Bezüglich
der einfachen Zerreissungen des Dammes und der Scheide wird dem Praktiker
interessiren, dass Verfasser auf Grund reichlicher Erfahrungen das Cumolkatgut
als Nähmaterial empfehlen kann; Beferent, welcher seit Einführung des Cumol¬
katgut durch Kroenig dasselbe in praxi fast ausschliesslich gebraucht bat,
kann dies vollkommen bestätigen. Das nicht allzu häufig vorkommende Er¬
eigniss des Haematoma vulvae bezw. vaginae wird in Fig. 455 und 456 dar¬
gestellt. Für viele, welche diese nicht ungefährliche Verletzung noch nicht
gesehen haben, ist diese Abbildung doppelt instruktiv. (lief, sah zwei Fälle
in der Klinik, welche s. Zeit von Löhlein beschrieben wurden, und konsul¬
tativ einen Fall, welcher vernachlässigt war und durch putrid-septische In¬
fektion nach Durchbruch in die Vagina zum Exitus führte). Die Abbildungen,
welche sich auf die Uterusruptur beziehen, werden nicht nur den Praktiker,
sondern auch den Gerichtsarzt interessiren.
Mit der Besprechung der Eklampsie (Vorl. 26), bei welcher die neuesten
Erfahrungen bezüglich der Aetiologie, bes. hinsichtlich der Therapie berück¬
sichtigt sind, findet die Besprechung der Pathologie der Geburt, ihren Abschluss.
Von der Pathologie des Wochenbetts (Vorl. 27—28) wird die puer¬
perale Infektion am ausführlichsten besprochen, während die anderweitigen Er¬
krankungen nur in gedrängter Kürze erwähnt werden. Die Frage der Entstehung
und Ausbreitung der Infektion muss den Leser umsomehr interessiren, als der
Verfasser gerade auf diesem Gebiete bahnbrechende wissenschaftliche Arbeiten
früher veröffentlicht hat;, es sei in dieser Hinsicht gerade auf diesen Abschnitt
verwiesen, welcher sowohl durch mikroskopisch bakteriologische Abbildungen,
alz auch typische Fieberkurven instruktiv erläutert ist. Gerade die Verbreitung
der Mikroben bei der putriden wie der septischen Infektion wird dem Leser
durch die Fig. 506, 507, 510 und 511 klar vor Augen geführt. Bezüglich der
Therapie der stattgehabten Infektion, welche ja in vielen Fällen schwerer In¬
fektion machtlos ist, interessiren die Bemerkungen über das Antistreptokokken¬
serum. Die Erfahrungen sind keineswegs gleich günstige. Mitunter ist bei
der reinen depticaemie Heilung nach 30—50 gr schon gesehen worden. Jeden¬
falls „da üble Nebenwirkungen nicht zu befürchten sind, ist die Serumbehand-
lang immerhin eines Versuches werth.“ Selbstverständlich muss das Mittel
so früh als möglich nach stattgehabtem Nachweis der Streptokokken verab¬
reicht werden. Sehr wichtig für den Praktiker ist d e Bemerkung, dass das Fieber
an sich keine besondere Behandlung bedarf; wie oft wird gerade durch anti-
E 'iche Mittel, abgesehen von der Schwächung des Herzens, das typische
he Bild, die Temperaturkurve, verwischt! Das operative Eingreifen
(Totalexstirpation) hat nach B. bis jetzt noch keineswegs glänzende Erfolge
gezeigt. Verfasser erwähnt schliesslich noch die neuerdings wieder empfohlene
Unterbindung bezw. Exstirpation der virulenten thrombosirten Venen (V. bypo-
gastrioa bezw. spermatioa). — Mit der Besprechung der Mastitis wird die Patho-
184
TageBnachrichten.
logie des Wochenbetts abgeschlossen und als Anhang folgt in Vorl. 29 als Ab-
schloss des gansen Werkes eine gedrängte Uebertücht der gebortshOlflichen
Operationen, welcher gleichfalls in dankenswerther Weise vorzügliche Abbil-
dongen der üblichsten Operationen beigegeben sind.
In dieser tibersichtlichen Besprechung ist der reiche Inhalt des vortreff¬
lich geschriebenen Werkes nur Genüge angedeutet. Klar und prisise werden
in frischem, lebendigem Vortrage die Grundlehren der Geburtskunde und der
Geburtshtllfe im engeren 8inne erläutert, und der Leser wird hinreichend rar
eigenen Beobachtung, aber auch zu Litteraturstudien angeregt, obwohl Litte-
raturangaben sorgfältig vermieden sind. Die kleinen Abweichungen gegen
eadere Anschauungen, wie sie oben angedeutet sind, rnttssen gegenüber dem
Werke als Ganzem völlig untergeordnet betrachtet werden. Wir mÜBsen dem
Verfasser für die Herausgabe des Werkes, welches das Prinzip des Anschauungs¬
unterrichts in trefflichster Weise verfolgt, in pädagogischer Hinsicht
ausserordentlich dankbar sein. Nicht nur die Ausführung der Abbildungen,
welche der Verfasser in die Hände eines ausgezeichneten Künstlers gelegt
hat, sondern auch die Auswahl derselben sind ein Beweis dafür, wie ernst er
es mit dem Unterricht in der Geburtshtllfe nimmt; es ist sozusagen kaum
eine Frage nicht illustrirt in dem Buchet Wir finden neben einigen wenigea
schematischen, aber sonst plastisch wirkenden Bildern hauptsächlich vor Allem
eine grosse Anzahl ausgezeichneter Originalzeichnnngen nach Präparaten der
Basler wie Hallenser Klinik, aber auch nach Zeichnungen und Entwürfen
Bumm’s im Anschluss an interessante Geburtsfälle, und nicht etwa, wie so
vielfach üblich, Bilder, die anderen Werken entlehnt sind. Die Zeichnungen
sind besonders für den Unterricht in der Geburtshülfe, für Studirende wie
auoh für Hebammen, von unberechenbarem Vortheil; in dieser Hinsicht mochte
ich vor Allem dem Studirenden das Werk dringend zum Studium
empfehlen! Aber auch für den Praktiker, welcher den wissenschaft¬
lichen Fragen in der Geburtshülfe meist nur nach Referaten in Zeitschriften
folgen kann, dürfte das Werk eine anregende, interessante Be¬
reicherung in der Bibliothek bilden; stempelt es sich doch durch den
reichen bildnerischen Schmuck von selbst zu einem geburtshfllflichen
Atlas von bleibendem Werthe.
Schliesslich mochte ich das Werk den Herren Kreisärzten empfehlen und
zwar für einen besonderen Zweck: Bekanntlich haben die Kreisärzte dieHeb-
ammennacbprttfungen abzuhalten; hier wird manche Frage besprochen und soll
klaTgestellt werden; Bumm’s Buch füllt hier die seither bestehende Lücke
vollkommen aus.
B.’s Werk, für welches die bekannte B erg man n’sche Verlagshandlung
es an nichts hat fehlen lassen, wird sich jedenfalls in kurzer Zeit viele Freunde
erwerben und durch die illustrirte Ausstattung auch vorbildlich wirken für
zukünftig erscheinende Bücher.
Ich wünsche dem Werke aus vollster Ueberzeugung die weiteste Ver¬
breitung. _Dr. Walther-Giessen.
Tagesnachrichten.
Der dem preussischen Abgeordnetenhause wieder vorgelegte Entwurf
eines Gesetzes, betr. die Gebühren der Medizinalbeamten, entspricht
seinem Wortlaute nach vollständig dem vorjährigen Entwürfe; es kann somit
auf die dermalige Besprechung derselben (s. Nr. 7 der Zeitschrift, Jabrg. 1902,
S. 218) Bezug genommen werden.
Für die diesjährige Jahresversammlung des Deutschen Vereins
für Öffentliche Gesundheitspflege, die in den Tagen vom 16. bis 19. Sep¬
tember in Dresden stattfinden wird, sind folgende Verhandlungs¬
gegenstände in Aussicht genommen:
1. Nach welcher Richtung bedürfen unsere derzeitigen Massnabmen rar
Bekämpfung der Tuberkulose der Ergänzung? 2. Die gesundheitliche
Handhabung des Verkehrs mit Milch. 8. Die Bauordnung im Dienste
der Öffentlichen Gesundheit. 4. Hygienische Einrichtungen der Gasthäuser
nnd Schankstätten. 5. Reinigung des Trinkwassers dnrch Ozon.
Verantwortl. Redakteur: Dr. R ap m un d, Reg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden i. W.
Den verehrl. Abonnenten der
Zeitschrift für jViediziitalbeamte
diene hiermit zur gefälligen Nachricht, dass sowohl der
Kalender für Medizinalbeamte
wie auch das
Sonderheft der Zeitschrift
zur Versendung gelangte und jeder Sendung eine Post¬
anweisung mit Rechnung beigeftigt war.
Es ergeht nunmehr an die verehr!. Abonnenten die Bitte,
wo Kalender oder Sonderheft nicht behalten werden soll,
das Nichtgewünschte freundl. retournieren, im Falle des Be-
haltens den Betrag gütigst einsenden zu wollen.
Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, diene zur
gefl. Kenntniss, dass das Sonderheft der Zeitschrift nicht
zum Abonnement gehört und der Preis dafür Mk. 2,— beträgt.
Der Kalender kostet mit Beiheft (Personalien) Mk. 3,50 für
die Prenssischen Medizinalbeamten und enthält für diese
gleichzeitig die Dienstanweisung, Mk. 3,— für die nicht
preussischen Medizinalbeamten ohne die Dienstanweisung.
Hochachtungsvollst
Fischer’8 med. Buchhandlung
(I. Kornfeld
lenogL Bayer. Hof- ud BnhenogL Karner-BiekkiadJer.
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£$*&«*• •’S’lr .Fdlßmrf^ 'so -ö'äp«i»t>«ij:- ‘.'rj^^v f^orV:ii f (Fti
.H^i^e»b*t>, •'•& jipeläet- • yM
lu.ac liber rteyUöttHolie liW^uJigj ««&«. «mapin*r Niuin
? t i : totreÜ^ivM 1 - v^rttj»MjU-äp$* f^i'o}^j)8tf,.;. , ^k.iJi<^t : i .-<ti<a>2
^»«:t 1 ^ '<ta* r ? *ir^b^-«ud
^tpjjr, <lf l r ft«ytih < »•>'» dfc w oa SUttUrfteäg,w.Av-^.i';
«ftf&tea si«L* au’iw Vfrii^taftätendh»^ • -:*;Rä<w-.^Yd*|oik.
jg|5^- ' ■ jE^ Y^tTft^rtea^VdRÄprf-jy^*
öl
itnuööi
18. Jahrg.
1908.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt fir gerichtliche Medizin ind Psychiatrie,
fir irzttiehe SachTerstandigenthätigkeit in Unfall- and hYaüditatuachea, sowie
fir Ijgfrie, offentL Sanitatswesen, Medizinal-tatzgehnng ind Keehtspreehnng
Herausgegeben
. von
Dr. OTTO RAPMÜND,
Refierangi- and Geh. Medizinahrath in Minden.
Verlag von Fischer’s mediz. Bnchhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nahmen die VerlafiHandlung sowie alle Annoeenezpeditionen dee In¬
end Auslandee entgegen.
Nr. 5.
Kreehelnt um 1. ud 15. Jeden Monats
1. März.
Aus dem hygienischen und dem gerichteJüratlichen Institute in Greifswald.
Praktische Anleitung zur gerichtärztlichen Blutunter¬
suchung vermittelst der biologischen Methode.
Von Stabsarzt Dr. Uhlenhuth und Prof. Dr. Beumer
Wer sich mit der gerichtsärztlichen Untersuchung verdäch¬
tiger Blutspuren des öfteren zu beschäftigen hat, der kennt die
Schwierigkeiten, die sich bei diesen Untersuchungen bieten können,
vollends, wenn es sich um die Beantwortung der Frage handelt,
ob die Spur von Menschenblnt herrühre oder nicht.
Bei der Untersuchung ganz frischer Blutflecken, die dem
Gerichtsarzt natnrgemäss sehr selten zur Begutachtung vorgelegt
werden, ist immerhin noch eine gewisse, vorsichtige Benrtheilung
möglich, wenn sehr zahlreiche Messungen an den in ihren Grössen¬
verhältnissen verschiedenen Blutkörperchen vorgenommen werden.
So gelingt es nach einiger Uebung in den gerichtsärztlichen
Korsen den älteren Medizin - Studirenden unschwer bei frischem
Blut die drei zur Bestimmung vorgelegten Blatarten des Menschen,
des Schweines und des Schafes bezüglich ihrer Herkunft zu be¬
stimmen. Viel unsicherer werden die Bestimmungen, wenn es sich
um Blutsorten handelt, die bezüglich der Grösse ihrer Blutkörperchen
denen des Menschen sich nähern, wie z. B. die des Kaninchens,
Hundes, Pferdes n. s. w.; es ereignet sich dann nicht selten,
dass dieses Blut als möglicherweise vom Menschen herstammend
bezeichnet wird. Bei gerichtsärztlichen Untersnchnngen hat diese
Methode immerhin einen gewissen Werth, einen nm so höheren, ^
wenn seitens des Angeklagten das an seinen Kleidern n. s. w
186
Dr. Uhlenhuth and Dr. Beniner.
befindliche Blut bezeichnet wird als herstammend von einem Thier,
dessen Blutkörperchen erheblich kleiner sind, wie die des Menschen,
so z. B. wenn der Angeklagte behauptet, das Blut sei Schaf¬
oder Ziegenblut.
In Uebereinstimmung mit allen Fachgenossen halten wir es
aber bei den häufigsten Untersuchungsobjekten, den älteren Blut¬
flecken, für unmöglich, auf diesem Wege zu einer sicheren
Diagnose bezüglich der Herkunft des Blutes zu gelangen. Wie
oft ist schon wegen der Vergänglichkeit der Blutkörperchen die
Frage auf mikroskopischem Wege nicht zu lösen, ob überhaupt
ein Blutfleck vorliegt. In einzelnen Fällen gelingt es, bei der
Anwendung der bekannten Zusatzflüssigkeiten in den'bräunlichen
Schollen eine gleichmässige Zusammensetzung, eine gleichmässige
Struktur zu erkennen. An den Bändern dieser sich nach und nach
mehr auf hellenden Schollen kann es dann auch gelingen, einzelne
Körperchen losgelöst von der Scholle zu sehen und so die Zu¬
sammensetzung des Ganzen aus Blutkörperchen festzulegen. Ob
diese Blutkörperchen aber vom Menschen oder Thier herstammen,
diese Frage lässt sich auf dem Wege der Grössenmessungen nicht
mehr entscheiden, denn es ist nicht möglich, den Grad der er¬
littenen Schrumpfung und den der Aufquellung durch die Lösungs¬
mittel sicher zu berechnen; handelt es sich doch hier um Ver¬
schiedenheiten in der Grösse der Blutkörperchen, die nur wenige
Mikromillimeter betragen.
Bis vor kurzem war es bei älteren Blutflecken gerichts¬
ärztlich nicht möglich, die am meisten interessirende Frage „ob
Menschen-, ob Thierblut vorliege“ mit Sicherheit zu entscheiden.
Nun veröffentlichte Uhlenhuth im Winter 1900 bis
1901 eine neue forensische Methode zur Unterscheidung
von Menschen- und Thierblut auf Grund der Lehre von den
Präzipitinen, die in zahlreichen gerichtlichen Fällen bereits An¬
wendung gefunden und in dem jeweiligen gerichtlichen Ver¬
fahren zur Aufklärung desselben sehr werthvolle Dienste geleistet
hat. 1 ) Seit dem Bekanntwerden dieser Methode, die bald darauf
durch die unabhängig von Uhlenhuth ausgeführten Unter¬
suchungen von Wassermann und Schütze*) sowie von Stern 8 )
bestätigt wurde, ist die Zahl der einschlägigen Arbeiten eine
*) loh halt« es, da in der Litteratnr noch ab and za Zweifel über die
Priorität bestehen, für nothwendig, noch einmal ausdrücklich darauf hin-
znweisen, dass meine forensische Methode zar Unterscheidung der verschiedenen
Blatarten bereits im Prinzip in meiner Arbeit „Neuer Beitrag znm spezifischen
Nachweis von Biereiweiss auf biologischem Wege* (Deutsche mediz. Wochen¬
schrift 1900, Nr. 45; 15. November) sowie in meinem diesbezüglichen Vortrag
im Qreifswalder mediz. Verein am 1. Dezember 1900 (Referat, s. Münchener
mediz. Wochenschrift 1901, Nr. 8) festgelegt and ausführlich in meinem Auf¬
satz pablizirt ist, welcher in der Deutschen medizinischen Wochenschrift 1901,
Nr. 6 (7. Februar) unter dem Titel: „Eine Methode zur Unterscheidung
der verschiedenen Blatarten, insbesondere znm differentialdiagnostischen
Nachweis von Mensohenbiat* erschienen ist. Uhlenhuth.
*) Berliner klin. W tehenschrift 1901, Nr. 7 (18. Febraar) (nach einem
Vortrag am 8. Febraar 1901 in der physiologischen Gesellschaft in Berlin.)
*) Deutsche mediz. Wochenschrift 1901, Nr. 9 (98. Febraar).
Praktische Anleitung rar gerichtsUratliohen Blutnnterraehnng n. b. w. 187
sehr umfangreiche geworden. Alle diese Arbeiten erkennen den
Werth der Methode für die gerichtsärztliche Praxis an und geben
auf Grand ihrer charakteristischen Reaktion za, dass hier ein
sicheres Unterscheidungsmittel zwischen Thier- und Menschenblut
gegeben sei.
Nun sind in letzter Zeit verschiedene Mittheilungen er¬
schienen, welche den Werth der Methode zwar in gleicher Weise
anerkennen, aber doch auf einzelne Fehlerquellen hinweisen, die
möglicherweise zu Irrthumern führen können; Fehlerquellen, die
wesentlich in dem Begriff der heterologen Trübungen, d. h.
Trübungen, die auch in andern als den zur Vorbehandlung der Kanin¬
chen benutzten Blutlösungen auftreten sollen, ihren Ausdruck finden.
Wir haben aus den Arbeiten aller dieser Autoren ersehen, dass
von einheitlichen Gesichtspunkten aus nicht gearbeitet worden
ist, vor allen Dingen auch nicht mit jenen Kautelen, die wir
im Interesse der Methode für nothwendig erachten und dass von
allen diesen Forschem die Methode in verschiedener Weise aus¬
geführt worden ist. Wir selbst sind gewohnt, diese biologische
Methode nach ganz bestimmten Prinzipien auszuführen, und wir
gestehen, dass das, was die genannten Autoren als Fehlerquellen
bezw. heterologe Trübungen bezeichnen, bei der Art und Weise,
wie wir arbeiten, uns nicht zu Gesicht gekommen ist. Zudem
erscheint es uns dringend nothwendig, dass bei einer noch so
jungen Methode und bei dem schwer wiegenden Entscheid, den
dieselbe im gerichtlichen Verfahren im Gefolge hat, zunächst nur
nach bestimmten Gesichtspunkten, die bereits als bewährt fest¬
gestellt sind, gearbeitet wird. In Folge dieser Erwägungen
halten wir uns für verpflichtet, die Art und Weise, wie wir den
Blutnachweis in gerichtsärztlichen Fällen zu erbringen pflegen,
nochmals 4 ) in allen Einzelheiten klarzulegen und in einzelnen
Aufsätzen dieser Zeitschrift den Fachgenossen mitzutheilen.
Wir beginnen mit der Frage: „Wie wird Antiserum
gewonnen“?
Das Thier, welches uns das Antiserum liefert, ist das
Kaninchen. Bei der Kleinheit des Thieres ist die zu gewinnende
Sernmmenge eine geringe; doch hat dieses Thier anderseits den
Vortheil, dass es zur Vorbehandlung geringerer Blutmengen bedarf,
wie grössere Thiere, was bei der bisweilen schwierigen Be¬
schaffung von Menschenblut in’s Gewicht fällt. Die Versuche,
Ziegen und Schafe für die Gewinnung von Antiserum zu benutzen,
führten bisher zu keinem befriedigenden Resultat; diese Thiere
9owie auch ein von uns verwendeter Hund lieferten trotz lange
Zeit fortgesetzter Behandlung nur ein schwach wirksames
Antiserum, sodass uns das Kaninchen bis jetzt als das geeignetste
4 ) 8iehe die Ar beites von Uhlenhuth: Deutsche mediz. Wochenschrift
1901, Nr. 17 u. 30 osd Referat Uber den Vortrag imJGreifswalder medii. Verein,
2. Mira 1901 (s. Münchener mediz. Wochenschr. 1901, Nr. 14); Archiv filr Krimi¬
nalanthropologie and Kriminalistik, Hai 1901 n. 1902, Bi. X; Verhandlungen
des naturWissenschaft]■ Vereins, ra Greifswald 1901 (5. Juni); Deutsche medis.
Wochenschrift, 1909, Nr. 97 n. 38.
188
Dr. Uhlenhnth and Dr. Beniner.
Versuchsthier erscheint. Da ein grosses, kräftiges Kaninchen
etwa 40,0—50,0 ccm Serum liefert, so ist das in Anbetracht
der geringen Menge Antiserum, die man für die Ausffthrung der
Reaktion braucht, doch ein ganz erhebliches Qnantum, mit dem man
zahlreiche forensische Blutuntersuchungen erledigen kann. Auch
verschiedene andere Gründe sprechen noch für die Verwendung
des Kaninchens, so beispielsweise der Kostenpunkt, der bei der
grösseren Anzahl von Versuchsthieren, die man aus noch zu er¬
örternden Gründen zur Serumerzeugung stets braucht, Berück¬
sichtigung verdient.
Da mit Hülfe der Reaktion Blut nachgewiesen werden soll,
so erschien es von vornherein am rationellsten, möglichst das
ganze Blut mit seinen sämmtlichen Bestandteilen zur Vor¬
behandlung der Kaninchen zu benutzen. Es wurde daher anfangs
von Uhlenhuth überhaupt nur defibrinirtes Blut angewandt
und vorgeschlagen. Nun war von Nolf 6 ) die Thatsache fest¬
gestellt, dass die spezifisch wirkenden Präzipitine nur durch das
eingespritzte Serum, nicht aber durch Blutkörperchen erzeugt
werden. Nach diesen Versuchen wären also die korpuskulären
Elemente des Blutes für die Einspritzung völlig werthlos. Ander¬
seits ist es jedoch Leblanc 6 ) gelungen, durch Einspritzung von
Blutkörperchen ein spezifisch wirkendes Antihämoglobin-Serum zu
erzeugen. Wenn wir uns nun auch eines abschliessenden Urtheils,
ob Blut oder Serum vorzuziehen ist, zur Zeit noch enthalten
wollen, so viel steht jedenfalls fest, dass wir bei der Vorbehand¬
lung der Kaninchen mit dem einen oder anderen Material wahr¬
nehmbare Unterschiede bezüglich der Wirkung des Antiserums
nicht beobachten konnten. Wir haben uns daher in letzter Zeit
häufiger der Serumeinspritzungen bedient; nur, wenn uns
wenig Blut zur Verfügung stand, haben wir zur völligen Aus¬
nutzung des Materials das ganze Blut in Anwendung gezogen.
Das Serum hat vor dem defibrinirten Blut manche Vorzüge. Die
Gewinnung ist einfacher, da die lästige Prozedur des Defibrinirens
fortfällt, was beim menschlichen Blut, wenn es langsam fliesst,
wegen der eintretenden Gerinnung ohne weitere Zusätze überhaupt
kaum möglich ist; die Schwierigkeit des Defibrinirens zeigt sich
auch ganz besonders bei dem sehr schnell gerinnenden Vogelblut.
Abgesehen von der einfachen Gewinnung ist auch die Konser-
virung grösserer Mengen als Vorrath für weitere Einspritzungen
von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da man Serum —
nicht aber das Blut — durch Berkefeld’sehe Filter filtriren
und auf diese Weise völlig steril erhalten kann. Ist Serum
aber unter Beachtung aller Kautelen steril entnommen, so hält es
sich auch ohne Filtration lange Zeit; die absolute Klarheit des¬
selben bietet dann ziemlich sichere Garantie für die Sterilität.
Auch ist die intravenöse Einspritzung von Serum weniger ge¬
fährlich als die von Blut wegen der nach letzterem auftretenden
Hämolysinbildung (Bordet). Exsudat oder Ascitesflüssigkeit ist
•) Autln de 1’IoatUst Pasteur, 1900.
*) La Cellale, t. XVIÜ 2 et fatctaüe, 31, Hai 1901.
. Praktische Anleitung zur gerichtiärstlichen Blntontersocbtwg n. p . w. 189
»egen ihrer geringen Wirksamkeit für die Vorbehandlung der Ka¬
ninchen nach Möglichkeit za vermeiden.
Die Gewinnung des Menschen- and Thierblates
erfolgt unter gewissen Vorsichtsmassregeln:
Die Technik der Blutentnahme, wie sie in der hiesigen Univenitftts-
Frauenklinik T ) geübt wird, ist folgende: Sobald der Kopi des Kindes im
finachneiden ist, werden unter dem Steiss bis zum Knie der Kreissenden
sterile Tflcher ausgebreitet Das Neugeborene wird auf diesen, nachdem die
Binde des Geburtshelfers mit ausgekochten Gummihandschuhen versehen sind,
abgenabelt und das plazentare finde der Nabelschnur komprimirt Nachdem
dar obere Band eines grossen sterilen Zylinderglases in der Flamme abgeglüht
ist, wird die Nabelschnur vorsichtig hineingehftngt und durch Druck auf den
Uterus das in der Placenta befindliche Blut möglichst hervorgepresst. Nachdem
auch das in der Nabelschnur noch befindliche Blut ausgedrückt ist, wird das
Glas mit abgesengtem Wattebausch verschlossen. Von jeder Geburt gewinnt
■an auf diese Weise 20,0—80,0 ccm Blut.
Eine weitere, sehr zweckmässige Gewinnung des Blutes ist die mit dem
Heurtelonp’schen Schröpfapparat, wie er bei Augenkranken in der Schläfen-
gegend angesetzt wird. Man gewinnt mit demselben ca. 15,0 com Blut. Die
beste Ausbeute liefert der Aderlass; auch die Punktion der Vene ist eine gute
und bequeme Art der Blutgewinnung.
Auf die Gewinnung von Blut, wie sie unter den Verhältnissen der Geburt
oder bei sonstigen therapeutischen Eingriffen stattfindet, wird man also haupt¬
sächlich angewiesen sein; denn Gesunde finden sich erfahrnngsgemäss nur selten
bereit, sieh Blut abziehen zu lassen. Ueber die Verwendung von Leichenblut
(Ziemke) für die Vorbehandlung der Thiere stehen uns praktische Erfah-
nagen nicht zu Gebote, doch wird man sioh desselben, falls man es steril ge¬
winnen kann, mit Vortheil bedienen können.
Die beste Methode für die Gewinnung von Blut der grösseren Thiere
ist das Einstechen eines sterilen Troicarts in die Vena jugularis, nach¬
dem diese durch einen unterhalb der Einstiohstelle um den Hals gelegten
8trick nur Anschwellung gebracht ist; doch kann man auch sehr leicht bei
der Schlachtung der Thiere steriles Blut gewinnen. Wir fangen das
Nut, nachdem man das erste hat abfliessen lassen, unter Beachtung aseptischer
Kantelen in grossen 600 ccm haltenden Zylinderglasen etwa 6,0 cm Durchmesser
betragenden sterilisirten Glaszylindern auf. Nach dem Absetsenlassen des
Serums wird dieses mit grossen 50 ccm haltenden sterilisirten Glaspipetten
abgehoben und in sterile Beagensgläschen eingefüllt, welche dann im Eis-
idbrank aufgehoben werden. Man erhält auf diese Weise 200—800 ocm Serum
welches Quantum für eine grosse Anzahl von Einspritzungen ausreicht. Hat
die Blutentnahme nicht völlig steril erfolgen können, so wird das Serum durch
Berkefeld’sohe Filter filtrit. Bei Hühnern und Tauben, Gänsen u. s. w.
schneidet man zweckmässig eine Flügelarterie an, nachdem man die Federn
beseitigt und die Haut mit Alkohol und Aether gründlich gereinigt hat. Man
lässt dann das Blut in ein steriles Gefäss einfliessen. Will man Blut zur Ein¬
spritzung verwenden, so defibrinirt man dasselbe durch Schütteln unmittelbar
aaeh dem Auffangen in 200 ccm enthaltenden sterilen Erlenmeyer’schen
Kolben, in welchen man vorher Glasperlen oder ausgegltthten Eisendraht ein¬
gebracht hat.
Nachdem man das Material zur Einspritzung gesammelt hat,
wird mit der Vorbehandlung der Thiere begonnen. Da entsteht
non die Frage: „Wie soll man einspritzen, subkutan,
intraperitoneal oder intravenös?“
Alle 3 Arten der Einspritzung sind versucht worden, von
den einen ist die subkutane, von anderen die intraperitoneale
? ) Für die gütige Ueberlassung von Menschenblut verfehlen wir nioht,
auch au dieser 8telle Herrn Prof. Martin sowie Herrn Dr. Dützmann
unsern ergebensten Dank auszusprechen.
190
Dr. Uhleahnth und Dr. B«u«»r.
oder auch die intravenöse Methode bevorzugt. Ueber die sub¬
kutane Methode der Einspritzungen stehen uns Erfahrungen
nicht zu Gebote, doch scheint sie nach den Angaben der
Autoren nicht wirksamer wie die übrigen zu sein. Wir haben
uns bis vor kurzem fast ausschliesslich der intraperitonealen
Methode bedient. Neuerdings wurde nun von Verschiedenen die
intravenöse Methode der Einspritzung als ganz besonders
wirksam hervorgehoben; man behauptete, dass man auf diese
Weise am schnellsten ein hochwirksames Antiserum erzeugen
könne. Wir haben nun diese Angaben an einer grossen Anzahl
von Kaninchen nachgeprüft. Es wurden zur vergleichsweisen
Prüfung der intravenösen und intraperitonealen Methode Kaninchen
von demselben Alter, derselben Rasse, ja, wenn möglich, von dem¬
selben Wurf und Geschlecht genommen. Die Thiere erhielten
alle dieselben Dosen von 2, 3, 4, 5 bis 10 ccm steigend, bald täglich,
bald in Intervallen von 3, 4, 5 und 6 Tagen. Diese Kaninchen
lieferten nun bald nach der Injektion von im Ganzen 15 ccm
Serum ein sehr hochwerthiges Antiserum, bald lieferten sie erst
nach 60 ccm, bald nach 120 ccm, bald überhaupt nicht und zwar
lieferten bald die intravenös- bald die intraperitoneal behandelten
bessere Sera.
• Es war in diesen ad hoc an etwa 30 Kaninchen ange-
stellten Versuchen nicht der geringste Vortheil der intra¬
venösen Methode bezüglich der Gewinnung eines hoch-
werthigen Antiserums festzustellen. Es ist also, soweit wir
bis jetzt urtheilen können, allein die Individualität des
Thieres, welche bei der Gewinnung hochwerthiger Sera von
ausschlaggebender Bedeutung ist; eine wenig erfreuliche That-
sache, die ja auch bei den anderen Immunisirungsverfahren, wie
z. B. bei der Gewinnung des Diphtherieserums eine grosse Rolle
spielt. Es ist sehr bemerkenswerth, dass häufig selbst nach
monatelang fortgesetzter Behandlung mit grossen Dosen (20 bis
40 ccm pro dosi, im Ganzen 500 ccm intraperitoneal) überhaupt
keine Präzipitinblildung beobachtet wurde. Manche Thiere lieferten
nach wenigen Einspritzungen schwach wirksame Sera. Beim
Versuch, diese Sera durch weitere auch intravenöse Behandlung
mit den gleichen oder auch grösseren Dosen höher zu treiben,
haben wir bisweilen einen totalen Rückgang und völligen Schwund
der Präzipitine beobachtet, trotzdem die Thiere gesund und kräftig
waren und an Gewicht Zunahmen. In solchen Fällen kann man
an ein Erlahmen des Rezeptorenapparates denken. In einzelnen
Fällen haben wir daher, nachdem die Thiere ca. 200 ccm Serum
bekommen und keine Spur von Präzipitinen geliefert hatten, die¬
selben 4 Wochen ohne Einspritzung sitzen lassen und dann die
Injektionen wieder aufgenommen. In einigen Fällen haben wir
auf diese Weise nach 2 Einspritzungen von ca. 10 ccm wirksame
Sera erhalten; das ist eine recht interessante und bemerkens-
werthe Erscheinung. Genau dieselben individuellen Verhältnisse
haben Uhlenhuth und Rostoski bei Versuchen zur Ge¬
winnung anderer präzipitirender Sera (Milch, Hühnereiweiss, Ei¬
dotter, Sperma u. s. w.) beobachtet.
Praktische Anleitung rar gerichtcärztlicben Blntontcnocbnng n. s. w. 191
Als Modus für die Injektionen empfehlen vir nach
unserer Erfahrung für die intraperitoneale alle 4—5 Tage 10
bis 20 ccm Serum oder defibrinirtes Blut, für die intravenöse In¬
jektion 5—10 ccm.
Die intraperitoneale Injektion wird in folgender Weise vor-
genommen: Ein Oehilfe umfasst mit seiner linken Hand die beiden Hinterbeine
des Kaninchens, halt dieselben nach oben, wahrend die rechte Hand beide Vorder¬
beine umfasst und sie nach abwärts halt, sodass der Kopf des Thieres senkrecht
■ach unten sieht. Auf diese Weise wird erreicht, das die Gedärme möglichst
in die obere Hälfte der BanohhOhle hineinfallen. Die Baachfläche des senkrecht
gehaltenen Thieres wird demjenigen, der die Injektion ansftthrt, ragewandt.
Dieser wählt als Stelle der Einspritrang die Unterbauchgegend, entfernt dort
▼ermittelst einer Scheere die Haare, schneidet mit ausgeglObter Scheere die
rar Falte erhobene Oberhaut durch, sodass an einer etwa erbsengrossen Stelle
die Muskulatur freiliegt. Mit einer stumpfen Kanüle wird nunmehr die
Baachwand vorsichtig dnrchstossen, die Spritse anfgesetst und die Injektions¬
masse eingespritxt. Nach heraussiehen der Nadel wird die kleine Wände mit
Kollodium-Wattebausch verschlossen.
Die intravenöse Einspritrang erfolgt in bekannter Weise durch Ein¬
führung der Kanüle in die Ohrvene, wobei ra beachten ist, dass keine Loft in
die Vene hineingelangt. Nach Heraussiehen der Kanüle wird die etwa anf-
tretende Blutung gestillt durch Kompression mit dem Fingernagel besw. durch
etwas angedrückte Watte. Hin und wieder ist die Nachblutung so erheblich,
dass eine Umsteohung des Gefftsses nothwendig ist. W&hrend nach der intra¬
peritonealen Injektion Krankheitserscheinungen fast ginslich fehlen, sieht
man nach der intravenösen Binspritsung Zeichen, die anf ein mehr oder minder
schweres Kranksein hindeuten. Am häufigsten sind schwere Dyspnoe vorhanden,
lähmungsartige Schwäche, Darchfälle und unwillkürliches Entleeren von Urin.
Unter diesen Erscheinungen können je nach der Herkunft des Serams die
Thiere sofort oder nach einigen Standen verenden. Im wesentlichen hängt
dieses Krankheitsbild besw. der Tod ab von der hämolytischen Wirkung des
Blutserums und in dieser Besiehung ist am wenigsten gefährlich Pferd und
Baelserum; die übrigen Serumarten sind von eingreifender Wirkung und daher
vorsichtiger zu verwenden. Luftembolie muss natürlich aufs sorgfältigste ver¬
mieden werden. (S. auch Uhlenhuth, zur Kenntniss der giftigen Eigenschaften
des Blutserums, Zeitschrift für Hygiene 1897, Bd.26, sowie Uhlenhuth und
Moxter: Ueber Veränderungen der Gangliensellen bei experimenteller Ver¬
giftung mit Binder nnd Menschenblutserum. Fortschritte der Medizin, Bd.
XVL, 1898, Nr. lü).
Es ist nothwendig, mit jeder Blntart 5—6 Thiere gleich¬
zeitig zu behandeln.
So kommt es, dass die Gewinnung der Sera die Geduld ganz
erheblich in Anspruch nimmt, denn ans den erörterten Gründen
kann man bisweilen recht viele Thiere noch so sorgsam vorbe¬
handeln, ohne ein brauchbares Serum zu gewinnen. Daraus er¬
klären sich auch zum Theil die äusserst zahlreichen, an das
hygienische Institut gerichteten Nachfragen nach Serum.
Um nun festzustellen, wann die Kaninchen ein für die Praxis
brauchbares Serum liefern, ist es nothwendig, in gewissen Inter¬
vallen das Blut dieser Thiere auf seinen Prfizipitingehalt zu
untersuchen. Wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, tritt dieser
Zeitpunkt bei den einen früher, bei den anderen später oder gar-
nicht ein. Es ist zweckmässig, von der dritten Injektion an eine
Probeblutentnahme vorzunehmen, und zwar muss diese in dem
Augenblick stattfinden, in welchem der Thierkörper auf dem Höhe¬
punkt der Präzipitinbildung steht. Dieser ist 5—6 Tage nach der
letzten Einspritzung erreicht; nach 8—14 Tagen zeigt sich das
192
Dr. Roepke.
Serum noch wirksam, um dann allmählich seine Wirksamkeit total
bu verlieren, was nach etwa 4 Wochen erreicht ist.
Die Blutentnahme wird an der Ohrvene vorgenommen. Das Ohr
des Kaninchens wird am Grunde der Ohrwurzel mit einem in heisses
Wasser getauchten Wattebausch bedeckt, um eine Hyperämie zu er¬
zeugen ; dasselbe erreicht man auch dadurch, dass das Ohr mit der
Scheere leicht geklopft wird. Sind die Venen stärker gefüllt, so
wird die Oberhaut an einer kleinen Stelle eingeschnitten, und die
Vene tritt stark hervor. Dieselbe wird eingeschnitten, und das her-
ausfliessende Blut in kurzem, sterilen Reagensglase in 5 ccm Menge
anigefangen. Nachdem durch die Gerinnung des Blutes das Serum
sich abgeschieden, wird dasselbe — meist in einer Menge von
l*—2 ocm abgegossen — und zentrifugirt. Giebt das Serum eine
Reaktion (auf welche wir später des ausführlicheren eingehen)
die sofort oder nach wenigen Minuten in farblosen, aus ein¬
getrocknetem Blut in Kochsalzlösung hergestellten homologen
Blutlösungen in unzweideutiger Weise eintritt, so kann das Anti-
serum als praktisch brauchbar angesehen werden. Das Thier
wird nun geschlachtet. Es wird tief chloroformirt, dann auf ein
Brett gespannt, die Brust- und Bauchfläche mit Alkohol abge¬
rieben — um die Verunreinigung des Blutes durch Haare zu
vermeiden —, durch einen Längsschnitt die Weichtheile von der
Brustseite nach beiden Seiten getrennt, und die vordere
Brustwand entfernt. Bei den letzten schwachen Schlägen des
Herzens trennt ein grosser Schnitt die Herzkammern, das Thier
entblutet in die Brusthöhlen, während dessen schnell die Lungen
entfernt und das Blut mit einer Pipette mit unterer weiter Oeff-
nung aufgesogen und in einen Messzylinder gefüllt wird. Durch¬
gehende werden 70—80 ccm Blut gewonnen, die bei einer Tempe¬
ratur von etwa 10—15° C. 24 Stunden stehen bleiben, um dann
$0—40 ccm Serum zu liefern. Das Serum wird abgegossen und
in Reagensgläser gegeben.
(Fortsetsung folgt.)
Zur Beseitigung und Desinfektion des Sputums.
V«a Dr. O. Roepke, Chefant am „Auguste Viktoria Stift“, Heilstätte II,
Lippspriuge.
Die im Band IV., Heft 2 der Zeitschrift für Tuberkulose und
Heüstättenwesen erschienenen „neuen Beiträge zur Frage der
Sputumbeseitigung und chemisch - physikalischen Sputumdesin¬
fektion“ von Dr. Thom-Hohenhonnef veranlassen mich, sogleich
•ach Kenntnissnahme derselben zu der gleichen Frage das Wort
wn nehmen. Thom ist die Abtödtung des Tuberkelbacillus im
Sputtun mittels „alkalischer Solutol- resp. Kresollösungen“ bei
24 ständiger Einwirkungsdauer derselben gelungen. „So erhalte
ich, schreibt Th. am Schluss, eine desinflzirende Lösung, über
deren genaue Zusammensetzung ich augenblicklich kein be¬
stimmtes Rezept veröffentliche, da ich mir vor der festen
Fixvraag desselben noch weitere Prüfungen und Verhandlungen
Zar Beseitigung nnd Desinfektion des Spntnms.
198
mit chemischen Fabriken Vorbehalten muss. Jedenfalls sind die
Resultate, die mir meine bisherigen Impfversuche an Meerschwein¬
ehen ergaben, durchaus befriedigende.“ Auch Verfasser arbeitet
seit Jahresfrist an einem Verfahren, das tuberkulöse Sputum
durch mehrstündiges Einwirkenlassen chemischer
Substanzen zu desinfiziren. Gleich Thom bin ich auch zu
befriedigenden Laboratorium-Resultaten gelangt, die in letzter
Zeit bereits im Heilstättenbetriebe probirt und den Verhältnissen
des praktischen Lebens angepasst werden. In wenigen Monaten
hoffe ich ganz am Ziele zu sein. Indess scheint mir schon heute
eine Mittheilung über meine bisherigen Versuche nothwendig. Ich
habe nämlich in meinem experimentellen Vorgehen ein ganz ana¬
loges Verfahren wie Th. gewählt und möchte mir darum mit den
folgenden Ausführungen das Anspruchsrecht darauf wahren, dass
ich gleichzeitig und unabhängig von Thom die obige Frage
bearbeitet und — zunächst im Lahoratorium — erfolgreich ge¬
löst habe. —
Der erste Anstoss für meine späteren Untersuchungen war
bereits im Herbst 1901 gegeben, als die Frage der Sputumver¬
nichtung für die hiesigen Heilstätten akut wurde. Ein sehr ein¬
faches und zuverlässiges Verfahren der Sputumbeseitigung, das
Verbrennen des gesammelten Auswurfs in der Dampf¬
kesselfeuerung, konnte wegen Mangels einer so grossen
Feuerung nicht zur Anwendung kommen. Der vom Herausgeber
dieser Zeitschrift als ärztlichem Berather des hiesigen Heilstätten¬
vereins angeregteSpeiflaschen-Reinigung durch strömen¬
den Wasserdampf oder durch die Siedehitze stand die
Kostspieligkeit und Umständlichkeit entgegen, die durch die völ¬
lige räumliche Trennung der beiden hiesigen Heilstätten noch
wesentlich gesteigert wurde. Mir persönlich widerstrebte aber vor
allen Dingen die durch das Erfahren bedingte absolute Vernach¬
lässigung des so überaus wichtigen erzieherischen Momentes, wie
der Kraute sein Sputum gefahrlos für sich und andere selbst zu
behandeln und zu beseitigen hat. Das muss der Lungenkranke
unter allen Umständen in der Heilstätte lernen und täglich üben,
■ so dass es ihm zu einer, wenn auch nicht lieben, so doch keines¬
wegs abstossenden Gewohnheit wird, andernfalls ist alle päda¬
gogische Liebesmüh der Heilstätten, prophylaktisch im Kampfe
gegen die Tuberkulose zu wirken, ganz vergeblich. Wer soll
oder wird denn unseren Lungenkranken nach der Entlassung die
benutzten Spuckutensilien zur Desinfektion abnehmen und sauber
wieder in die Hand drücken? Und es hat doch nur */ 4 , höchstens
% der Patienten durch die Heilstättenbehandlung den Auswurf
verloren, s / 4 bezw. */ 3 der Entlassenen sollen die Taschenspuck¬
fläschchen weiter gebrauchen!
Wir griffen schliesslich auf das ältere Verfahren zurück,
das Sputum zu sammeln und auf dem kürzesten Wege
durch die Klosets der Kloake zuzuführen. Zu diesem
Zweck wurden auf meinen Vorschlag in den 4 Klosetvorräumen
jeder Heilstätte Einrichtungen getroffen, die den Kranken das
194
Dt. Roopk«.
Entleeren des Spntnms aas den Spackbechem und Taschenspuck¬
flaschen und die Reinigung derselben in bequemer, ästhetisch ein¬
wandsfreier Weise ermöglichen. Jeden Morgen, noch bevor die
Patienten aufzustehen pflegen, wird dann von dem Desinfektor
(gleichzeitig Heizer) der Heilstätte das am vorhergehenden Tage
gesammelte Sputum aus dem Sammelbassin direkt in das Kloset
entleert und letzteres tüchtig nachgespült, eine Prozedur, die bei
dem nur wenige Meter betragenden Transport innerhalb desselben
Raumes und der mit beweglich aufklappbaren Sitzen versehenen
Klosetanlage im Augenblick geschehen ist und eine Verstreuung
von infektiösem Material so gut wie sicher ausschliesst. Als
Flüssigkeit zum Aus- und Durchspülen der Spuckutensilien wurde
bisher eine l°/oo^ e Sublimatlösung benutzt, und zwar lediglich
aus dem Grunde, um die Wirkung etwaiger Fäulnisserreger in
den Fläschchen hintanzuhalten; in die als Sputum-Sammelbassins
dienenden Porzellan - Standgefässe, welche mit zwei bequem und
sicher anzufassenden runden Porzellangriffen versehen sind, kam
eine starke Sodalösung (s. die nebenstehende Zeichnung).
Die freie Verfügung der Kranken über eine stark giftig
wirkende Sublimatlösung kann bedenklich erscheinen; thatsächlich
ist aber bei dem Naturell der grenzenlos optimistischen Lungen¬
kranken im Allgemeinen und bei der Psyche unserer freiwillig in
die Heilstätte eingetretenen Patienten im Besonderen ein Miss¬
brauch kaum zu erwarten. Anders liegen die Verhältnisse aller¬
dings ausserhalb der geschlossenen Anstalt. Begründeter ist der
zweite Einwand, dass durch die Sublimatsodalösung trotz viel-
stündigen Einwirkens die Tuberkelbazillen im geballten Sputum
nicht abgetödtet werden, dass dieselben vielmehr — nach den Fest¬
stellungen von Musehold — auch in den Abwässern noch eine
Anzahl von Monaten hindurch trotz aller Schädlichkeiten infektions¬
tüchtig bleiben. Letzteres Bedenke^ hat indess bei den örtlichen
Boden- und Lageverhältnissen der hiesigen Heilstätten und ihrer
Abwässer- und Fäkalien-Ableitung, die 300 m von den Anstalts¬
gebäuden entfernt mitten im Walde 1,50 m tief unter Terrain
endigt, keine praktische Bedeutung. Immerhin ist aber unsere
Sputumvernichtungsanlage bisher eben wegen der Giftigkeit des
Sublimats und der erhalten bleibenden Infektiosität des Sputums
keine ideale gewesen, so tadellos sich auch ihre Benutzung
durch die Kranken bewährte, so ansprechend und sauber sie stets
aussah, und so sehr sie auch den Forderungen der Disziplin für
die Anstalt und der Erziehung für’s Leben entsprach.
Diese Umstände, die der Herausgeber der Zeitschrift und der
frühere Chefarzt der Heilstätte, Dr. v. Scheibner, bestätigen
können, veranlassten mich schon vor Jahresfrist, sobald Labora¬
torium und Meerschweinchenställe hergestellt waren, experimentell
nach einem Desinfiziens zu forschen, welches die Tuberkelbazillen
im Sputum innerhalb einer bestimmten Zeit sicher abtödtet. Ge¬
lang es, ein derartig wirkendes, im Gegensatz zum Sublimat]un¬
gefährliches, ferner geruchfreies bezw. angenehm riechendes und
billiges Präparat zu finden, so wurde unsere Elinrichtung zur
r&L. Töffift VOh^S i
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'•*^J5c5» — ZAtx ' » • : ^Kwniu
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186
Dr. Uhlenhuth and Dr. Beniner.
befindliche Blnt bezeichnet wird als herstammend von einem Thier,
dessen Blutkörperchen erheblich kleiner sind, wie die des Menschen,
so z. B. wenn der Angeklagte behauptet, das Blut sei Schaf¬
oder Ziegenblut.
In Uebereinstimmung mit allen Fachgenossen halten wir es
aber bei den häufigsten Untersuchungsobjekten, den älteren Blut¬
flecken, für unmöglich, auf diesem Wege zu einer sicheren
Diagnose bezüglich der Herkunft des Blutes zu gelangen. Wie
oft ist schon wegen der Vergänglichkeit der Blutkörperchen die
Frage auf mikroskopischem Wege nicht zu lösen, ob überhaupt
ein Blutfleck vorliegt. In einzelnen Fällen gelingt es, bei der
Anwendung der bekannten Zusatzflüssigkeiten in den* bräunlichen
Schollen eine gleichmässige Zusammensetzung, eine gleichmässige
Struktur zu erkennen. An den Bändern dieser sich nach und nach
mehr auf hellenden Schollen kann es dann auch gelingen, einzelne
Körperchen losgelöst von der Scholle zu sehen und so die Zu¬
sammensetzung des Ganzen aus Blutkörperchen festzulegen. Ob
diese Blutkörperchen aber vom Menschen oder Thier herstammen,
diese Frage lässt sich auf dem Wege der Grössenmessungen nicht
mehr entscheiden, denn es ist nicht möglich, den Grad der er¬
littenen Schrumpfung und den der Aufquellung durch die Lösungs¬
mittel sicher zu berechnen; handelt es sich doch hier um Ver¬
schiedenheiten in der Grösse der Blutkörperchen, die nur wenige
Mikromillimeter betragen.
Bis vor kurzem war es bei älteren Blutflecken gerichts¬
ärztlich nicht möglich, die am meisten interessirende Frage „ob
Menschen-, ob Thierblut vorliege“ mit Sicherheit zu entscheiden.
Nun veröffentlichte Uhlenhuth im Winter 1900 bis
1901 eine neue forensische Methode zur Unterscheidung
von Menschen- und Thierblut auf Grund der Lehre von den
Präzipitinen, die in zahlreichen gerichtlichen Fällen bereits An¬
wendung gefunden und in dem jeweiligen gerichtlichen Ver¬
fahren zur Aufklärung desselben sehr werthvolle Dienste geleistet
hat. 1 ) Seit dem Bekanntwerden dieser Methode, die bald darauf
durch die unabhängig von Uhlenhuth ausgeführten Unter¬
suchungen von Wassermann und Schütze 1 ) sowie von Stern 9 )
bestätigt wurde, ist die Zahl der einschlägigen Arbeiten eine
*) Ich halte es, da in der Litteratnr noch ab and zu Zweifel Aber die
Prioritit bestehen, für notbwendig, noch einmal ausdrücklich darauf hin-
suweisen, dass meine forensische Methode zur Unterscheidung der verschiedenen
Blatarten bereits im Prinsip in meiner Arbeit „Neuer Beitrag sum spezifischen
Nachweis von Biereiweiss auf biologischem Wege* (Deutsche medis. Wochen¬
schrift 1900, Nr. 45; 15. November) sowie in meinem diesbesllglichen Vortrag
im Oreifswalder medis. Verein am 1. Desember 1900 (Referat, s. Münchener
medis. Wochenschrift 1901, Nr. 8) festgelegt und ausführlich in meinem Auf-
oats publisirt ist, welcher in der Deutschen medizinischen Wochenschrift 1901,
Nr. 6 (7. Februar) unter dem Titel: „Eine Methode sur Unterscheidung
der verschiedenen Blatarten, insbesondere sum differentialdiagnostischeu
Nachweis von Meusohenblut* erschienen ist. Uhlenhuth.
*) Berliner kliu. W tohenschrift 1901, Nr. 7 (18. Febraar) (nach einem
Vortrag am 8. Febraar 1901 in der physiologischen Gesellschaft in Berlin.)
*) Deutsohe medis. Wochenschrift 1901, Nr. 9 (98. Februar).
Praktische Anleitung rar geriohtsärztliehen Blntonterraehnng u. s. w. 187
sehr umfangreiche geworden. Alle diese Arbeiten erkennen den
Werth, der Methode für die gerichtsärztliche Praxis an und geben
auf Grand ihrer charakteristischen Reaktion zu, dass hier ein
sicheres Unterscheidnngsmittel zwischen Thier- und Menschenblut
gegeben sei.
Nun sind in letzter Zeit verschiedene Mittheilungen er¬
schienen, welche den Werth der Methode zwar in gleicher Weise
anerkennen, aber doch auf einzelne Fehlerquellen hinweisen, die
möglicher Weise zu Irrthttmern führen können; Fehlerquellen, die
wesentlich in dem Begriff der heterologen Trübungen, d. h.
Trübungen, die auch in andern als den zur Vorbehandlung der Kanin¬
chen benutzten Blutlösungen auftreten sollen, ihren Ausdruck finden.
Wir haben aus den Arbeiten aller dieser Autoren ersehen, dass
von einheitlichen Gesichtspunkten aus nicht gearbeitet worden
ist, vor allen Dingen auch nicht mit jenen Kautelen, die wir
im Interesse der Methode für nothwendig erachten und dass von
allen diesen Forschern die Methode in verschiedener Weise aus¬
geführt worden ist. Wir selbst sind gewohnt, diese biologische
Methode nach ganz bestimmten Prinzipien auszuführen, und wir
gestehen, dass das, was die genannten Autoren als Fehlerquellen
bezw. heterologe Trübungen bezeichnen, bei der Art und Weise,
wie wir arbeiten, uns nicht zu Gesicht gekommen ist. Zudem
erscheint es uns dringend nothwendig, dass bei einer noch so
jungen Methode und bei dem schwer wiegenden Entscheid, den
dieselbe im gerichtlichen Verfahren im Gefolge hat, zunächst nur
nach bestimmten Gesichtspunkten, die bereits als bewährt fest¬
gestellt sind, gearbeitet wird. In Folge dieser Erwägungen
halten wir uns für verpflichtet, die Art und Weise, wie wir den
Blutnachweis in gerichtsärztlichen Fällen zu erbringen pflegen,
nochmals 4 ) in allen Einzelheiten klarzulegen und in einzelnen
Aufsätzen dieser Zeitschrift den Fachgenossen mitzutheilen.
Wir beginnen mit der Frage: »Wie wird Antiserum
gewonnen“?
Das Thier, welches uns das Antiserum liefert, ist das
Kaninchen. Bei der Kleinheit des Thieres ist die zu gewinnende
Serummenge eine geringe; doch hat dieses Thier anderseits den
Vortheil, dass es zur Vorbehandlung geringerer Blutmengen bedarf,
wie grössere Thiere, was bei der bisweilen schwierigen Be¬
schaffung von Menschenblut in’s Gewicht fällt. Die Versuche,
Ziegen und Schafe für die Gewinnung von Antiserum zu benutzen,
führten bisher zu keinem befriedigenden Resultat; diese Thiere
sowie auch ein von uns verwendeter Hund lieferten trotz lange
Zeit fortgesetzter Behandlung nur ein schwach wirksames
Antiserum, sodass uns das Kaninchen bis jetzt als das geeignetste
4 ) 8iehe die Arbeite» von Uhlenhuth: Deutsche medir. Wochenschrift
1901, Nr. 17 ». 30 &»d Referat über den Vortrag im}Greifswalder medis. Verein,
2. N4rs 1901 (e. Münchener medis. Wochensohr. 1901, Nr. 14); Archiv für Krimi¬
nalanthropologie and Kriminalistik, Mai 1901 n. 1902, Bd. X; Verhandlungen
des natarwisaensehaftl. Vereins, an Greifswald 1901 (5. Juni); Deutsche medis.
Wochenschrift, 1909, Nr. 37 n. 38.
188
Dr. Uhlenhnth and Dr. Beniner.
Versuchsthier erscheint. Da ein grosses, kräftiges Kaninchen
etwa 40,0—50,0 ccm Serum liefert, so ist das in Anbetracht
der geringen Menge Antiserum, die man für die Ausführung der
Reaktion braucht, doch ein ganz erhebliches Quantum, mit dem man
zahlreiche forensische Blutuntersuchungen erledigen kann. Auch
verschiedene andere Gründe sprechen noch für die Verwendung 1
des Kaninchens, so beispielsweise der Kostenpunkt, der bei der
grosseren Anzahl von Versuchstieren, die man aus noch zu er¬
örternden Gründen zur Serumerzeugung stets braucht, Berück¬
sichtigung verdient.
Da mit Hülfe der Reaktion Blut nachgewiesen werden soll,
so erschien es von vornherein am rationellsten, möglichst das
ganze Blut mit seinen sämmtlichen Bestandteilen zur Vor¬
behandlung der Kaninchen zu benutzen. Es wurde daher anfangs
von Uhlenhuth überhaupt nur defibrinirtes Blut angewandt
und vorgeschlagen. Nun war von Nolf 6 ) die Thatsache fest¬
gestellt, dass die spezifisch wirkenden Präzipitine nur durch das
eingespritzte Serum, nicht aber durch Blutkörperchen erzeugt
werden. Nach diesen Versuchen wären also die korpuskulären
Elemente des Blutes für die Einspritzung völlig werthlos. Ander¬
seits ist es jedoch Leblanc 6 ) gelungen, durch Einspritzung von
Blutkörperchen ein spezifisch wirkendes Antihämoglobin-Serum zu
erzeugen. Wenn wir uns nun auch eines abschliessenden Urtheils,
ob Blut oder Serum vorzuziehen ist, zur Zeit noch enthalten
wollen, so viel steht jedenfalls fest, dass wir bei der Vorbehand¬
lung der Kaninchen mit dem einen oder anderen Material wahr¬
nehmbare Unterschiede bezüglich der Wirkung des Antiserums
nicht beobachten konnten. Wir haben uns daher in letzter Zeit
häufiger der Serumeinspritzungen bedient; nur, wenn uns
wenig Blut zur Verfügung stand, haben wir zur völligen Aus¬
nutzung des Materials das ganze Blut in Anwendung gezogen.
Das Serum hat vor dem defibrinirten Blut manche Vorzüge. Die
Gewinnung ist einfacher, da die lästige Prozedur des Defibrinirens
fortfällt, was beim menschlichen Blut, wenn es langsam fliesst,
wegen der eintretenden Gerinnung ohne weitere Zusätze überhaupt
kaum möglich ist; die Schwierigkeit des Defibrinirens zeigt sich
auch ganz besonders bei dem sehr schnell gerinnenden Vogelblut.
Abgesehen von der einfachen Gewinnung ist auch die Konser-
virung grösserer Mengen als Vorrath für weitere Einspritzungen
von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da man Serum —
nicht aber das Blut — durch Berkefeld’sche Filter filtriren
und auf diese Weise völlig steril erhalten kann. Ist Serum
aber unter Beachtung aller Kautelen steril entnommen, so hält es
sich auch ohne Filtration lange Zeit; die absolute Klarheit des¬
selben bietet dann ziemlich sichere Garantie für die Sterilität.
Auch ist die intravenöse Einspritzung von Serum weniger ge¬
fährlich als die von Blut wegen der nach letzterem auftretenden
Hämolysinbildung (Bordet). Exsudat oder Ascitesflüssigkeit ist
') Annika de l’Inatitat Peatear, 1900.
') Le Cellale, t XVTTI 2 et fesdeele, 81, Mei 1901.
. Praktische Anleitung rar gerichtiirztlichen Blutuntersncbnng n. s. w. 180
wegen ihrer geringen Wirksamkeit für die Vorbehandlung der Ka¬
ninchen nach Möglichkeit za vermeiden.
Die Gewinnang des Menschen- und Thierblates
erfolgt unter gewissen Vorsichtsmassregeln:
Die Technik der Blutentnahme, wie sie in der hiesigen Universitäts-
Fmnenkliaik T ) geübt wird, ist folgende: 8obsld der Kopl des Kindes im
finaehneiden ist, werden unter dem Steiss bis zum Knie der Kreissenden
sterile Tücher aasgebreitet Des Neugeborene wird auf diesen, nachdem die
Hände des Geburtshelfers mit ausgekochten Gummihandschuhen versehen sind,
ahgennbelt und das plasentare Ende der Nabelschnur komprimirt Nachdem
der obere Band eines grossen sterilen Zylinderglases in der Flamme abgeglüht
ist, wird die Nabelschnur vorsichtig hineingehingt und durch Druok aul den
Uterus das in der Placenta befindliche Blut möglichst hervorgepresst. Nachdem
auch das in der Nabelschnur noch befindliche Blut ausgedrückt ist, wird das
Glas mit abgesengtem Wattebausch verschlossen. Von jeder Geburt gewinnt
■an auf diese Weise 20,0—80,0 ccm Blut.
Eine weitere, sehr zweckmässige Gewinnung des Blutes ist die mit dem
Heurteloup’schen Schröpfapparat, wie er bei Augenkranken in der Schläfen-
gegend angesetzt wird. Man gewinnt mit demselben ca. 15,0 ccm Blut. Die
beste Ausbeute liefert der Aderlass; auch die Punktion der Vene ist eine gute
und bequeme Art der Blutgewinnung.
Auf die Gewinnung von Blut, wie sie unter den Verhältnissen der Geburt
oder bei sonstigen therapeutischen Eingriffen stattfindet, wird man also haupt¬
sächlich angewiesen sein; denn Gesunde finden sich erfahrungsgemäss nur selten
bereit, sich Blut absiehen zu lassen. Ueber die Verwendung von Leichenblut
(Ziemke) für die Vorbehandlung der Thiere stehen uns praktische Erfah¬
rungen nicht zu Gebote, doch wird man sioh desselben, falls man es steril ge¬
winnen kann, mit Vortheil bedienen können.
Die beste Methode für die Gewinnung von Blut der grösseren Thiere
ist das Einstechen eines sterilen Troicarts in die Vena jugularis, nach¬
dem diese durch einen unterhalb der Einstichstelle um den Hals gelegten
Strick zur Anschwellung gebracht ist; doch kann man auch sehr leicht hei
der Schlachtung der Thiere steriles Blut gewinnen. Wir fangen das
Blut, nachdem man das erste hat abfliessen lassen, unter Beachtung aseptischer
Kautelen in grossen 600 ccm haltenden Zylinderglasen etwa 6,0 cm Durchmesser
betragenden sterilisirten Glaszylindern auf. Nach dem Absetzenlassen des
Serums wird dieses mit grossen 50 com haltenden sterilisirten Glaspipetten
abgehoben und in sterile Beagensgläschen eingefüllt, welche dann im Eis¬
sehrank aufgehoben werden. Man erhält auf diese Weise 200—800 ocm Serum
welches Quantum für eine grosse Anzahl von Einspritzungen ausreicht. Hat
die Blutentnahme nicht völlig steril erfolgen können, so wird das Serum durch
Berkefeld’sohe Filter filtrit. Bei Hühnern und Tauben, Gänsen u. s. w.
schneidet man zweckmässig eine Flügelarterie an, nachdem man die Federn
beseitigt und die Haut mit Alkohol und Aether gründlich gereinigt hat. Man
lässt dann das Blut in ein steriles Gefäss einfliessen. Will man Blut zur Ein¬
spritzung verwenden, so defibrinirt man dasselbe durch Schütteln unmittelbar
nach dem Auffangen in 200 com enthaltenden sterilen Erlenmeyer’aehen
Kolben, in welchen man vorher Glasperlen oder ausgeglühten Eisendraht ein¬
gebracht hat.
Nachdem man das Material zur Einspritzung gesammelt hat,
wird mit der Vorbehandlung der Thiere begonnen. Da entsteht
nun die Frage: „Wie soll man einspritzen, subkutan,
intraperitoneal oder intravenös?“
Alle 3 Arten der Einspritzung sind versucht worden, von
den einen ist die subkutane, von anderen die intraperitoneale
7 ) Für die gütige Üeberlassnng von Menschenblut verfehlen wir nicht,
such na dieser Stelle Herrn Prof. Martin sowie Herrn Dr. Dtttzmann
unsera ergebensten Dank auszuspreehen.
190
Dr. Ublenhnth and Dr. Beoacr.
oder auch die intravenöse Methode bevorzugt. Ueber die sub¬
kutane Methode der Einspritzungen stehen uns Erfahrungen
nicht zu Gebote, doch scheint sie nach den Angaben der
Autoren nicht wirksamer wie die übrigen zu sein. Wir haben
uns bis vor kurzem fast ausschliesslich der intraperitonealen
Methode bedient. Neuerdings wurde nun von Verschiedenen die
intravenöse Methode der Einspritzung als ganz besonders
wirksam hervorgehoben; man behauptete, dass man auf diese
Weise am schnellsten ein hochwirksames Antiserum erzeugen
könne. Wir haben nun diese Angaben an einer grossen Anzahl
von Kaninchen nachgeprüft. Es wurden zur vergleichsweisen
Prüfling der intravenösen und intraperitonealen Methode Kaninchen
von demselben Alter, derselben Rasse, ja, wenn möglich, von dem¬
selben Wurf und Geschlecht genommen. Die Thiere erhielten
alle dieselben Dosen von 2, 3, 4, 5 bis 10 ccm steigend, bald täglich,
bald in Intervallen von 3, 4, 5 und 6 Tagen. Diese Kaninchen
lieferten nun bald nach der Injektion von im Ganzen 15 ccm
Serum ein sehr hochwerthiges Antiserum, bald lieferten sie erst
nach 60 ccm, bald nach 120 ccm, bald überhaupt nicht und zwar
lieferten bald die intravenös- bald die intraperitoneal behandelten
bessere Sera.
• Es war in diesen ad hoc an etwa 30 Kaninchen ange-
stellten Versuchen nicht der geringste Vortheil der intra¬
venösen Methode bezüglich der Gewinnung eines hoch-
werthigen Antiserums festzustellen. Es ist also, soweit wir
bis jetzt urtheilen können, allein die Individualität des
Thieres, welche bei der Gewinnung hochwerthiger Sera von
ausschlaggebender Bedeutung ist; eine wenig erfreuliche That-
sache, die ja auch bei den anderen Immunisirungsverfahren, wie
z. B. bei der Gewinnung des Diphtherieserums eine grosse Rolle
spielt. Es ist sehr bemerkenswerth, dass häufig selbst nach
monatelang fortgesetzter Behandlung mit grossen Dosen (20 bis
40 ccm pro dosi, im Ganzen 500 ccm intraperitoneal) überhaupt
keine Präzipitinblildung beobachtet wurde. Manche Thiere lieferten
nach wenigen Einspritzungen schwach wirksame Sera. Beim
Versuch, diese Sera durch weitere auch intravenöse Behandlung
mit den gleichen oder auch grösseren Dosen höher zu treiben,
haben wir bisweilen einen totalen Rückgang und völligen Schwund
der Präzipitine beobachtet, trotzdem die Thiere gesund und kräftig
waren und an Gewicht Zunahmen. In solchen Fällen kann man
an ein Erlahmen des Rezeptorenapparates denken. In einzelnen
Fällen haben wir daher, nachdem die Thiere ca. 200 ccm Serum
bekommen und keine Spur von Präzipitinen geliefert hatten, die¬
selben 4 Wochen ohne Einspritzung sitzen lassen und dann die
Injektionen wieder aufgenommen. In einigen Fällen haben wir
auf diese Weise nach 2 Einspritzungen von ca. 10 ccm wirksame
Sera erhalten; das ist eine recht interessante und bemerkens-
werthe Erscheinung. Genau dieselben individuellen Verhältnisse
haben Uhlenhuth und Rostoski bei Versuchen zur Ge¬
winnung anderer präzipitirender Sera (Milch, Hühnereiweiss, Ei¬
dotter, Sperma u. s. w.) beobachtet.
Praktische Anleitung snr gerichtsintlieben Blutuntcrzuchung n. a. w. 191
Als Modus für die Injektionen empfehlen wir nach
unserer Erfahrung für die intraperitoneale alle 4—5 Tage 10
bis 20 ccm Serum oder defibrinirtes Blut, für die intravenöse In¬
jektion 5—10 ccm.
Die intraperitoneale Injektion wird in folgender Weise vor-
genommen: Ein Gehilfe amfasst mit seiner linken Hand die beiden Hinterbeine
de* Kaninchens, hält dieselben nach oben, während die rechte Hand beide Vorder¬
beine umfasst und sie nach abwärts hält, sodass der Kopf des Thieres senkrecht
nach unten sieht. Auf diese Weise wird erreicht, das die Gedärme möglichst
in die obere Hälfte der Bauchhöhle hineinfallen. Die Bauchfläche des senkrecht
gehaltenen Thieres wird demjenigen, der die Injektion ausftthrt, zugewandt.
Dieser wählt als Stelle der Einspritzung die Unterbaucbgegend, entfernt dort
Termittelst einer 3cheere die Haare, schneidet mit ausgeglflhter Scheere die
tu Falte erhobene Oberhaut durch, sodass an einer etwa erbsengroesen Stelle
die Muskulatur freiliegt. Mit einer stumpfen Kanflle wird nunmehr die
Bauchwand vorsichtig dorchstossen, die Spritze aufgesetzt und die Injektiona-
maase eingespritst. Nach heraussiehen der Nadel wird die kleine Wunde mit
Kollodium- Wattebausch verschlossen.
Die intravenöse Einspritzung erfolgt in bekannter Weise durch Ein¬
führung der Kanflle in die Ohrvene, wobei zu beachten ist, dass keine Luft in
die Vene hineingelangt. Nach Heraussiehen der Kanflle wird die etwa anf-
tretende Blutung gestillt durch Kompression mit dem Fingernagel bezw. duroh
etwas angedrttckte Watte. Hin und wieder ist die Nachblutung so erheblich,
dass eine Umstechung des Gefässes nothwendig ist. Während nach der intra¬
peritonealen Injektion Krankheitserscheinungen fast gänzlich fehlen, sieht
man nach der intravenösen Einspritzung Zeichen, die auf ein mehr oder minder
schweres Kranksein hindeuten. Am häufigsten sind schwere Dyspnoe vorhanden,
lähmungsartige Schwäche, Durchfälle und unwillkttrliches Entleeren von Urin.
Unter diesen Erscheinungen können je nach der Herkunft des Serums die
Thiere sofort oder nach einigen Stunden verenden. Im wesentlichen hängt
dieses Krankheitsbild bezw. der Tod ab von der hämolytischen Wirkung des
Blutserums und in dieser Beziehung ist am wenigsten gefährlich Pferd und
Bselserum; die flbrigen Serumarten sind von eingreifender Wirkung und daher
vorsichtiger zu verwenden. Luftembolie muss natürlich auf’s sorgfältigste ver¬
mieden werden. (S. auch Uhlenhuth, zur Kenntniss der giftigen Eigenschaften
des Blutserums, Zeitschrift fflr Hygiene 1897, Bd.26, sowie Uhlenhuth und
Moxter: Ueber Veränderungen der Ganglienzellen bei experimenteller Ver¬
giftung mit Rinder und Menschenblutserum. Fortschritte der Medizin, Bd.
XVL, 1898, Nr. lü).
Es ist nothwendig, mit jeder Blntart 5—6 Thiere gleich¬
zeitig zu behandeln.
So kommt es, dass die Gewinnung der Sera die Geduld ganz
erheblich in Anspruch nimmt, denn aus den erörterten Gründen
kann man bisweilen recht viele Thiere noch so sorgsam vorbe¬
handeln, ohne ein brauchbares Serum zu gewinnen. Daraus er¬
klären sich auch zum Theil die äusserst zahlreichen, an das
hygienische Institut gerichteten Nachfragen nach Serum.
Um nun festzustellen, wann die Kaninchen ein fflr die Praxis
brauchbares Serum liefern, ist es nothwendig, in gewissen Inter¬
vallen das Blut dieser Thiere auf seinen Präzipitingehalt zu
untersuchen. Wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, tritt dieser
Zeitpunkt bei den einen früher, bei den anderen später oder g&r-
nicht ein. Es ist zweckmässig, von der dritten Injektion an eine
Probeblutentnahme vorzunehmen, und zwar musB diese in dem
Augenblick stattflnden, in welchem der Thierkörper auf dem Höhe¬
punkt der Präzipitinbildung steht. Dieser ist 5—6 Tage nach der
letzten Einspritzung erreicht; nach 8—14 Tagen zeigt sich das
194
Dr. Roepk«.
Entleeren des Sputums aus den Spuckbecheru und Taschenspuck¬
flaschen und die Reinigung derselben in bequemer, ästhetisch ein¬
wandsfreier Weise ermöglichen. Jeden Morgen, noch bevor die
Patienten aufzustehen pflegen, wird dann von dem Desinfektor
(gleichzeitig Heizer) der Heilstätte das am vorhergehenden Tage
gesammelte Sputum aus dem Sammelbassin direkt in das Eloset
entleert und letzteres tüchtig nachgespült, eine Prozedur, die bei
dem nur wenige Meter betragenden Transport innerhalb desselben
Raumes und der mit beweglich aufklappbaren Sitzen versehenen
Klosetanlage im Augenblick geschehen ist und eine Verstreuung
von infektiösem Material so gut wie sicher ausschliesst. Als
Flüssigkeit zum Aus- und Durchspfllen der Spuckutensilien wurde
bisher eine l°/ooiff e Sublimatlösung benutzt, und zwar lediglich
aus dem Grunde, um die Wirkung etwaiger Fäulnisserreger in
den Fläschchen hintanzuhalten; in die als Sputum-Sammelbassins
dienenden Porzellan-Standgefässe, welche mit zwei bequem und
sicher anzufassenden runden Porzellangriffen versehen sind, kam
eine starke Sodalösung (s. die nebenstehende Zeichnung).
Die freie Verfügung der Kranken über eine stark giftig
wirkende Sublimatlösung kann bedenklich erscheinen; thatsächlich
ist aber bei dem Naturell der grenzenlos optimistischen Lungen¬
kranken im Allgemeinen und bei der Psyche unserer freiwillig in
die Heilstätte eingetretenen Patienten im Besonderen ein Miss¬
brauch kaum zu erwarten. Anders liegen die Verhältnisse aller¬
dings ausserhalb der geschlossenen Anstalt. Begründeter ist der
zweite Einwand, dass durch die Sublimatsodalösung trotz viel-
stündigen Einwirkens die Tuberkelbazillen im geballten Sputum
nicht abgetödtet werden, dass dieselben vielmehr — nach den Fest¬
stellungen von Musehold — auch in den Abwässern noch eine
Anzahl von Monaten hindurch trotz aller Schädlichkeiten infektions¬
tüchtig bleiben. Letzteres Bedenke^ hat indess bei den örtlichen
Boden- und Lageverhältnissen der hiesigen Heilstätten und ihrer
Abwässer- und Fäkalien-Ableitung, die 300 m von den Anstalts¬
gebäuden entfernt mitten im Walde 1,50 m tief unter Terrain
endigt, keine praktische Bedeutung. Immerhin ist aber unsere
Sputumvernichtungsanlage bisher eben wegen der Giftigkeit des
Sublimats und der erhalten bleibenden Infektiosität des Sputums
keine ideale gewesen, so tadellos sich auch ihre Benutzung
durch die Kranken bewährte, so ansprechend und sauber sie stets
aussah, und so sehr sie auch den Forderungen der Disziplin für
die Anstalt und der Erziehung fttr’s Leben entsprach.
Diese Umstände, die der Herausgeber der Zeitschrift und der
frühere Chefarzt der Heilstätte, Dr. v. Scheibner, bestätigen
können, veranlassten mich schon vor Jahresfrist, sobald Labora¬
torium und Meerschweinchenställe hergestellt waren, experimentell
nach einem Desinfiziens zu forschen, welches die Tuberkelbazillen
im Sputum innerhalb einer bestimmten Zeit sicher abtödtet. Ge¬
lang es, ein derartig wirkendes, im Gegensatz zum Sublimat)un¬
gefährliches, ferner geruchfreies bezw. angenehm riechendes und
billiges Präparat zu finden, so wurde unsere Einrichtung zur
Zar BaMitigaag ui Deatafaktioa dea Spatam«.
196
Dr. Roepk«.
Sfmtambeseitigiing vom sanitätspolizeilichen wie hygienischen
Standpunkte aas für alle Verhftltniss bequem und praktisch
durchführbar. Ein derartiges Desinfektionsmittel würde sich ferner
zar Füllung der Flur- und Zimmerspacknäpfe und aller sonstigen
zur Sputum&ufnahme bestimmten Gerfithe eignen, denn dadurch
wäre nicht nur die Reinigung dieser Utensilien für das Personal
gefahrlos gestaltet, sondern anch die Entleerung des desinfizirten
Inhalts in die Abortgruben, selbst in die Ausgussbecken für die
Allgemeinheit durchaus unbedenklich.
In meiner Absicht wurde ich durch die Beobachtung bestärkt,
dass die Nachahmung unserer Anlage seitens einiger grösserer Kur¬
pensionen des Bades Lippspringe von den Kurgästen mit Freuden
anigenommen und gern und bereitwilligst benutzt wurde. Als
Spülflüssigkeit diente hier eine starke Sodalösung, das gesammlte
Sputum wurde in den Abort geschüttet. Dass in den Senkgruben
die Tuberkelbazillen unter der Einwirkung von Fäulnissorganismen
bald überwuchert und autgezehrt werden, kann wohl keinem Zweifel
unterliegen, zumal es sich bei der immerhin beschränkten Anzahl
toh Kranken in solchen Pensionen nicht um so grosse Mengen
von Lungenauswurf handelt wie etwa in den Heilstätten. Eine
weitere, sicher konstatirte Folge jener Einrichtung war, dass die
Patienten, die bisher in das Taschentuch oder achtlos auf den
Boden gespuckt hatten, ihre Spuckfläschchen jetzt aus dem Ver¬
steck hervorholten und benutzten, nachdem ihnen eine günstige
Gelegenheit zur Reinigung der Spuckgefässe geboten war. Diese
Thatsache ist sehr bezeichnend und entspricht ganz den täglichen
Heilstättenerfahrungen: Die weitaus meisten Lungenkranken, ab¬
gesehen von ganz indolenten und jeglichen Sinnes und Gefühles
für Reinlichkeit baren Individuen, werden schon aus Eigenliebe
und Selbsterhaltungstrieb in der Behandlung ihres Auswurfs vor¬
sichtig und sorgsam. Wenn wir leider noch viel zu häufig im
Freien und unter Dach auf achtlos ausgeworfene Sputa stossen,
so liegt das m. E. eigentlich weniger an den Kranken selbst, als
an äusseren Einflüssen, vor Allem an dem Vorurtheil des
Publikums — des gesunden noch viel mehr als des kranken —
gegen den Gebrauch der Spuckflasche und an der
mangelnden Gelegenheit zu ihrer Entleerung und
Reinigung. Wir wollen uns nicht verhehlen, dass wir im
Kampfe gegen die Tuberkulose als Volkskrankheit gegen Wind-
mühlenflügel kämpfen, so lange die Allgemeinheit in übertriebener,
geradezu verletzender Scheu jeden die Spuckflasche benutzenden
Mitmenschen meidet und isolirt. Die Beobachtung, dass Lehre¬
rinnen, Gymnasiasten, Studenten und die in geschlossenen Räumen
sich bestätigenden besseren Stände so auffallend viel häufi¬
ger zu der Tuberkulose der Lunge noch eine solche des Darmes
hinzubekommen, als Arbeiter, Handwerker und die im Freien be¬
schäftigten Leute, ist mir ein Beweis für die traurigen Folgen
jenes Verhaltens: Letztere spucken überall aus, wo sie gerade
•feehen und gehen, entere schlucken den Auswurf krampfhaft
'runter, weil in ihren Gesellschaftskreisen eine übelverstandene
Zu Beseitigung ud Desinfektion des Spntams.
197
Aesthetik über varnunftgemässe Hygiene trinmphirt und auch den
diskretesten Gebrauch der Spuckflasche verpönt und mit Aechtung
bestraft. In den weitesten Volkskreisen findet man auch heute
noch nichts dabei, wenn Jemand rechts und links um sich spuckt,
wenn er nur nicht das gefürchtete blaue Fläschchen aus der
Tasche zieht. Und selbst diejenigen, die durch solchen Unver¬
stand unbeeinflusst, die Spuckflasche bei der Arbeit und auf Reisen
benutzen wollten, wo finden sie ausserhalb ihres Hauses die Ge¬
legenheit, die Flasche zu entleeren nnd sauber zu machen? Darum
ist es nicht minder wichtig, überall dort, wo viele Menschen Zu¬
sammenleben, Zusammenkommen und passiren — in Fabriken und
Werkstätten, Mieths- und Geschäftshäusern, Hotels und Wirth-
achaften, Bahnhöfen und Zügen, Amts- und Verwaltungsgebäuden,
Schulen und Krankenhäusern —, überall Vorrichtungen zu
treffen, die leicht erreichbar und bequem benutzbar
die Entleerung und Reinigung der Taschenspuck¬
flaschen ermöglichen. Das eine Moment fördert und bedingt
das andere, beide aber sollten als die gegen die mächtigste Quelle
der Schwindsucht gerichteten und darum aussichtsvollsten prophy¬
laktischen Massnahmen mehr als bisher in den Vordergrund prak¬
tischer Tuberkulosebekämpfung treten!
Inwieweit das Reichsgesetz, betr. die Bekämpfung gemein¬
gefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900 gestatten wird,
durch sanitätspolizeiliche Verordnungen das Ausspucken auf
Strassen, in öffentlichen Gebäuden, in Strassenbahnwagen etc. bei
Strafandrohung zu untersagen, hängt von den Ausführungs¬
bestimmungen zu diesem Gesetze ab. Doch glaube ich nicht, dass
in Deutschland für die grossen Städte und Industriezentren, die
bekanntlich das grösste Kontingent an Phthisikern stellen, Spuck¬
verbote durchführbar sind, wie es in Amerika anscheinend mit
grossem Erfolge bereits geschehen ist. Gerade an diesen Orten
Hessen sich aber von Seiten der Kommune innerhalb der auf
freien Plätzen, an Promenaden und in Anlagen bereits bestehenden
Pissoirs und Bedürfhissanstalten ohne grossen Kostenaufwand
Sputumbe8eitigungs - Einrichtungen installiren. Wieviel Sputa
würden hier ungesehen aus der Spuckflasche verschwinden, die
jetzt auf offener Strasse anekeln, zertreten und an Stiefeln
und Kleidern mit ins Haus und in die Wohnung getragen werden—
wahrscheinlich zum grössten Schaden, als beste Infektionsquelle
für die am Boden spielenden Kleinen.
Vor Allem ist es dringend nothwendig und auch gesetzlich
zulässig, die Assanirung der Sommerfrischen und Kur¬
orte nach dieser Richtung hin von Polizei wegen zu verlangen.
Ich will es mir versagen, auf meine vorjährigen Lippspringer Be¬
obachtungen in puncto Sputumbeseitigung zurückzugreifen, ver¬
weise aber auf die neulichen Verhandlungen in der Versammlung
der Medizinalbeamten des Regierungsbezirks Hildesheim (konf-
Bericht in der Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1902, Nr. 24).
Peccatur intra muros et extra muros! Die hier von den Referenten
gemachten Vorschläge zur Abwehr der Gefahr, welche der freie
198
Dr. Roepke.
und unbeaufsichtigte Verkehr von Lungenkranken in den Gast¬
höfen und Privathäusern der Harzknrorte für die öffentliche Ge¬
sundheit verursacht, müssen als durchführbar auch für alle anderen
Sommerfrischen und Kurorte, als dringend nothwendig für die
Lungenkurorte anerkannt werden, ln letzteren strömen ja gerade
während der Hauptsaison ausser dem grossen Heer der Tuber¬
kulösen eine Menge Bronchitiker, Bronchiektatiker, Emphyse-
matiker und Asthmatiker mit anomalen, widerstandsschwachen, für
die Tuberkulose-Infektion disponirten Athmungsorganen zusammen.
Diese müssen geschützt werden, und dies geschieht keineswegs
ausreichend durch die wenig geschmackvolle Aufstellung von
einigen Spucktöpfen längs der Kurpromenaden, an der sich eine
auf den eigenen Geldbeutel allzu sehr bedachte Kurverwaltung
gern und meist genügen lässt. Die Lungentoilette wird von den
Kranken auch schon auf dem Zimmer gemacht oder auf dem Wege
7,um Brunnen vollendet, nicht erst auf der Promenade. Darum
gehören in die Kurhäuser, Hotels, Pensionate, Hospize
und Heime ausser Flur- und Zimmerspucknäpfen, auch noch
Handspuckbecher und in die Taschen der Kranken die
Spuckfläschchen. Darum tritt aber auch hier wieder als ein
weiteres, ganz besonders gerechtfertigtes Postulat, die Schaffung
von Sputumbeseitigungs-Einrichtungen innerhalb der
einzelnen Häuser hervor. Und es bedarf wohl keiner weiteren
Begründung, dass für diese Verhältnisse und Zwecke eigentlich
nur eine ähnliche Einrichtung wie die oben skizzirte
und die Desinfektion mittels Chemikalien in Frage
kommen kann.
Damit komme ich zu dem zweiten Theil des Themas, zu
meinen experimentellen Untersuchungen, die sich auf die
Prüfung folgender Chemikalien tuberkulösem Sputum gegenüber
erstrecken: 1. Sublimat; 2. Bazillol (Franz Sand er-Hamburg);
3. Chinosol (Franz Fritzsche-Hamburg); 4. Lysoform (cf. 5.);
5. Karbollysoform (Lysoform-Gesellschaft, Berlin SW.); 6. Flüssige
Formalinseife mit 10% und 25% Formalin-Schering (Theodor
Hahn-Schwedt a. 0.)
Was die Anordnung der einzelnen Versuche betrifft,
so habe ich in allen Fällen das chemische Präparat in gewöhn¬
lichem Leitungswasser gelöst und volle 8 Stunden ohne Umrühten
auf eitriges, charakteristisch geballtes, tuberkulöses Sputum ein¬
wirken lassen. Ich bemass die Einwirkungsdauer auf 8 Stunden,
weil ich mir sagte, dass die Kranken nach 10 Uhr Abends
schlafen zu gehen und vor 6 Uhr Morgens nicht aufzustehen
pflegen, und somit das ungestörte Verbleiben des Sputums in der
Flüssigkeit mindestens 8 Stunden betragen müsse. Auf 50 ccm
desinfizirender Lösung wählte ich 2—3 von verschiedenen Patienten
stammende Sputumballen, deren zahlreiche Tuberkelbazillen durch
gleichzeitige Kontrolversuche als hoch virulent nachgewiesen
wurden. Nach der Einwirkungszeit wurde das Sputum nachein¬
ander in 5 Gläschen mit sterilem Salzwasser gewaschen, um die
anhaftende und eingezogene Desinfektionsflüseigkeit zu entfernen.
Zu Beseitigung und Desinfektion dee Spntnma. 199
Die schliesslich übrig bleibenden Sputumtheile wurden denn in
sterili8irter physiologischer Kochsalzlösung möglichst vollständig
aufgelöst and in annähernd gleicher Dosis (*/* ccm) meist anf je
zwei Meerschweinchen intraperitoneal verimpft. In der zur In¬
jektion verwandten Aufschwemmung Hessen sich stets Tuberkel¬
bazillen nachweisen. Die Versuchsthiere wurden, falls sie nicht
schon früher starben, nach ca. 7—10 Wochen getödtet.
Zur besseren Uebersicht sind sämmtliche Versuche in drei
Tabellen eingetragen. Aus Tabelle I ergiebt sich, dass alle
Versuchsthiere mit Ausnahme der Nummern 12, 14, 17, 18 u. 19
bei der Sektion mehr oder weniger vorgeschrittene Tuberkulosen
zeigten. Nr. 14 und 19 starben schon 8 bezw. 6 Tage nach der
Injektion; die zum Tode führenden Beizerscheinungen in der
Bauchhöhle scheinen mir durch das Formalin bedingt, das dem
Sputum auch nach dem Waschen noch anhaftete und durch den
Geruch zu erkennen war. — Nr. 12 starb im Anschluss an einen
Partus; Nr. 18 hatte bei der Sektion eine Pneumonie mit Leber¬
und Milzschwellungen, doch war in beiden Fällen — 65 bezw. 71
Tage nach der Impfung — keine Tuberkulose zu konstatiren,
auch hatten Gewichtsabnahmen nicht stattgefunden. Beide Fälle
waren mit Sputum injizirt, auf welches eine 5 % ige Lysoform-
lösung eingewirkt hatte. Dass dieselbe aber den Tuberkelbacillus
im Sputum auch noch nicht sicher abtödtet, beweist Fall 13 mit
seiner beginnenden Tuberkulose. In dem Falle 17 schliesslich,
in welchem ein vorher mit 3 % igem Karbollysoform behandeltes
Sputum verwendet war, deuten Fettschwund, Gewichtsabnahme
und Drftsenschwellungen auf Tuberkulose hin, wenn auch zweifellose
tuberkulöse Veränderungen an den inneren Organen nicht beob¬
achtet worden sind; die zur mikroskopischen Untersuchung her¬
ausgeschnittenen Drüsen sind aus Versehen leider beseitigt worden.
Nr. 1, 2, 3 bestätigen die Beobachtungen von Fischer, Schill
und anderen Autoren über die Unbrauchbarkeit des Sublimats
schlechtweg, d. h. in neutraler wässeriger Lösung, zur Sputum¬
desinfektion. Nach meinen Versuchen steigert sich sogar mit
der Konzentration der zur Desinfektion angewandten Lösung die
Schwere der Infektion beim Versuchsthiere. Dies beruht offenbar
darauf, dass die stärkere Sublimatlösung beim Zusammentreffen
mit dem eiweissreichen Auswurf um so mehr umlösliches Queck-
silberalbuminat bildet, welches wie ein fester Wall die inneren
Sputumbestandtheile vor der Abtödtung schützt. Ein ähnliches
Verhalten zeigte das Sputum bei der Behandlung mit Chinosol
(Nr. 6 und 7); durch dasselbe wurden ebenfalls die einzelnen
Ballen und Klümpchen in ihrer Formation nur noch fester und
abgeschlossener. Demzufolge trat auch hier bei den Versuchs-
thieren schon im Verlaufe der 4. Woche eine äusserst schwere
Tuberkulose auf.
Diese Eigentümlichkeit der Chinosollösung musste auffallen
gegenüber der Wirkung des Bazillol, Lysoform und Karbollysoform,
die das Sputum im Allgemeinen dünnflüssiger machten. Es
lag nahe, hieraus auch den Grund für das verschiedene Des-
200
Dr. Boepke.
infektionsvermögen der Lösungen herzuleiten, da unter sonst
gleichen Verhältnissen selbstverständlich dasjenige Mittel am
ehesten und intensivsten bakterientödtend wirken muss, welches
mit den Krankheitserregern am innigsten in Berührung kommt.
Im Gegensätze zum Chinosol hatten auch die prozentualiter gleich
starken Lösungen des Bacillol, Lysoform und Karbollysoform eine
zweifellos entwicklungshemmende — antiseptische — Wirkung
auf die im Sputum eingeschlossenen Krankheitserreger: während
die Thiere Nr. 6 und 7 (Chinosol) ebenso wie die Kontrollthiere
gewöhnlich schon in der 3. bis 4. Woche an hochgradiger Tuber¬
kulose zu Grunde gingen, lebten die übrigen Versuchsthiere
(Bazillol, Lysoform, Karbollysoform) 7—10 Wochen und länger, ehe
sie der Infektion erlagen. Aus der schwach sauren Reaktion
der Chinosollösung und der deutlich alkalischen Reaktion
der Bazillol-, Lysoform- und Karbollysoform-Lösungen schloss ich
weiter, dass Chemikalien mutatis mutandis um so ge¬
eigneter zur Sputumdesinfektion sein müssten, je al¬
kalischer sie sind, je mehr sie vermöge der Alkaleszens das
Sputum für die Einwirkung ihrer desinfizirenden Kräfte lösen
und zugänglicher machen. Der Augenschein bestätigte die Schluss¬
folgerung: jegliches Sputum wurde durch Zusatz von reiner Kali¬
lauge zusehends, längstens in einer Stunde vollständig verflüssigt;
durch Kalilauge in 10- und 20facher Verdünnung wurde es in
wenigen Stunden gelöst und selbst durch eine Lösung von 1 Kali¬
lauge auf 100 Wasser wandelte es sich innerhalb 8 Stunden zu
einer zähen, leicht sulzigen Aufschwemmung um, die dem Aussehen
nach gar nicht mehr an Sputum erinnerte. Auf der anderen
Seite war zu beobachten, dass selbst in einer eben sauer rea-
girenden Lösung die Sputumballen schrumpften und derber
wurden, ohne dass trotz tagelangen Stehenlassens — auch nur
ein Schleimpartikelchen sich dem umgebenden flüssigen Medium
mittheilte.
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Desinfektionsmittel.
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65
20. IX. 65
|i7.vn.
I20. IX.
20. IX.
66 (20. IX.
Tuberkulose.
Tuberkulose.
Schwere Tuberkulose.
Tuberkulose.
Tuberkulose.
| Schwere Tuberkulose.
Tuberkulose.
Tuberkulose.
\ Beginnende Tnber-
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Partus. Keine Tuber¬
kulose.
Beginnende Tuber¬
kulose.
Zur Besoitigoag und Deaiafektion dea Sputum».
201
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Sämmtliobe Thiere
Täiml anscheinend töI-
lig geanod und haben
an Kürpetgewicbten-
genonuneiL.
Dr. Roepke.
202
Durch diese einfachen Versuche wurde wissenschaftlich
erklärt, was bereits in der Praxis rein empirisch angewandt war:
schon seit Jahren wusste man bei der Dampfdesinfektion das
Dünnflüssigwerden des Sputums durch Zusatz von Soda zu
fördern, und wir selbst hatten ja in den hiesigen Heilstätten
gleich von Anfang an auf den Rath des Herausgebers dieser Zeit¬
schrift eine starke Sodalösung in die Sputum-Sammelbassins ge¬
schüttet, hier wie dort unbewusst und unbekümmert um den oben
geklärten Zusammenhang. Neu ist also in meinen weiteren Unter¬
suchungen nur der Gedanke, die zur Sputumdesinfektion
als unbedingt nothwendig erkannte Alkaleszens in
genügender Konzentration zu schaffen und in das
desinfizirende Medium hinein zu verlegen.
Tabelle II verzeichnet — der Vollständigkeit halber —
4 missglückte Versuche mit Sputum, welches vor der Injektion
einer 8 stündigen Einwirkung von Kalilauge (5 :100 und 2 : 100
Wasser) ausgesetzt war. Es war ausserordentlich schwierig, die
verflüssigten, leicht gleitenden Sputumreste zu waschen, so dass
wohl die tödtlichen akuten Peritonitiden auf die mitverimpfte Kali¬
lauge zurückzuführen sind.
Das war im September v. J. Bevor ich an weitere Thier¬
versuche heranging, suchte ich festzustellen, in welcher al¬
kalischen Konzentration die einzelnen chemischen Präparate
am schnellsten und gründlichsten ein massiges, kopiöses, geballtes
Sputum lösten. Dabei wurde indess von Bazillol, Chinosol und der
Formalinseife Abstand genommen. Ersteres schien wegen seines
auch in schwacher Lösung noch unangenehmen Kresolgeruches zur
Aus- und Darchspülung der Spuckutensilien nicht geeignet. Das
Cbinosol wurde durch Kalilauge ausserordentlich stark trübe, fast
käsig (ausgefälltes Oxychinolin) und dadurch gleichzeitig in seiner
desinflzirenden Wirkung herabgesetzt. Die neutrale, flüssige
Formalinseife verlangte einen stärkeren Kalilaugezusatz als Lyso-
form und Karbollysoform, ohne bezüglich des verflüssigenden Effektes
diesen gleichzukommen. Ich beschränkte mich daher auf die
Prüfung des Lysoform, Karbollysoform und Sublimat
und stellte zunächst fest, dass 1—5 % iges Lysoform, 1—3 % iges
Karbollysoform un i 1—2°/ ?0 iges Sublimat, jedes bei gleichzeitigem
Gehalt von 1—5 ccm Kalilauge auf 100 ccm Lösung, auf jeg¬
liches Sputum verflüssigend wirkten, und zwar je nach
Beschaffenheit der Sputumballen schneller oder langsamer, meist
schon in 1—4 Stunden bei ruhigem Stehenlassen.
Ueber die im Anschluss hieran vorgenommenen Thierversuche
berichtet Tabelle III. Die Nummern 24—29 beweisen im Gegen¬
satz zu den vorhergegangenen Versuchsreihen, dass Lysoform,
Karbollysoform und Sublimat wohl im Stande sind,
die Tuberkelbazillen im Sputum abzutödten, wenn
durch das betr. alkalische Desinfiziens gleichzeitig die physi¬
kalischen Verhältnisse der Sputa günstiger für ihre Einwirkung
gestaltet werden. Durch die folgenden Versuche 30—35 sollten
die gleichen Chemikalien auf die unteren Grenzwerthe ihres Ab-
Zur Beseitigung und Desinfektion des Sputums.
303
tödtungsvermögens hin geprüft werden. Sublimat (Nr. 34 u. 35) ist
auch in 1 °/ (K iger, leicht alkalischer Lösung wirkungsvoll, während 68
beim 1 ®/o tigen Lysoform (durch Nr. 30) und Karbollysoform (durch
Nr. 38) zum wenigsten zweifelhaft bleibt, ob ihr bakterizider Einfluss
auf tuberkulöses Sputum noch ausreichend ist. Die unsichere Wirkung
konnte auch darauf beruhen, dass durch die schwache Alkaleszens
der Lösung das Dünnflüssigwerden der Sputumballen sich ver¬
zögerte und dadurch die Einwirkungszeit der eigentlichen Deinfi-
zientien eine zu kurze war. Zu diesem Zwecke stellte ich eine grosse
Anzahl von Beobachtungen darüber an, bei welchem Kalilauge-
Zusatz das 1 % ige Lysoform, 1 % ige Karbollysoform und 1 °/ 00 ige
Sublimat am schnellsten das Sputum auf lösten. Es ergaben sich
folgende Werthe für die einzelnen Präparate: Lysoform 1 -f-
Kalilauge l ) 4 auf 100 Wasser, Karbollysoform 1 -f- Kalilauge*) 3
auf 100 Wasser und Sublimat 0,1 -(- Kalilauge *) 3 auf 100 Wasser.
Diesem Ergebniss entsprechend wurden die Versuche 36—41 an¬
gestellt. Heute, 3 Wochen nach der Impfung, hat es den An¬
schein, als ob so vorbehandeltes tuberkulöses Sputum
seine Virulenz für Meerschweinchen eingebüsst hat,
d. h. thatsächlich desinfizirt ist.
Fassen wir das Resultat der Untersuchungen zu¬
sammen, so unterliegt es keinem Zweifel, dass — ganz
allgemein ausgedrückt — Lysoform, Karbollysoform und
Sublimat in stark alkalischer wässriger Lösung ab-
tödtende Eigenschaften tuberkelbazillenhaltigem Spu¬
tum gegenüber besitzen und zwar voraussichtlich in
einer Konzentration, welche ihre allgemeine Anwendung
zur Sputumdesinfektion vom medizinischen und prak¬
tischen Standpunkte aus rechtfertigen kann. Bliebe das
Sublimat wie bisher den Anstalten Vorbehalten, so hätten wir
immerhin in einem stark alkalischen Lysoform und Karbollysoform
ungefährliche, wohlriechende und billige Desinfektionslösungen für
die Bedürfnisse des'praktischen Lebens. Letztere sind zwar in
1 °/o iger Lösung nicht ganz klar, zeigen vielmehr bei Gebrauch
von gewöhnlichem Leitungswasser bis zu 8 Härtegraden eine
leicht opaleszirende Trübung, doch dieser Umstand hat für die
beabsichtigte Anwendung, zur Spülung der Spuckutensilien und
Füllung der Spucknäpfe zu dienen, gar keine Bedeutung.
Es ist anzunehmen, dass es der Technik gelingen wird, das
jetzige Lysoform und Karbollysoform auf eine wesentlich höhere
alkalische Reaktion zu bringen, sei es auch unter Aenderung
des Aggregatzustandes. Bezüglich des Karbollysoform glaube ich
dies sicher, da ich dasselbe im Verhältniss von 1 : 4 Kalilauge
im Reagensglase unter leichtem Erwärmen vollständig und klar
lösen konnte; in der Kälte wurde das Gemisch zu einer fast
weichen, schmierseifenähnlichen Masse, die indess für kaltes Wasser
leicht löslich blieb.
Weiteres möchte ich heute nicht ausführen. Ich bin mir
') Lig. Kalii caturt. renal (34 •/,).
*) Lig. Kali! eanet. (pharm. 15°/ 0 ).
204 Die erste Berathung des preuss. Abgeordnetenhaases Uber die Gesetzentwürfe
wohl bewusst, dass gerade bei den Desinfektionsyersnchen mit
Chemikalien die Ergebnisse der Laboratorimversnche nnr mit
Vorbehalt auf die Praxis übertragen werden dürfen. Ich bin
daher bereits seit einiger Zeit damit beschäftigt, die einzelnen
Untersuchongsergebnisse im grossen Heilstättenbetriebe auf
ihre Richtigkeit hin zu prüfen und praktisch auszu-
probiren. Dann erst will ich mit praktischen Vorschlägen
zur Sputumbeseitigung und Sputumdesinfektion im Sinne meiner
einleitenden Ausführungen hervortreten.
Die erste Berathung des preussischen Abgeordnetenhauses
über die Gesetzentwürfe betreff, die Gebühren der Me¬
dizinalbeamten und das preussische Ausführungsgesetz
zu dem Reichsseuohengesetz.
Die erste Berathung des Abgeordnetenhauses über die beiden
Gesetzentwürfe (s. Nr. 4 der Zeitschrift, S. 132) hat auf Ersuchen
des Kultusministers, der ihre Verabschiedung noch im Laufe der
diesjährigen Session dringend wünscht, bereits in der Sitzung
vom 16. Februar d. J. stattgefunden. Wir lassen zunächst die
Verhandlungen auf Grund des stenographischen Berichtes folgen:
A. Gesetzentwurf, betreffend die Gebühren der Medizinalbeamten.
Abg. Dr. Ruegenberg (Zentr.): Bei den Verhandlungen in der Budgetkom-
mission im vorigen Jahre wurde ein spezielles Eingehen auf die Vorlage abgelehnt,
so lange nicht gewisse Unterlagen beschafft wären. Diese betrafen erstens den
Nachweis, inwieweit sich die Stellung der Kreisärzte seit Erlass des Kreisarzt,
gesetses geändert habe, nnd inwieweit sich das Einkommen der Kreisärzte an¬
amtlichen Verrichtungen geändert habe; zweitens verlangte man den Nachweis,
dass daroh das neue Gebährengesets eine weitere Belastung der Gemeinden
möglichst vermieden werde. Die Begierungskommissare haben darauf den Mit¬
gliedern der Kommission eine Erklärung Qbergeben, in welcher der Nachweis
zu führen gesucht wird, dass im Wesentlichen eine Mehrbelastung der Ge¬
meinden nicht stattfinden werde; die Bestimmungen des preussischen Seuchen¬
gesetzes wttrden ebenfalls zeigen, dass die im Öffentlichen Interesse nothwendigen
Kosten möglichst der Staatskasse zur Last gelegt werden sollten.
Wie weit es gelangen ist, werden die weiteren Verhandlungen Aber den
vorgelegten Entwurf ergeben. Der Gesetzentwurf hat bei den beamteten
Aerzten im Allgemeinen eine Enttäuschung hervorgerufen; denn eine ganze
Anzahl von Positionen sind noch unter diejenigen des Gesetzes vom 9. März
1872 herabgedräckt worden, und dieses war nur eine Wiederholung der Medi-
sinaltaze von 1815, so dass also danach noch unter die Sätze der Medizinal¬
taxe von 1815 bei einer ganzen Reihe von Positionen heruntergegangen ist.
Die Medizinalbeamten sind der Ansicht, wenn der in der Einleitung der Be¬
gründung ausgesprochene Zweck des Gesetzes, die Unbilligkeiten zu beseitigen,
die dadurch entstanden sind, dass den vermehrten Ansprüchen an die prakti¬
sche und wissenschaftliche Vorbildung und der vermehrten Arbeitsleistung nicht
genügend Rechnung getragen worden ist, erreicht werden soll, dieses in der
Festsetzung einer grossen Reihe von Positionen nicht zum Ausdruck gekommen
sei. Sie begreifen ferner nicht, waram die Gebühren für geriohtsärztliahe Ver¬
richtungen niedriger bemessen werden sollen, als andere ärztliche Verrichtungen,
und verweisen darauf, dass bei den ihnen gleichgestellten Kategorien von Be¬
amten, den Bauinspektoren und Gewerbeinspektoren, doch auch kein Unter¬
schied in der Vergütung für amtliche Verrichtungen gemacht werde. 8ie
empfinden es ferner nicht als ganz würdig, dass der Medizinalbeamte, wenn er
die bei vielen Positionen vorgesehene Minimaltaxe überschreitet, genau nach-
betr. di« Gebühren der Medizinalbeamtcn and des preuis. Sencbengcsetz. 205
weisen soll, warum das geschehen sei. Das ist eine sehr schwierige Aafgabe;
denn die Grösse der Arbeitsleistung and das Interesse, welches der Beamte
bei der Ausführung einer Amtshandlung dnrch seine Arbeit bewiesen hat, lässt
sieh weder mit der Elle messen, noch Überhaupt sichtbar darstellen.
Aber auch die nicht beamteten Aernte stehen dem Entwurf mit
sehr getheilten Gefühlen gegenüber. Nach §. 10 sollen amtsärztliche Verrich¬
tungen, die durch sie ausgeführt werden, nach denselben Sätzen honorirt werden
wie bei den beamteten Aerzten. Die offizielle Vertretung des ärztlichen
Standes, der Ausschuss der preussischen Aerztekammern, hat sich im vorigen
Jahre und in diesem Jahre in einer Petition an das hohe Haus gewandt, worin
er aal die Ungerechtigkeit des §. 10 hinweist, die nach seiner Ansicht darin
besteht, dass die Verhältnisse, die seit 1S72 geherrscht haben, wonach die
Leistungen bei beamteten und nicht beamteten Aerzten gleiohmässig honorirt
wurden, jetzt nicht mehr zutreffen, da die Kreisärzte sowohl durch eine be¬
deutende Erhöhung ihres Gehalts, als durch die Pensionsberechtigung gans
anders und besser gestellt wären, während der Privatarzt vor wie nach ganz
allein auf die Erträgnisse seiner Privatpraxis für seinen Lebensunterhalt und
die Versorgung seiner Hinterbliebenen angewiesen sei. Es lässt sich nicht
verkennen, dass diese Begründung Vieles für sich hat; hoffentlich wird ein
Weg gefunden, der den Privatärzten den Kampf tun ihre Existenz, der ohnehin
sehon schwer genug ist, nicht noch weiter erschwert. — Ebenso wie im Vorjahre
wird auch in diesem wieder die Frage, wer soll der Zahlungsverpflichtete
sein, eine Hauptrolle spielen. Aus diesem Grunde wird es nothwendig sein, die
Vorlage wieder einer Kommission zu überweisen und zwar nicht einer be¬
sonderen, sondern derjenigen, der die Berathung des Seuchengesetzes obliegen
wird, weil bei beiden derselbe Punkt einen Hauptgegenstand der Verhandlungen
bilden wird: wer ist der ZahlungsverpflichteteP (Bravo0
Minister der u. s. w. Medizinal-Angelegenheiten Dr. Stndt: M. H.I
Der heute zur ersten Berathung stehende Entwurf eines Gesetzes über die
Gebühren der Medizinalbeamten ist in diesen Bäumen kein Neuling. Es ist
Ihnen bekannt, m. H., dass schon im Jahre 1901 und 1902 ein gleichlautender
Gesetzentwurf diesem hohen Hause unterbreitet worden ist. Leider ist es
beide Male nicht möglich gewesen, eine Verabschiedung des Gesetzes zu er¬
langen, einmal, weil in dem ersten Jahre die Kommission ihre Tagung kaum
begonnen hatte, als der Schluss der Tagung des Landtages erfolgte, im Jahre
1902 aus dem Grunde, weil die Kommission eine definitive Stellungnahme
zu dem Gesetzentwurf noch nicht nehmen zu sollen glaubte, so lange nicht
der in Aussicht gestellte Entwurf eines preussischen Ausführungsgesetzes an
dem Reichsgesetze, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten
vom 30. Juni 1900, vorliege.
M. H., in diesem Jahre haben sich die Aussichten für das Zustande¬
kommen des Gesetzes insofern günstiger gestaltet, als erstens die Möglichkeit
der ersten Berathung sehr früh eingetreten ist, zweitens auch die Voraus-
setsungen, von denen seiner Zeit die Kommission bei der Fortsetzung ihrer
Berathangen ausgegangen war, nämlich, dass noch mehr Material seitens der
Staatsregierang geliefert würde, um bestimmt alle Anhaltspunkte für die Be-
urtheilang der Vorlage zu gewinnen, inzwioohen eingetreten sind, wie die
Herren sieh aus der Lektüre der beiden heute vorliegenden Gesetzentwürfe
überzeugt haben werden.
Was nun die Nothwendigkeit einer gesetzlichen Regelung dieses Ge-
bflhrengesetzes anbetrifft, so besteht ja wohl namentlich in den betheiligten
Kreisen kein Zweifel darüber, dam der Weg der Gesetzgebung erforderlich
ist, um die Unklarheiten, die aus dem bisherigen Gebührengesetze von 1892
sieh im Laufe der Zeit entwickelt haben, einerseits zu beseitigen, dann um
die ganze Materie, nachdem das Institut der Kreisärzte eingeführt worden ist,
überhaupt einheitlich und dem gegenwärtigen Stande der Gesetzgebung, sowie
dea thatsächlichen Verhältnissen entsprechend za ordnen. Endlich aber aus
dem Grunde, weil widersprechende Entscheidungen der höchsten Gerichtshöfe,
des Reichsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts, ein gesetzgeberisches
Eingreifen nothwendig machten.
Der Herr Vorredner und auch die vorjährigen Herren Redner haben ja
zach die Bedflrfhissfrage als eine zweifellose anerkannt, und in der Begrün¬
dung ist das näher ausgeführt.
206 Die erste Berathang des preass. Abgeordnetenhauses Uber die Gesetzentwürfe
M. H., ich darf mir wohl gestatten, einige Bedenken, die im vorigen
Jahre namentlich in der KommisBionsberathung gegen den Entwarf geltend
gemacht worden sind, körn vorwegzunehmen.
Es ist die Befürchtung ausgesprochen worden, als ob dieser Gesetzent¬
wurf eine stärkere Belastung der Gemeinden herbeiführen würde. loh glaube
diese Befürchtung als nicht begründet bezeichnen zu können. Es ist damals
auoh gefordert worden eine statistische Nachweisung über die den Kreisärzten
zustehenden (Jebühreneinnahmen. Eine solche Naehweisung ist inzwischen ge¬
fertigt, und sie wird Ihnen, glaube ich, den nöthigen Anhaltspunkt bieten
dafür, dass die seitens der Kommission seinerzeit geltend gemachten Bedenken
nicht zutreffen. Es wird Bich das bei den bevorstehenden Kommissionsbe¬
rathungen schon näher darlegen lassen. Ich erlaube mir aber, was die Be¬
lastung der Gemeinden als solche betrifft, besonders darauf zu verweisen, dass,
wenn der Entwarf des preussisohen Ausführungsgesetzes zu dem sogenannten
Beichsseuchengesetz in Kraft treten sollte, in dem §. 26 des Ihnen vorliegenden
Gesetzes eine erhebliche Erleichterung der Gemeinden in Bezug auf die Kosten¬
tragung gegenüber dem durch das Regulativ von 1886 zur Zeit noch gesetzlich
festgelegten Zustand eintreten wird. Also auch in der Beziehung erscheinen
die gehegten Befürchtungen gegenstandslos.
Im Uebrigen gestatte ich mir, Namens der Königlichen Staateregierung
den dringenden Wunsch auszudrücken, dass seitens der Kommission Alles ge¬
schehe, um diesen Gesetzentwurf und auoh den heute zur Berathang stehenden
auch wirklich zum Abschluss zu bringen. Es handelt sich um zwei wichtige
Glieder in der Kette derjenigen gesetzgeberischen Massnahmen, die das sog.
Medizinalreformwerk eingeleitet haben, und zu einem gedeihlichen Abschluss
zu bringen bestimmt sind. Es erscheint hier nicht angängig, dass alte und
zweifelhafte gesetzliche Bestimmungen noch in diesem Zustand mit hinttber-
genommen werden. Wir würden allmählich in einem cireulus vitiosns hinein-
gerathen, aus dem herauszukommen nicht blos im Interesse der Königlichen
Staatsregierung, sondern auch, wie ich glaube, des wesentlich betheiligten ärzt¬
lichen Standes und des gesammten Landes liegt.
Abg. Dr. Hahn (Bd. d. Landw.) erklärt sich im Allgemeinen mit dem Ent¬
wurf einverstanden und glaubt, dass er die hauptsächlichsten der berechtigten
Wünsche der Aerzte erfüllt. Er hält es jedoch für nOthig, die Zahl der Medi¬
zinalbeamten zu vermehren. Namentlich seien in der Provinz Hannover
Kreise zusammengelegt und zu Bezirken für die Thätigkeit einzelner Medi¬
zinalbeamten vereinigt, die man nicht hätte Zusammenlegen sollen, z. B. den
Kreis Lehe mit dem Kreis Hadeln, die beiden Kreise Kehdingen und Nenbaus.
Mit Bücksicht auf die dadurch entstandenen weiten Entfernungen empfiehlt es
sich für die Kreise Kehdingen und Lehe je einen Kreisarzt ansustellen und die
Kreise Hadeln und Neuhaus zusammenzulegen. Bedner giebt sodann dem weiteren
Wunsche Ausdruck, nicht etwa aus der Fremde einen Herrn zu berufen, um
ihm die Funktionen des Physikus in einem der neuen Kreise zu übertragen,
sondern einen der dort angesessenen Aerzte heranzuziehen, der die nOthigen
Erfahrungen besitzt. Gerade in den Marschen an der Küste müsse der Arzt
erst eine ganze Beihe von Erfahrungen gesammelt haben, bevor er erfolgreich
praktiziren kann. In noch viel höherem Masse gelte das von dem beamteten
Arzte, der vor allen Dingen im Falle der Einschleppung von Krankheiten durch
den Schiffsverkehr, für den Fall von Verbreitung von Seuchen, wie die Cholera,
über eine Fülle von Erfahrungen und lokalen Kenntnissen verfügen müsse. Er
müsse vor allen Dingen die klimatischen Verhältnisse und die Trinkwasserver¬
hältnisse genau kennen. In dieser Beziehung gebe es für einen beamteten
Arzt noch ausserordentlich viel zu thun. Erfolgreich können aber dessen
Funktionen nur ausgeübt werden von einem Manne, der Land und Leute und
der die Verhältnisse kennt.
Ministerialdirektor Dr. Förster giebt in Bezug auf die Wünsche des
Herrn Vorredners die Erklärung ab, dass der Herr Minister gern bereit ist
diesen Anregungen näher zu treten, insbesondere auch in Bezug auf die ander¬
weitige Abgrenzung der Bezirke in der Provinz Hannover.
Abg. Gamp (freikons.) erkennt das Bedürfnis des vorliegenden Gesetzes an,
legt aber Werth darauf, dass die Gebühren nicht durch Verordnung des
Ministers, sondern durch Gesetz festgelegt werden. Man kOnne der Regierung
so weitgehende Befugnisse nicht einräumen, da durch die Gebühren in sehr
b«tr. die Gebühren der Mediuoalbeamten and das preuss. äeuchengesetz 207
erheblicher Weise die Gemeinden belastet werden. Der Qesetsentwnrf liest
ausserdem nach wie vor Zweifel, wer die Kosten tragen soll, bestehen; diese
Zweitel, die sich im Wesentlichen daran! besiehen, ob es sich am landespolizei¬
liehe oder ortspoliseiliche Massnahmen bandelt, werden noch durch das Senchen-
gesetz in erheblichster Weise ausgedehnt. Bei den gemeingefährlichen Krank¬
heiten handelt es sich undedingt nm landespolizeiliche Angelegenheiten, denn
die Wirkung der zur Bekämpfung der Krankheiten nothwendigen Massnahmen
gehen über den Kreis der lokalen Interessen hinaus; demgemäss sind alle diese
Kosten unter allen Umständen vom Staat allein zu übernehmen. Es ist auch
unbillig, dass, wenn die Kosten im Wesentlichen als ortspolizeiliche angesehen
werden, diejenigen Städte, die Königliche Polizei haben, sowie diejenigen
Landestheile, in denen die ortspoliseilichen Kosten vom Staate getragen werden,
durch dieses Gesetz bevorzugt und nicht belastet werden sollen, sondern die
Belastung nur diejenigen Landes theile trifft, in denen die ortspoliseilichen
Kosten von den Gemeinden zu tragen Bind. Das Abgeordnetenhaus habe alle
Ursache, sehr vorsichtig vorzugehen. Bedner will zugeben, dass viele beamtete
Aerzte ihre Aufgabe so aufgefaast haben, dass man mit ihrer Wirksamkeit
durchaas zufrieden sein und ihnen keine Vorwürfe machen kann. Einzelne
beamtete Aerzte haben aber von den Gemeinden kostspielige Einrichtungen
verlangt, z. B. Desinfektionsapparate, Beförderungsmittel für Kranke oder Ge¬
storbene, Leichenräume u. s. w. Wenn jetzt schon die beamteten Aerste so
weitgehende Forderungen an die Gemeinden stellen, so ist dies ein Beweis
dafür, dass man recht vorsichtig sein und sich bemühen muss, möglichst genau
zu fixiren, was den Gemeinden und den Einzelnen zur Last fällt. Auch müsste
in das Gesetz die Bestimmung aufgenommen werden, dass in allen Fällen, wo
der beamtete Arzt auf Staatskosten zu reisen genOthigt ist und nebenbei noch
Privatintero8sen oder Interessen der Gemeinden fördert oder unterstütst, nur
der Staat als der einzig Leidtragende anzusehen ist, und ihm nur allein die
Kosten zur Last zu legen Bind. Desgleichen sollte durch Instruktion ange¬
ordnet werden, dass, wenn ein beamteter Arzt im Interesse des Staates Dienst¬
reisen macht, er gleichzeitig die Verpflichtung hat, sich den Örtlichen und
Privatinteressen, soweit sie in seinen Geschäftsbereich fallen, zu widmen, damit
nicht besondere Kosten den Gemeinden durch besondere Beisen entstehen.
Schliesslich empfiehlt Bedner ebenfalls, das Gesetz in Verbindung mit dem
Seuchengesets einer Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen, hält es
jedoch für zweckmässig, wenn zunächst mit der Berathung des Seuchengesetses
in der Kommission begonnen und dann erst das Gebührengesetz iurohbe-
rathen wird.
Minister der u. s. w. Medizinal-Angelegenheiten Dr. Studt: M. H.t Ich
habe mir schon bei meinen vorigen Ausführungen gestattet, hervorsuheben,
dass die einzelnen Zweifelspunkte in der Kommission, die von ihnen voraus¬
sichtlich eingesetzt werden wird, einer genauen Erörterung zu unterziehen
sein werden.
Ich wollte mich nur gegen die ersten Ausführungen des Herrn Vor¬
redners verwahren, die bei der geehrten Versammlung den Eindruck erwecken
konnten, als ob diese in Aussicht genommene Vorschrift, wonach die Gebübren-
festsetzuug durch die Zentralinstanz, also durch den Medizinalminister erfolgen
soll, ein ganz singuläres und ungewöhnliches Vorgehen in der Gesetzgebung
bedeutet. Das ist absolut nicht der Fall. Ich kann in der Beziehung allein
auf 9 legislative Vorgänge verweisen, die in genau derselben Weise geregelt
werden. Das sind: 1) die jährliche Festsetzung der Arzneitaxe, 2) die Ge¬
bührenordnung für approbirte Aerzte, die ausdrücklich durch die Beichsgewerbe-
ordnong in die Hände der Zentralinstanz gelegt ist, 8) die §§. 76 und 77 der
Beichsgewerbeordnung, welche die Ermächtigung der Örtlichen Polizei bezw.
sogar der unteren Verwaltungsbehörden enthalten, für eine Beihe von Gewerben
Taxen festzusetzen, 4) die Gebühren der Hebammen und Heildiener werden
durch den Begierongspräsidenten festgesetzt, 5) in Armenangelegenheiten
werden die Tarife für Erstattungsforderungen vom Minister des Innern fest¬
gesetzt, 6) für die Berechnung des Pauschquantums in Kostensachen des Ver¬
waltungsstreitverfahrens kann von den Ministern der Finanzen und des Innern
ein Tarif aufgestellt werden, 7) in den Fällen des Art. 127 des Geetzes über
die freiwillige Gerichtsbarkeit vom 21. September 1899 ist in gerichtlichen
208 Die eiate Berathung des preuss. Abgeordnetenhauses Uber die Gesetzentwürfe
Taxangelegenheiten das Verfehlen and die Höhe der Gebühren von den zu¬
ständigen Ministern zu regeln, 8) die Höhe der Qebflhren der Auktionatoren
wird vom Jnstisminister and vom Handelsminiater festgesetzt, 9) die Gebühren
für die Genehmigung und Beaufsichtigung von Neubauten weiden von den
Ministern der öffentlichen Arbeiten, des Innern und der Finanzen festgesetzt.
Also hier ist eine ganze grosse Summe von legislativen Vergingen ähn¬
licher Art vorhanden. Für den diesseitigen Vorschlag spricht ferner der Um¬
stand, dass es sich bei diesen Tariffeatsetzungen empfiehlt, einer kleineren
Anzahl von Sachverständigen die Festlegung der einzelnen Sätze in einwands-
freier Form anzuvertrauen und nicht einem grösseren Gremium. Dann aber,
m. H., muss ein solcher Tarif immer so eingerichtet werden, dass er, dem
wechselnden Bedttrfniss entsprechend, ohne Inanspruchnahme des grossen ge¬
setzgeberischen Apparates geändert werden kann.
Ich glaube mich auf diese vorläufigen Bemerkungen beschränken zu
können, welche hoffentlich dem hohen Hause die Ueberzeugung beibringen
werden, dass doch der Vorschlag der Regierung nicht die Bedenken in sich
sohliesst, die der Herr Vorredner geäussert hat.
im Uebrigen darf ich es mir versagen, auf die anderen Ausführungen
des Herrn Abg. Ga mp heute noch näher einzugehen; es wird ja in der
Kommission noch genügend Gelegenheit vorhanden sein, diese Ponkte zu prüfen.
Nur eins möchte ich mir gestatten, noch zu berühren. Der Herr Vorredner
hat aus dem Umstande, dass einzelne Kreisärzte in ihrem Berufseifer vielleicht
etwas zu weit gegangen sind, einige Vorwürfe und Binwände gegen das ge¬
summte System konstruirt. Ja, m. H., ich würde der letzte sein, der der
Meinung wäre, dass aus verschiedenen Vorschriften der Anweisung für die
Kreisärzte heraus nun sofort jeder einzelne Kreisarzt — ganz gleichgültig,
wie die konkreten Verhältnisse liegen — nun ein ganzes System von medizinal¬
polizeilichen Massregeln nach Art der Beglückungstheorie zur Anwendung zu
bringen hätte. (Sehr richtig!) Davon kann gar nicht die Rede sein. Wenn in
dieser Beziehung ein nicht angemessener, den Gemeinden unverhältnissmässige
Kosten zumathender Uebereifer sich geltend machen sollte, so ist es Sache der
Aufsichtsbehörde, Abhülfe eintreten zu lassen.
Abg. v. Savigny (Zentr.): Die Qnintessenz für die Prüfung des vor¬
liegenden Gesetzes ist nach wie vor das Bedenken, ob nicht durch dasselbe die
Lasten der Gemeinden und theilweise der Privaten gesteigert werden. In der
Wortfassung des Gesetzes sind aber in dieser Hinsicht venchiedene Bedenken,
insbesondere mit Rücksicht auf §. 2, für den eine andere klare Fassung
wünschenswerth ist. Eine Reihe von amtlichen Verrichtungen der Kreisärzte
wird z. B. im staatlichen Interesse vollzogen, selbst wenn rein formell der
dazu ergehende Auftrag von der Ortspolizeibehörde ansgeht und sich zunächst
auf den Kreis eioer Gemeinde zu beschränken scheint. Trotzdem liegen oft
allgemeine Staatsinteressen vor; wo diese aber vorliegen, da dürfte es sehr zu
erwägen sein, ob es nicht die Aufgabe des Staates ist, auch die ganze Last
zu tragen. Es wird das auch der Sache förderlich sein; denn es werden der¬
artige Massnahmen, die im allgemeinen öffentlichen Interesse liegen, leichter
getroffen werden, und man wird sich leichter dazu entschlossen, wenn fessteht,
dass dadurch nicht örtlich bedeutende Kosten für kleinere leistungsschwächere
Verbände entstehen. Es wird das allgemeine Ziel, dass die öffentliche Gesund¬
heit gebessert werden soll, besser erreicht, wenn der Staat dieses Ziel auf
seine Kosten verfolgt und nicht die Kosten den Gemeinden aufbürdet.
Das Interesse, die öffentliche Gesundheitspflege zu heben und zu bessern,
ist auch von den Kreisärzten, wie die nur kurze Vergangenheit seit Bestehen
des Kreisarztgesetzes zeigt, in ausgiebiger und richtiger Weise gewahrt worden.
Es weht ein frischer Zog durch ihre ganze Thätigkeit; sie bemühen sich, das,
was in mehreren Jahrzehnten — kann man sagen — versäumt wurde und was
besonders aus den letzten Jahren noch nachzuholen war, jetzt nachzuholen;
sie kommen dadurch natürlich zu dem Bestreben, hier ein Tempo einsu-
schlagen, welches oft den Stimmungen und Auffassungen und auch der Leistungs
fähigkeit der Betheiligten, insbesondere der betheiligten Gemeinden, nicht recht
entspricht. Es sind so viele derartige Zustände insbesondere in kleinen Orten
und auf dem Lande vorhanden, die wohl den Wunsch nach Verbesserung rege
machen können, dass ein umsichtiger, eifriger und einsichtiger Kreisarzt gar
nicht weise, wo er schliesslich mit seinen Verbesserungsvorsohllgen endigen
betr. die Gebühren der Medizinalbeamten and daB preus*. Seuchlngesets. 209
soll. Br hat gewissermassen nicht nar das Becht dazu, sondern auch die
Pflicht, auf die Hissstände hinsuweisen; aber anderseits besteht vielfach im
Lande die Befürchtung, dass daroh alle diese Massnahmen, die wir im Öffent¬
lichen Interesse treffen and gesetzlich festlegen, schliesslich die Lasten ungemein
gesteigert werden. Hand in Hand mit dem Erlasse dieses Gesetzes sollte des¬
halb vielleicht den Kreisärzten eingeschärft werden, ihren etwaigen Uebereifer
auf diesem Gebiete ein wenig einzadämmen.
Bedner wünscht gleichfalls, dass der Gebtthrentarif in daa Gesetz auf-
genommen wird, denn dadurch ist für die Gemeinden auch nach vielen Richtungen
eine Garantie geschaffen, dass nicht durch das Drängen vielleicht der inter-
essirten Kreise eine Erhöhung der Gebühren mit der Zeit eintritt; sie können
sich dann auf dieser gesetzlichen Grundlage besser and ruhiger einrichten
and eich dagegen gesichert fühlen, dass eine Mehrbelastung in der Zukunft
für sie entsteht. Wenn eine solche gesetzliche Festlegung des Gebührentarifs
im Jahre 1872 möglich gewesen sei, so werde sich das auch jetzt als möglich
erweisen und sich einen Bahmen für den Tarif finden lassen, innerhalb dessen
die nothwendige praktische Beweglichkeit gesichert bleibt. Nach der Richtung
der Höhe ist der erforderliche Tarif in einer Weise gestaltet, dass, wenn er vom
Hause angenommen wird, unzweifelhaft ein Bestreben und Bedürfhiss nach
weiterer Erhöhung keinesfalls in absehbarer Zeit eintreten kann. An einzelnen
Stellen könnten die Gebühren herabgesetzt werden; in dieser Herabsetzung
liegt auch insofern eine Förderang der öffentlichen Gesundheit, als dann die¬
jenigen, die zu den betteffenden Massnahmen zu schreiten in der Lage sind,
sich viel leichter dazu entschliessen werden, als wenn sie sich sagen müssen,
dass ihnen dadurch nicht unerhebliche Kosten erwachsen. Die Regelung des
Tarifs auf gesetzlichem Wege empfiehlt sich weiterhin deshalb, weil der
Tarif auch für die nichtbeamteten Aerzte und für ihre Gebührenliquidationen
den öffentlichen Behörden gegenüber massgebend sein wird. (Bravo!)
Abg. Dr. Martens (nat. lib.) betont, dass die Festsetzung der Gebühren
dnreh Gesetz statt durch den Minister im Vorjahre nicht bloss deshalb be¬
mängelt sei, weil dann eine za grosse Belastung der Gemeinden und des Pub¬
likums zu befürchten sei, sondern auch deshalb, weil bei der Festlegung duroh
den Minister vielleicht die beamteten Aerzte za kurz kommen würden. Redner
glaubt deshalb, dass bei den sich so widersprechenden Meinungen das Richtige
in der Mitte liegt. Er hat nichts dagegen einzuwenden, wenn die Festsetzung
dem Minister überlassen wird; stellt sich dann die Nothwendigkeit heraus,
dass in irgend einem Punkte der Tarif geändert werden müsste, so braucht
nicht immer wieder die Klinke der Gesetzgebung in die Hand genommen zu
werden. Seine weiteren Wünsche in Bezag auf Abänderungen des Gesetz¬
entwurfs wird er in der Kommission geltend machen.
B. Entwurf eines Auaftthrungsgeaetzen an dem Reiohsgesetze,
betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten,
vom 80. Juni 1900.
Minister der n. s. w. Medizinal-Angelegenheiten Dr. Studt: M. H. I Die
zweite Gesetzesvorlage, welche ich heute vor diesem hohen Hause zu vertreten
die Ehre habe, hat ihren Ausgangspunkt in dem Reichsgesetze über die Be¬
kämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 26. Juni 1900. Dieses Gesetz
ist das Ergebniss langjähriger Vorerörterungen, die in den einzelnen Bundes¬
staaten stattgefunden haben, und ebenso der Erkenntniss, dass es nothwendig
werde, von Reichs wegen eine einheitliche Regelung der polizeilichen und
sonstigen Massnahmen zur Bekämpfung derjenigen Krankheiten erfolgen zu
lassen, welche einen sogenannten pandemischen Charakter haben, also wegen
ihrer besonderen Gefährlichkeit geeignet sind, Epidemien u. s. w. über mehrere
Bundesstaaten auszubreiten. Es war da nothwendig, eine gemeinschaftliche
gesetzliche Grundlage für das behördliche Vorgehen zu schaffen.
Von diesem Gesichtspunkte aus hat sich das Reichsgesetz darauf be¬
schränkt, nicht alle übertragbaren Krankheiten in den Kreis seiner Regelung
zu ziehen, sondern nur diejenigen, die den von mir bezeiohneten besonders ge¬
fährlichen Charakter haben. Es sind dies der Aussatz, die Cholera, das Fleck-
Heber, das Gelbfieber, die Pest und die Pocken.
Nun ist in dem Reichsgesetz, welches diese Materie regelt, der Vorbehalt
gemacht, dass die landesgesetzlichen Vorschriften, welche die Massnahmen
210 Die erste Berathung des preuss. Abgeordnetenhauses über die Gesetzentwürfe
gegen andere übertragbare Krankheiten enthalten, durch dieses Gesets unbe-
rührt bleiben, dass ferner der landesgesetzlichen Begelung Vorbehalten bleiben
sollen die Kostenfrage nnd die Entschädigung von Personen n. b. w., welche
von den Abwehrmassregeln betroffen sind. Für die Königliche Staatsregierung
entstand aus dieser Sachlage die Aufgabe, zu prüfen, ob es richtig sei, sich
auf die im Beiehsgesetz ausdrücklich der Landesgesetzgebung vorbehaltenen
Fälle der Kostenregelung und der Entschädigung zu beschränken, ob nicht
lieber gleich auch, nach dem Muster des Beichsgesetzes, gesetzgeberische Mass¬
nahmen in Aussicht zu nehmen seien, welche die Frage der Bekämpfung der
anderen übertragbaren Krankheiten auf neuer gesetzlicher Grundlage ordneten.
Die Bejahung dieser Frage konnte für die Königliche Staatsregierung deshalb
nicht zweifelhaft sein, weil diejenige gesetzgeberische Norm, welche für Preussen
die behördlichen Massnahmen zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten
enthält, nämlich das Begulativ von 1880, so vortrefflich dasselbe seiner Zeit
auch gewirkt hat und so einwandfrei es nach dem damaligen Stande der Wissen¬
schaft wohl auch war, doch jetzt, nachdem beinahe 70 Jahre vergangen sind,
naoh dem gegenwärtigen 8tande der Wissenschaft und nach Lage der that-
sächlichen Verhältnisse zum Theil als veraltet angesehen werden muss. Daraus
und namentlich aus denjenigen Gutachten, die von ärztlichen und wissenschaft¬
lichen Kreisen abgegeben sind, erklärt sich die Nothwendigkeit einer einheit¬
lichen gesetzgeberischen Begelung dieser Materie und das gesetzgeberische
Vorgehen in der Form dieses Entwurfes.
Es ist aber auch auf der anderen Seite erforderlich gewesen, gewisse
andere Punkte ln dem vorliegenden Gesetzentwurf zu regeln, die mit dieser
Materie in nothwendigem Zusammenhänge stehen, und daraus ergiebt sich dann
der vorliegende Entwurf, der die Massregeln, im Anschluss an das System des
Beichsgesetzes regelt.
Wenn ich auf letzteres kurz eingehen darf, so hat das Beicbsgesetz,
wie ich mir schon vorher zu erwähnen gestattete, in §. 1 eine Anseigepflicht
für bestimmte, besonders gefährliche Krankheiten vorgesehen, dann den Kreis
der verpflichteten Personen bestimmt, weiter über die Ermittelung der Krank¬
heiten besondere Dispositionen getroffen, ausserdem bestimmte Schutzmassregeln,
sowie die Entschädigung derjenigen Personen, welche durch prophylaktische
und sonstige Massnahmen getroffen werden, geordnet. Es schliessen sich all¬
gemeine Vorschriften an und zum Schluss auch noch Strafbestimmungen. Diesem
System entsprechend, ist nun auch das preussisohe Ausftthrungsgesetz gestaltet
worden. Ich kann, ohne mich heute auf grössere Einzelheiten einzulassen, an
das hohe Haus nur die dringende Bitte richten, dem gesetzgeberischen Vor¬
schlag entsprechen zu wollen. Es liegt die unbedingte Nothwendigkeit vor,
dass das System, welches als ein den Bedürfnissen und dem Stand der Wissen¬
schaft entsprechendes in dem Beicbsgesetz festgelegt und allseitig als dem Be¬
dürfnis der Gegenwart entsprechend anerkannt worden ist, nun auch in dem
grössten deutschen Bundesstaat zur Ausführung gelangt. Diejenigen Mit¬
glieder dieses hohen Hauses, welche in der Lage Bind, den Entwurf auch näher
von seiner eigentlich technischen Seite prüfen zu können, werden hoffentlich
meiner Auffassung dahin Bestimmen, dass die unbedingte Nothwendigkeit vor¬
liegt, die verschiedenen technischen und Zweifelsfragen zu beseitigen, die im
Laufe der Zeit entstehen mussten, nachdem es sich erwiesen batte, dass das
Begulativ von 1835 den gegenwärtigen Zeitverhältnissen nicht mehr genügte.
Wenn ich nun noch mit einigen Worten auf das System eingehen darf,
wie es sich in dem vorliegenden Gesetzentwürfe darstellt, so wird bei der
Durchsicht der Krankheiten, auf welche der Entwurf sich erstreckt, Ihnen
vielleicht aufgefallen sein, dass in der Liste derselben mehrere fehlen, an deren
Uebertragbcrkeit ein Zweifel nicht bestehen kann und gegen die zum Theil
schon jetzt Bestimmungen in Kraft sind. Dazu gehören z. B. die Masern, die
Bötheln, die Krätze, der Keuchhusten, die Influenza, der Krebs u. s. w.
Nun könnte vielleicht geltend gemacht werden, dass es im Interesse der Statistik
der übertragbaren Krankheiten erforderlich gewesen wäre, auch diese Krank¬
heiten in dem Gesetzentwurf zu berücksichtigen. Dem gegenüber ist aber zu
bemerken, dass für die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten nur ihre
Gefährlichkeit, nioht aber statistische Bflcksichten in Betracht kommen können,
dass aber gegenüber den genannten Krankheiten eingreifende Schutzmass¬
nahmen entweder zu belästigend oder nioht wirksam genug sein würden. Es
be.tr. die Gebühre* der Medizinal beamten and das preuss. Seuehengesetz. 211
wurde daher für ausreichend erachtet, den vorübergehenden Erlass von Schutz-
maasregeln für Zeiten ihrer epidemischen Ausbreitung vorsubehalten. Das ist
m den §§. 5 und 7 des vorliegenden Entwurfs geschehen. Ea wird dort vorge-
eehlagen, dass das Staatsmimsteritun die Ermächtigung erhalten soll, die Be¬
stimmungen des Gesetzentwurfs über die Anzeigepflicht und die Ermittelung
der Krankheiten für einzelne Theile oder den ganzen Umfang der Monarchie
nach auf andere übertragbaren Krankheiten vorübergehend auszudehnen, wenn
und so lange diese in epidemischer Verbreitung herrschen.
Bezüglich der Krankheiten, für welche eine von dem bestehenden Ver¬
fahren abweichende Behandlung vorgeschlagen wird, möchte ich hier nur zwei
herausgreifen wegen der Wichtigkeit, welche gerade sie für die Volksgesund-
heit haben, nämlich die Tuberkulose und die übertragbaren Geschlechts¬
krankheiten.
Die Frage, ob es sich empfiehlt, die Tuberkulose einer gesetzlich zu
regelnden Bekämpfung zu unterwerfen, ist gerade in den letzten Jahren der
Gegenstand lebhafter Erörterungen geworden, wie Ihnen hinreichend bekannt
ist. Die Beantwortung dieser Frage wird erschwert einerseits durch die
ausserordentliche Verbreitung, anderseits durch die je nach dem Stadium der
Krankheit verschieden grosse Bedeutung, welche dieser für die Erwerbsfähig-
fihigkeit und das Familienleben der Bevölkerung innewohnt. Wenn jene für
die Durchführung von sanitätspolizeilichen Massnahmen spricht, so kann diese
solche vielleicht als hart und zu eingreifend erscheinen lassen. Die der Be¬
gründung des Gesetzentwurfs als Anlage beigegebene Zusammenstellung der
Gesetzgebung anderer Staaten wird Ihnen aber zeigen, wie die Ueberzeugung,
dass man auch gegenüber der Taberkulose nicht ohne gesetzliche Bestimmungen
mehr aaskommen kann, iu immer weitere Kreise Eingang findet.
Der Gesetzentwurf hat dem Rechnung getragen, aber die zulässigen
Sehutzmassregeln auf ein so geringes Maas beschränkt, dass bei der Ausführung -
derselben jede Härte von vornherein als ausgeschlossen erscheinen muss.
Aehnlich verhält es sich mit den übertragbaren Geschlechtskrank
heiten. Der Standpunkt, welchen der Entwurf in dieser Beziehung einnimmt
unterscheidet sich wesentlich von demjenigen des Regulativs, aus Gründen, die«
ich in der Kommission näher darzulegen mir Vorbehalten muss, für den Fall
dass der Gesetzentwurf, wie ich hoffe, einer Kommission überwiesen wird.
Was die Sehutzmassregeln, welche der Gesetzentwurf vorsohlägt, an be¬
trifft, so decken sie sich mit einer einzigen Ausnahme mit denjenigen des Reichs¬
gesetzes. Der Umfang, in welchem die Anwendung der Sehutzmassregeln auf
die einzelnen übertragbaren Krankheiten äussersten Falls zulässig sein soll, ist
im §. 8 des Gesetzentwurfs genau festgestellt und in einer Weise beschränkt,
dass dadurch unbeschadet ihrer Wirksamkeit jede überflüssige Belästigung der
Bevölkerung ausgeschlossen erscheint. Ausserhalb des Reichsgesetzes Uegt nur
eine einzige im Gesetzentwurf vorgescblagene Schutsmassregel vor, nämlich die
Zulässigkeit des Behandlungszwanges gegenüber Kranken, welche mit der
Körnerkrankheit oder übertragbaren Geschlechtskrankheiten behaftet
sind. Bei der Körnerkrankheit rechtfertigt sich das durch die grosse Ausbreitung
der Krankheit und durch die grosse Gefahr, welche sie für die geistige Ausbildung
und für die Wehr- und Erwerbsfähigkeit der Bevölkerung, namentlich in den
östlichen Provinzen, bedeutet, sowie mit Rücksicht auf die nicht unerheblichen
Mittel, welche der Staat, die Kreise und die Gemeinden seit einer langen Reihe
von Jahren auf die Bekämpfung dieser Seuche verwandt haben und noch auf¬
wenden. Bei den übertragbaren Geschlechtskrankheiten ist aber zu berück¬
sichtigen, dass ohne die gesetzliche Möglichkeit der zwangsweisen Behandlung
derjenigen Personen, welche gewerbsmässig Unzucht treiben, den Gefahren der
Prostitution nicht wirksam begegnet werden kann.
Die durch das Reichsgesetz vorgesehene Entschädigung für entgangenen
Arbeitsverdienst der wegen Krankheit abgesonderten Personen und für die
durch die Desinfektion erzeugte Sachbeschädigung soll nach dem Gesetzentwurf
such bei den im Reichsgesetz nicht genannten übertragbaren Krankheiten
gewährt werden dürfen. Diese Regelung wird nur der Billigkeit entsprechen
und wird daher, wie ich annehme, Ihre Zustimmung finden. Die Vorschriften
über die Ermittelung und Feststellung dieser Entschädigungen sind im Aus-.
föhrungsgesetz zu dem Beichsseuchengesetz enthalten. r
Was die Kostenfrage anbetrifft, so bitte ich, auf die vorhin bereits Ir
212 Die erste Berathnng des preuss. Abgeordnetenhauses Uber die Gesetzentwürfe
Erörterung des Gesetzes, betreffend die Gebühren der Medizinalbeamten, ge¬
machten Ausführungen Besag nehmend, ans der Bestimmung des §. 26 des
vorliegenden Entwurfs entnehmen zu wollen, dass der Staat, abweichend von
dem bisherigen Rechte, welches den Gemeinden die Kosten auferlegt, in einem
weitgehenden Masse die Kosten der amtsärztlichen Feststellungen, sowie die
dnreh die Betheilignng des beamteten Arztes bei der Anordnung, Leitung und
Ueberwachung der Schntzmassregeln entstehenden Kosten auf sich genommen
hat. Im Uebrigen belässt es der Entwurf wegen der Kosten bei den Be¬
stimmungen des bestehenden Rechts, welche die Möglichkeit bieten, die aus
dem Gesetzentwurf sich ergebende Kostenfrage ohne Weiteres zur Entscheidung
zu bringen. Die Straf Vorschriften endlich lehnen sich eng an diejenigen des
Reiehsgesetzes an.
M. H., nun gestatten Sie mir, im Anschluss an diese Ausführungen dem
Wunsche Ausdruck zu geben, den ich vorhin schon ausgesprochen habe, dass
auch dieses wichtige Glied in der Neuregelung unserer medizinalverwaltungs-
reehtliohen Vorschriften Ihre Zustimmung finden möge, und dass damit eine
gesetzliehe Grundlage geschaffen werde, welche es ermöglicht, die Medizinal¬
behörden in den Stand zu setzen, dass sie in einer den praktischen Bedürfnissen
und der modernen Wissenschaft entsprechenden Weise ihres Amtes walten kann,
dass ferner diejenigen Krankheiten, welche an dem Marke des Volkes zehren,
wirksamer als bisher bekämpft werden können, und dass endlich auch alle die¬
jenigen Uebelstände, welche auf anderen Gebieten der Medizinalverwaltung in
Folge der Mangelhaftigkeit der bestehenden Vorschriften sich als unzureichend
erwiesen haben, beseitigt werden. Ich hoffe, dass, wenn der Entwurf auf dieser
Grundlage Ihre Zustimmung finden wird, eine sichere Grundlage für die wirk¬
same Förderung nicht bloss des körperlichen, sondern auch des geistigen Wohles
des Volkes gegeben sein wird.
Abg. Dr. Martens (nat.-lib.): Der Gesetzentwurf ist nicht nur ein Aus-
ftthrungs-, sondern auch ein Ergänzungsgesetz zu dem Reicbsseuchengesetz. Dieses
befasst sich nur mit sechs exotischen Krankheiten, welche bei uns von selber
nieht entstehen, sondern nur eingeschleppt werden können, und auf die Er-
krankungs- und Sterbeziffer einen sehr geringen Einfluss ausüben. Ganz anders
ist es mit deqjenigen Krankheiten, die durch dieses Gesetz bekämpft werden
sollen; sie sind von grossem und massgebendem Einfluss auf die Sterblichkeit
der Bevölkerung. Bei ihrer Bekämpfung war bisher das Regulativ von 1886 mass¬
gebend; vergleicht man dieses jedoch mit dem vorgelegten Gesetzentwurf, so zeigt
sieh der Fortschritt, welchen die Anschauungen in der Medizin gemacht haben.
Der Entwarf beschäftigt sich nur mit 16 besonders namhaft gemachten Krank¬
heiten; er lässt drei andere Krankheiten unberücksichtigt, die z. Tb. in dem
früheren Regulativ vorhanden waren, nnd deren Gefährlichkeit ausser
allem Zweifel steht: das sind Masern, Keuchhusten und Influenza.
Die Erkrankongsziffer und Mortalität bei diesen Krankheiten ist eine ausser¬
ordentlich grosse; trotzdem erscheint es zweckmässig, dass dieselben nicht
unter das Gesetz fallen, weil nach unseren heutigen Anschauungen es kaum
möglich ist, sie mit Erfolg zu bekämpfen. Die Disposition für diese Krank¬
heiten ist ganz allgemein; ihre Bekämpfung würde nur den Erfolg haben, dass
eine Durchseuchung der gesummten disponirten Bevölkerung verzögert, dagegen
die Zahl der Erkrankungen und Sterbeziffer nicht verringert würde. Allerdings
können Umstände eintreten, die es wünschenswert!! machen, dass auch diese
Krankheiten unter das Gesetz gestellt werden, wenn eine Krankheit mit ganz
besonderer Bösartigkeit oder s. B. in einem Badeorte ausbricht; für solche
Fälle soll jedoch das Staatsministerium berechtigt sein, vorübergehend dieselben
Bestimmungen einzuführen, wie sie im Seuohengesetz angegeben sind. Auch
gegen die früher im Nordwesten Deutschlands, besonders in der Nähe der Küste,
sehr verbreitete, jetzt kaum noch vorkommende Malaria giebt das Gesetz
die Möglichkeit, einzuschreiten, falls sie wieder stärker auf treten sollte; dasselbe
gilt in Bezug auf den Krebs, wenn die Kenntnisse über diese Krankheit so ge¬
fördert sind, dass auf einen Erfolg bei deren Bekämpfung zu rechnen ist. Dielm
G ese tz e n twurf vorgesehene Anzeigepflieht ist bei den meisten im §. 1
erwähnten Krankheiten eine unbedingte; sie soll in jedem Falle von Erkrankung
und Todesfall eintreten, bei einigen Krankheiten auch bei Verdacht der Krank¬
heit. Nur bei zwei Krankheiten ist die Anzeigepflicht eine bedingte: bei vor¬
geschrittener Tuberkulose und bei Gesohfeohtskrankheiten. Bei
bete, die Gebühren der Medisinalbeamten und das prenss. Senohengesets. 213
Tmberknloee dürfte diese Einschränkung richtig sein; denn bei weiteren Mau¬
regeln würden wahrscheinlich Arbeit and Kosten nicht im Verhlltniu zum Erfolg
stehen. Betreffs der Anseigepflicht bei Geschlechtskrankheiten von gewerbsmässig
Unsacht treibenden Personen liegt aber das Bedenken vor, dass der behandelnde
Arst unmöglich wissen könne, ob eine mit einer Geschlechtskrankheit an ihm
kommende Person gewerbsmässig Unsacht treibt oder nicht Es ist deshalb
za befürchten, dass diese Massregel hin and wieder za Missgriffen Anlau geben
wird, und der Arst nach solche Personen als gewerbsmässig Unsacht treibende
naseigt, die es in Wirklichkeit nicht sind.
Die Anzeige soll nicht bei dem zuständigen beamteten Arzt, sondern bei
der Ortspolizeibehörde erfolgen; der Ortspolizeibehörde ist überhaupt die ganze
8eachenbekämpfang übertragen. Dafür spricht zwar, dass diejenige Behörde,
die die nächste ist, auch am raschesten eingreifen kann; ob aber überall anf
dem Lande die Amtsvorsteher im Stande sein werden, sich so, wie es erforder¬
lich ist, mit den Vorschriften des Gesetzes vertrant zu machen, nnd ob ihnen
nicht das Gesetz einen ganz aouerordentlioh grossen Zuwachs von Arbeit bringt,
int doch sehr fraglich. (Sehr richtig!)
Die Ermittelung durch den beamteten Arst ist in den meisten
Füllen vorgesehen, es ist aber nicht recht einleuchtend, warum einzelne Krank¬
heiten in dem Entwurf unter eine so scharfe Kontrole gestellt werden, wie
x. B. das Bückfallfieber, eine Krankheit, die in Bezug auf Sterblichkeit zumal
im Westen wenig in Betracht kommt, und bei der schon beim Verdacht der
beamtete Arzt- verpflichtet ist, einzagreifen, während bei Diphtherie und Schar¬
lach die Untersuchung allein dem praktischen Arzt Vorbehalten bleibt. Die
Sehutsmassregeln entsprechen den in den §§. 12 bis 19 nnd im g. 21 du
Beiohsgesetsu gegebenen Vorschriften. Darunter ist eine grössere Anzahl von
ausserordentlich einschneidender Natur; dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dau
für jede spezielle Krankheit in §. 8 diejenigen Schutzmassregeln vorgesthrieben
sind, die durchzuführen oder anzuordnen erlaubt sind, dass aber nicht immer
diue rigorosen Vorschriften angeordnet werden müssen, sondern dau sie das
Höchstmass dessen darstellen, was angeordnet werden kann. Es wird also sehr
viel darauf ankommen, dau der Arzt und die Ortspolizeibebörde in verständiger
Weise von diesen Sohatzmassregeln Gebrauch macht. Freilich läut sich nicht
verhehlen, dass gerade diejenigen Schutzmassregeln, welche am meisten ein¬
greifen, auch die wirkungsvollsten Bind, und dau daher nicht so gar selten
von ihnen Gebrauch gemacht werden wird.
Dau nach §. 9 unter Umständen bei Kömerkrankheit und bei Geschlechts¬
krankheiten Behandlungsswang eingefübrt werden kann, ist durchaus richtig;
bei Geschlechtskrankheiten sollte aber durchweg eine Krankenhausbebandlung,
auch zwangsweise, wenn nöthig ist, angeordnet werden; einmal deswegen, weil
eine sichere Heilang der Geschlechtskrankheiten beuer in einem Krankenbaase
erzielt werden kann, als in der Privatwohnung, zweitens, um zu verhüten,
dau das unzüchtige Treiben der Personen, während sie an einer Krankheit
leiden, fortgesetzt wird und dadurch die Krankheit noch weiter sich verbreitet.
Die Krankenhausbehandlung sollte ausserdem nicht nur auf Anordnung des be¬
amteten Arztes, sondern auch auf Anordnung des behandelnden Arztes zulässig
sein, da sie sonst nicht schnell genug zur Ausführung gelangt.
Betreffs der zu gewährenden Entschädigungen bemängelt Redner
zunächst, dau diese nur bei Arbeitern eintreten sollen, während Personen des
Mittelstandes im Falle einer Erkrankung oder im Falle einer Absonderung oft
viel empfindlicher geschädigt werden und ebenso bedürftig sind wie die Arbeiter.
Die persönlichen Entschädigungen sind überhaupt höchst bedenklich nnd können
zn sehr grossen Belastungen für die Gemeinde führen. Dagegen, dass gesundet
arbeitsfähige Leute, wenn sie wegen Krankheitsverdacht eingesperrt werden,
eine Entschädigung erhalten, läut sieb vielleicht nichts einwenden, aber dass
eine solche auch Leute erhalten sollen, die nicht mehr arbeitsfähig sind, erscheint
nicht richtig. Dagegen ist es in Bezug auf die sächlichen Entschädigungen
gerechtfertigt, dau jeder eine solche erhält, der nicht anf diese verzichtet.
Betreffs der Vertheilung der Kosten ist die Regierung insofern er¬
heblich entgegengekommen, als nach §. 26 der Staat die Kosten der amte-
äntüchen Untersuchung bei allen anzeigepflichtigen Krankheiten mit Ausnahme
von einigen, bei denen die Ortspolineibehörde die Ermittlung in besorgen hat»
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Ausserdem werden die Behörden.
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K.mohtet, ist die grosse Belastung der
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. 'i imolitnng hinsichtlich der entstehenden
.Mi»«« surückzufübren, und wünscht, dass
aortlw, indem er gleichzeitig seine Ueber-
v :i Mitgliedern empfiehlt (Bravo!)
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.. 1 ln« 1 iiHiniidhnit. nnd Vermögen ihrer Mitbürger
befer, die Gebflbroi der Medizinalbeamten und des pnoas. Seichengesetz. 215
wfs Schwante schädigen, während leider dieselben Zeitungen gleichseitig euch
iie Klagen der Geschädigten und die Verurtheilung gewissenloser Kurpfuscher
in ihren Spalten bringen.
Als ein weiterer Vorzug ist die Art der Festsetzung der Sehutzmass-
r e er ein rn betrachten, insofern sie je nach der Eigenartigkeit nnd der Gefähr-
Lichkeit der einseinen Krankheiten für jede besonders, nieht nach Schema F
erfolgt und auf das Nothwendigste beschränkt wird. Anderseits mnss allerdings
erwartet werden, dass das Publikum den unbedingt nöthigen Anordnungen
nun auch gern und willig Folge leistet; denn der Erfolg des Gesetzes bängt
nicht allein von seiner gewissenhaften Ausführung durch die Behörden ai,
sondern auch von dem Verstindniss der Bevölkerung für die zu ihrem Woble
getroffenen Maseregeln, und von der Bereitwilligkeit, sich Ober das belehren
zu lassen, wes ihrer Gesundheit frommt. Deshalb ist es ebenfalls freudig zu
begrügsen, dass die Begründung gemeinverständliche Belehrungen der Laien¬
kreise in Aussicht nimmt.
Ob die Bestimmungen Ober die Entschädigungen zutreffend und
ersehüpfend sind, müsse der Verhandlung in der Kommission Vorbehalten bleiben.
Das dicke Ende des Entwurfs sei jedenfalls der Kostenpunkt, der
voraussichtlich die Hauptsache in der Kommissionsberathung ausmachen werde.
Namentlich sei eine Einigung darüber erforderlich, was landespoliseilieb, was
ortspoliseilich in dem einzelnen Falle sei; sie bilde gleichsam die Vorbedingung
für das Zustandekommen des Gesetzes, dessen Erlass von der Allgemeinheit
schon so lange Jahre gewünscht sei. Ißt Hingebung auf der einen Seite und
Opferwilligkeit auf der anderen Seite werde aber das Ziel erreicht werden!
(Bravo! im Zentrum.)
Abg. Dr. Iderhoff dankt aueh im Namen seiner politischen Freunde für
die Vorlegung des Entwurfs, dessen Nothwendigkeit sich nicht nur mit Rück¬
sicht auf das Reichsgesetz, sondern auch mit Rücksicht auf eine zeitgemässe
und einheitliche Gestaltung der Vorschriften für die Monarchie ergiebt. Er
hält die Zahl der im Erlass aufgeführten Krankheiten als richtig abgegrenzt
nnd hofft, dass die Krebskrankbeit auf Grund des §. 5 des Gesetzes durch das
Staat8ministerinm unter die anzuzeigenden und zn überwachenden Krankheiten
anfgenommen werden wird, wenn die wissenschaftliche Forschung zu der Er-
kenntniss kommen sollte, dass dieselbe als eine übertragbare Krankheit anzu-
sehen ist. Desgleichen ist Redner damit einverstanden, dass bei den schweren
übertragbaren Krankheiten schon der Verdacht der Krankheit der Anzeige-
pflicht unterworfen ist. Betreffs der Ermittelung der Krankheiten
durch den beamteten Arzt giebt er anheim, ob nicht statt des „muss“ ein
„kann“ genügt (sehr richtig! bei den Freikonservativen); hinsichtlich der
Schutzmassreeeln erkennt er es auch als durchaus richtig nnd zweck¬
mässig an, dass für die einzelnen Krankheiten die möglichen Massregeln be¬
sonders aufgeführt sind. Es wird damit den Polizeibehörden eine willkommene
Anleitung gegeben für die Massnahmen, die sie bei der einzelnen Krankheit
zu treffen haben. Gegenden Behandlungszwang bei der Körnerkrankheit
nnd den Geschlechtskrankheiten hat Redner ebenso wenig einzuwenden, wie
gegen die sächlichen Entschädigungen; dagegen wünscht er eine ein¬
gehende Prüfung der Frage über die persönlichen Entschädigungen. Die Be¬
stimmung, dass die Kosten der amtsärztlichen Ermittelung, Anordnung,
Leitung und Ueberwaebung der Schutzmassregeln auf die Staatskasse über¬
nommen werden, ist freudig zu begrüssen; betreffs der Kosten, die zur Aus¬
führung der zu treffenden Massnahmen aufzuwenden sind, tritt leicht ein Kon¬
flikt zwischen Landes- und Ortspolizeibehörde ein. Dass die Verhütung der
Einschleppung gemeingefährlicher nnd übertragbarer Krankheiten ans dem
Auslande in das Gebiet der Landespolizei gehört, ist zweifellos, nach Ent¬
scheidung des Oberverwaltnngsgerichts sowohl, wie nach der Begründung
der Vorlage gehören hierher auch die Aufwendungen zur Verhütung der Weiter-
Verbreitung ansteckender Krankheiten aus einer Gegend des Staatsgebiets in
eine andere. Was ist aber Gegend? Da beginnt der Zweifel, und deshalb ist
es wiederholt nothwendig gewesen, zur Entscheidung solcher Fragen das Ober¬
verwaltungsgericht anzurufen. Es wird daher Aufgabe der Kommission sein,
hier eine festere Grenze zu ziehen und zwar in der Weise, dass alle
nahmen, die zur Verhütung der Weiterverbreitung der gerneingefährlisfl^
214 Die erste Berathang des preass. Abgeordnetenhauses über die Gesetzentwürfe
sowie diejenigen der amtstntliehen Ueberwacbnng der betreffenden Ma߬
regeln trügt. Dagegen bleibt für die Gemeinden die Tragung der Kosten für
die Absonderung Kranker and Kranhheitsverdächtiger, für die Unterbringung?
der Bewohner geräumter Wohnungen, für die Desinfektion, Anstellung von.
Desinfektoren, Beschaffung von Desinfektionsapparaten, und Desinfektions¬
mitteln, die Entschädigung wegen entgangenen Arbeitsverdienstes und wegen
verdorbener Sachen gleich. Ausserdem sollen die Gemeinden auf Erfordern
der Polizeibehörde diejenigen Einrichtungen, welche zur Bekämpfung der
gemeingefährlichen Krankheiten oder sonst übertragbarer Krankheiten noth-
wendig sind, schon zu seuchenfreier Zeit treffen. Wie weit aber die Anord¬
nungen gehen können, dass ist gar nicht zu sagen; sie können die Gemeinden
sehr schwer belasten, z. B. der Bau von Krankenhäusern oder von Baracken.
Es ist zwar nichts dagegen einzuwenden, dass in seuchenfreier Zeit Massregeln
getroffen werden gegen die Seuchen; aber es wäre richtig, einen gewissen
Höhepunkt der Belastung festzustellen.
Auf alle Fälle ist eine grössere Betheiligung des Staates an diesen
Kosten gerechtfertigt. Erstens, weil das Interesse des Staates darauf hinaus*
geht, eine ansteckende Krankheit an den ersten Punkt zn isoliren und nicht
einen weiten Verbreitungskreis annehmen zu lassen, zweitens, um direkt eine
Entlastung der Gemeinden herbeisufOhren. Ausserdem werden die Behörden,
wenn der Staat sieh an den Kosten betheiligt, vorsichtiger werden in der An¬
ordnung von kostspieligen Massregeln (sehr richtig!) und auch nur solche
Massregeln treffen, die sie nach oben hin verantworten können. Es lässt sieh
auch nicht verkennen, dass die grossen Städte, in denen der Staat die geoammte
Gesundheitspolizei hat, in Bezug auf die Durchführung dieses Gesetzes viel
günstiger gestellt sind, als die kleineren Städte und Verbände anf dem Lande,
die diese grossen Kosten allein zu tragen haben. Bedner fasst am Schloss sein
Urtheii dahin zusammen, dass das Gesetz sorgfältig und gut durchgearbeitet
und sehr wohl geeignet ist, eine wirksame Bekämpfung der Seuchen zu er¬
möglichen. Das Einzige, was er befürchtet, ist die grosse Belastung der
Polizeibehörden auf dem Lande und die grossen Kosten für leistungsfähige
Verbände, besonders auch auf dem Lande. Er hofft, dass es den Vertretern
der Regierung gelingen werde, die Befürchtung hinsichtlich der entstehenden
grossen Kosten auf ein geringeres Maas zurückzufübren, und wünscht, dass
dieses Gesetz zu Stande gebracht werde, indem er gleichzeitig seine Ueber-
weisung an eine Kommission von 21 Mitgliedern empfiehlt. (Bravo!)
Abg. Dr. Ruegenberg (Zentr.) schliesst sich dem Wunsche des Vorredners
von ganzem Herzen an. Die Vorlage sei mit einer Unsumme von Fleiss und
Umsicht ansgearneitet und müsste freudig begrüsst werden, als durch sie anch
dem Menschen derjenige Schutz gegen ansteckende Krankheiten zu Theil
werden soll, den in einem anderen Gesetze für das liebe Vieh schon längte ge¬
geben sei Er steht nicht an, zu erklären, dass die Verfasser des Entwurfes
ihre Aufgabe, namentlich nach der technischen Seite hin, im Grossen und
Ganzen glücklich gelöst haben. Der Gesetzentwurf hat im Vergleich zu den
bisherigen Bestimmungen eine grosse Reihe von Vorzügen. Er regelt die An*
zeigepfioht insofern besser, als er die Reihenfolge der zur Anzeige Verpflich¬
teten genau feststellt und ausserdem die wichtige Bestimmung trifft, dass nach
geschehener Anzeige bei Ausbruch einer Seuche, sofern dieselbe nicht an sich
leicht erkennbar ist, die Feststellung der Krankheit durch den beamteten Arzt
zu geschehen hat; desgleichen giebt sie dem letzteren die Befugniss, im Falle
dar Noth auch ohne vorherige Anzeige der Polizei die Feststellung vorzunebmen
und die zunächst nothwendigen Anordnungen zu treffen. Durch diese Be¬
stimmungen wird einerseits die so sehr wichtige frühzeitige Erkenntniss der
ersten Fälle einer ansteckenden Krankheit gefördert und so einer epidemischen
Verbreitung wirksamer vorgebeugt, anderseits werden die grossen Sohädignngen
des Volkswohls, die durch die Behandlung durch Kurpfuscher entstehen, in¬
sofern theilwsise vermindert werden, als auch der Kurpfuscher, sobald
er sich mit der Behandlung einer solohen Krankheit beschäftigt, zur Anzeige
verpflichtet ist. In Folge des Fehlens eines Kurpfuschereiverbotes müsse man
es noch immer ansehen, dass gewissenlose, ungebildete und oft vorbestrafte
Leute aus reiner Gewinnsucht in den Zeitungen wider besseres Wissen
Heilmittel anpreisen und Leben, Gesundheit und Vermögen i^ßp Vitt*
betr. die Gebühren der Medisinalbeemten and du preues. Seuchengesetz. 215
eof s 8ebwente schädigen, während leider dieselben Zeitnagen gleichseitig nneh
die Klagen der Geschädigten nnd die Vernrtheilung gewissenloser Kurpfuscher
in ihren Spalten bringen.
Als ein weiterer Vorzug ist die Art der Festsetzung der Sehutsmass-
r eg ein zu betrübten, insofern sie je nach der Eigenartigkeit nnd der Gefähr¬
lichkeit der einseinen Krankheiten für jede besonders, nicht nach Schema F
erfolgt nnd anf du Nothwendigste beschränkt wird. Anderseits mnss allerdings
erwartet werden, dass du Publikum den unbedingt nöthigen Anordnungen
nun anch gern nnd willig Folge leistet; denn der Erfolg des Gesetses bängt
nioht allein von seiner gewissenhaften Ausführung durch die Behörden ab,
sondern auch von dem Verständniss der Bevölkerung für die su ihrem Woble
getroffenen Massregeln, nnd von der Bereitwilligkeit, sich Aber du belehren
sn lassen, was ihrer Gesundheit frommt. Deshalb ist es ebenfalls frendig zu
begrüssen, dass die Begründung gemeinverständliche Belehrungen der Liden-
kreise in Anssicht nimmt.
Ob die Bestimmungen über die Entschädigungen zutreffend und
erschöpfend sind, müsse der Verhandlung in der Kommission Vorbehalten bleiben.
Du dicke Ende des Entwurfs sei jedenfalls der Kostenpunkt, der
voraussichtlich die Hauptsache in der Kommissionsberathung ausmachen werde.
Namentlich sei eine Einigung darüber erforderlich, wu landeepoliseilich, wu
ortspoliseilieh in dem einzelnen Falle sei; sie bilde gleichsam die Vorbedingung
für das Zustandekommen des Gesetzes, dessen Erlass von der Allgemeinheit
schon so lange Jahre gewünscht sei. Mit Hingebung auf der einen Seite und
Opferwilligkeit auf der anderen Seite werde aber du Ziel erreicht werden!
(Bravo! im Zentrum.)
Abg. Dr. Iderhoff dankt auch im Namen seiner politischen Freunde für
die Vorlegung des Entwurfs, dessen Nothwendigkeit sich nioht nur mit Bück-
sicht auf du Reichsgesetz, sondern auch mit Bücksicht auf eine zeitgemässe
und einheitliche Gestaltung der Vorschriften für die Monarchie ergiebt. Er
hält die Zahl der im Erlass aufgeführten Krankheiten als richtig abgegrenzt
nnd hofft, dass die Krebskrankbeit auf Grund des §.5 des Gesetzes durch das
Staatsministerinm unter die anzuzeigenden und zu überwachenden Krankheiten
anfgenommen werden wird, wenn die wissenschaftliche Forschung zu der Er¬
kenntnis kommen sollte, dass dieselbe als eine übertragbare Krankheit ansu-
sehen ist. Desgleichen ist Bedner damit einverstanden, dass bei den schweren
übertragbaren Krankheiten schon der Verdacht der Krankheit der Anzeige¬
pilicht unterworfen ist. Betreffs der Ermittelung der Krankheiten
durch den beamteten Arzt giebt er anheim, ob nicht statt des „muss* ein
„kann* genügt (sehr richtig! bei den Freikonservativen); hinsichtlich der
Sehutsmassregeln erkennt er es auch als durchaus richtig und zweck¬
mässig an, dass für die einzelnen Krankheiten die möglichen Massregeln be¬
sonders aufgeführt sind. Es wird damit den Polizeibehörden eine willkommene
Anleitung gegeben für die Massnahmen, die sie bei der einzelnen Krankheit
su treffen haben. Gegen den Behandlungszwang bei der Körnerkrankbeit
und den Geschlechtskrankheiten hat Bedner ebenso wenig einsuwenden, wie
gegen die sächlichen Entschädigungen; dagegen wünscht er eine ein¬
gehende Prüfung der Frage über die persönlichen Entschädigungen. Die Be¬
stimmung, dass die Kosten der amtsärztlichen Ermittelung, Anordnung,
Leitung und Ueberwacbung der Schutzmassregeln auf die Staatskasse über¬
nommen werden, ist frendig zu begrüssen; betreffs der Kosten, die zur Aus¬
führung der zu treffenden Massnahmen aufzuwenden sind, tritt leicht ein Kon¬
flikt zwischen Landes- und Ortspolizeibehörde ein. Dass die Verhütung der
Einschleppung gemeingefährlicher nnd übertragbarer Krankheiten aus dem
Auslande in das Gebiet der Landespolizei gehört, ist zweifellos, nach Ent¬
scheidung des Oberverwaltungsgerichts sowohl, wie nach der Begründung
der Vorlage gehören hierher auch die Aufwendungen zur Verhütung der Weiter¬
verbreitung ansteckender Krankheiten aus einer Gegend des Staatsgebiets in
eine andere. Was ist aber Gegend? Da beginnt der Zweifel, und deshalb ist
es wiederholt nothwendig gewesen, zur Entscheidung solcher Fragen das Ober¬
verwaltungsgericht anzurufen. Es wird daher Aufgabe der Kommission sein,
hier eine festere Grenze zu ziehen und zwar in der Weise, dass alle Mass¬
nahmen, die zur Verhütung der Weiterverbreitung der gemeingefährlichen
216 Die erste Berathang des prenss. Abgeordnetenhauses Uber die Gesetzentwürfe
Krankheiten an treffen sind, als anf das Gebiet der Landespolisei entfallend
bezeichnet werden.
Was die Koten für diejenigen Einrichtungen betrifft, welche zur Ver¬
hütung und Bekämpfung der gemeingefährlichen oder abertragbaren Krank¬
heiten auch schon zur seuchenfreien Zeit von der Polizeibehörde angeordnet
werden können, so können diese z. B. für Beobachtungs- und Absonderungs¬
räume, Unterkunftsstötten fttr Kranke, Desinfektionsapparate, Beförderungs¬
mittel fttr Kranke und Verstorbene, Leichenräume u. s. w. ausserordentlich
hoch, ja so hoch werden, dass sie Über den Bahmen der Leistangsfähigkeit
jedenfalls der Landgemeinden durchweg hinausgehen (Sehr riohtig! rechts.)
Man kann den Landgemeinden besw. den Ortspolizeibezirken wohl zumnthen,
dass sie die Kosten der ärztlichen Behandlung, der Desinfektion, ja aller Mass¬
nahmen, die unter §. 26 des Entwurfs fallen, bei den übertragbaren Krank¬
heiten tragen, dass sie aber Einrichtungen von solchem Umfange lediglich auf
Erfordern der Polizeibehörde sollen treffen müssen, das geht zu weit. (8ehr
wahr!) Es muss da erwogen werden, welche Kautelen gegen en weitgehende
Forderangen zu schaffen sind, sei es, dass man über das Bedürfniss die Selbst¬
verwaltungsbehörden mitbeschliessen lässt, sei es, dasB der Staat sich an den
Kosten betheiligt. Auch die Bestimmung im 2. Abs. des §. 28, wonach die
Anordnung der Herstellung von Einrichtungen erwähnter Art für Kreisver¬
bände dem Regierungspräsidenten zugewiesen ist, erscheint bedenklich; denn
wenn auch der Regierungspräsident seine Forderungen auf das Bedürfniss be¬
schränkt, so könnte doch der ihm beigegebene Medizinalbeamte einen wesent¬
lichen Einfluss ausüben, und in Folge dessen an die Kreise Anforderungen ge¬
stellt werden, die fttr sie eine grosse finanzielle Tragweite haben. Dazu
kommt, dass der Regierungspräsident zugleich die Landespolizeibehörde dar¬
stellt und bei seiner doppelten Eigenschaft als anordnende und Landespolizei¬
behörde jede Anordnung zugleich eine Entscheidnng dahin involvirt, dass die
Massregel als eine ortepolizeiliche anzusehen ist, dass nicht der Staat, sondern
der Kreis für die Kosten einzutreten bat. (Sehr wahr! rechts.) Deshalb müssen
hier fttr die Kreise Garantien geschaffen werden, dass ihnen einmal nicht landes-
polizeiliohe Aufgaben zngemuthet werden, und dass ausserdem an den Anord¬
nungen nicht über das wirkliche Bedürfniss hinausgegangen wird. Zweckmässig
wird dies dadurch geschehen, dass man diese Anordnungen von der Zustimmung
des Bezirksausschusses abhängig macht; da es sich um Einrichtungen handelt,
die zu seucbenfreier Zeit, wo also Gefahr noch nicht im Verzüge ist, getroffen
werden sollen, so kann jedenfalls die durch die Mitwirkung des Bezirksaus¬
schusses eintretende Verzögerung diese Massnahme nicht bedenklich erscheinen
lassen. Endlich berührt Redner noch die Bestimmung im §. 32, Abs. 3, wonach
die Vorschriften des §. 65 des Regulativs über Zwangsimpfungen bei dem Aus¬
bruche einer Pockenepidemie bestehen bleiben sollen. Er hält dies für durch¬
aus richtig und zweckmässig, weist aber auf die Lücke hin, die für die Landes-
theile entsteht, in denen das Regulativ keine Gültigkeit hat; denn für die
neuerworbenen Provinzen würden durch §. 32, Abs. 1 alle die Zwangsimpfungen
betreffenden Bestimmungen ausser Kraft gesetzt werden. Redner wünscht,
dass es gelingen möge, in der Kommission die von ihm hervorgehobenen Bedenken
au beseitigen, damit das Gesetz thunlichst noch in dieser Session verab¬
schiedet werde. (Bravo!)
Abg. Dr. Korn-Rudelsdorf (kons.) betont, dass seine politischen Freunde
dem Gesetz nur dann zustimmen können, wenn die Königliche Staatsregierung
bereit ist, in erheblich grösserer Weise als bisher gefordert worden ist, zu den
entstehenden Kosten beizutragen. Den ländlichen Gemeinden dürften unter
keiner Bedingung noch Kosten irgend welcher Art anfgebürdet werden. (Sehr
riohtig! reohtB.)
Der Klumpfuss des Gesetzes ist, dass „ohne Weiteres“ die Kostenfrage
sich nach bestehendem Recht erledigen soll. In dem Gesetz sind so ziemlich
alle Seuchen abgewehrt und namhaft gemacht, die für den Menschen in Be-
traoht kommen können, bloss die Kostenseuche ist leider nicht abgewehrt. Es
liegt aber eine kolossale Gefahr darin, dass dieser Kostenbacillus, der am
grünen Tisch vielfach seinen Nährboden findet und gezüchtet wird, durch die
Herren Medisinalbeamten, namentlich in den ländlichen Gegenden herumge¬
schleppt werden kann. Gegen zu weitgehende Forderungen der Polizeibehörden
und Medizinalbeamten ist zwar ein Beschwerdeweg an den Landrath und event.
bete, die Gebühren der Medizinalbesmten and des preuss. Seuchengesetz. 217
noch weiter vorgesehen, es liegt aber die Befürchtung vor, dass da nicht der
Landrath Hecht bekommt, wenn er einer Gemeinde helfen will, sondern der
betreffende Kreisarzt, and dass eventuell auf dem Dienstanfsichtswege der
Landrath die Anweisung erhält, sich dem Wunsche des Kreisarztes zn fügen,
um dadurch eventuell eine schwere Belastung und Inkommodirung der be¬
treffenden Ortschaft herbeisuführen. Dazu komme, dass auch bereits vorher,
bevor eine Seuohe eintritt, prophylaktisch eventuell verlangt werden kann, dass
ÜUKregeln ergriffen werden. Im grossen Ganzen wird dies zwar auf dem platten
lande nicht der Fall sein, aber die Gefahr liegt vor; und dagegen müssen in
der Kommission Garantien geschaffen werden. Uebrigens kann auch nicht
nnr eine einzelne Gemeinde, sondern auch ein Kreis leistungsunfäbig sein; das¬
selbe gilt von Gutsbezirken, deren etwaige Leistungsunfühigkeit im Gesetz
gar nieht berücksichtigt ist.
Bedner bemängelt weiter, dass umgekehrt an Kosten gespart und die
zur Festsetzung der Entschädigungen herangezogenen Sachverständigen in
keiner Weise entschädigt werden sollen. Für bedenklich hält er auch den §. 35
nach dem zur Erleichterung des Verständnisses und der praktischen Hand¬
habung des Gesetzes für die mit dessen Ausführung betrauten Behürden der
Erlass ausführlicher, das Verfahren bei jeder einzelnen Krankheit erschöpfend
behandelnder Anweisungen in Aussicht genommen sind. Ihm graut vor so viel
Gesundheit. Die Amtsvorsteher seien schon durch Klebegesetz, Statistik,
Fleischbesehaugesetz u. s. w. belastet, jetzt sollen sie durch die Menschen-
seuchenfrage noch mehr mit Arbeit belastet werden, so dass sie gar nicht im
8tande sein würden, dies alles zu leisten.
Zum Schluss erkennt Bedner, auoh im Namen seiner politischen Freunde
die Wirkung des Gesetzes, wenn es zu Stande kommt, als sehr erwünscht und
segensreich an, macht aber deren Zustimmung davon abhängig, dass bezüglich
der Entlastung der Gemeinden und bezüglich der anderweitigen Regelung der
KoBtenfrage der Staat einen ganz erheblichen Theil der Kosten, wenn nicht
ille übernehmen würde. Er hofft, dass die Kommission ein Heilserum gegen
alle diese Kosten-, Belastungs- u. s. w. Seuchen finden werde. (Bravo 1 rechts.)
Abg. Dr. Langerhans (freie. Volkspartei) hofft, dass das Gesetz zu
Stande kommen wird und hält die bisher geäusserten Ansichten über die
Kosten für etwas übertrieben. Desgleichen kann er in den Tadel nicht ein¬
stimmen, dass die Sohutzmassregeln in allzu grosser Fülle und Ueppigkeit ge¬
troffen seien, da diese Sohutzmassregeln nur zur Auswahl erlaubt sind und
gleichsam das HOchstmass bedeuten.
Bedner bemängelt sodann die Bezugnahme des Gesetzentwurfes auf die
einzelnen Paragraphen des Beichsgesetzes, ohne dass deren Wortlaut im Gesetz
selbst angeführt ist; desgleichen vermisst er die Frage der obligatorischen
Leiehenschau. Er betont deren Nothwendigkeit, namentlich mit Rücksicht
auf die ansteckenden Krankheiten; selbst wenn sie von Laien ausgeführt werde,
sei sie von grossem Nutzen. Die Leichenschauer müssten nur bei zweifelhaften
Pillen einen Arzt hinzuziehen.
Dass auoh Kurpfuscher eine Anzeige erstatten sollen, hält er für falsch,
da sie keine Krankheit erkennen, sondern die Kranken nur nach Symptomen
behandeln.
Bei der Anzeigepflicht sei es nothwendig, dass mit einer gewissen
Strenge vorgegangen werde. Ob bei Geschlechtskrankheiten die Anzeigepflioht
rar für solche Frauenzimmer genügt, die gewerbsmässig Unzucht treiben, sei
zweifelhaft; hier werde eher zu wenig als zu viel angezeigt; denn ein jeder
wird sich wohl hüten, eine Dame für ein Unzucht treibendes Frauenzimmer zu
halten. Jedenfalls müsse das Gesetz so eingerichtet werden, dass seine Durch¬
führung nicht übermässig theuer werde, denn namentlich die Landgemeinden
im Osten seien oft so arm, dass sie irgend eine Erhöhung ihrer Lasten kaum
ertragen künnen.
Bedner bittet zum Schloss, mit gutem Willen an die Sache heranzu-
trehen, und hofft, dass nach Annahme dieses Gesetzes auch die obligatorische
Leichenschau und die fakultative Leicheneinäscherung nicht mehr lange
auf sich warten lassen werde. (Bravo! bei den Freisinnigen.)
Abg. ▼. Savigny (Zentr.) hegt ebenso wie seine politischen Freunde den^
dringenden Wunsch, dass der Anregung des Vorredners in Bezug auf di
Leichen Verbrennung nicht stattgegeben werde. Auch die obligatorisch
218 Di« ent« Berathuag des preuss. Abgeordnetenhauses über di« Gesetzentwürfe
Leichenschau hält er nieht für durchführbar. Bei der grossen Ueberein-
stimmung hinsichtlich der Kostenfrage steht sn erwarten, dass alle die¬
jenigen Bestimmungen des yorgelegten Gesetzes, welche eine grosse Koeten-
Termehrang bedingen, einer gründlichen Revision in der Kommissionsberathang
nntersogen werden and das Gesetz mit der Koetenbelastong, wie sie jetit in
demselben enthalten ist, nicht verabschiedet wird. Die Vorschriften der §§. 26,
26 27 and 28 können in der Allgemeinheit, wie sie hier gefasst sind, un¬
möglich bestehen bleiben. Sehr bedenklich ist auch die Aosdehnng der An-
zeigepflioht anf Langen- and Kehlkopftaberkalose. Es soll
allerdings nor die Erkrankung an vorgeschrittener Langen- and Kehl¬
kopftaberkalose beim Wohnungswechsel des Erkrankten erfolgen; da«
führt aber gewissennassen sn einer Internirang der Tuberkulösen; sie sind
nicht mehr in der Lage, sich frei sn bewegen und hernmsureisen; sie riskiren,
dass sie sonst den anangenehmsten Anzeigen and Weiterungen ansgesetzt
werden, ganz abgesehen davon, dass die Möglichkeit, zu erkennen, ob sioh
Jemand in einem Zastand vorgeschrittener Langen- and Kehlkopftaber¬
kalose befindet, für den Laien doch wohl vollständig ausgeschlossen ist. Zn
welchen Konsequenzen würde das führen Pl Denn im §. 2 ist ansdrficklich
ansgesprochen, dass, wo ein behandelnder Arzt nicht vorhanden oder als be¬
handelnd nicht bekannt ist, zunächst der Haushaltungsvorstand, dann jede
sonst mit der Behandlung oder Pflege des Erkrankten beschäftigte Person,
ferner derjenige, in dessen Wohnung oder Behausung der Erkrankangs- oder
Todesfall sich ereignet hat — also der Wohnungsbeanfsichtiger, unter Um¬
standen der Haaseigenthümer, der Vermiether n. s. w. — anzeigepflichtig sind
and gerade hinsichtlich einer Krankheit, an der durchschnittlich 74000 Per¬
sonen jährlich in Preassen sterben, also eine sehr grosse Zahl von Personen
den Verdacht, an dieser Krankheit zn leiden, durch das lassere Verhalten zu
erwecken geeignet ist. Dies würde allen ängstlichen Persönlichkeiten, die sich
vor der Strafe, die bei Unterlassung der Anzeige ans §. 2 angedroht ist,
fürchten, dahin treiben, dass sie den Zastand als einen „vorgeschrittenen“
ansehen and sich mithin verpflichtet fühlen, die Anzeige za erstatten. Dieser
Bestimmung eine andere Formolirnng zu geben, wird Aufgabe der Kommission
sein. In der Begründung ist zwar darauf hingewiesen, dass andere Staaten
sehon in dieser Weise vorgegangen seien. Dieselben bleiben aber hinter dem,
was hier das Gesetz in dem Punkte der Anzeigepflioht vorsieht, weit zurück.
Belgien ertheilt nur allgemeine Rathschllge zur Vermeidung der Ansteckung;
Italien verlangt die Anzeige nnrffir Erkrankungen innerhalb von Anstalten,
Gasthöfen, Herbergen, grösseren Einrichtungen, bei denen eine solche Anzeige
und Ueberwachung überhaupt schon leichter durchführbar ist. Norwegen,
das am weitesten in seinen Bestimmungen geht, macht wiederum nur den
Arzt anzeigepflichtig, legt diese unter Strafe gestellte Pflicht also nicht den
anderen Personen auf, auch Oesterreich legt wiederum nur dem Arzt die
Anzeigepflioht auf; ebenso Baden und Sachsen; nur in Saohsen-
Altenburg bestehen die Bestimmungen des Entwurfs. Auch hinsichtlieh
der Frage der Zuständigkeit der Entscheidungen über Beschwerden
ist es bedenklich, dam nach §. 12 die Klage im Verwaltungsstreitverfahren
ausgeschlossen werden soll (Sehr richtig!). Die ganze preussiBche Verwaltungs¬
organisation geht davon aus, dass gegen die Massnahmen der Behörden in den
meisten Fällen die Klage im Verwaltungsstreitverfahren vorgesehen ist und
gegeben erscheint. Warum hier davon eine Ausnahme getroffen werden soll,
ist unverständlich; auch in diesem Punkte wird die Kommission die andere
Hand ansetzen müssen. Wenn in §. 12, Abs. 8 gesagt ist, dass die Anfechtung
der Anordnungen keine aufschiebende Wirkung haben soll, so ist dies im ge¬
wissen Umfange unzweifelhaft als richtig ansuerkennen. Da wird aber auch
vielleicht eine Einschränkung einzufügen sein, weil die Massnahmen unter
Umständen dann bei Erledigung der Beschwerde schon getroffen sind.
Redner wünscht ferner, dass die Bestimmung im §. 14 des Reichsseuchen-
gesetses, wonach bei der Abschliessung, welcher die Kranken unter Umständen
unterzogen werden, Ausnahmen getroffen werden, unter anderem auch für den
Seelsorger, so dass dieser den Zutritt gesichert behält. Dagegen betont er,
dass für die hier ausgesprochene Befürchtung, als ob zwischen Landrath und
Kreisarzt so leicht eine Differenz entstehen könnte, und dass bei deren Aus¬
trag voraussichtlich der Landrath Unrecht, der Kreisarzt Recht behalten
betr. die Gebühren dar MtdianlkauittB ud 4 m preuss. Seaeheageeets. 219
wtrde, au der allgemeinen Praxis, die sieh Mich jetzt schoe seit Bestehe«
das Kreisarztgeeetses herausgebildet hat, keine rechten Anhaltspunkte ge¬
wonnen werden können, and diese Befürchtung daher eine ungerechtfertigte ist.
Sr glaubt weiterhin, dass die in §. 21 vorgesehene Verwaltnag des Amtes
der Sachverständigen als eines ehrenamtlichen kaum wird anlrechterhalten
werden können, weil sonst Niemand su dem Amte recht bereit sein werde.
Zn §. 27. wflnseht er, dass eine Theilnng der Lasten zwischen den weiteren
Verbinden der Provinz und dem Staate einerseits and den Kreisen besw.
Gemeinden anderseits erfolgt.
Wenn diese Gesichtspunkte berücksichtigt werden, so wird es gelingen,
das Gesetz, dessen allgemeine Nfttsliohkeit and Nothwendigkeit von Niemandem
bezweifelt wird, sa einem solchen an gestalten, dass es anch in der Bevölkerung
als eine Wohlthat empfanden wird and dass bei dessen Ausführung das ganze
Publikum mitwirkt. — Diese Sympathie wird in vieler Beziehung gerade die
Wirksamkeit dieses Gesetzes erst begründen! Dm erfordert aber, dass <Us
Gesetz den Unterthanen, für die es erlassen, schmackhafter gemacht wird und
nicht an einem Gegenstand der BesorgnisB und des Misstrauens, an einem
Gegenstände steter Beschwerdeführung and der Furcht vor Denunziationen
u. s. w., als welches es dann seine Wirkung verfehlen würde (Bravo!).
Abg. Hofmann (freis. Vereinigung) will seine Betrachtungen nur auf
drei Punkte richten: Sr weist zunächst auf die Verschiedenheit der
Ortspolizeibehörden in den einzelnen Theilen der Monarchie hin und
trügt: kann überhaupt eine richtige Handhabung des Gesetzes ein treten, wenn
so verschiedenartige Behörden genau dieselben Befugnisse aussuüben haben?
Es würe deshalb besser, die ganze Ausführung in die Hand des Landraths au
legen besw. bei Stidten iu die Hand der städtischen Polizei und die Aufsicht
in die Hand des Begierungsprisidenten.
Sodann frägt er an, ob für die in Nassau vielfach über mehrere Ge¬
meinden sioh erstreckenden Aerztebesirke mit festangestellten Aersten
Gesundheitakommisaionen gebildet werden können. Es sei dies erwünscht, denn
eine solche Gesundheitskommission kann in lindliehen Bezirken an thatsäohlioher
Aufklärung für die Medizinalbehörden ganz Wesentliches leisten.
Betreffs der Kosten ist Bedner ebenfalls der Ansicht, dass sie doch
ausserordentlich ungünstig für die einzelnen Gemeinden normlrt sind; wenig¬
stens sollten die aus §. 26 reaultirenden zum grössten Theil nicht der Einzel¬
gemeinde, sondern der Landespolizeibehörde auferlegt werden. Die ganzen
Maosregeln, die zur Lokalisation einer Seuche dienen, sind doch nicht lediglich
für die einzelne Gemeinde bestimmt, sondern auch dazu, die anderen benachbarten
Gemeinden, die ganze Umgegend und den ganzen StMt gegen die Weiterverbrei¬
tung dieser Seuche zu schützen; es ist deshalb nicht gerechtfertigt, diese Kosten
völlig der einzelnen Gemeinde zur Last zu legen. Dagegen sei das Prinzip, Einrich¬
tungen zu einer seuehenfreien Zeit zu treffen, an sich berechtigt, nur nicht in
der Weise, wie es §. 27 vorschreibt. Von jeder Gemeinde, auch der wenig
leistungsfähigen, könne man zwar fordern, dass sie einen gewissen, ihren Ver¬
hältnissen entsprechenden Aufwand auch zur Verhütung künftiger Seuchen
machen muss; aber nach §. 27 boII sie einfach auf Erfordern der Polizeibe¬
hörden das thun, was die Polizeibehörde in gesundheitlicher Besiehung für
richtig hält. Hier fehlt überhaupt die Büoksicht auf die Selbstverwaltung;
massgebend und allein entscheidend ist lediglich die Polizeibehörde, die
Ortagemeinde wird gar nicht gefragt, sie braucht nicht einmal gehört zu
worden. Die Leistungsfähigkeit der Gemeinde muss deshalb im Gesetz fest-
gestellt und eine bestimmte jährliche Höheleistung, etwa 0,ß°/ 0 der Jahresein-
nähme, festgesetzt werden, über die hinaus die einzelne Gemeinde nicht ver¬
pflichtet ist, etWM zu leisten.
Man Ballte im Gesetz auch den Gedanken festlegen, dass man zur Ver¬
hütung künftiger Seuchen einen gewissen Fonds allmählich ansammelt in der
Art, dass man in die Badgets der einzelnen kleinen Gemeinden eine gewisse
Ihrer Leistungsfähigkeit entsprechende Summe einstellt und durch allmähliche
Auffüllung dieses Fonds dann in die Lage käme, bei plötsliohem Ausbruch der
Seuchen davon Gebrauch su maohen oder aber eine ständige Einrichtung zu
tieften, die beim Ausbruch in Gebrauch genommen werden könnte. Die Be¬
schaffung kostspieliger Einrichtungen sollte nieht Sache der einzelnen Ge¬
meinden, sondern der grösseren verbände sein. Auch die Hülfe von Wohl-
220 Die erste Beratkuag des prenss. Abgeordnetenhauses über die Gesetieutwttrfe
thfttigkeitseinriebtnngen und Yereinignngen für Ähnliche Zwecke müsse man
aof diesem Gebiete heransieben. Desgleichen erscheint es mit Rücksicht aal das
ausserordentliche Interesse, das der Staat an der Gesundheit seiner Mitglieder,
an der Verhütung und Verbreitung der Seuchen hat, angezeigt, irgend einen
Fonds oder einen bestimmten Rtatstitel zu bilden, der beiweckt, derartige
Einrichtungen, die hier gefordert werden, auch staatlicherseits su einem Theil
mitzufordern.
Damit wird die Diskussion geschlossen und beschlossen, sowohl diesen
Entwarf als den Entwurf über die Gebühren der Medizinalbeamten einer
Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen.
Aas den vorstehenden Verhandlungen geht hervor, dass die
Aussichten auf das Zustandekommen der beiden Gesetze keine
ungünstigen sind; die Vertreter aller Parteien haben sich mehr
oder weniger zustimmend geäussert und vor Allem die Noth-
wendigkeit wie das Bedürfniss einer zeitgemässen gesetz¬
lichen Neuregelung der beiden Fragen anerkannt; aber ebenso
einstimmig gefordert, dass dadurch keineMehrbelastung der
Gemeinden eintreten dürfe, sondern namentlich in Bezug auf
das Seuchengesetz der Staat in weit höherem Masse, als im
Gesetze vorgesehen sei, zu den Kosten beitragen müsse.
Jedenfalls bildet die Regelung des Kostenpunktes den
Schwerpunkt und die Voraussetzung für die Verabschiedung des
Seuchengesetzes; wird in dieser Hinsicht eine Einigung erzielt,
insbesondere der Begriff „landespolizeilich* nicht zu eng gefasst,
und gelingt es, einen grösseren Theil der im Entwurf den Ge¬
meinden auferlegten Kosten auf die breiten Schultern des Staates
oder der Provinzialverbände abzuwälzen, was auch durchaus dem
öffentlichen Interesse und dem seiner Zeit von den Medizinal¬
beamten vertretenen Standpunkt entspricht, dann dürfte die An¬
nahme beider Gesetzentwürfe gesichert sein.
Die Erörterung des Gebührengesetzes hat im Uebrigen
gegenüber den Verhandlungen im Vorjahre wenig neue Gesichts¬
punkte gebracht. Der Abg. Dr. Ruegenberg verlangte ebenso
wie früher mit Recht, dass die Einzelsätze der Gebühren keines¬
wegs unter die Sätze der ärztlichen Gebührenordnung herabgehen
dürften und zwar nicht nur mit Rücksicht auf die beamteten
Aerzte, sondern noch mehr mit Rücksicht auf die nicht beamteten.
Desgleichen hält er es für ungerechtfertigt, dass die Tagegelder
und Reisekosten in gerichtsärztlichen Angelegenheiten niedriger,
als bei anderen gleichgestellten Beamtenkategorien sein sollten.
Die Abg. Gamp und v. Savigny traten vor Allem dafür ein,
dass der Gebührentarif nicht durch ministerielle Verordnung,
sondern durch Gesetz festgelegt würde, und begründeten diese
Forderung mit Rücksicht auf die sonst etwa zu hohe Bemessung
der Gebühren und die dadurch bedingte zu grosse Belastung der
Gemeinden und Privatpersonen, während der Abg. Dr. Martens
zutreffend hervorhob, dass bei Festsetzung des Tarifs durch den
Herrn Minister auch die beamteten Aerzte leicht zu kurz kommen
könnten. Trotzdem hielt er diese Festsetzung für die richtigere,
damit nicht bei jeder Aenderung die Klinke der Gesetzgebung in
die Hand genommen zu werden brauchte. Mit Recht wurde von
dem Abg. v. Savigny eine genauere Bestimmung der Begriffe
betr. die' GtablLhren der Mediiin&lbean) ten and du preass. Seachengesets. 221
„staatliche“ und „ortspolizeiliche“ Interessen verlangt, eine Forde¬
rung, der man nur beistimmen kann; wenn derselbe Abgeordnete
aber glaubt, dass die im Tarif vorgesehenen Gebührensätze an
einzelnen Stellen noch herabgesetzt werden könnten, so muss dem
gegenüber betont werden, dass diese im Vergleich zu den bisher
geltenden Gebührensätzen zum Theil und gerade für die am
häufigsten vorkommenden Amtsgeschäfte (Termine, Besichtigungen,
Gesundheitszeugnisse u. s. w.) wesentlich niedriger bemessen sind
und einer Erhöhung bedürfen.
Bei der Berathung über das Ansführungsgesetz zum
Beiehsseuchengesetz bildete, wie bereits erwähnt, die Kos ten-
frage — die Kostenseuche, wie sie der Abg. v. Korn bezeichnete
— die drohende Belastung der Gemeinden und deren nothwendige
Entlastung durch den Staat den Hauptgegenstand der Aus¬
führungen sämmtlicher Redner; von allen wurde mehr oder weniger
allen verlangt, dass die zur Bekämpfung der Seuchen erforderlichen
Massnahmen in erster Linie als landespolizeiliche anzusehen und
demgemäss auch die Kosen dafür von dem Staate zu übernehmen
seien. Mit Rücksicht auf das bestehende Recht geht diese Forderung
entschieden zu weit; aber der befürchteten Belastung der Ge¬
meinden würde nicht nur vollständig vorgebeugt, sondern auch
gegenüber dem bisherigen Zustande eine erhebliche Entlastung
derselben erreicht werden, wenn dem Beschlüsse der vorjährigen
Medizinalbeamtenversammlung gemäss, der Staat die Kosten des
Ermittelungsverfahrens, die Provinzialverbände analog wie bei
der Bekämpfung der Viehseuchen die Kosten der Entschädigungen
einschliesslich der Auslagen für die Sachverständigen, die Kreise
die Kosten für die Beschaffung von Desinfektionsapparaten und
Isolirräumen, für Bestellung von Desinfektoren und für die Wohnungs¬
desinfektion, sowie die Gemeinden die Kosten für die Unterbrin¬
gung und ärztliche Behandlung der unvermögenden Kranken
und für alle sonstigen Einrichtungen tragen, die ausschliesslich
im örtlichen Interesse erfolgen. Uebersteigen die Kosten hierfür
die Leistungsfähigkeit der Gemeinden, dann müssten ihnen Zu¬
schüsse von Kreisen, Provinzialverbänden oder vom Staat gewährt
werden; der Kreistag, Provinziallandtag und Landtag müssten
dum nur darauf hinwirken, dass auch ausreichende Beträge dafür
in die betreffenden Etats eingestellt würden.
Im Uebrigen erklärten sich im Grossen und Ganzen alle
Redner mit den Grundprinzipien des Gesetzes einverstanden und
erkannten dessen sorgfältige Ausarbeitung an. Betreffs der An¬
zeigepflicht wurde nur, wie dies zu erwarten stand, die Be¬
stimmung bezüglich der Anzeige bei Tuberkulose und Geschlechts¬
krankheiten bemängelt und hier eine einwandsfreiere Fassung
gewünscht, eine Forderung, mit der man sich nur einverstanden
erklären kann und deren Erfüllung hoffentlich der Kommission
gelingt. Auch damit, dass eine Ausdehnung der Anzeigepflicht
auf andere Krankheiten (Masern, Keuchhusten, Malaria, Krebs
u. s. w.) auf Beschluss des Staatsministeriums zulässig sei, er¬
klärte man sich einverstanden; für die Ertheilung dieser Er-
222 Brate Berathnng Ober daa Gebtthrengeaets o. d. preau. Senehengecetze.
mächtigung an den Regierangspräsidenten ist jedoch keiner der Redner
eingetreten, obwohl diese u. E. im öffentlichen Interesse wenigstens
für die akut auftretenden ansteckenden Krankheiten anbedingt
nothwendig ist. Aaf alle Fälle sollte man dann wenigstens
die betreffenden §§. 5 and 7 derartig fassen, dass jenen Er¬
mächtigung nicht blos für das vorübergehende and epidemische
Auftreten der Erkrankungen zulässig ist, denn dann wird von
ihr oft zu spät Gebrauch gemacht werden können, um die Epi¬
demie mit Erfolg zu bekämpfen. Hinsichtlich der amtsärzt¬
lichen Ermittelungen wurde von dem Abg. Iderhoff vor¬
geschlagen, in der einschlägigen Bestimmung des Reichsgesetzes
für die im Gesetzentwurf genannten Krankheiten statt des „muss“
ein „kann“ zu setzen; das wäre eine ausserordentliche Ver¬
schlechterung des Gesetzes, die hoffentlich nicht den Beifall der
Kommission und später des Plenums findet.
Die Festsetzung der Schutzmassregeln bei jeder ein¬
zelnen Krankheit nach ihrer Eigenart und Gefährlichkeit fand
allseitigen Beifall; die Einzelheiten über diese Frage wurden aber
fast von allen Rednern der Kommissionsverhandlungen Vorbehalten
und nur vor einem Zuweitgehen gewarnt. Letzteres geschah
auch von dem Abg. Dr. Martens in Bezug auf die Gewährung
der persönlichen Entschädigungen ifir Arbeitsverlust bei
Isolirung, Beobachtung von kranken und krankheitsverdächtigen
Personen u. s. w., eine Ansicht, die unseres Erachtes ebenso ihre
volle Berechtigung hat wie die Ansicht, dass es falsch sei, nur die
Arbeiter in solchen Fällen zu entschädigen, während oft genug
wenig bemittelte Personen des Handwerker- u. s. w. Standes
viel schwerer durch derartige Massregeln als die Arbeiter ge¬
troffen werden.
Auch der von verschiedenen Rednern (Martens, Ider¬
hoff, v. Savigny) ausgesprochene Wunsch, dass das Ver¬
waltungsstreitverfahren gegen die von den Polizeibehörden
oder dem Regierungspräsidenten angeordneten Massnahmen in
grösserem Umfange zulässig sein müsse, als im Gesetze vorge¬
sehen, erscheint berechtigt; nur dürfte sich dies nicht auf die
sogenannten unmittelbaren Schutzmassregeln (§§. 8—12) des Ge¬
setzes erstrecken, weil sonst die Anordnung und Durchführung
derselben ausserordentlich beeinträchtigt werden würde. In Wirk¬
lichkeit dürften im §. 12, Abs. 2 des Gesetzes auch nur diese ge¬
meint sein; zur Sicherheit könnte ja aber hier noch eine ent¬
sprechende Bestimmung eingefügt werden. Dagegen dürfte nichts
entgegenstehen, wenn bei allen, namentlich in seuchenfreien Zeiten
von den Polizeibehörden und dem Regierungspräsidenten ge¬
forderten Einrichtungen zur Bekämpfung der gemeingefährlichen
und übertragbaren Krankheiten das Verwaltungsstreitverfahren
zugelassen würde.
Die Erörterungen über die Kdfetenfrage sind bereits vor¬
her besprochen. Zum Schluss nur noch eine Bemerkung betreffs
der Zwangsimpfung. Nach §. 32, Abs. 3 des Gesetzentwurfes
sollen die Vorschriften darüber bestehen bleiben, es werden aber,
Besprechungen.
233
wie der Abg. Iderhofi betont, ansdrttcklich nur diejenigen des
Regulativs (§. 55) erwähnt, die in den neuen Provinzen aber
geltenden (in Hannover: Königl. Verordnung vom 6. Juni 1838,
in Schleswig-Holstein: Königl. Verordnung vom 2. September
1811 [§§. 21 und 22], in Lauenburg: Verordnung vom 5. Januar
1826, §. 22) aber unberücksichtigt gelassen, so dass diese durch
die Bestimmung im §. 32, Abs. 1 aufgehoben würden, und hier
keine Zwangsimpfung mehr zulässig sein dürfte, ebenso wie in
Hessen-Nassau, wo derartige Vorschriften überhaupt nicht bestehen.
Hier bedarf der Entwurf unbedingt einer Aenderung und zwar
dahin , dass man unter §. 8 (Schutzmassregeln) beim Ausbruch von
Pocken nicht allein die Zwangsimpfung, sondern auch die Zwangs-
wiederimpfuug für zulässig erklärt; denn die letztere ist ebenfalls
zur Bekämpfung der Seuche unbedingt erforderlich. In Wirklich¬
keit entzieht sich zwar beim Ausbruch von Pocken fast niemals
Jemand der Impfung und Wiederimpfung, da das Publikum eine
zu grosse Angst gerade vor dieser Krankheit hat, immerhin dürfte
aber doch die gesetzliche Festlegung der Zwangsimpfang angezeigt
sein, die bei der Zusammensetzung des Landtages auf keine
Schwierigkeiten stossen wird. Dann würden auch in dieser Be¬
ziehung einheitliche Vorschriften für die ganze Monarchie be¬
stehen und das ganze Regulativ von 1835 aufgehoben werden
können, abgesehen von der durch das Kreisarztgesetz aufrecht er¬
haltenen Bestimmung über die Sanitätskommissionen. Rpd.
Besprechungen.
Dr. A. Leiser, Prof, der geriohtl. Medizin und Geriohtsarzt su Breslau:
Stereoskopischer Gerichtsftrztlicher Atlas. Breslau 1903. Schlesische
Verlagsanstalt von S. Sehottlaender. I. Abtheilung; Tafel 1—50.
Preis: 16 Mark.
Der Verfasser, der sieh bereits bei dem von Neisser herausgegebenen
stereoskopischen medizinischen Atlas dnreh mehrere, in dieser Zeitschrift früher
besprochene Lieferungen betheiligt hat, bietet den beteiligten Kreisen jetzt
ein in sich abgeschlossenes, völlig selbstständiges Werk, das in 200 Tafeln
das ganze Gebiet der gerichtlichen Medizin umfassen, in vier Abtheilungen zur
Ausgabe gelangen und binnen 12 Monaten vollständig erscheinen soll.
Die soeben erschienene erste, aus 50 Tafeln nebst erklärendem Text
bestehende Abtheilung, bringt Verletzungen des Kopfes und der Wirbelsäule
(8tieh-, Schuss-, Quetschwunden, Schädelverletzungen der verschiedensten Art,
Verletzungen des Gehirns, seiner Häute und Gefässe, Hirnblutungen) und zwar
nicht nur vitale, sondern auch postmortale, ein für den praktischen Gebrauch
des Atlas nicht zu unterschätzender Vorzug. Dabei ist die Wahl der bildlich
dargestellten Objekte aus dem reiohen Materiale, das dem Verfasser in seiner
Eigenschaft als Gerichtsarzt zur Vertilgung steht, ausserordentlich geschickt
getroffen und insbesondere dem diffenrential - diagnostischen Gesichtspunkte
Rechnung getragen; aus der Praxis für die Praxis! Die Verletzungen und
Veränderungen u. s. w. werden auf den Bildern in Naturtreue wiedergegeben
und durch die photographisch-stereoskopische Aufnahme die räumlichen Ver¬
hältnisse der Objekte in kaum zu übertreffender Art zum Ausdruck gebracht,
auch Färbungen und Farbendifferenzen lassen die Reproduktionen in nicht miss¬
zudeutender Weise hervortreten.
Der Atlas dürfte demgemäss allen Medisinalbeamten und Gericht«ärzten
hochwillkommen sein. Br kann diesen nur auf das Wärmste empfohlen werden,
zumal auch der Preis ein verhältnissmässig niedriger ist. Wie uns mitgetheilt
224
Tagesnaohriehten.
wird, ist die zweite Lieferung bereite im Druck fertig gestellt and ihr Er¬
scheinen unmittelbar bevorstehend, so dass die Vollendung des ganzen Werkes
in diesem Jahre gesichert ist. Rpd.
Jobs. Sohmidt and Fr. Wels: Die Bakterien. Mit (20b Figuren im
Text. Jena 1902. Verlag von Gustav Fischer. Gr. 8°, 416 Seiten.
Preis: 7 Mark.
Im Gegensätze zu der Überwiegenden Mehrzahl der Lehr- und Hand¬
bücher der Bakteriologie behandelt das vorliegende Werk die theoretische Seite
dieses Wissenszweiges, indem es eine „naturhistorische Grandlage für das
bakteriologische Studium“, eine wissenschaftliche Basis für weitergehende
theoretische und praktische Forschungen bilden will. Dieser Zweck erscheint
erreioht. In der Bearbeitung des Stoffes haben sich die Verfasser getheilt,
indem Schmidt aus dem allgemeinen Theil die Morphologie und Entwicke¬
lungsgeschichte und den speziellen Theil über die Systematik der Bakterien
gewählt hat, während Weis ihre Physiologie, Verbreitung und Bedeutung im
Haushalte der Natur behandelt. Für das kritisch nnd genau durcbgearbeitete,
lebhaft und klar geschriebene Werk spricht auch die beifällige Aufnahme der
dänischen Ausgabe durch die Kopenhagener Universität. Die deutsche Aus¬
gabe, von Morten-Porsild unter Mitwirkung der Verfasser übersetzt, ist
mit einem empfehlenden Vorwort seitens des Prof. Dr. Hansen-Kopenhagen
versehen. 205 Figuren erläutern den Text. Dr. Boepke-Lippspringe.
Dr. W. Mlgula, Professor an der Grossb. techn. Hochschule in Karlsruhe:
Oompendium der b&kteriologisohen CTassernntersuchung nebst
-vollständiger Uebersieht der Trink wasserbakterien. Mit zwei
Liohtdrucksafeln. Wiesbaden 1902. Verlag von Otto Nemnioh. Gr. 8°,
r 488 Seiten. Preis: geh. 9 Mark, geb. 10 Mark.
Das vorliegende Werk behandelt in dem I. Abschnitt die bakteriologische
Wasseruntersuchung in der Weise, dass die wichtigsten Methoden eingehend,
die schwierigeren aber nur kurz erörtert werden und die entbehrlichen Unter¬
suchungen ganz weggelassen sind, so dass es in erster Linie für diejenigen zum
Selbststudium geeignet erscheint, die als Nicht-Fachbakteriologen Wasser-
untersuohungen machen müssen. Den Schwerpunkt legte Verfasser in dem 872
Seiten umfassenden XL Abschnitt auf die Beschreibungen der wichtigsten Trink¬
wasserbakterien, die durch zwei angefügte Lichtdrucktafeln illustrirt werden.
_Dr. Boepke-Lippspringe.
Dr. Max Blobele, Apotheker in Regensburg: Die chemischen Prozesse
und stöchiometrischen Berechnungen bei den Prüfungen und
Werthbestimmungen der im Arzneibuohe für das Deutsohe
Reich (IV. Ausgabe) aufgenommenen Arzneimittel. Berlin 1902.
Verlag von Jul. Springer. 12 6 ; 320 S. Preis: geb. 4 Mark.
Das vorliegende Buch bildet den theoretischen Theil der vom Verfasser
ebenfalls heransgegebenen „Anleitung zur Erkennung und Prüfung der Arznei¬
mittel“ des Arzneibuches für das Deutsche Reich (IV. Ausgabe). Es ist ein
recht praktisches Nachschlagebuch und zum Gebrauch bei Revisionen sehr
empfehlenswerth. Dr. We iss -Bad Oeynhausen.
Tagesnachrichton.
Au dam Belohn tage. Bei der Etatsberathung sind im Reichstage
eine ganze Reihe sanitärer Fragen angeschnitten. So wurde z. B. in den
Sitzungen vom 16. und 17. Februar von konservativer Seite der allzu luxuriöse
Bau der von den Landesversichernngsanstalten gebauten Krankenanstalten,
insbesondere der Lungenheilstätte in Beelitz bemängelt, während von anderer
Seite dies als besonders anerkennenswerth bezeichnet und auch vom Staats¬
sekretär des Innern, Graf v. Posadowsky, hervorgehoben wurde, dass darin
keine Verschwendung, zu erblicken sei, wenn man die betreffenden Anstalten
Tagesnachrichten.
225
mit allen Errungenschaften der modernen Wissenschaft ansstatte. Der Sozial¬
demokrat Antriok brachte in der Sitzung yom 28. Februar bei Berathang des
Etats für das Gesundheitsamt wieder eine grosse Anzahl von Be¬
schwerden über mangelhaften Zustand der Krankenanstalten, schlechte
Bezahlung der Krankenpfleger u. s. w. vor; in der darauf folgenden Sitzung
am 24. Februar kam es zu einer grösseren Debatte über den Schatz der
Arbeiter in den. Gerbereien gegen Milzbrand und über die Bekämpfung der
Warmkrankheit nnter den westfälischen Bergwerksarbeitern, an der sich
am 25. Februar eine solche über das Borsäure verbot, über öffentliche
Vntersnchungsanstalten und einheitliche Kontrole des Verkehrs mit
Nahrangs- und Gennssmitteln, sowie über die Geheimmittelfrage an-
schloss. Wir behalten uns vor, anf einzelne dieser Fragen später noch näher
einzagehen. Inzwischen ist bei dem Reichstage die Novelle znm Krankenver¬
sicherungsgesetze (s. Nr. 8, S. 120), desgleichen eine 74 Seiten starke
Denkschrift über die Tuberkulose und deren Behandlung einge¬
gangen, welche die gegenwärtige Verbreitung dieser Krankheit, ihr Wesen,
ihre Uebertragung, Vorbeugung und Behandlung sowie die besonderen Mass¬
nahmen in Bezug auf ihre Bekämpfung eingehend erörtert und Mittheilungen
über die Ergebnisse der Behandlung der Tuberkulösen in den Lungenheil¬
stätten enthält.
Ana dem preussisohen Landtage. Bei Gelegenheit der Berathung
des Justizetats (em 12. u. 18. Februar) gelangte auch der Kurpfuscherpro¬
zess NardenkOtter zur Erörterung und wurde die Freilassung des Ange¬
klagten gegen eine so niedrig bemessene Kaution bemängelt. Desgleichen
wurde der Justizminister über seine Allgemeine Verfügung betreffs Zuziehung
der Kreisärzte als Sachverständige in Entmündigungssachen inter-
pellirt. Er erwiederte hierauf:
„Nachdem am 1. April 1901 das Gesetz über die Kreisärzte in Kraft
getreten war, wandte sich der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamten-
yereins mit einer Beschwerde an den Herrn Minister der Medizinalangelegen¬
heiten, in welcher er unter Berufung auf die Bestimmungen des Kreisarzt-
gesetzes den Anspruch erhob, dass nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung
auch in Entmündigungssachen an erster Stelle der Kreisarzt als Sachverständiger
zuzuziehen sei. . . . Der Herr Minister der Medizinalangelegenheiten theUte
mir diese Eingabe des Medizinalbeamtenvereins mit. Es haben darüber Ver¬
handlungen zwischen den beiderseitigen Ressorts stattgefunden, die zu dem
Ergebniss geführt haben, dass wir den Anspruch des Vereins als einen be¬
rechtigten anerkennen mussten. Denn in der That liegt die Sache so, dass
a ich dem Kreisarztgesetz der Gerichtsarzt in ärztlichen Angelegenheiten Sach¬
verständiger für seinen Bezirk ist, und dass deshalb der §. 404 der Zivilprozess¬
ordnung anf ihn Anwendung findet. Diese Ueberzeugung hat mich bestimmt,
im Einverständniss mit dem Herrn Kultusminister, die angefochtene Verfügung
zu erlernen, die irrthümlicher Weise als eine Weisung an die Richter ange¬
sehen ist, während sie nur eine Empfehlung darstellt. Ieh glaube, dass
man dies im Laufe der Zeit in ärztlichen Kreisen anerkannt hat. Wenigstens
ist in einer ordentlichen Generalversammlung des psychiatrischen Vereins der
Rheinprovinz, die am 15. November v. J. stattgefunden hat, nach einem mir
von dem Verein selbst zugesandten Protokoll von einem Arzte ausdrücklich
anerkannt worden: der Jnstizminister habe nicht anders handeln können. Ein
anderer Arzt hat gesagt: der Erlass sei aus dem Kreisarztgesetz und der
Zivilprozessordnung zu erklären. Ein dritter Arzt, der wahrscheinlich Medi¬
zinalbeamter war, bat erklärt: die frühere, von mir aufgehobene Verfügung
sei ein Misstrauensvotum gegen die Medizinalbeamten gewesen und sei von
diesen als ein solches sehr schwer empfunden. Dieser bat sich also vollständig
auf den Standpunkt der Justizverwaltung und der Medizinalverwaltung gestellt.
. . . Jedenfalls hat mir der Gedanke vollständig fern gelegen, die Einnahmen
der Medizinalbeamten auf diesem Wege irgendwie zu erhöhen; ich habe aber
dem Einsprüche gegen den Wortlaut der früheren Verfügung als einen nach
d em Gesetz berechtigten anerkennen müssen, und deshalb allein habe ich
mich für verpflichtet gehalten, die Verfügung so, wie sie lautet, an erlassen.*
In der Sitzung vom 19. Februar kam bei Gelegenheit der Berathnng
286
Tagesnachrichted.
des Etats des Ministeriums für Handel und Gewerbe die Wurmkrankheit in
dem westfälischen Bergwerksbezirk zur Erörterung; wir werden auf diese Ver¬
handlung unter gleichzeitiger Berücksichtigung derjenigen im Reichstage über
dieselbe Frage noch zurückkommen.
Das Kaiserliche Gesundheitsamt hat nach dem Muster des
Tuberkulose-Merkblattes ein Typhus- und Ruhr-Merkblatt bearbeiten und
im Verlage von Julias Springer in Berlin erscheinen lassen. An der Be¬
arbeitung haben sich Geh. MedL-Rath Prof. Dr. R. Koch, Geh. Ob.-Med.-Rath
Prof. Dr. Kirchner und Geh. Ober-Med.-Rath Dr. Krieger Strassbarg i./B.
betheilgt. In dem Merkblättern wird gemeinverständlich Wesen, Verlauf, Be¬
handlung, Uebertragung von Typhus und Ruhr, die Absonderung des Kranken,
Verhalten des Pflegepersonals, Beseitigung der Ausleerungen, Behandlung von
Wäsche, Kleidern, Gebrauchsgegenständen, Desinfektion, Verkehr mit Nahrungs¬
mitteln u. a. m. besprochen. Der Preis beträgt für 1 Exemplar: 5. Pfg., für
100 Exemplare: 8 M., für 1000 Exemplare: 25 M.
Zur Kurpfuscherfrage. In Anlass des kürzlieh in Berlin verhandelten
grossen Kurpfuscherprozesses gegen NardenkOtter scheint man an massgebender
Stelle eine schärfera Konrolle über das Treiben der Kurpfuscher sowie Mass¬
nahmen für notwendig zu erachten, die eine wirksamere Unterbindung dieses
Treibens bezwecken. Es handelt sich hierbei hauptsächlich um die Ausdehnung
des§. S&derReiohsgewerbeordnungauf Personen, welche ohne die ärzt¬
liche Approbation zu besitzen, gewerbsmässig die Ausübung der Heilkunde be¬
treiben. Nach dem genannten Paragraphen „ist die Ausübung bestimmter
Gewerbe (Ertheilung von Tanz-, Tarn- und Schwimmunterricht, Trödelbandel,
Winkeladvokaturen, Vermittlungsagenturen für Immobilienverträge, Darlehen
und Heirathen, Gesindevermiethungsbureaus u. A.) zu untersagen, wenn That-
sahen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit der Gewerbetreibenden in Bezug
auf den Gewerbebetrieb darthun“. Einer Anregung des preussischen Kultus¬
ministers zu Folge ist die Reichsregierung, bezw. das Reichsamt des Innern in
Erwägung darüber eingetreten, ob nicht die Schäden des Kurpfnscberwesens
dadurch beseitigt werden können, dass dieser §. 35 auf die Kurpfuscher aus¬
gedehnt wird; die Massregel würde eine repressive Wirkung ausüben, bei der
umsomehr auf Erfolg zu rechnen sein dürfte, als den zuständigen Behörden
die Untersagung nicht blos freigestellt, sondern zur Pflicht gemacht ist.
Die Herzoglich Braunschweigische Landesversammlung
hat in ihrer Sitzung vom 7. Februar d. J. den Entwurf des neuen Medi-
zinalgesetzes im Ganzen angenommen. Das Gesetz soll am 1. Juli d. J. in
Kraft treten.
Von Seiten der städtischen Behörden in München ist die Anstellung
eines städtischen Amtsarztes beschlossen.
Dem Landesausschuss von Elsass-Lothringen ist jetstein Gesetz¬
entwurf über die Errichtung und den Betrieb neuer Apotheken vorgelegt,
der auf dem Grundsatz der unveräusserlichen Personalkonzession beruht.
Am. 7. d. Mts. wird in Berlin ein ausserordentlicher Aerztetag
stattfinden, auf dem als einziger Gegenstand die Novelle zum Kranken-
versicherungsgesetz berathen werden soll. Das einleitende Referat ist
Hofrath Dr. May er-Fürth übertragen.
Den Landtagen der Thüringischen Staaten, mit Ausnahme von Sachsen-
Meiningen und Reuse ä. L. ist ein Gesetzentwurf, betreffs Errichtung einer
gemeinschaftlichen Thüringischen Aertzekammer und eines Thüringischen
ärztlichen Ehrengerichtshofes sowie die Grundzüge einer Organisation des
ärztlichen Standes zugegangen. Die Aerztekammer soll ihren Sitz im Jena
haben und vorläufig aus einem von der medizinischen Fakultät in Jena zu ent¬
sendenden und 10 von den Landesvereinen zu wählenden Mitgliedern bestehen.
Tagesnachrichten. 287
Auch der Ehrengerichtsbof soll seinen Sitz in Jene haben und aus fünf Kit*
gliedern ansammengeeetet sein. _
Im Gegensatz za dem Oberlandesgericht in Brannschweig (s. Beilage an
Nr. 14, 1902, S. 316) haben jetst die Oberlandesgerichte in Posen und Breslau
den Verlauf einer ärztlichen Praxis als nicht gegen die guten Sitten
▼erstossend erklärt, darüber, ob ein Rechtsgeschäft dem sittlichen Gefühl za
widerlaufe und ihm in Folge dessen der Rechtsschutz nicht gewährt werden
könne, sei lediglich die allgemeine Meinung maasgebend, aber nickt die Stande»*
ehre, denn diese untersage häufig etwas, was an sieh nichts amtOssiges und
nioht des Rsehtsohntzes unwürdiges enthalte.
In Anlass der allgemeinen Ansstellung für hygienische- MUchver -
sorgung ln Hamburg 1903 sind eine Anzahl Preise nicht nur Ton dem
Komitee, sondern auch von Vereinen, Privatpersonen u. s. w. ansgesetzt. Der
Deatsche Verein für Öffentliche Gesundheitspflege hat z. B. ein Preis von
000 Mark ausgesetBt für die betzte Lösung der Aufgabe: „Hervorragende
Leistung auf dem Gebiete der Kindermilch -Versorgnag für die ärmere Be¬
völkerung“. Im Ganzen stehen Geldpreise von über 15 000 M. für Preisauf-
gaben zur Verfügung; die Bedingungen für die Bewerbung sowie die einzelnen
Preisanfgaben werden auf Ersuchen von der Geschäftsstelle der Ausstellung
— Hamburg, Kampstraste 46 — kostenlos mitgetheilt.
Das Exekutivkomitee des XIV. internationalen medizinischen Kon¬
gresses zu Madrid (23. bis 30. April) fordert diejenigen Herren, welche sich
an dea wissenschaftlichen Arbeiten des Kongresses zu betheiligen wünschen,
auf, die Titel ihrer Mittheilungen nebBt einem Aaszag, wenn möglich in Form
voa Schlusssätzen and in französischer Sprache an das General-Sekretariat su
Madrid (Dr. A. Fernanden Caro, Madrid, Fakultä de M6decine) einzu-
senien. (Bis 20. März können sie auch an den Schriftführer des Deutschen
Reichskomitees, Prof. Dr. C. Posner in Berlin, S.W., AnhaltBtr. 7, eingesandt
werden, der auch alle übrigen Auskünfte ertheilt.) Die rechtzeitig eingelanfenen
Auszüge werden gedruckt and zar Erleichterung der Diskussion in den Sitzungen
den Mitgliedern der betreffenden Sektionen vor Eröffnung des Kongresses ein¬
gehändigt. — Fahrpreisermäs8igungen gewähren den Theilnehmern:
in Spaoien die spanischen Eisenbahnen 50 Proz., die Schiffartsgesellschaft „La
Transatlantica“ 33 Proz.; in Frankreich die sieben grossen Eisenbahngesell-
schäften 50 Proz., die Schiffahrtsgesellschaften „La Transatlantique“, „Com¬
pagnie Mixte“ and „Transports maritimes“ je 80 Proz.; in Italien die Eisen¬
bahngesellschaften (Mediterranen, Adriatica und Ferrovie Sicnle) je 50 Proz.,
die Schiffartsgesellschaften „Generale“, „Puglia“, „Napolitana“ und „Siciliana“
je 50 Pros, (ohne Verpflegung); ferner gewähren die norwegischen, rumä¬
nischen and serbischen Eisenbahnen, sowie die zwischen Konstantinopel und
Con8tanza verkehrenden Dampfer je 50 Proz. Die Darchfahrt durch Frankreich
und Spanien kann auf verschiedenen Routen erfolgen und zwar Iran—Madrid
oder Port Bon—Barcelona—Madrid oder umgekehrt. Während der Gültigkeits¬
dauer der Billets (3. April bis 24. Mai) werden in Madrid Spezialfahr¬
karten zum Besuche der sttdspanischen Städte, Sevilla, Granada etc. mit
50 proz. Ermässigung ansgegeben; wahrscheinlich wird die Rückreise ans
Spanien von da direkt über Valencia—Barcelona—Port Bon stattfinden können
(ohne Rückkehr nach Madrid). Diese Spezialfahrkarten werden erst bei Antritt
der Reise gegen Vorzeigung einer Legitimationskarte an den Schaltern ab¬
gegeben. Auskunft über alle einschlägigen Fragen ertheilt das Reisebureau
„Voyages Pratiques“, 9 Rue de Rome, Paris (Agentnr in Wien, Franz Josephs-
Quai, Direkt. Rassel), welches nach Programme über Rundreisen und Aus¬
flüge versendet. — Da der Andrang zu den bekanntesten Hotels (de la Paix,
Rome, Paris) schon jetzt sehr gross ist, hat sich das Wohnnngskomite,
einer ausreichenden Anzahl von Wohnungen in Hotels and bei deutschen
französischen etc. Familien versichert und wird in der Lage sein, Pension je
nach Ansprüchen von 13 bis 50 Peseten pro Tag zn besorgen. Die definitive
Vertheilnng der vorgemerkten Wohnungen findet erst im April statt. An¬
fragen sind von jetzt ab an Herrn Ulrich Frei, Chargö du Service des löge-
228
Tagesnachrichten.
menta da XIV. Congrös internat. de Mödecine, Madrid, aa richten. Für
Deutschland hat, wie achon früher mitgetheilt, Karl Stangen’s Beiseboreaa
Berlin W., Friedrichstr. 72, die Vermittlung von Wohnungen und Ertheilong
sonstiger geschiftlicher Auskünfte übernommen. Bei demselben kann auch die
Mitgliedschaft durch Einzahlung von M. 22,50 (Damenkarten 8 M.) erworben
werden.
Dass sich früher anch Kreisphysiker von hysterischen Frauenzimmern
haben dnpiren lassen und deren Angaben über angeblich ausgebrochen»
Steine und lebende Frösche als baare Mttnsen genommen haben, dafür bietet
der nachstehende Fall, der dem im Jahre 1883 von dem hiesigen Kreisphyrikus
erstatteten Medizinalbericht entnommen ist, ein treffendes Beispiel. 1 )
„Nachdem mir erz< wurde, dass die 18 jährige Tochter des */» Meile
entfernt wohnenden Eigentümers Lemcke, Namens Friedericke, einen Frosch
und einen Stein ausgebrochen haben sollte, begab ich mich an Ort und Stelle,
um mich von den näheren Umständen selbst zu unterrichten.
Nach einstimmiger Aussage der Eltern, des Bruders und des Mädchens
selbst, habe letztere seit Weihnachten v. J. an täglichen, heftigen Krankheits¬
beschwerden gelitten, welche darin bestanden: dass das kranke Mädchen zu
unbestimmten Stunden, eine grosse innerliche Angst und Unruhe bekommen
mit wahrnembarer starker Bewegung des Unterleibes; das Bewusstsein wäre
sehr vermindert gewesen und zuweilen sei eine Ohnmacht eingetreten; später
hätten sich dann Zackungen und selbst epileptische Krämpfe eingestellt; nach
deren Nachlass ein unruhiger Schlaf eingetreten wäre. Diese Zufälle hatten
sich nach und nach verstärkt, bis am 19. August a. c. 9 Uhr Morgens, unter
heftiger Angst ein Stein durch Erbrechen entleert worden, welcher auf der
einen Seite mit blutigem Schleim bedeckt war; und nachdem die Zufälle in
heftigerem Qrade fordgedauert, sei durch Erbrechen ein lebender, grüner
Frosch zum Vorschein gekommen, welchen die Mutter, seiner Grösse wegen,
förmlich aus dem Munde ziehen musste. Seit dieser Zeit wären nun alle
früheren Krankheitsfälle verschwunden, das Mädchen, das schon sehr von
Kräften gekommen und abgemagert gewesen, erhole sich ersichtlich und erfreue
sich gegenwärtig der besten Gesundheit.
Auf meine Frage, ob auch vielleicht hinsichtlich des Steins ein Irrthum
oder eine Täuschung vorgekommen wäre, versicherte die Mutter mit Bestimmt¬
heit : sie habe ganz deutlich den wirklich erfolgten Auswurf des Steins bemerkt.
Das Mädohen behauptet, nie aus einer Pfütze, oder stehendem Wasser,
getrunken zu haben, wohl aber habe sie öfter im vergangenen Sommer im
Freien geschlafen.
ich liess mir nun den vorgeblich ausgebrochenen Stein zeigen, derselbe
bat die Grösse und Gestalt einer flachen Kastanie, mitlerer Grösse, und ist
ein gewöhnlicher Kieselstein.
Der ausgebrochene Frosch war in ein Beutelchen genäht in den Schorn¬
stein gehängt; nachdem ich ihn aus denselben herausgenommen und ihn unter¬
sucht hatte, fand ich ein grosses Exemplar des grünen Wasserfroeches, welches
aber nun schon sehr zusammen geschrumpft war. Dr. P . . . .“
Sprechsaal.
Anfrage: Muss der Kreisarzt aus seinen Amtsunkostenentschädigungen
die Unkosten bezahlen, dieaus ihm aufgetragenen besonderen Untersuchungen,
erwachsen, wie z. B. die Formalinflüssigkeit, die nothwendig ist bei der Prüfung
eines Formalindesinfektionsapparates, oder die Kosten für Arbeit und Heizung
eines Dampfdesinfektionsapparates, oder die Kosten, dio dadurch entstehen,
dass bei Auswahl eines Begräbnissplatzes Probegraben angelegt werden.
Antwort: Nein. Diese Kosten entstehen für vorbereitende Ar¬
beiten u. s. w., um den zu untersuchenden Apparat, Platz u. s. w. in einen,
zur Prüfung und Begutachtung durch den Kreisarzt erforderlichen Zustand zu ver¬
setzen; sie sind deshalb von dem zu tragen, in dessen Interesse die Unter¬
suchung und Prüfung stattfindet.
_ *) Die Orthographie etc, ist genau nach dem Original! Dr. G. _
”-rantwortl. Redakteur: Dr. Bapmund, Beg.-u. Geh. Med.-Rath in Minden i. W.
J. 0. C. Brus, Henofl. n. P. 8ch.-L. Hoftmekdrnckerel ln Xindüi,
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* %/• *|i A J ** Iv'qiitiVA.O *u0'
mmmi
16. Jahre.
1903.
Zeitschrift
für
MEDIZIKALBEAMTE.
Zentralblatt für gerichtliche Medizin and Psychiatrie,
(Br intüche SaehTerstandigeathätigkeit in Unfall- und Invaliditatssaeken, sowie
fSr Hygiene, SffentL Sanitatswesen, Medizinal -Gesetzgebung nid Mecktsyrechnng
Herausgegeben
Ton
Dr. OTTO RAPMÜND,
Regtornngt- und Geh. Medlilnftlrath in Minden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., E Kornfeld,
HersogL Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer • Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inaemie nehmen die Terlayhandlang aowle alle Annoeenezpedltlonen dea In-
and AasUndee entgegen«
Nr. 6.
Brnkebt
1. and 15. Jedes Houts
15. März.
Praktische Anleitung zur gerichtärztlichen Blutunter¬
suchung vermittelst der biologischen Methode.
Von Stabsarzt Dr. Dhlenhnth und Prof. Dr. Beumer.
(Fortsetzung und Schloss.)
Wie soll nun das Antiserum beschaffen sein?
Es soll vor allen Dingen absolut klar sein. Dies wird erreicht,
indem man es durch sterile Berk efeld’sehe Filter filtrirt, welche
mit einer Saugevorrichtnng versehen an jeder Wasserleitung leicht
angebracht werden können. In die Sangeflasche hinein wird unter
die Kieselguhrkerze ein steriles Reagensglftschen hineingestellt,
in welches das Serum nach der Filtration hineintropft. Die Fil¬
tration dauert nur kurze Zeit, so dass 40 ccm Serum in ca. 10 bis
15 Minuten filtrirt sind. Wir halten diese Filtration, die ausser¬
ordentlich leicht aaszuführen ist, für absolut nothwendig; denn nur
selten gewinnt man durch blosses Absetzenlassen, ja selbst durch
Zentrifngiren ein so völlig klares Sernm, wie durch die Filtration
mit Hülfe der Berkefeld’schen Filter. Ausserdem bietet diese
Filtration eine Garantie für die Sterilität des Serums, wie sie für
die Reaktion verlangt werden mnss. Hat man mit allen Eantelen
sorgfältig filtrirt, so kann man das Sernm ohne weiteren konser-
virenden Zusatz in sterile Reagensröhrchen oder kleine Kapillar¬
röhrchen, die soviel Sernm fassen, wie zu einer Reaktion nöthig ist,
emschmelzen. Doch ist es sicherer und zweckmässiger einen
Zusatz von Chloroform oder 0,5 °/ 0 Karbolsäure nach der Fil¬
tration zu machen. Dnrch diesen Zusatz, besonders beim Durch-
schütteln mit Chloroform, bilden sich in vielen Serie Trübungen,
280
Dr. Uhlenhuth nnd Dr. Beniner.
die sich aber nach einiger Zeit unter völliger Klärung des Se¬
rums zu Boden setzen. £ine nennenswerthe Abschwächung in seiner
Wirksamkeit haben wir im Vergleich mit dem nicht mit konser-
virender Flüssigkeit versetzten Serum selbst bei 3- bis 4 monat¬
licher Beobachtung nicht gesehen. Die Konservirung mit Chloro¬
form (einige Tropfen in ein 20 ccm haltendes Serumröhrchen) oder
Karbolsäure kann daher angelegentlichst empfohlen werden. Es
verdient noch besonders erwähnt zu werden, dass das Serum
bei 8—10° C. konservirt werden muss; denn wir haben die Be¬
obachtung gemacht, dass völlig klare Sera, die während starker
Winterkälte in einem ungeheizten Baume standen, ganz trübe
wurden. Diese Trübungen verschwanden sofort beim leichten Er¬
wärmen über der Flamme, ein Beweis dafür, dass sie höchstwahr¬
scheinlich durch ausfallende Salze hervorgerufen worden sind.
Einer der störendsten Fehler, die ein Serum haben
kann, ist seine Opalescenz. Trotzdem sie, wie wir uns über¬
zeugt haben, leider sehr häufig zu finden ist, ist sie von anderer Seite
noch nicht gebührend berücksichtigt worden. Die Opalescenz kann
zu den aller verhängnissvollsten Irrthümern Veranlassung geben.
Es giebt Sera, die, wenn man sie gegen das Licht hält, stark
milchig opalesziren, trotzdem sie an sich völlig klar sind. Setzt
man derartige Sera zu einer Blutlösung, so tritt je nach dem
Grade der Opalescenz eine starke Trübung auf, die einer spezi¬
fischen Reaktion täuschend ähnlich sieht; dass sie aber nur durch
das Serum an sich bedingt ist, beweist die Thatsache, dass sie
bei Zusatz des Serums zu physiologischer Kochsalzlösung ganz
ebenso in die Erscheinung tritt. Es verdient hervorgehoben zu
werden, dass diese Trübungen ganz ähnlich wie echte spezifische
Trübungen sich nach einer gewissen Zeit am Boden der Reagens-
gläschen als leichte Präzipitate zu Boden senken, um dann beim
Schütteln des Gläschens sich als leichte wolkenartige Schleier zu
erheben. Worauf die Opalescenz beruht, ist noch nicht ganz klar.
Höchstwahrscheinlich hängt sie mit dem Verdauungsstadium zu¬
sammen, in dem sich die Thiere befinden, wie die Physiologen
annehmen. Aus diesem Grunde ist es zweckmässig, die Thiere
vor der Entblutung mehrere Stunden hungern zu lassen. Die
Opalescenz löst sich nicht in Alkalien.
Da die Opalescenz ein vorübergehender Zustand
ist, so befolgen wir den Grundsatz, Thiere, die bei der Probeent¬
nahme opalisirende Sera zeigen, nicht zu tödten, sondern wir
warten bis die Opalescenz verschwunden ist. Ausserhalb des
Thierkörpers ist es uns trotz umfangreicher Versuche nicht ge¬
lungen, die Opalescenz zu beseitigen. In der Praxis müssen
solche Sera, die hier besonders den Ungeübten sehr
leicht irreführen können, unbedingt verworfen werden.
Die dritte und wichtigste Forderung, die man
an ein praktisch zu verwendendes Antiserum stellen
muss, ist seine prompte Wirksamkeit. Es ist daher noth-
wendig, dass man die Werthigkeit durch den Titer des Serums genau
festlegt. Eine orientirende Vorprobe hat bereits vor der Entblutung
Praktische Anleitung zur gerichtsärztlichen Blntuntersacbnog n. i. w. 231
der Thiere in der oben angegebenen Weise stattgefnnden. Nun¬
mehr findet noch nach völliger Gebrauchsfertigkeit des Serums eine
nochmalige eingehende Titerbestimmung statt, die wir in folgender
Weise vorzunehmen pflegen: Wir stellen uns Verdünnungen mit 0,8 °/ 0
Na CI-Lösung von den betreffenden Blut- bezw. Serumsorten her,
zu deren Nachweis das Antiserum dienen soll und zwar: 1 : 1000,
1:10000 und 1 : 20000, nehmen von diesen 2 ccm und setzen,
ohne zu schütteln, dazu 0,1 ccm Antiserum, d. h. im Verhältniss
von 1 : 20. ln der Lösung 1 : 1000 muss momentan, spätestens
nach 1—2 Minuten deutliche Trübung auf treten, nach 3 resp. 5 Mi¬
nuten muss auch in den stärkeren Verdünnungen die beginnende
Reaktion deutlich erkennbar sein. So hochwerthig müssen prak¬
tisch brauchbare Sera sein. Es soll aber damit nicht gesagt
werden, dass geringwertigere Sera ganz zu verwerfen wären, je¬
doch sind wir der Ansicht, dass dieser Titer möglichst innegehalten
werden soll, zumal da wir, wie wir noch sehen werden, in der
Praxis mit sehr stark verdünnten Blutlösungen arbeiten und ver¬
langen, dass die Beaktion fast momentan eintritt. Wir verlangen
eine Hochwerthigkeit besonders deshalb, da, wie auch Ziemke
hervorhebt, schwach wirksame Sera in dünnen Blutlösungen bis¬
weilen überhaupt keine Beaktion auslösen, oder doch erst nach so
langer Zeit, dass durch anderweitige Trübungen Irrthümer nicht
auszuschliessen sind.
Wie soll die Beaktion angestellt werden?
In erster Linie muss es sich um die richtige Auswahl der
lösenden Flüssigkeit handeln. Nachdem Uhlenhnth in der
Veröffentlichung seiner forensischen Methode zum Nachweis der ver¬
schiedenen Blutarten als das beste Lösungsmittel die physiologische
Kochsalzlösung empfohlen hatte, sind dann weiterhin eine Beihe
anderer Lösungsmittel genannt worden, die denselben Zweck in
gleich guter oder in noch besserer Weise erfüllen sollten. Um
möglichste Klarheit in diese Frage zu bringen, haben wir fast
alle vorgeschlagenen Flüssigkeiten einer sorgfältigen Prüfung
unterzogen und umfangreiche Untersuchungen in dieser Bichtung
hin angestellt. Bei diesen Untersuchungen zeigte es sich, dass
beliebiges Blutserum zu Greifswalder Leitungswasser getropft,
sofort eine Trübung, bisweilen sogar einen Niederschlag in dem¬
selben hervorruft. Diese Trübung, die auf dem Ausfallen von
Globulinen zu beruhen scheint, ist bei den verschiedenen Serum¬
sorten verschieden stark. Ganz besonders eklatant war sie beim
Zusatz von Pferde-, Schaf- und Binderserum. Auch Kaninchen¬
serum erzeugt in Greifswalder Leitungswasser eine wenn auch
schwächere, aber doch deutliche Trübung. Ganz ähnlich wie
Leitungswasser verhielt sich das deatillirte Wasser und Vio physio¬
logische Kochsalzlösung (Strube), wenn auch in geringerem
Masse, wenigstens bei Zusatz von normalem Kaninchensei um.
Auch 0,1 °/ 0 Natr. bicarbon.-Lösungen (Kratter) geben mit Serum
vom Pferd und Bind versetzt leichte Trübungen; bei Kaninchen¬
serum haben wir diese nicht beobachtet. 1- und 2proz. Natr.
bicarbon. - Lösungen, 2proz. Borax-Lösungen, sowie 0,lproz. Soda-
382 Dr. UUe&hath und Dr. Beniner. *'>
lösung (Ziemke), konzentrirte Cyankalilösungen blieben ebenso
wie die physiologische (0,8°/<>) und doppelt physiologische (1,6 °/ 0 )
Kochsalzlösung klar. Es zeigte sich ferner, dass in den Borax-
Natr. bicarb.- und Sodalösungen, sowie in den Cyankalilösungen
beim Kochen eine Ausfällung der Eiweisskörper des zugesetzten
Serums nicht stattfand; etwas vermindert war dieselbe auch in
Aqua destillata. Diese Verhältnisse entsprechen völlig dem che¬
mischen Gesetz, dass die Ausfällung der Eiweisskörper an einen
bestimmten Salzgehalt und bestimmte Reaktion gebunden ist.
Aehnliche Verhältnisse bestehen auch, wenn angetrocknetes Blut
in solcher Flüssigkeit aufgelöst wird. Eine Lösung von Blut in
0,lproz. Soda- sowie in Boraxlösnng gerinnt beim Kochen nicht.
Was nun aber von geradezu ausschlaggebender Be¬
deutung ist, das ist die Beobachtung, dass auch in
Soda- und Boraxlösung die biologische Reaktion bei
Zusatz des Antiserums zwar eintritt, dass sie aber
ganz wesentlich bezüglich der Intensität und Schnel¬
ligkeit deB Auftretens beeinträchtigt wird, eine That-
Sache, die vollkommen mit der Beobachtung übereinstimmt, dass
die Präzipitine sich in Alkalien auflösen (Tsislovitsch).
Aus allen diesen Erfahrungen geht hervor, dass diese Flüssig¬
keiten bei Ausführung der Reaktion unter allen Umständen ver¬
worfen werden müssen. Wir bedienen uns daher ausschliesslich
der physiologischen Kochsalzlösung.
Wir wählen als Verdünnungsgrad unserer Blutlösungen
bei allen Untersuchungen ein annäherndes Verhältnis von 1 Theil
Blut zu 1000 Theilen 0,8proz. Kochsalzlösung. So leicht es ist,
dieses Verhältniss zu bestimmen bei flüssigem Blut oder Serum,
so schwierig ist es bei gerichtsärztlichen Untersuchungen von
Blutflecken. Als Orient»ungspunkte für die Verdünnung von
1 : 1000 gilt uns:
1. die fast völlige Farblosigkeit der Lösung bei durch¬
fallendem Licht;
2. die ganz leichte Trübung bei Anwendung der Kochprobe
unter Zusatz von einigen Tropfen Salpetersäure;
8. die trotz der erheblichen Verdünnung noch vorhandene
starke Schaumbildung beim Schütteln.
Diese Eigenschaften, welche uns zeigen, dass die Verdünnung
von annähernd 1 : 1000 vorhanden, sind beobachtet und festgestellt
an titrirten Lösungen, die wir aus frischem Blut und Serum her¬
gestellt hatten. Die Menge des zuzusetzenden Antiserums be¬
trägt bei der genannten Verdünnung 0,1 auf 2,0 ccm der zu
untersuchenden Flüssigkeit; das ist ein Verhältniss von 1 : 20.
Ueber den Titer des Antiserums haben wir uns bereits aus¬
gesprochen, es soll derselbe 1 : 20000 betragen.
Die von uns verwendeten Röhren sind 9,0 cm lang und
haben einen Durchmesser von 0,9 cm.
Der Zusatz des Antiserums erfolgt aus graduirten Pipetten
(1 ccm mit 100 Theilstrichen).
Praktische Anleitung snr gerichtskrstlichen Blntontersnehnng n. e. w. 338
Der wichtigste Abschnitt der Untersuchung bildet die Frage:
Wann ist die Reaktion als eine sicher positive, über jeden Zweifel
erhabene zu betrachten. Nach dieser Richtung hin müssen wir
Folgendes verlangen:
1. Sofort nach Zusatz des Antiserums oder
spätestens innerhalb 1—2 Minuten muss die Reaktion
als hauchartige Trübung am Boden des Röhrchens
sichtbar sein. Am besten nimmt man diese beginnende
Trübung wahr bei durchfallendem Tages-oder künst¬
lichem Licht, indem zwischen Lichtquelle und Rea¬
gensglas eine schwarze Fläche (schwarzes Heft) ge¬
halten wird.
2. Innerhalb der ersten 5 Minuten muss die hauch¬
artige Trübung sich verwandelt haben in eine dicke
wolkige, von jedem auch nicht Fachkundigen sofort
erkennbare, so dass über die erfolgte Reaktion ein
Zweifel gar nicht aufkommen kann.
8. Innerhalb der nächsten 10 Minuten bildet diese
Trübung bereits einen deutlichen Bodensatz.
4. Später entstehende Trübungen, die nach V>
Stunde, ja sogar nach 1—24 Stunden auftreten, dürfen
als eine erfolgreiche Reaktion in der Praxis nicht
verwerthet werden. Die Reaktion muss bereits nach
spätestens 20 Minuten als völlig abgeschlossen ange¬
sehen werden.
5. Die Reaktion muss in der angegebenen Weise
und Zeit bei Zimmertemperatur erfolgen.
6. Die stets anzulegenden Kontrolen, 8 ) die aus
angetrocknetem Blut verschiedener Art anzufer¬
tigen sind, müssen, abgesehen von den homologen
Blutlösungen, beim Vergleich mit der zu unter¬
suchenden Blutart sowohl bei Tageslicht, als auch
bei künstlicher Beleuchtung absolut klar bleiben.
7. Es muss stets eine Kontrole mit Kaninchen¬
blutlösung, sowie auch physiologischer Kochsalz¬
lösung angesetzt werden.
Es sei noch ganz besonders hervorgehoben, dass die Röhrchen
bei Zusatz des Antiserums nicht, wie es von anderer Seite ge¬
schehen ist, geschüttelt werden; denn sonst sieht man den Beginn
und den Verlauf der Reaktion nicht in der von uns geforderten
deutlichen Weise.
Von einigen Autoren ist nun in dem verflossenen Jahre her-
') Um Kontrolblutproben jeder Zeit nur Verfügung iu heben, wird Blut
jeden Altera angetrooknet, in Reagensglüsern aufgehoben. Aus diesen Blut¬
proben werden in gleicher Weise, in gleicher Menge und gleicher Verdünnung
die kontrolirenden Löningen hergestellt. Simmtliche Beagensgllser sowohl der
na untersuchenden Blutlösung, als auch der Kontrolblutlösungen werden in eine
elnsige Reihe eines Reagensglasgestells eingefügt, so dass sie slmmtlioh über¬
sichtlich vor dem SachTersttndigen stehen.
234
Dr- ühlenhuth und Dr. Beniner,
vorgehoben worden, dass auch in „heterologen“ Blutlösungen Trü¬
bungen durch Zusatz des Antiserums entstehen könnten, die immer¬
hin wenigstens dem Unerfahrenen zu irrthümlichen Deutungen Ver¬
anlassung geben könnten (Kister und Wolff, Strube, Kratter).
‘ Wir haben bei den äusserst zahlreichen Untersuchungen, die
sowohl Ühlenhuth allein, als auch wir beide in Gemeinschaft
seit der Veröffentlichung des Ühlenhuth’sehen Verfahrens in
der genannten Weise angestellt haben, von diesen heterologen
Trübungen nie etwas gesehen und wir haben daher uns in den
letzten Monaten ganz besonders bemüht, diese heterologen
Trübungen aufzufinden. Diese Untersuchungen sind mit sehr hoch-
werthigen Mensch-, Schwein-, Pferd-, Rind- und Schafantiseris
an den verschiedensten Blutlösungen in allen Verdünnungen an¬
gestellt. 9 )
Unser Urtheil bezüglich dieser heterologen Trübungen
ist Folgendes:
1. Wird die Untersuchung in der genau von uns
angegebenen Weise angestellt, so entstehen keine
heterologen Trübungen.
2. Heterologe Trübungen sind hervorzurufen,
wenn konzentrirte Blutlösungen bei erheblichem Zu¬
satz hochwerthigen Antiserums verwendet werden.
3. Aber selbst diese von uns gesuchten, in starkeu
Blutlösungen nach längerer Zeit des Stehens selten
auftretenden Trübungen können einen Zweifel be¬
züglich der Sicherheit der Untersuchungsmethode
nicht aufkommen lassen, da sie bezüglich der In¬
tensität und Schnelligkeit des Auftretens mit den
spezifischen Trübungen nicht im Entferntesten zu
verwechseln sind.
Im Uebrigen sind sie auch nach Ansicht dieser Autoren
leicht zu vermeiden, indem man entweder eine konzentrirtere
Blutlösung und einen schwachen Antiserumzusatz 1 : 100 wählt,
wie das von Kister und Wolff und Strube bereits festgelegt
ist, oder aber, was rationeller ist, man eine schwache Blutlösung
nimmt und einen stärkeren Antiserumzusatz. Die letzte Methode
ist entschieden der ersten vorzuziehen und zwar deshalb, weil
sie den praktischen Verhältnissen vielmehr entspricht, da es
sich hier erfahrungsgemäss sehr häufig nur um winzige Blut¬
spuren handelt, aus der nur eine schwache Lösung zu gewinnen
ist, und weil bei schwachen Blutlösungen die Reaktion viel
schöner in die Erscheinung tritt, wie bei starken Lösungen.
Die Voraussetzung ist aber bei der letzteren Methode ein
hoch wer thiges Serum. Es muss bemerkt werden, dass wir
diese heterologen Trübungen in den zur Kontrole stets her¬
anzuziehenden Kaninchenblutlösungen ebenfalls beobachtet haben.
•) Die sehr sahireichen Protokolle unserer Versuche, die wir hier wegen
Raummangels nicht wiedergeben können, werden an anderer Stelle veröffent¬
licht werden.
Praktische Anleitung sur geriohtsKrstliohen Blutuntereuohung n. b. w. 235
Nattall, der zweifellos bezüglich der heterologen Trübungen die
grösste Erfahrung hat, theilte uns kürzlich mit, dass er mit 30
verschiedenen Antiseris an 800 verschiedenen Bluteorten im Ganzen
16000 biologische Beaktionen angestellt hat und zu dem Resultat
gekommen ist, dass die heterologen Trübungen zu Ver¬
wechselungen keinen Anlass geben können. Mit seiner
gütigen Erlaubniss theilen wir aus seiner demnächst erschei¬
nenden Arbeit nachstehende Uebersicht seiner Versuche mit, aus
denen hervorgeht, wie unendlich zahlreich und umfassend dieselben
sind und welcher Werth darnach dem Urtheil dieses Forschers
beizum essen ist.
Antiseram for
No.
of tests therewith
Antiseram for
No. of teste therewith
Man . . .
815
Ox . . .
... 790
Chimp&nsee .
47
Sheep . .
... 701
Onr&ng . .
81
Hone . .
... 790
Cereopithecus
733
Donkey . .
... 94
Hedgehog
383
Zebra . .
... 94
Cat... .
. 785
Whale . .
... 94
Hyaena . .
. 378
Wallaby .
... 691
Dog . . .
777
Powl . .
... 792
Seal . . .
368
Ostrich . .
... 649
Pi« ...
818
Powl-egg .
... 789
Llama. . .
363
Emu-egg .
... 630
Uerican Deer
749
Turtle . .
... 666
Rein deer . .
69
Alligator .
... 468
Hog Deer
699
Pro« . . .
... 561
Antelope . .
686
7751
Lobster . .
7751
8349
... 460
8849
Total No. of teste 16000
Wenn nach diesen Ergebnissen unserer Arbeiten
sowie auch der von Nuttall, Kister undWolff, Schulz
und Strube die biologische Methode durch heterologe
Trübungen an Werth nichts verloren hat, so erfährt
sie aber eine gewisse Einschränkung durch die Ver¬
wandtschafts - Reaktion.
Wir würden es nicht wagen, in Kriminalfällen mit Sicher¬
heit eine Unterscheidung zu treffen zwischen Pferde- und Esel¬
blut. desgleichen zwischen Schaf- und Ziegenblut. Eine Wahr¬
scheinlichkeitsdiagnose ist auch hier beim Vergleich dieser ver¬
wandten Blutsorten möglich, insbesondere wenn die von uns
vorgeschlagene Methode in allen Einzelheiten, namentlich bezüg¬
lich der starken Blutverdünnungen befolgt wird, da in den
stark verdünnten Blutlösungen der Unterschied auch bezüglich
der Verwandtschafte-Reaktion noch sichtbar ist. Die entferntere
Verwandtschaft zwischen Rind und Schaf lässt sich bei Verwendung
der biologischen Methode in der von uns betonten starkenVer-
dünnung deutlich nachweisen, so dass eine Differentialdiagnose
zwischen Rind- und Schatblut sehr wohl möglich ist.
Nach diesen Darlegungen glauben wir die wichtigsten Einwände
der Okamoto-Kratter’schen Arbeit 10 ) bereite beseitigt, ins-
10 ) Untersuchungen Uber den forensisch - praktischen Werth der sernm-
386
Dr. Uhlenhuth and Dr. Beniner.
besondere auch den Wunsch dieser beiden Autoren nach einer genauen
Art and Weise, wie die Reaktion auszuführen ist, befriedigt zu haben.
Keineswegs wollen wir — and damit stimmen wir mit
Kratter überein — die Behauptung aufstellen, dass jeder alte
Blutfleck lösbares Eiweiss in sich enthalten müsse; es ist
daher ganz naturgemäss, dass in solchen alten Blutflecken eine
Reaktion nicht mehr möglich ist. Wenn der Blutfleck durch
komplette Fftnlniss seine Eiweisskörper verändert hat, oder etwa
durch starke Erhitzung auf 150° C., so ist es an sich ja klar —
wie das schon mehrfach nachgewiesen ist —, dass das biologische
Verfahren hier seine Grenze findet. Anders aber stellen wir uns
za der Okamoto-Kratter’sehen Behauptung, dass Menschen-
antiserum mitunter nicht nur in Lösungen von Menschen-, sondern
anderen Thierblutarten und zwar sogar in Vu der von Okamoto -
Kratter untersuchten Thierblutarten Niederschläge erzeugt, die
zu Verwechselungen bezüglich der Herkunft der Blutart führen
könnten. Hier handelt es sich um Fehlerquellen, die
sich, wie oben gezeigt, vermeiden lassen durch genaue
Befolgung der von uns angegebenen Methode. Wir sind
auch ferner mit Kratter vollkommen einverstanden, dass die
biologische Methode in genau vorgeschriebener Art und Weise
befolgt wird; dann werden Fehler und Täuschungen vermieden,
wie sie z. B. durch Verwendung mangelhaft präparirter Antisera,
in denen nach 24 Stunden flockige Niederschläge sich absetzen,
oder wie sie durch andere Lösungsmittel, wie die physiologische
Kochsalzlösung oder durch 24 ständiges Verweilen der Lösungen
im Brutschrank ganz naturgemäss entstehen müssen. Es ist ja
ohne Weiteres klar, dass das erste Erforderniss
bei Ausführung dieser Untersuchungsmethode eine
sichere bakteriologische Schulung ist.
Wie soll in der gerichtsärztlichen Praxis die
Untersuchung auf Blut ausgeführt werden?
Es könnte bei oberflächlicher Betrachtung fast scheinen, als
ob durch diese biologische Methode alle bisherigen Blutunter¬
suchungsmethoden überflüssig würden. Das ist aber keineswegs
der Fall. Im Interesse einer exakten forensischen Blutunter¬
suchung muss man verlangen, dass man auf sie nicht verzichtet.
Die erste Frage, die der gerichtsärztliche Sachverständige
bei der Blutuntersuchung zu beantworten hat, ist stets: „Handelt
es sich überhaupt um Blut?" Im bejahenden Falle ist die
zweite Frage zu beantworten: „Stammt das Blut vom
Menschen oder Thier und von welchem Thier?"
Es ist bereits früher von Uhlenhuth gezeigt worden,
dass die biologische Methode zum Nachweis von Blut im All¬
gemeinen für menschliches Eiweiss spezifisch ist. Schon
aus dieser Thatsache ergiebt sich die nothwendige Konsequenz,
diagnostischen Methode rar Unterscheidung von Menschen- and Thierblat. Von
Dr. tned. Yraamatra Okamoto ans Tokio. Vierteljahrssohriftfttr gerichtliche
Medisin; XXIV. Bd., 2. H. n. Arch. f. Kriminalanthropologie n. Kriminalistik;
ßd. X, 1902.
Praktische Anleitung nur geriohtsärztliohen Blatnntersnohnng q. b. w. 237
dass das Blut als solches zunächst erkannt werden muss. Wenn
auch in gerichtsärztlichen Untersuchungen nach der Vor¬
geschichte und dem Aussehen vielfach darüber kein Zweifel be¬
steht, so ist doch der einzige richtige Weg, dies mit positiver
Sicherheit zu beweisen, durch die Anwendung der verschiedenen
bisher sicher gestellten chemischen, spektralanalytischen und
mikroskopischen Untersuchungsmethoden. Wir erinnern nur an
die van Deen’sche Ozonprobe, die Darstellung der Teich¬
mann’scheu Krystalle, die spektralanalytische Untersuchung auf
Hämoglobin, Hämatin und H&matoporphyrin.
Leider sind die Fälle in der gerichtsärztlichen Praxis nicht
selten, in denen wegen Winzigkeit der Spuren die Ausführung
aller unserer bisherigen chemisch-mikroskopischen Methoden un¬
möglich ist, trotzdem nach der ganzen Sachlage, sowie nach dem
Aussehen der Flecke es sich nur um Blutflecke handeln kann.
Der für solche Zwecke empfohlene Apparat — das Mikrospektroskop
— hat dem einen von uns (Beumer) in diesen Fällen nie irgend
einen Vortheil gewährt. Gerade bei der Winzigkeit der Spuren
tritt die biologische Methode mit ihren grossen Vorzügen, der
Sicherheit des Nachweises in völlig farblosen Lösungen, in denen
vermittelst der gebräuchlichen chemischen Eiweissproben nicht
die geringsten Spuren von Eiweiss mehr nachweisbar sind, be¬
sonders in ihr Recht. Wenn auch hier betont werden muss, dass
in diesen Fällen nur der Nachweis von menschlichem Eiweiss
geliefert ist, so wäre es bei dem Aussehen der Spuren, sowie den
event. von dem Gericht bekannt gegebenen Vorgängen zu skru¬
pulös gehandelt, wenn diese Flecke nun nicht als Blutflecke mit
der grössten Wahrscheinlichkeit bezeichnet würden.
Ist in der oben genannten Weise das Vorhandensein von
Blut sicher erwiesen, so geht man zu der biologischen Methode
über. In jedem Falle dürfte es sich dann empfehlen, zunächst
festzustellen, ob das Blut vom Menschen herstammt. Bei nega¬
tivem Ausfall der Reaktion wird man sich dann der Beantwortung
der weiteren vom Richter gestellten Fragen zuwenden. Behufs
Ausführung der biologischen Methode wird das zu untersuchende
blutverdächtige Material in physiologischer Kochsalzlösung bezüg¬
lich seiner Eiweissstoffe zu lösen gesucht. Ist das verdächtige
Material in die Unterlage eingesogen, wie in Kleidungsstücke,
Leine wand etc., so wird der Fleck herausgeschnitten, mit der
Scheere möglichst fein zerkleinert, mit Nadeln zerzupft und in einer
kleinen Porzellanschale dann möglichst mit geringer Menge phy¬
siologischer Kochsalzlösung übergossen; nachdem, während einige
Stunden eine Auslaugung stattgefunden hat, wird die ausgelaugte
Flüssigkeit filtrirt. Die Filtration erfolgt zunächst mit Papierti¬
tern und wenn erfolglos durch Berkefeld’sche Filter, oder bei
sehr geringen Mengen durch Silber Schmidt’sehe Mikrofilter.
Falls die verdächtigen Flecke sich auf einer harten Unter¬
lage, Messer, Beil, Gewehrlauf, Holz, Stein u. s. w. befinden, so
werden dieselben abgeschabt und in Reagensgläsern mit physio¬
logischer Kochsalzlösung wie vorhin angegeben behandelt.
238
Dr^ Ublenhuth und Dr. Beniner.
Mau kann dann beim Schütteln der Lösungen an dem einige
Minuten auf diesen stehen bleibenden Schaum alsbald erkennen,
ob Eiweissstoffe in Lösung übergegangen sind. Tritt nach
einigen Stunden oder Tagen überhaupt keine Schaum¬
bildung ein, so ist die weitere Ausführung der
Methode wahrscheinlich aussichtslos.
Ergiebt die genügende Schaumbildung die Lösung der Ei¬
weissstoffe, so handelt es sich um die Darstellung der früher ge¬
nannten Verdünnung von etwa 1 : 1000, die an der Farblosigkeit
der Lösung, sowie der ganz leichten Trübung beim Kochen und
Zusatz von Salpetersäure zu erkennen ist. Geht weniger von dem
verdächtigen Material in Lösung wie der Verdünnung von 1 : 1000
entspricht, so ist trotzdem die Reaktion nicht von vornherein aus¬
sichtslos, denn wir sehen ja, dass 0,1 ccm unseres hochwerthigen
Antiserums selbst noch in Verdünnungen von 1: 20000 nach fünf
Minuten eine deutliche Reaktion auslöste. Von dieser Verdünnung
werden nun 2 ccm in eines der früher genannten kleinen Reagens¬
gläser gegeben und in gleicher Weise neben dieses Gläser mit
gleicher Menge und gleich titrirten Kontrollösungen gestellt. Die
Kontrollösungen werden hergestellt aus Partikeln von getrock¬
netem Menschen-, Rinder-, Schaf-, Schweine-, Pferde-, Kaninchen¬
blut, n ) so wie endlich der physiologischen Kochsalzlösung selbst.
Nun erfolgt der Zusatz des titrirten Antiserums in 0,1 ccm
Menge.
Ein sicheres Urtheil, ein positiver Entscheid kann — bei
der Untersuchung auf Menschenblut — nur dann angenommen
werden, wenn in der Lösung der verdächtigen Blutspur, sowie
des Menschenbluts in annähernd gleicher Weise die Reaktion der¬
art prompt erfolgt, wie wir das früher bestimmt haben. Die
übrigen Kontrolröhren bleiben selbstredend klar. Tritt die Re¬
aktion nicht ein, so handelt es sich nicht um Menschenblut.
Es wird sich nun auf Verlangen der die Untersuchung
leitenden Behörde darum handeln die weitere Herkunft des Blutes
zu bestimmen. Hierzu hat sich nach unseren Erfahrungen als sehr
zweckmässig herausgestellt, nunmehr ein Schaf- oder Ziegen - Anti¬
serum in Anwendung zu ziehen. Aus dem völlig negativen Aus¬
fall der Reaktion wird dann geschlossen werden können, dass es
sich nicht um Schaf-, Ziegen- oder Rinderblut handeln kann.
Fällt die Reaktion positiv aus, so ist die Difterentialdiagnose
zwischen Schaf-, Ziegen- und Rinderblut zu stellen; die erstere
Entscheidung, ob Schaf- oder Ziegenblut, hat ihre grossen Schwie¬
rigkeiten und ist durch die biologische Methode nicht sicher zu
erbringen wegen der sehr nahen zoologischen Verwandtschaft von
Schaf und Ziege, während die zweite Entscheidung, ob Schaf-
bezw. Ziegen- oder Rinderblut vorliegt, nach Verwendung von
Rinderantiserum an der Hand von Kontrolproben mit grösster
Wahrscheinlichkeit zu lösen ist. Aehnliche Verhältnisse wie bei
") Wir lassen etwa alle 6 Wochen Kontrollblnt in Petri’sehen Schalen
antrocknen, and heben dieses in Reagensgllsern auf, so dass stets verschieden
altes Blot vorr&thig ist.
Praktische Anleitung nur geriohtsäratlichen Blatnntennchnng o. s. w. 239
Schaf und Ziege liegen bei den anderen, nahe verwandten Thieren
vor, wie Pferd und Esel, Hund und Fuchs, auch bei den ver¬
wandten Vogelarten, wie z. B. Gans und Ente sind diese Ver¬
hältnisse sehr wohl zu berücksichtigen.
Handelt es sich um flüssiges faules Blut, so hängt der Aus¬
fall der Reaktion ab von dem Grade der Fäulniss; selbstver¬
ständlich kann in völlig ausgefaultem Blut, in dem die Eiweiss¬
stoffe eine völlige Umwandlung erfahren haben, die Reaktion keinen
positiven Entscheid geben. Wann dieser Zustand eingetreten, ist
nicht ohne Weiteres zu sagen, da selbst bei stinkenden Blutproben,
welche 2 Jahr im Reagensglas der Fäulniss überlassen waren,
in den meisten Fällen der Nachweis noch möglich war (siehe die
nachstehende Tabelle).
C 1
1
Bezeichnung.
Öuajak-
probe
0.
Hämo¬
globin
Hämo-
chro*
mögen
1 A .2
ifj?
i 9 ^
|w 8.
1 ®
i • öS
-g S*
*25 O * |
iss* 1
t gbd,
Biologische
Reaktion.
1
Binderblnt,
I
1
i
r i
|
1.
tauig, braun, faul.
+
+
+
—
stark -f-
Frühjahr 1901.
'J
Deagl. Februar 1901.
—
—
. -
—
■ —
Deagl. 17. IV. 1901.
+
1
+
+'
—
—
4.
Deagl. 9. I. 1901.
+ :
1
|
+
+1
—
+
Menschenblut,
flüssig, braun, faul,
+
+
+ ■
—
+
stinkend.
1
<i.
Deagl. 23. I. 1901.
+ '
—
- -
+
7
Deegl. 20. III. 1901
( Anatomie).
1
+ :
4-
i
+
—
+
H.
Deagl. 16. IV. 1901
(röthlich gefärbt).
+!
+
+
+
+
«».
Menstrualurin,
14. IV. 1901.
i
1
—
—
—
+
10.
Menachenbiut,
i
+
+
sohwach
2. II. 1901.
+
1J.
Deagl. 12. V. 1901.
H-
+ :
+
—
+
12.
Deagl. 4. IV. 1901.
+
i
+
13.
Hammelblut,
i
faul, braun, 26. 11. 1901.
1
'i
;
I
Aus dieser Tabelle soll hervorgeheu, in welcher Weise die
Untersuchung des faulen Blutes von uns vorgenommen ist, sodann
beweist sie, dass selbst bei diesem alten faulen Blut die biologi¬
sche Methode noch Aufschluss geben kann, sie beweist ferner,
dass selbst beim Versagen aller übrigen Untersuchungsmethoden
auf biologischem Wege unter Umständen noch die Herkunft der
Eiweissstoffe erbracht werden kann, cf. Nr. 9, Menstrualurin.
Anderseits zeigt die Tabelle, dass die biologische Methode ver¬
sagen kann bei starker andauernder Fäulniss, bei welcher die
anderen Methoden noch den Nachweis des Blutes liefern
konnten.
Es ist von anderer Seite hervorgehoben, zuerst von Ferrai,
der ausgedehnte Untersuchungen, über die Einwirkung hoher
240
Dr. Uhlenhatb and Dr. Beutner.
Hitzegrade mit angetrocknetem Blut angestellt hat, dass Tempe¬
raturen
von 180° nach einer Stunde,
„ „ 140° „ 20 Minuten,
» * 150° „ 10
d t ) 160° , 5-10 „
die reaktionsfähigen Substanzen im Blut zerstören; diese Unter¬
suchungen sind vielfach nachgeprüft und bestätigt worden, so von
Nutall, Modi ca, Biondi u. a.
Auch wir können diese Angaben bestätigen. Unsere Unter¬
suchungen sind ausgeführt mit Blutflecken, die wir auf Leinewand
hatten antrocknen lassen und dann im Trockenschrank verschiedene
Zeit verschieden hohen Temperaturen aussetzten. Es ergaben
diese Nachprüfungen ein gleiches Resultat, wie es die Arbeiten
Ferrai’s u. d. a. bereits festgelegt.
Was den Einfluss des Alters auf den Ausfall der biologi¬
schen Reaktion betrifft, so lassen sich wohl bestimmte Angaben
nicht machen; die ältesten Blutflecken die bis jetzt untersucht
sind, waren 20—25 Jahre alt (Ziemke, Biondi); diese waren
ihrer Herkunft nach mit Sicherheit zu erkennen. Es ist auch
erklärlich, dass Eiweissstoffe in trockenem Zustande sich auf viele
Jahre 12 ) unverändert erhalten können, da sie der Einwirkung der
Fäulniss entzogen sind. Aus dieser Thatsache ergiebt sich, dass
es zweckmässig erscheint, wenn Blut an einem Thatorte in
flüssigem Zustande sich gefunden hat, dasselbe in eine Unterlage,
wie z. B. Fliesspapier, einsaugen und in diesem Zustande eintrocknen
zu lassen, um es auf diese Weise vor Fäulniss zu schützen.
Bei gleichzeitigem Vorhandensein mehrerer Blut¬
arten ist selbstredend die Anwendung der verschiedenen Anti¬
sera nothwendig; die Diagnose ist bei Gegenwart auch mehrerer
Blutarten möglich, und zwar kann aus der Mischung mehrerer
Blutarten jede einzelne für sich in dieser Mischung erkannt werden.
— So wenig Bedeutung wir nach unseren Erfahrungen den hete-
rologen Trübungen, wie wir dieses ja früher schon angeführt haben,
beilegen können, so ist anderseits wohl eine Schwierigkeitmöglich
durch Eiweissstoffe vom Menschen oder Thier, die von gewissen
Sekreten herrühren.
Wir haben schon vorhin angeführt, dass die biologische
Methode nur den Nachweis der spezifischen Eiweissstoffe erbringt.
So ist zuerst von Uhlenhuth, dann von Biondi, Struwe und
nenerdings auch von Schütze darauf hingewiesen, dass das
Menschen-Antiserum auch in menschlichem Sperma, wenn anch
eine schwächere Reaktion wie im Blut, so doch eine deutliche
Trübung hervorruft. Ebenso fällt die Reaktion in eitrigem Sputum
positiv aus (Uhlenhuth). Wir haben in verschiedenen auf Lein¬
wand angetrockneten Auswürfen von Influenza-Kranken und Pneu-
monikern eine deutliche Reaktion erzielt, desgleichen in eitrigem
u ) Die Untersuchung von GewetastOskeben einer Mumie mit Hfilte der
bioiogiieheo Methode gab ein negatives Besaitet
Praktische Anleitung sur gerichtsärstlichen Blntnnterinrbnug u. r. w. 241
Urin nnd Sekreten, die von eitrigen Blasenkatarrhen herrührten,
desgleichen in angetrockneten Trippersekreten. Mertens hat die
Reaktion auch in ei weisshaltigem Urin erhalten, ebenso ist es be¬
kannt, dass sie in Hydrozelen- und Ascitesflüssigkeit positiv aus¬
fällt. In normalem Urin, Schweiss, sowie Thrftnenflüssigkeit haben
wir eine positive Reaktion nicht beobachtet.
Diese Thatsachen sind in der forensischen Praxis wohl zu
beachten, zumal dann, wenn es nicht gelingt auf chemischem
Wege den Nachweis von Blut zu erbringen. Man wird in
solchen Fällen nur aussagen können, dass es sich um mensch¬
liches Eiweiss handelt, event. wird man bei spermaverdftch-
tigen Flecken durch Anwendung der mikroskopischen Unter¬
suchung und Anstellung der Flore nee’sehen Reaktion das Vor¬
handensein von Sperma nachweisen können. Es können diese
Sekrete zusammen mit Blut auf Kleidungsstücken, auf Werkzeugen
angetrocknet die Diagnose der Blutart erschweren; aber wir haben
uns durch vielfache Versuche überzeugt, dass sowohl die Herkunft
der Sekrete, als die des Blutes möglich war. So brachten wir
auf Leinewand, welche mit mehreren Flecken von einem schleimig¬
eitrigen Blasenkatarrh eines älteren Mannes beschmutzt war,
Rinderblut, Hessen letzteres antrocknen und unterzogen es später
der biologischen Untersuchung. Es zeigte sich, dass in den Probe¬
röhrchen sowohl das Menschen-Antiserum, als auch das des Rindes
eine sichere Reaktion ergab, dass also in dem untersuchten Objekt
sowohl menschUche, als auch thierische Eiweissstoffe, — hier die
des Rindes — nachweisbar waren.
Es war von vornherein anzunehmen, dass die biologische
Methode an thierischen Organen und Organtheilen in gleicher
Weise positiv ausfallen würde, da ja in diesem Blut bez. Ei¬
weissstoffe vorhanden sind. Dass dieses bei frischen Organen
mögUch ist, Hegt ohne Weiteres auf der Hand.
Dass aber die Methode in älteren Organen, ja in l 1 /* Jahr
getrockneten (wie Leber, Milz, Niere, Herzmuskulatur von
Schweinen) noch ausführbar ist, dieser Beweis ist zuerst von
Uhlenhuth 1S ) erbracht, und auf Grund dieser Thatsache eine
Methode ausgearbeitet, die gestattet, in Würsten, Schinken, über¬
haupt Fleischwaaren, in rohen nnd geräucherten, nicht aber in
gekochten, deren Herkunft zu bestimmen. Diese Methode ist in
allen Einzelheiten im November 1901 von Uhlenhuth 14 ) veröffent¬
licht worden. Nachdem hat auch Y es s 15 J im September 1901 auf der
Naturforscher-Versammlung in Hamburg daraufhingewiesen, dass
es mit Hülfe eines Pferde-Antiserums gelingt, Pferdeblut und
Pferdefleisch zu erkennen.
Diese für die Sanitätspolizei sehr wichtige Untersuchungs¬
methode hat aber auch für die gerichtliche Medizin ihre Be¬
deutung, da sie geeignet ist, auch über die Herkunft menschHcher
**) Deutsche med. Wochenschrift; 1901, Nr. 30, 26. Juli.
u ) Deutsche med. Wochenschrift; 1901, Nr. 46.
l5 ) Berliner thierirstliohe Wochenschrift; 1901, Nr. 42.
242
Dr. Pllf.
Organe Aufschluss zu geben. So hat Be um er 16 ) in dieser Zeit¬
schrift, 1902, Nr. 23 (1. Dezember) darauf hingewiesen, dass es
ihm in einem gerichtlichen Fall gelungen sei, die Herkunft von
Knochen, welche auf einer Brandstelle von der Staatsanwaltschaft
gefunden waren, zu bestimmen. Dieser Fall gab Be um er Ver¬
anlassung zu einer Beihe diesbezüglicher Versuche, die auch ihre
Bestätigung fanden in einer alsbald darauf erschienenen Arbeit
von Schütze 17 ).
Wir sind am Schluss unserer Arbeit. — Insbe¬
sondere verdient hier noch hervorgeboben zu werden,
dass der forensische Blutnachweis bezüglich der
Herkunft des Blutes durch die biologische Methode
heutzutage als völlig gesichert und einwandsfrei
gelten muss. Wohl aber hat diese Methode, wie jede
experimentelle Untersuchungsmethode, für einen Un¬
geübten ihre Schwierigkeiten. Handelt es sich doch
hier um eine Serumreaktion, die uns äusserst feine
biologische Vorgänge zum sichtbaren Ausdruck bringt,
deren Beobachtung und Beurtheilung ein sorgfältiges
Studium erfordert. Wenn diese biologischen Vor¬
gänge bisher selbst den Gerichtsärzten fern lagen,
um wieviel mehr noch den Chemikern, die heutigen
Tages noch vielfach berufen sind, die gerichtlichen
Blutuntersuchungen auszuführen. Es ist daher, wie
schon mehrfach betont ist und immer wieder betont
werden muss, die Einrichtung von Zentralstellen, au
welchen die Sachverständigen unterrichtet werden,
und als welche uns die gerichtsärztlichen Universi¬
täts-Institute als am geeignetsten erscheinen, noth-
wendig, sowie insbesondere die Einrichtung einer
Zentralstelle, von welcher jeder Zeit hochwerthige,
staatlich geprüfte Antisera zu beziehen sind.
Die Krebserkrankungen des Dorfes Plötzkau von 1883
bis 1902, topographisch dargestellt.
Von Dr. Pllf in Aisleben a. S., staatsärstlich approbirt.
In Nr. 8 der Zeitschrift für Medizinalbeamte vom Jahre 1901
hat Behla eine sehr interessante und anregende Arbeit über die
Krebserkranckungen der Stadt Luckan veröffentlicht. Der Ver¬
fasser spricht gegen Ende der Abhandlung den Wunsch aus, dass
auch Andere derartige Untersuchungen vornehmen möchten und
das ErgebniRS mit Beigabe einer topographischen Skizze veröffent¬
lichen. Ich habe mit nachstehender kleiner Arbeit den Versuch
gemacht, und mich dabei naturgemäss an die Behla’sche Ver¬
öffentlichung angeschlossen, die ja an Klarheit und Uebersicht-
lichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.
>*) Zeitschrift für Medislnalbeamte; 1902, Nr. 23.
i: ) Deutsche med. Wochenschrift; 1908, Nr. 4. 23. Januar.
Die Krebserkrafibangen des Dorfes Plötzkau von 1883—1902.
243
Meine Beobachtungen beziehen sich auf das anhaitische, im
Kreise Bernburg gelegene Dorf Plötzkau, das zu meinem ärztlichen
Bezirke gehört, und in dem ich seit sieben Jahren fast ausschliess¬
lich die ärztliche Praxis ausübe.
Plötzkau, etwa 3 km von der preussischen Grenze entfernt,
hat ungefähr 1200 Einwohner; die Einwohnerzahl ist in den letzten
zwanzig Jahren nahezu unverändert geblieben. Das Dorf zerfällt
in das höher gelegene Oberdorf und in das tiefer gelegene Unter¬
dorf, getrennt durch die Hauptstrasse; das Unterdorf hat etwa
400 Einwohner, das Oberdorf 800. In der Nähe des Dorfes fliesst
die Saale, die bis vor etwa 30 Jahren einen anderen Lauf hatte
wie heute; die beiden auf der Karte als „alte Saale“ bezeichneten
wurstähnlichen Gebilde sind die Beste dieses alten Laufes. Von
diesen beiden Resten kommt für uns hauptsächlich der grössere
in Betracht, der mit einem Theile bis dicht an das Unterdorf
heranreicht. Diese alte Saale ist stets mit Wasser gefüllt, zu
Regen- und Ueberschwemmungszeiten mehr, in trockener Zeit
weniger. Das Wasser hat keinen Abfluss und ist in der warmen
Jahreszeit schlecht und übelriechend. Dicht am Wasser liegen
die Gärten und Häuser des Unterdorfes; die Gärten werden bei
reichlichem Wassergehalt der Saale stets überschwemmt. Das
ganze Unterdorf * liegt auf feuchtem, sumpfigem Boden, während
das höher gelegene Oberdorf völlig trocken liegt.
Schon immer waren mir die zahlreichen Krebserkrankungen
in Plötzkau, besonders im Unterdorf, aufgefallen; ich wusste mir
die Sache nicht recht zu erklären, bis ich durch die Behla’sche
Veröffentlichung auf den entschieden richtigen Gedanken kam, dass
ebenso wie in Luckau die sumpfige Lage des Unterdorfes einen
wesentlichen Antheil daran haben müsse.
Wie aus der nachstehenden Tabelle (s. S. 244) hervorgeht, die
ich der Uebersichtlichkeit wegen angefertigt habe, sind von 1883 bis
1902 35 sichere Erkrankungen an Krebs in Plötzkau vorgekommen.
Von 1895 an habe ich sämmtliche Fälle selbst beobachtet und
behandelt; die vorher aufgeführten sind durch ärztlicherseits aus¬
gestellten Todtenschein sichergestellt. Die Krebserkrankungen
vor 1883 musste ich unberücksichtigt lassen, weil keine Todten^
scheine vorhanden und die Angaben über die Todesursache zu un¬
sicher waren. Von diesen 35 Krebsfällen gehören 27 nach dem
Unterdorfe, nur 8 nach dem Oberdorfe, obgleich das Oberdorf
reichlich die doppelte Einwohnerzahl hat wie das Unterdorf.
Die vom Krebs befallenen Häuser sind auf der einen Karte
mit einem schwarzen Punkte bezeichnet; die Nummer bei den
einzelnen Häusern entsprechen den Nummern der tabellarischen
Uebersicht.
Von 1883 bis 1902 sind in Plötzkau 447 Todesfälle vorge¬
kommen, darunter 35 sichere Todesfälle und Erkrankungen an
Krebs. Das Verhältniss der Krebstodesfälle zu den gesammten
Todesfällen beträgt also 1 : 13 gegenüber dem normalen Ver¬
hältniss 1 : 40. Die Zahl der Gesammttodesfälle im Unterdorte
gesondert .festzustellen, war mir leider nicht möglich. Nehme ich
244
Dr. Pilf.
Jahr¬
gang
ii
11
öS
Nummer j
Name
◄
Art der Krebskrankheit
L .
Wohnung
1888
88
i
Andreas M.
62
Magenkrebs
Unterdorf
1884
29
2
Friederike R.
46
Uternskrebs
Oberdorf
1885
44
3
Therese K.
52
Magenkrebs
1886
24
4
Christian J.
60
Unterdorf
j»
—
5
Friederike S.
65
1t
1888
20
6
Andreas K.
69
U
n
—
7
Georg tf.
56
1t
1889
24
8
Rudolf K.
65
1t
s
—
9
Christian H.
73
yt
Oberdorf
1890
27
10
Aognste M.
61
Uternskrebs
1t
—
11
Wilhelmine H.
48
1t
Unterdorf
1891
29
12
Marie Z.
40
Magenkrebs
Oberdorf
yt
—
13
Dorothee B.
54
Brustkrebs
Unterdorf
n
14
Christiane R.
63
Magenkrebs
yt
1892
20
15
Friedrieh G.
60
„
1893
1 31
16
Anna K.
31
Uternskrebs
Oberdorf
1896
19
17
Angast J.
46
i Magenkrebs
Unterdoif
n
l _ 1
18
1 Christian B.
56
1 Kehlkopfkrebs
ff
1896
21
19
Andreas N.
69
Magenkrebs
f >
*
—
20
Wilhelm B.
62
1t
1897
| 35
21
Ferdinand F.
i 70
n
yf
1t
22
Friederike H.
63
Mastdarmkrebs
ff
1898
I 21
23
Wilhelm W.
55
Magenkrebs
n
1899
19
24
Karl H.
46
it
Oberdorf
*
25
| Marie W.
53
Krebs der Gallenwege
Unterdorf
1900
19
26
Klemens S.
54
Magenkrebs
Oberdorf
1901
1 13
27
i Gottfried F.
52
Nierenkrebs
Unterdorf
*
—
28
i Johann P.
48
Krebs der Gallenwege
ff
1908
14
29
i Johann S.
; 73
Magenkrebs
ff
* l
j -
1 80
| Gottlieh M.
65
1t
ff
1* 1
|
31
! Wilhelm F.
52
n
ff
»
82
Friedrich L.
83
it
r»
i -
33
Wilhelmine K.
45
Uternskrebs
w
- 1
34
Henriette K.
64
Magenkrebs
ff
i» 1
—
35
, Wilhelm K.
53
Jt
n
jedoch ein ungefähres Verhältnis an nach der Einwohnerzahl des
Unterdorfes, so ergeben sich etwa 150 Sterbefälle in den letzten
zwanzig Jahren im Unterdorfe, darunter 27 Krebsfälle, was ein
Verhältnis von 1 : 5,5 ergiebt. Im Unterdorfe ist also jeder
fflnfte bis sechste Mensch, die Kinder mit eingerechnet, an Krebs
gestorben. Ganz auffallend ist das Ergebnis des letzten Jahres,
in dem ich 7 Krebsfälle im Unterdorfe zu verzeichnen habe!
Diese Diagnosen sind nicht etwa von mir allein gestellt, sondern
die meiten Fälle sind ausser von mir auch im Bemburger
Krankenhause oder in Halle behandelt und mit der Diagnose
Krebs aufgeführt. Ich werde jedenfalls die Krebserkrankungen
in Plötzkau in den nächsten Jahren mit besonderer Theilnahme
verfolgen und seiner Zeit wieder darüber berichten.
Bei der Gesammtzahl der Todesfälle in Plötzkau muss nun
die ausserordentlich hohe Kindersterblichkeit berücksichtigt werden,
wodurch sich ja das Verhältnis der KrebstodesfäUe zu den Ge-
iTf ^s. ^ j^yfct g\TalB^lFTOpk^^iYii S i*y^MJLw, f&lL uÜ*^&?)SSfflvlfc/w
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Di« InkMitaukugn ta Dorf« PINiku tm 1888—1908. 245
sammttodesfäUen Hoch verschlechtert; denn bei den Erebstodes-
QLlien kommen eigentlich doch nnr die Erwachsenen in Betracht.
Die Bevölkerung in Plötzkau besteht meist ans landwirt¬
schaftlichen Arbeitern und Steinbruchsarbeitern, die bei Er¬
krankungen ihrer Kinder höchst selten den Arzt holen lassen,
weil sie die Kosten scheuen. Wenn Hebamme oder Barbier nicht
helfen kennen, dann sterben eben die Kinder.
Auffallend ist auch, dass von den Krebserkrankungen des
letzten Jahrzehntes nur 3 im Oberdorfe vorgekommen sind, da¬
gegen 17 im Unterdorfe. Nr. 33 ist die Tochter von Nr. 32; die
Flau meldete sich am Tage nach dem Begräbnisse ihres an
Magenkrebs verstorbenen Vaters bei mir krank. Sie hatte ihren
Vater monatelang gepflegt. Ich fand Gebärmutterkrebs und
schickte sie sofort nach Halle zur Operation. Nach drei Wochen
war die Frau todt
In Bezug auf die von Krebs befallenen Organe haben wir
24 Mal Magenkrebs, 5 Mal Uteruskrebs, 2 Mal Krebs der Gallen¬
wege, je 1 mal Mastdarmkrebs, Kehlkopfkrebs, Brustkrebs, Nieren¬
krebs. 17 Fälle von Magenkrebs betreffen Männer; viel mag
hierzu beitragen der Schnapsgenuss, der im Dorfe bei der Ar¬
beiterbevölkerung sehr beliebt ist und in hohem Ansehen steht.
Durch den fortwährenden Beiz, der durch den Alkohol ausgeflbt
wird, durch den chronischen Magenkatarrh der Schnapstrinker,
finden die Krebsparasiten eine geeignete Ansiedelungsstelle im
Magen.
Man mag nun Aber die Entstehung des Krebses denken wie
man will, jedenfalls steht fest, dass in Plötzkau in dem snmpfig
und tief gelegenen Unterdorfe eine auffallend grosse Anzahl von
Krebserkrankungen vorliegt.
Ich hoffe, demnächst in der Lage zu sein, auch aus einem
anderen grösseren Orte ähnliche Beobachtungen zu veröffentlichen,
und damit einen weiteren kleinen Beitrag zu liefern zu der für
das allgemeine Gesundheitswesen so wichtigen Krebsforschung.
Alis Versammlungen und Vereinen.
Bericht Ifcer die Versammlung der Hediaiualbeamteu de«
Reg.-Bes. Gumbinnen in Insterburg am 13. Oktober 1903.
Die Versammlung fand im Stad i verordne lensaal des Bathbanses zu
Insterburg statt An derselben nahmen Tbeil: Regierungspräsident Begel-
6 binnen, Geh. Ober-Med.-Rath Dr. Schmidtm ann, als Kommissar des
fl. Ministen, Reg.- und Med.-Rath Dr. Doepner-Gumbinnen, Rolfaarbeiter,
Kreisarzt und Med.• Rath Dr. Raetzell-Gnmbinnen, Oberbfi'genneister
Kirehh off-Insterburg, RegierungsasBessor Ger lach-Gumbinnen, die Kreis¬
ärzte DrDr. Bredsehneider-Angerburg, Poddey-Darkehmen, Czygan-
Goldap, PI och-Gumbinnen, Forstreuter-Heütrichswalde, Cobn-Hejde-
kreg, Li edtke-Insterburg, Du bois-Johaunisbnrg, Beyer-Lotsen, Stunm-
Lyck, Vossius-Margrabowa, Schawaller-PiUkallen, Herrendoerfer-
Bagnit, Krause-Sensburg, Schulz-8tal)up8nea und Behrendt-Tilsit die
KreisaasisteadLrste DrDr. Lemke-Proetken, Boehnke-Bialia und Woller-
uana-Kaukehmen, sowie die kreisftiztlich geprüftes praktischen Aerste
DrDr. Kehl er -Gumbinnen, Gustlene-Scbmalleaingken, Frans-Insterburg
und Katluha-Aafurburg.
246
Aua Versammlungen und Vereinen.
Herr Reg.- and Med.-Rath Dr. Doepner eröffnet die Versanunlung,
indem er mit warmen Worten des vor Kurzem verstorbenen Oberprftaidenten
Herrn v. 6 o aal er-Danzig gedenkt, der ala Knltnaminiater seiner Zeit aein
reges Interesse für die Medizin und die Medisinalbeamten gezeigt nnd ans dem
Reg. - Bez. Gumbinnen ala Landrath von Darkehmen hervorgegangen ist. Als¬
dann begrflaat er den Vertreter des Hiniatera Herrn Geb. Ober-lled.-Rath Dr.
Schmidtmann-Berlin, sowie den Regiernngaprisidenten Herrn Hegel-
Gnmbinnen.
Nachdem die beiden Letzteren gedankt, wird in die Berathnng der Tages¬
ordnung eingetreten.
L Kreisarzt Dr. Sohawaller-Pillkallen referirt Aber Punkt 1 der
Tagesordnung: Verhütung nnd Bekämpfnng gemeingefährlicher oder
sonst übertragbarer Krankheiten, and bespricht hierbei sanichst die An-
seigepflicht, wie diese durch das Reichsaenchengeaetz vom 80. Juni 1900
und das sogenannte Regulativ vom 8. August 1836 geregelt ist. Br hält ea
für dringend noth wendig, dass durch ein neues preuaaiaches Seuchengesetx die
Anzeigepflicht auf folgende Krankheiten ausgedehnt wird: 1. Unterleibstyphus,
2. Rttckfallfieber, 3. übertragbare Ruhr, 4. übertragbare Erkrankungen im
Wochenbett und Neugeborener, 5. Diphtherie, 6. Scharlach, 7. Granulöse,
8. epidemische Genickstarre, 9. Masern nnd Rötheln, 10. Keuchhusten,
11. Lungen-, Kehlkopf- und Darmtuberkulose, 12. Syphilis nnd Gonorrhoe. Br
verlangt ferner, dass entsprechend den Bestimmungen der §§. 1, 2 nnd 8 des
Reiobsaeuchengeaetses jede Erkrankung und jeder Todesfall, sowie auch jeder
Fall, welcher den Verdacht einer dieser Krankheiten erweckt, anzuzeigen ist.
Nach kurzer Brw&hnung der Gefährlichkeit des Scharlachs mit statisti¬
schen Angaben aus seinem Kreise nnd dem Anheimatellen, die Anseigepflir ht
der Granulöse auf granulosefreie Gegenden zu beschränken, um einem Ein¬
heimischwerden derselben voraubengen, hält er eine Anzeigepflicht bei Longen-,
Kehlkopf- und Darmtuberkuloae wenigstens für Gasthäuser, Logirhäoser, Her¬
bergen, Pensionate, Chambre-garnies, Schlafstellen nnd Privatkiankenanstalten
für geboten und beschränkt auch die Anseigepflicht bei Syphilis nnd Gonorrhoe
auf die Prostituirten.
Referent kommt darauf auf die Anzeigepflicht der Amtsvorsteher an den
Kreisarzt nach g. 14 Abs. 6 der Dienstanweisung su sprechen und empfiehlt
auch den Amtsvorstehern Meldekarten mit Vordruck und Aversionirungsstempel
einsuhändigon, nach Analogie der Meldekarten, welche auf Grund des Erlasses
des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medisinalangelegenbeiten
vom 30. April 1897 — M. Nr. 11012 Gin — den Aerzten zur Anzeige von
ansteckenden Krankheiten sur Verfügung gestellt sind.
Bei Besprechung der Feststellung der anderen übertragbaren Krankheiten
gemäss den Bestimmungen des §. 82 der Dienstanweisung Abs. 8 b berührt
Vortragender die Verfügung des Regierungspräsidenten vom 6. März 1902 —
I. M. 649 —, wonach der Kreisarzt erst dann eine Feststellung von Amtswegen
ausführen darf, wenn er sich durch Rückfragen Gewissheit darüber verschafft
hat, dass die Krankheit bereits ärztlich festgestellt ist und beleuchtet die
Missstände, welche aus der hierdurch bedingten Verzögerung bei einzelnen
Krankheiten, in erster Linie bei Unterleibstyphus, Rückfallfieber, Rohr, Schar¬
lach und Diphtherie, sich ergeben. Für diese Krankheiten verlangt er für den
Kreisarzt gleichfalls die Berechtigung, anch bei den ersten Fällen unmittelbar
an Ort und Stelle die nothwendigen Ermittelungen vorzunehmen. Die in der
letztgenannten Verfügung erlassene Bestimmung, dass bei nothwendig werdenden
Ermittelungen bei Masern, ROtheln nnd Keuchhusten vorher die Genehmigung
des Regierungspräsidenten eingeholt werden soll, hält er gleichfalls für ge¬
eignet, den günstigsten Zeitpunkt zum amtsärztlichen Einschreiten zu verpassen.
Nach Erwähnung der besonderen Bestimmungen durch Regierungs-Verfügungen
vom 14. Juni 1889 — L M. 1386 — und 21. Juli 1902, betreffend Feststellung
jeden Falles von Kindbettfieber, kommt Referent auf die Thätigkeit des Kreis¬
arztes an Ort und Stelle zu sprechen. Die Feststellung der Art der Krankheit
unter Zusiehung des behandelnden Arztes, die Ermittelung des Standes der
Krankheit nnd ihrer Entstehung, die Vorschrift gemäss §. 6 des Reichssenchen-
gesetzes, der Polizeibehörde eine Erklärung darüber absugeben, ob der Aus¬
bruch einer Krankheit festgestellt ist, werden besprochen und dann die Sehutt-
massregeln, welche gemäss §. 11—27 des Reichsseuchengesetzes und des 0.18ff.'
Atu Versammlungen and Vereinen.
247
des. Regulativs, sowie des Ministerialerlasses vom 14. Juli 1884, nebst der diesem
Irlisse beigegebenen „Anweisung nur Verhütung der Uebertrngnng ansteckender
Krankheiten. darch die Schalen“, mit der Ergänzung vom 26. August 1902
«geordnet sind, ausitthrlioh geschildert. Zum Schluss wird die Desinfektion,
die laufende und die Schlussdesinfektion, besprochen und gefordert:
1. Einführung der obligatorischen Schlnssdesinfektion bei allen gemein¬
gefährlichen und Übertragbaren Krankheiten, sofern sie in öffentlichen Anstalten,
8eholen, Penaionaten, Gast- oder Logirbäusern, Massenquartieren und ähnlichen
Biarichtungen auftreten.
2. Eine obligatorische Schlussdesinfektion der einseinen Wohnungen bei
den gemeingefährlichen Krankheiten des Reiehsseuchengeseizes, sowie bei Unter¬
leibstyphus, Bftokfallfieber, Ruhr, Scharlach und Diphtherie.
S. Zur Ausfährung und Tragung der Kosten der Desinfektion nach 1
und 2 sind die Kreise verpflichtet, soweit nicht öffentliche oder private An¬
stalten (Krankenhäuser, Gefängnisse, Schalen) für die Kosten entkommen. Die
Kreise haben za diesem Zwecke die nothwendigen Desinfektoren ausbilden zu
lassen und anzustellen und mit den nothwendigen Apparaten und Geräthschaften
asssurOsten. Auch wäre in den Kreisen ein Dampfdesinfektionsapparat bereit-
sustelien und zu unterhalten.
Bei der Diskussion erwähnt Kreisarzt Dr. Forstreuter Be¬
stimmungen, nach denen das Oeffnen der 8ärge bei den Begräbniss-Zeremonien
untersagt ist (vergl. Verfügung der Königl. Regierung zu Gumbinnen vom
14. März 1838, Amtsblatt S. 220) und nach denen auch das Zusammenkommen
des Leichengefolges in der Wohnung der an ansteckenden Krankheiten Ge¬
storbenen nicht gestattet ist, so dass darnach auch die Leichenfeierlichkeiten
im Sterbehatue fortfallen müssen (Vergl. Regulativ vom 8. August 1836, Abs. 5,
Polizei Verordnung vom 26. Januar 1870, Amtsblatt S. 21). Er spricht dann
Iber Ruhr, die in den hiesigen Bezirken wohl in der Regel aus Russland ein¬
geschleppt wird und bei der das sofortige Eingreifen des Uedizinaibeamten,
gerade bei den ersten Fällen, bevor noch die Erkrankung gruppenweise auf-
tritt, nothwendig ist. Der Erlass eines Seuohengesetzes ist demnach durchaus
zu fordern.
Kreisarzt Dr. Czygan will das Singen der Schulkinder in den Häusern
der Gestorbenen verboten wissen, hält aber das Singen auf dem Kirchhofe für
unbedenklich.
Kreisarzt Dr. Schulz spricht Aber die Betheiligung der Lehrer an den
Leichenbegängnissen und die daduroh vorhandene Gefahr der Weiterver-
sehleppung ansteckender Krankheiten in die Familie und die 8cbule.
Regierungspräsident Hegel bezeichnet die Theilnahme der Lehrer an
den Leichenfeierlichkeiten als ein noth wendiges Uebel, da bei den grossen
Kirchspielen die Geistlichen nicht an sämmtlichen Begräbnissen theilnehmen
können. Es soll den Lehrern nur verboten werden, infizirte Häuser zu betreten,
und in nächster Zeit eine Regelung dieser Frage erfolgen. In Betreff der
Feststellung der ansteckenden Krankheiten müsse nach den geltenden gesetz¬
lichen Bestimmungen die Feststellung der ersten Fälle durch die Polizeibehörde
verlangt werden.
Geh. Ober-Med.-Rath Dr. Schmidtmann bemerkt, dass eine allge¬
meine Reisefreiheit nicht bestehe. Der §. 82 habe die Frage für die Kreisärzte
geregelt und gestatte ihnen im Allgemeinen eine grosse Bewegungsfreiheit.
Immerhin müsse in Rücksicht auf die erwachsenden Kosten eine weise Be¬
schränkung stattfinden und sei namentlich bis zum Erlass eines neuen in Aus¬
sicht stehenden Seuchengesetzes, soweit nicht die bestehenden Bestimmungen
genügen, von Fall zu Fall die Genehmigung des Regierungspräsidenten zu
erbitten.
Einzelne Forderungen des Referenten findet er zu weitgehend. Es
müssen auch die Interessen des Staates gewahrt werden. Als zu weitgehend
und unausführbar halte er die Forderang der allgemeinen Anzeigepflicht bei
Granulöse, Gonorrhoe und Tuberkulose. Auch lege er Gewicht darauf, dass die
Uedizinaibeamten individualisiren und nicht durch Zwangsmassregeln, sondern
durch Belehrung und Autorität ihr Ziel erreichen.
Regierungspräsident Hegel schliesst sich den Ausführungen an, meint
aber, dass gerade bei der hiesigen Bevölkerung in der Bekämpfung der
Granulöse ein gelinder Zwang unvermeidbar sei. Eine Verzögerung und Ver-
Ana Versammlungen and Vereinen.
248
breitaug der ansteckenden Krankheiten, wie Maeern etc. doreh die Anordnung,
vor etwaigen Reisen seine Genehmigung einzuholen, befürchte er nicht, da ant'
telegraphischem oder telephonischem Wege in karaer Zeit die Genehmigung
za erhalten sei.
II. Bekämpfung der Cholera. Med.-Rath Kreisarat Dr. Raetsei
berichtet über die am 26. Angnst im Ministerium abgehaltenen Konferens. Br
erwähnt die Schwierigkeiten der bakteriologischen Diagnose, indem er die
mikroskopische Untersuchung, das Kaltarverfahren auf Gelatine- und Agar-
Platten, das Anreicherungsverfahren, sowie die serodiagnoetische Prüfung be¬
spricht und darauf hinweist, dass die Stellung der Diagnose den bakteriologi-
sohen Professoren Vorbehalten ist. Der Kreisarzt hat das Material nebst luft¬
trockenen AuBstriohpriparaten einzuschicken. Dem Kreisarzt liegt ferner die
Sorge für die Isolirung, Evakuirung, Beobachtung und Desinfektion ob. Schon
vor dem Ausbruch der Krankheit ist durch geeignete Massnahmen, durch Be¬
lehrung, Ausbildung von Desinfektoren und Einrichtung von Desinfektionsan¬
stalten, durch Ueberwachung der Zentralwasseranlagen und Brunnen, sowie
durch Sorge für die Reinhaltung der Flüsse einem Auftreten und Umsichgreifen
der Krankheit zu begegnen.
III. Zu dem dritten Punkt der Tagesordnung: Einfache, physikalische,
chemische, mikroskopische und bakteriologische Untersuchungen des
Kreisarztes (§. 87 der Dienstanweisung) bemerkt der Referent Kreisarzt
Dr. Krause-Sensburg, dass der Kreisarzt nur einfache Untersuchungen an¬
stellen soll, und bespricht hierauf unter Vorführung der einzelnen dazu noth-
wendigen Apparate und Instrumente die Untersuchungen, die vom Kreisarzt
verlangt werden können. Ausser den grobsinnlichen Feststellungen und Thermo¬
metermessungen, muss der Kreisarzt Untersuchungen über Feuchtigkeitsgehalt
der Luft und der Winde in den Wohnungen nasführen. Er muss bakteriologi¬
sche Untersuchungen auf Gonokokken, Tuberkelbazillen uud Milzbrandbazillen
ausführen und chemische, sowie bakteriologische Wassernntersuchungen machen
künnen. Bei letzteren ist der Kreisarzt nur zur Zählung der Keime, nicht zu
Kulturversuchen und dergl. verpflichtet. Der Vortrag wird durch zahlreiche
Demonstrationen erläutert.
In der Diskussion betont Reg.- und Med.-Rath Dr. Doepner die
Nothwendlgkeit, sich mit den Methoden durchaus vertraut zu maohen. Die
vorgetragenen einfachen Untersuchungen ist der Kreisarzt verpflichtet auszu-
führen und ist es seine Saohe, sich die nöthige Fertigkeit eventuell durch Be¬
such von Kursen oder der in Gumbinnen in der Entstehung begriffenen bakte¬
riologischen Untenuchungsatationen anzueignen.
Kreisarzt Dr. Fora treu ter glaubt, dass die Ausführung der angeführten
Untersuchungen dem Kreisärzte wohl keine Schwierigkeiten bereiten werde,
dass aber die Herstellung der Nährboden, der Gelatine u. d. äh. in der Regel
für den im Amte beschäftigten Kreisarzt unnütz und zeitraubend sein würde,
namentlich wenn nur einige Röhrchen Gelatine gebraucht werden. Es empfiehlt
sich, dass diese Nährböden von dem in Gumbinnen zu errichtenden Institut auf
Erfordern geliefert werden.
Reg.- und Med.-Rath Dr. Doepner stimmt dem bei und stellt die
Lieferung auch gegenüber dem Med.-Rath Kreisarzt Dr. Raetzel, der eine
zu grosse Inanspruchnahme des Instituts befürchtet, in Aussicht.
Geh. Ober-Med.-Rath Dr. Schmidtmann hält die Grenzen, welche
Referent für die einfachen Untersuchungen, zu denen der Kreisarzt gemäss §. 87
verpflichtet ist, gezogen hat, im Wesentlichen für richtig. Die Kreisärzte
werden die Möglichkeit haben, ohne grosse Unkosten im Institut zu Gumbinnen
sich nOthigen Falls mit den Untersuchungen vertraut zu machen, nnd hält er
auch die Einwände von Raetzell für hinfällig. Der Kreisarzt soll in erster
Linie nicht wissenschaftliche Untersuchungen anstellen; dazu fehlt ihm meist,
namentlich bei ausgebreiteten Epidemien die Zeit, sondern nur den Instituten
Vorarbeiten und deren Untersuchungen durch Entnahme der Materialien und
sachgemässe Vorbereitung anbahnen.
IV. Ueberwachung des Arzneimittel verkehre uud dee Handele
mit Giften uud Geheimmitteln aueeerhalb der Apotheken, Der Referent,
Kreisarzt Dr. Cohn-Heydekrug, berührt zunächst die Verordnung, betreffend
den Verkehr mit Arzneimitteln, vom 27. Januar 1890 und erörtert an der Hand
einer grossen Zahl mit vielem Fieiss zusammengestellter Entscheidungen der
Am Versammlungen und Vereinen.
240
höchsten Gerichtshöfe die Begriffe: Heilmittel, Zubereitungen, Misehungen,
Krankheiten, wobei er auch auf die Bestätigung der PoliseiTerordnung, betr.
den Verkauf von Aether und Aetherweinsreist, durch die Entscheidung des
Landgerichts Memel vom 6. Desember 1899 zu sprechen kommt. Nach Dar¬
legung der Unterschiede und Vorsflge, welche die nene Kaiserliche Verordnung
vom 22. Oktober 1901 bietet, geht Vortragender auf die Besprechung der Ge¬
heimmittel Ober und erklärt zunächst nach der Gerichtsentscheidung die Be¬
griffsbestimmung des Wortes „Geheimmittel“. Dann erörtert er die Obliegen¬
heiten, welche dem Medisinalbeamten aus der Ueberwaehung des Verkehrs mit
Giften ausserhalb der Apotheken erwachsen, unter Ansiebung der Polizeiver-
ordnnng Ober den Handel mit Giften vom 24. August 1895. Zum 8chlnss
berichtet er Ober seine Erfahrungen mit Karbolwasser, namentlich Ober
Schädigungen nach laienhaftem Gebrauch desselben, die häufig su Gangrän der
Glieder nnd umfangreichen Gewebszerstörungen führen. De lege ferenda ver¬
langt er, dass die Karbolsäure ganz dem freien Verkehr entzogen und den¬
jenigen Mitteln zugereiht werde, welche nur auf ein von einem Arzte, Thier¬
arzte oder Zahnarzte ausgefertigtes Rezept vom Apotheker verabfolgt
werden darf.
In der Diskussion vermisst Reg.-und Med. - Rath Dr. Doepner ein
näheres Eingehen anf die äussere Beschaffenheit der Drogenhandlungen, wie
dieselbe durch die Poliseiverorduung der KOnigl. Regierung su Gumbinnen
vom 18. Januar 1895 (Amtsblatt S. 42), betreffend gewerbsmässigen Handel mit
Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken geregelt ist und ergänzt den Vortrag.
Kreisarzt Dr. Csygan wünscht eine Einschränkung der Giftkonzession
an die Materialwaarenbändler und frägt an, ob die Dispensiranstalten* der
Tbierärzte unter Kontrole stehen.
Reg.- und Med.-Rath Dr. Doepner verneint Letzteres.
Kreisarzt Dr. Forstreuter bemerkt, dass in Folge der Bestimmungen
der am 1. Februar 1894 erlassenen Vorschriften Ober die Besichtigung der
Drogen- und ähnlichen Handlungen (Amtsbl. 8.194), welebe Revision der Hand¬
lungen unter Beihülfe eines approbirten Apothekers zulässt nnd zum Theil
verschreibt, zu den Revisionen häufig ältere Herren, die lange ans der Praxis
aasgescbieden und nicht mehr mit den betreffenden Verordnungen vertraut
sind, ungezogen werden. Die Revisionen verlieren hierdurch an Werth.
V. Begrftbnisswesen. Der Referent, Kreisarzt Dr. Herr and örfer-
Ragnit bespricht die nach $. HO der Dienstanweisung dem Kreisarzt obliegende
Ueberwachnng der Vorschriften, betreffend Ansstellung nnd Beerdigung der
an ansteckenden Krankheiten Verstorbenen, indem er auf §. 22 des Regulativs
hinweist. Er erwähnt die trotz des langen Bestehens der Verordnung in
hiesiger Gegend herrschende Unsitte des Ansstellens der Leichen selbst an
Diphtherie und Scharlach gestorbener Kinder, welche beim Begrähniss von An¬
gehörigen und Fremden beschaut nnd geküsst werden, sowie die Veranstaltung
des Leichenschmauses auch in Wohnungen, in denen Personen an ansteckenden
Krankheiten gestorben sind. Er verlangt Errichtung von Ränmen zur Unter¬
bringung der Leichen an ansteckenden Krankheiten verstorbener Personen,
damit dieselben ans den beschränkten Wobnränmen entfernt werden können.
Referent behandelt darauf die Bestimmungen Ober Ausstellung von Leicben-
pässen gemäss Ministerialerlass vom 6. April 1888, nnter Erwähnung des Er¬
lasses vom 12. Dezember 1857 nnd berichtet hierbei Ober einen Fall ans seiner
Praxis, in dem der heimliche Transport einer Leiche ans einem mit Rnhr ver¬
seuchten Orte nach Verweigerung des Leichenpasses stattgefunden batte, das
Landgericht aber, trotz Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnte, da wie der Herr Regierungspräsi¬
dent bestätigte, für den Reg.-Bez. Gumbinnen eine Polizeiverordnung Ober den
Transport von Leichen bisher Oberhaupt nicht besteht.
Zum Schluss bespricht Vortragender die Bestimmungen Ober Anlegung
nnd Erweiterung von Begräbnissplätzen gemäss Ministerialerlass vom 20. Januar
1892, ferner die Thätigkeit des Medizinalbeamten anf Grand des 8* 118 der
Diensten Weisung.
Kreisarzt Scholz verlangt unter Zustimmung des Reg.- nnd Med.-Raths
Dr. Doepner die Vorlegung der nothwendigen Zeichnungen vor Begut¬
achtung einer Kirchhofsanlage.
350
Aus Versammlungen and Vereinen.
Kreisarzt Dr. Kranee will aneh die Begutachtung erentaell ablehnen,
falls keine Regräbnissordnung vorgelegt wird.
VI. Fürsorge für Geisteskranke in* nnd ansserbalb der Irren¬
anstalten. Referent: Kreisarzt Dr. Stamm-Lyek. Nach Besprechung der
Fürsorge für Geisteskranke innerhalb der Irrenanstalten, der Öffentlichen nnd
privaten Irrenanstalten, der Bestimmungen über Anfnabme nnd Entlassung der
Geisteskranken, Idioten nnd Epileptischen in nnd ans Privatanstalten, sowie
über Einrichtnng, Leitung nnd Beanfsicbtignng solcher Anstalten, gemäss des
Ministerialerlasses vom 20. September 1895 nnd des Randerlasses vom 26. Mürz
1901, gedenkt Vortragender des Ministerialerlasses vom 25. April 1898, welcher
die Regelung der Beaufsichtigung der Niohtanstaltsbranken anregt. Durch Ver¬
fügung des KOnigl. Regierungspräsidenten zu Gumbinnen ist die Frage der
Aufnahme von Geisteskranken zu längerer oder dauernder Verpflegung in all¬
gemeinen Krankenanstalten nnd in Siecbenhäusern und die Beaufsichtigung der
ausserhalb der Anstalten befindlichen Irren geordnet. Die Bestimmungen des
Erlasses werden erwähnt und die Nothwendigkeit resp. Zweckmässigkeit der
Familienpflege besprochen. Zum Schloss tritt Referent warm für die Gründung
von Irrenhülfsvereinen ein, welche die Fürsorge für entlassene Geisteskranke
übernehmen.
VII. Den letzten Punkt der Tagesordnung: Wohnungshygiene (fl. 70
bis 78 der Dienstanweisung) behandelt Kreisarzt Dr. Schulz- StallnpSnen.
Unter Anlehnung an Abschnitt KTX der Dienstanweisung bespricht er zunächst
die Anfgaben des Kreisarztes in Betreff der Reinhaltnng des Bodens nnd der
Luft, unter eingehender ErOrtemng der dem Kreisarzt zur Verfügung stehenden
Vorschriften, namentlich der Ban-Po1i*eiverordnung für das platte Land des
Reg.-Bez. Gumbinnen vom 24. April 1888 nnd der Baupolizei-Ordnung für die
Städte des Reg.-Bez. Gumbinnen vom 29. März 1901, indem er zugleich die
neue in Aussicht genommene Baupoli*eiordnung für das platte Land, deren
Entwurf nebst Motiven am 10. März 1902 in dankenswerter Weise vom KSnigl.
Regierungspräsidenten den Kreisärzten zur Begutachtung übersandt wurde, in
die Besprechung aufnimmt und mit den alten Bestimmungen vergleicht. Die
betreffenden Bestimmungen hinsichtlich Abwässernug der Grundstücke, Anlage
von Dnngstätten und Dunggruben nnd Abortanlagen werden angeführt und die
Mitwirkung des Kreisarztes bei Begutachtung gewerblicher Anlagen erwähnt.
Referent bespricht dann die Thätigheit des Kreisarztes in Rücksicht auf die
gesundheitlichen Verhältnisse der Wohnungen unter Aufführung der für die¬
selben in den obigen Verordnungen erlassenen Bestimmungen nnd verlangt vor
Allem in der Polizei Verordnung die strickte Fassnng, d«ss sämmtliche noch be¬
stehenden Verscblnssvorricbtungen an den Abzngskanälen der Oefcn (Ofen¬
klappen) zu beseitigen sind. Bei drohender Sencbengefahr wird der Kreisarzt
sieh nicht an die bestehende Verordnung gebunden fühlen, sondern das Noth-
wendige durcbznsetsen suchen. Ferner liegt ihm ob die Begutachtung der
Bau-PolizeiVerordnungen seines Amtsbezirks und der Ortshehannngspläne,
sowie die Beaufsichtigung von Herbergen. Schlafstellen, Massen quartieren nnd
ATbeiterwohnungen. Eine Polizeiverordnnng, welche das Schlafstellenwesen
regelt, hält er namentlich in Hinsicht auf die in den Grenzorten bestehenden
Spaisewirthsohaften nnd Unterknnftsräume für die Auswanderer, sowie in Hin¬
sicht auf die Massenquartiere der znr Erntezeit auf den grossen Gütern be¬
schäftigten ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen, für durchaus notbwendig.
Zum Schluss erwähnt Referent noch die Aufgabe des Kreisarztes gemäss fl. 78
der Dienstanweisung, betreffend Anregung und Unterstützung gemeinnütziger
Bestrebungen auf dem Gebiete der Wohnungshygiene.
Nach Schluss de« offiziellen Theiles der Versammlung vereinigten sich
die Theilnehmer derselben im Rheinischen Hof zu einem gemeinsamen Essen
und verlebten noch mehrere Stunden bis zum Abgang der Züge in anregendem
Beisammensein.
Nicht unerwähnt mag an dieser Stelle sein, dass der Herr Regierungs¬
präsident in dankenswerther Weise die einzelnen Referate in Druckschrift ver¬
vielfältigt und den Medizinalbeamten zngestellt hat, so dass hierdurch die
Arbeit der einzelnen Kollegen, die zum grossen Tbeil gerade die einschlägigen
Bestimmungen für den hiesigen Bezirk behandelt, den übrigen Medizinalbeamten
zugängig gemacht wird. Dr. Forstreuter-Heinrichswalde.
Kleinere Mittheilangen and Referate au Zeitschriften.
251
Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften.
Bakteriologie, Infektionskrankheiten and öffentliches
Sanitätswesen.
Ernährung and Trinkwasserversorgung im Felde. Von Prof. Dr.
Martin Kirchner, Geh. Med.-Rath in Berlin. Zweiter Zyklus des Vortrags
„Aerstliohe Kriegswissenschaft“, gehalten am 1. Oktober 1901. Klinisches
Jahrbuch; ES. Bd., 1902.
Einleitend wird mit wenigen Worten der richtigen Zosammensetsnng
der Soldatenkost gedacht, die für den GarnisondienBt auf 120 g Biweiss, 66 g
Fett and 500 g Kohlehydrate, für den Krieg auf 166 g Biweiss, 100 g Fett
and 600 g Kohlehydrate festgesetst ist. Hinsichtlich der diesen Kostmassen
entsprechenden Arbeitsleistung ist folgende Gegenüberstellung recht interessant.
Die Arbeitsleistung eines kräftig» Arbeiters betrügt nach Bubner bei zebn-
stündiger Erdarbeit 72000 kg, bei fünfstündiger Arbeit am Bammklotn
178600 kg; der 8oldat aber leistet bei einem zehnstündigen Marsch obne Ge¬
päck eine Arbeit von 378000 und bei vierstündigem Marsch mit Gepäck sogar
von 417000 kg. Mithin muss die Soldatennahrang ansgiebiger nnd gehalt¬
reicher sein, als die eines kräftigen und angestrengten Arbeiters. Weiterhin
schildert der Vortrag die möglichen Gesundheitsstörungen durch Wasser, Milch,
Butter und Käse, Fleisch, Fische und Schaltbiere, Brot und Mebl, unreife Kar¬
toffeln und grünes Gemüse an der Hand der früher gemachten Beobachtungen.
Im Feldsage werde die Verhütung der Krankheitsübertragung durch die Nah¬
rung zu einer besonders verantwortungsvollen Aufgabe der Heeresverwaltung.
Die Feldverpflegung erfolgt von der Heimath aus durch ein wohldnrchdachtes
8ystem von Btappenstationen und Proviantkolonnen, ferner durch Ankauf oder
Requisition von frischem Fleisoh, Gemüse u. s. w. an Ort und Stelle and Mit¬
gabe der „eisernen Portion“ für den Nothfall. Letztere besteht aus Konserven
and einem deutschen, besonders schmackhaften, nährkräftigen und sogleich
leiehten Feldswieback, welcher aus Brotmasse, Bier und Milch bergestellt ist
Für die gesundheitsmässige Beschaffenheit der Feldverpflegung haben die Mi¬
litärärzte dnrch Beachtung bestimmter Vorschriften bei dem Binkauf, Trans¬
port und der Zabereitung der Nahrungsmittel zu sorgen. Zu diesem Zweck
muss sich auch die Hcerrsverwaltung stets über den Stand der Seuchen sowohl
im Auslande, wie im Inlande unterrichtet halten, insbesondere über die Krank¬
heitsverhältnisse der Gebiete, in welcher sich voraussichtlich die Truppenbe¬
wegungen abspielen werden. Bezüglich der einzelnen Vorsichtsmassregeln bebt
K. folgendes hervor: Die Milch sollte nur von nachweislich krankbeitsfreien
Gehöften bezogen und vor dem Genuss 10 Minuten lang anf 60° erhitst werden.
Das Fleisch darf nur von solchen Thieren herrühren, die von Rossärsten gesund
befanden und von sachkundigen Schlachtern geschlachtet sind; bei Sommerhitze
ist Fleisch durch Konserven zu ersetzen, der Genuss rohen Fleisches ist voll¬
ständig zu verhindern. Für das Brot ist nur solches Mehl zu verwenden,
welches aus gesundem Korn vermahlen und nicht dumpfig geworden ist. Die
Zubereitung der Nahrung wird den Mannschaften im Felde dadurch erleichtert,
dass bereits während des Friedens das Ausbeben der Koohlöcher und das Kochen
selbst geübt wird; der sinnreich erdachte Feldkorbberd des Major a. D. Hahn
ist wegen seines zu grossen Gewichtes für die Praxis wobl noch nicht geeignet;
dagegen ist die Mitführnng grosserer Kochkessel für ganze Korporalscbaften
bei berittenen Truppenteilen, namentlich bei der Artillerie, sehr zu empfehlen.
Besondere Sorgfalt erfordert die Trinkwasserversorgung im Felde und
zwar durch regelmässige Prüfung der vorhandenen Wasserwerke oder dnrch
Neuanlage von guten, sog. abessynischen RObrenbrnnnen oder schliesslich dnrch
das Kochen in grossen fahrbaren Apparaten, wie solche von der Firma
Rtetsohel & Henneberg konstrnirt sind und es ermöglichen, in kurzer
Zeit 100 Liter Wasser zu kochen und abzukühlen, also keimfrei und geniess-
bar zu machen. Die transportablen Filter sind für den Feldgebrancb nicht
zu empfehlen, denn sowohl die in der französischen Armee eingeführten, aus
gebrannter Porzellanerde hergestellten, als auch die deutschen, aus Infusorien¬
erde bestehenden Berkefeld-Filter arbeiten nur kurze Zeit bakteriendicht
Die vielen Versuche, das Wasser mittels chemischer Substanzen zu klirr
and keimfrei za machen, haben bis heute auch noch zu keinem einwandfrei*
362 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
and zweckmässigen Verfahren geführt. Der lesenswerte Vortrag gipfelt
darin, dam der Militärarzt für die zweckmässige nnd gesnndbeitsmässfge Br*
nährnng der Feldarmee zum grossen Theil verantwortlich ist, dam ferner für
das Gelingen der Senohenverhütung im Felde schon im Frieden die Seucben-
Bekämpfang im Lande notwendig nnd hierbei ein einträchtiges Zusammen¬
wirken der Zivil* and Militärmedisinalverwaltang anentbehrlich ist. Sehr
wirkungsvoll sohliesst K. mit einem knappen, treffenden Hinweis anf jene drei
Männer, unter deren Binflass sioh die Militärgesundheitspflege in den letzten
Jahren so anmerordentlieh entwickelt hat, — Max v. Pettenkofer, Robert
Koob nnd Alwin v. Coler. _____ ® r * Roepke• Lippspringe.
Dm Sehumburg’zche Verfahren der Trinkwasserreinigung mit¬
tels Brom. Von Dr. Engels, Assistenten am hygienischen Institut. Ans
dem Institut für Hygiene and exp. Therapie sn Marburg. Abtheilnng für
Hygiene. Zentralbl. f. Bakteriol., Parasitenkunde n. Infektionskrankheiten;
Bl XXXI, Abth. 1, H. 13.
Nachdem erst kürzlich Schüder im Koch’sohen Institut mit Hülfe
neuer Methoden gezeigt hatte, dam das von Sohnmbnrg angegebene Ver¬
fahren der Wasserdesinfektion durch Brom nicht im Stande ist, einwandfreies
Trinkwasser sn liefern, berichtet nun auch Engels ans dem Marbnrger
hygienischen Institut über seine Versuche mit dem Schum bürg’sehen Ver¬
fahren. Auch seine Untersuchungen lehren, dass das Bromverfahren nicht das
leistet, was Schumburg und A. Pfahl demselbennachrtthraen. Insbesondere
wurden Choleravibrionen erst bei der Verwendung der 16 fachen der von
Schumbnrg angegebenen Brommenge und einer mehr als 5 Minuten langen
Einwirkung des Brom mit einiger Sicherheit abgetödtet, während Typhus-
bazillen auch bei dieser Versuchsanordnung in ihrer Entwickelungsfähigkeit
nicht beeinträchtigt wurden. Auch Engels führt die günstigen Resultate,
welche Sehumburg und A. Pfuhl mit dem Bromverfahren hatten, darauf
zurück, dass diese zn geringe Mengen des Versuchswassers untersucht hatten.
Dr. Lentz-Berlin.
Ueber die Bedeutung der Zerkleinerung und des Kochens der
Speisen für die Verdauung. Von Prof. Dr. K. B. Lehmann in Würzbnrg.
Nach in Gemeinschaft mit den Herren Dr. Felix Meyer aus Magdeburg nnd
Dr. M>riti Guts aus Fisehach ansgeführten Untersuchungen. Ans dem hygieni¬
schen Institut der Universität Würzbnrg. Archiv für Hygiene; Bd. 43, H. 2.
Lehmann hat durch exakte Untersuchungen in vitro ziffermässig die
hohe Bedeutung nachgewiesen, welche gutes Kauen und Kochen der 8peisen
für die Ausnutzung unserer Nahrung haben. Dr. Lentz-Berlin.
Ueber die Wirkung des Einlegens von Fleisch in verschiedene
Salse, Von Dr. phil. Kuschel, früher Assistent am hygienischen Institut
der Universität Berlin. Ibidem.
Kuschel hat Versuche über die Konservirang von Fleisoh durch Ein¬
legen desselben in verschiedene Salssorten in 8nbstans angestellt, wie sie prak¬
tisch für die Einfuhr von Fleisch aus Amerika nach Deutschland in Wmg e
kommt. Dabei fand er. dass Borsäure, Borax nnd Salpeter nicht im Stande
sind, die Fänlniss des Fleisches hintanzuhalten, dass sie anderseits in solchen
Mengen in das Fleisch eindringen, dass daraus für den Konsumenten die Gefahr
einer Gesundheitsstörung resultirt. Letzteres gilt auch für schwefligsaures
Natron. Dieses Salz entzieht auch, ebenso wie Kochsalz, dem Fleisch so viel
Wasser, dass es trocken und brüchig wird. In Folge dieser ungünstigen Ein¬
wirkung eignet sioh auch das einzige gesundheitlich nicht zu beanstandende
Salz, das Kochsalz, in Sabstanz nicht für diese Art der Fleisehkonservirang.
Dr. Lentz-Berlin.
Bakterielles Verhalten der Milch bei Boraxsusats. Von Marine-
stabsarzt Dr. Albreoht u. P. F. Richter, Assistent. Aus den hygienischen
Instituten der KönigL Universität Berlin. Ibidem.
Erst ein Zusats von 4Borax zur Miloh verhindert gänzlich ihre Ge-
Klettere Mittheilungen and Referate au Zeitschriften.
266
riunung. Solche Milch ist aber in Felge ihres unangenehmen Gesehmaokes
nageniessbar. Bei kurier Einwirkung du Borax wird das Bakterienwachsthum
nicht gehemmt. Bei Magerer Einwirkung des Seines ist dagegen eine deutliche
Waohsthumshemmung für Oidiom lactis wie für die Bac. acidi J&ctid Hüppe
und Günther nu bemerken. Die Finlnissbakterien werden dagegen durch
Borax nicht beeinflusst. __ Dr. Lenti- Berlin.
Chemische Untersuchung eines neuen im Handel befindlichen
Dauerwuratsatses „Borolin“ und eines ,,Danerwnrstgewüraes u , Von
Dr. Adolf Günther, wisschaftl. Hilfsarbeiter im Kaiserl. Gesundheitsamte. Ar¬
beiten au dem Kaiserl. Gesundheitsamt«. Nennsehnter Band. 2. Heft. Berlin
1902. Verlag Ton Julias Springer.
Die Analyse ergab, dass beide Konservirangsmittel nu Bohrsacker,
Koehsals, Kalisalpeter and BorsKare bestehen und das letztere ausserdem mit
genossenem and ungestossenem Pfeffer vermengt ist. Der Zusats von Borsäure
ist in keinem der Präparate gekennzeichnet. Dr. Bost-Rudolstadt.
Ueber den Miubranch der Borsftnre. Von Dr. Wilhelm Dosquet-
Manasse. Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft. Ber¬
liner Klin. Wochenschrift; 1902, Nr. 60.
Die Benutzung der Borsäure sur Konserrirung von Fleisch, bei der es
sieh stets um die Anwendung hoher Prozentsätze handelt, ist schon deshalb
an verwerfen, weil sie dazu dienen kann, den schlechten Zustand des Fleisches
zu verdecken. Sie selbst wirkt auf den menschlichen Körper als Zellgift.
Jedes unserer Antiseptioa, das geeigoet ist, die Bakterien zu vernichten, be¬
einträchtigt aber auch den Nährwerth und die äusseren und inneren Eigen¬
schaften des Fleisches und muss schliesslich für die dauernde Ernährung der
Menschen schädliche Wirkung haben. Dasselbe gilt für die längere Einwirkung
des alle Keime zerstörenden Dampfes. Dieser nimmt dem Fleisch den Leim¬
gehalt and maoht es zähe und minderwerthig. Verfasser empfiehlt daher seine
Methode der Fleisobkonservirnng durch Kochen und Versebliessen in sterilen
Büchsen. Die so hergestellten Präparate können ohne Weiteres nach Prof.
Noordens Ausspruch mit frischer, nicht konservirter Waare konkurriren.
Dieses auf Asepsis gerichtete Verfahren zeigt, dass wir aller verbotenen Zu¬
sätze entrathen kOnuen. Dr. Räuber-Düsseldorf.
Ueber die Wirkung der Borsäure und des Borax. Von Prof.
Dr. 0. Liebreich-Berlin. Vierteljihrssohrift für gerichtliche Medizin; 1903,
Bd. XXIV, Heft 1.
Die vor einigen Jahren von 0. Liebreich vorgeschlagene Konservirung
von Nahrungsmitteln daroh Borsäure ist von Hygienikern und namhaften
Pharmakologen verworfen worden. Bereits 1900 hat L. einige Thierverenche
veröffentlicht, 1 ) die die Unschädlichkeit der Borsäure erweisen sollten. Diese
Versuche sind von anderer Seite bemängelt worden, besonders diejenigen,
welche zeigen sollen, dass eine 5 Minuten lang dauernde Bespülung der Schleim¬
haut von Magen und Darm keinerlei Schädignng hervorbringt. Bei den Tbieren,
welche innerlich Borpräparate erhielten, hat laut Protokoll keine Sektion statt-
gefuuden; eine solche wäre bei einigen der Thiere von Interesse gewesen, so
bei dem in Beilage Nr. 3 erwähnten jangen Kaninchen, das innerhalb 10 Tagen
bei täglicher Zufahr von 0,3 g Borsäure nur 30 g an Gewicht sunahm, während
ein anderes nur wenig grösseres in der gleichen Zeit bei Zufuhr von nur 0,1 g
p. die ca. 130 g’sunahm. Auch bei einem grösseren Thier, das 6 g Borax
erhalten hatte,'ist kein'Sektionsbefand erhoben.
In der gleich betitelten soeben erschienenen zweiten Abhandlung kri-
tisirt L. die Versuche und Angaben der Antoren, welche den Borpräparaten
ungünstige Eigenschaften nachsagen und bringt einiges neues experimentelles
Material bei. Das Wichtigste davon ist eine grössere Anzahl von Versuchen, ln
denen eine Boraxtösnng (10:170) den Thieren, Kaninchen, intravenös einverleibt
ist und zwar bis längstens 89 Stunden 80 ocm = 1,764 g Borax. Es wurde auch
- z*
0 Siehe Vierteljahrasobr. f. geriehtl. Medizin n. Offentl. Geeundheitspfleg
Bd. XIX, H. 1.
254
Kleinere Mittbeilangen and Referate ans Zeitschriften.
sniofet die ieiseete Andeutung einer pathologischen Veränderung* an den Nieren
gefunden. Diesen Versuchen gegenüber ist jedoeh einsuwenden, dass sie nicht
vollständig die bei interner Darreichung in Betracht kommenden Verhältnisse
wiedergeben. Wir wissen nicht einmal, wie viel von dem intravenös einver¬
leibten Stoffe wirklich durch die Nieren den Organismus verlässt — man kennt
für eine Reihe von Substanzen eine Ausscheidung in den Magen-Darmkanal —,
ferner: die Sabatanz hat, wenn auch in stärkerer Konzentration, doch vielleicht
flachtiger auf die Nieren eingewirkt, als bei innerlicher Darreichung der
S leichen Dosis I Ueberdies ist von zahlreichen Stoffen nachgewiesen, dass erst
er fortgesetzte Gebrauch ganz allmählich zu erkennbaren pathologischen Ver¬
änderungen fahrt. , Dr. Hildebrandt-Berlin.
Die Verwendung der Borsäure in der inneren Mediain. Von Med.-
Rath Dr. Q. Merkel in Nürnberg:. Münchener mediz. Woehenschr.; 1903, Nr. 3.
Die verschiedenen Diskussionen der Neuzeit über die Schädlichkeit oder
Unschädlichkeit der Borsäure als Kooservirungsmittel') haben den Verfasser
veranlasst, Erfahrungen am Krankenbette über die Verwendung der Borsäure
als Medikament in inneren Krankheiten bekannt zu geben. Verfasser wendete
das Mittel and zwar meistens mit Erfolg in dieser Beziehung, hauptsächlich
als Diureticum an, meistens in der Form von 1 bis 2 g auf 1 Liter Wasser
innerhalb 24 Stunden, eine Dosis, welche recht wohl bei dem gebräuchlichen
Zusatz von Borsäure zu Lebensmitteln ebenfalls anfgenommen werden kann.
Von 11 Kranken, deren Krankengeschichten zum Theil mitgetheilt werden,
nahmen nur 4 das Mittel, ohne Verdauuugsbeschwerden zu bekommen; 7 klagten
im Laufe der Behandlung über Magenbeschwerden mit Gasauftreibnngen des
Magens, Koliken, Magenachmerzen und Durchfällen, Erscheinungen, welche
nach den jeweiligen Beobachtungen zweifellos mit dem Mittel in Zusammen¬
hang standen.
Bezüglich der äusseren Anwendung der Borsäure konstatirte Verfasser,
dass ein Herr wegen lästigen Rachen- und Nasenkatarrhen sich stets mit gutem
Erfolg kleine Mengen Borsäure auf die kranken Schleimhäute aufblasen lieas,
worauf jedes Mal Erytheme an den verschiedensten Stellen des Körpers folgten,
welche einige Tage anhielten und mit Sistirung der BorsäureeinblaBung sofort
verschwanden.
Verfasser ist nicht recht geneigt, Beobachtungen am Krankenbette in
Besag auf Mittel, welche in der Lebensmittelbranche Verwendung finden, auf
Verhältnisse Gesunder überzutragen und will nicht zugeben, dass man daraus,
dass einzelne Mittel mit Erfolg bis zu einer gewissen Grenze Kranken verab¬
reicht werden, die Berechtigung ableitet, dieselben Mittel bis sn der ange¬
nommenen Maximaldose oder überhaupt als Zusatz zu Lebens- und Genuss-
mitteln zuzalassen. Verfasser erkennt auch den Einwurf an, dass manche
Kranke gegen gewisse Schädlichkeiten mehr reagiren als Gesunde, verlangt
aber doch, dass die Beobachtangen am Krankenbett nicht unbeachtet bleiben,
wenn es sich um Zulassung eines Stoffes zar Verabreichung an völlig harmlose
Menschen handelt, welche unbewusst und unfreiwillig mit einem Genuss- und
Lebensmittel zu demselben nicht gehörige chemische Stoffe in sich aufnehmen.
Nicht zu vergessen ist, dass gerade die bei der Borsänreverwendang in
Betracht kommenden Lebensmittel mit besonderer Vorsicht Kranken gereicht
werden müssen, die alsdann noch schlechter daran sind, als Gesunde.
Von diesem Standpunkte aus muss die Borsäure als höchst ver¬
dächtig und unter Umständen als schädlich für den Konsumenten be¬
zeichnet werden.
Auch dürfte nach den Beobachtungen des Verfassers kein Zweifel be¬
stehen, dass die hier in Betracht kommenden Fleischkonserven auch ohne
Borsäure haltbar hergestellt werden können.
Zum Schloss bemerkt Verfasser noch, dass nach den Borsäuredarreicbungen
bis zu 17 Tagen nach Beendigung der Versuche Borsäure im Urin nachge¬
wiesen werden konnte and zwar in einer Menge, die den Einwand nicht ge¬
stattet, dass es sich um zufälligen Borgehalt aus normaler Nahrung handeln kann.
Dr. Waibei-Kempten.
') Siehe Referat in Nr. 1, 1908, S. 44 in dieser Zeitschrift.
Kleinere Mittheilnngen and Referate aas Zeitschriften.
266
Borsäure als Koneervi rungsmittel. Beiträge zur Benrtheilang der
Angriffe gegen das Verbot der Verwendung von Borsäure and deren Salzen bei
der Zabereitnng von Fleisch. Von Dr. E. Rost, Regiernngsxath and Mitglied
des Kaiserlichen Gesundheitsamts. Berlin 1908. Verlag von Jal. Springer.
Das daroh Bekanntmachang des Reichskanzlers vom 18. Febraar 1902
erlassene Verbot der Verwendung von Borsäare and deren Salzen bei der Za¬
bereitang von Fleisch hat namentlich in Interessentenkreisen ausserordentlich
viele Angriffe erfahren, die z. Th. aaf fachmännische Untersnchnngen and
deren angeblich negativen Ausfall in Bezug aaf die Qesnndheitsschädiichkeit
der Borpräparate begründet worden. Die Angriffe richteten sich nicht nur
gegen den Reichsgesondheitsrath and das Reicbsgesundheitsamt, sondern naeb,
and zwar in erster Linie, gegen den Verfasser der vorliegenden Abbandlaag,
dessen im amtlichen Aufträge aasgeführten Untersnchnngen die Grandlagen
für die Gutachten des Reicbsgesnndheitsraths and des Reichsgesundheitsamts
gebildet hatten; von einer Seite — Dr. Gerlach — hat man sich sogar
nicht gescheut, die wissenschaftliche Ehrlichkeit des Verfassers in Zweifel so
ziehen. Wenn non auch die Gerlaoh’sche Arbeit von Dr. Hans Meyer
(Hygienische Rundschau; 1902, Nr.24) als eine weder sachlich gehaltene, noch
sochkondige and daher unberufene Kritik in scharfer Weise znrückgewiesen ist
and sich inzwischen eine erhebliche Anzahl von hervorragenden Aatoien im
Gegensatz zn Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Liebreich für die Nothwendigkeit
des Borsäoreverbots auf Grund ihrer Beobachtungen ausgesprochen haben —
Kiouka and Pfeiffer, Hofmann-Leipzig, Merkel-Nürnberg (s. vorher)
u. a. — so hat sich Verfasser doch veranlasst gesehen, auf die ungerechtfertigten
Angriffe zu antworten und diese in der vorliegenden Abhandlung nach ollen
Richtungen hin in sachgemässer Weise zu beleuchten, um damit Jedermann
Gelegenheit za bieten, ssine und die gegnerische Ausführungen auf ihren sach¬
lichen Werth zu prüfen. — Die betheiligten Kreise können dem Verfasser für
diese mühevolle Arbeit nur dankbar sein; seine Ausführungen sind ebenso
überzeugend als sacbgemäss. Nach einer kurzen Einleitung werden zonächst
die allgemeinen Gesichtspunkte zur Beurtbeilnng der Borverbindangen als
Konsorvirungsmittel, sodann die einzelnen Wirkungen derselben anf den mensch¬
lichen KOrper erörtert und schliesslich in der Anlage die Angriffe des Dr. Ger¬
lach in schlagendster Weise widerlegt. In den Schlusssätzen seiner Aus¬
führungen hebt Verfasser hervor, dass eine allgemeine Verwendung von Bor¬
verbindangen zur Lebensmittelkonservirang mit der Verbreitung des sogenannten
„ Aseptins', eines borsäarehaltigen Präparates, begO'nen bat, dass aber schon
früher verschiedene Sachverständige (Binz, Kobert, Lewin, Knnkel
u. s. w.) vor der Lebensmittelkonservirang durch Borpräparate gewarnt haben,
selbst der jetzige warme Vertheidiger derselben, Prof. Dr. Liebreich, hat
im Jahre 1896 nach Genuss der mit * Aseptinsäure“ — Borsäure enthaltenden
KoaservirangHmitteln — versetzten Nahrungsmitteln Vergiftungen beobachtet.
Die ausserordentliche Zunahme des Gebrauchs von Borverbindungen in den
letzten Jahren ist nach Ros t’s Ansicht darin zu suchen, dass diese Stoffe in
annähernd reinem Zustande für einen geringen Preis käuflich, haltbar and
leieht za handhaben sind, nnd ihre Gegenwart in damit behandelten Lebens¬
mitteln sioh selbst bei Verwendung ganz grosser Mengen weder durch Gerach
and Aussehen der betreffenden Nahrungsmittel, noch durch deren Geschmack
verrätb, während sich die anderen üblichen Konservirangsmitteln, Pfeffer, Essig,
Salpeter and Kochsalz bei Ueberschreitung der üblichen Mengen sich durch
ihren Geschmack Jedermann kenntlich machen. Dazu kommt, dass die anti-
septische nnd damit aach konservirende Kraft der Borverbindangen sehr ge¬
ring and demgemäss zu einer einigermossen sicheren Haltbarmachung von
Lebensmitteln der Zusatz nioht unbeträchtlicher Mengen Borverbindangen noth-
wendig Ist, wie solches auch thatsächlich in der Praxis geschieht.
In Bezug auf die Wirkungen der Borverbindangen aaf den
menschlichen KOrper betont Rost, dass die Behauptung, Borax verur¬
sache leichter als Borsäure Reiznng nnd ROthang der Schleimhäute
beim Thier and damit wohl auch beim Menschen, aufrecht erhalten werden
müsse; Borsäure entfalte jedoch ebenfalls unter gewissen Umständen röthliehe
Reiswirkungen. Auch Roese and von Noorden haben durch einwandfreie
Versuche die sehädlioheu Wirkungen der Borpräparate auf die Mundschleim¬
haut erwiesen; desgleichen hat Hof mann auf Grand neuerer Versuche am
256
Tagesnachrichtea.
Hai und »■ biiaeba allgemein die Ortlide Beizwirkuag der Berel er» be-
etiaat kehuptat ui Herbei (s. des vorstehende Befere») neuerdings bei
Ereakee Heb Io Magon b cechwerden äussernde Ortliehe Wirkungen beschrieben.
Trete Liebreieh'a Einwendnngen kouut den Borprftperekea aater
gewissen Uoatladea eine breehenerregende Wirkung am. laden aaeb
Geaast g roeeer Mengen tob Borverbindeegen beobaehtetea VergiftaagsflUea
«teilt daa Erbrechen sogar eia faat regelnlaaig wiederkebreadea Symptom dar.
E b e ns o uaaa aa der VOgliehkeit der Enengaag tob diarrbOiaehea Zn-
atiadea beim Keaechen dareb Borsänregennss feetgebaltea werden. Dareh
Hnwsndsfrei beobachtete Pille (Heffter, Boehm, Merkel) iat aaeb die
Eigenschaft der Borsäure, Hantaaaaehlige be r ro rearnf ea, eaehgewieeea.
Desgleichen stehe tbatalcblich fest, dass die Borverbindungen sehr langsam
aas dem KOrper aasgesehiedea werden, wiederholte Gaben Heb im Körper
aahiofea, and schon Gaben von 8 g, liagere Zeit genossen, sa einer solchen
Aufspeicherung der Boroinre im Körper führen, dass mit der Gefahr einer
dadurch entstehenden Erkrankung um so mehr gerechnet werden muss, als die
Ausseheidang der Borslare im Gegensatz n Kochsalz and anderen Stoffen
dareh eine gesteigerte Durehspttlung dea Körpers nnd eine reichlichere Harn¬
abscheidung bewirkendes Waasertrinkea nicht beeinflusst wird, sondern sich nur
langsam vollzieht. Vor Allem bedingen aber die Borprlparate eine Verzöge¬
rung oder Herabsetzung der Ausnutzung der Nahrung, die tat
Versuchen am Menschen und Thier tob zahlreichen Autoren (Heffter,
Förster, Bubner), auch von Liebreich selbst mannigfaltig erwiesen ist.
Und sieh aueh bei den indirekten Versuchen Bost’s gezeigt hat, bei denen
deutlich die Besorptionsrerxögerung zur Erscheinung gebracht ist. Insbesondere
haben auch in allen am Menschen, wie am Thiere im Gesundheitsamte an ge¬
stellte* SteffweehselTersuehen die Borslnre nnd der Borax eine Abnahme
des Körpergewicht« herrorgerufen. Bubner konnte bei swei Versuchs¬
personen als Ursache für die Gewichtsverluste eine durch Borsäure «pesiflseh
bis su 80*!o gesteigerte Zersetzung der stickstofffreien Körpersubstans und
vermehrte W a sser a bgabe feststellen.
8iehergestellt ist demnach Folgendes:
.Die Borslnre ist ein Konservirungsmittel von geringer derinflrireuder
Kraft and vermag nur bei Anwendung verhlltnissmlssig g rosser Mengen vor
der Zersetzung su schätzen. 8ie kann täuschend wirken, indem He ein Mal
das Gewicht der Waaren vermehrt und ausserdem ermöglicht, eine grossere
Menge Wasser in dem damit behandelten Fleische surileksuhalten, als beim
Pökeln mit 8als und beim Blachern darin verbleibt. Selbst ein grosser Zusatz
verrlth Heh dem Geniessenden weder durch den Geschmack, noch durch dea
Geruch. 8ie wirkt direkt schädigend, indem einerseits die FMsebnabrung vom
menschlichen KOrper schlechter ausgenutzt und anderseits die Ernährung dea
Mensehen durch He so beeinflusst wird, dass das Körpergewicht abnimmt. Mit
dieser Wirkung ist am so mehr su rechnen, als die vollständige Ausseheidang
der Borsäure aus dem menschlichen KOrper «ehr lange Zeit in Anspruch nimmt.
Was von der Borslnre gesagt ist, gilt im Wesentlichen auch vom Boraxt 11
Hoffentlich beruhigen Hch jetzt nun die Widersacher des Verbots der
Verwendung von Borverbindnngen als Konservirungsmittel für Fleisch und
dessen Zubereitungen. Dasselbe ist aueh in der 8itsung des Beiehstages vom
96. Februar d. J. zur Erörterung gelangt (s. 8. 236) und hat hier mit Bucht mehr
Freunde als'Gegner gefunden. Bpd.
Tagetnaehrichten.
Aua daa Aelohstnge. In der Sitzung am 27. Februar gelangte die
Novelle aum Krankeuversieherungsgeaetze zur Ber*thung. Der Staats¬
sekretär des Innern, Graf v. Posadowski, begründete zunächst die drei
wichtigsten Veränderungen, welche der Entwarf bringt: Verlängerung der
Krankenversicherung auf 26 Wochen, Verlängerung der Krankenfflreorge für
Wöchnerinnen, sowie Ausdehnung dieser Fürsorge anch auf Geschlechtskranke,
und wies hierauf den Vorwurf, daa das Verhältnis« zwischen den Kranken¬
kassen und den Asnten besw. Apothekern in dem Entwnrfe unberücksichtigt
geblieben sei, als unberechtigt zurtick, da die Aerste- und Apothnkerfrage noch
Tagesaachriehten.
257
nicht genügend geklärt and spruchreif sei. Die Abg. Gsmp (Reicbspartei),
Dr. Bademann and Dr. Hoimaan (nat.-lib.), Lensmann (in. Volkapart.),
▼. Csarlinaki (Pole) and Raab (Reformp.) sprachen sich dagegen entschieden
für eine Regelang besonders der Aerstefrage aas, wiesen aaf die anw&idige
Stellung and Honorirnng der Krankenkassenärste hin, die am besten durch
gesetsliehe Znlassang der freien Aentewahl beseitigt würde. Von den
Abg. Molkenbuhr (Sosialdemokrat), Hoffmeister nnd Roesieke
(frs. Vereinig.) warde anderseits ein Nothstand der Aerste bestritten, sowie
die Einführung der freien Aerstewahl als unausführbar beseiehnet, da die
Krankenkassen, namentlich die kleineren, dadurch sn sehr geschädigt würden.
Im Uebrigen wurden noch mehrere Wünsche: Ausdehnung der obligatorischen
Krankenfttrsorge auch aaf Landwirthschaft, Hausindustrie, Handwerker, Hand*
lungsgehülfen (Molkenbuhr, Raab, Hoffmeister, Roesieke), sowie
auf die Familienangehörigen (?. Riehthofen [kons.]) vorgebracht, denen
gegenüber der Staatssekretär Graf v. Posadowsky ein schrittweises Vorgehen
empfahl. Schliesslich wurde die Vorlage an eine Kommission yon 21 Mit¬
gliedern verwiesen; die Aussiehten aaf ihre Verabschiedung in dieser Session
sind naeh dem Ergebniss der ersten Berathung verhältnissmässig günstig.
Ans der Sitsung vom 23. Februar, in welcher der Etat des Kaiser¬
lichen Gesundheitsamts berathen wurde, ist noch naehsutragen, dass
der Staatsminister Graf v. Posadowsky gegenüber den schweren Vorwürfen
des Sosialdemokraten Antriek über mangelhafte Zustände in verschiedenen
Öffentlichen und privaten Kranken- und Irrenanstalten (Sanatorium von Dr.
Pitsehorius in Altenbraek, Privatirrenanstalt des Dr. Edel in Charlotten-
bnrg, CharitO (insbesondere Ohrenklinik) in Berlin, Berliner städtische Irren¬
anstalten, städtisches Krankenhaus in Altona u. s. w.) betonte, dass Misshand¬
lungen von Geisteskranken in Irrenanstalten nur su den höchst seltenen Aus¬
nahmefällen gehörten und stets mit sofortiger Entlassung bestraft würden.
Desgleichen hob er hervor, dass sich die vorjährigen ähnlichen Angriffe des¬
selben Abgeordneten bei den darüber später angestellten Ermittelungen als
unbegründet herausgestellt hätten. Abg. Antrick bestritt dies nnd wies
nochmals auf die Ueberbürdung, die su lange Arbeitsseit und sohlechte
Besahlang des Krankenpflegepersonals hin.
In derselben Sitsung kam, wie bereits in der vorigen Nummer der Zeit¬
schrift erwähnt ist, auch die Wurmkrankheit im westfälischen Kohlenrevier
sur Sprache. Der Abg. Sachse (Sosialdemokrat) begründete eine von ihm
beantragte Resolution: „den Reichskansler su ersuehen, der im Ruhrkohlen-
revier bereits bestehenden Kommission *) sur Bekämpfung der gefahrdrohenden,
sunt Schaden auch der GesammtbevOlkerung um sich greifenden Wurmkrank¬
heit unter den Bergleuten wissenschaftliche Kräfte und Mittel des Reichs sur
*) Der aus je drei Bergwerksdirektoren, Knappschaftsärsten und dem
Oberknappschaftsarst Med.-Rath Dr. Tenholt bestehende Sonderausschuss
sur Bekämpfung der Wurmkrankheit hat eine Karte des Besirks
des Allgemeinen Knappsshaftsvereins in Bochum, in dem sämmtliehe Ruhr¬
sechen liegen, anfertigen lassen. Aus dieser Karte, in der die mitderWnrm-
krankheit verseuchten Zechen besonders beseiehnet sind, geht hervor, dass
namentlich die Bergreviere Dortmund HI, Herne und Nord-Bochum, die dis
eigentliche Hers des Ruhrbesirks bilden, den Herd der Seuche bilden. Sämmt¬
liehe in diesen drei Bergwerksrevieren gelegenen Zechen weisen eine mehr
oder minder grosse Ansahl Wurmkranker in ihrer Belegschaft auf. Aus einer
der Karte beigefügten statistischen Uebersicht ist su ersehen, dass vornehm¬
lich die Gruben, die sum Berieseln der Grubenräume Grundwasser verwenden,
von der Seuche betroffen worden sind, während die Zechen, die nur mit Lei-
tungs- oder Brunnenwasser berieseln, verhältnissmässig wenig Wurmkranke
haben. Auch die mehr oder minder hohe Temperatur in den mit Berieselungs-
anlagen versehenen Gruben hat auf die Ausbreitung der Seuche grossen Ein¬
fluss. Je hoher die Temperatur, desto grosser auch die Zahl der von der
Wurmkraukheit befallenen Arbeiter. Der Sonderausschuss empfiehlt den Zechen¬
verwaltungen, nur solche Leute als Grubenarbeiter ansunehmen, die eine Be¬
scheinigung beibringen, dass bei mikroskopischer Untersuchung des Kotbes
Wurmkeime nioht gefunden worden sind.
268
Togesnachriehten.
Verfügung zu stellen and den Reichstag Ober die getroffenen Massnahmen and
deren Erfolge Bericht za erstatten".
Der Abg. Hilbeck (nat.-lib.) bestätigte, dass die Warmkrankheit in
den letsten drei Jahren einen bedrohliehen Umfang angenommen habe; die
Ursache davon sei noch nicht bestimmt begründet, wahrscheinlich sei sie in
der sar Beseitigung der Gefahr der schlagenden Wetter neneingefflhrten Be¬
rieselung der Graben sa Bachen; die Berieselung bespüle die Faeces and be¬
günstige die Ansteckung. Die Zechen seien gern bereit, die Kosten sar Be¬
kämpfung der Krankheit na tragen, die Zeche „Graf Schwerin" wolle z. B..
täglich 2000 Mark für diesen Zweck aasgeben. Bs geschehe schon jetst alles,
am die Krankheit sa bekämpfen, jede einseine Zeche würde wöchentlich zwei¬
mal revidirt.
Der preussische H&ndelsminister Müller führte in gleicher Weise wie
im Prenssisohen Abgeordnetenbaase am 18. Febrnar ans, dass die Krankheit
glücklicherweise bisher nnr auf das westfälische Revier beschränkt und in
keinem anderen Bevier aufgetreten sei. Ueber die Art der Bekämpfung seien
die ärztlichen Aatoritäten nicht einer Meinung gewesen; jedenfalls besässen
aber diejenigen Aerzte, die jetzt in dem rheinisch - westfälischen Bevier sich
mit der Frage befasst haben, insbesondere der Oberknappschaftsarst Med.-Rath
Dr. Tenholt 1 ) and der Chefarzt des grossen Krankenhaases „Bergmannsheil*
in Bochum, Prof. Dr. LObker, ausserordentliche Erfahrungen über die hierbei
in Betracht kommenden Verhältnisse. Gleichwohl werde der Minister im Verein
mit Kommissaren des Medizinalministers kontrolliren lassen, ob alle VorsichtBi
massregeln getroffen seien. Unter den 18 Bevieren des Oberbergamts Dort¬
mund seien übrigens nnr 2 in hohem Grade mit der Warmkrankheit verseucht,
nämlich die Zechen Erin and Graf Schwerin, aaf denen vom 1. Juli 1899 bis
1. Oktober 1901 287 bezw. 210 Fälle nnr ärztlichen Behandlung kamen.
Die Angelegenheit sei stets aufmerksam von Seiten des Oberbergamts
verfolgt. Von Seiten der Aerzte werde hauptsächlich die Berieselung als Ur¬
sache beschuldigt; dieselbe solle deshalb versuchsweise eingeschränkt bezw.
aaf bestimmte Strecken, die besonders stark infizirt seien, überhaupt eingestellt
werden; selbstverständlich müssten dann aber andere Vorsichtsmassregeln gegen
die Explosionsgefahr ergriffen werden. Mit Abortkübeln seien die Zechen hin¬
reichend aasgestattet, eine Zeche sei so ungewöhnlich stark mit Abortkübeln
versehen, dass aaf je vier Monn ein Kübel komme, bei allen anderen wenigstens
aaf je 12 Mann ein Kübel. An dem Mangel an Abortkübeln liege es jedenfalls
nicht, dass die Zahl der Warmkrankheitsfälle auf einzelnen Zechen so gross
sei. ln Uebereinstimmang mit dem Knappschaftsvorstand ist der Minister der
Ansicht, dass die Angelegenheit gründlich erfasst and vor allen Dingen anf
den hauptsächlich infizirten Zechen jeder Mann untersucht werden müsse, weil
nur aaf diese Weise eine wirklich ernste Bekämpfang möglich sei. Es sei
allerdings eine fast unmenschliche Aufgabe, die Exkremente einer Belegschaft
von mehreren tausend Monn alle einzeln mikroskopisch sa untersuchen und
nach dem Ergebnis dieser Untersuchungen die schwerkranken Leute alle aus-
zosoheiden. Die Durchführung der Massregel werde aber dadnrch erleichtert,
wenn man nach dem Vorschläge des Med.-Raths Dr. Tenholt zwischen
Warmbehafteten and Warmkrankheiten unterscheide.
Mittel für die Bekämpfang der Krankheit zu bewilligen, sei überflüssig,
da diese reichlich vorhanden seien. Anfs Geld komme es den Zechen überhaupt
gor nicht an, sie wollen vor Allem die Sencbe los sein, ohne Rücksicht anf die
Kosten. Insbesondere müsse aber immer wieder aaf die Arbeiter eingewirkt
werden, dass sie die Abortkübeln auch benutzen; leider unterbleibe dies sehr
häufig, obwohl den Arbeitern bekannt sei, dass sie durch diese Leichtfertigkeit
ihre ganzen Mitarbeiter in schwere Lebensgefahr bringen.
Anf eine Erwiderung des Abg. Sachse erwähnte der Minister dann
noch, dass die Besitzer der grossen Bergwerke, denen die verseuchten Zechen
gehören, auch nach Ungarn eine Kommission geschickt haben, um dort die
Massregeln zur Bekämpfang der Seuche za stadiren. Er hofft übrigens, dass
dieselbe den Höhepunkt überschritten habe.
*) In einer der nächsten Nammen der Zeitschrift werden wir eine von'
H. Med.-Bath Dr. Tenholt verfasste ausführliche Abhandlang über den
jetzigen Stand der Seuche bringen.
Tageeoachriehten.
960
An« dem preuseisohen Abgeordnetenhaus#. ln der Budget-
kommission wurde bei Berathnng des Medizinaletats tob einer Seite gerügt,
dass die Kreieirste vielfach za scharf vorgingen. Von Seiten der Begierong
wnrde zngesagt, dass nach dieser Bichtang hin den Kreisärzten ein verständiges
Maas zur Pflicht gemacht werden solle. Aaf eine Anfrage, welche Erfolge die
bisherige Bekämpfang der Granulöse gehabt hätte, wurde von dem
Begierungskommissar erwidert, dass es in den Bezirken Königsberg nnd Gum¬
binnen durch planmässiges Vorgehen gelungen sei, die Seuche immer weiter
einzu8chränken. Schwierig sei, zu verhindern, dass durch die S&chsengängerei
die Granulöse auch in anderen Provinzen eingeschleppt würde. Indess seien
nach dieser Bichtung hin auch Vorsichtsmassregeln getroffen. Eine Anfrage,
betreffend die Bekämpfen g der Ursachen der Krebskrankheit wurde
dahin beantwortet, dass es bis heute noch nicht gelungen sei, wissenschaftlich
unanfechtbare Ergebnisse nach dieser Bichtung zu erzielen.
Die Kommission des Abgeordnetenhauses für die Vorberathung des Aus»
fikhrungegesetses cum Reichsneuchengesetc hat die §§. 1—4 u. 6 u. 7 ohne
wesentliche Veränderungen angenommen, dagegen §. 5, der dem Staateministerium
die allgemeine Ermächtigung ertheilt, die Bestimmungen des Gesetzes über die
Anzeigepflicht vorübergehend auch auf andere übertragbare Krankheiten für
Theile oder die ganze Monarchie auszudehnen, abgelehnt. Nach weiteren Mit*
theilungen in politischen Blättern soll das Zustandekommen des Gesetzes
jedoch stark gefährdet sein. Der Kommission erscheint das bisherige Angebot des
Staates bezüglich des Kostenbeitrages zu niedrig bemessen, zumal der Staat
das allergrOsste Interesse an der Regelung dieser Angelegenheit haben müsse.
Bleibt die Staatsregierung auf ihrem bisherigen ablehnenden Standpunkte
stehen, so soll die Mehrheit der Kommission fest entschlossen sein, die Vorlage
ganz fallen zu lassen.
In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 11. d. M. wurde
von dem Abg. Dr. Bügen borg die Errichtung eines Lehrstuhls für ge¬
richtliche Medisin an der Universität in Bonn angeregt und dies» von Seiten
der Begierung zngesagt, sobald es die Finanzlage gestatte. Auf mehrfache
Anfrage wegen Errichtung einer medizinischen Fakultät an der Uni¬
versität in Münster i. W. erwiderte der Medizinalminister Dr. Studt,
dass diese vielleicht später in Erwägung gezogen werde.
Der am 7. d. Mts. in Berlin abgehaltene ausserordentliche Deutsche
Aerstetag, auf dem 19114 Aerzte durch 847 Delegirte vertreten waren, hat in
Bezug auf die Novelle zum Krankenversicherungsgesets dennach-
folgenden Antrag des Geschäftsaussohusses nach Begründung durch Hofrath
Dr. Mayer-Fürth einstimmig angenommen:
,1. Der am 7. März 1903 in Berlin zusammengetretene ausserordentliche
Deutsche Aerstetag stellt mit Bedauern fest, dass in dem Entwürfe eines Ge¬
setzes über weitere Abänderungen des Krankenversicherungsgesetzes, der am
27. Februar d. J. in erster Lesung vom Deutschen Beichstage berathen und
einer Kommission überwiesen wurde, den langjährigen, einmttthigen und durch¬
aus spruchreifen Forderungen der deutschen Aerzte wiederum nicht Rechnung
O en worden ist, obwohl der Deutsche Aerstevereinsbund seit Bestehen des
Bnversicherungsgesetzes nicht nachgelassen hat, auf die Schädigungen hin¬
zuweisen, die aus diesem Gesetz sowohl für den ärztlichen Stand, wie für die
Versicherten erwachsen sind. Um die aus dieser Sachlage drohenden Gefahren
abzuwenden, richtet der Deutsche Aerztetag an die Reichsregierung nnd an
den Reichstag die Aufforderung, die in der Denkschrift des Deutschen Aerste-
vereinsbundes an den Bundesrath begründeten Wünsche der deutschen Aerzte
naeh Anhörung von ärztlichen Sachverständigen zu berücksichtigen.
2. Im Hinblick auf die bisher fruchtlosen Versuche, die Beiehsregierung
zur Berücksichtigung der ärztlichen Forderungen zu veranlassen,
ruft der Deutsche Aerztetag die deutschen Aerzte auf: bis zur zufrieden¬
stellenden LOsung der Kassenarzt frage in festem Zusammenschluss die Mittel
der Selbsthilfe nachdrücklich anzuwenden.“
Mit grosser Mehrheit wurde ausserdem beschlossen, den nächsten ordent¬
lichen Aerstetag in KOln noch in diesem Jahre abzuhalten.
260
Tagesnaohriehten.
Geh. Med.-Ruth Prof. Dr. Bob. Koch ist com auswärtigen Mit¬
glied der Akademie der Wissenschaften so Paris gewählt worden.
Ans den vorjährigen Sitsnngsprotokollen der bayerischen Aerzte-
kammern interessiren den Leserkreis dieser Zeitschrift besonders swei Anträge,
die beide von dem ständigen Ausschuss der Oberbayerischen Aerstekammern
ausgegangen und von allen Aerstekammern einstimmig angenommen sind. Der
eine Antrag betriflt den Erlass einer Dienstanweisung für die amt¬
lichen Aerste, für welche diejenige für die preussiscben Kreisärzte als
Vorbild gewünscht wurde, der andere die Errichtung von gerichtlich-
medizinischen Instituten an den Landesuniversitäten.
In LUbeok hat die Bürgerschaft einen Gesetzentwurf zur Errichtung
einer Aerstekammer und eines Ehrengerichts für Aerste angenommen.
Die Vereinigung Deutscher Hebammenlehrer wird ihre erste Ver¬
sammlung am 1. und 2. Juni d. J. in Würzburg abhalten.
Die diesjährige Hauptversammlung des Deutschen Apothekerver-
eins wird vom 25.-28. August in München staufinden.
Der erste Kongress nur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
hat am 9. d. Mts. in Frankfurt a. M. unter ausserordentlich zahlreicher Be-
theilignng von Vertretern der Verwaltnnga- und Militärbehörden, Landesver¬
sicherungsanstalten, Heilanstalten, humanitären Vereinen, sowie von hervor¬
ragenden Aerzten, Hygienikern, Juristen u. s. w. unter Vorsitz des Geb. Med.-
Baths Prof. Dr. Ne i ss e r-Breslau stattgefunden. Im Aufträge des Reichskanzlers
sowie des preussiscben Medisinalministers wurde der Kongress vom Geh. Ober-
Med.-Bath Dr. Kirchner-Berlin begrüsst mit dem Hinweis, dass an der
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten sich Wissenschaft und Praxis, Schule
und Kirche, alle Sachverständigen und Wohlfahrtsvereine betheiligen müssten.
Das Wichtigste sei die Aufklärung des Volkes. In gleichem 8inne begrüssten
der Oberpräsident Staatsminister Graf von Zedlitz-Trützschler-Kassel,
Oberbürgermeister Ad ick es-Frankfurt a. M. den Verein mit den besten
Wünschen für seinen Erfolg. — Wir werden in einer der nächsten Nummern
einen ausführlichen Bericht über die Verhandlungen bringen.
Die Schaffung einer einheitlichen Arzneitaxe für das ganze Deut¬
sche Reich wird jetzt von der verbündeten Begierungen ernstlich in Erwägung
gesogen. Auf das Ersuchen des Reichskanzlers bat sich das Kaiserliche Ge¬
sundheitsamt gutachtlich zu der Frage gebessert. Dasselbe kommt zu dem
Schlüsse, dass es sich nicht empfehle, eine Arzneitaxe ausschliesslich für die
Krankenkassen von Reichswegen aufsustellcn, sondern dass zweckmässig eine
Reichsarzneitaxe für alle Arzneiverbraueher festzulegen sei. Der Beichskansler
hat diesen Vorschlag des Gesundheitsamtes den Regierungen aller Bundesstaaten
zur Kenntniss gebracht, und soll sich die prenssische Regierung mit demselben
bereits einverstanden erklärt haben. Die prenssische Arzneitaxe gilt übrigens
schon in 19 Bundesstaaten, nur in den übrigen 6 Bundesstaaten gelten be¬
sondere Taxen, die sowohl in den Preisen für Arzneimittel, als auch in denen
für die Arzoeibehältnisse vielfach bedeutend verschieden und, ohne dass eine
innere Berechtigung dafür sich erkennen lässt.
Hotix. Vom 1. April ab wird die Zeitschrift für Medizinalbeamte
in neuer Orthographie gedruckt. Die verehrten Mitarbeiter werden ersucht,
dieselbe schon bei Abfassung ihrer Manuskripte thunlichst ansuwenden und
sie auch bei den Korrekturen zu berücksichtigen. Die Redaktion.
VerantwortL Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden i W.
), C. 0. Ihm, lm|L Mahl, i, W. Sah.-L. Hofbaahdnakani In Mlndan.
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§.883. „Wer dje TMHper&tar mehrere. Zehntel a.bör 3 8,5 ge*
«tiegen,. *u ist Fieber da an«i Bltt Af*t äu henachrichtigafi.'* '
%. 30£. *$$bt dieselbe {se. Temperatar) am mehrere ZebBteitiber
& bisAöf, «0 jat bereit« Fieber da.*
| 806. „Sobald ■ die Hebamme da» Auftreten ron Fieber od«*' Schmore-
: v; v '4 ***0&*i*'.d«f Qsbämatfcer bemerkt, Ist der 'Aral sn verlangen,*--, •;^V : «..' : -'- ;
§. 156, „Bis aal 38,5 darf die Körpenyärm« einer Wöchnerin nickt
%igeo, weau sie Bwb als geemtd gelten aol!. Wftte sie so hoob oder
dar aber, sd wdyi« die Hiosusiehneg: eiaea Afstes an TerlMgeo 8eiav ft
Etwas Vörworreßeies €X!8tiert nicht. Önnz abfes^hen davon,
dass der Begriff „Eieber“ eine dreifach verschiedefm Äaslegung
erfährt, bleibt gerade das, woran! es aüfcont.rpt, trotz der drei-
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16 . Jahrg.
Zeitschrift
190a.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt für gerichtliehe Medizin and Psychiatrie,
für arztliehe Saehferstaadigentätigkeit in Unfall- und Invaliditatesaehen, sowie
für Hygiene, öffentl. Sanitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung and Keehtnpreehnng.
Heraasgegeben
Ton
Dr. OTTO RAPMUND,
Regierung«- and Geh. Medizinalrat in Minden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die Verlagshandlung sowie alle Annoncenexpeditionen des In-
und Auslände« entgegen.
Nr. 7.
£rscheint mm 1. und 15. Jeden Monats
1. April.
Wochenbettfieber und Fieber im Wochenbett. Verhalten
der Hebamme dabei.
Von Dr. P. Baumm, Direktor der Provinzial-Hebammen-Lehranstalt in Breslan.
Eine neue Bearbeitung des Preussischen Hebammen-Lehr¬
buches ist vom Ministerium beschlossen. Viele Aendernngen werden
nötig sein, um es zeitgemäss zu gestalten, damit es vor den
Augen seiner Kritiker, wozu in erster Linie die Leser dieser
Blätter zählen, besteht. Besser aber als nachträgliches Kritisieren
dürfte es sein, schwache Punkte des alten Buches, Wünsche und
Hoffnungen, die man auf das neue setzt, bei Zeiten zur Sprache
zu bringen. Ein besonders schwacher Punkt sind die bisherigen
Vorschriften über das Verhalten der Hebammen bei Fieber im
Wochenbett und zwar diejenigen davon, die
1. von der Zuziehung eines Arztes und
2. diejenigen, die von der Meldepflicht handeln.
Die unter 1. fallenden Vorschriften lauten:
§. 833. «War die Temperatur mehrere Zehntel aber 38,5 ge¬
stiegen, so ist Fieber da and ein Arzt za benachrichtigen.“
§. 304. „Geht dieselbe (sc. Temperatur) am mehrere Zehntel Uber
38 hinauf, so ist bereits Fieber da.“
§. 306. „Sobald die Hebamme das Aaftreten von Fieber oder Schmerz¬
haftigkeit der Geb&rmatter bemerkt, ist der Arzt zn verlangen.“
§. 168. „Bis auf 38,6 darf die Körperwärme einer Wöchnerin nicht
Bteigen, wenn sie noch als gesund gelten soll. Wäre sie so hoch oder
darüber, so würde die Hinzuziehung eines Arztes zu verlangen sein.“
Etwas Verworreneres existiert nicht. Ganz abgesehen davon,
dass der Begriff „Fieber“ eine dreifach verschiedene Auslegung
erfährt, bleibt gerade das, worauf es ankommt, trotz der drei-
Ö62
Dr. fiaamm.
fachen Wiederholang oder gerade deswegen total unbestimmt. Soll
die Hebamme den Arzt verlangen, wenn die Temperatur mehrere
Zehntel über 38 liegt, oder wenn sie auf 38,5, oder schliesslich
wenn sie mehrere Zehntel über 38,5 gestiegen ist ? Die Antwort
bleibt dahingestellt und muss nach meinem Dafürhalten den die
Aufsicht führenden Kreisärzten überlassen werden, die je nach
ihrem gestrengeren oder milderen Naturell sich für eine der drei
Lesarten entscheiden werden.
Scheinbar viel genauer ist der Hebamme angegeben, welche
Fieberfälle sie dem Kreisarzt zu melden hat. Es heisst sehr be¬
stimmt nach §. 303: Jeder Fall von Kindbettfieber oder eine als
solche verdächtige Krankheit. Was ist aber „Wochenbettfieber“ ?
Die wissenschaftliche Definition ist wohl ein wandsfrei zu geben:
Wundfleber, ausgehend von den Genitalien einer Wöchnerin —
das ist Wochenbettfieber im weitesten Sinne. Aber das praktische
Leben, Gesetz und Polizei Vorschrift fassen den Begriff „Wochen¬
bettfieber“ nicht so weit. Die vielen leichten und schnell vor¬
übergehenden Temperatursteigerungen, die, obwohl auch von den
Geschlechtsteilen ausgehend, gar keine praktische Bedeutung
haben, werden mit Recht nicht zum Wochenbettfieber gezählt.
Ich komme darauf noch zurück. Nur die schwereren Erkrankungen
werden im praktischen Leben mit diesem gefürchteten Namen
belegt. Was aber als leichtes, was als schweres Wundfieber an¬
zusehen ist, darüber zu entscheiden ist dem subjektiven Ermessen
ein weiter Spielraum gelassen. — Sodann ist die Diagnose, ob
Wundfieber oder anderes Fieber besteht, selbst vom Arzte nicht
immer gleich zu stellen. Von der Hebamme ist sie schon gar
nicht zu verlangen. Sie bleibt demnach auf Zuziehung eines Arztes
und Anhören seiner Ansicht angewiesen. Das wäre auch gut und
recht, wenn sie nicht schon jeden Verdacht auf Wochenbett¬
fieber anzuzeigen verpflichtet wäre. Dieser Verdacht aber be¬
steht bei jeder fiebernden Wöchnerin. So wäre die Hebamme ver¬
pflichtet, jeden Fieberfall zu melden. Das ist aber keines¬
wegs der Sinn der Vorschrift, sonst würde sie demgemäss lauten.
Bedenkt man weiter, dass nach oben Gesagtem unbestimmt bleibt,
von wo ab die Hebamme Fieber zu rechnen hat, so bleibt es
natürlich auch fraglich, von wo ab der Verdacht auf Wochenbett¬
fieber und damit die Meldepflicht beginnt. Die scheinbar so klare
Meldevorschrift ist also mannigfacher Interpretation zugänglich,
und thatsächlich interpretiert sie jeder Kreisarzt nach seinem Ge¬
schmack und je nach seiner Vertrautheit mit den Vorgängen im
Wochenbett strenger oder milder. Daraus resultiert eine ver¬
schiedene Behandlung der Hebammen in den verschiedenen Kreisen,
die bei dem allgemeinen Wunsche, das Hebammenwesen, wenn
nicht im Deutschen Reiche, so doch wenigstens innerhalb der
Monarchie einheitlich zu gestalten, höchst Bonderbar anmutet.
Hier ist also Wandel zu schaffen und es ist zu überlegen, welche
Gesichtspunkte hierfür in Zukunft massgebend sein sollen.
Wenn man Vorschriften aufstellen will, soll man sie nicht
am grünen Tisch konstruieren, sondern man muss sie den Bedtirf-
Wochenbettfieber and Fieber im Wochenbett. Verhalten der Hebamme dabei. 263
niesen des praktischen Lebens anpassen. Man hüte sich dabei
vor engherziger Reglementierung. Solche bleibt als todter Buch¬
stabe auf dem Papier bestehen, sobald sie auch nur teilweise
sich als unmotiviert herausstellt. Wer zu viel verlangt, erreicht
schliesslich gamichts. Wie wenig auch in dieser Beziehung die
bestehenden Vorschriften das Richtige treffen, beweist die Tat¬
sache, dass dieselben in 90°/ o der Fälle umgangen werden, und
dass dies geschehen kann, ohne dass daraus der Schaden erwächst,
dessen Verhütung durch sie bezweckt wird. Mit anderen Worten,
die bestehenden Vorschriften sind in 90 von 100 Fällen über¬
flüssig, sie sind also gänzlich unpraktisch. Das ist keine leere
Behauptung. Ich will sie zahlenmässig beweisen. Dazu muss ich
etwas weiter ausholen.
Meine 15jährige Anstaltspraxis hat mich gelehrt, dass
Fieber bei Wöchnerinnen ausserordentlich häufig
vorkommt. Die Lehre, dass bei sachgemässer Leitung einer An¬
stalt Fieber gar nicht oder nur selten vorkommt (cf. Hebammen-
Lehrbuch S. 229), ist eine Fabel. Sie darf fortan nicht mehr in
den geburtshülflichen Lehrbüchern und Eollegs erscheinen. Nach¬
dem Ahlfeld als Erster Bresche in diesen Satz gelegt und
darauf hingewiesen hat, dass alle gegensätzlichen Angaben auf
falscher Temperaturmessung beruhen, glaube ich ihm lange Zeit
allein sekundiert zu haben. Jetzt erlebt man es endlich, dass
nach und nach eine Klinik nach der anderen zu demselben Ergeb¬
nisse kommt, nachdem sie sich der Mühe sorgfältiger Temperatur¬
messung unterzogen hat. Einige stehen noch abseits, hoffentlich
nicht mehr lange. Meine Mastdarmmessungen haben ergeben
(Archiv f. Gyn. Bd. 65, H. 2), dass 40—50 °/ 0 Fieber etwas sehr
Gewöhnliches ist, wobei jede Temperatur über 38,0° C. gezählt
ist. Es schwankt temporär im Allgemeinen zwischen 30 °/ 0 und
60°/o. So ungeheuerlich dies auch für’s Erste klingen mag, so
wenig ist es bei näherem Zusehen der Fall. Erstens ist zu be¬
rücksichtigen, dass es Mastdarmtemperaturen sind. Vergleichende
Untersuchungen haben mir ergeben, dass bei Achselhöhlenmessung
tun 1 / 3 weniger Fieberfälle herauskommen. Zweitens sind auch
alle extragenitalen Erkrankungen mitgezählt. Allerdings muss
ich betonen, dass der Prozentsatz etwa 6 beträgt, also sehr ge¬
ring ist, wie Loewenstein (Archiv f. Gygn. Bd. 65, H. 1) an
meinem Material nachgewiesen hat. Drittens — und das ist das
punctum saliens — sind es nur ca. 7 °/ 0 der Erkrankungen, die
wirklich diesen Namen verdienen (cf. Baumm und Loewen¬
stein 1. c.). Ich rechne dazu alle diejenigen Fiebernden, die
nicht zur üblichen Zeit, also am 10. Tage, gesund die Anstalt
verlassen können. Alle übrigen Fieberfälle sind lediglich Störungen
so leichter Art, dass den Betroffenen kein Nachteil erwächst,
und dass sie ohne Therapie so schnell vorübergehen, dass nicht
einmal eine Verzögerung in der Rekonvalescenz normalen Wöch¬
nerinnen gegenüber eintritt. Es hat keinen praktischen Wert,
diese Störungen als Wochenbettfieberfälle zu behandeln, wiewohl
t&st alle ganz gewiss ebenfalls von den Genitalwunden ihren Aus-
264
Dr. Baumm.
gang nehmen. Eine Vergiftung des Blutes liegt hier ebenso vor
wie bei den schwereren Fällen. Nur ist das Gift ein anderes, ein
leichteres, mit dem der Organismus sehr schnell wieder fertig
wird. Offenbar handelt es sich dabei um Resorption von Zer¬
setzungsprodukten der Lochien, während bei den schweren Fällen
pathogene Wundkeime im Spiele sind. Da Fäulnisskeime ubiquär
sind, ist es verständlich, dass es durch keine Massnahmen der
Anti- und Asepsis gelingen kann, die saprämischen Fieber zu
vermeiden. Meine durch Jahre fortgesetzten experimentellen Unter¬
suchungen liefern den Beweis dafür (cf. Arch. f. Gyn., Bd. 65, H. 2)
Es bleibt ein pium desiderium, fieberfreie Wochenbetten zu er¬
zielen. So wenigstens liegen die Ding ine den Gebärhäusern.
Es ist von vornherein anzunehmen, dass es in der Hebammen¬
praxis nicht anders geht, wo Geburten und Wochenbetten im All¬
gemeinen unter weniger günstigen hygienischen Verhältnissen
stehen, als in den Anstalten. Fragt man aber Hebammen — wie
ich das immer in den Wiederholungskursen tue — wie . oft sie
wohl Fieber bei ihren Wöchnerinnen beobachten, so ist die Aus¬
beute herzlich gering. Die Mehrzahl hat überhaupt nie oder nur
selten Fieber erlebt. Jedenfalls hat man noch nie gehört, dass
eine Hebamme auch nur 80 oder 40 Proz. Fieber bei ihren Wöch¬
nerinnen zu verzeichnen hätte, wie dies an den Stätten der voll¬
endeten Anti- und Asepsis, geburtshülflichen Therapie und Pro¬
phylaxe nicht selten der Fall ist. Eine solche Hebamme wäre
dem Anathema verfallen, wie nun einmal die Ansichten über das
physiologische Wochenbett heute zum grossen Teile gelehrt
werden und Gemeingut der Aerzte sind. Die Morbiditätsstatistik
der Gebärhäuser steht in krassem Widerspruch zu derjenigen der
Privatwochenpflege. Mag daran zum Teil falsche Temperatur¬
messung schuld sein, so reicht doch dieser Umstand nicht zur
Erklärung aus. Hier Licht zu schaffen ist aus doppeltem Grunde
wichtig:
1. Ist es richtig, dass draussen so wenig Fieber vorkommt,
als zur allgemeinen Kenntniss gelangt, dann sollten wir Anstalts¬
leiter zu den Hebammen in die Schule gehen und lernen, wie es
besser zu machen ist.
2. Ist draussen das Fieber ebenso häufig wie in den An¬
stalten, dann erfordern die Vorschriften für die Hebammen, betr.
die Zuziehung des Arztes und das Meldewesen, eine Aenderung.
Denn betrachte ich meine Temperaturkurven darauf hin, wie oft
wohl die Hebamme darnach verpflichtet wäre, den Arzt zu rufen
oder dem Kreisärzte Meldung zu erstatten, dann kommt eine Zahl
heraus, die weit über das Ziel hinausschiesst, das die bestehenden
Vorschriften im Auge haben.
Zunächst muss also festgestellt werden, wie oft Fieber bei
Wöchnerinnen in Privatverhältnissen vorkommt.
Es ist nicht leicht eine grössere Serie einwandsfreier Tempe¬
raturbestimmungen zu gewinnen. Die amtierende Hebamme kann
füglich nicht zu Hülfe genommen werden; der einzelne Arzt ist
nicht im Staude, auch bei grosser geburtshülflicher Praxis, das
Woehenbettfietar and Fieber im Wochenbett. Verhalten der Hebamme dabei. 265
nötige Material zu schäften, einfach weil er nicht die Zeit hat,
selbst die Messungen regelmässig vorzunehmen. Daher fehlen uns
bisher zuverlässige Aufzeichnungen über die Temperaturverhält¬
nisse bei Wöchnerinnen aus der Privatpraxis gänzlich. Diese
Lücke auszufüllen ist mir mit Hülfe meiner Hebammenschülerinnen
unter anerkennenswertem Entgegenkommen vieler Breslauer Heb¬
ammen gelungen. Gegen Ende des vorjährigen Lehrkursus, also
zu einer Zeit, wo unsere Schülerinnen genügend firm in der
Temperaturbestimmung waren, erbat und erhielt ich von Breslauer
Hebammen die Erlaubnis, ihre Wöchnerinnen, wo es die Um¬
stände gestatteten, jeden Abend durch eine Schülerin messen zu
lassen. Das geschah neben und unabhängig von dem freien Walten
der zuständigen Hebamme. Sie erfuhr nicht einmal die von uns
ermittelten Temperaturen, selbst wenn wir hohes Fieber fest¬
stellen konnten. Geheimhaltung war ihr versprochen und ge¬
halten, wenn anders die gestellte Aufgabe gelingen sollte. Der
Hebamme durften auf keinen Fall Ungelegenheiten durch unsere
Untersuchungen erwachsen. So war eine grössere Anzahl zuver¬
lässiger Schülerinnen durch fast drei Monate damit beschäftigt,
Wöchnerinnen in der Stadt täglich ein Mal gegen Abend zu
messen. Auf diese Weise erhielt ich Aufzeichnungen über 119
Wöchnerinnen, die mindestens 6 Tage lang beobachtet worden
sind. Eine weitere, grössere Anzahl gemessener Wöchnerinnen
soll nicht berücksichtigt werden. Sie sind aus verschiedenen
Gründen nicht so lange beobachtet worden und können somit nicht
zum Vergleich mit unseren Anstaltswöchnerinnen herangezogen
werden, bei denen noch am 6 Tage nicht selten Fieber auftritt.
Von diesen 119 Wöchnerinnen haben in Summa bei Mast¬
darmmessung 47 gefiebert, d. h. 38° C. überschritten. Das macht
39,5 °/ 0 Morbidität, eine Zahl, die unserer Anstaltsmorbidität nicht
nachsteht. — Es ist dadurch also bewiesen, dass Fieber auch
bei Wöchnerinnen in Privatverhältnissen sehr häufig,
ebenso häufig als in der Entbindungsanstalt vor¬
kommt. Wenn das in den Tagebüchern der Hebammen nicht
zum Ausdruck kommt, so ist der Schluss sehr einfach: Abgesehen
von falschen Messungen wird eine grosse Zahl von Fieberfällen
kurzer Hand unterschlagen. Hervorgehoben zu werden verdient
weiter, dass auch bei diesem Material, gerade so wie in Anstalten,
es sich in der bei weitem überwiegenden Mehrzahl um leichte,
in wenigen Tagen vorübergehende Störungen handelt. Nur 2 von
den 47 Fällen präsentierten sich als schwerere Erkrankungen.
Es sind die Fälle 4 und 10 in der nachfolgenden Tabelle.
Es ist nun interessant, zu sehen, wie sich die zuständigen
Hebammen diesen 47 Fieberfällen gegenüber mit ihren Vor¬
schriften, betr. die Zuziehung eines Arztes und die Meldung an
den Kreisarzt, abgefunden haben: Wenn die Temperatur 38,5 0 C.
erreicht, soll die Hebamme den Arzt rufen, eventuell den Fall als
auf Wochenbettfieber verdächtig melden. Ich wähle das Mittel
38,5, entsprechend dem usus der meisten Kreisärzte. Diese Tempe¬
ratur haben von den 119 Wöchnerinnen 27 (22,6 °/ 0 ) erreicht,
266
allerdings bei Maatd&rmmessnng. Da das Hebammenlehrbuch nur
von Acbselhöhlenmessung spricht, mflssen wir die Mastdarmtempe¬
raturen in Achselhöhlentemperaturen nmrechnen. Die Differenz
zwischen beiden beträgt nach meinen zahlreichen Untersuchungen
im Mittel 0,3° C. Wir wollen mild rechnen und annehmen, dass
erst eine Mastdarmtemperatur von 39 eine Achselhöhlentemperatur
von 38,5 ergiebt. Sehe ich in diesem Sinne unsere Notizen durch,
so zähle ich unter sämmtlichen 119 Wöchnerinnen 10, die diese
Temperaturhöhe erreicht haben, d. i. 8,4 °/ 0 . Nach den be¬
stehenden Vorschriften war demnach bei diesen 10 Wöchnerinnen
ein Arzt von der Hebamme zu verlangen, und thatsächlich ge¬
schehen ist es — in einem einzigen Falle. Ebenso ist auch nur
dieser eine Fall zur Meldung gekommen. Das heisst also, wie
ich Eingangs erwähnt habe, in 90 von 100 Fällen ist die
bestehende Vorschrift nicht befolgt worden. Das ist
vom Standpunkte der Hebammeninstruktion unter allen Umständen
strafwürdig. Sehen wir zu, ob es auch vom praktischen Stand¬
punkte aus der Fall ist. Zu dem Zwecke stelle ich in nach¬
stehender Tabelle die 10 Fieberfälle von 38,5 und darüber zu¬
sammen, wobei die Mastdarmtemperaturen nach Substration von
0,5 in Achselhöhlentemperaturen umgerechnet sind.
1 .
2-
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Fall
1
37,8
88,7
88,6
37,1
37,1
37,7
37,5
87,5
ft
2
86,9
36,6
37,2
36,7
88,7
88,5
36,7
37,1
ft
8
86,7
36,7
36,8
37,7
88,7
37,4
37,1
37,7
ft
4
P
89,1
89,2
89,7
89,6
88,8
37,5
37,9
88,8
ft
5
P
?
37,6
37,1
37,6
36,5
39,4
36,4
37,0
ft
6
P
37,6
37,0
88,1
89,6
37,8
37,5
88,6
36,6
ft
7
?
36,9
89,0
36,9
37,2
36,8
36,9
36,6
ft
8
P
37,1
37,3
P
88,2
88,6
37,3
36,8
ft
9
87,0
89,8
88,4
37,9
37,5
37,9
37,0
37,0
*
10
87,8
89,0
89,6
89,8
88,8
88,6
37,9
i
1 Weitere Messungen
abgelehnt. Frau steht
auf und befindet sich
wohl.
Arzt zugez. u. gemeldet.
Weitere Messungen
abgelehnt. Frau steht
auf und fühlt eich
wohl.
Fall 4 ist der einzige, bei dem ein Arzt zugezogen und
Meldung an den Kreisarzt erstattet worden ist. Zu betrachten
bleiben die übrigen 9 Fälle, die ohne Arzt und Meldung geblieben
sind. Sehen wir die Temperaturen dieser Fälle an, so müssen
wir zugeben, dass sie alle, vielleicht mit Ausnahme des Falles 10,
einen derartigen Verlauf genommen haben, dass die Zuziehung
eines Arztes gewiss nicht streng indiziert gewesen ist. Am
9. Wochenbettstage waren alle 9 Wöchnerinnen wieder ausser
Bett und fieberfrei. Und das geschah, trotzdem einzelne von
ihnen (5, 7, 9) die Grenze von 38,5 0 C. nicht unbeträchtlich über¬
schritten haben. Man sieht daraus, dass es zu weit geht, als
schwerere, den Arzt erfordernde und meldepflichtige Fälle die¬
jenigen zu bezeichnen, die 38,5° C. erreichen. Ich könnte dies
durch tausende ähnliche Kurven meines Anstaltsmaterials weiter
belegen. Nicht die Höhe des Fiebers allein ist mass¬
gebend, sondern man muss auch die Dauer desselben berück¬
sichtigen. In 8 Fällen (1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9) ist das Fieber nach
Wochenbett fieber und Fieber im Wochenbett. Verhalten der Hebamme dabei. 267
kurzem Bestände verschwunden, um nicht wiederzukehren und die
Hebammen haben damit, dass sie nicht sofort den Arzt riefen,
tatsächlich das Richtige getroffen, indem sie eine Menge über¬
flüssiger Weiterungen sich und der Familie der Wöchnerin er¬
sparten. Aber — so wird man einwenden — die Hebammen
konnten nicht im voraus wissen, dass das Fieber so bald wieder
abfallen würde. Gewiss; doch nach tausendfacher Erfahrung
kommen schnell vorübergehende, selbst hohe Temperaturen nun
einmal vor, so dass man befugt ist, damit zu rechnen, und
schlimmsten Falls ist bei der Machtlosigkeit unserer Therapie
beim Wochenbettfieber wahrlich nichts versäumt, wenn der Arzt
einen oder zwei Tage später geholt wird. So hat auch im Fall 4
die Hebamme nichts versäumt, dass sie erst am dritten Fiebertage
den Arzt rief, als die Temperatur weiter anstieg und somit die
Aussicht auf eine leichte, vorübergehende Störung schwand. Sie
hat gewiss gegen ihre Instruktion gefehlt und daher den strengen
Verweis, der ihr vom Kreisarzt wurde, verdient, aber versäumt,
ich wiederhole es, war nichts. Anders im Fall 10. Hier zeigt
zwar das Fieber am dritten Tage einen Nachlass, aber es bestand
auch noch am vierten Tage eine beträchtliche Höhe. Der Fall
war als ein schwererer anzusehen, und es war ein strafbarer
Leichtsinn von der Hebamme, dennoch unter Missachtung ihrer
Vorschriften einfach auf einen schliesslichen guten Ausgang zu
warten.
Aus diesen Betrachtungen resultiert, dass es den praktischen
Verhältnissen nicht entspricht, die Notwendigkeit, einen Arzt zu
rufen, an den Anstieg der Temperatur auf 38,5 0 C., ja überhaupt
an eine bestimmte Temperaturhöhe zu knüpfen. Das ist eine
Schablone, die auf unzählige Fälle nicht passt. Daher muss sie
fallen, wenn sie nicht bloss auf dem Papier bestehen bleiben soll.
Mag es auch geraten sein, bei jedem Fieberfalle den Arzt zu
rufen, so sollte der Zwang dazu nur für die schwereren Fälle
reserviert bleiben, d. h. für diejenigen, in denen das Fieber nicht
bald — nach 2 Tagen — wieder fällt und in der Folge schnell
— nach weiteren 1—2 Tagen — ganz verschwunden ist. Dies
müsste im Gegensatz zu heut auch für Temperaturen unter 38,5
gelten. Man sieht nicht selten Wöchnerinnen mit tagelang be¬
stehender Temperatur um 38,0° C. herum. Die Fälle wären nach
den bestehenden Bestimmungen zu ignorieren, während vielleicht
ein Exsudat im Entstehen ist, das der ärztlichen Aufsicht füglich
nicht entraten sollte. — Die Schwere eines Falles charakterisiert
sich aber nicht allein durch das Fieber. Sehr wichtig ist das
Allgemeinbefinden der Wöchnerin. Eine elende, schwache, aus¬
geblutete Person mit schlechtem Pulse wird erfahrungsgemäss
leicht septisch. Drittens müssen wir alle Fälle mit peritoniti-
schen Erscheinungen, ob hohes, niedriges oder gar kein Fieber
besteht zu den schweren Fällen rechnen. Diese Fälle werden
sich immer durch eine besondere Empfindlichkeit des Leibes aus¬
zeichnen.
Nach diesen Ausführungen würde ich Vorschlägen, der Heb-
268
Dr. Banrnm.
amme in folgenden Fällen die Herbeirnfung eines Arztes zur
Pflicht zu machen:
1. Bei schlechtem Allgemeinbefinden der Wöchnerin.
2. Wenn eine besondere Schmerzhaftigkeit des Bauches
besteht.
In diesen beiden Fällen auch bei fehlendem Fieber.
3. Bei Fieber ohne sonstige Komplikationen, wenn das Fieber
nach 2 tägigem Bestehen nicht herabgeht oder trotz fallender
Tendenz am 4. Tage nicht definitiv auf 37,5 herabgeht. Als
Fieber hat jede Temperatur über 37,9 zu gelten.
Eine conditio sine qua non hierbei ist die Verpflichtung der
Hebammen, sorgfältige Temperatur zettel bei jeder Wöchnerin zu
führen. Ihnen müsste dieselbe Wichtigkeit, wie dem Tagebuch
beigelegt werden. Ich glaube, dass bei Befolgung dieser Vor¬
schriften seitens der Hebammen, die man von ihr billiger Weise
im Gegensatz zu den jetzt geltenden Bestimmungen wird erwarten
dürfen, der Arzt immer noch rechtzeitig zur Stelle sein wird.
Ueberdies bleibt es der Hebamme unbenommen und wird ihr sogar
zu empfehlen sein, nicht erst die aufgestellten strikten Indikationen
zur HerbeirufuDg des Arztes abzuwarten.
Nun aber sind auch die anderen Wöchnerinnen und die Ge¬
bärenden, welche die Hebamme einer erkrankten Frau besorgt
und besorgen soll, zu berücksichtigen. Es wäre möglich und
kommt vor, dass scheinbar leichte Fieberfälle sich doch in der
Folge als schwere Infektion heraussteilen. Man kann also niemals,
sobald in der Praxis der Hebamme ein Fieberfall vorkommt, sei
es auch ein ganz leichter, sie auf gut Glück ohne besondere Vor-
sichtsmassregeln ihrem Berufe nachgehen lassen. Schliesslich
können auch von den leichtesten Erkrankungen schwere Infektionen
ausgehen. Vorsicht ist also in allen Fällen nötig. Sie hätte in
folgendem zu bestehen:
Konstatiert die Hebamme bei einer ihrer Wöchnerinnen
Fieber, d. h. 38° C. und mehr, so hat sie dieselbe möglichst un¬
berührt zu lassen. Vor dem jedesmaligen Verlassen derselben hat
sie ihre Hände und Vorderarme zu desinfiziren. Bei anderweitiger
nachfolgender Berufstätigkeit hat sie ein besonderes Obergewand
anzulegen, am besten eine sogenannte Babyschürze, die aseptisch
zu verwahren ist. Die innere Untersuchung ist in dieser Zeit,
wo es irgend geht, zu unterlassen. Die”Instrumente sind in üb¬
licher Weise zu desinfizieren.
Soviel über die Bestimmungen, wann von der Hebamme ein
Arzt zuzuziehen ist, und über ihr prophylaktisches Verhalten bis
dabin. Es bleibt nunmehr zu erwägen, was für die Hebamme
meldepflichtig sein soll. Dass die bisherige Fassung „Wochen¬
bettfieber oder Verdacht darauf“ vieldeutig und daher ungenau
ist, habe ich schon erwähnt. Auf die naheliegende Kontroverse,
was der Arzt als „Wochenbettfieber“ anzusehen hat, gehe ich
hier nicht ein und verweise auf meinen Aufsatz im Zentralblatt
für Gynäkologie; 1899, Nr. 11. Ich möchte nur noch illustrieren,
zu welchen Konsequenzen die bisherige Bestimmung führt:
Wochenbettfieber und Fieber im Wochenbett. Verhalten der Hebamme dabei. 269
In einem Kreise des Breslauer Bezirks wurde auffallend
wenig* Wochenbettfleber gemeldet. Die privaten Nachforschungen
des Kreisarztes bestätigten seine Vermutung, dass es sich um
zahlreiche Unterschlagungen bandelte, indem sich herausstellte,
dass die fieberhaften Erkrankungen der Wöchnerinnen von den
zugezogenen Aerzten nicht als Wochenbettfieber, sondern als In¬
fluenza bezeichnet wurden. Für die Hebamme ist Influenza nicht
meldepflichtig, ergo unterblieb die Meldung. Aehnliches mag oft
Vorkommen. Daher haben eine Anzahl Kreisärzte ihren Hebammen
aufgetragen, jeden Fall als wochenbettfieberverdächtig zu melden,
der 38,5 0 C. oder auch nur 38.0 0 C. wiederholt tibersteigt, gleich-
giltig, ob ein Arzt zugezogen ist, oder nicht, gleichgiltig, welche
Diagnose der zugezogene Arzt stellt. Diese Anordnung kann aber
nur zu Recht bestehen, solange der Arzt nicht eine andere Krank¬
heit diagnostiziert und dadurch das Wochenbettfieber bezw. den
Verdacht darauf ausschliesst. Wie darf die Hebamme Verdacht
auf Wochenbettfieber hegen, wenn der Arzt sagt, es läge Influenza
vor, ohne durch ein solches Misstrauensvotum eine unheilvolle
Verschiebung in dem wünschenswerten Verhältnis zwischen Arzt
und Hebamme zu bewirken. Ausserdem werden diejenigen Kreis¬
ärzte, die den Meldeparagraphen derartig streng interpretieren,
unfehlbar belogen. Nach den obigen Ausführungen über die
Häufigkeit des Fiebers müssen sie es werden. Ich möchte auch
ihre Verwunderung sehen, wenn durch ehrliche Meldung aller
Fälle auch nur von 38,5 an plötzlich eine wenigstens 9- bis
lOfache Verschlechterung der Puerperalstatistik herauskäme. Ab¬
gesehen von dieser Verwunderung wäre das praktische Resultat
lediglich nutzlose Belästigung und Verdächtigung der Hebammen,
sowie unnütze Beunruhigung der Kranken und ihrer Umgebung.
Nach dem Wortlaut der geltenden Bestimmung, sowie nach dem
ganzen Tenor des Lehrbuches muss man die Hebammen lehren,
wie folgt:
Wochenbettfieber ist da. wenn der zugezogene Arzt diese
Diagnose stellt. Verdacht auf Wochenbettfleber liegt vor, wenn
trotz 38,5 Temperatur ein Arzt nicht zur Stelle ist, oder wenn
der behandelnde Arzt die Diagnose noch offen lässt.
Da ich aber diese meine Auffassung keinem der Kreisärzte
aufzwingen kann, diese vielmehr nach wie vor ihre mannigfachen
Auslegungen des Meldeparagraphen vermutlich festhalten werden,
so ist schon deswegen, um die Hebammen vor Verwirrung zu
schützen, eine andere, klarere Bestimmung notwendig.
Man geht allen Schwierigkeiten aus dem Wege, wenn man
nicht nur das undefinirbare „Wochenbettfleber“. sondern überhaupt
jede ansteckende Krankheit bei einer Wöchnerin melde¬
pflichtig macht. Es ist auch nicht einzuseben, warum die Heb¬
amme gerade nur das Wochenbettfleber melden soll. Zweck der
Meldung ist überhaupt, einen in sanitärer Hinsicht bedenklichen
Fall zur Kenntnis der Aufsichtsbehörde zu bringen. Alle In¬
fektionskrankheiten einer Wöchnerin, ja. man kann noch weiter
gehen, alle infektiösen Erkrankungen, die in der Wohnung der
270 Dr. B&umm: Woehenbettfieber and Fieber im Woebenbett n. ?. w.
Wöchnerin Vorkommen, wiegen in sanitärer Beziehung nicht minder
schwer als das Wochenbettfieber selbst.
Ich schlage demnach für die Zukunft und in Abänderung
der bestehenden Bestimmung folgendes vor:
Bei auftretendem Fieber ruft die Hebamme erst den Arzt,
sobald die Indikation dafür gegeben ist (s. oben). Diesen hat sie
zu befragen, ob der Fall ansteckend für andere Wöchnerinnen
ist, nicht ob es Wochenbettfieber sei. Bejaht er die Frage oder
schliesst er die Kontagiosität nicht bestimmt aus, dann hat die
Hebamme den Fall dem Kreisärzte zu melden und zwar mit der
Diagnose des Arztes. Letzteres zur Orientierung des Kreisarztes.
Auszuschliessen wären hierbei natürlich die ansteckenden Ge¬
schlechtskrankheiten. Verneint aber der Arzt bestimmt die Ueber-
tragbarkeit der Erkrankung, dann hat die Hebamme keine Ver¬
anlassung, auch nur einen Verdacht auf das Gegenteil zu hegen,
und unterlässt die Meldung. Dagegen hat sie auch fernerhin
diejenigen Vorsichtsmassregeln in ihrer Berufstätigkeit zu beob¬
achten, die, wie oben angegeben, bei jedem Fieber im Wochenbett
innezuhalten sind.
Auf diese Weise wäre dem beliebten Vertuschungssystem
ein kräftiger Riegel vorgeschoben. Kämen die Fälle auch nicht
immer mit der richtigen Diagnose „Wochenbettfieber“ zur Kenntnis
des Kreisarztes, so würden sie doch nicht, wie bisher oft, unter
falscher Flagge segelnd, ihren Kurs seitwärts vorbei beim Kreis¬
arzt nehmen. Ausserdem wird dann die Meldung niemals in ge¬
wisser Insubordination über den Kopf des behandelnden Arztes
hinweg erfolgen. — Fälle, wo dem Verlangen der Hebamme,
einen Arzt zu holen, nicht Folge gegeben wird, sind immer als
wochenbettfieberverdächtig zu melden.
Zusammengefasst hätten die mir wünschenswert erscheinen¬
den Vorschriften für Hebammen hinsichtlich des Wochenbettfiebers
folgendermassen zu lauten:
1. Die Hebamme hat über jedes Wochenbett einen Tempe¬
raturzettel zu führen.
2. Bei schlechtem Allgemeinbefinden der Wöchnerin und
bei besonderer Schmerzhaftigkeit des Leibes ist sofort der Arzt
zu verlangen.
3. Bei Fieber (mehr als 37,9° C. auch ohne Komplikationeu)
ist die alsbaldige Zuziehung eines Arztes immer geraten.
4. Geboten ist dieselbe, wenn das Fieber nach 2 tägigem
Bestehen nicht herabgeht, oder wenn es trotzdem am 4. Tage
nicht auf 37,5° C. fällt.
5. Der Arzt ist zu befragen, ob die vorliegende Krankheit
auf andere Wöchnerinnen übertragbar ist.
Bejahenden Falls: Meldung an den Kreisarzt und Entgegen¬
nahme besonderer Instruktion. Verneinenden Falls kann die
Meldung unterbleiben, aber die Hebamme muss die bei jedem
Fieber gebotenen Vorsichtsmassregeln beobachten.
6. Bei jedem Fieber einer Wöchnerin muss die Hebamme
sich verhalten, wie wenn die Krankheit übertragbar wäre, d. li.
Dr. Rump: Erkrankung der Arbeiter in der P.’sehen Asphaltfabrik n. s. w. 271
sie berührt die Fiebernde möglichst gar nicht, desinfiziert Hände
und Vorderarme jedesmal sofort nach beendigter Tätigkeit bei
dieser Wöchnerin, sie benutzt bei anderweitiger beruflicher Tätig¬
keit ein besonderes Oberkleid und untersucht womöglich gar nicht
innerlich.
7. Wird ihrem Verlangen, einen Arzt zu rufen, nicht ent¬
sprochen, dann ist der Fall alsbald dem Kreisarzt als wochen¬
bettfieber verdächtig zu melden.
8. Nicht nur jede in der Wohnung der Hebamme vor¬
kommende ansteckende Krankheit ist, wie bisher, dem Kreisarzt
zu melden, sondern auch eine jede, die in der Wohnung einer der
Obhut der Hebamme anvertrauten Kreissenden oder Wöchnerin
vorkommt.
Schliesslich will ich erwähnen, dass die bisherigen Vor¬
schriften über Nonintektion der Hebamme und über Desinfek tion
ihrer Person und ihrer Instrumente im Allgemeinen, abgesehen
von vielfach unklarer Darstellung, ausreichend erscheinen.
Wünschenswert ist nur, dass auf den ersten Akt der Desinfektion,
die mechanische Reinigung, ein grösserer Nachdruck gelegt wird,
wie bisher. Sie ist der springende Punkt. Die Wahl des Des-
infiziens ist von untergeordneter Bedeutung.
Erkrankungen der Arbeiter in der P.’schen Asphaltpappe-
Fabrik. Ein Beitrag zu den Gewerbekrankheiten.
Von Medizinalrath Dr. Rnmp in Recklinghausen.
Unter den Arbeitern der P.’schen Asphaltpappe-Fabrik in D.
erkrankten innerhalb eines Zeitraumes von 3 Wochen 3—4 jugend¬
liche Arbeiter unter eigentümlichen gleichartigen Erscheinungen,
deren Mitteilung für die Gewerbehygiene einiges Interesse
bieten dürfte.
Fall 1. W. H., 14*/» J. alt, seit 8 Monaten im Betriebe beschäftigt,
erkrankt am 16. Oktober 1902 an Bronchialkatarrb. Dabei zeigt die Haut
des ganzen Körpers schmutzig gelbes Aussehen und ist Überall mit grösseren
oder kleineren Akneknötchen besät. Die Gesichtshaut befindet sich im Zustande
kleiulappiger Abschuppung der Epidermis, bermgerufen durch vorhergegangene
Entzündung derselben.
Fall 2. A. S., 14 V* J. alt, seit 4 Wochen im Betriebe, kommt am
6. November 1902 in Behandlung. Es besteht Bronchialkatarrh und Bindehaut-
Entzündung, das Allgemeinbefinden ist nicht wesentlich gestört. Die gesammte
Körperhaut ist intensiv gelb gefärbt. Die Gesichtshant befindet sich im Zu¬
stande frischer Entzündung. Die Haut ist stark geröthet und leicht geschwollen.
Anf der Stirn und beiden Wangen ist die Epidermis zu flachen, eng aneinander
liegenden, mit klein flüssigem Inhalte erfüllten Blasen abgehoben. Das ganze
Gesicht bietet den Anblick ähnlich einer Verbrennung 2. Grades. (Eine wirk¬
liche Verbrennung durch ausstrablende Hitze oder heisse Dämpfe hat nach
den bestimmten Angaben des Erkrankten nicht stattgefunden). Ansserdem
ist eine Aknebildung massigen Grades an Armen und Beinen zu konstatieren.
Fall 3. J. V., 20 J. alt, seit einigen Monaten im Betriebe, erkrankten
am 8. November 1902 au Bronchial- and Bindehautkatarrh. Die ganze Körper¬
haut ist gelb gefärbt, und weist zahlreiche Akneknoten anf. Die Gesichtshaut
ist leicht gernnzelt und faltig, im Zustande der Abschuppung.
F a 11 4. H. J., 14 */» J. alt, seit kurzem im Betriebe, Arbeitsgenosse
des A. S. (Fall 2) erkrankte nach dessen Angabe am 6. November 1902 unter
272 Dr. Rninp.
ähnlichen aber milderen Erscheinungen wie dieser, wurde jedoch nicht ärztlich
behandelt.
Die Häufung der angeführten Fälle in einem kurzen Zeit¬
räume und das fast gleichartige Auftreten der Krankheits¬
erscheinungen bei Arbeitern mit gleicher Beschäftigung in dem¬
selben Betriebe lässt mit Sicherheit schiiessen, dass es sich um
Gesundheitsstörungen handelt, welche auf die Einwirkung von
Schädlichkeiten in diesem Fabrikbetriebe zurückzuführen sind.
Die Erkrankten waren sämtlich jugendliche Arbeiter und in
den Betrieb erst neu eingetreten; also den vollen Einwirkungen
der Schädlichkeiten ausgesetzt. Sie verrichteten die gleiche Ar¬
beit, indem sie unmittelbar am Asphalt-Kochkessel angestellt
waren, dessen kochender Inhalt zur Imprägnierung der durch¬
laufenden Pappe dient. Hierbei entwickeln sich aus der kochen¬
den Teermasse reichlich aufsteigende gelblich - grüne Dämpfe.
Bei ungenügender Abführung wirken diese reichlich Teer¬
destillationsprodukte enthaltenden Dämpfe intensiv auf den Körper
der Arbeiter ein, indem sie einerseits direkt selbst durch die
Kleidung hindurch, auf der Haut sich niederschlagen und dieselbe
gelb färben, anderseits aber auch an empfindlichen Hautstellen,
so im Gesichte zu starken, entzündlichen, der Verbrennung ähn¬
lichen Reizerscheinungen führen, oder endlich durch Ablagerung
von Teerbestandteilen in den Haarfollikeln der Haut zu mehr
oder weniger ausgedehnten Hautausschlägen (Teerakne) Ver¬
anlassung geben. Auf dieselbe Weise kommt es durch Reizung
der Schleimhäute zu Bindehautentzündungen, Bronchialkatarrhen
oder auch zu Magendarmkatarrhen. Nierenreizungen sind in
den angeführten Fällen nicht beobachtet worden; auch die Tem¬
peratur blieb normal.
Ich habe ähnliche Erkrankungen in den Lehrbüchern nicht
beschrieben gefunden.
Ueber geschwefelte amerikanische Obstfrüchte.
Von Medizinalrath Dr. Rump, Kreisarzt in Recklinghausen.
Durch Bekanntmachung des Bundesrats vom 18. Februar 1902
betr. gesundheitsschädliche und täuschende Zusätze zu Fleisch und
dessen Bereitungen ist in Ausführung des Fleischschaugesetzes
vom 3. Juni 1900 der Zusatz von schwefliger Säure und deren
Salzen sowie unterschwefligsauren Salzen zu Fleisch und dessen
Zubereitungen verboten.
Die schweflige Säure und deren Salze, aus denen im Magen
durch die Einwirkung der Salzsäure oder anderer gleichzeitig
genossener Säuren (Essig) die schweflige Säure frei gemacht
wird, müssen als keineswegs unbedenklich für die menschliche
Gesundheit betrachtet werden, namentlich wenn die mit diesen
Mitteln versetzten Nahrungs- und Genussmittel von Kindern,
Schwachen und Genesenden verzehrt werden.
An getrockneten Obstfrüchten bringen die Vereinigten Staaten
von Amerika Aepfelschnitzel, Aprikosen, Birnen und Pfirsiche auf
den deutschen Markt, unter denen die Apfelschnitzel ihrer Menge
Ueber geschwefelte amerikanische Obstfrüchte.
278
nach wohl die erste Stelle annehmen. Diese Früchte sind in
zahlreichen Proben untersucht, hierbei ist in Aprikosen, Birnen
und Pfirsichen stets schweflige Säure in wechselnden Mengen
gefunden, während Apfelschnitzel stets frei von schwefliger Säure
waren. Die Säure ist in den Früchten in freiem Zustande ent¬
halten, nur eine Spur in Form von Salzen. Nachstehend ist der
Gehalt an schwefliger Säure in den untersuchten Proben ange¬
geben und der besseren Beurteilung halber auch zugleich auf
schwefligsaures Natron (Na 2 SO s + 7 aq.) berechnet:
Geschiftszeichen,
100 g enthalten
gefundene schweflige Säure, be¬
Obstsorte:
schweflige Säare:
rechnet als schweflige. Natron:
M. 6 Birnen.
0,014 g
0,056 g
M. 8 „
0,011 „
0,044 „
Bo. 52 Birnen.
0.016 „
0,064 „
Bn. 72 „
0.066 „
0,264 „
Ba. 73 „
0,173 „
0,692 „
Bn. 75 Aprikosen.
0,113 „
0,452 „
Bn. 76
0,074 „
0,294 „
Bn. 77 Birnen.
0,021 „
0,084 „
R. 84
0,03 L „
0,124 „
B. 85
0,062 „
0,248 „
R. 86 Aprikosen.
0,026 „
0,104 „
R. 87 Pfirsiche.
0,112 „
0,448 „
R. 91 Aprikosen.
0,059 „
0,236 „
R. 93
0,032 „
0,128 „
R. 105 Birnen.
0,175 „
0,700 „
R. 106 Aprikosen.
0,045 „
0,180 „
St. 41 Birnen.
0,131 „
0,524 „
St. 42 Aprikosen.
0,078 „
0,312 „
St. 43
0,059 „
0,236 „
St. 44
0,016 „
0,064 „
St. 46 Birnen.
0,087 „
0,348 „
H. 28 „
0,082 „
0,328 „
H. 29 Aprikosen.
0,087 „
0,348 „
Die gefundenen Zahlen beweisen den grossen Unterschied
in der Schwefelung.
Die Feststellung des Gehaltes an schwefliger Säure allein
genügt nicht. Es sind auch zugleich etwaige Einwendungen der
Händler auf ihre Richtigkeit zu prüfen, um ihnen erfolgreich ent¬
gegen treten zu können. Da diese Früchte wohl selten roh ge¬
nossen werden, sondern erst nach küchenmässiger Zubereitung,
könnte leicht der Einwand erhoben werden, dass die schweflige
Säure durch diese Zubereitung entweichen, das Obst also frei von
schwefliger Säure genossen würde. Für die ktichenmässige Zu¬
bereitung giebt die einführende amerikanische Firma Aspregren
& Co. folgende Gebrauchsanweisung an, die den Käufern der
Waare überreicht werden soll:
„Nach Reinigen der Früchte in kaltem Waeser lasse man dieselben in
frischem, klarem Wasser 8—12 Standen stehen nnd koche sie dann in dem¬
selben Wasser mit dem nötigen Zuckerznsats 2—3 Minuten. Die Fracht
ist dann zam Ser viren fertig.
Aaf diese Weise erhält man eine Fracht nicht nar nach Aassehen and
Geschmack den frischen Früchten gleich, sondern sie giebt beinahe die dop¬
pelte Menge Kompott, als wenn sofort gekocht, ohne vorher geweicht zn sein.“
Nach dieser Vorschrift, die in den meisten Haushaltungen,
auch ohne Kenntnis obiger Vorschrift, benutzt wird, wurde das
274
Dr. Rump: Ueber geschwefelte amerikaoische Obstfrüchte.
Kompott hergerichtet mit dem Unterschiede, dass statt 2—3 Mi¬
nuten in einem Falle 5 Minuten und im andern Falle 30 Minuten
gekocht wurde.
Der Gehalt an schwefliger Säure nach dieser Zubereitung
war folgender:
Geachäftszeichen,
Obstsorte:
St. 41 Birnen.
R. 87 Pfirsiche.
R. 85 Birnen.
R. 86 Aprikosen.
In 100 g rohen Obstes
schweflige Säure: berechnet als schweflige. Nation:
0,131 g 0,524 g
0,112 „ 0,448 „
0,062 „ 0,248 „
0,026 „ 0,104 „
Nach 12 Stunden Wässerung
Geschätszeichen, und 5 Minuten Kochen
Obstsorte: schweflige berechnet als
Säure: schweflige. Natron:
St. 41 Birnen. 0,056 g 0,224 g
R. 87 Pfirsiche. 0,079 „ 0,316 „
R. 85 Birnen. 0,058 „ 0,232 „
R. 86 Aprikosen. 0,014 „ 0,060 „
Nach 12 Stunden Wässerung
und 30 Minuten Kochen
schweflige berechnet als
Säure: schweflige. Natron:
0,039 g 0,156 g
0,047 „ 0,188 „
0,046 „ 0,186 „
0,011 „ 0,044 „
Wie zu erwarten war, wird durch die küchenmässige Zu¬
bereitung die schweflige Säure nicht völlig entfernt, sondern sie
bleibt noch zum erheblichen Theile in den Früchten.
Nun werden Pfirsische und Aprikosen wohl kaum 30 Mi¬
nuten lang gekocht werden, da dieselben nach dieser Zeit völlig
zu Brei zerkocht sind, und somit an Genusswerth erheblich ein-
gebüsst haben. Für die Birnen ist allerdings Kochen von etwa
30 Minuten erforderlich, bis sie weich sind.
Der Gehalt des gekochten Obstes an schwefliger Säure ent¬
spricht ganz dem Gehalt des rohen getrockneten Obstes an dieser
Säure. War das rohe Obst stark geschwefelt, so ist es auch das
gekochte. Eine einheitliche Schwefelung lässt sich in den Ergeb¬
nissen nicht erkennen. Es ist ebenso wohl möglich, dass stärker
geschwefelte Waaren Vorkommen; hat man doch in einem Falle
in Dresden in 100 g Aprikosen 0,294 g schweflige Säure oder
berechnet als schwefligsaures Natron 1,158 g gefunden.
Bedenkt man, dass von diesen Obstfrüchten wohl ebenso
grosse oder gar noch grössere Mengen als von Fleisch genossen
werden, so wird man bei ihnen den Gehalt an schwefliger Säure
für ebenso schädlich halten und beanstanden müssen wie beim
Fleisch. Leuch hat eine ausgeprägte Empfindlichkeit vieler
Menschen gegen die schweflige Säure beobachtet. Gaben von
0,55 g erzeugten Magenbrennen, Diarrhoe und stärkere Kopf¬
schmerzen. Aehnlich berichten Andere. Durch Thierversuche, bei
denen Hunde in der Hälfte der Fälle mit 0,1, in der anderen mit
mit 0,2 °/ 0 schwefligsaurem Natrium versetztes Fleisch erhielten,
hat Kionka sicherstellen können, dass dem schwefligsaurem Na¬
trium Giftwirkungen zukommen; er kommt auf Grund seiner
Untersuchungen zu der Annahme, dass sich der Mensch den
schwefligsauren Salzen gegenüber ebenso verhält, wie der Hund.
Die Schwefelung der Früchte geschieht offenbar der besseren
Konservirung wegen. Nun liefern aber die Amerikaner in ihren
Aepfelschnitzeln selbst den besten Beweis, dass sich auch ohne
Kleinere Mitttheilongen and Referate ans Zeitschriften.
275
Schwefelung eine Wa&re erzielen lässt, die den grössten An¬
forderungen in Bezug auf Aussehen und Haltbarkeit entspricht.
Bis in die letzten Jahre wurden diese Aepfelschnitzel sehr
häufig ihres Zinkgehaltes wegen untersucht und würde dabei die
Schwefelung eher an den Tag gekommen sein. Dessen scheinen
sich die Amerikaner bewusst gewesen zu sein und haben deshalb
bei diesem Obst die Schwefelung unterlassen. Wie sie selbst
über schweflige Säure als Konservirungsmittel denken, geht aus
einer Erklärung des Ackerbau-Departements der Vereinigten
Staaten Ende vorigen Jahres hervor, in welcher diese Behörde
zur Konservirung von Nahrungsmitteln alle anderen als die ge¬
wöhnlich dazu verwendeten Mittel, wie Salz, Essig, Branntwein
und Zucker für unzulässig erklärt. 1 ) In dieser Bekanntmachung
geht die amerikanische Behörde noch viel weiter, als die deutsche
Regierung in der ebengenannten Ausführungsbestimmung zum
Fleischschaugesetz.
Es liegt also durchaus kein Grund vor, die geschwefelten
amerikanischen Früchte nachsichtig zu behandeln.
Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin and Psychiatrie.
Zar Kasuistik der Vergiftungen durch Kupfersalze. Von Dr.
Stephan v. Koroszkiewicz. Viertelj&brsschr. f. gerichtl. Medizin u. öffentl.
SanititBwesen; III. F., XXV. Bd., 1. Heft, S. 1.
Vergiftungen durch Kupfersalze in krimineller Absicht, die in Frankreich
an Häafigkeit gleich nach den Arsen- und Phosphor Vergiftungen kommen, sind
in Deutschland äusserst selten. Im gerichtB&rztlichen Institut in Krakau kamen
innerhalb 10 Jahren nur 3 Fälle vor. Sie betrafen Selbstmörder. Der eine
Fall lehrt, dass auch bei tötlichom Verlauf ein anatomischer Befand fehlen
kann, wenn das Gift unmittelbar nach der Aufnahme erbrochen wird, ln den
zwei anderen Fällen trat die ätzende Wirkung der Kupfersalze deutlich zu Tage,
welche zusammen mit der auffallenden Grün- bezw. Blau-Färbung der ver-
sehorften Gewebe einen durchaus charakteristischen Leichenbefund lieferte.
Dr. Ziemke-Halle.
Zwei Fälle von Stramoninm - Vergiftung. Kasuistische Mitteilung.
Von Dr. Kn aut, Arzt in Klaushagen. Berliner klin. Wochenschr.; 1902, Nr. 51.
Mehrere Kinder hatten im September 1901 „Arzt und Patient“ gespielt
und einem 5jährigen Mädchen und dessen jüngere Schwester Stechapl'elkraut
und Samen eingegeben. Die Vergiftungserscheinungen bei dem ersten Kinde,
2'/* Stunden nach Einnahme des Giftes, bestanden in Bewusstlosigkeit, Pupillen-
erweiternng, Rötung und Trockenheit der Gesichtsbaut, kleinem, frequentem
Puls (150—160), lebhafter Atmnng (55—60), teilweise mit Cheyne-Stockes-
schem Typus, dann klonischen Krämpfen, die von Somnolenz gefolgt waren.
Heilong nach Behandlung mit subkutanen Einspritzungen von Apomorphin-
lösang. In dem Erbrochenen konnten reichlich hellgrüne, an den Rändern
gesackte, in Schleim gehüllte, halbverdante Blätter nnd massenhaft die kleinen
nierenförmigen Samenkörner der einheimischen Datura Stramoninm nachgewiesen
werden. Das jüngere Kind genas ebenfalls, nachdem es die Stechapfelsamen
nach Einnehmen einer Brechmiztur erbrochen hatte. Beide Kinder hatten
vorher reichlich zu Mittag gegessen. Dr. Räuber-Düsseldorf.
*) Veröffentl. Kaiserl. Gesundheitsamt 1902. 6, 160.
276
Kleinere Mittheilungen and Referate aas Zeitschriften.
Verblutung im Anschluss an die Gebart. Beitrag zur Aetioiogie
der Postpartum -Biatangen. Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A h 1 f e i d in Mar¬
burg. Zeitachr. f. Geb.; Bd. XLV1I, Heft 2.
Partielle Kontraktionen des schwangeren Uteras, Myom vor¬
täuschend. Von demselben; Ibidem, Heft 2.
Der in der ersten Mitteilung beschriebene Fall hat sowohl hohes foren¬
sisches wie gebar tahiilfliches Interesse and beweist, dass trotz der Tamponade
des Uteras post partum eine Verblutung Vorkommen kann. fis handelte sich
am eine 29jährige HI. Gravida, bei der im Anschluss an eine Frühgeburt eine
tötlicke Nachgeburt»biutung eintrat, sodass trotz frühzeitiger sachverständiger
Hülfe und aller angewandten Massnahmen (Massage, heisse Uterusspülnng, feste
Uterustamponade) die Fraa sich verblutete. Die Sektion ergab nirgends Ver¬
letzungen; bei der Blutantersuchung fiel das Fehlen von Fibrinogen and orga¬
nischen Substanzen auf; es ist demnach das Verhalten des Blutes nach A. als
Hinderungsgrund für die Thrombose auzusehen.
In dem in der zweiten Arbeit beschriebenen Falle hatte bei der 41jähr.
Mehrgebährenden eine partielle Kontraktion in der Schwangerschaft ein Myom
vorgetäuscht; die Geburt, durch Placenta praevia kompliziit, endete gleichfalls
mit Exitus letalis der Kreissenden and zeigte auch hier einen Misserfolg der
Dtthrssen'sehen Tamponade.
Interessant ist, dasB, wie aus der ersten Mitteilung hervorgeht, bei dem
abwartenden Verfahren in der Nacbgebnrtszeit in der Marburger Klinik bei
ca. 6000 Geburten doch nur 2 Todesfälle in Folge von Verblutung sich er¬
eigneten. Prof. Dr. Walt her-Giessen.
Zur Frage der Unterusruptur in früheren Monaten der Schwanger¬
nohaft. Von Dr. Kober. Mtlnck. med. Wochenschr., 1902, Nr. 36.
Sehr interessante, kasuistische Mitteilung, welche wiederum die Ge¬
fährlichkeit der Instrumente, besonders der Curette bei Ansräumung von Aborten
beweist. Es handelte sich um eine Perforation des Uteruu im zweiten Monate
der Schwangerschaft mit nachfolgender lebensgefährlicher Blutung, welche so¬
gar die Extirpation des Organes notwendig machte. Zur Einleitung des Abortes
wurde naoh dem Berichte von K. von dem betr. Arzte, ohne dass Wehen vor-
angegangcu waren, in einer Sitzung die Ulerushöhie brüske diiatiert und
darnach eine schmale Curette eingeführt; im Anschluss daran sofortige profuse
Blutung, welche sich trotz mehrfacher Tamponade wiederholte. Daher Ueber-
ftthrung in das Krankenhaus, wo durch digitale Abtastung eine Perforation
des Uteras mit Bildung einer Hämotocele festgestellt wurde, neben einer Ver¬
letzung des inneren Muttermundes. Totalexstirpation per vaginam. Das
Präparat zeigte sowohl eine durch die Curette bewirkte Perforation der Corpus-
wand, als auch eine durch die torzierte Dilatation hervorgerufene Verletzung
seitlich vom inneren Muttermunde. — Die Frage, ob die letzterwähnte Verletzung
vermeidbar gewesen wäre, beantwortet Verfasser mit „ja“, besonders wenn man
bedenkt, dass bei einem Widerstand eine Dilatation besser aufgeschoben und
durch die Laminaria in schonender Weise vorgenommen werden kann; bezüglich
der Uterusperforation im Corpus wird hier die vielfach diskutierte Frage, ob
überhaupt eine instrumentelle Ausräumung erlaubt ist, gestreift, und nur die
Schmalheit der Curette beanstandet. Verfasser resümiert mit folgenden, für die
Abortbehandlung beachtenswerten Sätzen: 1) Niemals geschehe die Aus¬
räumung eines Abortes, bevor Wehen eingetreten sind; eine forzierte Dilatation
ist wegen der Gefahr schwerer Gewebszerreissungen zu unterlassen; statt ihrer
ist im ersten Drittel der Schwangerschaft Laminaria, in späteren Monaten die
Metreuryse zu verwenden. 2) Wenn Wehen vorhanden waren and der Cervix
genügend erweitert war, so ist für die Entfernung etwa zurückgebliebener
Massen ein Doppuilöifel zu empfehlen; wenn dieser unwirksam, dann darf auch
eine breite Carette an dessen Stelle treten.
Referent, welcher vollkommen mit den Ausführungen des Verfassers
übereinstimmt, möchte nur zusetzen, dass bei genügender Erweiterung des
Cervix zunächt immerhin auch eine digitale Ausräumung zu versuchen ist,
and dass, wenn irgend möglich, Instrumente nar nnter Leitung deB Fingers
eiugeführt und gebraucht werden sollen. Beiläufig sei erwähnt, dass die Korn-
Kleinere Mittheilnngen und Referate ans Zeitschriften.
277
sänge als das gefährlichste Instrument, obwohl von mancher Seite empfohlen,
niemals gebraucht werden sollte. Piof. Dr. Walther-Qiessen.
Ein Fall von Strafverfolgung gegen einen Arzt wegen Unter¬
lassung einer Dammnaht. Von Prof. Dr. Zweifel in Leipzig. Deutsche
med. Wochenschr.; 1903, Nr. 1.
Die vorliegende ge burtshülflich-forensische Betrachtung, welche an
einen Fall anknttpfc, in dem ein Arst auf fahrlässige Körperverletzung unter
ßerafspfliohtversäumniss wegen Unterlassung einer Dammnaht angeklagt war
dürfte jeden praktischen Geburtshelfer interessieren. Gerade der vorliegende
Pall zeigt, wie leicht bei der geburtshilflichen Tätigkeit ein Arzt in äusserst
kritische Situation kommen kann. Aus der interessanten Besprechung durch
den bekannten Kliniker, welche im Original nachgelesen werden muss, seien nur
einige Pankte hervorgehoben. Während nach aller Sachverständigen Urteil die
Verfolgung wegen des Zustandekommens eines Dammrisses unzulässig ist, so sind
doch alle Autoren darüber einig, dass ein Dammriss ohne Unterschied der Grösse
genäht werden muss, und der Arzt, wenn er sich nicht eine Pflicht Vergessenheit zu
Schulden kommen lassen will, den Damm nach einer spontanen wie operativen
Geburt auf eine solche Verletzung jedenfalls untersuchen muss, wenn auch zu¬
gegeben werden muss, dass hier ein Uebersehen wegen der Schwierigkeiten der
Praxis als solcher (schlechte Beleuchtung, mangelhafte Assistenz) gegenüber
einer Klinik mitunter möglich ist. Ein Dammriss 111. Grades heilt (wie auch
Referent auf Grund der von ihm beobachteten Fälle zngeben muss) niemals
spontan so, dass eine vollkommene Heilung ein tritt. Wenn der Arzt, wie er
im vorliegendem Falle zur Entschuldigung angab, in Folge körperlicher Ueber-
anatrengung die Naht nicht sofoit anschliessen konnte, so war er verpflichtet,
innerhalb der nächsten 24 Stunden eine solche Naht ausznlühren, zumal die
Erfahrung zeigt, dass hier eine primäre Reunio noch stattfinden kann. Einer
Chloroformnarkose, welche der Arzt ohne besondere Assistenz mit Recht scheute,
bedarf es nicht, sondern hier genügte eine lokale Anesthesie mittelst l°/ ( iger
Kokainlösung (subkutan). Interessant ist, was der Kliniker auf die Angabe des
Arztes, dass der Riss trotz frühzeitiger Naht doch nicht geheilt wäre, auf
Grund des klinischen und ausserklinischen Materials mitteilt: hier zeigte sich,
dass tatsächlich von 23 poliklinischen gemachten Operationen 6 ohne Erfolg
geblieben sind; tatsächlich sind auch in der Praxis die Ergebnisse der Primär¬
nabt noch recht unbefriedigend. Daraus entspringt aber noch lange nicht die
Berechtigung der Unterlassung der Naht. Mit der Verbesserung der Technik,
welohe sich jeder Praktiker aneignen kann, werden die Heilerfolge auch besser
werden, wobei zu betonen ist, dass die Naht rite unmittelbar nach der Geburt,
spätestens innerhalb der ersten 24 Stunden u. s. w. ausgegführt werden und
geeignete Nachbehandlung (Sorge fdr weichen Stuhl!) sich anschliessen muss.
Jedenfalls sollte, was eine berechtigte Warnung auf Grund des vorliegenden
Falles für Geburtshelfer sein möge, eine Dammnaht niemals versäumt werden.
Dass aber eine strafrechtliche Verfolgung im Sinne dej §. 230 hier zulässig
sei, wurde auf Grund des Zw ei fei'sehen Gutachtens abgelehnt und der Arzt
auch von der hohen Forderung der zivilrechtlichen Klage (7000 M. Schaden¬
ersatz!) mit Recht freigesprochen. Es sei noch darauf hingewiesen, dass in
dem besprochenen Aufsatze eine überaus klare, durch 4 Figuren erläuterte,
Technik der Dammnaht bei totalem Dammriss geschildert ist.
Dr. Waith er-Giessen.
Eine tödtliche Verletzung des hinteren Scheidengewölbes snb
coltn. Von Dr. Karl Rühs in Greifswald. Inaugural* Dissertation. 25 S.
Gerichtl. medizin. Institut der Universität Greifswald.
Verfasser beschreibt einen Fall von Scheidenzerreissung sub coitu: ein
durch Alkoholgenuss erregter Mann hatte mit seiner 55 jährigen Ehefrau, mit
der er 27 Jahre verheirathet war, und die dreimal geboren und einmal abortirt
hatte, den Coitus ä la vache ausgeübt. Doch kaum hatte der Gatte den Penis
eiageführt, so bekam die Frau heftige Schmerzen, sie habe „einen Krampf“,
der Mann zog das Glied heraus, ein starker Blutstrom quoll aus der Scheide;
■ach 2 Standen war die Frau todt.
Die Scheide zeigte geringe Atrophie; im hinteren Gewölbe war ein 7'/t cm
278
Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften.
langer Riss, der ans zwei Schenkeln bestand, die beide auch das Baachfell
durchsetzten. In der Höhe des inneren MattermandeB war ein grösseres zer¬
rissenes Gefäss sichtbar.
Da ein Missverhältnis zwischen Penis und Scheide nicht bestand, so
war fttr die Läsion verantwortlich zu machen: die Involution der Genitalien nnd
die „ Knieellenbogenlage*, vielleicht anch die durch den Alkohol hervorgernfene
geschlechtliche Erregung des Mannes.
Auch die sonstigen, für die Entstehung derartiger Rupturen angeführten
Gründe finden ihre Besprechung. Dr. H o f f m a n n - Elberfeld.
Zwei Fälle von Fremdkörpern des Uterus. Von Dr. Toff, Frauen¬
arzt in Braila. Münchener med. Wochenschrift; Nr. 88, 1902.
Bei den Fremdkörpern in der Gebärmutter handelt es sich meist am
abortive Eingriffe, durch welche Sondenstücke oder sondenähnliche Fremdkörper
in die Gebärmutter gelangen; in anderen Fällen sind dieselben therapeutischen
oder seltener accidentellen Ursprungs.
Unter den vom Verfasser mitgetheilten zwei Fällen betraf der eine Fall
eine 31jährige Wittwe, welche seit einem Jahre an Gebärmutterschmerzen und
weissem Flusse litt und oft kurze Fäden in der Absonderung bemerkte. Vor
einem Jahre wurde in Folge von Abortus im dritten Schwangerschaftsmonate
wegen Retention der Nachgeburt nnd starken Blutungen durch Kürettirung die
Plaoenta entfernt und ihr mehrere Jodoformgazetampons eingelegt, welche am
folgenden Tage entfernt wurden. Bald nach der Entlassung aus dem Kranken¬
hause traten heftige und andauernde Schmerzen im Bauch und Kreuz auf,
sowie reicher Ausfluss aus den Genitalien, welcher trotz mehrfacher Behand¬
lung nicht weichen wollte. Kein Fieber, zeitweilige Verstopfung und Urin¬
beschwerden. Darch bimannelle Palpation wurde die Gebärmutter in Anteversion,
hart, sehr gross und schmerzhaft befunden. Adnexen auf Druck ebenfalls sehr
empfindlich, Portio sehr dick, roth und wund; Abgang von zähem, graugrünem
Schleim aus dem Muttermunde. Nach einigen Tagen bringt die Kranke einige
2—8 cm lange, dünne Fäden mit, welche sich im Ausflüsse befanden und sich
mikroskopisch als Baumwollfäden erkennen Hessen. Die daraufhin gestellte
Wahrscheinlichkeitsdiagnose, dass sich in der Gebärmutterhöhle ein vergessener
Jodeformgazetampons befinde, wurde im weiteren Verlaufe vollauf bestätigt,
indem nach vorhergehender Erweiterung mit Laminariastiften ein festznsammen-
gedrückter, von grünem, krümeligem, übelriechendem Schleim durchsetzter
Tampon extrahirt werden konnte, welcher aus einem 30 cm langen und etwa
zwei Qaerfinger breiten, dünnen Gewebsstreifen bestand. Darnach erfolgte voll¬
kommene Wiederherstellung der Patientin.
Der zweite Fall, ein Unicum sowohl in Bezug auf die Natur des Fremd¬
körpers, als in Bezug anf die Zeit der Retention im UteruBcavum, betraf
eine 27 jährige IV. Para im vierten Monate der Gravidität mit starken Gebär¬
mutterblutungen. Patientin lag im Bette in einer förmUchen Blutlache, war
sehr blass und hatte hänfige Ohnmächten gehabt; Temp. 89,8°, Puls 120.
Nach antiseptischer Reinignug und Entfernung von zahlreichen, grossen
Blutklumpen fand Verfasser die Gebärmutter fast kindskopfgross, weich und
nach vorn gebeugt zu tasten, Muttermund für einen Finger bequem durch¬
gängig, das Uteruscavum von der Plaoenta und vielen lockeren Blutgerinnseln
erfüllt. Bei den Versuchen, die Placenta zu lösen, fühlte Verfasser plötzlioh
einen ziemlich schmerzhaften Stich in die Fingerkuppe und konnte nach vielen
Mühen ein 5 cm langes und 2'/s mm dickes, blutig durchquollenes Holzstäbchen
extrahiren. Nach entsprechender Nachbehandlung mittels Kürettirung und
antiseptischen Spülungen erfolgte sehr bald Fieberabfall und Wiederherstellung
der Patientin. Das betr. Holsstäbohen war ein Wurzelstück von Helleboras
niger, ein in jener Gegend vom Volke zu abortiven Zwecken vielfach benütztes
Mittel (meistens durch Weiber, welche dies gewerbsmässig betreiben und eine
grosse Geschicklichkeit im Einführen derartiger Stäbchen in den Mnttermnnd
resp. die Gebärmutter besitzen und auf diese Weise oft Abortus bewirken, mit¬
unter auch die betr. Patientionen septisch infisiren). Leider steht man diesen
Fällen mit gebundenen Händen gegenüber, da die Patientin, dem Gesetze nach,
Mitschuldige ist und man die dem Arzt übrigens unbekannte Urheberin des
Kleinere Mittheilangen and Referate ans Zeitschriften.
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Abortns nicht denanziren kann, ohne die Kranke ebenfalls dem Gerichte ans-
zaliefern nnd so das ärztliche Geheimniss preiszageben.
_ Dr. Wai bei «Kempten.
Fremdkörper im Mastdarm. Kasuistischer Beitrag von Assistenzart
Dr. 8 c h e r e n b e r g. Münchener med. Wochenschrift; Nr. 87, 1902.
Verfasser teilt als Knriosnm mit, dass sich vor einiger Zeit ein etwa
BOjihriger Mann aaf der chirurgischen Abteilung in Ulm eingefanden habe
and angab, er habe sich vor 2 Tagen eine Radfahrerlnftpampe in den After
eingeführt, am sich ein Klystier za geben, wobei die Pampe seinen Fingern
entglitten and in den Darm geratscht sei, in dem sie sich noch befinde. Br
habe inzwischen mehrmals regelmässigen Stahl gehabt and sei ohne besondere
Beschwerden.
Bei bimanaeller Untersuchung des Patienten in Rückenlage fand man
2 Qnerfinger über der Symphyse in der Medianlinie eine Resistenz, die Kreis¬
form nnd 2—3 cm Darchmesser hatte; sie setzte sich zylinderförmig in die
Tiefe des kleinen Beckens hinein fort and war noch aaf mehrere Zentimeter
abtastbar. Offenbar handelte es sich am das obere Ende der in der Flexara
sigmoidea sitzenden Luftpumpe. Unter vorsichtigem Drücken and Schieben
seitens der linken Hand von den Baachdecken aas bei gleichzeitiger Führung
des antern Endes darch den in den Mastdarm eingeführten Zeigefinger der
rechten Hand warde der Fremdkörper za Tage gefördert.
Ob der Patient sich wirklich ein Klystier hatte geben wollen, oder ob
nicht vielmehr die Motive in der pathologisch -sexuellen Sphäre zn sachen ge¬
wesen sein dürften, lässt Verfasser dahingestellt. Dr. Waibel-Kempten.
Entzündlicher Baachdeckentumor, hervorgerafen darch einen ans
dem Darm durchgebrochenen Fremdkörper. Von Dr. Wagner, Frauen¬
arzt in Stuttgart.
Der sowohl diagnostisch als therapeutisch interessante Fall betraf eine
52 Jahre alte Patientin, die nie geboren hat. Im Dezember 1900 erkrankte
sie unter den Erscheinungen einer Typhlitis bezw. Paratyphlitis, welche inner¬
halb 14 Tagen abheilte, so dass die Patientin sich den grössten Teil des
Jahres 1901 ganz wohl befand. Im November 1901 entstand erneute Schwellung
und Schmerzhaftigkeit der rechten Unterbaachgegend, welche im Verlaufe von
8 Wochen langsam, aber stetig zanahm. Im Januar 1902 fand man neben
heftigen Fiebererscheinangen eine starke Hervorwölbnog der rechten Baach¬
hälfte und ein wenig über dem rechten Poup art’sehen Bande 2 Finger breit
unter dem rechten Rippenrand einen über maaskopfgrossen, fibrös derben druck¬
empfindlichen and mit den Baachdecken zusammenhängenden Tamor, welcher
sich ins kleine Becken hinab fortzasetzen scheint. Bei der Diagnose kamen
in Betraoht: Ovarialtumor mit Stieldrehang, altes paratyphlitisches Exsudat
and Baachdeckensarkom.
Brst nach mehrmaligen Inzisionen and schliesslich tieferem Vordringen
in eine grosse Abszesshöhle stiess Verfasser aaf einen eigentümlichen Fremd¬
körper von sichelförmiger Gestalt and 5 1 /» cm Länge, mit dessen Extraktion
sich die Wände schnell schloss. Die daraufhin angestellten Erhebungen er¬
gaben, dass der Patientin ca. 2 Monate vor der seiner Zeit darchgemachten
Blinddarmentzündung eine Fischgräte von eiuem Kabeljau im Halse stecken
geblieben sei, welche sie nar mit grosser Mühe schliesslich hinanterge-
schlackt habe.
Der Fall ist interessant, da er zeigt, einerseits, welche pathologischen,
sowohl klinisch, als pathologisch-anatomisch eine Neubildung vor täuschenden,
Veränderungen (siehe Original) ein solcher Fremdkörper noch nach Jahr and
Tag hervorzurafen imstande ist, anderseits aber auch, welche diagnostischen
Schwierigkeiten daraas hervorgehen können.
Der Fremdkörper hatte zunächst Magen and Dünndarm anstandslos
passiert und war dann im Coecnm stecken geblieben; hier hat er allmählich die
Darmwand mit seinem spitzen Ende durchbohrt and veranlasste in dem Mo¬
ment, wo die Perforation eintrat — and dies geschah bei dem Fehlen von
peritonitischen Erscheinungen extraperitoneal — eine typische Paratyphlitis.
280 Kleinere Mittheilungen and .Referate ans Zeitschriften.
Nach Ablauf des akuten Stadiums trat eine Scheinheilong ein, indem sich der
Fremdkörper abkapselte.
Ans dieser Habe wurde er wieder aufgerüttelt bei Gelegenheit des von
der Patientin angegebenen „Verlupfens“ in Folge Hebens eines sohweren Wasch*
zubers im Januar 1002, worauf Erscheinungen eintraten, wie sie bei plötzlichen
Stieldrehungen Ton Baachtumoren beobachtet wurden. Der Fremdkörper ist
von neuem weiter gewandert, hat sich in die Bauchdecken eingebohrt and
damit die Ursache zu einem erneuten Aufflackern des entzündlichen Prozesses
gegeben, welcher erst mit endgültiger Entfernung _ des Missetäters zur
Heilung kam. Dr. Waibel-Kempten.
B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und Öffentliches
Sanitätswesen.
Die Differentialdiagnose der verschiedenen in die Gruppe der
Bakterien und der hämorrhagischen Septicämie gehörigen Mikro¬
organismen mit Hälfe der spezifischen Serumreaktion. Von O.Voges,
Baenos Aires. Zentralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infektions¬
krankheiten ; I. Abt., 1902, Bd. 31, Nr. 13.
Bisher waren alle Versuche, mittels der in die Gruppe der Bakterien der
hämorrhagischen Septicämie gehörigen Mikroorganismen spezifische Sera zu
erzeugen, misslangen. Nun hat Voges eine neue Methode ersonnen (über deren
Einzelheiten zu berichten, er sich einer späteren Veröffentlichung vorbehält),
welche itim für mehrere Arten dieser Mikroorganismen spezifische Sera geliefert
hat. Mit Hülfe dieser Sera war es ihm möglich, die Verschiedenheit dieser
kultarell so häufig sich gleich verhaltenden Bakterien mit absoluter Sicherheit
zu beweisen. Ein neuer dankenswerter Beitrag für den Wert der spezifischen
Serumreaktion. Dr. L e n t s - Berlin.
Der Pestbacillus im Organismus der Flöhe. Von Dr. Giuseppe
Zirolia, Assistenten des bakteriologischen Laboratoriums des italienischen
Gesundheitsamtes in Rom (unter Direktion des Prof. B. Gosio). Vorläufige
Mitteilang. Ibidem; Nr. 14.
Wie schon frühere Beobachter, hat auch Verfasser festgestellt, dass
FlOhe, während sie Blat sangen, das aufgenommene Blut mehrfach wieder ans-
spritzen, wobei sich ihr Unterleib stark zasammenzieht. Dies beobachtete er
auch an Flöhen, die er eine Zeit lang hungrig gehalten und dann auf an Pest¬
sepsis leidende Ratten und Mäuse gesetzt hatte. In diesem ausgespritsten
Blat konnte er vollvirulente Pestbazillen nachweisen. Ferner ergaben seine
Untersuchungen, dass die Pestbazillen sich im Leibe solcher Flöhe, wenn diese
sich mit Pestblut vollgesogen hatten und nun wieder ohne Nahrung gehalten
wurden, niobt nur lebend und viralent erhielten, sondern auch vermehrten.
Noch 7—8 Tage nach dem Saugen konnte er lebende Pestbasillen im Leibe
der FlOhe naohweisen. Auch fand er in den Fäces dieser FlOhe virulente
Pestbasillen.
Diese Resultate würden dafür sprechen, dass die FlOhe bei der Verbreitung
der Pest eine wichtige Rolle spielen. Dr. Lentz-Berlin.
Der Widerstand des Inflnenzabacillns gegen physische und
chemische Mittel. Von Dr. Raffaele Onorato, Assistent. Aus dem hy¬
gienischen Institute der Kgl. Universität zn Genua (Direktor Prof. Canalis)
Ibidem; Nr. 14.
Die von dem Verasser zum Studium der Widerstandsfähigkeit des
Iaflaenzab&cillas augestellten Versuche haben ergeben, dass derselbe gegen hohe
Temperaturen (über 45° C.), Sonnenlicht und Austrocknung, sowie gegen unsere
gebräuchlichen Desinfektionsmittel sehr wenig widerstandsfähig ist, dass er
aber aaoh von niedrigen Temperaturen (unter 0°) in weit kürzerer Zeit abge¬
tötet wird als andere pathogene Bakterien. Dr. L e n t z - Berlin.
Eine kurze Zusammenfassung der Resultate einer Untersuchung
(vom Januar 1899 bis August 1901) betreffend die Pathogenesis des
Kleinere Mitteilungen and Befernte aus Zeitschriften.
281
aknten Rheumatismus. Von F. John Poynton, M. D. nnd A. Paine,
]f. D. in London. Auf Wunsch der Verfasser Übersetzt von Dr. Louis
Eikind-London. Zentralblatt für Bakteriologie, Parasitenknnde nnd In¬
fektionskrankheiten ; 1. Abt., 1902, Bd. 81, Nr. 11.
In 20 Fällen von akntem Rheumatismus fanden die Verfasser einen
kleinen Diplococcus von 0,5 p Durchmesser; derselbe wuchs in flüssigen Nfthr-
snbstraten in kurzen Ketten, anf festen Nährböden in stapbylekokkexäbnlirher
Anordnunng; er färbte sich mit Anilinfarben gnt, die Gram’scbe Färbung
Hess oft im Stich; am besten wuchs er in einer Mischung von Milch nnd
Bouillon, die durch Milchsäure leicht sauer gemacht war, weniger gut auf
Blutagar; anf gewöhnlichem Agar wuchs er nicht. Gelatine wurde dnrcb ihn
nicht verflüssigt. Er erwies sich als fakultativer Anaerobe. 4
Der Diplococcus fand sich im Blute, in den entzündlichen Ergüssen der
Berösen Hände, in endokarditischen Auflagerungen und in dem Tonsillenbelag
der Patienten; die serösen Ergüsse in den akut erkrankten Gelenken erwiesen
sich als steril.
Kaninchen erkrankten nach intervenöser Injektion von Aufschwemmungen
des Diplococcus mit Gelenkschwellungen und serösen Ergüssen, sowie endo¬
karditischen Ulzerationen; aus letzteren beiden konnte der Mikroorganismus
wiederum in Reinkultur erhalten werden. Ein Kaninchen zeigte sogar Er¬
scheinungen, welche die Verfasser als choreatische Zuckungen deuten zu dürfen
glaubten; sie konnten hier den Diplococcus in der Pia mater und dem Endothel
der Blntkapillaren in der Hirnwinde nachweisen.
Auf Grund ihrer Befunde glauben die Verfasser die Ansicht Singers,
dass der akute Rheumatismus auf einer Infektion mit verschiedenen abge¬
schwächten Mikroorganismen beruhe, als nicht zutreffend bezeichnen zu müssen.
Dr. L entz-Berlin.
Veber die Lebenabedingungen den Tubekuloseerregere in der
Salcbutter. Von Dr. med. Alfred Pettersson, stellvertretender Prosektor
am pathologischen Institute. Ans dem pathologischen Institute der Universität
Upsala. Ibidem; Bd.32, I. Abt., Nr. 4.
Nach eingehender Besprechung der bisher bekannt gewordenen Arbeiten
über das Vorkommen von Tuberkelbasillen in der Butter, giebt Pettersson eine
Beschreibung der von ihm nach dieser Richtung angestellten Versuche. Er
hatte dabei sein Augenmerk darauf gerichtet, zu entscheiden, ob die Be¬
schaffenheit der Butter bezw. die Art und Weise ihrer Bereitung die Lebens¬
fähigkeit nnd Virulenz der Tuberkelbazillen in irgend einer Weise beeinflusst.
Er fand, dass nngesalzene Sttssrahmbutter den Tuberkelbazillen die günstigsten
Bedingungen bietet nnd dass solche Butter noch 4 Wochen nach der Impfung
mit Bazillen infektionsfäbig i«t; dass dagegen in aus gesänertem Rahm ber-
gestellter, sowie in stark gesalzener (ca. 4—6 °/ 0 Kochsalz enthaltender) Butter
die Tuberkelbazillen rasch zu Grnnde gehen, so dass mit solcher Butter Meer¬
schweinchen bereits 10, bisweilen schon 5 Tage nach der Impfang der Butter
mit Tuberkelbazillen nicht mehr infiziert werden konnten.
Dr. Lentz-Berlin.
Ueber die tnberkelbazillenähnlichen Stäbchen nnd die Bacillen
den Smegman. Von Dr. A. Weber, Kgl. Württ. Oberarzt, kommandiert
zum Kais. Gesundheitsamt. Mit Mikrophotographien von Dr. Alb. Maassen,
techn. Hilfsarbeiter im Kais. Gesundheitsamt (Tafel VII u. XI). Arbeiten aus
dem Kaiserl. Gesundheitsamts; Neunzehnter Band, 2. Heft. Mit 8 Tafeln.
Berlin 1902. Verlag von Jnlius Springer.
W. teilt die tuberkelbazillenäbnlichen Stäbchen in drei Gruppen ein.
Zu der ersten, die ausgezeichnet ist durch hohe Pathogenität für bestimmte
Tierarten, rechnet er die Bazillen der Perlsucht, des Rindes, der Geflügel-,
Fisch- und Blindschleichen-Tuberkulose und der Lepra. In diezweite Gruppe
gehören sapropbytisahe, in der Natur weit verbreitete, aber auch gelegentlich
im menschlichen Körper sich ansiedelnde Keime: Gras-, Mist-, Milch- und
Butter-Bazillen. Die dritte Gruppe wird gebildet duroh die Smegmabazillen.
Der Hauptfundort der Bakterien der zweiten Gruppe, die in erster Linie den
Gegenstand der vorliegenden Arbeit bilden, ist die Ackererde nnd solche Gegen-
282
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
stftnde, welche mit der Erde in Berührung kommen: Gräser, Getreidekörner,
Henstanb, Mist, von wo ans sie in Milch, infolge der beim Melken unvermeid¬
lichen Verunreinigung, und in Butter gelangen können. Für die praktische
diagnostische Bedeutung der betr. Stäbchen sprechen am deutlichsten mehrere
veröffentlichte Fälle von Fehldiagnosen, die auf Grund deB mikroskopischen
Nachweises dieser Bakterien gestellt und erst durch die Obduktion anfgedeckt
worden. Da die betr. Stäbchen auf den gewöhnlichen Nährböden rasch und
üppig wachsen, so kann su ihrer Trennung von dem viel anspruchsvolleren,
selbst auf dem Glyzerinserum nur langsam sich entwickelnden echten Tnberkel-
bacillus das Kulturverfahren Anwendung finden. Eine gewisse pathogene Wir¬
kung ist den betr. Stäbchen nicht abzusprechen; dieselbe beruht aber nach W.,
im Gegensätze zu der des echten Tuberkelbacillus nicht auf dem Zustandekommen
einer Infektion, sondern kann als eine Fremdkörperwirkung erklärt werden:
es handelt siah hier um sog. Fremdkörperknötchenbildung. Niemals kommt es
zu einem, der Tuberkulose ähnlichen fortschreitenden, allmählich sämtliche
innere Organe ergreifenden und dadurch zum Tode führenden Prozesse. Je
länger man die Versuchstiere leben läset, desto geringer wird die Gefahr, in
einen diagnostischen Irrtum zu verfallen. Während allen diesen Stäbchen, wie
dem echten Tuberkelbacillus, die Fähigkeit zukommt, ans den in den gewöhn¬
lichen Nährböden enthaltenden Stoffen eine fette oder wachsartige Substanz
zu bilden, die ihnen die Säurefestigkeit verleiht, giebt es noch eine besondere
Bakterienart, welche fetthaltiger Nährmedien bedarf, um ähnliche färberische
Eigenschaften, wie der Tuberkelbacillus hat, anzunehmen. Diese Art ist inso¬
fern von praktischer Bedeutung, als sie sich auch im und am menschlichen
Körper ansiedeln und sich hier unter normalen und pathologischen Verhältnissen
fetthaltiges Nährbodenmaterial vorfinden kann. Abgesehen von Smegma und
Cerumen kommen in Betracht die in den Krypten der Tonsillen Bteckenden
Pfröpfe, der Inhalt ven Lungenkavernen, das Sputum bei Lungengangrän und
fötider Bronchitis, sowie der fettige Inhalt von Zysten. Ferner verdienen der¬
artige Bakterien Berücksichtigung bei der bakteriologischen Untersuchung von
Milch und Butter. Im Anschlüsse hieran berichtet W. über einige Versuche
zur Kultur von Smegmabazillen, deren Züchtung bisher noch nicht gelungen
war. Ausgehend von der Annahme, dass auch dieser Bacillus seine färberischen
Eigentümlichkeiten dem fetthaltigen Sekrete verdanke, benutzt W. zu seinen
Versuchen einen Nährboden, der aus Lanolin und MaaBsens einweissfreier
Nährlösung bestand; es gelang ihm, in diesem eine ßakterienart zu züchten,
die er für den Smegmabacillus hält._ Dr. Rost-Rudolstadt.
Versuche über Fütterungstuberkulose bei Rindern und Kälbern.
Von Prof. Dr. Max Scbottelius. Münchener mediz. Wochenschrift; 1902,
Nr. 89.
Die im verflossenen Sommersemester im hygienischen Institut der Uni¬
versität zu Freiburg in Br. angestellten Uebertragungsversnche von Tuber¬
kulose auf Rinder und Kälber mittels Verfütterung von tuberkulösem Sputum,
welches pro Tier und Fütterung etwa 50 g teils unter die Milch gerührt,
teils auf das Grünfutter ausgegossen wurde (24 mal innerhalb 4 Monaten),
führten zu folgenden positiven Ergebnissen:
Die Kontrolltiere (1 Kuh und 2 Kälber), welche übrigens während
der ganzen Versuchsdauer im gleichen Stall neben den infizirten Tieren,
nur durch einen Lattenschlag von ihnen getrennt, gestanden hatten, waren
durchaus gesund, sämtliche Organe und namentlich sämtliche Lymph-
drüsen waren ganz frei von irgend welchen Herderkrankungen und voll¬
ständig normal.
Dagegen wurden alle 3 infizirten Tiere (1 Kuh und 2 Kälber)
tuberkulös befunden: bei der Kuh tuberkulöse Enteritis und starke
Schwellung dor Mesenterialdrüsen, ausserdem tuberkulöse Verkäsung und Ver¬
kalkung der Mediastinal- und Bronchialdrüsen und eine verkäste tuberkulöse
Pneumonie nebst vereinzelten Miliartuberkeln in der Pleura. Bei beiden
Kälbern stark geschwollene tuberkulöse, verkäste und verkalkte Submaxillar-
drüsen und einzelne tuberkulöse Mesenterialdrüsen.
Bei allen 3 Tieren waren sämtliche Lymphdrüsen des ganzen Körpers
auch die Muskellymphdrüsen, stark geschwollen, teils marmorirt geröthet, mit
Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften.
283
blassen — wie nekrotisch erscheinenden — Einsprengungen durchsetzt. Die
mikroBkopisch-bakteriologische Untersuchung ergab in allen 3 Fällen das Vor¬
handensein von Tuberkelbazillen in den erkrankten Teilen.
Verfasser bemerkt zum Schlüsse noch, dass ihm das Ergebnis der Versuche
besonders deshalb bemerkenswert erscheint, weil bei der Versuchsanordnung
jeder ktinstliche, den natürlichen Vorgängen nicht völlig entsprechende Eingriff
vermieden wurde und die Versuchstiere nur solohen Bedingungen ausgesetzt
worden, wie dieselben überall, wo ein Schwindsüchtiger mit der Wartung der
Tiere beschäftigt ist, auftreten können. Nebenbei wird durch diese Versuche
auch die Tatsache bestätigt, dass die menschliche Tuberkulose auf Rinder
übertragbar ist, was als ein weiterer Beitrag für die prinzipielle Identität
der menschlichen und tierischen Tuberkulose dienen kann.
_ Dr. Waibel-Kempten.
Ueber einige Zeit- nnd Streitfragen ans dem Gebiete der Tuber¬
kulose. Von Prof. Dr. J. Orth in Göttingen (jetzt Berlin). Berliner klin.
Wochenschrift; Nr. 30 und 34. 1902.
T. Was ist Tuberkulose? Der Name Tuberkulose, der ursprünglich
eine Erkrankung bedeutet, die durch die Entstehung von Tuberkeln, d. h.
Knötchen gekennzeichnet ist, passt nicht mehr für das, was wir nntcr der so
beseichneten Krankheit verstehen. In der vorliegenden Arbeit wird der Ent¬
wicklungsgang der Anschauungen über das Wesen der Tuberkulose näher er¬
örtert und herrorgehoben, dass bereits an der Ko oh’sehen Entdeckung des
Tuberkelbaoillus die Krankheit als Infektionskrankheit erkannt war, nur setzte
man au Stelle des noch unbekannten „Bacillus toberculosos“ das „Virus tuber-
culosum“. Ausserdem war besonders durch Cohnheim’s Arbeiten das
Tuberkelknötchen als das einzige sichere Kriterium der Tuberkulose verlassen
und das Gebiet der Tuberkulose und die Zahl der tuberkulösen Erkranh ungen
erweitert worden. Cohnheim hat sie in seiner Abhandlung (1879) anfgezählt.
Heute müssen wir alle Veränderungen zu der Tuberkulose zählen, die durch
den Tuberkelbacillus erzeugt werden. Zur Diagnose Tuberkulose gehört aber
nicht nur der Bazillenbefund, sondern auch der Nachweis, dass morphologische
Veränderungen vorhanden sind. Erst durch Kombination histologischer, bak¬
terieller und experimenteller Untersuchungen ist die heutige Begriffsbestimmung
der Tuberkulose vorgenommen worden.
Obwohl in morphologischer Beziehung Verschiedenheiten vorhanden waren,
bestand die Vorstellung, dass es nur eine Tuberkulose gibt. Verfasser hat
bereits 1881 vor Entdeckung des Tuberkel - Bacillus mit einer veränderten
Virulenz des Tnberkelgiftes und mit einer Erhöhung derselben durch Anpassung
gerechnet. Sollte es sich herausstellen, dass bei den verschiedenen Tierarten
Bazillen Vorkommen, die nicht nur Anpassungen- und Umzücbtungsverschieden-
heiten darbieten, also nicht nur Varietäten eines und desselben Organismus
sind, so würde abermals eine Aenderung des mit dem Worte Tuberkulose zu
verbindenden Begriffes eintreten müssen, es würde Tuberkulose ein Geltungs¬
name für morphologiseh wie ätiologisch verwandte, aher doch nicht identische
Krankheiten werden.
II. Was ist Perlsucht? Nebst kurzem Bericht über ex¬
perimentelle Uebertragung der menschlichen Tuberkulose
anf grössere Haustiere. Von Prof. Dr. J. Esser u. Prof. Dr. J. Orth.
Während schon 1817 (Dupsy) die Perlsucbt als eine Tuberkulose im
spezifischen Sinne, also als identisch mit der menschlichen Tnberkulose erklärt
wurde, behauptete Virchow (1865), dass er niemals bei Tieren eigentliche
Tuberkulose gesehen habe, trennte sie von der menschlichen Tuberkulose völlig
ab nnd reihte sie dem sogenannten Lymphosarkomen an.
Die auf dem vorjährigen Tuberkulose - Kongress in London von Koch
geäusserte Anschauung, dass die Tuberkulose der Menschen sich von der der
Rinder unterscheidet und nicht auf das Vieh übertragen werden kann, erregte
grosses Aufsehen, zumal da die durch Koch bei der Perlsucht gefundenen
Bazillen sowohl in bezug auf ihre Verteilung im perlsüchtigen Gewebe, wie
auf färberisches und kulturelles Verhalten mit den Tuberkelbazillen des Menschen
übereinstimmten und in der ganzen zivilisierten Welt zur Unitätsanschauung
geführt hatten.
284
Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften.
Darüber, dass die Perlsncht in allen wesentlichen Punkten mit der
menschlichen Tuberkulose Ubereinstimmt, man also berechtigt ist, sie ebenfalls
Tnberknlose zu nennen, besteht kein Zweifel, nnr darüber sind noch Zweifel
möglich, ob beide Krankheiten völlig identisch oder nnr nahe verwandt sind.
Verfasser hat nnn im Verein mit dem Direktor des Tierarzneiinstitnts, Geb.
Med.-Rath Prof. Esser, Uebertragnngsversnche an Kälbern, Schweinen nnd
Ziegen angestellt, nnd es gelang, menschliche Tnberknlose anf die Tiere zn
übertragen nnd zwar nicht nnr unter Erzengnng einer örtlichen Wirkung,
sondern derart, dass eine fortschreitende, tätliche Tnberknlose entstand. Das
Infektionsmaterial war ans einer mit Pbtbisis cavcrnosa behafteten Lnnge derart
gewonnen, dass einem Meerschweinchen eine Aufschwemmung des Inhalts einer
frisch eröffneten Kaverne in die Bauchhöhle injizirt wurde. Nach dem an
typischer Tnberknlose der Bauchhöhle erfolgtem Tode des Tieres wnrden Ver¬
impfungen der zerriebenen Knoten anf verschiedene Nährböden, besonders
Gehirn vorgenommen. Hier wnchs eine Reinknitor, die nnn besonders in
Bonilion weitergezüchtet wurde. Zn den Experimenten wurde teils solche
Bouillonknltnr benutzt, zum Teil ater tuberkulöse Organe (Nierenstücke) von
Kaninchen, die mit solcher Kultur infiziert worden waren. Diese Tierpassage
hatte offenbar die Virulenz der Tnbsrkelbazillen gesteigert.
Durch diese Versuche ist die Kocbe’scfae Behauptung, das die Tnber-
kuloee des Menschen nicht auf das Vieh übertragen werden könne, widerlegt.
Andere Experimentoren (Klebs, de Jong, Arloing, v. Behring n. A.)
haben gleichfalls positive Resultate gemeldet.. Zwischen Perlsncht nnd mensch¬
licher Tuberkulose besteht die weitgehendste Uebereinstimmnng in histologischer,
experimenteller nnd bakteriologischer Beziehung, dagegen ist bis jetzt nichts
beigebracht worden, was gegen eine Identität der beiden spräche.
Das von Koch ans menschlichen Tnberkelbazillen bereitete Tuberkulin
wirkt in gleicher Weise wie anf tuberkulöse Menschen, so auf perlsücbtige
Rinder ein. Aneh v. Behring (Die Tuberkulose, Arbeiten ans dem Marburger
Institut, 1902) erklärt das von beiden Bazillen hervorgebrachte Gift für che¬
misch nnd physiologisch gleich. Die Identität der beiden tuberkulösen Erkran¬
kungen bei Mensch nnd Tier mnss angenommen werden, wenn auch noch nicht
der Beweis geliefert ist. dass die Rindertuberkulose anf den Menschen über¬
tragen werden kann; aber es scheinen auch jetzt schon Tatsachen znr Genüge
vorzuliegen, die es im höchsten Grade wahrscheinlich machen, dass Uebertra-
gung möglich ist, nnd so lange auch nur die begründete Möglichkeit dazu be¬
steht, dürfen keinerlei Vorbengungsmassregeln vernachlässigt werden. Die
Gefahr der Perlsnchtsübertragung ist allerdings nicht allein abhängig von der
Uebertragung der Bazillen, sondern auch von der Konstitution des Menschen,
anf den sie ein wirken. Dr. Räuber-Düsseldorf.
Uebertragung der Tuberkulose des Menschen auf das Rind. Von
Dr. Johannes Fibiger. Prof, der pathol. Anatomie an der Universität zn
Kopenhagen und C. 0. Jensen, Lektor der allg. Pathologie nnd der pathol.
Anatomie an der Königl. tierärztl. nnd landwirtscbaft). Hochschule zn Kopen¬
hagen. Berliner klin. Wochenschrift; 1902. Nr. 88.
Die Verfasser untersuchten, ob die Bazillen von Tuberknlosefällen mit
besonderer Lokalisation in den Verdanungsorganen, z. B. aus chronischer Darm-
tuberknlose, sich anders verhielten, als es mit den Tuberkelbazillen des
Menschen gewöhnlich der Fall ist. und ob sie möglicherweise durch ihre grössere
Virnlenz für das Rind ihre bovine Herkunft verraten würden. Insbesondere
waren es 8 Fälle von primärer Darmtnherkulose bei Kindern, die unsrer anderen
zur Verwendung kamen. Die Impfungen von diesen Fällen anf Kälber legten
dar, dass die vorhandenen Bazillen virulent, sogar in höchstem Grade virnlent
für Kälber waren, die Kälber starben. Die Ansicht liegt nahe, dass die Krank¬
heitsfälle wirklich von einer Infektion mit Bazillen herrührten, die vom Rinde
stammten. Verfasser fassen die 8 Fälle als „Perlsncht“ anf und glauben die
Behauptung von der Unschädlichkeit der Tnberknlose des Rindes für den
Menschen widerlegt zn haben. Dr. Ränber-Düsseldorf.
Kleinero Mittheilnngen and Referate ans Zeitschriften.
286
Ueber die Bedeutung der Zigarren und besonders der Stummel
derselben im Hinblick auf die Verbreitung der Tuberkulose. Experi-
mentalnntersnchnngen von Dr. Luigi Peserico, Assistent. Ans dem hygieni¬
schen Institut der König!. Universität Padua. (Unter Leitung des Professors
A. Serafini.) Archiv f. Hygiene; Bd. 44, H. 8.
Peserico implantierte Meerschweinchen Teile von Stummeln solcher
Zigarren, welche von Tuberkulösen geraucht worden waren, sowie frischen
Zigarren entnommene Tabakshlätter, andere impfte er mit Zigarrenstummel-
anfgU8s, dem er tuberkulöses Sputum zngesetzt hatte, und konnte Folgendes
feetstellen:
Die Stummel der von Schwindsüchtigen gerauchten Zigarren vermögen
die Tuberkulose mit Sicherheit unmittelbar, nachdem sie geraucht sind, und
selbst bis zu zwei Wochen nachher, wenn sie trocken aufbewahrt sind, zu
übertragen.
Dagegen verlieren sie, feucht bezw. unter Bedingungen aufgehoben, nnter
denen sie sich aaf der Strasse oder in Kaffees finden, diese Infektionskraft in
spätestens 10 Tagen. In einem Tahaksanfgnss halten sich die Tuherkelbazillen
ebenfalls wenigstens 8*Tage lebensfähig und virulent: es ist. hier eine mit der
Länge der Zeit deutlich abnehmende Virulenz und Lebensfähigkeit zu beob¬
achten.
Die Untersuchung frisch gekaufter Zigarren ergab in keinem Falle die
Anwesenheit von Tuherkelbazillen. Ueberhaupt war die Zahl der in Zigarren
und Zigaretten eefnndenen Mikroorganismen gering, stets fanden sich nur
wenige Schimmelpilze, Staphylokokken, Kartoffelbazillen und Proteusarten.
Dr. Lentz-Berlin.
Die Auswahl der Kranken für die Lungenheilstätten und die
frühzeitige Erkennung der Lungentuberkulose in der ärztlichen Praxis.
Von Privatdozent Dr. Kurt Brandenburg in Berlin. Berliner Klinik.
Fi sc her’s mediz. Bucbhandl. Juli 1902. Heft 169.
Der Schwerpunkt der Diagnostik der Spitzenerkrankung liegt auf kli¬
nischem Gebiete. Wichtig ist aus der Vorgeschichte die Kenntnip, oh eine
örtliche oder allgemeine Empfänglichkeit für die Entwicklung der Lungen¬
schwindsucht anznnebmen ist; oh der Kranke längere Zeit hindurch mit schwind¬
süchtigen Personen gelebt, gewohnt, in dem gleichen Baume geschlafen oder
gearbeitet bat. Die verschiedensten schwächenden Beize können eine vor¬
handene Krankbeitsanlage auplösen oder eine Empfänglichkeit schaffen.
Die ersten Symptome der Erkrankung sind sehr unbestimmt. Vermin¬
derte Leistungsfähigkeit bei der Arbeit, groseep Buhehedürfnis und Mattigkeit,
dauernde Appetitlosigkeit, Abmagerung, Kopfschmerzen sind die allgemeinen
Klagen. Bemerkbar wird eine unerklärliche flescbäftipkeit. in dem veränderten
Gemütsleben zeigen 'sich Reizbarkeit und Verdriesslicbkeit. Fast jeder Phthisiker
bat nervöse Störungen, Herzklopfen und unregelmässige Herztätigkeit, Be¬
schleunigung des Pnlses. Die Hautdecken sind oft leicht zyanotisch und auffal¬
lend blass und zart, ohne das Chlorose vorliegt. Differentialdisgnostisch spricht
Gewichtsabnahme für Phthisip. Verdächtig sind ferner Neigung zu Schweissen,
schlechter Schlaf, Schwankungen in der Körperwärme, Störungen an den Ver-
daunngsorganen, besonders deB Appetites; das Gefühl von Druck auf der Brust,
Seitenstechen auf einer 8eite oder zwischen den Schultern. Kurzatmigkeit
nach geringen Körperanstrengnngen; Husten, besonders das Auftreten von Blut
im Answurf. Nicht, selten findet, sieh einseitige chronische Laryngitis oder
habnenkarnmartige fnngöse Erhabenheiten der hinteren Keblkopfawand ; seltener
beobachtet ist eine mäsaige Eiweissausscheidnng im Urin hei blassen, jugend¬
lichen Personen und ohne erkennbare Veranlassung.
Auf der ersten Stufe der Krankheit, besteben vielfach bereits Ungleich¬
heiten in der Ansdebunng des Brustkörben auf beiden Seiten während der
Atmung, ein Zurückbleiben der einen Seite in ihren oberen Teilen. Durch die
Verdichtung und Verkleinerung der Lungenspitze erscheint der Perknssions-
sohall dumpfer und leerer, die Ausdehnung und Luftfüllung bei der Einat¬
mung ist beschränkt, dadurch das Gebiet des hellen Schalles über der Lungen¬
spitze verkleinert.^ Eine tiefe Einatmung verschiebt 1 die Grenzen nioht
286
Besprechungen.
wesen Hieb. Bei der Auskultation ist in erster Linie wertvoll der Nachweis
einer Veränderung des Atmungsgeräusches Ober der einen Spitze. Das Geräusch
bei der Einatmung ist zaweilen deutlich abgeschwächt und undeutlicher als
ttber der anderen; daneben fällt ein hauchendes und vetlängertes Geräusch
während der Atmung auf. Nebengeräusche bei der Atmung werden meist
als spärliches oder reichlicheres feines Rasseln gehört. Die störenden Neben*
geräusche durch Muskelkontraktionen und Gelenkverschiebungen werden am
besten bei mässig vertiefter Atmung nach dem costo - abdominalen Typus
vermieden. Bei der grossen Mehrzahl der Kranken im ersten Stadium der
Lungenschwindsucht ist der Auswurf gewöhnlich nicht bazillenhaltig; wo es
gelingt, Tuberkelbasillen in Masse zu findeo, gibt die physikalische Unter¬
suchung gewöhnlich die Erscheinungen ausgedehnter Infiltration und be¬
ginnenden Zerfalls in den Lungen. Die Anwendung des Tuberkulin dürfte
für den Arzt in der praktischen Tätigkeit, um das Frühstadium einer Lungen¬
tuberkulose zu erweisen, im allgemeinen eine beschränkte sein und sich vor¬
züglich bei denjenigen Fällen bewähren, wo durch besondere erschwerende Um¬
stände die physikalischen Methoden und eine längere und sorgfältige klinische
Beobachtung im Stiche lassen oder nicht durchgefQhrt werden können. Fälle,
bei denen man mit den diagnostischen Mitteln eine Erkrankung nicht fest¬
stellen kann, sollen nicht in eine Lungenheilstätte gebracht werden; auch eignet
sioh die Anstaltsbehandlnng nicht für alle Individuen. Alle Kranke, bei denen
eine länger dauernde Erwerbsfähigkeit voraussichtlich nicht erreicht werden
kann, sind von der Behandlung auszuscbliessen, wobei die Beobachtung des
Allgemeinzustandes und die physikalische Untersuchung massgebend ist. Un¬
geeignet für die Heilstättenbehandlung sind die Kranken, bei denen die Dämpfung
auf beiden Seiten die 2. Rippe überschreitet, also die Infiltration beider Ober¬
lappen anzeigt und bei denen die auskultatorischen Erscheinungen der Er¬
weichung und ausgedehnten Verdichtung gehört werden oder gleichzeitig tuber¬
kulöse Erkrankungen in anderen Organen vorhanden sind. Die Erreichung
eines Dauererfolges kann durch die vorübergehende Heilstättenbehandlung nur
erreicht werden bei einer durchgreifenden Aenderung der Lebensverhältnisse
der Kranken. Dr. Ru mp-Recklinghausen.
Besprechungen.
Stutirst Prof. Dr. Kobert- Rostock: lieber die Schwierigkeiten,
bei der Auslese der Krankheiten für die Tolkslungenheilst&tten
und ttber den Modus der Aufnahme in dieselben. Stuttgart 1902.
Verlag von F. Enke. Gr. 8°; 148 8.
K. hatte die vielumstrittene und seitgomässe Frage betreffend die Aus¬
lese der Kranken für die Heilstätte zum Thema des vom Aerzteverein zu
Rostock gewünschten Vortrages gewählt. Zu diesem Zwecke richtete Verfasser
an 81 Landes - Versicherungsanstalten und 9 Kasseneinrichtungen, die auf
gleichem Gesetz wie jene beruhen, sowie an die ärztlichen Leiter von 40 deutschen
Volksinngenheilstätten einen Fragebogen mit folgenden drei Fragen: I. Welchen
höchsten Grad von Tuberkulose lassen Sie für das Heilverfahren noch zuP
II. Genügt Ihnen ein Attest des Haus- oder Kassenarztes? Falls nicht.
III. Welcher Vorprüfung und durch wen muss der Patient unterzogen werden,
ehe das Heilverfahren übernommen wird? In der vorliegenden Schrift werden
die eingegangenen Antworten in extenso gesondert für Frage I sowie für
Frage II und III wiedergegeben, und im Anschluss daran die verschiedenen
für das Aufnahmeverfahren gebräuchlichen Formulare zum Abdruck gebracht.
So mühevoll für den Autor dieser auch bei anderer Gelegenheit von ihm geübte
Modus, zu einem möglichst objektiven Urteil zu kommen, gewesen ist, so un¬
erfreulich muss m. E. das Ergebnis dieser Zusammen- und Nebeneinander-
Stellungen für die an der Heilstättenfrage beteiligten Versicherungsanstalten,
KassenVorstände und Aerzte sein; denn in allen Fragen, fast in allen einzelnen
Punkten sind noch heute trotz der vielen darüber gepflogenen Verhandlungen und
erschienenen Schriften widerstreitende Ansichten, sogar krasse Widersprüche. —
Ist es da wunderbar, wenn noch so viele Theoretiker und Praktiker unter den
Aersten kopfschüttelnd beiseite stehen und von den Heilstätten nichts wissen
Besprechungen.
287
wollen ? Möchte K o b e r t s Schrift zur Ausgleichung der erheblichen Differenzen
im eignen Lager anregen und beitragenl Dr. R o e p k e -Lippspringe.
Dr. Kann, Assistenzarzt an der Provinzial • Hebaimuenlehranstalt in Pader¬
born : Leitfaden über die Pflege der WOchnerin nnd des Sftug-
llngs. Verlag der Junfermannsehen Bachhandlang za Paderborn. 12 0 ;
118 3. Preis: 2 Mark.
Der Leitfaden berücksichtigt im grossen ganzen alle die bei der Unter¬
weisung von Wochenbettpflegerinnen in Betracht kommenden Punkte. Der
Lehrstoff ist übersichtlich eingeteilt nnd geordnet, die Darstellung erschöpfend
und vor allem gemeinverständlich. Insbesondere ist die wichtige Frage der
8tellang der Wochenbettpflegerinnen zur Hebamme and zam Arzt sowie der
Umfang ihrer Tätigkeit in einer Weise behandelt bezw. abgegrenzt, dass man
sich damit nar einverstanden erklären kann. Vermisst habe ich eine für den
Laien verständliche, ausführlichere Schilderung des Wochenbettfiebers, das bei
dem Abschnitt über Ansteckung und Desinfektion (S. 14 u. folg.) nur kurz er¬
wähnt ist; denn eine Wochenbettpflegerin muss zweifellos gerade nach dieser
Bichtang hin derartig unterrichtet sein, dass sie schon bei den ersten Krank¬
heitserscheinungen auf die Möglichkeit von Wochenbettfiber aufmerksam wird.
Temperaturen von 38—38,5° (in der Achselhöhle gemessen) sind weiterhin m. E.
nicht als „hoch n o r m a 1“ (s. S. 33) und solche von 38,6—39° C. nicht als
„leicht fieberhaft“, sondern als „leicht fieberhaft“ bezw. als „fieberhaft“ anzu¬
sehen, namentlich, wenn gleichzeitig eine Vermehrung der Pnlsschläge oder
mangelhaftes Allgemeinbefinden besteht; jedenfalls hätte auf diese beiden
Pankte besonders aufmerksam gemacht werden müssen.
Ebenso wie im Hebammenlehrbuch sollte Kresolseifenlösung und nicht
Lysol in erster Linie neben Karbolsäure als Desinfektionsmittel empfohlen
(s. S. 19) werden. Die Ansicht, dass eine Wochenbettpflegerin die Wobnnngs-
desinfektion, wenn auch nur für den AusnAbmefall, übernehmen soll (S. 24),
wird sicherlich vielfach auf berechtigten Widersprach stossen. Es genügt,
wenn die Pflegerin die Desinfektion veranlasst und sie vielleicht überwacht.
Deshalb ist es aber ganz zweckmässig, wenn sie, wie Verfasser vorschllgt
darin unterrichtet wird.
Auch mit dem Speisezettel für gesunde und kranke Wöchnerinnen
dürften sich manche Aerzte nicht einverstanden erklären und namentlich die
Empfehlung von „rohem geschabten Fleisch“ sowie die ausserordentlich
kräftigen verschiedenen Fleischbrühen, Eier mit Cognak u. s. w. als „Fieber¬
diät“ beanstanden.
Der sehr eingehend und sachgemäss bearbeitete Abschnitt über künst¬
liche Ernährung bringt m. E. zu viele verschiedene Methoden und kann infolge¬
dessen gerade bei den Wochenbettpflegerinnen sehr leicht zur Unsicherheit und
Verwirrung führen.
Wenn Verfasser die vorstehenden Pankte bei der voraussichtlich recht
bald notwendigen zweiten Auflage seines Leitfadens berücksichtigt, dann wird
derselbe sicherlich an Brauchbarkeit gewinnen nnd die Verbreitung in den be¬
teiligten Kreisen finden, die er entschieden verdient. Bpd.
Dr. Joseph Klein: Elemente der forensisch-chemischen Aua-
miuelong der Gifte. Ein Hilfsbuch für Studierende und kurzes Nach-
scblagebucti. Zweite verb. Auflage. Mit 10 Abbildungen. Hamburg nnd
Leipzig 1902. Verlag von Leopold Voss. Kl. 8°; 124 S. Preis: 2,60 M.
Nach einleitenden Bemerkungen, in denen auch die einzelnen Unter-
suchungsmethoden besprochen werden, geht der Verfasser daran, die einzelnen
Gifte nachzuweisen. Er beginnt mit dem Nachweise der am leichtesten zer¬
setzbaren Gifte; dann folgen die weniger leicht zersetzbaren (Alkaloide) und
endlich kommen die beständigen Gifte (Metallgifte) an die Reihe. Ein Anhang
beschäftigt sich mit der Identifizierung organischer Arzneistoffe und dem
Nachweise einiger offizieller Präparate und der Oxalsäure.
Das kleine Werk ist praktisch und übersichtlich zusammengestellt, der
spröde Stoff ist in eine recht annehmbare Form gebracht, und kann das Buch
als Hilfs- und Nachschlagebuch — was es ja sein will — nur empfohlen werden.
Dr. Hoffmann-Elberfeld.
388
Tagesnach richten.
Tagesnachrichten.
Aus dem Reichstage. In der Sitzung vom 16. März werden ver¬
schiedene Petitionen nm Erlas« eines Gesetzes, betreffend die reichsgesetz-
liehe Regelnng des Verkehrs mit Arznei- nnd Geheimmitteln, dem
Reichstage znr Berücksichtigung überwiesen. In den Petitionen werde nm
Freigabe von Brnstpnlvern, Brnsttee. St. Germaintee, Holztee, Rhabarber n.s.w.
gebeten; dieAbg. Dr. Müller-Meiningen nnd Dr. Lenzmann befürworteten
die Petitionen, von seiten des Regiernngsvertreters wnrde dagegen erklärt-,
dass nach Erlass der nenen Kaiserlichen Verordnung vom 22. Oktober 1901
erst weitere Erfahrungen abgewartet werden müssen, nnd daher jene Wünsche
vorläufig nicht berücksichtigt werden könnten. In derselben Sitzung wnrde
der Regiernng anch eine Petition nm Verbot medizinischer Eingriffe bei
Menschen zn anderen als Heilzwecken znr Erwügnng, nnd eine Petition
nm reichsgesetzliche Regelung des Irrenwesens nnd Aendernng des
Entmündigungsverfahrens als Material überwiesen.
Nach den dem Reichstage am 14. M8rz zngegangenen Ausführung«-
bestimmungsn znm Süssstoffgesetz liegt die Durchführung der Gesetzes¬
bestimmungen den Behörden, welche die Zölle der indirekten Stenern ver¬
walten, oh. Znr Herstellung von 8ttssstoff vorbehaltlich des Widerspruchs ist
die Saccbarinfabrik vormals Fahlberg-List&Co. in Salbke-Westerhüsen
ermächtigt, deren Betrieb amtlich überwacht wird. Sie darf im Inlande nicht teurer
als für 80 Mark pro Kilogramm raffinierten Saccharin nnd nnr gegen amtlichen
Bezugsschein nnd vorschriftsmüssigen Bestellzettel verkaufen. Die Aus¬
fuhr ist der Fabrik gestattet. Apotheker und znm Bezug von Süssstoffen lant
Gesetz ermächtigte Personen müssen jedes Jahr bei der Steuerbehörde sich
einen Bezugsschein ansstellen lassen. Die Inhaber solcher Scheine können den
SüssBtoff unmittelbar aus der Fabrik oder Apotheke beziehen. Ausser gegen
Bezugsschein und Bestellschein dürfen die Apotheker nnr auf Anweisung eines
Arztes, Zahnarztes oder Tierarztes, nnd dann nicht mehr als 50 g auf einmal
abgeben. Süssstofftüfelchen von höchstens 100 facher Süsskraft von nicht mehr
als 25 Stück mit zusammen nicht über 0.4 g Gehalt von reinem Süssstoff dürfen
in Fabrikpacknng auch ohne ärztliche Anweisung verabfolgt werden. Ueber
den Verbleib hat der Apotheker ein besonderes Buch — Sflssstoff- Ansgabe-
bnch — zu führen. Anch die unter Verwendung von Sttssstoff hergestellten
Nahrungs- nnd Gennssmittel dürfen znm Wiederverkauf nnr an Apotheken,
sowie an solche Abnehmer, welche damit zubereitet« Waren ausdrücklich ver¬
langen, nnd nnr in Äusseren Umhüllungen oder GefÄssen abgegeben werden,
welche an in die Angen fallender Stelle die deutliche, nicht verwischbare In¬
schrift „Mit künstlichem Süssstoffe znbereitet. Wiederverkauf ausserhalb der
Apotheken gesetzlich untersagt.“ tragen.
Die Krankenversicbernngskommission des Reichstages bat die erste
Lesung des Artikels I der Novelle zn Ende geführt; alle AbSndernngsan-
trftge wurden entweder zurückgezogen oder abgelebnt, so dass es überall bei
der Regierungsvorlage blieb. Die Kommission nahm eine Resolution des Ahg.
Rö s icke -Dessau an, die die baldige Ausdehnung der Krankenversichernng
auf die land- nnd forstwirtschaftlichen Arbeiter, die Hausindustrie, die Hand¬
lungsgehilfen, Lehrlinge nnd auf die Dienstboten verlangt, sowie eine Reso¬
lution des Abgordneten Trimborn, die die Regiernng ersucht: 1. Dem
Reichstage tunlichst bald, womöglich in der nächsten Session, einen Gesetzent¬
wurf znm Zwecke einer eingehenden nnd gründlichen Reform des Krankenver¬
sicherungsgesetzes vorznlegen. 2) Tn Vorbereitung dieser Vorlage Vorständen
der Krankenkassen, wie auch den Vertretungen des Aerr.testandes Gelegenheit
znr Geltendmachung ihrer Anschauungen und Wünsche zn geben nnd ihnen
soweit wie möglich gerecht zu werden. 3) Besonders in Erwägung darüber
einzntreten. ob sich nicht die Bildung von ständigen Kommissionen je ans
gewählten Vertretern der Krankenkassen Vorstände nnd der Aerzte unter einem
neutralen Vorsitzenden empfiehlt, welchem die Regelung der ärztlichen Be¬
handlung nebst Festsetzung eines Tarifs der Honorierung, sowie die Entschei¬
dung bezüglicher Streitigkeiten obliegt, mit der Massgabe, dass alle Aerzte,
welche sich dieser Regelung unterstellen, als Kassenärzte gelten.
X Tagesnachrichten.
289
Au dem preusisohen Abgeordnetenh&uze. Bei Beratong des
Kultnsetats fragte dor Abg. Kopsoh (frs. Volaspartei) in der Sitzung vom
9. März an, in welchem Stadium sich die frage der Abtrennung der Medi-
zina.1 Verwaltung vom Kultusministerium, und UeberWeisung derselben
an das Ministerium des Innern befinde. Der Kultusminister erwiderte,
„dass die Angelegenheit noch nicht zu einem bestimmten Abschlüsse gelangt
aeL Inzwischen nabe er sein lebhaftes Interesse Ittr die Aufgaben der Medi¬
zinal Verwaltung dadurch betätigt, dass er mit vollem Nachdruck diejenigen
Gesetzesvorlagen gefördert habe, welche dem Abgeordnetenhause auf dem Ge¬
biete der Medizinal Verwaltung jetzt zur Beschlussfassung vorliegen. Es seien
ausserdem allgemeine Anordnungen noch im Gange, welche dieses Verwaltungs¬
gebiet tunlichst vollkommen ausgestalten sollen.“
In den späteren Sitzungen vom ld. und 16. März berührt sodann der
Abg. Dr. Irmer (kons.) die Frauenfrage, und sprach sich entschieden gegen
die Gründung von Mädihengywnasien aus; man müsste dann konsequenter
Weise die Frauen zu allen gelehrten Berufen freilassen und ihnen politische
Rechte gewähren. Zu empfehlen sei ihre Betätigung in der Heilkunde, aber
nicht in deren ganzem Umfange, sondern nur auf dem Gebiete der Geburtshilfe;
dadurch werde das Ansehen der Hebammen wachsen. Der Kultusminister teilte
die Befürchtungen des Vorredners nicht, desgleichen hielten die Abg. Müller
(freiB. Volksp.) und Dr. Friedberg (natl.), Ernst (freie. Vereinig.) die Er¬
richtung von Mädchengymnasien für angezeigt, und traten besonders dafür ein,
dass den Frauen das medisinische Studium gestattet werde; denn weibliche
Aerzte, namentlich Frauenärzte, seien eine ethische und sanitäre Notwendigkeit.
Bei Beratung des itledizinaletats am 18. und 19. März kamen folgende
Fragen zur Erörterung'):
1. ln Bezug aaf die Stellung and amtliche Tätigkeit des Kreis¬
arztes erkannten zunächst die Abg. Dr. Ruegenberg (Zentr.) und Dr. Mar¬
tens (natl. lib.) die beabsichtigte Umwandlung aller Kreisarztstellen zu Berlin
in vollbesoldete dankend an and sprachen den Wunsch aus, dass mit der Um¬
wandlung der nicht voll besoldeten Kreisarztsteilen m vollbesoldete überhaupt in
schnellerem Tempo vorgegangen werde. Von seiten der Abg. Wallenborn
(Zentr.) und v. Kölscher (Rons.) wurde ebenso wie in der Budgetkominission
darüber Klage geführt, dass die KreiBärste sich vielfach durch Uebereifer und
zu vieles Reglementieren unbeliebt machteu, und dies voraussichtlich nachdem
Inkrafttreten des preuss. AuafübrungsgeBetzes zum Reichsseuchengesetze in noch
erheblicherem Masse der Fall sein werde. Sie erkannten zwar den grossen
Eifer der Kreisärzte, ihre Befugnisse nach bestem Gewissen aaszuführen, an,
waren aber der Ansicht, dass sie vielfach Anforderungen an die Gemeinden
stellten, die diese zu erfüllen nicht imstande seien. Wenn der Kreisarzt jetzt
naoh irgend einem Orte seines Bezirkes komme, entstehe Sorge and Unruhe
betreffs der möglicherweise von ihm za treffenden Anordnungen, während
eigentlich Über ihr Erscheinen stets Freude herrschen solle, da sie doch be¬
rufen seien, der Ausbreitung von Kraukheiton entgegenzutreten. Die genannten
Abgeordneten baten deshalb den Herrn Minister, alles in dieser Hinsicht zu
beseitigen, was zu einer Beunruhigung in den beteiligten Kreisen Veranlassung
geben könnte.
Der Medisinalminister Dr. Stadt erklärte Bich hierzu bereit, möchte
aber vor dem Lande nicht die Meinung anfkommen lassen, als ob die Dienst¬
anweisung für die Kreisärzte begründeten Anlass zur Beunrubignng hinsicht¬
lich der Tätigkeit derselben geben könne. In dieser Anweisung handelt es
sich nicht um administrative oder polizeiliche Befugnisse, die von den Medi¬
zinalpersonen ausgeführt werden könnten, Bondern im wesentlichen nur um
Vorschläge, die von ihnen an die beteiligten Behörden gerichtet werden sollen
und da heisst es im §. 38: „Die Vorschläge zur Abstellung von Missständen
sind in eingehender und überzeugender Weise zu begründen. Sie müssen den
g gebenen Verhältnissen, insbesondere den zu Gebote stehenden finanziellen
Mitteln der Gemeinde oder des sonstigen Zahlungspflichtigen Verbandes Rech
nung tragen und sollen unter Berücksichtigung vorhandener praktischer Er-
') Ueber die Verhandlungen ist nachstehend auf Grund des stenogra¬
phischen Berichtes referiert und zwar nach den einzelnen Materien, nicht nach
der Reihenfolge der Redner.
290
Tagesnachriohten.
f&hrungen nicht ttber das Maas des vorhandenen Bedürfnisses hin ausgeh en. 44
Der Wortlaut dieser Anweisung kann daher nicht den Anlass zn der Annahme
bieten, als ob durch das Kreisarztgesetz und durch die Ausführungsanweisungr,
die seitens der Ministerialinstanz erlassen worden ist, eine Anregung für eine
Tätigkeit der Kreisärzte gegeben worden wäre, welche in hohem Masse Beun¬
ruhigung im Pablikum hervorzurufen geeignet ist. Gerade das Gegenteil geht
aus dieser Ausführungsanweisnng hervor, jedenfalls würde es den In¬
tentionen der Zentralinstans nicht entsprechen, wenn über
das MasB dieser Weisung hinaus an die Gemeinden übermässige
Anforderungen gerichtet werden sollten. Bis jetzt seien übrigens
einzelne Fälle in der Zentralinstanz nicht bekannt geworden; auf allgemein
gehaltene Beschwerden einzugeben, liege kein Grund vor. Der Herr Minister
weist dann weiterhin darauf hin, dass sich die beiden Vorredner insofern in
einem Irrtum hinsichtlich der Tragweite der Vorschriften des Entwurfs eines
preussischen Ausführungsgesetzes zum Reiohsseuchengesets befänden, alB hier
nirgends den Kreisärzten eine so weitgehende Machtvollkommenheit einger&umt
sei, wie von ihnen behauptet ist. Nnr wenn Gefahr im Verzüge ist, könne
im Einzelfalle von dem Kreisärzte eine vorläufige Anordnung getroffen werden.
Das sei aber durchaus nichts Neues, denn sowohl in dem Kreisarztgesetz, wie
namentlich auch in dem Reichsseuchengesetz sei dies schon vorgesehen. Die
Polizeibehörde, sei es dio Vorgesetzte Aufsichtsinstanz, also die Landespolizei¬
behörde, sei es die Ortspolizeibehörde, sei jederzeit in der Lage, wenn die von
dem Kreisarzt gestellten Anforderungen zu übermässig sein sollten, denselben
entgegenzutreten. Im übrigen habe der Kreisarzt durchaus nicht Exekutive;
er habe sich vielmehr im wesentlichen auf Ratschläge, Anregungen und Be*
richterstattung zu beschränken.
Abg. 0. Martens (natl. lib.) betont, dass ihm aus eigener Erfahrung
keine Fälle bekannt seien, in denen die Kreisärzte zu viele und zu kostspielige
Anordnungen veranlasst hätten. Man dürfe auch nicht vergessen, dass aller-
wärts noch bedeutende sanitäre üebelstände herrschten und dass es von den
Kreisärzten nicht zu verantworten wäre, wenn sie nicht darauf aufmerksam
machten. Wenn ihr Uebereifer wirklich einmal zu gross sein sollte, so
seien immer die Behörden da, um diesen zu zügeln; im allgemeinen sei aber
der übereifrige Beamte, der bin und wieder etwas zurücbgehalten werden
müsse, immer noch viel besser als der Beamte, der sich durch Schlaffheit aus¬
zeichne und fortwährend eines SpornB bedürfe. Dass die Gemeinden ttber die
mit Kosten verbundenen Anordnungen des Kreisarztes nicht immer entzückt
seien, sei begreiflich, es liege dies hauptsächlich auch daran, dass sanitäre Er¬
richtungen überhaupt oft auf Widerspruch stiessen, weil eben ihre segensreichen
Folgen nicht so schnell in die Augen springen.
Abg. Dr. Ruegenberg (Ztr.) machte auf die Unzuträglichkeiten,
die sich aus der bisherigen Stellung der besonderen Geriohtsärzte
durch Zuziehung der Kreisärzte seitens der Kriminalpolizei bei der Unter¬
suchung von Vergehen oder Verbrechen ergeben, aufmerksam; desgleichen bat
er, die Geriohtsärzte stets zu Anstaltsärzten bei den betreffenden Gerichts¬
gefängnissen zu bestellen.
Abg. Kirsch (Ztr.) bemängelte, dass die Kreisärzte bei der Auf¬
nahme von Geisteskranken, Epileptischen in Privatirrenan¬
stalten nicht immer als Sachverständige entweder vor oder nach der Auf¬
nahme zugesogen werden, sondern die Aufnahme vielfach auf das Attest jedes
beliebigen Arztes erfolge. H. Ministerialdirektor Dr. Förster bedauert, dass
durch Nichtbenennung dieser Anstalten der Aufsichtsbehörde die Möglichkeit
entzogen werde, die Fälle festzustellen und eventuelle Korrektur eintreten
zu lassen.
2. Eine Anfrage des Abg. Dr. Martens (nat.*lib.) wie es mit der
beabsichtigten Auflösung oder Reform der veralteten Einrichtung der Provin-
xial-Medizinalkollegien stände, wurde von dem Ministerial - Direktor Dr.
Förster dahin beantwortet, dass das Medizinaiministerium die Reform-
bedürftigkeit dieser Kollegien anerkenne und bereits Verhandlungen über eine
Reform derselben in die Wege geleitet seien.
8. Betreffs der Unterstützung der auf Wartegeld gestellten Medi¬
zinalbeamten, deren zufriedenstellende Regelung seitens des Abg. Dr. Martens
Tagesnacbrichten. 291
anerkannt wurde, hat der Regierungsvertreter in der Kommission folgende
Antwort gegeben:
„Die im vergangenen Jahre ansgesprochene Befürchtung, dass der Betrag
▼ob 50000 Mark nicht aasreichen werde, nm die zur Verfügung gestellten
Medizinalbeamten einigermassen erträglich zu stellen, hat sieb nicht bestätigt.
Oer Betrag hat mehr als zugereicht, wie sich aus nachstehenden Mitteilungen
ergeben dürfte. Von den am 1. April 1901 zur Verfügung gestellten 86 Phy¬
sikern sind inzwischen 18 gestorben, sodass zur Zeit noch 68 Physiker als
Wartegeldempfänger vorhanden sind. Von diesen erhalten 42 laufende Bei¬
hilfen in Höhe von jährlich 800 Mark bis zu 1600 Mark, die als laufende
Unterstützungen auf Widerruf, jedoch nicht über den Endpunkt der Zeit der
Znrdi spositionsstellung, d. h. über den 31. März 1906 hinaus, bewilligt worden
sind und gleich dem Wartegeld in vierteljährlichen Raten im voraus gezahlt
werden. Der Durchschnitt an Wartegeld und Unterstützung stellt sich bei den
mit Beihilfen bedachten Physikern auf rund 2100 Mark. Der Grund, weshalb
26 Physiker keine Berücksichtigung gefunden haben, litgt darin, dass ein Teil
derselben auf Beihilfen ausdrücklich verzichtet hat, dass andere eine empfind¬
liche Einkommensetnbussc durch die Zurdispositionstellung überhaupt nicht
erlitten haben und wieder andere sich in besonders günstigen Vermögensver-
h<nissen befinden. Ferner sind auch 10 zur Verfügung gestellten Kreiswnnd-
ärzten mit Rücksicht anf ihre bedürftige Lage laufende Zuwendungen in Höhe
▼ob je 300 Mark bis zu 1200 Mark aus dem Fonds von 50 000 Mark bewilligt
worden.“
4. Von Seiten des Abg. Dr. Langerhans (freis. Volksp.) worden die
gesetzlichen Bestimmungen über die ärztlichen Ehrengerichte, sowie die
bisherige Urteilssprechnng der Ehrengerichte und des Ehrengerichtshof unter
Anführung einer Anzahl derartiger Urteile bemängelt; die Ehrengerichte seien
za Disziplinargerichten für die Aerzte geworden. Ebenso verurteilte er das
den Aerztekammern eingeräumte Becht, Umlagen auch von dem Privatver¬
mögen der Aerzte, sowie von den Aerzten zu erheben, die keine Privatpraxis
mehr ausüben. Abg. Eckert (freikons.) stimmte dem Vorredner in Bezug anf
das Umlagerecht in allen Pankten bei, und wies namentlich auf den Missstand
bin, dass pensionierte, nicht einmal wahlberechtigte und dem ärztlichen Ehren¬
gerichte nicht unterstehende Aerzte ebenfalls zu den Umlagen herangezogen
werden könnten. Die ministerielle Anordnung, dass von diesen Aerzten nicht
der volle Betrag erhoben werden solle, treffe den Kern der Sache nicht; diese
Aerzte wollen kein Nachlass, kein Geschenk, sondern sie wollen ihr Recht;
die durch die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen hervorgerufenen Missstände
seien so schreiend, dass sie unbedingt entweder durch Verordnung, oder durch
Aenderung des Gesetzes selbst beseitigt werden müssten. Abg. v. Böhlen¬
dorf f-Kolpin (kons.) schloss sich diesen Ausführungen in allen Punkten an.
Der Kultusminister Dr. S tu dt versagte es sich, auf die Kritik der Urteils-
sprttche einzelner Ehrengerichte seitens deB Abg. Dr. Langerhans näher
einzugehen, es seien dies Entscheidungen staatlich eingesetzter Gerichtshöfe,
die einer derartigen Kritik nicht zu unterziehen sein dürften. Betreffs des
Umlagerechts behielt sich der Herr Minister vor, bei Beratung eines von dem
Abg. Langerhans gestellten, denselben Gegenstand betreffenden Antrags
und einer Petition des gleichen Inhalts namens der 8taatsregierung materielle
Erklärungen zu der in Rede stehenden Frage abzugeben.
6. Betreffs des durch die medizinische Prüfungsordnung einge¬
führten praktischen Jahres erwähnte der Berichterstatter Dr. Friedberg
(natl.), dass sich zahlreiche Krankenhäuser zur Annahme von Praktikanten
gemeldet haben, dass aber ntch bezüglich der Verwendung dieses Jahres
insofern Meinungsverschiedenheiten zwischen den Aerzten und dem Minister
beständen, als die ersten wünschten, dass je Vs der Zeit der inneren, äusseren
und geburtshilflichen Klinik gewidmet werden soll, während der Minister
4 Monate für die Behandlung innerer Krankheiten verlangt, und in der übrigen
Zeit Beschäftigung mit anderen Spezialfächern. Die endgültige Begelnng sei
Sache des Bandesrats und setze noch Verhandlungen zwischen den Bundes¬
regierungen voraus. Abg. Dr. Ruegenberg (Ztr.) wünschte eine bessere
Ausbildung des jungen Arztes in der sozialen Gesetzgebung
(Kranken-, Unfall-, Alters- und Invalidenversicherung), derselbe müsse auch während
292
Tagesnachrichten.
des Stadierens Gelegenheit haben, ein Kolleg ttber ärztliche Ethik, Verhalten dein
Puolikam and seinen Kollegen gegenüber za hören.
6. Mit Hecht machte der Abg. Dr. Graf D o n g 1 a s (fr. kons.) anf den Miss*
staud aufmerksam, dass die Bestimmungen über die Beschaffenheit der Arznei-
gefässe für dussere und innere Arzneimittel bis jetzt nur für die Hezeptor
und nicht auch für den Handverkauf in den Apotheken, sowie für die Drogen*
handlangen gelten; dadurch würden sehr leicüt und häufig Verwechselungen
hervorgerufen; desgleichen empfahl er die allgemeine Einführung von Arznei-
Einnahmegläsern.
7. Abg. Dr. Martens (nat.-lib.) brachte das Apothekenkonzessions-
wesen zoräprache. Nach seiner Ansicht ist die Vermehrung der Apotheken in vielen
Teilen der Monarchie nicht ausreichend; die Folge davon sei, dass die jungen
Apotheker za schwer und zu spät eine selbständige Stellung erlangen, und die
Apotheken teilweise über ihren wirklichen Wert hinaus bezahlt werden, sodass die
Apotheker die allergrösste Mühe haben, eine Rentabilität aus ihrem Geschälte her-
aussuwirtschaften. Die weitere Folge davon sei, dass die Apotheker häufig zu un¬
lauteren Mitteln greifen, um sich nur die Existenz zu erhalten, wie das der
Prozess Nardenkötter gezeigt habe. Bei der Vermehrung der Apotheken
müsse das Interesse des Puulikums ausschlaggebend sein; durch ihre Errichtung
werde auch die Niederlassung der Aerzte in kleineren Orten auf dem Lande
gefördert. Bei Erteilung der Konzessionen müsse ausserdem in erster Linie
die Anziennität der Bewerber massgebend sein; Verdienste anf anderem Ge¬
biete dürften hierbei nicht in Betracht kommen. Ministerialdirektor Dr. Förster
erwiderte hierauf, dass die Entscheidung über die Erteilung von Apotheken¬
konzessionen in der Hand des Oberpräsidenten liege, und dass dieser die Aus¬
wahl unter den Bewerbern nach Massgabe der Würdigung der Gesamtver-
häitnisse des Einzelfalles (Anziennität, Qualifikation, Fübrnng, Nachweis der
erforderlichen Geldmittel u. s. w.) zu treffen habe. Ein Verfahren ansfindig an
machen, das alle Beteiligten befriedigte, sei jedenfalls sehr schwer; die Apo-
thekenbesitzer würden stets behaupten, es werde zu viel, die Kon¬
zessionsanwärter, es werde zu wenig konzessioniert. Dass Apotheker und Aerzte
sich in den Dienst von Kurpfuschern gestellt haben, sei sehr bedauerlich; so¬
weit sich die Apotheker hierbei Pflichtverletzungen zu Schulden hätten kommen
lassen, werde eine Ahndung erfolgen.
8. In eingehender Weise wurde ebenso wie im Vorjahre die Kurpfascher-
frage von dem Abg. Dr. Eckels (natl.) erörtert. Er gedachte dabei eines
Kurpfuschers, der an Paranoia chronica litt, seines Zeichens Mechaniker war,
und sich, als er ungeheilt, aber nicht mehr gemeingefährlich aus der Irrenanstalt
entlassen war, in umfassender Weise mit Kurpfuscherei beschäftigte. Hätte
sich dieser Geisteskranke an die Behörde gewandt, um einen
Hausierhandel mit Strohmatten zu betreiben, so wäre ihm
nach §. 57a der Gewerbeordnung der Hausierschein versagt,
ihm dagegen zu verbieten, die Heilkunde gewerbsmässig zu
betreiben, weil er geisteskrank ist, fehle in der Gewerbe¬
ordnung die Handhabe. Tanz-, Tarn-, Schwimm- u. s. w. Unterricht
können nach g. 35 der Gewerbeordnung untersagt werden bei Unzuverlässigkeit
des Gewerbetreibenden in Bezug auf den Gewerbebetrieb, die Ausübung der
Heilkunde dagegen nicht. Die jetzt auf Veranlassung der Staatsregierung in
allen Reg.-Bez. erlassenen Polizeiverordnungen über das Verbot der Ankündi¬
gung von Reklamemitteln, Heilmitteln u. s. w. seien ausserordentlich dankens¬
wert, gründlich könne aber nur die Gesetzgebung helfen. H. Ministerial-
Direktor Dr. Förster erwiderte, dass der Herr Minister schon vor längerer
Zeit mit dem Reichskanzler in Verbindung getreten sei und die Ausdehnung
der Vorschriften des §. 35 der Reichsgewerbeordnung auch auf die Kurpfuscher
in Vorschlag gebracht habe.
9. Abg. Dr. Ruegenberg begründete ausführlich die Notwendigkeit
einer Reform des Hebammenwesens sowohl in Bezug auf die Aus¬
bildung der Hebammen, als in Bezug auf ihre finanzielle
Besserstellung und Anschluss an die Kranken-, Unfall-und Alters¬
versicherung. Desgleichen hielt er eine Förderung des Krankenpfleger-
wesens für notwendig durch Errichtung von Krankenwärterschulen. Der
Kultusminister erwiderte hierauf, dass er, durchdrungen von der Notwendigkeit
und Wichtigkeit einer gedeihlichen Ausgestaltung des Hebammenwesens bereits
Tagesnach richten.
4ie erforderlichen Schritte in einer Neuregelung desselben »geordnet habe.
Die wissenschaftliche Deputation für das Medisinalwesen habe sich unter Zu¬
ziehung von Vertretern sämtlicher preussischen Aerztekammern und von Pro¬
fessoren der Gynäkologie eingehend mit der Frage beschäftigt und erwogen,
wie der Beruf der Hebammen besser aussngestalten sei und wie ihre Vor¬
bildung und Tor allen Dingen auch die materielle Lage der Hebammen zu ver-
bessern sei. Nach beiden Bichtungen hin seien wertvolle Gutachten abgegeben,
die eingehender Prüfung unterliegen; der Minister hofft, bald mit Vorschlägen
auch an das Abgeordnetenhaus herantreten su können. Die Frage der Ge-
bfihrenordnung für die Hebammen sei bereits seitens der Begierungspräsidenten
durch Erlass zweckmässigem Gebührenordnungen geregelt und in Bezug auf
eine bessere Dotierung der Bezirkshebammen schon ein wesentlicher Fortschritt
zu konstatieren. Betreffs der Einbeziehung der Hebammen in den Kreis der
InTalidenversicherung ist der Herr Minister mit dem Herrn Beichskanzler in
Verbindung getreten, um einen entsprechenden Beschluss des Bnndesrats herbei-
iufübren. Auch eine Beform der Krankenpflege und insbesondere eine organi¬
satorische Aenderung der Tätigkeit der Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen
sind gleichfalls in die Wege geleitet. Sie erfordern aber sehr eingehende Ver¬
handlungen mit den beteiligten Verbänden und sehr sorgfältige Erwägungen,
die noch nicht abgeschlossen sind.
Von seiten des.Abg. Dr. Douglas wurde auf den Mangel an evangelischen
8chwestern hingewiesen und die Errichtung von Schwesterschulen, sowie
die Ausbildung der auf dem Lande wohnenden Frauen von Geistlichen, Leh¬
rern, Landwirten u. s. w. in der Krankenpflege empfohlen. Ferner bat er, eine
fakultative Prüfung hei den Schwestern in ähnlicher Weise wie hei den Heil-
gehttlfen einzuführen.
10. Bei dem Kapitel „Versuchsanstalt für Wasserversorgung und
Abw&sserbeseitigung“, deren Tätigkeit als eine sehr erspriessliche allseitig
anerkannt wurde, gab Geh. Ob.-Med.-Bat Dr. Schmidtmann einen kurzen
Heberblick über die Entwicklung und Aufgaben der Anstalt. Die Zahl der
Aufträge sei infolge des grossen Interesses, das ihr von den beteiligten Kreisen
entgegengebraebt werde, ausserordentlich gewachsen (von 100 im ersten auf
800 im zweiten Jahre seit ihrer Errichtung). Durch das auf festen Grundsätzen
vereinbarte Zusammenarbeiten der Anstalt mit dem Verein für Wasserver¬
sorgung, und die dadurch gesicherte Mitarbeit erfahrener Männer der Praxis
sei ausserdem die beste Gewähr gegeben, dass nicht Bestimmungen getroffen
werden, die etwa im weiteren Verlaufe unnötige Härten für die Betreffenden
zeitigen oder sich vielleicht als praktisch undurchführbar erweisen. Die Frage
der Verwendbarkeit des Talsperrenwassers für Trink- und Nutszwecke, die
Beziehungen zwischen Grund- und Obei flächenwasser, das biologische Verfahren
der Abwässerbeseitigung sowohl hinsichtlich seiner Wirkung, als hinsichtlich
der Kosten der Anlage und des Betriebes, die Wirkung der industriellen Ab¬
wässer auf die Fische, die Müllbeseitigung, und andere wichtige Fragen seien
durch eingehende Untersuchungen und umfangreiche Arbeiten wesentlich ge¬
klärt. Die Anstalt habe eine über Erwarten günstige und gesunde Entwicke¬
lung gehabt, sie entspreche dem praktischen Bedürfnisse, und ihre Tätigkeit
trage dazu bei, die scharfen Interessengegensätze wesentlich abzumildern. Dem
von Seiten der Abg. v. Savigny (Ztr.) und Dr. Winkler (kons.) ausge¬
sprochenen WunBch, nooh mehr Mittel als bisher für die Unterstützung unbe¬
mittelter Gemeinden zur Anlage von Wasserleitungen in den Etat einzustellen,
wurde sowohl von dem Herrn Minister, als von dem oben genannten Begier ungs-
Kommissar Berücksichtigung zugesagt, gleichzeitig aber betont, dass hier
Staat und Provinzialverwaltung Hand in Hand gehen müssten, und der erstere
grundsätzlich nur in solchen Fällen helfend eintreten kann, wo entweder
seitens der Gemeinden oder seitens der weiteren Verbände — Kreis- und
Provinzialverbände — namhafte Aufwendungen gemacht, oder Beihilfen ge¬
währt werden.
11. Auf eine Anfrage des Abg.'Kindler (freie. Volksp.) betreffs des
Neubaues des hygienischen Instituts in Posen erwiderte Geb. Ob.-Med.-
Bat Dr. Kirchner, dass ein Platz dafür bereits in Aussicht genommen sei,
und der Neubau über kurz oder lang vorgenommen werden würde; voraus¬
gesetzt, dass die Stadt einen Beitrag zu den Kosten leisten werde. Abg
SÖ4 ^AgeBn&ihriaLteu.
Dr, Marians fa&il,) hielt «inan solches SosabaA» für durchaus garaehtfertigt
und empfahl, 449b das jetat mit dam hjgiaaisöhen Institut vereinigte
pathologisch-anatomische Institut abaatrasaca und in einem besonderen
Gebäude antersabringea.
12. Eine grosse Debatte entwickelte sieh im Anschluss an eian Ende des
Dr. Graf Dong tat (treikoas.) über die Bekämpfen* des Alfeoholtetnus, in
der er die von dam Verein deutscher Gastwirte and anderen ähnlichen Vererben
gegen seine .Bestrebungen erhobene« Angriffe in aachgomäsaer Weise beleuchtete
and betontet dass aufkläreade Belehrungen nicht ansreichieo, um diese an den»
Marke des Volkes schon an lange «ehrende JPast tu bekämpfen., sondern dann
auch gesetzliche Massnahmen erforderlich seien, Er empfahl ausserdem die
Errichtung: vo« Landeskommissioaen t.ttk Üffantliohe Geeuudheits»
pfleg«. Seine Ausführungen wurden von dem Abg. Schals»Berlin (freie.
Velk#p.l hekÄmpft T Während ihneoaUo übrigen Keiner; Frh. v, Zediita-Neu-
mark (Irsikous.), Dr. Martens (natUb^), Schall (kona), Sebauta (Zent.)»
beiatimmten. Inteeaouddra geschah die* auch vondemjd Kultusminister, der
unter Hin weis auf di« EataebliewaBgen der Königlichen Staataregierang be¬
treff* dar vorjährigen Bracblttraft des Landtages betonte, dass fast allen 12 Vor-
Bcaläghn auf administrativem 'Wege, bereits weitere Jlpig« : gegeben sei, und
«war ut.. einem GmUnga, der hoffen ias.m, dass die Whfkuaghü der Masraahsaan
auch in der Tat den Inxeatioaeß des Antrags eutsprecbeh. Damit sei aber so?
ei« erat« Schritt sar Verwirklvchnag der Absichten des vorjähriges Antrag*
geschehe»; das Weitere werde, wenn wirksame ahd nachhaltige Abhilfe ge¬
schaffen werden soll, der Gesetzgebung Vorbehalten bleiben mh««sö, Der Ml- '
nister würde eich freuen, wenn die kommende Legislaturperiode einen solchen
Akt der Gesetsgebang bringe, den er als ein monumentum aero perennins be-
«eiohura würde. Er habe noch ia letaler Zeit Gelegenheit gehabt, mit Irren-
ärstea übst diese Frage au sprechen. Es sei ihm hierbei versteuert worden,
dass als Zunahme des Prozentsatzes der durch übermässigen Genoss des Alk«>
hob geisteskrank gewordenen Personen in den Lotsten Jahren eine geredenu
erschreckend« geworden sei. Diese Erscheinung erfordere ei« tatkräftiges
Eingreifen nicht dut auf administrativem, sondern auch auf .tegml.atj.vem
Gebiete. Din Verheerungen, die durch «Ion feüatUiche geiatig«
Üeberaaatreaguog »ugsfiehte* werdea kftnnea, eeien ein Kia~
der spiel gegenüber denjauigeu durch AlfcdJt.elg«ÄV«*i das Bild,
das in dieser Bestehung die Zukauft der deutschen JJatiod biete,könne nicht
düster genug geschildert wefdeK^ Der Miutater «iihiiesat mit dein Ausdruck
der Hoffnung, dass eile Sie «dien und w»hlwoli»ed«» Äbsichtan, welche dem
Anträge sa Grande Hegen, sieb, auch rum Segen unseres Vaterlandes und v '
unseres deutschen Volkes verwjrkliöfceo mögen. ■’v •//'
13 . Zar Erforeehang und Bekümpfang der Ruhr empfiehlt Abg, Dr. ;
Ruegea he rg (Zu.) im clchttjährigea Etat «benfkils eia Betrag wie für Typhne,
Krebs u. ». w. aroruatelle«. Geber die Bekämpfung der Granat ose führte
Geh. Ob.-Med,-Halb Or. Kirnhaer au», dass die bisherigen Mittel haupt¬
sächlich dazu verwendet raten, tun diese Krankheit in der Provioz Oitpreassen
ru bekämpfen. Darob di® «jstamatiache, in Ausbildung nm Aemcn, Unter¬
suchung von Schaikindnrn und Erwachsenen, oneittgeltiiehu Bribandjnng unter
Mithilfe von Lehrern und Schwestern bestehende Behandlung sei ein sicfctücner
BiU-kgajug ln der ZaJil und Sohernte «lex Erkrankungen su Juuui't«tlr.«m>, .Diera
ay stem AtiÄchu ddkÄmpfuog 4er Krankheit öiüsSÄ aber uueli auf die Pro einten Posen
uud W#«äpf«araan:'*nagh4»jhaä w«rdeo* da diu örÄtm.ode hier ehg&ftlls auseer-
otilenillcb vctWeltct sei; deshalb rat an ei«*i HarabwladerungdesGruBUlßsefonöiai
vorläufig ftjeht au ilewken, Abg. Weiff’-DiHsafkCöS,) bedauert, iiara manifeBc«
.kämpfhug nicht schon eher auf diese Proriiirad ausgedeimt und dadurch hier
eiue iteswischeu eingetretene Zunahme der Granulöse verbind et t bähe. Gerade
in der Trovin* Posen sei aber die Granulöse um «so gefährlicher, als von hier aus '-.V.'
viele Sauhsoagänger nach 'Westen gehen and dadurch di« Erankheit werter . Äv
»ersdhieppeu. Kedoer bittet deshalb um sofortige» naÄ energische# Einschiriteo,
man auHe lieber «udare Dinge surückstdlen, als die Bekämpfung der Granulöse
tu Posen.
14. Auf eine Änftago des Ai»g 3<«ctruaoa jfraüte<ts4 ftbne Ami
gegenwärtigen Stand -4^ Msxrfr .jiiM ÖClÄft^neHU.kkk.
aniworteta Geh, Ob.-Mr*o-ifir Dr SSüw&ku'v■ j.-" f v .-> - ;.v»,r«?hvG.
TagfOTftfthrifthtmn
■oeh'nicht gef an den sei, weil er jedenfalls so klein sei, den er duvek bak¬
teriendichte Filter hindarebgehe; es sei aber Prof. Dr. Löffler glelohwokl
gelungen, ein sioheres I nun an ia irnngsverfahren für Kleinvieh (Kälber, Ferkel)
an entdecken, and dieses Verfahren jelat so vervollkommnet sei, dass anok
Sinder mit Hülfe eines Serams immnn gemacht werden könnten; diese Sohutz-
impfang halte nar nicht lange vor and mttBse wiederholt werden. Abg.
▼. Arnim (kous.) hat das Lö ff ler’sche Verfahren beim Bindvieh bisher swar ohne
nennenswerten Erfolg angewandt, glaabt aber, dass die Versache als aussichts-
▼oll ansasehen sind.
16. Die Frage der obligatorischen Leichenschau wurde vom Abg.
Dr. Heising (Zentr.) angeschnitten und bemängelt, dass darch deren Ein¬
führung s. B. in Öleiwitz die Aerxte ausserordentlich belastet würden and den
Krankenkassen wie dem Publikum grosse Kosten erwüchsen. Br bittet des¬
halb die Staatsregierung, dafür su sorgen, dass die Poliseiverordnung wieder
aufgehoben oder wenigstens soweit abgeändert werde, dass der behandelnde
Ant von der nochmaligen Beschau eines Kranken entbunden wird, wenn er
die Ueberzeugung hat, dass der Tod durch eine bestimmte Krankheit erfolgt
sei. Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Kirchner erwähnt zunächst die bisher in dieser
Hinsicht ergangenen Ministerialerlasse vom 4. März 1901 und 22. Oktober 1902 nnd
betont sodann, dass die Bedeutung der Leichenschau an sich wohl keinem Zweifel
unterliege. Es handele sich in erster Linie darum, zweifelhafte Todesfälle
festsasteilen. Von seiten des Staates müsse auuh Wert darauf gelegt werden,
dass die Todesfälle an ansteckenden Krankheiten mit Sicherheit festgestellt
werden. Bndlich liege es im Interesse der Rechtspflege, dass kern gewalt¬
samer Todesfall sich der Behörde entziehe. Die Einführung der allgemeinen
obligatorischen Leichenschau, die bereits in einer Anzahl von Bundesstaaten
bestehe, sei daher für Preussen in hohem Grade wünschenswert; dringend er¬
wünscht, wenn auch nicht darchaus notwendig, Bei es auch, dass sie überall
durch Aerzte stattfindet. Die Kosten fallen in erster Linie den Angehörigen,
bei den Armen den Gemeinden zur Last; sie würden durch den Nutzen der
Leichenschau reichlich aufgewogen.
Die Kommission des jAbgeordn-etenhauses zur Vorberatung
der Ausfuhraugsbestimmungen zum Reichsseuchengeeetn hat am 28. März
die erste Lesnag beendet. Abgesehen von einigen Abänderungen über die
Bestimmungen betreffs der zu gewährenden Entschädigungen (der Antrag
ist binnen 8 Tagen statt 4 Wochen zu stellen, als Sachverständige sollen auch
Frauen fangieren können und den Sachverständigen eine Entschädigung
für Zeitversäumnis gewährt werden) hat die Kommission inbezug auf die
Kostenfrage trotz lebhaften Widerspruchs des Finanzministers mehrere
wichtige Abänderungen vorgenommen: §. 25 hat nachstehende Fassung er¬
halten: „Die Kosten, welche durch die Beteiligung des beamteten Arztes bei
der Ausführung des Reichsgesetzes, betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher
Krankheiten vom 30. Jani 1900 sowie bei der Ausführung dieses Gesetzes ent¬
stehen, fallen der Staatskasse zur Last.“ Ferner sind zu §. 26 folgende Zu¬
sätze beschlossen: „Im übrigen findet, soweit nicht die Beteiligung des beam¬
teten Arztes in Frage kommt, die Vorschrift des §. 37, Abs. 3 des Reichs¬
seuchengesetzes (wonach die daselbst bezeichneten Kosten ans öffentlichen Mit¬
teln zu bestreiten sind) auf diejenigen Fälle, in welchem die daselbst bezeioh-
neten Schutsmassregeln auf Grund der Bestimmungen dieses Gesetzes ange¬
ordnet werden, mit der Massgabe entsprechende Anwendung, dass die Kosten
der Desinfektion und der besonderen Vorsichtsmassregeln für die Aufbewahrung,
Binsargnng, Beförderung nnd Bestattung der Leichen nur dann aus öffentlichen
Mitteln zu bestreiten sind, wenn der Zahlungspflichtige ohne Beeinträchtigung
des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts diese Kosten zu tragen ausser
stände ist. H. Die Kosten für Massnahmen gegen die Einschleppung von Seuchen
aus ausserpreussischen Ländern sind vom Staate zn tragen. HI. Wenn die Kosten
einer Gemeinde mit weniger als 5000 Einwohnern zur Last fallen, so wird die
Hälfte derselben der Gemeinde vom Staate erstattet, sofern und soweit diese
Kosten einen Jahresbedarf von 5 Proz. ihres Einkommensteuersolls übersteigen.
Zu g. 27 (Beschaffung sanitärer Einrichtungen zn seuchenfreier Zeit) ist weiterein
Antrag angenommen, der den Gemeinden gegen diese Anordnungen die Rechts¬
mittel des Landesverwaltungsgesetzes zugesteht. §. 28 (Verpflichtung der Kreie
996 Tigenaehitekta.
verbände, armen Gemeinden rar Aufbringung der Kosten eine Beihilfe n ge*
währen) ist gestrichen. Unseres Erachtens bedeuten diese Beschlüsse eine
wesentliche Verbesserung des Gesetsentwnrfes; hoffentlich liest die Staatz-
regiernng ihren Widerspruch dagegen fallen, damit das Gesetz rar Verab¬
schiedung gelangt. _
In Preussen ist durch Hinisterial - Erlass vom 81. Januar d. J.
bei sämtlichen Begierungsprisidenten eine Umfrsge betreffs des Selbstdis-
pensierrechts der Homöopathen erfolgt und swar nach der Sichtung, ob es
angeseigt sei, die homöopathischen Aeizte in Zuknnft nur unter denselben Vor¬
aussetzungen zum Selbstdiepensieren zuzulassen, unter denen auch den übrigen
Aerzten das Halten einer ärztlichen Hausapotheke gestattet wird, also wenn
sich in ihrem Wohnorte oder in dessen Nfthe keine homöopathische Arznei-
abgabestelle befindet. Es ist wohl anznnebmen, dass die Anfrage allgemein
bejahend beantwortet wird; hoffentlich lässt dann die beabsichtigte Neurege¬
lung des homöopathischen Selbstdispensierrechtes nicht mehr lange auf sich warten.
Das Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen hat, um
der ganzen Bewegung auch räumlich einen Hittel- und Stüupunkt zu geben,
die Gründung eines eigenen Hauses beschlossen, welches eine umfangreiche
Sammlung ärztlicher Lehrmittel, ecvrie alle zur Versendung an die lokalen
Vereinigungen dienenden Einrichtungen enthalten, und in pietätvoller Dankbar¬
keit der Kaiserin Friedrich gewidmet sein soll. Dieser Plan hat bereits
die Allerhöchste Genehmigung Sr. Majestät des Kaisers gefunden.
Der in Berlin am 16. und 16. März abgehaltene II. allgemeine
Deutsche Krankenkassenkongress hat sich gegen die Bestrebungen der
Aerzte in Bezug auf die gesetzliehe Festlegung der freien Arztwahl und
die Festsetzung der Höchstgrenze von 2000 Mark Einkommen für
Krankenkassenmitglieder erklärt. Die freie Arztwahl sei Sache der örtlichen
Kassenverwaltungen. Zur Bildung von Kraukenkassenkommissionen,
sowie für Verbesserungen auf dem Gebiete der Krankenkassenstatistik
seien die Krankenkassen jedoch bereit. Weiterhin forderte der Kongress die
Kommunalisirung der Apotheken und die Genehmigung zur Errichtung
von Krankenkassen-Apotheken, oder wenigstens die Erlaubnis, solche
Arzneien an Kassenmitglieder direkt abgeben zu können, deren Feilhalten und
Verkauf freigegeben ist. _
Nach der jetzt eingegangenen Einladung rar 76. Versammlung der
Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte in Cassel, die vom 20.
bis 26. September d. J. stattfindet, werden die allgemeinen Sitzungen
am 21. und 26. September abgehalten und in denselben Gegenstände von all¬
gemeinem Interesse behandelt werden. Für den 28. September ist eine Ge¬
samtsitzung der beiden wissenschaftlichen Hauptgruppen ge¬
plant. Auf Donnerstag, den 24., sind für jede der beiden Hauptgroppen
gemeinsame Sitzungen vorgesehen. Die späteren Mitteilungen über die
Versammlung werden im Juni zur Versendung gelangen. Um diesen ein vor¬
läufiges Programm beifügen zu können, bitten die Abteilungsvorstände,
Vorträge und Demonstrationen wenn möglich bis zum 16. Mai anmelden sn
wollen. Für die Abteilung für Hygiene einschliesslich Bakte¬
riologie und Tropenhygiene sind die Anmeldungen an H. Kreis- und
Stadtarzt Dr. Bockwitz, Spohrstrasse 18, lür die Abteilung für gericht¬
liche Medizin an H.Dr. Meder, Fuldabrücke, zu richten. Die allgemeine
Gruppierung der Verhandlungen soll so stattfinden, dass Zusammengehöriges
tunlichst in derselben Sitzung rar Besprechung gelangt; im übrigen ist für die
Beihenfolge der Vorträge die Zeit ihrer Anmeldung massgebend.
VerantwortL Bedakteur: Dr. Bapmund, Beg.-o.Geh.Med.-B&t in Minden i. W.
J. 0. 0. Brvni, Hanofl. liihi. «. F. Beh.-L. Hofbiebdruekml In Klndta.*»
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16. Jahrg.
Zeitschrift
1903.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie,
für ärztliche Saehverstandigentatigkeit in Unfall- nnd InTuliditätssachen, sowie
für Hygiene, ofentL Sanitatswesen, Medizinal -Oenetzgebnng nnd Rechtapreching.
Heranzgegeben
won
Dr. OTTO RAPMUND,
Regierugi- and Geb. Modi sin *lr*t in Minden.
Verlag von Fischer’s mediz. Bnehhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer -Buehhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nekmen die TerUfshandlang sowie alle Annoncenexpeditionen des In»
und Aaslandes entgegen.
Nr. 8.
Erscheint
1. and IS. Jeden Monats
15. April.
Anchylostomia8is im rheinisch-westfälischen Kohlenrevier;
Ursache und Bekämpfung. 1 )
Von Mediiinalrat Dr. Tenholt, Knappzchaftsoberarzt in Bochum.
Die Frage der Bekämpfung der Wurmkrankheit ist eine
brennende, da das Wort „Wurmkrankheit“ fast zu einem Schreck-
gespenste für das Kohlenrevier geworden. An den Lehren über
das Anchylostomum des Menschen, wie sie nns von Dubini,
Rilharz, Perroncito und anderen Autoren, namentlich aber
von Leichtenstern überliefert sind, haben nnsere Forschungen
in den letzten Jahren im wesentlichen nichts zu ändern vermocht,
aber es sind doch gewisse neuere Anschauungen za Tage getreten,
die als beachtenswerte bezeichnet werden müssen und auch hier
besonders hervorgehoben werden sollen.
Bekanntlich handelt es sich bei der Warmkrankheit am eine
neae, aus den Tropen eingeschleppte Krankheit; der Urheber der¬
selben, das Anchylo8tomnm hominis, kommt in Afrika und Australien
angemein häufig bei den Negern vor, ohne jedoch so hochgradige
Krankheitserscheinungen, wie in unserem Klima zn verursachen;
denn der Neger ist durch seine Rasseneigentümlichkeit wider¬
standsfähig gegen den Parasiten geworden. Es würde mich zu weit
führen, die Verbreitung des Wurms über andere Länder hier zn
verfolgen; bekannt ist, dass er im vorigen Jahrhundert die sogen.
Aegyptische Chlorose verursacht hat, dass er an den weiteren
Küsten des mittelländischen Meeres, anch in Süd-Amerika, insbe-
*) Nach einem auf der Versammlung der Medizinalbeamten des Beg.-Bes.
Arnsberg zn Hagen am 14. Mirz 1908 gehaltenen Vortrage.
298
Dr. Tenholt.
sondere in Brasilien gegenwärtig noch grosses Unheil anrichtet.
Diesseits der Alpen scheint er erst seit dem Bau des Gotthardt-
Tunnels im Jahre 1880 festen Fuss gefasst zu haben, wenn er
nicht schon früher durch italienische Arbeiter nach Oesterreich-
Ungarn verschleppt worden ist. Es steht fest, dass er durch
österreichisch - ungarische Bergarbeiter von dem rheinisch-west¬
fälischen Kohlenrevier Besitz genommen hat; es ist mit Sicherheit
nachzuweisen, dass schon in den 80 er Jahren vorigen Jahrhunderts
ungarische Arbeiter auf den meist befallenen Gruben des west¬
fälischen Kohlenreviers gearbeitet haben. Die ursprüngliche An¬
nahme, dass belgische Arbeiter, die Wallonen, die Krankheit einge-
schleppt hätten, hat sich als irrtümlich ergeben. Der Einfall kam
aus Osten, nicht aus Westen. Dass der Parasit hauptsächlich, ja fast
ausschliesslich das westfälische Kohlenrevier besetzt, die übrigen,
in Schlesien, in Sachsen, am Harz, in Eisass - Lothringen fast ganz
verschont hat — nur im Kreise Waldenburg und in Aachener Re¬
vieren sind vereinzelte Fälle der Krankheit vorgekommen — er¬
klärt sich zuvörderst aus dem seit Dezennien im lebhaften Gange
befindlichen Zuzuge von italienischen, Österreich-ungarischen Ar¬
beitern. in das westfälische Revier, wogegen in den übrigen Kohlen¬
revieren die Arbeiter grösstenteils aus der sesshaften Bevölkerung
stammen, sodann aber auch aus den verschiedenen Betriebsarten
des Kohlenbergbaues und den verschiedenen Temperaturen und
Feuchtigkeitsgraden der Gruben in verschiedenen Gegenden, oder
aus sonstigen besonderen Umständen, welche hier vorherrschen,
dort aber nicht, oder doch weniger vorhanden sind. In Westfalen
ist eine grosse Anzahl Gruben, in denen an vielen Betriebspunkten
eine Temperatur von 26 bis 30° C. herrscht; hier findet der Para¬
sit sein Tropenklima wieder, und alle sonstigen Bedingungen,
welche für seine Entwickelung erforderlich sind. Neue Ein¬
schleppungen aus Oesterreich - Ungarn sind weniger zu befürchten,
seitdem das Königliche Oberbergamt in Dortmund die Anlegung
solcher Arbeiter verboten hat. Gegenwärtig macht hauptsächlich
die Verschleppung der Seuche durch Abkehr der Arbeiter von
einer Zeche zur anderen in unseren eigenen Revieren viel Sorge.
Um die Naturgeschichte des Wurms kurz wiederholen zu
dürfen, bemerke ich, dass derselbe im Dünndarm des Trägers —
im Duodenum kommt er nicht vor — als echter Blutsauger sich
in die Schleimhaut mittels seiner scharfen Zähne festbeisst. Das
Männchen unterbricht den Akt des Blutsaugens nur, um das Weib¬
chen zur Begattung aufzusuchen. Das Weibchen setzt täglich
zahlreiche Eier ab, die mit den Stuhlgängen des Trägers abgehen,
bevor sie zur weiteren Entwickelung gelangen; eine Vermehrung
der Würmer im Träger ist ausgeschlossen. Gelangt das
Ei auf einen günstigen Nährboden, in feucht-warmen Schlamm, so
entschlüpft demselben nach einigen Tagen der Embryo, die junge
geschlechtslose Larve. Letztere umgiebt sich nach einigen
weiteren Tagen, sofern ihr nicht der günstige Boden entzogen
wird, mit einer Kapsel, verändert zugleich ihre innere Struktur
und vegetiert weiter als die Dauerform des Parasiten, harrend
Anchyloatomiasis im rhein.-weatf. Kohlenrevier. Ursache u. Bek&mpfnog. 299
der gelegentlichen Einwanderung in den menschlichen Verdauungs¬
kanal. Nur die eingekapselten Larven sind ansteckend,
nicht die Eier, nicht die jungen Larven. Der Magensatt
ist nicht geeignet, die eingekapselte Larve zu töten; sie gelangt
in den Dünndarm, entledigt sich hier unter der Einwirkung des
alkalischen Darmsaftes ihrer Kapsel und wächst nun in kurzer
Zeit zu dem geschlechtsreifen Wurm heran. Wichtig ist besonders,
dass eine Vermehrung der Larven im Freien ebenfalls nicht
stattfindet und aus einem Ei schliesslich nur ein Wurm ent*
steht. Eine geschlechtliche Zwischengeneration, wie z. B. bei der
hochinteressanten, aber weniger gefährlichen Anguillula intesti¬
nalis, gibt es beim Anchylostomum glücklicherweise nicht; ich
sage glücklicherweise, denn sonst wäre die Vermehrung der Keime
unseres Parasiten in der Grube unermesslich und an eine Tilgung
der Seuche nicht zu denken. Ebensowenig ist jemals ein Zwischen¬
wirt oder ein Wirtswechsel beim Anchylostomum festgestellt. Alle
Versuche, die dieserhalb beim Grubenpferd, bei Hunden etc. an¬
gestellt sind, sind negativ ausgefallen.
Die in hiesigen Gruben, im Schlamm vorhandenen, darin von
mir wiederholt nachgewiesenen Anchylostomum-Eier und -Larven
stammen ausschliesslich aus dem Kot des mit dem Wurm behaf¬
teten Bergmanns. Die Bergleute verrichten ihre Notdurft in der
Grube gerne an einer abgebauten Stelle, im sog. „alten Mann“,
oder an einer sonstigen Ecke und scharren über den Kot Stein-
kohlengruss, um den Geruch zu beseitigen. Kommt nun jemand
einem solchen bald mit ansteckungsfähigen Larven dicht behafteten
Herd, sei es mit den Füssen, sei es mit den Händen, zu nahe, so
kann die Ansteckung kaum ausbleiben; denn wo der Bergmann
seine Fusssohle hinsetzt, da tastet auch mal seine Hand, und
diese steht im lebhaften Verkehr mit seinem Munde, indem er
den Schweiss vom Gesichte abwischt, den Kautabak in den Mund
steckt, das Trinkgeschirr zu Munde führt, das Butterbrod ver¬
speist, an den Zähnen stockert u. s. w.
Ist auf diese Weise im allgemeinen für die Uebertragung
des Parasiten reichlich durch die Art der Beschäftigung in der
Grube gesorgt, so ist die Ansteckung doch keineswegs eine gleich-
mässige unter der Belegschaft. Es werden vorzugsweise die
Kohlenhauer befallen, weniger die Schlepper und Zimmerhauer,
am wenigsten die Streckenreiniger, die Pferdeführer und die mit
sonstigen Arbeiten in den Hauptstrecken beschäftigten Leute.
Wenn tatsächlich auch die Beamten, die Steiger, Obersteiger und
Betriebsführer sehr häufig der Ansteckung anheimfallen, so ist
dies erklärlich, da sie durch die fortwährenden Bewegungen von
Ort zu Ort schliesslich mit sämtlichen Ansteckungsherden in Be¬
rührung kommen.
Falls es wahr wäre, wie von ungarischen Aerzten behauptet
worden ist, dass die Larven des Wurms durch den Luftstrom,
die sogen. Wetterführung, fortgetragen und an die Firsten ge¬
schleudert werden, so müssten vorzugsweise die Schlepper, Zimmer¬
hauer und die sonstigen Streckenarbeiter, am wenigsten aber die
300
Dr. Tenholt.
Hauer befallen werden. Ausserdem habe ich nachgewiesen,*) dass
die an den Firsten, an der oberen Zimmerung in den Strecken
vorhandenen Larven keine Anchylostomum-Larven, sondern Larven
anderer Arten, anderer Rhabditisformen sind.
In richtiger Erkennung der Gefahren, welche dem Bergbau
dorch den Parasiten drohten, sind schon vor vielen Jahren seitens
des Königl. Oberbergamtes die verschiedensten Massnahmen er¬
griffen worden, insbesondere waren schon im Jahre 1896 durch
bergpolizeiliche Anordnung, die später noch weiter ausgedehnt
wurde, auf den meist befallenen Gruben Abortskübel von be¬
stimmter Einrichtung und Zahl eingeführt, und strenge Strafe
denen angedroht, welche ausserhalb der Kübel ihre Notdurft ver¬
richteten. Durch regelmässige ärztliche Revisionen der Beleg¬
schaften auf den Zechen wurden die wurmverdächtig erscheinenden
Arbeiter ausgehoben und der mikroskopischen Untersuchung ihrer
Fäkalien unterzogen. Auf diese Weise ist auch tatsächlich ein
Rückgang der Krankheit erreicht; denn die Zahl der Erkrankungs¬
fälle, die absolute, wie die relative, ist in der Zeit von 1896 bis
1900 merklich zurückgegangen. Erst dann hat sich eine auf¬
fallende Steigerung gezeigt, deren Ursache der Aufklärung bedurfte.
Schon im Juli 1901 habe ich, nicht ohne sorgsame Prüfung
der Vorgänge, darauf aufmerksam gemacht, dass die zum Zwecke der
Verhütung von Kohlenstaub-Explosionen eingeführte Beriese¬
lung der Gruben den Massenausbruch der Krankheit verursacht
habe. Vorher und zunächst noch nachher, d. h. vor und nach
Juli 1901, wurden fast regelmässig nur zweimal im Jahre die
Belegschaften der befallenen Gruben revidiert. Im Jahre 1900
fiel es mir zunächst auf, dass die Knappschaftsärzte in Castrop,
in deren Bezirken die Belegschaft der seit Jahren infizierten
Zeche Graf Schwerin wohnt, Aerzte, welche sämtlich und vor¬
zugsweise mit den Krankheitserscheinungen der Anchylostomiasis
vertraut waren, und die Wurm verdächtigen zu unserer Unter¬
suchungsstation überwiesen — es gab nur eine derartige Station—,
so aussergewöhnlich zahlreiche Fälle lieferten, dass die Station
überfüllt wurde. Weitere Nachforschungen ergaben auf allen,
nunmehr wie Graf Schwerin vollständig berieselten
Gruben, sofern der Parasit überhaupt daselbst schon einge-
schleppt worden war, und auch die erforderliche Temperatur in
der Grube nicht fehlte, eine erhebliche Zunahme der Erkrankungs¬
fälle, dagegen eine Nichtzunahme der Fälle auf den nicht be¬
rieselten Gruben, selbst wenn daselbst vorher der Parasit schon
eingeschleppt war. Eine für das Jahr 1901 bearbeitete Statistik
hat meine Ansicht bestätigt. Der dagegen erhobene Einwand,
dass nämlich die vermehrte Zahl der Krankheitsfälle sich ergeben
haben könnte aus der Vermehrung der Revisionen, ist durchaus
unzutreffend; denn diese Vermehrung war erst infolge der Zu¬
nahme der Fälle und viel später angeordnet worden.
*) Berg- and Hüttenmännische Wochenschrift „Glückauf“, Nr. 50 vom
8. Dezember 1900.
Anobylostomiagis im rhein.-weatf. Kohlenrevier. Ursache o. Beklopfung. 801
Die verhängnisvolle böse Nebenwirkung der Berieselung er¬
kläre ich einmal aus dem Umstande, dass aus dem vorher mehr
oder minder trockenen Boden ein feuchter, schlammiger, aus dem
schlechten Nährboden ein guter für die Entwickelung der Larven
geschaffen wird, dann aber aus der mechanischen Fortschwemmung
der Kothaufen. Alles, was die Schlammbildung in der Grube be¬
fördert, begünstigt auch die Entwickelung des Parasiten, alles,
was die Trockenlegung fördert, trägt zur Vernichtung desselben
bei. Die Versuche in Laboratorien decken sich in dieser Beziehung
vollständig mit den Versuchen, welche wir in der Grube selbst
gemacht haben; in den trockenen Strecken gelingt es nicht, aus
den Eiern reife Larven zu züchten; entfernt man von dem eier¬
haltigen Kot im Brutschrank den Glasdeckel, der die Verdunstung
verhütet, so erhält man ebenfalls keine Larven.
Leider hat demnach die zur Verhütung von Kohlenstaub-
Explosionen so überaus heilsame Berieselung die entgegengesetzte
Wirkung betreffs der Bekämpfung der Wurmkrankheit. Wer aber
jemals eine Katastrophe, wie die Explosion auf Zeche Karolinen¬
glück im Jahre 1898 mitbeobachtet hat, und nun erfährt, dass
seitdem und zwar offenbar infolge Einführung der Berieselung
kein nennenswertes Massenunglück mehr vorgekommen ist, der
wird nicht dazu raten, die Berieselung ganz zu beseitigen. Viel¬
leicht lässt sie sich einschränken, ohne ihren Wert zu verlieren.
Der hie und da aufgetauchten Ansicht, dass die Wurmkrankheit
von grösserem Uebel sei als die Massenunglücke, kann ich nicht
beitreten. In früheren Jahren sind nur 5 Todesfälle festgestellt,
die lediglich Folge der Anchylostomiasis waren. Wenn aber durch
regelmässige Besichtigungen der Belegschaften, wie es in den
letzten Jahren geschehen ist, die im Beginn der Krankheit
stehenden Bergleute rechtzeitig ausgehoben werden, wird man ferner¬
hin überhaupt keine Todesfälle mehr erleben. Wir haben es nur noch
mit einem leicht verlaufenden, fast stets heilbaren Uebel zu tun,
wogegen die Massenunglücke den Familien jählings die Ernährer
hinwegraffen. Die neuerdings begonnenen Untersuchungen ganzer
Belegschaften, indem man der Reihe nach den Kot jedes einzelnen
Mannes mikroskopisch untersucht, ohne den Mann zu Gesicht zu
bekommen, mögen bestehen bleiben; wenn aber die regelmässige
Aussonderung der wurmkrank erscheinenden Arbeiter wegfallen
sollte, so würden bald wieder Todesfälle Vorkommen, da die mi¬
kroskopische Untersuchung der Reihe nach, je nach der Zahl der
Belegschaft, wie wir es schon auf einigen Zechen erfahren haben,
mehrere Monate bis zu einem Jahre in Anspruch nimmt, und es
sich dabei ereignen wird, dass der zu Beginn der Untersuchung
bereits angesteckte Mann erst nach Monaten an die Kotproben-
Abgabe gelangt, zu einer Zeit, wo die Krankheit bereits unheil¬
bare Fortschritte gemacht hat.
Hygienisch wird schon seit Jahr und Tag daran gearbeitet,
ein Mittel zu finden, die Gruben zu desinfizieren, womöglich mit
einem Stoff, welcher dem BerieselungswaBser zugesetzt werden
kann und darf. Ob dies gelingen wird, ist fraglich. Gegenwärtig^
302
Dr. Tenholt.
machen wir Versuche in einer grosseren stark verseuchten Grube
mit Vs* bis lproz. KresollOsung und mit Kalkmilch. Aber was
hilft schliesslich die Desinfektion, wenn die Bergleute nicht aus¬
schliesslich die Abortskttbel benutzen. Belehrungen durch die
Grubenbeamten, durch Flugblätter an die Arbeiter scheinen bisher
nur geringen Erfolg gehabt zu haben. Von dem Augenblicke aber
an, wo die Defäkation auf freier Erde dauernd und gänzlich unter¬
bleibt, muss die Seuche dem ErlOschungsprozess von selbst an¬
heimfällen.
Derselbe Erfolg würde auch eintreten, wenn es gelänge, überall
die Temperatur in den Gruben erheblich, bis unter 23° C. herabzu¬
setzen, denn nach meinen Beobachtungen spielt neben dem hohen
Feuchtigkeitsgrad die Temperatur die Hauptrolle bei der Entwicke¬
lung der Larven; aber eine solche künstliche Herabsetzung der
Temperatur würde kaum erschwingliche Kosten verursachen. Es
gibt Gruben, welche mitten zwischen stark infizierten liegen, mit
diesen auch im lebhaften Abkehr der Arbeiter stehen, durch Be¬
rieselung feucht gehalten werden, aber, weil eben ihre Temperatur
unter 23 0 C. bleibt, sich zu keinem Herd gestalten können. Die
auf ihnen entdeckten Wurmträger sind in der Regel vorher von
verseuchten Gruben abgekehrt; sie verschleppen wohl den Parasiten,
dieser findet jedoch auf der neuen Grube nicht das zu seiner Lebens¬
fähigkeit erforderliche Klima wieder; eine Tatsache, für welche die
aufgestellten statistischen Uebersichten die klarsten Beläge geben.
Die mangelhafte Temperatur ist auch der Hauptfaktor,
welcher die Entwickelung der Eier und Larven über Tage ver¬
hindert. Die längst von mir festgestellte, aber vielfach bestrittene
Tatsache, dass der Wurm unter der anderen Bevölkerung, ja selbst
unter den nur über Tage arbeitenden Bergleuten nicht vorkommt,
scheint endlich auch auf gegnerischer Seite anerkannt zu werden.
Selbst die mit der Entleerung und Reinigung der zu Tage ge¬
förderten Gruben-Abortskübel jahrelang beschäftigten Tagesarbeiter
auf stark verseuchten Gruben sind bisher freigeblieben von dem
Parasiten, wie wiederholte Untersuchungen ihrer Stuhlgänge er¬
geben haben, obgleich die Vorschriften, mit dem Inhalte der Kübel
vorsichtig umzugehen, zu desinfizieren, nur mangelhaft befolgt
werden; es bleibt nicht aus, dass hie und da etwas Ansteckungs¬
material verschüttet wird. Aber die in den Fäkalien der Kübel
etwa noch vorhandenen entwickelungsfähigen Eier und Larven
gehen über Tage unter, teils wegen der mangelhaften Temperatur,
teils wegen der abtötenden Wirkung des Sonnenlichtes. Alle die
Befürchtungen, welche man trägt wegen einer etwaigen Invasion
des Parasiten unter die Bevölkerung, sind meines Erachtens grund¬
los; wir haben es hier nicht mit einer Volksseucbe, sondern
lediglich mit einer Berufskrankheit der Bergarbeiter zu tun.
Ich glaube auch nicht daran, dass die Krankheit eine spezifische
der Ziegelarbeiter ist, wie man früher angenommen hat. Bei ge¬
nauer Nachforschung wird man finden, dass die Ziegelbrenner,
welche von der Krankheit befallen wurden, ursprünglich oder
wenigstens vorher als Tunnel- oder Grubenarbeiter beschäftigt
gewesen sind.
Anchylostomiasis im rhein.-westf. Kohlenrevier. Umehe n. Bekämpfung. 808
Nach diesen mehr den bergbaulichen Betrieb und seine
hygienische Bedeutung bei der Bekämpfung der Wurmkrankheit
betreffenden Ausführungen seien mir noch einige Bemerkungen zu
der klinischen Seite der Anchylostomiasis gestattet. Ich habe im
Laufe meiner Erfahrungen immer mehr eingesehen, dass man diese
Seuche mit Erfolg nur bekämpfen kann, wenn man auf dem Boden
der klinischen Erfahrnng steht, mit einem Worte, wenn man zu¬
gleich die ärztliche Tätigkeit bei den befallenen Leuten ausübt.
Wir haben auf unserer Untersuchungs- und Krankenstation
zu unterscheiden gelernt zwischen der Wurmkrankheit, der
Anchylostomiasis, und den nicht wurmkranken Wurmträgern.
Auch von anderen Autoren, namentlich in der Gerhardtschen
Klinik in Berlin, wo man gelegentlich der Kolonialausstellungen
bei einer sehr grossen Anzahl Neger das Anchylostomum gefunden,
sich überhaupt spezieller mit diesem Parasiten befasst hat, *) wird
dieselbe Ansicht vertreten. „Bei den Negern“, sagt Zinn, „findet
sich zwar der Wurm endemisch, nicht aber die Anchylostomiasis.“
Lassano, Arrland, Bohland u. a. haben sich mit der Er¬
forschung eines von dem Anchylostomum produzierten Stoffwechsel¬
giftes befasst, und wollten es in der Gestalt einer Ptomaine ge¬
funden haben. Soviel steht auch nach meinen Beobachtungen fest,
dass der Grad der Krankheit, der schwere Verlauf derselben
keineswegs von der Anzahl der vorhandenen Würmer, mit anderen
Worten von der Menge des durch letztere bewirkten Blutverlustes
allein abhängt. Zu dieser Annahme stehen mir mehrere Obduktions¬
befunde zur Seite, auf die ich hier nicht näher eingehen kann,
die Tatsache bleibt aber nicht ohne praktische Bedeutung für die
Bekämpfung der Seuche auf unseren Gruben. Ich habe daher
kürzlich in einer kleinen, auch für nicht Medizinern verständlichen
Denkschrift an die Vorstandsmitglieder der Knappschaft im wesent¬
lichen folgendes ausgeführt:
„Wurmkrank sind diejenigen Bergleute, welche infolge der Ein¬
wanderung des Wurms eine krankhafte Veränderung der Säften-
masse des Körpers erlitten haben. Diesen Leuten muss geholfen werden,
sie haben Qrnnd, ärztlich behandelt zu werden. Wurmbehaftet nenne ich
zum Unterschiede von den Wurmkranken, die selbstverständlich anch Träger
des Wurmes sind, diejenigen, bei welchen trotz der Einwanderung des Para¬
siten krankhafte Erscheinungen nicht eingetreten sind, und zwar teils wegen
der grösseren Widerstandsfähigkeit des betreffenden befallenen Körpers, teils
nnd hauptsächlich aber wegen der allzu geringen Zahl der eingewanderten
Wärmer und ihrer giftigen Wirkung. Wenn beispielsweise jemand nur 10 oder
20 eingekapselte Larven verschluckt hat, so können sich ans denselben nur
höchstens 20 Wärmer entwickeln; ich sage höchstens, weil die Larven ge¬
schlechtslos sind, und einzelne von ihnen im Magen nntergehen, auch die ent¬
wickelten Wärmer im menschlichen Körper sich nicht vermehren können.
Solche Leute bleiben, falls sie nicht von neuem und zwar zahlreichere Larven
aufnehmen, zeitlebens gesund, bedürfen an sich keiner Abtreibungsknr; die
Wärmer sterben endlich von selbst ab.
Aber, sagt man mir, diese Leute werden, weil ihr Stuhlgang immerhin,
wenn auch verhältnismässig wenige Eier enthält, die Krankheit weiter ver¬
breiten können.
Die Krankheit kaum! Aus jedem Ei im Stuhlgang entsteht im
') Vergl. Arbeiten von Dr. Zinn und Dr. Jacoby. Berliner klinische
Wochenschrift; 1896, Nr. 86.
804 Dr. Tenholt: Aoohylostomiasis im rhein.-weetf. Kohlenrevier n. a. w.
gttnatigaten Falle nur eine Larve and da die Larven geschlechtslos sind, kann
eine Vermehrung derselben in der Grabe nicht stattfinden.
Der mit so spftrliohen Warmeiern behaftete Kot ist daher bei weitem
nicht so gefährlich für die Belegschaft, als der mit Eiern ttbers&te, wie er
von den Warmkranken abgesetzt wird. Diese sind in erster Beihe von
der Arbeit aaszosohliessen and von den Würmern za befreien aas persönlichen
gesundheitlichen Rücksichten einerseits, and anderseits, am der weiteren
Massenabsetzang von Ansteckangsmaterial in der Grabe ein Ende za
machen. Bei diesem Verfahren, in Verbindung mit den bergpolizeilichen An¬
ordnungen, ist es ans gelangen, die Zahl der Krankheitsfälle in den Jahren
1895 bis 1900 allmählich herabzudrücken, wie aas den statistischen Ueber-
sichten hervorgeht. Aber — and dies zeigt aasserordentlich deutlich die
graphische Darstellung und Uebersichtskarte — mit dem Jahre 1900 stieg die
Zahl rapid and enorm. Es ist dies nachweislich auf die Berieselung der Graben
zarückzaführen.
Bemerkenswert ist die noch wenig bekannte Tatsache, dass seit Ein¬
führung der Berieselnng die Zahl der Warmkranken nar eine verhältnis¬
mässig sehr geringe Zanahme gefunden hat, dagegen die Zahl der Warmträger
eine so aasserordentlich hohe geworden ist. Während wir vorher in den
Krankenanstalten die schwersten Fälle liegen hatten, die meisten dieserhalb
untergebrachten Leute bettlägerig waren, and durch die Kar so massenhafte
Würmer abgetrieben worden, dass wir stets in der Lage waren, an Universi-
täts- and andere Krankenanstalten die Würmer als Demonstrationsmaterial za
versenden, sind die meisten, wohl 95 % der seit etwa 2 Jahren aofgenommenen
mit den Würmern mehr oder minder behafteten Leute nicht nur nicht bett¬
lägerig, sondern es kostet auch grosse Mühe, die so äasserst spärlich vorhanden
gewesenen Würmer in den Exkrementen anfzufinden; es fehlt ans, wenn auch
nicht gänzlich, immerhin recht merklich an Demonstrationsmaterial. Und doch
hat der Parasit an Umfang seines Gebiets erheblich gewonnen. Ich finde auch
hierfür die Erklärung. Früher blieb der mit Millionen von Warmeiern and
schliesslich mit ebenso vielen Larven behaftete, von einem warmkranken Berg¬
mann an irgend einer Ecke in der Grabe verrichtete Stahlgang unberührt
liegen, bis zufällig ein anderer Arbeiter, sei es mit den Füssen, sei es gar mit
den Händen, dem gefährlichen Stoffe za nahe kam. Das kleinste Teilchen
dieses Schmatzes konnte dem Manne viele hundert Würmer verursachen; in¬
folgedessen wurde er warmkrank. Seit der Berieselung werden die Kot-
hänfen auseinander geschwemmt; das Ansteckangsmaterial wird weithin aus¬
gedehnt, aber erheblich verdünnt. Die Gelegenheit des Arbeiters, auf Wurm¬
keime za stossen, ist aasserordentlich gestiegen, die Gelegenheit aber, das
Ansteckangsmaterial massenhaft in sich anfzanehmen, aasserordentlich ver¬
mindert. Daher die verhältnismässig grosse Zahl von nicht kranken Leuten
and verhältnismässig sehr geringe Zahl von Kranken unter den Warmträgern.“
Um der Erforschung der toxischen Wirkung des Anchylosto-
mum näher zu treten, haben wir den bereits genannten Pharma¬
kologen Dr. Jacoby zugezogen; hoffentlich werden unsere gemein¬
samen, auf unserem Laboratorium demnächst beginnenden Arbeiten
mehr Licht schaffen, zumal uns ein so grosses Material zur Ver¬
fügung steht, bei dem wir schon so manche eigenartige Erfahrungen
gemacht haben. Beispielsweise gelingt es in der Regel viel
leichter, den Wurmkranken die Würmer abzutreiben, als den nicht
kranken Wurmträgern. Während erstere meistens schon nach
einer einmaligen, höchstens zweimaligen Kur mit 7 bis 8 g Ex-
tractum Filicis von der ganzen Sippe der Würmer befreit werden,
bedarf es bei letzteren nicht selten einer 8- bis 10 maligen Kur,
ja zuweilen gelingt es überhaupt nicht, diesen den letzten Wurm
abzutreiben. Sollten diese Leute vielleicht das wirksame Agens
des Extr. Filicis zu neutralisieren imstande sein, bevor es zum
Sitze der Würmer gelangt, und zwar vermöge ihrer durch Krank-
Dr. Fielit«: Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. 305
heit noch nicht geschwächten Säfte P Es sind nur zwei Möglich¬
keiten vorhanden: entweder tritt das wirkende Agens mittels des
Magen-Darminhalts direkt an die Sitze der Würmer, oder es
gelangt auf Umwegen, durch Resorption vom Magen aus dorthin.
Sollte der Magensaft eines Gesunden das Mittel in seiner Wirkung
abschwachen, wozu der Magensaft eines Kranken nicht imstande ist?
Letzterer, von Dr. Jacoby aufgeworfenen Frage sind wir zunächst
näher getreten; wir verordnen das Mittel in Gultoid-Kapseln,
welche sich im Magen nicht, sondern erst im Darm auflösen.
Es wäre noch manches, was in klinischer Beziehung von
grossem Interesse ist, anzuführen, z. B. die eigenartige Anämie der
Wnrmkranken, die eigenartige Beschaffenheit des Blutes, die nicht
unwesentlich von anderen Arten der Anämie verschieden ist und der
Forschung noch ein weiteres Feld offen lässt (Dr. Zinn), allein ich
glaube, auf solche noch ungelösten Fragen heute nicht weiter ein-
gehen zu sollen. Erwähnen will ich nur noch, dass wir neuerdings
Versuche mit wasserdichten und verschlussfähigenKotbeuteln machen,
die über einen Ring gespannt sind. Sie werden denjenigen Ar¬
beitern mitgegeben, die nicht in den Strecken, sondern vor Ort
arbeiten, von wo aus sie die Aborte schlecht erreichen können.
Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen.
Von Kreisarzt und Med.-Bat Dr. Fielitc in Halle a. S.
Zwei Jahre erst sind seit dem Inkrafttreten des Kreisarzt¬
gesetzes verflossen und schon heute lässt sich erkennen, welchen
bedeutenden Einfluss dasselbe auf allen Gebieten der öffentlichen
Gesundheitspflege in Preussen haben wird. Mit besonderer Ge¬
nugtuung beobachten wir auch in den ländlichen Bezirken ein
zunehmendes Verständnis für die Bestrebungen des Gesundheits¬
beamten. Der Kreisarzt tritt dem Volke näher; sein persön¬
licher Einfluss schafft Verbesserungen, die noch vor kurzer Zeit
unmöglich schienen. Frisches Leben regt sich überall, namentlich
in dem Kampfe gegen die vermeidbaren Volkskrankbeiten!
Mit Trauer musste bis vor kurzem der Landphysikus sehen,
dass die Fortschritte der Hygiene allein den Städten Nutzen und
Vorteil brachten, während er auf dem Lande den Feinden der Mensch¬
heit gegenüber ohnmächtig blieb. Früher hausten die Seuchen
mit Vorliebe in den grossen Städten; jetzt suchen sie sich, aus
diesen vertrieben, in den ländlichen Ortschaften zu entschädigen.
Der Unterleibstyphus, sonst endemisch in vielen Städten, ist mehr
und mehr eine Krankheit der Dörfer geworden. Scharlach und
Diphtherie bezwingt man in den menschenüberfüllten Verkehrs¬
zentren mit strengen Massnahmen; auf dem Lande verschwinden
sie erst, wenn sie Haus für Haus ihre Opfer aufgesucht haben.
Leider sind die Verhältnisse in Landkreisen überaus traurige,
soweit die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Frage kommt.
Hier findet der Kreisarzt eine der schwersten Aufgaben zu lösen,
während seinem grossstädtischen Kollegen die reifen Flüchte
gleichsam in den Schoss fallen.
806
Dr. Fiellts.
In den Städten hat man längst begriffen, dass die sorgsamste
Befolgung gesundheitspolizeilicher Forderungen die erste Bedingung
ist für das Blühen und Gedeihen des Gemeinwesens. Jedes Zu¬
rückbleiben auf diesem Gebiete würde sich in der modernen Stadt
schwer rächen.
Wie anders auf dem Lande! Der geringere Wohlstand, be¬
scheidenere Ansprüche an die Schönheiten des Lebens, leider aber
auch mangelndes Verständnis und falsch angebrachte Sparsamkeit
stehen jeder Forderung der öffentlichen Gesundheitspflege gleich-
giltig oder misstrauisch oder gar ablehnend gegenüber.
Die preussischen Medizinalbeamten haben sich seit Jahren
in ihren Versammlungen mit diesen Dingen beschäftigt, besonders
eingehend in den Jahren 1900 und 1901. Auch in einzelnen Regie¬
rungsbezirken ist vielfach erwogen worden, wie sich eine Seuchen¬
bekämpfung am besten auch in Landkreisen bewerkstelligen liesse.
In verschiedenen Bezirken hat man bereits Desiniektionsordnungen
erlassen, die wenigstens eine Schlussdesinfektion bei bestimmten
Krankheiten verbürgen sollen. Solche Einrichtungen giebt es
z. B. in den Kreisen Lüchow, Nimptsch, Grätz u. a.
Am weitesten ist man im Regierungsbezirk Arnsberg ge¬
kommen, wo man Ende vorigen Jahres bereits 200 Desinfek¬
toren angestellt hatte, die gleichzeitig als Gesundheitsauf-
seher Verwendung finden sollten (Dütschke’s Artikel in
Jahrg. 1902, Nr. 21 dieser Zeitschrift). Wird diese Einrichtung,
die übrigens auch Roth 1902 im Verein für öffentliche Gesundheits¬
pflege empfohlen hat, sich bewähren? Es ist möglich, aber ich
möchte es zunächst bezweifeln und zwar aus folgenden Gründen:
Die Verbindung der Aemter des Desinfektors mit dem eines
Gesundheitsaufsehers halte ich nicht für glücklich, zumal wenn
man, wie Dütschke (a. a. 0. S. 762) sagt, „bei der Auswahl
der geeigneten Persönlichkeiten im Anfang nicht zu ängstlich sein
kann". Wir sehen an den Hebammen, wie schwer ein solcher
Stand zu heben ist, wenn das Durchschnittsmaterial minderwertig
war. Und ein Gesundheitsaufseher muss doch weit mehr
Taktgefühl besitzen, als ein Desinfektor! Sollen diese Leute z. B.
die fortlaufende Desinfektion beaufsichtigen, also in den Kranken¬
zimmern Zutritt haben P Werden sich Barbiere und Fleisch¬
beschauer, überhaupt Männer hierzu eignen, ausser den AerztenP
Die Befürchtung ist ausserdem begründet, dass derartige weniger
gebildete Menschen sich mehr im Amte des „Gesundheitsauf¬
sehers“ als in dem des „Desinfektors“ gefallen, besonders wenn
sie diese Geschäfte nebenamtlich betreiben. Davon später.
Es ist ausserordentlich schwierig, in planmässiger Weise
eine Bekämpfung ansteckender Krankheiten auf dem Lande zu
organisieren. Wäre es leichter, dann ständen wir in den Land¬
kreisen heute nicht so weit zurück.
Ich habe mich seit Jahren mit einer solchen Organisation
für den Saalkreis beschäftigt und dabei je länger, je mehr Hinder¬
nisse gefunden, die nur mit grösster Geduld und jedenfalls nicht
ohne Opfer an Zeit und Mühe hinwegzuräumen sind. Wenn ich
Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. 807
mir erlaube, meine Gedanken hier öffentlich zum Ansdruck zu
bringen, so gebe ich damit gleichzeitig ein Bild derjenigen Ein¬
richtungen, die in meinem Kreise nunmehr zu Ende geführt sind.
Bei Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten auf dem
Lande müssen alle diejenigen Faktoren mitwirken, welche durch
die Gesetzgebung, besonders aber durch ihre Beziehung zur öffent¬
lichen Krankenpflege, hierzu berufen sind. Die Infektionskrank¬
heiten bekämpft man insbesondere nicht nur mit einer Zwangs¬
desinfektion nach Schluss der Erkrankung; es genügt also keines¬
wegs die Anstellung von Desinfektoren. Ja es wäre recht gut
denkbar, dass spätere Generationen eine Schlussdesinfektion nur
noch bei ungünstigen Wohnungsverhältnissen nötig hätten, wenn
man erreicht, dass von Kranken Ansteckungsstoffe nicht mehr
verstreut werden. In einzelnen Städten sieht man bereits von der
Schlussdesinfektion ab, wenn der behandelnde Arzt bescheinigt,
dass während der Krankheit vorschriftsmässig verfahren wurde.
Schon die Ermittelung erster Fälle begegnet in Land¬
kreisen grossen Schwierigkeiten. Es ist nicht möglich, dass der
Kreisarzt alle ersten Fälle ansteckender Kinderkrankheiten per¬
sönlich feststellt; Zeitmangel und Kosten verhindern das. Bei
Unterleibstyphus wird er allerdings stets gut tun, an Ort und
Stelle zu erscheinen, aber auch bei dieser, noch am leichtesten zu
unterdrückenden Krankheit entgehen uns fast immer die wirklich
ersten Fälle.
Wie viele Erkrankungen kommen nicht in ärztliche Behand¬
lung, sei es wegen der unbedeutenden Erscheinungen und Be¬
schwerden, sei es, weil ein Kurpfuscher an ihnen seine Kunst ver¬
sucht. Gerade die Kurpfuscherei steht uns beim Kampfe mit den
Infektionskrankheiten ausserordentlich im Wege. Wiederholt habe
ich noch in jüngerer Zeit beobachtet, dass Scharlach oder Diph¬
therie epidemische Verbreitung gefunden hatten, trotzdem Mel¬
dungen von Aerzten nicht Vorlagen. Nachforschungen bestätigen
das Gerücht: Kurpfuscher behandeln die Kranken und begünstigen
durch Unterlassen jeder Vorsichtsmassregeln eine Verbreitung.
Es ist wirklich die höchste Zeit, dass den Pfuschern mindestens
die Vorrechte genommen werden, deren sie sich den Aerzten
gegenüber zum Schaden der öffentlichen Gesundheitspflege erfreuen.
Der Gesetzgeber wird Mittel und Wege finden, damit wenigstens
seine eigenen Massnahmen zum Schutze gegen Seuchen nicht
durchkreuzt werden.
Sehr richtig verlangte Wodtke in seinem erschöpfenden
Referate des vorigen Jahres, dass die Anzeigepflicht genau so
geregelt werde, wie im Gesetz vom 30. Juni 1900 §§. 1 und 2.
Wird nicht gesetzlich bestimmt, dass auch solche Erkrankungen
gemeldet werden, welche den Verdacht auf Typhus, Diphtherie,
Scharlach u. s. w. erwecken, dann kommen wir nicht zum Ziele,
wenigstens nicht in Landkreisen, wo die schnelle Unterdrückung
einer bereits epidemisch gewordenen Krankheit voraussichtlich
stets unmöglich bleiben wird. Der Pfuscher darf sich nicht hinter
der Ausrede verstecken können: er habe die Krankheit nicht für
308
Dr. Fielits.
eine anzeigepflichtige gehalten! Er wird nm so mehr versucht
sein, die Anzeige zu unterlassen, als er sich auf diese Weise die
Polizeibehörde und die ärztliche Kontrolle fernhält (vergl Entwurf
des Ausführungsgesetzes zum Seuchengesetz §. 6, Abs. 3). Das
Gesetz würde den Pfuscher geradezu verleiten, Ausflüchte zu
suchen, die ein Unterlassen der Anzeige gestatten; die Erfahrung
lehrt ausserdem zur Genüge, wie schwer es ist, den Kurpfuscher
zur Bestrafung zu bringen. Mindestens sollte die Anzeige bei
Verdacht noch auf Scharlach und Diphtherie ausgedehnt werden.
Bei beiden Feinden der Kinderwelt ist es von grösster Wichtig¬
keit, dass Schutzmassregeln ergriffen werden und das geschieht,
wenn schon der Verdacht anzeigepflichtig ist und wenn besonders
die Diagnose „ Friesei“ nicht mehr vorgescbützt werden kann.
Aber selbst bei strengsten gesetzlichen Vorschriften entgehen
unserer Kenntnis voraussichtlich alle die leichten Fälle, die von
den Angehörigen kaum beachtet werden. Man denke nur an die
ambulanten Typhen, an die leichten Diphtherie- und Scharlach¬
erkrankungen und dergl.
Diesen Fällen kann man unter Umständen in kleinen Orten
leichter auf die Spur kommen, als in grossen Städten, wenigstens
glauben wir im Saalkreise in dieser Beziehung auf dem richtigen
Wege zu sein. Es wird gerade hier immer eine Lücke in der
Gesetzgebung bleiben, die wir mit den Mitteln der öffentlichen
Krankenpflege auszufüllen streben. In erster Linie ist hier zur
Mitwirkung der Vaterländische Frauenverein berufen, indem er
seine Hauptkraft der eigentlichen Gemeindepflege widmet. Ge¬
meindeschwestern sind die geeigneten Persönlich¬
keiten zur Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten
in Landkreisen. Sie haben in nnserem Kreise bei Epidemien
wirklich segensreich gewirkt.
Leider macht sich der Mangel an Schwestern fühlbar; wir
müssen deshalb erwägen, ob wir nicht nach Badenschem Muster
„Landpflegerinnen“ ausbilden sollen. Erst wenn mindestens für
jeden Amtsbezirk eine Pflegerin vorhanden ist, erst dann wird
man mit einiger Kühe dem Ansturm übertragbarer Krankheiten
entgegensehen. Um das zu erreichen, bedarf es freilich grosser
Opfer und jahrelanger Bemühung. Wenn aber Landrat und
Kreisarzt persönlich erscheinen, wo es gilt, bei kleinen oder grossen
Versammlungen Verständnis für die Gebote der Gesundheitspflege
zu verbreiten, dann wird der Erfolg nicht ausbleiben.
Gesundheitskommissionen, Ortsbesichtigungen, Epidemien,
aber auch Familienabende u. s. w. bieten Gelegenheit, auf unsere
heutigen Mängel hinzuweisen. Dass wir jetzt dem Publikum
näher kommen, ist ja einer der grössten Vorzüge des Kreisarzt¬
gesetzes; denn die Erfahrung lehrt, dass durch eine persönliche
Verhandlung mitunter unschwer erreicht wird, was durch jahre¬
lange Schreiberei vergeblich angestrebt war.
Die öffentliche Krankenpflege muss mit allen Mitteln ge¬
fördert werden! Den Gemeindeschwestern entgeht bei längerem
Sitz am Orte oder im Bezirk so leicht kein verdächtiger Er-
Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen.
809
krankungsfall, welcher auf diese Weise sofort in sachverständige
Behandlung und, wenn irgend möglich, in ein Krankenhaus ge¬
bracht wird. Nnr so ist es möglich, die Krankheit rechtzeitig
feststellen zu lassen, wie es das Ausführungsgesetz im §. 6 be¬
absichtigt.
Solange ein Zweifel besteht, wird der Fall als positiv be¬
handelt, bis das Resultat der bakteriologischen Untersuchung vor¬
liegt. Voraussetzung sind Untersuchungsämter, wie wir in
Halle ein solches unter Prof. C. Fränkels Leitung im Anschluss an
das hygienische Institut der Universität besitzen. Sämtliche
Kreise des Regierungsbezirks Merseburg tragen zu den Kosten
bei; dafür werden alle von den Aerzten des Bezirks bean¬
tragten Untersuchungen kostenfrei ausgeführt. Die ganze Organi¬
sation hat sich bis ins kleinste vorzüglich bewährt.
Weiter bedienen wir uns zur Ermittelung der ersten Fälle
der Lehrer. Die Ministerial-Verfügung vom 14. Juli 1884 bezw.
die beigegebene „Anweisung zur Verhütung ansteckender Krank¬
heiten durch die Schulen“ bestimmt in Abs. 5, dass der Lehrer
für die Beobachtung der unter 2—4 gegebenen Vorschriften ver¬
antwortlich ist und jede Ausschliessung eines Kindes vom Schul¬
besuche wegen ansteckender Krankheit sofort der Ortspolizeibehörde
anzuzeigen hat. Mit dieser Bestimmung haben wir zunächst nur
eine wertvolle Kontrolle der Anzeigepflicht, aber wir erwarten von
den Lehrern eine weitergehende Unterstützung bei der Seuchenbe¬
kämpfung. In den allermeisten Fällen nämlich gelingt es gerade
dem Lehrer auf dem Lande leicht zu entscheiden, ob bei einem
wegen Unwohlseins den Unterricht versäumenden Kinde der Ver¬
dacht einer ansteckenden Krankheit begründet ist. Bejahenden¬
falls geht eine entsprechende Anzeige an den Ortsschulinspektor
und von diesem an den Landrat bezw. Kreisarzt.
Selten werden Lehrer sich weigern, dieses geringe Opfer
znm allgemeinen Wohle zu bringen, zumal die meisten unter ihnen
Familienväter sind. Um die Lehrer zu gewinnen, bedarf es einer
persönlichen Bekanntschaft. Am besten eignen sich hierzu die
Kreislehrerkonferenzen, in denen der Kreisarzt Vorträge halten
muss, denen sich ausführliche Besprechungen anschliessen. Ver¬
anlassung bieten besondere Ereignisse, wie Epidemien im Bezirk,
das Seuchengesetz, die Einführung der Zwangsdesinfektion im
Kreise und dergl. Ich muss mit grösster Anerkennung bestätigen,
dass ich jederzeit die weitgehendste Unterstützung seitens der
Lehrer gefunden habe.
Tritt in der Nachbarschaft eine ansteckende Krankheit auf,
so besprechen die Lehrer wenigstens in den Oberstufen die Natur
derselben, um auch die Kinder rechtzeitig aufmerksam zu machen.
Zu diesem Zwecke werden ihnen „Verhaltungsmassregeln“ für die
einheimischen Infektionskrankheiten in die Hand gegeben; auch
interessieren sich die meisten dieser Herren sehr für solche Auf¬
gabe. Mit der Abfassung solcher „Verhaltungsmassregeln“, die
vor allem kurz und leicht verständlich sein müssen, hat der Me¬
dizinalbeamten - Verein des Regierungsbezirks Merseburg eine
310
Dr. Fielitz.
Kommission beauftragt; die Massregeln sollen das Verhalten bei
ansteckenden Krankheiten bis zur Schlussdesinfektion genau vor¬
schreiben. Wir bilden uns nicht ein, sofort einen grossen Erfolg
zu sehen, glauben aber, dass der Segen derartiger Bestrebungen
nicht ansbleiben wird, und dass wir auf dem richtigen Wege sind,
um auch in Landkreisen sämtliche Fälle von ansteckenden Krank¬
heiten zu ermitteln. Ohne eine genaue Ermittelung ist jeder
Kampf aussichtslos!
Was geschieht nun weiter nach Feststellung des Falles?
Isolierräume sind auf dem Lande seltener zu beschaffen,
als in der Stadt. Auch hier bleiben besondere Aufgaben von der
öffentlichen Krankenpflege zu lösen. Zwar können nach §. 23 des
Gesetzes vom 30. Juni 1900 und nach §. 27 des preussischen Ge¬
setzentwurfes Gemeinden oder Kommunalverbände angehalten
werden, Einrichtungen zu treffen, welche zur Bekämpfung der
gemeingefährlichen Krankheiten notwendig sind; indessen sind wir
noch weit davon entfernt, überall geeignete Unterkunftsräume zur
Verfügung zu bekommen, und wo solche vorhanden, fehlt die Aus¬
stattung und in den meisten Fällen eine Person zur Pflege des
Kranken. Auf dem Lande ist selten ein Mensch von der Arbeit
abkömmlich. Die Frau besorgt fast ausnahmslos neben der Pflege
des kranken Kindes ihre gewöhnliche Hausarbeit, freilich zum
Schaden für den Patienten und für sich selbst, besonders aber zur
Gefahr für die gesunden Mitglieder der Familie.
Auch hier kann nur das gemeinsame Handeln der Aerzte,
Krankenkassen und Gemeindeschwestern etwas erreichen. Der
menschenfreundliche und gewissenhafte Arzt wird alle geeigneten
ersten Fälle einem Krankenhause zuweisen, und die Krankenkassen
— besonders die grossen Kreiskrankenkassen — werden gern
ihre Zustimmung geben; denn es handelt sich um ihren eigenen
Vorteil. Bleibt der Kranke aber in seiner Wohnung, dann richtet
die Gemeindeschwester das Krankenzimmer so gut als möglich
ein und zeigt der Pflegerin an der Hand der „Verhaltungsmass-
regeln“, wie man ein Verschleppen des Ansteckungsstoffes ver¬
hüten kann. Es wird unter Umständen nötig und möglich sein,
aus beschränkten Wohnungen die gesunden Kinder zu entfernen;
das muss in jedem einzelnen Falle je nach den Umständen ent¬
schieden werden. Auch dabei ist eine geschulte Krankenpflegerin
die beste Helferin. Es ist ja erklärlich, dass sie in Krankenstuben
mehr leisten kann, als ein männlicher Gesundheitsaufseher, der
bestenfalls von den Leuten als Polizeibeamter angesehen wird,
während man der Pflegerin mit Vertrauen begegnet und ihre An¬
wesenheit als eine Erleichterung in schweren Stunden empfindet.
Eine weibliche Person passt auch jederzeit in das Krankenzimmer
eines Mannes, aber nicht umgekehrt der fremde Mann in das einer
Frau. Aus diesem Grunde wünschen wir, die Gemeindeschwester
zur Kontrolle der fortlaufenden Desinfektion im weitesten Um¬
fange zu verwenden.
Bei gebildeten und bei wohlhabenden Leuten bedarf es kaum
solcher Kontrolle, unbedingt aber bei den einfachen kleinen Leuten.
Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. 311
Was hier eine Gemeindeschwester leisten kann, habe ich erst un¬
längst wieder bei einer äusserst bösartigen Scharlachepidemie mit
20 °/ 0 Todesfällen beobachtet. Das ruhige, sanfte und wohltuende
Wesen der Schwester wirkte wunderbar auf diese Menschen und
erreichte von ihnen mehr, als der beste Wille des Arztes.
Der Kreisarzt soll sich deshalb mit voller Hingebung an den
Aufgaben des Vaterländischen Frauenvereins beteiligen, den ich
für berufen halte, gerade auf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung
Hervorragendes zu leisten.
In manchen Gemeinden werden die Vorstandsdamen geneigt
und imstande sein, mit Bat und Tat den bedrängten Familien
beizustehen, besonders wenn sie nicht selbst Kinder vor An¬
steckung zu schützen haben. Sie werden auch in der Lage sein,
mit Gerätschaften aller Art bei ansteckenden Krankheiten auszu¬
helfen. Man denke nur, wie schwer es in ärmlichen Verhältnissen
ist, für Kranke eigenes Ess- und Trinkgeschirr zu haben! Der
Frauenverein wird es später auch ermöglichen, dass die von den
Gemeinden oder Amtsbezirken zur Verfügung gestellten Unter¬
kunftsräume einigermassen ausgestattet werden, damit Kranke
nicht noch schlechter wohnen, als in den eigenen engen und oft
unsauberen Bäumen.
Unsere Hauptaufgabe werden wir aber in einer
gewissenhaften fortlaufenden Desinfektion erblicken.
Kirchner (Aerztl. Sachverständigen - Zeitung, 1902, Nr. 17)
spricht es offen aus, dass „der wichtigste Teil der Desinfektion
derjenige ist, welcher während der Erkrankung stattfindet“. Frei¬
lich ist dieser Teil auch der schwerste! Es genügt — wenigstens
auf dem Lande — keineswegs, dass der Arzt den Leuten zeigt,
wie und was sie desinfizieren sollen; es muss eine dauernde Kon¬
trolle stattfinden und diese kann, wie ich schon sagte, nur von
einer Gemeindepflegerin ausgeübt werden. Wir haben das im
Saalkreise erprobt, indem wir bei schweren Epidemien eine Ge¬
meindeschwester in die ergriffenen Orte schickten. Die Frau
Vorsitzende des Zweigvereins hat uns ihre Unterstützung stets
angedeihen lassen.
Das Seuchengesetz allein bietet keine Gewähr für eine aus¬
reichende Desinfektion während der Krankheit; das ist einfach
unmöglich. Den ungebildeten Leuten, allerdings häufig auch ge¬
bildeten, erscheint das peinliche Abmessen der Desinfektionsmittel
unnötig und lästig. Man begnügt sich mit einem schwachen
Karbolgeruch, und sonst verschwenderische Leute treiben in diesem
Punkte die Sparsamkeit auf die Spitze.
Hier kann nur das Beispiel wirken. In der Hebammentätig¬
keit belächelten anfangs die Laien jede Desinfektion; heute be¬
schweren sich Arbeiter, wenn bei ihren Frauen angeblich zu wenig
Lysol gebraucht wurde. Gut Ding will Weile haben! Man darf
nicht müde werden in der Förderung unserer Ziele, dann wird die
Zeit kommen, wo der gleichgiltigste und ungebildete Mensch bei
seinem scharlachkranken Kinde dieselbe Vorsicht verlangt, wie
der gebildete.
812
Dr. Fielits.
Auf alle Fälle müssen wir für ausreichendes Desinfektions¬
material Sorge tragen! Dabei treffen wir wieder auf eine strittige
Frage: sind die Krankenkassen verpflichtet, ihren an ansteckenden
Krankheiten leidenden Mitgliedern Desinfektionsmittel zu liefern ?
Das Krankenversicherungsgesetz bestimmt in §. 6, Abs. 1, dass
als Krankenunterstützung zu gewähren ist: „vom Beginn der
Krankheit ab freie ärztliche Behandlung, Arznei, sowie Brillen,
Bruchbänder und ähnliche Heilmittel*. Nach diesem Wortlaut ist
es also mindestens fraglich, ob die Mitglieder einer Krankenkasse
freie Desinfektionsmittel beanspruchen können, auch liegt meines
Wissens weder eine Erläuterung, noch eine gesetzliche Entscheidung
vor, trotzdem schon viel über diesen Gegenstand gestritten wurde.
Nach meiner Ansicht gehören die Desinfektionsmittel zur
„ärztlichen Behandlung*. Diese ist frei und, da der Arzt schon
nach dem alten Regulativ (§. 17) zur Ueberwachung der sanitäts¬
polizeilichen Vorschriften verpflichtet war, wird er auch die im
besonderen Falle nötigen Desinfektionsmittel verordnen müssen.
Während die Gemeinde für die Schlussdesinfektion zu sorgen hat,
soll der Kranke für die laufende Desinfektion selbst aufkommen.
Für das Kassenmitglied muss hier also die Kasse eintreten.
Andernfalls würde z. B. bei Unterleibstyphus (Seuchengesetz §.14
bezw. Ausflihrungsgesetz §. 8, Abs. 10) stets eine zwangsweise
Ueberführung in ein Krankenhaus möglich und erforderlich sein.
Uebrigens dürften Krankenkassen, besonders die Kreiskranken¬
kassen mit Familienversicherung, im eigenen Interesse die billigen
Desinfektionsmittel liefern. Vielleicht bietet sich bei Beratung der
Novelle zum Krankenversicherungsgesetz im Reichstage, oder im
Landtage beim Seuchengesetz Gelegenheit, diese wichtige Frage
einwandsfrei und klar zu beantworten.
Erheblich einfacher gestaltet sich die Schlussdesin¬
fektion.
Auch wir sind von der Ueberzeugung ausgegangen, dass bei
dieser Desinfektion eigentlich alles auf die Wahl des Desin¬
fektors ankommt. Weder Barbiere, Polizeidiener, Fleischbe¬
schauer oder gar Totengräber eignen sich zu solchem Amte; jene
will man dann nicht mehr in gesunden Familien sehen, diese
schickt man nicht in Häuser, an denen vielleicht soeben der Tod
vorübergegangen ist. Wir haben uns im Gegensatz zum Arns-
berger Bezirk auf den Standpunkt gestellt: wenige, aber vor¬
zügliche Desinfektoren sind besser, als eine Menge
zusammengewürfelter Leute.
Die Desinfektoren müssen ferner nicht nebenamtlich an¬
gestellt werden, denn nur vollbeschäftigte und vollbesoldete Be¬
amte bieten eine sichere Gewähr für ihre Zuverlässigkeit.
Sind nicht genügende Mittel vorhanden, so begnüge man sich
zunächst mit der Formalindesinfektion und behelfe sich in den
selteneren Fällen von Typhus und Kindbettfieber mit der alten
Methode^ die ja auf dem Lande im grössten Teil des Jahres durch
Sonne und Luft unterstützt wird. Dampfapparate werden in Land¬
kreisen nur in möglichst einfacher und kleiner Form zu beschaffen
Die Bekämpfung ansteekender Krankheiten in Landkreisen.
813
sein, wie sie jetzt schon für 700—1000 Mark zu haben sind.
Man muss bedenken, dass mancher Landkreis Entfernungen bietet,
welche den Transport zu kostspielig machen, and wird deshalb
statt einer Desinfektionsanstalt verschiedene kleine Apparate in
den grösseren Gemeinden vorziehen. Wir beabsichtigen z. B. in
den 3 Städten des Kreises Dampfapparate zu beschaffen, für deren
Benutzung dann die umliegenden Amtsbezirke eine Gebühr zu
entrichten haben. Fahrbare Apparate sollten niemals angeschafft
werden.
Im Saalkreis sind zunächst ein Kreisdesinfektor und ein
Stellvertreter angestellt, die beide in der von Prof. C. Fränkel
ins Leben gerufenen Desinfektionsschule ausgebildet sind. Diese
Art des Unterrichts ist der durch den Kreisarzt weit vorzuziehen,
da die Schüler durch Anschauung ein tieferes Verständnis für ihre
Aufgaben bekommen; sie sollen eben nicht nur mechanisch ihr
Amt verrichten, sondern auch wissen, warum sie jede Kleinigkeit
bei Ausübung desselben zu beachten haben. — Der Kreisdesin¬
fektor wohnt am Sitz des Kreisarztes und wird vom Kreisaus¬
schuss auf Kündigung angestellt. Er bezieht ein festes Gehalt
und ausserdem eine besondere Entschädigung für jede Desinfektion,
sodass sein Einkommen 1500 Mark beträgt. Er untersteht der
Aufsicht des Kreisarztes und bekommt eine genaue Dienstanweisung.
Eine vom Kreisausschnss beschlossene Polizeiverordnung
fordert Zwangsdesinfektion bei Typhus, Diphtherie und bei Tuber¬
kulose, hier nur bei Todesfällen oder Umzügen. Bei anderen
Krankheiten kann die Desinfektion von der Ortspolizeibehörde
nach den Bestimmungen des „Ausführungsgesetzes“ angeordnet
werden. Jede Desinfektion wird vom amtlichen Des¬
infektor vorgenommen.
Der zweite stellvertretende Desinfektor wohnt in einer Stadt
30 km von Halle entfernt und besorgt den entferntesten Teil des
Kreises. Ob diese zwei Desinfektoren für den Saalkreis aus¬
reichen, muss die Erfahrung lehren; ich bezweifle es. Keineswegs
soll man aber zu viel Desinfektoren anstellen und ganz besonders
hüte man sich, das neue Gewerbe frei zu geben, d. h. jedem ge¬
prüften Desinfektor die Befähigung zuzusprechen, polizeilich an¬
geordnete Zwangsdesinfektionen vornehmen zu können. Die nächste
Folge wäre eine unbedingt verhängnisvolle Konkurrenz; auch be¬
stände die Gefahr, dass der Desinfektor bevorzugt würde, welcher
„die wenigste Schererei machte“, d. h. so desinfizierte, dass die
ganze Desinfektion zwecklos würde.
Die Desinfektoren müssen unter allen Umständen unabhängig
vom Publikum sein, ihr hinreichendes und sicheres Auskommen
und eine regelmässige Beschäftigung haben. Ich rechne, dass
ein Desinfektor jährlich bis zu 300 Wohnungsdesinfektionen
vornehmen kann. Dabei wird ihm genügende Ruhe gewährt
werden können, die natürlich für einen Mann in verantwortungs¬
voller Stelle nötig ist.
Bezahlung empfängt der Kreisdesinfektor aus der Kreis¬
kommunalkasse. Die ganze Einrichtung muss aus Gründen der
814
Dr. Coester.
Zweckmässigkeit beim Vorsitzenden des Ereisansschusses zentrali¬
siert bleiben.
Die Amtsvorsteher sind ohne weiteres berechtigt, von Ein¬
ziehung der Kosten abzusehen. Ich persönlich stehe zwar auf
dem Standpunkt, dass jede Zwangsdesinfektion kostenfrei sein
muss; es wurden mir indessen in der betreffenden Sitzung des
Kreisausschusses Gründe dagegen angeführt, deren Berechtigung
ich nicht verkennen konnte. Immerhin hatte ich die Freude, dass
der Kreistag schliesslich mehr Mittel bewilligte, als ich in einem
Voranschlag gefordert hatte.
Die Einzelheiten in der Geschäftsführung der Desinfektoren
sind durch Anweisungen geregelt, wie es ähnlich auch in anderen
Bezirken geschehen ist. Der Vorzug unserer Organisation liegt
besonders in dem Umstande, dass unser Kreisdesinfektor7nur sein
Amt und nicht einen Nebenberuf haben darf. Wir haben damit
den ersten Versuch in Landkreisen unternommen.
Möglich ist solches Resultat nur, wenn sich der Kreislandrat
für diese Sachen lebhaft interessiert. Ich möchte wünschen, dass
es in allen Kreisen so wäre, wie in dem unserigen, wo der König¬
liche Landrat persönlich an allen Bestrebungen teilnimmt, die auf
eine Besserung des Gesundheitswesens im Kreise abzielen.
Nur unter solchen Verhältnissen wird der Kreisarzt, selbst
nach Erlass eines Landesseuchengesetzes, die Bekämpfung an¬
steckender Krankheiten auf dem Lande wirklich fördern können.
Ein Beitrag zur Anzeigepflicht bei Infektionskrankheiten
und zur Kurpfuschereifrage.
Von Kreiaant und Medisin&lrath Dr. Coeater in Bnnalan. 1 )
Meldungen der Infektionskrankheiten scheinen nunmehr nach
Einführung des Kreisarztgesetzes pünktlicher und schneller zu
geschehen wie früher. Indess giebt es noch eine recht böse Lücke
in bezug auf diese Meldepflicht, zu deren Beleuchtung es ge¬
stattet sei, ein Erlebnis aus den letzten Wochen etwas ausführ¬
licher zu schildern, als Anregung zur Beseitigung dieses nicht
unbedenklichen Uebelstandes.
Unter dem 30. Oktober v. J. meldete die Hebamme L. ans Z., dass am
28. Oktober v. J. die Frau Qatabesitser W. gestorben sei. Dieselbe sei am
25. Oktober ▼. J., nachmittags 6'/» Uhr, von einem siebenmonatlichen Mädchen
entbanden worden. Herr Dr. X. habe die Kranke behandelt and die Hebamme
veranlasst, nicht mehr na der W. hinsagehen. Diese etwas geheimnisvolle, erst
fast sieben Tage nach der Anmeldung des Amtes an mich gelangte Anaeige
klärte sich durch meine Nachforschungen an Orte und Stelle in folgender
Weise auf:
Schon vor Wochen waren swei Knechte des Gutsbesitzers W. hinter¬
einander nach Angabe der im Dorfe stationierten Gemeindeschwester an „Ziegen¬
peter* erkrankt. Sie hatten trockene, stark belegte Zunge, Nasenbluten, zuerst
Verstopfung, dann Durchfall, grossen Durst und hohes Fieber gehabt. Die
Krankheitserscheinungen, welehe der „Ziegenpeter* oder „Wochentölpel“, eine
*) Mit Bflcksicht auf das „audiatur et altera pars* ist der vorstehende
Artikel, dessen Verfasser in bezug auf die „Gemeindeschwestern* nicht
so gttnstige Erfahrungen als Med.-Bat Dr. Fielitz gemacht hat, angeschiossen.
Beitrag zur Anzeigepflicht bei Infektionskrankheiten u. zur Kurpfuschereifrage. 815
aaeh dem Laien vertrante Krankheit, macht, sind jedoch bekanntlich gänzlich
andere and bestehen im wesentlichen in einer Anschwellung der Ohrspeichel¬
drüse. Da diese gewöhnlichen Ersoheinnngen fehlten, hatte die zngezogene
Gemeindeschwester, scheinbar am ihre Diagnose za rechtfertigen, gesagt, der
„Ziegenpeter* habe sieh aaf „die inneren Organe gelegt*; sie hatte die Knechte,
obwohl sie sehr hohes Fieber hatten, vollkommen selbständig etwa 14 tage¬
lang behandelt, ohne einen Arzt zozaziehen. Frau W. hatte den zuletzt er¬
krankten Knecht mit nach Anleitung der „Schwester* hergestellten Salzw&Bser-
und Zitrouensäurelösungeu gepflegt. Beide Knechte worden wieder gesund;
während Frau W. über Müdigkeit, Kreazschmerzen, Schwere in den Beinen za
klagen begann, sich aber, da sie eine resolnte Person war, bis zum 20. Oktober
1902 aufrecht hielt. An diesem Tage brach sie zusammen. Der Zustand wurde
schlimmer, und am Dienstag, den 21. Oktober v. J., war wiederum die
„8chwester*, (die eine ausgebreitete Kurpfuscherei am Orte zu treiben scheint
und gewohnheitBmässig von der Bevölkerung in jedem Krankheitsfälle zuerst
sagezogen wird) herbeigerufen. Unverfroren hatte diese auch den Zustand der
W. konsequenter Weise für „Wochentölpel* erklärt. Obwohl ihr nun bekannt
war, dass Frau W. schwanger war, und trotzdem, dass sie bei dieser Fieber
festgestellt hatte, „behandelte* sie die W., vom 21. bis 24. Oktober d. J., fünf
Tage lang weiter, erklärte, als im ferneren Verlauf der Krankheit starke
Bückensohmerzen sich zeigten, diese für „Nierenschmerzen* und verordnete,
gewiss recht passend, Senfpapier zum Auflegen. Erst als sieh diese Bücken¬
schmerzen als Wehen entpuppten und infolgedessen am 24. Oktober die Heb¬
amme zugezogen worden war, wurde auf den Bat der letzteren der Arzt zuge¬
sogen. Dieser konstatierte bei der Frau Unterleibstyphus; er fand hohes
Fieber über 39°, borkige Zunge, grossen Durst, z. T. Benommenheit, grosse
Unruhe etc., Krankheitsersoheinungen, die auch der Gemeindeschwester, die täg¬
lich die Kranke besucht, nicht entgangen sein konnten, musste sie doch als
Krankenpflegerin sogar einen besonders gesohulten Blick dafür besitzen.
Aus dem Mitgeteilten ergiebt sich also folgender Tatbestand:
1. Eine Gemeindeschwester behandelte zwei Knechte auf
dem Gute eines Gutsbesitzers Z. an einer Krankheit, die mit
starkem Durst, Fieber und Abgeschlagenheit einherging, und er¬
klärt die Krankheit als „Wochentölpel“ bezw* „Ziegenpeter“, ob¬
wohl nicht das geringste Krankheitszeichen fttr die Krankheit
spricht.
2. Nach einigen Wochen erkrankt die schwangere Ehefrau
des betreffenden Gutsbesitzers unter gleichen schweren Er¬
scheinungen und stirbt, nach dem ein Abort hn siebenten Monate
vorangegangen war, und die Schwester die durch beginnende
Wehen bedingten Kreuzschmerzen für Nierenschmerzen erklärt
und mit Senfpapier „behandelt“ hat. Trotzdem hier ebenfalls
hohes Fieber vorhanden war, lässt die Gemeindeschwester keinen
Arzt holen; derselbe wird vielmehr erst auf Anraten der Heb¬
amme am fünften Tage der Krankheit zugezogen.
3. Es folgten sich mithin auf demselben Gutshofe drei ganz
ähnliche Krankheitsbilder aufeinander, mit hohem Fieber, stark
belegter, trockener Zunge, Nasenbluten, Verstopfung, grosser Ab¬
geschlagenheit, die bei jedem Sachverständigen den Verdacht auf
Unterleibstyphus hervorrufen mussten.
4. Eine Gemeindeschwester, deren Aufgabe es nur ist,
Kranke und Sieche zu pflegen und Anordnungen von
Aerzten auszuführen, „behandelt“ hier dreist selbständig,
ohne die Krankheit zu erkennen, — was ihr nicht angerechnet
werden kann —, und ohne einen Arzt herbeizurufen, trotzdem ihr
das hohe Fieber nicht entgehen konnte. Sie erstattete auch dem
316
Dr. Coester.
Kreisärzte keinerlei Anzeige, ihr erscheint nichts verdächtig, Alles
ist für sie „Ziegenpeter“.
Die Kurpfuscherei, welche manche Gemeindeschwestern in
Stadt und Land treiben, ist den Aerzten nur zu bekannt. Die
Schwestern machen ohne Anordnung des Arztes Morphium- und
andere Einspritzungen und behandeln, lange bevor ein Arzt geholt
wird, Kranke, besonders Kinder, selbständig. Man wird sie
schliesslich darin nicht stören können, da ihnen die Gewerbeord¬
nung die Ausübung der Heilkunde ohne Entgelt nicht verbietet,
aber von den Mitteln der Tabula B. und C. sollten sie doch die
Finger lassen. Erfahrungsgemäss bekommen weiterhin die Aerzte
nur selten noch Panaritien zu sehen, ehe nicht durch die „Schwestern-
Behandlung“ der Fingergliedknochen sich entzündet hat und oft
zugleich mit einem Fingergliede verloren ist. Die Unfallversiche¬
rungen haben dies nur zu häufig zu ihrem Schaden erfahren. Und
weshalb kommt das Alles vor, wodurch sind die Gemeindeschwestern
so unternehmend geworden? Lediglich, weil sie unter keiner
sachgemässen Aufsicht stehen! Ebenso wie alles niedere Heil-
und Pflegepersonal müssten auch die Gemeindeschwestern unter
der Kontrolle des Kreisarztes stehen; der praktische Arzt allein
ist gar nicht in der Lage, ihre Tätigkeit genau zu beaufsichtigen,
ganz abgesehen davon, dass er sich auch vielfach scheut, eine
solche Kontrolle auszuüben, da er nicht selten mehr oder weniger
von der Gunst der Schwestern abhängt. Dies wissen die letzteren
sehr wohl und pochen sogar darauf. So lange in dieser Hinsicht
keine Aenderung eintritt, werden sich solche Fälle, wie der eben
geschilderte, wo eine lokale Typhusepidemie sich ungestört ent¬
wickeln konnte, häufen, und haben sich gewiss auch schon ander¬
wärts besonders bei Diphtherie gehäuft, sind aber nicht zur vollen
Kenntnis der Behörde gekommen; denn die Toten sind stumm.
Es ist m. E. kein Zweifel, dass viele Gemeindeschwestern,
deren sonstiger Nutzen von Jedermann gern anerkannt wird, die
ihnen als Krankenpflegerinnen gezogenen Grenzen oft über¬
schreiten. Hierin liegt aber eine offenbare Gefahr für das All¬
gemeinwohl, die so gross ist, dass ihre Beseitigung durch ent¬
sprechende generelle Anordnungen angezeigt erscheint. Hat man
doch in jüngster Zeit sogar den Gemeindeschwestern, so weit ich
unterrichtet bin, das Behältnis anvertraut, welches die für die
Wochenpflege bestimmten Gegenstände enthält, deren Anwendung
von praktischen Aerzten überwacht werden soll. Während man
bei den Hebammen die strengsten Massregeln gegen die Ver¬
breitung des Wochenbettfiebers ergreift, ihre Thätigkeit nach jeder
Bichtung überwacht, und die peinlichste Beinhaltung und Des¬
infektion ihrer Instrumente fordert, trägt man keine Bedenken,
hier eine neue Instanz zu schaffen, die auf einem Umwege wieder
die Gefahren des Wochenbettfiebers aufleben lässt, da man nie
wissen wird, ob jene Behältnisse in der Wohnung der Gemeinde¬
schwester, zu der allerlei kranke Leute kommen, und die selbst
zu solchen geht, in der Weise aufbewahrt werden, wie sie es
wohl sollten?
Beitrag nur Anzeigepflicht bei Infektionskrankheiten n. zur Kurpfusohereifrage. 817
Aehnlich wie bei den Hebammen sollte auch den Ge¬
meindeschwestern aufgegeben werden, dass sie von dem Augen¬
blicke an, an dem ein von ihnen „behandelter“ Kranker eine
Körperwärme über 38° C. hat, auf die Zuziehung eines Arztes
dringen, da sie vermöge ihrer Vorbildung nicht im Stande sind,
eine Diagnose zu stellen. Zugleich wäre ihnen die Verpflichtung
aufzuerlegen, bei nicht chronischen Kranken, Kindern und Er¬
wachsenen, täglich wenigstens einmal die Temperatur ihrer
Patienten zu messen, damit sie rechtzeitig die Gefahren erkennen,
in denen ihre Schutzbefohlenen sich befinden.
Dass meine Angaben über die ausgedehnte Kurpfuscherei
seitens der Gemeindeschwestern nicht übertrieben sind, wird sicher¬
lich durch vielfache Beobachtungen der Aerzte bestätigt. Während
ich dieses schreibe, wird mir z. B. ein ähnlicher Fall von selb¬
ständiger Behandlung eines Kindes an angeblichem Scharlach durch
eine Gemeindeschwester gemeldet. In einem weiteren Falle, eine
Typhusmeldung des Dr. Z., Stellenbesitzerstochter W. R. aus N.
betreffend, fand ich bei meinem Kontrollbesuch ein sterbendes
Mädchen vor, das von der „Schwester“ aus S. Tage, wenn nicht
Wochen lang „behandelt“ worden war. Anzeige war von dem
Infektionskranhheitsfall erst durch den Arzt erstattet worden.
Ferner konnte ich feststellen, dass eine Gemeindeschwester ein
Kind Sch., welches schulpflichtige Geschwister hatte, drei bis vier
Tage an Diphtherie „behandelt“ hatte, ohne einen Arzt zu holen,
oder Anzeige zu erstatten und soeben besucht mich eine Frau Sch.
aus G., die von der Gemeindeschwester in K. mit Bädern etc.
„behandelt* worden ist und zwar wochenlang. Erst nachdem
sich der Zustand, eine Arbeitsneurose der Schulter, so ver¬
schlimmert hatte, dass schon die Hand nicht mehr dem Willen
folgen will, kam die Frau zu mir, vielleicht zu spät.
Ein befreundeter Arzt, Mitglied der Aerztekammer, der mir
einen Fall von selbständiger Behandlung eines Diphtheriefalles
durch eine Gemeindeschwester mitteilt, schreibt bei dieser Ge¬
legenheit wörtlich:
„Panaritien werden sehr häufig von Krankenschwestern behandelt.
Eit w&re allerdings erwünscht, dass bei der Ansbildnng der „Schwestern“ ihnen
ans Herz gelegt wird, nicht selbständig eine chirurgische Behandlnng auf¬
zunehmen.“
Ein anderer Arzt schreibt:
„In W. habe ich von Kranken besw. von Angehörigen derselben zu
wiederholten Malen gehört, dass sie vorher schon die Schwester „gefragt“.
Natürlich erfährt man dann selten etwas genaues, oder wenigstens nicht die
Wahrheit. Auch ist es vorgekommen, dass ich bei meinen Besuchen von
Kranken, die ich bereits in Behandlnng hatte, diese nicht mehr antraf, und es
Iness, die „Schwester“ habe sie ins Krankenhaus geschickt, ohne dass ich davon
benachrichtigt war. Besonders scheint sich die W.er Schwester viel mit der
Behandlnng von Kindern zn befassen etc. etc. Die frühere Schwester in T.
besuchte auch von Zeit zu Zeit Kranke in L. und M., die ich in Behandlung
hatte, ohne dass sie von mir und wohl auch schwerlich von den Angehörigen
oder Kranken gewünscht wurde; es war dies entschieden eine Art und Weise,
die mich sehr befremdete. Besonders werden die auf dem Lande stationierten
Schwestern von den Herrschaften und den Geistlichen sehr unterstützt.“
Ein dritter (Krankenhaus-) Arzt teilte mir mündlich mit,
818 Dr. Cöster: Beitrag zur Aazeigepflicht bei Infektion eh rank beiten n. *. w.
dass sogar mit dem Messer Panaritien von Seiten der „Schwestern“
behandelt würden. Ein vierter Arzt berichtet folgende zwei F&lle:
1. B. Typhös. Die Krankenschwester verordnete statt Mileb, wie ich
angab, reichlich Buttermilch, was natttrlich eine Verschlimmerung der Diarrhöen
zufolge hatte. 2. W. Pleuritis exsudativa sinistra: Die Krankenschwester be¬
handelte den 70jfthrigen, sonst aber sehr z&hen Hann zehn Tage selbständig, weil
er angeblich nicht schwer krank war und wenig fieberte, bis die sekundäre
Herzschwäche so gross war, dass mich die Leute doch holten, allerdings zu spät,
denn der Mann starb schon am nächsten Tage. Es wäre bei rechtzeitiger Be¬
handlung nicht ausgeschlossen gewesen, ihn zu erhalten. — Za erwähnen wären
vielleicht auch die stark im Schwünge befindlichen Karbol- und Lysolamschläge
auf alle möglichen Wunden, deren nachteilige Folgen man oft genug sieht. —
Die Schwe8ternpfuscherei ist unbedingt ein grosser Uebelstand, der um so
schlimmer ist, als er den Deckmantel „christlicher Nächstenliebe“ trägt.“
Ein fünfter Arzt schreibt:
„Mit den Gemeinde • Krankenschwestern in hiesiger Gegend habe ich sehr
üble Erfahrungen gemacht. Sie halten sich für berufen, die Kranken, soweit
(nach ihrer Meinung) ihr Wissen und Können reicht, zunächst selbst zu be¬
handeln und lassen den Arzt auch dann ausser Betracht, wenn seine Hilfe
dringend notwendig wäre. Den ihnen unbequemen Arzt suchen sie aus ihrem
Wirkungskreise auf allerlei Weise herauszudrllcken, wobei häufig der Trirk an¬
gewendet wird, die Patienten zu einem Spezialisten zn bringen, der ihnen die
Beaufsichtigung deB weiteren Heilverfahrens Qberträgt. Findet man bei ihnen
Morphium, Opium, Brom, so heisst es entweder: „Das haben wir von dem p. X.
nach seiner Krankheit an uns genommen, damit kein Missbrauch getrieben
wird,“ oder: „Es ist zu meinem eigenen Gebrauch mir ärztlich verordnet.“
Eine Krankenschwester in X. fragte mich, wie sie die oft vorkommenden
Kinderkrämpfe behandeln solle, auch ob sie bei Schüttellähmung Brom oder
Morphium geben solle. Auf meine Antwort, sie habe solche Fälle an einen
Arzt zu weisen, antwortete sie: „Wozu sind wir da noch nötigP* Eben die¬
selbe behandelte ein Ulcus cruris mit einem Gemisch von Arnikatinktur und
Oleum carbolicum. Mehrfach sind mir Panaritien zu Gesicht gekommen, welche
Nadelstichöffnungen und starke Granulationen aufwiesen. In einem solchen
Falle, wo ich bis auf das Periost indizieren musste und die Wunde wegen
Verdachts der Nekrose offen halten wollte, wurde keine Lysolgaze mehr ein¬
gelegt, sondern der Finger mit guter Heilsalbe traktiert und später, wie ich
hörte, einem anderen Arzt zur Heilung übergeben. Auch eine Johanniter-
schwester treibt in X. vielen Unfug in der kleinen Chirurgie und inneren Be¬
handlung. Es sind mir drei Fälle bekannt, wo sie bei Krebs und Koliken
Morphium verabreicht hat.“
Dies dürfte zum Beweise für die häufig von Krankenpflegerinnen
ausgeführte Kurpfuscherei und deren bedenkliche Gefahr vorläufig
genügen.
Folgende Verpflichtungen im Interesse der Allgemeinheit,
d. h. im Interesse der Verhinderung der Verschleppung von In¬
fektionskrankheiten und Gesundheitsschädigungen müssen auch den
„Gemeindeschwestern“, wie sie alle anderen Krankenpfleger er¬
füllen (vergl. Ges. vom 80. Tuni 1900, 2, Nr. B), auferlegt werden:
1. Da die Gemeindeschwestern durch ihre Vorbildung be¬
sonders geschult sind, sind sie auch besonders verpflichtet, ausge¬
sprochene Infektionskrankheiten, oder wenn Verdacht auf diese
vorliegt, wie jeder andere Krankenpfleger etc, dem Kreisärzte
unverzüglich und unmittelbar anzuzeigen.
2. Die Krankenbehandlung der Gemeindeschwestern darf,
wenn sie nicht eine Gefahr für die Patienten werden soll, sich
nur auf solche Fälle beschränken, in denen die Körperwärme der
Kranken nicht über 38,5 0 C. steigt. Ist eine höhere Körperwärme
Dr. Kttbn: Zar Frage de« Verkaufes 7 . Karbolwarner ausserhalb der Apotheken. 819
vorhanden, so liegt stets der Verdacht vor, dass eine schwere,
wenn nicht gar eine ansteckende Krankheit sich herausbilden wird.
Die Entscheidung über die weitere Behandlung steht dann nur
einem Arzte zu, der möglichst bald zu rufen ist.
3. Die Verabreichung von Medikamenten, die durch die
Kaiserliche Verordnung vom 27. Januar 1890 dem freien Verkehr
entzogen sind, ist den Gemeindeschwestern unter Strafe (wie
Anderen) verboten.
4. Im Interesse der Unfall- und Invaliditäts - Versicherung
ist es dringend nötig, dass die sogen, kleine Chirurgie von den
Gemeindeschwestern nicht geübt wird; besonders sind ihnen Be¬
handlungen von Fingern, Zehen, Augen, Ohren ohne Anordnungen
des Arztes nicht mehr zu gestatten, weil daraus nur zu leicht
Schaden für die Versicherungsgesellschaften entsteht.
5. Die Tätigkeit der Gemeindeschwestern steht, damit obige
Forderungen wirksam durchgeführt werden, unter der Aufsicht
des Kreisarztes. Sie haben über dieselbe Bücher mit Angabe von
Namen, Geschlecht, Alter, Stand, Wohnort des Kranken, Art der
Krankheit und Pflegedauer zu führen, die bei gelegentlichen Be¬
suchen dem Kreisärzte auf dessen Wunsch vorzulegen sind.
Zur Frage des Verkaufes von Karbolwasser ausserhalb
der Apotheken.
Von Landgerichts&rit Dr. Kühn - Frankenthal.
Die Mitteilung des Herrn Kreisarztes Dr. Rom ei k in
Mohrungen in Nr. 4 dieser Zeitschrift S. 124 gibt mir zu einigen
Bemerkungen Anlass. Ich mache übrigens diese Bemerkungen
nicht etwa zu dem Zwecke, um eine in jener Mitteilung enthaltene
Auffassung als irrig oder falsch zu bezeichnen, sondern einzig und
allein deshalb, um Gelegenheit zu geben, eine von mir vertretene,
möglicherweise irrige Ansicht richtig zu stellen.
Wenn ich Herrn Kollegen Romeick recht verstanden habe,
so darf nach seiner Ansicht bis zu 3 % Karbolsäure enthaltendes
Karbolwasser sowohl in den Apotheken, wie ausserhalb der Apo¬
theken zu Desinfektionszwecken, nicht aber als Heilmittel (zur
Behandlung von Wunden) abgegeben werden. Ich bin nun der
Ansicht, dass solches Karbolwasser sowohl in den Apotheken, als
auch ausserhalb derselben auch als Heilmittel abgegeben werden
darf, und habe mich kürzlich als Sachverständiger vor der hiesigen
Strafkammer in diesem Sinne ausgesprochen.
Das erwähnte Karbolwasser gehört ohne Zweifel nach der
Kaiserlichen Verordnung vom 22. Oktober 1901, den Verkehr mit
Arzneimitteln betr., zu den in Nr. 5 des Verzeichnisses A aufge¬
führten Zubereitungen, welche im allgemeinen als Heilmittel
ausserhalb der Apotheken nicht feilgehalten oder verkauft werden
dürfen. Diese Bestimmung galt ohne weitere Einschränkung bis
zum 1. April 1902; mit diesem Tage ist jedoch nach meiner Auf¬
fassung bezüglich der Abgabe von Karbolwasser eine wesentliche
320
▲ob Versammlungen and Vereine«.
Aenderung eingetreten. Denn n&ch Abs. 2 des §. 1 der genannten
Kaiserlichen Verordnung unterliegen von den im Verzeichnis A.
aufgeführten Zubereitungen Desinfektionsmittel (also Mittel, die
zur Desinfektion benutzt werden) dieser Bestimmung, d. i. dem
Verbot, ausserhalb der Apotheken als Heilmittel feilgehalten
oder verkauft zu werden, nur dann, wenn sie Stoffe enthalten,
welche in den Apotheken ohne Anweisung eines Arztes etc. nicht
abgegeben werden dürfen. Nun darf aber nach den in allen
Bundesstaaten (in Preussen durch Erlass vom 22. Juni 1896, in
Bayern durch Königliche Verordnung vom 22. Juli 1896) einge¬
führten Vorschriften über die Abgabe starkwirkender Arzneimitteln
vom 13. Mai 1896 in den Apotheken Karbolsäure ohne Anweisung
eines Arztes etc. zum äusseren Gebrauch (Wundbehandlung)
selbst in konzentrierter Lösung abgegeben werden; mithin ist es
nach meiner Auffassung zulässig, dass Karbolwasser, sofern es
nicht mehr als 3 % Karbolsäure enthält, also nicht unter die Be¬
stimmungen über den Verkehr mit Giften fällt, als Heilmittel
auch ausserhalb der Apotheken feilgehalten und verkauft wird.
Au 8 Versammlungen und Vereinen.
Bericht über den ersten Kongress der Deutschen Gesell¬
schaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in
Frankfurt a. 31. am 9. und 10. März d. J.
Die am 19. Oktober ▼. J. begründete Deutsche Gesellschaft znr Be¬
kämpfung der Geschlechtskrankheiten hat in der kurzen Zeit ihres Bestehens
einen unerwarteten Aufschwung genommen; sie zählt jetzt über 1600 Mit¬
glieder und besitzt fast in allen grossen Städten Deutschlands eigene Orts¬
gruppen oder Zweigvereine. Unter Vorsitz des Geh. Med.-Bat Professor
Dr. Neisser - Breslau und unter reger Beteiligung von Staats- und Verwaltungs¬
behörden, Polizei- und Gemeindeverwaltungen, Landesversicherungsanstalten,
Militärbehörden, volkswirtschaftlichen und Frauenvereinen, sowie hervorragenden
▲ersten aus ganz Deutschland fand der erste öffentliche Kongress statt.
I. Ueber den ersten Gegenstand der Tagesordnung: „Die strafrecht¬
liche und zivilrechtliche Bedeutung der Geschlechtskrankheiten“ re¬
ferierte Oberlaftdesgerichtsrat Sch möldor-Haram.
Im ersten Teile Beiner Ausführungen nahm derselbe Bezug auf die Be¬
stimmung in dem Entwurf der lex Heinze vom Dezember 1897: «Wer die
Gesundheit einer Person dadurch gefährdet, daFs er wissend, dass er mit einer
ansteckenden Geschlechtskrankheit behaftet ist, ausserehelich den Beischlaf
ausübt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre, oder mit Geldstrafe bis zu
1000 Mark bestraft“, sowie anf die Fassung v. Liszts: «Wer wissend, dass
er an einer ansteckenden Geschlechtskrankheit leidet, den Beischlaf ansübt,
wird mit Gefängnis bis za 2 Jahren bestraft, neben welchem auf Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann.“ Demgegenüber schlag er
folgende erweiterte Fasr-ang vor: «Wer auserhalb der Ehe, obwohl er
weise, oder den Umständen nach annehmen muss, dass er an
einer ansteckenden Geschlechtskrankheit leidet, den Bei¬
schlaf ausübt, oder mit einer anderen Person eine unzüchtige
Handlung vornimmt, die an sich und mit Rücksicht auf die Art
der Geschlechtskrankheit zur Krankheitsübertragung geeig¬
net ist, wird mit Gefängnis bis zu 2 Jahren und Geldstrafe, oder
mit einer dieser Strafen belegt. Neben der Gefängnisstrafe
kann anf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“
Anstelle der in Wegfall kommenden Reglementierung soll
dieser ParaGraph noch folgende Zusätze *»rl alten:
Ans Versammlungen and Vereinen.
821
1. „Ist die Tat von einer Fran in Anattbnng der gewerbs¬
mässigen Unsacht verübt, so ist nicht anf Geldstrafe, sondern an!
Gefängnisstrafe im Rahmen von 6 Monaten bis an 3 Jahren uu
erkennen“ nnd
2. „Eine Fran, die behaftet mit einer ansteckenden
Geschlechtskrankheit Gnzucht treibt, wird mit Gefängnis*
strafe von 1 Monat bis zu 1 Jahr belegt.“
In der Diskassion wandten sich fast alle Redner gegen die vorge¬
schlagenen Strafbestimmnngen. Prof. Dr. C. Fränkel-Halle versprach sich
davon ein Flüchten der Prostitnierten vor der ärztlichen Unter¬
suchung und ein Züchten des Denunziantentums. Beachtenswert
war ein Vorschlag der Fran Scheven-Dresden, die mildere v. Liszt sehe
Fassung zu adoptieren, die Verfolgung jedoch nur auf Antrag ein-
treten zu lassen. Assessor Clausmann-Cöln hielt den Paragraphen des
Strafgesetzbuches über Körperverletzung für ausreichend. Auch vermisste er
eine juristische Definition des Begriffes „Geschlechtskrankheit“. Prof.
Dr. Neisser erklärte sich für den von v. Liszt vorgeschlagenen Paragraphen.
Er erwartet davon nicht nur eine allmähliche Umstimmung des Rechtsbewusst¬
seins der Gebildeten, und sieht in ihm ein mächtiges Warnungsmittel in den
Händen der Aerzte gegenüber leichtsinnigen und frivolen Patienten; er glaubt
auch, dass dadurch gegenüber der Prostitution eine gesetzliche Bestimmung
gewonnen würde, welche eine strafrechtliche und nicht nur eine polizeiliche
Bestrafung erlaube. Bisher wurden die Prostituierten nur wegen Uebertretnng
der Polizei-Vorschriften verhaftet und bestraft; jetzt würde es möglich sein,
den eigentlichen Kernpunkt ihres Vorgehens, die Gesundheitsgefährdung im
Gewerbe, zu treffen. Unbedingte Voraussetzung wäre aber dann, nicht, wie
Schmölder es vorschlage, die Aufhebung der Reglementierung, deren Be¬
folgung zu einer Schutzmassregel für die Prostituierten werden würde. Ohne
eine solche Schutzmassregel würde ja jeder Geschlechtsverkehr einer Prosti¬
tuierten sie mit dem neuen Paragraphen des Strafgesetzes in Konflikt bringen,
und so würde dieser Paragraph auf die drakonische Unterdrückung der Pro¬
stitution hinanskommen. Bei bestehender Reglementierung aber würde der
Paragraph dazu dienen, die Prostituierten zu einer regelmässigeren Befolgung
der sanitären Ueberwachungs -Vorschriften anzuhaltcn.
II. In der zweiten Sitzung, die der Frage: „Wie können die Aerzte
durch Belehrung der Gesunden und Kranken der Verbreitung der Ge¬
schlechtskrankheiten steuern?“ gewidmet war, erstattete Dr. med. Neu-
berger-Nürnberg das Referat. Er stellte den Antrag:
„Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten solle Aerzten, Krankenkassen oder
-häusern allgemein gehaltene Leitsätze für Kranke in Zettel
oder Kartenform zur Verfügung stellen, die folgende Punkte
betonen: Die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung, Lang¬
wierigkeit der Krankheiten, Warnung Infizierter vor der
Ehe, Gefährlichkeit des infizierten Gatten für den andern,
Warnung vor Kurpfuschern und schwindelhafter Reklame.“
Der Antrag wurde angenommen. Als besonders bemerkens¬
wert verdient aus der Diskussion, die sich vorwiegend um Form und
Ausstattung dieser Leitsätze drehte, dass Geheimrat Prof. Dr. E r b - Heidelberg
betonte, er habe in einzelnen, nicht ganz seltenen Fällen Schädi¬
gungen besonders im Sinne der Neurasthenie und Hysterie nnd
zwar bei beiden Geschlechtern infolge sexueller Abstinenz
beobachtet. Es habe sich dabei wohl meist um neuropathisch belastete und
veranlagte Individuen gehandelt. Da deren Zahl an sich aber bekanntlich sehr
gross sei, seien auch gewiss derartige Vorkommnisse nicht ganz irrelevant,
deshalb könne er die neuerdings mit steigender Sicherheit wiederholte Be¬
hauptung, dass die sexuelle Enthaltsamkeit „ganz unschädlich“ sei, nicht un¬
widersprochen lassen.
Gegenüber den Vertretern der Krankenkassen Gräf und Fiebig-Frank-
furt a. M., welche eine genaue Diagnose der Aerzte bei Krankmeldungen an
die Kasse wünschen, wies Prof. Dr. Blasohko-Berlin daraufhin, dass die
Krankenkassenbeamten zur Wahrung des Berufsgeheimnisses nicht, wie der
Arzt, gesetzlich verpflichtet seien, und dass dieser oft im Interesse des
322
Am Versammlungen und Vereinen.
Patienten nur Wahrung des Bernfsgeheimniesee genötigt sei. Es sei daher
eine Ausdehnung des §. 300 des Str. G. B. (Verletzung des Berufsgeheimnisses)
auf die Krankenkassenbeamten erforderlich, sowie Sicherheit dagegen, dass die
Diagnose dritten Personen bekannt werde; Massregeln wie sie bei der Frank¬
furter Ortskrankenkasse z. B. jetzt schon bestehen (Uebersendnng der Diagnose
in geschlossenem Brief).
III. Das Wohnnngselend der Grossst&dte und seine Besiehnngen
zur Verbreitung der Geschlechtskrankheiten nnd zur Prostitution.
Der erste Referent Ober dieses Thema, Pbjsikns Dr. Pfeiffer* Hamburg
stellte den auch später angenommenen Antrag: „Die Deutsche Gesellschaft znr
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten fordert ihre Mitglieder auf,
dieser Frage ihre besondere Aufmerksamkeit zu widmen und
alle einschlägigen Beobachtungen der Geschäftsstelle der Ge¬
sellschaft zu übermitteln. Der Vorstand wird beauftragt, sich mit allen
Vereinen und Gesellschaften, die der Wohnungsfrage und Bekämpfung
des Wohnungselend ihre Aufmerksamkeit schenken, in Verbindung zu
setzen, Bowie die Verwaltungen grosser Städte zu diesbezüglichen En-
queten zu veranlassen.“
Ganz neue Gesichtspunkte entwickelte der zweite Referent, Herr
P. Kampffmeyer-Cronberg, welcher in fesselnder und auf ein reiches Tat¬
sachenmaterial gestützter Darstellung zeigte, wie das enge Zusammen wohnen
in den aller Hygiene Hohn sprechenden überfüllten Wohnungen der Gressstädte
eine frühzeitige Entfesselung der Geschlechtslust, frühzeitige Vollziehung des
Geschlechtsverkehrs und damit eine enorme Verbreitung dieser Krankheiten
zeitigt. Er verlangte daher von Staat und Gemeinde zur Bekämpfung dieser
Schäden 1. eine einschneidende Wohnungsgesetzgebung, welche
an die Benutsung der Wohnräume bestimmte Minimalforderungen
vom sanitären und moralischen Standpunkte aus stellt und
2. eine direkte kommunale und staatliche Wohnungsproduktion
oder wenigstens eine Förderung der genossenschaftlichen und ge¬
meinnützigen Wohnungsproduktion durch Staat und Gemeinde. —
Er wies ferner auf die körperlichen und sittlichen Schädigungen hin, welche
die Nation durch das immer mehr Ueberhandnehmen des Schlafgänger¬
tu ms erleidet. Diesen Schädigungen könne man am besten entgegentreten
durch direkten staatlichen und kommunalen Bau von Logier¬
häusern, oder duroh Unterstützung der gemeinnützigen Errich¬
tung solcher Häuser. Weiterhin forderte er eine ausgedehnte
Wohnungsinspektion und zwar nicht bloss durch die Staats¬
organe, sondern vor allem auch durch die Krankenkassen, wozu die
bereits bei grösseren Kassen bestehende, berufsmässige Kontrolle weiter
ausgebaut und reformiert werden soll. Eine regelmässige WobnungBkontrolle
habe sich auch auf die Prostituierten zu erstrecken, dafür
komme dann aber die Reglementierung in Wegfall. Es empfehle
sich daher die Erweiterung der Krankenversicherung auf alle
Personen bis zu 2000 Mark Einkommen.
In der Diskussion empfiehlt Dr. Becher-Berlin die Errichtung von
Logierhäusern für Unverheiratete aus den Mitteln des Re¬
servefonds der Krankenkassen. Weiter wünscht er, dass die In¬
stitution der Walderholungsstätten auf die venerisch Erkrankten aus¬
gedehnt werde. Oberbürgermeister Beek-Mannheim bezweifelte, dass sowohl
Gemeinde, wie auch Krankenkassen hinreichende verfügbare Mittel znr Durch¬
führung der vorgeschlagenen Wohnungsreform besässen.
IV. Bei weitem das grösste Interesse nahm natnrgemäss die Erörterung
der vierten und hauptsächlichsten Frage ein: Nach welcher Richtung ist
eine Reform der heutigen Reglementierung der Prostitution möglich?
Während sowohl der Referent, Geb. Rat Prof. Dr. Neisser-Breslau,
als auch die ärztlichen Mitglieder des Kongresses mit verschwindenden Aus¬
nahmen die heutige Reglementierung für unbrauchbar, ja in gewissem Sinne
für schädlich erklärten und nur noch die an der Debatte teilnehmenden
Polizeivertreter eine Lanze für das herrschende System einlegten, gingen
die Anichten darüber, was an Stelle der Reglementierung zu setzen sei,
weit auseinander. In der lebhaften, die Aufmerksamkeit des Kongresses
6 Stunden lang fesselnden Diskussion, an welcher sich die Vertreter der ver-
Au Versammlungen and Vereinen.
323
schiedensten Ri oh tan gen beteiligten, wurden weit auseinandergehende Vor¬
schläge gemacht. Die Mehrsahl der Redner war jedoch des Meinung, dass man
nicht, wie die Vertreterin des Abolitionismus, FrBulein Pappritz, forderte,
jeglicher Reglementierung entraten und an deren Stelle mit einem System frei¬
williger Hilfe auskommen könne, vielmehr glaubten sie, dass es möglich sei,
die heutige Reglementierung entweder in umfassender Weise zu reformieren
und umzugestalten oder doch an deren Stelle ähnliche UeberwachungfSysteme
zu setzen. Neisser schlug als ein solches Ueberwachungssystem eine beson¬
dere Sanitfttskommission vor, zusammen gesetzt wie ein Schöffengericht, aus
Richtern, Aerzten, Verwaltungsbeamten u. s. w., welche die Personen, die im
Verdacht stehen, Prostitution zu treiben oder eine venerische Erkrankung
durch ausserehelichen Geschlechtsverkehr weiter zu verbreiten, nicht nur Ober
die Gefahren dieser Krankheiten, belehren, sondern auch sie geeigneten ärzt¬
lichen Instanzen zur Ueberwachung und Behandlung, anderseits aber im Falle
von Renitenz der Polizeibehörde Oberweisen. Von anderen Seiten wurde das
Neisser sehe System für zu kompliziert gehalten. Neisser selbst schlug
deshalb als üebergangssystem vor, die jetzige sittenpolizeiliche Untersuchung
zu dezentralisieren und die Untersuchung und Behandlung der Prostituierten
versuchsweise besonders legitimirten Aerzten und Anstalten zu Oberweisen;
die Sittenpolizei solle nur dann eintreten, wenn diese Einrichtung nicht genOge.
In ähnlicher Weise riet Lesser, dass die aufgegriffenen Prostituirten von der
Polizei zunächst nicht eingeschrieben, sondern Behandlnngsanstalten zur Ueber¬
wachung Oberwiesen werden, dass diese Behandlnngsanstalten aber der Polizei
nachher keine Anzeige machen sollten. Personen, welche sich den Anordnungen
dieser Anstalten freiwillig unterziehen, sollten frei von jeder sittenpolizeilichen
Aufsicht bleiben, während für die Renitenten die Sittenpolizei im Hintergründe
als Schrenkgespenst wirken solle. Die Vorbedingung für derartige Reformen,
zu welcher sich auch andere Redner, wie Dr. Blase hko, Dr. Block-Hannover,
Dr. Hamm er-Stuttgart n. A. mehr äussern, bildet jedoch die Aufhebung deB
§. 361,6 oder mindestens seines zweiten Teiles (Strafbarkeit der Prostitution
an sich). Besondere Beachtung verdiente das Wiederanferwachen des Interesses
für die Kasernierung der Prostitution, nicht in ihrer alten Form
von geschlossenen Bordellen, sondern in Form von sog. Kontrollstrassen,
wie sie sich nach Angabe von Prof. C. Fränkel in Halle und Bremen
ausserordentlich gut bewährt haben, ein System, welchem auch die sittlichen
Schäden des alten Bordellwesens nicht anhaften sollen.
Bericht über die 17. Versammlung der Medizinalbeamten
des Reg.-Bez. Merseburg zu Halle a. $. am 29. Novbr. 1908.
An der Versammlung nahmen Teil: der Vorsitzende, Reg.- und Geh*
Med.-Rat Dr. Penkert, Prof. Dr. Fränkel, Direktor des hygienischen
Instituts zu Halle a. S., 15 Kreisärzte, der Gerichtsarzt von Halle a. S. und 3
pro phyBicatu geprüfte Aerzte des Bezirks.
I. Der Vorsitzende begrüsst die Erschienenen und erstattet zunächst
ein Referat über die seit der letzten Versammlung erlassenen Verordnungen
und Verfügungen.
Za einer Diskussion gibt nur die VerfOgung Veranlassung, welche die
beabsichtigte Erweiterung des städtischen bakteriologischen Unter-
Buchungsamtes zu Halle a. S. in ein solches für den ganzen Re¬
gierungsbezirk betraf. Prof. Dr. Fränkel verbreitet sich auf Ersuchen
des Vorsitzenden über die geplante Erweiterung und hält die Angliederung
eioer solchen Untersnchungsstelle an das hygienische Institut für das beste. —
Fielitz wünscht neben der Benachrichtigung des Einsenders der Proben von
dem Resultat der Untersuchung auch direkte Mittheilnng deB Ergebnisses an
den betreffenden Kreisarzt. — Fränkel befürchtet, dass in einem selchen
Verfahren die Aerzte eine Art behördlicher Kontrolle ihrer Tätigkeit sehen
und, um dieser zu entgehen, dann lieber die Einsendung der Proben unterlassen
würden, wie sich dies tbatsächlich schon an anderen Stellen gezeigt habe.
Damit müsste man aber rechnen, weshalb er bitter, keine direkte Benachrichti¬
gung an die Kreisärzte einzufübren. — Fielitz hält diese doch für zweck¬
mässig und erforderlich. Die sanitätspolizeilichen Massregeln könnten dadurch
eventuell doch sehr beschleunigt werden und wirkten sicherer, als wenn *
824
Ana Versammlungen and Vereinen.
Anzeige erst anf dem Umwege dnrch den behandelnden Amt snr Kenntnis der
Sanitätsbehörde gelange. Ansserdem glaubt er niebt, dass alle Aerzte so em-
S findlieh sein nnd eine doch nnr zum Zwecke der Seuchenbekämpfung einge-
Ekhrte Massregel als eine gegen sie gerichtete behördliche Kontrolle ansehen
würden. — Fr Onkel spricht sich dagegen wiederholt gegen jede andere Be¬
nachrichtigung als die an die einsendenden Aerzte ans.
Der Vorsitzende beendet die Diskussion dnrch die Erklärung, dass
bei der Erweiterung des Untersuchungsamtes nicht beabsichtigt sei, demselben
eine direkte Benachrichtigung über das Untersuchnngsresultat an die Kreis¬
ärzte vorzuschreiben.
II. Ueber Desinfektion. Der Vortragende, Kreisarzt Dr. Hermann-
Bitterfeld, bespricht im ersten Teile seines Referats die verschiedenen Mittel
nnd Methoden der Desinfektion. Er erwähnt dabei die von Jacobitz&Lydia
Babinowitsch sehr gUnstig beurteilten desinfizierenden Wandanstriche mit
Porzellan - Emaillefarbe, hält Versuche behufs ausgiebigeren Gebrauches der
trockenen Hitze, vielleicht unter gleichzeitiger Verwendung von Formalin¬
dämpfen, für die ländlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der dort zu
Gebote stehenden Einrichtungen (Backofen etc.) für zweckmässig, streift anch
die Improvisationstechnik der Desinfektion auf dem Lande und kommt dann
zu dem chemischen Mittel, welches heutzutage am meisten Anwendung findet,
nämlich zu dem Formaldehyd, bezw. dessen Losung, dem Formalin, dessen
Eigenschaften er zunächst näher schildert.
Die gebräuchlichsten Arten für Formaldebyd-Desinfektion seien Ver¬
dampfung, ferner Verstäubung von FormaldehydlOsungen und drittens die Ver¬
gasung des festen Paraformaldehyds unter der Einwirkung der Glühhitze. Vor¬
tragender demonstriert die verschiedenen in Gebrauch stehenden und
bewährtesten Apparate. Unter den Dampfapparaten sei der Autodave formo-
göne von Trillat zu erwähnen, der sich sehr bewährt habe, aber wegen des
hohen Druckes — 8—4 Atmosphären —, unter dem er arbeite, sachverständige
Bedienung erfordere; ihm schliesse sich der Bosenbergsche Verdunstungs¬
brenner unter Anwendung der Holzinmethode an, doch hätten die mit diesem
Appaiate erzielten günstigen Resultate häufige Widerlegungen erfahren ausser¬
dem sei das Holzin recht teuer. Obenan unter den Verdampfungsapparaten
stehe der Breslauer Apparat von Flügge, der wohl jetzt am meisten benutzt
werde. Flügge habe überhaupt seine Methode am weitgehendsten ausgebildet,
die ausserdem den Vorzug habe, dass man die Dämpfe in die infizirten Zimmer
von aussen durch das Schlüsselloch einleiten kOnne. — Zu den Verdampfungs¬
apparaten gehören weiter die glühend gemachten Kugelketten Springfelds,
die sich im Regierungsbezirk Arnsberg gut bewährt haben sollen.
Zu den Formalinverstäubnngsapparaten seien zu rechnen: die Apparate
von Walther und Schlossmann, Czaplewski und Praussnitz, von
denen sich der erstere nicht empfehle, da das dabei benutzte Glykoformal
Klebrigwerden der desinfizierten Objekte bewirke; auch lasse sich der Formal¬
dehydgeruch schwer entfernen. Nach einer neueren Mitteilung des Fabrikanten
Lingner soll sich jedoch in dem Apparat nicht nur Glykoformal, sondern
auch reine wässerige FormaldehydlOsungen verdampfen lassen.
Referent bespricht hierauf die dritte Art der Formaldehyddesinfektion
durch Vergasung von festem Paraformaldebyd mittels Glühhitze entweder wie
hei Schering durch Spiritusfiamme oder wie bei Krell-Elb dnrch einen
ins Glimmen gebrachten Presskohlenstein (Karboformalglühblock). Ursprünglich
seien beide Methoden ohne gleichzeitige Erzeugung von Wasserdampf ange¬
wendet, dann aber, als man die Art und Weise der Formaldehyd Wirkung besser
beurteilen lernte, sei auch bei diesen Methoden gleichzeitige Dampfe» zeugung
angewendet, die Krell-Elb darch Uebergiessen glühend gemachter Ziegel¬
steine mit kochendem Wasser bewerkstelligt. In neuerer Zeit haben mehrere
Autoren jedoch die Krell-Elbsche Methode für nicht ausreichend erklärt.
Im allgemeinen sei die Mehrzahl genannter Formalindesinfcktionsmethoden
geeignet, die meist in Betracht kommenden sporenfreien Erreger der Diphtherie,
Tuberkulose, Typhus, der Eiterung etc., sofern sie oberflächlich liegen, un¬
schädlich zu machen; immerhin müsse man doch die Frage ventilieren, welcher
Methode der Vorzug zu geben sei und zweitens ob dieWohnungs-
desinfektion von besonderen Desinfektoren ausgeführt werden
solle, oder ob man dieselbe dem Publikum überlassen könne?
Aus Versammlungen und Vereinen.
325
Vortragender beantwortet die erste Frage dabin, dass zu einer Desin¬
fektion nach Ablauf einer ansteckenden Krankheit Formalindftmpfe allein nicht
anareichten, sondern, einerlei welche Krankheit vorliegt, dazu auch noch
mechanische, thermische und gewisse andere chemische Desinfektionsmittel in
der verschiedensten Form in Anwendung zu bringen seien. Die zweite Frage
sei unter Hinweis darauf, dasB die Formalinmethode bei allen Apparaten eine
ganze Reihe gewissenhafter Vorbereitungen zur Entfaltung genügender Wirk¬
samkeit bedürfe, dahin zu beantworten, dass man die Desinfektion nicht dem
Publikum überlassen könne, sondern dazu schulmässig ausgebildetes nnd behörd¬
lich angestelltes Personal unbedingt haben müsse. Ob die Ausbildung und
Prüfung nach §. 67 der Dienstanweisung durch die Kreisärzte geschehe, oder
nach Massgabe des Ministerialerlasses vom 2. Oktober 1902 in der zu errich¬
tenden Desinfektorenschule zu Halle a. S. unter Leitung des Direktors des
dortigen hygienischen Institutes erfolge, sei wohl gleich. Redner befürchtet
nur nach dem Resultat einer Umfrage in seinem Kreise (Bitterfeld), dass sich
zu wenig Personen melden werden, zumal wohl auf dem Lande und in den
kleinen Städten die Polizeibehörden die Einführung der Desinfektion bei an¬
steckenden Krankheiten zunächst wohl nicht mit Freuden begrüssen würden.
Vortragender stellt dann weiter unter Berücksichtigung der von ihm in
seinem Kreise gemachten Erfahrungen über die eingehenden Anzeigen von an¬
steckenden Krankheiten und unter Forderung des Einschlusses der Tuberkulose
unter die anzeige- und desinfektionspflichtigen Krankheiten den Grundsatz auf,
dass für jeden Amtsbezirk mindestens ein staatlich geprüfter
Desinfektor an gestellt werden mÜBse. Der Desinfektionszwang und die
richtige Ausführung der Desinfektionen würde hoffentlich dazu führen, dass die
Zahl der Erkrankungen und damit die der Desinfektionen zurückgehe, aber
mit diesem Faktor könne man vorerst doch wenig oder nicht rechnen. Denn
wenn die Desinfektionsmassnahmen auch ein hervorragendes Glied in der Kette
der Kampfmittel gegen die Infektionskrankheiten seien, so dürfe man Bich
anderseits doch nicht verhehlen, dass noch manche fortwährend offene Quellen
der Einschleppung und Verbreitung der übertragbaren Krankheiten (Misstände
in Bezug auf Wohnungen und Trinkwasserverhältnisse, auf ungesunden, ver¬
seuchten Grund und Boden, auf verunreinigte Wasserläufe, vor allem auch auf
Personen- und Nahrnngsmittelverkehr) durch Desinfektionsmassregeln nicht zu
beseitigen seien. Insonderheit sei auch die Isolierung der ansteckenden Kranken
meist völlig ungenügend; einmal herrsche leider in vielen Kreisen noch
eine verhängnisvolle Abneigung gegen die Ueberführung in das Krankenhaus,
anderseits sei in den ärmeren Kreisen der Bevölkerung in deren kleinen Woh¬
nungen eine Isolierung überhaupt nicht durchzuführen. Und doch dürfe man
unter den letzteren ungünstigen Verhältnissen auf eine behördlich kontrollierte
und von geschultem Personal ausgeführte Desinfektion am allerwenigsten ver¬
zichten, da dieselbe hier gerade von ausserordentlichem Werte 6ei und auch
wohl erzieherische Bedeutung habe. Schliesslich könnten selbst unter den un¬
günstigsten Wohnuagsrerhältnissen die Wohnnngsinhaber für die 5—7 Stunden,
welche die Desinfektion dauere, eine andere Unterkunft, selbstverständlich unter
Beachtung ausgiebiger Vorsichtsmassregeln finden. Erscheine eine Desinfektion
nicht genügend, so könne man im Notfälle eine wiederholte Desinfektion vor¬
nehmen, wenn auch eine derartige Massregel allerdings wohl immer als eine
Ausnahme zu betrachten sei.
Vortragender ist weiter der Meinung, dass sich geeignetes Desinfek-
tionspersonal, auch weibliches, aus den verschiedensten Lebensstellungen
finden lasse; Halbinvaliden, Amtsdiener, Gemeindediener, Totengräber, Fleisch¬
beschauer, Barbiere, Heilgehilfen, auch andere Handwerker werde man zulassen
können, vorausgesetzt, dass sie gewissenhaft und zuverlässig seien, aber keine
Hebammen und Wochenpflegerinnen. Selbstverständlich sei, dass für die Des¬
infektoren eine Instruktion und eine Taxe festgesetzt würde. In Bezug auf
erstere empfiehlt er die Flüggeschen Vorschriften und kommt bei dieser Ge¬
legenheit auch auf die Erweiterung der Tätigkeit der Desinfektoren zu der
von Gesundheitsaufsehern zu sprechen, denen nach Dütschke Kontrollbesuohe
bei ansteckenden Kranken, Beteiligung bei den Ortsbesichtigungen, gesundheit¬
liche Ueberwaohung der Schulen etc. ausser ihrem Desinfektorenamte obliegen
sollen. Er kann sioh mit dieser Massregel nicht befreunden, zu der ihm auch
ein Bedürfnis im allgemeinen nicht vorzuliegen scheint.
326
Aas Versammlungen and Vereinen.
Würde man das Deainfektionswesen in diesem Sinne regeln, dann sei
natürlich aach die Anschaffung von Apparaten notwendig; er empfehle, für
jeden Amtsbezirk einen grösseren Formalindesinfekiiousapparat zn beschaffen,
ferner aach die Kosten für Desinfektionsmittel and für Mühewaltung des Des¬
infektors bei anvermögenden Familien aus der Amts- oder Armenkasse za
decken. Weiterhin müsse von jeder Stadtgemeinde and von jedem Kranken-
haase die Anschaffung eines Dampfdesinfektionsapparates verlangt werden,
w&hrend man sich in ärmeren Landgemeinden mit improvisierten Dampfappa¬
raten begnügen könne.
Zam Schlosse gibt Vortragender eine Statistik über die im Regierangs-
besirk Merseburg vorhandenen Dampf- and Formalindesinfektionsapparate and
sprioht die Hoffnung aas, dass die jetzt von der Regierung angebahnte Rege¬
lung des Desinfektionswesens — Einrichtung von Desinfektorensohnlen, ge¬
regelte Prüfung der Desinfektoren — za einem erspriesslichen Ende
führen werde.
In der Diskass io n gibt Fielitz nähere Auskunft über die Verhält¬
nisse in seinem Kreise and die Verhandlangen, die er znr beabsichtigten Ein¬
führung der obligatorischen Desinfektion mit den Kreisbehörden gehabt habe.
Er hält es für das richtige, dass die Sache nicht den Ortspolizeibehörden über¬
lassen, sondern darch eine vom Landrat za erlassende Kreispolizeiverordnung
? geregelt werde. Er hält für den Kreis einen fest angestellten Kreis-Desin-
ektor für nötig, dem dann Hilfspersonal in jedem Amtsbezirke beigestellt
werden soll. Dabei erwähnt er, dass er bereits früher im Kreise für jeden
Amtsbezirk einen kleineren Apparat, den alten Schering sehen Aeskulap an¬
geschafft, and aach einen Desinfektor aasgebildet habe, von denen sich dann
einige weitergebildet hätten. Die Totengräber and Halb- oder Qanzinvaliden
will er nicht zagelassen haben, entere, weil sie nicht zam Amte eines Desin¬
fektors passten, letztere weil sie oft nicht im vollen Besitz ihrer Kräfte seien.
Zar Desinfektion aaf dem Lande brauche man kräftige Leute.
Im Laafe seiner Ausführungen kommt er nach aaf die Gesundheitsaof-
seher za sprechen, die er zar Beaufsichtigung der fortlaufenden Desinfektion
während der Krankheit für zweckmässig hält; er behelfe sich jetzt za diesem
Zwecke mit Krankenschwestern, da eine Kontrolle w&hrend der Krankheit doch
nötig sei, sonst nütze auch die Schiassdesinfektion nichts.
Prof. Dr. Fränkel hält die Behörden doch jetzt eher wie früher der
Desinfektion geneigt. Betreffs des Wertes der Wohnangsdesinfektion über¬
haupt sei es richtig, dass für die Verbreitung der infizierenden Keime auch
zahlreiche andere Möglichkeiten in Betracht kämen, vor allen der Verkehr des
lebenden Menschen; doch müsse man zweifellos auch die tote Umgebung des
Kranken berücksichtigen, von der die Infektion ebensogat aasgehen könne
(man solle nar an die Tuberkulose denken) and deshalb sei eben doch die
Wohnangsdesinfektion notwendig. Für letztere kämen in neuerer Zeit anoh
ausser der Formalindesinfektion noch andere Massnahmen in Betracht, so z. B.
desinfizierende Wandanstriche. Redner empfiehlt im einzelnen als solche An¬
striche z. B. die Peftone von Rosenzweig & Baamann in Cassel, denen
nach Versnoben im hygienischen Institut eine nicht geringe keimtötende
Wirkung sioher zukomme. Es geschehe dies wohl durch Abspaltung keim¬
widriger Gase von den Farben. Letztere behielten ihre keimtötende Wirkung
viele Monate bei. Er antwortet dann auf eine Anfrage von Fielitz, dass
nach seinen Erfahrungen Formalindesinfektion bei denen am meisten in Be¬
tracht kommenden Krankheiten, Diphtherie, Scharlach, Tuberkulose, genüge.
Sehr widerstandsfähig seien Staphylokokken gegen Formaldebyd, doch würden
aach diese widerstandsfähigen Bakterien durch Formaldehyd abgetötet, sofern
nur gewisse Bedingungen eingehalteu würden. Za diesen gehöre erstens eine
grössere Menge des Gases, ferner genügende Entwickelung von Wasserdampf, vor
allen Dingen eine sehr genaue Abdichtung des zu desinfizierenden Raumes. Um
letztere aber in zuverlässiger und vorschriftsmässiger Weise zu bewerkstelligen,
sei geschultes Personal nötig. Habe man aber solches, so bedürfe man auch
der Improvisationen nioht. Weiter stimmt Fränkel darin Fielitz bei, dass
die Anstellung mindestens eines Desinfektors mit Gehalt im Kreise nötig sei,
damit man sich unbedingt auf denselben verlassen könne. Endlich hält aaeh
er die Gesandheitsaufseher nach englischem Master für zweckmässig und em¬
pfiehlt als Desinfektoren auch weibliehe Personen.
Besprechungen.
327
Fielits ist dagegen nicht für die Anstellung von weiblichen Personen
als Desinfektoren nnd betont nochmals, dass dazu kräftige Männer notwendig
seien, schon wegen des Kraftaufwandes, der mit der Fortschaffang der Apparate
nnd der zn desinfizierenden Sachen auf den oft doch recht schlechten nnd
schwer passierbaren Landwegen verbanden sei. Die Einrichtung der Gesund-
heitsanfseher im Regierungsbezirk Arnsberg scheine ihm insofern unrichtig,
als diese Leate keine Beamten, sondern Gewerbetreibende seien, die nur durch
Vermittelung der Ortspolizeibehörde bezahlt würden. Seiner Meinung nach
müssten derartige Gesundheitsanfseher unabhängig von der Bezahlung durch
das Pablikum gestellt werden nnd eben Beamte sein.
Redner führt dann weiter aus, dass man auch das Pablikum selbst über
den Nutzen und die Notwendigkeit der Desinfektion belehren müsse nnd em¬
pfiehlt, seine Absicht, auf Lehrerkonferenzen und sogenannten Familienabenden,
die wohl allerwärts jetzt eingerichtet seien, darüber Vorträge zu halten, auch
anderwärts ins Werk zn setzen. Ferner komme zur Belehrung des Publikums
auch die Verteilung gedruckter Massregeln in Betracht; die vom Medizinal¬
beamtenverein des Regierungsbezirks Potsdam herausgegebenen schienen ihm
jedoch zu weitläufig, weshalb er eine Kommission zur Vereinfachung derselben
vorsohlägt.
Ri sei teilt mit, das* in der Stadt Halle die Kosten für die Beförderung
der Apparate und der der Desinfektion unterliegenden Sachen mittels Wagen
ganz unverhältnismässig hoch gewesen seien, weshalb man sich mit dem Ge¬
danken trage, ein Automobil dazu zu beschaffen. Von verschiedenen Seiten
wird jedoch die Zweckmässigkeit eines solchen Fahrzeoges bei den oft im
schlechtesten Zustand befindlichen Landwegen bestritten.
Hauch weist darauf hin, dass in der Verfügung des Herrn Regierungs¬
präsidenten über die Ausbildung von Desinfektoren nur von männlichem Per¬
sonal die Rede sei, eine Bemerkung, die Fielitz Veranlassung gibt, noch¬
mals dafür einzutreten, dass man weibliche Personen nicht zulassen solle, da
dieselben schon za gewissen Zeiten durch ihren körperlichen Zustand gehindert
seien und auch nicht immer, namentlich in Arbeiterkreisen, die nötige Autorität
besässen. Darauf müsse man aber Rüoksioht nehmen, ebenso wie darauf, dass
man bei der Auswahl des männlichen Personals von vornherein auf eine ge¬
wisse geistige Gewecktheit und manuelle Geschicklichkeit sehen müsse.
Nachdem nooh verschiedene Kollegen zu der Angelegenheit das Wort
ergriffen, beantragt Hermann, sogleich eine Kommission zur Vereinfachung
der bis jetzt vorliegenden gedruckten Massregeln zu wählen. Dies geschieht,
worauf der Vorsitzende nochmals kurz das Resultat der Verhandlung zu¬
sammenfasst und ersucht, mit Polizeivetordnungen zur Einführung der Desin¬
fektion sich noch zu gedulden, bis das doch zu erwartende Ergänzungsgesetz
zum Reichsseuchengesetz erlassen sei.
Nach Schloss der Sitzung vereinigten sich sämmtlioh Erschienenen noch
auf einige Standen zu einem gemeinsamen Mahle.
Dr. Schnei der-Merseburg.
Besprechungen.
Dr. Budolf Kobert, Kais. russ. Staatsrat, ord. Prof. u. Direktor deB Instituts
f. Pharmakologie u. physiol. Chemie der Landesuniversität Rostock: Lehr¬
buch der Intoxikationen. Zweite durchweg neuarbeitete Auflage.
I. Band: Allgemeiner Teil. Mit 69 Abbildungen im Text. Stuttgart 1902.
gr. 8°; 302 8. Preis: geh. 7 Mark.
In der Vorrede zur ersten Auflage, der das Motto vorangesetzt ist:
Undequaqae infelix est humana vita, infelicior tarnen, si morbis, infelicissima
si venenis affligatur, sagt der wohlbekannte Forscher, dass er Aerzten und
Studierenden ein verständlich geschriebenes, mit erschöpfendem Register ver¬
sehenes Werk über Intoxikationen bieten wolle, welches gleichzeitig als Lehr¬
buch und als Handbuch dienen könne. Kobert erinnert daran, dass die be¬
kannten Krankheiten wie Wundtetanus. Eklampsie, Typhus, Cholera, Tuber¬
kulose, Pocken, Masern u. s. w. hinsichtlich ihrer Symptome und ihrer Behänd-
lang als hochkomplizierte Intoxikationen aufgefaest werden müssten, die ohne
328
Besprechungen.
eine gründliche Kenntnis der Wirkungen, namentlich der Alkaloide, Glykoside
u. 8. w. gar nicht verstanden werden könnten.
Was nan das Werk selbst angeht, so umgreift der vorliegende Band
swei Abteilungen, von denen die erste die Ueberschrift führt: „Allgemeines
über Intoxikationen", während sich die zweite befasst mit dem „Nachweis
von Intoxikationen post mortem“.
Kobert hält, was er versprochen: in klarer, übersichtlicher nnd
erschöpfender Weise spricht er von der Geschichte nnd Litteratnr der Intoxi¬
kationen, von der Definition nnd Benennung von Gift, von seiner Herkunft,
seinem Vorkommen, seiner Bedeutung n. s. w. Die letzten Kapitel der ersten
Abteilung behandeln die Symptomatologie, die Diagnose nnd die Therapie der
Intoxikationen.
Am meisten interessiert die zweite Abteilung, in der Kobert zuerst
die gesetzlichen Bestimmnngen über die Obduktionen Vergüteter bringt und
sodann die richtige Deutung der einzelnen Leichenerscheiunngen in klarer
und leicht fasslicher Weise erörtert. Auch die richterlichen Fragen: Liegt
Vergiftung vorf Mord oder Selbstmord? finden hier ihre Erledigung.
Der letzte Teil des ersten Bandes, in dem der Charakter des Lehrbuchs
mehr hervortritt, handelt von dem chemischen Nachweis — hier werden die
einzelnen Untersuchnngsmethoden besprochen — nnd von dem physiologischen
Nachweis von Giften. Diesem Abschnitte ist der grösste Teil des Buches ge¬
widmet. Verfasser berichtet über Versuche an Enzymen, an niederen Or¬
ganismen, an höher stehenden Pflanzen, an grösseren wirbellosen Tieren, an
ansgeschnittenen Organen eben getöteter Kalt* nnd Warmblüter, an kaltblü¬
tigen Wirbeltieren und endlich an Warmblütern und Menschen.
Das Buch wird tatsächlich ein getreuer Batgeber sein für Alle, die
über das Thema „Vergiftungen“ Belehrungen haben und Untersuchungen dieser
Art vornehmen wollen. Die zahlreichen Litteraturangaben erhöhen die Bedeu¬
tung des Buches; auoh in der glatten, leichten, gefälligen Schreibweise liegt
nicht zum letzten der Wert des Werkes.
Die Ausstattung des Buches ist — wie nicht anders zu erwarten —
gut, besonders sind auch die Abbildungen als wohlgelungen zu bezeichnen.
Dr. Hoff man n-Elberfeld.
Dr. v. Boltenutern, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.: Die Vergiftungen.
Leipzig 1902. Druck und Verlag von C. G. Naumann. Kl. 8°; 342 S.
Preis: geh. 2,50 M.
Das vorliegende Werk will die Hand* und Lehrbücher der Toxikologie
nicht ersetzen, sondern will nur das theroetisch nnd praktisch Wichtige auf
dem Gebiete der Vergiftungen in knapper Form zusammenfassen, es reiht die
einzelnen Gifte nach ihren am meisten hervortretenden Wirkungen in einige
Hauptgruppen ein und befasst sich mit dem Nachweis des Giftes intra vitam
und post mortem nur soweit, als das Verständnis des Praktikers es erfordert.
Der erste Teil behandelt die Giftwirkungen im Allgemeinen, ihre Symp¬
tomatologie, ihre Diagnose, Prognose, Prophylaxe nnd Therapie, bespricht den
pathologisch-anatomischen Befnnd, den chemischen nnd physiologischen Nach¬
weis des Giftes.
Der spezielle Teil hingegen befasst sich mit den einzelnen Vergiftungen,
wobei die Symptome, der anatomische Befund, die Diagnose, Therapie und der Nach¬
weis des Giftes in kurzer, übersichtlicher Form uns vor Augen geführt werden.
An die Vergiftung durch Säuren schliesst sich die Vergiftung durch
ätzende Alkalien und alkalische Erden, Vergiftung durch örtlich reizende
organische Stoffe, Vergiftung durch örtlich reizende Gase nnd Dämpfe, Ver¬
giftung durch Parenchymgifte, durch Blntgifte, durch Nervengifte, durch Herz¬
gifte nnd durch Schlangengift; den Schluss bilden Vergiftungen durch Fleisch,
Warst, Fisch, Käse, durch Pilze und durch Mutterkorn.
Die einzelnen Kapitel erfreuen Bich durchweg einer klaren, prägnanten
Darstellung; das Werk wird Jedem, der sich über die betreffenden Fragen
rasch orientiren will, nur willkommen sein. Dr. Hoff mann-Elberfeld.
Tagesnachrichten.
329
Tagesnachrichten.
Nach einem Berichte im Reichsanzeiger Nr. 82 vom 6. d. M. hat am
4, d. M. unter dem Vorsitz des Ministers für Handel and Gewerbe
im Geschäfte gebäude des Hauses der Abgeordneten eine Konferenz, be¬
treffend die zur Bekämpfung der Wurmkrankheit notwendigen Mass¬
nahmen stattgefunden, an der ausser dem Oberberghauptmann mehrere Rite
des Handels- und des Kultusministeriums, sowie Vertreter des Reichsgesund-
heitsamts, der Oberpräsidenten von Westfalen und der Rheinprovinz, des Ober¬
bergamts zu Dortmund, des Vereins für die bergbaulichen Interessen im Ober¬
bergamtsbezirke Dortmund, des Verbandes der Vereine technischer Gruben¬
beamten, ferner eine grössere Anzahl von Aerzten und die Mitglieder des im
Oberbergamtsbezirk Dortmund zur Bekämpfung der Wurmkrankheit eingesetzten
Sonderausschusses teilnahmen. Nach einer kurzen BegrÜBSUng der Anwesenden
durch den Minister und einem Hinweise auf die Bedeutung der Wurmkrankheit
für die Bergbaubezirke, auf die bereits getroffenen Massregeln und die Er¬
fahrungen in anderen von der Krankheit befallenen Ländern wurde zunächst
in eine Erörterung der Frage eingetreten, welche Verbreitung die Krankheit
nur Zeit in den preussischen Regierungsbezirken, namentlich im Dortmunder
Bezirk genommen habe, worauf diese Verbreitung znrückzuführen sei, und
welche Massnahmen zur genauen Feststellung des Umfanges erforderlich seien.
Es ergab sich ans den Verhandlungen, dass in den Oberbergamtshezirken
Breslau, Halle und Clausthal in den letzten Jahren keine ErkrankungsfäUe
bekannt geworden, dass auch im Oberhergamtsbezirk Bonn nur ganz ausnahms¬
weise Erkrankungen vorgekommen sind, dass dagegen im Oberhergamtsbezirk
Dortmund die Krankheit noch einen erheblich grösseren Umfang angenommen
hat, als bisher geglaubt wurde. Auf einzelnen Zechen ist über die Hälfte der
Belegschaft von ihr ergriffen. Man gelangte zu der Ansicht, dass die Krank¬
heit zunächst wohl durch italienische oder ungarische Arbeiter, etwa im An¬
fänge der neunziger Jahre, nach Westfalen eingeschleppt sei, dort aber unter
den für die Entwickelung der Seuche ausserordentlich günstigen Verhältnissen
der Steinkohlengruben sich durch den grossen Wechsel der Belegschaften unter
einander von Grube zu Grube weiter übertragen habe. Eine wesentliche Ver¬
mehrung der Krankheit durch später einwandernde ausländische Arbeiter hielt
man für höchst unwahrscheinlich. Dass auch die durch Bergpolizeiverordnung
vorgeschriebene Berieselung der Gruben für die Verbreitung der Krankheit in
den letzten Jahren ein günstiges Moment abgegeben habe, wurde ebenfalls
anerkannt. Eine ganz genaue Feststellung des Umfangs, und zwar durch
mikroskopische Untersuchung der Dejektionen ganzer Belegschaften — wie sie
von einer ganzen Reihe von Zechen bereits dnrchgeführt ist — wurde im
weitesten Umfange befürwortet; nur auf diese Weise hielt man eine genaue
Feststellung des Umfanges für möglich. Man neigte der Auffassung
zu, dass mit einer vollständigen Erkenntnis des Wesens und des Umfanges
der Krankheit eine erfolgreiche Bekämpfung bestimmt zu erwarten und damit
der Höhepunkt der Krankheit bereits überschritten sei. Im Übrigen war man
im allgemeinen der Ansicht, dass es sich in Deutschland bei der Wurmkrankheit
praktisch um eine Berufskrankheit der unterirdisch be-schäftigten Arbeiter
und Beamten handele, dass Erkrankungen der Tagesarbeiter nur ganz aus¬
nahmsweise und Erkrankungen von Familienmitgliedern bisher überhaupt noch
nicht einwandfrei festgestellt worden seien.
Im Anschluss hieran wurden diejenigen Massnahmen eingehend ei örtert,
die zur Bekämpfung der Krankheit selbst in Frage kommen. Die Abtötung
des Parasiten im menschlichen Darm erfolgt in Westfalen, Ungarn und Belgien
fast durchweg mittels Farnkrautextrakts (Extractum Filicis); man hat mit
diesem Mittel — vorausgesetzt, dass es frisch ist — bessere Erfahrungen ge¬
macht, als mit dem in England beliebteren Thymol. Allerdings schliesst die
Behandlung mit Farnkrautextrakt Rückfälle der Krankheit bei den behandelten
Personen nicht immer aus, sodass eine Nachuntersuchung und gegebenenfalls
eine nochmalige Abtreibungskur erfolgen muss. In jedem Falle muss die Be¬
handlung in einem Krankenhause erfolgen.
Einen grossen Raum der Verhandlung nahm die Erörterung der vor¬
beugenden Massregeln in Anspruch. Als wesentlichster Gesichtspunkt
wurde hervorgehoben, dass es bei der Lage der Verhältnisse unbedingt geboten se^
330
■Tages nachrichten.
die Uebertragung der Erkrankung durch die von einer nach der andern Zeche
wechselnden, und die ans anderen LSndern zuwandernden Bergleute zu ver¬
hindern. Als geeignetes Kittel, diesen Zweck zu erreichen, wurde allgemein
der Erlass einer Bergpolizeiverordnnng anerkannt, welche den Bergwerksbe-
sitzern verbietet, Bergleute auf ihren Gruben anznlegen, bevor sich diese durch
eine eingehende und zuverlässige Untersuchung als wurmfrei erwiesen haben.
Den durch eine solche Verordnung für die Bergleute selbst möglicherweise
erwachsenden Schwierigkeiten soll dadurch entgegengetreten werden, dass mög¬
lichst zahlreiche Aerzte zur Vornahme der Untersuchung vorgebildet, und deren
Namen den Belegschaften bekannt gegeben werden, sowie dadurch, dass — so¬
weit möglich — für eine vorläufige Beschäftigung der betreffenden Leute über
Tage gesorgt werden soll. Für die Ausbildung einer genügenden Anzahl von
Aerzten und die Einrichtung von Stationen wird der Allgemeine Knappschafts-
verein zu Bochum Sorge tragen, der hierzu auch bereits die einleitenden Mass-
regeln ergriffen hat.
Eine eingehende Diskussion knüpft sich sodann an die Frage, ob anf den
einzelnen befallenen Gruben die vorhandenen Einrichtungen (Abortanlagen,
Bäder u. s. w.) als genügend anzuerkennen seien oder nicht. Während seitens
der Vertreter des Oberbergamts zu Dortmund und der Werksbesitzer erklärt
wurde, dass zur Zeit die Verhältnisse auf den Gruben den Vorschriften der
sogenannten Gesundheitspolizeiverordnung vom 12. März 1900 völlig entsprächen,
vielfach sogar noch erheblich darüber hinausgingen, vertraten die Arbeiterver¬
treter den Standpunkt, dass eine Nichtbeobachtung dieser Vorschriften auch
jetzt noch vorkomme. Auch wurde von ihnen darüber geklagt, dass in den
Kreisen der Bergarbeiter noch immer nicht eine genügende Aufklärung über
das Wesen der Krankheit verbreitet sei.
Ueber die weitere Frage der etwaigen Beschaffung von Trink-
wasser vor die Arbeitspunkte, das Verbot der vielleicht noch vereinzelt
vorkommenden Berieselung mit Sumpfwasser, und die möglichste Besei¬
tigung der in den Gruben mehrfach eintretenden, für die Entwickelung
der Krankheitserreger sehr günstigen Schlammansammlungen wird das Ober¬
bergamt zu Dortmund noch eine nähere Prüfung der Verhältnisse vornehmen
and, soweit sich Misstände auf sanitärem Gebiete hierbei ergeben sollten,
deren Abstellung bewirken. Als selbstverständlich wurde anerkannt, dass die
Reinhaltung der Abortanlagen und der Bäder, sowie die Desinfektion der ersteren
in ausreichender Weise durchgeführt und überwacht werden müsse. Dagegen
fand der Vorschlag der Arbeitervertreter, auf bergpolizeilichem Wege mit
dieser Ueberwachung besondere, von den Arbeitern zu wählende Arbeiter¬
kontrolleure zu beauftragen, nicht die Zustimmung der übrigen Versammlung.
Die mit Kalkmilch, Kochsalz-, Karbol- und anderen Lösungen vielfach vor¬
genommenen Versuche, eine wirksame Desinfektion der Grabenräume durch zu¬
führen, haben bisher ein genügendes Ergebnis oder einen ausreichenden Erfolg
nicht gehabt. Als ein ganz besonders wirksames Mittel wurde die vollständige
Trockenlegung der verseuchten Baue auf längere Zeit anerkannt. Die
Versuche, geeignete Desinfektionsmittel zu finden, sollen, wie bisher, auch weiter¬
hin fortgesetzt werden. Um über die Erfolge der Trockenlegung ganzer Gruben
oder einzelner Abteilungen ein sicheres Urteil zu gewinnen, soll ferner die
zeitweilige Einstellung der Berieselung für einzelne besonders geeignete Gruben
unter den für die Vermeidung von Kohlenstaubexplosionen notwendigen Vor-
sichtsmassregeln — soweit angängig — gestattet werden.
Von der Erörterung der auf der Tagesordnung stehenden Frage, ob die
erkrankt gewesenen Arbeiter für längere Zeit von den unterirdischen Gruben¬
bauen fern zu halten seien, wie das z. B. in England mit Erfolg geschehen sei,
wurde bei der gegenwärtigen Sachlage Abstand genommen, weil zunächst erst
eine allen Anforderungen genügende Statistik über den Umfang der Wurm-
erkrankungen auf den einzelnen Graben aufgestellt werden müsse.
Bezüglich dieser Statistik selbst wurde festgestellt, dass sie nicht nur
jeden einzelnen Krankheitsfall nach Zeit, Ort, Art der Arbeitsstelle u. s. w. an
umfassen, sondern sich auch auf die Erfolge des im einzelnen Falle einge¬
schlagenen Heilverfahrens zu erstrecken habe.Von einer Ausdehnung
dieser Statistik auf die Vergangenheit wurde als nicht ausführbar Abstand
genommen.
Tagesnachrichten.
331
Ana dem preossiaohen Abgeordnetenhaus«. In der Sitsnng am
31. M&rz 1993 gelangte der Antrag des Abg. Dr. Langerh&ns nnd Genossen,
betreffend die Einführung der fakultativen Feuerbestattung, nur Beratung.
Der Antragsteller begründete deren Notwendigkeit aus hygienischen und
finanziellen Rücksichten und betonte, dass die obligatorische Leichenschau die
Voraussetzung fdr die Feuerbestattung sei. Von konservativer (Abg. Schall)
Beite und seitens des Zentrums (Abg. Dittrich) wurde aus religiösen Gründen
dem Antrag widersprochen und auch bestritten, dass die Beschaffung von Kirch¬
hofen selbst den Grossstädten zu grosse Schwierigkeiten und Kosten verursache,
während die Abg. Martens (natl.), Berth und Ehlers (freis. Ver.) die
Annahme des Antrages warm befürworteten und erklärten, dass der Antrag so
oft wiederkehren werde, bis er endlich angenommen sei. Desgleichen wiesen
sie gegenüber den juristischen Bedenken gegen die Feuerbestattung darauf
hin, dass es auch jetzt möglich sei, eine ermordete Person über die Grenze zu
schaffen und in irgend einem benachbarten Krematorium verbrennen zu lassen.
Von Seiten des Vertreters des Kultusministeriums (Geh. Reg.-Rat Schuster)
wurde erklärt, die Staatsregierung nehme der Feuerbestattung gegenüber noch
denselben Standpunkt ein wie früher. Die juristischen Bedenken wären auch
durch die Einführung einer obligatorischen Leichenschau nicht zu beseitigen,
weil diese vielfach durch Nichtärzte ansgeübt werde; sie aber überall durch
Aerzte vornehmen lassen, sei nicht durchführbar. Wesentlich sei aber, dass
die Erdbestattung dem Gefühl und den sittlichen Anschauungen aller christ¬
lichen Konfessionen entspreche, und dass durch die Einführung der Leiahen-
▼erbrennung in weiten Kreisen der christlichen Bevölkerung schwere sittliche
Bedenken erregt werden würden. Die Königliche Staatsregierung lehne es
daher ab, in Erwägungen über die Frage einsutreten. Der Antrag wurde
schliesslich mit knapper Mehrheit abgelehnt, auch ein Teil der Freikonservativen
stimmte dafür.
XXVIII. Versammlung des Deutschen Vereins für Öffentliche Ge¬
sundheitspflege in Dresden vom 16. bis 19. September 1903.
Tagesordnung: Mittwoch, den 16. Sep tember: I. Nach welcher
Richtung bedürfen unsere derzeitigen Massnahmen zur Bekämpfung der Tuber¬
kulose der Ergänzung? Referent: Prof. Dr. Karl Fränkel-Halle. II. Hygieni¬
sche Einrichtungen der Gasthäuser und Schankstätten. Referent: Reg.-n. Med.-
Rat Dr. Bornträger-Dansig.
Donnerstag, den 17. September: III. Die gesundheitliche Ueber-
wachung des Verkehrs mit Milch. Referent: Prof. Dr. Dunbar-Hamburg.
IV. Reinigung des Trinkwassers durch Ozon. Referent: Geh. Regierungsrat
Dr. Oblmüller-Berlin.
Freitag, den 18. September: V. Die Bauordnung im Dienste der
Öffentlichen Gesundheitspflege. Referenten: Geh. Baurat Stflbben-Köln,
Geh. Regierungsrat Dr. Rumpelt -Dresden.
Die Jahresversammlung des Württembergischen Medizinalbe¬
amtenvereins wird am Sonntag, den 26. April, im unmittelbaren An¬
schluss an eine an demselben Tage zur Erörterung von Fragen aus dem Ge¬
biete der Psychiatrie stattfindende Versammlung von Juristen und Aerzten im
K. Justizgebäude in Stuttgart stattfiuden. Tagesordnung: 1. Geschäftliche
Mitteilungen, 2. Besprechung von Standesangelegenheiten.
Auf Vorschlag des Prof. Dr. Cramer, Direktor der Prov.-Irrenanstalt
in Göttingen, hat der Hannoversche Provinziallandtag in seiner
Sitzung vom 27. Februar d. J. den Ankauf der sog. „Rasemühle“ bei Göttingen
behufs Einrichtung eines Sanatoriums für unbemittelte Nervenkranke
des Mittelstandes nnd der unteren Stände beschlossen. Es ist dies die
erste derartige provinzialständische Anstalt; sie soll für 75 Kranke eingerichtet
und am 1. Oktober d. J. eröffnet werden.
332
Tagesnachrichten.
Milchhygiene und Milchkunde. In der richtigen Erkenntnis der Not*
wendigkeit, die praktisch verwertbaren Ergebnisse der Milchbygiene nun Ge¬
mein gat des Volkes zn machen, werden von den einzelnen AnsschÜ6sen der in
der Zeit vom 2. bis 10. Mai d. J. in Hamburg stattfindenden Allgemeinen
Ausstellung für hygienische Milchversorgung eine Beihe praktischer nnd
populär-wissenschaftlicher Schriften heransgegeben, die allgemeine Beachtung
beanspruchen dürften, nämlich 1. das Milchkoch buch nebst Anleitung zur
Behandlung der Milch im Haushalt, 2. die Geschichte der Milchver¬
sorgung Hamburgs von Dr. Voigt, 3. die Milchgesetzgebung von
Dr. Beinsch und endlich 4. die allgemeine Milchkunde des wissen¬
schaftlichen Ausschusses, die in sich streng aneinander gliedernden Einzelauf-
sätzen von 19 Fachleuten auf dem Gebiete der Milchwirtschaft und der Milch¬
hygiene in grossen Zügen knapp und doch möglichst vollständig, gemeinver¬
ständlich und doch streng wissenschaftlich alles Wissenswerte über Milch nnd
Milchhygiene darbieten nnd so ein getreues Bild des gegenwärtigen Standes
der Milchwirtschaft in der angegebenen Bichtung zeichnen will.
Diplomerteilung. Die Kommission für die „Gemeindliehe Max
von Pettenkofersohe Stiftung" in München erkannte dem Geh. Med.-
Bat Prof. Dr. Flügge, Direktor des hygienischen Instituts in Breslau, dem
Prof. Dr. Dun bar, Direktor des hygienischen Instituts in Hamburg, und dem
Geh. Beg. - Bat Dr. Ohlmüller, Mitarbeiter des Kaiserlichen Gesundheitsamt»
zu Berlin, für wissenschaftliche Arbeiten auf dem hygienischen Gebiete je ein
Diplom mit einer Prämie zn je 750 Mark aus der genannten Stiftung zu.
Deutscher Medizinalbeamten - Verein.
Die Mitglieder des Deutschen Medizinalbeamtenveieins werden gebeten,
etwaige Vorträge und Wftnsohe für die voraussichtlich am Montag und
Dienstag, den 14. nnd 15. September d. J. in Leipzig (unmittelbar
vor der JahresVersammlung des Deutschen Vereins für Öffentliche Gesundheits¬
pflege) stattfindende
zweite Hauptversammlung
bei dem Unterzeichneten bis zum 25. April d. J. anzumelden.
Minden, den 10. April 1903.
Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereins.
Im Aufträge:
Dr. Bapmnnd, Vorsitzender,
Beg.- u. Geh. Med.-Bat in Minden.
Preussischer Medizinalbeamtenverein.
Die diesjährige
IX. Hauptversammlung 1
des Preussischen Medizinalbeamtenvereins wird voraussichtlich am Sonnabend,
den 12. 8eptember d. J. in Halle a./S. (unmittelbar vor der Hauptver¬
sammlung des Deutschen Medizinalbeamtenvereins) Btattfinden. Betreffs der
rechtzeitigen Feststellung der Tagesordnung werden die Mitglieder gebeten,
etwaige Vorträge und Wftnsohe bei dem Unterzeichneten bis zum 25. April
d. J. anzumelden.
Minden, den 10. April 1903.
Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins.
Im Aufträge:
Dr. Bapmnnd, Vorsitzender,
Beg.- u. Geh. Med.-Bat in Minden.
Verantwortl. Bedakteur: Dr. Bapmnnd, Beg.-u.Geh.Med.-Bat in Minden i. W.
J. G. C. Bruns, Herzog!. Siebs, u. F. 8ch.-L. Hofbuchdruckerei in Minden.
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Wöbbsit? w Bttlilits^ll wtrüevl pw-Qr'ebatlfc'.Äe»-'Stelle ; ba-£i*v^
trSjt t^-'bfM^>. jÜ&«9Kioi. ^ i'.ihtä^t»5rtr 4 J^)0-i*5nl^ Metrik oai«* • *Hw»r ptösitf»* Vt;
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clN ATS VON WC^THUf
16. Jahrg.
Zeitschrift
1906.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt f9r geriehtliehe Medizin und Psychiatrie,
für arztliehe Sachverständigentatigkeit in Unfall- and favatiditatssaehen, sowie
für Hygiene, ofentl Sanitätswesen, Medizinal - Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Heraoflgegeben
von
Dr. OTTO RAPMUND,
Regtarvngi- und Geh. Medlwinalrat in Minden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Buchhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Bachhändler.
Berlin W. 15, Lützowstr. 10.
ln»er*ie nehmen die YerUfshnndlnnf sowie alle Annoneenexpedltionen des In-
nnd Auslandes entgegen.
Nr. 9.
Erseheiat mm 1. and 15. jeden Monats
1. Mai.
Wochenbettfieber und Fieber im Wochenbett.
Von Kreisarzt and Med. - Rat Dr. Coester in Bunzlau.
Der Aufsatz des Herrn Direktor Dr. P. Baumm in der
Nr. 7 dieser Zeitschrift wird bei den Medizinalbeamten sicherlich
teils Uebereinstimmung, teils Widerspruch hervorrufen: Ueberein¬
stimmung mit dem Tadel betreffs der Mängel des jetzt geltenden
Hebammenlehrbuches, und Widerspruch gegen die Vorschläge in
Bezug auf das Verhalten der Hebammen beim Ansbrnch von
Wochenbettfieber und beim Verdacht auf dieses.
Ohne auf die Mängel des Hebammenlehrbuches weiter ein¬
zugehen, sei es mir gestattet, meine Bedenken gegen diese Vor¬
schläge zu änssern. Den Anlass dazu bietet mir besonders eine
Gerichtsverhandlung, in welcher der Verfasser und meine Person
als Sachverständige fungierten. In dieser Gerichtsverhandlung
vertrat Dr. Baumm gleichfalls die Ansicht, dass eine angeklagte
Hebamme nicht straffällig sei, wenn sie Fieber im Wochenbett
dem Kreisärzte verschweige, sobald der zugezogene Arzt nicht die
Diagnose auf Wochenbettfieber gestellt habe.
Die betreffende Hebamme hatte durch verspätete Meldung
Veranlassung gegeben, zwei weitere Wöchnerinnen von einer
dritten anzustecken: alle drei starben. Bei der ersten hatte ein
Arzt der Hebamme nicht rechtzeitig gesagt, dass Wochenbettfieber
oder Verdacht auf dasselbe vorläge. Die Hebamme hatte infolge¬
dessen noch zwei andere Schwangere bezw. Kreissende untersucht
und sie angesteckt. Der Fall liegt also genau so, wie ihn Dr.
Ban mm konstruiert: Nichtanzeige, bevor der Arzt nicht die
Dr. Coester.
334
Diagnose Wochenbettfieber stellt, Nichtbeachtung der Fiebertempe¬
ratur von 38°, bezw. von 38,5° und die Folge dieser Nichtanzeige:
das grosse Unglück, dass zwei blühende Frauen, die in ihrem
Haushalt unersetzlich waren, das Leben lassen mussten.
Nach solchem Beispiel und dieser traurigen Erfahrung kann
ich mich nicht entschliessen, Verfassers Ansicht beizustimmen, dass
die bisherige Pflicht der Hebammen, bei einer Temperatur von
38,5° dem Kreisärzte Anzeige zu erstatten, aufzuheben sei. Ich
brauche hier nicht zu erwähnen, dass gerade die schwersten sep¬
tischen Formen, in denen die Frauen mit leicht geröteten Wangen
und scheinbar ohne Schmerzen im Bett liegen, und in denen durch
die frühzeitige Somnolenz sie sich nicht einmal krank zu fühlen
scheinen, diejenigen sind, in denen anfangs keine sehr hohen Tem¬
peraturen auf die Gefahr hin weisen. Wenn in solchen Fällen die
Hebammen zwei bis drei Tage die Wöchnerinnen erst beobachten
sollen, wenn sie weder verpflichtet sind, einen Arzt zu holen,
noch dem Kreisärzte dies Fieber anzuzeigen, so kommen wir
binnen kurzem wieder dahin, wo wir standen, ehe die meiner
Meinung nach nur sehr segensreiche Ministerialverfügung vom
22. November 1888 zur Verhütung des Wochenbettfiebers erlassen
wurde; die Fälle von Wochenbettfieber werden sich wieder er¬
schreckend mehren, nachdem sie sich jetzt einigermassen ver¬
mindert haben.
Bei der Meldepflicht der Hebammen handelt es
sich vor allem darum, dass der Kreisarzt dadurch in
die Lage versetzt ist, die betreffende Hebamme
rechtzeitig zu belehren und sie davon abzuhalten,
weiteres Unglück anzurichten. Dass der Kreisarzt oft
„belogen“ und hintergangen wird, ist allerdings richtig; ander¬
seits ist aber den Hebammen recht gut bekannt, dass er sie im
gegebenen Falle mit Geldstrafen und sogar durch Entziehung der
Konzession bestrafen lassen kann, und die Furcht vor einer solchen
Bestrafung wird sie anhalten, der Anmeldepflicht nachzukommen.
So wird immerhin ein Zustand erzielt, der nach menschlichen
Verhältnissen erträglich ist. Wie weit man aber in praxi mit den
Anschauungen des Verfassers kommt, beweist am besten die Heb¬
amme, derenwegen wir den gemeinsamen Termin hatten. Dieselbe
war verurteilt worden. Einen Tag später erschien sie bei mir
und erklärte patzig, „sie habe natürlich Berufung eingelegt, denn
ihr Lehrer, Herr Direktor B., habe ja öffentlich in der Gerichts¬
verhandlung gesagt, dass sie unschuldig sei.“ Dahin gelangt
man, wenn man im öffentlichen Termine die Meldepflicht der Heb¬
ammen bestreitet.
Zugeben muss man, dass unter der Meldepflicht von 38,5 0 C.
die Zahl der sogen. Wochenbettfieberfälle allerdings statistisch
wachsen wird; aber dementsprechend wächst auch die Sicherheit
der Wöchnerinnen, die doch wohl höher zu rechnen ist, als eine
tote Zahl. —
Anderseits ist der Name „Wochenbettfieber“ bei Aerzten
und Laien arg verhasst. Es wird sich aber leichter machen,
Wochenbettfieber und Fieber im Wochenbett. 336
wenn man nur vom „Fieber im Wochenbett“, d«s stets den „Ver¬
dacht“ in sich trägt, bei Meldungen spricht. Wir wissen endlich,
wie Dr. Baumm mit Recht hervorhebt, ja nur zu gut, dass die
Diagnose „ Wochenbettfieber“ in den ersten 3 X 24 Stunden nicht
leicht ist. Leider stirbt nun aber oft die Wöchnerin in dieser Zeit
und hat den Zweifel in der Diagnose beseitigt, wie in den oben
zitierten Fällen. Solange soll es aber nach dem Vorschläge Dr.
Baamms der Hebamme freistehen, mit ihrer Meldung an den
Kreisarzt zu warten, oder einen Arzt herbeizuziehen. Bleibt der
Hebamme es solange überlassen, zu melden, so werden sich solche
Fälle wie oben mit weiterer Uebertragung häufen, und es wäre
statt eines besseren, ein viel trauriger Zustand die Folge davon.
Melden die Hebammen aber nur „Fieber im Wochenbett“ dem
Kreisärzte bei 38,5° C., indem sie zugleich auf das Holen eines
Arztes dringen, und das ist mein Vorschlag, so kämen sie aus
der Zwitterstellung zwischen Arzt und Kreisarzt heraus und hätten
mit der Anzeige nicht auf den Ausspruch des behandelnden
Arztes zu warten, der sich erfahrungsgemäss nicht gern dazu
entschliesst, bei einer Temperatur von 38,5° C. „Verdacht auf
Wochenbettfieber“ zu melden.
Der Ansicht, dass Beunruhigungen der Wöchnerinnen und der
Familien hervorgerufen werden, wenn die Hebammen bei Tempe-
ratursteigeruugen, und sei es erst bei 38,5 °, jetzt gezwungen sind
(nach Dr. Baumm tun sie es aber klugerweise nicht), einen Arzt
zu rufen, kann ich nicht beistimmen. Man muss sehr auf dem
Standpunkte der „Naturheilmethodisten“ stehen, um so etwas zu
glauben. Kinder schreckt man wohl mit dem „Onkel Doktor“,
aber Erwachsene, denen man vernünftig auseinandersetzt, um was
es sich handelt, werden dadurch nicht beunruhigt. Wie oft werden
Aerzte bei Kleinigkeiten gerufen; hier handelt es sich doch
niemals um eine Kleinigkeit, sondern stets um das Wohl und Wehe
ganzer Familien.
Meine Entgegnung fasse ich in der Weise zusammen:
1. Die offenbaren Mängel des Hebammenlehrbuches müssen
beseitigt werden.
2. Die Ministerialverfügung vom 22. November 1888 sollte
insofern ergänzt werden, dass die Hebammen unabhängig von dem
Ausspruche des Arztes jeden Fall von Fieber im Wochenbett,
wenn die Temperatur 38,5° C. erreicht, als „wochenbettfieber¬
verdächtig“ dem Kreisärzte zu melden haben, mit der gleichzei¬
tigen Verpflichtung, auf die Herbeiholung eines Arztes bei den
Angehörigen der Wöchnerin zu dringen.
3. Es würde die Disziplin, welche der Kreisarzt über die
Hebammen ausüben soll, völlig untergraben, wenn diese willkürlich
darüber entscheiden sollten, welcher Fall von Fieber im Wochen¬
bett „wochenbettfieberverdächtig“ ist und welcher nicht; diese
Befugnis würde auch die Grenzen überschreiten, die ihnen durch
ihre Vorbildung gewiesen sind.
4. Es ist im Interesse des Hebammenstandes, dass die Lehrer
an Hebammenlehranstalten das Verhältnis der Hebammen zu ihrem
336
Dr. Romeick: Zar Karbol wasserfrage.
Vorgesetztem Eireisarzte nicht dadurch trüben, dass sie ihnen
andere Lehren einprägen, als im Hebammenlehrbuch stehen und
dieselben bei gerichtlichen Terminen vertreten.
5. Bei den Meldungen kann der Name „Wochenbettfieber“
durch „Fieber im Wochenbett“ ersetzt werden.
Zur Karbolwasserfrage.
Von Kreisarzt Dr. Romeick in Mohrnngen.
Die Ansicht des Herrn Landgerichtsarztes Dr. Kühn-
Frankenthal (in Nr. 8 dieser Zeitschrift, S. 319), dass Karbolsäure
nach dem Bundesratsbeschluss vom 13. Mai 1896 zum äusseren
Gebrauch (Wundbehandlung) in den Apotheken ohne Anweisung
eines Arztes selbst in konzentrierter Lösung abgegeben, und dass
daher auch nach §. 1, Abs. 2 der Kaiserlichen Verordnung vom
22. Oktober 1901 Karbolwasser als Heilmittel ausserhalb der
Apotheken feilgehalten und verkauft werden darf, sofern es nicht
mehr als 3 °/o Karbolsäure enthält, also nicht unter die Be¬
stimmungen über den Verkehr mit Gift fällt, — diese Ansicht ist
vollkommen richtig. Eben diese tatsächlich bestehenden gesetz¬
lichen Bestimmungen habe ich in meiner kleinen Mitteilung (in
Nr. 4 dieser Zeitschrift, S. 124) aus Anlass einer in meiner Praxis
vorgekommenen Fingerkarbolgangrän bei einem Erwachsenen be¬
leuchten und als einer Aenderung dringend bedürftig hinstellen
wollen. Ich sagte: „Karbolwasser wird leider vom Volke als
Hausmittel bei allen blutigen Verletzungen verwendet. Leider
darf es sowohl in den Apotheken, als auch ausserhalb der Apo¬
theken zu Desinfektionszwecken abgegeben werden; nur wenn die
Lösung stärker als 3% ist, unterliegt ihre Abgabe den Be¬
stimmungen über den Verkehr mit Giften.“ Ich meinte damit
nicht, dass Karbolwasser ausserhalb der Apotheken nur zu Des¬
infektionszwecken ausserhalb des menschlichen Körpers abgegeben
werden darf, wiewohl ich Herrn Kollegen Kühn zugebe, dass
meine Fassung zu diesem Missverständnisse Anlass gab. Der
Zusatz „zu Desinfektionszwecken“ sollte nur bedeuten: „da es
Desinfektionsmittel ist und als solches unter Abs. 2 des §. 1 der
Kaiserlichen Verordnung vom 22. Oktober 1901 fällt. Zu meiner
Freude ist das, was ich mit meiner Mitteilung bezweckte, von
Herrn Kollegen Cohn-Heydekrug in der letzten Versammlung
der Medizinalbeamten des Heg. - Bez. Gumbinnen klar und präzise
ausgesprochen. In dem Referate darüber heisst es in Nr. 6 dieser
Zeitschrift, S. 249: „Zum Schluss berichtet er über seine Er¬
fahrungen mit Karbol wasser, namentlich über Schädigungen nach
laienhaftem Gebrauch desselben, die häufig zu Gangrän der Glieder
und umfangreichen Gewebszerstörungen führen. De lege ferenda
verlangt er, dass die Karbolsäure ganz dem freien Verkehr ent¬
zogen und denjenigen Mitteln angereiht werde, welche nur auf
ein von einem Arzte, Tierarzte oder Zahnarzte ausgefertigtes Re¬
zept vom Apotheker verabfolgt werden dürfen.“ Diesem Verlangen
ichliesse ich mich voll und ganz an. Nur so kann dieses tief
Dr. Müller: Die Post als Vermittlerin der Weiterverbreitung; u. s. w. 337
eingebürgerte schädliche Hausmittel beseitigt und durch die un¬
schädlichen Wundwasser, wie essigsaure Thonerde, Bleiwasser
u. s. w. ersetzt werden.
Die Post als Vermittlerin bei der Weiterverbreitung von
Krankheiten.
Von Med.-Bat Dr. Rieb. Müller, Physikus a. D. in Ohrdruf.
Zu dem Artikel in Nr. 2 dieser Zeitschrift kann ich
einen bezüglichen Fall mitteilen. Vor einer Keihe von Jahren,
als ich noch Physikus des Kreises Ohrdruf war, gab es nirgends
Scharlach in demselben; nur in Manebach am entferntesten Ende
desselben, 28 km von hier, herrschte er stark. Auf einmal er¬
krankte das Töchterchen unseres Superintendenten hier, der zu¬
gleich Schulinspektor für Manebach ist, an Scharlach. — Ich
konnte mir zunächst die Herkunft des vereinzelten Falles nicht
erklären, aber bei näherem Nachfragen, wobei ich erwähnte, dass
nur von Manebach Scharlach angemeldet sei, stellte sich heraus,
dass ca. 8 Tage vor Erkrankung der Kleinen, ein Lehrer in
Manebach seinem Inspektor, dem Vater meiner Patientin, brieflich
gemeldet hatte: „sein eigenes Kind sei schwer an Scharlach er¬
krankt, er müsse deshalb den Unterricht in der Schule aufgeben a .
Diesen Brief hatte meine Patientin, wie der Vater sich genau
entsann, von der Post abgeholt (mit sonstigen Postsachen P). —
Nun war mir die Infektionsquelle klar. Mathematisch beweisen
lässt sich so etwas freilich nicht, aber ich hege darüber keinen
Zweifel. — Die Patientin, welche nur leicht erkrankte, wurde
isoliert; es ist dann kein Fall weiter hier vorgekommen. Es
scheint als ob bei solchen indirekten Uebertragungen die Infektion
nur leichtere Erkrankungen verursacht.
Kurze Mitteilung über eine neue Form der Bleivergiftung.
Von Dr. Schrakamp, Stadtarzt in Düsseldorf.
Gegen Ende vorigen Jahres machte Deffernez 1 ) darauf
aufmerksam, dass in Marmorschleifereien bei den Arbeitern häufig
Bleivergiftung vorkäme, was bisher anscheinend nicht bekannt,
jedenfalls aber in der Literatur nirgendwo beschrieben war. —
Um festzustellen, ob und wie weit seine Angaben richtig sind,
wurden die grösseren hiesigen Marmorschleifereien besichtigt und
das Personal derselben, soweit dieses während des Betriebes und
in den Werkstätten möglich ist, auf etwa sich vorfindender Symp¬
tome von Bleiintoxikation untersucht. Das Ergebnis war über¬
raschend; denn bei einem sehr grossen Teile der älteren Arbeiter,
mehrfach auch schon bei jüngeren Leuten, die erst ein Jahr oder
wenig mehr in der Schleiferei beschäftigt waren, fanden sich die
charakteristischen Erscheinungen der chronischen Bleiintoxikation
*) Contribution & 1’ 6tude du saturnisme professionell. Cas d’ into^
ettion dans les marbreries.“ Mouvement hygi&niqne; 1902, Nr. 11.
338
Aas Versammlungen und Vereinen.
am Zahnfleische. Der pathognostische graue Saum am Rande des
Zahnfleisches war deutlich ausgeprägt, das Zahnfleisch selbst war
vielfach gelockert, aufgetrieben und am Rande geschwttrig zer¬
fallen. Dabei war häufig das Gebiss, wenigstens bei den älteren
Arbeitern, auffallend unregelmässig und defekt. — Das Eintreten
jener charakteristischen Symptome des Saturnismus ist leicht er¬
klärlich. Die Politur wird hergestellt durch Verreiben einer
Mischung von Wachs, Alaun, Schwefelblüte und fein zerkleinertem
Blei, welche der Arbeiter je nach Bedürfnis und dem jeweiligen
Zwecke entsprechend an einem durchfeuchteten Tampon von Filz
oder dergl. nimmt. Die Hand kommt auf diese Weise dauernd
in Berührung mit jener Masse, und ist es möglich, dass vielleicht
so die Bleiteilchen in die Poren der Haut eindringen. — Wahr¬
scheinlicher ist aber wohl die Einführung per os. Sind doch die
Hände der Arbeiter, ihre Kleider, allerlei Gebrauchsgegenstände,
wie z. B. die Tabakspfeife, natürlich auch alle von ihnen mit den
beschmutzten Händen berührten und in den Arbeitspausen ge¬
nossenen Nahrungsmittel stets beschmutzt mit dem Schleifschlamme.
Das Blei findet also bei den Manipulationen des täglichen Lebens
reichlich Gelegenheit, in den Mund und den Verdauungstraktus
einzudringen. — Möglich wäre auch die Aufnahme durch die
Respiration, da stets wesentliche Mengen des Schleifschlammes
verspritzen, auftrocknen und als Staub in die Luft gelangen.
Es wird sich nun fragen, wie jene Bleivergiftungen sich
vermeiden lassen. Das einfachste wäre natürlich, wenn das Blei
bei dem Polierverfahren durch einen anderen, unschädlichen Stoff
ersetzt werden könnte. Dieses ist aber anscheinend nicht möglich;
denn die Fabrikanten sagen, dass kein anderer Stoff den „fetten* 1
Glanz hervorbringt, wie das kaufende Publikum ihn bei den Mar¬
morartikeln wünscht. — Einige Wirkung könnte es vielleicht
haben, wenn man dem Tampon einen Stiel oder Griff gäbe, um
die Berührung von Hand und Schleifmasse zu verhindern. — Am
zweckmässigsten wird es aber sein, wenn die bekannten Vorsichts-
massregeln, wie sie bei der übrigen Industrie, welche Blei oder
Bleipräparate verwendet, üblich sind (Auswahl von Arbeitern mit
gesundem Gebiss, besondere Arbeitskleidung, Verbot im Arbeits¬
raume zu essen, reichliche Waschgelegenheit, Zahnbürsten etc.),
auch auf die Marmorschleifereien ausgedehnt werden.
Aut Versammlungen und Vereinen.
Konferenx der Medizinal beamten des Reg-Bes. Coblena
am 10. Dezember 1902 tm Sitzungssaal der Königlichen
Regierang za Coblenz.
Anwesend: Begierangspr&sident Freiherr ▼. Hövel, Begierangsassessor
Haber als Vertreter des Herrn Oberprlsidenten, Reg.-Bat Dombois, Beg.-
Bat 8asse, Beg.-and Banrat Siebert. Generalarzt Dr. Ti mann, Korpsant
des VIIL Armeekorps, stellvertretender Beg. and Med.-Bat Dr. Finger, die
Kreisärzte: Geh. Med.-Bat Dr. Falkenbach-Mayen, Geh. Med. - Bat An»
Hinan er-Kreasnacb, Geh. Med.-Bat Dr. Kohlmann-Bemagen, Geh. ^
Bat Dr. Meder-Altenkirehen, Geh. Med.-Bat Dr. Schnls-Coblv
Med.-Bat Dr. Höchst-Wetzlar, Med.-Bat Dr. Albert-Meisen!
I
Aas Versammlungen und Vereinen.
339
Bat Dr. Michels-Adenau, Dr. Balzar-Heddesdorf, Dr. Klingeltöfer-
Boppard, Dr. Köppe-Zell, Dr. Thiele'Kochern, die Kreisassistenzärzte:
Dr. B rann-Wetzlar, Dr. Kirchgässer- Coblenz, ferner Geb. Med.-Bat
Dr. Borges, Kreisarzt a. D.-Boppard, Kreiswandarzt z. D. Dr. Mayer-
Simmern, and die pro physioata geprüften Dr. Vollmer-Kreasnach and
Dr. Bodenbaeh-Coblenz.
Der stellvertretende Reg.- and Medisinalrat eröffn et e am 10 l /* Uhr die
Sitzung, begrflsste die Gäste and widmete dem seit der letzten Tagung ans
dem Amte geschiedenen and als Gast anwesenden Geh. Med.-Bat Dr. Borges
ans Boppard warme Worte der Anerkennung.
Zam ersten Punkte der Tagesordnung:
I. Ueber die Wasserversorgung im linksrheinischen Teile des
Regierungsbezirks Coblenz referiert Kreisarzt Dr. L e m b k e - Simmern.
Aas Anlass der diesjährigen Manöver im linksrheinischen Teile des
Reg.-Bes. Coblenz waren alle diejenigen Orte, welche mit Militär belegt werden
sollten, seitens der Kreisärzte besichtigt nnd besonders den Trinkwasserver-
sorgnngsanlagen in diesen Orten eingehende Beachtung geschenkt worden. In
dem linksrheinischen Gebiet mit über 388000 Einwohnern fanden insgesamt in
454 Orten mit zusammen 309 810 Einwohnern Ortsbesichtignngen statt. Diese
Orte verteilen sich ziemlich gleichmässig über die Höhe des Hunsrücks and der
Eifel und die Täler des Rheins, der Mosel, Nahe und Ahr. 82 Orte haben
Zentral Wasserleitung, 184 Orte sind mit Laufbrunneu ausgestattet, d. h. mit
Hoehquellenleitung ohne HausanBchlüsse. Der Rest der Orte ist ausschliesslich
auf Brunnen angewiesen. Durch Zentralwasserleitungen wird etwa die Hälfte
der Bevölkerung, durch Laufbrunnen und gewöhnliche Brunnen etwa */« der
Bevölkerung und durch Brunnen allein etwa ebenfalls ‘/* der Bevölkerung mit
Trinkwasser versorgt. Von den mit Zentralwasserleitung versehenen Orten
haben 61 Hoohquellenleitung, 7 Orte Quellenleitnng mit Pumpbetrieb, 1 Ort
Quellenleitung, bei der das Wasser durch eine Kr ober sehe Hebemaschine in
das Hochreservoir gehoben wird; Grundwasserpnmpbetrieb haben 11 Orte,
welche sämtlich in den Flusstälern gelegen sind; 6 dieser Orte besitzen ausser¬
dem noch eine Hochquelle, welche direkt in das Hochreservoir geleitet ist.
Eine gemeinsame Leitung für 2 Orte findet sich viermal und 2 getrennte
Leitungen in einem Orte zweimal.
Die Laufbrunnen bestehen z. T. nur ans einfacher Quellenfassung und
Leitung bis zum Dorf, z. T. haben sie gute BrunnenBtuben und Sammelbassins
und kommen an Wert den Zentralwasserleitungen gleich. Einzelne Lauf-
brunnen sind Ueberlaufleitungen aus höher gelegenen Schachtbrunnen des Ortes,
sodass die Brunnenstuben derselben gleichzeitig als Zieh- oder Schöpfbrunnen
dienen.
Brunnen sind in den untersuchten Orten 11668 vorhanden, davon 28
Abessinier; die übrigen sind Schacht- oder Kesselbrunnen und zwar 5971 Pump-
braunen und 5664 Ziehbrunnen. Unter den letzteren ist eine grosse Zahl so¬
genannter Schöpfbrunnen. Im Süden des Bezirks an der Nahe und am Rhein
herrschen die Pumpbrunnen vor, ebenso in der Eifel mit Ausnahme des Kreises
Adenau. Auf dem Hunsrück und seinen Abhängen sind vorwiegend Ziehbrunnen
im Gebrauch. Auf 100 Einwohner kommen im Durchschnitt 7 bis 8 Brunnen.
In einzelnen Kreisen, z. B. Meisenheim und Ahrweiler, sinkt der Durchschnitt
auf 5 bis 6 besw. 8 bis 4 Brunnen.
Folgende Missstände worden gefunden: Einige der Zentralwasserleitungen
waren durch Meteorwässer verunreinigt und führten nach Regen trübes Wasser.
Bei den Lanfbrunnen waren derartige Verunreinigungen noch häufiger. Es kam
dies meistens von der schlechten Quellfassung nnd weil Qaellen benutzt waren,
die nur oberflächliches Grundwasser führten. Auch lag das Quellgebiet
mancher Lanfbrunnen inmitten bebauter Plätze. Bei den Brnnnen worden
häufig die 8chächte undicht nnd schlecht verschlossen gefunden. Auf Grnnd
der Besichtigung wurden 595 Brunnen (auch Lanfbrunnen) polizeilich ge¬
schlossen und 2627 mit einer Warnungstafel „kein Trinkwasser“ versehen. Im
Durchschnitt wurden fast 28°/ 0 für unbrauchbar erklärt. Die Hanptnrsachen
für die Ausschlieseung so vieler Brunnen war einmal die schlechte Beschaffen¬
heit der Brunnen, dann aber die Verjanchnng des Untergrundes der Ortschaften.
Zur Besserung der Verhältnisse wurden folgende Vorschläge gemacht
340
Aus Versammlungen and Vereinen.
1. Eine strenge, geregelte Beaufsichtigung der Anlagen gemäss der
Dienstanweisung für die Kreisärzte. Zur Durehfflhrung der Beaufsichtigung
sind Brunnenkat&ster und fttr die Leitungen Pläne und Zeichnungen, sowie
genaue Beschreibungen erforderlich. Die bei der Besichtigung unbrauchbar
gefundenen Anlagen sind der freien Benutzung su entziehen, um die Bevölke¬
rung zur Herstellung besserer Anlagen zu veranlassen.
2. Die Errichtung von neuen, einwandsfreien Trinkwasserversorgungs*
anlagen und in erster Linie von Wasserleitungen.
Um den Bau von Wasserleitungen zu fordern, ist auf die Bevölkerung
andauernd belehrend und anfklärend einzuwirken, ferner darauf su halten, dass
nur gute Leitungen gebaut werden, damit die benachbarten Gemeinden ver¬
anlasst werden, dem gegebenen Beispiel zu folgen. Etwa in Aussicht gestellte
Beihftlfen des Staates und der Provinz sind den Gemeinden nicht direkt zu
ttbergeben, sondern zur Anfertigung von Plänen und Kostenanschlägen Aber
die fttr den betreffenden Ort zweckmässigste Wasserleitung nnd zur Anstellung
von Spezialtechnikern zu verwenden, welche die Pläne entwerfen nnd später
die Bauausftthrnng fiberwachen. Btthmend hervorzubeben ist hier die Regie-
rungsVerfügung vom Januar d. J., welche die Mitwirkung des Kreisarztes beim
Bau neuer Anlagen sichert, deren Ueberwachnng regelt, und bestimmt, dass
mit dem Bau neuer Anlagen nicht eher begonnen werden darf, als bis das
Projekt und dessen Begutachtung durch den Kreisarzt nnd Kreisbanbeamten
regierungsseitig geprüft ist. Bei der Neuanlage von Pumpbrunnen, denn nur
solche sind nach der Baupolizeiverordnung gestattet, ist ein Bangesucb einzu¬
reichen, das Angaben Ober den Untergrund, wie über die Lage und Entfernung
des Brunnens von Düngerhaufen enthalten muss und vom Kreisarzt zu prüfen
ist. Ferner sind aus Staats- oder Provinzialmitteln Lehrkurse fttr Brunnenbauer
einzurichten nnd fttr diese der Befähigungsnachweis su fordern.
3. Ausbesserung der vorhandenen Anlagen gemäss den bei den Ortsbe¬
sichtigungen festgestellten Ausstellungen.
Diese Ausbesserungen laufen darauf hinaus, die Brunnenschächte zu
diohten und die SchmutzBtoffe aus der Nähe der Anlagen zu entfernen.
Diskussion.
Der Regierungspräsident dankte dem Referenten fttr den ebenso
gründlichen wie interessanten Vortrag und wies darauf hin, dass die ge¬
schilderten Missstände dadurch hervorgerufen seien, dass in den sehr alten
Ortschaften im Laufe der Zeiten der Boden, aus dem das Wasser geschöpft
werde, stark durchseucht sei. Die Verhältnisse würden noch bedeutend
schlechter sein, wenn die Ortschaften stärker bevölkert und nicht so günstig
gelegen wären, wie dies bei einem grossen Teil der Fall sei. Die vorhandenen
Missstände seien der Regierung wohl bekannt und schon lange mit Aufmerk¬
samkeit verfolgt worden. Da man es fast durchweg mit einer recht armen
Bevölkerung zu tun habe, welche auf eigene Kosten keine Wasserleitung bauen
und unterhalten könne, und der es oft sogar unmöglich sei, Wassergeld zu
zahlen, so mttsse der Staat helfend eingreifen, nnd zwar hätten neben dem
Staat die Provinz und der Kreis sich in die Beihilfen zu teilen.
Die Kreisärzte, die sehr viel geleistet nnd grossen Fleiss und Sachkennt¬
nis an den Tag gelegt haben, dürften bei der Anregung zu Wasserleitungs¬
bauten die Geldfrage nicht ausser acht lassen und sich mit dem Erreichbaren
begnügen. Der Vortragende habe die Verfflgung vom 7. Januar 1902, welche
die Prüfung eines jeden Wasserleitungsprojektes genau vorschreibt, besonders
hervorgehoben. Demgegenüber wolle er nicht unerwähnt lassen, dass anch
früher schon die, Projekte geprüft worden Beien, wenn auch vielfach nicht mit
der Gründlichkeit, welche durch die neue Verfügung vorgeschrieben werde.
Betreffs der Zieh- und Schöpfbrunnen müsse er erklären, dass sie zu grossen
Missständen führten; aber auch hier solle man langsam Vorgehen, wennschon
es nicht zweckmässig sei, einen Brunnen, der nachweisbar verunreinigt ist,
deshalb nicht schliessen zu wollen, weil kein Wasserersatz zu schaffen sei.
Nach seiner Erfahrung sei die Beschaffung immer noch möglich gewesen. In¬
folge der zahlreichen methodischen Brunnenuntersuchnngen durch die Kreisärzte
seien bereits viele Missstände aufgedeckt und beseitigt worden; er rechne
darauf, dass durch die Arbeit der Kreisärzte die Bessergestaltung der Wasser-
ve rsorgungsverhältnisse stetig weiter fortschreiten werde.
Aas Versammlungen und Vereinen.
841
Der Vorsitzende gibt in Ergänzung des Vortrages einen Ueberbliek
über die Wasserleitungen und Lanfbrunnen im Regierungsbezirk auf Grund
der gemlss Ministerialerlasses vom 25. September 1902 vorgenommenen Unter-
suchungen. Danach befinden sich in 235 Ortschaften mit zusammen 342752
Einwohnern (= 49,99 °/ 0 der Gesamteinwohnerzahl des Bezirks) Wasserleitungen
mit Hausanseblttssen, und in weiteren 152') Ortschaften mit zusammen 61566
Einwohnern (= 8,96 % der Gesamteinwohnerzahl) Lanfbrunnen bezw. Wasser¬
leitungen mit Druck Ständern. Ausserdem sind zur Zeit 11 Wasserleitungen
im Bau begriffen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist demnach im Be¬
sitze von zentralen Wasserversorgnngsanlagen. Wieviel anf diesem Gebiete
besonders in der letzten Zeit geleistet worden, erhellt daraus, dass allein in
den letzten fflnf Jahren (1898 bis 1902) 87 Wasserleitungen mit Hausan-
schlflssen, d. s. mehr als */* der sämtlichen Wasserleitungen des Bezirks, mit
einem Kostenaufwand von 3110808 Mark erbaut worden sind.
Vollmer erwähnt einige besondere Missstände bei Laufbrunnen, die er
gelegentlich der Wasseruntersuchnngen angetroffen, und wirft die Frage auf,
ob das Verbot der Wasserentnahme bei verseuchten Brunnen auch dann auf¬
recht zu erhalten sei, wenn daB Wasser nicht zum Trinken benutzt werde.
Der Regierungspräsident erklärt die Schliessung schlechter
Brunnen ffir das beste und zuverlässigste, will in Ausnahmefällen jedoch den
Gebrauch des Wassers zu wirtschaftlichen Zwecken zugelassen wissen.
Kirchgässer schildert die Art und Weise, wie er bei seinen Brunnen-
untersuchungen sich ein Urteil Aber die Qualität des Wassers rasch zu schaffen
suchte. Er legt den Hauptwert auf die Ortsbesichtigung und näcbBtdem auf
das Aussehen des Wassers, er empfiehlt bei Prüfung des Aussehens Vergleich
mit benachbarten Brunnen. Ferner berichtet er, wie das vorher klare Wasser
eines Brunnens, nachdem eine benachbarte alte Dungstätte mit angeblich vor-
schriftsmässig hergestellten undurchlässigen Wänden neu versehen worden war,
plötzlich durch Jauchebeimengung getrübt wurde.
Der Regierungspräsident weist auf die Fehler hin, die bei dieser
Anlage offensichtlich begangen wurden und erklärt, dass ihm dies Veranlassung
gäbe, auf die sorgsame Durchführung dieses Punktes erneut hinsuwirken.
Lern bk e bemerkt, dass das Aussehen des Wassers keinen Schluss auf
dessen Reinheit gestatte; selbst klares Wasser könne mit Jauche verunreinigt
sein. Er legt den Hauptwert bei Wasseruntersuchungen neben der Ortsbesich¬
tigung und der Prüfung des Aussehens des Wassers auf die Untersuchungen
auf Chlor und Ammoniak, was an Ort und Stelle rasch und leicht ausführbar sei.
Generalarzt Dr. Ti mann: Nach seiner Erfahrung über die Brunnen-
Verhältnisse der Eifel, die er gelegentlich der Untersuchungen bei der grossen
Typhnsepidemie in Elsenborn gemacht habe, haben die Brunnen sämtlich zwei
allerdings nicht immer vermeidbare Fehler; sie seien nicht tief genug und nicht
seitlich gedichtet. Er habe sich durch praktische Versuche in Elsenborn über¬
zeugt, dass die Brunnen infolge der geologischen Formation nicht tiefer als 2
bis 3 m gegraben werden dürfen, weil nur bis zu dieser Tiefe der Schiefer
verwittert sei und Wasser führe, und dass die Brunnen nicht seitlich gedichtet
sein dürfen, weil sie sonst kein Wasser liefern. Er hält deshalb den Bau von
Wasserleitungen für das beste.
Nach einem kurzen Schlusswort des Vorsitzenden erhält Kreisassistenz¬
arzt Dr. Kirchgässer das Wort zu Punkt 2 der Tagesordnung:
II. Znr Regelung der Desinfektion.
Nach einleitenden statistischen Mitteilungen über die Typhusfrequenz
und die Gesamtmortalität an Infektionskrankheiten im Besirk, gibt Vortragender
einen kurzen Ueberbliek über den derzeitigen Stand des Desinfektionswesens
im Reg.-Bez. Coblenz. Es sind 20 Dampfdesinfektionsapparate vorhanden, von
welchen 18 bei der kürzlich stattgehabten Prüfung Milzbrandsporen abgetötet
haben. Mit Ausnahme der beiden unzureichenden Apparate befinden sich sämt¬
liche Apparate in Krankenanstalten, die Hälfte hat mehr als 1 cbm, 7 mehr als
2 cbm Rauminhalt. Eine vollständige, vorschriftsmässig mit getrennter Zu-
und Abfuhr eingerichtete Desinfektionsanstalt ist im Bezirk nicht vorhanden;
*) Der Unterschied zwischen der von dem Referenten angegebenen Zahl
(vergl. 8. 389) erklärt sich daraus, dass hier nur diejenigen Lanfbrunnen gezählt
worden sind, welche an Wert den Wasserleitungen gleichkommen.
342
Atu Versammlungen and Vereinen.
bei den grosseren Apparaten Hesse sich aber eine solche Einrichtnng ohne all-
zngrosse Kosten herstellen. Ausserdem sind 11 Formalin - Desinfektionsschränke
(Zaiser-Stuttgart) und 10 andere Formalinapparate im Besitz von Gemeinden
und Öffentlichen Krankenhäusern. Die Ausbildung von Desinfektoren ist im
ganzen Bezirke im Gange; einzelne Kreise haben bereits theoretisch und prak¬
tisch ausgebildete Desinfektoren. In einigen Kreisen sind die Kreisärzte aber
bei der Beschaffung der Mittel für die Ausbildung und Ausrüstung der Desin¬
fektoren bereits auf Schwierigkeiten gestossen, und fast überall drobt die Bege-
lung des Desinfektionswesens an den laufenden Kosten für Chemikaüen und
Gebühren der Desinfektoren zu scheitern.
Diese Regelung bedarf deshalb dringend einer gesetzliehen
Grundlage, die die MOglicbheit gewährt, die Auslagen für die Desinfektion
(an Desinfektionsmitteln und Arbeitslohn) von den Beteiligten wieder einzu-
ziehen. Vortragender macht den Vorschlag, diese Schwierigkeiten durch Erlass
einer Regiernngspoliseiverordnung zn beseitigen und gibt unter Vorlage des
betreffenden Entwurfs einen kurzen Ueberblick Uber ähnliche in einzelnen Re¬
gierungsbezirken bereits geltende Bestimmungen. In Düsseldorf besteht
ein Desinfektionszwang in dem erwähnten Umfang bereits seit 1887. Trier
hat unter Aufstellung bestimmter Grundsätze den Kreisen die selbständige
Regelung des Desinfektionswesens überlassen. In Arnsberg ist durch Re-
giernngspoUzeiverordnung verfügt, dass die Ausführung der von der Ortspolisei-
behOrde im Einzelfalle zu erlassenden Anweisungen zur Desinfektion von Des¬
infektoren überwacht werden soll. Minden hat eine Regierungspolizeiver-
Ordnung, die in musterhaft ausgearbeiteten Anlagen sehr eingehende
Bestimmungen Uber die Ausführung der gesamten Desinfektion und über die
Desinfektoren selbst enthält. Erwähnt wird auch der kürzlich erschienene Be¬
richt von Czaplewski-Cöln über die Ergebnisse der Wohnungsdesinfektion
mit Formaldehyd in Cöln.
Trotz der grossen Schwierigkeit aus den bestehenden Gesetzen und Ver¬
ordnungen eine rechtliche Grundlage für eine solche Regiernngspolizeiverord-
nung zu gewinnen, hofft Vortragender doch, dass es auch im Regierungsbezirk
Coblenz möglich sein werde, einen Desinfektionszwang einzuführen. Vor allem
sei erforderlich, die massgebenden Stellen darüber anfznklären, dass erspriess-
liehe Fortschritte in der Bekämpfung der Infektionskrankheiten mit einer
zweckmässigen Regelung des Desinfektionswesens unzertrennlich verknüpft
sind. Solange kein Desinfektionszwang besteht, solange vor jeder Desinfektion
erst verhandelt werden muss, wer die Kosten zu tragen sich bereit erklärt,
liegt die Befürchtung nabe, dass die Unsicherheit der Existenzbedingungen alle
wirklich brauchbaren Elemente von dem Desinfektorenberuf zurückhält. Ander¬
seits können unzuverlässige, minderwertige Desinfektoren gar zu leicht das
ganze Desinfektionswesen nicht nur unbeliebt im Publikum, sondern geradezu
fruchtlos und trügerisch machen. Mit der Zuverlässigkeit der Desinfektoren
steht und fällt der praktische Wert der Desinfektion an sich.
Es würde zu weit führen, den ganzen vorgelegten Entwurf einer Re-
gierungspolizeiverordnung, betr. Verhaltnngs- und Entsenchungsvorscbriften bei
Erkrankungen an ansteckenden Krankheiten, mit den Anlagen hier mitzuteilen.
Der Entwurf besteht aus der Polizeiverordnnng, welche in dem Hauptpara¬
graphen die Haushaltungsvorstände pp. verpflichtet:
a) zur Isolierung von ansteckenden Kranken bezw. zur Ueberführung in
ein Krankenhaus,
b) zur Desinfektion während des Bestehens der Krankheit,
c) zur Desinfektion bei Beendigung der Krankheit (Genesung oder Tod)
und bei Wohnungswechsel.
Die Desinfektion ad c hat dnrch amtlich bestellte Desinfek¬
toren zu erfolgen. Die technische Anweisung zur Desinfektion wird in zwei
Anlagen gegeben; der Regierungspräsident ist befugt, diese Anweisung im
einzelnen abzuändern. Die weiteren Paragraphen bestimmen, bei welchen
Krankheiten die Vorschriften ($. 1, a, b, c) gelten, inwieweit bei bestimmten
Krankheiten Beschränkung des Verkehrs mit Nahrungs- und Genussmitteln ein-
zutreten hat, wie der Schulbesuch kranker Kinder und deren Geschwister, .die
Ueberführung ansteckender Kranker, die Besckränknngen bei Leichenfeiern u.sw.
zu handhaben sind. Um eine Kontrole nnd Beschleunigung der Desinfektion
bei Beendigung der Krankheit und bei Wohnungswechsel zu ermöglichen, wird
Am Versammlungen and Vereinen.
343
die Anseige jedes Falles von Genesnng, Tod and Wohnungswechsel hei den
genannten Krankheiten den Haushaltangsvorständen auferlegt.
Anlage 1 gibt ausführliche Desinfektionsvorschriften für die Angehörigen
der Kranken; sie soll in jedem Falle den Haushaltungsvorständen unentgeltlich
ausgehändigt werden.
Anlage 2 enthält die Desinfektorenordnung, bestehend ans 1. den Be¬
stimmungen Uber Ausbildung, Prüfung, Anstellung, dienstliche Tätigkeit, Be¬
aufsichtigung und Gebühren der Desinfektoren und über Hilfsdesinfektoren,
2. den Vorschriften für die Desinfektoren nur Ausführung der Wohnungsdesinfektion.
Was die Auswahl geeigneter Leute und die Ausbildung von Desinfek¬
toren betrifft, so tritt Vortragender warm dafür ein, nur möglichst gut quali¬
fizierte Leute zur Ausbildung suzulassen. Die Bewerber haben eine Vorprüfung
abzulegen, ähnlich wie die Hebammenschülerinnen. Die theoretische Ausbildung
leitet ein Kreisarzt des Bezirks; die praktische Ausbildung geschieht an einer
Öffentlichen Desinfektionsanstalt. Die Gesuche um Zulassung zur Prüfung sind
an den Regierungspräsidenten zu richten. Die Prüfungskommission besteht aus
dem Regierungs- und Medizinalrat, dem Kreisarzt, der die theoretische Aus¬
bildung geleitet hat, und dem Vorstand der Öffentlichen Desinfektionsanstalt,
an welcher die praktische Ausbildung stattgefunden bat.
Die Anstellung erfolgt durch die Ortspolizeibehörde.
Ein Desinfektor kann für mehrere Bürgermeistereien bestellt werden.
Die Beaufsichtigung erfolgt durch den Kreisarzt. Die Desinfektoren sind dem
Kreisarzt ebenso unterstellt wie die Hebammen. Die Desinfektoren erhalten
einen Desinfektion^wagen, für dessen Instandhaltung sie ein jährliches Gehalt
von etwa 150 Mark beziehen. Für die Ausführung der Desinfektionen erhalten
sie Tagegelder und Reisekosten aus der Gemeindekasse; letztere zieht die baren
Auslagen von den zur Desinfektion Verpflichteten wieder ein.
Der Desinfektor wird also vollständig unabhängig vom Publikum ge¬
stellt; er soll zwar bescheiden, aber nötigenfalls mit Entschiedenheit auf der
genauesten Befolgung seiner Dienstvorschriften bestehen.
Was die Zahl der Desinfektoren betrifft, so wird es sich schon aus Er-
sparoisrüoksiohten empfehlen, möglichst wenige anzustellen, etwa 1 bis 8 für
jeden Kreis.
Bei Ausführung von Scheuerdesinfektionen können dem Desinfektor ein
oder mehrere Hilfsdesinfektoren beigegeben werden.
Zu Hilfsdesinfektoren eignen sich besonders ältere Franen (Wasch-,
Patsfrauen), deren Ausbildung auf das notwendigste beschränkt werden kann,
da sie niemals selbständig desinfizieren. Sie erhalten einen Anzng und arbeiten
im Stundenlohn. Der Desinfektor ist dafür verantwortlich, dass vorschrifts-
mlssig verfahren wird.
Zum Schluss ging Vortragender auf die Formalindesinfektion und die
Formalinapparate mit wenigen Worten ein. Es ist bei der Ausrüstung der
Desinfektoren nicht ausschliesslich auf das Modell der Verdampfungs - Apparate
Gewicht zu legen, sondern vor allem auch auf eine kompendiös* und leicht
transportable (am besten fahrbare) Zusammenstellnng aller zur Desinfektion
erforderlichen Gerätschaften und Chemikalien. Nach dem Vorschlag von
Czaplewski wird empfohlen. Räume bis zu 50 cbm mit 500 g Formalinlösung
(40 %), bis zu 75 cbm mit 750 g, bis 100 mit 1000 u. s. w. zu desinfizieren.
Es leuchtet ohne weiteres ein, dass die Summe aller zu desinfizierenden Ober¬
flächen eines kleinen Krankenzimmers nicht ausschliesslich von den Wandflächen
abhängig zu machen sei. Im übrigen sei hier auf die Darstellung von Cnä¬
sle wski verwiesen. Im Anschluss an den Vortrag wurden die gebräueh-
lichsten Formalinverdampfangsapparate, die die Firma G Ötz-Coblenz an (ge¬
stellt hatte, sowie der Trierer Desinfektionswagen und Desinfektions-Tornister
von Apotheker Göbel-Wittlich demonstriert.
Diskussion.
Der Vorsitzende stattet dem Vortragenden den Dank der Versamm¬
lung für den anregenden und eingehenden Vortrag ab und führt aus, dass die
Desinfektionsfrage darum auf die Tagesordnung gesetzt worden sei, weil die
Kreisärzte sämtlich überzeugt seien, dass die notwendigen Desinfektionen zur
Zeit nicht so ausgeführt werden können, wie es dem heutigen Stande der
Wissenschaft entspräche, und dass deshalb das dringendste Bedürfnis vorhanden
sei, eine Einrichtung zu treffen, die es ermögliche, den Widerstand der Be«
344
Aas Versammlungen and Vereinen.
völkerung and mancher lokalen Behörden gegen die Errichtung von Desin¬
fektionsanstalten nnd die Anstellung aasgebildeter Desinfektoren in überwinden.
Reg.-Rat Dombois erklärt, die Frage der Desinfektion würde in dem
sa erwartenden prenssisehen Senchengesetz wohl eine nene gesetzliche Grnnd-
lage erhalten, doch könne auf diesem Oebiete inzwischen wohl weiter gearbeitet
werden, etwa wie im Kreise Neuwied, namentlich wenn auf den Inhalt des
Entwurfes za dem erwähnten Gesetze Rücksicht genommen würde.
Balsar hält eine Polizeiverordnnng für unerlässlich, schon allein nm
die Frage der Kostenzahlung zu regeln.
Reg. - Rat Dombois erwidert, dass die Kostenfrage durch die Polizei-
verordnung nur insoweit geregelt werden könne, als sie sich auf jetzt geltende
gesetzliche Bestimmungen stützt. Das alte Regulativ enthalte diesbezügliche
Bestimmungen nicht. Die Sicherheit des Rechtsbodens werde erst daroh das
za erwartende Seuchengesetz geschaffen.
Bezüglich der Anstellung von ausgebildeten Desinfektoren hält Köppe
die Anstellung von nur wenigen Desinfektoren in einem Kreise für das
beste, bezweifelt aber, dass Handwerker geeignet seien, weil dieselben ent¬
weder tüchtig sind und dann in ihrem Handwerk genügend za tun haben,
oder aber nichts leisten, und dann auch als Desinfektoren unbrauchbar sind.
Höohst ist gleichfalls für die Anstellung nur weniger Desinfektoren
für einen Kreis.
Baizar gibt einen kurzen Ueberblick über die Art, wie er in seinem
Kreise die Desinfektion geregelt habe.
Der Vorsitzende empfiehlt dem Beispiel des Kreises Neuwied
za folgen.
Za Zankt 3 der Tagesordnung „Verschiedenes“ folgt eine Reihe kurzer
Mitteilungen seitens des Vorsitzenden and die Erörterung mehrerer von den
Kreisärzten aufgeworfenen Fragen.
Gegen */*3 Uhr wird die Versammlung geschlossen. Ein gemeinsames
Mittagsmahl in der städtischen Festhalle hielt alsdann die Kollegen in fröh¬
lichster Stimmang zusammen. Dr. Baizar-Neuwied.
Bericht über die 15. ordentliche Versammlung;
des mecklenburgischen Medizinalbeamtenvereins am
87. November 1908, Machmittags 8*/* Uhr in Rostock,
Bostocker Bof.
Anwesend sind die Kreisphysiker DrDr.: San.-Rat Elf eldt-Gadebnsoh,
Gflnther-Hagenow, Med.-Rat H ave mann-Dobbertin, Ob.-Med.-Rat Lesen -
berg-Rostock, Med.-Rat Mozer-Malchin, San.-Rat Stephan-Dargun, Med.-
Rat Renter-Güstrow, Med.-Rat Unrnh-Wismar, San.-Rat Viereck-
Ladwigslnst, San.-Rat Wilhelmi-Schwerin und Prof. Dr. Peters-Rostock
als Gast.
I. Prof. Dr. Peters hält, einer Bitte des Vereinsvorstandes nach¬
kommend, einen längeren Vortrag über Trachom und beleuchtet später auf
Anfrage aus der Versammlung die zur Bekämpfung dieser immer häufiger aus
dem Osten nach Mecklenburg eingeschleppten Krankheit erforderlichen Mass¬
nahmen, worauf ihm der Vorsitzende den Dank des Vereins für seine inter¬
essanten und lehrreichen Auseinandersetzungen ansspricbt. Der Vortrag ist
abgedrackt in der Münchener med. Wochenschrift; 1903, Nr. 3.
n. Dr. Malert, am Erscheinen in heutiger Versammlung behindert,
lässt seinen angemeldeten Vortrag über Ordnung nnd Vervollständigung
der Kreisphysikatsakten zur Verlesung bringen. Da in Waren aus der
Amtszeit seiner Vorgänger manche Aktenstücke auch in den General-Akten
fehlen, und vermutlich, auch bei anderen Physikaten Lücken hierin vorhanden
sind, schlägt er Vergleichung und Vervollständigung der einzelnen Abteilangen
der Generalakten sämtlicher Pbysikate nach einander vor.
Die Versammlung hielt es hinsichtlich der Akten-Einteilung nicht für
zweckmässig, ein einheitliches Schema einzuführen, glaubte vielmehr es dem
Einzelnen überlassen zu müssen, diese Einteilung nach eigenem Ermessen zu
treffen. Auch ein Bedürfnis nach Vervollständigung der Generalakten wurde
allerseits nicht als dringlich empfunden: man glaubte vielmehr, dass jeder bei
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 345
etwaigen Mängeln in seinem Aktenbestande sich die ihm fehlenden Ver¬
fügungen etc. abschriftsweise yon Kollegen verschaffen könne.
III. Geschäftsbericht. Vorstandswahl. Die nächste ordentliche
Versammlung soll im Herbst 1903 wieder in Rostock stattfinden; für die
Frühlingsversammlung 1903 sind Waren nnd Schwerin vorgeschlagen; man will
jedoch die Wahl dem Vorstande überlassen. Die Jahresrechnnng wird
von 2 Mitgliedern geprüft and richtig befanden, worauf dem Schriftführer Ent¬
lastung erteilt wird. Der Jahresbeitrag wird auf 8 Mark (für das Vereinsjahr
1902/03) feBtgestellt, und hierauf in der Vorstands wähl Dr. Lesenberg
sum Vorsitzenden und Dr. Havemann zum stellvertretenden Vorsitzenden
wiedergewählt, während an Stelle des bisherigen Schriftführers, der gebeten
hatte, von seiner Wiederwahl abzusehen, Stadtpfaysikas Dr. Dugge-Rostock
zum Schriftführer gewählt wird.
IV. Dr. Wilhelmi berichtet dann kurz übereine tötlicheHerzstich¬
verletzung aus seiner gerichtsärztiichen Praxis, bei welcher eine Verletzung
der Brustfellhöhlen nicht mit erfolgt war.
V. Dr. Lesen borg demonstriert einen Menschenschädel, welcher in
der sog. Dreiwallskahle za Rostock aufgefunden worden war. Der Herr Erste
Staatsanwalt verlangte Beantwortung nachfolgender Prägen:
1. Wie alt ist der Schädel?
2. Gehört er einem Manne oder einer Frau an?
8. Lässt er Verletzungen erkennen?
4. Wie lange hat er im Wasser gelegen?
Die Fragen wurden an der Hand des Aufsatzes von C. Toldt, die Knochen in
gerichtsärstlicher Beziehung (Maschkas Handbuch der gerichtlichen Medizin,
3. Bd.), so gut es gehen wollte, beantwortet. Vermutlich handelte es sich um
einen etwa bei einer Strassenaufgrabung gefundenen Schädel, welcher als
unverwertbar jenem Gewässer übergeben wurde.
Dr. Vier eck-Ludwigslust.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliohe Medizin und Psychiatrie.
Gutachten über eine Untersuchung, betreffend Identifizierung
aufgefundener halb verbrannter Knochen. Von Dr. C. Strauch. Viertel¬
jahrsschrift f. gerichtl. Medizin u. öffentl. Sanitätswesen; m. Folge, XXV. Bd.,
1. Heft, S. 6.
Verfasser konnte an einer Reihe Knochenresten, welche dem Berliner
gerichtsärztlichen Institut vom Untersuchungsrichter behufs Untersuchung über¬
geben waren, feststellen, dass dieselben höchstwahrscheinlich einem reifen oder
nahezu reifen menschlichen Neugeborenen angehört hatten und dass sie hohen
Hitzegraden ausgeBetzt worden waren. Die Zugehörigkeit zu einem „mensch¬
lichen“ Neugeborenen liess sich aus der Form der vorliegenden Knochenreste
erweisen, welche Teile des linken und rechten Stirnbeins waren. Anhaltspunkte
für das Frachtalter wurden aus vergleichenden Messungen an Sammlungs¬
präparaten gewonnen. Die Einwirkung hoher Hitzegrade liess sich endlich
daraus schliesBen, dass die Darstellung Teichm annscher Krystalle aus den
anhaftenden Blutpartikeln nicht gelang und die Blutreste sich nicht mehr in
konzentrierter Cyankalilösung, wohl aber noch in konzentrierter Schwefelsäure
lösten, zugleich aber an den Knochen mikroskopisch Kohlenpartikeln naobge-
wiesen werden konnten. Dr. Ziemke-Halle.
Die Blutdichte als Zeichen des Ertrinkungstodes. Von Dr.
Placzeek. Ibidem; 8. 13.
Die Frage, ob beim Ertrinkungstod ein Uebsrgang der Ertrinkungs-
flüssigkeit in das Blut erfolgt, beantwortet Verfasser auf Grund pyknometrischer
Untersuchungen in positivem Sinne. Zur Bestimmung des spezifischen Gewichts
des Blutes wurde die Hammerschlagsche Chloroform-Benzol-Methode
benutzt. Dieses Resultat stimmt mit den von andern Forschern mittels der
Kryoskopie gewonnenen Ergebnissen überein. Dr. Ziemke-Halle.
346
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
(Jeher Gefrierpunkts-Bestimmungen von Leichenflftssigkelten
und deren Verwertung zur Bestimmung des Zeitpunkts des eingetre¬
tenen Todes. Von L>r. Bevenstorf. Ibidem; S. 26.
Die Bestimmung des Zeitpunktes des eingetretenen Todes kann forensisch
ausserordentlich bedeutungsvoll sein. Die hierfür vorhandenen Methoden sind
unvollkommen und ermöglichen nur eine approximative Zeitbestimmung. Ver¬
fasser hat die LOsung des Problems mit Hilfe von Gefrierpunktsbestimmungen
an KOrperflüssigkeiten versucht. Die molekulare Konzentration des Blotes ist
während des Lebens konstant, sie sinkt nach dem Tode. Bei niedriger kon¬
stanter Temperatur sinkt der Gefrierpunkt der KOrperflOssigkeiten fast absolut
gleiohm&ssig, bei wechselnder Temperatur ist das Sinken beschleunigt, wenn
auf niedere Temperaturen üOhere folgen, im nmgekehrten Falle ist es verlang¬
samt. Unter Verwertung dieses gesetzm&ssigen Verhaltens bat Verfasser an
einer Beihe von Leichen die Zeit des eingetretenen Todes bestimmt, und teil¬
weise eine bis auf die Stunde genaue Uebereinstimmnng mit dem in den Polizei-
Akten verseiohneten Termin erreicht. Dr. Ziemke-Halle.
Beiderseitige Ophthalmologia interna, hervorgerufen durch Ex-
tractum Secalls cornuti. Von Dr. Schneider, Augenarzt in Magdeburg.
Ein 30 jähriger Werkmeister konnte des Morgens mit einem starken Kon¬
vexglase nur noch einigermassen lesen. Das Sehen in die Ferne ging nicht ganz
gut, nur sahen alle Gegenstände feuerrot und merkwürdig verzerrt aus. Gegen
Mittag warde das Lesen langsam besser, bis gegen 4 Uhr waren alle Be¬
schwerden an den Augen verschwunden. Ausserdem litt er an Schwindel, Ohn-
maehtserscheinungen, Mattigkeit und Zittern in den Gliedern.
Objektiv fand Verfasser mit -|- 0,6 sphär. volle Sehschärfe bestehend;
die Papillen fast maximal erweitert, jedoch auf Beleuchtung und Konvergenz
reagierend; Akkomodationsbreite = 2 Dioptrien; äussere Augenmuskeln intakt;
Augenspiegelbefand normal.
Es handelt sich also um eine beiderseitige typische Ophthalmoplegia
interna, wobei das Botsehen nicht als eine Folge der Blendung durch die sehr
stark erweiterten Papillen aufzafassen ist.
Per exclusionem aller möglichen Ursachen kam Verfasser zur Annahme
einer Intoxikation und da stellte sich heraus, dass Patient seit einiger Zeit
täglich zweimal, abends und früh nüchtern 0,2 Extractum Secalis cornuti zu
sich nahm. Bei den ersten 10 Palvern hatte er nur etwas Zittern in den
Gliedern gespürt, nach 16 Palvern bekam er die auffälligen Allgemeiner¬
scheinungen und Augensyroptome. Nach Aussetzen des Mittels verschwanden
diese Erscheinungen.
Praktisch ist der Fall dadurch bemerkenswert, dass bei einer Dosis von
2 Mal täglioh 0,2 Extractum Secal. cornut. derartig schwere Intoxikations-
ersoheinungen sich einstellten.
Da die Ansichten über die Dosierung des Mittels noch verschieden sind
und das Extractum Secal. oornut. in der Pharmacopoea germanica nicht in der
Maximaldosentabelle enthalten ist, fordert der angeführte Erkranknngsfall zur
Vorsicht in der Dosierung auf; insbesondere hüte man sich, das
Mittel zu lange hintereinander zu geben.
Dr. Waibel-Kempten.
Zwei Fälle schwerer Otitis media acuta durch „Schneeberger 11 .
Von Ohrenarzt Dr. Schroeder in Hamburg-Barmbeck. Münchener medizin.
Wochenschrift; 1902, Nr. 47.
Verfasser teilt im Anschlüsse an zwei Fälle, welche vor einer Beihe von
Jahren von Kessel und Haag als stürmisch akute Ohraffektionen, durch
Schnupftabak verursacht, veröffentlicht wurden, zwei weitere Fälle mit, welche
daroh eine Prise , Schnee berget“ akute Entzündungen des Mittelohrs mit
Trommelfellperforation zur Folge hatten.
Der thüringische Schneeberger, der meist hier zu Verkauf gestellt wird,
besteht der Hauptsache nach aus Bhisoma Iridis und enthält neben anderen
Substanzen einen nicht unwesentlichen und für diese beiden Fälle sicher zu
beschuldigenden Teil von Bhisoma Veratri.
Wenn man bedenkt, wie bei mancher chronischen Nasopharyngitis mit
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 347
atrophischer Tendenz der Nasenrachenraum Oberaus weit ist, sodass hin und
wieder sogar die klaffende Tnbe za sehen ist, wenn man ferner berücksichtigt,
mit welcher elementaren Gewalt manchmal die Prise in die Nase geschlendert
wird, so mass man sich wandern, dass anf diesem Wege akate Otitis nicht viel
h&afiger entsteht.
Das Aofsohnapfen des „Schneebergers“ aas vergnüglicher Spielerei, wie
es die Schaljagend häufig betreibt, ist durchaus zu verwerfen.
_ Dr. Waibel-Kempten.
Intoxikationspsychose nach Injektion yon Jodoform in die Blase.
Von Dr. Hans Schwerin in Berlin. Deatsche Medizinal'Zeitung; 1903,
Nr. 10 und 11.
Verfasser gibt zunächst einen Ueberblick Ober die Geschichte des Jodo¬
forms, um dann auf den vorliegenden Fall zu sprechen za kommen: Ein bis
dahin geistesgesnnder, 66 jähriger Mann bat im Laufe von 8 Tagen wegen einer
starken Cystitis Jodoform — höchstens 12 g — in die Blase injiziert erhalten.
Es stellte sich eine akute halluzinatorische Verwirrtheit ein, die als postope-
rative Jodoformpsychose aufzufassen ist. Das klinische Bild der Psychose ent¬
sprach ganz den Schilderungen, die anch andere Autoren von der Jodoform¬
psychose entwerfen, und vor allen Dingen hörte anch mit der völligen geistigen
Genesung des Patienten die Jodausscheidung im Urin auf; übrigens war das
Jod ausschliesslich in organischer Bindung vorhanden.
Verfasser bespricht sodann die eigentlichen Ursachen der Jodoformintoxi-
kation und kommt weiterhin durch Vergleiche zu dem Schlüsse, dass im vor¬
liegenden Falle durchaus nur eine Durchschnittsmenge von Jodoform verabreicht
sei. Aber die lokalen Verhältnisse der Applikationsstelle und das Alter des
Patienten haben das Eintreten der Vergiftung erleichtert, ob eine individuelle
Disposition bestanden habe, bleibe dahingestellt.
Das Besultat der Erfahrung sei das Bestreben, die Grösse der anzu¬
wendenden Jodoformdosen herabzusetzen. Dr. Hoff mann -Elberfeld.
Hypnose vor Gericht. Von Dr. Job. Lougard. Vierteljahrsschrift
fflr gericbtl. Medizin u. öffentl. Sanitätswesen; HI. Folge, XXV. Bd., 1. H., S. 48.
Verfasser hat in dem Aufsehen erregenden Fall des Kurpfuschers
M. in Köln ein Gutachten abgegeben. Dieser nannte sich Magnetopath
und hatte in AnsObang seines Berufes ein 20 jähriges Mädchen, das sich wegen
schlechter Augen in seine Behandlung gegeben hatte, mehrmals geschlechtlich
gebraucht, nachdem er sie hypnotisiert hatte. Verfasser bejahte die ihm vom
Gericht vorgelegte Frage, ob die Vergewaltigte sich in einem willenlosen Zu¬
stand befanden habe. Er ist nicht der Ansicht, dass es durch die Hypnose
gelingt, einen Menschen in einen völlig bewusstlosen Zustand zu versetzen;
auch im vorliegenden Fall war von einem solchen keine Rede, wie die Er¬
zählungen der Missbrauchten beweisen. Wohl aber war sie willenlos, da sie
sich in einem somnolenten Zustand befand, der nicht znliess, dass sie mit freiem
Willen der Absicht des M., den sexuellen Rapport herbeiznführen, ent¬
gegentrat. Die Geschworenen nahmen einen durch Hypnose hervorgerufenen
willenlosen Zustand zur Zeit des Beischlafs nicht an nnd hielten den Ange¬
klagten nnr der tätlichen Beleidigung für schuldig. Dr. Ziemke-Halle.
Die Psychosen der Landstreicher. Von Karl Wilmanns. Zentral¬
blatt für Nervenheilkunde und Psychiatrie. Dezember 1902.
Das Material, ans dem der Verfasser seine Beobachtungen Ober das
Vagabondentnm herleitet, besteht ans 120 Fällen, die aus dem badischen
polizeilichen Arbeitshause aus Kislau als Kranke der Heidelberger Irrenanstalt
sageführt worden. Bei den 12 Franen dieser Gruppe war das Betteln und
Landstreichen mit gewerbsmässiger Unzucht verbanden. Die 120 Landstreicher
waren schon Jahre nnd Jahrzehnte lang Landstreicher, und nur 22 von ihnen
hatten noch keine Korrektionsbaft verbttsst. Die Zahl der Vorstrafen belief
sieh in einzelnen Fällen auf 100. Möglichst eingehend wurde das Vorleben
festgestellt. Der unkomplizierte chronische Alkoholismus findet sich nur selten
unter den Vagabunden; nur in 7 Fällen bestanden reine psychische Alterationen
auf Grund der Basis von Alkoholismus; meist war die Trunksucht bei den
348
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
Landstreichern nnr eine Begleiterscheinung anderer erworbener and ange¬
borener Defektzustände. Das Versinken des Trinkers ins Stromertum voll¬
zieht sich meist ganz allmählich. Die grösste Zahl der Landstreicher liefert
die Imbezillität, and zwar ist hier der Intelligenzdefekt an and für sich nicht
das wichtigste Moment für die antisoziale Lebensführung vieler Imbezillen;
daher wird aaoh der anergethische, gleichgültige Imbezille seltener zom pro¬
fessionellen Stromer als der erethische Imbezille, der durch krankhaft ge¬
steigerte Unruhe, Unbeständigkeit, Widerspenstigkeit, sittliche Unfähigkeit
sich aaszeichnet, sowie darch seine kriminellen Neigungen. Er steht dem
Gewohnheitsverbrecher sehr nahe. Aehnlich verhalten sich manche Hyste¬
riker unter den Vagabunden. — Mitunter ist der krankhafte Wandertrieb wie
die Reiselust eine Begleiterscheinung anderer psychopathischer Znstände, so
der leichten Manie, der Dementia paralytica, der Dementia praecox. In 9
Fällen lagen zirkuläre Geistesstörungen vor, in denen sowohl die Depressionen,
wie namentlich die Exaltationszastände oft selbst von Sachverständigen ver¬
kannt worden; aach auf Laien machen diese leichteren bypermanischen Stadien
oft nicht den Eindruck des Pathologischen. Ebenso kann die demente Form
der Paralyse gelegentlich zu triebartiger Unruhe und planlosem Umherirren
führen. Zahlreich ist die Epilepsie unter den Vagabonden vertreten, und zwar
weniger wegen der Krampfanfälle und des Schwachsinns, als durch die viel¬
fachen Verstimmungen, Angstzustände u. s. w. Nicht selten tritt periodisch
ein unwiderstehlicher Impuls zum plötzlichen Davonlaufen und ziellosem Wan¬
dern auf, auch ohne jedes Unlustgefühl und ohne Angst (Döterminisme, Peri¬
manie, Dromomanie, Automatisme ambulatoire). Dabei braucht nicht immer
starke Benommenheit oder ein Bewusstseinsdefekt vorhanden zu sein. Wäh¬
rend Bonhöffer die Epilepsie in nahezu der Fälle bei den grossstädtischen
Bettlern fand, waren hier unter 120 Landstreichern 19 Epileptiker.
Die unter Dementia praecox (Hebephrenie, Katatonie u. s. w.) zusammen-
gefasste Gruppe Btellt nicht weniger als 66 Individuen unter 120. W. teilt
sie in drei Gruppen. Erstens solche, die nach gesundem Vorleben zwischen
dem 20.—30. Jahre von einer schweren akuten Psychose befallen wurden und
naoh deren unvollkommener Heilung in Schwachsinn und in die Landstreicherei
geraten. Die zweite Gruppe bildeten ebenfalls ursprünglich soziale Elemente,
die sich ohne ausgesprochene geistige Störung den unsteten, unregelmässigen
Lebenswandel angewöhnen und zu Landstreichern werden. Erst im Laufe von
Monaten und Jahren naoh wiederholten Internierungen treten psychische Er¬
scheinungen oder manifester Schwachsinn klar zu Tage, so dass die Ueber-
führung in eine Irrenanstalt nötig wird. Die dritte Gruppe betrifft von
Haus aus pathologische Individuen, bei denen schon in früher Jugend sittliche
und intellektuelle Defekte sich zeigen und später nach zahlreichen Internierungen
und Strafen ausgeprägte Psychosen zu Tage treten. Leichte Zustände der
Dementia praecox sind häufiger, als man annimmt. Eine Veränderung des
Charakters, Gemüts, der geistigen Auffassung nach der Pubertät oder zur
Zeit derselben werden dann oft als Laune u. s. w. gedeutet, während der
langsame geistige Verfall oder das Stehenbleiben auf der gerade erreichten
Bildungsstufe dem Sachverständigen nicht entgehen; mitunter treten bypochon-
drale, neurasthenische, hysterische Znstände in den Vordergrund und verdecken
den geistigen Defekt, der mitunter progressiv zur Verblödung führt oder in
anderen Fällen bei mässigem Grade stehen bleibt und besonders die ethische
Seite betrifft. Hebephrenische und katatonische Zustände gesellen sich nicht
selten hinzu.
Demnach ist die Mannigfaltigkeit der physischen Störungen bei den
Landstreichern noch eine grössere, als bei den Gewohnheitsverbrechern. Bei
diesen überwiegt mehr die krankhafte, degenerierte Persönlichkeit, bei den Va¬
gabonden mehr der psychische Schwächezustand aus den verschiedensten Ur¬
sachen; Passivität, Willensschwäche und Intelligenzschwäche herrschen hier vor.
Dr. S. Kalisoher-Schlachtensee b. Berlin.
Krankhafte Eigenbeziehung und Beachtungswahn. Von Professor
Dr. A. Cramer in Göttingen. Sonderabdruck aus der Berliner klinischen
Wochenschrift; 1902.
Unter krankhafter Eigenbeziehung (Ne iss er) und Beachtungswahn
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
349
(Heynert) versteht man die Erscheinung, dass ein Mensch ohne erkennbare
inssere Veranlassung plötzlich oder allmählich seine Umgebung nur unter dem
Gesichtspunkte einer Beziehung auf sich selbst ansieht. Dabei wird das Beob¬
achten der Umgebung unter diesem Gesichtspunkte allmählich au einem inten¬
siven Studium, das die ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Schliesslich
gewinnt das kleinste Ereignis, z. B. das Fallen eines Blattes, wichtige Be¬
deutung und wird in Beziehung zur eigenen Person gebracht. Es handelt sich
also um eine Ueberschätsang der Bedeutung der Vorgänge in der Aussenwelt
für die eigene Person und damit auch um eine gewisse Urteilsschwäcbe. Die
krankhafte Eigenbeziehung muss nicht zu einer ausgesprochenen Psychose
fthren, sie kann zeitlebens stationär bleiben und kann auch heilen. Häufig
kommt sie als Einleitung zu paranoischen Zuständen vor. Jedoch tritt dieser
Symptomenkomplex auch bei transitorischen Bewusstseinsstörungen, bei der
Epilepsie, Hysterie, bei den psychischen Veränderungen nach Trauma, bei
peychischen Störungen auf degenerativem Boden, gelegentlich auch bei Schwer¬
hörigen und bei Leuten, welche an Schwindel leiden, vor. Unter normalen
Verhältnissen kommt sie ebenfalls vor: Es geht jemand auf der Strasse
spazieren, der einen auffallenden Fleck oder Defekt an seinem Anzug bat; in
den meisten Fällen kann er die Ueberzeugung nicht los werden, dass jeder auf
seinen Fleck auf der Hose oder auf sein Loch im Stiefel hinsieht. Das Ge¬
meinsame- aller dieser Erscheinungen ist ein Gefühl von Unsicherheit und
eigener Insuffizient, das durchaus nicht immer ganz bewusst zu sein braucht.
Krankhaft ist die Eigenbeziehung nur dann, wenn die äusseren Verhältnisse
keinen besonderen Grund zum Gefühl einer Insuffisienz geben.
_ Dr. Lewald-Obernigk.
Entwickelungsjahre und Gesetzgebung. Bede zur Feier des Geburts¬
tages des Kaisers und Königs am 27. Januar 1902, im Namen der Georgs-
August - Universität gehalten von Prof. Dr. A. Cr am er, Göttingen o. J.
Der Erlass vom 28. Oktober 1895 ermöglicht eine bedingte Begnadigung
und Strafaussetzung für bestimmte Arten der jugendlichen Verbrecher. Cr am er
begrüsst dieses neue Vorgehen im Strafvollzug mit Freuden. Er betont, dass
der Geisteszustand in den Entwickelungsjahren ausserordentlich schwankend
und labil ist, sodass ob nur eines geringen Anstosses bedarf, um das Gleich¬
gewicht zu stören. Er empfiehlt, dass die Altersgrenze für die Strafmündigkeit
möglichst hinaufgerückt wird; er hebt hervor, dass bei jugendlichen Verbrechern
und namentlich bei solchen unter 16 Jahren zu einer klaren, bestimmten und
definitiven Begutachtung häufig weit mehr Zeit erforderlich ist, als sie heute
nach dem Gesetze zur Verfügung steht. Dr. Lewald-Obernigk.
Die Seelenstörungen auf arteriosklerotischer Grundlage. Beferat,
erstattet in der Jahresversammlung des Vereins deutscher Irrenärzte am
14. April 1902 von Dr. Alzheimer-Frankfurt a. M. Allgemeine Zeitschrift
für Psychiatrie; 69. Bd., 6. H.
A., der sich bereits früher mit Untersuchungen über Arteriosklerose be¬
schäftigt hat, trennt etwa 6 verschiedene klinische Krankheitsbilder ab, die sich
auf der Basis dieses bereits von den Franzosen als pseudoparalyse gönörale
artritique (Klippel) bezeichneten Degenerationsprozesses ausbilden. Anatomisch
betrachtet, handelt es sich um vielfach überaus kleine Herde unvollkommener
Erweiohung in Folge allmählichen Gefässverschlusses und Gefässruptur. Es
ergaben sich nach Sitz und Intensität des anatomischen Prozesses sehr ver¬
schiedenartige Störungen: erstens leichte Nervosität mit schneller geistiger
Ermüdbarkeit, Gedächtnisschwäche, Stirnkopfschmerz und Schwindelanfällen.
Diese Krankheit setzt oft schon in den 40er Jahren ein, zeigt aber nicht den
von den Kranken oft befürchteten Uebergang in schwerere psychische Störungen.
Flimmern, Ohrensausen, Intoleranz gegen Alkohol und erhöhte Reizbarkeit sind
gleichfalls nicht seltene Begleiterscheinungen dieser Krankheit. Die zweite
schwerere Form der arteriosklerotischen Hirnatropbie beginnt mit Kopfschmerz
und Gedächtnisschwäche, sehr bald stellt sich eine Erschwerung der Auffassung
und Reproduktionsfähigkeit, sowie der Merkfähigkeit ein. Apathisches Ver¬
halten, schnelle Ermüdbarkeit mit reizbar-weinerlicher Stimmung ergänzen
das zu stumpfer Verblödung unter häufigen Schwankungen und gelegentlichen
350
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
halluzinatorischen Erregungsanfällen fortschreitende Krankheitsbild. Dabei
bleiben inselartige Erinnerungen aas früheren Zeiten oft auffallend lange er¬
halten, ebenso eine gewisse Krankheitseinsicht. Erstreckt sich der Prozess
statt auf die Hirnrinde mehr auf die Gefässe des tiefen Marklagers, so kommt
ein wesentlich anderer Prozess zu stände, der bereits von Binswanger als
Encephalitis subcorticalis chronica geschildert worden ist. Erschwerte Ge¬
dankenverbindung, Sprachstörungen sind hier die ersten Symptome, zu denen
sich sehr bald apoplektive Insulte, epileptische Anfälle mit Erregungs- and
Verwirrtheitszuständen hinzugesellen. Ueberhaupt stehen motorische Ausfalls¬
erscheinungen im Vordergründe (Paresen, Aphasie). Die Krankheit schreitet an
den höchsten Graden der Verblödung fort, in der der Kranke nach dem
Worte Binswangers einem grosshirnlosen Versuchstiere gleicht. Auch
hier erhält sich längere Zeit eine gewisse Krankheitseinsicht, während der Zu¬
stand hochgradigster Verblödung jahrelang fortbestehen kann. Eine gewisse
Aehnlichkeit hat das Bild mit der atypischen Paralyse (Li ss an er) und ge¬
wissen senilen Psychosen mit Herderscheinungen. Als weitere Formen nennt
A. die senile Bindenverödung und die perivaskuläre Gliose, beide ausgezeichnet
durah langsame Entwicklung von Ausfallserscheinungen, leichte apoplektiforme
Anfälle mit häufigem Wechsel der Erscheinungen. A. weist darauf hin, dass
sowohl anatomisch wie klinisch eine Abgrenzung der verschiedenen Verblödungs-
prozesse möglich sei, eine für die Diagnostik höchst wichtige Frage.
Dr. P o 11 i t z - Münster.
Die chirurgischen Erscheinungen der genuinen Epilepsie. Von
Prof. Hermann Fischer. Archiv f. Psych.; 86. Bd., H. 2.
Aus dem reichen Inhalte der mühevollen Arbeit eines unserer erfahren¬
sten Meister and Lehrer der Chirurgie sei gerichtlich-medizinisch hervor-
gehoben:
Epileptische Anfälle können hervorrnfen: 1. alle Erscheinungen von
Hämatomen, doch können Blutungen subkutan und innerlich auch Gefäss-
blutungen Vorkommen; 2. Muskelzerreissungen (namentlich des Kopfnicken);
3. Nervenlähmungen; 4. Wunden (auch Abszesse an Ohren, Nase, Fingern,
Zehen); 5. Bisswunden, — in Wahlgarten fand Verfasser bei etwa der Hälfte der
Epileptiker (und bekanntlich werden sie für viel signifikanter gehalten, lief.)
Zungenbisse; 6. Verbrennungen; 7. Knochenbrüche (unter 1030 Untersuchten
in 8,1 °/ t sämtlicher Verletzungen), darunter solche der Basis und duroh
Muskelzag entstanden (s. T. wird „Knochenbrüchigkeit bei manchen Epi¬
leptikern" als begünstigend angenommen); 8. Luxationen; 9. Erstickung;
10. Hernien.
Die Folgerungen für die Beurteilung von Verletzungen bei unbekannten
Leichen, bei Personen, deren Aussagen wertlos oder zu beanstanden sind
(Kinder, Geisteskranke, Simulanten), sowie die Fingerzeige für einen Rückschluss
von den Verletzungen auf Epilepsie, ferner die merkwürdige Tatsache, dass
die Anfälle nach Verletzungen oft auffallend lange zessieren (Vorsicht in bezug
auf Nichtbestehen von Epilepsie bei nicht genügend langer Beobachtung) er¬
geben sich von selbst.
Das Studium der Abhandlung wird jedem Gerichtsarst angelegentlichst
empfohlen. _ Dr. Kornfeld-Glelwitz.
Ueber Ziele und Erfolge der Familienpflege Geisteskranker, nebst
Vorschlägen für eine Abänderung des bisher in Berlin angewendeten
Systems. Von Dr. E. Nawratzki-Dalldorf. Allgmeine Zeitschrift für
Psychiatrie; 1902, 59. Bd., IV. H.
Aus den aktuellen Ausführungen des Verfassers, die in erster Linie als
Bericht an die Berliner städtischen Armenverwaltungen dienten, können hier
nur einige Daten allgemeinen Interesses Erwähnung finden. Man kann mit
Moeli drei Formen der Familienpflege unterscheiden: 1. solche ohne jede An¬
stalt, 2. Familienpflege, die sioh um eine kleine Zentralanstalt gruppiert, 8. eine
solche, die sich an eine grosse Zentrale anschliesst.
Die letztere Methode ist für die Berliner Anstalten eingeführt. Es er¬
scheint nicht ohne Interesse, dass die Zahl der Pflegestellen und der Gesuche
um Zuweisung eines Pfleglings sehr bedeutend ist. Nachdem der Kranke auf
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 351
Grand eines Kontraktes dem Pfleger fibergeben ist, untersteht er noch der
weiteren Kontrolle der Irrenanstalt, die ihn durch ihren Arst in jedem
Monat ein Mal zam mindesten besuchen lässt Von 1893—1897 sind nach der
Zusammenstellung des Verfassers 671 Kranke in 822 Fällen in Pflege gegeben
worden. Von diesen litten 39,29 °/ 0 an chronischem Alkoholismus, 16 «/ 0 an De-
mentia paralytica, 12°/ 0 an Epilepsie. 36,6 °/ 0 kehrten wieder zur Anstalt
znrfick, während 6 °/, in andere Anstalten überwiesen wurden. Auch die weib¬
lichen Pfleglinge bieten kein günstigeres Bild. In dem genannten Zeiträume
waren 431 Frauen 517 Mal in Pflege gegeben, unter diesen sind fast alle
Formen psychischer Störungen vertreten. 35,4 °/ 0 gelangten in die eigene
Anstalt, 5,42 °/o in andere Anstalten zurück, es sind ferner 19 Kranke ent¬
wichen, 3 geschwängert und 2 durch Selbstmord umgekommen.
Dieses im Ganzen wohl wenig befriedigende Ergebniss findet, wie
Verfasser betont, seine Erklärung in dem Umstande, dass es sich in vielen
Fällen um einen Versuch handelt, mit dessen Fehlschlagen stets zu rechnen
ist. Unter den Krankheitsformen erwiesen sich die Schwachsinnszustände, be¬
sonders diejenigen seniler Natur am geeignetsten, am ungünstigsten zeigte sich
das Verhältniss bei den Alkoholisten. Zum Schluss empfiehlt Verfasser eine
Reihe sehr beachtenswerther Reformen: 1. Abtrennung der Familienpflege von
der Anstalt, 2. Angliederung an die Armendirektion oder die Deputation ffir
die Irrenpflege, 3. Unterstellung der Pflege unter einen Bpezialistisch ansge¬
bildeten selbständigen Arzt, unter dessen Aufsicht die Pfleglings bis zur
endgültigen Entlassung bleiben. _ Dr. Po 11 itz-Münster.
B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- nnd Invaliditäts-
Bachen.
Ueber die Begutachtung der Unterleibsbrüche. Von Prof. Sultan
in Güttingen. Münchener mediz. Wochenschr.; 1903, Nr. 5.
Unter Anlage eines Leistenbruches verstehen wir zwei ganz verschiedene
Zustände: einmal das Vorhandensein eines leeren Brustsackes, der angeboren
als offen gebliebener Processus vaginalis peritonei bestehen geblieben ist, zwei¬
tens müssen wir auch als Bruchanlage eine gewisse Schlaffheit und Nachgibig-
keit des Leistenkanals in seiner ganzen Länge zusammen mit einer Ausbuchtung
des Peritoneums im Bereich des inneren Leistenrings bezeichnen. Diese Ver¬
schiedenheit der Bruchanlage ist anatomisch ganz interessant, ffir unsere
Untersuchungen ist aber dabei wenig gewonnen. Denn wir können die in
einem nicht verschlossenen Processus vaginalis bestehende Anlage nicht diagno¬
stizieren, da eich an keiner Stelle des Leistenkanals weder am äusseren, noch
viel weniger am inneren Leistenring die dicht aneinander liegenden Peritoneal¬
blätter als solche erkennen lassen.
Auch die zweite Art der Bruohanlage (die sog. „weiche Leiste“ Kochers)
ist nicht so ohne weiteres leicht zu erkennen; das Vorfinden eines weiten
äusseren Leistenringes allein wird mit Unrecht als Bruchanlage gehalten, da
von dem Verhalten des äusseren Leistenrings noch gar keine Schlosse auf den
inneren Leistenring, auf den es dabei doch hauptsächlich ankommt, gezogen
werden dürfen.
Man kann diese zweite Bruchdisposition klinisch nur daran erkennen,
dass die Gegend des Leistenkanales bei stärkeren Aktionen der Bauchfellpresse,
also beim Husten, Pressen u. s. w. sich zu einer umschriebenen, ovalen An¬
schwellung, mit Dehnung des inneren Leistenrings und Ausbuchtung des Peri¬
toneums vorwölbt, um beim Nachlassen des intraabdominalen Druckes sofort
wieder normale Verhältnisse darzubieten. Bleibt die Vorwölbung auch ohne
Bauchpresse bestehen, so haben wir keine Bruchanlage mehr, sondern einen Bruch.
Das Massgebende ffir die klinische Untersuchung einer Bruchanlage ist
also: die sicht- und fühlbare Hervorwölbung im Gebiete des Leistenkanals beim
Husten, Pressen u. s. w und das Zurfickgehen der Vorwölbung beim Aufhören
des intraabdominellen Druckes; Verhältnisse, die beim Stehen des zu Unter¬
suchenden weit deutlicher hervortreten als beim Liegen. Dabei wird häufig
beim Einführen eines Fingers ein weit offener Leistenkanal und ein Anprall
der Eingeweide konstatiert werden können, während die Enge oder Weite des
äusseren LeistenringeB allein bei der Beurteilung keine Rolle spielt.
Verfasser verbreitet sich ferner Aber Indikation and Resultat von Ra-
352 kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
dikaloperationen und kommt dann mir Begatachtnng der sog. UnterleibsbrÜehe,
wobei er bezüglich der Diagnose eines Unfallbruches so folgenden Schlusssätzen
kommt: Ein Unfallbrach darf nar angenommen werden:
1. wenn wirklich ein Unfall oder eine Ober das übliche Hass der Ar¬
beitsleistung hinaosgehende Anstrengung stattgefunden hat and zwar eine
solche, die geeignet war, den intraabdominalen Druck za erhöhen;
2. wenn aas den Ergebnissen der behördlichen Nachforschungen anzu-
nehmen ist, dass vorher ein Brach an dieser Stelle nicht bestanden hat;
3. wenn der angebliche Austritt des Braches mit sehr heftigen Schmerzen
verbunden war, die den Betroffenen zwangen, die Arbeit niederzulegen and
wenn der alsbald za Bat gezogene Arzt auch auf Drack heftige Schmerzem-
pfiadangen aaslösen kann;
4. wird ein Unfallbrach gewöhnlioh klein sein, sehr häufig noch inner¬
halb des Leistenkanals Bich befinden und nar ganz ausnahmsweise die Grösse
einer Zitrone übersteigen.
Die Folgen von Zerreissangen im Bereich des Leistenkanals lassen sich
nur selten darch Schwellang oder Blatergass schon ftasserlich erkennen. Nieht
verwendbar für die Beurteilung eines Unfallbraches ist das Vorhandensein
einer Brachanlage aach an anderer Stelle and die schwere oder leichte Re¬
parierbarkeit des Braches.
Selbstverständlich ist nnter den gleichen Voraussetzungen, wie sie für
die Entstehung des Leistenanfallbraches gelten, nach die traumatische Ent¬
stehung eines Schenkeibraohes möglich.
Zam Schiasse teilt Verfasser noch mit, dass von rassischen Israeliten
zwecks Befreiung vom Militärdienst mit einem Instrumente, das einem Hand-
schahweiter ähnlich ist, künstliche Leistenbrüche erzeugt werden sollen, dadurch,
dass der äassere Leistenring oder die Voiderwand des Leistenkanals Bnbkatan
eingerissen werden, wodurch sich eine dem Typus des direkten Lcistenbrnchs
entsprechende Brachform hervorrnfen lasse, die an der grossen Empfindlichkeit
bei der Untersuchung der Brachpforte and an der wulstig-narbigen Beschaffen¬
heit des anregelmässig zackigen äoseren Leistenringes za erkennen sei.
_ Dr. Waibei-Kempten.
Unfall und Leistenbruch. Kein ursächlicher Zusammenhang.
Rekurs-Entscheidung des Beiehs-Versicherangsamts vom
2. Oktober 1902. >)
Die Darlegangen des König!. Kreisarztes Dr. S. sind nicht geeignet, die
vom B. V. A. in zahlreichen Entscheidungen vertretene Auffassung über die
Entstehung der Leistenbrüche za erschüttern, die von zahlreichen ärztlichen
Autoritäten auf einschlägigem Gebiet geteilt wird. Der Schwere der ver¬
richteten Arbeit, bei welcher der Brachaastritt erfolgt ist, allein entscheidende
Bedeutung bei der Beantwortung der Frage beizulegen, ob es eich um einen
plötzlich entstandenen Leistenbrnch handelt, ist nicht angängig; eie ist ein
Faktor, bei dessen Fehlen die Annahme der plötzlichen Entstehung des Bruch-
leidens der Regel nach von vornherein ausgeschlossen erscheint, dessen Vor¬
handensein aber nicht ohne weiteres die gegen die plötzliche Entstehung der
Leistenbrüche sprechende starke Vermutung widerlegt.
Nach wissenschaftlicher Erfahrung vollsieht sich die krankhafte Er¬
weiterung der Bruchpforten, welche schliesslich zum Bruche führt, und ebenso
der Bruchaustritt in den weitaus meisten Fällen in allmählicher, zuweilen
jahrelanger Entwickelung, ohne Beschwerden zu verursachen oder überhaupt
wahrnehmbar zu sein. Hat die Entwickelung der Bruchanlage einen gewissen
Grad erreicht, so kann jede körperliche Kraftleistung, eine ganz leichte, täg-
lioh vorkommende Verrichtung ebenso gut wie eine aussergewöhnliche An¬
strengung, ja sogar blosses Husten und dergleichen, den Austritt des Bruches
herbeiführen. Die Entstehungsursache des Brachleidens ist in solchen Fällen
aber nicht diejenige Tätigkeit, bei welcher der Brach gerade zufällig austritt,
sondern die ihr vorhergegangene, allmähliche und deshalb unbemerkt gebliebene
*) Auch in dieser neuesten Entscheidung hält das Reichs-Versicherungs¬
amt an seinem bisherigen Standpunkt in Bezug auf den ursächlichen Zusammen¬
hang zwischen Unfall und Brachleiden fest.
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
363
Bildung and Entwickelung der Braehnnlnge. In solchen Fillen vollzieht sieh
der Brachaastritt schmerzlos oder ohne die Anzeichen einerschweren Erkrankung.
Anders liegt die Sache, wenn eine Brnehpforte von normaler Enge durch
Stoss oder ttbermlssige Anstrengung plötzlich and gewaltsam erweitert wird,
and nnr in einem solchen Falle ist es möglich, den Brach als verursacht durch
einen Unfall anzasehen. Eine solche gewaltsame Dehnung der Baaohdecken
und Hervordrängung der Eingeweide kann nach wissenschaftlicher Erfahrung
nicht vor sich gehen, ohne sohwere Krankheitserscheinungen, insbesondere
nahezu unerträgliche Schmerzen, Entzündungserseheinungen, häufig auch Ein¬
klemmungen hervorzurufen und sofortige ärztliche Hülfe erforderlich, körper¬
liche Kraftleistungen aber unmöglich zu machen.
Danach kann der Leistenbruch des Klägers nicht als Folge eines Un¬
falles, sondern muss als das Ergebnis einer allmählich krankhaften Entwickelung
angesehen werden. Denn einmal hat beim Kläger nach dem Gutachten des 8an.-
Bäte Dr. W. in BQckeburg vom 3. Dezbr. 1901 unzweifelhaft bereits eine Bruch-
anlage bestanden, als er den entgleisten Förderwagen einzusetzen versuchte;
dann hat er nach den Bekundungen der vernommenen Zeugen Aeusserungen
heftigster und unerträglichster Schmerzen nicht kundgegeben, die Arbeit über¬
haupt nicht unterbrochen, wenn ihm auch das Einheben des entgleisten Förder-
Wagens nicht mehr möglich gewesen ist, und ärztliche Hülfe erst nach einer
ganzen Anzahl von Tagen oder mehreren Wochen angerufen. Der Arzt hat
Bntzündungs- oder Einklemmungserscheinungen nicht festgestellt und die so¬
fortige Anlegung eines Bruchbandes anordnen können. Dazu kommt, dass beim
Kläger der Bruchschaden auf beiden Seiten besteht.
Bei dieser Sachlage vermag die Schwere der verrichteten Arbeit allein
die Annahme der plötzlichen Entstehung des Bruchleidens des Klägers nieht
■u begründen, und es war somit dem Rekurse der Beklagten der Erfolg nicht
au versagen. _Kompass; 1908, Nr. 1.
Tod dnreh Herzschlag infolge grösser Hitze beim Arbeiten am
Ziegelofen. Betriebsunfall anerkannt. Rekurs-Entscheidung des
Reiehs-Versicherungsamts vom 10. Oktober 1902.
Nach dem Gutachten des Professors Dr. L. und des Dr. K. ist allerdings
die Annahme des Schiedsgerichts, dass ein Hitzschlag die Todesursache gewesen
sei, nicht begründet, da ein grösserer Bluterguss im Gehirn, der die Voraus-
Setzung für jene Annahme sein würde, ausweislich des Obduktionsbefundes ge¬
fehlt hat. Dagegen ist nach diesem Gutachten als wahrscheinlich anzunehmen,
dass der Tod an einer Herzlähmung erfolgt ist, die dadurch entstanden ist,
dass die längere Tätigkeit des Verstorbenen in dem heissen Raum bei hoher
Anssentemperatur Ansprüche an die Herztätigkeit gestellt hat, denen das
wahrscheinlich schon geschwächte Herz nicht gewachsen war.
Für dieses Gutachten spricht auch die gesamte tatsächliche Lage des Falles.
Der Verstorbene trat am 1. Juni 1901 morgens 6 Uhr seine Arbeit an
und machte dabei nach den Aussagen der Zeugen Arbeiter W. und H. den Ein¬
druck eines ganz gesunden Mannes. Nach denselben Aussagen und denen des
Werkmeisters Ha., unter dem der Verstorbene seit zwei Jahren gearbeitet hat,
hat er vor dem 1. Juni 1901 auch nicht an ähnlichen Anfällen, wie ein solcher
am 1. Juni 1901 plötzlich anftrat, gelitten. Die Arbeitstätigkeit des Ver¬
storbenen bestand an diesem Tage aus dem Herausfabren der frisch gebrannten
Ziegel aus dem kurz vorher geöffneten Ziegelofen. Die Innentemperatur war
sehr hoch, da sie noch am 8. Juni 1901, wie bei der Unfalluntersuchung fest¬
gestellt wurde, 42 Grad C. betragen hat. Dazu kam, dass am 1. Juni 1901,
wie aus dem gedachten Gutachten erhellt, auch eine sehr hohe Anssentemperatur
geherrscht hat. Naeh etwa vierstündiger Arbeit, vormittags 10 bis IO 1 /* Uhr
drehte sich der Verstorbene, als er einen neuen beladenen Wagen aus dem Ofen
herausfuhr, plötzlich einige Male herum, fiel ohnmächtig hin und starb einige
8tunden später am Nachmittag. Die zum Tode führende Erkrankung ist also
plötzlich eingetreten auf der Betriebsstätte und während der Arbeit. Eine
andere Ursache der Erkrankung als die Einwirkung der hohen Temperatur auf
die Herztätigkeit ist nach dem Gutachten nicht anzunehmen. Sonach ist mit
grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die grosse Hitze die Herzlähmung
und damit den Tod verursacht hat. Die Betriebsarbeit fiel dafür als mit-
364
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
wirkend erheblioh ins Gewicht, insofern die Art nnd der Ort derselben, näm-
lioh das Anskarren ans dem heissen Ofen, als das hauptsächlich schädigend
einwirkende Moment sn erachten ist, jedenfalls aber wesentlich dazu beige¬
tragen hat, die natürliche Grosse Hitze, die an jenem Tage herrschte, nnd
deren Einwirkung auf den Körper noch zn steigern. Ob das Herz des Ver¬
storbenen bereits vorher geschwächt war, wie die Sachverständigen annehmen,
oder nicht, kommt dabei nicht in Betracht, da anch in ersterem Falle bei
schon bestehender Herzschwäche die grosse Hitze am 1. Jnni 1901 immerhin
in wesentlich erhöhendem Masse schädigend darauf ein gewirkt, also den Ein¬
tritt der Erkrankung und des Todes erheblich beeinflusst hat.
Mithin liegt ein ursächlicher — sei es mittelbarer oder unmittelbarer—
Zusammenhang der Betriebsarbeit mit dem Tode vor.
Fraglich kann nur sein, ob die Lage des Falles eine plötzliche, seitlich
ausreichend begrenzte Einwirkung der schädigenden Hitze anzunehmen ist,
oder nicht vielmehr eine Krankheit, welche als das Endergebnis der eine
längere Zeit andauernden, der Gesundheit nachteiligen Betriebsweise anfzu-
treten pflegt.
Das R. V. A. hat die entere Frage bejaht. Denn der Ventorbene war
bis zum 1. Juni 1901 gesund gewesen und bat an ähnlichen Anfällen vorher
nicht gelitten. Die Einwirkung der schädigenden Hitze beschränkte sich auf
den kurzen Zeitraum von etwa vier Stunden. Der Umstand, dass der Ver¬
storbene schon am Tage vorher sich nicht wohl gefühlt hat, wie aus seiner
Aeusserung, „dass ihm besser sei, als am Tage zuvor“, zu schliessen, erscheint
belanglos. Denn aus dem Inhalte dieser Aeusserung und dem Umstande, dass
er am Morgen des 1. Juni 1901 den Eindruck eines ganz gesunden Mannes
machte, ist zu folgern, dass jenes Unwohlsein nur ein leichtes gewesen ist, das
inzwischen wieder beseitigt war. Ohne das Zusammenwirken der hoben Innen-
und Aussentemperatur gerade am 1. Jnni 1901 würde nach Ueberseugnng des
R. V. A. auch bei schon bestehender Herzschwäche die heftige und plötzliche
schwere Erkrankung nicht eingetreten sein. Kompass; 1903, Nr. 2.
Lungenaffektion und Hersrergrösserung infolge von Verschüttung.
Grad der Erwerbsverminderung. Der Erhöhnngsantrag des Klägers
war unbegründet. Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versiche-
rungsamts vom 10. Oktober 1902.
Der Antrag des Klägers auf Erhöhung der ihm durch das schiedsgericht-
Uche Urteil vom 7. Februar 1900 zugesproohenen Rente würde nur dann be¬
gründet sein, wenn nachgewiesen wäre, dass seitdem in den Unfallfolgen eine
weeentliche, die Erwerbsfähigkeit des Klägers um mehr als 70 Proz. herab¬
setzende Verschlimmerung eingetreten wäre. Allein dieser Nachweis ist nicht
erbracht und im Hinblick auf die bedenkenfreien Gutachten des Königl. Kreis¬
arztes Med.-Rats Dr. K. vom 6. Januar 1902 und vom 9. April 1902 anch
nicht zu erbringen. Danach bestehen die Folgen des Unfalls nach wie vor nur
in Erweiterung der Lungenbläschen (Emphysem) und in Vergrößerung beider
Herzhöhlen. Der Kläger ist dadurch zwar, wie der Sachverständige darlegt,
für die meisten Arbeiten seines Berufs, besonders für die unter Tag, dauernd
unfähig geworden und kann auch andere anstrengende Arbeiten nicht mehr
verrichten. Dagegen vermag er nach der Ansicht desselben Sachverständiges
noch einige leichte, wenn auch nur gering lohnende Arbeiten auszuführen, da
ihm zur Ausführung besser lohnender Arbeiten im Sitzen die Kenntnis nnd
Uebung fehlen. Dessen ungeachtet schätzt dieser Arzt die Erwerbsunfähigkeit
des Klägers nach Ansicht des R. V. A. mit Recht immer noch auf 70 Prozent.
Denu der Kläger, welcher nach der Beschreibung des Sachverständigen von
untersetzter kräftiger Gestalt, gut genährt ist und sich im besten Manneealter
befindet, der ferner nach dem Gutachten desselben Sachverständigen vom 9. April
1902 bei der Untersuchung nach allen Richtungen hin frei und ungehinderte
Beweglichkeit zeigte: — könnte durch Uebung und FleisB sicher noch einen
der Rente von 70 Pros, entsprechenden Verdienst erzielen. Die sonstigen Be¬
schwerden des Klägers, Rheumatismus, Magenleiden und Schwerhörigkeit anf
dem linken Ohr, sind, wie der Medizinalrat Dr. K. in seinem Gutachten vom
9. April 1902 überzeugend darlegt, entweder durch den Befund objektiv nicht
nachweisbar oder ohne unmittelbaren Zusammenhang mit dem Unfall oder anf
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
855
die Erwerbsfähigkeit des Kllgers ohne Binflnss. Den Rhenmatismns, an welchem
der KlKger leiden will, hält der Sachverständige bei Benrteilnng der Erwerbs-
ffthigkeit desselben fflr belanglos, da diese durch ihn nicht weiter oder höchstens
nur für einige Zeit beschränkt wird. Gegen ein ernstliches Magenleiden des
Klägers sprechen seiner Ansicht nach das geBnnde Anssehen, die gute Ernährung
nnd der allgemeine Kräftesnstand des Verletzten. Was endlich die angebliche
Schwerhörigkeit anf dem linken Ohr betrifft, so bezeichnet der Sachverständige
dieee mit Recht als bedeutungslos fflr die Erwerhsfähigkeit. Wenn hiernach
derselbe beamtete Arzt eine weitergehende Beeinträchtigung der Erwerbsfähig¬
keit des Klägers als nm 70 Proz. nicht anerkennen kann, znmal dieser auch
auf ihn wie anf die früheren Begutachter den Eindruck gemacht hat, dass er
stark übertreibe, um in den Genuss der Vollrente zu gelangen, so hat sich das
R. V. A. diesem Gutachten angeschlossen und unter Aufhebung des ange¬
fochtenen Urteils den ablehnenden Bescheid vom 6. Februar 1902 wieder
hergeetellt. _ Kompass; 1903, Nr. 2.
Grad der Erwerbsverminderung bei traumatischem Plattfuss.
Rekurs - Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom
29. November 1902.
Nach den ärztlichen Gutachten ist der linke Fuss des Klägers im Ver¬
gleich zum rechten deutlich abgeilacht, diese Erscheinung tritt namentlich beim
Aufsetzen des Fusses deutlich hervor. Die Muskulatur des linken Beines weist
ein Mindermass um 1 cm auf. Die Aerzte nehmen an, dass eine Zerreissnng
des Bandapparates des Fusses durch den Unfall stattgefunden hat. Der Kläger
kann infolgedessen nicht ordentlich gehen, nicht lange stehen nnd nicht
schwer tragen. Seine Klagen über Stechen im Fuss sind glaubhaft.
Nach diesem Befunde ist der Kläger auf Arbeiten im Sitzen oder anf
leichte Arbeiten im Stehen angewiesen. Dabei ist er Bergmann, auf dem all¬
gemeinen Arbeitsmarkt kommt er also nur als gewöhnlicher Arbeiter in Frage.
Das R. V. A. ist deshalb mit dem Schiedsgericht der Meinung, dass die Er¬
werbsunfähigkeit des Klägers mit 33 l ! s °l 0 zu niedrig bewertet ist. Anch der
Kreisarzt Dr. G. scheint diesen Satz als etwas knapp anzusehen, er sagt, der
Satz sei immerhin wohl als hinreichend zu betrachten. Die Schätzung des
Schiedsgerichts auf 66*/ 3 °/„ erscheint anderseits aber als entschieden zu hoch
gegriffen. Das R. V. A. schätzt die Erwerbsunfähigkeit auf 46°/o. Dement¬
sprechend ist die Rente festgesetzt.
Ursftchlieher Zusammenhang zwischen dem Betriebsunfall und
dem die Erwerbsunfähigkeit bedingenden Leiden (Hysterie) verneint,
weil dasselbe lediglich durch die Bemühungen um Durchsetzung des
vermeintlichen, aber unberechtigten, Anspruchs zur Entwicklung ge¬
langt ist, während der Unfall selbst als wesentliches Moment für die
Entstehung des Leidens ausscheidet. Rekurs-Entscheidung des
Beichsversioherungsamts vom 20. Oktober 1902. Amtliche Nach¬
richten des Reichsversicherungsamts; 1903, Nr. 2.
Nach dem Gutachten der ärztlichen Sachverständigen sind hei dem Kläger
körperlich hervortretende Folgen des Unfalls vom 7. August 1897 (Zer-
reissung der RSckenmuskeln in der Lendengegend), durch die er in seiner
Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt wird, auch jetzt nicht vorhanden. Dagegen
wird angenommen, dass der Kläger, obwohl er nach der übereinstimmenden
Ans icht aller Gutachter stark fibertreibe, an einer Hysterie leide. Diese Hysterie
sei. so wird in den Gutachten ausgefflhrt, zwar nicht oder wenigstens weniger
auf den Unfall direkt zurflckzuführen, als vielmehr wahrscheinlich erst durch
die Bemühungen nm eine Rente hervorgerufen, im Kampfe um die Rente ent¬
standen. Der Annahme der Gutachter, dass damit der ursächliche Zusammen¬
hang zwischen dem Unfall und der Hysterie gegeben sei, vermochte sich das
Rekursgericht jedoch nicht anzuschliessen. Denn nicht der Unfall als solcher
wird in den Gutachten als wesentliches Moment für die Entstehung der Hysterie
erachtet, sondern vielmehr der Kampf des Klägers um eine Rente. Tst aber
danach im wesentlichen nur der eingebildete, einer rechtlichen Grundlage ent¬
behrende Anspruch des Klägers anf eine Rente die Ursache für die Entstehung
und Entwickelung der Hysterie, so liegt ein ursächlicher Zusammenhang mf
356
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
dem Unfälle nicht vor. Bin solcher wtre unbedenklich ansnnehmen, wenn der
Unfall an sich, s. B. durch eine dabei erlittene Nervenreisung oder Nerven¬
erschütterung, nur Herbeiführung eines Nervenleidens geeignet gewesen wire,
oder sonst der Unfall selbst und dessen Folgen nur Entstehung und Entwicke¬
lung eines Nervenleidens wesentlich beigetragen hütten; ein ursächlicher Zu¬
sammenhang kann aber nicht schon dann angenommen werden, wenn der Unfall
selbst als wesentliches Moment für die Entstehung des Nervenleidens nicht
in Betracht kommt nnd von dem Unfälle die Erwerbefähigkeit beeinträchtigende
körperliche Folgen nicht mehr vorhanden sind, der Verlötete sich indessen mit
der Einbildung trägt, noch einen Anspruch auf Rente zu haben und dann des¬
halb, weil diesem eingebildeten Ansprüche die rechtliche Anerkennung verssgt
bleibt, durch die Bemühungen um Durchsetzung des vermeintlichen Anspruchs
ein Nervenleiden sur Entstehung und Entwickelung gelangt. Nicht der Unfall
und dessen Folgen sind dann die Ursache des Nervenleidens, sondern die Be¬
mühungen und der Kampf um Durchsetzung eines vermeintlichen, aber nicht
zu Recht bestehenden Anspruchs auf eine Rente. Kann sonach nicht ange¬
nommen werden, dass die bei dem Kläger angeblich vorhandene Hysterie mit
dem Unfall in ursächlichem Zusammenhänge steht, so liegt eine Verschlimme¬
rung des Zustandes des Klägers hinsichtlich der Unfallfolgen nicht vor. Der
Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Unfallrente ist deshalb tu Recht
abgelehnt worden, und war somit unter Aufhebung des schiedsgerichtlichen
Urteils der ablehnende Bescheid des Beklagten wiederhersustellen nnd zugleich
der Rekurs des Klägers als unbegründet zurücksuweisen.
Zur Gewährung der sogenannten Httlflosenrente liegt bei einer
Abquetsehung der rechten Hand mit Ausnahme des Daumens, sowie
des Zeige-, Mittel- und Ringfingers der linken Hand kein aurseichender
Anlass vor. Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungs-
amts vom 80. Oktober 1902.
Der Kläger besitzt infolge des Betriebsunfalls vom 29. Oktober 1901
an der rechten Hand nur noch den Daumen, an der linken Hand nur den
Daumen und kleinen Finger, und es ist unstreitig, dass er zur Zeit jedenfalls
noch voll erwerbsunfähig ist. Ihm aber über die Vollrente hinaus noch eine
sogenannte Hülflosenrente im Sinne des §.9 Abs. 3 des Gewerbe - Unf. - Vers.-
Ges. zu gewähren, dazu liegt kein ausreichender Anlass vor. Wenn auch zu-
zugeben ist, dass der Kläger für gewisse einzelne Verrichtungen auf fremde
Hülfe angewiesen ist, so steht es um ihn doch keineswegs so schlimm, dass er
ohne fremde Wartung und Pflege nicht bestehen konnte, d. h., dass für seine
Pflege dauernd eine fremde Arbeitskraft ganz oder doch in erheblichem Um¬
fang in Anspruch genommen werden müsste, wie s. B. für einen Blinden oder
Gelähmten fzu vergl. Rekurs - Entscheidungen 1899 und 1936, Amtliche Nach¬
richten des R. V. A. 1902, S. 181 und 468). Der Kläger ist noch in der Lage,
sich auf den Füssen frei zu bewegen, sich Türen zn Offnen und mit dem
Daumen und Kleinfinger der linken Hand sogar noch kleine Gegenstände zu
ergreifen und festzuhalten. _ Kompass; 1908, Nr. 2.
B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und Öffentliches
Sanitätswesen.
Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. Von
Dr. Max 8ehottelius, Professor der Hygiene. Aus dem hygienischen In¬
stitut der Universität Freibarg i. B. Archiv für Hygiene; Bd. 42 H. 1 und 2.
Im 34. Bande des Archivs für Hygiene hatte Schotte lins über Ver¬
suche berichtet, welche die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung
zeigten. Er hat diese Versuche fortgesetzt und nach verschiedenen Richtungen
erweitert.
Zunächst stellte er fest, dass Hühnchen ohne Nahrung bis zu 12 Tagen
am Leben bleiben können. Die Darreichung von Wasser hat hierbei keinen
lebenverlängernden Einfluss. Der Gewichtsverlust ist etwa derselbe wie bei
den steril ernährten Tieren, 10—15 g.
In drei weiteren Serien steril gezüchteter Hühnchen aus dem Jahre*1899
schwankte die Lebensdauer zwischen 11 und 29 Tagen; ihr Gewichtsverlust
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
367
betrag bis sa 36 °/, des Körpergewichts, während die Kontrolltiere in der
gleichen Zeit bis zu 154 °/ 0 an Gewicht gewannen.
Die Keimfreiheit der Eierschalen und der eingegangenen Tiere wurde
durch Einschmelzen derselben in Nährgelatine geprüft.
Fresslast und Verdanung sind bei den steril gezüchteten Hühnchen be¬
deutend reger als hei normal ernährten, aber trotzdem nehmen entere an Ge¬
wicht and Kräften ständig ab.
Ein Tier, welches nach anfänglicher steriler Ernährung eine mit Kot
normaler Hühner versetzte, sonst sterile Nahrung erhielt, gedieh and ent¬
wickelte sich gat.
Ebenso entwickelten sieh zwei Hühnchen gat, welchen za der Anfangs
ganz sterilen Nahrang nach 8 Tagen eine Reinkultur von Bacteriom coli galli-
naram, einem dem Bacterinm coli hominis nahe verwandten Bakterium, »ge¬
setzt wurde.
Aehnliche Resultate hatte Mme. 0. Metschnikoff bei der sterilen Züch-
tnng von Froschlarven.
Weitere Versuche Uber den Einfluss des Bacterinm coli gallinarnm,
sowie anderer Bakterien auf die Ernährung der Hühner stellt Schottelius
i n Aus sicht.
' or “8ehr interessant sind die Angaben über die Versuohsanordnungen, die
hierbei zu beobachtenden Vorsichtsmassregeln nnd die in Betracht kommenden
Fehlerquellen. Dieselben müssen im Original naohgelesen werden, da sie sich
su kurzer Wiedergabe nicht eignen. Dr. Lents-Berlin.
Ueber die Widerstandsfähigkeit der Pestbanillen gegen die
Winterkälte in Tokyo. Von Dr. C. Toyama, Direktor im Institute. Aus
dem Institute für Bakteriologie und Mikroskopie zu Tokyo. Zentralblatt für
Bakteriologie, Parasitenkunde und Infektionskrankheiten; 1902, Bd. 82, Nr. 8.
Im allgemeinen bttssen die pathogenen Mikroorganismen selbst durch
hohe Kältegrade ihre Lebens- und Entwickelungsfähigkeit nicht, ihre Virulenz
nur in geringem Grade ein. Um die gleichen Verhältnisse bei den Pestbazillen
su studieren, liess Toyama zu Beginn des Winters eine Pestagarkultnr zwei
Tage lang im Brütofen wachsen, teilte dieselbe in zwei Teile, von denen er
den einen im Brütofen hielt, während er den anderen ins Freie setzte. Die
höchste während der beiden Wintermonate Februar und März im Freien be¬
obachtete Temperatur betrag 4- 20 °, die niedrigste — 2,5 °. Während der
Verauchszeit impfte er mehrmals von beiden Röhrchen Agarröhrchen, ferner
infizierte er mehrmals Mäuse mit den Bakterien beider Knlturhälften. Er kam
dabei su folgenden Resultaten:
1. Weder die Lebensfähigkeit, noch die Virulenz der der Kälte ausge-
setzten Pestbazillen war verringert; im Gegenteil, sie hatten sich besser ge¬
halten, als bei den im Brutschrank gehaltenen Bazillen.
2. Während die in der Kälte gehaltenen Pestbazillen nach fast drei
Monaten eine gegen früher unveränderte Virulenz zeigten, hatte letztere hei
den im Brütofen aufbewahrten Bazillen nach 56 Tagen bereits erheblich und
nach 84 Tagen noch mehr abgenommen.
3. Anfangs war die Fortpflanzungsfähigkeit der in der Kälte gehaltenen
Pestbazillen geringer als diejenige der im Brütofen aufbewahrten. All¬
mählich glich sich dieser Unterschied jedoch aus, und nach drei Monaten war
das Verhältnis gerade umgekehrt.
4. In der Winterkälte neigten die Pestbasillen weniger zur Bildung
von Involntionsformen als im Brütofen. Dr. Lents-Berlin.
Ueber das Verhalten des Lyssavirus im Zentralnervensystem
empfänglicher, natürlich immuner nnd immunisierter Tiere. Von Privat¬
dozent Dr. Kraus, Dr. E. Keller nnd Dr. P. Clairmont. Zeitschrift für
Hygiene und Infektionskrankheiten. XXXI. Bd., H. 3.
Zu den interessantesten Problemen gehören entschieden die an das vor¬
läufig noch unbekannte Tollwutgift, seine Entstehung und Verbreitung, sich
knüpfenden Fragen, zu deren Klärung die in Deutschland anfangs nur zu wenig
beachteten oder geradezu verkannten Arbeiten Pasteurs bisher das meiste
beigetragen haben. Im Anschluss an dieselben und diejenigen von Hö'gyea
368
Kleinere Mitteileegen eed Bef ernte rae Zeitschriften.
heben die drei Verfasser im eerotherepentisehen Institute ea Wien mehrere
Reihen Ton Verwachen angestellt, welche en üusserst beachtenswerten Resul¬
taten geführt haben. Ehe wir über dieselben berichten, mochten wir sum
besseren Verständnis die folgenden Bemerkungen voransschicken: Man unter¬
scheidet beim Lyssavirus das sogen. Strassenrirus und das Passagevirus resp.
▼irus fixe; das entere ist das Wutgift, welches in dem Zentralnervensystem
an Tollwut erkrankter Hunde enthalten ist, wfthrend man unter PassageTirus
diejenige Modifikation des Giftes versteht, welche sich nach mehreren Passagen
dnreh Kaninchen gebildet hat, wobei dasselbe einen gewissen sich gleich¬
bleibenden Höhepunkt der Virulens erreicht, d. h. zum virus fixe wird. Das
8trassenTirus wird durch die Passagen durch Allen und wahrscheinlich auch
durch Hühner abgeschwicht und durch Meerschweinchen, Kaninchen und andere
Tiere verstirbt. Es kann als sicher erwiesen gelten, dass das Lyssavirus sich
auf dem Wege der Nervenbahnen verbreitet und in das Rückenmark und Ge¬
hirn fortpflanzt.
Die Verfasser stellten zunächst eine Reihe von Versuchen über die Fort¬
pflanzung des Lyssavirus im Zentralnervensystem gesunder Kaninchen an, indem
sie diese Versuchstiere teils subdural, teils intrazerebral mit virus fixe in¬
fizierten. Dabei zeigte sich, dass bei snbdnraler Einverleibung des Giftes die
Medulla obl. schon am dritten Tage infektiös sein kann, während das Lumbal¬
mark erst am 6. und 7. Tage nach der Infektion die volle Virulens erlangt.
Dasselbe Resultat erhielten sie, wenn sie die Tiere intrazerebral mit dem
virus fixe infizierten, nur tritt die Infektiosität dann viel rascher auf. Es steht
demnach die Tatsache fest, dass die verschiedenen Abschnitte des Zentral¬
nervensystems nach der Impfung mit virus fixe zu verschiedenen Zeiten in¬
fektiös sind. Bei einer Reihe weiterer Versuche wurde nun das virus fixe in
den Nervus ischiadicus injiziert, auch hier zeigte sich im allgemeinen dasselbe
Verhalten, dass die verschiedenen Teile des Zentralnervensystems nachein¬
ander infektiös wurden, nur schien hier die Virulenz von unten nach oben
fortzusehreiten.
Dasselbe Resultat erhielten die Verfasser hei der Infektion lebender
Kaninchen mit 8trasseuvirus, hierbei stellte sich jedoch im Vergleich zu dem
virus fixe die Infektiosität später ein; so war s. B. die Medulla obl. bei
Impfung mit virus fixe stets schon am 8. und 4. Tage infektiös, während sie
bei Strassenvirus am 6. oder gewöhnlich erst am 10. Tage sich virulent erwies.
Die Verfasser glauben auf Grund dieser Versuche annehmen zu dürfen, dass
die Verschiedenheit des Strassenvirus und des Passagevirns in einer ver¬
schiedenen Vermehrungsfähigkeit des Virus im Zentralnervensystem des
Kaninchens begründet ist.
Die Impfungen des Zentralnervensystems toter Kaninchen mit virus
fixe ergaben, dass sich das Tollwutgift in diesem Substrat weder vermehrt,
noch fortpflanst, sich also nur Im lebenden Gehirn zu entwickeln scheint.
Ob die Fortpflanzung und Vermehrung des Lyssavirus demnach an die
Lebensvorgänge der Nervenzellen geknüpft ist, oder ob hierbei noch andere
Verhältnisse eine Rolle spielen, entzieht sich zwar der Beurteilung, die bis¬
herige Unmöglichkeit, dasselbe ausserhalb des Organismus zu züchten, scheint
jedoch dadurch ihre Erklärung zu finden.
In einer weiteren Versuchsreihe suchten sich die Verfasser über die Fort¬
pflanzung des Lyssavirus im Zentralnervensystem der Tauben und Hühner zu
unterrichten. VOgel sind im allgemeinen viel weniger empfänglich gegen das
Tollwutgift als Kaninchen und Hunde, doch zeigen sich auch hier gewisse
Unterschiede. Im Taubengehirn kann sich z. B. das Lyssavirus fortpflanzen
und vermehren, so dass es «relingt, Kaninchen mit einer Emulsion desselben zu
infizieren, ohne dass die Tauben selbst unter gewöhnlichen Verhältnissen an
Lyssa erkranken. Dagegen erkranken die mit virus fixe und Strassenvirus
infizierten Hühner nach verschieden langer Inkubationsdauer und gehen auch an
Lyssa zu Grunde; es gelingt jedoch nicht in allen Fällen Kaninchen mit dem
Marke lyssakranker Hühner zu infizieren, was nur auf eine Abschwächung des
Virus durch die Hühnerpassage zurückgeführt werden kann.
Noch andere Resultate ergaben die Versuche mit Kaninchen, welche
nach den Methoden von Pasteur und HOgyes aktiv immunisiert worden
waren. Hierbei zeigte sich, dass das Lyssavirus nach dem Eintritt der vollen
mmouität, und zwar nicht vor dem 20. Tage, im Gehirn und Rückenmark der •
Kleinere Mitteilungen and Befernte ui Zeitschriften.
869
immunisierten Tiere zentört wird and verschwindet, während es bei der natür¬
lichen Immunität der Tanben in deren Zentralnervensystem erholten bleibt,
aber fttr die Taaben wirkungslos ist.
Zam Sehlass stellten die Verfasser noch Versuche mit normalem Kanin-
ehenserum and Immanseram an, wobei es sich seigte, dass das normale frische
Kaninchenserum nicht im stände ist, das virus fixe sa zerstören, dass diese
Eigenschaft aber dem Serum immun gemachter Kaninchen nnter allen Um-
stinden sukommt.
Geht man ander Hand dieser Tatsachen aaf die Theorie der Paste er¬
sahen Schutsimpfangen näher ein, so wäre demnach die erworbene Immunität
der empfänglichen Tiere und noch des Menschen gegen das LyBsaTirus aaf
die durch die Impfungen erworbenen Serumsubstanzen im Blute zurficksnftlhren,
weiche das Gehirn and Rückenmark in ähnlicher Weise vor der Infektion
schützen, wie dies mit anderen Organen anch bei anderen Infektionskrank¬
heiten, wie bei der Cholera, Pest, Typhus u. s. w. der Fall ist. In dem Zentral¬
nervensystem natürlich immuner Tiere, z. B. der Taaben, hält sich zwar das
Viras längere Zeit, aber ohne dass es za einer Erkrankung kommt, and ohne
dass sich in dem Sernm dieser Tiere rabizide Schntsstoffe bilden. Der
Mechanismus der natürlichen and der erworbenen Immunität scheint demnach
ein darohaas verschiedener za sein, and bedarf noch in vielen Punkten der
Aufklärung. Dr. H. Martini-Langensalza.
Ueber einen Fall von Ansbrach der Tollwnt, sieben Monate nach
der Pastearsehen Schutzimpfung. Von Prof. Dr. Theodor Kasparek
und Primarius Dr. Karl Tenn er u Prag. Berliner klin. Wochenschrift;
Nr. 36, 1902.
Ein 7 jähriges Mädchen, das am 11. September 1901 nebst drei Knaben
vom einem tollen Hände gebissen war, wurde mit zweien der gebissenen
Knaben vom 24. September bis 9. Oktober in der Anstalt für Wutschutz-
impfung in Wien behandelt. Am 9. Mai 1902 erkrankte es and starb am 17. Mai
an der rasenden Wat oder der konvulsiven Form der Watkronkheit. Das
Vorhandensein von Lyssa wurde sicher festgestellt durch subdurale Impfung von
Kaninchen mit der Medalla oblongata. Im Blut der Kranken zeigte sich eine
Vermehrung der polynukleären Leukozyten. Interessant ist der Fall wegen der
ungewöhnlich langen Inkubationsdauer (beim Menschen gewöhnlich 20—60 Tage),
ausserdem dadurch, dass die übrigen 8 Kinder, darunter auch der nicht ge¬
impfte Knabe, gesund blieben. Nach den Berichten des Pasteurschen
Instituts kommt in fast allen geimpften Fällen die Tollwut, wenn überhaupt,
so entweder während der Impfung wie kurz nach der Impfung (längstens in
2 Monaten) zum Ausbruch. Der Misserfolg der Schutzimpfung Hesse sich da¬
durch erklären, dass die durch die Schutzimpfangen erworbene Immunität
früher schwindet, bevor dos Gift im Organismus der Gebissenen zerstört wurde.
Tierversuche des Verfassers ergaben, dass mit Ausnahme der subduralen
Impfang die Lokalisation der Infektionsstelle zum Verlauf der Infektion oder
zar Dauer der Inkubation in keiner Beziehung steht. Es kann daher ange¬
nommen werden, dass die Länge der Inknbationsdauer nicht abhängig ist von
der Länge der Nervenstrecke, von der Infektionsstelle bis zum Gehirn, und
dose es auf die Lokalisation nicht ankommt, da wohl in den meisten Fällen
der Transport des Virus zum Zentralnervensystem auf anderen Wegen als
durch die Nerven geschieht. _ Dr. Räuber-Düsseldorf.
Znr Einheit der Streptokokken. Von Dr. Fritz Meyer-Berlin.
Berliner klin. Wochenschrift; 1902. Nr. 40.
Auf Grund selbständiger Untersuchungen einer ganzen Anzahl von
Streptokokkenstämmen rät Verfasser, mit der Unität der verschiedenen Strepto¬
kokken zurückzuhalten und vor allem die byogenen menschlichen Arten von
den Formen vieler Anginen (Scharlach und Gelenkrheumatismus) und den
tierischen Streptokokken zu trennen. Bei den Streptokokken des Gelenk¬
rheumatismus trat besonders eine geringfügige Virulenz gegenüber der leichten
Virulenserhöhbarkeit anderer Streptokokken, sowie ein Mangel an hämoUtischem
Vermögen hervor. Ferner zeigten die Anginastreptokokken, sowohl des Gelenk¬
rheumatismus wie des Scharlachs ein fast ebenso reichUches Gedeihen in ihrem
860 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Kultur - Filtrat wie diejenigen der Drase, während die übrigen Stämme das
Wachstum in ihrem eigenen Filtrat, wie bereits Marmorek nach wies, ver¬
weigerten. _ Dr. Räuber «Düsseldorf.
Untersuchungen über Streptokokken« und Antistreptokokken«
Serum. Von Dr. Hans Aronson. Nach einem Vortrag, gehalten in der
Berliner medis. Gesellschaft am 16. Juli 1902. Berliner Hin. Wochenschrift;
Nr. 42 und 43. 1902.
Die Versnobe des Verfassers zur Gewinnung eines wirksamen, für die
Anwendung bei Menschen geeigneten Antistreptokokkenserums waren von
Erfolg. Das Marmoreksohe und das v. Tavelsche Serum enthalten keine
nennenswerten Mengen von wirksamen Antikörpern. Die Immunisierungsversuche
wurden an Pferden, Ziegen, Kaninchen und weissen Mäusen angestellt. Die
verschiedenen aus Scharlach-Angina, Diphtherie-Angina, Erysipel, Angina
follicularis, Gelenkrheumatismus, Sepsis, phtisischem Sputum und der Drusen-
erkrankung bei Pferden gewonnenen Streptokokken konnten alle durch besondere
Tierpassagen hochvirulent gemacht werden und vermehrten sich gut in einer
besonders hergestellten Bouillon. Sämtliche Streptokokken bewirkten Lösung
des Blutfarbstoffes, dagegen trat keine Hämolyse bei Anwendung der Filtrate
von Bouillonkulturen ein.
Die Immunisierung an grösseren Tieren geschah durch subkutane In¬
jektion steigender Mengen anfangs weniger virulenter, später der wirksamsten
Kulturen. Nach Injektion von Scharlachstreptokokken zeigten sich manches
Mal bei Pferden schwere Gelenkerkrankungen, die ganz den beim akuten
Gelenkrheumatismus des Menschen anftretenden ähnelten. Es gelang, auch eine
zur Bestimmung des Gehaltes an Antikörpern brauchbare Methode auszubilden,
die Vorbedingung und das Fundament für eine Anwendung des Antistrepto¬
kokkenserums beim Menschen. Nachdem die Versuche im Königl. Institut für
experimentelle Therapie Herrn Geheimrat Ehrlich vorgeführt waren, hat
die chemische Fabrik auf Aktien, vorm. Schering, beim Königl. Preussisehen
Kultusministerium den Antrag auf staatliche Prüfung des Antistreptokokken¬
serams gestellt, den in zastimmender Weise Folge gegeben wurde.
Mit dem Pfeifferschen Versuch konnte eine Lösung von Kokken
nicht nachgewiesen werden, die in dem Sernm enthaltenen Antikörper (Ambo¬
zeptoren) werden von den Streptokokken nicht gebunden. Das Serum zeigt
ferner prinzipielle Unterschiede gegenüber dem Typhus- und Cholerasemm, in¬
sofern als man mit grösseren Serummengen gegen höbe Mnltipla der einfach
tödlichen Dosis immunisieren kann und zweitens durch die noch so lange nach
der Infektion möglichen Heilwirkung. Ausserdem zeichnet sich das Sernm
dadurch aus, dass es makroskopisch sichtbare Agglutinationserscheinungen auf
die Streptokokken ausübt und neben dem Agglutinin auch ein spezifisches
Präzipitin enthält. Das dureb Immunisierung mit Scharlachstreptokokken ge¬
wonnene Serum erwies sich in Tierversuchen auch wirksam gegenüber den
übrigen Stämmen (Erysipel, Diphtherie, Sepsis, Angina, Gelenkrhenmatismus,
Druse des Pferdes). Ebenso schützt das Serum eines mit Sepsisstreptokokken
immunisierten Pferdes gegen die anderen Arten (Scharlach nnd Angina). Das
mangelnde Wachstum der Streptokokken im eigenen Filtrat (Marmorek)
konnte Verfasser nicht bestätigen. Dass die Immunisiernngen gegen alle
Streptokokken mit dem Sernm eines Pferdes gelingt, das mit einer Sorte
behandelt ist, spricht für eine nahe Verwandtschaft aller Streptokokken. Die
typische Agglutination trat ferner bei allen Stämmen ein, auch bei denen der
Pferdedruse und des Gelenkrheumatismus. Zu einem Versuch mit dem
20 fachen Normalserum beim Menschen fordert Verfasser nunmehr auf.
_ Dr. Räuber-Düsseldorf.
Ueber Antistreptokokkensernm bei Scharlach. Aus dem Kaiser
und Kaiserin Friedrich Kinderkrankenhaus. Von Adolf Baginsky. Vortrag
in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 5. November 1902. Berliner
Uinisohe Wochenschrift; 1902, Nr. 48 und 49.
B. nimmt für sich und seinen Assistenten Dr. 8ommerfeld den defini¬
tiven Befand und Nachweis der Bedeutung der Streptokokken für die Aetiologie
des Scharlach in Anspruch. In 696 von 701 Scharlachfällen konnten die 8trepto-
Kleine*« Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften. 361
kokken nachgewiesen werden, ausserdem fanden sie sieh in nahem 100 Schar-
laehleiohen konstant in allen Organen, dem Herzblut, Knochenmark n. s. w.
Das Marmor eksche Antistreptokokkenserum erwies sich bei 8charlachkianken
wirkungslos. Das Aronsonsche Serum in grosseren Dosen angewendet gab
keine befriedigende Erfolge, kein Herabgehen des Fiebers und keine Milderung
der Erscheinungen des Scharlachs, vielmehr seigten sich ungewöhnliche und
neitweilig beängstigende, nicht in den üblichen Bahmen der Scarlatina hinein¬
gehörige Symptome, wie Milz- und Leberschwellungen, Hautinfiltrate und
Spritzezantnem. Erst mit einem neuen verbesserten Aronsonsehen Serum
gelang es, langsam konstante Entfieberung ohne Nebenwirkungen zu erzielen.
Das Serum hat nicht die m&chtige Wirkung, wie wir es von Diphtherieserum
her gewohnt sind, wirkt aber doch, wie es scheint, konsequent und nachhaltig.
Sin von Moser und Escherich hergestelltes Antistreptokokkenserum scheint
noch günstigere Wirkungen zu haben. Nach seiner Anwendung wurde eine
gmnz auffällig und geradezu rapid einsetsende Euphorie der bisher Bchwer
krank erschienenen Kinder mit rascher Entfieberung beobachtet.
In Nr. 1, 1903, derselben Wochenschrift finden sich mit Bezug auf den
in Bede stehenden Aufsatz persönliche Bemerkungen von Moser, Baginski
und Aronson, in denen Moser u. a. die Priorität Baginskys und Aron¬
eons angreift. _ Dr. Bäuber-Düsseldorf.
Ein Fall von Gonokokken - Pneumonie. Von Dr. B r e s s el, Assistenz¬
arzt in Draisheim a. Bh. Münchener med. Wochenschrift; 1903, Nr. 18.
Der Gonococcus zeigt sich bekanntlich nicht nur als Entzündungserreger
der Urethra, sondern auch als Erreger von Endocarditis, Chonitis, Abszessen
nnd Polyarthritis; er lässt sich häufig aus dem Blute züchten, sodass kein
Organ vor seiner Invasion sicher ist. Verfasser teilt nun einen durch Gono¬
kokken hervorgerufenen Fall von Pneumonie samt ausführlicher Krankheits¬
geschichte und genauem Untersuchungsbefunde (besonders auch von Blut und
Sputum) mit, wie er einen ähnlichen Fall bisher in der Literatur nicht finden
konnte. Er hält die Diagnose für unzweifelhaft, da alle bisher bekannten
Charakteristica als zutreffend sich erwiesen haben, und macht am Schlüsse
seiner Arbeit noch darauf aufmerksam, dass die Zeit der Blutabnahme für die
Diagnose ausserordentlich in Betracht kommt Dr. Waibei-Kempten.
Ueber Meningokokkensepticämie. Aus der mediz. Abt. des Stadt-
Krankenhauses in Frankfurt a. M. (Oberarzt Professor von Noorden). Von
Dr. H. Salomon, Sekandärarzt. Berliner Klin. Wochenschrift; 1902, Nr. 46.
Verfasser beschreibt einen sehr interessanten Krankheitsfall, der nach
einem über 4 Monate dauernden Krankenlager mit Genesung endete. Patient
erkrankte mit Schwellungen in Hand-Ellbogen und Fussgelenken, dann traten
wiederholt Flecke in der Haut auf mit einem dunkleren Zentrum, auch Herpes
latialis. Erst 2 Monate nach dem Krankheitsbeginn Nackenstarre und Krämpfe.
Bei den schon in den ersten Tagen, sowie in späterer Zeit vorgenommenen
Blutentnahmen konnten im Blut Diplokokken des Weichsel bau machen
Diplococcua intraoellalaris nachgewiesen werden, ebenso wie bei einer nach
2 Monaten vorgenommenen Lumbalpunktion. Ein ähnlicher Fall wurde
bisher nur einmal beschrieben, dagegen wurden Exantheme bei der Me¬
ningokokkenmeningitis mehrmals beobachtet. Experimentell ist von Kolle
und Issaeff die Möglichkeit nachgewiesen, dass ein Infektionserreger, der auf
anderen als gewohntem Wege in den Organismus eintritt, nachher auf dem
Wege der Blutbahn seine Prädilektionsstelle wiederfindet. Im vorliegenden
Falle kreiste der Meningococcus fast 2 Monate lang im Blute, aber endlich fand
er doch noch die gewohnte Lokalisation im Intrameningealraum. Nach Marx
ist die durch den Meningococcus bedingte epidemische Genickstarre in der Begel
eine Blutinfektion, mit den Tonsillen als Eingangspforte und dem Meningeal-
sack als vornehmste Lokalisationsstätte der Mikroben. Nach den vorliegenden
Erfahrungen wird man jedenfalls die epidemische Genickstarre den Krankheiten
zureohnen müssen, die meistens zeitweilig septikämischer Natur sind.
Dr. Bäu her-Düsseldorf.
962
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Nene Erfolge des Cancroin beim Krebs der Lunge, des Kehl¬
kopfes, der Speiseröhre, des Magens nnd der Brustdrüse. Von Professor
Dr. A. Adamkiewios in Wien. Berliner klin. Wochenschrift; 1902, Nr.24.
A. veröffentlicht wiederum eine Anzahl glänzender Erfolge bezw.
Heilungen mit seinem Serum (Cancroin), die geradezu wunderbar erscheinen.
Der eine Fall ist von Prof. Kugel in Bukarest in derselben Nummer der
Berliner klin. Wochenschrift als Heilung beschrieben.
Das Vertrauen zu der Heilkraft des Serums und die Annahme, dass es
sich in den beschriebenen Fällen wirklich um günstige Beeinflussung durch das
Serum handelte, erleiden jedoch eine grosse Einbusse durch die in Nr. 18 der¬
selben Wochenschrift enthaltenen Veröffentlichungen von Nothnagel,
v, Eiseisberg, Poten und Schultz-Schultzenstein-Steglitz. Die
letztgenannten Antoren haben bei den von ihnen mit Cancroin behandelten
Krebskranken keinen Einfluss des Serams auf Krebsgeschwülste feststellen
können. _ Dr. Bänber-Düsseldorf.
Eine Krebsstatistik vom pathologisch-anatomischen Standpunkt.
Aus der pathol.-anatom. Anstalt des Krankenhauses im Friedriohshain su
Berlin (Prosektor: Prof. v. Hansemann). Von Dr. W. Riechelmann,
früher Volontärassistent der Anstalt. Ibidem; Nr. 81 und 82.
B. betont die Notwendigkeit einer Krebsstatistik vom Gesichtspunkte
des patbol. Anatomen, da bei den Sammelstatistiken, die von rein ärztlicher
Seite gemacht worden, der Begriff „ Krebs“ zunächst nicht festzustellen ist, so
dass alle möglichen Leiden als Krebs in den Statistiken figurieren, die in Wirk¬
lichkeit nie Krebs waren. Von den 7790 Sektionen, die in der Zeit vom
1. April 1895 bis 24. Juni 1901 im Friedrichshain gemacht wurden, unterzog
Verfasser 711 Fälle von Karzinom einer Bearbeitung. Jeder elfte Fall im Institut
war ein Karzinom. Bei den 711 Fällen hatte 156 Mal das Karzinom
nicht derartige Symptome gemacht, dass die Diagnose gestellt werden
konnte. Anderseits wurde 58 Mai die Diagnose Krebs gestellt, ohne dass
dies anatomisch bestätigt werden konnte. Nach dem Verfasser steigt durch
die Sektionen die Zahl der zur Kenntnis kommenden Karzinome um
21,94%. Ein Teil der Zunahme der Karzinome ist auf die grössere Zahl der
Menschen zu beziehen, die in das krebsartige Alter kommen, ein zweiter Teil
auf die Verbesserung der Diagnosen, ein dritter auf das Auftreten der anato¬
mischen Diagnose in den Statistiken. Berücksichtigt man die 58 fälschlich
diagnostizierten Fälle, so würden noch 98 Fälle oder 13,78 % nicht diagnosti¬
zierter Krebse bleiben. Es müssten sich also die Krebsfälle nach Ansicht des
Verfassers noch um mindestens 18,78 °/o mehren, ehe man anfangen kann, von
einer Zunahme des Krebses zu sprechen. Dr. Bäuber-Düsseldorf.
Ueberzieht über die Verbreitung der Krebskrankbeit am Ende
des 19. Jahrhunderts in einigen ausserdeutsehen Gebieten. Znsammen-
gestellt auf Grund der Ausweise über die Todesfälle an Krebs oder bösartigen
Neubildungen. Berichterstatter: Geh. Beg.-Bat Dr. Bähts. Medizinalstatisti-
■ehe Mitteilungen aas dem Kaiserlichen Gesundheitsamt. (Beihefte su den
Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts.) Siebenter Band. Drittes
(Schluss-) Heft. Mit einer Tafel. Verlag von Julius Springer. Berlin 1908.
Die Tatsache, dass innerhalb von 7 Jahren die Zahl der durch „Neu¬
bildungen" verursachten Todesfälle in 10 Staaten Deutschlands um 25% ge¬
stiegen ist, hat Anlass zu Untersuchungen gegeben, ob etwa in ausserdeutsehen
Gebieten eine ähnliche Zunahme der durch „Krebsleiden" oder allgemein dureh
„Neubildungen" veranlassten Sterbefälle sich feststellen lässt. B. hat sich
dieser Aufgabe unterzogen und die Ergebnisse seiner Ermittelungen in der
vorliegenden Arbeit niedergelegt.
In England sind in den Jahren 1890—1899 durchschn. jährlich 744 auf
1 Mlll. Einwohner an Krebs gestorben, gegen 671 in Deutschland in den Jahren
1892—1899 den „Neubildungen" Erlegenen. Die Zahl der Krebstodesfälle hat in
England seit 1880 um 100 % zugenommen, während die Gesamtzahl aller
Sterbefälle nur um 10,06 % gestiegen ist. Stets überwog das weibliche Ge¬
schlecht, namentlich in den Altersklassen von 85—55 Jahren: von 10000 Ge¬
storbenen waren ln den ersten 8 Jahren des zwanzigjährigen Zeitraums 1880
Kleinere Mitteilungen and fiaternt« aas Zeitschriften.
863
bis 1898: 178 Männer and 866 Frnaen, in den letiten drei Jahren: 846 Minner
and 568 Frnaen durch Krebs dahingerafft worden.
ln der Schwein starben auf 1 Million 1889: 1144; 1898 and 1894: je
1223; 1898: 1329 Personen nachweislich an Krebs, d. h. fast doppelt so viel
als in Deutschland. Im Laufe der nehn Jahre ist die Zahl der Krebstodeslllie
in der 8chweiz um 23,4 % gestiegen, während die Gesamtzahl der jährlichen
Todesfälle gesunken ist. Besonders hoch war die Sterblichkeit in den Kantonen
Schwyz und Luzern, auffällig niedrig in Tessin. Neuerdings tritt ein Uebef»
wiegen der männlichen Personen stärker als früher hervor: 51,83:48,17.
In Italien starben während des Jahrzehnts 1890/99 p. a. 467 auf
1 Million Bewohner an „bösartigen Neubildungen“, d. h. erheblich weniger als
in Deutschland und noch weit weniger als in der unmittelbar benachbarten
Schweiz. Auch hier ist indessen eine Zunahme der Zahl der durch bösartige
Neubildung verursachten Todesfälle zu verzeichnen, und zwar iBt sie innerhalb
der genannten 10 Jahre um 29°/ 0 gestiegen. Von 10000 Sterbefällen männ¬
licher Personen waren 189, von solchen weiblicher 271 durch betr. Neubildungen
verursacht.
In den Niederlanden starben während des Jahrzehnts 1891—1900
auf je 1 Million p. a. durohschn. 879 Personen an Krebs, und zwar während des
ersten Jahrfünfts: 821, während des zweiten: 984. Von je 1000 Todesfällen
waren durch dieses Leiden herbeigeführt: a) bei männlichen Personen zu Be¬
ginn des Jahrzehnts 36,6, am finde desselben 51,3; b) bei weiblichen 40,0 resp.
66,8. Im Laufe des Jahrzehnts hat mithin die Zahl der Krebstodesfäiie bei
Männern um 30,7 %, bei Frauen um 31,0 °/ 0 zugenommen.
In Oesterreich sind während der vier Jahre 1895—1898 auf je
1 Million p. a. durchschn. 665 Sterbelälle an „bösartigen Neubildungen“ vorge¬
kommen, und zwar auf 1 Million Männer 618, Frauen 709. Die Zahl der betr.
Todesfälle hat von 1895—1898 reichlich viermal stärker zugenommen, als dem
Anwachsen der Bevölkerung entsprochen hätte. Obgleich die Gesamtzahl der
Todesfälle in demselben Zeitraum um 7 °/ 0 abgenommen hat, ist die Zahl der
durch betr. Neubildungen verursachten um 12 % gestiegen. Diese Todesursache
ist vom vollendeten 15.—60. Lebensjahre durchweg häufiger bei weiblichen
Personen, als bei männlichen, erst nach dem 60. Lebensjahre tritt der umge¬
kehrte Fall ein. Die meisten Personen starben in Salzburg, Triest, Wien; die
wenigsten in Dalmatien, Galizien, Istrien.
In Norwegen sind während des Jahrzehnts 1891—1900 auf je 1 Million
im Mittel p. a. 694 Personen an Krebs und 24 an Sarkom gestorben, also zu¬
sammen etwas mehr als um dieselbe Zeit in Deutschland jährlich infolge von
„Neubildungen“ starben, aber weniger als in fingland allein an Krebs jährlich
gestorben sind. Die Zunahme beträgt in dem Jahrzehnt nicht weniger als
68%, während die Einwohnerzahl um dieselbe Zeit nur um 11,5% gewachsen ist.
In den Städten Schwedens — nur für diese liegen Ausweise vor —
starben in den Jahren 1890—1898 auf 1 Million p. a. im Mittel 996 und 1068
an Krebs und anderen Geschwülsten. Auf 1000 Todesfälle waren nicht weniger
als 60 auf Krebs und 64 auf Krebs und andere Geschwülste zurückzuführen.
Mine wesentliche Zunahme der betr. Todesfälle ist seit 1890 dabei nicht ein¬
getreten, da diese Zunahme um 14,7 % ungefähr dem Anwachsen der Ein¬
wohner um 14,37 % entspricht. Im letzten Berichtsjahr waren von je 1000
Todesfällen beim männlichen Geschlecht 25,5 durch Krebs und 3,1 durch sonstige
Neubildungen, beim weiblichen 40,6 resp. 3,5 verursacht. Mehr als anderwärts
sind in Schweden Personen erst im höchsten Lebensalter diesen Leiden erlegen;
54,6 % Männer und 69,3 % Frauen waren über 60 Jahre alt.
In den Städten Dänemarks sind in den Jahren 1891—1900 im Mittel
p. a. 1219 auf 1 Million des Krebses erlegen. Die Mortalität an dieser Krank¬
heit ist demnach eine hohe. Die Zunahme im Laufe des Jahrzehnts beträgt
24%; da indessen die-Bevölkerung in demselben Zeitraum um 22% gewachsen
ist, so kann die Zunahme als eine erhebliche nicht bezeichnet werden. Anf je
1000 Todesfälle bei Frauen waren 164, bei Männern 91 durch Krebs bedingt.
Aus Frankreich liegen von 250 Städten mit mehr als 10000 Ein¬
wohnern Angaben für die Jahre 1891—1900 vor, wonach auf 1 Million p. a.
im Mittel 990 Krebsfälle vorkamen, und zwar in Paris 1147 auf 1 Million, in
Städten mit mehr als 100000 Einwohner 1037, in solchen mit 30 000—100000
Binwobner 952, im Best 864 anf je 1 Million. Von j,e 1000 Sterbefällen wate 1
364 Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
bei Männern 61, bei Frauen 91 durch Krebs bedingt. Die Zunahme beträgt
ca. 18 ®/ 0 .
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika kamen während
des Zeitraums vom 1. Juni 1889 bis 31. Mai 1890 auf je 1 Million 386 Todes¬
fälle an Krebs und sonstigen Neubildungen vor, und swar 249 auf 1 Million
Männer, 426 auf 1 Million Frauen. Die Altersgrenze von 60 Jahren wurde
seitens 64,9 */ # aller an Krebsleiden gestorbenen männlichen, aber nur von
40,6 °/ 0 weiblichen Personen Überschritten. Dr. Rost-Rudolstadt.
Die kombinierte Wirkung chemischer Desinfektionsmittel und
heisser Wasserdämpfe. Von Stabsarzt Keisaku Kokubo ans Japan. Aus
dem hygienischen Institut der Universität Göttingen. Zentralbl. f. Bakterio¬
logie, Parasitenkunde u. Infektionskrankh.; Bd. 32, I. Abt., H. 3.
Verfasser suchte experimentell die Frage zu entscheiden, ob Zusätze von
desinfizierenden Chemikalien znm Wasser die Wirkung der beim Verdampfen
des letzteren entstehenden Wasserdämpfe unterstützen. Er stellte zunächst
fest, dass Wasserdampf von 100° Sporen des Kartoffelbacillus in 130 Minuten,
Bolche eines Trommelschlägerbacillus in 7—8 Minnten und Milzbrandsporen in
4 Minaten abtötete. Seine Untersuchungen ergaben, dass Essigsäure, Karbol¬
säure, Trikresol, Benzoldehyd, Chinosol und Nitrobenzol dem Wasser zugefügt,
die desinfizierende Kraft der Wasserdämpfe erheblich unterstützen. Kräftiger
als die genannten wirkte Kreosot, weitaus am besten jedoch Formaldebyd.
Eine 0,lproz. LöBung dieses Aldehyds tötete die resistenten Kartoffelbaoillus-
sporen in 7 Minuten, eine 0,6proz. Lösnng in 3 und eine 2proz. Lösung in
2 Minuten ab, während die Milzbrandsporen von allen Lösungen schon nach
1 Minute abgetötet waren. Sablimat und Schwefelsäure unterstützten die
Wirkung der Wasserdämpfe nicht im geringsten. Verfasser sieht als Grund
dafür den Umstand an, dass der Siedepunkt dieser beiden Chemikalien weit
über dem des Wassers liegt, und dass die Substanzen sich deshalb nicht mit
den Wasserdämpfen verflüchtigen. Dr. Lents-Berlin.
Ein Beitrag znr Frage der Anwendung des Formaldehydgases
anr Desinfektion. Von 0. Voges-Buenos-Aires. Ibidem; H. 4.
Voges hat Versuche gemacht, die darauf hinausliefen, die Wirkung der
Formalin - Wasserdämpfe dadurch zu verstärken, dass in dem Raum, in welchem
die Desinfektion stattfinden sollte, die Lnft mittelst der Wasserstrahl-Luft¬
pumpe stark verdünnt wurde. Der Erfolg war der, dass selbst Milzbrandsporen
in */* Stande sicher abgetötet wurden. Voges hat nur mit einem kleinen
Apparat gearbeitet. Da er hiermit so überaus günstige Resultate hatte, em¬
pfiehlt er sein Verfahren zur Anwendung im grossen, da die zu überwindenden
technischen Schwierigkeiten nicht gross sein dürften, sein Verfahren sich jedoch
für alle Gegenstände, auch solche, welche durch andere Verfahren verdorben
werden, an wenden lässt. Dr. Len tz-Berlin.
Untersuchungen über die bakterizide Wirkung des Aetbylalko-
hols. Von Dr. med. J. Weigl. Aus dem hygienischen Institut der Universität
München. Archiv f. Hygiene; Bd. 44, H. 4.
Nach den Untersuchungen von Koch, Reinicke, Ahlfeld u. a. hatte
der Aethylalkohol seine grösste bakterisierende Kraft in den 60—70 °/* Alkohol
enthaltenden Verdünnungen gezeigt. Weigl konnte nachweisen, dass anch
die stärkeren Konzentrationen des Alkohols die gleiche oder grössere bakteri¬
zide Kraft besitzen. Voraussetzung hierfür ist nur, dass die abzutötenden
Bakterien sich einerseits in feuchtem Zustande befinden und anderseits nicht
in einem Medium eingebettet sind (z. B. Bouillon, Eiter), in welchem durch
den Alkohol Niederschläge erzeugt werden, welche um die Bakterien eine
schützende Hülle bilden können, die dem Eindringen des Alkohols Widerstand
bietet. Zusatz von Säure oder Alkali steigert die Wirkung des Alkohols der¬
gestalt, dass ein 80°/ o iger Alkohol mit einem Salzsäuregehalt von ca. 0,6 °/ 0
fast einer l'/ M igen Sublimatlösung gleiohkommt. Dr. Lents-Berlin.
Ueber die bakterizide Wirkung der Seifen. Vom Assistenten
Dr. Däniel Konradi. Mitteilungaus dem Institute für allgemeine Pathologie
.Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 866
and Therapie der Königl. ong. Franz Joseph-Universität in Kolozsvär (Direktor:
Dr. Joseph ▼. Löte, o. ö. Professor). Ibidem; H. 2.
Konrädi hat eine Resorzinseife anf ihre bakterizide Kraft gegenüber
Milsbrandsporen geprüft and fand, dass die Seife in 1 °/ 00 iger Lösung die Sporen
bei Körpertemperatur in etwa 4, bei Zimmertemperatur in 24 Stunden abtötete.
Er fand, dass die Seife diese bakterizide Kraft weder der Seifensabstanz selbst,
noch dem Resorzin verdanke, sondern ausschliesslich den odorierenden Zntaten,
welche in Terpinoel, Vanilin, Kumarin and Heliotropin bestanden. (Hieraas
mögen sich z. T. auch die verschiedenen, oft weit divergierenden Resultate
erklären, za welchen andere Untarsacher, die Verfasser anführt, bei der Prüfung
der bakteriziden Wirkung verschiedener Seifen kamen. Ref.)
_ Dr. Lentz-Berlin.
Untersuchungen über die vermutete Absorptionsgefahr bei Ver¬
wendung des Quecksilbers su Desinfektionen mit Korrosiv-Sublimat.
Von Dr. E. Bertacelli. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten;
Bd. 42, H. 3.
Die Entscheidung der Frage, ob die Verwendung von Sablimatlösungen
bei Desinfektionen von Räumen die Gefahr einer Quecksilbervergiftung, sei es
für die Bewohner oder für die die Desinfektion ausführenden Personen, in sich
sehliesst, hat naturgemäss bei den anerkannt vorzüglichen desinfizierenden
Eigenschaften dieses Quecksilbers eine hohe praktische Bedeutung. Während
einzelne Autoren, wie Guttmann, Merke, Sjöqwist und Mörner, aller¬
dings auf Grand nicht ganz exakter und erschöpfender Beobachtungen die
obige Frage bejahen za müssen glaubten, hielten wiederum andere Forscher,
wie Krupin, Bordoni-Uffreduzzi und Ottolenghi nach ihren Er¬
fahrungen jede Vergiftangsgefahr dabei für ausgeschlossen.
Um zuverlässige Grundlagen zur Beurteilung dieser gewiss nicht un¬
wichtigen Angelegenheit za gewinnen, hat der Verfasser während der Jahre
1900 und 1901 in dem hygienischen Universitätsinstitut zu Turin zahlreiche
Versuche an Menschen und Tieren ausgeführt, indem er teils von Leuten, welche
die mit 10 0 / M iger Sublimatlösung desinfizierten Zimmer bewohnten, teils von
den Desinfektoren selbst, den Kot und Urin sammelte und nach der Methode
von Fresenins-Babo auf das Vorhandensein von Quecksilber regelmässig
untersuchte. Hierbei fanden sich nur bei einem Desinfektor in den Abgängen
vorübergehend ganz geringe Sparen von Quecksilber vor, während die Proben
bei allen übrigen Versuchspersonen ein völlig negatives Resultat lieferten.
Darauf stellte Verfasser mehrere Reihen von Tierversuchen in der Weise
an, dass er Mäuse 4 Wochen lang in zwei kleinen Kammern von Holz und
Zement, deren Wände während des Versuches wiederholt mit 10 °/ 00 iger Subli-
matlösung bestrichen wurden, eingeschlossen hielt, nach 4 Wochen tötete und
deren Körper mit Ausnahme des Felles, der Schoauze und der Pfoten in einem
Mörser zu einem Brei oinstampfte, welcher gleichfalls einer chemischen Analyse
auf Quecksilber unterworfen wurde. Von 14 so behandelten Tieren Hessen
nur 2 äasserst geringe Queoksilberspuren erkennen, die Organe aller übrigen
waren frei davon.
Um auch die Fehlerquelle auszuschliessen, dass die Tiere bei diesen Ver¬
sacken durch Belecken der desinfizierten Wände geringe Mengen von Queck¬
silber in sich entnehmen könnten, wurde dann eine andere Reihe von Mäusen
in denselben Kammern auf dichte Metallnetze gesetzt, welche einige Zenti¬
meter vom Fassboden entfernt waren, und auch die Wände mit ähnlichen
Netzen verkleidet, sodass ein Belecken derselben durch die Tiere unmöglich
war. Hierbei zeigte sich nun, dass von 14 während 4 Wochen in diesen
Kammern gehaltenen Mäusen weder die Organe, welche in der vorher geschil¬
derten Weise untersucht wurden, noch die gleichfalls während der Versuchszeit
regelmässig gesammelten Fäkalien irgend eine Spur von Quecksilber auf-
wiesen, obwohl die Kammern häufig mit 10°/ M iger Sublimatlösung desinfiziert
worden.
Da bei der Ausführung der Desinfektionen mit Sablimatlösungen die ^
Flüssigkeit häufig verspritzt wird, so liegt die Vermutung nahe, dass durch die ■
Atmungsorgane eine Aufnahme von Quecksilber in den Körper stattfinder
könnte, wenn sich die Flüssigkeit in Gestalt von feinsten Tröpfchen unter Um
866
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
ständen längere Zeit in der Laft schwebend erhalten kann. Verfasser brachte
nun in einer Kammer von 20 cbm Raamgehalt etwa 40 Liter einer 10 °/ #0 igen
Sublimatlösung gegen die Wände and den Raum sar Vorspritzung and unter¬
suchte nach Ablauf von einer Stande die Laft des Zimmers auf daB Vorhanden¬
sein von Quecksilber, indem er sie durch einen Aspirator ansaugte and durch
destilliertes Wasser streichen liess. Aach bei diesen Versuchen konnte in
keinem Falle in den WasBerproben, daroh welche stets 25 Liter der desinfi¬
zierten Laft hindurchgegangen waren, eine Spor von Quecksilber nachge¬
wiesen werden.
Aas allen diesen Versuchen geht mit grosser Sicherheit hervor, dass von
einer Vergiftangsgefahr bei der Desinfektion mit Sublimatlösungen keine Rede
sein kann. Da der Verfasser meist mit 10 igen Lösungen arbeitete, so
schlägt er vor, die Desinfektionen gleichfalls mit so starken Lösungen auszu-
führen, welohe weit wirksamer sind, als die gewöhnlich verwendeten 1 bis
2 0 /«pigen, und dabei, wie seine Versuche zeigen, die Gesundheit in keiner
Weise gefährden. Dr. H. Martini-Langensalza.
Vergleichende Versuche über die Infektionskraft älterer und
neuerer Quecksilber- und Phenolpräparate. Von Dr. Fritz Hammer.
Aus der Untersnchangsstation des k. Garnisonlazarettes Würzburg. Münchener
med. Wochenschrift; 1908, Nr. 10.
Es erschien dem Verfasser von pathologischem Interesse, eine Reihe von
in der neaeren Zeit in den Handel gebrachten Quecksilber- und Phenolpräpa¬
raten auf ihre Wirksamkeit als Desinfektionsmittel zu prüfen, und zwar von
den Qneck8ilberverbindangen: Sublimat, Sublamin, Hydrargyrum oxycyanatum,
von den Phenolpräparaten: Karbol, Kresol, Lysol, Kresolseifenlösung, Bazillol,
Lysoform.
Verfasser stellt das Resultat der Untersuchung tabellarisch zusammen,
welches ergibt, dass Sublimat den Sieg über alle die genannten Desinfektions¬
mittel davon trägt. Ferner ergaben die Versuche, dass verschiedene
Bakterien demselben Mittel gegenüber sich verschieden ver¬
halten. Will man also gegen eine bestimmte Bakterienart die Desinfektions¬
kraft rüsten, so ist nicht jedeB Desinfektionsmittel brauchbar.
Man ist gezwungen, das für diese Gruppe besonders schädliche auszuwählen,
mit anderen Worten: zu individualisieren. Dr. Waibei-Kempten.
Untersuchungen über die keimtötende und entwlckelnngs-
hemmende Wirkung des Lysoforms. Von Otto Seydewils. Aus dem
hygienischen Institut zu Greifswald (Direktor: Geheimrat Loeffler). Zentral¬
blatt f. Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infektionskrankh.; Bd. 22, I. Abt., H. 8.
Seydewitz hat die keimtötende und entwickelungshemmende Wirkung
des Lysoforms gegenüber verschiedenen pathogenen Mikroorganismen geprüft
und kommt dabei zu dem Schluss, dass daB Lysoform unzweifelhaft imstande
ist, die pathogenen Mikroorganismen sowohl in Aussaat, wie in Kultur abzu¬
töten, dass es jedoch gegenüber den Kulturen einer relativ langen Ein¬
wirkungsdauer im Vergleich mit anderen Desinfizientien dazu bedarf; seine
entwickelungshemmende Kraft ist grösser alB die der Karbolsäure und kommt
der des Formalins gleich. _ Dr. Lentz-Berlin.
Ergänzungsblatt 3 nnd 8 zum preussischen Hebammenlehrbuch.
Von Prof. Geh. Med.-Rat Dr. Ahlfeld-Marburg. Zentralbl. f. Gyn.; 1902,
Nr. 32.
Ein weiterer Beitrag zum mikroskopischen Nachweis vom Ein¬
dringen des Alkohols in die Hant bei der Heisswasser-Alkohol¬
desinfektion. Von Dr. Fett. Aus der Universitätsfrauenklinik zu Marburg.
Zeitschr. f. Geb. und Gyn., Bd. XLVII, Heft 3.
Im Laufe der letzten Jahre sind Ergänzungsblätter zum preussischen
Hebammenlehrbuche erschienen, unter welchen Nr. 8 neben der Karbolsäure
das Lysol und Nr. 8 nebem dem Lysol auch der Gebrauch des Liquor Cresoli
saponatus den Hebammen zur Desinfektion gestattet. Ahlfeld unterzieht die
genannten Erlasse einer sehr scharfen Kritik, zumal in erster Linie das Lysol
ein Mittel sei, welches nicht einmal in der deutschen Pharmakopoe enthalten
Kleinere Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften.
067
ist und aber dessen desinfektorisehe Kraft die Meinungen noch sehr auseinander*
gehen. Wenn man statt des letzteren den Liquor Cresoli einsetzte, so sei
dies schon richtig, jedoch sei die im Erlasse gebrauchte Bezeichnung „Kresol-
seife“ durchaus falsch, und durch „Kresolseifenlösung“ oder „8eifenkresol“ zu
ersetzen. Ausserdem macht Ahlfeld darauf aufmerksam, dass beide Mittel
in der vorgeschriebenen Verdünnung viel zu unsicher wirken und durch eine
3 •/„ ige bezw. 2°/ 0 ige (letztere zu Abspttlungen) zu ersetzen seien. Ah lfeld
wundert sioh, dass man den Alkohol, dessen desinfizierende Kraft doch viel¬
fach bewiesen sei, nicht zur Desinfektion gestatte, und gibt einige sehr beherzi¬
genswerte Winke ffir das neu zu bearbeitende preussische Hebammenlehrbuch.
Nachdem gerade aus der Ahlfeldschen Klinik schon a. a. 0. über
die desinfizierende Kraft des Alkohols (cf. Zeitschr. f. Geb. und Gyn. Bd. XLVII.,
Heft 1) Arbeiten erschienen waren, bringt Fett neuerdings einen sehr schonen
experimentellen Beweis der Tiefenwirkung des Alkohols bei der Desinfektion
der Hand. Auf Anregung Ahlfelds hat Fett Versuche mit Kupfernitrat¬
lösung angestellt und weist nach, dass bei Behandlung der Haut mit der
wässerigen Kupfernitratlösung nur wenig oder gar kein Ferrocyankupfer in
die Epidermis eindringt, während bei der alkoholischen Lösung sowohl die
Epidermis als auch das tieferliegende Bindegewebe, mikroskopisch nachweisbar,
Ton dem chemischen Agens durchdrungen ist. Dieser Versuch beweist zur Genüge
die energische Tiefenwirkung und damit die Zuverlässigkeit des Alkohols.
Bef., welcher häufig geburtshttlflich mit Lysol gearbeitet hat, muss
Ahlfeld vollkommen Becht geben bezüglich der mangelhaften Zuverlässigkeit
des Lysols, und möchte hier nur darauf hinweisen, dass bezüglich dieses, sogar
in Drogerien freigegebenen Mittels zweifelsohne verschiedene, nicht immer zu¬
verlässige Präparate zum Verkauf kommen. Auch dürfte hier erwähnt werden,
dass das Lysol sioh je nach dem Kalkgehalte des Wassers verschieden verhält
und oft in kalkreichem Wasser unangenehme Niederschläge bewirkt.
Dr. Walther-Giessen.
Beitrag zum bakteriologischen Nachweis von Trinkwasserverun-
reinigangen anlässlich infektiöser Erkrankungen. Von k. k. Landes¬
regierungsrat Dr. Mensburger, Landessanitätsreferent, und k. k. Sanitäts¬
assistent Dr. Bambousek, em. Assistent der Hygiene. Aus dem Sanitäts¬
departement der. k. k. Landesregierung in Klagenfurt. Zentralbl. f. Bakterio¬
logie, Parasitenkunde u. Infektionskrankb.; Bd. 32, I. Abt., H. 6.
Verfasser benutzten bei ihren behufs Beurteilung von Trinkwasser
aigestellten Untersuchungen neben dem Plattenzählverfahren die Parietti-
sche Methode, welohe ursprünglich für den Nachweis des Typhusbacillus ange¬
geben worden war. Diese wird folgendermassen ausgeführt: Drei Bouillon-
röhrehen mit ca. 6 ccm Bouillon werden mittelst einer 4°| 0 Salzsäure und 5°/ 0
Karbolsäure enthaltenden Lösung (Pariettis Säure) in der Weise angesäuert,
dass das erste Böhrchen mit 3, das zweite mit 6 und das dritte mit 9 Tropfen
von diesem Säuregemiscbe versehen werden; man fertigt sich drei Serien solcher
Böhrehen (im ganzen also 9 Eprouvetten) an; der ersten Serie werden 4 Tropfen
(= ca. 0,2 ccm), der zweiten 8 Tropfen (= ca. 0,4—0,5 ccm), der dritten 12
bis 16 Tropfen (= ca. 1 ccm) des zu untersuchenden Wassers hinzugefügt.
Die Böhreben kommen dann für 24—48 Stunden in den Thermostaten.
In den Böhroben können wegen ihres Säuregehaltes fast ausschliesslich
Bakterien aus der Coli-Typhusgrnppe fortkommen, während alle anderen zu
gründe gehen. Tritt also in den Böhrehen Trübung anf, so ist der Verdacht
vorhanden, dass das untersuchte Wasser durch Fäkalien (die als colihaltige
Verunreinig ung en wenigstens von Brunnenwasser gewöhnlieh wohl allein in
Frage kommen dürften. Anm. d. Bef.) verunreinigt ist. Durch das weitere
Plattenkulturverfahren muss man diesen Verdacht zu sichern suchen, um bei
Bestätigung desselben die weitere Benutzung des fraglichen Wassers zu Ge¬
nuss- oder Gebrauchszwecken zu verhindern. Dr. Lentz-Berlin.
Ueber die Vernnreinignng des städtischen Hafens und des Flusses
Akerselven durch die Abwässer der Stadt Christlania. Von Dr. Axel
Holst, o. ö. Professor, Dr. Magnus Geirsvold, Assistent am hygienischen
Institute, und SigvarSchmidt-Nielsen, Chem.-Ingenieur. Ans dem hygieni
368
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
•eben Institute der Universität Christiania. Mit Tafel II—IV. Archiv f. Hjg.;
Bd. 42, Heft 1 u. 2.
Die Verunreinigung des Flusses Akerselven, welcher mitten durch
Christiania läuft, und des Hafens von ChriBtiania stammt im wesentlichen von
den 220000 Einwohnern der Stadt; die im Hafen befindlichen ca. 6000—7000
Seeleute spielen daneben keine grosse Rolle. Fluss und Hafen werden die
Verunreinigungen durch die Siele der Stadt angeführt; Fäkalien nehmen die
letsteren nicnt auf. Das Sielwasser hat an der Mündung der Siele eine gelb¬
liche oder graue Farbe und neutrale oder schwach alkalische Reaktion, und
selten einen auffallenden Qeruch, sein spezifisches Gewicht ist 1003—1012; es
ist leicht trühe. Es enthält ca. 0,45 g pro Liter Schwebestoffe, ca. 0,64 g ge¬
löste Stoffe und grosse Mengen von Bakterien; die Anzahl der letzteren
schwankte im Kubikzentimeter zwischen mehreren Hunderttausenden und
50 Millionen. Die Verfasser berechnen, dass durch die Siele Christianias im
Jahre ca. 4000 Tonnen an Schwebestoffen und ca. 6000 Tonnen an gelösten
Stoffen entleert werden.
Die Schwebestoffe setzen sich im unteren Laufe des Akerselven und im
Hafen als lockerer schwarzer Schlick ab; dieser Schlick erreicht an vielen
Stellen eine Mächtigkeit von 1 m und darüber und gibt die Veranlassung an
fortwährenden Baggerarbeiten. In dem Schlick spielen sich fortwährend
Gährungsprozesse ab, welche sich durch die Entwickelung grosser Mengen
brennbarer und übelriechender Gase bemerkbar machen. Die letzteren werden
besonders während der warmen Jahreszeit zu einer Plage der Anwohner des
Hafens. Diese Gasbildung ist die Folge der Lebenstätigkeit von Mikroorga¬
nismen. Die Verfasser konnten aus Schlammproben 2 Kurzstäbchen isolieren,
welche im stände waren, bedeutende Mengen brennbarer Gase zu bilden, die
reiehlich Schwefelwasserstoff enthielten.
Die chemische Untersuchung des Schlammes ergab, dass derselbe im
unteren Laufe des Akerselven und im inneren Hafen die grössten Mengen
organischer Substanzen enthielt; dem entsprach auch der Gehalt des Schlammes
an Schwefelwasserstoff und Sulfiden, die an diesen Stellen am reichlichsten im
Sehlamm enthalten waren.
Dass die Sedimentierung der Schwebestoffe keiner Selbstreinigung des
Fluss- bezw. HafenwasBers entspricht, haben die Verfasser durch eine Prüfung
des Wassers bezüglich seines Gehaltes an Chloriden und besonders an Bakterien
nachweisen können. Besonders die Keimzahl des Fluss- wie des Hafenwassers
in der Nähe der Stadt Hess keinen Zweifel darüber, dass beide dauernd durch
die Abwässer dar Stadt ganz beträchtlich verunreinigt werden, und dass weder
im Fluss Akerselven, noch im Hafen eine ausreichende Verdünnung der ein-
fliessenden Sielwässer stattfindet. Etwas günstigere Verhältnisse liess das
Wasser des Hafens in der kurzen Zeit von Ende März bis Anfang Juni er¬
kennen, insofern, als in dieser Zeit die Keimzahl des Hafenwassers erheblich
niedriger war, als in den übrigen Monaten. Dr. L e n t z - Berlin.
Versnobe mit Nachbehandlung der Frankfurter Abwässer in
Oxjdationsflltern. Von Prof. Dr. Freund, Dozent des physik. Vereins zu
Frankfurt a.M. und H. Uhlfelder, Stadthauinspektor ebenda. Deutsche
Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege; Bd. XXXIV., H. II.
Die Frankfurter Klärbeckenanlage dient für die Reinigung
sämtlicher städtischer Abwässer mit Einschluss der menschlichen Abgänge
und der gewerblichen Abwässer. Dnrch den Sandfang und die Rechen werden
dis gröbsten Sink- und Schwimmstoffe ausgeschieden, worauf die eigentliche
Klärung der mit Chemikalien versetzten Abwässer in 4 grossen Becken erfolgt.
Mit der Zunahme der Bevölkerung stellte sich die Notwendigkeit herauB, die
Kläranlagen zu vergrössern. Wegen der bedeutenden Kosten einer derartigen
Erweiterung wurden Versuche angestellt, ob nicht andere Methoden zur Reini¬
gung der Abwässer, in Verbindung mit der bestehenden Kläranlage billiger
zum Ziele führen könnten, insbesondere das bereits anderweitig bewährte sog.
biologische Verfahren. Die Versuchsreihen, deren Einzelheiten im Ori¬
ginal eingesehen werden müssen, wurden in einer kleineren Filteranlage ange¬
stellt und standen unter Kontrolle der Herren Geh. Rat Dr. Scbmidtmann
“4 Prof. Proskauer in Berlin; sie erstreckten sich auf einen Zeitraum von
1
Besprechungen.
869
einem Jahre. Sie wurden so vorgenommen, dass Wasser, das in den Beeken
auf rein mechanischem Wege, also ohne Zusatz von Chemikalien vor-
gekl&rt war, langsam Yon oben in die Filter einlief, dort llngere Zeit rnhig
stand nnd dann langsam von nnten abgezogen wurde, worauf der Filter snr
Regenerierung einige Zeit leer blieb. Es hat sich dabei ergeben, dass ein er¬
heblicher Teil der Vernnreinignngen schon im Laufe von 15 bis 20
Hinnt en entfernt wird; nach einstttndigem Stehen ist der höchste Effekt
beinahe erreicht. Es ist ausgeschlossen, dass in so kurzer Zeit dieser Erfolg
unter Mitwirkung Yon Mikroorganismen, wie er für das „biologi¬
sche" Verfahren vorausgesetzt wird, eintreten kann; dass keine nitrifizierend
wirkenden Bakterien dabei in Frage kommen, ergibt sich daraus, dass Nitrite
oder Nitrate in den gereinigten Abwässern sich nicht fanden. Die Wirkung
der Koksfilterbecken muss vielmehr auf physikalische Ursachen zurtickgefllhrt
werde n.
Nach den verschiedenen Analysen ergab es sich, dass der Beinigungs-
effekt lange nicht so gross war, wie man nach den Angaben, die von anderer
Seite über das biologische Verfahren gemacht wurden, voranssetzen konnte,
und dass das Oxydationsverfabren recht kostspielig ist. Der Grund dafür
scheint in den Verhältnissen Frankfurts zu liegen, wo die Abwässer relativ
rein sind und in wenig gefaultem Zustande in die Kläranlage eintreten; sie
besitzen nach mechanischer Klärung ohne Chemikalien einen Reinheitsgrad,
ähnlich den nach dem Kohlebreiverfabren in Potsdam behandelten Abwässern.
Das Oxydationsverfahren wird fflr einzelne, von Flüssen entfernt liegende
Anwesen und abgelegene Anstalten in Gebirgstälern oder auch für Städte mit
kleineren Wasserläufen wohl als Ersatz fflr Rieselfeldanlagen Anwendung finden
können, fflr Städte jedoch, die Aber einen wasserreichen Flusslanf verfügen,
würde es einen gewissen Luxus bedeuten. Denn die sehr feinen Schmutzstoffe,
die nach einer mechanischen Reinigung im Wasser noch verbleiben, verfallen
leicht und rasch, wie die 15jährige Erfahrung in Frankfurt beweist, der Mine¬
ralisierung im Flusse; auch die Fäulnisfähigkeit des geklärten Wassers wird
schon durch eine mässige Verdünnung mit Flusswasser beseitigt.
*Man wird sich deshalb in Frankfurt zur Einführung des Oxydationsver¬
fahrens schwerlich entscbliessen. Dr. Glogowski-Görlitz.
Besprechungen.
Dr. Kux Kuhane-Wien: Therapie der Erkrankungen den Respi¬
ration»- und Zirkulationsapparates. Mediz. Handbibliothek; II. Bd.
Wien u. Leipzig. 1902. Verlag von Alfred H öl der. Kl. 8°. 394 Seiten.
Preis: 6M.
Das Bestreben des Verfassers, dem Bedflrfnisse des praktischen Arztes
entsprechend in kurzer, leicht fasslicher Form alles Wissenswerte, auch das
Neueste, auf dem Gebiete der Therapie bezüglich der Erkrankungen des.Respi-
rations- und Zirkulationsapparates zu bringen, isc als durchaus gelungen an-
znerkennen. K. bat den Stoff klar und übersichtlich behandelt. Unter Hinweg-
laasung historischer und literarischer Details wurde auf die Besprechung der
Krankheitsursachen und ihrer Bedeutung fflr Prophylaxe und. Therapie um so
grösseres Gewicht gelegt. Anatomische Veränderungen sind nur soweit
berücksichtigt, als dies zur wichtigen Beurteilung des Krankbeitsbildes erfor¬
derlich ist. Von den Heilmitteln und Heilmethoden ist im allgemeinen nur
Erprobtes und Bewährtes und zwar unter kritischer Abwägung seines Wertes
je nach den Eigenarten des einzelnen Krankheitsfalles erwähnt. Dabei bat
Verfasser die gerade in der Therapie der Lungen- und Herzkrankheiten in
neuester Zeit zu fast universeller Anerkennung gelargte physikalische, bezw.
hygienisch - diätetische Richtung eingehendst berücksichtigt. Das Kapitel Aber
„Lungentuberkulose“ ist m. E. vorzüglich; es ist vollständig nnd zugleich
knapp, belehrend und zugleich unterhaltend, und mit vollem Verständnis fflr
die in die Phthiseotherapie hineinspielenden sozialen Momente behandelt.
Dr. Roepke-Lippspringe.
Dr. Matterer - ErfurtKarze Darstellung des preusslsohen Gesetzes
betreffend die ärstlipfeen Ehrengerichte, das Umlagereoht nnd
370
Tagesnachriohten.
die Kassen der Aerztekammern vom £6. Not. 1890. Mit 2 Licht¬
drucktafeln. Leipzig 1902. Verlag von Job. Ambrosius Barth. Kl. 8°. 48 8.
Preis: 0,80 Mark.
Die Abhandlung erllntert in knapper, übersichtlicher Darstellung die
staatlieherseits dem Amte gegebene gesetzliche Handhabe snr Wahrung
seiner Standesehre, sowie die ärztliche Ehrengerichtsbarkeit. Als Anhang ist
ein Auszug ans den Verordnungen über die ärstliehe Standesvertretung bei¬
gegeben. Dr. Roepke-Lipppringe.
Tagesnachrichten.
Anz dem Beiohztage. Jn der Sitsnng am 22. April d. J. ist der
Gesetzentwurf, betreffend die Phosphor* undwaren, nach längerer Beratung in
zweiter Lesung in der von der Kommission vorgeschlagenen Fassung ange¬
nommen. Ein Antrag auf Entschädigung für Arbeiter und Fabrikanten wurde
abgelehnt, dagegen einer von der Kommission vorgeschlagenen Resolution zuge¬
stimmt, durch die der Reichskanzler ersncht wird, „auf die Landesregierungen
einznwirken, dass sie geeignete Massregeln treffen, um in den durch das Verbot
der Verwendung des weissen Phosphors zur Herstellung von Streichhölzern
besonders betroffenen Gegenden, soweit nötig, anderweitige, geeignete Arbeits¬
gelegenheit zu beschaffen.“ Als Termin des Inkrafttretens des Gesetzes wurde
der Regierungsvorlage entsprechend der 1. Januar 1908 bestimmt.
In den Sitzungen vom 23. und 26. April erfolgte die zweite Beratung der
Novelle zum Krankenkassengesetz. Dasselbe wurde ebenfalls in der
Fassung der Kommissionsbeschlüsse angenommen; ausserdem auch eine Be¬
stimmung, dass die Handelsgehilfen ohne Ausnahme in das Gesetz einsubesiehen
seien. Ein Antrag, dass die Versicherten, die sich eine Krankheit durch Trunk-
Süchtigkeit sagesogen haben, ebenfalls der Wohltaten der Krankenversiche¬
rung nicht mehr verlustig gehen sollten, wurde abgelehnt.
Aus dem preuzsiaohen Abgeordnetenhause. In der Sitzung am
22. April d. J. gelangte der Antrag Dr. Langerhans, betreffs Abänderung
des Gesetzes, betr. die ärztlichen Ehrengerichte, das Umlagerecht und
die Kassen der Aerztekammern, zur Beratung. Der Antragsteller wies
darauf hin, dass insbesondere das Umlagererfahren, wie es heute ausgeflbt
werde, sehr reformbedürftig sei. Min.-Direktor Dr. F 0 r s t e r erwiderte hierauf,
dass der Kultusminister die Absicht habe, dem Hause in der nächten Session
einen Gesetzentwurf, betr. anderweitige Regelung des Umlageverfabrens, vor¬
zulegen. Mit Rücksicht auf diese Erklärung zog hierauf Dr. Langerhans
seinen Antrag zurück.
In der Sitzung am 21. April wurde der Antrag der Abg. Ernst und
Kindler auf Errichtung von Kurhospitälern und Genesungsheimen für
Eisenbahnbeamte nach kurzer Debatte der Budgetkommission überwiesen. In
derselben Sitzung erklärte bei Gelegenheit der Beratung des Antrages Weihe
betreffs Errichtung von kleinen Rentengütern der Finanzminister v. Rhein¬
baben in Bezug auf die Wohnungsfürsorge, dass dieser Frage von Seiten
des Staates das grösste Interesse entgegengebracht werde und die Regierungs¬
präsidenten angewiesen seien, dieselben in jeder Weise zu fördern und zu unter¬
stützen. Desgleichen sei ein Entwurf für ein Wohnungsgesetz fertiggestellt,
der in nächster Zeit den Regierungspräsidenten und einer Anzahl besonders
auf diesem Gebiete vertrauter Bürgermeister und Oberbürgermeister zur Aeusse-
rung zugehen werde; denn man müsse sich hüten, bei dieser Materie zu sehablo-
nisieren. In dem ausgearbeiteten seien keine Minimalvorschriften für Bebau¬
ung, wohl aber hinsichtlich der Benutznng der Gebäude vorgesehen.
In parlamentarischen Kreisen soll nach den politischen Blättern die Hoff¬
nung, die Gesetzentwürfe, betreffend die Ausführungsbestimmnngen zum
Reichsseuchengesetz, und betreffend die Gebühren der Medizinalheamten,
noch in dieser Session zu erledigen, vollständig aufgegeben sein. Die betreffende
Kommission des Abgeordnetenbaases hat am 21. April ihre Sitzungen wieder
auf'mmen. Dem Vernehmen nach macht besondere Schwierigkeit die Kosten-
Tigeauckriektea.
371
deckungsfrage und die Sicherung gegen anberechtigte Belastung. Es sind noch
neue Anträge eingegangen, die diese Sicherung durch die Erm&gUchung von
Beschwerden beim Bezirksausschuss beabsichtigen, da eine nachträgliche Klage
nicht den genügenden Erfolg verspreche. Die Kommission dürfte diesen Vor¬
schlägen beitreten; man bezweifelt aber, dass dann die Regierung noch Wert
auf die Weiterberatung des Entwurfes legt, zumal das Herrenhaus in diesem
Punkt noch schwieriger sich erweisen dürfte, als das Abgeordnetenhaus. Damit
würde leider der Gesetzentwurf ebenso wie der Entwurf für die Gebühren-
festsetznng der Medizinalbeamten nicht zur Verabschiedung gelangen.
In der am 4. April d. J. stattgehabten Sitzung des Wftrttembergi-
zchen Landtages brachte bei Gelegenheit der Btatsberatung der Abg. Betz-
Heilbronn die Kurpfascherfrage zur Sprache und verlangte, dass die Aerste
in ihrem Kampfe gegen das Kurpfuschertum noch mehr unterstützt werden
müssten. Die gesetzliche Freigabe des Kurierens bedeute eine Freigabe des
Betrugs und der Lüge, ein Untergraben der Volksgesundheit, sowie ein Her¬
unterdrücken des ärztlichen Standes. Der Minister des Innern v. Pischeck
erklärte, dass die Regelung der Angelegenheit Sache deB Reiches sei, und von
diesem auch vor einiger Zeit Erhebungen dieserhalb eingeleitet seien. Jeden-
. falls werde aber die württembergische Regierung bei einem Kampfe gegen die
Kurpfuscherei, die leider in Deutschland einen grossen, auf die Bildung des
Volkes ein unangenehmes Sohlagücht werfenden Umfang angenommen habe,
sehr gern mitwirken. _
Auf der am 19. und 20. April d. J. in Jena abgehaltenen Jahres¬
versammlung des Vereins deutscher Irrenärzte kam auch die bekannte Ver¬
fügung des preussischen Justizministers über das Verfahren
bei Entmündigungen wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche
zur Verhandlung. Auf Antrag des Referenten, Dr. Thomsen-Bonn, wurde
folgende Resolution einstimmig angenommen: „Der Verein deutscher Irrenärzte
erblickt die unbedingt nötige Garantie für die Beibringung eines zuverlässigen
Beweismaterials über den Geisteszustand eines zu entmündigenden Anstalts¬
insassen nur darin, dass das Entmündigungsgutachten unter Hinzuziehung der
behandelnden Anstaltsärzte abgegeben wird. Der Verein beauftragt seinen
Vorstand, diese Ueberseugung in einer Eingabe zur Kenntnis des Herrn Justiz-
ministers zu bringen.“ Mit dieser Resolution können sich auch die Medizinal¬
beamten einverstanden erklären; denn es kann ihnen als Sachverständige in
Entmündigungssachen nur sehr erwünscht sein, wenn auch die behandelnden
Anstaltsärzte in den betreffenden Fällen hinzugezogen werden. Eine Beiseite-
schiebung der Anstaltsärzte bei Entmündigung der ihrer Obhut anvertrauten
Geisteskranken und Geistesschwachen hat übrigens nieht in der Absicht des
Ministerialerlasses gelegen.
Von den übrigen Vorträgen auf der betreffenden Versammlung inter¬
essiert besonders derjenige von Dr. Merklin-Treptow a.d. R. über die An¬
wendung der Isolierung bei der Behandlung Geisteskranker, die
zu therapeutischen Zwecken als unzulässig und nur noch vorübergehend als
Schutsmassregel in den seltenen Fällen für zulässig erklärt wurde, in denen
durch Geisteskranke Gesundheit und Leben der Umgebung ernstlich bedroht
sind und andere Mittel versagen. Ausdsücke: „Toben, Tobzelle, Zelle, Ein¬
sperren* sollten überhaupt als den psychiatrischen Anschauungen nicht mehr
entsprechend vermieden werden. In der Diskussion über diesen Vortrag wiesen
mit Recht Dr. Buchholtz-Hamburg, Prof. Dr. Cr amer« Göttingen und Med.-
Rat Dr. Mittenzweig-Berlin auf den Missstand hin, dass Geisteskranke
bis zu ihrer Ueberfttbrung in die Anstalt in kleinen Krankenhäusern oft in der
ungeeignetsten Weise untergebracht und behandelt werden. Dieser Missstand
wird am sichersten durch möglichst schnelle Erledigung des Aufnahmever¬
fahrens beseitigt, aber damit hapert es eben leider noch bei mehreren Provin-
zialverwaltungen und Provinzialanstalten.
Zur Förderung des XI. internationalen Kongresses für Hygiene
and Demographie, welcher vom 2.-8. September 1903 in Brüssel statt-
m
Tageanachrichten.
findet, hat sich ein Dentsehee Reichskomitee gebildet (Vorsitzender:
Geh. Bat Dr. Boeckh, Schriftführer: Beg.- und Med.-Rat Dr. Abel-Berlin),
das folgenden Aufruf erlassen hat:
Die Abteilung für Hygiene zerfällt in sechs Unterabteilungen: 1. Bakterio¬
logie, 2. Nahrungsmittelhygiene, 3. Hygienische Technologie, 4. Gewerbehygiene,
5. Verkehrshygiene, 6. Verwaltungshygiene (Vorbeugung fibertragbarer Krank¬
heiten, Arbeiterwohnungen, Kinderhygiene). Die demographische Abteilung ist
ungeteilt. Die Mitgliedschaft am Kongress wird durch portofreie Einzahlung
Ton 25 Frcs. nach dem Tageskurse erworben. Damenkarten erhält man für
10 Frcs. Schatzmeister des Kongresses ist: M. J. Sterckx, Chef de Bureau
au Ministöre de l’Agriculture, 3 rue Beyaert, Brüssel. Wir geben uns der
Hoffnung hin, dass die deutschen Hygiener und Demographen sich an dem
Brüsseler Kongress recht zahlreich beteiligen werden. Die Beteiligung melde
man freundlichst dem Schriftführer des oben genannten Beichskomitees, Herrn
Beg.- und Med.-Bat Dr. Abel, Berlin W. 50, Eislebenerstrasse 8, auf Post¬
karte, damit die deutschen Mitglieder in Brfissel an bestimmten Punkten ver¬
einigt werden können.
Das Königlich Sächsische Landesmedizinalkollegium wird
seine diesjährige Plenarversammlung am 4. Mai d. J. in Leipzig abhalten.
Der internationale Kongress gegen den Alkoholismns hat unter
ausserordentlich grosser Beteiligung (eB waren fast 2000 Teilnehmer erschienen)
vom 15.—10. April in B r e m e n stattgefunden. Er wurde durch eine Ansprache
des Ehrenvorsitzenden, Graf Posadowsky-Berlin, eröffnet, in der dieser
ausftthrte, dass die Entwicklung der modernen Kultur an die geistige und
körperliche Spannkraft des Einzelnen erhöhte Anforderungen stelle und sich
infolgedessen die Gefahr des Übermässigen Alkoholgenusses erhöhe. Um so
notwendiger sei daher die Bekämpfung dieser Gefahr. Die Art, der Umfang
und die Ziele würden nach der Eigenart eines Volkes und nach den klimatischen
Verhältnissen verschieden sein. Die Gesetzgebung könne nur mechanisch eine
Hilfsaktion leisten. Die innere Beschränkung des Uebels müsse ohne Beschrän¬
kung des Lebensgenusses aus veredelter Volkssitte hervorgehen. Im Kampfe
für die geistige und körperliche Gesundheit der Menschheit ständen alle ge¬
bildeten Völker Schalter an Schulter. Möge der Kongress einen neuen Mark¬
stein bilden auf dem Wege des Fortschritts menschlicher Gesittung.
Auf dem Kongress selbst standen sich Abstinenten und Temperenzler
verhältnissmässig schroff gegenüber; der Gegensatz trat nicht nur in den Vor¬
trägen, sondern vor allem in der Diskussion hervor. Vermittelungsversuche
fanden bei den ersteren, namentlich bei den Gattemplern, gar keinen Anklang.
Unter diesen Umständen war die Leitung der Verhandlungen keine leichte
Aufgabe; der Vorsitzende, Dr. Delbrück-Bremen zeigte sich derselben aber
gewachsen. In seinem Sehlassworte betonte er, dass Verhandlungen zwar
manche schwere Gewitterstürme gebracht hätten, dass diese aber noch immer
besser wie Langeweile seien. Jedenfalls habe aber der Kongress bewiesen,
dass die Alkoholfrage heute nicht mehr das enge Gebiet der Heilung einzelner
Trinker, sondern die Veredelung der gesamten Volkssitten von ethisch-sozialen
Gesichtspunkten bezwecke.
Dor nächste Kongress soll 1905 in Pest stattfinden.
Die diesjährige Hauptversammlung der Deutschen Gesell¬
schaft für Volksbäder wird Sonnabend, den 30. Mai d. J., in Danzig
stattfinden.
Der Ausschuss der Vereinigung derDeutschen medizinischen
Fachpresse hat sich auf Ersuchen eines Zeitungsverlegers bereit erklärt, in
zweifelhaften Fällen ein Gutachten darüber abzageben, ob lnseratentexte als
Kurpfuscher-Inserate zurückzuweisen sind oder nicht.
Verantwort!. Redakteur: Dr. Rapmund, Beg.-u.Geh.Med.-Bat in Minden i. W.
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vr. t»'n''»*H i» j* -|itÄg<srM<$r' 4£Än»öbe*8i*.lMtm a-Vs '
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16. Jahr*.
Zeitschrift
IMS.
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MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt fir gerichtliche Medizin nid Psychiatrie,
für ärztliche Sachferstudigentatigkeit in Unfall- nnd Inraliditatasachei, sowie
fir Hygiene, öffentl. Sanitatswesen, Medizinal -Gesetzgebung nnd Rechtsprechung.
Heraasgegeben
toh
Dp. OTTO RAPMÜND,
Regforangfl- and Geh. Medlainalrat in Min den.
Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., E Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer-Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Iunrate nehmen die Yerlngshnndlu&f sowie eile Annoncenexpeditionen des In-
nnd Aneliuidee entgegen.
Nr. 10.
Ersehelnt
1« und 15. Jeden Monats
15. Mai.
Die Tätigkeit der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher
bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten in
Landkreisen.
Von Hedizinalrat Dr. Dütschke, medizinischer Hilfsarbeiter bei der Königlichen
Regierang in Arnsberg.
Die in Nr. 8, Jahrgang 1903 dieser Zeitschrift von Herrn
Kollegen Fielitz in Halle erschienene Abhandlung über „die
Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen“, sowie der
in derselben Nummer Seite 323 veröffentlichte Bericht über die
17. Versammlung der Medizinalbeamten des Beg.-Bez. Merseburg
am 29. November 1902 in Halle a. S., in welcher die Frage der
Heranbildung von Desinfektoren und ihre Verwendung bei der
Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen zur Dis¬
kussion gelangte, bieten mir willkommenen Anlass, im Anschluss
an meinen Artikel in Nr. 21, Jahrgang 1902 dieser Zeitschrift:
„Desinfektoren und Gesundheitsaufseher im Beg.-Bez. Arnsberg“
die Tätigkeit dieser Personen, besonders bei der Bekämpfung an¬
steckender Krankheiten in Landkreisen zu besprechen. Ich sehe
mich hierzu um so mehr veranlasst, als, soweit mir bekannt, der
Beg.-Bez. Arnsberg der erste war, welcher das Desinfektions¬
wesen für einen grösseren Bezirk mit einer Bevölkerungszahl von
nahe 2 Millionen Einwohnern überhaupt generell geordnet hat,
und weil uns anf Grand des nunmehr fast 2jährigen Bestehens
des Instituts der Desinfektoren nnd Gesondheitsaufseher hierüber
eine Beihe von Erfahrungen im grossen zu Gebote steht, wie solche
bei der Eigenart des hiesigen Bezirks, wo Industrie und Land-
374
Dr. Dtttachke.
Wirtschaft gemeinsam vertreten sind, sonst nur schwer zu er¬
werben sein werden. Sodann aber halte ich es im Interesse der
Sache nicht allein für dringend geboten, die mehr oder minder
stark ausgesprochenen Zweifel, welche die Herren Kollegen Fie-
litz und Hermann bezüglich der Zulässigkeit der Vereinigung
des Amtes eines Desinfektors mit dem des Gesundheitsaufsehers
äussern, zu zerstreuen, sondern auch für meine Pflicht, der Dis¬
kreditierung der Desinfektionseinrichtungen im Regierungsbezirk
Arnsberg, wie solche in der Abhandlung des Herrn Kollegen
Fielitz zum Ausdruck gelangt, mit voller Entschiedenheit ent¬
gegenzutreten.
In anschaulicher und zutreffender Weise schildert Fielitz
die Schwierigkeiten, welche sich bei der Bekämpfung ansteckender
Krankheiten in den Landkreisen gerade der Sanitätspolizei und
der Hygiene entgegenstellen; jeder Medizinalbeamte, der längere
Zeit in einem vorwiegend ländlichen Kreise tätig gewesen ist,
weiss ein Lied von den langsamen Fortschritten der Hygiene auf
dem Lande zu singen und hat die Widerstände, welche sich der
Durchführung gesundheitspolizeilicher Anordnungen zu Epidemie¬
zeiten oft entgegenstellen, genügend kennen gelernt. Mit Fie¬
litz weiss ich mich darin eins, dass die Haupterfordernisse
zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Land¬
kreisen neben Durchführung der Anzeigepflicht und Feststellung
der einzelnen Fälle, die Isolierung des Kranken und eine ge¬
wissenhafte fortlaufende Desinfektion bilden. Nur in
der Handhabung dieser Massregeln weichen wir von einander ab!
Ich will von vornherein zugeben, dass die Massregeln zur Be¬
kämpfung ansteckender Krankheiten, welche für den Saalkreis
vielleicht genügen mögen mit einer Bevölkerungszahl von 70000
Einwohnern, bei einem Flächeninhalt von 512 qkm, bei uns iu
dem Kreise Gelsenkirchen z. B. mit 225000 Einwohnern und nur
77 qkm nicht angebracht erscheinen können; hier spielen eben die
örtlichen Verhältnisse und die Eigenart der Bevölkerung eine zu
wichtige Rolle. Aber konforme Verhältnisse wie im Saalkreise,
haben wir auch in verschiedenen Kreisen unseres Bezirkes; ich
würde indessen Bedenken tragen, das Desinfektionswesen in diesen
Kreisen nach den Vorschlägen von Fielitz zu organisieren, weil
ich dieselben nicht für ausreichend erachte; ebenso muss ich es
aber auch für mindestens voreilig bezeichnen, ohne nähere Kennt¬
nisse, wesentlich gestützt auf die doch immerhin erst kurze Er¬
fahrung mit der jüngst getroffenen Einrichtung im Saalkreis, das
Institut der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher, wie es im
hiesigen Bezirk seit 2 Jahren besteht, nunmehr schlankweg als
verfehlt und nicht glücklich zu bezeichnen.
Im Gegensatz zu den Erfahrungen, welche Fielitz S. 307
mitteilt, dass die Ermittelung erster Fälle von Infektions¬
krankheiten in Landkreisen grossen Schwierigkeiten begegne und
es nicht möglich sei, dass der Kreisarzt alle ersten Fälle an¬
steckender Krankheiten feststellt, weil Zeitmangel und Kosten dies
verhindern, kann ich nnr betonen, dass, sobald der Kreisarzt über-
Die Tätigkeit der Desinfektoren u. Gtasnndheite&ufseher u. s. w. in Landkreisen. 375
hanpt Kenntnis von dem Auftreten der ersten Fälle von Scharlach
and Diphtherie z. B. erhalten hat, er im hiesigen Bezirk anf
Grand der bestehenden Bestimmungen an Ort und Stelle diesen
ersten Fall sofort untersuchen und aufklären muss und an der
Hand eines ausführlichen Fragebogens, der gebührend der Aetio-
logie und Prophylaxe Rechnung trägt, über das Ergebnis seiner
Feststellungen und die angeordneten bezw. in Vorschlag ge¬
brachten Massregeln berichtet. Ebenso ist die Untersuchung
jedes Falles von Unterleibstyphus und Ruhr im hiesigen Bezirk
durch den Kreisarzt obligatorisch und „er wird nicht allerdings
stets gut tun, an Ort und Stelle zu erscheinen“, wie Fielitz
schreibt, sondern er muss es. Gerade bei der Eigenart der hiesigen
Trinkwasserverhältnisse und der naheliegenden Möglichkeit ihrer
Verseuchung, besonders nach den Erfahrungen, welche Spring -
feld jüngst in seiner Arbeit: „Die Typhusepidemien im Reg.-Bez.
Arnsberg und ihre Beziehungen zu Stromverseuchungen und
Wasserversorgungsanlagen“ (Klinisches Jahrbuch, 1903, X. Band)
in anschaulicher und überzeugender Weise niedergelegt hat, würde
die Unterlassung der Untersuchung und Feststellung vielleicht
eines einzigen Typhusfalles und die Unterlassung der Anord¬
nung der erforderlichen sanitätspolizeilichen Massregeln zu den
verhängnisvollsten Folgen führen, da im hiesigen Bezirk allein
241 grössere zentrale Wasserversorgungsstellen, nicht etwa nur
über industrielle Kreise, sondern vorwiegend über ländliche
Kreise verteilt, bestehen.
Der Schwerpunkt der Massregeln zur Bekämpfung ansteckender
Krankheiten im Landkreise beruht, da trotz der zahlreichen Kran¬
kenhäuser, welche im hiesigen Bezirk auch über die ländlichen
Kreise zerstreut sind, ebenfalls dieselbe Antipathie der Landbevölke¬
rung gegen die Ueberführung und Isolierung ansteckender Kranken
in Krankenhäusern besteht, wie im Saalkreis, auch bei uns in
einer sachgemässen Desinfektion. Der wichtigste Teil dieser Des¬
infektion ist aber, wie Fielitz zutreffend sagt, derjenige, welcher
während der Erkrankung stattfindet; es genügt jedoch
keineswegs, dass der Arzt den Leuten zeigt, wie und was sie
desinfizieren sollen, sondern es muss eine dauernde Kontrolle
stattfinden. Diese wird nun bekanntlich im hiesigen Bezirk durch
die Gesundheitsaufseher oder Seuchenwärter ausgeführt, welche
gleichzeitig Desinfektoren sind. Sobald der Kreisarzt die Fest¬
stellung der ansteckenden Krankheit vorgenommen hat, werden
den Angehörigen die für die betreffende Krankheit gedruckten
Verhaltungsmassregeln durch den Gesundheitsaufseher oder
die Polizeibehörde ausgehändigt, und der Gesundheitsaufseher er¬
hält vom Kreisarzt durch die Ortspolizeibehörde die Anweisung,
die Beachtung der Verhaltungsmassregeln bezw. Isolierung und
Desinfektion der Abgänge des Kranken in bestimmten Zwischen¬
räumen zu kontrollieren und zu überwachen. Da in jedem Kreis
bezw. Amt, der Bevölkerungszahl und der Häufigkeit der an¬
steckenden Krankheiten entsprechend, eine ausreichende Zahl
von Gesundheitsaufsehern und Desinfektoren im Ver
376
l)r. Dtttachk®.
laufe der 2 Jahre seit Organisation des DesinfektionsweseUs^aus -
gebildet worden ist, begegnet es keinen Schwierigkeiten, die
Kontrolle wirksam auszufiihren. Selbstverständlich, erwidere ich
Fielitz auf seine Frage, muss der Gesundheitsaufseher
hierbei die Krankenzimmer betreten, denn sonst ist ja
eine Kontrolle unmöglich. Die von Fielitz S. 306 gehegte Be¬
fürchtung des mangelnden Taktgefühles bei diesen Kontrollbe-
suchen, nur weil der Mann in seinem gewöhnlichen Leben sonst
ein Barbier oder Fleischbeschauer zufällig ist, hat sich bislang
nicht als begründet erwiesen; denn der Gesundheitsaufseher darf
nur nach seiner ihm erteilten Instruktion verfahren, andernfalls
würde der Kreisarzt, dem der Gesundheitsaufseher und Desinfektor
direkt untersteht und dem er sein Tagebuch als Ausweis seiner
Tätigkeit jederzeit auf Verlangen vorzulegen hat, den Mann rek¬
tifizieren.
Wie Fielitz diese Kontrolle durch „Gemeindeschwestern“
wirksam durchführen will, ist mir nicht recht verständlich. Für
unsere Verhältnisse würde dies bei der überwiegend katholischen
Bevölkerung schon aus dem Grunde nicht möglich sein, weil die
Ordensgenossenschaften der katholischen Kirche Gemeindeschwestern
in dem Sinne nicht zur Verfügung haben, wie die evangelische
Diakonie solche hat. Sodann betont Fielitz ja selbst den
Mangel an Gemeindeschwestern und zieht dieserhalb schon die
Ausbildung von „Landpflegerinnen“ nach Badenschem Muster in
Erwägung! Was nun ferner die bessere Qualifikation der
Gemeindeschwestern zu Gesundheitsaufsehern gegenüber den männ¬
lichen Gesundheitsaufsehern anbelangt, welche Fielitz annimmt,
so möchte ich doch auf Grund eigener früherer Erfahrungen die
Gemeindeschwestern nicht gerade immer als „Pioniere der
Hygiene“ bezeichnen und werde in dieser Auffassung nur be¬
stärkt durch den in derselben Nummer der Zeitschrift für Medizinal¬
beamte von Herrn Medizinalrat Dr. Coester gelieferten „Beitrag
zur Anzeigepflicht bei Infektionskrankheiten und zur Kurpfuscherei¬
frage“. Gegenüber den Lobeserhebungen über die segensreiche
Tätigkeit der Gemeindeschwestern, welche Fielitz anstimmt,
erscheint der Coester sehe Beitrag fast als Ironie! Räumt man
nun auch ein, dass die Ausschreitungen einzelner Gemeinde¬
schwestern, — nach mir gewordenen Mitteilungen sollen dieselben
allerdings nicht so vereinzelt sein — nicht verallgemeinert
werden dürfen, so steht doch der Verwendung und Anstellung
der Schwestern als Gesundheitsaufseherinnen immer das eine nicht
zu beseitigende Hindernis entgegen, dass die Gemeindeschwestern
nicht der amtlichen Aufsicht und Kontrolle desKreis*
arztes unterliegen, während dies bei der im Regierungsbezirk
Arnsberg eingeführten Institution der Desinfektoren und Gesund¬
heitsaufseher in bestimmter Weise ausgesprochen ist.
Auch darin vermag ich Fielitz nicht beizupflichten, dass
„bei gebildeten und bei wohlhabenden Leuten es kaum einer Kon¬
trolle bedürfe, ob die Desinfektion fortlaufend geschehe, unbedingt
müsse diese Kontrolle aber bei den einfachen kleinen Leuten er-
/
Die Tätigkeit der Desinfektoren n. Qesnndheitsanfseher u. s. w. in Landkreisen. 377
folgen“. Im verflossenen Winter hatten wir im hiesigen Bezirk
in einer der grösseren Städte eine ausgedehnte Scharlachepidemie,
welche trotz aller Massregeln nicht schwinden wollte. Insbesondere
war die hohe Zahl von Erkrankungsfällen in den besser situierten
Kreisen der Bevölkerung auffallend; in diesen Familien traten
auch wiederholt trotz angeblicher Schlussdesinfektion immer erneut
Scharlacherkrankungen auf. Die infolgedessen von mir an Ort
und Stelle vorgenommenen Erhebungen ergaben, dass auf Veran¬
lassung der Ortspolizeibehörde, ohne Wissen des Kreisarztes, die
Ueberwachung der Beachtung der Verhaltungsvorschriften durch
den Gesundheitsaufseher in diesen „besseren Familien“ nicht durch-
geföhrt war, weil die Ortspolizeibehörde der Ansicht war, dass
diese Leute schon von selbst die Vorschriften beachten würden.
Ebenso war hier, und das möchte ich noch ganz besonders hervor¬
heben, vielfach von den behandelnden Aerzten eine Art der
Desinfektion angeordnet und ausgeführt worden, welche als im
wissenschaftlichen Sinne ausreichend, nicht angesehen werden
konnte, welche aber das hygienische Gewissen des Publikums und
der Polizei völlig beruhigte, da ja desinfiziert war, wenn¬
gleich diese Desinfektion z. B. häufig nur im Besprengen des
Fussbodens des Krankenzimmers mit Karbolsäurelösung bestanden
hatte. Es wurde daher nunmehr polizeilicherseits nur diejenige
Schlussdesinfektion als ausreichend angesehen, welche von dem
„amtlichen Desinfektor“ ausgeführt war, unbeschadet der sonst
noch von dem behandelnden Arzt getroffenen Desinfektionsmass-
regeln; ebenso wurden auch die Kontrollbesuche der Gesundheits¬
aufseher streng in jenen „besseren Familien“ durchgeführt, — und
der Erfolg blieb glücklicherweise nicht aus.
Wende ich mich nach diesen Ausführungen nun dem zu,
was Fielitz für den Saalkreis in Beziehung auf die Ermöglichung
der Schlussdesinfektion erreicht und durchgeführt hat zur Be¬
kämpfung ansteckender Krankheiten, so lässt sich das Resultat
dahin zusammenfassen, dass für den Saalkreis, der sich auf einen
Flächenraum von 512 qkm verteilt und eine Einwohnerzahl von
70000 Personen aufweist, nunmehr ein einzigervollbesoldeter
Kreisdesinfektor auf Kündigung vom Kreisausschuss angestellt
ist, der im Hauptamt ein festes Gehalt und ausserdem eine be¬
sondere Entschädigung für jede Desinfektion bezieht, so dass sein
Einkommen 1500 M. beträgt, und der einen Nebenberuf nicht
haben darf. Daneben besteht ein zweiter stellvertretender Des¬
infektor, der 30 Kilometer von Halle entfernt wohnt und den
entferntesten Teil des Kreises besorgt. Ueber die Honorierung
dieses zweiten Desinfektors enthält die Fielitz*sehe Abhandlung
nichts, ebensowenig wird die Anamnese dieser beiden Leute be¬
kannt gegeben, aus welchen Berufsständen sie hervorgegangen
sind. Möglich war, wie der Verfasser am Schluss seines Ar¬
tikels hervorhebt, dieses Resultat nur, weil sich der Kreis-
Land rat für diese Sachen lebhaft interessierte; Fielitz
wünscht, dass es in allen Kreisen so wäre, wie im Saalkreise,
wo der Königliche Landrat persönlich an allen Bestrebungen
378
Dr. Dfltsehke.
teilnimmt, die auf eine Besserung des Gesundheitswesens im
Kreise abzielen.
So anerkennenswert das hygienische Verständnis ist, welches
im Saalkreise zu herrschen scheint, so sehe ich es doch gerade
als einen nicht zu unterschätzenden Vorzug der Regelung des
Desinfektionswesens im Regierungsbezirk Arnsberg an, dass die
allgemein als notwendig anerkannte Durchführung und Hand¬
habung der Desinfektion während des Bestehens und nach Be¬
endigung einer ansteckenden Krankheit auf dem Lande, nicht
von dem mehr oder minder ausgesprochenen hygienischen
Verständnis und Interesse der Kreisbehörden ab-
h ängig gemacht wird, — denn man kann hier oft die wunder¬
samsten Erfahrungen sammeln — sondern dass diese von der
Bezirksregierung generell geordnet ist, und der Kreisarzt in
seinem Kreise nur die Ausführung der angeordneten Mass-
regeln zu leiten und zu überwachen hat!
Darin stimme ich allerdings Fielitz bei, dass es bei weitem
vorzuziehen ist, wenn der Desinfektor seinen Beruf nur im
Hauptamt ausübt; aber da es sich nicht um die Anstellung
eines einzigen Desinfektors für einen Kreis handelt, sondern derer
nach unseren Erfahrungen, für einen Kreis von der Ausdehnung
des Saalkreises z. B. mindestens 8 vorhanden sein müssen, so
fällt der Kostenpunkt schon sehr in die Wagschale. Eine solche
Summe von 10—12000 M. für die Anstellung vollbesoldeter Des¬
infektoren in den Etat zu stellen, dazu wird sich aber ein Kreis
kaum entschliessen können, deshalb haben wir es den Kreisen
und Aemtem ganz überlassen, in welcher Weise die Honorierung
der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher erfolgt, wenn über¬
haupt nur für das Vorhandensein einer ausreichend
grossen Zahl geeigneter Desinfektoren und Gesund¬
heitsaufseher in einem Kreise Sorge getragen ist.
Der vollbesoldete Desinfektor, der keinen Nebenberuf haben soll,
wird zu Zeiten, in denen ansteckende Kranheiten nicht herrschen,
schwer zu beschäftigen sein; wollte man aber die Zahl der Des¬
infektoren in Landkreisen verringern, so würde man zu Epidemie¬
zwecken wieder nicht in der Lage sein, die Desinfektion wirksam
in allen Krankheitsfällen zur Durchführung zu bringen, demzufolge
halte ich die Einrichtung im Reg.-Bez. Arnsberg, wo in jedem
Kreise eine ausreichende Zahl Desinfektoren vorhanden ist und
diese für jede Dienstleistung einzeln nach der Gebührenordnung
honoriert werden, für praktisch und dem sanitätspolizeilichen In¬
teresse vor allem Rechnung tragend.
Dass ein einziger Desinfektor, noch dazu in einem Land¬
kreise bei weiten Entfernungen, bis zu 300 Wohnungsdesinfektionen,
wie Fielitz S. 813 berechnet, im Jahre vornehmen wird und
dabei noch die genügende Ruhe finden soll, die für einen Mann
in verantwortungsvoller Stellung nötig ist, erscheint mir nicht
durchführbar. Ich hatte jüngst Gelegenheit, in Gelsenkirchen
sämtliche Desinfektoren des dortigen Land- und Stadtkreises nach¬
zuprüfen, wie dies im hiesigen Bezirk kreisweise durch mich von
Die Tätigkeit der Desinfektoren n. Geeondheitsaufseher n. s. w. in Landkreisen. 379
Zeit za Zeit geschieht. Die Desinfektoren müssen hierzu ihre
Tagebücher, Arbeitsanzüge, Apparate u. s. w. mitbringen, um an
der Hand der eingegangenen Meldungen über ansteckende Krank¬
heiten kontrollieren zu können, ob in allen desinfektionspflichtigen
Fällen die Desinfektion vorschriftsmässig erfolgt ist. Bei dieser
Nachprüfung stellte ich fest, dass der am meisten beschäftigte
der 26 Desinfektoren jenes Kreises im letzten Jahr 180 Des¬
infektionen ausser den zahlreichen Kontrollbesuchen vorzunehmen
hatte. Dabei versicherte mir der Mann, der als Berginvalide nur
im Nebenamt beschäftigt ist, dass er hierdurch schon völlig in
Anspruch genommen sei und kaum Zeit finde, sich auch in seinem
Haushalt nützlich zu erweisen. Berücksichtigt man nun, dass
für andere Bezirke die Kontrollbesuche, welche auf dem Lande
bei weiten Entfernungen sehr zeitraubend sind, wegfallen, so wird
man doch ungezwungen die Zahl von 300 Desinfektionen in einem
Jahr für einen Desinfektor als zu hoch veranschlagt annehmen
können; denn ausser den Sonntagen und Feiertagen gibt es doch
noch genügend andere dringende Abhaltungen, ganz abgesehen
von ev. Krankheit, welche den Desinfektor seinem Hauptamt
entziehen.
Auf keinen Fall soll man die Zahl der Desinfek¬
toren in einem Kreise zu gering bemessen, wenn man
überhaupt eine Desinfektion richtig durchführen will. Die Be-
dtirfnisfrage entscheidet der Kreisarzt. Das Gewerbe des Des¬
infektors ist durchaus nicht, wie Fielitz anzunehmen scheint,
im Reg.-Bez. Arnsberg freigegeben, sondern der Kreisarzt be¬
stimmt, wie schon erwähnt, welcher Desinfektor in Tätigkeit
zu treten hat; von „Konkurrenz** ist somit keine Rede! Die
hiesige Kontrolle des Tagebuches durch den Kreisarzt, sowie der
im Bezirk sehr gut funktionierende Meldeapparat sorgen dafür, dass
die Desinfektionen nicht „um Scherereien zu ersparen“ zwecklos
werden, zumal im Tagebuch des Desinfektors eine besondere
Spalte eingefügt worden ist, welche angibt, ob und wie viele
Nacherkrankungen trotz erfolgter Schlussdesinfektion noch in der
betreffenden Wohnung vorgekommen sind.
Fielitz’s Forderung, dass der Desinfektor unabhängig vom
Publikum sein muss, ist im hiesigen Bezirk ebenfalls erfüllt;
denn mit der Eintreibung seiner Gebühren hat der Desinfektor
nichts zu tun. Die Polizei erteilt dem Desinfektor den Auftrag
zur Desinfektion, bezw. zur Vornahme der Kontrollbesuche nach
Anweisung des Kreisarztes, und die Polizeibehörde ist es auch,
die den taxmässigen Betrag dem Desinfektor aushändigt.
Den Ausspruch von Fielitz S. 312 „wenige, aber vorzüg¬
liche Desinfektoren sind besser, als eine Menge zusammen¬
gewürfelter Leute,“ möchte ich daher so lange nicht unter¬
schreiben, als mir nicht der Beweis erbracht wird, dass diese
Desinfektoren nicht ihren Aufgaben gewachsen sind; denn die¬
selben haben eine den Anforderungen durchaus entsprechende und
in der Praxis ausreichende Ausbildung genossen und werden in
bestimmten Zwischenräumen, ebenso wie die Hebammen, einer
380
Dr. Dtltsohke.
Nachprüfung unterworfen. Eine Verringerung der Zahl der Des¬
infektoren und Gesundheitsaufseher, welche z. Z. ca. 220 beträgt,
würde für unseren Bezirk gar nicht angängig sein, zumal wir die
Gesundheitsaufseher, wie ich in Nr. 21, Jahrgang 1902 dieser
Zeitschrift schon andeutete, als eine Art „unterer Sanitäts¬
beamten“ bei den Ortschaftsbesichtigungen, den Revisionen von
Arbeiterkasernen, Schulen u. s. w. zur Entlastung der Kreisärzte,
ausser zu den Kontrollbesuchen mit Erfolg verwenden. Ausser¬
dem haben die umfangreichen Typhusepidemien in Gelsenkirchen
1901 und Lüdenscheid 1902 es hinlänglich bewiesen, dass unsere
Einrichtungen nicht auf dem Papier nur standen, sondern dass
das Institut der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher, obgleich
es zusammengewürfelte Leute waren, wie Fielitz unsere
Desinfektoren bezeichnet, uns ein mächtiges Mittel bot, die plötz¬
lich hereinbrechenden und durch Verseuchung der Wasserleitungen
hervorgerufenen Typhusepidemien erfolgreich zu bekämpfen. Hätten
wir beim Ausbruch der Lüdenscheider Epidemie nicht schon ein
ausreichend ausgebildetes Personal von Desinfektoren und Ge¬
sundheitsaufsehern im Bezirk gehabt, das wir nun aus den be¬
nachbarten Kreisen während der Epidemie unter Gewährung
angemessener Tagegelder und Reisekosten heranziehen konnten,
wir würden der Seuche nicht so bald Herr geworden sein. Auf
solche plötzliche Epidemien müssen wir aber bei der Eigenart
der Wasserversorgung und der Möglichkeit der Verseuchung der
zentralen Wasserleitungen im hiesigen Bezirk jederzeit gefasst
sein und deshalb schon zu Friedenszeiten alle Vorbereitungen
rechtzeitig treffen, um sofort energisch mit der Seuchenbekämpfung
Vorgehen zu können. Ich wünsche dem Saalkreis nicht, dass
dort plötzlich eine umfangreiche Typhus-, Ruhr-, Diphtherie- oder
Scharlachepidemie entsteht; ich furchte, die 2 Desinfektoren
würden selbst mit „Unterstützung der Gemeindeschwestern“ ihren
Aufgaben nicht gewachsen sein und Kollege Fielitz würde sich
sehr bald gezwungen sehen müssen, allerlei „zusammengewürfelte
Leute“ zur Aushülfe als Desinfektoren heranzuziehen.
Das Vorhandensein einer ausreichenden Zahl von Desinfek¬
toren in den einzelnen Kreisen des Regierungsbezirkes ermöglicht
es auch, beim Auftreten von Epidemien in den benachbarten
Regierungsbezirken, in welchen das Desinfektions wesen noch nicht
überall durchgeführt worden ist, Desinfektoren zur Aushülfe
abzugeben. Vor mir liegt der Bericht eines Desinfektors aus dem
Kreise Siegen, der auf Antrag des Kreisarztes eines Nachbar¬
kreises im Reg.-Bez. K. wegen einer ausgedehnten Diphtherie¬
epidemie in einem Dorfe dieses Kreises, bei dem Mangel eines
Desinfektors daselbst, dorthin von dem Kreisarzt in Siegen ge¬
schickt wurde und seine Aufgabe zur Zufriedenheit gelöst hat.
Um ein Licht auf die allgemeine Bildung dieses nebenamtlichen
Desinfektors, der den Beruf eines Landwirts im gewöhnlichen
Leben hat, zu werfen, lasse ich den kalligraphisch geschriebenen
Bericht des Desinfektors an den Kreisarzt in Siegen hier wört¬
lich und unter Beibehaltung der Orthographie folgen:
Die Tätigkoit der Desinfektoren n. Gesandheitsanfeeher n. s. w. in Landkreisen. 381
„B ericht.
N., den 21. Jannar 1903.
Der Ort N. hochgelegen, angrenzend an N., hat erfahrnngsgemäss 74
Häuser, zählt 410 Binwohner und ist mit Wasserleitung versehen.
Das Desinficiren hat gestern durch mich unterstützt vom hiesigen Ge¬
meindevorsteher begonnen, wird nach dem vorliegenden Bürgermeisteramtlichen
Verzeichniss der verseuchten Häuser (Wohnungen) vorgenommen und vorschrift6-
mftssig ausgeführt. Schwierigkeiten von Seiten der Haushaltungsvorstände sind
anscheinend nicht zu befürchten.
Die Zahl der an Diphtheritis erkrankten Kinder dürfte angeblich 50 be¬
tragen. Davon ärztlich behandelt etliche 30, Sterbefälle 4. Die zuerst aufge¬
tretenen Fälle sind wie man sich hier erzählt lange geheim gehalten worden.
Nene Fälle von Erkrankung an Diphtheri sind in kurzer Zeit nicht auf getreten.
Das Entseuchungsverfahren im hiesigen Orte vorschriftsmässig auszu¬
führen ist für den Desinfector keine leichte Sache. Die Leute hier legen
mehr Gewicht auf Ordnung und Reinlichkeit im Stall, Keller und Scheune, als
auf die Wohn- und Schlafräume, wie das in allen andern Bauernortschaften so
auch hier üblich ist.
Beim Abrücken der Betten, grüsstentheils sind hier noch Strohbetten,
treten Bilder von Dnreinlichkeit zu Tage die wirklich an Erstaunen grenzen.
Das Schöne für den Desinfector mt aber immerhin das gemüthliche Entgegen¬
kommen der Haushaltungsvorstände. Alles was man ihnen bezüglich der Ent¬
seuchung auferlegt willigen sie ohne Weiteres ein.
Bis jetzt habe ich 4 Häuser sowie den Lehrsaal der Schule ganz gründ¬
lich desinficirt. Wie lange ich nun noch tbätig hier sein werde, lässt sieh
vorläufig noch nicht feststellen.
Desinfektionsmittel werden im Grossen beschafft und geliefert.
Julius F., Desinfektor.
An den Herrn Kreisarzt in Siegen.“
Der vorstehend abgedruckte Bericht bietet mir gleichzeitig
Anlass, der Ausbildung der Desinfektoren kurz hier Erwähnung
zu tun. Bei uns würde sich ohne Frage das Desinfektionswesen
nicht so schnell zu der jetzigen Blüte entwickelt haben, ins¬
besondere würden wir nicht über eine so stattliche Zahl von Des¬
infektoren verfügen, wenn wir die Anstellung der Desinfektoren
von der Ausbildung in einer „Desinfektorenschule“ abhängig ge¬
macht hätten; für uns musste es in erster Linie darauf ankommen,
das Institut der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher volks¬
tümlich zu machen. Ich verkenne durchaus nicht den Wert der
Desinfektorenschulen, aber ich muss immer wieder betonen, dass
der Kreisarzt, dem, wie bei uns, die Ausbildung der Desinfektoren
obliegt, ein grösseres Interesse daran hat, nur einen solchen
Mann als Desinfektor und Gesundheitsaufseher für seinen Kreis
auszubilden, auf den er sich später verlassen kann und dessen
geistige sowie moralische Fähigkeit er vom Unterricht her besser
kennt, als ein jugendlicher Assistent eines bakteriologischen In¬
stituts oder einer Desinfektorenschule, dem doch in der Haupt¬
sache die Ausbildung zufällt. Kollege Fielitz spricht von
„Vertiefung des Verständnisses“ für die Aufgaben des Desinfektors;
ich glaube aber, dass hierzu der später Vorgesetzte Kreisarzt
weit eher geeignet ist, als der Lehrer an der Desinfektorenschule,
den der geprüfte Desinfektor vom Lande in der Folge niemals
wiedersieht und der den ihm zur Ausbildung überwiesenen Mann
nun zum Desinfektor ausbilden muss, mag es gehen wie es will,
schon im Interesse der Desinfektorenschule! Ausserdem sind
882 Dr. Dtttsohke: Die Tätigkeit der Desinfektoren n. Qesnndheitsanfseher n. s. w.
sämtliche Kreisärzte des hiesigen Bezirkes der Ueberzeugung,
dass es ihnen nicht gelingen wird, eine Persönlichkeit ihres Kreises
dazu zu bewegen, an dem Ausbildungskursus der jüngst in Münster
i. W. errichteten Desinfektorenschule, in welcher ausser den Reg.-
Bez. Münster und Minden auch aus dem Reg.-Bez. Arnsberg ge¬
eignete Leute zu Desinfektoren ausgebildet werden können, teil¬
zunehmen. Die hiesige Bevölkerung kann sich nicht entschlossen,
auf 6 Tage nach Münster zur Ausbildung als Desinfektor zu
reisen, sondern verzichtet dann lieber auf die Anstellung als Desin¬
fektor, womit der Sache nicht gedient ist.
Es liegt mir völlig fern, das Desinfektionswesen unseres
Bezirkes in seiner jetzigen Verfassung schon als ein ideales und
von Mängeln freies hinzustellen, und ich verkenne durchaus nicht,
dass ihm noch eine ganze Reihe von Mängeln anhaften, welche
mit der Zeit beseitigt werden müssen. Da der Reg.-Bez. Arns¬
berg aber einer der ersten war, welcher generell das Desinfektions¬
wesen für einen sehr grossen Bezirk ordnete und wir über Er¬
fahrungen in dieser Beziehung noch nicht verfügen konnten, so
war es unmöglich, diese Mängel zu vermeiden. Für uns musste es
sich nur darum handeln, den Beweis zu erbringen, dass es möglich
sei, die Desinfektion in Stadt und Land allgemein zur Durch¬
führung zu bringen in der geschilderten Organisation, und wir
durften hoffen, dass dann die Bevölkerung auch den hygienischen
Wert einer planmässig durchgeführten Desinfektion, besonders
auf dem Lande, kennen und schätzen lernen würde und etwa
sich in der Folge herausstellende Mängel dann um so leichter
Beseitigung erfahren könnten. Als eine wünschenswerte Ver¬
besserung sehe ich z. B. die Abstossung von Friseuren, Barbieren
und Polizeidienern aus dem Desinfektionspersonal an, deren Aus¬
bildung zu Desinfektoren ich schon in meinem ersten Artikel
Nr. 21, Jahrg. 1902 d. Zeitschrift nicht für zweckmässig gehalten
habe, ohne dass sich bis jetzt allerdings Unzuträglichkeiten daraus
ergeben hätten, mit Ausnahme der Wahrnehmung, dass Barbiere
aus Geschäftsrücksichten Sonnabends meist schwer ihrem Haupt¬
beruf zu entziehen sind. Sodann rechne ich zu den Mängeln die
noch nicht durchgeführte Unentgeltlichkeit der keinem
Familienvorstand sympathischen Desinfektion. Aber auch in dieser
Beziehung haben wir schon erhebliche Fortschritte in dem letzten
Jahr zu verzeichnen und verschiedene Städte, Aemter und Kreise
liefern nicht nur unentgeltlich die erforderlichen Des¬
infektionsmittel, sondern lassen die ganze Desinfektion
auf ihre Kosten vornehmen. Im Stadtkreise Hagen z. B. haben
nur diejenigen Bürger die Taxsätze der Gebührenordnung für
Desinfektoren und Gesundheitsaufseher vom 8. August 1901 zu
zahlen, welche ein Einkommen von über 2100 M. versteuern;
bei diesem Modus ergab sich für die Stadt Hagen das nicht
unerhebliche Opfer von 2406 M. für die Zeit vom 1. April 1902
bis zum 1. Januar 1908, während von Privaten 807 M. entrichtet
wurden.
Es ist mir nicht zweifelhaft, dass sich mit der Zeit auch
Dr. Springfeld: Bemerkungen zu dem Aufsatze des Meü.-Rats Dr. Fielits u. s. w. 883
der Kostenpunkt, welcher den wichtigsten Faktor neben der
Personalfrage bei der Durchführung der obligatorischen Desinfektion
bildet, allgemein zur Zufriedenheit regeln lassen wird und dass
gegenüber den Vorzügen der Gesamtorganisation des Desinfektions¬
wesens im hiesigen Bezirk diese kleinen Mängel nicht in Betracht
kommen werden. Die bisherigen Erfolge, welche wir seit Ein¬
führung des Instituts der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher
im hiesigen Regierungsbezirk, wie sich zu Zeiten schwerer Epi¬
demien sehr bald herausgestellt hat, zu verzeichnen haben, fordern
gerade bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten auf dem
Lande zur Nachahmung in andern Bezirken auf und verdienen
nicht die Abweisung und die Beurteilung, welche in
Nr. 8 dieser Zeitschrift zum Ausdruck gelangen.
Bemerkungen zu dem Aufsatze des Kreisarztes u. Med.-
Rats Dr. Fielitz in Halle a. $.: „Die Bekämpfung an¬
steckender Krankheiten in Landkreisen“ in Nr. 5 dieser
Zeitschrift, S. 305 ff.
Von Reg.- n. Med.-Rat Dr. Springfeld in Arnsberg.
Als Gründer der von Herrn Kollegen Dtitschke beschrie¬
benen und oben verteidigten Organisation der Seuchenwärter im
Reg.-Bez. Arnsberg möchte auch ich mir einige Bemerkungen zu
dem Aufsatze des Herrn Kollegen Fielitz in Nr. 8 dieser Zeit¬
schrift erlauben.
In dem letzten Sonderheft dieser Zeitschrift und im Klin.
Jahrbuche 1 ) dieses Jahres habe ich die hiesige Bekftmpfungsart
der Seuchen beschrieben und darf sie daher wohl als bekannt
voraussetzen. Ich füge hinzu, dass sie sich hier bewährt hat und
dass sie später in Koblenz und Trier in abgeänderter Form nach¬
gebildet ist und sich, wie ich erfahre, dort gleichfalls bewährt.
Was ich erstrebt habe, ist nicht Desinfektoren auszu¬
bilden, sondern Sanitätsunterbeamte des Kreisarztes zu
schallen, die den Kreisarzt von allem Kleinkram entlasten und
überall wachen, wenn der Kreisarzt den Rücken gewendet hat.
Das Muster für dieses Institut sind mir nicht die englischen
Gesundheitsaufseher gewesen, die s. Z. Pi stör zuerst in Berlin
hat einführen wollen, aber von Wernich verworfen wurden, son¬
dern die Fiskale der früher selbständigen Collegia medica et
sanitatis.
Die hiesigen Seuchenwärter sind daher mit den Desinfek¬
toren, die Fielitz ausbilden will, gar nicht zu vergleichen, und
demzufolge müssen auch die Anforderungen an die Zahl und die
Qualifikation der Personen verschieden sein.
Was die Zahl anlangt, so ist es einleuchtend, dass sie sich
nach der Summe der zu lösenden Aufgaben und nach den Ent-
*) Die Typhnsepidemien im Reg.-Bez. Arnsberg nnd ihre Beziehungen
tu 8tromver8euchnngen und Wasserversorgungsanlagen. Verlag von Gustav
Fischer in Jena.
881 Dt. Bachmann: Kohlen oxydbildung daroh Kohlenteflohen ao eisernen Oefoa.
femungen und Reiseverbindungen richten muss. Den Kreis Zeven
z. B. wird ein einziger Seuchenwärter bearbeiten können; im
Kreise Gelsenkirchen wird man mit zwanzig kaum auskommen.
Im Sauerlande mit schlechten Verkehrs Verbindungen und weiten
Entfernungen muss ich in jeder grösseren Stadt eine Seuchen¬
wache haben; im Industriegebiet, das von elektrischen Bahnen
durchzogen ist, kann ich mehrere Ortschaften zu einem Wach¬
bezirke Zusammenlegen.
Die Qualifikation der Personen muss natürlich möglichst hoch
von vornherein sein. Aber nach dieser Richtung hin finden die
Anforderungen ihre Grenzen in der Bereitwilligkeit und finanziellen
Leistungsfähigkeit der Gemeinden und in der Mannigfaltigkeit
der zu lösenden Aufgaben. Da letztere nach Umfang, Bedeutung
und Schwierigkeit in den einzelnen Kreisen ganz verschieden sind,
hat es gar keinen Zweck, überall dieselbe Vorbildung zu fordern;
wir würden ein geeignetes Menschenmaterial gar nicht überall
finden und wo es vorhanden ist, einstweilen vielfach nicht bezahlen
und gebrauchen können. Man ist daher gezwungen, einstweilen
zu nehmen, was man kriegen kann, und das so geschaffene Miliz¬
heer aus- und fortzubilden oder es der Feuerwehr nachzumachen,
bei der alle Abstufungen von der „Brunnentubbenkohorte“ bis zur
Königl. Feuerwehr vorhanden sind. Kollege Dütschke, der als
Oberinspektor diese Kolonnen kreisweise zu inspizieren hat, wird
bestätigen, dass die Aus- und Fortbildung hier eine immer bessere
geworden ist und dass diese den Defekt mangelhafter Vorbildung
sehr wohl zu ersetzen imstande ist.
Wenn im Laufe der Zeit die Aufgaben der Seuchenwärter
sich vermehrt haben werden und damit ihr Einkommen gestiegen
ist, dann wird mit dem Zudrange zu dem neuen Berufe auch die
Qualifikation der Bewerber von selbst wachsen.
Ich rate daher, die Anforderungen anfangs nicht zu über¬
spannen, wenn man Seuchenwärter einführen will.
Kohlenoxydbildung durch Kohlenteilchen an eisernen Oefen.
Von Dr. Bachmann, Kreisarzt in Harbarg.
Es ist bekanntlich ein ganz gewöhnliches Vorkommnis, dass
bei der Bedienung von Oefen, besonders eisernen, die Kohlen in
so nachlässiger und ungeschickter Weise seitlich oder von oben
hineingeschüttet werden, dass auf den eisernen Kanten und
sonstigen Hervorragungen und in Ritzen nicht unbeträchtliche
Mengen von Kohlenstaub und kleinen Kohlenstückchen liegen
bleiben. Dass durch die Hitze des Ofens sich hierbei CO bildet
und in die Luft des geheizten Raumes entweicht, kann natür¬
lich nicht ausbleiben. Stellenweis saugt der Zug des Ofens ja
die entwickelten Gase wieder an, doch geschieht dieses nur in
der unmittelbaren Nähe der Türen und sonstigen Oefinungen, wie
man sich mittels eines brennenden Streichholzes leicht verge¬
wissern kann. Auf diese Quelle der Luftverderbnis, ja Luftver-
Aus Versammlungen Und Vereinet.
885
giftung, ist meines Wissens noch nicht genügend in hygienischen
Blättern hingewiesen, oder es sind solche W&rnnngen wenigstens
noch nicht allgemein bekannt geworden.
Am häufigsten habe ich diesen Uebelstand beobachtet in den
Wartesälen der Eisenbahnen, in Schulen, Geschäfts- und Amts-
ränmen, Kasernen, Wachtstuben, aber auch vielfach in Privat-
wohnungen, selbst bei solchen Leuten, denen man die Gedanken¬
losigkeit nicht Zutrauen sollte, diese hygienische Schädlichkeit zu
fibersehen.
Jeder kann sich leicht davon überzeugen, dass bei der äusseren
Form unserer Oefen einige Sorgfalt bei der Füllung dazu gehört,
um den erwähnten Uebelstand zu vermeiden; entweder muss man
die Kohlen sehr vorsichtig bis auf den Rost schütten, oder nach
jedesmaligem Auffüllen die nebenbei gefallenen Teilchen wegblasen
oder mit einem Handfeger abstäuben. Solche Sorgfalt kann aber
von dem Personal nicht immer erwartet werden, und deshalb sollte
die Gestaltung der äusseren Fläche eines jeden Ofens es unmög¬
lich machen, dass Kohlenteile auf wagerechten oder doch nicht
genügend schrägen Flächen, auf Verzierungen oder sonstigen Her-
vorragungen, sowie in Ritzen und offenen Fugen liegen bleiben;
gleichzeitig wird hierdurch auch die von verbranntem Staub her¬
rührende Luftverschlechterung vermindert. Es ist klar, dass beim
Guss von Oefen mit Leichtigkeit diese Uebelstände zu vermeiden
sind, und daher ist die richtige Adresse, an welche ich mich zur
Vermeidung dieses hygienischen Uebelstandes zu wenden habe,
wohl diejenige der Eisengiessereien, welche eiserne Oefen oder die
Elisenteile gemischter Oefen anfertigen.
Bis die jetzigen fehlerhaften Oefen durch neue, welche dem
Uebelstände durch veränderte äussere Form besser Rechnung
tragen, ersetzt worden sind, wird es aber nötig sein, dass die
Gesundheitsbeamten Sorge tragen, dass dem Heizpersonal der
eisernen Oefen aller öffentlichen Räume, und durch Veröffentlichung
in den Tagesblättern auch dem grossen Publikum die Gesundheits¬
gefährlichkeit unordentlicher Bedienung von Oefen vor Augen ge¬
halten und den Bediensteten es zur Pflicht gemacht wird, durch
Abfegen mit einem Handbesen die überschüssigen Kohlenteilchen
ebenso wie allen sonstigen Staub von den äusseren Teilen eines
jeden Ofens zu entfernen.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Medizinalbeamten- Konferenz am 16. Dezember 1908
ln Magdeburg.
Herr Heg.- und Geh. Med.-Rath Dr. Hirsch eröffnete um 12‘/i Uhr im
8itsungssaale der Königlichen Regierung die amtliche Zusammenkunft, ent¬
schuldigte sunäohst den Herrn Regierungspräsident, der amtlich behindert war,
begrflsete hierauf die beiden erschienenen Gäste, Herrn Reg.-Assessor v. Lym-
pius, als Vertreter des Hem Oberpräsidenten, und Hem Med.-Rat Dr.
Dahlmann. Anwesend waren sonst die Kreisärste Dippe-Genthin, Friedei,
Wernigerode, Herms-Burg, Holthoff - Salzwedel, Jan er t-Seehausen-
Kant-Aschersleben, Kluge-Wolmirstedt, Ktthn-Calbe a. 8., Moriti-
886
Ans Versammlungen und Vereinen»
Halberstadt, PI an ge-Stendal, Probst-Gardelegen, S eh ade-Neuhaldens¬
leben, Strassner-Magdeburg, Thilow-Wansleben, Gerichts arzt Kefer-
stein-Magdeburg. Ferner Glaser-Burg und Wennel-Magdeburg, beide
staatsärztlioh geprüft.
Der Herr Vorsitzende gedachte des abwesenden Kollegen Kuntzen-
Oschersleben, welcher durch Krankheit am Erscheinen behindert war, und des
verstorbenen Kollegen Kreisphysikus z. D. Geh. San.-Bat Dr. Hennigson-
Oschersleben. Sein Andenken ehrten die Anwesenden durch Erheben von den
Sitzen.
Hierauf wnrde in die Verhandlung eingetreten:
1. Moritz: Wie sind Ortebesichtigungen anssnffthren? (Auto¬
referat). Beferent will nur von seinen eigenen Erfahrungen sprechen und
seine eigenen anf Grund dieser Erfahrungen gewonnenen Ansichten vortragen.
Er hält für die Ortsbesichtigungen eine umfangreiche Vorbereitung
für nnentbehrlich. Nicht nur Kenntnis der im Kreise bestehenden hygienisch
wichtigen Bestimmungen, z. B. der baupolizeilichen, sei nötig, sondern auch
eingehendes Studinm der kreisärztlichen und landrätlichen Akten, soweit sie
den zu besichtigenden Ort betreffen. Ausserdem wird der Kreisarzt schon vor
der offiziellen Besichtigung bei gelegentlicher Ortsanwesenheit, z. B. bei
der Impfung, bei Drogerierevisionen u. s. w., mancherlei durch Angenschein
oder gesprächsweise (s. B. von den Aerztcn etc.) erfahren.
Die so gewonnenen Erfahrungen, in Form von Notizen den Ortsakten
einverleibt, seien nachher fllr die Besichtigung von grossem Wert. — »Ge¬
legentlich“ werde sich eine Ortsbesichtigung wohl nur in kleinen Ortschaften
ohne Schule oder in Gntsbezirken machen lassen, deren Vorsteher zugleich
Amtevorsteher ist.
Unvermutet einen Ort zu besichtigen, wie mehrfach für zweckmässig
S ehalten werde, hält Beferent durchaus nicht für empfehlenswert, vorausgesetzt
ass der Kreisarzt den Ort früher schon gelegentlich im Alltagskleide gesehen
hat. Dann werde das Festkleid grade durch den Kontrast bei der Besichtigung
Schäden aufdecken und zugleich beweisen, dass diese Schäden als solche aner¬
kannt werden. Beferent führt hierfür als Beispiel einige Beobachtungen an.
Die für den Beginn der Besichtigung festgesetzte Stunde sei tunlichst
streng innezuhalten, damit die Beteiligten möglichst frisch zur Stelle und nicht
schon durch Warten ermüdet sind, sodass sie vorzeitig abfallen und sich unter
allerlei Vorwänden entfernen. — Der Besichtigung sei eine Besprechung vor-
ansznschicken, um ein Programm festzustellen und sich darüber zu einigen, anf
welche Punkte man das Hauptgewicht legen wolle. Ortsbesiohtignngen lassen
sieh nicht nach einem allgemeinen Schema machen, keine werde ebenso ver¬
laufen wie die andere.
Beferent geht dann anf die Einzelheiten der Ortebesichtigung über, die
er an der Hand des Formulars VII bespricht. Unter anderem erwähnt er, die
Arbeiterkasernen seien in der Arbeitspause (mittags) zu besuchen, wo man die
Insassen antreffe und ihren Gesundheitszustand, Geimpftsein, etwaige Granulöse
und dergl. beachten könne. — Die Abwässer- und Wasserversorgungs-
frage, die Beferent im einzelnen eingehend bespricht, sei wohl meist der wich¬
tigste Teil jeder Ortsbesichtigung. Wo irgend möglich, sei auf zentrale Ver¬
sorgung hinzuarbeiten; in Gehöften, die Milch- und Butterhandel ln irgend
erheblichem Umfange treiben, oder Milch an Molkereien liefern, sei auf die
einwandfreie Beschaffenheit nnd Lage der Privatbrannen grosses Gewicht zu
legen, desgleichen bei Molkereien, Käsereien, Brauereien, Gastwirtschaften,
Schlachthäusern, Massenquartieren n. s. w.
Gewerbliche Betriebe seien dem Kreisarzt nicht ohne weiteres zu¬
gänglich (§. 92 Dienstanweisung); bei der Ortebesichtigung sei aber anf deren
»Sekrete“ (Abwässer, Ausdünstungen) zu achten, auch etwaige Arbeiterwoh-
nungen, Esssäle, Aborte u. dergl. seien zn besichtigen. — Die Gefängnisse seien
gleich den Massenwohnungen zu beurteilen. — Geistesschwache, die
sich in Privatpflege befinden, nnd Haltekinder besuche man ans naheliegenden
Gründen lieber bei anderer Gelegenheit unvermutet. Heilquellen seien nach
§. 108 der Dienstanweisung besonders nnd getrennt von den Ortsbesichtignngen
zn revidieren.
Das Protokoll sei kurz nnd klar, am besten ohne alles stilistische
Aus Versammlungen und Vereinen. 887
Beiwerk in Form von Stich Worten abznfassen: es gewinne dadurch an Brauch*
barkeit für spätere Benutzung.
Vorschläge zu Verbesserungen, die nichts oder wenig kosten
werden meist sofort acceptiert, sobald aber der Geldponkt ernstlich mitsprieht,
sei der Vorschlag sehr sorgfältig zu begründen. Die Begründung werde auch
▼on den Behörden erwartet nnd event. nachträglich erfordert. Jede Lücke darin
könne sich nachher unangenehm bemerkbar machen und das Ansehen des Kreis¬
arztes schädigen. — Auch solle man sich hüten, in die Kompetenzen anderer
Behörden (z. B. Bau- und Gewerbeaufsichtsbeamte) ohne vorheriges Benehmen
mit diesen flberzugreifen.
Kant wies als Korreferent darauf hin, dass zu den Dienstobliegen¬
heiten des Kreisarztes die Aufgabe gehört, die gesundheitlichen Verhältnisse
seines Bezirks zu beobachten und (§. 84) sich zu diesem Zwecke mit dem Ge¬
sundheitszustände Und den Verhältnissen seines Bezirks (Boden-, Grund-, Tiink-
w&eser-, Wohnungs-, Erwerbs-, Lebens- und sonstigen Verhältnissen) vertraut
zu halten. Gelegentliche und offizielle Besuche machen ihn hierzu fähig.
Gelegenheit geben ihm Impfungen, Bevisionen der Drogen- und Farbwaren-
handlungen; letztere werden allerdings noch häufig durch Apotheker, nicht
vom Kreisarzt ausgeführt. Offizielle Besichtigungen, über die §. 69 der D.-A.
Aufschluss gibt, haben unter Zuziehung der Ortspolizeibehörde, der Gemeinde¬
vorsteher und der Gesondheitskommission zu erfolgen. Da die SchulbeBichti-
gongen gleichzeitig erfolgen sollen, so sind auch Kreisschulinspektor und
Schulvorstand zu benachrichtigen. Beferent hält es für ausreichend, den Orts¬
vorsteher in Kenntnis zu setzen, sonst wird der Benachrichtigungsapparat zu
gross, wenn z. B. der Kreisarzt plötzlich telegraphisch zu einer Obduktion abge¬
rufen wird. Auch bedeutet die Schulbesichtigung gleichzeitig mit der Orts¬
besichtigung z. B. in den Ferien eine grosse Beschränkung der Bewegungs¬
freiheit des Kreisarztes, weil die Ferien nicht gleichzeitig sind. Auch die
Möglichkeit, nur vormittags die Schulen zu besichtigen, gestattet nicht die
Besichtigung von mehreren Orten an einem Tage.
Deshalb will Beferent Schul- und Ortsbesichtigungen getrennt wissen.
Dies wird auch durch die Forderung wünschenswert, abwechselnd im Sommer
und Winter die Besichtigungen der Schulen vorzunehmen; denn im Winter bei
Kis und Schnee, „welche allen Schmutz und Unrat mit dem Mantel der Liebe
bedecken“, wenn die Massenquartiere leer sind u. s. w., lässt sieh kein Bild
gewinnen.
Einen Unterschied bieten ferner die OrtBbesichtigungen nach der Grösse
des Orts und bei ländlichen und städtischen Verhältnissen, auch der Umstand,
ob ein Kreisarzt schon lange im Bezirk tätig war und mit den Verhältnissen
bekannt oder erst in den Kreis hineinversetzt ist.
Ueber die allgemeinen Gesundheitsverhältnisse ist ja der
Kreisarzt durch die Krankheitsanzeigen auf dem Laufenden; dementsprechend
kann er ganze Teile oder nur Wohnungen der Ortschaft berücksichtigen, ferner
Arbeiter- und Massenwobnungen in Fabriken und Kasernen, Verbleib der
Schmntzwässer, Abgänge, Gruben, Aborte, Wasserversorgung, besonders öffent¬
liche Brunnen. Bei zentraler Wasserversorgung wird die Prüfung der Wasser¬
entnahme und der Beservoire ausreichen.
Bei etwaiger Meldung von Krankheiten, wo Nahrungsmittel in Frage
kommen können, sind Milchhandlungen, Molkereien, Selterswasserfabriken,
Schlächtereien, grössere Bäckereien auf ihre hygienischen Verhältnisse zu prüfen.
Von gewerblichen Betrieben will Beferent Zuckerfabriken, Brauereien,
Gerbereien, Seifensiedereien und ähnliche berücksichtigen, soweit Abwässeran¬
lagen, Geruchsbelästigung oder Verunreinigung Schädigungen bedingen können.
Bezüglich der Gefängnisse erwähnt Beferent, dass in Dörfern meist
Spritzenhäuser in Frage kommen, in kleinen Städten ein Winkel des Armen¬
hauses.
Ferner macht er auf die Geisteskranken in Familienpflege und die
Haltekinder aufmerksam, auch auf etwaige öffenliehe Bade- und Sehwimm-
anstalten, Begräbnisstätten. Bei den letzteren ermahnt Beferent, mög¬
lichst auf Leichenhallen und Obduktionsräume hinzuwirken, damit endlich
Spritzenhaus und Scheune aufhören, als angemessene Obduktionsräume zu gelten.
Schliesslich empfiehlt Beferent, ausser bei Ortsbesichtigungeu auch sonst
388
Ans Versammlungen nnd Vereinen.
bei jeder Gelegenheit auf Missstände hinzuweisen, allerdings soll der Kreisarzt
immer dabei im Auge haben: nihil nimis, omne «»minm non bontun.
Im Anschlass fand eine lebhafte Debatte statt.
Janert wünscht dringend die Abtrennung der Schnlbesichtignngen von
den Ortsbesichtignngen, ebenso wegen seiner Autorität die Anwesenheit des
Landrats. Er hält die Revision der Privatmolkereien für notwendiger, als die
der Sammelmolkereien.
Holthoff legte ein von Her ms ausgearbeitetes Formular vor, welches
vorher der Ortapolizeibehörde zur Ausfüllung zugesandt wird und somit schon
vor der Besichtigung dem Kreisarzt einen Ueberblick gewährt, wo Brunnen-
und sonstige Verhältnisse bedenklich sind. Redner erwähnt auch die bedenk¬
lichen Viehtränken auf den Höfen, insofern das Vieh die Exkremente dicht
neben dem Brunnen zurücklässt. Diese werden in der Regel nicht entfernt
und können so leicht in den Brunnen geschwemmt werden.
Herrns wünscht, dass in die ländlichen Polizeiverordnungen aufge¬
nommen wird, jedes Wohnhaus müsse einen Abort haben; bis jetzt sei dies nicht
überall der Fall.
Auf Frage des Vorsitzenden erwidert v. Lympins, dass in eine
Bauordnung nur bauliche, nicht sanitätspolizeiliche Sachen gehören, doch em¬
pfehle sich die Anregung, dahin die Polizeiverordnung zu ergänzen.
Weiter weist der Vorsitzende darauf hin, dass die Revision der
Drogenhandlungen durch die Kreisärzte nur empfohlen, nicht befohlen werden
könne, da im ministeriellen Erlass hierfür die Mitwirkung der Apotheker in
erster Linie vorgesehen sei.
Holthoff macht darauf aufmerksam, dass bei Dismembration eines
Hofes leicht die Wasser rerhältnisse durch Nichteinhaltung der notwendigen
Entfernung des Brunnens vom Abort sehr verschlechtert werden können. Das
müsse im Auge behalten werden.
Her ms teilt mit, dass es gelungen sei, Aborte zu entfernen, indem
Gruben, die nicht befestigt waren, nicht als bauliche Anlagen betrachtet wurden
und deshalb entfernt werden mussten, um dann gute anzulegen.
II. Kluge referiert über die bisherigen Erfahrungen bei den
kreisärztllcben Schulbesichtigungen (Autoreferat). Referent betont in den
einleitenden Worten die Wichtigkeit des gegenseitigen Austausches der bisher
gesammelten Erfahrungen über diesen gänzlich neuen Zweig der kreisärztlichen
Tätigkeit. Die Verfügung des Herrn Regierungspräsidenten vom 28. Juli 1902,
in welcher Uber die Art der Besichtigungen nnd vor allen Dingen Uber die
Grenzen der als unbedingt notwendig bezw. wünschenswert zu bezeichnenden
Vorschläge zu Verbesserungen genaue Anweisungen gegeben worden sind, be¬
weist, dass seitens der besichtigenden Kreisärzte bereits vielfach soweit gehende
Forderungen gestellt waren. Auf die Gefahr derselben für die Autorität des
besichtigenden Kreisarztes gegenüber den örtlichen Schulbehörden wird be¬
sonders hingewiesen und dabei zugleich die dringende Bitte an die Königliche
Regierung, Abt. II, ausgesprochen, den Kreisärzten unbedingt nnd möglichst
bald von ihrem endgiltigen Bescheide auf den Begleitbericht des Kreisarztes
Kenntnis zu geben, was bisher noch in keinem Falle geschehen ist.
Die bei den Besichtigungen gemachten Erfahrungen werden dann an der
Hand der einzelnen Nummern des Formulars IX kurz durchgesprochen.
Die auffälligsten Missstände sind vom Referenten vorgefunden 1. in dem
nicht selten krassen Missverhältnis der Grösse des Schulzimmers zur Zahl der
Schüler (ungenügender Luftknbus für den Kopf jedes Kindes), 2. bei der Be¬
schaffenheit der Schulbänke, 3. bei der Beschaffenheit der Aborte, besonders
der Abortgruben.
Bei Nr. 12 (Krankheiten der Schulkinder) betont Referent, dass der
Kreisarzt zur Beantwortung der hier im Formular gestellten Fragen unmöglich
jedes einzelne Kind auf die Gesundheit, bezw. Beschaffenheit der Brust- nnd
Baucheingeweide untersuchen, ebensowenig den Refraktionszustand bezw. die
Sehschärfe und Hörffthigkeit aller Kinder durch Einzeluntersuchung feststellen
könne. Er hat nur die augenfällig kranken bezw. die vom Lehrer als kurz¬
sichtig oder schwerhörig bezeiohneten Kinder einer besonderen Untersuchung
zu unterziehen, ebenso auf geistesschwache und stotternde Kinder zu achten
zur Anordnung entsprechender Massregeln für derartige Kinder. Einzelnster-
Aus Versammlungen und Vereines.
389
suehungen sämtlicher Kinder können nur ron besondere nngestellten Schul¬
ärzten snsgefBhrt werden, welehe sieh mit dem Kreisarit in engere Fflhlong
sn setsen haben.
Beim Sehlnss stellt Beferent folgende Leitsätze anf:
„1. Die kreisärztlichen Besichtigungen der Volksschulen werden zweifellos
anf die gesundheitliche Entwickelung der Schulkinder von segensreichem Ein¬
fluss sein.
2. In der Aufstellung der für dingend notwendig erachteten Verbesse-
rungsvorsobläge (Begleitbericht) empfiehlt sich aus allgemeinen Zweckmässig-
keitsgründen ein eher vorsichtiges, als scharfes Vorgehen mit sorgfältigster
Erwägung der örtliohen Verhältnisse im Einselfalle. Die Innebaltnng der in
der Verfügung des Herrn Begiernngspräsidenten vom 28. Juli 1902 festgelegten
Grenzen schützen den Kreisarzt sicher vor einem Uebermass seiner Forderungen.
3. Die möglichst baldige Mitteilung seitens der Königlichen Regierung
an den Kreisarzt über die auf Vorschlag desselben tatsächlich angeordneten
Massnahmen scheint dringend erforderlich.
4. Gesundheitliche Orts* und Schnlbeaichtigungen sind, sobald die Zahl
der zn besichtigenden Klassen mehr als 2 beträgt, nicht an einem Tage aus-
zuführen.
ö. Neben den 6jährlgen Besichtigungen des Kreisarztes erscheint die
Bestellung von Schulärzten und zwar in erster Beihe im Interesse der gesund¬
heitlichen Ueberwachung und Untersuchung des einzelnen Kindes dringend
erforderlich. Die Anstellung von Schulärzten, auch für Gemeinden ohne Arzt
ist, wenigstens für den Beg.-Bez. Magdeburg, wohl ausführbar.
6. Eine Vereinfachung des Formulars 9 erscheint im Interesse der sehr
zeitraubenden Berichterstattung wünschenswert und erreichbar."
Thilow (Auszug aus dem Autoreferat) erwähnt als Korreferent
zunächst die Schwierigkeiten, welche daraus erwachsen, dass nach der Ver¬
fügung des Herrn Begiernngspräsidenten event. der Kreisechulinspektor über
die Ferien befragt werden soll, um nicht innerhalb derselben eine Sohulbesich-
tigung vorzunehmen, und wünscht, da die Ferien in den verschiedenen Ort¬
schaften verschieden liegen, zur Vermeidung des Schreibwerks direkte Mit¬
teilung von diesem.
Ferner hält er es für zweckmässig, von den regelmässigen Bevi-
sionen des Kreisschulinspektors Kenntnis zu erlangen, um an diese möglichst
seine Besichtigung und eine Besprechung anzuknüpfen. Dasselbe gUt für
etwaige Bevisionen des Begierungs- und Medizinalrats.
Auch wünscht er Beteiligung an den Kreislehrerkonferenzen; für not¬
wendig hält er sie dann, wenn, wie es öfter der Fall gewesen, auf diesen ein
Thema behandelt wird, wie z. B. die Bekämpfung der Tuberkulose in den
Volksschulen.
Weiter empfiehlt er, erst in eine Besprechung mit dem Schulvorstande
einzutreten, wenn sämtliche Schulen einer Gemeinde besichtigt sind, nnd hierzu
besonders einen Vertreter des jeweiligen Zahlungspflichtigen Verbandes zuzu¬
ziehen. Auf diese Weise könne sich auch der Kreisarzt über die finanzielle
Leistungsfähigkeit der Schulgemeinde unterrichten.
Bezüglich der Entscheidung über das, was zu geschehen habe, mahnt
Beferent zur Vorsicht, da in der Begel schliesslich doch nur die Aenderungen
vorgenommen würden, welche die zuständige Behörde als notwendig bezeichnet
habe und event. auf dem Zwangswege durchführen könne.
Gleich dem Beferenten wünscht er ebenfalls Kenntnis von den Ent-
schliessungen der Begiernng zu erhalten, um einen Massstab für seine Forde¬
rungen zu besitzen, anderseits aber auch um später die Mängel kontrollieren
zu können.
Ueber die Ausführung der Besichtigung, die bei alleinigem Vormittags¬
unterricht am Nachmittag nicht möglich ist, berichtet Korreferent, dass er
zunächt die Temperatur und die Luftbeschaffenheit in einer Klasse prüft und
den Befand in das Formular einträgt. Darauf untersucht er die Schulkinder,
indem er sie einzeln an sich Vorbeigehen lässt, sich Haltung, Gesicht, Mnnd,
Zähne u. s. w. ansiebt, gleichzeitig auch auf die Beinlicbkeit der Kinder
achtet (Mundwinkel, Hände, Nägel). Etwaige genauere Untersuchungen finden
später statt, ebenso werden auch später die vom Lehrer als kurzsichtig oder
390
Ava Versammlungen ul Vereinen.
lekwarkOrif koaiakutea Kinder geprüft Ba genügen ihm für 60—70 Kinde* 1
20—30 Minuten Zeit. Eingehendere Untersuchungen der Schulkinder hei den
regelmässigen Schnlbeeiehtignngen vorznnehmen, sei nicht die Aufgabe des
Kreisarztes, ln der gleichen Weise verfährt Referent in der nichsten Klasse
u. s. w. Nach Beendigung des Schulunterrichts wird dann die Besichtigung
der Schulanlage und der einseinen Schulrftume vorgenommen. An den folgenden
Besieht!gangstagen, wenn notwendig, verfährt Referent in der gleichen Weise,
bis alle Schulen der betreffenden Ortschaft besichtigt worden sind. Referent
hält diesen Gang der Besichtigung für den zweckmäßigsten, da so der Schul¬
unterricht so wenig wie möglich gestört und die Zeit so gut wie möglich
ausgenutzt wird.
Schliesslich wünscht Referent, statt der hier gebrftuchlichea Formulare,
die su viel Schreibarbeit erfordern, andere und legt solche vor, die dem Rech¬
nung tragen.
Nachdem Janert, Holthoff, Kant sich ebenfalls su den vorliegenden
Punkten gelussert haben, und nachdem Strassner, der bei einem grossen
Stadtkreise, in dem 23 Schulärzte angestellt sind, im ganzen nnr mit sehr
guten Schul rerhältnissen zu tun hat, über seine Erfahrungen bei Bestimmung
der Beleuchtung der einzelnen Sitzplätze vermittels Zinkschen und Win gen¬
sehen Helligkeitsprüfers Mitteilungen gemacht, letzteren auch in seiner An¬
wendung gezeigt hatte, gab der Vorsitzende nochmals summarisch eine
Uebersioht über die Sohulbesichtigungen, stellte trots der grossen Schwierig¬
keit bei der Menge des Materials möglichst baldige Nachricht über die Anord¬
nungen der Regierung bei Vorschlägen des Kreisarztes in Aussicht, ersuchte
deshalb aber auch um möglichst frühzeitige und einzelne Einsendung der Be¬
richte. Er liess sich ferner über Ventilation aus, Sandstreuen, Oelen, An¬
wendung von staubbindenden Fussbodenölen, Wirkung von Beleuchtung und
schlechten Bänken auf Entstehung der Kurzsichtigkeit, Rettigbänke, wies auf
die Erleichterung hin, welche Handskizzen für die Nachprüfung gewähren, und
forderte auf, die offenen Sohulbrunnen zu bekämpfen.
Die Bedeutung der Untersuchung daroh den Kreisarzt bei verschiedenen
Krankheiten der Kinder möohte der Vorsitzende nicht überschätzen, da ja
die Kinder erst wieder nach 5 Jahren gesehen werden, wo überhaupt nur noch
ein Teil derselben vorhanden ist, ganz abgesehen davon, dass bei der Kürze
der Zeit die Untersuchung keine sehr eingehende sein kann. Er bezeichnet es
aber als eine besonders dringende Aufgabe, auf die geistesschwachen und
stotternden Kinder zu achten; er brachte besonders zum Ausdruck, wie durch
die Hilfsklassen für Schwachbegabte Kinder und durch Stotterkurse diesen
armen Geschöpfen oft erheblich zu helfen möglich sei, wie andernfalls auch der
Besuch der Idiotenanstalt notwendig werde. Er weist darauf hin, dass in den
Städten hierfür schon viel geschehen, dass es aber für* den Kreisarzt eine
vornehme und dankbare Aufgabe sei, auch auf dem Lande hierfür ein Ver¬
ständnis hervorzurufen.
III. Kühn referiert über Einführung der Anzeigepflicht für
tuberkulöse Erkrankungen und obligatorische Desinfektion aller
Räume, welche von Tuberkulösen bewohnt waren. (Autoreferat.)
Die Bekämpfung der Tuberkulose muss in der Jetztzeit als eine der vor¬
nehmsten Aufgaben der Hygiene angesehen werden, nnd der Medizinalbeamte
wird besonders noch durch den Ministerial-Erlass vom 22. Dezember 1897 an¬
geregt, an der Lösung dieser Aufgabe mitzuarbeiten. Die schon in diesem
Erlass empfohlene Einführung der Anzeigepflicht bei Todesfällen durch Tuber¬
kulose und Desinfektion der von Schwindsüchtigen bewohnt gewesenen Bäume
resultiert ans den Tatsachen, dass sich Tuberkulose, abgesehen von dem Ge¬
nuss bazillenartiger Nahrangsmittel, hauptsächlich durch Inhalation von basillen¬
haltigen Tröpfchen und basillenhaltigen Staubes und durch Kontaktinfektion
(durch Auswurf oder Stnhlentleerung beschmutzter Gegenstände) verbreitet,
dass somit der hustende und Bazillen mit den Stühlen entleerende Tuberkniöse
eine Gefahr für seine Umgebung bildet, welche auch nach dem Tode oder dem
Verziehen des Kranken noch lange Zeit in den von Tuberkulösen bewohnt ge¬
wesenen und nicht desinfizierten Räumen besteht.
Zur Einführung aanitätspoliseilicher Maasregeln gegen diese Gefahr be¬
darf man den Nachweis der Tuberkelbazillen im Einselfalle nicht. Das Krank-
Au Versammlungen and Vereinen.
891
beitabild vorgeschrittener Schwindsucht int ein so allgemein bekanntes, dass
man von dem Amt, dem Pflegepersonal nnd anderen Personen, welche mit den
Kranken in Verkehr stehen, ein Erkennen der Krankheit vorausaetzen kann.
Es wird ferner auch eine gelegentliche Anseige sohwindsuchtähnlicher Krank¬
heitsformen und die Anwendung der gegen die Aasbreitang der Tuberkulose
angeordneten Massregeln bei solchen FUÜen für die allgemeine Gesundheit kein
Schaden sein.
Dass eine Anseigepflicht der Tuberkulose notwendig ist, wird Ton allen
Hygienikern Deutschlands und anderer Kulturstaaten einstimmig anerkannt.
Solange aber noch kein Tuberkulosegesets in Preussen besteht, ist die Ein*
fthrung einer Anseigepflicht nur durch Poliseiverordnungen möglich, wie solche
in einseinen Begierungsbesirken (Wiesbaden, Arnsberg) und in einseinen
Stidtea schon erlassen sind. Referent legt den Entwurf einer Poliseiverordnung
im Sinne des Themas vor, welche sich an die Polisei-Verordnung der eben
genannten Regierungsbesirke anlehnt, und motiviert die Fassung der einseinen
Paragraphen.
Herms als Korreferent führte au (Autoreferat): Mag man über
du Heilstittenwesen und seine Erfolge denken, wie man will, soviel steht fest,
dass der dort betretene Weg allein nicht sum Ziele führt; denn die Fälle, die
hauptsichlieh nur Weiterverbreitung Veranlassung geben, ich meine die vor¬
geschrittenen ud terminalen, werden mit grosser Sorgfalt von den Anstalten
ferngehalten. Wir stehen nicht auf dem Boden des Kollegen Ri eck,
der drastisch genug der Heilstittenbewegung den Bankerott voraussagt, und
ihr dasselbe Resultat in Aussicht stellt, wie etwa dem Unternehmen, den
Bodensee mit Eimern aussuschüpfen. Du Ersiehliche der Heilstätten erkennen
wir dankbar an, glauben auch, dass eine ganse Reihe von Fällen im Initial¬
stadium nur Heilung gebracht wird, aber für übertrieben halten wir es, wenn
za Uebersehwengliehkeiten Geneigte schon jetst eine Abnahme der Tuberkulose
infolge der Heilstättentitigkeit durch die Statistik nachgewiesen haben wollen.
Die Hauptarbeit in der Bekämpfnng der Tuberkulose liegt unseres Erachtens
in der Knlturmission, die uns Medisinalbeamten durch du Kreisarstgesetn
übertragen ist.
Wir sind berufen sur Pflege der Hygiene der Gesamtheit, während die
Heilstätten sich nur mit der Hygiene du Einseinen befassen.
Der vorliegende Entwurf will einem Mangel in der Medisinalgesetz-
gebung abhelfen, der uns allen, die wir du Elend, welches die Tuberkulose
bringt, aus eigener Anschauung als praktische Aerste und Medizinalbeamte
kennen, oft genug fühlbar geworden ist Auf dem Wege der Ratschläge und
Belehrungen Erspriessliehes ra erreichen, ist bei der Indolens der ärmeren und
hauptsächlich befallenen Bevülkerung nahen unmöglich. Anderseits zu scharf
vorsugehen, ist bei den oft höchst delikat liegenden Verhältnissen nicht
an g än g ig.
Bei Todesfällen an Tuberkulose wird der Anseige und Desinfektionszwang
kaum auf nennenswerten Widerstand stossen, namentlich nicht in den Kreisen,
wo die obligatorische Leichenschau bereits vorhanden ist. Die Anseigepflicht
bei Tuberkulose wird vielleicht den Anstoss geben, auf allgemeine Einführung
der so segensreichen Leichenschau hinrawirken.
Die vorgeschlagene Anseigepflicht bei Wohnungswechsel von Tuberku¬
losen und Tuberkulose-Verdächtigen aber wird sicher hie und da auf Wider¬
stand stossen. Referent erinnert an das ärstliche Berufsgeheimnis, an die Ge¬
fahr der Aeehtung Tuberkulöser selbst von den nächsten Anverwandten, an den
möglichen Verlust von Arbeitsgelegenheit, an die Wohnungsentwertung, an den
Mangel von ausreichenden Anstalten und Wohnungen sur Aufnahme Tuber¬
kulöser, an die schweren Lasten, die nicht nur den Kommunen nnd Versiche¬
rungsanstalten, sondern auch den Familien aus der Unterbringung in geeignete
Anstalten erwachsen würden, ganz abgesehen von dem Eindruck, den ein ge-
sundheitspoliseiliehes Eingreifen auf die Kranken machen würde. Selbst die
Anseigepflicht bei Wohnungswechsel erscheint aus ähnlichen Erwägungen
zunächst noch als ra weitgehend, jedoch muss man dies Bedenken fallen lassen
in Anbetracht des Segens, der dadurch gestiftet werden kann. Für jeden Arzt,
der die Augen offen hat, ist es unzweifelhaft, dass hier die Wurzel alles Uebels
liegt nebst der wirtschaftlichen Misere. Gelingt es hier Wandel zu schaffen,
392
Au Versammlungen ui Vereinen.
dun wird eine Hauptquelle verstopft, die der Tnberknloee stets nenee Material
zafahrt. Jene Löcher, in denen eng zusammengepfercht eine grosse Kinder*
soliaar mit den tuberkulösen Eltern haust, werden heutzutage nach dem Tode
der Ernihrer ohne weiteres gerftumt, der infizierte Haurat verkauft und die
„Wohnung“ wieder bezogen, wie sie ist.
Wenn etwas Wirksameres geschehen soll, so muss hier eingegriffen
werden und deshalb ist der sorgsam durchdachte Entwurf des Kollegen Kflhn
im Prinzip zur Annahme zu empfehlen.
Mit geringen Mitteln werden wir dun im Stillen mehr erreichen, wie
die HeilstKttenbewegung, wenn wir es nicht in unserem amtlichen Vorgehen
an dem fehlen lassen, was uns du Wort Fortiter in re, suayiter in modo
▼orschreibt.
Friedei teilt bei der Debatte mit, dass im Kreise Grafschaft Wer¬
nigerode auf seine Veranlassung die Aerzte sich dahin geeinigt haben, bei
augenfälligen Krankheitsfällen von Lungentuberkulose bei Wohnungswechsel
und Todesfall Desinfektion ein treten zu lassen.
Kant macht darauf aufmerksam, dass in Aschersleben und Quedlinburg
bei Tuberkulose Desinfektion zu erfolgen hat
Keferstein hat Bedenken, ob sich nach dem Regulativ eine Desin¬
fektion polizeilich anordnen lässt. 1 )
Kluge meint, man solle jetzt nioht durch Poliseiverordnungen dem ja
erwarteten Seuchengesetz vor greifen.
Jan er t kommt auf die Heilstättenbewegung und legt ihr grosse
Wirkung bei, da sie nach seiner Meinung den Kranken isoliert und so die In¬
fektion in der Familie hindert Man solle deshalb die Bewegung unterstützen;
was sie nfitse, könne die Desinfektion nie erzielen.
Moritz ist im Gegenteil der Meinung, dass die Wohnungsdesinfektion
▼on viel grösserer Bedeutung sei. Er war vorher in Solingen, wo die Tuber¬
kulose in den Schleifereien zu Hause ist, hat selbst die Kranken fflr die Heil¬
stätten ausgesucht Das Initialstadium wird weggeschickt, die Scbwerkrsnken
bleiben zu Hause, also kann nicht davon die Rede sein, dass durch die Heil¬
stätten eine Verringerung der Infektion stattfindet. Man solle ihn nicht falsch
verstehen, wenn er sage, die Heilstätten werden die Gefahr der Tuberkulose
nicht verringern; er wende sich durohaus nioht gegen die Heilstätten, denn er
erkenne ihren Nutzen darin, dass sie später als Rekonvalessentenheime viel
nutzen würden. Nach seiner Auffassung bleibe bei der Tuberkulose das
Wichtigste die Desinfektion der Wohnung und der Werkstätten. Er meine
damit nicht alle, wo z. B. 1 oder 2 arbeiten, aber er denke an die Berufe, wo
der Staub sehr wirkt; dort sei es angebracht, nicht bloss zu desinfizieren,
sondern auch vorsubeugen und besonders die Massregeln auf besondere Rein¬
lichkeit zu richten.
Der Vorsitzende weist darauf hin, dass Heilstättenbewegung und
Wohnungsdesinfektion die Bekämpfung der Tuberkulose mit verschiedenen
Mitteln betreiben, die eine nehme den Anfang, die andere das Ende der Krank¬
heit in Angriff; zur Vernichtung der Bazillen sei natürlich die Desinfektion
das Wichtigere, aber man solle den Nutzen der Heilstätten nicht verkennen
und deshalb diese Bewegung unterstützen.
Hierauf wurde von einer weiteren Beratung der vorgeschlagenen Ver¬
ordnung abgesehen und die Versammlung gegen 5 Uhr geschlossen.
Dr. Strassner-Magdeburg.
*) Kollege Kühn bemerkt nachträglich hierzu: In dem §• 90 des Regu¬
lativs unter Nr. 10 der einzelnen aufgeführten ansteckenden Krankheiten und
Krankheitsgruppen, gegen welche sanitätspolizeiliche Massnahmen zulässig sind,
werden bösartiger Kopfgrind, Krebs, Schwindsucht und Gicht aufgeführt.
Gegen alle diese, also auch gegen Schwindsucht, Tuberkulose, können nach §. 23
des Regulativs von den Polizeibehörden allgemeine sanitätspolizeiliehe Vor¬
schriften unter Androhung angemessener Ordnungsstrafe erlassen werden.
Kleinere Mitteilungen and Referate atte Zeitschriften.
393
Kleinere Mitteilungen und Referate aue Zeitschriften.
Bakteriologie, Infektionskrankheiten and Öffentliches
Sanitätswesen.
Stadien über krankheitserregende Protosoen. Plasmodinm vivax
(Grazsi and Feletti), der Erreger des Tertianfiebers beim Menschen.
Von Fritz Schandinn-Rovigno. Hieran Tafel IV—VI. Arbeiten aas dem
Kaiserliehen Gesandheitsamte. Beihefte za den Veröffentlichungen des Kaiser*
liehen Gesundheitsamtes. Neunzehnter Band, zweites Heft. Mit 8 Tafeln.
Berlin 1902. Verlag von Julias Springer. Preis: 15 Mark. 1 )
Seh. hat im Jahre 1901 im Aufträge des Reichsamts des Innern in
Rovigno und Umgebung, einem malariareichen Landstriche, Untersuchungen über
verschiedene Arten von Parasiten angestellt and teilt in der vorliegenden Arbeit
seine Beobachtangen über PI. v. mit. Er beschreibt in ausführlicher Weise nach¬
einander die Sporozoiten, ihre Bewegungen, ihr Eindringen in die Speicheldrüsen
der Mücken nnd in die roten Blutkörperchen der Menschen, ferner die Schizonten,
das Wach8tam, die Kernveränderung and Kernvermehrung derselben, die freien
Merozoiten, die morphologischen Veränderungen der Schizonten and Gameten
in ihren verschiedenen Waohstomsstadien nach Verabreichung von Chinin n.s.w.
— alles Einzelheiten, aaf die hier nicht näher eingegangen werden kann.
Dr. Rost-Rudolstadt.
Ueber die Bekämpfung der Malaria. Von Sir William Max Gregor.
Vortrag, gehalten an der Universität Glasgow am 28. November 1902.
Für die Wichtigkeit des Gegenstandes führt der Vortragende zunächst
an, dass in Indien im Jahre 1900 an Malaria starben: von der eingeborenen
Bevölkerung 4 919 591, von europäischen Trappen (60558) 18679, von ein¬
geborenen Trappen (123 468) 39 601.
Für die Diagnose entnimmt man nach der neueren Methode von
Major Ross dem Patienten 20 Kubikmillimeter Blut zur mikroskopischen
Untersuchung, das man auf einen Objektträger ausbreitet. Nachdem es ge¬
trocknet ist, übergiesst man das Präparat mit EosinlOsung (Romanowskysche
Methode). Nach l 1 /» Stunden wird die EosinlOsung abgewaschen nnd unter
scharfer Methylenblaulösung einige Sekunden gefärbt. Dann wird auch diese
abgewaschen, das Präparat getrocknet und in Canadabalsam gebettet. Diese
Methode ist sicher und spart enorm viel Zeit.
Betreffs der Bekämpfung der Plasmodien und Malaria Parasiten bemerkt
Redner, dass Koch die Parasiten im menschlichen Körper angreift, Celli-
Italien sucht Schutz durch Drahtnetze zwischen Mensch nnd Moskito, Ross be¬
kämpft die Moskitos selbst. In Lagos wurden alle Mittel dieser 8 Autoritäten
in Anwendung gebracht. Der Erfolg der einzelnen Methoden war folgender:
Chinin und die Kochsche Methode: (1—2 gr Chinin jeden
Morgen, so lange noch Parasiten im Blute gefunden werden, dann 1 gr alle
7—8 Tage, wenigstens 2 Monate lang). Die günstigsten Erfolge Koohs in
Kaiser Wilhelmsland und auf Java mit Chinin in genügenden Dosen wurden
von einem seiner Schüler, Stabsarzt Dr. Blud au in letzten Jahren an der
Dalmatinischen Küste bestätigt. Das Verschwinden der Malaria in Deutschland
wird ebenfalls dem Chinin zugeschrieben. Wenn auch in England und Holland
der Drainage ein grosser Anteil gebührt, so ist doch gewiss, dass Chinin ein
mächtiges Prophylacticum gegen Malaria ist. In Lagos erhalten alle Beamten
Chinin frei zum Präventivgebrauch. Einige nehmen 0,15 täglich, andere 0,8
jeden 2. Tag u. s. w. Es seheint keinen Unterschied zu machen, so lange ein
Erwachsener wenigstens 0,9 pro Woche nimmt. Ross empfiehlt 0,8—0,6 täglich
vor dem Frühstück, Celli 0,24 jeden 2. Tag. Die letzten Beobachtungen in
*) Das betreffende Heft enthält ausser den bereits in Nr. 6 bezw. 7 be¬
sprochenen Abhandlungen von Dr. Günther über „ Dauerwurstzusatz Borolin*
und Dr. Weber „über die tuberkelbasillenähnliehen Stäbchen und die Bazillen
des Smegmas“ folgende Abhandlungen: Ueber die Bestimmung des Rohrzuckers
in gezuckerten Früchten und Beiträge zur Zuokerbestimmung von Dr. H.
Schmidt; ferner Beiträge zur Kenntnis der Zündwaren von Dr. Fischer
and zur Kenntnis der Dammarharse von Dr. W. Busse, sowie Mittheilungen
aus den deutschen Schutzgebieten.
894
kleinere Mitteilungen and Referate nu äeitsekrtfteit.
Italien scheinen in neigen, dass auch 2°/o von denen, die Chinin prophylaktisch
nehmen, Malaria bekommen. Max Gregor selbst meint, dass kein Europäer,
der sich weigert, Chinin so nehmen, nach Malaria-Kolonien gehen dürfe, da
er nicht nur seine Gesundheit riskirt, sondern vielmehr noch eine Gefahr für
das Allgemeinwohl ist. Italien hat hierfür schon ein swingendes Gesets.
Erwähnenswert ist, dass die italienische Regierung jetst nur das Chinin
bisulf. und das Chinin hydrochlor. als die leicht löslichsten und am besten
zu vertragenden wie billigsten Salze verwendet, das Chinin sulf. ist in Mis-
kredit geraten, das Aethylcarbonat (fiuchinin) ist zu teuer.
Während Koch ca. 6 Standen vor einem zu erwartenden Fieberanfall
Chinin gibt, empfiehlt Celli l'/t gr je 4 Tage lang, dann 1 gr für 4 Tage
später, dann 14 Tage lang 0,5 gr. Ross giebt 0,6 alle 12 Stunden eine
Woche lang. Vortragender gab in British Guinea erfolgreieh 0,6 Chinin mit
0,3 Antifebrin 1—2 mal täglich.
Malaria-Prophylaxe auf mechanischem Wege: Sie erfreut
sich grosser Beliebtheit bei Prof. Celli und seinen Landsleuten neben dem
Gebrauche des Chinins. Papuaneger brauchen das Moskitonetz seit undenklichen
Zeiten. Fidjiinsulaner machen ein Moskitonetz aus einem Stoffe, dem sie der
Rinde des Maulbeerbaums entnehmen. In Italien braucht man jetst Drahtnetze
an Türen und Fenstern in HolzTahmen; die amerikanische Art mit 14 Maschen auf
1 Zoll wird bevorzugt, (screens. d. Bef.). Dasselbe geschieht in Lagos. Nur
in der Nähe des Aequators wirkt das Drahtnetz ungünstig für die Ventilation.
Eine andere Art Schutz liefert der Rauch. Prof. Celli erwähnt dies
vom Tabak. In Neu-Guinea werden Wohnungen hoch genug angelegt, um
Feuer unter ihnen zu machen und Rauch zur Vertreibung des Moskitos zu
gewinnen. In Florenz braucht man in Ermangelung von Moskitonetzen in
geschlossenen Räumen Räucherkerzchen von Pyrethrum und Salpeter, „Zam-
peronis“ genannt. Pyrethrum narkotisiert die Moskitos für einige Stunden,
aber tötet sie nicht. Leider verursacht dieser Rauch Kopfweh. Die Netze
sind eben nicht zu entbehren, bilden aber nur die 2. Verteidigungslinie, die
erste liegt allein in dem Chiningebräuch. Drahtnetze sind für Hospitäler aber
unentbehrlich, namentlich für die Fieberkranken.
Die Präventiv-Methode von Major Ross: Es ist da, wo
medizinische und mechanische Prophylaxe nicht ausreiehen, die Radikalmethode:
Krieg den Moskitos bis aufs Messer. Kochs Methode befreit die Kranken
von den Parasiten und verhütet so die Infektion der Moskitos, Ross’ Methode
will die Moskitos ausrotten. Das System ist einfach; es trifft die feuchten
Brutstätten, nur ist es leider schwer ausführbar. Es handelt sich um Trocken-
legen, Drainieren des Bodens, Auffüllen von Erde oder Salzwasser oder rohem
Petroleum; in Wohnungen am peinlichstes Vermeiden von irgend welchen
feuchten Behältern, wo Mokitos sich einnisten können, selbst leeren Büchsen
oder zerbrochenen Flaschen. Dies lässt sich leichter ausführen, schwieriger bei
grossen Plätzen, Städten wie Amsterdam, wie Lagos, wie der Agro Romano. In
Lagos hat man begonnen, Sümpfe mit Sand oder sandigem Oel zu füllen, und
wird dies jahrelang fortsetzen, periodisch wird rohes Petroleum ausgegossen.
In Amsterdam füllte man die Kanäle mit dem salzigen Wasser des Zuider-
Sees, in dem die Anopheles-Moskitos nicht gedeihen nach den Erfahrungen und
Beobachtungen von Dr. Schoo; dasselbe fand man in Italien und Aegypten
bei saishaltigem Wasser. Ein weiterer Weg zu diesem Ziele der Prophylaxe
wäre der, Trennung der Europäer von den Eingeborenen in bestimmten Stadt¬
vierteln, ohne aber zu versäumen, ihren Kulturzustand zu heben.
Schwarzwasserf ieber. Wie erwähnt, wird es zuweilen bei unregel¬
mässiger Anwendung heroischer Dosen von Chinin beobachtet. Dass Sehwarswasser¬
fieber aber auch ohne dieses vorkommt, hat Vortragender an sich selbst erfahren.
Die Meinungen über diese Krankheit sind noch verschieden, doch scheint sie
mit Malaria zusammenzuhängen. Die erfolgreichste Behandlung ist die von
Dr. Kermorgant, Inspecteur-G6n6rale de Santö des Colosies Franeaises,
empfohlene. Sie besteht in subkutaner Injektion von einer Salzlösung, 7,0
Seesais auf 100,0 Wasser, und zwar in milden Fällen 200,0 in 24 Stunden, in
schwereren öftere und grössere Injektionen von 100—800,0, und zwar in der
regio hypogastrica. Regel ist täglieh einmal, mehr wie vier in einem Falle
waren nicht nötig. Dr. Gougien verordnete gleichseitig ein Mittel dar Ein¬
geborenen, ein Infus der Cassia oeeidentalis 15,0 : 1000,0 1—8 Liter täglich.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 896
Nach den Berichten des Sanitary Departement of Dahomey wurden 68 Fille
erfolgreich behandelt. 8trachan, Chief medicinal Offieer in Lagos empfahl
salinische Klystiere; Natr. salyc. wird in anderen Teilen Westafrikas Ter*
ordnet. In Neu-Guinea bestand die Behandlung in kleinen Dosen you Chinin,
Antifebrin mit Diuretica und war ebenso erfolgreich wie das französische. Blut¬
transfusion blieb fflr die schwersten Fälle flbrig.
In der Belehrung der Bevölkerung von Malariagegenden ist endlich ein
weiteres wirksames Mittel zur Prophylaxe zu erblicken.
Dr. 0 h 1 e m a n n • Wiesbaden.
Die gesundheitlichen Gefahren der Prostitution und deren Be¬
kämpfung. Von Prof. Dr. Lesser. Nach einem in der ersten Versammlung
der Berliner Ortsgruppe zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten am 9. De¬
zember t. J. gehaltenen Vortrage.
Lesser vertritt die Ueberzeugung, dass die grösste Gefahr nicht aus¬
gehe von den unter polizeilicher Kontrole befindlichen Mädchen, Bondern von
den sogenannten heimlichen, deren Zahl in allen Grossstädten die der Kon-
trolirten bei weitem fibertrifft. In Berlin betrage sie 20000 gegen 4000 bis
6000. Diese heimliche Prostitution zu assaniren, ist die Hauptaufgabe bei der
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Um dieses durchsulfihren, sind zwei
entgegengesetzte Wege vorgeschlagen worden. Der erste empfiehlt möglichste
Ausdehnung der Sittenpolizei. Dieser Weg scheitert aus technischen und recht¬
lichen Gründen. Der andere Weg geht darauf hinaus, die Sittenpolizei ganz
absusohaffen und durch Gewährung freier Arznei, freier ärztlicher und Kranken¬
hausbehandlung die Gelegenheit zur Heilung jedem Kranken so leicht wie
möglich zu machen. Lesser verwirft auch diesen Weg, er meint die Pro-
stituirten würden ihr Gewerbe, auch wenn sie krank wären, fortsetzen. Da¬
gegen schlägt er folgende Organisation vor: Bs sollen Heilanstalten nach Art
von Polikliniken eingerichtet werden, in denen die Prostituirten, wenn sie er¬
kranken, unentgeltliche Behandlung finden. Diese Behandlung soll, wenn es
irgend geht, ambulatorisch sein, nur, wenn nöthig, soll Hospitalbehandlung an¬
geordnet werden. Auch diese soll unentgeltlich sein und der Charakter einer
Zwangsbehandlung oder gar Internirnng völlig vermieden werden. Die Kranken,
die Angehörigen derselben oder die Heimathsbehörden dürfen in keiner Weise
fftr die Kurkosten in Anspruch genommen werden. Eine Anzeige an die Polizei
findet nicht statt. Jede Kranke, die in einer solchen Anstalt behandelt wird,
erhält einen Freibrief gegenüber der Polizei. Nur wenn die Kranke sich den
Anweisungen der Anstalt nicht fttgt, soll sie unter Polizeiaufsicht gestellt
werden können. Die Polizei würde also eine Art Schreckgespenst sein für die
Widerspenstigen. Die Furcht vor der Polizei würde dann die Prostituirten in
diese Anstalten führen, und Bie würden es vorziehen, sieh freiwillig behandeln
zu lassen, als der Sittenpolizei in die Hände zu fallen. Mit diesen Vorschlägen
sei aber nothwendigerweise verbunden die Forderung einer Vermehrung der
Bettenzahl für Geschlechtskranke.
In der Diskussion betonte Generalarzt Dr. Schaper, der ärztliche
Direktor der Charitö, ebenfalls, dass für Geschlechtskranke mehr Betten bereit
gestellt werden und die Abtheilungen für diese Kranken den anderen möglichst
gleichgestellt sein müssten. Die Forderung der vollständigen Aufhebung der
Sittenpolizei hält er dagegen für eine Utopie. Geh. Med.-Bat Dr. Ewald
hob die Bedeutung des Alkoholmissbrauchs für die Entstehung der Ge¬
schlechtskrankheiten hervor. Dr. 0. Rosenthal bemängelte die in Berlin
vorhandene ungenügende Bettenzahl für Geschlechtskranke. Ferner forderte
er, dass nicht nur eine Anstalt für die Behandlung der Prostituirten errichtet
würde, da ja sehr bald der Charakter dieser Anstalt bekannt und die Behand¬
lung daselbst ein Odium für die Behandelten auf sich laden würde, sondern
es soll allen Spezialärzten die Befugniss gegeben werden, mit denselben Rechten
wie die städtische Anstalt zu behandeln.
Dr. Blaschko sprach sich entschieden gegen die Reglementierung und
Sittenpolizei aus. Er betonte, dass die regelmässig kontrollierten Mädchen meist
längst immun und dadurch viel ungefährlicher seien, ab die Anfängerinnen der
Prostitution, und dass daher der Erfolg der Kontrolle sehr zweifelhaft sei. Die
Länder, welehe die Sittenpolizei abgeschafft hätten, seien gesundheitlich nicht
schlechter daran ab solche, die sie noch hätten. Die Reglementierung demo-
396
Kleinere Mitteilungen and Referate atu Zeitschriften.
ralisire die Mädchen, stosse sie ans der Gesellschaft ans and gewähre ihnen
anf der anderen Seite eine Art von Patent zur Ausübung des Prostitutions-
gewerbes. Aach sei oft nicht festzustellen, ob ein Mädchen wirklich Prosti-
tnirte sei; Missgriffe seien daher unvermeidlich. So wttrden z. B. in Frank¬
furt a. M. nicht selten Arbeiterinnen der sittenpolizeilichen Kontrolle unter¬
worfen; in Anhalt sei sogar vor einigen Jahren ein Erlass ergangen, wonach
Mädchen, auch wenn sie unentgeltlich mit mehreren Männern verkehrt hätten,
unter Kontrole gestellt werden könnten. Blaschko meint, dass die heutige
Sittenpolizei durch ihre Strenge nar zur Verheimlichung führe und dadurch
geradezu gesundheitsschädlich wirke. Er hält das Prinzip der freiwilligen Be¬
handlung fttr das wirksamste, vorausgesetzt, dass die schon bestehenden gesetz¬
lichen Bestimmungen, welche die Verletzung des öffentlichen Anstandes, die
öffentliche Ruhestörung und die Uebertragung der Geschlechtskrankheiten
unter Strafe stellen, voll ausgenutzt würden.
Ueber Urethritis gonorrhoica bei Kindern männlichen Geschlechtes.
Von Dr. Fischer, Stabsarzt im 8. Inf.-Reg. Nr. 107, früher Volontärarzt an
der dermatologischen Klinik in Leipzig. Münchener mediz. Wochenschrift;
1902, Nr. 46.
In Anbetracht des relativ seltenen Vorkommens einer gonorrhoischen
Genitalinfektion bei kleinen Knaben teilt Verfasser zwei Fälle eigener Beob¬
achtung und im Anschlüsse daran eine kurze übersichtliche Darstellung aus
den Angaben der Literatur mit, welche nicht nur von allgemein ärztlichem,
sondern auch von sanitätspolizeilichem und foremem Interesse sein dürfte:
Bei den 71 Berichtsfällen ergaben die Nachforschungen über die Art
der Uebertragung in 30 Fällen ein sicheres oder fast sicheres, in 5 Fällen
ein unsicheres, in den übrigen 26 Fällen ein absolut negatives Resultat.
Von den 40 Fällen mit positivem, anamnestischem Resultat entfallen:
1. Auf Ansteckung durch Kohabitationsversuche = 12.
2. Auf Uebertragung durch Zusammenschlafen oder näheren, (nicht
geschlechtlichen) Verkehr mit gonorrhoisch erkrankten Knaben, Mädchen oder
männli chen Erwachsenen = 11.
3. Auf zufällige Uebertragung durch weibliches Pflegepersonal oder
Wartepersonal = 9.
4. Auf mittelbare Uebertragung durch Wäscheartikel und dergl. = 6.
b! Auf Infektion durch Sittlichkeitsdelikte = 2.
Hieraus folgt, dass auch bei Knaben zufällige Uebertragungen auf
direktem oder indirektem Wege durchaus nicht selten Vorkommen. Relativ
oft erfolgt die Infektion bei Knaben durch Kohabitationsversuohe und zwar
betrifft dies fast ausschliesslich ältere, grössere Knaben.
Im allgemeinen begegnet man der Neigung, die Infektion von Kindern auf
verbrecherische oder unsittliche Akte zurückzufübren, nicht blos bei Laien,
sondern auch bei Aerzten.
Dass dieser Infektionsmodus vorkommt, ist zweifellos.
Auch der zuweilen im Volke herrschende Aberglaube, dass eine Tripper¬
erkrankung durch den Coitus mit einem ganz unschuldigen, reinen Mädchen
geheilt werden könnte, mag vielleicht dann und wann noch ein Opfer fordern,
wie aus der forensen Literatur unzweifelhaft hervorgeht.
Jedenfalls stellen aber die Sittlichkeitsdelikte nur den geringsten
Prozentsatz für die Aetiologie der Gonorrhoe bei Kindern dar (etwa 1 # / 0 aller
Fälle). In der grossen Ueberzahl der Fälle ist die Infektion zweifellos auf
unbeabsichtigte und auf völlige Unkenntnis basierende, sowie mehr zufällige
Uebertragungen zurückzuführen.
Am häufigsten geschieht dies durch die Sitte von Müttern und Pflege¬
personal die Kinder zu sich ins Bett zu nehmen. Auch das Zusammenschlafen
der Kinder selbst birgt bei der Häufigkeit der Vulvovaginitis der kleinen
Mädchen nicht zu unterschätzende Gefahren.
Eine grosse Reihe von Fällen verdankt sicher auch einer mittelbaren
Uebertragung durch Badeschwämme, Handtücher und andere Wäschestücke,
durch Badewannen, Thermometer, Nachtgeschirre, Irrigatoren und ähnliche
verunreinigte resp. nicht gereinigte Gegenstände ihre Entstehung, was nament¬
lich für die in Kinderspitälern, Pensio^ten etc. beobachteten Endemien gilt.
Offenbar bietet bei der mittelbar Uebertragung die breitere Fläche
Kieken Mitteilungen und Referate au Zeitschriften.
397
der weibliohen Genitalien, du Freiliegen and die Faltenbildnng der Schleim¬
haut mit ihren zarten and lockeren Epithel dem gonoorhoiechen Viru eine
viel bessere Infektionsmöglichkeit als die winsige Urethralöffnnng bei Knaben,
die ttberdiea noch darch das die Eichel überragende Praeputium geschützt ist.
Die Kenntnis des häufigen Vorkommens der anf nicht geschlechtlichem
Wege erworbenen Gonorrhoe bei Kindern ist zuweilen für den Arzt von grosser
Wichtigkeit, besonders in forensen Fällen, in welchen man jedoch mit grösster
Vorsicht and nur aaf Grand absolat sicherer Angaben and Beweise Schlüsse
ziehen soll and darf.
Die Anwesenheit von Gonokokken in der Urethra eines
kleinen Knaben oder im Genitale eines Mädchens berechtigt
nur in ganz wenig Fällen den Schloss aaf Stnpram.
_ Dr. Waibei-Kempten.
Schutamassregeln gegen die Angeneiterong der Neugeborenen
und gegen die Ansteckung durch dieselbe. Von Dr. L. Wolffborg,
Breslau. Dresden 1902. Steinkopff & Springer. K. 8*, 16 Seiten. Preis:
20 Pfg. für 6, 30 Pfg. für 10 and 1 M. für 50 Exemplare.
W. hat die fünfte Auflage seiner „Schatzmassregeln gegen die Angen-
eiternng der Neugeborenen and gegen die Ansteckung durch dieselbe“ separat,
also ohne Erläuterungen, herausgegeben. Dieselben enthalten ganz bestimmte und
auf langer Erfahrung beruhende Vorschläge für die häusliohe Pflege und sollen,
an die Angehörigen blennorrhoekranker Kinder ausgehändigt, dem behandelnden
Arzte die Verantwortung für etwaige Ansteckung Erwachsener erleichtern. In
dem vorliegenden Schriftchen bringt nun Verfasser jene 15 Paragraphen der
Schutzmassregeln einzeln zur Sprache, um die gegenüber den früheren Auflagen
und Publikationen vorgenommenen Aenderungen zu begründen und einige Er¬
läuterungen didaktischen Inhalts anzuknüpfen. Für die Vornahme augenärzt¬
licher Massnahmen an Neugeborenen, speziell für die Behandlung der
Blennorrhoeen empfiehlt W. angelegentlichst den von ihm konstruierten Kinder-
tisch, der statt einer Holzplatte ein hängemattenartiges, straff ausgespanntes
Geflecht aus Bindfaden trägt und als Unterlage für den Kopf eine kurze,
elastische Matratze besitzt. _ Dr. Roepke-Lippspringe.
Entstehung und Verhütung der Blindheit. Auf Grund neuer Unter¬
suchungen bearbeitet von Dr. Ludwig Hirsch. Abdruck aus dem klinischen
Jahrbuoh. Achter Band. Jena 1902. Verlag von Gustav Fischer. Gr.8°,
108 Seiten.
Um die Ursachen der Erblindung und ihre Häufigkeit in grösseren Landes¬
bezirken zu erforsehen, hat Verfasser seine Untersuchungen auf eine ganze
Reihe von Blindenanstalten ausgedehnt und dabei ein Material von 300 Blinden
unter 18 Jahren und 600 Blinde aller anderen Altersklassen zur Verfügung
gehabt. Es handelte sich um die Zöglinge der Blindenunterrichtsanstalten zu
Steglitz, Königsthal, Königsberg, Bromberg, Paderborn, Soest, Düren, Neuwied,
Hannover, die Blindenheime zu Tapiau, Bromberg, Düren, Königswusterhausen,
Berlin. Die Blindenstatistik von Magnus gebietet allerdings über grössere
Zahlen, 2528 Blinde, sie entstammen jedoch nur einem Regierungsbezirk. Ge¬
rade aber für eine Statistik über die Ursachen von Erblindung und ihre
hygienischen Vorbeugungsmassregeln ist die Kenntnis der einschlägigen Ver¬
hältnisse grösserer Landesteile von ganz besonderem Werte; es braucht nur
darauf hingewiesen zu werden, wie im Osten der Monarchie Trachom als Ur¬
sache dominiert, im Westen in den Industriebezirken Verletzungen. Es ist
dies daher ein grosses Verdienst seitens des Verfassers, von diesem höheren
Gesichtspunkte aus, diese Verhältnisse eingehend betrachtet zu haben, und wird
mancher Fachkollege ihn über die Fülle des zur Verfügung gestellten Materials
behufs wissenschaftlicher Ausforschung beneiden dürfen. Ein weiteres Verdienst
ist die Auseinanderhaltung von Erblindungen der Stadt- und Landbevölkerung.
8ie lehrt, wie so sehr viel häufiger Erblindung auf dem Lande gegenüber in
der Stadt vorkommt. 8o z. B. war bei Hornhaut-Erkrankungen, Trachom,
sympathisohe Ophthalmie, Pocken die Zahl der Erblindeten auf dem Lande
dreimal so hoch als in der Stadt, während sie infolge von Ophthalmie neona¬
torum auf dem Lande nur wenig flberwog. In Summa war das Verhältnis der
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
398
Erblindung auf dem Lande 63,24, in der Stadt 36,76. Ferner ttbertraf die
Zahl der vermeidbaren Erblindungen auf dem Lande durch Blennorrhoe, Horn-
banterkrankongen, sympathische Ophthalmie bei weitem die der Stadtbewohner.
Aach der Ophthalmologe hat Gelegenheit, manches für seine operative
Tätigkeit zu lernen, was er in Lehrbüchern nicht findet. So n. a., dass selbst
eine tadellos ausgeftthrte and verlaufende Myopie-Operation nebst Nachbehand¬
lung binnen Jahresfrist bei jagendlichen Individaen sa absoluter Amaurose
fahren kann, dass Schichtstaroperationen wohl leicht aassoftlhren, in ihrem
Endresultat aber nicht voraussusehen sind, ohne dass der unglückliche Ausgang
dem Operateur zur Last gelegt werden kann. — 4 Fälle der Art waren in
Universitätskliniken operiert worden and endeten mit Erblindung.
In der Arbeit von Schweichler, die Aagenhygiene am Eingang des
20. Jahrhunderts, (Beiträge zur Augenheilkunde, herausgegeben vonDentseh-
mann, 1900, 46. H.) finden sich alle diese Verhältnisse nur in kursen Angaben
oder gar nicht, beide Bearbeitungen kommen aber za dem Sohlass, dass 40 bis
44°/ 0 aller Erblindungen als vermeidbar anzusehen sind; Hirsch fand ferner,
dass von 66 vermeidbaren Erblindungen in der Stadt 210 solcher auf dem
Lande entfielen. Die weiteren Einzelheiten sind im Original nachsulesen. Alle
Bearbeiter der Blindenpropbylaxe, auch Hirsch, stimmen darin aberein, dass
als Hauptforderung eine genügende Versorgung mit sachverständiger Hilfe an-
zusehen sei. Ferner hebt Verfasser mit Hecht hervor, dass viele Augenkranken
meist erst in einem Zustand augenärztliche Behandlung erreichen, — wo es an
spät ist. Auch Referent hat es, um korrekte Beispiele anzufahren, häufig er¬
fahren, dass bei Augenverletzungen die Kranken erst dann zum Angenant
kommen, wenn infolge Infektion schon die Cornea ihres vorderen Epithels be¬
raubt war, wenn ein Hypopyon schon die Papille erreicht hatte, wenn in
anderen Fällen ein akutes Ölankom, das als Conjnnktivitis oder als Iritis auf¬
gefasst, mit Zinklösang oder Atropin vorbehandelt, schon absolut geworden
war, ja selbst in einem Falle von Blennorrhoea neonatorum erst, als nach Ab¬
lauf des aknten Krankheitsverlaufes Totallenkome zurückgeblieben waren.
Dr. Ohlemann-Wiesbaden.
Klnderschutcgesetzgebnng und Arzt. Von Dr. Paul Schenk, Berlin.
Deutsche Medizinal - Zeitung; 1903, Nr. 8.
Verfasser bedauert lebhaft, dass ein Gesetz, welches den Schatz der
Kinder vor körperlicher Ueberanstrengang bezweckt, ohne die sachverständige
Mitwirkung des Arztes au stände kommt. Man hat in einem „hygienischen*
Gesetzentwurf die wirtschaftlichen Interessen aber die Pflege der Volksge-
sandheit gesetzt. Die Beschäftigung in der Hausindustrie ist, genau ge¬
nommen, den Kindern häufig schädlicher als die Fabrikarbeit.
Vom ärztlichen Standpunkte aus ist eindringlichst zu betonen: Die Er»
werbsarbeit der Kinder, speziell ihre Beschäftigung in der Hausindustrie, ist
prinzipiell za untersagen; vereinzelte Ansnahmefälle bedürfen ärztlicher Ge¬
nehmigung. _Dr. Hoffmann-Elberfeld.
Ueber die Kunst gesund und glücklich zu leben und Krankheiten
zu verhüten. Bede, gehalten am 270. Stiftnngfeste der Universität Amsterdam
von Prof. Dr. P. K. Pehl, Rector magnificus. Klinisches Jahrbuch 1902.
Neunter Band.
So viel erörtert das obige Thema anch sein mag, die vorliegende Rede
behandelt in so formvollendeter, gehaltvoller nud geistreicher Form die Enbiotik,
dass auch jeder Arzt an ihrer Lektttre grossen Genuss finden wird. Vor allem
sind die Fragen der allgemeinen und individuellen Prophylaxe der Hygiene
des Körpers und des Gemflts, die Grundsätse einer Vernunft- und gesnndheits-
gemässen Jagenderziehung und Lebensbetätigung vom Standpunkte des Arztes
ans behandelt, wie es sich ihm in seiner reichlich 26iänrigen praktischen
Tätigkeit gewissermassen aufdrängte. Das Schriftohen, das aus der Gustav
Fisch ersehen Verlagsbuchhandlung in Jena snm Preise von 60 Pf. zu be¬
ziehen ist, ist auch zur Anschaffung fttr die Bibliotheken von Kranken¬
häusern und anderen Anstalten ganz besonders geeignet.
Dr. Roepke-Lippspringe.
kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
S9d
Ueber einige Fehler bei Ventilationsanlagen. Von Prof. Dr. med.
Kut Wolf-Dresden. Geaundheits - Ingenieur; 1903, Nr. 1, S. 8.
So selbstverständlich der Satz klingt, dass künstliche Ventilationsein-
riehtnngen dazu dienen sollen, gute unverdorbene Luft in einen Raum hinein-
snbringen und die verbrauchte verunreinigte zu entfernen, so beweisen doch die
vielen fehlerhaften Ventilationsanlagen, dass er nur selten berücksichtigt wird.
Abzugskanäle sind für sich allein nicht im stände, die Abführung der
verdorbenen Luft jederzeit in sicherer Weise zu besorgen, da sie häufig in der
entgegengesetzten Richtung ventilieren und namentlich im Winter, wenn ihre
Wandungen erkaltet sind, kalte Luft in den Raum blasen statt schlechte zu
entfernen, Man soll sie daher nur dann einbauen, wenn man zugleich Vor¬
kehrungen für ihre richtige Ventilation trifft. Abzogskanäle ohne Zulnftkanäle
sind auch deshalb zu verwerfen, weil die Uebersicht Uber die Herkunft der
einstrümenden Luft gänzlich fehlt und solche von oft bedenklicher Qualität
eingesogen wird. Zu welchen höchst bedenklichen Verhältnissen die mit elek¬
trischem Antrieb versehenen für Konzert-, Versammlungs- und Restaurations-
rftume neuerdings sehr beliebt gewordenen Ventilatoren führen können, illustriert
folgendes Beispiel: Ein mit einem Fülloffen ausgestatteter Restaurationsraum
von 260 cbm Inhalt erhält einen solchen Ventilator, der mit 1600 Touren in
der Minute 60 cbm Luft bewegt. Theoretisch ist also die Luft des Lokales in
6 Minuten durch frische ersetzt. Einer solchen Saugwirkung sind aber die
vorhandenen Fugen und Ritzen nicht gewachsen, es müsste also ein luftver-
dünnter Raum entstehen. Dem wird aber dadurch vorgebeugt, dass die Zug¬
wirkung des Schornsteins umgekehrt wird und durch den Ofen hindurch die
Rauchgase in das Zimmer gepresst werden, es dauert nicht 6 Minuten von der
Anstellung des Ventilators an, bis die Luft des Zimmers mit Rauchgasen an¬
gefüllt ist.
Bei den Luftzuführungskanälen wird gewöhnlich die Hauptforderung der
Hygiene übersehen, dass die Entnahmestelle für die reine Luft genau bekannt
sein muss. In Schul-, Gerichts-, Verwaltungsgebäuden gehen häufig die Znlutt-
kanäle vom Korridor aus in den zu ventilierenden Raum und bringen die in
solchen Gebäuden meist stark verunreinigte und vor allem auch oft sehr staub-
reiche Korridorluft direkt in ihr hinein. Dr. Wolff-Greifswald.
Ueber die Anforderungen, welche vom gesundheitlichen Stand-
8 unkte aus an ein öffentliches Schlachthaus zu stellen sind. Von Dr.
. Feldmann, prakt. Arzt in Stuttgart. Deutsche Vierteljahrsschrift für
öffentliche Gesundheitspflege; Bd. XXXIV, H. 3.
In den letzten zwei Jahrzehnten sind in einer sehr grossen Ansahl von
deutschen Städten öffentliche Schlachthäuser gebaut worden; Uber die zweck¬
mässige Einrichtung eines solchen ist eine sehr reichhaltige Literatur ent¬
standen, welche der Verfasser bei seiner Arbeit, soweit sie ihm von besonderem
Werte ersohien, berücksichtigt. Er bespricht:
A. Anforderungen allgemeiner Natur.
1. Das Schlachten soll ausschliesslich in dem öffent¬
lichen Schlachthause erfolgen. Nur in diesem kann der doppelte
Zweck: die vielen Belästigungen, die der Einwohnerschaft einer Stadt durch
das Schlachten erwachsen, zu beseitigen und den Verbrauchern eine gewisse
Bürgschaft gegen den Genuss ungesunden Fleisches zu bieten, erfüllt werden.
Der einzelne Metzger kann, schon wegen der hohen Kosten des Betriebes, diese
Forderungen nicht erfüllen, und nur wenn alle Metzger zwangsweise das öffent¬
liche Schlachthaus benutzen müssen, kann verhindert werden, dass aus den
öffentlichen Schlachthäusern zurückgewiesenes krankes Vieh privatim ge¬
schlachtet wird. Naturgemäss muss die Einfuhr frischen Fleisches in die Städte
möglichst erschwert werden.
2. Das Schlachthaus soll von der Stadtgemeinde selbst
erbaut und betrieben werden. Im kommunalen Schlachthause ist der Be¬
trieb von vornherein meist ein besserer, geordneter, als in einem privaten, schon
wegen der Kosten, — dem öffentlichen Beamten ist die Erhaltung der Ordnung
und Sauberkeit die höchste Pflicht, der Kostenpunkt berührt ihn nicht, im Gegen-
satse zu Privatunternehmern. Endlich muss das Schlachthaus seiner wesent¬
lichen Bestimmung nach eine Sanitäranstalt sein, während der Privatfleiseher
400
Kleinere Mitteilungen und Referate au Zeitschriften.
stets Gegner der strengen sanitätspolizeilichen Kontrole (Beschlagnahme, Kon¬
fiskation) sein wird.
3. DieLage des Schlachthauses ist vom gesundheitlichen
Standpunkte ans weniger wichtig, vorausgesetzt, dass das
Schlachthaus allen übrigen gesundheitlichen Anforderungen
entspricht.
Zweckmässigkeitsgründe lassen es allerdings wflnscheuwert erscheinen,
dass das Schlacbthau eine bestimmte örtliche Lage habe — ausserhalb der Stadt,
doch nahe dem Verkehrszentram, direkt an der Eisenbahn, in der Stadtrichtung,
au der der stärkste Viehzutrieb vom benachbarten Lande erfolgt u. s. w. —
vom sanitären Standpunkte anbedingt nötig ist diese aber nicht
B. Die bauliche Anlage der Schlachthäuser.
Man unterscheidet deutsche (geschlossene) und französische (offene) Bau¬
weise; beide haben ihre Vorzüge. Am besten ist die halboffene Anlage, wie
sie der Breslauer Schlachthof hat. Die Anzahl der Gebäude hängt davon
ab, ob es sich um eine grosse oder kleine Stadt handelt; in enteren müssen
die Schlachträume für grosses und kleines Vieh, sowie für Schweine vollständig
von einander getrennt sein, in letzteren wird Gross- and Kleinvieh in einem
Baume geschlachtet Der Brühraum für Schweine muss stets von den
SeUaehträumen getrennt sein, ebenso ein etwa erforderlicher Schlachtraum für
Pferde, und stets ein solcher für seuchenverdächtiges Vieh.
1. Die Schlachthäuser für Gross- und Kleinvieh. Man
unterscheidet Kammer- und Hallenbauten. In den neueren deutschen Schlacht¬
häusern findet man fast nur letztere, die viele Vorzüge haben. Sehr wichtig
ist die Ventilationsvorrichtung; je einfacher sie ist, um so besser.
Befinden sich die beiden Haupteingänge an den beiden Schmalseiten, so lässt
sich eine Durchlüftung, die ausgiebig genug ist, jederzeit durch Oeffhen der,
am besten zum Schieben eingerichteten Türen bewerkstelligen. Ferner empfiehlt
es sich, die Fenster um eine horizontale Achse drehbar zu machen. Boden¬
räume über den Schlachthallen, die zum Aufbewahren der Felle an manchen
Orten benutst werden, sind schon wegen des schlechten Geruches unzulässig.
Zur Beleuchtung ist am besten Oberlicht. Am zweckmäßigsten ist es, das
ganze Mitteldach etwa 1—1 */» m über die seitlichen Dachpartien zu erheben
und die Verbindung zwischen diesen Dachteilen durch senkrechte Glasfenster
herzustellen, die sugleich horizontal drehbar gemacht werden können und eine
gute Ventilation geben. Die Wände dürfen keine Feuchtigkeit ansiehen und
müssen leicht abwaschbar sein. Verfasser empfiehlt Anstrich mit Emailfarbe,
der sich auch leioht erneuern lässt. An den Wänden müssen zahlreiche Wasser¬
hähne angebracht sein, wie überhaupt ein grosser Wasserverbrauch wünschens¬
wert ist. Das erforderliche Wasser kann aus der Wasserleitung, oder, billiger,
aus Brunnen beschafft werden. Der Boden muss undurchlässig und nicht glatt
(Ausgleiten) sein. Auch die zwischen den Schlachtanlagen befindlichen
Strassen müssen aus undurchlässigem Material hergestellt sein.
2. Die Sehweinesohlachthäuser. Diese verlangen bedeutende
Abweichungen vom HaUenbau, besonders auch deshalb, weil bei den Schweinen
nicht, wie bei den anderen Tieren, das Fell abgezogen, sondern die Borsten
abgeschabt werden, nachdem sie in heissem Wasser erweicht sind. Dieser
Brtthprozess ist mit Entwickelung sehr unangenehm rieohender Dämpfe ver¬
bunden; es müssen deshalb eigene Brühräume vorhanden sein. Ohne auf Ein¬
zelheiten einzugehen, führen wir als Ansicht des Verfassers an, dass am besten
die Schweine aus dem Stalle durch einen halboffenen Verbindungsgang in den
Brühraum gelangen, am Eingänge dieses sofort geschlachtet und erst nach der
Enthaarung in den Ausschlacbtungsraum gebracht werden. Sofortige Venti¬
lation des Brühraumes ist unbedingt nötig.
8. Das Pferdeschlachthaus. Ein solches ist erforderlich, weil
viele Personen sich vor Pferdefleisch ekeln. Es kann aber hierfür der Baum
für Notschlachtungen nicht benutst werden aus Rücksicht auf die immer zahl¬
reicher werdenden Konsumenten von Pferdefleisoh.
4. Das Schlachthaus für krankes Vieh. Dieses muss völlig
abgesondert sein und einen Beobachtangsstall für verdächtiges und einen
Soblachtraum für verdächtiges und krankes Vieh besitzen.
C. Das Kühlhaus.
Das Fleisch geschlachteter Tiere muss aus bekannten Gründen oft mehr
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 40i
oder weniger lange aofbewahrt werden. Um eB in frischem, genussfähigem
Zustande au erhalten, gibt ob nur ein Mittel — die Kälte. Die frflher geübte
Biskühlung ist hierau ganz unaureichend. Eb müssen eigene Küblrftume einge¬
richtet werden, die eine st&ndige Temperatur von -j- 2 0 bis + 5° C. und einen
Feuchtigkeitsgehalt von 75—80 Pros, aufweisen. Die verschiedenen Methoden,
dieses Ziel zu erreichen und deren Vor- und Nachteile sind im Aufsatze dar¬
gelegt. In absehbarer Zeit werden durch die Erfindung der flüssigen Luft
wahrscheinlich auch in diesem Zweige der Technik wichtige Umwälzungen
hervorgebracht werden. Verfasser empfiehlt, vor dem eigentlichen Ktthlraume
einen sogenannten Vorkühlraum anzulegen, damit das Fleisch nicht vor Ein¬
tritt der Starre in den Ktthlranm gebracht wird. Der Kühlraum selbst muss
Doppelwände mit einer Isolierschicht, einen massiven, zementierten Fnssboden
und ein massives Dach haben, das mit einem schlecht leitenden Material (Torf)
überschüttet werden muss. Für die Fenster sind dunkel gefärbte Glasbausteine
au empfehlen, als Beleuchtung elektrisches Licht.
D. Einrichtungen zur Ausnutzung des minderwertigen
Fleisches.
Bei dem beanstandeten Fleische ist zu unterscheiden solches, das nicht
bankwürdig, aber auch nicht als gesundheitsschädlich und für den menschlichen
Genuss ungeeignet zu bezeichnen ist, und solches, das direkt gesundheitsschäd¬
lich ist. Ersteres unterliegt dem§. 10des Nahrangsmittelgesetzes; eB müssen Ein¬
richtungen getroffen werden, dem Käufer diese Eigenschaft sofort kenntlich zu
machen — Freibank. Verfasser hält es für zweckmässig, bei der Einrichtung
der Freibank Anordnungen zu treffen, dass von dieser Fleisch an Metzger,
Wurstler, Gastwirte und Kostgeber überhaupt nicht, und an andere Käufer
nur in kleinen Mengen, 1—2 kg, lediglich zum Selbstgebranch abgegeben
werden darf. Auch die Elinrichtung von Volksküchen auf dem Areal des
Sohlachthofes zur Verwendung des Freibankfleisches hat sich sehr bewährt.
Das direkt gesundheitsschädliche Fleisch muss an der Stelle der Ge¬
winnung oder in unmittelbarer Nähe derselben verarbeitet werden und zwar
so, dass sicher alle Seuchenkeime vernichtet werden. Das lässt sich am besten
daroh das Dämpfverfahren erzielen, bei dem das Fleisch einer Dampfspannung
von vier Atmosphären ausgesetzt wird; aus dem so verarbeiteten Fleische
lassen sich durch neuere, völlig geruchlos arbeitende Maschinen die wertvollen
Bestandteile Fett, Dungpulver und leimhaltige Fleischbrühe selbsttätig ab¬
scheiden.
E. Die Schlachthofabgänge.
Es handelt sich um die Exkremente der lebenden Tiere, um den Magen-
und Darminhalt der geschlachteten und um das Blut. Das Blut kann zur
Albuminfabrikation verwendet werden, die sehr reinlich ist, weswegen gegen
eine derartige Anlage auf dem Schlachthofe nichts einzuwenden ist. Wird es
nicht verarbeitet, so fliesst es mit den anderen Schlachthofabwässern (Urin der
Tiere und Spülwässer) ab. Dies ist in Städten mit Rieselfeldern einfach; für
andere bedarf es komplizierter Vorkehrungen, die in der Abhandlung ausführ¬
lich besprochen werden; eine Fällung des Blutfarbstoffes ist unnötig, ebenso
auch eine Desinfektion der Abwässer, falls man diese dem städtischen Kanal¬
wasser beimengt, oder direkt einem wasserreichen Strome zuführt. Für die
Mage n- und Darminhaltsentleerung muss jeder Schlachthof eine so¬
genannte Kaldaunenwäsche haben, grössere sogar zwei (für die Schweine ge¬
sondert). Für die Fortschaffung der aus den Kaldaunen entfernten Kotmassen
muss grosse Sorgfalt verwendet werden, wofür verschiedene Verfahren bekannt
sind. Die endgültige Beseitigung der Kotmassen muss sich nach dem für die
betreffende Stadt eingeführten Modus richten. Die Errichtung offener Dünger¬
stätten ist zu vermeiden, vielmehr müssen Dttngerhäuser gebaut werden, in
welchen das Einbringen und Wegschaffen des Kotes unter Dach erfolgt. Sie
enthalten dann zweokmässig auch die Aborte für die Menschen. Für grosse
Betriebe sind die beweglichen Düngerbehälter besser, als die Düngerhäuser;
aus ihnen kann eine Entleerung direkt auf Eisenbahndüngerwagen, die unter
die Schächte kommen, erfolgen. Dr. Glogowski-Görlitz.
402 Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
Das Abdeckereiwesen and seine Regelung. Von Dr. Boretins,
Königl. Kreisassistenzarzt, Waldenburg i. Schl. Deutsche Vierteljahrssohrift
für Öffentliche Gesundheitspflege; XXXIV. Bd., 3. Heft
Die Aufgaben der Abdeckereien sind bekannt. Das den Abdeckereien
anheimfallende Material ist, rom sanitären Gesichtspunkte aus betrachtet, als
bedenklich ansusehen, insofern von demselben gesundheitsschädigende Einflüsse,
sowohl auf die bei der Verarbeitung beteiligten Personen, wie auch auf die
weitere Umgebung durch Verunreinigung Ton Boden, Grundwasser und Loft,
und durch Weiterverbreitung Ton Krankheiten auf Menschen und Tiere aus¬
gehen können. Die in den Abdeckereien zur Verfügung stehenden Mittel sind
jedoch häufig ungenügend; der Betrieb lässt mannigfache Missstände er¬
kennen. Die Anforderungen, die vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheits¬
pflege an die Abdeckereien gestellt werden müssen, fasst der Verfasser in
folgenden Schlusssätzen zusammen:
Die unschädliche Beseitigung von Kadavern kann an Ort nnd Stelle,
wo das Vieh gefallen ist, durch Verscharren oder Verbrennen ausgeführt worden
— improvisierte Abdeckerei —, oder das Material wird besonderen Sammel-
Wasenmeistereien überwiesen. Die Selbstabdeckerei der Viehbesitzer ist im
allgemeinen zu missbilligen, weil das Verscharren oder die Kompostierung
leioht Verunreinigung des Bodens und des Grundwassers und hochgradige Ge-
ruchsbelästigung herbeiführen kann, weil eine Kontrolle gegen missbräuchliche
Verwendung des Materials unmöglich ist nnd weil dadurch Seuchenherde der
veterinärpolizeilichen Kenntnis entzogen werden können.
Bei der Behandlung und Vernichtung von Seuchenkadavern oder deren
gesundheitsschädlichen Teilen ist nach den Viehseuchengesetzen an verfahren.
Die mit dem Verbrennen der Kadaver auf offenem Felde gemachten Er¬
fahrungen lauten nicht günstig.
Das alte Verfahren, Seuchenkadaver, deren Transport wegen Ansteckungs¬
gefahr vermieden werden soll, zu vergraben, kann sich niemals völlig umgehen
lassen, wenn es auch nur als ein Notbehelf gegenüber der zweckmässigen che¬
mischen oder thermischen Vernichtung bezeichnet werden muss.
Der Verscharrungsplatz muss, wie ein Begräbnisplatz, derartig beschaffen
sein, dass die vergrabenen Kadaver möglichst rasch und vollständig in Zer¬
setzung übergehen. Handelt es sich um Milzbrandkadaver, so kann von einem
solchen Verscharrungsplatse weitere Infektion ausgehen; ähnlich steht es mit
trichinösem Fleisch.
Weit zweckmässiger ist es, wenn in einzelnen Kreisen Sanunel-Wasen-
meistereien eingerichtet werden, in welchen sämtliches Kadavermaterial des
betreffenden Bezirkes, sofern nicht bei Seuchen besondere Vorschriften gelten,
Verarbeitung findet.
Die Anstalt muss der weitgehendsten Kontrolle seitens der Organe der
öffentlichen Gesundheitspflege zugänglich sein.
Die Viehbesitzer müssen verpflichtet Bein, sämmtliches gefallenes Vieh
den Abdeckereien zu überweisen. Notschlachtungen unterliegen dem Fleisoh-
beschaugesetze; plötzliche und unerklärliche Todes- und Krankheitsfälle müssen
anzeigepflichtig sein.
Die Abdeckerei muss etwas abseits von bewohnten Orten gelegen sein.
Abgesehen vom Wohnhanse des Betriebsleiters gehören dazu:
1. Eine geräumige Zerlegehalle mit einem Nebenraum znm Aufbewahren
der Felle. Die Wände der Halle müssen dauerhaft nnd leicht abwaschbar sein;
der Fnssboden muss absolut undurchlässig sein nnd nach einer unten befind¬
lichen dichten und völlig gegen die Umgebung isolierten Senkgrube zu, welche
die flüssigen Abgänge der Halle aufnimmt, Gefälle haben. Der Boden der
Zerlegehalle muss bequem zur Oeffnung der Vernichtungsapparate liegen.
2. Der Apparateranm mit den Verwertungs- und Vernichtnngsapparaten.
Dieselben müssen völlig abgeschlossen sein nnd das Rohmaterial, ohne dass
Umladung während des Kochens nötig ist, völlig sterilisieren und trocknen.
Es eignen sich die Systeme Podewils, Hartmann — Trebertrocknung
und der Korische Verbrennungsofen. (Die Apparate sind in der Abhandlung
abgebildet und erläutert.)
3. Der Aufbewahrungsraum für das fertige Fleischmehl nnd das ansge-
schmolsene Fett.
Besprechungen.
403
4. Still« für Betriebspferde and seuchenverdächtige Tiere. Diese missen
leicht sa desinfisieren sein.
6. Eine dichte Jaachegrnbe zur Aufnahme and Desinfektion des Dinkers
and sämtlicher übrigen Abginge, soweit sie nicht in Apparaten verarbeitet
oder einem öffentlichen Siel übergeben werden.
Verunreinigungen des Bodens und des Grundwassers von der Anlage aus
missen durch gründliche Abdichtung der Senkgrube und der Jauchegrube aus¬
geschlossen sein. Anschluss an die Kanalisation ist dringend wünschenswert.
Durch regelmässigen Betrieb sind Geruchsbeläetigungen möglichst zu vermeiden.
Fleisohhanael und Schweinezüchtern! dürfen auf den Abdeckereien nicht
betrieben werden. Dr. Glogowski-Görlits.
Besprechungen.
Dr. X. Ohl «mann: Die neueren Augenhellmittel für Aerste und
Studierende. Wiesbaden 1902. Verlag von J. F. Bergmann. Gr. 8°.
171 Seiten.
Die früher von demselben Verfasser erschienene „Augenärstliche Therapie“
erfährt in dem gegenwärtigen Buche eine Ergänzung, die durch die Fülle der
in den letzten Jahren aufgetauchten Arzneistoffe, durch die Zunahme der
physikalischen Heilmittel und Heilmethoden und durch das Hinzutreten der
Organ-, Serum- und Lichttherapie geboten erschien. Dem entsprechend sind
die einzelnen Kapitel über die mechanischen, thermischen, chemischen, elek¬
trischen und allgemeinen Heilmittel ergänzt; ferner ist ein besonderer Abschnitt
über die Serum- und Organtherapie hinzugekommen; ein Nachtrag berücksich¬
tigt noch die grösstentheils während der Bearbeitung und des Druckes er¬
schienenen neusten Arbeiten, so dass in der Tat O.’s Buch ein Gesammtbild
des Arzneischatzes der Ophthalmologie der Gegenwart entwirft. Der Reich-
tum an guten Rezeptformeln empfiehlt das Werk ebenso als Nachschlagebucb
für den Praktiker wie die angeführten Urteile der Einzelbeobachter und die
beigegebenen Litteraturangaben es für litterarische Arbeiten wertvoll machen.
Möge diese Ergänzungsarbeit des Verfassers dieselbe Aufnahme und Ver¬
breitung finden, wie seine „Augenärztliche Therapie“!
Dr. Boepke-Lippspringe.
Tagesnachrichten.
Der Boiohzteg ist am 30. v. M. geschlossen, nachdem er noch in dritter
Lesung das Gesetz betreffend die Phosphorzündwaren und betreffend die
Novelle zum Krankenkassengesetz mit der dazu von der Kommission ge¬
stellten Resolution (s. S. 288) angenommen hat. In seiner Sitzung vom
28. April wurden namentlich von konservativer Seite die Ausfüfarungsbe-
stimmungen zum Fleischscbehaugesetz, insbesondere die PrüfungsbeBtim-
mungen fflr Fleischbeschauer, als zu weitgehend und zu grosse Kosten verur¬
sachend bemängelt, von dem Staatssekretär des Innern Graf Posadowsky
aber die Beschwerden als unbegründet zurflekgewiesen.
Der prouzaiaolie Landtag ist am 1. d. M. geschlossen, ohne dass,
wie voraussusehen war, die Gesetzentwürfe, betreffend die Ausführungsbe¬
stimmungen zum Reichsseuchengesetz und betreffend die Gebühren der
Medizinalbeamten zur Verabschiedung gelangt sind; dieselben sind nicht ein¬
mal über die Kommissionsberatung bin ausgekommen. — In der letzten Sitzung
der Unterrichtskommission wurde eine Petition des Allgemeinen deutschen Ver¬
eins für Schulgesundheitspflege, betreffs Anstellung von Schulärzten in den
Städten und auf dem Lande sowie betreffs Einführung hygienischer Unter-
riehtskurse fflr Lehrer und Schlier, der Regierung als Material überwiesen.
Am 2. d. M. bat das langjährige Vorstandsmitglied des Preussiscben
Medizinalbeamtenvereins, Geb. San.-Rat Dr. Walllchs in Altona, sein 60 jähriges
Doktorjubiläum gefeiert. Dem namentlich nm die Förderung der ärztlichen
404
Tagesnachrichten.
Standesinteressen hochverdienten Kollegen sind in diesem Festtage von allen
Seiten die heraliehsten Glückwünsche entgegengebracht, die sich alle in
dem Wunsche vereinigten, dass es ihm noch recht oft vergönnt sein möge,
den 1. Mai in solch’ körperlicher und geistiger Frische wie an seinem dies¬
jährigen Jubel tage tu erleben 1 Am Abend vor dem Jabeltage fand unter
ausserordentlich zahlreicher Beteiligung der Aerste und Medizinalbeamten von
ganz Schleswig - Holstein ein Festessen im Hötel Kaiserhöf in Altona statt,
an dem auch Vertreter der wissenschaftlichen Deputation, der Universität Kiel,
des GeBchäftBausschusses des Deutschen Aersteverbandes und der städtischen
Behörden sowie als Vertreter des Preussischen Medisinalbeamtenvereins der
Herausgeber dieser Zeitschrift teilnahmen. Der letztere sprach dem Jubilar
bei dieser Gelegenheit den Dank für die grossen Verdienste aus, die er sich
als langjähriges Vorstandsmitglied des Vereins um dessen Bestrebungen er¬
worben hat und die jedenfalls ebenso unvergessen bleiben werden, wie seine
grossen Verdienste um den ärztlichen Stand. Insbesondere habe er es in her¬
vorragender Weise verstanden, die Interessen seiner engeren und weiteren Be-
rufsgenossen zu vereinigen und könne er gerade in dieser Hinsicht für alle Zeiten
als naohahmenswerthes Beispiel gelten.
Möge dem Jubilar noch ein recht langer und ungetrübter Lebensabend
vergönnt sein! _
Der XIV. internationale medizinische Kongress in Madrid (23.
bis 30. April) ist trotz der nicht gerade sehr günstigen Lage des Kongress¬
ortes auch von nicht spanischen Teilnehmern verhältnismässig zahlreich besucht
gewesen. Im ganzen sind fast 7000 Teilnehmer eingezeicbnet, davon etwa die
Hälfte (3900) auswärtige, unter diesen 826 Franzosen, 776 Deutsche, 297 Bussen,
268 Oesterreicher, 238 Engländer, 238 Italiener, 196 Amerikaner u. s. w. Die
Arrangements und die Organisation sollen übrigens viel zu wünschen übrig ge¬
lassen haben. Ueber das wissenschaftliche Ergebnis werden wir demnächst,
soweit es den Rahmen der Zeitschrift betrifft, einen Bericht bringen.
Zum nächsten Kongress ist Lissabon gewählt.
Die XII. Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter -Wohlf&hrts-
einrichtnngen findet am 21. und 22. September in Mannheim statt.
Auf der Tagesordnung steht das Thema: Die Museen als VolkBbildungsstätten.
Der westfälische Provinziallandtag hat in seiner Sitzung am
9. d. Mts. beschlossen, die Staatsregierung zu bitten, dass die Vervollständi¬
gung der Universität Münster durch allmähliche Errichtung einer medi¬
zinischen Fakultät baldigst in die Hand genommen werde, und zunächst
durch Schaffung eines anatomischen und eines physiologischen Instituts die Er¬
teilung des anatomischen und physiologischen Unterrichts ermöglicht werde.
Gleichzeitig erklärte sich der Provinziallandtag bereit, in Gemeinschaft mit
der Stadt Münster sich an den dabei erwachsenden einmaligen Kosten in an¬
gemessener Weise zu beteiligen. _
Auf eine Eingabe der Berliner Drogisten-Innung, in der diese
um Abänderung einzelner Vorschriften des Ministerialerlasses vom 22. Dezember
1902, betr. den Verkehr mit Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken,
gebeten hatte — Stellung strengerer Anforderungen an die im Handverkauf als
Arznei abzugebenden Arzneistoffe, Fortfall der Bestimmung über Beschlagnahme
vorschriftswidrig feilgehaltener Arzneimittel, Zuziehung eines Chemikers oder
Drogisten statt eines Apothekers —, hat der Herr Minister unter dem 1. April
d. J. den Bescheid erteilt, dass er „dem Gesuche zur Zeit keine Folge zu geben
vermag, aber die Anregungen in Erwägung ziehen werde, sobald eine Revision
des Erlasses erforderlich wird."
VorantwortL Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Minden L W.
J. C. 0. Bnaa, Heraoft.BIeb*. a. V. Sch.-L. Hofbacfcdrnckerel ln Minden.
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16. Jahrg.
1606.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zffitralblatt für gerichtliche Medizin and Psychiatric,
für ärztliche Sachferstandigentätigkeit io Unfall- ond InTaUditätssachen, sowie
für Hygiene, olentL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Heraosgegeben
toh
Dp. OTTO RAPMÜND,
Kegleruifs- und Geh. Modirinalrat In Minden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Buchhandlg., E Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer-Buchhändler.
Berlin W. 15, Ltitzowstr. 10.
Inaernle nehmen die Terlngihnndlnng aowle eile Annoncenexpeditionen de« ln*
and Aaelendee entgegen«
Nr. 11.
Erscheint
1. und 15« Jeden Monats
1. Juni.
Ueber Ortsbesichtigungen und deren zweckmässigste Aus¬
führung in mittleren und grösseren Städten. 1 )
Von Kreisarzt Medizin&lrat Dr. Schaefer in Frankfurt a. d. Oder.
Es ist nicht meine Absicht, die vorliegende Frage ganz de¬
tailliert zu erörtern, ich werde sie mehr vom allgemeinen Gesichts¬
punkte ansgehend beleuchten, da ein abschliessendes Urteil,
wenigstens für die preussischen Medizinalbeamten, doch erst in
Jahren möglich sein wird. Bei der grossen Wichtigkeit der Frage,
und da auch anzunehmen war, dass ein Teil der Medizinal¬
beamten bereits wertvolle Erfahrungen gesammelt hatte, habe
ich eine beschränkte Umfrage bei den Kollegen des hiesigen Be-
giernngsbezirkes über ihre Erfahrungen gehalten. Das Ergebnis
dieser Umfrage war allerdings ein überraschendes:
Während die einen die Ortsbesichtigungen als eine der
wertvollsten und voraussichtlich auch erfolgreichsten Erwei¬
terungen der medizinalamtlichen Tätigkeit ansehen, sprechen
ihnen andere in ganz pessimistischer Stimmung allen und jeden
Wert und greifbaren Erfolg ab. Einer der letzteren schreibt
mir, die Besichtigungen seien seiner Meinung nach, wenn sie nicht
mit grossem Takt durchgeführt würden, ganz dazu angetan, das
Institut der Kreisärzte unbeliebt zu machen und za diskreditieren,
im besten Falle brächten sie keinen Nutzen. Die Mehrzahl der
Medizinalbeamten ist jedoch mit mir der Meinung, dass die Ein¬
richtung der Ortsbesichtigungen einen ganz ausserordentlichen
') Nach einem Referat, erstattet in der Medizfaalbeamten-Versammlong
des Regierungsbezirks Frankfurt a. d. Oder am 16. November 1902.
40Ö
t)r. Schäfer.
Fortschritt auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege be¬
deutet, durch deren weitere sachverständige Ausgestaltung der
Kreisarzt einen ganz hervorragenden Einfluss auf die gesundheit¬
lichen Verhältnisse seines Bezirkes gewinnen kann und zweifellos
auch Erspriessliches wird leisten können. Man darf nicht ver¬
gessen, dass gerade auch die Einrichtung der Ortsbesichtigungen,
welche den Medizinalbeamten in den Stand setzen, sich aus eigener
Anschauung über die gesundheitlichen Verhältnisse seines Kreises
auf das Genaueste zu unterrichten, sowie diejenigen Massnahmen
anzuregen, die ihm zur Verbesserung dieser Verhältnisse not¬
wendig und geeignet erscheinen, nunmehr in Preussen weit besser
geregelt ist, als in den übrigen deutschen Bundesstaaten, besser
auch als in dem Land, das bisher als das auf dem Gebiet der
öffentlichen Gesundheitspflege am weitesten vorgeschrittene ge¬
golten hat, als in England; denn selbst die neuesten Bestimmungen
für die dortigen beamteten Aerzte vom Oktober 1901 kennen nur
systematische, sog. Haus bei Hausbesichtigungen in den hygienisch
ungünstigsten Teilen der Städte und ländlichen Distrikte, während
sich in Preussen die Besichtigungen gleichmässig auf alle Teile
des Bezirks zu erstrecken haben. Auch in den übrigen deutschen
Bundesstaaten sind die Ortsbesichtigungen nicht in dem umfassenden,
erschöpfenden Sinne wie in Preussen vorgeschrieben, am längsten
bestehen sie hier in Württemberg; in Hessen sollen sie in
ähnlicher Weise, wie in Preussen, durchgeführt werden.
Es wird den Ortsbesichtigungen der Vorwurf gemacht, dass
sie dem Medizinalbeamten zu wenig Initiative gestatten, und dass
daher das Ergebnis nicht dem Opfer an Zeit und Arbeit entspräche,
das bei ihnen tatsächlich aufgewendet werden muss. Ich kann
beides nicht zugeben.
Der §. 69 der Dienstanweisung für die Kreisärzte schreibt
vor, dass zu den Besichtigungen die Ortspolizeibehörde, der Ge¬
meindevorsteher und die Gesundheits-Kommissionen zuzuziehen
sind. Diese Bestimmung ist wohl erwogen und findet ihre Er¬
klärung in der Begründung zum Gesetz betr. die Dienststellung
des Kreisarztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen.
Es heisst dort:
„Sollen die Bemühungen der staatlichen Mediiinalorgane nm Besserung
der gesundheitlichen Verhältnisse von Erfolg begleitet sein, so ist dies zum
grosseren Teil davon abhängig, dass die Organe der Selbstverwaltung diesen
Bestrebungen Interesse entgegenbringen und selbst zu einer intensiven Mit¬
wirkung auf dem Gebiete des staatlichen Gesundheitswesens herangesogen
werden. Es ist klar, dass eine solche Annäherung zwischen den staatlichen
Organen und den Selbstverwaltungskörpern gerade in der Lokalinstans von
besonderem Wert ist, wo die Bedürfnisse der öffentlichen Gesundheitspflege am
unmittelbarsten und lebhaftesten hervortreten und die Anforderungen des wirt¬
schaftlichen Lebens eine besondere Berücksichtigung verlangen. — Neben den
beamteten Aerzten, welchen in erster Linie die Vertretung der medizinisch-
technischen Seite obliegt, ist die Beratung durch die orts- und sachkundigen
Behörden und Mitglieder der Gesundheits-Kommissionen insofern von hoher
Bedeutung, als hierdurch nicht nur eine erschöpfende und korrekte Feststellung
der tatsächlichen Unterlagen bei den abzustellenden Missständen bewirkt, son¬
dern auch zugleich die Aussicht für die Geneigtheit der Selbstverwaltungs¬
körper, die zur Einführung sanitärer Verbesserungen nun einmal auch not¬
wendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, in wirksamer Weise gesteigert wird,*
Üeber Ortsbesichtigongen and deren zweckmäßigste Ausführung n. s. w. 407
Die hier ausgesprochenen Grundsätze gelten anch für die
Ausführung der Ortsbesichtigungen, sie bezwecken eine immer
grössere Heranziehung der Organe der Selbstverwaltung, eine
Beteiligung der Laien an den Geschäften und Aufgaben des
öffentlichen Gesundheitswesens, wodurch nicht nur ihr Interesse
für hygienische Fragen geweckt, sondern auch eine nicht zu unter¬
schätzende Rückwirkung auf die ganze Bevölkerung erzielt wird.
Indem der Medizinalbeamte erziehend und belehrend auf diese
einwirkt, setzt er sie gleichzeitig in stand, nunmehr ihrerseits
auf ihre Mitbürger in dem gewünschten Sinne aufklärend und an¬
regend einzuwirken und zwar voraussichtlich in weit höherem
Masse, als die beamteten Aerzte dies selbst vermögen, denen
seitens der Bevölkerung ja leider immer noch vielfach Misstrauen
entgegengebracht wird.
Der Wert der Belehrung, der Demonstration in bezug auf
die Durchführung sanitärer Massnahmen wird m. E. immer noch
viel zu sehr unterschätzt. Je mehr die Lehren der Hygiene und
die Ergebnisse der hygienischen Forschungen in die breiten Be¬
völkerungsschichten Eingang finden und Gemeingut aller werden,
desto mehr werden von der Bevölkerung auch die Forderungen
der öffentlichen Gesundheitspflege als berechtigt anerkannt werden
und desto grössere Geneigtheit wird vorhanden sein, die not¬
wendigen Opfer zu bringen.
Dass seitens der Bevölkerung der Frage der öffentlichen
Gesundheitspflege schon jetzt ungleich mehr Interesse und Ver¬
ständnis entgegengebracht wird, namentlich seit den Fortschritten
auf dem Gebiet der sozialen Gesetzgebung, unterliegt gar keinem
Zweifel. Die Ortsbesichtigungen stellen nun eine Art Demon¬
strationskursus in der öffentlichen Gesundheitspflege dar, der m. E.
gerade deshalb besonders instruktiv und nutzbringend ist, weil er
seine Stoffe unmittelbar aus der Praxis schöpft und sich bei ihm
nicht nur die Behörden, sondern zum Teil wenigstens auch die
Steuerzahler selbst durch eigene Inaugenscheinnahme von den
Missständen in ihrer nächsten Umgebung, von den Folgen der¬
selben, sowie von den notwendigen Massnahmen zur Abhülfe über¬
zeugen können. Die Ortsbesichtigungen sollen eben vor allem
auch dazu dienen, durch lebendige Demonstration und persönlichen
Meinungsaustausch das Verständnis für die gewöhnlichsten Lehren
der Hygiene, das Gefühl für Reinlichkeit, Luft und Licht auch
in den Schichten der Bevölkerung zu wecken und zu heben, die
sonst nicht gerade viel von der Gesundheitspflege zu hören pflegen;
sie sollen demgemäss den Boden vorbereiten, auf dem sich all¬
mählich, vielleicht erst nach Generationen, bessere Verhältnisse
entwickeln können. Eine derartige erzieherisch-hygienische Be¬
einflussung möglichst vieler der in Betracht kommenden Kreise
halte ich aber für eine der erfolgversprechendsten und wichtigsten
Aufgaben des beamteten Arztes. Die Ortsbesichtigungen geben
ihm häufig genug die erwünschte Gelegenheit, Ursache und
Wirkung von Missständen mit den Beteiligten direkt zu studieren
und auf diese Weise auch die Kreise der Bevölkerung, welche
408
t)r. Sch&fer.
immer noch glauben, dass der grösste Teil hygienischer Anord¬
nungen theoretischen Erwägungen entspringe, eben durch die
Praxis zu widerlegen.
Eine zahlreiche Teilnahme der Behörden und verständiger
angesehener Bürger an den Ortsbesichtigungen halte ich im Gegen¬
satz zu einer ganzen Reihe von Kollegen für durchaus erwünscht,
da jene alsdann] einigermassen die Gesundheits- Kommissionen
auf dem platten Lande ersetzen, wo diese vielfach noch fehlen
und nach den im Kreisarztgesetz gegebenen Bestimmungen gesetzlich
auch nicht gerade leicht einzurichten bezw. durchzusetzen sind.
Ich möchte die Unterstützung einflussreicher ortsangesessener
Personen aber auch noch aus einem anderen Grunde nicht entbehren:
Sie sind vermöge ihrer langjährigen und genauen Vertrautheit
mit den örtlichen Verhältnissen in den Stand gesetzt, sich häufig
weit schneller und eingehender Kenntnis von gesundheitlichen
Missständen zu verschaffen, als die zuständigen Polizei- und Ge¬
sundheitsbeamten, ganz abgesehen davon, dass es für diese unter
Umständen auch von grossem Werte sein kann, wenn sie bei
der nicht immer angenehmen Aufgabe von verständigen und an¬
gesehenen Bürgern begleitet werden. Die Besichtigungen er¬
ledigen sich dadurch zweifellos wesentlich glatter und werden von
den beteiligten Hausbesitzern, Familien u. s. w. vor allem auch
viel weniger belästigend empfunden. In zutreffender Weise sagt
Z-. B. Rapmund: „Je mehr der Gesundheitsbeamte den Körper¬
schaften der Selbstverwaltung, den Mitgliedern der Gesundheits-
Kommissionen näher tritt, je mehr er dadurch Land und Leute
kennen lernt, je mehr er mitten im praktischen Leben der öffent¬
lichen Gesundheitspflege steht, desto grösser wird sein Einfluss
auf das öffentliche Gesundheitswesen und desto erspriesslicher wird
auch seine Tätigkeit.“ Fasst man das Wesen der Ortsbesich¬
tigungen so auf und führt sie in diesem Sinne aus, so kann auch
der Erfolg nicht fehlen; desgleichen verlohnt sich dann auch das
Opfer an Zeit und Mühe. Eine sofortige radikale Reformation
darf man freilich auf dem Gebiete des öffentlichen Gesundheits¬
wesens, welches wie kein zweites so einschneidend in das Leben
des Einzelnen, wie der Familie und der Staaten eingreift, nicht
verlangen.
Wenn ich nun auf die Ausführung der Ortsbesichtigungen
selbst eingehe, so bemerke ich, dass ich hierbei hauptsächlich die¬
jenigen in den mittleren und grösseren Städten im Auge habe;
denn die kleineren Städte bieten wohl nur ausnahmsweise einmal
einen wesentlichen Unterschied gegenüber den Verhältnissen auf
dem platten Lande, da sie fast durchweg offene ackerbautreibende
Ortschaften darstellen. In diesen Städten liegt die Trennung der
Schulbesichtigungen von der Ortsbesichtigung in der Natur der
Sache und bedarf m. E. keiner näheren Begründung. Es ergiebt
sich aber weiterhin von vornherein die Unmöglichkeit, die Orts¬
besichtigungen hier im Rahmen des vorgeschriebenen Formulars VII
vorzunehmen. Dies mag auch der Grund gewesen sein, warum
in den grösseren Städten bisher kaum Ortsbesichtigungen im Sinne
Ueber Ortabesiehtigangen and deren nweckmftasigete Aoafflbrang a. s. w. 409
des §. 69 der Dienstanweisung ausgeführt worden sind. Ein
Kollege, der es in einer mittelgrossen Stadt genau nach Vorschrift
versuchte, nachdem er selbst vorher schon 5 Wochen lang durch«
schmttlich 2 Stunden täglich besichtigt hatte, begann die Orts¬
besichtigung mit einer Kommission von 14 Mitgliedern, deren Zahl
sich allmählich auf 3 verringerte. Ein anderer Kollege aus einer
Grossstadt schreibt mir, bei ihm werde tagtäglich der „Ort“ be¬
sichtigt, weitere Besichtigungen nehme er nicht vor. Auch in
Berlin und den grösseren Vororten haben Ortsbesichtigungen bis¬
her anscheinend überhaupt nicht stattgefunden. Andere Kollegen
haben sich in der Weise zu helfen gesucht, dass sie ihre Stadt
nach Polizei- oder Armenbezirken eingeteilt haben, um hiernach
die Besichtigungen vorzunehmen. Ich habe dies in einer Stadt
meines Bezirks auch versucht, halte es aber nicht für eine zweck¬
mässige Art und Weise der Besichtigung für die in Betracht
kommenden Städte, denn es geht dabei die Uebersichtlichkeit ver¬
loren. Ist es mir doch ebenfalls begegnet, dass die mich be¬
gleitenden Herren, als ich nach 5 ständiger anstrengender gemein¬
schaftlicher Arbeit eine Pause eintreten lassen wollte, mir er¬
klärten, sie wünschten nun für diesmal die Besichtigung zu
schliessen. Ich glaubte ihren Wünschen auch Rechnung tragen
zu sollen, denn die Einrichtung ist noch zu neu. Die Herren haben
teilweise noch nicht so recht das Gefühl der Zusammengehörigkeit
mit den Medizinalbeamten, besitzen auch zum Teil noch nicht das
richtige Pflichtgefühl und müssen auch hierzu erst allmählich er¬
zogen werden. Manche betrachteten die Besichtigungen noch als
eine unnütze Belästigung, während anderwärts wiederum alle
Herren der Elinrichtung grosses Interesse entgegenbrachten und
sich mit regem Eifer beteiligten.
Dass wir mit der Unterlassung der Ortsbesichtigungen erst
recht nicht weiter kommen und dass dies auch den bestehenden
Vorschriften direkt entgegen ist, bedarf keiner weiteren Er¬
örterung. Ich meine vielmehr, dass es höheren Orts gar nicht
beabsichtigt ist, die Ortsbesichtigungen in den mittleren und
grösseren Städten streng an das Schema des Formulars VII zu
binden, welches doch nur, wenn ich es recht verstehe, einen Weg¬
weiser und den Rahmen für che Besichtigungen und Unter¬
suchungen abgeben soll. Das Formular enthält eine Uebersicht
aller der Punkte, die hierbei berücksichtigt werden sollen; es gilt
in gleicher Weise für das platte Land wie für die Städte. Werfen
wir aber einen Blick in dasselbe, so wird jeder zugeben müssen,
dass das Material, auf das die Medizinalbeamten bei der Orts¬
besichtigung Augenmerk zu richten haben: die allgemeinen Ge¬
sundheitsverhältnisse, die ev. Verbreitung ansteckender Krank¬
heiten, die zur Verhütung des Entstehens und der Verbreitung*
derselben notwendigen Massnahmen, die Ueberwachung der Pro¬
stitution, menschliche Wohnstätten, Massenwohnungen, Schlaf- und
Kostgängerwesen, Asyle, die Beseitigung der Abfallstoffe auf den
einzelnen Grundstücken wie in der ganzen Stadt, Strassenreinigung^
Müllbeseitigung, Wasserversorgung, Beschaffenheit der öffentlicher
410
Dr. Soh&fer.
Wasserläufe, Verkehr mit Nahrungs- und Genussmitteln, gewerb¬
liche Anlagen, soweit sie die öffentliche Gesundheit oder die be¬
schäftigten Arbeiter zu schädigen geeignet sind, oder durch ihre
festen oder flüssigen Abgänge die Verunreinigung der öffentlichen
Wasserläufe und des Untergrundes befürchten lassen, Schulen,
Gefängnisse, Kranken- und Armenfürsorge, Krankenhäuser, die
öffentlichen und privaten Badeanstalten, Haltekinder- und Be¬
gräbniswesen, ein so überreiches ist, dass es in mittleren und
grösseren Städten allerdings zu einer Zersplitterung der Arbeits¬
kraft führen muss, wenn man alle diese Punkte berücksichtigen
wollte. Desgleichen dürfte nicht nur die Gefahr der Oberfläch¬
lichkeit zu befürchten sein, sondern wir werden auch auf diesem
Wege nur allzu leicht dazu gedrängt, viel zu viel mit einem Mal
in Angriff zu nehmen und alles mit einem Mal reformieren zu
wollen. Nichts ist aber gerade auf dem Gebiet des öffentlichen
Gesundheitswesens verkehrter, denn wir müssen vor allem stets
mit der finanziellen Leistungsfähigkeit der Städte rechnen. Jedes
Projekt, das in Angriff genommen werden soll, kostet Geld und
immer wieder Geld, das die Stadt oder die sonstigen Betroffenen
schliesslich doch erst aufzubringen haben.
Nirgends gilt der Grundsatz: „Non multa, sed multum“, mehr
als in der öffentlichen Gesundheitspflege. Deswegen glaube ich,
wird man sich höheren Orts auch gewiss damit einverstanden er¬
klären, wenn sich die Kreisärzte bei den Ortsbesichtigungen in
den mittleren und grösseren Städten nach den örtlichen Verhält¬
nissen richten und zuerst das Gebiet herausgreifen, auf dem nach
ihrer Erfahrung die grössten und schlimmsten Missstände vor¬
liegen. Die Abstellung dieser Missstände muss dann allerdings
konsequent und zielbewusst angestrebt werden, wobei der §. 35
des Reichgesetzes, betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank¬
heiten vom 30. Juni 1900, eine ungemein wichtige Handhabe gibt.
Hier in Frankfurt haben wir z. B. mit der Wasserversorgung
begonnen und 1895 öffentliche und private Brunnen örtlich unter¬
sucht. Im laufenden Jahre kamen dann die Wohnungsbesichti-
gungen an die Reihe. Ein weiterer wunder Punkt in den hy¬
gienischen Verhältnissen Frankfurts ist der Nahrungsmittelverkehr
sowie die Beseitigung der Abwässer und Abfallstoffe, für die eine
Kanalisation geplant ist. Es lässt sich somit sehr wohl ein Plan
in Anlehnung an den §. 69 der Dienstanweisung bezw. an das For¬
mular VII auch für die mittleren und grösseren Städte ausarbeiten.
Derselbe würde für die einzelnen Städte je nach der Dringlichkeit
des Gebietes ganz verschieden ausfallen. Derartige systematische
Besichtigungen aber, wie sie durch die Dienstanweisung unge¬
ordnet worden, sind m. E. überall vorzunehmen, mag die Stadt
nun Berlin, Rixdorf oder Finsterwalde heissen. Aehnliche Be¬
sichtigungen werden, wie schon erwähnt, beispielsweise auch von
den beamteten Aerzten einer so grossen Stadt wie London aus¬
geführt. Auf hygienische Details aus dem umfangreichen Gebiet
der Ortsbesichtigungen in den Städten will ich nicht eingehen,
sondern möchte zum Schluss nur noch ein paar Worte über die
Ueber Ortsbesichtigangen and deren iweckmSesigste Ausführung n. 8. w. 411
Vorbereitung und Ausfahrung der Schul- und Ortsbesichtigungen
im allgemeinen hinzufttgen; denn es bewährt sich auch bei den
Ortsbesichtigungen die alte Regel: Je besser vorbereitet, desto
prompter funktioniert der ganze Apparat. Die Einladungen lasse
ich den beteiligten Behörden und Gesundheitskommissionen mög¬
lichst frühzeitig zugehen, lade auch aus dem oben ausgeführten
Grunde möglichst viele Behörden ein und spreche stets den Wunsch
aus, dass ein höherer bautechnischer Sachverständiger an den Be¬
sichtigungen teilnehmen möchte, schon mit Rücksicht auf die
Auslegung der Bestimmungen der Baupolizei-Verordnung und etwa
zur Besprechung gelangende technische Fragen. Ebenso beab¬
sichtige ich, mich mit dem Gewerbeinspektor und dem Kreisthier¬
arzt meines Kreises in Verbindung zu setzen, um mir ihre Mit¬
wirkung zu sichern, wenn ich Besichtigungen vornehme, die diese
Behörden interessieren. Ich möchte hierbei nicht unerwähnt lassen,
dass wir in unserm Regierungbezirk bereits nach dieser Richtung
hin spezielle Vorschriften erhalten haben und z. B. angewiesen
sind, gewerbliche Anlagen mit dem Gewerbeinspektor, Molkereien
und Schlachthäuser mit dem Kreistierarzt zu besichtigen. Ich glaube,
dass gerade dieses Zusammenarbeiten, der persönliche Meinungsaus¬
tausch erspriessliche Folgen haben wird. Wie wichtig ist z. B.
für den Gesundheitsbeamten nicht nur die Beseitigung der gewerb¬
lichen Abwässer, die Prüfung des Einflusses der gewerblichen
Anlagen auf ihre Umgebung, sondern auch, den Betrieb, die Ar¬
beitsräume, die Arbeitsbedingungen in Fabriken, Werkstätten und
mehr noch in den oft so traurigen Stätten der Hausindustrie
sowie die Arbeiter und Arbeiterinnen selbst kennen zu lernen.
Welch grosse Bedeutung diese Besichtigungen auch im Hinblick
auf den Kampf gegen unsere verbreitetste Volkskrankheit, die
Tuberkulose, gewinnen, brauche ich gewiss nicht hervorzuheben.
Ein Zusammenwirken der verschiedenen, hierbei in Betracht kom¬
menden Faktoren ist unbedingt notwendig.
Bei den Einladungen zu den Besichtigungen bediene ich
mich Postkarten, die ich mir von der Firma Diekmann in
Altenkirchen habe drucken lassen. Den Einladungen lege ich bei
der Besichtigung kleiner Städte und Ortschaften stets das For¬
mular bei, damit die beteiligten Behörden sich schon vorher
informieren können. Die Formulare des oben genannten Verlags
erwiesen sich mir recht brauchbar, da sie mehr Raum für das
Protokoll bieten, als diejenigen der übrigen Verleger, welche ich
bisher kennen gelernt habe. Namentlich das Schulbesichtigungs¬
formular für grössere Städte ist sehr zweckmässig und übersicht¬
lich eingerichtet, obwohl ich für die Beurteilung der Schulbänke
die nach diesem Formular aufzunehmenden Masse nicht für aus¬
reichend erachte. Zu Beginn der Besichtigung nehme ich in
kleinen Städten, wie in den Ortschaften eine kurze Besprechung
an der Hand des Formulars vor. In mittleren und grösseren
Städten tritt an deren Stelle eine gedrängte Schilderung der
Momente, auf die es z. B. bei der Schul- oder Wohnungsbesich-
tigung, der Besichtigung von Wasserleitungen, Wasserentnahme-
412
Dr. Moers.
stellen n. s. w. ankommt. Die Ausarbeitung des Protokolls mit
den nothwendigen Anträgen an den Landrat oder die Polizei¬
verwaltung erfolgt zweckmässig zu Hanse, schon mit Rücksicht
auf die Zeit der übrigen an der Besichtigung Beteiligten, wie
auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der etwa anzustellenden
physikalisch-chemischen und bakteriologischen Untersuchungen.
Mit Umsicht und Takt lässt sich durch die Ortsbesichtigungen
Vieles und Gutes erreichen. Freilich stellen sich nach dieser
Richtung recht hohe Anforderungen an den beamteten Arzt, nicht
minder an dessen hygienisches Wissen und Rönnen, sowie na¬
mentlich an seine praktische Befähigung auf dem weiten Gebiete
der öffentlichen Gesundheitspflege. Wird er diesen Anforderungen
jedoch gerecht, so wird er auch bei den Ortsbesichtigungen die
Vertrauensstellung, welche ihm in Preussen durch das Kreisarzt¬
gesetz und die neue Dienstanweisung eingeräumt ist, mit bestem
Erfolg ausfüllen im Dienste der Volksgesundheit, zum Wohle des
Staates.
Drei Fälle von Vergiftung mit Knollenblätterschwamm
(Amanita phalloides). 1 )
Von Kreisarzt Dr. Moers, Geh. Medizinalrat in Mülheim a. Rh.
Die häufigsten Pilzvergiftungen kommen durch Verwechslung
des Knollenblätterschwammes mit dem Champignon zu stände;
obwohl die Unterscheidungsmerkmale so in die Augen fallend sind,
dass man Verwechslungen für unmöglich halten sollte. In den
Fällen, die hier besprochen werden sollen, handelte es sich nicht
um eine Verwechslung, sondern um gänzliche Unkenntnis der
Pilze. Die Frauen hatten gehört, dass die Pilze essbar seien und
ein gutes Gericht abgäben; sie hatten daraufhin im Walde mög¬
lichst kräftige und schöne Pilze gesammelt. Trotz (1er Warnung
von seiten des Vaters resp. Schwiegervaters der Frauen, dass
man die Pilze nicht essen könne, waren sie zubereitet und ge¬
meinsam verzehrt worden.
Die beiden Ehefrauen Czw. und PI. hatten am 5. August
gemeinschaftlich Pilze gesammelt, die Pilze zu Hause geputzt,
d. h. die Stiele beschnitten, die Lamellen entfernt und die
Haut der Hüte abgezogen. Die Pilze waren nun zurückgestellt
und am 6. August mit Pfeffer, Salz, Zwiebeln und Kartoffeln
zusammen gebraten und gemeinschaftlich zum Mittagessen
verzehrt und zwar von der Familie J. Czw., Mann, Frau
und 3 Kinder, der Familie C. PL, Mann, Frau und 1 Kind und
dem alten PI. mit seiner Frau und erwachsenen Tochter, im ganzen
von 11 Personen. In der folgenden Nacht vom 6. zum 7. August
stellten sich die ersten Vergiftungserscheinungen ein, Leib¬
schmerzen, denen sich bald Durchfälle und Erbrechen anschlossen.
Dabei trat grosse Ermattung und Kraftlosigkeit ein. Am Nach-
*) Teils nach einem Vortrag auf der Medizinalbeamten - Versammlung
in Cöln am 11. Dezember 1902, teils nach dem am 15. November 1902 er¬
statteten Obdnktionsberioht.
Drei Pille von Vergiftung mit Knollenblätterschwamm. 418
mittag des 8. August, 5 1 /* Uhr, starb die Marie Magd. Czw., 4 1 /,
Jahre alt; am 9. August, vorm. 8 Uhr, die Hedwig Czw., ß*/ 4 Jahre
alt, und endlich am 10. August, vorm. 6*/> Uhr, der Joseph Czw.,
3 Jahre alt. Ein Arzt wurde am 9. August zugezogen. Der alte
PI. hat nur Leibschmerzen gehabt. Die Genesung ist ziemlich
langsam von statten gegangen, da die Muskelschwäche eine ausser¬
ordentlich grosse war. Mit Ausnahme der alten Frau PI. waren
nach 8 Tagen die Beteiligten genesen. Die alte Frau hat noch
mehrere Wochen nötig gehabt, ehe sie sich erholt hatte.
Als ich am 10. August den Fall dienstlich untersuchte,
konnte ich nur erfahren, dass alle sich an Pilzen vergiftet hätten.
Ich liess mir deshalb die Stelle angeben, wo die Frauen gesam¬
melt hatten und sammelte mir daselbst alle möglichst dort wach¬
senden Pilze, legte sie den beiden Frauen Czw. und PI. jeder
allein vor und beide bezeichneten die nämlichen Exemplare als
diejenigen, die sie zubereitet batten. Es waren junge Exemplare
von Amanita phalloides. Auch der alte PL, der die von den
Frauen gesammelten Pilze als giftig bezeichnet hatte, erkannte
Amanita phalloides als die genossenen an.
Die Obduktionen der 8 Kinder ergaben im wesentlichen
folgendes:
I. Maria Magdalena Czw. 4 1 /*. Obduktion am 11. Angast,
72 8tanden post mortem:
2. Kein Leichengerach. Keine Spar von Leichenstarre.
3. Hautfarbe blassgrau-rötlieh.
7. Papillen mittelweit.
13. An der kleinen Kurvatur des Magens sahireiche hellrötliche Spren-
kelangen, teils aas injisierten Gefässen, teils aas EkchymoBen bestehend.
16. Binde der Nieren graagelblich, trübe, fettig. Im Nierenbecken Ek-
chymosen.
19. Gekrösdrüsen geschwollen, derb, bis bohnengross.
20. Die Leber misst 18 : 13:7cm; sie ist fast hellgelb, glatt and prall.
Zahlreiche Ekchymosen in der Kapsel. Auf dem Durchschnitt gleichmässig
hellgelb, trüb, deutlich fettig, sehr wenig blutreich. Ueberall im Gewebe
sahireiche Blataustretangen.
22. Sowohl die Peyer’sehen, wie die solitären Drüsen stark hervor-
tretend, an ersteren die Gefässe stark gefüllt.
23. Dickdarmdrüsen stark vortretend.
24. Die grossen Gefässe enthalten wenig dankles, Kirschsaft ähnliches Blut.
25. In der Pleurahöhle wenig rötlich seröse Flüssigkeit.
26. Ebenso im Hersbeatel.
29. Die Langen braunrot, knisternd, stark lufthaltig. Das Blut ist
grösstenteils geronnen, rot, schwärzlich.
84. In den Gefässen an der Hirnbasis halbgeronnenes Blut. In der weissen
Substanz zahlreiche Blutpnnkte.
II. HedwigCzw. Obduktion am 12. August, 48 Stunden post mortem:
2. Hautfarbe blassgrau, mit einem Stich ins gelbliche.
8. Leichenstarre fällt gänzlich.
4. Verwesungsgeruch nicht bemerkbar.
5. Erweiterte Pupillen.
15. Die Schleimhaut des Magens zeigt die arteriellen Blutgefässe bis in
die feinsten Verzweigungen gefüllt.
17. 18. Nieren stark blutreich, Pyramiden etwas getrübt.
20. Im rechten Eierstock eine stark erbsengrosse, durch frisch ausgetretenes
Blut erfüllte Höhlung.
22. Die Leber misst 18:15:6*/» cm; sie ist derb, glatt. In der Kapsel
414
Dr. Moers.
zahlreiche steckn&delknopf- bis hirsekorngrosse Ekchymosen, die bis ins Leber«
gewebe hioeinragen. In der Pfort&dergegend 4 grössere Extravasate, 1 cm
gross, 8 cm tief. Das Gewebe ist grangeib, trocken, sehr blutarm, deutlich
fettig. Auch im Gewebe zahlreiche Blntanstretungen.
38. In der Bauchspeicheldrüse zahlreiche, hirsekorngrosse Blntanstretungen.
24. Die Gekrösdrüsen bohnengross, derb.
26. Die Peyer*sehen and solitSren Drüsen stark vortretend. Im
unteren Ende des Ilenm eine Blntaustretung 4 cm lang, 2 cm breit.
29. Anf dem Hersbentel eine kirschkerngrosse Blntaustretung. Auf dem
Herzen 20 stecknadelknopfgrosBe Extravasate.
80. In der Lunge an der Basis 8 stark linsengrosse Blntanstretungen.
86. In der Externa der Aorta descendens eine 4 cm lange, 1 cm breite,
8 mm hohe Blntaustretung.
40. HirngefXsse strotzend mit dunkelkirsehrotem, halbgeronnenem Blute
gefüllt
41. Adergeflechte strotzend gefüllt Die weisse Substanz von zahlreichen
Blutpunkten durchsetzt.
III. Joseph C z w. Obduktion am 11. August, 30 Stunden post mortem.
2. Kein Leichengeruch. Keine Spur von Leichenstarre.
4. Papillen mittelweit.
11. Im Magen 80 cbom dunkelrothen, schleimigen Blutes.
14. In der Nierenkapsel ca. 20 bis hirsekorngrosse Blntanstretungen; die
Rinde trübe, deutlich fettig.
20. Gekrösdrüsen bohnengross, fest.
21. Die Leber misst 17:11: B*/» cm, sie ist fest, prall. Die Kapsel rötlich«
gelb, in ihr zahlreiche Blntanstretungen. Das Gewebe auf dem Durchschnitt
hellgelb, fettig, trübe.
22. Jejunum in den oberen */, mit dunkelrotem, schleimigem Blut gefüllt.
Die Peyer’schen und Einzeldrüsen stark vorstehend. Nirgendwo im Darme
Geschwürsbildung oder Verletzung.
28. Gekrösdrüsen deutlich hervortretend.
27. Auf dem Herzbeutel 6 hirsekorngrosse Blutaustretnngen. Das Herz
enthllt je 1 ccm dunkelkirsohroten geronnenen Blutes.
28. Die grossen Gefftsse blutleer. In der Externa der Aorta zahlreiche
bis bohnengrosse dunkle Blutaustretnngen.
83. Die Gef&sse der Hirnhaut enthalten nur Spuren dunklen dicklichen
Blutes. Auf der Schnittfl&ehe der Hirnsubstanz nur sehr wenig Blutpunkte.
84. In den grossen Blutleitern sehr wenig dunkelkirsohrothes Blut.
Das vorläufige Gutachten lautete bei Joseph Czw.:
Der Tod ist eingetreten infolge von Verblutung in den Magen
und Dannkanal.
Im übrigen wurde mit Rücksicht darauf, dass es den Obdu«
zenten bekannt war, dass die ganze Familie nach dem Genüsse
von Pilzen erkrankt war und alle drei Leichen genau dieselben
Erscheinungen boten, das Gutachten dahin abgegeben, dass mit
der grössten Wahrscheinlichkeit die drei Kinder an den Folgen
einer Pilzvergiftung gestorben seien, dass die Obduzenten aber
mit ihrem definitiven Gutachten zurückhalten müssten, bis ihnen
die Krankengeschichten und das Resultat der anzustellenden
chemischen Untersuchung der Leichenteile bekannt geworden sei.
Am 9. Oktober ging das Gutachten über die chemische
Analyse ein. Darnach war Phosphor in den Leichenteilen nicht
gefunden, ebensowenig phosphorige Säure, Cyanverbindungen,
unorganische metallische Gifte. Kupfer, Wismuth, Quecksilber,
Zink und Arsenik waren nicht nachzuweisen gewesen. Die
Untersuchung auf Alkaloide, namentlich von Opium, Nux vomica
und Conium, hatte gleichfalls einen negativen Erfolg. Es ist dann
Drei Fälle von Vergiftung mit EnoilenblätterBohwamm.
416
noch versucht, das Muskarin, das giftige Alkaloid des Fliegen¬
pilzes (Amanita muscarins) nachzuweisen, ebenfalls resultatlos.
Zum Schlüsse bemerkt der Chemiker: „es folgt daraus nicht,
dass kein Pilzgift überhaupt vorhanden gewesen, sondern es
ist nur erwiesen worden, dass ein Pilzgift, welches sich chemisch
so verhält wie Fliegenpilzgift, in den Leichenteilen nicht an¬
wesend gewesen ist“.
Nach dem Resultate der Beobachtungen an den Lebenden
und der Leichenbefunde konnte jedoch als Ursache des Todes
mit Sicherheit eine Vergiftung mit Pilzen und zwar speziell mit dem
Knollenblätterschwamm (Amanita phalloides) angenommen werden.
Während der Leichenbefund bei allen drei Kindern wegen
der gelben Fettleber, der Blutveränderungen und der Ekchymosen
auf eine Phosphorvergiftung hinweisen könnte, hat die chemische
Analyse in den Leichenteilen weder Phosphor noch auch dessen
Oxydationsprodukt, phosphorige Säure, nachgewiesen. Wenn nun
auch eine fettige Entartung der Leber als Krankheitsprodukt bei
Kindern vorkommt, so wäre es doch im höchsten Grade auffallend,
diese seltene Erkrankung bei den sonst gesunden drei Ge¬
schwistern in einer akuten Form zu finden, jedenfalls müsste dann
eine gemeinschaftliche Ursache dieser Krankheit vorliegen. Eine
solche ist aber nicht vorhanden, da weder Tuberkulose, noch
Skrophulose, noch auch Caries bei einem der Kinder festgestellt
und eine Vergiftung mit Phosphor ausgeschlossen ist.
Für die Vergiftung mit Arsenik oder ein metallisches Gift
bieten Krankheitsverlauf, Leichenbefund und chemische Unter¬
suchung keine Anhaltspunkte. Ebenso verhält es sich mit den
Vergiftungen mit Alkaloiden, namentlich von Nux vomica, Opium,
Belladonna, Conium u. s. w. Die Krankengeschichte weist kein Symp¬
tom dafür auf, ebenso wenig der anatomische und chemische Befund.
Es bleibt somit nur noch als ein gemeinschaftlicher Grund
für sämtliche Erkrankungen resp. Todesfälle, die Pilzvergiftung.
Von Pilzen kann die Vergiftung mit Fliegenpilz (Amanita mus-
carius) ausgeschlossen werden, da Muskarin nicht in den Leichen¬
teilen nachgewiesen ist, und auch der Krankheitsverlauf wie die
Leichenerscheinungen nicht für die Aufnahme von Fliegenpilz
sprechen.
Der ganze Erkrankungsvorgang in den 8 Familien Czw. und
PI. lässt sich ungezwungenl erklären, ja mehr wie dies, lässt
sich als ein exquisites Beispiel einer Vergiftung mit dem Knollen¬
blätterschwamm (Amanita phalloides, s. Agaricus phalloides,
s. A. bulbosus) ansehen. Der Knollenblätterschwamm ist für
den Kundigen eine leicht zu erkennende Pilzart, kann aber von
Unkundigen, wenn auch nicht leicht, mit dem Champignon
(Agaricus campestris, pratensis, arvensis und silvaticus), nament¬
lich in den Jugendzuständen, verwechselt werden. Nun haben die
beiden, Frau Czw. und PI., überhaupt keine Kenntnisse von Pilzen
gehabt, sondern nur Pilze gesammelt, weil sie erfahren hatten,
dass man solche essen könne. Der alte PI. hat die Pilze als
giftige erkannt und vor dem Genüsse gewarnt, aber trotz
416 Dr. Mörs: Drei Pille von Vergiftung mit Kaollenblittersehwamm.
alledem mitgegessen and, wenn anch nur leichte, Vergiftungs¬
erscheinungen davon getragen. Dass es sich nm Knollenblätter¬
schwamm gehandelt hat, ist dadurch bewiesen, dass beide Frauen
getrennt von einander aus einer Menge von verschiedenartigen
Pilzen die jungen Knollenblätterschwämme als diejenigen be¬
zeichnet haben, die sie gesammelt, zubereitet und genossen hätten.
Der Verlauf der Krankheitsgeschichte gibt auch der Annahme
recht, dass dieser Pilz der genossene gewesen ist.
Nach Schauenstein (Maschka’s Handbuch der gericht¬
lichen Medizin; Tübingen 1882, Bd. n, S. 722 ff.) treten die ersten
Vergiftungserscheinungen höchstens 3—4 Stunden, meistens erst
nach 6—10 Stunden, ja in einzelnen Fällen erst nach 40 Stunden
auf. Sie bestehen in galligem Erbrechen (zuweilen fehlend),
Diarrhöen, Schmerzen im Unterleib. Alle diese Erscheinungen
sind bei den ganzen Familien ganz oder teilweise eingetreten
und zwar in der folgenden Nacht, also 10—14 Stunden nach der
verhängnisvollen Mahlzeit. Auch der Verlauf ist kein rascher;
in Maschka’s Fällen trat der Tod in 2 Fällen erst 60—68, in
den übrigen schon nach 12—18 Stunden, gewöhnlich erst am
2.-3. Tage, ja selbst nach 7 Tagen ein. Setzen wir die Mahl¬
zeit auf Mittwoch Mittag 12—1 Uhr, so trat der Tod der Maria
Magdalene nach 53 Stunden, der der Hedwig nach 63 Stunden,
und der des Joseph erst nach 90 Stunden ein, also in 2*/>— S l / a
Tagen nach dem Genuss der Pilze.
Die Leichenerscheinungen bieten nach Schauen stein über¬
einstimmend: 1. Völliges Fehlen der Totenstarre, ein
Symptom, das bei allen drei Leichen festgestellt wurde (siehe Ob¬
duktionsprotokolle Nr. 3., 3. u. 2).
2. Erweiterung der Pupillen. In allen 3 Fällen
waren die Pupillen mittelweit resp. erweitert (O-P. Nr.7., 5 u. 4).
3. Flüssiges, kirschrotes Blut wurde ebenfalls in
den meisten Organen vorgefunden. Das Blut war mehr brombeer-
farben und nur im Ausstrich dunkel kirschrot, in den Lungen-
gefässen nicht flüssig, aber auch nicht eigentlich geronnen. Aus
den Gefässen trat auf der Schnittfläche in allen Fällen halb¬
flüssiges Blut wurmförmig aus.
4. Zahlreiche hanfkom- bis talergrosse Ekchymosen in
der Lungenpleura, der Lungensubstanz, im Pericardium und in der
Muskulatur des Herzens, in der Leber sowohl der Kapsel, als
auch im Parenchym, in Milz und Nieren. Durchmustert man
die Obduktionsprotokolle der Maria Magdalene, so finden wir diese
Befunde unter der Nr. 13., 16., 20., 27.; bei Hedwig unter Nr. 20.,
22., 23., 29., 31., 36, und bei Joseph unter Nr. 11., 14., 21., 22.,
27., 20. Bei dem letztgenannten Joseph war es zu einer ganz
erheblichen Blutung in den Magen und Darm gekommen, so dass
der Magen und zwei Drittel des Jejunum mit dunkel kirschrotem,
schleimig flüssigem Blute gefüllt waren.
5. Die sonst gefundene Füllung der Blase mit Urin
wurde in allen drei Fällen vermisst.
6. In einzelnen Fällen zeigte sich die Leber fettig dege¬
neriert. In unsern drei Fällen bestand hochgradige Fettleber.
t)r. äoffmann: Mn zweiter Todesfall in der Chloroform - Narkose. 4i?
Von Symptomen, die sonst niclit erwähnt werden, möchte ich
noch auf ein in unseren Fällen jedesmal gefundenes aufmerksam
machen, nämlich auf die Anschwellung derGekrösdrüsen,
die stets erheblich vergrössert und derb waren, sowie auf die
Anschwellung der Peyer’schen und solitären Drüsen
des Darmes. Endlich fand sich auch eine eigentümliche grau -
gelbliche Farbe der Haut bei den Verstorbenen. Wenn ich
noch hinzufüge, dass Maschka an Tieren (Hunden und Ka¬
ninchen, welche er mit Amanita phalloides vergiftete) gleichfalls
die Abwesenheit der Totenstarre und das Auftreten von Ekchy-
mosen, zumal in der Leber, konstatierte, so haben wir auch völlige
Uebereinstimmung mit dem Tierexperiment.
Auch nach Schauenstein fehlt für eine chemische Kon¬
statierung des Giftes bis jetzt jeder Anhaltspunkt.
Bekapitulieren wir kurz, so sehen wir (wenn auch Joseph
Gzw. an Verblutung gestorben ist und diese Blutung in Magen
und Darm die Folge von Blutaustretungen war, wie sie bei ihm
und seinen Geschwistern gefunden wurden), dass alle Organe
keinen Aufschluss über den Tod gaben, sondern mit Ausnahme
der Blutungen gesund waren bis auf die Leber. Die Erkrankung
der Leber ist aber, wie wir gesehen haben, Folge des Genusses
der Pilze. Für Phosphorvergiftung, auf die man bei Unkenntnis
der Vorgänge und Krankengeschichte schliessen müsste, fehlt der
Nachweis von Phosphor und phosphoriger Säure. Nimmt man
hinzu, dass sämtliche Mitglieder der beiden Familien, 11 Per¬
sonen, mehr oder weniger heftig nach dem Genuss von Knollen¬
blätterschwamm erkrankt, 3 Kinder in unmittelbarem Anschluss
daran gestorben sind und zwar in der für diese Vergiftung cha¬
rakteristischen Zeit, ferner, dass die Leichenerscheinungen bei
allen drei Kindern geradezu klassische Beispiele der Vergiftung
mit Amanita phalloides darstellen, so müssen wir auf Grund dieser
Tatsache mit Bestimmtheit sagen, dass die 3 Kinder Czw. in¬
folge des Genusses von Knollenblätterschwamm am 6. August am
8., 9 resp. 10. August gestorben sind.
Ein zweiter Todesfall in der Chloroform - Narkose.
Von Dr. H. Hoffmann, Gerichtsarzt in Berlin.
Die Duplizität der Fälle fügt dem in Nr. 11, Jahrgang 1902,
dieser Zeitschrift geschilderten Chloroform - Tode einen zweiten Fall
hinzu. Es handelte sich um ein 5 Monate altes, scheinbar kräf¬
tiges und gesundes Mädchen, dem am 23. August v. J. zwei am
Halse befindliche Naevi vasculosi in Chloroform-Narcose operativ
entfernt wurden. Das Kind hatte die Narkose gut vertragen; es
war auch vor dieser Narkose untersucht, und ein Leiden nicht kon¬
statiert worden. Der Arzt behielt das Kind unter Augen: es gedieh
und nahm in normaler Weise zu. Die Heilung der Operationswunde
verlief glatt, doch zeigte sich bald, dass noch eine kleine Nachopera¬
tion nötig war. Diese sollte am 2. Dezember ausgeführt, und zu
diesem Zwecke das Kind ganz leicht „anchloroformiert“ werden.
418
Dr. Hoffmann.
Das Kind wurde bis auf das am Halse aufgeknöpfte Hemd
entkleidet und mit dem Hopfe auf den Schoss seiner Grossmutter
gelegt; der Unterkörper blieb mit einem Tuche bedeckt. Der
Arzt gebrauchte Chloroform-Anschütz, welches er 2—3 Wochen
in seinem Besitz und vorschriftsmässig aufbewahrt hatte. Er
wandte die Tropfmethode an und hat innerhalb 1—1 Vs Minuten
höchstens 100 Tropfen (4 gr) verbraucht. Eben war er dabei,
mit der Messerspitze die Schnittführung zu skizzieren, da fing die
Atmung des Kindes an, unregelmässig zu werden. Er legte das
Messer sofort bei Seite, leitete die künstliche Atmung ein, jedoch
ohne Erfolg; später wurden Kampfer-Einspritzungen gemacht. —
Während der lange Zeit fortgesetzten Wiederbelebungsversuche
erfolgte ab und zu ein leichtes „Schnappen" des Kindes, bis auch
dieses aufhörte.
Die Obduktion fand 6 Tage post mortem statt; die Leiche
war gefroren gewesen und musste erst aufgetaut werden. Der
wesentliche Befund war folgender:
Regelmässig gebautes, kräftiges Kind. — Leichenstarre nicht mehr vor¬
handen. Hautfarbe blass wachsgelb. — Pupillen beiderseits fast 6 mm.
Gehirn stark erweicht, sehr blass; aus dem Wirbelkanal fliessen 10 cbem
klarer, hellgelber Flüssigkeit.
In der Bauchhöhle 50 cbcm dünnflüssiger blassroter Flüssigkeit. — In den
beiden Brustfellsftcken rötliche, wässrige Flüssigkeit, rechts 20, links 10 cbcm.
Im Herzbeutel 10 cbcm rötlicher, klarer Flüssigkeit; Herz gross, 5,5 cm
lang, 5 cm breit. Kranzgefässe stark gefüllt. Die grossen Gefässe ausserhalb
des Herzbeutels schlaff. — Das linke Hers leer, auch der rechte Vorhof, in
der linken Kammer 15 cbcm dunklen, flüssigen Blutes. — Beim Herausnehmen
des Herzens entleeren sich aus den durchschnittenen Gefässen 80 obom flüssigen,
dunkelroten Blutes. — Das Hersfleisch derb nnd fleisohroth, links 11 mm,
rechts 4 mm dick.
Lungen blass, grau - rot, mit spärlichem Blutgehalte. Die blassrosa aus¬
sehende innere Brustdrüse ist zweisipflig, 6 cm lang, 5 om breit and 1,5 cm dick.
Milz und Nieren blass; Leber dunkelbraun.
Die Drüsen des Dünndarms mit blossem Auge sehr gut sichtbar, in der
Darmschleimhaut an vielen Stellen fein gezeichnete Gefässfüllungen. — Auch
in der Schleimhaut des Dickdarms zahlreiche Drüsen sichtbar.
Im Gekröse viele Drüsen bis zur Grösse einer mittleren Bohne, auf dem
Durchschnitt sind dieselben blassrot. Bauchspeicheldrüse aussen nnd innen
blass-rosa. — Gefässe vor der Wirbelsäule leer.
Das vorläufige Gutachten lautete: Eine bestimmte Todes¬
ursache hat die Obduktion nicht ergeben; es spricht Nichts gegen
einen Chloroformtod. Die Vorgefundenen krankhaften Veränderungen
im Körper werden bei dem Tode mitgewirkt haben.
Wie ist dieser Chloroformtod zu erklären, und wie kommt
es, dass das nicht viel über 6 Wochen alte Kind eine tiefe Nar¬
kose gut und glatt übersteht, und mehr als 3 Monate später einer
leichten Narkose, bei der in maximo 4 gr Chloroform gebraucht
sind, erliegt P
Wollte man annehmen, dass das Chloroform nicht rein ge¬
wesen sei, so müsste man mit Strassmann 1 ) antworten: „Das
Chloroform ist es, das tötet, nicht seine Beimengungen."
Die Befunde am Herzen und noch mehr in der Bauchhöhle
zeigen ja wohl, dass das Kind „chronisch krank" war, aber die
*) Strassmann: Lehrbuch der gerichtlichen Medizin; Stuttgart, 1895.
Sin «weiter Todesfall in der Chloroform - Narkose. 419
Krankheit war doch nicht derart, dass ein plötzliches Ableben des
Kindes zu befürchten gewesen wäre, wenn auch die Widerstands¬
fähigkeit des Organismus geschwächt gewesen ist.
Hofmann*) meint, dass „in den meisten Fällen der Tod in
der Narkose nicht infolge einer spezifischen Wirkung des Narko¬
tikums, sondern nur infolge des durch die Narkose gesetzten
Eingriffes in toto, wozu auch die Aufregung und Angst des Pa¬
tienten gehört, eintritt, und dass dieser Eingriff nur eine der
vielen Gelegenheitsursachen bildet, welche bei zur Herzlähmung
disponierten Individuen zu dieser führt.“ Der Tod trat im vorliegen¬
den Falle sehr bald nach Beginn der Narkose ein, die nur ober¬
flächlich sein sollte; die Herztätigkeit hörte auf, die Atmung
dauerte noch längere Zeit an und liess sich — ganz so wie auch
Hofmann*) erwähnt — ab und zu wieder hervorrufen.
Und auch das trifft für unseren Fall zu, dass dasselbe
Individuum dasselbe Narcoticum früher einmal anstandslos ver¬
tragen hatte; hier war es sogar derselbe Arzt, der die erste
und auch die zweite, verhängnisvolle Narkose geleitet hatte.
Von einem „Status thymicus“, den Hofmann*) zur Er¬
klärung anführt, wäre vielleicht auch hier in unserem Falle zu
sprechen. War die Thymus auch nicht besonders gross, (6 cm 1.,
5 cm br., 1,5 cm dick) so fand sich doch eine beträchtliche
Schwellung zahlreicher Gekrösdrüsen, abgesehen von der Schwellung
der Darmdrüsen.
Was die übrigen Befunde der Obduktion angeht, so waren
sie, ebenso wie in allen anderen Fällen, nicht charakteristisch.
Li man*) hebt 6 Punkte hervor: Blut, Anämie, Geruch nach
Chloroform, Luftblasen im Blute, Herz und Totenstarre, betont
aber ausdrücklich das Unzuverlässige dieser Befunde. In unserem
Falle dürfen wir nicht übersehen, dass die Obduktion erst 6 Tage
post mortem stattfand, also die Verwesung schon nicht unerheb¬
liche Fortschritte gemacht hatte; nur das Blut wurde überall als
„dunkles, flüssiges“ angetroffen.
Als Schluss möchte ich den Ausspruch Strassmanns 1 )
anführen, dem ich nur beipflichten kann, dass der Arzt niemals
wegen fahrlässiger Tötung wird verurteilt werden können auf
Grund irgend welcher technischen Fehler bei der Ausführung der
Narkose; es müsste denn eben strikte bewiesen werden können,
dass in dem betreffenden Falle der Tod auf das vorgekommene
Versehen zurückzuführen ist. Dabei will ich nicht zu erwähnen
unterlassen, dass der Begriff der „Fahrlässigkeit“ immer zur Vor¬
aussetzung hat, dass der betreffende Täter (also hier der Arzt)
den verhängnisvollen Ausgang voraussehen konnte, sich sagen
musste, die Sache kann diesen üblen Verlauf nehmen.
Das trifft doch wohl für keine Narkose zu, oder es müsste
jede Narkose eine fahrlässige Handlung darstellen.
*) Hofmann: Lehrbuch der gerichtlichen Medisin; her&nsgegeben von
Prof. Dr. Kolisko-Wien, 1908.
*) Casper-Liman: Handbach der gerichtl. Medisin; Berlin, 1889.
420
Ans Versammlungen und Vereinen.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Amtliche Versammlung der beamteten Aerate des Reg.-
Bes. Cttln am 11. Dezember 1902, vormittags ll 1 /« Uhr. im
grossen Sitzungssaale der Ktfnigl. Regierung zu Cöl>.
An der Versammlong nahmen teil: Reg.-Präsident v. Balan, Ober-
Beg.-Bat Fink, Beg.- n. Geh. Baurat Bunge, Reg. - Rat Cramer, Reg.-
u. Med.-Rat Dr. Busak, ferner die Kreisärzte DrDr.: Bachem-Euskirchen,
Eiekh off-Gummersbach, Med.-Bat E s o h - Waltrup, Cöln (Land), Hille¬
brand-Bergheim, Lewicki-Waldbroel, Meder-Cöln (Stadt), Meerbeek-
Wipperfttrth, Geh. Hed. Bat Moers-Mülheim (Bhein), Schneider-Siegburg,
Wir sch-Bonn, die Gerichtsärste: Dr. Longard-COln und Med.-Bat Prof.
Dr. Ungar-Bonn, der Kreisassistennarst Dr. Krautwig-Cüln (Stadt) und
die staatsärstlich geprüften Aerate Dr. Hagen-Oüln-8üla und Dr. Bath-
mann-Mülheim (Bhein).
Berr Regierungspräsident ▼. Balan erüffnete die Sitzung mit einer Be-
grüssung der Erschienenen und übertrug beim Uebergang zur Tagesordnung
die Leitung der Versammlung an Herrn Beg.- u. Med.-Bat Dr. Busak.
L Ueber Ortebesichtigungen (Abschnitt XVIII der Dienstanweisung).
Kreisarzt Dr. Wirsoh-Bonn.
Zunächst besprach der Vortragende die einzelnen Absätze des §. 69 der
Dienstanweisung.
Zu Absatz 4. Die Erledigung der Ortsbesichtigung gelegentlich anderer
Dienstgeschäfte sei wohl in den seltensten Fällen möglich.
Die Feststellung ansteckender Krankheiten erfordere stets eine gewisse
Eile, man kOune da nicht die im Absatz 5 erwähnten Stellen vorher benach¬
richtigen; ausserdem müsste die Polizeibehörde möglichst umgehend den Be¬
richt über den Fall von Infektionskrankheiten haben. Bei Gelegenheit von
Krankenhausbesichtigungen und Apotheken - Nachrevisionen kOnne man ebenfalls
nicht nebenher eine Ortsbesichtigung machen, da die Ortschaften, in denen sich
ein Krankenhaus oder eine Apotheke befindet, so gross seien, dass die Besich¬
tigung mindestens einen volleo Tag in Anspruch nehme.
Auch gelegentlich der Drogenbesichtigungen kOnne man nicht Ortsbe-
sichtigungen machen, da aus Ersparnis- Bücksichten für die Gemeinden mehrere
Drogerien in Form einer Bundreise an einem Tage besichtigt werden sollten.
Zu Absatz 5. Ausser den in Absatz 6 genannten Personen sei die Teil¬
nahme eines Bausachverständigen sehr erwünscht. Laut einer Begierungsver-
fügung, die auf Veranlassung des Vortragenden s. Z. ergangen, sei es unzu¬
lässig, wenn bloss ein Polizei-Sergeant oder Gensdarm gewissermassen als
Vertreter der OrtspolizeibehOrde erscheine, vielmehr habe der Bürgermeister
selbst teilsunehmen.
Zu Absatz 6. Ob auch eine genaue Besichtigung von Privatwohnungen
stattfinden kOnne, scheine ihm fraglich; jedenfalls empfehle es sich, dann die
Vertreter der Polizeibehörde vorzuschieben. Schwierigkeiten seien ihm aller¬
dings nie gemacht worden, die Leute hätten stets sehr gern die Besichtigung
gestattet
In der Stadt Bonn habe der Beigeordnete für Gesundheitspolizei teilge¬
nommen, welchem auoh zugleich das Armenwesen unterstellt sei. Dieser habe
auch die Armenvorsteher zu der Besichtigung hinzugezogen, die in den betr.
Bevieren genau bekannt waren und auf eine ganze Beihe Mängel schon früher
aufmerksam geworden seien. Dies habe die Besichtigung ausserordentlich
gefordert
Zn Absatz 8. Ein Exemplar des Protokolls sei dem Gemeindevorsteher
einzuhändigen, der jedoch nichts Bechtes damit anzufangen wisse.
Zu Absatz 9. W. hat seine Registratur so eingerichtet, dass die Akten
jeder Bürgermeisterei einen lateinischen Buchstaben (A, B, C etc.), jede ein¬
zelne Ortschaft innerhalb der Bürgermeisterei dann wieder eine arabische
Ziffer (also A2, C8 etc.) erhalten habe.
Dann besprach Vortragender das Formular VIL
Ziffer VI. Die Besichtigung der Schulen gelegentlich der Ortsbesichti¬
gung (s. auch g. 94, Abs. 2 d. D. A.) vorzunehmen, sei nur bei ganz kleinen
8ohulen möglich, die Besichtigung einer grosseren Schule nehme allein gut
einen halben Tag in Anspruch.
Aaa Versammlungen and Vereinen.
421
Ziffer XL Die Begräbnisplätze solle man stets eingehend besichtigen,
da er daselbst schon erhebliche MisBstände gefunden habe.
Sodann besprach W. die von ihm bei den Ortsbesiohtigongen im Jahre
1901 nnd 1902 gemachten Erfahrungen.
Auf dem Lande seien die Dangstätten meist mangelhaft, die meisten
Brunnen bedenklich, schlecht abgedeokt, die Umgebung nicht gefestigt, die
nötige Distanz von Aborten, Düngerstätten etc. nicht gewahrt. Auch die Be*
seitigung der Schmutzwässer sei fast nirgends einwandsfrei.
Wenn er sich zum Schlosse frage, ob die Ortsbesichtigungen in hygieni¬
scher Beziehung als ein Fortschritt zu betrachten seien, und ob dieselben auch
▼on Erfolg sein würden, so müsse er die Frage bejahen, selbst wenn viele der
durch die Ortsbesichtigungen gerügten Mängel auch einstweilen nur auf dem
Papier, in den Berichten der Polizeibehörden, erledigt wären.
Beg.-u. Med.-Bat Dr. Busak führte im Anschluss an den Vortrag aus:
Das Exemplar des Besichtigungsprotokolls, welcses der Gemeinde-Vorsteher
erhalte, solle dieser auch der Ortsgesundheitskommission mitteilen. Wo eine
Besichtigung der Ortschaften oder Schulen gelegentlich anderer Dienstgeschäfte
untunlich sei, da solle es dem Medizinalbeamten unbenommen bleiben, dieselben
für sich allein auszufähren. Bei ganz kleinen Ortschaften, z. B. im ßergischen
Bezirk, und kleinen Schulen könne aber wohl die Besichtigung gelegentlich
stattfinden. Zum Kapitel Bäder wünscht ßeg.- u. Med.-Rat Busak Aus¬
kunft, ob Beobachtungen vorliegen, dass darch Baden im Bhein oder durch
Trinken von Bheinwasser Typhus entstanden sei, was von seiten des Gerichts-
erstes Dr. Longard, der in früheren Jahren die Kreisphysiker in Cöln stets
zu vertreten hatte, auf Grund seiner dabei gemachten Erfahrungen, sowie von
den Kreisärzten in Cöln (Stadt) und Mülheim (Bhein) entschieden bejaht wurde.
Dr. Mörs-MüLheim sprach sodann von den Erfahrungen, die er mit den
Ortsbesiohtigongen gemacht. In seinem Bezirk gäbe es keine Gemeindevor¬
steher, die unterste polizeiliche Behörde sei der Bürgermeister. Er habe vor
allem durch persönliches Benehmen mit dem Landrat vieles durchgesetzt, was
auf schriftlichem Wege nicht möglich gewesen sei.
Auf Grund seiner bei den Sohulbesichtigungen gemachten weiteren Er¬
fahrungen hält er auch heute noch (s. Beferat aus der letsten Versammlung)
die vorherige Benachrichtigung der Ortsschulvorstände für unzweckmässig, da
man dann die Schule und die Kinder stets im Sonntagsstaat fände, von einer
unvermuteten Bevision könne da nicht die Bede sein.
Bcgierungspräsident v. Bai an ist der Ansicht, dass die Gemeindevor¬
steher die ihnen zugesandten Protokolle nach Kenntnisnahme den Bürger¬
meistern abzugeben hätten. Die Dienstanweisung verpflichte die Kreisärzte
tunlichst, d. h. wenn irgend möglich, die Orts- und Schalbesichtigungen ge¬
legentlich zu machen. Für ihn sei es aber ganz klar, dass der Kreisarzt auch
solche Dienstgeschäfte express ausführen könne, wenn eben eine gelegentliche
Erledigung untunlich sei.
Ober -Keg.- Bat Fink hält es wohl für gerechtfertigt, dass bei der
Ortsbesichtigung auch Privat-Wohnungen eingesehen würden, namentlich auch
zur Kontrolle über die Durchführung der Beg.-Polizei-Verordnung vom 7. Sep¬
tember 1899, Amtsblatt S. S61, über die Beschaffenheit und Benutzung von
Wohnungen.
Dr. Meder-Cöln schlägt vor, dass zur Erleichterung der Schulbesichti¬
gungen veranlasst werden möge, dass in jeder Schule sich einfache Zeichnungen
über das Gebäude oder Tabellen mit den notwendigsten Massen befinden sollten.
Dieselben würden auch den revidierenden Schnlaufsichts- und B&ubeamten von
Nutzen sein. Ihm sei die Beschaffung schon seitens der Stadt Cöln zugesichert.
Eine allgemeine Beschaffung dieser Unterlagen auch auf dem Lande hält
Beg.- u. Geh. Baurat Bunge für schwer durchführbar, namentlich da Pläne
von älteren Schulen auf den Baubureaus nicht existierten.
Dr. Eickhoff-Wipperfürth macht auf die Verschanungsplätze für ge¬
fallenes Vieh aufmerksam, die vielfach hygienisch bedenklich seien. Dieselben
seien daher zweokmäasigerweise in die Ortsbesichtigungen einzubeziehen. In
seinem Kreise sei angeordnet, dass jedes verendete Tier bei der Polizeibehörde
ansumelden sei. In jedem grösseren Orte sei eine Person, meist der Polizei¬
diener, mit der Ueberwachung betraut, dass die Verscharrung an der vorge¬
schriebenen Stelle und in unschädlicher Weise erfolge.
Aus Versammlungen und Vereinen.
m
Reg.- nnd Med.-Rat Dr. Rnsak wünscht Auskunft, ob die Kreisärzte
bisher Gelegenheit gehabt, Bäckereien und Schlächtereien tu revidieren. Bisher
ist dies, wie die Antworten ergaben, nur bei den Ortsbesichtigungen geschehen;
die dabei gefundenen Missstände und t. T. groben Zuwiderhandlungen gegen
die erteilte Konsession sind jedoch von den Polizeibehörden nicht genügend
geahndet worden, einzelne Bürgermeister hätten gesagt, sie könnten nichts
daran tun.
Ober-Reg.-Rat Fink rät den Kreisärzten, alle die Fälle, in welchen
sie glaubten, von seiten der Polizei nicht die nötige Unterstützung zu finden,
dem Herrn Regierungspräsidenten zu unterbreiten.
Er rät, wenn Orts- und Schulbesichtigungen nicht gelegentlich, sondern
mit besonderen Dienstreisen gemacht worden sind, auf den Liquidationen be¬
sonders zu bemerken, dass wegen Grösse der Schule oder Ortschaft, oder aus
welchem Grunde sonst, die gelegentliche Erledigung nicht möglich war.
n. Ueber die Besichtigung von Wasserleitungen. Kreisarzt
Dr. Schneider.-Siegburg.
Der Vortragende hat sich dies Thema gewählt, um seine Erfahrungen
bei den in Verfolg des Min.-Erlasses vom 26. September 1902 — M. Nr. 12992
— kürzlich ausgeführten Besichtigungen hier vorzutragen, ln seinem grössten¬
teils ländlichen Kreis mit fast durchgehende kleinen Ortschaften habe er 66
zentrale Wasserleitungen besichtigt. Die grösseren Leitungen seien meist durch
Fachmänner hergestellt und würden auch dauernd durch technisch ziemlich
gut orientierte Personen kontrolliert; sie seien daher meist in ziemlich gutem
Zustande gewesen, allerdings hätten sich auch hier vielfach Mängel ergeben
(mangelhafte Abdeckung der Brunnen und Saugkammern, auch der Reservoire).
Die grössten Mängel hätten sich bei den kleinsten Leitungen gezeigt, die durch
irgend einen Dortkttnstler oder Handwerker möglichst billig und daher auch
möglichst schlecht angelegt worden seien. Hier sei die Beaufsichtigung durch
den Kreisarzt unentbehrlich, der auch mangels geeigneter Techniker in tech¬
nischer Beziehung vielfach raten und helfen müsse.
Als Wasserbezagsquellen hätten sich in 7 Fällen Bachläufe gefunden,
denen das Wasser unfiltriert oder nach Durchlaufen eines Scheinfilters aus Stein-
schlag oder Kies entnommen worden sei. Solche Anlagen seien natürlich un¬
zulässig, und, da die einzig in Frage kommende Sandfiltration zu kompliziert
und kostspielig sei, müsse Oberflächenwasser bei diesen kleinen Anlagen ganz
ausgeschlossen werden.
Auch die Quellenwasserleitungen (68 an der Zahl) seien vielfach
nicht einwandsfrei. An der Hand der Arbeit von Prof. Gärtner-Jena: „Die
Quellen in ihren Beziehungen zum Grund wasser und zum Typhus“ 1 ) verbreitete
sich der Vortragende eingehender über die verschiedenen Arten von Quellen
(Hochquellen, Tiefquellen und sekundäre Quellen) und ihre hygienische Prüfung.
Eigentlich seien genaue geologische Untersuchungen zum Aufschluss der For¬
mationen, aus denen die Quelle stamme, notwendig, doch kosteten dieselben
viel Geld. Der Medizinalbeamte müsse daher vielfach ohne dieselben auszu¬
kommen suchen, durch Untersuchung der Umgebung (gedüngte Felder, Vieh¬
weiden, Aborte, Wohnungen), Beobachtungen nach Regengüssen (Trübungen),
Versuche mit Saprol oder Farbstoffen oder Bazillenkulturen, endlich durch
wiederholte chemische und bakteriologische Untersuchungen, sich ein Bild von
den hygienischen Verhältnissen der Quelle zu machen suchen. Es genügten
qualitative chemische Untersuchungen, bezw. die leicht ausführbaren quan¬
titativen Bestimmungen von organischer Substanz, Chlor und Härte, sowie
die einfache Keimzählung; lauter Untersuchungen, die der Kreisarzt nach §. 37
der D. A. selbst auszuführen habe und auch ohne Schwierigkeiten ausführen
könne. Selbstverständlich müsse er auch das Wasser selbst entnehmen.
Bei den Besichtigungen bat Schn, gerade die Qaellenfassung und Sieker-
gallerien vielfach mangelhaft und gegen oberflächliche Verunreinigungen nicht
genügend geschützt gefunden. Um sich vor diesen zu schützen, habe man hier
und da die Quellenkammer oben fest zugemanert, was aber natürlich unstatt¬
haft sei. Um die nötige Kontrolle zu ermöglichen, sei ein Einsteigeschacht
unbedingt nötig, derselbe müsste aber dicht abgedeckt sein und hoch liegen.
') Referat darüber in Nr. 19 der Zeisschrift; Jahrg. 1902, S. 724.
Aas Versammlungen and Vereinen.
423
Sehr zweckmässig sei die Schaehtabdeckung der Rheinischen Wasserwerks-
Gesellschaft in Cöln-Deutz, der Kostenpunkt (70 Mark) sei jedoch ein recht
erheblicher. Vielfach seien die Rohrleitungen zu eng gewesen. Röhren nnter
32 mm Durchmesser verstopften sich zu leicht und seien daher nicht brauchbar.
Tonröhren seien wegen leichten Bruches unstatthaft. Eine Tieflage von
mindestens 1—1 */» m sei notwendig, um die Leitung vor der Einwirkung inten¬
siver Hitze und Kälte zu schützen.
Schwierig sei es, die Dichtigkeit der Leitungen zu prüfen; in Häusern
könne man oft bei abgestelltem Zufluss und Abfluss das Ausflussgeräusch durch
Auskultation hören. Am zuverlässigsten sei es noch, zu beobachten, ob in
einem abgesperrten Teil der Leitung oder dem Bassin der Wasserspiegel all¬
mählich sinkt oder stehen bleibt.
Jedenfalls hätten seine Untersuchungen ergeben, dass eine regelmässige
Ueberwaohung der Wasserversorgungsanlagen durch die Kreisärzte dringend
notwendig sei. Hätten die Wasserleitungen auch mehrfache Mängel gehabt,
so seien dieselben doch in hygienischer Beziehung noch viel besser als die
Brunnen. Die 125 Brunnen, die ihm als öffentliche bezeichnet worden und von
ihm untersucht seien, seien fast alle in bedenklichem Zustande gewesen.
Bei dem schlechten Zustande der Brunnen und kleinen Leitungen sei es
wünschenswert, dass grosse zentrale Leitungen für mehrere Gemeinden ange¬
legt würden, die besser konstruiert würden und auch vielfach billiger seien,
als viele kleine örtliche Leitungen.
Wesentlich gefördert würde der Bau von Wasserleitungen durch Zu¬
schüsse, die allerdings zur Zeit nur aus Gründen der besseren Feuersioherheit
von der Rheinischen Provinzial-Feuer-Sozietät gewährt würden. Viel wich¬
tiger als für die Feuersicherheit seien aber die Wasserleitungen noch in
hygienischer Beziehung und daher wohl wert, dass sie vom Staate oder der
Provinz unterstützt würden.
Schliesslich stellte der Vortragende folgende Leitsätze auf:
1. Die Anlage von Wasserleitungen auf dem Lande ist auf alle Weise
zu fördern.
2. Für ganz kleine Wasserleitungen ist es sehr wünschenswert, dass das
natürliche Gefälle genügt und eine Filtration nicht nötig ist.
3. Die Benutzung von unfiltriertem Oberflächenwasser ist auch bei
kleinen Wasserleitungen nicht zulässig.
4. Die regelmässige Ueberwachung aller öffentlichen Wasserversorgungs¬
anstalten auch auf dem Lande ist wünschenswert.
In der Diskussion teilte zunächst Reg.- u. Med.-Rat Dr. Rusak
mit, dass der Min.-Erlass vom 25. September namentlich im Hinblick auf die
Gefahr eines erneuten Choleraeinbruchs, der nach den Angaben des Geb. Rat
Prof. Dr. Koch zu drohen scheine, ergangen sei. Als er vor 2 Jahren in den
Bezirk gekommen, sei er ausserordentlich erstaunt gewesen, wie selbst in zahl¬
reichen der kleineren Ortschaften für Wasserleitung gesorgt sei; ebenso über¬
rascht habe es ihn, jetzt aus den Berichten zu erfahren, wie viel bei der An¬
legung der Leitungen gepfuscht worden sei. Der Kreisarzt sei offenbar früher
nirgends mit der Sache befasst worden. Das sei ja nun anders geworden
(§. 74 der D. A.). Er stellte noch eine besondere Verfügung in Aussicht, laut
der alle Projekte von Wasserversorgungsanstalten auch dem Kreisärzte zur
Begutachtung zugehen sollten. Der Kreisarzt solle jetzt keine Gelegenheit
vorflbergehen lassen (Orts- und Schulbesichtigungen, Feststellungen von an¬
steckenden Krankheiten), um sich die Wasserversorgungsanlagen anzusehen und
namentlich auch die Abstellung der jetzt gefundenen Mängel zu kontrollieren.
Dr. Mörs-Mülheim empfiehlt die Widder im Gegensatz zu dem Refe¬
renten sehr. Sie seien die einzige Einrichtung, die ohne Maschinen das
Wasser hebe.
Auch er habe viele Mängel gefunden, besonders an den Brunnen. Eine
Typhusepidemie in Forsbach mit 22 Erkrankungsfällen sei lediglich auf den
geradezu miserablen Zustand eines Brunnens zurücksuführen gewesen. An der
Seite, wo die 3 m entfernte Abortgrube eines benachbarten Hauses lag, in dem
der erste unerkannte Typhusfall vorkam, habe man im Brunnenwasser eine
deutliche Trübung gesehen. Das Wasser habe viel Ammoniak und salpetrige
Säure enthalten.
Vor 2 Jahren sei die Mülheimer Grundwasserleitung durch eine benach-
4S4
Atu Versammlungen ud VereintA.
bürte Ammoaiakfabrik eterk verunreinigt wordea. Dareh du ia du BodU
ud iu Wuser gesickerte Ammoniak sei Mangen gelöst worden, ud dieses
habe in die Wische Flecken gemacht, die man anfangs ihr Rostflecken ge¬
halten, bis sich heransstellte, dass dieselben mit den gewöhnlichen Roetfleekea-
mitteln nicht heransgingen and aas Mangan beständen.
Dr. Wirsch- Bonn berichtet, dass in seinem Betirk nur in einem Orte eine
regelmässige chemische ud bakteriologische Wasseruterraehug stattgefunden
habe, selbst in Bonn nicht, obwohl dieselbe doch unbedingt nötig sei. Viel¬
leicht erlasse der Herr Regierungspräsident darüber eine generelle Verfügung.
Im Anschluss an den Vortrag demonstrierte ein Vertreter der Firma
Wilhelm Goet«, Coblens, Löhrstrasse 77, du zur Besichtigug im Saal aas¬
gestellte Instramentariam zur Wasserutersachug. Dasselbe ist nach du
Angaben des Reg.- ud Med.-Rat Dr. Salomon in Coblens angefertigt ud ent¬
hält alle sar Wasserentnahme, sam Qiessen der Platten an Ort ud Stelle,
sowie sam Transport derselben — bei warmer Witterug in eisgekühltem
Kasten — notwendigen Apparate. Komplet im Kuten kostet die Einrichtung
180 Mark. Sie soll im Begierangsbesirk Coblens bei s&mtiiehen Kreisärzten
eingeführt sein.
HL Ueberwachnng du Haltekinderwesens (Abschnitt XXVH der
D.-A.).
Der Vortragende, Dr. Krantwig, Kreisasssistensarnt Cöln-Stadt, be¬
schäftigte sich besonders mit der hohen Sterblichkeit der Säuglinge, spes. der
Haltekinder, and sprach dann über die Notwendigkeit besonderer 8chutzmaas-
regeln für die Haltekinder (Antoreferat).
Neben der Bekämpfung der Volksseuchen besonders der Tuberkulose
wird die Hygiene in dem nächsten Jahrsehnt sicherlich den Kampf gegen die
übergrosse Säuglingssterblichkeit in Deutschland aufnehmen müssen. Die bis¬
herigen Erfolge der Städtehygiene haben in Verbindung mit dem gewerblichen
Aufschwünge unseres Volkes die Gesamtsterblichkeit innerhalb dreier Jahr-
sehnte um etwa 4—5% heruntergedrückt, aber vergebens suchen wir den
Einfluss unserer Kultur in den Zahlen der Säuglingssterblichkeit. Um so mehr
muss in diesem Punkte Wandel geschaffen werden, als wir, nicht zu unserem
Rahme, fast alle europäischen Staaten durch die Höhe unserer Säuglings¬
sterblichkeit übertreffen. Auch wenn wir die Geburtenhäufigkeit in Deutschland
gehörig mit in Rechnung stellen, müssen wir immer noch eingestehen, dass
bei uns das Leben der Säuglinge ganz besonders bedroht ist. In Berlin
sterben s. B. von 100 Lebendgeborenen 80 vor Ablauf des ersten Lebensjahres,
iu Cöln 25 und mehr, während sich die entsprechenden Zahlen für London auf
16 und für Paris auf 21 stellen. Deutsche Städte, wie Chemnitz und Rixdorf
haben schon ungeheuerliche Zahlen von über 60 ®/ 0 Todesfällen innerhalb des
ersten Lebensjahres der Statistik geliefert.
Zwei Punkte heben sich aus dem hygienischen Programm gegen diese
übergrosse Säuglingssterblichkeit als die wesentlichsten heraus: einmal die
Versorgung unserer Säuglinge mit einer einwandsfreien Nahrung, und zweitens
ein besserer Schutz des Lebens der unehelichen Säuglinge. Bei letzterer
Aufgabe ist der Medisinalbeamte von Amtswegen berufen, tätig mitzuwirken.
In Deutschland sind im DurohBchnitt etwas über 9°/, aller Geburten
uneheliche; für Freussen reduziert sich diese Zahl auf 7°/ 0 . In einzelnen
Städten, wie München, Dresden, Strassbarg machen die unehelichen Geburten
über 20 °/ # aller Geburten aus, in Cöln etwa 9—10 °/„. Auf Grund der
statistischen Erfahrungen mehrerer Jahrzehnte kann man sagen, dass die
Sterblichkeit der unehelichen Kinder im ersten Lebensjahre die der ehelichen
fast ums doppelte übertrifft. In Cöln verhalten Bich die Zahlen etwa wie
87 : 25. Da nun die meisten unehelichen Kinder in den grossen Städten in die
sogenannte Haltepflege kommen, so bedarf das Haltekinderwesen einer ganz
besonderen Ueberwachnng. Die staatlichen Behörden haben Bchon vor mehreren
Jahrzehnten dem Haltekinderwesen ihre Aufmerksamkeit zugewandt. In
Preussen wurde durch eine Zirkular-Verfügung vom 17. Juli 1890 die Auf¬
nahme von Haltekindern von einer polizeilichen Erlaubnis abhängig gemacht.
Die Aufsicht über die Haltekinder wurde schon in den 50 er und 60 er Jahren
in einigen preussischen Städten von privaten Kinderachutavereinen ausgeübt,
die sich bis zum Jahre 1869 der Unterstützung durch die Polizeibehörden
'»freuten. In diesem Jahre wurde durch die Einführung der Gewerbe-Ordnung die
Aus Versammlungen und Vereinen. 425
Aufnahme von Haltekindern der poliieiliehen Erlaubnis entsogen. Zwar Hess
■leb in Befolgung einer Ministerial - Anregung, durch Auferlegung der Melde¬
pflicht die Pflegeeltern su Überwachen, immer noch eine gewisse polizeiliche
Kontrolle Aber die Haltekinder ausflben, aber für die freiere Entfaltung des
Kontrollwesens war es doch von grossem Einfluss, dass der Artikel 1 des Reichs-
gesetses vom 28. Juli 1879 die Ersiehung von Kindern gegen Entgelt aus¬
drücklich von den Vorschriften der Gewerbe-Ordnung ausnahm. Ein Ministerial-
Brlass vom 25. August 1880 regte zu neuen polizeilichen Verordnungen an,
welche nun aller Orten in fast genauer Anlehnung an die Vorschläge der
genannten Verordnung das Haltekinderwesen regelten. Die Aufnahme eines
Haltekindes war nunmehr wieder von behördlicher Erlaubnis abhängig. Die
Polizei erkundigte sich, bevor sie die Erlaubnis erteilte, über die persönlichen
Verhältnisse der Pflegeeltern und über ihre Wohnung. Wohnungswechsel der
Pflegeeltern, Abgabe der Pflegekinder müssen sofort gemeldet werden. Nun¬
mehr konnten besonders freiwillige Kinderschutzvereine unter Beihülfe der
Polizei in segensreichster Weise den Schutz der Haltekinder besorgen. Dass
der Polizeibeamte nicht das geeignete Organ zur Ueberwachung dieser Kinder
ist, sah man aber nicht in allen Städten ein. Und doch genügen in grossen
Städten mit vielen Hunderten von Haltekindern weder die Polizei, noch
die Kinderschutsvereine zum wirksamen Schutz der bedrohten Kinderleben;
denn einmal ist die Aufsicht durch die im Ehrenamt tätigen Damen nioht
sachverständig genug gegenüber der überaus schwierigen Frage der Ernährung
und des Gedeihens dieser Kinder, nnd zum anderen ist die Aufsicht nicht
stetig genug, zumal in der gefährlichen heissen Sommerzeit, die zugleich
die Beisezeit für die Grossstädter ist.
Auch die weiteren Sohutzorgane der unehelichen Kinder, der Vormund-
sehaftariebter und der Waisenrat, bieten für das Gedeihen der vielen Haltekinder
der grossen Städte, nur ungenügende Garantie. Nun ist als neue überwachende
Stelle noch neuerdings der Kreisarzt hinzugekommen, der ja an sich durch seine
klinischen und hygienischen Kenntnisse der wirklich sachverständigste Berater
and Schützer dieser armen Geschöpfe sein kann. Leider ist er in grossen
8tädten gegenüber vielen Hunderten von Haltekindern mit Rücksicht auf seine
vielen Amtsgeschäfte nicht in der Lage, ausreichenden Schutz zu gewähren.
Da kann nur ein besonderer Ziehkinderarzt im Verein mit sachverständig-
ausgebildeten, honorierten Pflegerinnen die zahlreichen und verantwortlichen
Geschäfte eines wirksamen Kinderscbutzes mit Aussicht auf einigen Erfolg
durchführen. In diesem Sinne ist der Ziebkinderschutz zuerst von Dr. T a n b e
in Leipzig durchgeführt worden und später in Anlehnung an dieses Vorbild
in Dresden, Berlin, Danzig. Hier in COIn erstrebt die Behörde ebenfalls eine
Regelung in diesem Sinne.
Hoffentlich wird es mit solchen bezahlten, sachverständigen Kräften
gelingen, die traurigen Lebenschancen der Haltekinder in den grossen Städten
von Grund auf zu bessern. Neben diesem Punkte spielen andere, an sich
berechtigte Mittel zur Bekämpfung der hohen Ziehkindersterblicbkeit nnr eine
untergeordnete Rolle; ich meine eine scharfe Handhabung des MeHeWesens
durch die Polizei, sanitätspolizeiliche Obduktion bei allen Todesfällen von
Ziehkindern, Prämierung guter, bewährter Ziehmütter. Von Wichtigkeit ist
auch die Kontrolle derjenigen unehelichen Kinder, welche in Säuglingsheimen,
Waisenhäusern und Krippen untergebracht sind, durch den Kreisarzt. Nur
die allerwenigsten Heime genügen den Ansprüchen, die man an Säuglings¬
heime stellen muss. Ein Heim, auch für gesunde Säuglinge, muss fast noch
grosseren hygienischen Ansprüchen genügen, wie ein Krankenhaus. Sonst sind
die Resultate unendlich traurige. Es wird noch manches Jahr darüber vergehen,
ehe wir in Deutschland das beschämende Gefühl los werden können, im Punkte
der Säuglingssterblichkeit mit an der Spitze zu stehen, und ehe unsere grossen
Städte etwa in dem Masse für die unehelichen Kinder sorgen, wie das neuerdings
in Ungarn in so umfassender, grossherziger Weise geschieht auf Grand des
Gesetses vom Jahre 1898.
Diskussion.
Prof. Dr. Ungar-Bonn weist darauf hin, dass durch das strikte
Verbot des Austragens von Gegenständen während der Kirchenzeit in der
Lieferung von Kindermileh grosse Missstände entständen. Die Händler lieferten
jetzt Milch, die vom Abend vorher gestanden habe und bereits zersetzt sei.
426
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Regiernnge-Prtsident ▼. Balan erklärte, die Regierung habe sieh schon
mit der Sache befasst. Es sei eine neue Regelung der Sonntagsruhe an er¬
warten, und es seien Weisungen ergangen, solange die Polisei-Verordnung über
die Sonntagsruhe, wo sieh Missstände herausgestellt oder begründete Be¬
schwerden eingegangen seien, milde su handhaben.
Reg.- n. Med.-Rat Dr. Rusak weist auf die dankenswerte Arbeit von
Krautwig hin, der in klarster Weise die traurigen Mortalitätsverhältnisse
der Kinder, spez. der Haltekinder aufgedeckt, auch für COln. Diese sei auch
mit die Veranlassung gewesen, dass von Seiten der KOnigl. Regierung bereits
seit einiger Zeit über die Verbesserung der Verhältnisse der Haltekinder spes.
in COln verhandelt worden sei.
Dr. Esch- Waltrup-Cöln (Land) klagt darüber, dara das für die Pflege¬
kinder gezahlte Kostgeld su gering sei; ob es nicht mOglich sei, einen Minimal-
sats festsulegen, unter den nicht gegangen werden kOnne.
Dr. Med er-COln wünsoht eine Verfügung an die Polizeibehörden, nach
der dieselben sich vom Umzug von Pflegekindern aus einem Bezirk in den
anderen benachrichtigen sollen. Rs müsste alles versuoht werden, möglichst
alle Pflegekinder auch in die Listen und damit auch unter polizeiliche Aufsicht
su bringen, woran bis jetzt noch viel fehle. Sehr erwünscht wäre es, wenn
die Entbindungsanstalten allwöchentlich Namen und Entlassungsort der austre¬
tenden unehelichen Kinder der Polizeibehörde vertraulich mitteilten. Man
wisse dann gleich von vornherein, wo die Kinder geblieben seien. Der Direktor
der hiesigen Prov. - Hebammen-Lehranstalt habe sich auf seine Anregung hier
in entgegenkommenster Weise hierzu bereit gefunden.
Reg.- und Med.-Rat Dr. Rusak ersucht, diese Wünsche, über deren
Durchführbarkeit noch weitere Nachfragen ergehen müssten, schriftlich an den
Herrn Regierungs - Präsidenten einsureiohen.
IV. Eine Massenvergiftung mit Pilzen (Amanita phalloides).
Kreisarzt Geh. Med.-Rat Dr. Mörs-Mülheim. (Der Vortrag ist in der heu¬
tigen Nummer der Zeitschrift, s. S. 412 u. folg., veröffentlicht.)
Med.-Rat Prof. Dr. Ungar-Bonn machte noch besonders darauf auf¬
merksam, welches grosse gerichtliche Interesse die Fälle wegen der grossen
Aehnlichkeit mit Phosphorvergifung hätten. In schon etwas älteren Fällen
letzterer Vergiftung sei ja oft auch kein Phosphor mehr chemisch nachweisbar.
Nach Schluss der Versammlung fand noch eine Besichtigung der Irren¬
abteilang im Königlichen Gefängnis Klingelplitz dahier statt unter Führung
des leitenden Arztes, Gerichtsarzt Dr. Longard-COln.
Dr. Meder-COln.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Bakteriologie, Infektionskrankheiten und Öffentliches
Sanitätswesen.
Ueber die Untersuchung des Pockenerregers. Zur Erforschung
der Immunität durch Vaccination. Von Dr. Ka'lsuke Tanaka, Akita-
Ken, Japan. Zentralbl. f. Bakt., Parasitenkunde u. Infektionkrankh.; L Abt.,
Bd. 82, Heft 8/9.
Tanaka hält auf Grund seiner Untersuchungen den Erreger der Pocken
für ein Plasmodium. Er konnte in dem durch Punktion entleerten Pleura-
ezudat eines Pockenkranken durch Hinzufügen geringer Mengen Pockenlymphe
Präzipitation erzeugen.
Um den Termin des Eintritts der Immunität nach der Vaccination zu er¬
mitteln, hat Tanaka verschiedene Impflinge in bestimmten Zeitintervallen
nach der ersten Impfung einer zweiten Impfung unterzogen und dabei festge¬
stellt, dass bereits die 6 Tage nach der ersten Impfung erfolgte Wiederimpfung
bisweilen resultatlos verlief. Nach einem Intervall von 7—8 Tagen war das
negative Resultat der Wiederimpfung häufiger, nach einem Intervall von
9 Tagen die Regel. Man darf daraus schliessen, dass vom 9. Tage an der
Impfschutz voll ausgebildet ist. Dass aber auch schon am 4.-5. Tage nach
der Impfung ein gewisser Grad von Immunität erreicht wird, geht darans
hervor, dass die Impfpusteln, welche nach der am 4. bezw. 5. Tage nach der
Kleinere Mitteilungen and Referate au Zeitschriften.
427
ersten Impfang vollzogenen Wiederimpfung sieh bildeten, nnr schwach zur
Entwicklung kamen. _ Dr. Lenti-Berlin.
Beiträge nur Kenntnis der Nebenpocken im Verlaufe der
Vaecination, sowie der postvaccinalen Exantheme. Von Dr. Groth,
prakt, Arzt and Assistent der k. bayr. Zentralimpfanstalt. Münchener mediz.
Wochenschrift; Nr. 8, 1903.
Unter den Eigentümlichkeiten nnd vom normalen Verlaufe abweichenden
Erscheinungsformen der Vaecination beanspruchen hauptsächlich zwei ver¬
hältnismässig häufige Vorkommnisse allgemeines Interesse, die sogen. Neben¬
pocken (Vaccinolae) und die postvaccinalen Exantheme.
Die häufigste Erscheinung von Nebenpocken sind kleine, zumeist in der
unmittelbaren Umgebung des Impffeldes entstehende, die Grösse und typische
Form der wirklichen Pocken selten erreichende Pusteln, welche in der Regel
erst nach vollkommener Entwicklung oder eben erst überschrittener Reife der
eigentlichen Schntzpocken beobachtet werden.
Die gewöhnliche Ansicht, dass die Entstehung der Nebenpocken aus
oberflächlichen Verletzungen oder Verschleppungen des Impfstoffes, z. B. durch
Aufkratzen der Impfstellen mittels der Finger des Impflings, berzuleiten sei,
erscheint dem Verfasser nicht für alle Fälle gerechtfertigt, sondern er glaubt
entgegen der allgemeinen Anschauung die Entstehung der Nebenpocken in den
meisten Fällen einer Verschleppung von Keimen auf dem Lymphwege zusehreiben
zu müssen und zwar von Keimen, die nicht notwendigerweise das uns unbekannte
Vaoeinegift enthalten müssen.
Zur Stütze dieser Behauptung führt Verfasser einen kasuistisch sehr
interessanten Fall an.
Ein zweijähriges Kind wies am 7. Tage nach der Impfung 6 auffallend
schöne Blattern mit fast reizloser Umgebung auf. Einige Tage nach der
Kontrolle bildeten sich in der Umgebung der Impfpusteln zahlreiche kleine,
helle Bläschen, welche sich in den nächsten Tagen vergrösserten und mit den
inzwischen ebenfalls konfluierten Blattern eine zusammenhängende Hasse
bildeten. Gleichzeitig waren auch an anderen Körperstellen Bläschen aufgetreten,
die sieh allmählich vergrösserten, etc. Die Untersuchung des kräftigen, gut
genährten und reinlich gehaltenen Kindes ergab in bezog auf seine inneren
Organe nichts Bemerkenswertes; das Allgemeinbefinden war mässig gestört, am
rechten Oberarme entsprechend der Impfstelle ein zusammenhängender, nur
an den Rändern weissgelblicher, sonst dunkelbraunroter Schorf von etwa 8 mm
Länge und 6 mm Breite vorhanden mit dem typischen Aussehen der eintrocknenden
Impfpusteln in grösserem Umfange, fast ohne Sekretion. Der ganze Rand des
Schorfes bestand aus lauter kleinen Segmenten mit scharfen Einkerbungen und
liess somit deutlich seine Entstehung aus konfluierenden kleinen PuBteln
erkennen. Um diesen Schorf herum fanden sich ungefähr 12—14 weitere
Bläschen, welche angeblich erst in den letzten 2—3 Tagen aufgetreten waren.
Unter diesen Bläschen zeigten sich ältere mit einem Durchmesser von 2—3 mm,
etwas geröteter Umgebung, gelblicher Färbung, zum Teil mit einer leichten
Andeutung zentraler Delle und frischere, etwas kleinere Bläschen mit noch
ziemlich intensivem rotem Hof und hellem Inhalt. Die älteren Bläschen waren
dem Schorfe am nächsten und je frischer eine Pustel war, desto weiter war sie
von dem Schorfe entfernt. Ungefähr 2 cm weiter oben gegen die Scapula
zu zeigten sich 2 kleine rote Stippchen mit einer leichtblasigen Anlage in der
Mitte, die erst am 17. Tage erschienen sein sollten und die Anfänge zweier
neuer Postelchen erkennen Hessen. Der ganze Oberarm war, namentlich in
seiner vorderen, jtasseren Hälfte leicht gerötet und geschwellt, bei Druck nicht
schmerzhaft, ebensowenig die nicht fühlbaren regionären Lymphdrttsen. Weitere
8 Pusteln fanden sieh (ungefähr in der Mitte des rechten Oberarmes, mitten
auf dem Brustbein, sowie auf dem behaarten Kopfe je eine) mit einem Durch¬
messer von ca. 1 cm und in nichts von echten Impfpusteln unterscheidbar.
Verfasser erklärt sich das Entstehen der Pusteln in der Weise, dass durch
den Druck der harten Borke das unter ihr sich ansammelnde Sekret < in die
Lymphbahnen gepresst, in denselben weiter getragen wurde und in geringerer
oder grösserer Entfernung zur Ablagerung gelangte, hier Pusteln erzeugte etc^
Es handelte sich demnach zweifellos um einen Circulus vitiosus, und der Erfolg'
428
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
der Therapie mittelst Aufweichung und späterer Ablösung des Schorfes durch
einen fenentwarmen Verband bestätigte die Annahme vollkommen, da alsbald
der ganse Prozess zum Stillstand kam.
Verfasser möchte daher den Satz aufstellen, dass die sogen. Nebenpocken
in der unmittelbaren Umgebung der Sohutspocken nicht nur oberflächlichen
Kontinuitätstrennangen der Haut und von aussen erfolgender Infektion, sondern
in der Hehrsahl der Fälle einer Verschleppung von Keimen auf dem Lymph-
wege ihre Entstehung verdanken. Gerade ihre Entwicklung zu einer Zeit, in
der die Pastein nicht selten eine auffallende Tnrgeszenz zeigen, also ihr Inhalt
unter eiuem gewissen Drucke stehen muss, gibt der eben aufgestellten Ansieht
eine bedeutende 8tütze, während in einer späteren Zeit, in der die Pusteln
Öfters aufgeplatzt, aufgekratzt oder sonstwie beschädigt sind, das Sekret also
gewiss die Umgebung infizieren kann, keine Nebenpocken beobachtet werden.
Weiterhin ist man berechtigt, ihre Zugehörigkeit zu dem spezifischen
VacoinationBprosesse eine immerhin zweifelhafte zu nennen, da das Auftreten
der Nebenpocken unter Umständen, wie im vorliegendem Falle, noch längere
Zeit nach der vollen Entwicklung der originären Impfpocken stattfinden kann,
also von dem Eintreten der Immunität nicht abhängig ist. Eine zweite seltene
Art der Entstehung von Nebenpocken, deren Zugehörigkeit zur Vaccine jetzt
wohl ausser Frage steht, ist die Entwicklung von disseminierten Pusteln auf
der KOrperhaut, welche entweder zugleich mit den Impfpusteln oder auch im
Verlaufe der nächsten Tage (und zwar nicht immer alle gleichseitig) entstehen,
wobei es sich nicht mehr um eine lokale Affektion, sondern um eine Infektion
des Organismus mit Vaccine unter einem allgemeinen pustulOsen Exanthem
mit den typischen Merkmalen der Impfblattern handelt, die man in ihrer Er*
scheinungsform als „generalisierte Vaccine“ bezeichnet, eine im Gefolge der
Impfung auftretende Hautaffektion, die wir als direkten Ausfluss des
im Organismus tätigen spezifischen Virus auffassen müssen.
Verfasser fährt einen hierfür einschlägigen Fall an, in welchem ein Kind
2 Tage vor dem Kontrolltermine (also am 5. Tage nach der Impfung) an
hohem Fieber, Krämpfen und einem sich über den Körper ansbreitenden Aus¬
schlage erkrankte. Befund: Ueber die ganze Haut des Körpers zerstreut zeigte
sich ein vesikulöses Exanthem, das aus zahlreichen, hellen, rundlichen Bläschen
mit klarem Inhalt bestand, die ungleich gross (etwa hirsekorn- bis kleinerbsen-
gross) und von einem ihrer Grösse entsprechenden roten Hofe umgeben waren.
Sie fanden sich hauptsächlich im Gesichte, auf Brust und Bücken, weniger an
den Extremitäten, wo sie mehr einen papulösen Charakter zeigten. Massiges
Fieber, grosse Prostration. Die 5 schön entwickelten Impfpusteln waren fast
ohne Reaktion.
Später, d. h. nach ein paar Tagen, wnchsen die meisten Bläschen bis
zur Erbsengrösse, zeigten sämtlich leicht gelbliche Verfärbung und eine gut
aasgebildete zentrale Delle, kurz beschaffen, wie die typischen Impfpusteln;
das Allgemeinbefinden besserte sich bald nnd der Heilungsverlauf war ein guter.
Die Ansichten der Autoren, was man unter generalisierter Lymphe
versteht und welche Affektionen post vacoinationem diesen Namen verdienen,
sind sehr geteilt. Die meisten Autoren bezeichnen alle allgemeinen Exantheme
nach der Impfang als generalisierte Vaccine (so das Erythema vaccinicnm
oder die Roseola vaocinica, Eruptionen in der Form von Urticaria, eines
Erythema exsudationnm multiforme oder Hantaffektionen vesikulöser Art).
Diese Exantheme sind viel häufiger, als man glaubt und treten ganz un¬
abhängig von der Impfstelle manchmal über den ganzen Körper verbreitet,
wenigstens an ausgedehnten Hautstrecken und als Beweis für ihre häma¬
togene Entstehung in symetrischer Anordnung auf.
Nach einer andern Anschauung gelten alle diese Exantheme zwar als
Ausdruck einer allgemeinen Infektion oder Intoxikation, sind aber nicht hervor¬
gerufen durch den spezifischen Mikroorganismus oder seine Stoffwechselprodukte.
Die Frage, auf welche Weise wir erkennen, dass irgend eine der sehr
häufigen Hautaffektionen nach der Vaccination dem Vaccinevirus selbst seine
Entstehung verdankt oder anderen der Lymphe beigemengten und zur Resorption
gelangten Mikroorganismen resp. deren Stoffwechselprodnkten, lässt sich zur
Zeit noch nicht beantworten. Wir werden den Begriff der generalisierten
Vaoeine etwas weiter fassen müssen als dies geschieht, wenn man als solche
nur mit typischer Pustelbildung einhergehende Hautaffektionen bezeichnet.
Kleiner« Mitteilungen und Referate an« Zeitschriften.
429
Die Putelbildung Ist nar die ansgesprochenste and sogleich seltenste Form
der generalisierten Vaccine.
Wann wir aber das Recht haben, ein allgemeines Exanthem als
generalisierte Vaccine za beseiohnen, ist mit Sicherheit nnr in den Fällen za
beantworten, in denen eine Ernption von Blasen mit den typischen Merkmalen
der Impfpusteln gegeben ist, eine Sicherheit, die durch erfolgreiche Ueber-
impfnng an einer absolut unanfechtbaren werden kann. Für alle andern
Exantheme bleibt es vorläufig mehr oder weniger der persönlichen Anschauung
des Autors überlassen, ob er den Begriff der generalisierten Vaccine eng
begrenzen will oder, wie viele andere Autoren, auf alle Allgemeinexantheme,
welche im Anschluss an die Impfang entstehen, ausdehnen will.
Es ist dagegen unrichtig von generalisierter Vaccine zu sprechen, wenn
die Pusteln sich auf einem anderen Wege als auf dem der Blutbahn, also
nicht von innen heraus, sondern durch direkte Uebertragung an versebie-
denen Stellen des KSrpers gebildet haben.
Das Auftreten der generalisierten Vaccine hängt höchst wahrscheinlich
weniger von einer besonderen Beschaffenheit der verwendeten Lymphe, s. B.
ihrer hochgradigen Virulenz ab, als vielmehr von einer individuellen Disposition
des Impflings.
Hautkrankheiten, wie s. B. das ehronisohe Ekzem, scheinen eine ent*
sehiedene Begünstigung für die Bnstehung der generalisierten Vaccine zu
liefern, doch sind auch hier über die Art der Verbreitung der Lymphe — ob
durch direkte Uebertragung (Autoinoculation) oder durch Blutinfektion — die
Akten noch nicht geschlossen. Verfasser machte den Versuch, auf statistischem
Wege festzustellen, wie oft in 16 Jahren bei 2285579 Erstimpfungen
generalisierte Vacoine mit Pustelbildung beobachtet wurde und
fand dieselbe nur in 50—60 Fällen vor, ohne aus diesen Zahlen einen anderen
Schluss ziehen zu wollen. Der Ausgang der generalisierten Vaccine ist in den
reinen unkomplizierten Fällen stets ein guter. Bei den mit Ekzem komplizierten
Fällen ist die Prognose eine wesentlich schlechtere.
Die dritte Art, auf welche Impfpusteln an anderen Stellen des KOrpers
zur Entwicklung gelangen, als an den vom Impfarzt selbst gewollten, ist die
am häufigsten beschriebene direkte Uebertragung des Impfstoffes durch Auf*
kratzen der Impfstellen durch die Finger des Impflings oder durch das spontane
Aufbrechen der gefüllten Pusteln und Infektion kleiner, oberflächlicher, in
vielen Fällen kaum wahrnehmbarer Schrunden, Erosionen, ekzematösen und
intertriginüsen Stellen der Haut.
Hierher gehören auch die Fälle von Uebertragung der Vaedne auf
andere Personen (Mutter, Geschwister, Pflegerinnen etc.). Auch diese Fälle
gestatten meist eine gute Prognose; eine schlechtere, in allen ausgebreiteteren
and schweren Fällen sogar dubiöse Prognose gibt jedoch unzweifelhaft die
Komplikation des Vaccineprozesses mit Ekzem und zwar sowohl für die ge¬
impften Kinder seihst, als auch für die, welche durch Berührung mit solchen sich
eine Vaccineinfektion zugesogen haben.
Verfasser geht zum Schlüsse nochmals auf das Zusammentreffen von
Vaccine mit Ekzem ein und erklärt den Einfluss der Vaccination auf das
Ekzem entschieden als ungünstig, wenn auch einzelne Beobachtungen vorliegen,
wonach das Ekzem nach Ablauf der intensiven Erscheinungen einer auffallenden
Besserung, ja sogar Heilung entgegenging. Verfasser hält die Gefahr immerhin
für grösser als den Nutzen; denn die Lokalisierung des Vaedneprosesses
auf den Boden des Ekzems öffnet jeder Infektion von aussen Tor und Tür,
wodurch sich in einigen Fällen ein dem septischen Symptomenkomplexe voll¬
kommen identisches Krankheitshild mit letalem Ausgange entwickelt. Man
muss daher jedes Kind vor der Impfung genau untersuchen und im Falle
dasselbe eine Hautaffektion, wie Ekzem, Impetigo, Pruritus aufweist, von der
Impfang znrückweisen. _ Dr. Weibel-Kempten.
Ueber eine Conjunktivitis - Schulepidemie nebst einigen allge¬
meinen Bemerkungen über ärztliche Anordnungen bei Schulepidemien.
Von Dr. med. Zia, k. ottom. Militärarzt, kommandiert zur Univ.-Augenklinik
in Marburg. Münchener med. Wochenschrift; 1908, Nr. 7.
In Marburg war im September vorigen Jahres in der höheren Töchter¬
schule angeblich eine schwere Epidemie von Bindehauterkrankung aufgetreten.
480
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Eine Schülerin stand wegen einer ekzematösen Hornhanterkranknng in
klinischer Behandlung, wobei sie regelmässig 2 Schnlstnnden versäumte. Nach
einigen Tagen kamen anch ihre Schalnachbarinnen und klagten über Brennen
and leichtes Tränen der Augen, sowie über Beschwerden bei der Naharbeit,
ohne dass man objektiv eine wesentliche Erkrankung der Augen feststellen
konnte. So kamen nach and nach 41 Schülerinnen, welobe angeblich erkrankt,
besw. von ihren Naohbarschülerinnen sich angesteckt wähnten. Unter diesen
41 Schülerinnen seigte nur eine einzige Schülerin eine trachomverdächtige
Bindehaut, welche sich in späterem Verlaufe als Schulfollikularis beransstellte.
Als später die Epidemie immer mehr am sich greifen and anch einige
Schüler des Gymnasiums, deren Schwestern angeblich augenkrank waren, er*
fassen wollte, wendete sich die Augenklinik an den Herrn Schuldirektor mit
dem Vorschlag: Es sollten die über ihre Angen klagenden Schüler in die Klinik
geschickt, aber keiner vom Schulbesuche befreit, sondern in die ersten Bänke
gesetzt und möglichst oft aufgernfen werden. Dadurch war die drohende
Epidemie im Keime erstickt and kam nach diesen Massnahmen kein einziger
Schüler mehr in die Klinik.
Die Untersuchung der beobachteten Fälle ergab, dass es sich bei ein*
zelnen überhaupt Erkrankten in mindestens */io der Fälle nur am eine Follikel¬
vermehrung in der Bindehaut ohne Katarrh, bei einzelnen um eine Conjunkti-
vitis follicularis gehandelt hat und dass die scheinbare Infektion lediglich eine
psychische Infektion darstellte.
Verfasser zieht aus diesen und anderweitigen Erfahrungen folgende
Schlüsse:
Da man nach den von der Regierung aufgestellten Regulativen durchaus
berechtigt war, bei einzelnen der beobachteten Fälle von leiohtem Trachom
zu sprechen und deshalb dem Sohuldirektor nichts anderes übrig blieb, als
sämtliche über ihre Augen klagenden Schüler wegzuschicken bezw. ihnen den
Sohulbesuch zu verbieten bis zum Beibringen eines entsprechenden Attesten,
wonach von Beiten ihrer Angen keinerlei Ansteckungsgefahr vorlag etc., be¬
dürfen die von der Regierung aufgestellten Regulative einer baldigen, bereits
von Gr eef früher betonten Abänderung im Sinne des dualistischen Standpunktes.
Es ist notwendig, sofort beim Beginn von Sohalepidemien mit dem
Direktor der Schale in Verbindung zu treten and ibn nach allen Richtungen
hin zu orientieren.
Sogleich beim Beginn der Epidemie ist die Frage zu erwägen, ob nicht
die Schulklasse in der die Epidemie ausgebrochen ist, oder bei gleichzeitigem
Beginn in mehreren Klassen die ganze Schule einer Untersuchung zu unter¬
ziehen ist, event. mit einem erfahrenen Augenärzte. Das Resultat der Unter¬
suchung nebst Direktiven wird dem Herrn Schulvorstand mitgeteilt, welcher
nur den nötigen Anordnungen Folge geben darf.
Trachomverdächtige Fälle und solche, bei denen die Conjunktiva ein
pathologisches Sekret absondert, werden zweckmässig isoliert gesetzt und einer
Behandlung unterworfen.
Bei lediglich psychischer Infektion dürften pädagogische Massnahmen
rasch zum Ziele führen. Irgendwelche Konzessionen an die erkrankten 8ohüler
sind ärztlicherseits durchaus zu vermeiden.
Der Schulschluss ist nicht nur unnötig, sondern meist verkehrt, ja er
kann schädlich sein.
Fast immer handelt es sich bei den Sohalepidemien, die den Verdaoht
einer trachomatOsen Erkrankung aufkommen lassen, um durchaus harmlose
Erkrankungen, bei denen eine Infektion von Schüler zu Schüler höchst unwahr¬
scheinlich ist.
Aber auch bei wirklichem Trachom ist Schulschluss zu widerraten, da
auch hier die Gefahr der Uebertragung sehr gering ist, jedenfalls sich ver¬
meiden lässt, da ferner die Gefahr der Infektion der Schüler zu Hause eine viel
grossere ist, und ein Schulschluss, wenn er überhaupt von Nutzen sein soll,
sich auf lange Zeit erstrecken müsste.
Schüler, bei denen Trachom mit Sicherheit festgestellt ist, sind zweck¬
mässig isoliert zu setzen und einer Behandlung zu unterziehen. Die Behand¬
lung lässt sich von der Schule aus regelmässiger gestalten als von zu Hause aus.
Besteht Absonderung nennenswerten Grades, so sind die Kinder vom
Schulbesuche aussuschliessen, da eine Ansteckung beim Trachom nur durch
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
4SI
8ekretübertragung erfolgt. Bai den dnreh Pneumokokken oder Koch-
Weeekssche Bazillen hervorgerufenen Schalepidemien sind die erkrankten
Schiller isoliert za setzen. Die Schiller mit stärkerer Absonderang sind von
der Schale fernsahalten. Falls eine grössere Zahl von Schillern erkrankt
ist, so durfte ebenfalls deren Ansschiass Ton der Schale oder das Schlüssen
der Schale fUr kurze Zeit in Erwägung za ziehen sein.
Letztere Epidemien entstehen nicht selten plötzlich, dagegen spricht
ein plötzliches Einsetzen einer Epidemie mit grösster Wahrscheinlichkeit gegen
Trachom.
Prophylaktisch sind Anweisungen zur Reinlichkeit, besonders anch za
öfterem Händewaschen, Abreiben der Schulbänke, Türklinken etc. zu empfehlen
and der Gebrauch gemeinsamer Wasehatensilien and Handtücher zu vermeiden.
_ Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Die Lösung der Sehularztfrage auf dem Lande. Von Kreisarzt
Dr. Heinrich Berger in Hannover. Zeitschrift für Schnlgesundheitspflege;
1908, Nr. 1.
Der Kreisarzt ist zom Kreisschalarzt bestellt. Seine Tätigkeit ist im
wesentlichen eine periodische, fünfjährige. Die Beaufsichtigung der Schal¬
ei nrich tan gen kann wohl in diesem Zeiträume stattfinden, nicht aber der
Gesundheit der Schalkinder, ihrer körperlichen nnd geistigen Reife beim
Eintritte in die Schule u. s. w. Die Lösung der Schalarztfrage auf dem
Lande erscheint aber dem Verfasser nicht schwer. Nach seinem Vorschläge
wäre der Kreis in Distrikte einznteilen, z. B. ein Kreis von 30000 Einwohnern
in 8. Für jeden dieser wäre ein Distriktsarzt anznstellen, wozu die dort
wohnenden Aerzte sich wohl eignen würden. Eine besondere Besoldung dafür
wäre nicht nötig, wenn der Bezirksarzt in seinem Bezirke Impfarzt, Schalarzt
und Vertrauensarzt ist. Als Schalarzt würde er für etwa 700 Kinder
160 Mark bekommen, was für den gewählten Kreis eine Aasgabe von nur
1200 Mark bedeutet. Die mit den Verhältnissen ihres Distriktes wohlver-
trauten Aerzte könnten auf hygienischem Gebiete viel Gates stiften. Als
Schulärzte hätten sie die neueingetretenen Schulkinder im April and sämtliche
Schulkinder zu Weihnachten za untersuchen, zwischen Weihnachten nnd Ostern
gemeinsame Konferenzen mit dem Kreisarzt abzahalten, Kataster Uber die
ansteckenden Krankheiten unter den Schalkindern za führen and jährliche
summarische Berichte an den Kreisarzt zu erstatten, auch die Scbuleinrich-
tangen jährlich einmal, mit Berücksichtigung der Ergebnisse der letzten Be¬
sichtigung durch den Kreisarzt zu besichtigen. Dr. Glogowski-Görlitz.
Da« Bedürfnis nach Schulärzten für die höheren Lehranstalten.
Von Oberlehrer K. Boiler in Darmstadt. Hamburg u. Leipzig 1902. Verlag
von Leopold Voss. Gr. 8°; 62 S. Preis: 0,b0 M.
Verfasser, der ja wiederholt für die Notwendigkeit der Anstellung Yon
Schulärzten plädirt hat, stellt nochmals sämtliche Gründe, die für die An¬
stellang derselben an den höheren Schulen sprechen, zusammen. Von einem
kurzen Abrisse der Geschichte der Schalarztfrage aasgebend, zeigt er, dass die
Kreisärzte bei ihrer sonstigen, sehr umfangreichen Tätigkeit nicht im stände
sind, der Schulhygiene soviel Aufmerksamkeit zu widmen, wie es für die ge¬
deihliche Entwicklung der Schulverhältnisse in gesundheitlicher Beziehung
nötig wäre. Er hält daher die Anstellung besonderer Schulärzte auch an den
höheren Schulen für absolut notwendig, verlangt aber andernfalls, dass die
Lehrerschaft hygienisch soweit ausgebildet werde, um im stände zu sein, bei
der Beobachtung der gesundheitlichen Verhältnisse der Schule mit Erfolg mit¬
zuwirken. Er zeigt, dass bei dem allergeringsten Entgegenkommen und bei
einem taktvollen Verhalten des Schularztes ein durchaus gutes Verhältnis
beider Parteien zu einander und damit ein gedeihliches Wirken für die Schule
sich leicht ersielen lässt, üeber die Einzelheiten des Wirkens der Schulärzte,
wie sie Boiler zusammenstellt, glaube ich hinweggehen zu können, da die¬
selben ja wiederholt an dieser Stelle besprochen worden sind.
Dr. Sobrakamp-Düsseldorf.
483
Kleinere Mitteilungen und Referate au Zeitschriften.
Dia Beaufsichtigung der Schulen und das neue englische Unter-
riehtSgesets. Von Dr. £ Meredith Richarde. Public health; 1902/8,
XV., Seite 121.
Der Verfasser betont die Pflicht des Gesundheitabe&mten, die Schul¬
hygiene nicht au vernachlässigen. Es bestehe sonst die Gefahr, „dass wir
vergessen, dass wir in erster Linie Aerzte sind“, und das Publikum sei
am Ende zu der Ansicht berechtigt, „dass wir weiter nichts als Gesundheits¬
inspektoren seien, mit Sinn für Zahlen nnd einer au zweiter Hand geschöpften
Kenntnis der Abfuhreinrichtungen“.
Der neue Unterrichtsgesetzentwurf bietet die passende Gelegenheit zu
einem Rückblick *) und zu Vorschlägen, die Verhältnisse zu bessern.
Zur Zeit hat der Medizinalbeamte nicht das Recht, die 8chulräume zu
betreten; er darf nur erkrankte Kinder vom Schalbesuch aussobliessen, oder
Schalen beim Eintritt von Epidemien sohliessen. Nur einige Schulbehörden
haben Medizinalbeamte angestellt; freiwillig haben sich Lehrer anderer Schulen
erboten, dem beamteten Arzte nichtanzeigepflichtige Infektionskrankheiten
und das Auftreten verdächtiger Symptome unter den Schulkindern zu melden.
Da meistens die Lehrer den durchschnittlichen Sohulbesuch auf seiner
HOhe zu halten suchen*), so ist solches Entgegenkommen eine Ausnahme;
meist bat der Gesundheitsbeamte keinen Ueberbliok Ober den je¬
weiligen Stand der Infektionskrankheiten der Sohfller ud der
Besuoh des Gesundheitsinspektors*) wird als „Eindringen“ angesehen.
Der Autor fordert nun, dass die in dem neuen Gesetzentwürfe vorge¬
sehenen Unterriohtskommissionen dahin belehrt werden sollen, dass sie
in gesundheitlichen Fragen den Rat und die Mitarbeit des von der Unterriohta-
behOrde angesteliten beamteten Arztes in Anspruch nehmen. Der Distrikts-
medisinalbeamte sollte alle Öffentlichen Schulen besichtigen. Das Ergebnis
sollte an das Unterriohtsamt berichtet werden, eine Abschrift an den Graf-
sehaftsgesundheitsbeamten gehen, der die Unterriohtskommissionen seines Graf-
sohaftsrates danach informieren konnte. Ebenso wie Fabriken und Werkstätten
Zeugnisse der OrtspolizeibehOrde anfweisen müssen, dass sie etwa bei Fenen-
gefahr genügende RettungsmOglichkeit bieten, so sollte jede Schule von der
Behörde auf GrOsse, Art der Aborte, Wascbeinrichtnngen und deren Zustand
untersucht werden; auoh die Zahl der Tage, an denen „Ueberfüllung“ eingetreten
war, Heizung, Lüftung, Wände, Wirkung der täglichen und periodischen
Reinigung, Zustand der Spielplätze und HOfe, Wasserversorgung wären zu
berücksichtigen.
Sagt uns mit diesen Forderangen der Verfasser wenig Neues, so moti¬
viert er die Forderung nach Beamten, die dem Medizinalbeamten unterstellt
sind (attendance officers) auf recht einleuchtende Weise. Diese würden kleinere
Missstände sofort bemerken, konnten im geeigneten Augenblicke passende
Winke zur Abhilfe geben, würden die Fälle anzeigen, wo die Ortspflegerin
ihren Besuch im Hause der Eltern zu machen hätte, würden auch bei den
Eltern die gesetzlichen Vorschriften nnd geeignete hygienische Regeln zu ver¬
teilen haben.
Obwohl §. 86 des zur Zeit massgebenden Day-scbool Gode der Scbul-
behOrde das Recht zur Beaufsichtigung in hygienischen Dingen gibt, wird er
nicht so gehandhabt, dass die Öffentlichen Volksschulen sieh in befriedigenden
sanitären Verhältnissen befinden. Dr. Mayer-Simmern.
Schule und Rttckgratsverkrttmmungen. Von Privatdozent W.
Schultess in Zürich. Hamburg und Leipsig. Verlag von Leopold Voss.
Mit 6 Abbildungen im Text. 89 S. Preis: 0,80 M.
Sch. bespricht den Einfluss der Schule auf die RUekgratsverbrflmmungen.
Es handele sich hier um WachstnrnstOrangen des Skelettes, die anf mechanische
Einflüsse zurflokzuführen sind oder funktionellen Ursprungs sein können.
Dr. 8ohrakamp-Düsseldorf.
‘) VergL Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1902, S. 682.
*) In der Befürchtung, den vom Parlamente ausgesetzten Zuschuss zu
verlieren, obwohl derselbe nicht bloss bei Epidemien, sondern auch bei ver¬
dächtigen Fällen gezahlt wird.
*) Vergl Wernioh und Wehm er: OeffentL Gesundheitswesen; S. 887.
Kleinere llitteilangen and Heferate ans Zeitschriften. 488
Tuberkulosebekämpfung und Schule. Von Dr. Windheuser In
Zell a./Mos. Ebendaselbst. 24 8.
Verfasser betont, dass wahrend der 8ehnljahre der jugendliche Körper
in besonderem Masse für Erkrankungen, namentlich für die Taberknloee dispo¬
niert, anderseits der Geist für Belehrungen besonders aufnahmefähig sei. Die
Sehule sei darum der Ort, wo eine Bekämpfong der Taberknloee durch Wort
und Tat stattsufinden habe und wo der Kampf selbst in richtiger Weise ein-
setsen müsse. Dr. Schrakamp -Düsseldorf.
Nervöse Schulkinder. Von Dr. B. Land an, Sehul erst in Nürnberg.
Ebendaselbst. 48 8. Preis: 0,80 Mark.
L. zeigt, wie sehr mit dem hastigen Leben unserer Zeit die Zahl der
nervösen Kinder zunimmt, wie man Zustanden jetzt bei Kindern gar nicht
selten begegnet, welche man früher nur bei Erwachsenen kannte. Er zeigt
ferner, wie die Zahl und die Intensität der Nervenstörungen sich mit der
Ziffer der surückgelegten Schuljahre steigert, wie zu den subjektiven die
objektiven Erscheinungen sich hinsugesellen, bis schliesslich vielfach das Bild
der ausgesprochenen Hysterie zu stände kommt, welche ansteckend wirken and
ganze Sohulepidemien herbeiführen kann. Auch die Aetiologie und Therapie
dieser Erscheinungen würdigt er in ausgiebiger Weise.
Dr. Schrakamp-Düsseldorf.
Ein Beitrag nnr Frage nach den Ursachen der Minderbegabung
von Schulkindern. Von Dr. Wegen er, Physikus in Wasungen i/Th.
Zeitschrift für Schulgesundheitspflege; Nr. 11, 1902.
Der Verfasser untersuchte die Knaben der sogen. Nachbilfeklasse seines
Wohnortes auf die Ursachen ihrer Minderbegabung. Die Klasse besteht seit
7 Jahren und wurde zur Zeit der Untersuchung von 26 Knaben und 10 Mädchen
besucht; da die gesamte Stadtschule damals 687 Schüler, Knaben und Mädchen
hatte, war das Verhältnis der Minderbegabten ein aussergewObnlich hoher.
Von den 25 Knaben zeigten 16 eine mangelhafte körperliche Entwickelung,
Anzeichen schwerer überstandener oder noch bestehender Bhachitis und 8krophulose,
einer war jahrelang angenkrank (sorophulOs P) gewesen. Bei dreien war die
Minderbegabung entschieden durch ein Trauma erworben — zwei Mal Fall vom
Fotterboden der Scheune, ein Mal Steinwurf und Sensenhieb, die am Schädel
auffallende, 5—7 cm lange Narben, teilweise mit darunter fühlbarer Knochen-
Verdickung bewirkt hatten. Weitere 2 Knaben stammten von Potatoren, sittlich
völlig verkommenen Individuen. Drüsige Wucherungen im Nasenrachenräume
fanden sich bei 4 Knaben.
Verfasser findet die Ursachen in der durch mangelhafte Ernährung ent¬
standenen Degeneration und Dekrepidität der Eltern (es herrschten bis vor
wenigen Jahren dort trostlose soziale Verhältnisse), in den durch die Armut
bedingten ungesunden Wohnungsverhaltnissen sowie in der verkehrten Ernährung
des Säuglings und Kindes. Diese führten zu angeborenen Mangeln durch Ver¬
erbung und, zum Teil, zu erworbenen Mangeln und dadurch bedingten Krank¬
heiten, unter denen Blutarmut, englische Krankheit, Drüsenanschwellungen,
chronische Magenkatarrhe besonders häufig sich zeigten.
Da die sozialen Verhältnisse sich in den letzten Jahren dort sehr
gebessert haben, so erhofft Verfasser eine wenn auch langsame, so doch stetige
Abnahme der erschreckend hohen Zahl der Schwachbegabten, sofern eine Auf¬
klärung der Eltern bezüglich der Hygiene des Säuglings- und Kindeealters,
der eigenen Ernährung, der Wohnungsverhältnlsse etc. stattfindet.
_ Dr. Glogowski-GOrlitz.
Ueber die Gefährlichkeit der Schultinte. Von Dr. B. Heymann,
Assistent am hygienischen Institut in Breslau. Zeitschr. f. Schulgesundheits¬
pflege; 1903, 2. Heft.
Im Februar 1901 veröffentlichten die „Schweizerischen Blätter für Ge¬
sundheitspflege* eine Warnung vor der Schultinte (abgedruckt ln der Zeit¬
schrift für Schulgesundheitspflege, Bd. XIV, S. 186), in welcher besonders noch
ausgeführt wurde, dass unbedeutende Stiche mit einer in Tinte getauchten
Feder Blutvergiftung und den Tod der betreffenden Person zur Folge hatten.
484
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Die Warnung führte an amtlichen Verfügungen, in denen die Lehrer ange¬
wiesen wurden, die Kinder vor einer gesnndheitssohftdliohen Verwendung der
Schultinte nach Möglichkeit za bewahren. Nach Angabe des Verfassers ist
ttber die vorliegende Frage nnr eine einzige Arbeit bisher erschienen, und
zwar von Marpmann, der auf Grund seiner bakteriologischen Untersuchungen
zu dem Schlüsse kam, dass die erwähnten Blutvergiftungen auf pathogene
Bakterien zorücksuführen seien, die sich in den verschiedensten Tinten ent*
wickeln können. Auf Anregung von Prof. Flügge prüfte Heymann diese
Frage nach. Br hält weder die Versuchsauordnungen Marpmanns, noch
die gegebenen Schlüsse für einwandsfrei. Er kommt vielmehr auf Grund bak¬
teriologischer Untersuchung der verschiedenen in unseren Schulen gebrauchten
Tinten zu folgenden Ergebnissen: »Die gebräuchlichsten Tinten be¬
herbergen weder in frischem Zustande, noch bei längerem
Gebrauch gesundheitsschädliche Mikroorganismen und ent¬
falten insbesondere gerade den Erregern von Blutvergiftungen
gegenüber eine sehr grosse desinfizierende Wirksamkeit. Wenn
sich gleichwohl gelegentlich schwere septische Erkrankungen an Schreibfeder-
stiche anschliessen, so sind diese zweifellos entweder auf die Einschleppung
pathogener Keime von der Hautoberfläche im Augenblicke der Verletzung oder
auf eine nachträgliche Infektion der Wunde, insbesondere daroh Aussaugen
mit dem Munde oder Berührung mit unsauberen Taschentüchern und Fingern
zurückzuführen. Eine nachteilige Wirkung der Vorgefundenen Mikroorganismen
auf den Magen durch Ablecken eines Tintenkleckses ist undenkbar. Die
Sohultinte stellt vielmehr ein in kleinen Mengen völlig un¬
gefährliches, von pathogenen Mikroorganismen freies Prä¬
parat dar, dem gegenüber keine anderen Massregeln erforder¬
lich sind, als die der Wohlerzogenheit und Sauberkeit.
_ Dr. Glogowski -Görlitz.
Zur Lösung der Schultafelfrage. Von Dr. 0. Lange, Augenarzt
in Braunsohweig. Zeitschrift für Sohulgesundheitspflege; Heft 11, 1902.
Die technischen und hygienischen Mängel der bisher in den Schulen noch
fast allgemein gebräuchlichen Schiefertafel sind von allen Seiten anerkannt,
u. a. auch von dem bekannten Sehulhygieniker Prof. Dr. Hermann Cohn in
Breslau. Der Verfasser interessierte sich als Augenarzt für diese Frage und
konstruierte eine weisse Schreibtafel, die folgende Vorzüge hat:
1) sie ist sehr dauerhaft (aus Zelluloid angefertigt), fast unzerbrechlich,
ohne Bahmen und wiegt nur 46 g;
2) sie ist weiss resp. gelblich weise;
8) sie ist matt und gibt keinerlei Reflexe;
4) die Liniatur ist glatt und sehr dauerhaft;
5) geschrieben wird auf der Tafel mit einer spitzen, mittelweiohen
Stahlfeder und schwarzer Tinte, oder mit einem mittelweichen, schwarzen
Schreibstift; die Schrift ist mit einem nassen Schwämmchen ganz leicht nnd
spurlos ab wischbar (wird mit einem Bleistift geschrieben, so ist die Ent¬
fernung nur mit grauem Knetgummi möglich);
6) die Tafel wird, wenn das Schreiben, wie es sich gehört, ohne Druok
stattfindet, von der Stahlfeder und dem Stifte nicht angegriffen, das Schreiben
erfolgt ganz geräuschlos;
7) die Schriftzüge verwischen sich nicht bei Berührung mit anderen
trockenen Gegenständen;
8) nach längerem Gebrauche können unansehnlich gewordene Tafeln mit
leicht verdünntem 8piritus bezw. mit Sandpapier wieder wie neu hergestellt
werden.
Die Tafel ist hauptsächlich als Tintentafel gedacht, entsprechend
dem Bestreben vieler Schulmänner, den ersten Schreibunterricht gleich mit dem
definitiven Schreibmaterial, d. h. mit Feder und Tinte, beginnen zu lassen.
Da die bisherigen Tintensorten für diese Tafel nicht verwendbar sind, hat
Lange eine neue geeignete Tinte hergestellt, die auch für Papier sehr gnt
ist; sie ist ungiftig, ihre Flecken aus Wäsche und dergl. durch Wasser leicht
zu beseitigen. Der vom Verfasser angegebene Schreibstift ist weich,
nioht brüchig, schwarz, mit einem nassen Lappen leicht abwisohbar. Tafel
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
486
und Tinte können vorläufig nur von der Papierhandlung Carl Fischer
in Braunschweig bezogen werden. Der Preis der Tafel ist ziemlich hoch
(75 Pfennig), er wird jedoch dnreh die Unzerbrechlichkeit des Materials wieder
eingebracht, während die Schiefertafeln bald zerbrochen werden. Der Schreib¬
stift wird erst später zu haben sein.
Die geschilderte Tafel etc. wurde von mehreren Lehrern an verschiedenen
Klassen der Braunschweiger Bürgerschulen unter ungünstigsten äusseren
Verhältnissen längere Zeit hindurch erprobt. Die im Aufsätze wörtlich ver¬
öffentlichten Gutachten der Beobachter stimmen darin überein, dass mit dieser
Tafel die so lange viel umstrittene Sohulschreibtafelfrage gelüst sein dürfte.
_ Dr. Glogowski-Qürlitz.
Die Hygiene der Schulbank. Von Dr. Hans Sack. Verlag von
Wie&andt & Grieben. Berlin 1902.
Verfasser hat das Verdienst, die in einer waren Flut von Broschüren
niedergelegten Anschauungen über die Schulbankfrage zum ersten Male kritisch
gesichtet und in erschöpfender Darstellung zu einem vorläufigen Abschlüsse
gebracht zu haben. Der Inhalt der wissenschaftlich durchdachten und bei
aller Knappheit flüssig geschriebenen Arbeit ist in grossen Zügen folgender:
Aus anatomischen und physiologischen Erwägungen Uber die Körperhaltung
in der Schulbank leitet Verfasser feste Normen her für die Höhe des Sitzes,
die Breite des Sitzbrettes, Entfernung zwischen Pult und Sitzbrett, den Lehnen¬
abstand vom Pulte und die Form der Lehne. Dabei wird dem alten Parade¬
pferde der meisten Schulbankdoktoren, der Minusdistanz, gründlich der Garaus
gemacht und an die Stelle der „Distanz“ der „Lehnenabstand“ gesetzt-
Weitere Erwägungen ergeben die Notwendigkeit des seitlich verkürzten Sitz¬
brettes und des seitlich verschobenen Tintenfasses (für je zwei Schüler). Die
Erörterung über die Luftverhältnisse im Schulzimmer führt im Verein mit
obigem zur Forderung der zweisitzigen Schulbank als der Schulbank xax’ 4xoxvjv,
die mit erhöhtem Fassbrett versehen und behufs gründlicher Beseitigung des
Schulstaubes umlegbar sein soll. Die folgenden Kapitel „Beleuchtung der
Sohülerplätze“, „Geschlechtliche Verirrungen der Schüler“ und „Sanitäre Für¬
sorge für den Lehrer“ bringen noch Hinweise auf die Konstruktion des Pultes
bezw. bestätigen die Dichtigkeit der erstgenannten Forderungen.
Leider musste sich Verfasser auf die Hygiene der zweisitzigen Schulbank
beschränken, weil für ihn diese allein „hygienisch“ ist. Das ist bedauerlich;
denn wir werden noch lange mit der mehrsitzigen Bank zu rechnen haben.
Abgesehen von dem Kostenpunkte — die mehrsitzige kostet 3—4 M., die zwei¬
sitzige Bank über 8 M. pro Sitz — ist der Einführung der letzteren hinderlich,
dass sie einen grösseren Klassenraum beansprucht: ich habe ein Mehr von
10—15 0 / 0 herausgemessen. Aber Suck’s Forderungen sind für den Sach¬
kundigen leicht auf die mehrsitzige Bank zu übertragen, soweit sie eben über¬
tragbar sind. Sonst wäre für eine Neuauflage der recht verständigen, mit
schönem Vortrage geschriebenen Arbeit ausser der Ausmerzung einiger Sprach-
gebrechen (wie „Verdrehung der Augenachse“ S. 21) und Druckfehler (Tab.
S. 20) nur eine vollständigere Quellenangabe zu wünschen. Besonders im ana-
tomisch-physiologischen Teile entbehrt man dieselbe, zumal hier die eine oder
andere Aeusserung der Revision bedarf.
Das beeinträchtigt aber nur unwesentlich den Wert der ganzen Arbeit,
die dem mit der Schulaufsicht betrauten Medizinalbeamten ein wertvoller
Instrukteur sein wird; findet er doch hier mit der Schulbankfrage nahezu die
gesamte Hygiene des Sohulzimmers aufs innigste verwebt. Diesem sei die
Monographie in erster Reihe und aufs wärmste empfohlen.
Dr. Suessmann-Petrzkowitz.
Eine Bemerkung über die Verwendung stanbbindender Fnss-
bodenöle in Schulrftumen. Von Prof. Dr. Rühl, Stadtschulrat in Stettin.
Zeitschrift für Schulgesundheitspflege; Heft 10, 1902.
Prof. Rühl bestätigt die Ergebnisse der von Reichenbach s. Z. an-
gestellten Versuche, über die in Nr. 23, S. 859, Jahrgang 1902 dieser Zeit¬
schrift referiert ist. Es wurden in Stettin Versuche mit dem Dustless-Oel
bei den verschiedensten Arten von Fussbodenbelag — alte Kieferdielen,
4M
Besprechungen,
Pitschepineriemen- and Bachenbodenbelag gemacht mit fcusserst günstigen
Erfolge. Neben der siemlich beträchtlichen Hohe der Kosten liegt jedoch nach
Rühl noch ein Bedenken gegen die Einführung dieses Anstriches vor. Das
StanbOl bildet nämlich nach mehrmaligem Gebrauch eine Kruste, die sich
nar mit grösster Muhe unter Anwendung von Stahldrahtbflrsten wieder ent¬
fernen lasse. Diese bei späteren Anstrichen notige Reinigung würde, ab¬
gesehen von einer, noch nicht beobachteten schnelleren Abnutsung der Dielen,
die Kosten des Verfahrens erheblich erhöhen.
Es liegt im Interesse der weiteren Entwickelung der Schulhygiene, dass
auch diese wichtige Angelegenheit nach allen Richtungen hin mit Hilfe einer
wissenschaftlichen Methode klar gestellt, und dass auch dem letstangefUhrten
Uebelstande Aufmerksamkeit von wissenschaftlicher Seite zugewendet werde.
Dr. Glogowaki-Görlitz.
Besprechungen.
Lehmanns medizinische Handatlanten.
1. Dr. W. Seiffer, Privatdozent und Oberem an der Nervenklinik der König¬
lichen Cbant6 in Berlin: Atlas und Grundriss der allgemeinen
Diagnostik, und Therapie der Nervenkrankheiten. Bd. XXIX der
Atlanten. Mit einem Vorwort von Geh. Med.-Rat Dr. Jolly in Berlin.
Mit 23 farbigen Tafeln nach Originalen und 268 Textabbildungen. München
1902. 12°; 379 8. Preis: geb. 12 Mark.
2. Dr. Her. Dftrok, Privatdozent und Assistent am pathologischen Institut
su München: Atlas und Grundriss der allgemeinen pathologischen
Histologie. Bd. XXII der Atlanten. Mit 77 vielfarbigen lithographischen
und 81 zum Teil zweifarbigen Tafeln nach Originalen. München 1903.
685 8. Preis: geb. 20 Mark.
Wiederum liegen 2 neue Atlanten des Lehmannsehen Zyklus ver, die
sich den bisher erschienenen in jeder Weise würdig anreihen. Der Sei ff er¬
sehe Atlas der allgemeinen Diagnostik und Therapie der
Nervenkrankheiten bildet gleichsam eine Ergänzung des Jacobschen
Atlas des gesunden und kranken Nervensystems; während sich dieser aber
wesentlich auf die anatomischen Verhältnisse beschränkt, berücksichtigt der
vorliegende Atlas hauptsächlich die klinische Seite. Mit Recht sagt Geh. Rat
Prof. Dr. Jolly in seinem Vorwort, „dass das Gebiet der Nervenkrankheiten
mehr als irgend ein anderes klinisches Gebiet geeignet sei, ja förmlich dazu
heraussufordere, dem Verständnis durch Abbildung charakteristischer Krankheits-
zustande su Hilfe zu kommen*. Der Verfasser hat es in vorzüglicher Weise
verstanden, das überreiche und vielseitige Material der Nervenkranken der
Berliner CharitO sum Aufbau seines Werkes zu verwerten; er hat sich aber
nicht nur darauf beschränkt, die überaus zahlreichen, ebenso naturgetreu als
künstlerisch tadellos ansgeführten bildlichen Darstellungen durch den beglei¬
tenden Text kurz zu erläutern, sondern in diesem ein kurzgefasstes, aber
f leichwohl alle Punkte berücksichtigendes Lehrbuch der Diagnostik und Therapie
er Nervenkrankheiten gegeben, dessen Wert noch besonders durch eine vor¬
trefflich ausgewählte Kasuistik erhöht wird.
Das gleiohe Lob verdient der Düroksche Atlas und Grundriss
der pathologischen Histologie in vollstem Masse. Wie in den beiden
vorhergegangenen Bänden des Verfassers über die spezielle pathologische
Histologie sind auch hier alle Abbildungen nach eigenen Präparaten entworfen
und ausgeführt. Sie zeichnen sich wiederum durch eine so ausserordentliche
Naturtreue und Feinheit der Wiedergabe aus, dass man seine uneingeschränkte
Anerkennung aussprechen muss nicht nur über die scharfe Beobachtungsgabe
und das künstlerische Zeichentalent des Verfassers, sondern auch über die
unübertroffenen Reproduktionen der zum Teil sehr komplizierten, zarten und
ln den feinsten Farben (bis zu 26) dargestellten Originale. Die Hoffnung des
Verfassers, „dass sich sein Buch beim pathologisch-histologischen Stadium als
ein brauchbarer Führer erweisen möge*, wird deshalb sicherlich in Erfüllung
gehen; es kann ebenso wie der Seiffersche Atlas den beteiligten Kreisen
nur aufs wärmste empfohlen werden.
Tagesnachrichten.
487
Einen besonderen Dank verdient auch die Verlagsbuchhandlung, die
wie immer keine Kosten ihr die bestmögliche Ausstattung der beiden vor¬
liegenden Atlanten in illustrativer Hinsicht gescheut und wesentlich dasu bei¬
getragen hat, dass dieselben einen so hohen, kaum su abertreffenden Grad der
Vervollkommnung erreicht haben. Rpd.
Tagesnachrichten.
Der Beiohskannler (Reichsamt des Innern) hat unter dem 10. Märzd. J.
in Bezug auf die Massnahmen gegen die Kurpfuscherei auf Anregung der
Preuesischen Staatsregiernng ein Rundschreiben an sämtliche Regierungen der
einzelnen Bundesstaaten gerichtet, in dem er um Aeussernng folgender Fragen
ersucht:
I. Sind Wahrnehmungen gemacht, welche die Ermittelungen des Königlich
Preussisehen Herrn Ressortministers Ober die Zunahme der Kurpfuscherei
und ttber die bei ihrer Ansehung su Tage getretenen Missstande be¬
stätigen f
II. Sind diesseits bereits Massnahmen getroffen, welche bezwecken, die bei
der Ausübung der Kurpfuscherei hervorgetretenen MissstOnde zu be¬
seitigen ?
m. Wird dem von der KOnigl. Preussichen Regierung gemachten Vorschlag
auf Ergänzung des §. 36 der Gewerbeordnung sugestimmt ?
IV. Welche sonstigen Massregeln können diesseits zur Bekämpfung der beob¬
achteten Uebelstknde vorgeschlagen werden?
In der am 4. Mai d. J. in Dresden abgebaltenen Plenarversamm¬
lung des Sächsischen Landes - Medizinalkollegiums wurden zunächst die
abgeänderten zweiten Entwürfe der ärztlichen Ehrengerichtsordnung
und deB Gesetzes über die ärztliiehen Bezirksvereine beraten und,
abgesehen von einigen nicht erheblichen Aenderungen angenommen. Ein An¬
trag betreffs Massnahmen gegen die durch die Hausindustrie ent¬
stehenden Gefahren der Weiterverbreitung ansteckender
Krankheiten soll nach schriftlicher näherer Begründung durch den Antrag¬
steller und nochmaliger Durchsprechung im engeren Kollegium dem Ministerium
unterbreitet werden; ein anderer Antrag, derdieRegelungderlmpfungen
der fremdländischen Arbeiter nach einheitlichen Grundsätzen für das
ganze Land forderte, fand die Zustimmung der Versammlung. Hinsichtlich
der Bekämpfung der Kurpfuscherei wurden auf Antrag der Mitglieder
Dr. Chalybäus, Dr. Httfler und Dr. Schneider folgende Beschlesse
gefasst:
1. dass a) die Ansehung der Heilkunde durch nichtapprobierte Personen zu
untersagen ist, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuver¬
lässigkeit der Gewerbetreibenden in Bezug auf diesen Gewerbebetrieb
dartun (§. 35 Gew. • 0.),
b) Personen, welche, ohne approbiert zu sein, das Heilgewerbe beginnen,
hiervon der zuständigen Behörde Anzeige su erstatten haben,
2. dass mit Geltung fOr das Reich eine Verordnung erlassen werde, welche
sich an die vom Staate Hamburg unterm 1. Juli 1900 erlassene Verord¬
nung, bez. die Verordnung des Preussisehen Medizinal - Ministers vom
28.Mai 1900 anschliesst und vor allem die prahlerischen Ankündi¬
gungen von Mitteln und Heilmethoden unter Strafe stellt,
3. dass a) die ausschliessliche oder gewerbsmässige Behandlung Kranker aus
der Ferne, bei welcher kranken Personen in Briefen oder Öffentlichen
Blättern oder Büchern Heilvorschriften gegeben werden, und
b) die Ankündigung und die Anpreisung solcher Fernbehandlung bei Strafe
zu verbieten ist,
4. dass Personen, welche ohne approbiert zu sein, gewerbsmässig Kranke
behandeln, gehalten sein sollen, über ihre Geschäfte BOcher zu führen.
In Erwägung des Umstandes, dass der Kampf gegen das gemeingefähr¬
liche Medikastertum nur dann mit Aussicht auf Erfolg geführt werden kann,
wenn seitens der zuständigen Organe des Staates und der Gemeinden, vor¬
nehmlich seitens der AnklagebehOrden von den durch das geltende Recht
438 Tsgeea&chriühteft.
gebotenen Handhaben möglichst ergiebiger Gebrauch gemacht wird, richtet
die Plenarversammlung des Landes-’Medlzifialkollegioms an da» Königliche
tfmisterium des Innern außerdem da« Ersuchen;
bei dem Herrn Juatizminister dahin zuwirken, das« die Statttsansult-
»chafteu mit ent8prechendor Anweisung versehen werden,
und dass insbesondere io Fällen betrügerischer Reklameausschreitting vaa
Rurpfascbern (Vergehen aas §. 4 den Gesetzes zur Bekämpfung des tta-
lautereo Wettbewerbe» vom 27. Mai 1896 t auf Grand der bezüglichen von
einzelnen Aeralen oder von rechtsfähigen ärztlichen KSrpersch&ftafi ange¬
brachten Strafanträge die öffentliche Klage erhoben nnd diese An¬
klage sogleich auf die betreffenden Znitu ngsverl eg er wegen Beihilfe
aaagddiBhnt werde.
• •••• - . .
Auoh i« dor am 25. April cL .1 abgeb altenen 47. Sitzung -4.ee Gand es-
nosscbBasee der Wörwembergiaehe« ärztlichen Laudeaverelae ist ausser
d«r Aertteordnang nach die Frage betreffead Masaregeln gegen die Ear-
pfuaoherel zar Beratung gelangt, per von dem Beierenten Dt. Beck ge¬
stellte eingehend begründete Antrag:
■ „1, dem Vorschlag« der K. pransäisshen Regierung auf Ekgääsung 4er§. 35
d«r Oewerbeordnang ist znzRstimmen;
3. die in Preasseo freraRs ergriffenen polizeiliche» Massregelfl gegen die
Knrpfascherei Sind auf die übrigen BnndeaBtaaten aü3zttdfehn*a;
; - S. als lönstige Maasregein der durch die Eturpfüscberei hervorgerttfeceo
IJebciitlnde sind votzoflchlftgenr j;
a) btfectilohe WftTnnogeG def Behörden gegen schwindelhafte Heilmittel,
Heilmethoden und Kurpfuscher;,
b) Verbot des AnfertJgens von Rezepten der Kurpfuscher io den Apotheken;
c) Verbat der brkfiteben Bebandlttng der Kranken}
>i) Verbot der AnateUnng von Kurpfuschern als Leichenschauer oder Be¬
dienstete ia öffentlichen Heilanstalten“
wurde einstimmig angenommen.
Nach einer in der Sitzung des Anhaitiscfaen Landtages vom 13 Mai d. 3.
abgegebenen Erklärung des dortigen SuatsmiBistCfa eebweben z. Z. zwischen
der Beiebtnregierupg Und den Regierungen der Einzelstaaten Erörterungen über
die Einfübrnng einer allgemetnen Sehlaehtviehvereleliernng Im ganzen
Reiche} es scheine jedoch, dass bei dez Reicbaiegierang Ab Meinung vor¬
herrsche, man solle das Vorgehen *<tf diesem Gebiete den giaaelstaatea
Ö ft erfassen.
. ,i t'< '* < •' ■ >V r v : |'. ’ .' "V ■' •* M f '.*■'"<*j'f~>*'****y*i* t **'i***';:.’-i 1 'V- • \ V,V ,V^ • ‘ '(*■ • ’-Jr '. , *t'' ’ j 1 f* 7 y * • "*-
, : ' in Erb »Jan ist die Errichtung einer Toilvrntkli'näJk im Anschluss an
di« ITdiveirsttätakUaike* beabsichtigt, da Schkaritu den griteste« Prozenten!«
Toi! walk ranker in Preussen auf weist-
Bat durch die Berliner Tuberkulose-Konferenz. vom Oktober 1002 mit
dem Sitze in Berlin begründete internationale Zeotmlbnrean m Be-
kätnpfong der Töherltaäß»« hielt am 4. htai d. .1, in Paris unter Vorsitz
tot Dr. Brouard«! eine Sitzung des Engeren Rates ab, att welche? Vertreter
von Argentinien, Belgien, DKnegiark, Deutschland, England, Frankreich, Italien,
Norwegen, Ö sterreich, Rußland. Schweden, der Sehwöiz, Spanien und Ungarn
tftilnahme®. Den Oeechäftsberidbt erstattete ,, der Geüer&Jäeiret&r . Professor
I»r. Pannwit«. Aoasex n»rbefeiiendcn Arbeit*» für den nKcksten inter¬
nationalen Tuberkulose-Kongress, dtr l(Q Oktober lfi04 in Paris atattäuden
zoll. wurden orgosipatorUche Fragen erledigt und namentlich Übe? eine inter¬
nationale TabetkttlhSB - Au»*teHttng in 8i.: Louis Bcaufcloaa gefasst
Din .TühTpfrversatttroleug des II an Weben Zentralkomitee* für IjOogan-
WiW-tMUv 1>av am 16. Mat d. J. ia Rettin unter dein Vorsitz des Staato-
aeY.r--rftjrs Gcnfen v. Posadowsky Btattgefaadeu. Ausser dem Bericht des
ÖeaarrtlstktsftSrr, Über den Stand der TaberkulosebtkSmpfnng in Dentsflhland
vord-'.i Vorträge von Geb Med.-Rat Prof. Dr. v. LeyasarRBrRü über „die
Tagesnachnchtea. -43>>
Wirksamkeit der Heilstätte» idr Lmngenkrankc“ oad vonSt&dtrat P tt u -
Halle &. S. aber „die Aufgaben der Gemeinden bei der Tubörkuloeebek&m^i'aag^
gehalten. Ans dem Geschäftsbericht and dem Vortrag« de» ersten Befoctörea
geht hervor, dass in Deutschland n. Z. 70 Heilstätten vorhanden «ind, in denen
jährlich 30000 Kranken verpitegt w rien können.
Die IV. Jahresveraammlang de» allgemeine)* Deatichen V ■>/• :..•
ffftr Sehalgesaadheitspttege findet am 2 und 3. Jaai in Bonn, tB
Räumen der Lese- and firhelangsgedelUohaft, Koblenzer Strasse 35, at&t?, auf
der Tagesordnung stehen Bfiferato Über des Lehrplan der höheren Schntel in
BeBiehnng rar Datertkhtsbygi'iöe; über den Scbnitaraaoterricht and <xu Sa*,
wegangaepiele Im Siane der Sofatükygiöne; über Skoliose and Schule v&he* dss
hyglettischen TJaterrieht ja der Schale} aber deutsche und englische S'cbuJerhihb 5 m
vom hygienischen Standpunkte »na*, Uber Schale and KMAoiig; Übet An
hygien* in der Schule and Uber J.ög«ad-u. Volksapiele. Die Veraamralnng
lende Anfragen sind an de» gesch&ftefahrenden Aasschoss (Bf., F. Av8h.bagi.At:..,
Bonn, Eohlenaei 1 Straifwe 23) zu richten. , .
Der VI. Kongress de» Dänischen Vereins futr Volk** und
spiele wird rem 5. hi» 7. Juli in Dresden abgeb&lfea werden.. A-«'/ '< v
Tagesordnung »toben folgende Vorträge: 1. Was können <DV SßiteYefntUxejjf^r
tan, am die körperliche Erziehung der Jagend, besondere die der VaUfci^h'ftir
and der achaleBUasseaen Jagend, s« fördern? Referent.: Stadtsciialri», isr.
Kerschensteiuer-München, 2. Die anatonischen Verhältnisse das'htüss-
korbes mit besonderer Beziehang attf Leibesübang 0»d Öesandheittpflegc Rs*
ferent; Geb. Med. * Rat Prof. l>r. Wald e.y er* Berit«. S, Die beete Atm#
«tattaug öffentlicher ErholuagBetätteft. für Jugend and- Volk. Beferen. l-r.
F-A. SebHeldt*Bonn,
Die diesjährige Generalversammlung da» Deutschen Verein«, Die
Vafkahygiene wird am 31. Juli, unmittelbar gor'fitem am 1, Angnat stattr
fittisttden Samäritertag in Dresden abgehaltea werden. Neben den (ÖgdBlikhmti
Arbeite» ist «ine saehkaodige Ffihraag durch die StÄdteaassteHung in
genommen.
In poUtijcben Blättern wird Uber eine EmsclilepptJng von TypUusbaxi;
aach EttglAad daroh »ns S&lalrika Anrttckgesaüiiie, iu England meist
rarstaigerte and «öiiter?erkauf?ö ArroecdeCken berichtet, obwohl die
dcreelbVß in südafrikanischen Lazaretten gebraucht, und. mit Typhttsl:ft«ilUc
war Die Angelegenheit ist durch Ty{AaBOiwnP|kangeu, Welche
derartige Decken an Bord eines Schulschiffe* vorg©kommen warCB, an«
gekommen und bildete den Gegenstand der Verband! «tigen hei einer
der Landonnr City-Körpcrscbaft. Hier berichtete der «berste Gcsnndl^V;'> <-
*mte des Hafens von London, Dr. Coli ins, dass bei der iaspektion 4.: M
treffenden Schiffe» dem Sanitätebcaniteu de« Hafens eine Anzahl schnmU^yV
wollener Docken nnfgefalien sei. die mit Klumpen von Pfeüwttiz, eint c
.wOb&ticb• Typbarpatienten gegebenen Gericht, sowie mit Blatspaten und «W’
Flecken behaftet waren. Diese Decken sind dann Sofort dein zaetSndigefc i(iAl;*
tfiriotflgno Übemndt, der feststcllte, dass nicht weniger nie 70% der
■ tita TypbusbazUien ger»de*n wimmelten. Der Direktor der Axmeevorri' ■ *
Xrieg*miniateriuin sei sofort telegraphisch erauebt, die Yeräussernng ä ■
Kap zurSckkommenden Docken za. inhibieren; es »Oien att*r schon vi< •
Decken weitemtkauft. Dio Behörden forschen Jet**, eifrig ja #» MÜh; **£•'.
Machen Städten nach dem: Verbleib dar getäh fliehen JfojjpiJan ,4vgtPPt:
lieh nahezu 1&800Q Bocken «bao lade Besintgntig 'tairitn«ih«rt'.'<ia$.
fipBhr AgenUn, die sehr efnträgliche Gahchäfce damit gemacht haben,
gaa* England, Ttellnicbt wich in 1 # Aintand verkauft «ow, Attsscrdoi;
40 Tonnen mit 300Ö0 Dnckoa von der $aaUit*heliörda. ffijr^ludadmiair--;.^^!^!
Sbepncy mit B«chlag belegt, da auch hei diosOn durch hakfarioiogiache Wfim
»ftobang das Vorhandensein vön Typhusbatülen in reichlicher Menge
.«teil* ist. .'-v'“ /; 'r v:
. :■ >Kr". ■ '• -.vV- • .• f «VA • jUi\l . - ./V* . . .. • •
'i3ß.
Preu8sischer Medizinalbeamtenverein.
XX. Hauptversammlung
in H»1I e a. «-
„Grand-Hötel Bode“, Magdeburger - Strasse, nahe am Bahnhof.
Freita^t den 11. September:
8 Uhr Abends: Begrüasung im „Grand-Hötel Bode" (mit Damen).
Sonnabend, den 12. September*:
8 Uhr Vormittags: Sitzung im Festsaal des „Grand-Hötel Bode".
1. Eröffnung der Versammlung.
2. Geschäfts* und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren.
3. Praktische Erfahrungen bezüglich der Dienstanweisung der
Kreisärzte, insbesondere betreffs Ortsbesichtigungen und
Jahresberichte. Referenten: B. Kreisarzt Dr. Schäfer in Frank¬
furt a. 0. und H. Kreisarzt Dr. Herrmann in Bitterfeld.
4. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrerisoren.
5. Heber die gerichtsärztliche Beurteilung der Epilepsie. Referent:
H. Gerichtsarzt Dr. Neid har dt in Altona.
Haoh Sohluss der Sitzung: Besichtigungen.
6 Uhr Nachmittags: Festessen (mit Damen).
Das Nähere betreffs der Besichtigungen und Bestellungen ron Woh¬
nungen wird später mitgeteilt.
Minden, den 20. Mai 1903.
Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins.
Im Auftr.: Dr. Rapmnnd, Vorsitzender,
Reg.- u. Geh. Mod.»Rat in Minden.
Deutscher Medizinalbeamten - Verein.
Zweite Hauptversammlung
in
Sonntag:, den 13. September.
8 Uhr Abends: Begrttssung (mit Damen).
Montag, den 14. September.
8 Uhr Vormittags: Erste Sitzung.
1. Eröffnung der Vcrsammluug.
2. Geschäfts- und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren.
3. Die reichsgesetzliche Regelung des Irrenwesens. Referenten: H.
Geh. Ued.-Rat Dr. Weher, Direktor der Heil- und Pflegeanstalt
SonneDstein i. Sachsen, H. Landesrat Dr. Vorster in Düsseldorf
und H. Reg.- n. Med.-Rat Dr. Rus&k in Köln.
6 Uhr Naohmlttags: Festessen (mit Damen).
Dienstag, den IS. September.
8 Uhr Vormittags: Zweite Sitzung.
1. Verhütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten dnreh die
Schulen. Referenten: H. Prof. Dr. Leubnscher, Reg.n.Med.-Rat
in Meiningen und H. Reg.-Rat a.D. Prof. Dr. Tj&den, Direktor
des bakteriologischen Instituts in Bremen.
2. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren.
3. Beiträge zur pathologischen Anatomie der Kohlenoxydvergiftung.
Referent: H. Kreisarzt Dr. Sch äff er in Bingen a. Rh.
4. Die Photographie im Dienste der gerichtlichen Medizin. (Mit
Deinoubtr&tionen.) Referenten: H. Prof. Dr. Strass mann in
Berlin und H. Dr. Artb. Schulz, Assistent am Institut für
Staatsarzneikunde in Berlin.
Das Nähere betreffs des Sitzungssaales, der Besichtigungen, Bestellungen
von Wohnnngen n. s. w. wird später mitgeteilt werden.
Minden, den 20. ll&i 1903.
Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereins.
Im Auftr.: Dr. Bapmnnd, Vorsitzender,
_ _ _Reg.- u. Geh. Med,- Rat in Minden.
Verantworte Redakteur: Dr. Rapmnnd, Reg.-n.Geh.Med.-Rat in Minden i. W.
J. C. C. Brune, Herzog). Siebt, n. F. Seh.-L. Hofbucbdrnckerel In Minden.
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Verlag von Fiseher’s medk BuelibMdlg,, E Kornfeld
Hersofrl. Bayer. Hof' ts. ErshoraogL Kanute«: * BacMändlot.
Berlin W, 35, Lützowatr. 10.
aehtnom 4 i« Y#tfog*fc*B 4 J 4 ftf s«»M * 11 » Aaa»n* 4 £*irp»d 1 ti*>a*a 4 «« ln*
Nr. 12. | Kfehelut «an l,«Rd 15. Jcdeu l»ntüf !j 15 . Jnjfli
Desinfektoren und Gesundheitsaufseher in Landkreisen,
Yob ivraawat an*l Mediaioalrst Dr, Fielite io Bulle a. 8 .
Weim ich auch nicht erwartet batte, (lass meine in . -
dieser Zeitschrift entwickelten Anschauungen aUseifcigeti ]:•.•
ttridea worden, bin ich doch m hohem Grade erstaunt üb
& widerühg'. des• Herr» : Kollegen Dü tat*& fc e ln Nr. 10 derwiben
Zeitschrift.. ,y ." . -i. 'V -y' *
Hätte ich annähernd einen so sotiveräneo Ton in m^owti
Artikel angescMÄgea, wie Kollege t> Üt s c h k e in dein seif;?
dann könnte ich mir die Entrüstung erklären.
Vielleicht wäre ich nicht so falsch verstanden worden, ftÄtle
ich für meinen Aufsatz mehr Raum in Anspruch nehmen ki'-;
feh begnüge mich mit einigen kumn Erklärungeü; denn .<
mir liegt daran, unsere Einrichtung nicht in Misskredit bri;
zu lassen,
K Ich habe die Einriehtung im Bezirk Arns»
keineswegs „Rchlankweg als verfehlt“ bezeici
soödern hur in masevoller Weise bezweifelt, dass sich die Ver¬
bindung von Desinfektoren und üesniidheitsaufseheiii in
einer Person bewähren wird. Dieser Zweifel wird vou -
groaaen Anzahl Kollegen geteilt,
'% Der Ausdruck ^usammmeftgewürfelte Leute
««Ibatversländlich keine Beieidigusg sei», sondern nnr das uns
drücken sollen, was Kollege Diitsehke selbst empfindet, wm*.
w wftnscht, dass „Friseure, Barbiere und Polizeidiener“ ■> •• -
442 Dr. Fielitx: Desinfektoren and Gesandheitsnafseher in Landkreisen.
stossen werden, doch jedenfalls weil sie zu solchem Amte dort
ebenso wie bei uns nicht für geeignet gehalten werden.
3. Ich behaupte auch heute, dass Gesundheitsaufseher von
solchem Bildungsgrade unter keinen Umständen Zutritt in jedes
Krankenzimmer verlangen können. Ich fürchte, solche Einrichtung
würde bei dem Kapitel von der „Beunruhigung durch die Kreis¬
ärzte“ eine Verwendung finden, die unseren ganzen Bestrebungen
schaden müsste. Auch gestehe ich offen, dass ich persönlich den
Eintritt derartiger Gesundheitsaufseher bei weiblichen
Kranken meines Hauses nicht dulden würde.
4. Mit meiner Einrichtung der Gemeindepflege bin ich offenbar
falsch verstanden worden; denn es ist doch klar, dass wir
Kurpfuscherei verhindern von Gemeindeschwestern, die wir selbst
anstellen! Natürlich kostet auch das Mühe: der Kreisarzt
muss als Vorstandsmitglied des zahlenden Vereins die Aufsicht
üben oder er ist in Kreisen, welche die Pflegerinnen aus Kreis¬
mitteln bezahlen, kraft seines Amtes hierzu befugt.
Glaubt Kollege Dütschke vielleicht, dass Gesundheits¬
aufseher, welche Krankenzimmer, Schulen u. s. w. revidieren,
nicht ebenso zur Meinung kommen können, etwas von Kranken¬
behandlung zu verstehen? Das ist bei allem niederen Heilpersonal
der Fall und umsomehr, je geringer dessen allgemeine Bildung ist.
Der Hinweis auf Kollege Coesters Erfahrungen ist nicht
am Platze; denn diese beziehen sich nicht auf Gemeinde¬
schwestern in unserem Sinne.
Ich bedauere allerdings, dass gerade dieser Aufsatz dem
meinigen folgen musste, bin aber trotz alledem überzeugt, dass
wir im ganzen Lande nach einer Krankenpflege durch weibliche
Personen streben müssen.
Auch bei fortlaufender Aufsicht werden Uebergriffe Vor¬
kommen; können wir solche doch nicht einmal bei unseren Heb¬
ammen verhüten! Den grossen Segen der Einrichtung soll man
aber deshalb nicht verkennen.
5. Dass unsere Einrichtung nicht vollkommen und voraus¬
sichtlich die Zahl von 2 Desinfektoren nicht ausreichend ist, habe
ich ja selbst zum Ausdruck gebracht.
Hätte ich 10—12000 Mark zur Verfügung, so würde ich
trotzdem nicht nach Dütschkes Empfehlung 8 Desinfektoren
anstellen, sondern zunächst den Kreisdesinfektor mit Automobil
ausrüsten. Nur die Entfernungen erschweren den Dienst und in
der grossen Hälfte des Jahres reicht trotzdem im langgestreckten
Saalkreise 1 Desinfektor aus.
C. Diese Ausdehnung meines Kreises verhindert auch häufig
die Feststellung erster Fälle an ansteckenden Kinderkrankheiten.
Im Bezirk Arnsberg liegen in dieser Beziehung die Verhältnisse
anders; auch scheinen dort nach Dütschkes Schilderungen
sämtliche Erkrankungen zur ärztlichen Kenntnis und damit zu
rechtzeitiger Anmeldung beim Kreisarzt zu gelangen. Dagegen
ist in der Provinz Sachsen die Kurpfuscherei viel zu verbreitet,
wie ich in meinem Artikel besonders hervorhob.
Ana Versammlungen and Vereinen. 448
7. Dass die Ausbildung in einer Desinfekt-ore nach
weit besser und' gründlicher ist, als die darob den Kim ; ;
wird von d«a Kreisärzten unseres Bezirke aeidloa an&rh >om
Wir sind persösiicü gar nicht im stände, den Leuten Emridiuiüg
und Vnrsöge der einzelnen Apparate m zeigen, weil -wir stets
nur ein Muster znx Verfügung haben ; wir können noch wev
Verßuche mit Bakterien in der Weise vortuiaren, wie da* im
hygienischen • JtoaMbüii- öder in jedem Uafcersuctmngßamt möglich
ist II. 8. w.
Dass die Desinfektörensehuie »Jeden Mann zum Desinioktnr
aoRbüden muss, mag es gehen wie es will, schon im Intereese
der De8iüfektoreüsc*Jiöe% das verstehe ich nicht; denn h-n
kaaa doch nicht anuehmen, dass Kollege Dütschke meint, die
Priifongskonnniösioo gehe weniger gewissenhaft zu Werke,
der einzelne Kreisarzt!
Zürn Schlüsse möchte ich..Herrn Kollegen Üütechke m
teilen, dass auch mir in meiner langen Amtszeit grosse mi*i
schwöre Epidemien begegnet sind und dass ich - was doch
nehmen war — nicht ohne Erfahrung an die • Organisation ■
Desinfektionaweaens io meinem Kreise herangegangen bin.
Au* Versammlungen und Vereinen,
Bericht fibev die amtlfrXiC' ffrtammlang der Medisrifial-
beamten de» Rcg.-ße*. Biwdrn am 89. Xovembrr 190'? im
MitxnafMNaair der Kbniglirhi'n Kt‘git i rnHg.
Anwesend waren: Die Herren Regierungspräsident ./Rehresfoet, uu.,-
Keg.-liat r. L&pka, Beg.a. Geh. Med.-Bat Dr. Hnpniaad, Reg
Mackensen, fieg.-Bat BeigeU, Bef.“ n. Schalrat GregoroVitosi Bag:-
Eat Dr. La eg et.. Äeg.-Aaaeesor f/Afchoff; die Kreisärzte Herren Dt $ • :•
bolter-Minden, Gr. Doakmsnn-Lübbecke, Med.-Bat Gr- Bheinei.
foid, Med.-Rat Dr. NÜonI d gfaelf-Bielefeld, Med.-Rat Dr. Schlütär-iUUe«-
loh, Med.-Bat Dr. Bart»vber • Bilren, Med.-Rat Dr. Clan s-Werburg, M
Bat Dr. Klage-Höxter. Aassordem die Herren Kjeisphys, D. Geh S«n.-
Kat Dr, Möller-Minden, Kreis wandarst *. D. S&n.-Bat Dr. Beatt.*'.?.
Neohans, Krdswundarjrt s. D, Saa.-Rat Dr. Hillebrecht-Vlotho und v
Am Dr. Loet-Büren, ataatsöratlich geprüft.
Dtn 11 Uhr vormittags ef Öffnete. der H. Regieruagspräsidetr t die
Sitsnsg-, indem er die Anwesenden willkommen hieaa und es trendig begn;,
dass in die Tätigkeit der Modiainalbeamten eia nsaer frischer Zug gekonnt) tn
sei, nachdem ihnen darcb daa SreiaarttgeaeU die Möglichkeit gegeb-o ■« >.
oliftöiitaihen ans eigene» ihitlatite im Geflandhehöinteresse «tt wirken ohne
einen Anfteag dakö in jedem fiUnselfaite absuwarten.
Nachdem mm ML?Reg.- fl- Ö&» Med.-Rat Dr. Rapwnnd die Leitung
der Varäammia'ag übernommen, erhielt B. Kreiemt Med.-Bat Dr, Schlo
Offtarsloh das Wort für sein Referat: „Die Tätigkeit der Mediztnalbeesoteu
auf dem Gebiete der Schulhygiene“ and führte ans,'
Der Kreisarzt solle alle Scholen in ff jährigem Umlauf besichtigen
Anleitung des Pormalarg IX der Dienstanweisung. Das könne nicht v
gentlich geacbehea, da andere Behörden (Lsndrat, Breiöschalinspekt «*i
Fottbildnnge- ftttd Rachaabaltsn der Vorsitzende des Schulröretandee) zaVosif*.-..
rißhtigen sind. Ancli fehlt meisten» die Zeit zur Scbulbeaicbtigung.
andere Dinnatirerrlchtosgea «n erledigen sind. Können Ortsbesichügnngo
in kleineren Gemeinden, mit Scbttlbasichtigaugeü vorhanden werden, so •
den letzteren äq beginnen. Es empfiehlt sich, za denselben nnsser dem lo¬
tenden Lehrer, dem Schulvorstande noch die bansechverständigen MitglJi dt*
444 Ans Versammlungen and Vereinen.
der Gesundheitskommission and den Schularzt zozosiehen, sowie nach der Besieh*
tigung die Abstellung der gefandenen Hiagel mit dem Schulvorstande sa be¬
sprechen, am ihn von der Notwendigkeit and Zweckmässigkeit der vorgeschla-
genen liassregeln za überzeugen. Referent betonte bei dieser Gelegenheit die
Anstellung von Schulärzten, denen die Ueberwaohang des Gesundheitszustandes
der Schulkinder and die Untersuchung der neuaafgenommenen Kinder obliegen
müsse. Der Medizinalbeamte könne aas Mangel an Zeit diese Untersuchungen
nicht aasführen. Der Kosterspamis halber dürfte sich die Anstellung der
Armenärzte als Scholärzte empfehlen.
An der Hand des Formulars IX der Dienstanweisung erörterte der Vor¬
tragende sodann einzelne wesentlichere, bei der Besichtigung der Schalen
za beachtende Punkte:
a. Besichtigung. Hier wird die Lichtprüfung mittels Aristopapier
empfohlen und auf die Unsitte hingewiesen, dass die unteren Fenster vielfach
durch weisse Oelfarbe geblendet werden, wodurch der Lichteinfall sehr beein¬
trächtigt würde. Als Schutz gegen direktes Sonnenlicht sollten nur helle and
nicht gemusterte Vorhänge Verwendung finden.
b. Für die Lüftung der Soholzimmer sind Kippfenster in den Ober¬
lichtern der Fenster am meisten zu empfehlen.
o. Die Erwärmung geschieht am besten durch Mantelöfen (Bornsehe
Lufterwärmungsöfen), die der Raumersparnis halber nicht in der Mitte der
Längswand des Zimmers, sondern in einer Ecke stehen sollen, und denen die
frische Luft nicht vom Flor aus, sondern von nassen znsaführen ist.
d. Die Reinigang der Sohulzimmer hat täglich daroh feachtes Auf¬
nehmen and wöchentlich einmal durch Scheuern zu erfolgen.
e. Als Schulbank ist in erster Linie die RettigBche zu empfehlen,
da sie die Reinigang erleichtert.
f. Zur Verhütung der Staabaufwirbelang dient ein Anstrich des
Fussbodens mit Dustless-Oel; ein dreimaliger Anstrioh jährlich genügt
and kostet (bei ca. 50 qm Zimmergrösse) 12,75 Mark.
g. Für die Garderobe sind ansserhalb der Schnlsimmer Kleiderhaken
anznbringen.
b. Gänge and Flare müssen genügend breit and hell sein.
i. Für die Aborte ist die Einführung des Torfstreasystems sehr zweck¬
mässig. Im Pissoir müssen Fassboden and Wände bis .1 m Höhe durch Zemen¬
tierung wasserdicht hergestellt werden.
k. Der Hof ist zu pflastern.
L Brunnen sind als eiserne Röhrenbrunnen anzulegen.
m.Ueber den Gesundheitszustand der Kinder muss der Kreisarzt
▼om Lehrer Auskunft za erlangen suchen.
Der Korreferent, H. Kreisarzt Dr. Kluge-Höxter, bemängelt zu¬
nächst, dass im Formular IX unter 6 keine Frage über Spucknäpfe aufge¬
nommen ist und dass die Abortgruben oft viel zu gross angelegt und zu selten
gereinigt würden.
Auch fehle eine Frage über die Lehr* und Lernmittel, auf die
ebenfalls das Augenmerk zu richten sei. So seien schwarze Wand- und Schiefer¬
tafeln zu verwerfen und durch weisse. die mit Schwarzstift bezw. Bleistift be¬
schrieben würden, zu ersetzen. Auch die Grösse der Schrift in den Schul¬
büchern entspreche oft nicht den für die Erhaltung der Sehkraft zu stellenden
Anforderungen, z. B. sei sie zu klein in der Bibel für die evang. Volksschulen
und in dem Katechismus für die katb. Volksschulen der Diözese Paderborn.
Bei Prüfung der Schulbauvorlagen würden einzelne Punkte manch¬
mal übersehen, z. B. ruhige Lage, Anordnung der Flure nach Westen, damit
die Zimmer vor Schlagregen geschützt sind.
Die Treppengeländer sind durch Knöpfe oder Pfosten zu unter¬
brechen, um ein Herabratsehen der Kinder zu verhüten.
Die Z wisch endeckenfttllung soll auch den Schall vermindern (Torf
oder Kalk mit Torf).
Die Wände der Schnlsimmer werden am sweckmässigsten bis auf
1*/* m Höhe mit Oelfarbe gestrichen oder noch besser mit Holzpaneel versehen.
In der sieh anschliessenden Diskussion betont zunächst H. Reg.- u.
Geb. Med.-Rat Dr. Rapmund, dass die für den Bau dev Schulen muss-
Au Versammlungen und Vereinen.
445
gebenden Grundsätze bisher ron den Kreisärzten vielfach unbeachtet gelassen
seien. Bin gründliches Studium der PlKne und besonders der zugehörigen Er-
lluterungsberichte und Kostenanschläge sei aber unbedingt erforderlich, wenn
der Kreisarzt nicht Gefahr laufen wolle, dass etwaige von ihm übersehene
Mlngel ihm sp&ter zur Last gelegt würden. Sind die Vorlagen unvollstindig,
so müssen sie stets zur Vervollstindigung zurückgegeben werden.
Zu den einzelnen Punkten bemerkt er: Schon bei der Wahl des Bau¬
platzes müsse auf die Beschaffung guten und genügenden Trinkwassers ge¬
achtet und bei dem vorzulegenden Projekte eine genaue Bausbeschreibnng ies
zu erbauenden Brunnens verlangt werden (am besten eiserner Röhrenbrunnen
von 15—20 cm Weite oder Wandungen aus Zementringen).
Bei den Schuiräumen ist ihre Lage und innere Binrichtung zu prüfen.
Die Ventilationsrohre müssen mindestens 35 cm Durchschnitt haben; die
Zufuhr der frischen Luft für die Hantel-Zirkulationsöfen muss nicht vom Korridor
aus, dessen Luft durch Ausdünstungen der Kleider, Staub u. s. w. verschlech¬
tert werde, sondern aus dem Freien entnommen werden. Um eine genügende
Beleuchtung zu erhalten, muss die Fensterfläche mindestens Vs oder die
Glasfläche V« der Grundfläche betragen. Bei 3 Hügeligen Fenstern müssen ent¬
weder alle Fensterflügel oder wenigstens die beiden unteren seitlichen und
der obere mittlere zum Oeffnen eingerichtet sein.
Holzpaneele seien zweckmässig und, wenn die Kosten dafür bereit
gestellt werden könnten, sehr zu empfehlen.
Bezüglich der Nebengebäude nnd Nebenräume sei zu achten auf
eine richtige Lage der Wohnungen (des Lehrers, Schuldieners u. s. w.) zu den
Sehulräumen; getrennte Zugänge, auch Treppen, seien für diese zu for¬
dern. Bei grösseren Schulen, in denen keine Scbuldienerwobnung vorgesehen,
empfehle sich eine Rückfrage dieserbalb, da häufig im Projekt darüber nichts
vermerkt sei, weil man dies für unnötig halte.
Die Aborte bedürfen guter Ventilation und besonders guter Beleuch¬
tung; je besser die Aborte durch Tageslicht erleuchtet sind, desto weniger
werten sie von den Kindern beschmutzt, zudem wirke Sonnenschein bakterien¬
tötend. Den Pissoirs entsteigen oft schlechte Gerüche, weil bei dem Ab¬
flussrohr zu der Abortgrube ein Wasserverschluss fehlt. Die Abortgrube werde
oft nicht überwölbt und zu gross projektiert. Desgleichen seien bei den Ab¬
ortsitzen oft weder Deckel, noch Aborttrichter vorgesehen.
H. Reg.- u. Schulrat Dr. Gregorovins lenkt die Aufmerksamkeit auf
zwei Punkte, die noch zu beachten seien: Erstens müssten alle Türen nach
aussen aufscblagen, damit eine schnelle, ordnungsmässige Entleerung der
Zimmer und Korridore möglioh sei nnd bei einer Panik Unglück verhütet werde.
Zweitens solle der Schulhof möglichst gross sein, damit die Kinder auch auf
ihm spielen könnten. Der Rand desselben wäre zweckmässig mit Bäumen zu
bepflanzen.
BL Ober-Beg.-Rat v. Lüpke fragt über die beste Orientierung der Schnl-
häuser an. Meistens werte eine Lage der Fenster nach Ost und Ostsüdost ge¬
fordert; teilweise finde man auch reine Nordlage.
H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund erwidert, dass die Hygieniker
darüber noch verschiedener Ansicht seien. Doch sei die Lage naeh Osten und
Süden jedenfalls besser als die nach Norden, da die nach dieser Richtung lie¬
genden Zimmer gar kein direktes Sonnenlicht erhielten. Die Nordlage sei nur
für weniger benutzte Zimmer (Zeichenränme, Singsäle u. s. w.) zu empfehlen.
8ehulzimmer nach Westen seien namentlich mit Rücksicht anf den Nachmittags¬
unterricht unzweckmässig.
Auf die Turngeräte übergehend, wünscht Redner Schuppen für deren
Aufbewahrung, da sie im Freien dem Wind nnd Wetter ausgesetzt seien, bald
schadhaft würden und zu Unfällen Veranlassung geben könnten.
H. Reg.- u. Schulrat Dr. Gregorovins entgegnet, dass das Turnen
zwar obligatorisch sei, aber doch sehr im Argen liege. In der Hauptsache
bestehe es nur in Freiübungen; Geräteturnen in den ländlichen Volksschulen
werte wenig gepflegt.
H. Ober-Reg.-Rat v. Lüpke meint, die Glasfläche der Fenster müsse
*/, der Fussbodenfläche betragen. Den Klagen der Lehrer gegenüber den sog.
VentOationsöfen betont er, dass diese meistens darauf zurückzuführen seien,
dass die Oefen nicht richtig bedient werten.
446
Ana Versammlungen and Vereinen.
H. Reg.- a. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmnnd beetitigt dies. Wenn die
Bedienung der Oefen richtig erfolge, so seien die Lehrer ausserordentlich damit
sufrieden; etwaige Klagen beruhten in den meisten Fällen auf eine unsaoh-
gemässe Behandlung. Für die Bemessung der Fensterfliche sei nach der
jetsigen Anweisung die lichte Maueröffnuug und nicht die lichtgebende Glas¬
fläche massgebend. Da aber Rahmen und Sprossen sehr häufig ausserordentlich
breit besw. dick bei den Fenstern gemacht werden, so sei es zweckmässiger,
die Grosse der lichtgebenden Fensterfläche als Massstab anzunehmen. Dann
konnte auch */« der Fussbodenfläche genügen.
H. Reg.-Rat Mackensen regt den Erlass einer allgemeinen Verfügung
über die Prüfung der Schulbaupläne an.
H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund stimmt dem zu.
H. Kreisarzt Dr. Nttnninghoff-Bielefeld demonstriert die verschie¬
denen Methoden der Helligkeitsmessungen für die verschiedenen Plätze
in den Schulzimmern (den Zink sehen Apparat von Pbysikns Pfeiffer, das
Web ersehe Photometer, das auf der Verwendung chlorsilberhaltigen Papiers
beruhende, vom Baurat Win gen angegebene Aristopapier-Verfahren sowie
den Wingenschen Apparat).
H. Regierungspräsident Schreiber bringt zur Sprache, dass bei den
in den letzten Jahren im Kreise Büren errichteten Schulbauten, besonders deren
Westwände, sehr feucht seien.
H. Kreisarzt Med.-Rat Dr. Bartsoher-Bttren bestätigt diese Beobach¬
tung; ihre Ursache sei in der Verwendung hygroskopischen Materials zu suchen.
H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund erklärt in Uebereinstimmung
mit H. Kreisarzt Med.-Rat Dr. Claus-Warburg, dass vielfach die Stärke der
Aussenwände unzureichend sei; dieselbe sollte auf der Schlagseite auf min¬
destens 2 Steine bemessen werden. An bestehenden Gebäuden lasse sich gründ¬
liche Abhttlfe durch Bekleidung der Mauern an den Anssenseiten mit Schiefer
schaffen.
Redner fügt hinzu, dass die Verfügung darüber, was der Kreisarzt bei
Prüfung der Schulbauvorlagen zu beachten habe, zweckmässig so gefasst werden
müsse, dass sie gleichzeitig auch dem Architekten für die Ausarbeitung der
Schulbaupläne einen Anhalt bieten kOnne.
H. Regierungspräsident Schreiber ist damit einverstanden. Vor Er¬
lass der Verfügung sollen jedoch die Landräte, Kreisärzte und Eireisbauinspek¬
toren über den Entwurf dazu gutaohtlioh gehört werden.
Es folgt nun die Erörterung über das Verfahren u. s. w. bei der Schal¬
besichtigung selbst.
H. Reg.-Assessor v. Asch off regt an, auch den Amtmann zu den
Sohulbesiohtigungen einsuladen, einmal als praeses in externis des Schulvor¬
standes und dann, weil er später als Verwaltungsbeamter mit dem Schulvor¬
stande über die Abstellung der Mängel zu verhandeln hat.
H. Reg.-Rat Fei gell hält dies auch für richtig; die Einladung geschehe
am besten durch den Landrat, da dann am ersten auf die Teilnahme des Amt¬
manns an der Besichtigung zu rechnen sei.
H. Reg.-Ass. v. Aschoff stimmt dem zu, nur müsse dann die Benach¬
richtigung des Landrats rechtzeitig geschehen.
H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund fürchtet, dass die Zeit nicht
immer dazu ausreieht.
H. Regierungspräsident Schreiber empfiehlt daher direkte Benachrich¬
tigung des Landrats und des Amtmanns durch den Kreisarzt.
H. Reg.- u. Schulrat Dr. Gregor ovlus bittet auch den Ortsschulinspektor
zuzusiehen.
H. Regierungspräsident Schreiber hält dies für zweckmässig. Die
Einladung müsse durch den Amtmann geschehen, da der Kreisarzt den Orta-
sehulinspektor oft nicht kenne.
H. Ober-Reg.-Rat v. Lfipke kann der These 4 des Referenten nicht
beistimmen. Der Kreisarzt sei nicht im stände, streng zu trennen, was not¬
wendig und was erwünscht sei, da er die Leistungsfähigkeit der Interessenten
nicht kenne.
H. Regierungspräsident Schreiber fasst den Leitsets so auf, dass der
Kreisarzt keine Anordnungen treffen, sondern nur den Schulvorstand am Schluss
Ans Versammlungen und Vereinen.
447
der Besichtigung toi der mehr oder minder grossen Notwendigkeit, den Män¬
geln abzuhelfen, sn ttbersengen suchen solle.
H. Reg.- o. Geh. Med.-Rat Dr. R&pmnnd meint, dass der Kreisarst aller¬
dings auch etwas von der Leistangafthigkeit der Schal- n. s. w. Gemeinden
kennen müsse, am danach seine Vorschläge einrichten sn können.
H. Reg.-Rat Mackensen hält den Leitaats 1 für sn weitgehend, da
die genaue Aufnahme des ganzen Befundes in die Verhandlung dem Kreisarzt
nur Mühe verursache und auch das Durchlesen der Verhandlungen seitens der
beteiligten Behörden nnnOtig viel Zeit beanspruche. Zweckmässiger sei es, nnr
die Mängel anfsnführen.
H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmnnd erwidert, dass eine so ge-
genane Aufnahme des Befundes nur für die erste Besichtigung gefordert
werde und ausserdem nötig sei, um eine Nachprüfung bei der Regierung zu
ermöglichen. Bei späteren Besichtigungen genüge, soweit nicht deutliche nnd
andere Veränderungen eingetreten seien, die Aufführung der Mängel und der
Mittel zu deren Abhttlfe.
Die Diskussion geht dann über zur Reinigung der Schulzimmer.
H. Reg.- u. Schulrat Dr. Gregororius teilt mit, dass nach den jetzigen
Bestimmungen täglich ein Ausfegen der Schulzimmer, alle 8 Tage feuchtes
Aufnahmen und alle 4 Wochen ein gründliches Scheuern des Fussbodens statt¬
zufinden habe. Ein tägliches feuchtes Aufnehmen hält er für sehr zweck¬
mässig, aber nur durchführbar, wenn Schulkinder dazu herangezogen würden.
Früher habe man mit der Reinigung durch Schulkinder sehr gute Erfahrungen
gemacht. Dies sei jedoch jetzt nicht mehr statthaft. Die Kosten des Reinhal-
teus betrügen etwa für die Klasse 60 Mark jährlich.
H. Reg.-Rat Loegel hält Dustless-Oel zum Streichen der FassbOden
für zu teuer, da der Anstrich alle 6 Wochen erneuert werden müsse.
Die Herren Kreisärzte Dr. Nünninghoff-Bielefeld und Med.-Rat Dr.
Schlüter-Gütersloh bemerken, dass das Oel sich in den Schulen Bielefelds
und im Seminar in Gütersloh sehr gut bewährt habe. In Gütersloh würden
zum Ausfegen aber keine Piassava-, sondern Kokosbesen benutzt.
H. Ober-Reg.-Rat ▼. Lttpke fragt an, ob das Oelen älterer FassbOden
in Schulen überhaupt zu empfehlen sei.
H. Reg. u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund erwidert, dass neue FassbOden
mit reinem, gekochtem LeinOl getränkt nnd dies alle 2 Jahre wiederholt werden
müsse. Bei astfreiem Holze, dessen Abnutzung gleichmässig sei, bewähre sich
dies auch bei älteren FassbOden sehr gut. Ist der Fassboden aber ungleich¬
mäßig ausgetreten, dann nützt der Oelanstrich nichts. Leider werde der
Kosten wegen zu häufig die rechtzeitige Wiederholung des Oelens der Fuss-
bOden unterlassen.
Redner erklärt es weiter in gesundheitlichem Interesse für erwünscht«
dass die FassbOden täglich feucht aufgenommen, sowie Tische, Bänke, Schränke
u. s. w. täglich feucht abgewischt und mindestens wöchentlich einmal ein
gründliches Reinigen (Scheuern) des Fussbodens u. s. w. stattfindet.
H. Kreisarzt Dr. SudhOlter-Minden regt an, kranke, insbesondere
tuberkulöse Scheuerfrauen yon der Beschäftigung bei Reinigungsarbeiten in
Schulhäusern auszusohliesBen.
H. Regierungspräsident Schreiber hält eine häufigere Reinigung der
Schulzimmer für angezeigt und ersucht die Schulabteilung, diese Frage'in ernste
Beratung zu ziehen.
Betreffs der Lern- becw. Lehrmittel fragt H. Reg.- u. Schulrat Dr.
Gregororius an, ob schwarze Tafeln für die Augen der Kinder schlechter
seien als weisse, was H. Reg.- u. Geb. Med.-Rat Dr. Rap man d bejaht. Da
die letzteren H. Kreisarzt Dr. Kluge-HOzter auch für nicht teurer erklärt,
wünscht H. Regierungspräsident Schreiber die Anstellung eines Versuche
mit weissen Tafeln.
Wegen vorgerückter Zeit wird die Besprechung der Schularztfrage
ausgesetzt und in den zweiten Punkt der Tagesordnung:
Bekämpfung des Unterleibstyphus und der Ruhr mit besonderer
Berücksichtigung der durch den Ministerialerlass vom 25. September
1902 mttgeteUten Entwürfe zu einer gemeinverständlichen Belehrung
448
Au Versammlungen und Vereinen.
aber diese beiden Krankheiten nnd an Ratschlägen für Aerste betreffs
der an beobachtenden Vorsichtsmassregeln
eingetreten.
Der Referent, H. Kreisarzt Dr. Sudhölter, gibt snnichet ein Krank*
heitsbild des Unterleibstyphus nnd sehlieest darau, dass der Angriffs*
pnnkt für das typhöse Gift die Darmschleimhant and die Eingangspforte der
Verd&uungskanal sei. Die charakteristischen Krankheitszeichen seien jedoeh
nicht immer alle vorhanden, so dass oft nur die bakteriologische Untersuchung
die Diagnose sichere. Anderseits sei es aber gerade mit Rücksicht auf die
nicht stets vorhandenen ausgeprägten Krankheitserscheinungen für die Be¬
kämpfung des Typhus von höchstem Werte, dass auch alle Krankheitsfälle an¬
gezeigt werden, die den Verdacht von Typhu erregen.
Ueber die Fundorte der biologischen Eigenschaften und die Lebens¬
fähigkeit des spezifischen, wohlcharakterisierten Typhusbacillus, sowie
über die Medien, in denen er vorzugsweise wächst, wird ausgeführt:
a. Fundorte: im Darm und in der Milz, in den Roseolen im Speichel,
Harn und Kot, in letzteren beiden noch wochenlang nach Ablauf der Krankheit.
b. Lebensfähigkeit: an Deckgläschen angetrookaet 10 Woehen, in
den Faeces 4 Monate und länger; hei höheren Temperaturen konservieren, ja
vermehren sich die Bazillen noch. In begrabenen Leichen bis 3 Monate (mm-
stens gehen sie jedoch früher zu Grunde); im Boden 3—5*/» Monate, auf der
Oberfläche desselben sterben sie eher ab, als in dessen Tiefe. In nicht steri¬
lisiertem Wasser gehen die Typhusbazillen meist nach einigen Tagen zu Grunde,
können aber unter ihnen günstigen Verhältnissen sich darin vermehren und
bis 36 Tage lebend erhalten, in sterilisiertem Wasser sogar bis 3 Monate.
Auf flüssigen oder an der Oberfläche feachten Lebensmitteln ist ihre Konser¬
vierung wie ihre Vermehrung bis 5 Wochen möglich. Gegen Säuren sind sie
ziemlich erheblich, gegen Alkalien dagegen viel geringer widerstandsfähig.
Aus diesen biologischen Eigenschaften des Typhusbacillus ergeben sich
die Massregeln zur Bekämpfung und Verhütung der Krankheit: Möglichste
Isolierung des Kranken, sorgfältige Desinfektion aller Abgänge (Stuhl, Harn,
Speichel, Auswurf) und Effekten Bofort, des Krankenzimmers nach Ablauf der
Krankheit, sowie sorgfältige Instruktion des Wartepersonals, um nicht nur eine
direkte Uebertragung zu verhüten, sondern auch zu verhindern, dass lebens-
und entwicklungsfähige Typhuskeime nach aussen gelangen.
Diese Massregeln werden in jedem Falle, rechtzeitig angewandt, ge¬
nügen; leider gesohehe dies aber nioht immer und deshalb ist eine wirksame
Bekämpfung auf breiterer Basis nötig, nämlich:
1. Schutz des Bodens vor Verunreinigung durch Sammlung der Schmutz-
Wässer, Jauche, Mist, Abortinhalt in dichten Gruben oder durch sofortige Ab¬
leitung aus der Nähe der menschlichen Wohnungen; Assanierung des verun¬
reinigten Bodens durch Trockenlegung. Um die in dieser Hinsicht noch beson¬
ders auf dem platten Lande herrschenden Missstände zu beseitigen, ist dieser
Punkt in Verbindung mit landwirtschaftlichen Fragen zu behandeln und Fühlung
mit landwirtschaftlichen Vereinen zu nehmen. Sehr zu empfehlen ist ein
womöglich von den Kreisärzten zu erteilender Unterricht in den landwirtschaft¬
lichen Schulen, um die heranwachsende Generation über die wichtigeren hygie¬
nischen Fragen auf zuklären.
2. Ganz besonders ist eine Assanierung des Bodens wegen seiner Bezie¬
hung zum Trink- und Gebrauehswasser zu erstreben, da diesem bei '/« der
Fälle die Schuld beigemessen werden muss. Zentrale Wasserleitungen müssen
daher einwandfrei angelegt und einer ständigen Kontrolle unterworfen werden.
Kesselbrunnen mit Zieh- oder Drehvorrichtungen oder mit Pumpenstand über
dem Brunnen sind bedenklich, eingetriebene Röhrenbrunnen dagegen am meisten
zu empfehlen. Jede direkte Kommunikation eines Brunnens mit Oberfläohen-
wasser muss auf das peinlichste vermieden und möglichst weite Entfernung
der Brunnen von Abtritts-, Jauche-, Schmutzwasser - Gruben und Rinnsalen
gefordert werden; auch dürfen Brunnen für zentrale Wasserleitungen nicht in
der Nähe von Flüssen oder Ackerland, das gedüngt wird, liegen. Bei der Rei¬
nigung der Sammelbehälter müssen die Arbeiter besondere Vorsichtsmassregeln
in bezug auf die Reinheit ihrer Kleidung und ihres Körpers benähten.
An Gebrauehswasser für den Haushalt und die Viehwirtsehaft sind die-
Atu Versammlungen and Vereinen.
449
selben Anforderungen wie an Trinkwaner zn stellen; desgleichen ist auf den
Flussschiffen für reichliches, einwandfreies Wasser sn sorgen.
3. Beinh<nng der Nahrungsmittel, des Obstes, Fleisches und ins*
besondere der Milch, die schon öfter Typhnsepidemien veranlasst hat. Es
bedarf deshalb der peinlichsten Reinlichkeit beim Melken nnd bei der Auf*
bewabrnng der Milch (Sorge für gute reine Stille nnd Reinhaltung des Milch¬
viehes durch reichliche Streu, Waschen des Ruters der Milchtiere, Reinigen der
Milebgesehirre in einwandfreiem Wasser, Aufbewahrung der Milch in besonderen,
nur für diesen Zweck und vor allem nicht zum Schlafen und Wohnen be¬
stimmten Rlumen). Sammelmolkereien müssen Einrichtungen zum Erhitzen
der Milch auf 85 °/ 0 haben, um die Bazillen unschädlich zu machen, und einer
regelmässigen Kontrolle unterliegen. Auch bei der Benutzung von Natureis
ist Vorsicht geboten.
Am Schluss betont der Referent die Notwendigkeit einer entsprechenden
Belehrung des Publikums, auch der Aerzte; er hält und bezeichnet den durch
den Min.-Erlass vom 25. September 1902 in besag auf den Unterleibstyphus
mitgeteilten Entwurf zu einer gemeinverständlichen Belehrung über diese
Krankheit und zu Ratschlägen für Aerzte betreffs der zu beobachtenden
Vorsichtsmassregeln als sehr zweckmässig.
Der Korreferent, H. Kreisarst Med.-Rat Dr. Rheinen-Herford führte
dann hinsichtlich der Bekämpfung der Ruhr etwa folgendes aus:
Seit den grossen Ruhrepidemien, die in den Jahren 1872 und 1873 auch
im hiesigen Reg.-Bez. geherrscht haben, bat diese Seuche bis zum Jahre 1892
immer mehr abgenommen, seitdem aber wieder eine Zunahme erfahren, sodass
energische Massnahmen zu ihrer Bekämpfung nötig sind.
Unsere Kenntnisse über die Natur des Krankheitserregers sind leider
noch ziemlich unsicher; doch kann es nicht bezweifelt werden, dass er in den
Stuhlentleerungen der Kranken vorhanden ist und seine Uebertragung durch
Teilchen der Faeces entweder direkt von Körper zu Körper oder indirekt
durch Wäsche, Betten. Kleider, Geschirr, Fassboden, Abortsitsbretter, Nahrungs¬
mittel etc. erfolgt. Welche Rolle das Trink- und Nutzwasser bei der Ver¬
breitung der Ruhr spielt, ist noch nicht sicher aufgeklärt, doch muss man mit
der Möglichkeit der Uebertragung durch dasselbe rechnen. Die Bodenbeschaffen¬
heit macht sich dagegen im wesentlichen nur so weit geltend, als die Abort-
und Abwässerungsverhältnisse in Frage kommen.
Eine seitliche Disposition tritt jedenfalls deutlich hervor; denn die
Beobachtung lehrt, dass die Ruhr vorzugsweise in der heissen Jahreszeit auf-
tritt und etwaige Epidemien während der Frostperiode erlöschen. Als Ursache
hierfür sei anzunehmen, dass entweder die Ruhrkeime während der wärmeren
Jahreszeit ausserhalb des Körpers bessere Vermehrungsbedingungen finden oder
die Menschen, die erfahrungsgemäss dann mehr zu Darmerkrankungen neigen,
eine grössere Disposition für Erkrankung an Ruhr zeigen.
Die persönliche Disposition ist im allgemeinen ziemlich gross für alle
Altersstufen. Die Inkubationszeit beträgt 3 Tage, die Krankheitsdauer
8—14 Tage, in ernsteren Fällen 8—4 Wochen; die Sterblichkeit in Preussen
durchschnittlich etwa 12°/ 0 .
Zur Bekämpfung der Ruhr sind nachstehende Massregeln erforderlich:
1. Anmeldung auch der verdächtigen und der in kälterer Jahreszeit
vereinzelt auftretenden Fälle. Bei nur verdächtigen Fällen sind dieselben
Massregeln wie bei ausgesprochenen Erkrankungen zu treffen.
2. Absonderung der Kranken, insbesondere auch der nur leicht Er¬
krankten und der Rekonvaleszenten, eventt. Ueberführung in Krankenhäuser.
3. Genaue Beachtung der Vorschriften zur Verhütung der Weiter-
verbeitung übertragbarer Krankheiten durch die Schulen u. s. w.
4. Belehrung der Umgebung des Kranken, insbesondere des Pflege¬
personals; namentlich ist diesen gegenüber die grösste Sauberkeit nach jeder
Richtung hin zu betonen.
5. Desinfektion der Ruhrstühle, strengste Reinhaltung der Aborte.
6. Desinfektion der Betten, Wäsche, Kleider, Wohnungen nach den
bekannten Regeln.
7. Verschärfte Ueberwaehung des Verkehrs mit Nahrangs- und Genuss¬
mitteln, insbesondere unbedingtes Verbot der Zubereitung zum Verkauf und
des Feilhaiteni von Nahrangs- und Genussmitteln in verseuchten Häusern.
450
Aas Versammlungen und Vereinen.
8. Sicherung der Brunnen und neutralen WMseryersorgnngtanlagea,
der Bade* und Schwimmanstalten gegen Verunreinigung, eventl. Schließ un g
derselben.
9. Sorge für Reinlichkeit innerhalb und ausserhalb der Wohnungen,
auf Höfen, Strassen u. s. w., insbesondere unschädliche Beseitigung der Ab¬
füllstelle.
10. Beaufsichtigung des Personenverkehrs aus verseuchten Ortschaften,
verschärfte Ueberwachung der Herbergen, Massenquartiere u. s. w.; unter
Umständen Untersuchung oder Beschränkung der Abhaltung von Messen,
Märkten, Prozessionen und anderen Veranstaltungen, die eine Ansammlung
grösserer Menschenmengen mit sich bringen.
H. Reg.- u. Geb. Med.-Rat Dr. Rapmund leitet die Diskussion
ein, indem er darauf hinweist, dass in der für den Regierungsbezirk geltenden
Poliseiverordnung die Anseigepflicht nur für verdächtige Typbusfälle, aber noch
nicht fttr verdächtige Ruhrerkrankungen eingeftibrt ist. Er macht jedoch
gleichseitig darauf aufmerksam, dass nach mehrfachem Urteil des Kammer¬
gerichts die Vorschrift betreffs der Anseigepflicht bei verdächtigen Erkrankungen
unzulässig sei, da sie über die noch jetzt massgebenden Bestimmungen des
Regulativs vom 8. August 1835 hinausgebe. Die Aufhebung des Regulativs
und der Erlass eines preussischen Seuchengesetzes sei deshalb dringend
notwendig.
H. Kreisarzt Dr. Kluge-Höxter hebt die Schwierigkeiten hervor,
genau anzugeben, wann ein Krankheitsfall des Typhus oder der Ruhr ver¬
dächtig sei.
H. Reg.-Rat Feigell teilt dieses Bedenken im gegebenen Falle und
meint, dass ein wegen unterlassener Anzeige angeklagter Arzt freigesprochen
werden würde, wenn er erkläre, dass er keinen Verdacht habe. Die Haupt¬
sache sei die Gewissenhaftigkeit der Aerste. Es empfehle sieh deshalb in dem
zu erlassenden preussischen Seuchengesetze eine präzisere Fassung des Begriffs
„verdächtiger Krankheitsfall" etwa in der Weise, dass ein solcher vorliege,
wenn ein wissenschaftlich gebildeter Arzt ans den vorhandenen Symptomen den
Verdaeht auf eine derartige Krankheit annebmen müsse. Bei Unterlassung
der Anzeige würde sich dann der Arzt eines groben Kunstfehlers schuldig
machen und seine Bestrafung erfolgen können.
H. Kreisarzt Dr. Nünninghoff-Bielefeld scbliesst sich diesen Aus¬
führungen an, in dem er einen Fall mitteilte, wo die Bestrafung eines Arztes
wegen unterlassener Anzeige einer Wochenbettfieber-Erkranlrang erfolgte,
nachdem er als Sachverständiger die Frage des Richters, ob dieser Arzt den
Krankheitsfall als Wochenbettfieber hätte erkennen müssen, bejaht habe.
H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund betont ebenso wie die
Referenten die Wichtigkeit der frühzeitigen Anzeige der ersten verdächtigen
Fälle, da gerade durch sie am leichtesten eine Verschleppung der Krankheit
eintrete. Aber diese Anzeige werde häufig versäumt; desgleichen erfolge oft
entgegen dem §. 11 der Polizeiverordnung ein Wobnnngs- und Ortswechsel
der erkrankten Personen ohne Kenntnis und Genehmigung der Ortspolisei-
behörde und werde dadurch die Verbreitung der Krankheit gefördert.
Namentlich würden s. B. häufig erkrankte Dienstpersonen ohne Vorwissen der
zuständigen Ortspoliseibebörde in ihre Heimat entlassen. Redner bespraoh
hierauf noch die verschiedenen Arten der Infektion und hob besonders die
Wichtigkeit hervor, die Infektionsquelle beim ersten Erkrankungsfalle fest-
zustellen und diese nicht immer nur im Trink- oder Gebraucbawasser zu
snehen, sondern auch alle anderen Infektionswege, namentlich diejenigen von
Person zu Person zu berücksichtigen.
H. Dr. Loer-Büren führt Beispiele aus seiner Praxis für dieUeber-
tragung von Typhus von Person zu Person an.
Die Herren Kreisärzte Dr. Nünninirhoff -Bielefeld und Dr. Kluge-
Höxter wiesen darauf hin, dass gerade bei Unterleibstyphus das Pflegepersonal
besonders gefährdet sei, wie sich aus den häufigen Erkrankungen desselben
ergebe.
H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund erklärt dies daraus, dass
der Unterleibstyphus sehr grosse Anforderungen an das Pflegepersonal stelle
und dieses dadurch in seiner Widerstandsfähigkeit herabgesetzt werde. Er
Mt übrigens eine Uebertragung des Typhusgiftes durch die Luft nicht für
Aas Versammlungen mid Vereinen.
4SI
ausgeschlossen, eine Ansicht, die such von »öderer Seite auf Grund gemachter
Beobachtungen geteilt wird. Er rät weiterhin von einer Kennzeielionng der
Häuser, in denen die Krankheit ausgebroehea sei, im allgemeinen nk da die
.Bevölkerung ans Furcht davor sonst leicht Krankheitsfälle verheimliche Die
Ortspolizeibehörde gebe darin oft zu weit; die Kennzeichnung *‘-i nur in
Häusern mit viel Verkehr, wie Gastwirt seha(t«n u. s. w, geboten.
Die Entwürfe der BelehrnngeB über Typhus und Ruhr und der )t*t-
schläge für Aerzte bei diesen Krankheiten hält Redner im allgemeinen für
zweckraäasig; nur ip einzelnen, von ihmberührten Punkten empfehle sich eine
Abänderung. Jedenfalls sei ese richtig, fürjede Krankheit eine •'besonder/», die
Eigentümlichkeiten derselben berücksichtigende Belehrung zn erlasson
Er bespricht ferner die Isolierung der Kranke», die tu der. Häusern
selbst oft schwer «der gar sieht dttrcbffllhrbsir sei ; der U«hw{ühr?iag in ein
Krankenhaus «tabu übrigens das Pftblikum nicht mehr ac widerwillig gegen¬
über, wie früher; hauptsfichlieh scheue man nur die Kosten de* .JDnmkftnhans-
behaudlüng. Bei den tm Reicbaseuchengeeetze bezcieboeten.'Krankheiten
müssten allerdiag* die Gemeinden diese Kbstei» eventl. tragenIffeise seien
jedoch oft nicht leistungsfähig genug, so dass eich die Ueberfchüfnug der
Kosten auf grössere Verbund* (Aemter oder Kreise) empfehle..
H. Kreisarzt Dr, SadbSlter-Minden hält es fÄrlawecfemMasig, be¬
sonders die ländliche Bevölkerung über ansteckende Krankheiten wsd >ifc d*b«i
zvt beftcbtendea VoTsichtsmassregelu mafzukläreo. Am besten 'geschehe -dies-
durch Unterricht »a den lind wirtschaftlichen Winterschulen, Es empfehle sich
dahur, dieserbatVmifc den LaadwirischaftsbaminerD in Verbindung zu treten.
Auf die Fr»ge des Herrn Regiernugspräsidenteu Schrei ho», ob «a*
|H. Dt. Sud h ölte r) bereit sei, einen solchen Unterricht an der land wirf -
acbaftliahen Winterschule zu erteilen, erklärt dieser seine Bereitwilligkeit.
Der Unterricht müsste sich hauptsächlich anf die Verhütung der at^teckejbden
Krankheiten n&d damit zusammenhängend auf die Wohnangshygiene nnd
Wasserversorgung erstrecken.
H. Reg.* n. Geh. Med. - Rat Dr. Rapin und hält gleichfalls den Unter¬
richt' der jungen Landwirte in den sie besonders betreffenden Zw# igec der
Hygiene für sehr zweckmässig; Auch müssten die Kreisärzte sicU mH: !*•«
landwirtschaftlichen Vereinen in Verbindung setzen und versuchen, «ie Ihr
hygienische Fragen, insbesondere für eine gute Trinkwasserverse j rnnc, zu
interessieren. Eine Vorbedingung dazu sei aber das Vorbandeftseia von
Bnnroenmachern, die im stände seien, einen guten Kessel- oder Söbr-fto tiranneu
«nsubegett. Au solchen geschickten und tüchtigen Handwerkern fehle e<
jedoch *. Z. im Regierungsbezirk; es sei dies seines Erachtens «ine , .>.apt*
sächlichsten Ursachen für die mangelhafte Beschaffenheit der meiste Jim*»«»*.
Uebrigens seien auch die zentralen Wasserlnitnegcrt Im htesrifefiv Rezitl:
niobt sämtlich einwandsfrei; desgleichen «ei ihre tFeberwkehüag UnÄlSrigi. ;
Es seien dazn regelmässige bakteriologische Ünteraachnngeti spfbrdes^i^i.
Zuverlässigkeit jährlich vom Kreisarzt« durch RHehprokee geprttfti^s^^? a.iis?c.
Er achliesst sodann die Sitzung mit elagin Dank au d&U.\\lf»Tro Sc*
gteruugRprKsideuten nicht hör für die Tellaab©« an d^&entvgen Vewfio.iU'lririp.
sondern auch für da« warme Interesse, dses er stets allen Fragen der IMF«?» i
Rebe» Gesundheitspflege entgegesbringe.
Schluss der Sitzung 3 Uhr nachmittags. Sämtliche Tulittott folgten
hierauf einer Einladung des U. Regierungsprlsidebfu« zum Mittages)?*-’
V; Rpd.
Seriell t fiber die 57. und 5ä, Konferenx der IfdUiual
Beamten de* Beg. Rei. Itfisseldorf ln llfisseldnrf.
57, Konferenz am 14. Jniii 1 902.
Anwesend sind: Reg.- Utod Med.-Bat Dr. Keyboefer; die K'tfifsftrtftec
Dr. RftUber-Dttsseldorf, Med.-Rat Dr. .Carp-WWt, Dt, ■Wulff - HflJN
Dr. Paseo w- M.-Gladhaeb, Med.-Rttt T>r. Be.ermah»-Duisburg. Dr. * ma-e-
Staren, Dr. Röder-Vohwinkel, Dr. Kr)«ge“Bareren. Dr. Richter B**n-
scheid, Dr. Woltemas-Salingen, Pr. Niemeyer-Nens«, Geb. $füd • fiuv.
Dr. Füll «»-Grevenbroich. Dr. Ewers-Kempen, Dr. Hofacker - 1 dotU
Au Versammlungen and Vereinen.
4 52
Dr. Meyer-Lennep, Dr. Clären-Krefeld, Med.-Bat Dr. Marx-Mülheim.
Stadtant Dr. Schrakamp-Düsseldorf, Dr. 6rnns-Gelsenkirchen, San.-Bat
Dr. Peretti, Direktor der Irrenanstalt Grafenberg, San.-Bat Dr. Neuhaust
Oberarzt der Dep&rtemental-Irrenanstalt, Stadtassistensarst Dr. Frech, Dr.
Focke, Dr. Esch weil er-Düsseldorf.
Der Vorsitzende hegrfisst die Versammlung and besonders den Leiter
des Instituts für Hygiene and Bakteriologie in Gelsenkirohen, H. Dr. Br ans.
I. Besprechung von Fragen ans der amtsärztlichen Praxis.
Gegen das Aufsiohtsrecht über die Nahrungsmittelunter-
sachnngsanstalten (§. 78 d. D. A.) haben die Chemiker Einspruch erhoben
and beantragt, den SohlaBSsatz dieses Paragraphen zu beseitigen. Es herrschte
Uebereinstimmang darüber, dass diesem Antrag vorläufig nicht zaznstimmen
sei and wurde besonders vom H. Vorsitzenden betont, dass auch die Nahrangs¬
mittelchemiker, wie jeder andere Beamte, kontrolliert werden müssen. Viele
Chemiker sind einer Beaufsichtigung auch nicht abhold, nur wünschen sie die¬
selbe durch einen Fachmann, z. B. einem Dozenten der Universität in Bonn,
ausgeführt zu sehen. Jedenfalls muss verlangt werden, was nicht überall ge¬
schieht, dass sich nicht der Chemiker über die gesundheitliche Beschaffenheit
eines Nahrungsmittels äussert, sondern dies dem Kreisarzt überlässt.
Die Beaufsichtigung der Molkereien durch die Kreisärzte schreibt
die D. A. nicht direkt vor, doch verlangt eine Beg.-Verfügung vom 10. April
1901 die Prüfung der Sterilisierapparate durch Kreisarzt und Kreistierarzt.
Ein Mangel in dem ganzen Verfahren liegt darin, dass die Gefässe, in denen
die Milch zur Sammelstelle gebracht und von ihr wieder abgeholt wird, nicht
auch sterilisiert werden.
Bei Bekämpfung des Kurpfuschertums kommen in Betracht die Be¬
stimmungen über den Gewerbebetrieb im Umhersiehen, über die Anzeige an¬
steckender Krankheiten und das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb. Ein
Gewerbeschein kann verweigert werden, wenn man in der Lage ist, den Be¬
werber als unzuverlässig zu bezeichnen. Unter Umständen ist der Kreisarzt
genötigt, Ermittelungen über eine von einem Kurpfuscher angezeigte Krankheit
anzustellen, die Kosten muss die Gemeinde bezahlen. Kreisarzt Dr. Ewers
ist anf Grund des §. 4 des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb gegen
eine Kurpfuscherin vorgegangen, die mit 500 Mark bestraft wurde. Auch
wurde vom Oberlandesgerioht in COln anerkannt, dass der Amtsarzt ex officio
berechtigt ist, Strafantrag zu stellen. (Ewers wird seine Erfahrungen Inder
Zeitschrift für Medizinalbeamte veröffentlichen.) In jedem Fall soll man mit
Anzeigen vorsichtig sein, da oft eine Freisprechung erfolgt, was dem Kur¬
pfuscher nur von Nutzen ist.
Von verschiedenen Seiten ist eine Erhöhung der Amtsunkostenent-
sohädigung angeregt worden; hierüber einen Beschloss zu fassen, ist noch
verfrüht, zumal da Zweifel herrschen, was zu Amtsunkosten zu rechnen ist
und was nicht; Ausgaben für Litteratur geboren sicher nicht dazu. Es em¬
pfiehlt sich, genau Buch über die amtlichen Ausgaben zu führen.
Behufs Teilnahme an einer Sitzung des Hebammen-Vereins können
Fnhrkosten nicht gewährt werden.
Wenn Beisen ohne besonderen Auftrag auf Grund der D. A. zu Er¬
mittelungen bei ansteckenden Krankheiten gemacht werden, ist ein ganz kurzer
Bericht an den Begierungspräsidenten einzureiohen.
In der Zahl der Dienstreisen herrscht nach Mitteilung des Vorsitzenden
eine grosse Ungleichheit, sie steht nicht im Verhältnis zur Einwohnerzahl der
Kreise; einige Kreisärzte sind sehr viel, andere wenig gereist; manche Beinen
lassen sich vermeiden.
Zu einem Nachkursus kann eine Hebamme geswungen werden;
Anspruch auf Erstattung der Kosten hat sie nicht.
Nach einer Min.-Verfügung vom 8. März 1902 gibt es nur staatlich ge¬
prüfte „Heilgehülfen und Masseure“; daher müssen die Kandidaten
auf diese doppelte Eigenschaft geprüft werden. (Die Prüfungsgebühr beträgt
vorläufig 6 Mark.)
Kreisarzt Dr. Bäuber, Hilfsarbeiter bei der Königlichen Begierung,
wünscht eine Besprechung und Einigung darüber, welche amtlichen Verrich¬
tungen in das Gebührenverzeichnis aufzunehmen seien, weil darüber
Aoa Versammlungen and Veteifceh. 453
vielfach Unklarheit herrsche. Auf eine BrOrterang hierüber in der Versamm¬
lung wurde versiebtet, dafür aber eine Kommission, bestehend aus: Räuber,
Raeine, Schrakamp, Niemeyer und Hofacker, gewählt, welche die
Frage bearbeiten soll; das Ergebnis der Kommission hat Räuber in Heft 17,
1902, dieser Zeitschrift veröffentlicht.
Wegen der vorgerückten Zeit musste Räubers Bericht über den ersten
Fortbildungskurses fllr Kreisärste in Berlin, und des Vorsitsenden Vortrag
„über Neuanlage von Apotheken“ aasfallen, damit Punkt 4, das gemeinschaft¬
liche Mittagessen, au seinem Rechte kam.
Hieran schloss sieh ein Besuch der Ausstellung, besonders der Gruppe
XXI: Gesundheitspflege und Wohlfahrtseinriehtnngen.
68. Konferenz (II. offizielle) am 12. Dezember 1902.
Anwesend: Reg.- und Med.-Rat Dr. Meyhoefer, sämtliche Kreis-und
Geriehtsärzte, mit Ausnahme der durch Dienstgeschäfte verhinderten zu Mül¬
heim a. Ruhr und M.-Gladbach; Stadtassistenzarzt Dr. Frech, Kreiswund-
arzt z. D. San.-Rat Dr. Le Blanc-Opladen, die Irrenanstaltsärzte San.-Bat
Dr. Peretti-Grafenberg, Dr. Tippel-Kaiserswerth, Dr. Esser-Neuss;
Dr. Czablewski, Direktor des bakteriolog. Instituts in Cöln, Dr. Bruns,
Direktor des hygien. Instituts in Gelsenkirchen, die pro physicatn geprüften
DrDr. Eschweiler, Focke, Stern-Düsseldorf, Departementstierarzt
Sehmidt, die Oberregierungsräte Grüttner und Königs, sowie mehrere
Regierungsräte und Regierungsassessoren, Oberbürgermeister bezw. Beigeordnete
von Krefeld, Remscheid, M.-Gladbach, Elberfeld, Duisburg; die Landräte von
Lennep und Solingen (im ganzen mehr als 50 Herren).
Nachdem Herr Ob.-Reg.-Rat Königs an Stelle des Regierungspräsi¬
denten, der am Erscheinen verhindert war, die Versammlung begrüsst hatte,
leitete der Vorsitzende Herr Reg.- u. Med.-Rat Dr. Meyhoefer den Vortrag
des Dr. Czablewski, Direktor des hygien. - bakteriolog. Instituts der Stadt
Cölu, ein, mit Hinweis auf die Wichtigkeit der Desinfektion im allgemeinen
und der Wohnungsdesinfektion im besonderen.
Dr. Czablewski bespricht im allgemeinen die desinfizierende
Wirkung des Formaldehyds bezw. des Formalins, seiner 40pros. Lösung,
und die Punkte, auf welche es bei der Verwertung in der Praxis ankommt.
Wichtig ist die Menge, man rechnet 4 g Formalin pro cbm Raum, ferner die
Sättigung des Raumes mit Wasserdampf, 30—40 g Wasser pro cbm Baum.
Um Verluste des Formaldebyds zu vermeiden, dichtet man Spalte nnd Schlüssel¬
löcher mit nicht entfetteter Watte ab. Die Wirkung der Desinfektion ist um
so grösser, je höher die Temperatur. Doch lassen sieh Oefen schwer desin¬
fizieren, weil die warme Luftschicht um die Heizkörper herum den Zutritt der
Formalindämpfe hindert. Ueber die Dauer der Desinfektion sind sich die Ge¬
lehrten noch nicht ganz einig, Flügge hält 3 1 /* Stunden für ausreichend, der
Vortragende 6—7; begnügt man sich mit der kürzeren Zeit, so mnss man
stärkere Konzentrationen nehmen und verteuert dadurch das Verfahren. Zur
Desodorisierung werden von aussen Ammoniakdämpfe ins Zimmer geleitet;
diese sehaden durch ihre Aetzwirkung, indem sie Politur und Firnis der Möbel
angreifen, man soll sie daher nicht zu lange wirken lassen.
Von den verschiedenen Methoden und Apparaten gibt der Apparat
„Aeskulap“ (Schering) unsichere Resultate. Besser ist die Flüggesche
Methode, verdünnte Lösungen zu verdampfen. Am besten hat sich die Spray-
Methode, nach der auch der Cöiner Apparat eingerichtet ist, bewährt; Vorbe¬
dingung ist aber ein Personsl von geschulten Desinfektoren.
In der sich an den Vortrag anknüpfenden Besprechung berichtete
Kreisarzt Dr. Kriege-Barmen, dass in seinem Kreis bei Erkrankungen an
Diphtherie, Scharlach, Ruhr und Unterleibstyphus die Desinfektion ausgeführt
wird, nachdem ärztlicherseits das Ende der Krankheit gemeldet ist.
Der Mechaniker Götz in Coblenz stellte einen transportablen Apparat
zur Untersuchung von Wasser und Entnahme der Proben aus.
Der Vorsitzende hielt sodann einen Vortrag Uber die Schul¬
schliessung bei Augenkrankheiten und das Vorkommen der Granulöse in
den westlichen Provinzen. (Der Vortrag sollte in der Zeitschrift für Medizinal-
beemte veröffentlicht werden, das Manuskript ist aber nicht eingegaegen.)
454
Au Versammlungen und Vereinen.
Ueber die bei Ausführung des Ereisarztgesetses mit den Ortsbesichti¬
gungen gemachten Erfahrungen berichten Kreisarst Med.-Bat Dr. Carp-
Wesei und Kreisarzt Dr. Woitemas-Solingen. Sie haben gefunden, dass die
Besichtigungen sehr zeitraubend sind, aber wertvolle Aufschlüsse über die ge¬
sundheitlichen Verhältnisse und Anregungen zu Verbesserungen geben. Die
Teilnahme der Gesundheitskommission an den Besichtigungen halten sie für
zwecklos und manchmal auch tür Btörend.
Nach Schluss der Versammlung fand sich die Mehrzahl der Teilnehmer
im Hotel Heck zu einem gemeinsamen Mittagsmahl ein.
Dr. Hofacker-Düsseldorf.
Bericht über die 11. Jahreg Versammlung des Wftrttem-
bergisehCn Medizinal beamten Vereins am £6. April 1903
in Stuttgart.
Erschienen waren 28 Mitglieder. Der Vorsitzende, Med.-Bat Dr. Köst-
lin, begrüsste zunächst die Versammlung, erörterte die Gründe, welche
diesmal eine Einschränkung der Tagesordnung notwendig gemacht haben, Und
erstattete hierauf einen kurzen Geschäftsbericht.
Darnach zählt der Verein jetzt im ganzen 70 Mitglieder. — Das
wichtigste Ereignis in dem vergangenen Berichtsjahre bildete die erste
Jahresversammlung des neu gegründeten Deutschen Medi¬
zinalbeamtenvereins in München, bei der jedoch leider trotz der Nähe
des Versammlungsortes die Beteiligung von seiten der württembergischen
Kollegen eine verhältnismässig geringe gewesen sei — es waren im ganzen
nur 5 WÜrttemberger dabei vertreten —. Aus der reichen Fülle des Gebotenen
hebt der Vorsitzende besonders einen Vortrag hervor, nämlich den des Herrn
Prof. Dr. Fränkel-Halie über die wissenschaftliche und praktische Hygiene,
weil dieser für den Medizinal beamten zweifellos das grösste Interesse geboten
habe, sowohl in dem Vortrage selbst, als besonders in der an ihn geknüpften
Diskussion. Wenn auch bei der letzteren die Erörterung spezifisch preussischer
Verhältnisse vielleicht etwas zu sehr überwogen habe, so sei dies doch ander¬
seits insofern kein Nachteil gewesen, als auf diese Weise die nicht preussischen
Kollegen die beste Gelegenheit gehabt haben, zu sehen, wie sich unter der
Einwirkung des neuen preussischen Kreisarztgesetzes die Stellung und Wirk¬
samkeit der Medizinalbeamten in Preussen gestaltet hat, und welche Schluss¬
folgerungen sie aus dieser Neuorganisation des Medizinalwesens in dem
grössten Bundesstaate des Deutschen Beiches zu ziehen haben. Speziell für
die WÜrttemberger sei es dabei nicht uninteressant gewesen, festzustellen,
wie manche Einrichtungen auf medizinalpolizeilichem Gebiet, welche für die
preussischen Kollegen noch etwas ganz Neues sind, hier schon seit langer Zeit
bestehen, wie z. B. die periodischen medizinalpolizeilichen Visitationen der Ge¬
meinden, die ärztliche Aufsicht über die Schulen und dergl.; anderseits könne
man sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses neue preussische
Kreisarztgesetz, auch ganz im allgemeinen betrachtet, sicherlich einen be¬
deutenden Fortschritt auf dem Gebiete des Medizinalwesens, und insonderheit
der öffentlichen Gesundheitspflege darstellt, und dass die württembergischen
Medizinalbeamten, wenn es einmal in voller Wirksamkeit ist, ihren preussischen
Kollegen in mancher Hinsicht zweifellos nachstehen werden, besonders auch in
Bezug auf die bessere Ausbildung und Fortbildung der Medizinalbeamten, sowie
auf die verbesserte dienstliche und pekuniäre Stellung derselben. In ersterer
Beziehung habe sich allerdings gerade in den letzten Tagen ein erfreulicher
Fortschritt vollzogen, indem nach dem Erlass des K. Medizinalkollegiums vom
18. April den Oberamtsärzten zum Besuch von Fortbildungskursen ein Staats¬
beitrag von 200 Mark gewährt werden soll. Dieser Erlass werde gewiss von
allen freudigst und dankbarst begrüsst sein.
Nachdem Bedner noch kurz die neueren gesetzlichen Bestimmungen auf
dem Gebiete der Medizinalgesetzgebung im Beiche wie in Württem¬
berg erwähnt hat, bittet er schliesslich die Vereinsmitglieder recht dringend,
imLaufe des Jahres Vorträge für die nächstkommende Jahres¬
versammlung anzumelden. Es brauchen dies durchaus nicht immer
grosse wissenschaftliche Abhandlungen zu sein; ebenso erwünscht sind auch
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
455
eimfache kasuistische Mitteilangen über interessante Fälle auf dem Gebiete der
gerichtlichen Medizin oder der Öffentlichen Gesundheitspflege, oder kurie Be¬
sprechungen medizinalpoüseilicher Verordnungen and deren Handhabung in
der Praxis.
Im Anschluss an den Geschäftsbericht erstattete der Schriftführer and
Kassierer Dr. Cless-Stnttgart den Kassenbericht. Als Jahresbeitrag für
das laufende Jahr wurden wiederum 2 Mark bestimmt.
n. Besprechung von Standesangelegenheiten. Hier wurde be¬
schlossen, dass dieses Thema auf die nächstjährige Tagesordnung gestellt
werden sollte; gleichzeitig wurden Jäger-Ulm als Referent und Georg!«
Maulbronn als Korreferent bestimmt. A1 b grundlegend fttr diese Referate
wurde von verschiedenen Seiten ein Vergleich mit dem neuen preussisohen
Kreiaarztgesetz gedacht. Weiterhin worden noch von Blezinger unter
anderem folgende Themata als fttr die gedachten Referate geeignet bezeichnet:
Stellung der Oberamtsärste als Armenärate in Stadt und Bezirk; Uebergang
der Ausbezahlung der Pferderationen von den Körperschaften auf den Staat;
grossere Rücksichtnahme von seiten der Juristen auf die Gerichtsärzte bei
forensischen Fällen und dergl. mehr.
Damit schloss die Versammlung, an welche sich sodann ein gemeinsames
Bssen im Stadtgarten an schloss.
(Nach dem Bericht im Wärttembergischen Med. Korrespondenzblatt; Nr. 19.)
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrie.
Recherches experimentales sur la pathogenie de la mort par
brulure. Von E. Stockis. Archiv intern, d. pharmaco dynamie et d. thörapie,
1903; Vol. XI, fase. III u. IV.
In dem ersten Teile der Arbeit beschäftigt sich Verfasser mit den ner-
vOsen Erscheinungen der Verbrennung. Er zeigt, dass der plötzliche Shock
(shock smaiger) nicht die wesentliche Rolle beim Eintreten des Todes spielt,
welche bisher vielfach ihm zugewiesen wurde, — dass dagegen viel wichtiger
und wesentlicher der langsame Shock (shock ralenti) ist, welcher mehr und
mehr wachsende funktionelle Storungen der Nervenzentren bewirkt, die allein
schon in der Mehrzahl der Fälle den Eintritt des Todes erklären können.
Im Weiteren zeigt er, dass das Blut nach Verbrennungen wesentliche
physiko-chemische Veränderungen erleidet, dass es dagegen nicht toxisch wirkt
und daher die Theorien Bich nicht halten lassen, welche eine Intoxikation durch
im Blute entstandene Ptomaine als Ursache des Todes nach Verbrennung
annehmen.
Aus den Ergebnissen seiner Studien schliesst Verfasser: Eine einheitliche
Ursache des Todes nach Verbrennung existiert nicht. Es ist vielmehr wesentlich
zu unterscheiden zwischen den Ursachen des plötzlichen Todes und demjenigen
Symptomenkomptexe, welcher, sich nach und nach entwickelnd, diesen in einer
sekundären Periode bervorruft.
Der plötzliche Tod kann durch Shock bewirkt werden, welcher die fttr
das Leben wesentlichen Nervenzentren durch Verzögerung, resp. Hemmung des
Stoffwechsels lähmt. Tritt aber sofortiger Tod nicht ein, so entwickeln sich in
jenen Zentren, spez. in dem verlängerten Marke, destruktive Prozesse der
Funktionen, deren primäre Ursache der thermische Insult der Nervenendigungen
ist und die um so intensiver und schneller auftreten, je grössere KOrperflficben
von der Verbrennung betroffen wurden.
Der langsame Shock charakterisiert sich durch die fortschreitende Ver¬
minderung der Tätigkeit der Nervenzentren, von deren Intaktheit die Auf¬
rechterhaltung der fttr das Leben wesentlichen Körperfunktionen abhängt, so¬
wie ferner durch die Verlangsamung des sich in den Geweben vollziehenden
physiko-chemischen Stoffwechsel. Auf diese Weise kann der langsame Shock
die direkte und einzige Ursache des Todes werden.
Ist der Shock weniger stark und plötzlich, so schafft er im Körper einen
Status minoris resistentiae gegenüber anderen Krankheitsursachen. Vor^
wiegend kommen hier in Betracht Störungen der Funktionen der Ausscheidung'
456 Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften.
organe (Nieren, Haut), parenchymatöse Prosesse und Uikrobeninfektion der durch
die Verbrennung nekrotisierten Gewebe. Sehr wesentlich ist auch die Ver-
inderuug des Blutes, dessen Hämoglobin mehr oder weniger die Fähigkeit
verliert, den Sauerstoff su fixieren. Diese Brscheinnng aller im Vereine mit'
den Folgen des langsamen Shocks erklärt alle jene Todesfälle nach Ver¬
brennung, bei denen nicht direkt das Bild der Septikämie vorliegt.
Die Hypothese einer Ptomainintoxikation erscheint sehr wenig bewiesen .
und unwahrscheinlich, da dnrch die Studien des gansen, allerdings höchst un¬
komplizierten Symptomenkomplexes nichts festgestellt werden konnte, was zur
Begrflndung derselben verwendbar war. Dt. 8 ehrakamp-Düsseldorf.
Ein besonders bemerkenswerter Fall von Kohlenoxydgasver¬
giftung. Von Prof. Dr. Kurt Wolf in Dresden. Münch, med. Wochenschr.;
1908, Nr. 6.
Die Poliseikommi8sion in D. erhielt die Meldung erstattet, dass ein
Bursche eines auf der Durchreise begriffenen ungarischen Offiziers in einem
Stalle die einem Fahrwerksbesitser gehörigen Pferde und dann sich selbst
vergiftet habe. Der Stall (mit einer Bodenfläche von 70 qm und einem
Luftraum von 252 cbm) lag im Kellergeschoss eines nur erst kurze Zeit
bezogenen Hintergebäudes, mit dem Fussboden etwa 1 m unter dem Niveau
des Hofpflasters, von welchem nach dem Stall eine schräg abfallende
Zufahrt sn ihm ging. In dem Stall waren ausser den beiden ungarischen
Pferden noch 2 Pferde eines hiesigen Fnhrwerksbesitzers untergebracht. Der
Offiziersbursche hatte sich in einem benachbarten Laden Nachtessen geholt und
dann sein Lager aufgesucht, das er sich in dem fraglichen Stalle zurecht ge¬
macht hatte. Als am nächsten Tag früh der Knecht des Fnhrwerksbesitzers
gegen 6 Uhr in den Stall kam, fand er den Offisiersburschen und die seinem
eigenen Herrn gehörigen Pferde tot vor, während die beiden fremden Pferde
lebend an ihren Plätzen standen. Zuerst vermutete der Knecht, dass der
Bursche die Tiere und sich selbst vergiftet habe, da man an keiner der Leichen
etwas Auffälliges und auch sonst nichts bemerkte.
Der Kommissionsbericht stellte folgendes fest:
Auf der der Zufahrt gegenüberliegenden Seite des Stalles lag der Bursche
auf einem Strohhaufen. Die Füsse berührten das Stallpflaster, der Kopf lag
etwa 40 cm höher. Neben ihm lag das eine Pferd, gegenüber von ihm ein
anderes, während die beiden Ungarischen Pferde neben dem letzteren standen.
Die Leiche des Burschen lag auf den Rücken, den Kopf leioht zur Seite
geneigt, Arme und Beine ausgestreckt.
Beide Pferde lagen auf der Seite; aus der Lage und der Beschmutzung
ihrer Körper, sowie aus der umhergeworfenen Streu konnte man auf einen
heftigen Todeskampf schliessen.
Nach Entkleidung und näherer Betrachtung der Leiche des Burschen
liess sich die Todesursache sehr bald feststellen. Die hellroten, geradezu
leuchtenden Totenflecken wiesen zweifellos auf Kohlenoxydgasvergiftung hin.
Auch an den beiden verendeten Tieren konnte man an allen sichtbaren Schleim¬
häuten eine intensiv rote Farbe bemerken. Das aus einer Vorderarmvene
entnommene Blut des Burschen liess durch das Spektroskop die für Kohlen¬
oxydhämoglobin charakteristischen Absorptionsstreifen nachweisen. Die in allen
Gelenken des Burschen ausgebildete Totenstarre liess das Eintreten des Todes
zwischen 11 und 1 Uhr nachts annehmen.
In der Zufahrt Vorgefundene Spuren von Erbrochenem Hessen darauf
schlieBsen, dass der Bursche Uebelkeit verspürt und den Stall zeitweilig ver¬
lassen, offenbar aber die Ursache dieser Uebelkeit nicht erkennend, vielleicht
auch schon etwas betäubt, sein Lager wieder anfgesucht hatte.
Nähere Nachforschungen nach der Quelle für die Entstehung des
Kohlenoxydgases ergaben, dass dieses nur von einer in der Nähe des Stalles
gelegenen kleinen Kammer herrühren konnte, deren Fnssboden nur wenig
höher als der des Stalles, also etwa 70—80 cm unter dem Hofpflaster lag und
in welcher Kammer der einzige im gansen Hause vorhandene Kamin seinen
Anfang nahm. Aus diesem Kamin war das Kohlenoxydgas entwichen nnd zwar
auf folgende Weise:
An den Kamin war im t. und 2. Obergeschoss je ein sog. Amerikaner-
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
467
Dauerbrandofen asgeschloesen. ln beiden Geschossen befanden sieb Fabrik*
betriebe, die während des vorhergehenden Tages (Sonntags) rahten. Deshalb
waren beide Dauerbrandofen wahrscheinlich schon am Samstag abends auf
kleinsten Zag eingestellt. Am Sonntag nachmittags trat plötzlicher Witterungs-
Umschlag ein. Nach wochenlanger intensiver Kälte war die Temperatur am
Sonntag nachmittags auf mehr als 10° Wirme gestiegen and nahm auch in
der Nacht nicht erheblich ab. Während der strengen Kälte war das Haus und
mit ihm der Kamin immer noch wärmer als die Aussenlaft; der Kamin
ventilierte anch bei kleinster Einstellung der Dauerbrandofen richtig, d. h. es
bestand in ihm ein aufsteigender Laftstrom. Der plötzlichen Erwärmung der
Aassenlaft konnte das Mauerwerk aber nicht genug folgen. In dem nnn kalten
Kamin musste notwendigerweise die Luft sich an den Wandungen abkühlen,
sie stürzte nan, spezifisch schwerer geworden, in den Kamin hinab, so dass
die aus den Dauerbrandofen entweichenden Verbrennungsgase nicht wie früher
über Fach zogen, sondern nach unten gepresst wurden. Einmal in das Keller¬
geschoss gelangt, strOmten sie auf der schiefen Ebene von der Kaminkammer
durch einen Gang in die Zufahrt, von hier, ohne dass Türen oder ein Bretter¬
verschlag ein nennenswertes Hindernis bieten konnten, in den Stall, wo sie
von dem Barschen um so weniger bemerkt wurden, als den Verbrennungsgasen
aus derartigen AmerikanerOfen nur sehr wenig Rauch, d. h. für die Nase
empfindliche Stoffe, beigemischt zu sein pflegen.
Das einzig Auffallende, warum gerade die fremden Pferde am Leben
blieben, während die beiden andern verendet waren, wurde damit erklärt, dass
Pferde in einem fremden Stalle sich nicht legen. Während die beiden Tiere
des Fahrwerksbesitzers mit der Oertlichkeit vertraut sich im Stalle gelegt
hatten und dadurch ebenso wie der Offiziersbursche in den Bereich des
am Boden hinfliessenden spezifisch schwereren Kohlenoxyd¬
gasstroms gekommen waren, blieben die beiden andern Tiere mit ihren
Atmungsorganen ausserhalb desselben in sauerstoffhaltiger Luft. Dass sie
übrigens nicht gänzlich von den giftigen Gasen verschont geblieben waren,
bewies ihr etwas hinfälliges Aussehen und ihre bis zum Nachmittage andauernde
Nahrungsverweigerung. Sie erholten sich aber sehr schnell.
Dieser Fall beweist in höchst lehrreicher Weise, dass die in den Kamin
einströmenden Gase aus Dauerbrandofen, sobald diese auf geringsten Zug ein¬
gestellt sind, nicht die genügende Wärme besitzen, um unter allen Umständen
in den Kamin einen aufsteigenden Luftstrom zu erzeugen, besonders wenn,
wie hier, das Ofenrohr des Dauerbrandofens direkt an der Einmündungsstelle
in den Kamin endigt. Derartige Zufälle lassen sich verhüten, wenn das Ofen¬
rohr in dem Kamin noch 1 Meter in die Hohe läuft. Das auch bei geringstem
Brande des Ofens sich stark erhitzende Metallrohr erwärmt dann nicht nur
die es umgebende Luft, sondern auch die Wandung des Kamins, wodurch eher
ein aufwärts gerichteter Luftstrom gefordert und bewirkt wird, besonders
wenn, wie hier, zwei Dauerbrandofen übereinander in denselben Kamin ein¬
münden. Die etwa dadarch erschwerte Reinigung des Kaminrohres kann kaum
in Betracht kommen, da Dauerbrandofen so wenig Russ erzeugen, dass ein
öfteres Kehren des Kamins nicht wie bei gewöhnlicher Ofenfeuerung zu er¬
folgen braucht. Dr. Waibel-Kempten.
1. Die ersten Phasen der Kohlenoxydvergiftang* Definition des
Vergiftungskoefflzienten. Von Nestor GrOhant. Comptes rendus soc.
biol.; 1903, S. 19.
2. Die Extraktion von Kohlenoxyd ans dem geronnenen Blute.
Von M. Nioloux. Ibidem; S. 13.
8. Zwei Fälle tödlicher Kohlenoxyd Vergiftungen. Analyse der
Blutgase. Von Lacassagne, E. Martin (gerichtl.-med. Teil) und M.
Nicloux (ehern. Teil). Ibidem; S. 15—17.
1. Gr6hant liess einen Hund Luft mit einem COgehalt von 1 °/ 0 ein-
atmen und bestimmte in seinem Blute sowohl den CO geholt, als das Absorp¬
tionsvermögen für Sauerstoff. Eh ergab sich: In 100 ccm Blut waren ent-
enthalten nach 6 Minuten 9,9, nach 12 Minuten 15,6, nach 18 Minuten 19,3 CO.
Noch 22 Minuten starb das Tier an Atem- und Herzlähmung, In denselben
458
kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
Zwischenräumen entnommene, andere Blutproben des Tieres absorbierten 9,2,
6,7 bezw. 6,1 Sauerstoff (anf 100 ecm Blut berechnet).
Unter „Vergiftungskoeffizienten" versteht nun der Autor das
Verhältnis zwischen CO - Haemoglobin und dem Absorptionsvermögen für
9,9 15,6 19,3
Sauerstoff, also in diesem Falle gg» py» g-p Für spätere gerichtlich - me¬
dizinische Fälle hält er die Einführung dieses Begriffs für notwendig.
2. Nicloux 1 ), einem Schüler Grähants, gelang es, eine Methode zu
finden, auch aus Blut von Blutgerinnseln die Blutgase su extrahieren.
Die Gerinnsel werden zunächst im Reagenzglas mit der Scheere grob
zerschnitten bezw. zerrissen, dann auf ein über einem Hohlgefäss ausgebrei¬
tetes, 20 cm breites leinenes Tuch gegeben. Dieses wird ausgerungen. Mit
der Zunahme des angewandten Druckes entleert sich zunächst Blutflüssigkeit,
dann folgen Blutkörperchen mit etwas Fibrin. Man wäscht und wringt von
neuem aus, bis Tuch und Waschflüssigkeit ungefärbt oder eben rosa gefärbt
sind. Die gewonnene Flüssigkeit wird zur Extraktion der Blutgase
benutzt. Diese werden durch Kalilauge, Pyrogallusaäure, Chlorkupfer oder
den Gr6hantschen Grisoum&tre analysiert.
3. Das Studium der Methode war kaum vollendet, als die Gerichtsärzte
Lacassagne und Martin dem Autor Blutproben zweier Fälle von Kohlen¬
oxydvergiftung, die sie in Lyon am Nachmittag vorher der Leiche entnommen
hatten, zusandten. Dieselben kamen am nächsten Morgen in Paris an:
Am 27. November 1902 wurde ein 73 jähriges Fräulein tot vor ihrem
Bette aufgefunden. Eine 45 jährige Krankenschwester, die am 29. November
bei der Leiche von vormittags 10—11 Uhr wachte, wurde nachmittags gegen
3 Uhr ebenfalls tot angetroffen. In der Wohnung herrschte ein starker,
scharfer, schwefliger Geruch, wie er durch Verbrennung bestimmter Oele ent¬
steht. Die Obduktion beider Leichen fand am 1. Dezember im gerichtlich¬
medizinischen Institute von Lyon statt. An der ersten Leiche fanden sich
keine Zeichen der Kohlenoxyd Vergiftung; bei der zweiten dagegen „Rosa¬
farbe der Leichenflecken; Rosafarbe auf allen Schleimhäuten; rotes flüssiges
Blut. Kein Gerinnsel in den Herzhöhlen; karminfarbenes Oedem der Lungen.
Hyperaemie und Rosafärbung der Därme; Erschlaffung der Sphinkteren."
Nach den bisher geschilderten Methoden wurden die Blutgase von
Nicloux bestimmt; auch kolorimetrisch 2 ) ergaben sich dieselben Resultate.
In 100 ccm Blut der von der ersten Leiche entnommenen Probe waren
13,8 cum CO, in 100 ccm der zweiten 17,7 ccm CO enthalten. Trotzdem war
der grob anatomische Obduktionsbefund bei der ersten Leiche in keiner Weise
für Kohlenoxydvergiftung charakteristisch gewesen. Spektroskopisch war der
Befand allerdings eindeutig.
Den Gr6hantsehen Vergiftungsquotienten für das Blut der ersten
13 8 17 7
Leiche berechnet N. mit jyy Ahr das der zweiten mit -g-jy Obwohl demnach
im zweiten Falle das Blut noch 8,8 Teile Sauerstoff auf 100 Teile zu absor¬
bieren hätte imstande sein müssen, obwohl ein Drittel des Hämoglobins vom CO
noch nicht in Angriff genommen war, ist doch der Tod eingetreten, zu einer
Zeit, wo Tiere, wie Kaninchen oder Hund dem Gifte noch nicht erlegen wären.
Der Autor erhofft aus dem weiteren Studium der Blutgase und aus der
Feststellung des Verhältnisses von CO zu 0 in gerichtlich • medizinischen Fällen
eine weitere Förderung der Lehre von der Kohlenoxydvergiftung.
Dr. Mayer-Simmern.
Ueber Salmiakgeistvergiftung. Von Dr. Reckzch, ehemaliger
Assistenzarzt im Krankenhaus Bethanien su Berlin. Münchener medizinische
Wochenschrift; 1903, Nr. 8.
Während gewerbliche Vergiftungen mit gasförmigem Ammoniak nicht bo
*) In Jahrg. 1901 dieser Zeitschrift, S. 358 ist bereits über eine Arbeit
von Nicloux berichtet. (Der Druckfehler „narkotischer" statt „narkotisierter"
Tiere in dem Titel jener Arbeit ist als solcher in das Literaturverzeichnis
sogar des Medico-legal journal übergegangen.)
*) Vgl. u. a, diese Zeitschrift, 1900, S. 276.
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
469
selten sind, Anden sieh in der Litteratar nar wenig Fälle von Vergiftung durch
Verschlacken von Salmiakgeist (Liq. Ammon, caust.). Im ganzen sind nngefähr
45 derartige Fälle mit 60 Pros. Mortalität bekannt. Verfasser teilt folgenden
Fall mit:
Fraa K., 66 Jahre alt, leidet seit 20 Jahren an Asthma, hatte vor 18
Jahren eine Peritonitis, vor ö Jahren Typhös, vor 3 Jahren einen Anfall von
Qallenateinkolik. Am 24. Dezember 1901 trank sie durch Verwechslung der
Flaschen einen Schlack S&lmiakgeistlösang, worauf sie sofort heftige Schmerzen
im Halse, geringere im Monde spflrte. Sie trank unmittelbar hinterher Milch
nnd erbrach mehrmals. */» Stunde darauf wurde sie ins Krankenhaus ein¬
geliefert. Sie war leicht benommen, stark dyspnoisch und klagte Ober lebhafte,
brennende Schmerzen im Munde, Hals und Magen. Während der Untersuchung
Erbrechen grosser Massen von Speiseresten (Aepfelstücken, Semmel), welche
wenig nach Ammoniak rochen, stark alkalisch reagierten; mikroskopisch Platten-
epithelien und rote und weisse Blutkörperchen. Lippen hochrot, Mundhöhle
bis hinter die Epiglottis mit dicken, grauen, schlecht abziehbaren Belägen
bedeckt. Im Larynx starkes Oedem der Aryknorpel und Taschenbänder.
Stimmbänder frei. Ueber beiden Langen reichliche bronchitische Geräusche.
Herzgrenzen normal, Töne rein. Puls klein, beschleunigt. Abdomen leicht
gespannt, Magengegend etwas druckempfindlich. Urin ohne Eiweiss, Zucker,
Indikan. Im Stuhle zahlreiche, zum Teil ausgelaugte rote Blutkörperchen.
Die Titration der von den Angehörigen mitgebrachten Salmiakgeistlösung
ergab einen Gehalt derselben von 6,919 Proz. freien Ammoniaks.
25. Dez.: Geringere Schmerzhaftigkeit, im Munde haben sich einzelne
von den krupartigen Membranen abgestossen. Täglich 2 Nährklysmen.
26. Dez.: Einstfindiger Anfall höchster Atemnot, wobei besonders das In-
spirium mit Anspannung aller Hilfsmuskeln erfolgt.
27. Dez.: Im Urin Spuren von Eiweiss. Magenschleimhaut, Uvula und
hinterer Teil der Zange immer noch belegt. Erheblicher Schmerznachlass.
28. Dez.: Appetit besser. Abstossen eines nekrotischen Fetzens links von
der Uvula. Hintere Fläche der Epiglottis wund, Aryknorpel und hintere Kehl¬
kopfwand hyperämisch. Höheres Fieber. Das bisher täglich wiederholt auf¬
getretene Erbrechen schleimiger Massen hat aufgehört. Durch Wttrgen noch
Entleerung schleimig-eitrigen Sputums. Urin ohne Eiweiss. Blutuntersuchung:
4,9 Mill. rote, 6100 weisse Blutkörperchen im ccm, 78 Proz. Hämoglobin; keine
Form- und Grössenunterschiede der roten Blutkörperchen, keine polychromato¬
phile oder körnige Degeneration. Weisse Zellen im gewöhnlichen Verhältnis.
80. Dez.: Kleiner Belag an der hinteren Fläche der Epiglottis und an der
Uvula. Larynx frei bis auf einen kleinen, rechtsseitigen Belag. Kein Fieber mehr.
1. Jan.: Noch geringe trockene Bronchitis. Wohlbefinden.
6. Jan.: Mund- und Rachenhöhle ohne Besonderheiten. Patientin geheilt
entlassen.
Temperatur bei Aufnahme 37,4', vom 26.—28. Des. bis zu 39,3°, dann
im Mittel 37,0°.
Pulsfrequenz: 80—134, im Mittel 104. Atemfrequenz 30—36, i. M. 30.
Die meisten Vergiftungen durch Salmiakgeist sind durch Verwechslung
von Flaschen bedingt; nur 2 Fälle von Giftmord, beide an Kindern begangen,
und 8 Selbstmorde (2 letal) sind bekannt.
ln einem von Souchard mitgeteilten Falle hatte ein 6jähriges Mädchen
ihr jfingeres Schwesterchen durch einen Teelöffel voll Salmiakgeist vergiftet.
Sowohl der offizin. Liq. Ammon, oaust., als auch seine Präparate (Liq. Ammon,
anis., Liniment, ammoniatum u. a.) sind mit Medikamenten oder Getränken ver¬
wechselt worden.
Im vorliegenden Falle glaubte die Frau, Bier vor sich zu haben. Der
am anderen Morgen in einer Bierflasche fiberbrachte Rest des Giftes ergab
einen Gehalt an freiem Ammoniak von 6,919 Proz., während die offizin. Lösung
bekanntlich 10 Proz. hat. Man findet Salmiak vielfach im Haushalte behufs
Anwendung bei der Wäsche, behufs Reinigen von Teppichen und Fussböden,
als Mittel gegen Mückenstiche etc.
Genaue Angaben Aber die toxische Dosis sind ziemlich schwierig,
weil letztere sehr schwankend ist; nach Jaksch beträgt sie etwa 4—5 g
Ammoniakfldssigkeit, es ist aber noch nach Einnahme von mehr als 30 g
460
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Genesung beobachtet. Schachardt and Kobert sahen nach 6—80 g einer
starken Flüssigkeit schnellen Kollaps and Tod eintreten. Im vorliegenden
Falle mögen mindestens 10—16 g mit einem Gehalt von 0,7—1,0 Ammoniak
getrunken worden sein.
Von den Wirkungen und Symptomen der Salmiokgeistvergiftung steht
der Verd&uungstraktus im Vordergründe mit intensiver Aetsung der
Schleimhäute und heftigen Schmerzen im Munde, Bachen und Halse, Erbrechen
und Speichelfluss etc.
In zweiter RoUie kommen die Erscheinungen der Respirationsorgane
durch heftige Reizung derselben mit folgender Entzündung (kruportig, er*
sohwertes Atmen, Husten, Aphonie, Brustbeklemmungen, Aushusten von Mem¬
branen mit heftigen dyspnoischen Anfällen etc.). Bezüglich des Blutes er¬
wähnen die meisten Autoren chemische Veränderungen. Puls bald langsam,
intermittierend, bald frequent.
Von Veränderungen der Harnorgane wurde von Kobert Nephritis
beobachtet.
Das Zentralnervensystem wird in schweren Fällen stark affiziert
(psychische Erregung, später Depression, Sopor, Krämpfe etc.).
Das Fieber darf wohl in vielen Fällen zum Teil als Resorptionsfieber
aufgefasst werden.
Die Diagnose stutzt sich auf Anamnese, intensiven Geruch der At-
mungsluft, des Erbrochenen und sonstigen Nachweis des Ammoniaks.
Die Prognose ist in jedem Fa Ile eine ernste, nach v. Jaksch
bei der Salmiakgeistvergiftung per os ungünstiger als beim Einatmen von
Ammoniakdämpfen. (Folgen: schneller Tod durch Perforationsperitonitis,
Narben, 8trikturen des Oesophagus, anhaltende Katarrhe der Atmungsorgane eto.).
_ Dr. Waibei-Kempten.
Selbstmord durch Chloroform-Inhalation. Von Dr. Hoffmann,
Gerichtsarzt in Berlin. Vierteljahrsschrift f. gerichtliche Medizin u. Offentl.
Sanitätswesen; 8. Folge, XXV. Bd., 2 H.
Verfasser beschreibt einen Fall von Selbstmord durch Chloroform - Inha¬
lation, der insofern interessant ist, als der Selbstmörder sich die Hände auf
den RUcken mit einem Riemen gefesselt und dessen Ende mit den Zähnen fest¬
gehalten hatte. Die Lage der Leiche besw. der Hände ist durch zwei Photo¬
graphien veranschaulicht.
Die Obduktion ergab bei Eröffnung des Herzens sehr deutlichen Chloro¬
formgeruch; denselben Geruch hatte der anwesende Chemiker auch bei der
Sektion des Gehirns festgestellt, wo ihn die Obduzenten nicht unverkennbar
wahrnehmen konnten. Autoreferat.
Ueber Ohreiterungen vom gerichtsKrztlichen Standpunkte. Von
Dr. Troeger, Kreisassistenzarst in Neidenburg. Friedreiohs Blätter fttr
gerichtliche Medizin und Sanitätspolizei; 1902, Heft 6 u. 6, 1903, Heft 1.
Forensische Ohreiternngen entstehen durch Verletzungen mechanischer,
chemischer und thermischer Natur, absichtlich oder unabsichtlich zngefttgt.
In letzterem Falle sind es vorwiegend therapeutische Massnahmen von Aerzten.
In ca. 80°/ 0 aller in den ersten Lebensjahren verstorbener Kinder findet sich
ein Exsudat in der Paukenhöhle, meistens Eiter. Nach Asch off gibt es
keine Otitis med. supp, neonatorum, sondern es handelt sich um eine Fremd-
körpereiterung. Gradenigo, Penzo und Pollitzer glauben, dass die
Veränderungen durch die rasche Fäulnis bedingt sind, da keine pathogenen
Mikroorganismen gefunden wurden. Schengelidge hat 1901 nachgewiesen,
dass die Paukenhöhlen toter Säuglinge nie steril sind, sondern stets pathogene
Mikroorganismen enthalten. Wir haben es demnach mit einer wirklichen
Eiterung, durch pathogene Mikroorganismen bedingt, zu tun, die sich fUr
gewöhnlich an der Peripherie des Ostium tubae pharyngenm, im Nasenrachen¬
raum und in den Langen finden. Der Pneumococcus ist als der gutartigere
Erreger der Mittelohreiterung anzusehen. Sinusthromboee ist fast ausschliesslich
durch Streptococcus bedingt. Der chronische Verlauf der Ohreiternngen wird
darch Sekundärinfektionen mit Streptokokken nnd Staphylokokken bedingt,
denen jedoch eine besondere Bedeutung nicht beizumessen ist. Die ahnte
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
461
genaue Otitis media ist sehr häufig daroh den Diploeoeeas laneeolatns Fränkel
hervorgerufen. An jede Eiterung des äusseren Ohres kann sieh eine totliehe
Komplikation anschliessen. Eigentümlich sind dem äusseren Gehörgange
Eiterungen aal Grund von Epidermispfröpfen. Eine Klassifizierung der Mittel*
ohreiterungen vom bakteriologischen Standpunkte ist zur Zeit noeh nicht
möglich, da die Virulenzgrade der Mikroorganismen schwanken. Bei Otitis
media snpp., die im Kindesalter in etwa der Hälfte der Fälle mit Lungen*
affektionen kompliziert ist, kann der Sitz der Eiterung für gewöhnlich aus
der Lage der Trommelfellperforation entnommen werden, wenn eine solche
vorhanden ist. Sklerose des Warzenfortsatzes, zu deren Zustandekommen
durch Eiterung eine 10—26 jährige Dauer derselben erforderlich ist, ist nicht
als ein Schutsdamm gegen Weiterverbreitnng der Eiterung anzusehen, sondern
als eine erschwerende, unglückliche Komplikation. Von den akuten Mastoid*
eiterungen zeigen 33 °/ 0 , von den chronischen 65 •/„ kein Fieber. Wird das
innere Ohr bei einer Mittelohreiterung mitbefallen, so erkrankt in der grossen
Mehrzahl der Fälle der horizontale Bogengang und zwar meist im Anschluss
an chronische Mittelohreiterungen, die ihrerseits in etwa '/» der Fälle Cho-
leeteatombildung veranlasst haben. Unter 57,659 Sektionsberichten (Gruber
und Pauls en) war der Tod in 280 Fällen (0,512 # /o) durch intrakranielle
Komplikationen otitischen Ursprunges bedingt. Die Wegleitung ist sowohl
vom mittleren, wie inneren Ohre fast ausnahmslos pathologisch • anatomisch
feststellbar. In der überwiegend grossen Mehrzahl der Fälle wird die hintere
Sehädelgrube affiliert. Die primäre Ohreiterung ist häufig bereits ausgeheilt
und freier Eiter nicht mehr nachweisbar. Die otitische Pyaemie kommt
darch Thrombose der Knochenvenen za stände und ist charakteristisch dnrch die
Fieberkurve und Metastasen, welche am häufigsten in den Langen sitzen
(Sinns transversus). Charakteristisch für Thrombose des Sinns transversus sind:
Ezopthalmus, Augenmuskellähmungen, Lidödem, Neuritis nervi optici, Chemosis
and Blntnngen der Conjnnctiva bnlbi, Retinal -Venenhyperaemie, Trigeminns-
Anaesthesie. Ein Hirnabszess otitischen Ursprunges sitzt in der Regel dicht
an der Stelle der Pars petrosa und ka r n jahrelang latent bleiben. Das Fehlen
einer Abszess membran berechtigt nicht, auf kurze Dauer des Abszesses zu
sehliessen, da es alte Abszesse ohne Balg gibt. Um Symptome machen zu
können, muss der Abszess eine gewisse Grösse haben. Ein streng lokalisierter
and fixierter Kopfschmerz ist gewöhnlich am Sitze des Abszesses vorhanden. .
Es gibt 3 Formen von Meningitis otitischen Ursprunges: 1) die apoplek-
tiform auftretende, rapid verlaufende, 2) die mehr schleichend, latent sich
abspielende, 3) eine Form mit intermittierenden Charakter. Zur Tuberkulose
des äusseren Ohres ist meist ein Trauma als auslösendes Moment erforderlich;
die Tuberkulose den Mittelohres kommt meist durch eine Aspiration durch eine
Tuba zu stände. Klinisch gibt es 1) eine snbakute Form mit katarrhalischem
und eitrigem Sekrete, 2) eine chronische, 3) eine seltene akute Form. Der
Beweis, dass eine Tuberkulose vorliegt, ist im allgemeinen durch den Befund
von Tnberkelbazillen als erbracht ansnsehen, doch darf mit Sicherheit aus dem
Fehlen der Tuberkelbazillen weder im Anfangs*, noch im Endstadium ein
Schloss auf den nicht tuberkulösen Prozess gezogen werden. Heilungen
kommen vor. Die Masern - Otitis ist als eine Teilersoheinung der Allgemein¬
erkrankung aufzufassen. Der Eiter macht meist keine Symptome und wird
ebenfalls meistens wieder völlig resorbiert, ohne Störungen zu hinterlassen.
Aach bei Diphtherie scheint das Mittelohr regelmässig in Mitleiden¬
schaft gesogen zu werden und zwar nicht per oontinuitatem. Das Trommelfell
ist nie perforiert gefunden worden. Jede Otitis media suppur. hei Influenza
ist als eine schwere Infektion anzusehen. Es soheint, dass dabei häufig
Bläschen mit blutigem Inhalte zur Beobaehtung kommen. Auf dem günstigen
Boden, welchen eine chronische Ohreiterung darbietet, können sich bösartige
Neubildungen wie Krebs oder Sarkom entwickeln. Auch die Perigeschwulst
entsteht fast ausschliesslich durch eine chronische Ohreiterung.
Die Prognose der Ohreiterungen ist im allgemeinen keine ungünstige.
In der Mehrzahl der Fälle tritt Heilung ein ohne Gehörsberabsetsung nnd ohne
bleibende subjektive Gehörsempfindnngen. Dies gilt auch für die tuberkulöse
Eiterung des äusseren Ohres, während die der anderen Ohrabschnitte eine
schlechte Prognose hat. Finden sich bei Otitis media Streptokokken im Ohr¬
eiter, so soll der Patient sieh einer Mastoidoperation unterziehen. Hat die
462 Kleinere Mitteilungen «ad Referate ui Zeitschriften.
Eiterung ia Labyrinth oder in der Schädelhohle ihren Sit*, eo ist die Prognose
stets eine infausta. Des Ergebnis der bakteriologischen Untersuchung des
Ohreiters kann in keinem Falle eine Indikation snr Vornahme einer Operation
abgeben. Bei den Badikaloprrationen müssen die Indikationen schärfer als
bisher gestellt werden. Bei Labyrinteiterung ist die Eröffnung des Labyrints
eia berechtigter Eingriff. Bei Pyaemie muss die Operation schon beim ersten
Eingriff sich auf die breite Eröffnung des Sinus erstrecken.
Ist der Tod durch eine Ohreiterung eingetreten (§. 226 des 8tr.-G.*B.),
so kommt es für den Richter nur darauf an, dass der Beweis für den ur¬
sächlichen Zusammenhang zwischen Ohreiterung und Tod erbracht wird. Bei
Abgabe seines Gutachtens wird der Gerichtsarzt etwaige andere Krankheiten
des Verstorbenen ausschliessen resp. berücksichtigen. Kommt eine Ohreiterung
erst nach mehrtägigem Bestehen zur Begutachtung, so ist ein Zusammenhang
zwischen Verletzung und Eiterung nur anzunehmen, wenn 1) die Verletzung
mit Sicherheit erwiesen ist und 2) wenn feststeht, dass der Verletzte auf dem
Ohre vollkommen gesund war. Selbst bei Wunden des äusseren und mittleren
Ohres kann trotz sofortiger saebgemässer Behandlung unter Umständen der
Eintritt einer Eiterung und selbst des Todes nicht verhindert werden.
Ist nach einer Ohrverletzung eine Obreiterung zu stände gekommen, so
gelingt es fast stets, den etwaigen Ausgang der Infektion von der Verletzungs-
stelle und somit den kausalen Zusammenhang zwischen Verletzung und Infektion
festzustellen. Setzt die Eiterung entfernt von der Verletzungsstelle ein, so
befinden sich auch an der Verletzungsstelle anatomische Veränderungen, seien
sie auch noch so geringgradig. Bei der Frage, ob und in welcher Zeit eine
Verletzung zu einer Infektion geführt hat, ist es das Wichtigste, festsusteilen,
ob der Verletzte nicht etwa schon vor der Verletzung infiziert war. Die Frage
des Richters, wodurch eine Infektion einer Wnnde erfolgte, kann man nur
mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit beantworten.
Ist durch Ohreiterung auf beiden Ohren Taubheit eingetreten, so ist sie
als schwere Körperverletzung nach $. 224 a zu begutachten. Bei der Be¬
urteilung, ob Verfall im Siechtum vorliegt, ist nur der Grad der Hinfälligkeit
und die Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens, sowie der Schwund der
KOrperkräfte massgebend. Auch Verfall in Geisteskrankheit kann durch Ohr¬
eiterung bedingt sein. Ein otitiseber Hirnabszess, der nicht völlig latent ist,
muss ebenfalls stets nach §. 224 begutachtet werden.
Jede Ohrverletzung, die eine Eiterung sur Folge hat, ist, wenn sie nicht
unter die §. 226 und 224 fällt, naeh g. 228 als leichte Körperverletzung zu
begutachten. Ob qualifizierte Körperverletzung vorliegt, kann nur von Fall
zu Fall entschieden werden, dürfte jedoch in der grossen Mehrzahl der Fälle
zu begutachten sein, da so ziemlich jeder Gegenstand geeignet ist, am Ohre
erhebliche Verletzungen zu machen.
Ist ein Arzt angeklagt, durch Erzeugung oder falsche Behandlung einer
Ohreiterung den Patienten verletzt oder sogar getötet zu haben, so kommen
die §§. 222 besw. 230 des Str.-G.-B. in Betracht. Die Frage der Fahrlässigkeit,
die eine aktive und passive sein kann, darf nur entschieden werden durch die
Würdigung des Einselfalles aller denselben belastenden und entlastenden Mo¬
mente, der begleitenden Umstände, der einzelnen Individualisierung. Ob ein
Kunstfebler vorliegt, wird der Sachverständige im allgemeinen davon abhängig
machen, ob das eingeschlagene Verfahren gegen diejenigen allgemeinen Er-
fahrungssätse der Wissenschaft und Kunst, welche einem Systemwechsel nicht
unterworfen sind, verstOsst und ob es mit der erforderlichen Aufmerksamkeit
durchgeführt wurde oder nicht.
Die Folgen einer Ohreiterung, wie Tod, Taubheit etc. sind ausnahmslos
mittelbare. Zivilrechtlich ist das von Bedeutung, da bei unmittelbaren Folgen
die Strafen schärfer sind. In Zivil- und Unfallsachen gilt der Satz, dass die
verminderte Leistungsfähigkeit und beschränkte Erwerbsfähigkeit sich nieht
nach allgemeinen Urteilen schematisch beurteilen lässt. Hier muss je nach
der Lage des einzelnen Falles unter Berücksichtigung aller Umstände das
Gutachten begründet werden. In Unfallsachen ist die Möglichkeit einer Ver¬
schlimmerung oder das Uebergreifen auf lebenswichtige Organe nicht zu
berücksichtigen, da jeder Zeit das Verfahren wieder aufgenommen werden kann.
Dr. Ru mp-Osnabrück.
Kleinw« Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 463
Feststellung des Todes und der Todesursache. Von Prof. Dr. 0.
Israel. Mit 5 Abbildungen. Gerichtliche Medisin: Zwölf VortrSge,
gehalten Ton Privatdozent Dr. Gottschalk, Geh. Med.-Rat Dr. Jolly, Prof.
Dr. Israel, Prof. Dr. Koeppen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Liebreich,
Prof. Dr. Mendel, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Moeli, Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. Olshansen, Gerichtsarzt Privatdozent Dr. Pnppe nnd Gerichtsarzt Prof.
Dr. Strassmann. Heransgegeben vom Zentralkomitee für das ärztl. Fortbil¬
dungswesen in Prenssen, in dessen Aufträge redigiert von Prof. Dr. R. Kätner,
Schriftführer des Zentralkomitees. Abdruck aus dem klinischen Jahrbuch.
Jena 1903. Verlag von Gustav Fischer, gr. 8°; 226 Seiten.
Vortragender bespricht die kadaverösen Veränderungen, die livores, die
Gerinnselbildung, die Diffusion der Flüssigkeit, die Starre, kommt dann auf
die Todesursache zn reden, ob Herztod oder Lungentod, beschäftigt sich ein¬
gehend mit der Encephalitis neonatorum, der Fragment&tio myocardii, erörtert
dann die Atmungsstörungen durch Verschluss der Luftwege mit Fremdkör¬
pern, durch Embolien, erwähnt das Thema der konkurrierenden Todesursachen,
am zum Schluss an einem Beispiel zu zeigen, wie nötig die Befolgung der
Begulativbestimmung ist, wonach jede Sektion vollständig gemacht wird.
Sachverständigent&tigkeit und Technik des Gerichtsarztes. Von
Prof. Dr. Strassmann. Mit 4 Figuren. Ibidem.
Als die hauptsächlichsten Punkte dieses Vortrages seien erwähnt: Der
Sachverständige im Strafprozess und im Zivilprozess; das Attestwesen, der
behandelnde Arzt als sachverständiger Zeuge, die Pflicht, vor Gericht auszu-
sagen, das Verweigern der Aussage, das mündliche Gutachten und die Ge-
bühren frage.
Was die „Technik* anbelangt, so schildert Vortragender die Unter¬
suchung von Blut, wobei natürlich die Blutserumdiagnose nicht vergessen wird,
von Sperma und von Haaren.
Gesundheitszustand in zivilrechtlicher nnd strafrechtlicher Be¬
ziehung. Von Prof. Dr. Strassmann. Ibidem.
Nach einleitenden Worten, die dem behandelnden Arzt empfehlen,
Atteste in der Regel nicht abzulehnen, aber bei dem Ausstellen vorsichtig zu
Werke zu gehen, bespricht Str. die Terminsfähigkeit, sodann die Körperver¬
letzungen. Hier werden natürlich die ärztlichen Operationen erwähnt, von denen
der künstliche Abort und die Perforation eine Sonderstellung einnehmen. Auch
die sog. Kunstfebler Anden Erwähnung; wird dabei hervorgehoben, dass nur
dann, wenn der Kausalzusammenhang zwischen der Fahrlässigkeit und dem
üblen Ansgang feststeht, Bestrafung eintritt.
Weiter wird besprochen die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit durch
eine Verletzung und die Abschätzung dieser Beeinträchtigung, sowie die Ver¬
schiedenheit bei Beantwortung der Frage nach dem traumatischen Entstehen einer
Krankheit in bürgerlichen Reohtsstreitigkeiten oder wenn das Unfallgesetz
diese Antwort verlangt; endlich beleuchtet Verfasser die Konkurrenz der
Todesarten nnd die Priorität des Todes.
Traumatische Todesarten. Von Dr. G. Puppe. Mit 4 Abbildungen.
Ibidem.
Vortragender bespricht einleitend die vitale Reaktion, sodann die post¬
mortalen nnd agonalen Verletzungen; dann wendet er sich zu den 8chnitt-,
Hieb- und Stich -Verletzungen und erwähnt bei den Hiebverletzungen auch die
Enthauptung. Es folgt die Besprechung der Verletzungen durch stumpfe Ge¬
walten; hier finden auch die Bissverletzungen Erwähnung; endlich werden
die Schussverletzungen beleuchtet.
Tod dnreh gewaltsame Erstickung und abnorme Temperatur.
Von Dr. G. Puppe. Mit 7 Abbildungen. Ibidem.
Der Begriff der Erstickung ist ein so weiter, dass es eigentlich keine
Todesursache gibt, die nicht unter den Begriff „Erstickung* subsummiert werden
könnte: Sterben und Krstiokon sind bis zu einem gewissen Grade identische
Begriffe. Vortragender bespricht dann die Strangulation, erwähnt, dass sich
hier die reine Erstickung mit der Blutabschnürung kombiniert, zeigt uns einige
recht gelungene Bilder der Strangfurche, geht über zum Erdrosseln und Er¬
würgen, weiter zum Ertrinken, scheidet hier zwischen den Veränderungen durch
das Ertrinken und denen durah* r das* Verweilen in dem flüssigen Medium tpjf
464 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
kommt snm Ersticken infolge Abschluss der Atemwege durch feste Körper
und infolge der Verhinderung der Atembewegungen, um endlich sich zu
verbreiten über den Tod dnreh abnorm hohe Temperatur, d. h. Verbrühen oder
Verbrennen und abnorm niedrige Temperatur, d, h. Erfrieren.
Ueber die Beurteilung von Vergiftungen. Von Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. Oskar Liebreich. Ibidem.
Der Gerichtsarzt muss die Untersuohungsmethoden des Chemikers kennen
und sie kritisch beurteilen können. Die Definition „Gift" ist schwierig und
nicht einmal von der Gesetzgebung versucht; es kommt hierbei nicht auf
die Qualität, sondern auf die Quantität des Stoffes an. Der Chemiker soll des¬
halb nicht nur eine qualitative Analyse liefern, sondern muss auch eine quan¬
titative beibringen. Vortragender bespricht dann Vergiftungen mit Atropin,
Arsen, Phosphor, Sublimat und schliesst mit dem Satze, dass jede Vergiftung
ein neues Bild schaffe, dessen Betrachtung die schärfste Kritik erheische.
Ueber Fortpflanzungsfähigkeit, Schwangerhaft und Geburt. Von
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Olshausen. Ibidem.
Die Fortpflanzungsfähigkeit hat für den Gerichtsarzt Interesse in solchen
Fällen, wo es sich um Ehescheidung handelt, oder wo die Gültigkeit einer
Ehe angefochten werden soll, oder wo geklagt wird auf Aufhebung der ehe¬
lichen Gemeinschaft. Der Mangel an Fortbildungsfähigkeit beruht auf einer
Impotentia coeundi oder einer Impotentia gignendi.
Bei dem Kapitel „Schwangerschaft“ behandelt Vortragender vor allen
Dingen die Dauer derselben; beim Kapitel „Geburt“ findet die Besprechung der
Kunstfehler der Aerzte und Hebammen ihre Erledigung. Bei operativen Mass¬
nahmen soll der Gerichtsarzt vor allen Dingen die Frage präzis beantworten:
war die Operation berechtigt, lag eine gerechtfertigte Judikation zu der¬
selben vor?
Krimineller Abort und Kindesmord. Von Privatdosent Dr. Siegm.
Gottschalk. Ibidem.
Vortragender bespricht zunächst den Abort und stellt fünf gerichteärzt¬
liche Aufgaben feBt: 1) Die Diagnose des Aborts. 2) Woran erkennt man
den kriminellen Charakter des Aborts? Hier erwähnt G. besonders die inneren
Verletzungen an Scheide und Gebärmutter. 3) Die Beurteilung der Tauglich¬
keit der Abtreibmittel. 4) Der Kausalnexus zwischen Tod oder Erkrankung
der Schwangeren und dem Abort; endlich 5) der Nachweis, dass die Frucht
zur Zeit des Eingriffes lebte und in Entwicklung begriffen war. Der zweite
Teil des sehr lesenswerten Vortrages behandelt das Thema „Kindesmord“.
Die Zurechnungsfähigkeit. Von Prof. Dr. Mendel. Ibidem.
Der Sachverständige hat das Individuum zu untersuchen, um zu prüfen,
ob die Voraussetzungen des §. 51 zutreffen; dabei sind zu berücksichtigen 1)
die Heredität, 2) die Anamnese. Zu beachten sind weiter 3) Epilepsie, Hysterie
und 4) Intoxikationen. Es muss der augenblickliche Zustand des Täters
erörtert werden in bezug auf seine geistige Fähigkeit und seine körperlichen
Funktionen. Das Gutachten hat die wissenschaftliche Diagnose der bestehenden
Geisteskrankheit zu stellen. Der Vortragende bespricht sodann die Zustände
von Bewusstlosigkeit und zwar infolge von Epilepsie, Alkoholismus, Schlaf¬
trunkenheit, Schlafwandeln, Somnambulismus, Fieberdelirien und die Bewusst¬
losigkeit der Gebärenden, um dann auf die krankhafte Störung der Geistes¬
tätigkeit zu sprechen zu kommen. Hier lassen sich drei Möglichkeiten kon¬
struieren: 1) Der Anreiz und die auf Erfüllung der Tat sich richtenden Vor¬
stellungen sind durch die Krankheit hervorgerufen oder in abnormer Weise
verstärkt. 2) Die auf Hemmung einer strafbaren Handlung gerichteten sitt¬
lichen Vorstellungen sind infolge von Krankheit wenig entwickelt oder durch
die Krankheit geschwächt. 3) Es findet eine Ueberlegung, ein Kampf über¬
haupt nicht statt, der Reiz löst die Handlung aus.
Weiterhin wird die „verminderte Zurechnungsfähigkeit“ erörtert; die
Ansicht des Vortragenden finden wir niedergelegt in These n des Vor¬
trages: In dem zu erwartenden Reiohsgesetz über den Strafvollzug ist für
diejenigen Täter strafbarer Handlungen Vorsorge zu treffen, welchen zwar
nicht der Schutz des §. 51 des Str. G. B. zur Seite steht, welche aber in bezug
auf ihren geistigen Zustand gewisse Abnormitäten bieten („vermindert Zurech¬
nungsfähige“) und deswegen eine besondere Art des Strafvollzuges notwendig
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
465
machen, während These I lautet: Bei der Revision des Strafgesetabncbes ist
dem bisherigen §. 51 folgende Fassung sn geben: „Eine strafbare Handlung
ist nicht vorhanden, wenn der Täter sur Zeit der Begehung der Handlung
bewusstlos oder geisteskrank war.“
Die Geisteskrankheiten in zivilrechtlicher Hinsicht. Von Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. Moeli. Ibidem.
M. unterzieht die uns interessierenden Paragraphen des Bürgerlichen
Gesetzbuches einer Besprechung und wirft die Frage auf: was besweckt das
Gesetz und inwiefern vermag der Mediziner auf grund seiner fachwissenscbaft-
liehen Kenntnisse die Aufgaben zu läsen, mit welchen ihn das Gesetz betraut bat
Er verbreitet sich über die Geschäftsfähigkeit und bespricht
hierbei die Themata EntmBndigung und Pflegschaft, erwähnt sodann die Er*
satzpflicht, um zum Schluss von der Ehescheidung zu reden. Am Schluss des
Vortrages sind die betreffenden Gesetzes - Paragraphen abgedruckt.
Perverser Sexualtrieb nnd Sittlichkeitsverbrechen. Von Geb. Med.-
Rat Prof. Dr. Jolly. Ibidem.
Vortragender bespricht die direkten Wirkungen auf das Seelenleben und
auf das Handeln, insbesondere auf das verbrecherische Handeln und anderseits
die Beziehungen dieser Vorgänge zu Zuständen psychischer Erkrankung.
Er behandelt die verschiedenen sexuellen Perversitäten und stellt
den Leitsatz auf: Sexuelle Perversitäten an eich, mögen sie noch so sehr
durch ihre Absonderlichkeit Verwunderlichkeit oder Abscheu erregen, sind
niemals ausreichend, um einen geistig abnormen Zustand im ganzen zu beweisen.
Sie können bei vollkommen gesunden Individuen Vorkommen; sie können aber
auch bei Kranken Vorkommen, neben anderen Krankheitserscheinungen beob¬
achtet werden und in manchen anderen Fällen so prädominierend werden, dass
man in der Tat ihnen das Kriterium eines eigenen Krankheitszustandes nicht
absprechen kann.
Ueber Epilepsie und Hysterie in forensischer Beziehung. Von
Prof. Dr. M. Köpp en. Ibidem.
Vortragender bespricht zunächst die Epilepsie; nicht jeder, der im
kindlichen Alter einen epilepsieartigen Anfall gehabt hat, ist ein Epileptiker;
der Gutachter hat sein Augenmerk vor allen Dingen auf die psychischen Cha¬
rakterveränderungen zu richten.
Er verbreitet sich sodann Aber die Bewusstseinsstörungen, deren Zu¬
standekommen vorläufig eine unlösbare Aufgabe ist; wahrscheinlich handelt es
sich um eine plötzliche Aenderung in dem materiellen Zustande des Gehirns,
z. B. Veränderung in der Blutzirkulation.
Weiter bespricht Vortragender verbrecherische Handlungen im somnam¬
bulen Zustande, um dann die Hysterie zu behandeln.
Dr. Hoffmann-Berlin.
Ueber hysterische Dämmerzustände und das Symptom des ,.Vor-
beiredens“. Von Prof. A. Westphal. Neurologisches Zentralbl.; 1903, Nr. 1.
W. beschreibt 4 Fälle, in denen das zuerst von Ganser beobachtete
eigenartige Symptom des Vorbeiredens im hysterischen Dämmerzustände sur
Beobachtung kam. Die auffälligste Erscheinung dieses Symptembildes besteht
darin, dass die Kranken Fragen allereinfacbster Art nicht richtig zu beant¬
worten vermögen, obwohl sie durch die Art ihrer Antworten kundgeben, dass
sie den Sinn der Fragen ziemlich erfasst haben, und dass sie in ihren Ant¬
worten eine auffallende Unkenntnis verraten von Dingen und Kenntnissen, die
sie bestimmt besessen hatten oder noch besassen. Häufig vergesellschaftet sieh
dieses Symptom des Vorbeiredens mit einem Dämmerzustand oder mit hoch¬
gradiger Bewusstseinstrübung und nicht selten mit folgender Amnesie. Die
Erinnerungsdefekte beweisen schon, dass es sich hier nicht etwa um ein be¬
wusstes Nichtwissen wollen oder Leugnen handelt; auch die Verbindung dieses
Zustandes mit andersartigen Verwirrtheitszuständen, wie mit mannigfachen
körperlichen Störungen funktioneller oder hysterischer Art lässt leicht eine
Simulation ausschliessen. — Wie zwei Fälle des Verfassers lehren, ist das
Symptom des Vorbeiredens kein eindeutiges Symptom der Hysterie, sondern es
kommt aueh bei anderen psychischen Störungen, so bei der Dementia praecox
zur Beobachtung, ebenso bei Katatonie etc. Während das „Vorbeireden* bei
466
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
Hysterischen als Folge nnd Begleiterscheinung gewisser peychischer Elementar-
störungen (Dämmerungszustand, Schwerbesinnlichkeit, Benommenheit) ansnsehen
ist, fehlt die Bewusstseinstrübung bei den Katatonikern (Dementia praecox).
Hier werden die Antworten nicht langsam nnd lögernd, sondern unvermittelt,
plötzlich and sinnlos heraasgestossen; sie beruhen auch nicht auf einen
dauernden Verlast von Kenntnissen and Wahrnehmungen. — Sehr leicht kann
das Symptom den Verdacht der Simulation einer Geistesstörung erwecken, zu¬
mal wenn es bei Gefangenen in Untersuchungshaft oder nach traumatischer
Kopfverletzung zur Beobachtung kommt nnd ein besonderes forensisches
Interesse erweckt. S. Kali scher-Schlachtensee.
Probleme auf dem Gebiete der Homosexualität. Von Medizinalrat
Dr. N ä c k e - Hubertusburg. Allg. Zeitschrift für Psychiatrie; 59. Bd., 6. H.
Verfasser befasst sich in der vorliegenden Arbeit, der bereits eine Reihe
Abhandlungen über das gleiche Thema vorangegangen sind, mit der Unter¬
scheidung von sexueller Perversion (d. h. angeborener) und Perversität (d. h.
erworbener) Homosexualität.
Neuerdings wird von Kennern dieser Frage die Behauptung anfgestellt,
dass die Homosexualität stets angeboren sei und, wenn sie sieh im späteren
Leben erst zeige, als tardive Form zu betrachten sei. Verfasser, der
bekennt, dass ihm eigene Erfahrungen auf diesem Gebiete mangeln, wirft die
Frage auf, ob nicht doch Fälle nachweisbar seien, in denen jede Anlage zur
Homosexualität fehle. Zur Beantwortung dieser Frage hält er nur ein¬
zelne Autoren für kompetent, sodass es immerhin auffallen muss, dass Ver¬
fasser selbst bereits die 8. Abhandlung (ausweislich des angehängten Literatur¬
verzeichnisses) der Frage widmen zu müssen glaubt. Nach N. fehlen zur Zeit
zunächst alle Zahlenangaben über die Häufigkeit der sog. tardiven Fälle. „Man
muss also besonders auf Wüstlinge fahnden, die zuletzt auch auf Homosexualität
gerieten, wie man bisher glaubte, was wieder die Definition von Wüstling vor-
aussetzt“ (8. 810). Seine Auffassung über die ganze Frage nnd die noch zu
lösenden Probleme fasst Verfasser in 12 Leitsätzen zusammen, in denen er u. a.
betont, dass es körperlich nnd geistig normale Homosexuelle gäbe, die als voll¬
kommen zurechnungsfähig zu gelten haben; er fordert ferner die Abschaffung
des §. 175 des St. G. B. In einem Nachtrag zu seiner Arbeit stellt N. fest,
dass er durch die Bekanntschaft mit zwei (!) geistig hochstehenden Homo¬
sexuellen von der Richtigkeit seiner Auffassung aufs deutlichste überzeugt
worden sei. Dr. Pollitz-Mflnster.
B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- nnd Invaliditäts-
aaohen.
Bin Fall von traumatischer Hysterie, durch einen nicht entschädi¬
gungspflichtigen Unfall hervorgerufen und unter psychischer Behand¬
lung rasch in Heilung fibergehend. Von Dr. Traugott in Breslau.
Münchener med. Wochenschrift; 1903, Nr. 7.
Dass Krankheitsbilder, die den traumatischen Neurosen entsprechen,
auch an nioht entschädigungspflichtige Unfälle sich anschliessen, also auch da
zur Entwickelung gelangen, wo irgend welche Begehrungsvorstellungen (Strüm¬
pell) nicht geweckt werden oder allmählich entstehen können, dafür führt
Verfasser einen von ihm beobachteten Fall an:
Der 16 jährige Handelsschüler K. erlitt bei einer der Versicherungspflicht
nicht unterliegenden Arbeit im Mai 1902 dadurch einen Unfall, dass eine aus
ziemlich beträchtlicher Höhe herabfallende Kiste ihn an der linken Schulter
und am linken Arme traf, worauf K. sehr heftig erschrak, jedoch das Be¬
wusstsein nicht verlor. Er empfand wohl an den von der Kiste getroffenen
Stellen einige Schmerzen, doch waren sie nur unerheblich nnd nicht lange an¬
haltend. Irgend welche Schwächexustände im Arm nnd in der Schulter be¬
standen zunächst nach dem Unfälle nicht. Erst ca. 8 Tage nach dem Unfälle
begann sich im linken Arme ein Gefühl von Schwäche einzustellen, welche
innerhalb weniger Tage in Lähmung überging, so dass der Verletzte sch Häss¬
lich auch nur die geringste Bewegung mit der linken oberen Extremität lieht
mehr ausftthrea konnte.
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 467
Bei Uebernahme des Patienten fand Verfasser einen mittelgroßen, regel¬
st fasig gehanten Mann, der bis anf einen mittleren Grad von Anämie keinerlei
organische krankhafte Veränderungen bot. Vor 3 Jahren bat er eine Lungen¬
entzündung durchgemacht and leidet seit dem öfters an „Anfällen“ von ner¬
vöser Aengstlichkeit. Er lernt etwas schwer, besonders fremde Sprachen, im
übrigen aber bietet seine Intelligens keine Defekte. Seine Matter leidet viel
an Kopfschmerzen, and soll ein nervöses Hersleiden haben; Vater nnd Ge¬
schwister sind gesund.
Patient war nicht im Stande irgend eine Bewegung mit
seiner linken Oberextremität aussufttbren, er konnte auch die
linke Schulter nicht heben. Passiv waren alle Bewegungen in normaler Weise
ausführbar, Schmerzen entstanden dabei nicht. Auf der linken Körperseite
fand sich eine Zone absoluter Hautanästhesie für Berührung, Schmerz, Tempe¬
ratur, welche in der Höhe des linken Auges beginnend, sich nach abwärts über
Gesicht, Hals, Schulter, Arm, Hand und Rumpf bis zu einer 2 cm oberhalb der
Crista ossis ilei horizontal um den Leib verlaufenden Linie sich erstreckte.
Die elektrokutane Empfindlichkeit war in dieser Zone ziemlich gut erhalten,
jedoch immerhin gegenüber der anderen Körperhälfte deutlich herabgesetzt.
Nach innen vom Poupartschen Bande (entsprechend der Ovarialgegend des
Weibes) befand sich ein auf Druck sehr empfindlicher Punkt.
’ r Im weiteren Verlauf gelang es teils durch Zureden, teils durch Suggestion
und muskuläre Faradisation in dem gelähmten Arme Kraft und Bewegungs-
fähigkeit wieder in dem vollen normalen Umfange herzustellen. Die Beseiti¬
gung der sensiblen Lähmung gelang etwas später und schwieriger als die der
motorischen Lähmung.
Verfasser meint, dass der Verlauf dieser Erkrankungsformen ohne Renten¬
erwartung im allgemeinen ein weit gutartigerer sei, als derjenige, der durch
entschädigungspflichtige Unfälle erzeugten Neurosen.
_ Dr. Waibel-Kempten.
Der funktionelle Plattfass mit besonderer Berücksichtigung seines
Entstehens durch Traumen. Von Dr. Her hold. Beilage zur klinischen
Chirurgie; 1903, XXII. Bd., H. 2.
Herhold schildert vier Fälle des schwierig zu erkennenden funktionellen,
das heißt, erst beim Stehen oder belastend Stehen erkennbaren Valgusfnsses.
Er betont, dass oft Simulation angenommen wird, wenn der Kranke nur im
Liegen oder Sitzen untersucht wird, oder wenn beim Stehen desselben eine
deutliche Abflachung des Fußgewölbes auch bei belastetem Fasse nicht ein-
eintritt. Diese funktionellen Plattfüsse machen meist erst dann Beschwerden,
wenn ein Trauma anf dieselben eingewirkt hat. In den 4 Fällen Herholds
handelt es sich um Soldaten. Nur bei einem wurde hei der Einstellung ge¬
ringe Plattfumanlage bemerkt. Die Traumen waren geringfügiger Art.
Dr. Fielitz jun. - Halle a./S.
Entschädigung der Unfallfolgen bei chronischen Leiden. Reknrs-
Entseheidnng des Reichsversicherungsamts vom 28. Januar 1903.
Abgesehen von Dr. A. sind sämtliche Aerzte, die znr Sache gehört worden
sind, namentlich auch Dr. B., dessen Gutachten vom 22. Dezember 1901 der
Anfangsrente von 100 Pros, zu Grande gelegt worden ist, der Ueberzengung,
dam die Lungenerkrankung bei dem Kläger schon vor dem Unfälle vom
14. September 1891 in ihren Grundbedingungen vorhanden gewesen ist und der
Unfall nur wesentlich zur Verschlimmerung des Leidens beigetragen hat. Dem¬
entsprechend sind dem Kläger denn auch zunächst die Vollrente nnd. als sioh
eine Besserung des durch den Unfall bedingten Zustandes ergab, Teilrenten
von 50 und 20 Proz. gewährt worden. Durch Bescheid vom 23. Oktober 1898
ist dann die Entschädigung ganz aufgehoben worden, weil als tatsächlich fest¬
gestellt wurde, dass der Kläger seine völlige Erwerbsfäbigkeit, wie sie vor
dem Unfälle bestanden hatte, wieder erlangt habe. Seit diesem durch Urteil
des Schiedsgerichts vom 16. Mai 1894 rechtskräftig betätigtem Bescheide sind
bis zu dem auf Wiedergewährnng der Vollrente gerichteten Anträge vom
17. Februar 1902 mehr als 7 1 /»*Jahre verflossen, ein Zeitraum, der nicht'bloß
für die Fortentwickelung der vor dem Unfälle vorhandenen Krankheit, sondern
468
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
sogar aaoh sa einer neuen, von dem Unfälle ganz anabhängigen Entstehung
des jetzigen Leidens ansreichte. Unter solchen Umständen kann niaht ange¬
nommen werden, dass die durch den Unfall herbeigeführte, demnächst aber
durch rechtskräftige Entscheidung als beseitigt festgestellte Verschlimmerung
der Lungenerkrankung noch jetzt einen wesentlichen Anteil an dem bei dem
Kläger bestehenden Leiden hat. Es kann daher die Erwerbsunfähigkeit,
welche durch den jetzigen krankhaften Znstand des Klägers bedingt wird,
nicht mehr dem Unfälle zugerechnet werden.
Dos Rekursgericht hob mit dieser Begründung die Entscheidung des
Schiedsgerichtes auf, durch welche dem Verletzten die Vollrente und Ent¬
schädigung durch freie ärztliche Behandlung und Arsnei zuerkannt war.
Die Annahme teilweise? Erwerbsunfähigkeit vor dem Unfälle ist
bei geringfügigem Emphysem nicht zulässig, (g. 13 des Unfallver-
siehernngsgesetzes für Land- nnd Forstwirtschaft vom 30. Jnni 1900.)
Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts Tom
12. Januar 1903. (Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts;
1903, Nr. 6.
Der für die Rente land- und forstwirtschaftlicher Arbeiter massgebende
Jahresarbeitsverdienst ist noch §. 10 a. e. 0. ein „durchschnittlicher“, und bei
seiner Festsetzung für die Klasse der „erwachsenen Arbeiter“ wird der Ver¬
dienst älterer und jüngerer Personen, welche zu dieser Klasse gehören, berück¬
sichtigt, wodurch es sich erklärt, dass er in vielen Fällen hinter dem tatsäch¬
lichen Verdienste des Verletzten nicht unerheblich zurückbleibt. Es ist also
schon auf diese Weise dem Umstande Rechnung getragen, dass der eine oder
andere Arbeiter wegen Alters oder geringfügiger Gebrechen nicht mehr in
vollstem Masse erwerbsfähig ist. Wäre aus einem so unbeträchtlichen Anlasse,
wie er hier nur in Frage kommt, die Anwendung des §. 13 a. a. 0. gestattet,
so würde dadurch, wenn nicht in den meisten, so doch jedenfalls in sehr vielen
Fällen eine Kürzung des ohnehin nur durchschnittlichen Verdienstes und dem¬
zufolge der Rente eintreten, und damit würde diese Vorschrift, die nur dazu
bestimmt ist, dass Unbilligkeiten gegenüber den Bernfsgenossenscbaften ver¬
mieden werden, zu einer vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigten Be¬
nachteiligung der Arbeiter führen.
Eine nennenswerte Beschränkung der Arbeite- nnd Erwerbsfähig-
keit wird durch den Verlust der beiden Endglieder des linken Zeige¬
fingers nicht mehr verursacht. Rekurs-Entscheidung des Reichs-
Versicheruugsamts vom 10. Januar 1903. Der Kompass; 1903, Nr. 9.
Wenn auch nach den übereinstimmenden und bedenkenfreien ärztlichen
Gutachten kein Zweifel daran bestehen konnte, dass eine wesentliche Besse¬
rung in dem Zustande des verletzten Zeigefingers, dessen beiden ersten Glieder
fehlen, eingetreten ist, da die Narbe völlig geschlossen, nicht mehr druck¬
empfindlich und auch die Beweglichkeit des Fingerstumpfs jetzt wieder völlig
normal ist, so fragte sieh doch, ob die vom Schiedsgericht getroffene Fest¬
stellung, dass der Stumpf beim Handschluss etwas über das Grundglied des
benachbarten Fingers hinausragt und dadurch ein Hindernis bei der Arbeit
bildet, tatsächlich zutrifft. Das über diesen Punkt eingeholte Gutachten des
KOnigl. Kreisarztes Dr. B. vom 27. Oktober 1902 hat überzeugend ergeben,
dass der Stumpf des linken Zeigefingers ebensoweit gebeugt weiden kann wie
die Grundglieder der übrigen Finger, und dass der Stampf beim Handschlusa
nicht über das Grundglied des Nachbarfingers hinausragt. Ein Hindernis für
die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des Klägers ist daher nicht mehr vorhanden.
Bei der günstigen Stumpfbildung und der guten Beweglichkeit des Stumpfes
liegt für den Kläger keine Veranlassung vor, die Hand zu schonen, wie denn
auch nach der Feststellung des Dr. B. der tatsächliche Zustand des linken
Armes und der linken Hand dafür spricht, dass sie ungestört benutzt werden
kann. Ueberdies beträgt der Arbeitsverdienst des Klägers jetzt täglioh 3 Mk.,
während er vor dem Unfall nur 2,90 Mk. erreichte. Der Kläger wird also
durch den glatten Verlast der beiden Endglieder des linken Zeigefingers nicht
mehr nennenswert in seiner Arbeits- und Erwerbsfähigkeit beschränkt.
Besprechungen.
m
Besprechungen.
Prod Dr. Friedr. Besold: Die Taubstummheit auf Grand obren-
ärztlicher Beobachtangen. Eine Studie zur Gewinnung einer künftigen
zuverlässigen Taubstummenstatistik. Für Aerzte und Tanbstnmmenlebrer.
Mit sechs Textabbildungen und einer Tafel. Wiesbaden 1902. Verlag von
J. F. Bergmann.
Der auf dem Gebiete der Taubstummheit rfthmliebst bekannte Autor be¬
richtet in der vorliegenden Monographie über die Beobachtungen an den Taub¬
stummen und den infolge hochgradiger Schwerhörigkeit mangelhaft Sprechenden,
welche er in seiner öffentlichen und privaten ärztlichen Tätigkeit zu sehen
Gelegenheit hatte. Dieses Krankenmaterial, welches 456 Untersuchte umfasst,
war, wie B. im Vorwort betont, für das ärztliche Urteil um deswillen beson¬
ders wertvoll, weil die Mehrzahl der Fälle schon kurze Zeit naoh der Ent¬
stehung der Taubstummheit zur Behandlung kam.
Die Arbeit ist in 12 Kapitel eingeteilt.
Bei der Abgrenzung des Begriffes der Taubstummheit schliesst sich der
Autor Mygind an, welcher die Taubstummheit als denjenigen pathologischen
Zustand bezeichnet, „welcher auf einer angeborenen oder im frühen Kindes¬
alter erworbenen Anomalie des Gehörorgans beruht, infolge welcher eine dauernde
und so bedeutende Herabsetzung des Gehörs eingetreten ist, dass das betref¬
fende Individuum durch Hilfe des Gehörs allein das Sprechen nicht („oder nur
wenige Budimente desselben“ muss hier ergänzt werden) zu lernen imstande
war, oder die Sprache — falls sie schon beim Eintritt der Taubheit erlernt
war — nicht auf diese Weise hat erhalten werden können. . „In Dänemark
werden dementsprechend alle diejenigen Kinder als taubstumm bezeichnet, die
wegen Gehörmangels in derselben Weise wie normale Kinder nicht unterrichtet
werden können.“
Die für den Arzt oft schwer zu entscheidende wichtige Frage, ob ein
überhaupt nioht oder nur mangelhaft sprechendes Kind der Aufnahme in die
Taubstummenanstalt bedarf oder nicht, wird eingehend erörtert; dabei wird
auf die Schwierigkeiten hingewiesen, welche die Unterscheidung der Taub¬
stummen von den psychisch defekten Kindern machen kann.
Das Häufigkeitsverhältnis der angeborenen nnd erworbenen Form von
Taubstummheit gestaltete sich bei den untersuchten Fällen nach der statistischen
Berechnung folgendermassen: angeborene Taubstummheit 196 (43,0 °/ 0 >, er¬
worbene Taubstummheit 238 (51,1 %), unbestimmbar 27 (5,9 %). 45,9 °/„ der
angeborenen Taubheit hatten Hörreste für die Sprache, 35,7 waren total
taub; von der erworbenen Taubheit hatten dagegen 21,5°/ 0 Hörreste
für die Sprache, 55,8 °/ 0 waren total taub.
In betreff der erworbenen Taubstummheit ergiebt die Tabelle III auf
Seite 27 der Monographie, dass die Erkrankungen, welche bei den Untersuchten
zur Taubheit geführt hatten, überwiegend in den ersten drei Lebensjahren auf¬
getreten waren, also zu einer Zeit, in welcher die Kinder überhaupt noch
nicht oder nur unvollkommen sprachen. Bei der Betonung dieser Tatsache,
wird darauf hingewiesen, dass es direkt vom Alter abhängt, ob die Sprache
auf natürlichem Wege erlernt werden kann, oder wenn sie bereits erlernt ist,
wieviel von dem Erlernten wieder verloren geht.
Im Kapitel VH werden die Ursachen, welche bei den Untersuchten zur
angeborenen Taubheit geführt hatten (Erblichkeit, Verwandtschaftsehe,
Potatorium der Eltern, schwere Geburt), im Kapitel IX die Ursachen der er¬
worbenen Taubstummheit eingehend besprochen.
Die Lues hereditaria, welche von anderen Autoren in ihren Statistiken
nicht erwähnt ist, wurde bei 5,6 °/ 0 der Ertaubten als Ursache des Leidens
feztgestellt. Bei der Mehrzahl der hereditär luetischen Kinder trat die Er¬
krankung des OhreB zwischen dem 7. nnd 9. Lebensjahre ein.
In der Tabelle IX auf Seite 102 und 103 werden die von den verschie¬
denen Autoren aufgestellten statistischen Berechnungen in Betreff der Aetiologie
der erworbenen Taubheit übersichtlich zusammengefasst. Nachdem der Autor
weiter im Kapitel XI ausgeführt hat, welche Hörreste bei diesen 456 Er¬
taubten gefunden wurden, weist er am Schlusskapitel darauf hin, dass nach
seinen Erfahrungen die Ueberwachung der Taubstummen durah Ohrenärzte
eine dringende Notwendigkeit ist. Dr. Rudi off-Wiesbaden.
Tagesnachricbtea.
PMt&ll ii Berlin. Ebenio wie Tor einigen Jahren in Wien ist jetat
aaeh in Berlin ein Pestfall durch Laboratoriums-Infektion vorgehomwea, Aber
den der „Reichsanzeiger“ folgende amtliche Darlegung gibt:
„Am 5.d. M. starb hierselbst der österreichische Amt Dr. Milan Saehs,
25 Jahre alt, aas Agram, der sich seit einigen Wochen im hiesigen Königlichen
Iostitnt fttr Infektionskrankheiten mit bakteriologischen Arbeiten Aber Pest
beschäftigt hatte. Dr. Saehs war in der Nacht sum 3. d. Mts. unter Er¬
scheinungen von Lungenentzündung erkrankt. Der behandelnde Arzt schöpfte
mit Rücksicht auf die Beschäftigung des Kranken und bei dem schweren Ver¬
laufe der Krankheit Verdacht und meldete den Fall der Polizeibehörde als
pestverdächtig.
Der Kranke wurde daher alsbald in einem Krankenkasse abgesondert,
and alle Massnahmen wurden ergriffen, um eine Weiterverbreitung der Krankheit
zu verhttten, falls es sich tatsächlich um Pest handeln sollte. Der Verdacht
wurde verstärkt durch das klinische Bild des Krankheitsverlaufes und durch
die mikoskopischen Untersuchungen. Ausser Zweifel gestellt ist die Diagnose
durch die mittels Kulturen und Tierversuchen ausgefAhrte und heute sum
Abschluss gelangte bakteriologische Untersuchung.
Die durch ihre Berührung mit dem Verstorbenen gefährdeten Personen
sind onter ärztlicher Ueberwachung abgesondert; die erforderlichen Desinfektionen
und übrigen Massnahmen sind ausgeführt.“
Um die zur Verhütung der Weiterverbreitung der Pest erforderlichen
Massregeln zu treffen und zu überwachen, ist im Kultusministerium unter Zu¬
ziehung von Vertretern des Reichsgesundheitsamts und des Polizeipräsidenten
ein ständiger Ausschuss gebildet, der zur Abwehr alles getan hat, was nur
irgend geschehen kann, so dass zu irgend einer Befürchtung oder Beunruhi¬
gung nicht die geringste Veranlassung vorliegt.
Sämtliche CharitObaracken, mit Ausnahme derjenigen, die mit den iso¬
lierten Aerzten, Wärtern u. s. w. belegt sind, sind geräumt, und vorsichtshalber
auch noch gründlich desinfiziert. Die Isolierten befinden sich alle durchaus
wohl, auch die ganze Familie L., bei der Dr. Sachs gewohnt hat, mit
Ansnahme eines Wärters M., bei dem sich ein leichtes Fieber eingestellt
hatte. Die bakteriologische Untersuchung hat aber ergeben, dass bei demselben
keine Pesterkrankung vorliegt, sondern das Fieber und Krankheitsgefühl auf
die zum Schutze vorgenommene Serumeinspritzung oder auf eine Erkältung
surttckzuffihren ist.
Zeitungsnachrichten zufolge sollen von den aus Südafrika nach England
gesandten und dort versteigerten typhusverdächtigen wollenen Decken
(s. Nr. 11 der Zeitschrift, S. 439) auch ein Teil nach Harburg und Hamburg
und von hier nach anderen Orten verkauft sein. Das Hamburger
Medisinalkollegium hat infolgedessen den Empfängern derartiger Decken
die Meldepflicht anferlegt und warnt vor dem Vertrieb und Ankauf. Ebenso
hat der preuss. Ministerialminister unter dem 28. Mai 1903 —
M. 12115 — die Regierungspräsidenten ersucht, Ermittelungen darüber ansu-
stellon, ob etwa derartige Decken in den Bezirk eingeführt sind, sowie künftig
auf etwaige Einführung solcher Decken ein wachsames Auge zu haben und
gegebenenfalls eine gründliche Desinfektion der fraglichen Decken herbeizuführen.
Am 8. d. M. hat in der Charitä die Uebergabe des fertiggestellten
Laboratoriums fttr Krebsforschung stattgefunden. Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. v. Leyden richtete eine Ansprache an die Erschienenen, in der er ein
Bild des gegenwärtigen Standes der Krebsforschung gab. Ministerialdirektor
Alt hoff überbraehte die Glückwünsche des verhinderten Kultusministers. Der
Feier schloss sich eine Besichtigung des Laboratoriums au.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Rob. Koch-Berlin ist von der Wiener Aka¬
demie der Wissenschaften sum Ehrenmitglied ernannt.
Tagesnachrichten. 471
Am 19. d. Mts. tritt der Preussische Apothekerrat zu einer Sitzung
zusammen. Zar Verhandlung gelangt: „Die Arzneiversorgung der Kranken¬
kassen.“
75. Versammlung der Deutschen Naturforscher und Aerzte in
Kassel vom 21.—26. September d. J. Die Tagesordnung für die beiden
allgemeinen Sitzungen und die gemeinsame Sitzung der beiden wissenschaft¬
lichen Hauptgrnppen ist wie folgt festgesetzt:
Erste allgemeine Sitzung, Montag, den 21. September:
1. Der Einfluss der Naturwissenschaften auf die Weltanschauung; Vortragender:
H. Prof. Dr. Ladenburg-Breslau. 2. Physiologische Psychologie der Gefühle
und Affekte; Vortragender: H. Prof. Dr. Ziehen-Utrecht.— Gemeinsame
Sitzung der beiden wissenschaftlichen Hauptgruppen, Mit-
woch, den 28. September: 1. Die geologische Zeit; Vortragender: H.
Prof. Dr. A. Penck-Wien. 2. Die Vorgeschichte des Menschen; Vortragender:
Prof. Dr. Schwalbe-Strassbarg i. E. 3. Erbliche Entartung infolge sozialer
Einflüsse; Vortragender: San.-Bat Dr. M. Alsberg-Kassel. — Zweite
allgemeine Sitzung, Freitag, den 25. September: 1. Ueber das
periodische System der Elemente; Vortragender H. W. Bamsay-London.
2. Ueber den Stand der Schulhygiene; Vortragender: H. Prof. Dr. Gries-
bach-Mühlhausen i. E. 3. Ueber die Tuberkulosebekämpfung; Vortragender:
H. Geh. Med.-Bat Prof. Dr. ▼. Behring in Marburg.
In der diesjährigen in Dresden vom 5.—6. Juni abgehaltenen Ver¬
sammlung der deutschen Landesgruppe der internationalen Krimi¬
nalistischen Vereinigung kam u. a. in der Sitzung vom 6. Juni die vermin¬
derte Zurechnungsfähigkeit zur Verhandlung. Beferent war Dr. Delbrück-
Bremen, Korreferent Prof. v. Liszt-Berlin. Die Debatte führte zu der An¬
nahme der teils von Dr. Delbrück, teils von Prof. v. Liszt vorgeschlagenen
Leitsätze, so dass im wesentlichen folgendes beschlossen wurde: 1) Allein im
Interesse der Begutachtung zweifelhafter Geisteszustände vor Gericht ist eine
Aenderung des §. 51 des Str.-G.-B. notwendig, in dem Sinne, dass ausser der
völligen Unzurechnungsfähigkeit auch eine verminderte Zurechnungsfähigkeit im
Gesetz Berücksichtigung findet. 2) Der vermindert Zurechnungsfähige ist mit
einer milderen Strafe zu belegen; die Vollstreckung der Freiheitsstrafe erfolgt
in besonderen Anstalten oder Bäumen und unter Berücksichtigung der medi¬
zinischen Grundsätze. 3) Erscheint der vermindert Zurechnungsfähige nach
dem Gutachten der Sachverständigen als gemeingefährlich, so bat der Straf¬
richter auf Verwahrung des Verurteilten in einer Heil- oder Pflegeanstalt zu
erkennen. Die Durchführung dieser Anordnung ist Aufgabe der zuständigen
Verwaltungsbehörde. 4) Ist der Verurteilte straffähig, so tritt die Verwahrung
nach Verbüssung der Strafe ein. Anderenfalls gilt der Aufenthalt in der Ver¬
wahrungsanstalt als Strafverbüssung. 5) Die Verwahrung hat so lange zn
dauern, als der Zustand der Gemeingefährlichkeit es erfordert. Die Entlassung
aus der Verwahrung wird auf Grund des Gutachtens der Sachverständigen
von dem Strafrichter ausgesprochen. Als Anstalten, wie sie unter 2) ganz
allgemein charakterisiert sind, kommen neben Irrenanstalten, Anstalten für
Epileptische und Trinkerheilanstalten, vor allem Verwahranstalten für unheil¬
bare Alkoholiker und andere geistig Minderwertige in Betracht. Die Errich¬
tung solcher Anstalten und der Ausbau derartiger im Keim vorhandener In¬
stitute entspricht einem dringenden Bedürfnis.
Ferner wurde noch ein Antrag v. Liszts über Bildung einer Kom¬
mission zur Materialsammlung über die Frage der verminderten Zurechnungs¬
fähigkeit angenommen. _
Die Deutsche Städteausstellung in Dresden ist am 20. Mai d. J. in
Gegenwart Sr. Majestät des Königs Georg, des hohen Protektors, eröffnet.
Fast sämtliche deutschen Begierungen und grösseren Städte hatten Vertreter
entsandt, das Beich war durch den Staatssekretär des Innern, Graf Posa-
dowsky, vertreten. Von 158 Städten, die zur Beschickung der Ausstellung
472
Tagesnachrichten.
aufgefordert waren, haben sieh nicht weniger als 128 daran beteiligt, so dass
dieselbe in vortrefflicher Weise die Entwiekelnng des deutschen Städtewesens
and dessen Stand za Anfang des 21. Jahrhunderts veranschaulicht. Die Aus¬
stellung zerfällt in 14 verschiedene Abteilungen: 1. Die Fürsorge der Ge¬
meinden für die Verkehrsverhältnisse, für Beleuchtung, Strassenbau und Ent¬
wässerung, Brücken und Häfen, Tiefbau und Yermessungswesen, Strassenbahnen
u. s. w., 2. die Fürsorge der Gemeinden für Architektur- und Hochbauwesen,
8. die Fürsorge der Gemeinden für öffentliche Knust, 4. die Fürsorge der Ge¬
meinden für allgemeine Wohlfahrt (Wasserversorgung, öffentliche Gartenanlagen,
Spielplätze, Strassenreinigung, Abfuhr, Schlacht- und Viehhöfe, Ausstellungs¬
räume, MaBs- und Messeinrichtungen, städtisches Beerdigungs- und Bestattnngs-
wesen, Marställe), 5. das Schulwesen, 6. das Armenwesen einschliesslich der
Armenstiftungen, des Ziehkinderwesens und der Waisenversorgnng, 7. die
Krankenpflege, 8. die Fürsorge der Gemeinden für arbeitsunfähige und ältere
Personen ausserhalb der eigentlichen Armenpflege, 9. die unter Verwaltung
der Gemeinden stehenden Stiftungen, abgesehen von den eigentlichen Annen-
stiftungen, soweit sie nicht zu den Abteilungen 4 bis 7 gehören, 10. die Städt¬
er Weiterungen, Baupolizei und das Wohnungswesen, 11. sonstige Einrichtungen
auf dem Gebiet des Polizeiwesens, einschliesslich der Gewerbepolizei, der Feuer¬
polizei und des Löschwesens, 12. städtische Gewerbebetriebe und städtischer,
zur Gemeindeverwaltung nicht unmittelbar benutzter Grundbesitz, 13. die Ein¬
richtungen der Gemeinden für Sparkassen- und Leihwesen, 14. Einrichtungen
für innere Stadtverwaltung. Es sind nur mustergiltige und eigenartige Ein¬
richtungen und Anstalten auf allen Gebieten der Gemeindeverwaltung zur Aus¬
stellung gelangt; sie bieten viel Interessantes und geben ein glänzendes Zeugnis
für die Opferfreudigkeit und das hohe Pflichtgefühl der deutschen Städte,
namentlich auch hinsichtlich der Fürsorge auf dem Gebiete der öffentlichen
Gesundheitspflege.
Der nächste Cyklus des Berliner Dozenten-Vereinsfür ärztliche
Ferien-Kuree beginnt am 28. September 1908 und dauert bis zum 24. Oktober
1903. Das Lektionsverzeichnis versendet unentgeltlich uni erteilt Auskunft
Herr Melzer, Ziegelstrasse 10/11 (Langenbeck-Haus).
Ueber die Ausbreitung der Pest in Indien während der letzten sechs
Jahre veröffentlicht der „Lancet“ eine traurige Statistik. Es zeigt sich in den
wiedergegebenen Zahlen deutlich das stetige Anwachsen der Epidemie. Im
Jahre 1897 wurden aus ganz Indien 56000 Todesfälle an Pest verzeichnet.
Im Jahre 1900 waren es schon 98000, und dann erfolgte eine jähe Steigerung,
die im Jahre 1901 die Ziffer von 274000 und 1902 von 577000 hervorbrachte.
Für das laufende Jahr ist wieder noch eine sehr erhebliche Zunahme zu er¬
warten, denn in den ersten drei Monaten hat die Sterblichkeit an Pest bereits
die ungeheure Snmme von 334000 erreicht, wovon 136000 allein auf den März
entfallen. In der ersten Hälfte des April trat dann eine Besserung ein, die
aber nur sehr vorübergehend gewesen ist, denn Ende April hatte die Zahl der
Todesfälle bereits wieder die enorme Höhe von 32000 in einer Woche erreicht.
Besonders schwer hat jetzt das reiche Pundschab, das Fünfstromland in Nord¬
indien, zu leiden, wo die Pest stärker wütet als in allen anderen Teilen In¬
diens zusammengenommen; rund 18500 Menschen sterben im Pundschab jetzt
wöchentlich an der Pest. Auf die Vereinigten Provinzen entfallen jetzt fast
4400 in jeder Woche, während die Präsidentschaften Bombay nnd Bengalen
eine Abnahme zu verzeichnen haben. Von den Grossstädten Indiens sind Alla-
habad, Agra, Benares Khanpnr, Lucknow, Meern, Bareilly und Karatschi, der
Hafen an der Indusmündung, besonders schlimm daran, während die beiden
Hauptstädte Kalkutta und Bombay neuerdings etwas besser gestellt sind.
Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med .-Rat in Minden i. W.
J. C. C. Bruns, Herzog!. Sachs. u. F. Scb.-L. Hofbnehdruckerei In Minden.
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r BieJtUcIi-eii Franx Jöaapbut dooa: dam Geh, Mad.-Ü»t Pwt . JRi
t ut fi»yd*i.rt in Öerllu; de* Bi'tie^kjr.^Ysea I. EUste A«S EöbI#'
Sich». & lbjflcü taufdoBH dem Reg.- aod OtittkütohBknt IV, S
i>ilio. J*# U 1 1 f erk rau*efc J. Kikese t»it fiae haniaBh &*$ -0TW'j^ .
Badiirckc« G|*4eoa v'n» Z4kriQg«r &tf weti: <w Difieioi»-*, Xtett«r^-,;
<*t«eräTÄ«fl T>r % .f'l%g.g£ i«i Jteibo r% i Kr; «ad t»f, ü*>44fltatftdt4B
i. EU, ;dos z«a 1. B L <i csae 1 he a Otdcn i
.04krRd.totft(t«9> & & 4 &i £r fr ,'i. Br; na4 Dr,; R^okVft^pS
?S' 0 ^:rv 3few*M*^■>• Dci &«$;.Dr. Bdadc «a« ReJgird xam £r»$aatr.i 4*»X#iHaH^r
ÖäHUia :-: ; a ,^ ; X&jtf'MWxjßßtfdttä
jv;^ :v *' t. Ik i f r. ötuetjwa la D«vvt({t toi*r
Ur iH' t^jakuk- da ßurjia, Pwi; £hf,'. ^Argüaa, Rüatos'aw psth^i
: clpwl»* * rt Öetiin, m M Ool iJ .ty g%»äaik bti Beriia, Hwr - Ki^ J
(t >>\lil i.?thHr x H«a -ßiyi)tylJr. Drttijj 'ut «.^nährdefe '.;. ;•
'■ J?töftijfreluh a**.yer«. K
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Be.uLrkswsst.a. D. th, püttaer un Bkrohit^ X*r. But«aii
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Xdftijtelcb {S*9h«6n. ... -.
mtgß:' B'(ih»d/.iü.; I/eifr?iä(r,.rj»r. Atb»s ,L«rs(,‘^'l3f|i^s^> Ä j
1903 .
16 . Jafarg.
für
ZentralMatt für gerithtüdsü IndiziB uq<! Psychiatrie,
für ünUfck Sa^rerstMigeBtätigk«it k HnfsB- and lavalidifatehea, sowie
aod Beebtspreeitang.
fleraoHg^fgeOea
Br. OTTO EAPMÜND, '#
ftzpsttnnf*- «fiil B*wUte«Är*i m MLoa^u,
Verlag von Fischer’s mediz, Buehhaiidlg., H. Kornfeld,
Heraogl, Bayer. Ecf- u. Erzhörjtogl. Kammer - Bacliiandler.
Berlin W. 15, LätZowstr. 10.
Awhte^ii <U> t“t»rU^fhÄntUciBg aowl* *11« Anaonroa«xp«ditioae% dm In*
und Jkti&iaadef f»ntfftfMU
■Nr. 13.
am 1* und 1&» jaden ilonnt«. j JllÜ,
töassenerkrankungen nach Genuss von gehacktem
Pferdefleisch, beobachtet in Düsseldorf Im Jahre 1901
Von Dt. P. C, Tb. Schmidt, Gerichtgarst in iMlasehlorf.
ln Düsseldorf erkrankten in der Zeit vom 17 . bis zum 23 . No¬
vember 1901 im ganzen 57 Menschen unter gleichartigen, später
genauer ja».' erörternden Erscheinungen.. Eta Knabe; vm 9 Jahren.
ist gestorben, wahrend die übrigen nur Vorübergehende' Sch&di
pngen ihrer Gesundheit erlitten halieu; diese #aü*en jedoch bei
der Mehrzahl keineswegs.' ganz leiehter Nattu*. so dass äl PetJ
sonen ^|ü^p||^^j^|ihaüdäuäg bedurften,. Alle Patienten litten aö:
Leibschmerzcn und Durchfall, denen sich häuüg Erbrechen und
Schwindelgeflhl mgmeiftm. Ein .'.erwachseuer Mann brach ap¬
ersten Krankheitßtage ohnmächtig auf dein Hofe zusammen; bei
dem verstorbenen Knaben sollen kurz vor dem Tode Krämpfe aul •
getreten sein. Einem Arzt Sei das besonders matte Aussehen
seiner Kranken auf.
In einer Anzahl vou Fällen dauerten die Beschwerde» n
verhältnismässig kürze. Zeit; eine erhebliche Beihe 'von h«ODt".i
war dagegen längere Zeit bettlägerig ; bei einem ’ später völlig
genesenen Eind glaubten, die Eltern für das leben ffrehten f#
müssen; nicht wenige haben durch die fJoterbreehiHig ihrer Arbeii:^
fähigkeit Eiabuese an ihrem Verdienst gehabt .
■Die Zahl der Krankheitsfälle verteilte sich auf wenig?
Strassen und in afe war Pferdefleisch genossen, welches sun
17., 18., 19., 20. und 21. November hei dem Ptordemetzgyv
474
Dr. Schmidt.
geholt war. Mit einer einzigen Ausnahme, wo es sich um ein
gekochtes Würstchen handelte, hatten die Erkrankten nicht weiter
▼erarbeitetes Hackfleisch zu sich genommen und zwar fast immer
in rohem Zustande; nur 3 hatten es in Form von vielleicht nicht
genügend durchgebratenen Frikandellen verzehrt. Einzelne Patien¬
ten hatten ausser dem Hackfleisch auch Rauchfleisch und Leber¬
wurst, sowie gebratenes Pferdefleisch gegessen, und während sie
erkrankten, blieben ihre Hausgenossen, die sich ausschliesslich auf
gebratenes Pferdefleisch beschränkt hatten, völlig gesund. Doch
hat auch das Hackfleisch nicht in allen Fällen schädliche
Wirkungen hervorgebracht, sondern ist von einer, wenn auch
kleinen Zahl von Personen gut vertragen worden.
Die Menge des von den Erkrankten verspeisten Hackfleisches
betrug im Durchschnitt etwa 100 g; doch traten bei einer Frau
schon nach einer Messerspitze voll recht erhebliche Beschwerden
aut. Die ersten Krankheitssymptome zeigten sich fast regelmässig
vor Ablauf von 24, einmal schon 1 j i Stunde nach der Mahlzeit.
Das Fleisch hatte, wie alle Zeugen bekunden, in keiner
Weise einen ungewöhnlichen Geschmack oder Geruch. An seinem
Aussehen ist nur einem einzigen eine blasse Farbe aufgefallen.
Alle anderen haben es tadellos befunden und alle haben es noch
an demselben Tage, wo es von dem Metzger geholt war, oder an
dem darauf folgenden Tage mit Appetit gegessen.
Das Fleisch stammte nicht von einem, sondern von mehreren
Pferden, die, soweit Nachforschungen angestellt sind, im öffent¬
lichen Schlachthaus geschlachtet und nicht beanstandet waren, so
dass die naheliegende Annahme, die gesundheitsschädliche Be¬
schaffenheit des Fleisches sei auf eine bei den geschlachteten
Tieren schon während des Lebens vorhandene Krankheit zurück¬
zuführen, nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für sich hat. Es
wäre doch ein höchst merkwürdiger Zufall, wenn verschiedene
an einer übrigens unbekannten Krankheit leidende Pferde alle bei
einem und demselben Metzger zur Verarbeitung gelangt wären
und das um so mehr, als sie nachweislich aus verschiedenen Ställen
stammten. Mit voller Sicherheit aber wird diese Annahme durch
folgende Tatsachen widerlegt. Das am 18. November von dem
Metzger St. verkaufte Fleisch war dem Hinterviertel eines Pferdes
entnommen, welches ein anderer Metzger B. geschlachtet hatte.
B., der mehr als drei Viertel des Pferdes zurückbehalten und,
teilweise auch in gehackter Form, insgesamt in Umsatz gebracht
hat, hat keinen einzigen Krankheitsfall zu beklagen gehabt,
während von den mit St.schem Fleisch versorgten Personen, die
in ihrer Gesamtheit nur an einem einzigen Hinterviertel beteiligt
waren, über 20 erkrankt sind und eine gestorben ist.
Eine Untersuchung des gesundheitsschädlichen Fleisches hat,
da beim Bekanntwerden seiner Wirkungen keine Reste mehr vor¬
handen waren, nicht stattgefunden. Bei der polizeilichen Revision
der St.’schen Betriebsräume sind pflanzliche oder mineralische
Gifte nicht entdeckt, und auch nach den Zeugenaussagen scheint
* e Beimengung solcher Substanzen zu dem Fleisch ausgeschlossen.
tfassenerkraukungen nach Genuss von gehacktem Pferdefleisch u. s. w. 475
Dagegen deckte die unter Zuziehung eines Tierarztes vorge-
nommene Revision in der Wurstküche so bedenkliche sanitäre
Missstände auf, dass der anwesende Polizeikommissar die sofortige,
vorläufige Schliessung des Betriebes beantragte. Wie aus dem
offiziellen Protokoll hervorgeht, wurde in der Wurstküche nicht
nur verdorbenes Fleisch gefunden, sondern diese machte überhaupt
einen höchst unsauberen Eindruck. Die Wand war mit defekten
Tapeten bekleidet; der aus Holz bestehende und in den Fugen
durchlässige Fussboden war schmutzig und mit Fett überzogen.
Der anstossende Raum, in dem der Geselle schlief, und dessen
Tür bei der Beschränktheit der Räume stets aufstehen musste,
bot weitere hygienisch unzulässige Verhältnisse. Unter einem
Tisch fand sich ein grösserer Haufen feuchter, filziger Pferde¬
haare, und am Fenster stand ein ebenfalls mit Pferdehaaren ge¬
füllter Sack. Wäschestücke und Kleider lagen im Zimmer umher
und hingen an den Wänden. Auf einer Tonne lagen in einer
Mulde Fleischabfälle, die teilweise völlig in Fäulnis übergegangen
waren. Auf einer Fensterbank wurden zwei Hackfleisch¬
schneidescheiben gefunden, die hier schon einige Zeit gelegen
zu haben schienen und mit z. T. schon etwas angetrockneten Fleisch¬
resten verunreinigt waren. Bei drei ebenfalls auf dem Fenster¬
brett liegenden Fleischermessern waren die Klingen mit Rost über¬
zogen und die Hefte mit Schmutz behaftet. Aus der Wurst¬
maschine wurden zwei Räder mit Eisenkreuz entnommen, welche
zur-Zerkleinerung des Fleisches dienten, und deren Ränder eben¬
falls mit Schmutz und schmutzigem Fleisch und Fettpartikelchen
umgeben waren.
Eine Untersuchung der Hackfleischzerkleinerungsscheiben aus
der Hackfleischmaschine durch den hiesigen Stadt- und Gerichts¬
chemiker Herrn Dr. Loock hatte folgendes Ergebnis:
Die Scheibe für feineres Fleisch enthielt in Fäulnis tibergegangene
Fleischteile, an ihr befanden sich angetrocknet alte in Zersetzung Ubergegangene
Fleisohreste Die Zerkleinerungsscheibe für gröberes Fleisch war ebenfalls un¬
sauber und mit alten, in Zersetzung befindlichen angetrockneten Fleischresten
behaftet. Das aus dem mittleren Teil entnommene Fett hatte unangenehmen
fauligen Geruch und war verdorben. Der S&uregrad betrug 7,83.
Abgesehen von diesen winzigen Resten sind Fleischteile,
wie bereits erwähnt, einer Untersuchung nicht unterworfen; das¬
selbe ist bezüglich der Ausleerungen und des Blutes der über¬
lebenden Patienten der Fall. Dagegen hatte die allerdings erst
vier Tage nach dem Tode vorgenommene Obduktion des ver¬
storbenen Knaben ein höchst bemerkenswertes Resultat. Während
sich die makroskopischen Veränderungen auf eine scharlachähn¬
liche Röte ausgedehnter Hautpartien und eine nicht unerhebliche
Schwellung der Schleimhaut des Darms beschränkten, und eine
chemische Untersuchung der Leichenteile völlig negativ ausfiel,
ist aus der Milz in dem Hygienischen Institut der Universität
Bonn ein Pilz isoliert und weitergezüchtet worden, der mit Wahr¬
scheinlichkeit als der für die beschriebenen Fälle in Betracht
kommende Krankheitserreger anzusehen sein dürfte.
476
Dr. Schmidt.
Unter den Fleischvergiftungen nehmen bekanntlich die sog.
„ Hackfleisch Vergiftungen “ eine besondere Stellung ein. In Chem¬
nitz erkrankten im Jahre 1879 nach dem Genuss von rohem Rind¬
fleisch und Mettwurst 241 Personen, von denen 2 starben. Im
Mai 1886 erkrankten in derselben Stadt nach Genuss von rohem
gehacktem Rindfleisch 160 Personen, im Jahre 1887 nach Genuss
von rohem Hackfleisch in Plauen 20 Personen, im Jahre 1888 in
Gerbstadt nach dem Genuss von rohem Hackfleisch, Schwarten¬
wurst und Zwiebelleberwurst 50 Personen, im Juli 1898 nach dem
Genuss von Hackfleisch in Form nur schwach durchbratener Fleisch-
klöschen in Lüben 60 Personen. Ueber eine Epidemie mit 11
Krankheitsfällen in Dresden und eine eben solche mit 80 Er¬
krankungen in Gera, welche ebenfalls innerhalb der letzten 6 bis
7 Jahre zur Beobachtung kamen 1 ), stehen mir genaue Nachrichten
nicht zu Gebot.
Das Bild, welches Schneidemuehl von den Hackfleischver¬
giftungen entwirft, ist dem in Düsseldorf beobachteten ganz ähn¬
lich. Hohe Körpertemperaturen, wie sie auch nach Ostertags
Angaben 1 ) in einzelnen Fällen gefunden worden sind, sind zwar
in den mir vorliegenden Aussagen der Düsseldorfer Aerzte nicht
erwähnt; doch sind sie vielleicht nicht gemessen oder als nicht
charakteristisch nicht besonders erwähnt worden. Im übrigen aber
gleichen die bei unserer Epidemie aufgetretenen Krankheitser¬
scheinungen den von Schneidmuehl angeführten fast vollkommen.
Auch was er über den Beginn und die Schwere des Verlaufs und
die Beschaffenheit des genossenen Fleisches sagt, weicht nur inso¬
fern in nennenswerter Weise von den hier gemachten Erfahrungen
ab, als die Menge des genossenen Fleisches nicht der Heftigkeit
der Beschwerden entsprach. Im Gegenteil hat, wie erwähnt, bei
einer Frau bereits eine Messerspitze voll genügt, um ein lebhaftes
Unwohlsein hervorzurufen, während einzelne Personen, die nach
ihren z. T. eidlichen Aussagen ein nicht unbedeutendes Quantum,
einmal sogar ein halbes Pfund, zu sich genommen hatten, ganz
gesund geblieben sind.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Düsseldorfer Epi¬
demie die erste ist, welche ausserhalb der sächsischen Staaten
und ihrer Umgebung beobachtet ist; wichtiger aber ist es, dass
sie nicht in den Frühling oder Sommer, sondern in den November
fiel. Man hatte bisher geglaubt, dass Hackfleischvergiftungen nur
in der schwülen Jahreszeit zu befürchten seien, und hat in Schmal¬
kalden den Metzgern polizeilich untersagt, in der heissen Jahres¬
zeit Hackfleisch längere Zeit aufzubewahren.
Ob der im Hygienischen Institut in Bonn aufgefundene
’) VergL Handbuch der Fleischbeschau ton Dr. med. Bob. Oster tag.
Vierte Auflage, 1902, Verlag tob Ferd. Bake, 8. 788, und „Die animalischen
Nahrungsmittel" von Dr. Georg Schneidemuehl, 1908, Verlag von Urbau
und Sohwarsenberg, 8.260.
*) Ostertag, 1. c. 8.784.
Massenerkrankungen nach Gennas Ton gehacktem Pferdefleisch n. 8. w. 477
Bacillos sich mit voller Sicherheit als der eigentliche Krankheits¬
erreger heraussteilen wird, muss die Zeit lehren. Sollte dies
der Fall sein, wird es hoffentlich auch gelingen, seine
Lebensbedingungen genauer zu ergründen und damit die Pro¬
phylaxe auf einen festeren Boden zu stellen, als es bis jetzt
möglich ist.
Dass bei den Hackfleischvergiftungen Mikroorganismen über¬
haupt eine wesentliche Holle spielen, dürfte wohl nicht zu be¬
zweifeln sein. Wie sie in das Fleisch gelangen und sich in ihm
■verbreiten, ist bisher unaufgeklärt. Für die Düsseldorfer Fälle
bin ich geneigt, die üebertragung mit dem schmutzigen Zustand
der Wurstküche und der Hackfleischmaschine insbesondere in ur¬
sächlichen Zusammenhang zu bringen; denn, wie ich noch einmal
hervorhebe, wurden bei der polizeilichen Revision 2 Hackfleisch¬
scheiben beschlagnahmt, von denen es in dem Bericht heisst, dass
sie höchst unsauber waren, und dass sich an ihnen teilweise schon
etwas angetrocknete Fleischreste befanden, so dass sie jedenfalls
in der kritischen Zeit gebraucht sein müssen. Was aber wäre
besser zur Verbreitung von Bakterien auf Fleisch geeignet als
eine Hackmaschine, die, einmal mit ihnen behaftet, nach dem
Gebrauch nicht genügend gereinigt wird. In den nach der
jedesmaligen Benutzung an den Scheiben zurückbleibenden
Fleischresten finden die Pilze vermutlich den günstigsten Boden
zu ihrer Vermehrung und bei jedem neuen Gebrauch der Maschine
die schönste Gelegenheit, neue Portionen gesunden Fleisches zu
infizieren. Dass sich auch andere in der Wurstküche Vorgefundene
Instrumente und diese selbst in einem höchst Übeln Zustand be¬
fanden, ist bereits früher mitgeteilt; desgleichen tut man den dort
beschäftigten Personen wohl kaum mit der Annahme unrecht, dass
auch ihre Hände der genügenden Sauberkeit entbehrt haben
dürften, so dass auch abgesehen von der Maschine Verbreitungs¬
wege genug vorhanden waren.
Zum Schluss füge ich noch einige Notizen über den im
Bonner Hygienischen Institut gefundenen Mikroorganismus an.
Herr Prof. Dr. Finkler, dem ich auch an dieser Stelle meinen
Dank auszusprechen nicht unterlassen will, schreibt:
„Die hier gefundenen Bakterien unterscheiden sich von Fäulnisbazilien,
haben dagegen eine grosse Aehnlichkeit mit den Fleischvergiftungsbakterien,
wie sie B. Fischer in der Zeitschrift für Hygiene nnd Infektionskrankheiten,
1902, Bd. 89, beschreibt. Sie unterscheiden sich wesentlich von den Typhus¬
bakterien und dem Bacterium eoli commune durch ihre ausgesprochene In¬
fektiosität und die ihnen zukommende Fähigkeit, giftige Stoffe zu bilden. Sie
machen keine Gelatineverflüssigungen und keine Indolbildung nnd sind ausge¬
sprochen pathogen für Tiere.“
Herr Dr. H. Trautmann, Assistent am bakteriologischen
Laboratorium der Stadt Hamburg, hat eingehende Untersuchungen
über die Bazillen angestellt und wird seine Resultate demnächst
veröffentlichen.
478
Dr. Solbrig.
Ueber die Notwendigkeit einer strengeren Handhabung
der Nahrung8mittelkontrolle (exkl. Milch). 1 )
Von Kreisarzt Dr. Solbrig in Templin.
Die Nahrungsmittelkontrolle ist in zweifacher Hinsicht not¬
wendig: einmal muss damit gerechnet werden, dass vielfach
schlechte, verfälschte oder gesundheitsschädliche Mittel in den
Handel kommen, anderseits zeigt die Art des E eilhaltens und
Verkaufes und die Herstellung dieser Mittel vielfache Mängel und
gesundheitliche Bedenken.
Die in Frage kommenden Nahrungs- und Genussmittel lassen
sich, kurz aufgezählt, in folgende Gruppen teilen:
1. Fleisch und dessen Zubereitungen,
2. Backwaren,
3. Material-, Kolonial-, Spezerei- und Delikatesswaren aller Art,
4. Butter, Schmalz, Käse,
5. Obst und Gemüse,
6. Wein, Bier, Branntwein,
7. Mineralwässer.
Es würde zu weit führen, auch nur annähernd die mannig¬
fachen Verfälschungen der angeführten Mittel zu besprechen, und
alle die Punkte hervorzuheben, die sich auf die Anforderungen an
gute und gesunde Beschaffenheit, Aufbewahrung und Verkauf der
verschiedenen Nahrungs-und Genussmittel beziehen; ich will mich
daher nur auf einige wichtige Punkte beschränken.
Hinsichtlich des Verkehrs mit Fleisch sehe ich von dem,
was sich auf die Fleischbeschau im weiteren und die Trichinen¬
schau des Schweinefleisches im engeren Siune bezieht, ab, da die
erstere schon immer den beamteten Tierärzten unterstellt ist,
die zweite, die Trichinenschau, es künftig sein wird. Bezüg¬
lich der Verfälschungen von Fleischwaren und Fleischzube¬
reitungen ist die Wurstbereitung und das Zusetzen von Prä-
servesalzen zu dem Hackfleisch zu erwähnen. Wohl in allen
Nahrungsmitteluntersuchungsämtem stehen die Verfälschungen
anf diesem Gebiete an erster Stelle. Nach dem mir aus den
verschiedenen Aemtern zugegangenen Material schwanken die
Beanstandungen von Fleisch- und Wurstwaren zwischen 6 und
26 °/o; Zusätze von Präservesalz waren im Jahre 1901 in dem
Untersuchungsamt der Landwirtschaftskammer der Provinz
Brandenburg bei 61 */o von 428 untersuchten Proben, in einem
andern Untersuchungsamt sogar 84 %; zahlreiche Untersuchungen
von Würsten in zwei grossen Untersuchungsämtern ergaben 25
bezw. 34 % Beanstandungen. Ausserdem lehren die vielfachen
gerichtlichen Verhandlungen, was alles für Verfälschungen und
was für unsaubere und unappetitliche Prozeduren bei der Wurst¬
bereitung Vorkommen; auch ist die Zahl der Vergiftungen infolge
Genusses von verdorbenem oder von kranken Tieren stammendem
Fleische keine geringe.
‘) Nach einem Referat in der zweiten Medizinalbeamten-Konferenz im
Regierungsbezirk Potsdam zu Potsdam am 22. November 1902.
Die Notwendigkeit der strengeren Handhabung der Nahrungemittelkontrolle. 479
Was den Medizinalbeamten besonders interessiert, ist der
Betrieb in den Privatschlächtereien, besonders in kleineren Städten
nnd anf dem Lande. Gelegentlich der Ortsbesichtigungen hat wohl
jeder von den Kreisärzten schon mehr oder weniger bedenkliche
Uebelstände kennen gelernt. Wie eng, dunkel, unsauber sind oft
die Schlachträume, wie mangelhaft der Abfluss der Schlachtabwässer,
wie unsauber, schadhaft, ungenügend bedeckt die Gruben für die
Schlachtabfälle, so dass sich üble Gerüche in dem allzu nahen
Schlachthause verbreiten und dergleichen mehr! Ich selbst kann
zwar nur über eine kleine Zahl von Beobachtungen verfügen, doch
lassen sich auch daraus schon Schlüsse ziehen: Von 26 kleinen,
meist aut dem Lande befindlichen Schlächtereien gaben 18 mehr
oder weniger zu Beanstandungen in dem erwähnten Sinne Ver¬
anlassung.
Zu den mindestens unappetitlichen, unter Umständen jedoch
anch gesundheitsgefährlichen Dingen gehört ferner das Aushängen
von Fleisch, besonders von ausgeschlachtetem Wild, vor den Läden
anf offener Strasse. Auch das Austragen des Fleisches in unbe¬
deckten Mulden, das Fahren von Fleisch in offenen, nicht immer
sauberen oder mit schmutzigen Tüchern lose überdeckten Wagen
sind Dinge, die nicht zu den Seltenheiten gehören und doch hy¬
gienisch zu beanstanden sind.
Bei den Backwaren spielt neben der Verfälschung des
Mehls durch Zusätze von minderwertigen Mehlen oder auch direkt
gesundheitsschädlichen Beimengungen die mangelnde Reinlichkeit
der Herstellungs- und Verkaufsräume und der Bäcker selbst eine
wichtige Rolle Nach den Ergebnissen aus dem Untersuchungs¬
amt der Landwirtschaftskammer der Provinz Brandenburg war
allerdings die Zahl der Beanstandungen von Müllereiprodukten eine
recht geringe; dasselbe Resultat fand sich in dem Untersuchungs¬
amt der Provinz Schleswig-Holstein zu Kiel (von 53 untersuchten
Proben wurden hier 3 beanstandet). Was dagegen alles gesündigt
wird in bezug auf Unsauberkeit in den Backstuben, davon haben
die Teilnehmer an der diesjährigen Versammlung des deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in München von Professor
Emmerich so viel zu hören bekommen, dass manchem wohl für
den Augenblick der Appetit auf Brod und Semmeln vergangen ist!
Das Befassen der ausliegenden Backwaaren durch die nicht
immer sauberen Hände der Käufer, das Austragen von Brod in
der Art, dass es die Bäckerjungen einfach unter die Arme nehmen,
n. a. m. sind Dinge, die vielleicht in grossen Städten mehr
schwinden, die jedoch in den kleineren Orten gang und gäbe sind.
Besonders auch ist der Verkauf des Brodes auf dem Lande, wo
es erst durch verschiedene und nicht immer saubere Hände ge¬
gangen ist, bis es in Läden anf schmutziger Unterlage, oft in¬
mitten aller möglichen, vielfach duftender Gegenstände, der Käufer
wartet, ein recht bedenklicher.
Ebenso sind die Material-, Delikatess waren n. s. w.
oft Gegenstand der gröbsten Verunreinigungen nnd Verfälschungen.
Die Zahl der Beanstandungen von Schokoladenpulver, Fruchtsäfter
480
Dr. Solbrig.
und Hefe betrug während der Jahre 1895 bis 1900 in dem Unter*
snchnngsamt der Landwirtschaftskammer der Provinz Brandenburg
zwischen 31 und 35 %; in dem Untersuchungsamt zu Kiel wurden
im Jahre 1901 von 262 untersuchten Proben von Kakao, Schoko¬
lade, Honig und Hefe 24 = 9 % beanstandet. Auch der Vertrieb
dieser Waren in kleineren Geschäften ist oft ein recht unsauberer
und gesundheitlich bedenklicher. In engen, dunklen Bäumen, die
zudem noch manchmal zu Wohn- und Schlafzwecken benutzt
werden, die auch gelegentlich Hunden und Katzen zum Aufenthalt
dienen, werden oft die verschiedensten Nahrungs- und Genuss¬
mittel dicht bei einander, vielfach in offenen Gefässen aufbewahrt,
so dass sie verstauben, verschmutzen und Gerüche gegenseitig an¬
nehmen. Die Kleider und Hände der Verkäufer befinden sich
zudem nicht selten in nichts weniger als einladendem Zustande.
Aehnlich, ja oft noch bedenklicher ist das Feilhalten von
allerlei Nahrungs- und Genussmitteln auf den Jahrmärkten; ganz
abgesehen davon, dass hier oft Esswaren von recht zweifelhaftem
Aussehen feügeboten werden, kann auch eine Verschmutzung der¬
selben in weit höherem Masse stattfinden.
Beim Wein, Bier und Branntwein sind es vor allem die
Verfälschungen, die diese Genussmittel teils minderwertig, teils
direkt gesundheitsgefährlich erscheinen lassen. Beispielsweise sei
angeführt, dass das Resultat aus den Nahrungsmitteluntersuchungs¬
ämtern von Oldenburg, Freiburg i. Breisgau und Kiel vom Jahre
1901 folgendes war: Beanstandungen von Wein unter 905 Proben
46 = 5 %, Beanstandungen von Bier unter 46 Proben 0, Bean¬
standungen von Branntwein zwischen 4 und 15 %. Dazu kommt
beim Bier die oft mangelhafte Reinlichkeit in den kleinen Bier¬
ausschänken und im Flaschenbierhandel.
Butter und Schmalz gab in 2 Untersuchungsämtern (in
Kiel und Oldenburg) in 4 bis 6 °/o der vorgenommenen Unter¬
suchungen zu Beanstandungen Veranlassung.
Hinsichtlich der Mineralwasserfabriken bedürfen die
kleineren Betriebe in den kleinen Ortschaften einer Beachtung, da die
Verwendung reiner Materialien und einwandsfreien Wassers längst
nicht immer stattfindet, ausserdem die Sauberkeit des Betriebes
manchmal zu vermissen sein wird. In dem mehrfach erwähnten
Untersuchungsamt zu Kiel wurden im Jahre 1901 von 32 unter¬
suchten Mineralwässern 8 == 25 % beanstandet; aus einem andern
Bezirk wird berichtet, dass einmal bleihaltiges Mineralwasser ge¬
funden wurde; in der Stadt K. wurde bei 4 Selterwasserfabriken
eine sehr hohe Keimzahl des benutzten destillierten Wassers, näm¬
lich 865 bis 4000 Keime im ccm gefunden.
Im Zusammenhänge mit den Nahrungs- und Genussmitteln
stehen gewisse Gebrauchsgegenstände, weswegen auch diese
einer kurzen Erwähnung bedürfen. Es kommen hierbei die gif¬
tigen Metalle, besonders Blei, und die giftigen Farben in Betracht.
Dass irdenes Geschirr noch vielfach bleihaltig befunden wird,
geht u. a. aus dem Jahresbericht der Untersuchungsanstalt zu
Freiburg i. Breisgau hervor; es wurden im Jahre 1901 in 21 °/ 0
Die Notwendigkeit der strengeren Handhabung der Nahrnngsmitteikontrolle. 481
der vorgenommenen Untersuchungen Beanstandungen wegen Blei¬
gehaltes vorgenommen. Auch aus dem Regierungsbezirk Liegnitz,
besonders im Kreise Lauban. wird über zahlreiche gerichtliche
Bestrafungen wegen unzulässigen Bleigehaltes von Topfgeschirr
berichtet. Betreffs der Gesundheitsbeschädigungen durch Blei ist
zu erwähnen, dass nach einem Gutachten des Kaiserlichen Gesund¬
heitsamtes die Gefahr bei den sogenannten „Bleisoldaten“ für
Kinder keine nennenswerte ist. Dagegen verdienen die Kinder¬
pfeifen, die bis zu 86 °/ 0 Blei enthalten, und anderes Kinderspiel¬
zeug, so Mundstücke von Blasinstrumenten, Geschirr zu Puppen¬
küchen und dergleichen Beachtung, wie dies in einem Ministerial-
Runderlass vom 9. April 1898 ausgesprochen ist.
Bezüglich der giftigen Farben ist das Aufbewahren der¬
selben über und neben Nahrungsmitteln und in mangelhaft ge¬
schlossenen Gefässen bedenklich. Dem trägt der Bundesrats¬
beschluss vom 29. November 1894 und 17. Mai 1901 in seinen
Vorschriften über den Handel mit Giften Rechnung (§. 2 ff).
Dass hierin jedoch noch vielfach Uebelstände herrschen, geht
daraus hervor, dass im Bezirk Potsdam im Jahre 1898 bei 80°/o
und im Jahre 1900 bei 26 °/ 0 der revidierten Material- und Farb-
warenhandlungen aus diesem Anlass Beanstandungen sich ergaben.
Dass Zuckerwaren, Spielwaren und kosmetische Mittel
vielfach mit giftigen Farben bemalt oder imprägniert sind, zeigt
die Tatsache, dass in Berlin in den Jahren 1898 bis 1901 im
ganzen 72 Proben von solchen Gegenständen untersucht und
davon 38 °/ 0 beanstandet wurden. In der Stadt St. wurden 51
Spielwarenläden durch den Medizinalbeamten revidiert; es er¬
gaben sich von den als giftverdächtig bezeichneten Gegenständen
bei der Untersuchung 40 °/ 0 als gifthaltig.
Die Notwendigkeit einer Ueberwachung des Ver¬
kehrs mit Nahrungs-, Genussmitteln und Gebrauchsgegen¬
ständen auf gesetzlicher Grundlage ist längst erkannt; dafür
sprechen auch die vielfachen Gesetzes- und Polizeivorschriften.
Den zuerst erlassenen Reichsgesetzen über die Ueberwachung des
Nahrungsmittelverkehrs vom 14. Mai 1879, über den Verkehr mit
zink- und bleihaltigen Gegenständen vom 25. Juni 1887 und über
die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung
von Nahrungsmitteln folgte das Weingesetz vom 20. April 1892,
jetzt durch das Gesetz vom 24. Mai 1901 ersetzt, das Gesetz
über den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatz¬
mitteln vom 15. Juni 1897, das Gesetz über den Verkehr mit künst¬
lichen Süssstoffen vom 9. Juli 1898, jetzt durch das Gesetz vom
7. Juli 1902 ersetzt, und schliesslich das so wichtige Gesetz vom
3. Juni 1900 über Schlachtvieh- und Fleischbeschau.
Ausserdem sind in den einzelnen Landesteilen eine ganze
Anzahl von Ministerial-Erlassen und Polizeiverordnungen ergangen,
die teils auf besondere Verfälschungen von Nahrungsmitteln hin-
weisen, teils regelmässige und häufigere Untersuchungen von
Nahrungs- etc. Mitteln in den Untersuchungsämtern empfehlen.
Von den in Preussen in dieser Hinsicht geltenden Vorschriften
482
Dr. Solbrig.
seien kurz erwähnt ein Ministerial-Bunderlass vom 80. Aug. 1900
betreffs Verkehr mit verfälschtem und nachgemachtem Honig, vom
5. September 1900 betreffs Herstellung und Vertrieb von Trink-
branntwein, in dem auf die Zusätze von Branntwein - Essenzen
und Schärfen hingewiesen wird, vom 24. April 1899 betreffs
strengerer Ueberwachung des Margarineverkehrs, vom 5. Juni 1899
betreffs Verfälschung der Presshefe. Dahin gehören ferner die in
verschiedenen Bezirken erlassenen Verfügungen (im Bezirk Pots-
dam vom 18. Juli 1898) über das Verbot der Befestigungen der
Hauen bei Mühlen mittelst Blei (zur Verhütung von Blei¬
beimischungen zum Mehl), Verfügungen über die Herstellung
künstlicher Mineralwässer, die sich auf Sauberkeit der Fabrikation
und der benutzten Apparate, auf chemisch reine Präparate und
Verwendung von destilliertem Wasser beziehen; besonders verdient
jene Verordnung aus dem Begierungsbezirk Köln vom 8. November
1896 erwähnt zu werden, weil hierin u. a. eine jährlich vorzu¬
nehmende chemische Prüfung des fertigen Wassers auf metallische
Verunreinigungen vorgeschrieben ist. Auch sind zu nennen eine
Verordnung aus dem Begierungsbezirk Düsseldorf vom 16. Sep¬
tember 1897 betreffs des Flaschenbierhandels, in der Sauberkeit
der Bäume, Sauberkeit der Flaschen und saubere Aufbewahrung
verlangt wird, eine Verordnung des Königlichen Polizeipräsidenten
in Berlin vom 18. Juli 1900 über den Transport von Fleisch, eine
solche im Begierungsbezirk Gumbinnen vom 9. November 1900 über
das Feilhalten und Aushängen von Fleisch auf der Strasse u. s. w.
Trotz dieser vielfachen Gesetze, Erlasse und Verordnungen
ist die Handhabung der Nahrungsmittelkontrolle nicht nur in
Preussen, sondern auch in den meisten andern Bundesstaaten noch
nicht so durchgeführt, als es notwendig erscheint. Um einen
Ueberblick über die Begelung der Angelegenheit in den ver¬
schiedenen Provinzen und auch in den Bundestaaten gewinnen
zu können, habe ich Umfragen bei einer Anzahl von Medizinal¬
beamten gehalten und dabei manches erfahren, das kurz zu er¬
wähnen sein dürfte. Ich möchte diese Gelegenheit nicht vorüber¬
gehen lassen, ohne all den Herren, die so bereitwillig und freundlich
mir Auskunft erteilt haben, an dieser Stelle meinen verbindlich¬
sten Dank auszusprechen!
Wie es mit der Ueberwachung des Nahrungsmittelverkehrs
nicht sein soll, das schildert ein Kollege aus einer der grösseren
preussischen Städte, deren Namen ich nicht nennen soll. Hier
macht ein einflussreicher Privatchemiker sämtliche Untersuchungen
der seitens der Polizei entnommenen Proben von Nahrungsmitteln;
derselbe Chemiker hat bis vor kurzem auch die Gutachten über
etwaige Gesundheitsschädlichkeit der beanstandeten Sachen allein
abgegeben; der Umfang seiner Tätigkeit ist, da Berichte seitens
des Chemikers nicht zu erhalten sind, ein ganz unbekannter. Ein
öffentliches Nahrungsmitteluntersuchungsamt, das der Kollege
mit Becht fordert, erscheint nach dessen Angabe vorläufig noch
als ein Zukunftstraum. Im übrigen muss aus dem Ergebnis
einer Umfrage folgendes für Preussen mitgeteilt werden:
Die Notwendigkeit der strengeren Handhabung der Nahrangsmittelkontrolle. 483
In der Qrossstadt Magdeburg fehlt noch ein öffentliches Amt and
werden die yon den Poliseiorganen entnommenen Proben durch einen Privat-
ehemiker untersucht. Der Umfang dieser Untersuchungen ist nur ein geringer.
Aehnlich ist es in Stettin, wo das Königliche Polizeiprftsidium allein die
Kontrolle des Nahrungsmittelverkehrs in den Händen bat und in einem
Priyatlaboratorium in unregelmässigen Zeiträumen die Proben unter*
suehen lässt.
Im Regierungsbezirk Merseburg werden in 67 Städten regelmässig
Untersuchungen der entnommenen Proben durch das hygienische Institut der
Universität Halle vorgenommen; die Zahl der Untersuchungen im Jahre 1900
betrag 1037.
FOr den Regierungsbezirk Münster besteht in der 8tadt Münster ein
unter der Aufsicht des Regierungs*Medizinalrates stehendes Untersuchungsamt,
in dem hauptsächlich für die Stadt und nur vereinzelt für einige Gemeinden
jährlich eine bestimmte Anzahl Proben von Nahrungsmitteln untersucht wird.
Ausserdem ist hier noch eine landwirtschaftliche Versuchs- und Untersuchungs¬
anstalt vorhanden, die auch für Untersuchungen von Nahrungs- und Genuss¬
mitteln viel benutzt wird.
Im Regierungsbezirk Minden bestehen nur zwei öffentliche städtische
Untersuchungsanstalten, in Bielefeld und in Minden.
In den Regierungsbezirken Coblenz, Cöln, Trier, Wiesbaden
werden nur vereinzelt (in bestimmten Städten und Kreisen), teils in Unter¬
suchungsämtern, teils von Privatchemikern, Proben entnommener Nahrangs¬
mittel untersucht. Bemerkenswert ist die Handhabung in einem Kreise des
zuletzt genannten Bezirks; hier kontrolliert und untersucht ein den Kreis regel¬
mässig bereisender Chemiker die Nahrungsmittel.
Gnt geregelt ist die Nahrungsmittelkontrolle in der Provinz Schleswig-
Holstein: es besteht in Kiel ein Untersuchungsamt für die Provinz, das eine
Abteilung der Landwirtschaftskammer bildet, und in dem die seitens der Poli¬
zeiorgane in bestimmten Zeiträumen bei der Revision der Verkaufslokalitäten
entnommenen etwa verdächtigen Proben untersucht werden. Die Zahl der so
im Jahre 1901 vorgenommenen Untersuchungen betrag 4055, d. h. es wurden
auf je 1000 Einwohner etwa 3 Proben untersucht. Beanstandungen wurden
9% vorgenommen.
Für den Bezirk Oppeln besteht ein öffentliches städtisches Unter¬
suchungsamt in Oppeln. Dasselbe wird sehr viel in Anspruch genommen, und
sind seitens einer grösseren Zahl von Gemeindeverwaltungen Verträge behufs
regelmässiger Untersuchungen von Proben abgeschlossen. Ausserdem sind die
Medizinalbeamten in zwei Kreisen mit einer Kontrolle des Marktverkehrs be¬
auftragt. In einigen Städten sind auch Verordnungen erlassen, die das Ver¬
packen zum Verkauf bestimmter Nabrnngs- und Genussmittel in bedrucktem,
beschriebenem und unsauberem Papier verbieten.
Die Stadt Berlin besitzt seit dem 1. April 1901 ein öffentliches Unter¬
suchungsamt beim Polizeipräsidium, das sehr bald nach seiner Begründung
wegen des enorm sich steigernden Betriebes eine wesentliche Erweiterung
erfuhr, dessen Einrichtung die Teilnehmer des ersten Fortbildungskurses für
die Kreisärzte im verflossenen Frühjahr kennen gelernt haben. Ueber den
Umfang der Tätigkeit und die Ergebnisse aus diesem Amt kann ich keine An¬
gaben machen, da Veröffentlichungen bisher noch nicht gestattet sind.
Für die Provinz Brandenburg besteht als öffentliches Amt das
Nahrungsmittel - Untersuchungsamt der Landwirtschaftskammer, das im Jahre
1896 in Berlin begründet wurde. Aus dem Verwaltungsbericht für die Jahre
1896—1900 ist zu ersehen, dass 10 749 Untersuchungen vorgenommen sind, die
zu 15,8 °/ 0 Beanstandungen Veranlassung gaben. Im Jahre 1901 ist die Zahl
der Untersuchungen gestiegen, und zwar auf 2819, so dass auf je 1000 Ein¬
wohner 1,1 Untersuchungen kommen. Der Löwenanteil fällt jedoch mit 2698
auf den Bezirk Potsdam, der verschwindend kleine Rest von 121 Proben auf
Frankfurt. Im Bezirk Potsdam haben bisher 7 Kreise Verträge mit dem ge¬
nannten Untersuchungsamt behufs regelmässiger jährlicher Untersuchungen von
einzusendenden Proben von Nahrangs-, Genussmitteln und Gebranchsgege q-
ständen abgeschlossen, während die übrigen Kreise nur vereinzelt Unt«^
suchungen daselbst vornehmen lassen. Einige Städte schicken regelmär
Proben zur Untersuchung an Privatchemiker.
484
Dr. Solbrig.
Am besten in den prennisehen Bezirken geregelt und wohl nie mnster-
giltig hinsnetellen dürfte, soweit ich orientiert bin, die Ueberwachung den
Nahrnngsmittelverkehrs im Begiernngebesirk Düsseldorf sein. Abgesehen
von einer grossen Anzahl von Polizeiverordnungen, die teils für die ganse
Rheinprovinz, teils für den Bezirk, teils anoh für einzelne Kreise erlassen sind,
befinden sieh in diesem Regierungsbezirk 8 Öffentliche Untersuchungsanstaltea
in den Städten Crefeld, Düsseldorf, Rheydt, M.-Gladbach, Vohwinkel, Ruhrort,
Mühlheim und Essen. Die meisten Kreise und einzelnen Gemeinden haben sieh
betreffs Untersuchungen von Nahrungsmitteln an diese Aemter angeschlossen.
Bemerkenswert unter den Polizeiverordnnngen sind diejenigen, die die Be¬
deckung des Fleisches beim Transport vorsohreiben, und die das Betasten der
ausliegenden Back- und Fleischwaren verbieten. Ferner ist höchst beachtens¬
wert, dass in verschiedenen Kreisen desselben Bezirks auch der Kreisarzt bei
der Nahrungsmittelkontrolle ungezogen wird, besonders beim Marktverkehr,
aber auch bei Besichtigungen von Schlachtereien, Backereien, Schankwirt-
schäften, Flaschenbierhandlungen und Mineralwasserfabriken.
In den übrigen, nicht genannten Regierungsbezirken sind ebenfalls ein¬
zelne städtische Untersuohungsamter vorhanden, aber es findet auch hier, so¬
weit meine Kenntnis reicht, nur vereinzelt eine Nahrungsmittelkontrolle statt,
die sioh vielfach auf die Markte in den 8tadten beschrankt und auf dem Lande
so gut wie fehlt. Soweit eine Kontrolle ausgeübt wird, geschieht dies durch
Polizeiorgane.
Die Art der Ueberwachung des Nahnmgsmittelverkehrs in
den anderen deutschen Bundesstaaten ist vielfach besser
eingerichtet:
Aus Baiern habe ich folgendes in Erfahrung gebracht. Die Königliche
Regierung von Schwaben und Neuburg hat bereits im Jahre 1871 eine aus¬
führliche Vorschrift hinsichtlich der Nahrungsmittelkontrolle erlassen. Be¬
merkenswert ist u. a. das Verbot der Anwendung von Bierspritsen, Bier¬
pressionen und ähnlichen Apparaten beim Ausschank des Bieres, ferner das
Verbot, bedruckte und beschriebene Umhüllungen und Unterlagen in den Wag-
schalen bei Abgabe von Fleischwaren, Butter und Käse zu verwenden, das
Verbot, geschlachtete Tiere oder Teile derselben ausserhalb der Schlacht- und
Verkaufsräume auszuhängen. Ausserdem besteht hier eine wichtige, oberpoli-
zeiliche Vorschrift von 1899, wonach Reinlichkeit und ausschliessliche Ver¬
wendung von Geräten und Lokalitäten zur Bereitung und zum Verkauf von
Lebensmitteln gefordert, namentlich auch gleichzeitige Benützung von Ver.
kaufslokalen zu Koch- und Schlafzwecken verboten wird.
Im Königreich Sachsen erfolgt auf Grund einer Ministerial-Verordnung
seit dem 1. Oktober 1901 in allen Gemeinden eine amtliche Nabrungsmittel-
kontrolle unter Zuziehung von Nahrungsmittelchemikern, und zwar sind auf
1000 Einwohner mindestens 80 Proben jährlich zu untersuchen. Die Unter-
snchungsanstalten sind vor allem die Zentralstelle für Öffentliche Gesundheits¬
pflege in Dresden und die bei dem hygienischen Institut der Universität Leip¬
zig neu eingerichtete Untersuchungsanstalt; ansserdem sind diesbezügliche
Vereinbarungen des Ministers mit dem Verein Öffentlicher Chemiker getroffen.
Wie mir von einem der sächsischen Kollegen (Herrn Medizinalrat Dr. 8pann
in Kamens) mitgeteilt ist, werden in den Städten von den Schutzleuten, auf
dem Lande'von den Gemeindedienern aus Kaufläden und auf den Märkten
Proben entnommen. Die Nahrungsmittelchemiker, die die Untersuchungen vor¬
nehmen, sind fest angestellt und eidlich verpflichtet. Der zuständige Bezirks¬
arzt bekommt die von den Chemikern an die Behörden zu erstattenden Be¬
richte zugeschickt; er bat dann seinerseits Konfiskationen der betreffenden
Waren oder Öffentliche Warnungen oder Belehrungen zu beantragen und hat
auch selbst persönlich in den Orten kontrollierend, beaufsichtigend, warnend
und raterteilend einzuwirken.
In Württemberg findet gleichfalls eine vorzügliche Ueberwaehung
statt. In Stuttgart befindet sich ein städtisches Öffentliches Untereuchungsamt,
dem die seitens der Polizei entnommenen Proben von Nahrungsmitteln und Ge-
brauohsgegenständen überwiesen werden. Bemerkenswert ist, dass die Polizei-
organe die erforderliche technische Belehrung in der Probeentnahme durch den
Die Notwendigkeit der strengeren Handhabung der Nahrnngamittelkontrolle. 486
beamteten Stadtarst erhalten. Ansserdem werden durch Polisei- Inspektoren
die Herstellungs-, Vorrats* and Verkaufsräume aller Art häufig inspiziert.
Besonders werden die Bäcker-Gehttlfen and -Lehrlinge bei jedem neaen Dienst¬
eintritt and regelmässig bei den Revisionen der B&ekereien aal Haatreinbeit
revidiert. Bei Beanstandungen yon Nahrangsmitteln and sonst zweifelhaften
FÜlen wird der beamtete Arzt zur Begutachtung herangezogen. Ansserdem
unterliegen bei den alle 6 Jahre stattfindenden Qemeindemedizinalvisitationen
die Fleischhackereien mit Grosabetrieb and Schlachth&aser einer besonderen
Besichtigung darch den Stadtdirektionsarzt, and sollen diese Visitationen in
Zukunft auch auf den übrigen Nahrangsmittelverkehr ausgedehnt werden. Ftlr
das Land wird seitens der Oberamtsärzte gelegentlich der Gemeindevisitationen
nach dem Nahrangsmittelverkehr Aufmerksamkeit zugeteilt.
Aus dem Grossherzogtum Baden ist zu berichten, dass in allen Städten
Aber 10000 Einwohner vom Bezirksamte regelmässige wöchentliche oder zwei-
wOohentliche Unter Buchungen von Nahrangs- and Genassmitteln and Gebraachs-
gegenstfinden angeordnet sind. Die Proben werden von Polizeiorganen in den
Geschäften gekauft. Die Kosten für die Untersuchungen, die in Öffentlichen
Untersuohuugsanstalten, welche meist als städtische in allen grosseren Städten
sich finden, vorgenommen werden, tragen die betreffenden Städte; jedoch in den
Fällen, in denen Beanstandungen mit nachfolgenden Bestrafungen sich ergeben,
werden die Kosten von den Bestraften getragen.
Im Gro8sherzogtum Oldenburg befindet sich in Oldenburg für das
Herzogtum Oldenburg ein NahrungsmitteluntersuchungBamt, das zu */• vom
Staat, zu Vs von der Stadt erhalten wird.
Eine gute Regelung der Angelegenheit findet auch im Grossherzogtum
Hessen statt. Darmstadt besitzt ein Untersuchungsamt, in dem sowohl die
von der Schutzmannschaft nach bestimmter Anweisung in gen an vorgeschriebener
Zahl zu entnehmenden Proben aus der Stadt, als auch die auf besondere An¬
ordnung in den Landgemeinden von der Gendarmerie entnommenen Proben
untersucht werden. Die Zahl der jährlich ans der Stadt von 87 verschiedenen
Gegenständen entnommenen Proben betrug 412, d. h. auf je 1000 Einwohner
etwa 4 Proben.
Es erhellt aus dieser Zusammenstellung, dass bei uns in
Preussen im allgemeinen noch nicht alles das geschieht, was zur
gründlichen Ueberwachung des Nahrungsmittelverkehrs erforder¬
lich ist. Es fehlt vor allem an der genügenden Zahl
von Untersuchungsämtern und dann an Verordnungen
behufs regelmässiger Untersuchungen von Proben
aus den Städten und vom Lande. In dieser Beziehung ver¬
dient eine jüngst ergangene Verfügung aus dem Regierungsbezirk
Potsdam Beachtung, in der auf die vielfach unzureichende
Nahrungsmittelkontrolle hingewiesen und als Grundsatz aufgestellt
wird, dass regelmässig in allen Amts- bezw. Stadtbezirken Proben
von Nahrungs- etc. Mitteln entnommen und untersucht werden; als
ausreichend wird hierbei angesehen, dass von jeder in Frage kom¬
menden Handlung jährlich 1—2 oder auf je 1000 Einwohner etwa
5—10 Proben entnommen werden.
Die Ausgaben, die durch weitere Schaffung von solchen
Aemtern erwachsen und von den Kreisen bezw. Stadt- und Amts¬
bezirken zu tragen sind, sind nicht so erheblich und werden von
den Vorteilen in wirtschaftlicher und gesundheitlicher Beziehung
aufgewogen. Was die Kosten für die Einzeluntersuchungen be¬
trifft, so kostet nach den mir bekannten Tarifen aus verschie¬
denen Aemtern eine einfache Untersuchung etwa 3 Mark;
es würde also ein Kreis von 50000 Einwohnern jährlich 750 (bei
5 Proben auf 1000 Einwohnern) bezw. 1500 M. (bei 10 Proben)
486 Dr. Solbrig: Strengöre Handhabung der Nahrangsmittelkontrolle.
für die Untersuchungen zu bezahlen haben; dabei liesse sich nach
dem oben erwähnten Vorbild aus Baden ein Teil der Kosten
von den Verkäufern der Waren — wenn es nämlich zu Bean¬
standungen und Bestrafungen kommt — einbringen. Nur geprüfte
Nahrungsmittelchemiker in öffentlichen Anstalten sollte man zur
Untersuchung heranziehen. Kommt es zu Beanstandungen von
Waren, so ist der beamtete Arzt der zuständige Begutachter in
gesundheitlicher Beziehung.
Wichtig ist die sachgemässe Entnahme der Proben.
Am besten geschieht dies durch Angestellte der Untersuchungen
ämter. Da sich dies naturgemäss ohne Schwierigkeit nur an den
Orten, die Sitz von solchen Aemtern sind, durchführen lässt,
werden in den meisten Fällen Angestellte der Polizei hierzu ver¬
wendet werden müssen. Als geeignet sind diese jedoch nur dann
anzusehen, wenn sie entsprechende Anweisung und Belehrung er¬
halten haben. Nach dem Beispiel aus Württemberg würden die
Medizinalbeamten in der Lage sein, die betreffenden Personen
dahin zu unterweisen, welche Proben und in welcher Weise die¬
selben zu entnehmen sind. Dass die Probeentnahmen unvermutet
vor sich gehen, ist eigentlich selbstverständlich und doch er¬
wähnenswert mit Rücksicht auf mir bekannte Vorgänge,
wonach die nahe bevorstehenden Revisionen von Drogen- etc.
Handlungen öffentlich bekannt gemacht sind. Ob es zweck¬
mässiger ist, dass die Proben von solchen Personen, die den Ver¬
käufern als Organe der Polizei nicht bekannt sind, gekauft oder
dass sie von amtlich als solchen gekennzeichneten Personen ent¬
nommen werden, dies ist eine Frage, die nicht allgemein zu
entscheiden sein, sondern sich nach den lokalen Verhältnissen
regeln dürfte.
Mit der Untersuchung der Warenproben und den etwa
darauf folgenden Bestrafungen, welche letztere zweckmässig zur
Warnung öffentlich bekannt gemacht werden, ist noch nicht alles
geschehen, was zur sachgemässen Nahrungsmittelkontrolle gehört.
Es ist vielmehr ausserdem noch wichtig und nötig, dass ein
gesundheitsgemässer Vertrieb der Nahrungs- und
Genussmittel durch Polizeiverorduungen geregelt wird. Solche
Verordnungen würden sich etwa auf folgende Punkte zu be¬
ziehen haben:
1. Die Verkaufs und Lagerräume für Nahrungs- und Genuss¬
mittel müssen sauber und ordentlich gehalten sein, dürfen nicht
zu Wohn- und Schlafzwecken benutzt werden und auch möglichst
nicht direkt mit den Schlafräumen in Verbindung stehen.
2. Das Aushängen von Fleisch an der Strasse ist zu ver¬
bieten; beim Transport ist das Fleisch mit reinen weissen Tüchern
zn überdecken.
3. Die Verkäufer von Fleisch-, Back-, Kolonialwaren etc.
haben eine reine Waschschürze zu tragen und die Kunden mit
reinen Händen zu bedienen.
4. Die Verkäufer dürfen die Waren, vornehmlich solche, die
Aus Versainmlungeh and Vereinen.
487
unmittelbar zum Genüsse dienen, wie Wurst, Käse, Zucker u. dgl.
nicht mit blossen Händen anfassen.
5. Das Einschlagen der Nahrungsmittel hat in sauberem,
nicht bedrucktem oder beschriebenem Papier zn erfolgen.
6. Das Befassen der Waren, besonders der Backwaren,
seitens der Käufer ist verboten.
7. Die im Laden aufgestellten Nahrungsmittel, wie Wurst,
Käse u. dgl. sind durch Glasglocken oder Schränke vor Ver¬
staubung und Anziehen von Gerüchen zu schützen.
Ein dem Publikum sichtbares Anbringen solcher Verord¬
nungen im Laden wäre zweckdienlich.
Zur sachgemässen Kontrolle der Herstellungs- und Verkaufs¬
räume ist die Hülfe der Medizinalbeamten nicht zu entbehren.
Es sollten diese deshalb gehalten sein, bei allen sich darbietenden
Gelegenheiten, besonders bei den Ortsbesichtigungen und bei den
Revisionen der Drogen-, Farbwaren- und Materialwarenhand¬
lungen, die auch aus andern Gründen ganz in das Gebiet der
amtlichen Funktionen der Kreisärzte fallen sollten, hierauf
ihr besonderes Augenmerk zu richten; namentlich sind die
fleischereien, Wurstküchen, Bäckereien, Gemüsehandlungen, Mi¬
neralwasserfabriken und Märkte in Bezug auf Sauberkeit und
gesundheitsgemässe Gestaltung des Betriebes zu kontrollieren.
Natürlich dürfen die Anforderungen, die zu stellen sind, nicht
zu rigoros sein; vor allem sind Unterschiede zwischen den grösseren
städtischen und kleineren ländlichen Verhältnissen zu machen.
Diese strengere Handhabung der Nahrungsmittelkontrolle ist
im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege als erforderlich
anzusehen und dürfte wohl ohne besondere Schwierigkeiten für
die kontrollierenden als auch für die zu kontrollierenden Personen
durchführbar sein.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über den XIV. internationalen medizinischen
Kongress zu Madrid vom 23.-30. April 1903.
Am 23. April morgens traf ich in Madrid za dem an demselben Tage
beginnenden Kongress ein. Ich hatte damals schon eine etwas längere spanische
Beise hinter mir. Bereits am 4. April hatte ich mit meiner Fran Berlin ver¬
lassen and war ziemlioh direkt — mit nar karzem Aufenthalt in Nimes — bis
Barzelona geeilt. Von dort war unsere Beise Ober Tarragona, Sagnnt nach
Valenzia gegangen; ans der Stadt des Cid mussten wir, da die direkte Ver¬
bindung zwischen der Westküste und Andalusien immer noch fehlt, erst her¬
auf zum kastilischeu Hochland, nach der Mancha und dann wieder herab durch
die Engpässe der Sierra Morena ins Tal des Guadalquivir, nm nach Kordova
zu gelangen. Nach Kordova haben wir die Obrigen Hauptstädte Südspaniens
besucht; an Sevilla und Xeres vorbei führte uns unsere Beise zunächst an die
Gestade des Ozeans, nach Kadiz, dann zurück nach Sevilla, weiter nach Granada,
und endlich durch die Felsentäler der Sierra Nevada nach Malaga, von wo aus
uns eine 22stündige Eisenbahnfahrt nach Madrid brachte.
Welthistorische Stätten hatte ich so betreten, hatte in allen Beizen
einer Natur von nahezu tropischer Ueppigkeit, die freilich auf grosse Strecken
durch ödes Steppenland unterbrochen wird, schwelgen können — eine Wein¬
probe in den Kellern Malagas darf unter diesen Beizen füglich nicht ver¬
gessen werden —, hatte mit heissem Bemühen und hohem Genuss die Kunst
Ans Versammlungen and Vereinen.
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denkm&ler Spaniens ans seiner römischen, maurischen, christlichen Zeit auf
mich wirken lassen. Leere, bis dahin kaam gehörte Worte, wie Aznlejos and
Artesonado, Mudejar and Peadentif, piateresker and charrigaeresker Stil waren
für mich Begriffe von Inhalt and Bedeutung geworden.
Aach von dem spanischen Leben hatten wir manches gesehen. In Va¬
lencia hatten wir etwas von den z. Z. herrschenden politischen Unrnhen za
fdhlen bekommen; unsere „Tartana“, ein zweirädriger geschlossener, von hinten
zn besteigender Karren, der etwas Aehnlichkeit mit onsern L fl ck sehen Kranken¬
wagen hat and dort, der afrikanischen Sonnenhitze wegen, das landesübliche
Geführt ist, war von einem, anscheinend dem missliebigen Gonvernenr zuge¬
dachten, Warf einer faalen Zwiebel getroffen worden. Hier, wie in Sevilla
hatten wir von den Feierlichkeiten der Osterwoche, wie sie in Spanien begangen
wird, in Gestalt mehrerer festlicher Prozessionen ein ungefähres Bild erhalten;
auch sonst in Andalasien konnte man überall die Osterzeit daran erkennen,
dass die Kinder mit lebenden, bunt bebänderten Lämmchen nmherzogen, die
ihnen dort zam Fest gekauft za werden pflegen. Wir hatten so manche ele¬
gante Korsofahrt der spanischen Gesellschaft and anderseits auch die elenden
troglodytenhaften Erdwohnungen der Zigeuner bei Granada geschaut. Wir
sahen die Kolleginnen der „Carmen“ morgens mit der Blume im Haar zur
Zigarrenfabrik ziehen and abends im andalasischen Prankkostüm ihre Tänze aas¬
fahren and wir sahen sie schliesslich mit ihren Neugeborenen — oder anchdiese
allein — in der casa de Expositos, im Findelhaase.
Aach von den vielgenannten „cosas de Espaüa“, wie der Spanier
selbst die vielen in seinem Lande anzutreffenden unbegreifbaren Einrichtungen
bezeichnet, hatten wir einen Begriff bekommen. Ich erwähne in dieser Bezie¬
hung nur einen Punkt, der dem Beisenden besonders unangenehm zu werden
pflegt. Dag spanische Zollgesetz bestimmt, dass an den Grenzstationen and
in den Hafenorten das Gepäck der Beisenden revidiert werden soll. Natürlich
dachte man dabei nur an die vom Ausland übers Meer in Hafenorten ankom-
menden Fremden, nicht an diejenigen, die bei ihrer Fahrt im Inland an einen
Ort kommen, der zufällig zugleich Hafenort ist. Die spanischen Zollbehörden
legen den Satz aber wörtlich aas. Und so mussten wir unser Gepäck, das an
der Grenze in Port Boa revidiert war, in Barzelona nochmals durchsuchen
lassen. Wir mussten es, obwohl wir Spanien nicht verlassen hatten, in Va¬
lencia, in Kadiz, in Sevilla — das auch als Hafenort gilt, da der Guadalquivir
bis dahin schiffbar ist —, in Malaga einer allerdings milden, aber doeh
meist zeitraubenden Durchsuchung unterziehen lassen.
Im Grossen und Ganzen waren alle diese Unbequemlichkeiten jedoch
nioht derart, dass sie uns den Beisegenuss trüben konnten. Wir fanden dies
Belsen in Spanien lange nicht so schwierig und viel angenehmer, als wir es
nach den abschreckenden Schilderungen mancher früherer Besucner erwartet
hatten. Entweder haben diese Schilderer übertrieben, um ihre spanische Beise
als eine hervorragende Leistung erscheinen zu lassen, oder die Verhältnisse
haben sich in den letzten Jahren gebessert. Vielleicht ist auch beides der
Fall. Ich persönlich hatte wenigstens den Eindruck, dass das Land wohl ge¬
wisse Fortschritte macht, wenn auch vielleicht langsamer, als möglich wäre.
Allgemein hört man von spanischen Beiscgefährten die Klage, dass die poli¬
tischen Parteistreitigkeiten, die schliesslich auf rein persönliche Machtfragen
hinauslauien, das ganze öffentliche Leben absorbieren, die Vornahme sachlich
nützlicher Massregeln verhindern und so die Entwicklung des Landes in ver¬
hängnisvoller Weise hemmen.
Es war von vornherein zn erwarten, dass diese „cosas de Espaüa“ auch
bei dem Kongress eine Bolle spielen und dass Ordnung und Organisation des¬
selben nicht auf der Höhe stehen wflrden. Wer sich mit spanischen Verhält¬
nissen etwas vertraut gemacht hatte, dürfte eigentlich über die allerdings er¬
hebliche Mangelhaftigheit der Kongressverwaltung nicht so erstaunt und ent¬
rüstet sein, als es vielfach der Fall war. Abgesehen von der Unzulänglichkeit
des Bureaus, der Unzuverlässigkeit der Berichterstattung war es hauptsächlich
die ausserordentlich hochgeschraubte Verteuerung der Wohnungen, über die mit
Bucht geklagt wurde.
Demgegenüber muss aber auch dankbar anerkannt werden, dass man
■ich vielfach ernste Mühe gegeben hatte, uns würdig aufzunehmen, dass von
-ielea Seiten ein grosses Mass der Liebenswürdigkeit den Kongressisten
Au Versammlungen and Vereinen.
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gegenüber entfaltet wurde. Die Stadt Madrid hat für einen grossen Teil der
Oiste einen Empfang im Rathause gegeben, der allerdings durch die Ueber-
füllung der Räume litt; sie empfing ein aweites Mal sämtliche Kongressisten
mit Damen an einem wohlgelungenen Konzert im Stadtgarten, das freilich
bezeichnender Weise anr gleichen Zeit mit einer der allgemeinen wissenschaft¬
lichen Sitzungen stattfand; ein grosser Teil der Mitglieder war ferner an einer
allerdings nicht gerade hervorragenden Carmenaufführung im lyrischen Theater
— das königliche Theater hatte leider Ferien — und au einem Empfang beim
Ministerpräsidenten geladen. Vor allem aber hatte, was noch bei keinem frü¬
heren Kongress vorgekommen sein soll, der König sämtliche 7000 Kongress¬
mitglieder au einem Empfange in seinem herrlichen Schloss, sämtliche Mit¬
glieder mit ihren Damen au einem Konaerte in seinen ebenso herrlichen Gärten
geladen und dort bewirtet, ein Akt königlicher Courtoisie, der gewiss mit
manchen weniger erfreulichen Erfahrungen versöhnen musste. Es hat doch
schliesslich gewissen Wert, beim Nachfolger Karls des Fünften au Gaste ge¬
laden zu sein.
So manches Freundliche hat ferner der Einseine erfahren. Ich persön¬
lich gedenke gern der mannigfachen Aufmerksamkeiten, die mir in meiner
Sektion au Teil geworden sind; man hat mir auf jede mögliche Weise gezeigt,
wie dankbar man fttr mein Erscheinen in Madrid war. Ich wurde (neben
Brouardel und Kossotorof-St. Petersburg) alsbald zum Ehrenpräsidenten
gewählt und hatte gleich am ersten Tage den Vorsitz zu führen; mein Vor¬
trag war an erster Stelle auf die Tagesordnung gesetzt worden. Der Vorsitzende
der Sektion, Martinea, lud uns zum Stiergefecht ein und bedauerte sehr,
dass die Leistungen des Toreros gerade diesmal nicht auf der Höhe standen.
(Sportlich interessanter war für uns der Besuch eines baskischen Ballspiels,
bei dem die Spieler eine bewundernswerte Gewandheit entwickelten.) Die
Sektion gab ferner für ihre Ehrenpräsidenten ein festliches Diner. Dass ich
auf die Begrüssung, die uns dabei gespendet wurde, spanisch antwortete,
warde mit gana besonderer Freude anerkannt.
Man wird auch, wenn man über Mängel des Kongresses klagt, nicht
übersehen dürfen, dass die allmählig ausserordentlich gestiegene Teilnehmeraahl
die Leitung and Einrichtung und Unterbringung des Kongresses nachgerade
an einer sehr schwierigen Aufgabe gemacht hat, der man wohl nur in wirk¬
lichen Weltstädten genügen kann. Offenbar in Erkenntnis dieser Sachlage
waren denn auch diesmal Einladungen für die nächste Versammlung völlig
aasgeblieben; erst am letzten Tage traf die alsbald angenommene Aufforderung
der portugiesischen Regierung ein, so dass der nächste Kongress in 8 Jahren
in Lissabon stattfinden wird.
Infolge der mangelhaften Bekanntmachung einerseits, der ungünstigen
Zeitwahl anderseits habe ich nur der ersten allgemeinen Sitzung beige¬
wohnt. Nach der Eröffnungsansprache des Vorsitzenden und des Generalsekre¬
tärs folgte in üblicher Weise der endlose Zug der Vertreter der einzelnen Staaten.
Fttr Deutschland sprach v. Leyden; bedauerlicher Weise reichte seine Stimme
für den grossen Baum nicht aus.
Da die Sektionssitzungen alle zur gleichen Zeit stattfanden, habe ich
nur den Verhandlungen der Sektion für gerichtliche Medizin und Toxi¬
kologie beiwohnen können. Auch bei diesen bin ich nicht durchweg
anwesend gewesen. Es waren nämlich fast nur spanische Kollegen anwesend;
es wurde naheau ausschliesslich spanisch geredet, und obwohl ich einige Sprach¬
studien gemacht hatte, gelang es mir doch nicht, den zumeist sehr schnell
vom Manuskript abgelesenen Vorträgen so au folgen, dass ich mehr als eine
ungefähre Vorstellung von dem Inhalt des Gesagten erlangen konnte. Ich habe
daher auf die Gegenwart bei den letzten Sitzungen, in denen nur Spanier auf
der Tagesordnung standen, verzichtet und möchte auch darauf verzichten,
schon jetzt ein Referat über das Ergebnis der Verhandlungen zu liefern, mir
dies vielmehr bis aum Erscheinen des gedruckten KongreBsberichts verspäten.
Die Tage, die so für mich frei wurden, gaben mir erwünschte Gelegenheit,
das wunderbare Museum des Prado, den stolzesten Ruhmestitel der spanischen
Hauptstadt, mit besserer Müsse zu geniessen. Was der Prado an Schätzen
italienischer und niederländischer Malerei bietet, an Werken Rafaels,
Tlsians, Rubens und Van Dyoks, gewähren ja auch andere Sammlungen;
Aas Versammlungen and Vereinen.
490
keine erreicht ihn aber in dem Beiehtnm an Schöpfungen der spanischen Haler.
Mehr noch als Murillo, Ribera, Goya ist es Valasqnex, dessen sonst
nor vereinzelt ansatreffende Schöpfungen hier in einer grandiosen Fülle aufgo-
stapelt sind und den Beschaner einen Künstler kennen lehren, der an Lebens*
Wahrheit and Kraft der Charakteristik wohl nor von Reinbrandt über¬
troffen wird. Wirklich künstlerische Genüsse gewährt übrigens anch die sweite
«Sehenswürdigkeit“ Madrids, die Armeria, die königliche Waffensammlung.
Wir fanden ferner so Zeit an einem Besuch Toledos, der überaus ma¬
lerisch auf einem vom Tajo rings umspttlten Felsrücken gelegenen alten Haupt¬
stadt des Landes mit ihren glänsenden Bauten aus gothischer, arabischer und
kastilisch-spanischer Zeit.
Nächst Toledo besuchten wir — nach Schluss des Kongresses — noch
den Bskurial, das gewaltige, tou Philipp dem Zweiten in die Einsamkeit des
Guadarramagebirges hineingebaute Klosterschloss, das ganz den Geist seines
Schöpfers, der hier seinen Tod fand, den Geist kalter Formenstrenge wieder¬
gibt. Vom EBkarial bin ich dann — da das begonnene Semester rief — in
fast direkter Fahrt über Paris heimgekehrt.
Nicht spanische Vorträge, über die ich schon jetzt berichten kann,
wurden im ganzen drei gehalten. Dr. Schächter-Budapest sprach (deutsch)
über den gerichtsärztlichen Senat, der kürzlich in Ungarn geschaffen worden
ist, eine der preussischen wissenschaftlichen Deputation ähnliche Behörde. Der
Leiter einer privaten Idiotenanstalt bei Lyon, Dr. Courjon, sprach über die
Notwendigkeit der Einrichtung staatlicher Anstalten für Idioten bezw.
Imbezille, in denen dieselben einer gemischten medizinisch pädagogischen
Behandlung unterzogen würden. In der Diskussion sprach sich ein — soweit
ich verstand — argentinischer Arzt über die Vorteile der Benutzung von Hyp¬
notismus bezw. Suggestion bei der Erziehung der Degenerierten aus und
Martinez, unser Vorsitzender, äusseite die originelle Idee, dass in vielen
Fällen, in denen eine erbliche Belastung nicht nachzuweisen sei, die Degene¬
ration sich erkläre durch Störungen im Genitalapparat der Eltern (Phimose,
Cervixstenose u. s. w.), welche einen unvollkommenen Coitus bewirken und so
zur Folge haben, dass das Sperma bereits geschwächt das Ei erreicht. Ich
selbst sprach über die gegenwärtige Organisation der gerichtlichen Medizin
in Deutschland und über die Einrichtungen meines Institutes und schloss
daran eine Demonstration von Abbildungen bemerkenswerter Befunde,
die wir in den letzten Jahren gemacht haben (Blitztod mit ausgesprochenen
Blitzfiguren, Lysolvergiftung, Zorreissung einer aryepiglottischen Falte bei
Selbstmord durch Erbängung, Selbsterdrosselung u. a. m.), ferner einer Gruppe
von stereoskopischen Photographien, besonders von Sohädelbrttchen, um die
Vorzüge dieser Art der Aufnahme vor der gewöhnlichen zu veranschaulichen.
Ich hatte meinen Vortrag des Prinzips halber deutsch gehalten, obwohl iin so
kaum einer aus der Versammlung verstand; die Demonstrationen erläuterte
Ich auf Wunsch der Kollegen spanisch. Sie erregten allgemeines Interesse
und gaben zu einem lebhaften Meinungsaustausch Veranlassung; ioh hatte wohl
etwa 1 Stunde das Gehör der Versammlung. Die an mich gerichteten Fragen
bewiesen durchweg Verständnis und Sachkunde.
Man muss das um so höher schätzen, als für die gerichtliche Medizin
in Spanien bisher wenig geschehen ist. Es bestehen zwar Lehrstühle an den
Universitäten — der in Madrid ist übrigens seit einiger Zeit unbesetzt —, die
Inhaber dieser Lehrstühle sind aber, wie zumeist auch in Italien und Russland,
reine Theoretiker; sie halten ihre Vorlesung, haben aber mit der geriehts-
ärstlichen Praxis nichts zu tun. Für diese gibt es besondere Einrichtungen
fast nur in Madrid selbst; die Stadt ist in 10 — sagen wir — Amtsgerichts¬
bezirke geteilt, für jeden ist ein Gerichtsarzt angesteilt, der gegen ein fixiertes
Gehalt von ca. 8000 Mark die sämtlichen ihm zugewiesenen Aufgaben zu er¬
ledigen hat. Der Senior derselben ist z. Z. Martines, dem auch die kleine
Morgue unterstellt ist. Ferner besteht in Madrid ein gerichtsärztlieh-
toxikologisches Laboratorium unter Leitung von Mariscal, dem Vizepräsi¬
denten unserer Sektion. Zwei weitere Laboratorien existieren in Barzelona und
Sevilla; alle drei unterstehen dem Justizminister. Diese Laboratorien führen
auf Verlangen der Gerichte die notwendigen chemischen und mikroskopischen
Untersuchungen aus, und zwar steht das zu Madrid für die Gerichte des Nord-
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
491
oetens des Königreiches, das in Barcelona für die des Nordwestens, das so
Sevilla für die des Südens rar Verfügung.
Ausserhalb Madrids gibt es Gerichtsärzte nicht; die Munizipalärzte
werden — eigentlich per nefas — angehalten, für das Qehalt, das sie als
solche belieben, auch die gerichtsärztlichen Geschäfte des Beiirkes su be¬
sorgen.
Unter den geriohtsärstlichen Aufgaben stehen nach dem Eindruck, den
ieh gewonnen, Untersuchungen auf Zurechnungsfähigkeit und Kürperverletsungen
im Vordergrund. Dagegen soll Abtreibung so gut wie unbekannt und Kindes¬
mord sehr selten sein. Wahrscheinlich steht die Seltenheit dieser Verbrechen
mit dem allgemeinen Vorhandensein von Findelhäusern in Verbindung.
In diesem Punkte können wir vielleicht von Spanien noch etwas lernen.
Dr. Strassmann-Berlin.
Kleinere Mitteilungen und Referate aue Zeitschriften.
Bakteriologie, Infektionskrankheiten nnd Öffentliches
Sanitätswesen.
Zur Bekämpfung des Typhus. Von Oberstabsarzt Dr. P. Musehold.
Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege; 4. Heft (erste
Hälfte), Bd. XXXIV.
Der Aufsatz ist nach einem in der Strassburger militäräritlicben Gesell¬
schaft gehaltenen Vortrage verfasst und berücksichtigt bei den Bekämpfungs-
massnahmen hauptsächlich militärische Verhältnisse. In klarer, durch Tabellen
erläuterter Weise bespricht der Verfasser die Diagnose des Typhus auf
Grund der klinischen Erscheinungen und des Hilfsmittel, welche die bakterio¬
logische Forschung uns an die Hand gegeben hat (Gruber-Widalsche Blut¬
probe und daB v. Drigalski-Conradische Verfahren zum Nachweise der
Typhusbasillen). Er kommt hierbei zu dem Sohlusse, dass die Würdigung
der klinischen Erscheinungen zusammen mit der Anwendung
der Gruber-WidaIschen Blutprobe und dos v. Drigalski-Con-
radischen Verfahrens im gegebenen Falle eine Fülle sich
gegenseitig kontrollierenden Materials schaffen werden, das
den richtigen Weg des Erkennens führen wird.
Für die Entstehung und Verbreitung des Typhus sind drei Möglichkeiten
in Betracht zu ziehen: 1. Infektion durch verunreinigtes Trinkwasser; 2.
Infektion durch infisierte Nahrungsmittel; 8. Uebertragung auf kurzen Wegen
von Person ra Person.
Diese drei Möglichkeiten werden an der Hand militärischer Berichte,
die dem Verfasser zu Gebote standen, besprochen und im Anschlüsse hieran
die Wege, auf denen die Seuchenausbreitung bekämpft werden kann, genauer
dargelegt. Die Durchführung der Massregeln, besonders auch zum Abscbneiden
der kurzen Uebertragungswege des Typhus wird sich im allgemeinen in Zivil¬
verhältnissen zwar nicht so durchgreifend, wie unter militärischen, gestalten
lassen, immerhin dürften auch hier genug Fälle Vorkommen, z. B. bei Anstalts-
epidemien, in denen ein Verfahren nach den vom Verfasser dargelegten
Grundsätzen fruchtbringend zu verwerten ist. Wir richten deshalb die Auf¬
merksamkeit unserer Leser auf den Aufsatz. Dr. Glogowski-GOrlitz.
Die Bekämpfung des Typhus in Paris. Von Dr. Bienstock.
Hygienisohe Rundschau; 1903, Nr. 8, S. 106.
Paris hatte in den Jahren 1881—1890 eine überaus hohe TyphuBsterb-
lichkeit, von 1891—1899 eine erheblich geringere, wohl infolge der allmählichen
Versorgung der Stadt mit gutem Quellwasser; plötzlich aber stieg die Sterb-
liohkeitskurve wieder steil an und zwar starben im Jahre 1899 : 808 Personen
und 1900 : 867 Penonen an Typhus. Vieles sprach dafür, dass Veränderungen
im Trinkwassersystem daran die Schuld trügen. Um in dieser Richtung sich
ein für alle Mal nach Möglichkeit zu sichern, wurde eine aus namhaften Hydro¬
logen, Geologen, Chemikern und Bakteriologen sich zusammensetzende ständige
Kommission gebildet, die die 4 Quellsysteme: Los so ure.es de la Vanne, de
l’Avre, de la Dhuis und du Lunain, welohe Paris mit Trinkwasser versorgen
492 Klanen Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
ln jeder Beziehung unter Aufsicht hält. Der von Duolaux stammende
leitende Gedanke für den Deberwachungsdienst baute sieh auf der Ueberlegung
auf, dass man zunächst, um für eine Millionenstadt stets sehr wasserreiche
Quellen zu haben, auf fein filtrierte Qaellen verzichten muss. Man hat dem¬
nach mit der Möglichkeit zu rechnen, dass gelegentlich Keime, auch solche
pathogener Art — vor allem Typhuserreger — in das Wasser hineingelangea
können. Da das Auffinden von Typhuskeimen im Trinkwasser, bevor ein Un¬
glück durch ihren Genuss verhütet werden kann, nun seine sehr grossen
Schwierigkeiten hat, so muss dafür Sorge getragen werden, das Hineingelangen
pathogener Keime ins Wasser mit allen Mitteln zu verhüten. Dazu ist zweierlei
nötig. Arstens muss man wissen, wo überall die Möglichkeit dazu besteht, d. h.
.man muss den Oberflächenperimeter feststellen, von dem aus die Paris ver¬
sorgenden Qaellen gespeist werden, und man muss ferner alle Bodensenkungen
und Fissuren in diesem Terrain, durch die ungenügend oder gar nicht filtriertes
Wasser sich dem Grandwasser beimengen kann, genau kennen. Der so festge¬
stellte Umkreis ist dann aufs sorgfältigste hygienisch zu überwachen.
Zur Feststellung des Oberflächenumkreises, aus welchem die Qaellen ge¬
speist werden, diente Fluoreszin in starker Verdünnung, das in der Nähe der
Qaellen anfangend in immer weiterem Umkreise auf Oberfläche, in Boden¬
senkungen und gebohrte Löcher gegossen wurde. Sodann wurde auf das
Wiedererscheinen des Farbstoffes in den Qaellen gefahndet. Dabei stellte sich
nun eine überraschend leichte Kommunikation heraus zwischen den Qaellen
und gewissen im gesamten Quellgebiete reichlich vorhandenen typischen Boden¬
senkungen — den Mardelles (auf einem Plateau) und den B6toires (in einer
Talsohle). Alles Wasser, welches in dieser B6toirea und Mardelles gelangt,
kommt rasch und leicht in die Quelle, die mit ihnen kommuniziert, und ohne
genügende Filtration. Zum Beweise, dass nicht allein gelöste Substanzen,
sondern auch Mikroorganismen von der Oberfläche in die Qaellen verschleppt
werden, wurden Brdbodeninfektionsversuche mit Bierhefe gemacht, die positiv
aasfielen. Filtrieren aber die grossen Hefezellen hindurch, so können natürlich
kleinere Keime, im besonderen Typhusbakterien, am so besser passieren.
Im ganzen Umkreise des übrigens spärlich bewohnten Quellgebietes ist
nun seit 1900 ein genau funktionierender hygienischer Ueberwachungsdienst
organisiert. Jeder Arzt des Gebietes erhält von der Stadt Paris für jede
Meldung einer verdächtigen Erkrankung 20 Franks. Ausserdem übernimmt die
Stadt alle Kosten, welche durch prophylaktische Massregeln, Desinfektion des
Stuhlganges, der Wäsche u. s. w. verursacht werden und schickt trotz der
weiten Entfernung ihre eigenen Desinfektoren an Ort und Stelle des Krank¬
heitsherdes.
Am Schluss seiner interessanten Arbeit schildert Verfasser eingehend
die C am bi er sehe Methode, nach welcher im Pariser Laboratorium das Trink¬
wasser auf Typhusbakterien untersucht wird. Sie beruht im wesentlichen auf
der Tatsache, dass bei Bruttemperatur Typhusbakterien durch eine Chamber¬
land-Kerze schneller — oft schon in wenigen Stunden — in eine umgebende
Nährflüssigkeit hindurchpassieren, als die weniger beweglichen Kolibakterien.
Auf die Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Es ist mit dieser
Methode gelungen, in der Hauptquelle des Quellengebietes der Vanne im Juni
1901 Typhusbakterien zu entdecken, die auch am Ende des zugehörigen Aquae-
duktes beim Eintritt in Paris am 12. Juli gefunden wurden. Der Aquaedukt
war natürlich sogleich nach der ersten telegraphischen Meldung von der Trink¬
wasserversorgung ausgeschlossen worden. Dr. Wolff-Stralsund.
Eine explosionsartige Typhnsepidemie, verursacht durch einen
mangelhaft ausgeführten Röhrenbrunnen. Von Dr. Bachmann, Kreis¬
arzt in Harburg und Dr. A. Kattein, Assistent am staatlichen hygienischen
Institut zu Hamburg. Gesundheitsingenieur; 1903, Nr. 8.
Im Juni 1902 trat in Wilhelmsburg bei Hamburg eine Typhnsepidemie
auf, die aus 61 innerhalb von 6 Wochen zur Beobachtung gelangten Fällen
bestand und sich fast ausschliesslich in einem Häuserkomplex von zusammen
44 Wohnungen abspielte. Alle mit der Ernährung zusammenhängenden Um¬
stände mussten aetiologisch ausscheiden und der Verdacht lenkte sioh
schliesslich auf den 15 m tiefen Röhrenbrunnen, aus welchem der Häuser-
Kleinere Mitteilnngen nnd Referate ans Zeitschriften. 493
komplex mit Wasser zentral versorgt wurde. Es wurde bei eingehender Unter«
Buchung auch tatsächlich festgestellt, dass infolge eines technischen, in dortiger
Gegend Übrigens h&nfig gemachten Fehlers eine direkte Kommunikation
■wischen dem Steigrohr des Brunnens nnd dem Ablaufschacht bestand. Die
bakteriologische Untersuchung des fraglichen Brunnenwassers ergab eine enorm
hohe Keimzahl, Typhnsbakterien wurden indes nicht gefunden. Nach Desin¬
fektion mittelst Chlorkalk kehrte die Keimzahl wieder zur Norm zurück nnd
der auf Veranlassung des Kreisarztes geschlossene Brunnen wurde wieder frei¬
gegeben, nachdem auch der genannte Fehler beseitigt war.
Dr. Wolff- Stralsund.
Zur Abwasserreinigung in Oxydationskörpern mit kontinuier¬
lichem Betriebe. Von Prof. Dr. Dun bar, Direktor des hygienischen In¬
stituts. (Aus dem staatlichen hygienischen Institut in Hamburg.) Gesundheits-
Ingenieur ; 1903, Nr. 1—4.
In der Einleitung der Arbeit wird die jetzt wohl kaum mehr ange-
zweifelte Tatsache hervorgehoben, dass der Beinignngsprozess von Abwässern
in OxydationskOrpern in erster Linie von Absorptionswirknngen (Ad- nnd Ab-
sorptionsWirkungen fasst Verfasser hier als identisch auf) abhängig sei nnd die
gelosten Schmutzstoffe erst später durch Bakterien zersetzt werden. Dadurch
eröffnet sich aber die Möglichkeit, den intermittierenden Betrieb in einen kon¬
tinuierlichen aberzuführen. Ein solches Verfahren hat sich im Laufe der letzten
Jahre in England herausgebildet und neuerdings viele Anhänger gefunden.
Ueber seine Entwickelungsgeschicbte und seine mannigfachen Modifikationen
gibt Verfasser eine auf Grund eigener Anschauung gewonnene und durch zahl¬
reiche Abbildungen illustrierte Darstellung, deren Einzelheiten im Original
nachgelesen werden mOgen; hervorgehoben sei nur, dass alle Verfahren durch¬
weg mit apparativen Vorrichtungen, beweglichen Teilen oder Zerstäubern
arbeiten und dass sie sich zum grossen Teil recht kostspielig stellen, im Bau
sowohl, wie auch im Betriebe.
Da es im Deutschen noch keine wirklich zutreffende nnd präzise Bezeich¬
nung für das Verfahren gibt, so wählt Verfasser in Rücksicht darauf, dass das
Abwasser sich dabei in Tropfen anflOst, die im OxydationskOrper von Schlacke-
stfick zu Scblacke8tfick herunterfallen, den Namen „Tropfverfahren* und für
den dabei in Verwendung kommenden OxydationskOrper die Bezeichnung „Tropf¬
körper*. Die Vorzüge des Tropfverfahrens gegen das intermittierende Oxy¬
dationsverfahren, bei dem sich bekanntlich dss zu reinigende Abwasser für
eine längere Zeit in dem OxydationskOrper aufstaut, lassen sich dahin zu-
Bammenfassen:
1. Die Entfaltung der Absorptionskräfte, die auf Oberflächenwirkung
basieren, ist eine wesentlich ausgiebigere.
2. Die Notwendigkeit, die Zn- nnd Abflussrohre in regelmässigen
Perioden bei Tag und bei Nacht zu Offnen bezw. zu schliessen, fällt fort.
3. Das Trppfverfahren leistet in qualitativer Hinsicht besseres, in quan¬
titativer mehr.
4. Da die Tropfkörper ans faustgrossen oder noch grosseren Schlacke-
Stücken aufgebaut sind, ist die Gefahr einer baldigen Verschlammung eine
sehr geringe.
5. Da die Tropfkörper das Abwasser in suspendierter Form enthalten,
aber nie damit angefallt sind, besteht nicht die Gefahr eines seitlichen Aus¬
trittes der Abwässer, nnd daher brauchen die KOrper nicht mit starken, un¬
durchlässigen, unter Umständen recht kostspieligen Wandungen bekleidet
zu werden.
6. Die gereinigten Abflüsse entleeren sioh ziemlich gleichmässig nnd
nicht ruckweise in grosseren Quantitäten, ein Umstand, der bei wasserarmen
Vorflatern eine weit grossere Sicherheit für günstige Vermischungsverhältnisse
bedingt.
Als Nachteile gegen das intermittierende Verfahren käme höchstens
in Frage:
1. Die MOgliohkeit eines Einfrierens. Allerdings sollen in England frei¬
stehende Tropfkörper bei — 9° C. zur Zufriedenheit gearbeitet haben.
2. Die Abwässer können nioht unterhalb der Oberfläche in den Reir '
494
Kleinere Mitteilungen und Referate aua Zeitschriften.
gangskörper eingelassen werden, daher ist namentlich bei vorgefaultem Ab¬
wasser der Austritt übler Gerüche möglich.
Trotz aller der Vorzüge konnte Verfasser dem Tropfverfahren praktische
Bedeutung nioht beimessen, weil gegen dasselbe in den bis jetzt zur Anwen¬
dung gekommenen Formen die hohen Anlage- und Betriebskosten, leicht Vor¬
kommando Betriebsstörungen und daraus resultierende Betriebsnnsicherheit
sprachen. Seine eigenen, anf eine Vereinfachung und billigere Gestaltnng des
Verfahrens abzielenden Versnche haben nnn zu dem gewünschten Erfolge geführt.
Die gleichmSssige Verteilung nnd tropfenförmige Auflösung der Ah*
wftsser .wurde bei den Versnchen ohne komplizierte nnd kostspielige apparative
Vorrichtungen einfach in der Weise erzielt, dass die Abwässer beim Eintritt
in den Tropfkörper zunächst eine Schicht sehr feinen Materiales passieren
müssen. Schichtet man unter das feine Material etwas gröberes und darunter
noch gröberes, so wird die Flüssigkeit, wenn eie durch die oberste Schicht bin-
durchgetreten ist, von den einzelnen gröberen Stücken tropfenförmig aufge¬
nommen. Nnn lieet ja die Vermutung überaus nahe, dass sich nach allen
bisher gemachten Erfahrungen die Deckschicht aus feinem Material innerhalb
kürzester Frist verstopfen und für Abwässer vollständig undurchlässig werden
müsste; die Erfahrung lehrte aber, dass man dem durch ein Abharken der
Deckschicht begegnen kann, und zwar muss, wenn man täglich 1 cbm Ab¬
wasser pro qm Oberfläahe reinigen will, bei 12stündigem täglichen Betrieb
zunächst täglich, nach 8 Tagen jeden zweiten Tag, nach einem Monat in acht¬
tägigen Perioden und schliesslich sogar nur alle 8—4 Wochen das Abharken
vorgenommen werden. Weiter lehrten die Versuche, dass es vor allem darauf
ankommt, der Luft möglichst ungehinderten Zutritt zu dem Unterbau des
Tropfkörpers zu verschaffen. Ist dieser daher von festen Wandungen um¬
geben, so darf die Deckschicht keine vollständige sein und es empfiehlt sich
dann, in das Material des Körpers Furchen für das einzuleitende Abwasser
einzugraben und diese mit dem feinen Deckschichtmaterial ausznkleiden. Ist
aber der Tropfkörper freistehend, so kann von solchem Furchensystem Abstand
genommen werden und die Deckschicht eine vollständige sein. Ein seitliches
Fortfliessen des Abwassers von der Oberfläche lässt sich durch eine einfache
Vorrichtung verhüten.
Die mit solchen Körpern angestellten Versnche des Verfassers ergaben,
dass sich in ihnen grössere Mengen Abwasser als in intermittierend arbeitenden
Oxydationskörpern reinigen Hessen und dass, selbst wenn absichtlich sehr kon¬
zentriert hergestellte Abwässer eingeleitet wurden, die Einflüsse völlig klar
färb- nnd geruchlos sind nnd bleiben.
Auf Grund dieser Beobachtungsergebnisse trat Verfasser weiter an die
praktisch hochbedeutsame Frage heran, wie man das nene Verfahren für ein¬
zelne Häuser, Krankenhäuser, Fabriken u. s. w. nutzbar machen könne. Von
den zwei einschlägigen Versuchen ist der zweite besonders nennenswert: Vor
einem freistehenden Tropfkörper wurde ein Bottich aufgestellt, in welchen sehr
konzentrierte Abwässer mit allen Sink- nnd gröberen suspendierten Stoffen ein¬
gelassen wurden. An der Einflussmündung ist ein Drahtkorb zur Aufnahme
der gröberen ungelösten Stoffe angebracht, welcher, wenn nötig, täglich bequem
abzunehmen nnd zu entleeren ist. Die Abwässer gelangen aus dem Bottich
auf den Tropfkörper, in dem sie versickern. Sobald aber der Anlage plötzlich
etwa 200 1 oder mehr Abwasser zufliessen, beginnt das Wasser sich auf der
Oberfläche des Tropfkörpers anzusammeln. Die steigende Wasserschicht schliesst
dabei mittelst Schwimmvorrichtung das Abflussrohr des Bottiches nnd hält
diese so lange geschlossen, bis sie zu sinken anfängt, dadurch öffnet sich der
Zufluss wieder automatisch. Diese Anlage hat sich in nunmehr fünfmonatigem
Betriebe nach jeder Richtung durchaus bewährt. Es ist somit der Nachweis
erbracht, dass wir zur Zeit in der Lage sind, auch einzelne Häuser mit auto¬
matisch arbeitenden biologischen Abwasserreinigungsanlagen auszustatten, die
bei verhältnismässig sehr geringem Kostenaufwands völlig befriedigende Reini¬
gungseffekte gewährleisten. _ Dr. Wolff-Stralsund.
Grundsätze fhr die biologische Beurteilung des Wassers nach
seiner Flora nnd Fanna. Von Privatdozent Dr. R. Kolkwitz, wissen¬
schaftliches Mitglied, nnd Dr. M. Marsson, wissenschaftlicher Mitarbeiter
Kleinere Mitteilungen and Befer&te aus Zeitschriften.
496
am Inatitnt. Mitteilungen ans der Königl. Prüfungsanstalt für Wasserver¬
sorgung and AbwBsserbeseitigung. Heraasgegeben von A. Schmidtmann u.
C. Günther. Berlin 1902. Heft 1.
Nach einer historischen Einleitang über die biologische Untersnchnng
des Wassers geben ans die Verfasser eine Uebersicht über die Abwässer-
mikrobien als Leitmikroorganismen, die sie als Saproben (oaitpoc, fanl), also
gewissennassen als die Schmutzfinken der AbwBsser bezeichnen and die sie
naeh dem Vorbilde von Beyrincks nitropbilen Bakterien je nach dem .Grad
der Verschmutzung in poly-, meso- und obligosaprophile einteilen. Im Gegen-
sati dazu werden die nur im reinen Wasser ihre Existenzbedingungen findenden
Bakterien Katharobien (xaüttpöc, rein) genannt. Daneben können aber auch
gewisse mit bestimmten Wasserpilzen zusammenlebende Protozoen als Leit¬
organismen gelten und solche Abwässer-Biocönosen werden als protozoologische
bezeichnet im Gegensatz zu den durch Algen gebildeten phycologiscben.
Es muss daher bei der Beurteilung eines Wassers die chemische und
die biologische Untersuchungsmethode nach Möglichkeit neben einander ein¬
hergehen. Dadurch wird auch in vielen Füllen eine grössere Sicherheit der
Resultate erzielt. Durch die Fauna und Flora der zu prüfenden GewBsser er¬
hält man auch die nötigen Fingerzeige über die Art der Verschmutzung und
für die zur chemischen Untersuchung zweckdienlichen Probeentnahme.
Aber nicht bloss als Leitorganismen, sondern auch als Indikatoren kommt
die Fauna der WasserlBufe iu Betracht, namentlich die Fauna des Grundes,
insofern als die oberhalb des Zuflusses der AbwBsser befindlichen Muscheln und
Schnecken sich in bester Lebensfähigkeit befinden, wBhrend die unterhalb der
schädigenden Einflüsse je nach der Strömung in kürzerer oder längerer Zeit
abgestorben sind und so nach ihrer FSulnisperiode noch als Indikatoren dienen.
Ausserdem kommt das biologische Verfahren aber auch in Frage für das
zu Trickzwecken benutzte Fluss-, Bach-, Seen- oder Talsperrenwasser, deren
Reinheitsgrad im allgemeinen durch das Plankton beurteilt wird, daneben aber
auch durch die Bakterienzählung kontrolliert, im wesentlichen das gleiche
Resultat gibt.
Die Verfasser kommen daher zu dem Schluss, dass „für die Förderung
der das Wasser betreffenden Fragen nicht allein die verschiedenen Wissens¬
zweige, wie Chemie, Zoologie, Botanik einschliesslich Bakteriologie, Physik und
Technik zu Rate gezogen werden müssen, sondern sogar innerhalb der einzelnen
Disziplinen wieder die verschiedenen Gebiete in gemeinsamer Arbeit das Ihrige
leisten müssen*.
Durch das Zusammenwirken dieser verschiedenen Zweige werden hof¬
fentlich in der Beurteilung der GewBsser auch noch fernerhin wichtige und
wertvolle Fortschritte erzielt werden können.
Beitrag nur Kenntnis der ReinignngsefiTekte in den Filtern beim
biologischen Abwässerreinignngsverfahren. Von Privatdozent Dr.Emmer-
ling. Ibidem.
Leider liegen die interessanten Versuche des Verfassers nicht als abge¬
schlossenes Ganse vor, aber sie stimmen im allgemeinen überein mit den An¬
gaben von Dun bar und Thumm, die den Grad der Reinheit der AbwBsser
in den meisten Fällen durch die Abnahme der Oxydierbarkeit nach dem biologi¬
schen Verfahren zu beurteilen im stände waren. Denn obgleich die fäulnis-
fähigen Stiekstoffsubstanzen die wichtigsten Momente der Verunreigung der
AbwBsser zu sein pflegen und deren Abnahme konsequenter Weise einen Grad¬
messer für die Leistung einer Reinigungsmethode abgibt, so verdienen doch
auch stickstofffreiere Substanzen Beachtung, namentlich Verunreinigungen
durch Kohlenhydrate und organische Säuren, da sie durch GBhrungsvorgänge
Gase erzeugen und die Entwicklung gewisser schädlicher (namentlich aueh
anärober) Mikroorganismen begünstigen.
Durch eine Anzahl von Versuchen konnte der Verfasser nachweisen, dass
auch hier das biologische Verfahren günstige Erfolge zu erzielen im Stande ist,
insofern als durch die mehrfache Filtration die Oxydierbarkeit abnahm als
Zeichen einer fortschreitenden Reinigung.
Uatennchnng über die Bestandteile der Schwimmschicht und ihr
496 Kleinere Mitteilungen und Befente aus Zeitschriften.
Entstehen auf den Abwässern in den Fanlbassins biologischer Anlagen.
Von Privatdozent Dr. Emmerling. Ibidem.
Nach den Untersuchungen Emmerlings geht bei dem sog. Faulver-
fahren, wo die AbwHsser vor der Reinigung einen Fanlprosess dorehmachen,
und wo die sich bildenden stinkenden Gase durch eine an der Oberfläche sich
bildende Decke abgeschlossen werden, etwa in folgender Weise die Bildung
dieser Decke yor sich: „bei genügender Ruhe, wenn also die Bassins nicht
starken Windstürnngen ansgesetzt sind, und bei nicht zu niederen Temperaturen,
werden durch Gase, die sich bei der Zersetzung von Kohlehydraten durch das
Bacterium coli (vielleicht auch durch andere Bakterien) bilden, mechanische
Verunreinigungen (suspendierte Stoffe) in die Höhe getrieben; auf diesen in
die Hohe getriebenen Massen finden dann Schimmelpilze ein geeignes Nähr¬
medium. Die letzteren überziehen die Oberfläche mit einer zunächst zarten,
bald aber dicker und zäher werdenden Decke, welche den weiteren Zutritt yon
Luft hindert und dadurch die Bedingung zur Entwickelung anäerober Bakterien
in den darunter liegenden FiüssigkeitsBchichten bietet, die ihrerseits in Butter-
säurebildung und Fäulnisrorgängen ihren Ausdruck findet.
Die Decke selbst wird durch die auch bei den letztgenannten Gährungen
reichlich auftretenden Gasen an der Oberfläche gehalten und nimmt so lange
an Masse su, bis die sie zusammensetzenden verschiedenen Organismen durch
eine langsame Oxydation an der Luft zum Teil in humose Substanzen übergehen.
Beitrag zur Kenntnis des sog. biologischen Verfahrens, insbe¬
sondere der bei der Herstellung in dem Betriebe biologischer Ab-
wässerreinignngsanlagen zu beobachtenden allgemeinen Gesichts¬
punkte. Von Dr. Thumm, wissenschaftliches Mitglied der Anstalt. Ibidem.
Diese Abhandlung beansprucht namentlich auch deswegen Interesse, da
der Verfasser in derselben allgemeine Regeln über die Herstellung und Ver¬
wendung der OxydationBkOrper zu einer zweckmässigen Klärung der Ab¬
wässer gibt.
Das biologische Verfahren, das je nachdem als Oxydations- oder als
Faulverfahren (nach Durchlaufen eines sog. Faulraumes), d. h. nach Passieren
des Abwassers durch das mit Schlacken gefüllte, als OxydationskOrper be-
zeichnete Becken angewandt wird, hat sich namentlich da, wo eine Berieselung
sich nicht ausfübren lässt, alssweckdienliob und, wenn auch nicht gleich¬
wertig, so doch in mancher Beziehung als der Berieselung wenig nach¬
stehend erwiesen.
Während man allgemein früher die Klärung der Abwässer und die Zer¬
setzung der in denselben enthaltenen Schmutzstoffe auf die Tätigkeit von Mi¬
kroorganismen zurückführt, hat Dunbar nachgewiesen, dass die Reinigung
der Schmutzwässer während des. Vollstehens der OxydationskOrper auf Ab-
sorptionsvorgänge und nur während des Leerstehens des Körpers bei der
Lüftungsperiode auf die Zersetzung durch Mikroorganismen zurückzuführen sei.
Und Proskauer konnte feststellen, dass die Ueberführung des Ammoniaks
in Salpetersäure im OxydationskOrper nur während dessen Leerstehen vor sich
geht; es ist dies die sogen. Mineralisiernng der Stickstoffverbindungen und
zwar ist nach Dun bar und Th um ms Untersuchungen die in den Abflüssen
befindlichen Salpetersäuremenge um so grosser, je länger der KOrper leer
steht. Jedoch trifft nach den Untersuchungen Thumms dies nicht für alle
Fälle su, nach seinen Versuchen an zwei gleichen mit Abwasser und mit des¬
tilliertem Wasser gut eingearbeiteten OxydationskOrpern, konnte er nachweisen,
dass aus dem Fehlen der Salpetersäure in den Abflüssen aus den Oxydations¬
kOrpern man nioht folgern dürfe, dass auch kein Nitrat gebildet werde; im
Gegenteil in eingearbeiteten KOrpern wird stets Nitratbildung entstehen, und
der Grund dafür liegt in der während des Vollstehens der KOrper sich voll¬
ziehenden Reduktionswirkung.
Als OxydationskOrpermaterial werden in erster Linie eisenhaltige Stoffe
empfohlen; für die Bewertung des Materials ist es unumgänglich notwendig,
den Eisengehalt vorher festsustellen, um denselben bei der späteren Beurteilung
der Leistungsfähigkeit des Füllmaterials berücksichtigen zu können. Ausserdem
muss aber das Material auch porOs sein, man verwendet daher am besten
Schlacken, Koks und Ziegelbrocken. Durch Zusatz von Kalk (Marmor, Kalk¬
stein) wird die Wirksamkeit noch erheblich gesteigert.
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
497
Für den Reinignngeeffekt ist ausserdem aber auch die Kongresse des
Materials von höchster Bedeutung insofern, als die Reinigung des Abwassers
eine um so bessere ist, je feiner das Material sum Aufbau des Oxydation»*
körpere. Für die städtischen Abwässer kommen für primäre Körper Korn¬
grössen von 8—25 mm und für sekundäre solche von 8—8 mm in Betracht.
Bei industriellen Abwässern iat es erforderlich, in allen Fällen Vorver-
suche Aber die sweckmässigste Art der Reinigung su machen, namentlich wenn
es sich um Herstellung grösserer Anlagen handelt.
Bei der Wahl der Grösse der Becken ist zu berücksichtigen, dass die
Fllllungsdauer eines Oxydationskörners nicht länger als 2 Stunden beansprucht;
das Abwasser soll nioht länger als 5—6 Stunden auf den Oxydationskörpern
stehen, um für die Lüftung noch genügend Zeit übrig zu haben. Die Becken
selbst müssen selbstverständlich wasserdicht abgegrenzt sein, die Sohle muss
so angelegt sein, dass eine vollständige Entleerung erfolgen kann, ferner müssen
die Beoken frostsicher sein.
Jeder einzelne Oxydationskörper muss ohne Störung des Gesamtbetriebes
ausser Wirksamkeit gesetzt werden können; ausserdem muss es möglich
sein, dieselben sowohl hintereinander, als nebeneinander zu schalten, um durch
die wechselnden Zuflüsse namentlich bei wechselnden Niederschlagsmengen
nicht gestört su werden.
Zar Frage der Mfillbeseitlgnng mit spezieller Berücksichtigung
der landwirtschaftlichen Verwertung. Von Dr. Thiesing; Ibidem.
Die in neuester Zeit vielfach vorgeschlagene in England gebräuchliche
Verbrennung des Mülls scheitert im allgemeinen an den grossen Kosten.
Hauptbedenken vom hygienischen Standpunkt bilden daneben aber auch das
bisher gebräuchliche Sammeln und Abfabren des Mülls.
Wenn auch als eigentliches Dungmittel der Müll allein sich nicht ge¬
brauchen lässt, da er zu wenig Nährstoff enthält, so kann er doch als Melio¬
rationsmittel gelten, durch das namentlich die physikalische Beschaffenheit des
Bodens verbessert werden kann; er ist deshalb nicht zu unterschätzen.
Aus Versuchen, die mit Anpflanzungen von Gemüse, Kohl, Roggen u. a.
auf Müll gemacht worden sind, hat sich konstatieren lassen, dass die auf dem
Müll geernteten Früchte im allgemeinen eine günstigere Zusammensetzung
hatten, als die auf dem Ackerboden geernteten. „Sie waren von gutem Aus¬
sehen, niobt mit Parasiten behaftet und gesund, die Kohlköpfe von besonderer
Festigkeit.“ Im Laufe der Zeit war der Müll humifiziert und mineralisiert und
nahm schliesslich sranz das Aussehen, die Farbe und Beschaffenheit normaler
Gartenerde an. Die Konservenbüchsen wurden in 6 Monaten vollkommen
oxydiert und zerfleien beim Anfassen.
Aus diesen Beobachtungen und Versuchen geht unzweideutig hervor,
dass für Städte, in denen sonBt durch Vernichtung des Hausmülls keine wirt¬
schaftlichen Erfolge erzielt werden, auf eine rationelle landwirtschaftliche Ver¬
wendung das Augenmerk gerichtet werden muss. Sicher würden auf diese
Weise, durch Auffüllen sumpfiger Wiesen mit Hausmüll, landwirtschaftliche
und hygienische Vorteile errungen werden können.
Die wichtigste Phase der Müllbeseitigung ist die Aufsammlnng und die
Abfuhr des Mülle. Verfasser tritt für die getrennte Aufsammlnng und Abfuhr
1. von Kehricht und Asche, 2. der Küchenabfälle und 3. der gewerblich ver¬
wertbaren Abfälle, der sog. Sperrstoffe (Papier, Lumpen, Eisen, Glas etc.) ein.
Von letzteren Bestandteilen enthält der Berliner Müll im Durchschnitt unter
80 Fahren 4,26°/« Papier, 1,16 % Lumpen, 1,27 °/o Glas, 6,10 °/ 0 Scherben und
0,78% Eisen und andere Metalle. Dieses Verfahren des sog. „Separations¬
systems“ wird von der Charlottenburger Abfuhrgesellschaft, nach dem auch in
Newyork üblichen Abfahrsystem schon seit einiger Zeit mit gutem Erfolg und
in rationeller Weise angewandt. Von Wichtigkeit scheint aber namentlich
in Bezug auf diese Sperrstoffe zu sein, dass grundsätzlich nichts wieder in den
Verkehr gelangt, was nicht vorher gründlich desinfiziert worden ist; denn nur
auf diese Weise ist eine Uebertragung von Krankheitskeimen zu vermeiden.
Nach diesem System würden die Kosten nur 3 Mark pro Tonne Müll
betragen, während das Schmelzverfahren für Berlin 17 Mark pro Tonne beträgt.
Man sieht also aus diesen Betrachtungen Thiesings, dass die Müll¬
verbrennung für die Berliner und Charlottenburger Zustände nioht taugt, worauf
498
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
schon immer von kompetenter Weise hingewiesen worden ist, dam jedoch eine
rationelle landwirtschaftliche Verwendung des Mails die grössten Vorteile mit
sich bringen kann.
Ueber die Verarbeitung der Rückstände aus der Sehmutswasser-
Reinigungsanlage der Stadt Kassel. Von Stadtbaumeister Höpfner in
Kassel und Dr. Panimann. Ibidem.
Die Kasseler Kläranlage hat den Zweck nur einer mechanischen Reini*
gang der Abwässer and es fliessen ihr die Schmatswftsser von 110000 Personen
sa. Nach verschiedenen Versuchen, die Rückstände für die Landwirtschaft ver¬
wertbar su machen, worden seit Frühjahr 1900 Versnobe mit dem sogenannten
De gen ersehen Verfahren, die Rackst&nde der Kläranlage durch Sntsiehung
von Fett wirtschaftlich zu verwerten, gemacht. Seit dem 1. März 1901 werden
daher die Rückstände der Schmutzwässer mit geringen Aasnahmen nicht
mehr zn Kompostdttnger, sondern in der SchlammverwertnngsanBtalt anf Fett-
und Kunstdünger verarbeitet. „Die Verarbeitnng der Schlammmassen löst sieh
in dieser Anlage in folgende Rinzelprozesse anf: 1) Befreinnng des Schlammes
von Lampen, Holzteilen etc., 2) Mischen des Schlammes mit einer hinreichenden
Menge von Schwefelsäure, 8) Erhitzen dieser Schlammsehwefelsäuremtschung
in Montejns anf ca. 100°, 4) Abpressen der erhitzten Massen in Filterpressen,
b. Zerkleinern and Trocknen der gewonnenen Presskuchen, 6) Entfetten der
getrockneten Presskuchen daroh Benzol, 7) Befreiung der aasgesogenen Fett¬
massen, sowie der entfetteten Rückstände von Bensol, 8) Nachtrocknen der
Rückstände, 9) Destillation des erhaltenen Fettes.*
Der Gang dieses sog. Degen ersehen Verfahrens ist kurz folgender:
Nachdem die Schlammmassen, welche sich in dem Becken der Kläranlage ab¬
gesetzt haben, mit einem Wassergehalt von circa 90°/ 0 der neuen Anlage zn-
geführt worden sind, werden die festen Stoffe dnreh 2 entgegengesetzt lanfende
Reohen mit langen Stacheln znrttckgehalten; der so gereinigte Schlamm fliesst
nnn in einen Sammelbehälter. In einem besonderen Mischkessel wird hierauf
die Schlammmasse mit einer genan berechneten Menge Schwefelsäure innig
durch ein Rührwerk gemischt nnd diese Mischung in verbleite Montejns von
ca. 8 cbm Inhalt ttbergeführt. Hier wird die Masse anf 100* durch Wasser¬
dampf erhitzt nnd kommt dann anf Filterpressen. Das abfliessende Press¬
wasser, welches keine freie Schwefelsäure mehr enthalten darf, wird nach einer
Kalkgrabe geleitet nnd anf diese Weise der Kläranlage wieder angeführt. Der
Presskuchen kommt in ein Mahlwerk, wird hier zerkleinert und nach einem
grossen Trockenapparat übergeführt. Von da wird die getrocknete Masse in
einen nach dem Soz hl et sehen Prinzip konstruierten Extraktor geleitet, wo
das Fett dnreh Bensol extrahiert wird. Zur Gewinnung der noch in der Press-
knehenmasse befindlichen Benzolreste wird Wasserdampf eingeleitet, während
dnreh Umschalten des Kühlers nach dem Benzolbehälter das Benzol für die
weitere Extraktion wieder gewonnen wird. Die vom Fett befreite, noch 40 bis
BO ®/ 0 Wasser enthaltende Düngermasse lässt man nach der Entfernung ans
dem Kessel noch einige Tage offen in dünner Schicht liegen, nm ihr das noch
übrige Wasser zn entziehen.
Die Ausbeute an Fett ans der Trockensubstanz schwankt von 8,16 bis
26,00®/«, im Mittel 16,16 ®/ 0 .
Beschäftigt sind in der Anlage 16 Mann, und zwar je 8 am Tage nnd
8 bei Nacht.
Die Einnahmen betragen jährlich, 100 kg Rohfett zn 30 Mark und 100 kg
Kunstdünger zu 3 Mark berechnet, über 112000 Mark. Ueber die Betriebskosten
lässt sich in der kurzen Zeit, da natürlich auch die Versuche sehr viel Geld
verschlungen haben, bis jetzt noch nichts sicher sagen.
Jedenfalls kann aber dieses Verfahren insofern auch als ein ideales be¬
zeichnet werden, als durch die notwendig angewandten hohen Temperatnrgrade
die Krankheitskeime gestört werden. Die Frage ist nur die, ob es sich auch
für Städte mit vorwiegend industriellen Abgängen rentieren würde; für Kassel
nnd ähnliche Städte sind die Kosten ja immerhin noch erhebliche. Jedoch
dürfte sich, nachdem die Vorversuche beendigt sind, bei einer Neuanlage, die
sich die bisherigen Erfahrungen zu Nutze machen kann, das Verfahren wesent¬
lich billiger gestalten lassen.
Kleiner« Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
499
Rin Bürette mit automatischer Einstellung des Nullpunktes und
Entleerung durch direktes Zurückfliessen der nicht verbrauchten Ti¬
trierflüssigkeit. Von Dr. Zehn. Ibidem.
Dieser sinnig erdachte, durch eine beigefügte Abbildung und durch eine
genaue Beschreibung näher erläuterte Titrierapparat hat den Zweck leicht hand¬
lich und absolut zuverlässig zu arbeiten; ausserdem soll bei dessen Gebrauch
an Zeit und Chemikalien gespart werden. Dr. M. Beck-Berlin.
Ueber Fortschritte auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬
pflege in England in den letzten 25 Jahren — und in den nächsten.
Von Dr. J. Spothiswoode Cameron. Med. off. of health of the city of
Leeds. Public Health, November 1902; Bd. XV, Nr. 2, S. 64—98.
Der Autor, der für das laufende Jahr 1902/8 sum ersten Vor¬
sitzenden der englischen Medizinalbeamtenversammlung ge¬
wählt worden ist, gibt in diesem vor der Gesellschaft gehaltenen Vortrag Be¬
richt über seine auf dem Gebiete der Öffentlichen Gesundheitspflege gemachten
Erfahrungen. Seit 1877 fungiert er als Gesundbeitsbeamter zunächst von
Huddersfield, später von Leeds; da der Vortrag auf die Entwickelung
der sanitären Gesetzgebung interessante Streiflichter wirft, da dem Autor ferner
reiche Erfahrungen als Grundlage für seine Darlegungen dienen, so lohnt es
sich, dem Gedankengang etwas ausführlicher zu folgen.
Im Jahre 1877 war der Autor einer von den beiden ersten Medizinal¬
beamten, in deren Gebiet die Anzeigepflicht obligatorisch war. Es
genügte aber, wenn der Haushaltungsvorstand diejenigen Krankheitsfälle der
städtischen Behörde zur Anzeige brachte, die nach Ansicht des behandelnden
Arztes ungenügend isoliert waren. So konnte es kommen, dass ein Scharlach¬
fall in einem Hause nicht angezeigt wurde, in dem die Mutter Milch verkaufte
und die Milchkannen wusch, zu gleicher Zeit aber das Kind pflegte. 1889 wurde
für London die Anzeigepflicht aller ansteckenden Krankheiten eingeführt, 1899
aber erst für das ganze Reich. Eine Pockenepidemie Ende der 80 er Jahre
führte zur Erbauung zahlreicher Isolierhospitäler, die nach Ablauf der Epi¬
demie zu anderen Zwecken benutzt werden konnten. Trotz starker Opposition
kam 1893 das Isolierhospitalgesetz zustande, das die Grafschaftsbehörden ermäch¬
tigte, kleine Distrikte zur Erbauung solcher Krankenhäuser zusammenzulegen.
Inden letzten Jahren hat sich nun insbesondere für Scharlach eine Reaktion
gegen die Erbauung der Isolierhospitäler geltend gemacht. Die Ansicht bat
Boden gefasst, dass die Zahl der Erkrankungen infolge der Iso¬
lierung eher steigt, als fällt. Das Vorkommen von „Return cases“
darf nun tatsächlich nicht bestritten werden. Ein Teil der Fälle, die nach
Rückkehr der Kinder aus dem Krankenhause in ihre Wohnung auftreten, ist
zwar durch mangelhafte Desinfektion von Gegenständen bedingt, mit denen die
Kinder vor ihrer Krankenhausaufnahme in Berührung kamen, oder dureb un¬
genügende Desinfektion, etwa der Kleider, hei der Entlassung aus dem Hospital.
Ein Teil aber bleibt übrig, wo der Rekonvaleszent tatsächlich die Infektion
zu Hause einsehleppt. Ein Kind, das 6 Wochen lang in einer verseuchten At¬
mosphäre zugebracht hat, kann die Keime des Scharlachs in seinen Nasenneben¬
höhlen, in Ohrausflüssen, im Speichel, auch wenn es selbst gesund ist, mit sich
führen und zu Hause eine neue Erkrankung anregen. Die Opposition gegen
die allgemein herrschende Ansicht über den Wert der Isolierhospitäler hatte
wenigstens den Nutzen, dass die Lehre von den „Return cases“ genauer
untersucht, die Art der Isolierung eine sorgfältigere und der Ausführung der
Desinfektionsmassregeln grössere Beachtung geschenkt wurde.
Bei Typhus hat der Verfasser schon 1880 in Huddersfield eine
eigene Methode der Desinfektion angewandt: Rot gefärbte Kübel mit
luftdicht schliessendem Deckel wurden in jedes Haus geschickt, in dem Typhus¬
kranke lagen. In die Tonne wurde lOproz. Lösung roher Karbolsäure getan,
die in ihr auszuschüttenden Absonderungen des Kranken mussten ausserdem
bereits vorher vom Pfleger desinfiziert werden. Der Behälter wurde in dem
Hofe eines abgesonderten Komplexes abseits aufgestellt, und der Inhalt, noch¬
mals desinfiziert, erst nach einer Woobe den übrigen Abfuhratoffen der 8tad f
beigemischt. In Leeds, wurde dasselbe System angewandt; der Inhalt jedr
500
Kleinere Mitteilungen and Befer&te aas Zeitschriften.
in den Destraktor gegeben. Die rote Farbe gefiel allerdings dem Publikum
nicht; die Kübel mussten grün statt rot angestrichen werden.
In Besag auf Wasserleitungen erinnert derBedner daran, dass der
Wunsch einer Versorgung mit reinem und reichlichem Trinkwasser schon vor
Jahren 1 ) kleine Gemeinden veranlasst hat, sich sn einem grosseren Gänsen
zusammenzutun. Er beklagt indessen, dass eine Zentralbehörde fehlt, die
besonders bei grossen Städten die Answahl der sn Sammelbecken gewühlten
Terrains kontrollieren konnte. Im grossen und gansen hat das Parlament seine
Aufgaben in Wasserleitungsfragen sielbewusst gelost; dennoch wäre auch für
seine T&tigkeit eine solche beratende Zentralbehörde wünschenswert.
Grosse Schwierigkeiten neigen sich auch bei Beseitigung der Ab-
fallstoffe. Städte wie Bradford und Leeds konnten infolge des Widerstandes
der benachbarten Grundbesitser es beim Parlamente nicht durchsetzen, ihr Ab¬
fuhrwesen zweckentsprechend zu regeln. Doch ist su hoffen, dass die Arbeiten
von Dibdin, Cameron, Whittacker Früchte tragen werden.
Das Auftreten von Infektionskrankheiten gibt dem Medizinalbeamten
Gelegenheit, manche Häuser zu besuchen, in die er sonst nicht gekommen wäre;
die systematische Wohnungsbesichtigung, die Prüfung von Haus zu
Haus, wird jedoch durch den Wohnungsinspektor ausgeführt, der die Frage
der Lüftung, der Ueberfüllung, der Reinlichkeit der Zimmer, der Hauskanäle,
das Auftreten von Missständen in der Nachbarschaft prüft.
Die Fortschritte auf dem Gebiete der Öffentlichen Gesundheitspflege
werden weniger durch Strafverfügungen, als durch eine Aufklärung des
Publikums in hygienischen Fragen erzielt. Schon die Existenz des Gesund¬
heitsgesetzes hatte einen mächtigen Einfluss auf die sanitäre Verwaltung; die
Tatsache, dass Männer mit hohen gesundheitlichen Vollmachten bestellt wurden,
hatte einen ersiehlichen Einfluss auf diese Beamten selbst. Die Wähler hin¬
gegen wurden durch die Selbstverwaltung dazu erzogen, durch ihre Vertreter
bei den Behörden auf weiteren Ausbau der Gesundheitsgesetze hinzuarbeiten.
Die gemeinsame Beratung von Verwaltungsbeamten und Aersten, wie sie bei
den alljährlichen Herbstversammlungen des Hygiene-Vereins stattfindet, hat
den Wert, die Öffentliche Meinung zu beeinflussen und zu erziehen.
In Bezug auf die in den nächsten 25 Jahren zu erwartende
Forderung der Öffentlichen Gesundheitspflege hofft Cameron zunächst betreffs
der Desinfektion eine Besserung der Methoden sowohl, als eine gründlichere
Arbeit im kleinen. Er hat z. B. die Beobachtung gemacht, dass, wenn ein
Kind Samstags an einer Infektionskrankheit erkrankt und Montags der Haut¬
ausschlag erscheint, die Sonntagskleider der Familienmitglieder nicht desinfi¬
ziert werden, obwohl der Desinfektor auch nach diesen sich erkundigt. Die
Mutter vergisst tatsächlich, dass die übrigen Kinder in ihren Sonntagsanzügen
mit dem kranken Kinde in Berührung kamen, und so wird die Desinfektion
unterlassen.
In Bezug auf die Frage des Nutzens oder des Schadens der Kranken¬
hausisolierung scheint sich der Autor mehr auf die Seite C. Killick
Millards,’) als auf jene von Kaye und Dr. F. J. Allan,*) dem Heraus¬
geber des „Public Health“ zu stellen. „Sollte naohgewiesen werden, dass die
Isolierhospitäler, auch wenn sie zweckmässig geleitet werden, anstatt die Grosse
der Infektion zu verringern, eine Verbreitung der Krankheit fordern, so ist es
die Pflicht des Medizinalbeamten, von ihrem Gebrauch abzuraten.*
Auffällig ist es, dass im Lande Sydenhams die Freiluftbehandlung
der Schwindsucht erst eingeftthrt wurde, nachdem sie in Deutschland neu
hat erfanden werden müssen. Die Begeisterung za Gunsten der Freiluftbehand¬
lung dürfte wenigstens das Gute haben, dass sie auch bei anderen Krankheiten
im Publikum den Boden ebnet für das Streben der Aerzte nach Luft und Licht.
Alle Arbeitsstätten sind unter gesundheitliche Aufsicht zu stellen,
und möglichst ausgedehnte Verlegung der Indnstrie auf das platte Land,
sowie die Ausnutzung der Elektrizität für die Kleinarheiter und Handwerker
*) Vergl. §.279 des Puhlic Health Act in Rapmund: Das Offentliehe
Gesundheitswesen; S. 266.
*) Zeitschrift für Medizinalbeamte 1901, S. 649.
*) Zeitschrift für Medizinalbeamte 1902, S. 851.
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
6Ö1
anzuatreben. Die Wohnungsbesichtigung yon Haue so Hans dürfte in
den nächsten Desennien weiter ausgedehnt werden und besonders dann dienen,
die Stellung der Qesundheitsbeamten zu fördern.
Das Nahrungsmittelgesetz neigt noch viele Maschen, die den
Betrüger durohschlüpfen lassen, manche Aenderungen des Gesetzes sind
erforderlich.
Trotzdem sind es nicht neue Gesetze, die der englische Gesundheits-
beamte notwendig hat, sondern es bedarf nur einer sorgfältigen Benutzung der
Vollmachten, die den Gesundheitsbehörden bereits jetzt zustehen. Wenn man
auch nicht hoffen darf, dass die Mortalität in den nächsten Dezennien bedeutend
sinken wird, so wird das, was in den vergangenen 25 Jahren geleistet worden
ist, nicht ohne segensreichen Einfluss auf die Zukunft bleiben.
_ Dr. Mayer-Simmern.
Die Sterbefälle im Deutschen Reiche während des Jahres 1899
unter der Gesamtbevölkerung und unter den Bewohnern der Gross¬
städte. Bd. VII der med.-stat. Mitteilungen aus dem Kaiserlichen Gesund¬
heitsamte, S. 83—126.
Die beim Gesundheitsamte eingegangenen behördlichen Ausweise über die
Ursachen des Todes der während des Jahres 1899 gestorbenen Personen und
über das von diesen erreichte Lebensalter umfassen nur 98,16 °/„ aller im
Deutschen Reiche vorgekommenen äterbefälle des Jahres, da, wie im Vorjahre,
5 Bundesstaaten (Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Sachsen-Weimar, Schwarz-
burg-Rudolstadt, Reuse j. L.) an der betr. Statistik noch nicht beteiligt waren.
Aus Mecklenburg-Schwerin lagen zwar über das Lebensalter aller Gestorbenen
die gleichen Ausweise wie aus den anderen 20 Staaten vor, indessen nur einige
wenige Zahlenangaben über die Ursachen der Sterbefälle, so dass die Ergeb¬
nisse der Todesursachenstatistik hauptsächlich 20 Staaten des Reiches, etwa
97 °/ 0 der Reiobsbevölkerung betreffen. Die eingangenen Ausweise sind auf
8. 1* bis 65* nach Staaten, Provinzen, grossen und kleineren Verwaltungsbe¬
zirken (Regierungsbezirken und Kreisen u. s. w.) in Tabellen zuBammengestellt,
eine Besprechung der Ergebnisse ist den Tabellen vorangeschickt, ferner sind
7 Diagramme und 4 farbige Karten des Reiches beigefügt. Auf 3 dieser Seiten
ist für jeden preussisohen Kreis und entsprechenden Verwaltungsbezirk der
anderen Staaten:
1) Die Häufigkeit der Todesfälle an Tuberkulose der Lungen von
1896—1899 bei Personen von 15—60 Jahren,
2) die Häufigkeit der Todesfälle an Lungenentzündung und
sonstigen entzündlichen Krankheiten der Atmungsorgane,
3) die Häufigkeit der Todesfälle infolge von Neubildungen bei Per¬
sonen im Alter von 15 und mehr Jahren,
dargestellt; die vierte Karte veranschaulicht die Ab- und Zunahme der
Todesfälle infolge von Neubildungen von 1892/3 zu 1898/9, ebenfalls für
jeden preussischen Kreis and entsprechenden Bezirk der anderen Staaten.
Der Vergleich mit dem Vorjahre (vgl. diese Zeitschrift Jahrgang 1901,
S. 675) ergiebt, dass während des Jahres 1899 in den 21 beteiligten Staaten
des Reiches 65847 Personen mehr als während des Vorjahres, d. i. um 6®/ #
mehr gestorben sind, und zwar zeigte sich diese Zunahme der Sterbefälle am
meisten bei hoohbetagten Personen von 60 und mehr Lebensjahren, am wenigsten
bei Kindern des ersten Lebensjahres. Auf je 10000 Lebende der betr. Alters¬
klasse starben während des Berichtsjahres im Alter von 1—15 Jahren 97,8,
von 15—60 Jahren 88,7, von 60 und mehr Jahren 722,6 und auf je 10000
Lebendgeborene starben 2127 Kinder des ersten Lebensjahres. Die Zunahme
der Sterbefälle von 1898 zu 1899 wird mit gewissen meteorologischen Verhält¬
nissen in Verbindung gebracht; die Sterblichkeit unter Kindern des ersten
Lebensjahres schien durch die Höhe der Niederschläge während der Sommer¬
monate beeinflusst zu sein, und in dem ungewöhnlich trocknen und kalten
Monat März haben zahlreiche Todesfälle an Influenza und an Erkrankungen
der Atmungsorgane die Gesamtsterbeziffer ungünstig beeinflusst. Indessen
haben sich die Sterblichkeitaverbältnisse keineswegs überall im Reiche
von 1898 zu 1899 im gleichen Sinne geändert Im ganzen haben zuge¬
nommen die Todesfälle an Scharlach, Kindbettfieber, Unterleibstyphus,
602 Kleinere Mitteilungen and Referate au Zeitschriften.
Lungenentzündung and sonstigen entzündlichen Erkrankungen der Atmungs-
organe, ferner die Todesfälle infolge von Altersschwäche, von Nenbildongen
and voa Keachhasten, in geringem Masse auch die an Magen- and Darm¬
katarrhen ; abgenommen bat namentlich die Zahl der Selbstmorde.
Von den im ersten Lebensjahre gestorbenen Kindern ist mehr als
der dritte Teil — im Königreich Sachsen und in Reass ft. L. mehr als die
Hftlfte — einem Magen- oder Darmkatarrh erlegen. Im Alter Ton 1 bis
16 Jahren starben an Diphtherie im Darchschnitt der drei letzten Be¬
richtsjahre 12 aaf je 10000 Lebende dieses Alters, dagegen yor Bekanntwerden
der Seramtherapie nach den gleiohen Erhebungen jährlich 88 Kinder aaf je
10000 Lebende (1898—95). In der mittleren Altersklasse von 16—60
Jahren starben auf je 10000 Lebende an Lungentuberkulose etwa ebenso
Tiele wie w&hrend des Vorjahres, aber weniger als durchschnittlich während
der Jahre 1893—1897. Infolge von Neubildungen starben in den 20
8taaten 2143 Personen mehr als w&hrend des Vorjahres und 8092 mehr als
während des Jahres 1897. Von allen au bekannter Ursache Gestorbenen der
höchsten Altersklasse starb an Neubildangen in den Staaten Hamburg,
Bremen, Lübeck, sowie in Berlin etwa der zehnte Teil, ein fast ebenso grosser
Teil auch in Hessen, Baden, Braunschweig und im Königreich Sachsen, sonst
— d. h. im ganzen — etwa der fünfzehnte Teil.
In den Grossstädten war eine Neubildung weit häufiger als Todes¬
ursache angegeben als ausserhalb derselben, dagegen war u. a. die Gefahr im
Kindbett an den Folgen einer Entbindung zu sterben in den Grossstädten
geringer als ausserhalb derselben. Bei Kindern des ersten Lebensjahres waren
in den Grossstädten die Sterbef&lle an Magen- und Darmkatarrh, an Tuber¬
kulose und entzündlichen Krankheiten der Atmungsorgane erheblich häufiger,
auoh die Todesfälle durch Verunglückung und angeborener Lebensschwäohe
waren etwas häufiger, dagegen waren hier seltener die Todesfälle an Diph¬
therie, Krupp, Keuchhusten, Scharlach und Masern.
Hinsichtlich der allgemeinen Sterblichkeitsverhftltnisse
unter Personen der hauptsächlich erwerbstätigen Altersklasse von 15—60 Jahren
zeigt es sich, wenn man Nachbarbezirke vergleicht, dass die Sterblichkeit in
dieser Altersklasse gewöhnlich um so hoher ist, je mehr Bewohner des Bezirks
in grosseren Ortschaften (von 16000 und mehr Einw.) sich zusammen-
drängen. So hat s. B. von den drei schlesischen Regierungsbezirken der Bres¬
lauer, in welchem besonders viele Personen grossere Ortschaften bewohnen, die
höchste bes. Sterbeziffer, und von den drei westfälischen Regierungsbezirken
hat Minden, wo die wenigsten Personen in grosseren Ortschaften leben, die
niedrigste bes. Sterbeziffer u. s. w. Auch die hohe Sterblichkeit unter Per¬
sonen der mittleren Altersklasse in Schlesien gegenüber Posen, Westpreussen
und Ostpreussen lässt sich dadurch erklären, dass von je 1000 Bewohnern in
Schlesien 280, in den drei anderen Östlichen Provinzen nur 126 bis 168 die
grosseren Ortschaften bewohnen. Das Zusammenleben in solchen grosseren
Ortschaften scheint hiernach erweislich die Lebensverh<nisse der mittleren
Altersklassen ungünstig zu beeinflussen, und wenn die Gesamtziffern der Land¬
bevölkerung vielfach höhere als die der StadtbevOlkerung sind, so liegt das
nur daran, dass unter der Landbevölkerung mehr Personen der jüngsten und
höchsten Altersklassen sich befinden, welche naturgemäss dem Sterben am
meisten ausgesetzt sind. _ Dr. Bahts-Berlin.
Bewegung der Bevölkerung im Deutschen Reiche während des
Jahres 1901.
Nach der im Kaiserlichen Statistischen Amt gemachten Zusammenstellung
über die Bewegung der Bevölkerung im Deutschen Reiche haben stattgefunden
im Jahre
im Durchschnitt
auf 1000
von
der Bevölkerung
1901
1892/1901
1901
1892/1901
Eheschliessnngen ....
. 468789
437 789
8,24
8,21
Geburten
\ einschl. Tot-
/ 2097888
1988 676
86,89
87,20
Sterbefälle
/ gebürten
\ 1240014
128» 103
21,81
28,16
14,04.
Geburten -1
Jebemhnss . .
847824
748478
15,09
Besprechungen.
503
im Darchschn.
von
1892/1901
179803
64066
Proz. der Geborenen
1001 1892/1901
8,57 9,06
3,12 3,23.
Unter den Geborenen waren
im Jahre
1901
Unehelich Geborene .... 179683
Totgeborene. 65 525
Ehesohliessungen sind demnach im Jahre 1901 sowohl der absoluten
Zahl nach, wie im Verhältnise zur Bevölkerung häufiger gewesen, als im Durch¬
schnitt der vorangehenden zehn Jahre. Anch die Geburtenzahl des Jahres
1901 überragt, absolnt genommen, den zehnjährigen Durchschnitt, bleibt aber
ihrer relativen Höhe nach dahinter zurück. Die absolute Zahl der Ge¬
storbenen ist 1901 höher als im Jahresdurchschnitt 1892/1901, dagegen die
relative Sterbeziffer erheblich (1,36%„) niedriger, demnächst ist auch der Ge-
burten-Uebersohuss, der im Jahre 1901 gegen den Jahresdurchschnitt
absolut zugenommen hat, gegen den Jahresdurchschnitt 1892/1901 um 1,05 °/«0
gestiegen ist. Die absolute Zahl der unehelich Geborenen stellt sich im Be¬
richtsjahr gegenüber dem Jahresdurchschnitt 1892/1901 etwas niedriger, die der
Todgeburten etwas höher. Die Verhältnissziffer ist jedoch in beiden
Fällen niedriger. _
Besprechungen.
Profi Dr. med. R. Hang: Hygiene den Ohren im gesunden and
kranken Zustande. Mit 3 Tatein. Stuttgart 1902. Verlag von Ernst
Heinrioh Moritz. Bibliothek der Gesundheitspflege, 1048. Preis: 1 Mark.
Die vorliegende Monographie ist in der Bibliothek für Gesundheits¬
pflege (Stuttgart, ErnBt Heinrich Moritz) erschienen, nachdem der Autor
derselben ihren Inhalt in populären Vorträgen im Volksschul- und Volks¬
bildungsvereine in München besprochen und bei seinem Zuhörerkreis ein
grosses Interesse gefunden hatte. In dem ersten Kapitel wird der anatomische
Bau, im zweiten Kapitel die Physiologie des Ohres an der Hand von schema¬
tischen Zeichnungen auseinandergesetzt und im Anschlüsse daran, im dritten
Kapitel, die Bedeutung, welche das gesunde Gehörorgan und seine Erkrankung
für den Menschen hat, hervorgehoben. Nachdem dann der Autor auf die natür¬
lichen Schutzvorrichtungen des Körpers hingewiesen hat, werden die Wege,
auf welchen das Gehörorgan erkranken kann, dargelegt. Die Kenntnis dieser
Wege bildet die notwendige Voraussetzung einer wirksamen Prophylaxe gegen¬
über den Erkrankungen. Diese Prophylaxe wird in den nächsten Kapiteln
eingehend besprochen. Die Schädigungen des Ohres durch Gewerbebetriebe,
denen man in den letzten Jahren mit vollem Becht mehr Aufmerksamkeit als
bisher zu wendet, und die zu ihrer Verhütung notwendigen hygienischen Mass¬
nahmen werden ebenso wie die wichtigsten Verhaltungsmassregeln bei er¬
kranktem Ohr erörtert.
Das Büchlein wird seinen Zweck durchaus erfüllen.
_ Dr. Budloff-Wiebaden.
Dr. Robert Dölger, Oberarzt im Königl. Bayer. Infanterie-Leib-Begiment,
z. Z. kommandiert an die Universitäts - Ohrenklinik: Die Mittelohr-Ei-
terungen. München 1903. Verlag von J. F. Lehmann. 145 8. Preis:
3 Mark.
Die vorliegende Arbeit bildet, soweit die Mittelohr-Eiterungen in Be¬
tracht kommen, eine Fortsetzung der Berichte, welche Bezold seit 80 Jahren
in Intervallen von 3 Jahren über seine Tätigkeit an der Universitäts-Ohren¬
klinik in München erscheinen lässt. Dementsprechend bringt der Autor in
seiner Arbeit Anschauungen, welche Bezold über die in Frage kommenden,
für die Praxis besonders wichtigen Kapitel der Ohrenheilkunde hat, zum Aus¬
druck. Die Monographie, welche auf jeder Seite die reichen Erfahrungen und
das aufgeklärte Urteil Bezolds erkennen lassen, sei dem Studium der Fach¬
genossen und der Praktiker empfohlen. Dr. Budloff-Wiesbaden.
504
Tagesnäohriohtea.
Tagesnachrichten.
Pestfall in Berlin. Nachträglich sind bei dem Wftrter (s. Nr. 12 der
Zeitschrift, S. 470) im Nasenschleim doch noch Pestbasillen festgeatellt; der
Verlauf der Krankheit ist aber bei ihm ein sehr gelinder gewesen. Von allen
Übrigen krankheitsverdächtigen Personen ist niemand erkrankt, so dass
der Krankheitsherd dank der sofort ergriffenen Hassregeln beschränkt ge¬
blieben ist.
Den prenssischen Aerztekammern ist jetst der Entwurf einer
Novelle zom Gesetz, betreffend die ärztlichen Ehrengerichte, zur Aeusse-
rang zagegangen, in der die §§. 46 and 49 ttber die Kostenerstattangspflicht
beim ehrengerichtlichen Verfahren and über die Beitragspflicht zar Aerzte-
kammer neu geregelt werden. Danach soll künftighin dem Angeschaldigten
bei seiner Verurteilung die Kosten des Verfahrens stets zur Last gelegt
werden (jetzt hatte das Ehrengericht darüber mit zu entscheiden), ausserdem
aber auch ein Anzeigender zu den Kosten verurteilt werden können, wenn er
die Anzeige wider besseres Wissen oder auf Grund grober Fahrlässigkeit ge¬
macht hat. Betreffs der Beitragspflicht wird vorgeschlagen, dass Aerzte,
die eine ärztliche Praxis nicht ausüben und dem Vorstande der Aerztekammer
eine entsprechende schriftliche Erklärung abgeben, künftighin keinen Beitrag
zu leisten haben, dann aber auch weder wahlberechtigt, noch wählbar sind.
Ueben sie, abgesehen von Notfällen, trotzdem ärztliche Praxis aus oder nehmen
diese ohne zuvorige Anzeige an den Vorstand der Aerztekammer wieder auf,
so haben sie das 4—10fache des hintferzogenen Jahresbeitrages zu entrichten;
desgleichen verlieren sie für die Zukunft den Anspruch auf Befreiung. Ferner
soll der Beitrag in der Regel für alle Aerzte des Bezirks in gleicher Höhe
festgesetzt werden; soll ihm die staatlich festgelegte Einkommensteuer zu
Grande gelegt werden, so bedarf es dazu eines Beschlasses mit zwei Drittel
Hehrheit und der Genehmigung des Oberpräsidenten.
Den Aerzten des Grossherzogtums Baden ist jetzt vom Hinisterium
des Innern der Entwurf einer Aerzteordnung zugestellt, in dem die Er¬
richtung einer Aerztekammer für das Gebiet des Grosshersogtums, sowie die
Bildung von Ehrengerichten und einem Ehrengerichtshof vorgesehen ist. Der
Entwarf schliesst sich, abgesehen von einigen unwichtigen Abweichungen eng
an die in Preussen geltenden Bestimmungen an, unterscheidet sich von
diesen jedoch in dem einen wichtigen Punkte, dass die beamteten Aerzte hin¬
sichtlich ihrer privatärztlichen Tätigkeit dem ärztlichen Ehrengerichte unter¬
worfen sind. Ausserdem sieht der Entwurf ein Vermittelungsverfahren bei
Streitigkeiten zwischen Aerzten und Krankenkassen vor.
Der diesjährige Aerztetag wird am 11. u. 12. September in Göln
stattfinden. Zur Verhandlung gelangen ausser Geschäftlichem, Wahlen u. s. w.
das ärztliche Unterstützungswesen in Deutschland sowie verschiedene Anträge
betreffs genossenschaftlicher Organisation der Aerzte für Haftpflicht- und
Unfallversicherung, betreffs Reichsarzneitaxe, Aufhebung des Selbstdispensier¬
rechts der Homöopathen, Herausnahme aller auf die Aerzte bezüglichen Be¬
stimmungen aus der Gewerbeordnung und Erlass einer deutschen Aerzteordnung.
Der VI. Deutsche Snmaritertag findet am 1. und 2. August d. J.
ln Dresden (im grossen Festsaal der Städte-Ausstellung) statt. Auf der Tages¬
ordnung stehen folgende Gegenstände: 1. Samariterunterricht in höheren
Schulen. 2. Rettungsdienst bei Unglücksfällen im Gebirge. 8. Samariter- nnd
Rettungswesen auf dem Lande. 4. Rettungsvorkehrungen bei Schiffsunfällen
auf Binnenwässern.
Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u.Geh.Hed.-Rat in Hinden L W-
J. 0. 0. Bnu, HtrtOfl. Sltka. i. F. Sth.-L. Hoftmebdruekmi In Kindts,
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ZcntralbUtt fir gerichtliche ledizio und Psychiatrie,
fir arztliehe Sachrerstudigeotatigkeit in Unfall- nnd Invaliditatssachen, sowie
fir Hygiene, offentL Sanitatswesen, Medizinal -Gesetzgebung nnd fteehtspreehnng.
Heraasgegeben
won
Dr. OTTO RAPMÜND,
Regierung»- nnd Geh. Medlninnlrnt ln Minden.
Verlag von Fiselier’s mediz. Bnehhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- a. Erzherzogi. Kammer-Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die Verlagthandlmng sowie alle Annoneenenpeditionea des In-
ind Auslandes entgegen.
15. Juli.
Aas Prof. Dittrich’s deutschem gerichtlich-medizinischem Institute zu Prag.
Zur Kenntnis der Verletzungen durch Flobert-Schusswaffen.
Von Dr. Carl Beckert, Assistenten am Institute.
Unzweifelhaft gehört der Tod durch Schuss mit zu den
häufigsten Arten des gewaltsamen Todes. Ans diesem Grunde,
nicht minder aber auch wegen der Einzelheiten, welche an jeder
Schussverletzung forensische Bedeutung haben können, waren diese
Verletznngen häufig Gegenstand literarischer Bearbeitung; nene
wichtige Momente hinsichtlich derselben können sich nur da und
dort in besonderen kasuistischen Fällen zeigen.
Eine genaue Statistik über die in Prag und Umgebung vor-
kommendea Fälle von Schussverletznngen zu geben, scheitert für
ans daran, dass einerseits alle in Heilung ausgehenden Schuss¬
verletzungen, anderseits viele Todesfälle durch Schuss aus-
znschliessen sind, jene nämlich, in denen es sich nm konstatierten
Selbstmord handelt nnd die Behörden keinen Anlass finden, die
Obduktion der betreffenden Leichen zu veranlassen. Auch sei be¬
merkt, dass das sanitäts-polizeiliche und gerichtliche Obduktions¬
material an das deutsche und czechische gerichtlich - medizinische
Institut in Prag gleichmässig verteilt wird, so dass die in einem
der beiden Institute untersuchten Fälle von Schassverletzungen
nar etwa die Hälfte der Gesamtzahl dieser Verletznngen in Prag
und Umgebung ausmachen dürften.
Vom Oktober 1893 bis Juli 1902 sind in unserem Institute im
Ganzen 94 Fälle von Schussverletzungen obduziert worden. Die
selben verteilen sich je nach der verwendeten Schusswaffe ^
Ersehsfait am 1. nnd IS. Jeden Monate
606
Dr. Beokert.
dass 74 dieser Verletzungen durch Revolver, 12 durch Pistolen,
2 durch Gewehre, eine mittelst einer eigens konstruierten eigen¬
tümlichen Schusswaffe (Eisenrohr,) und 5 durch Flobertwaffen
gesetzt worden sind. Die Fälle von tödlichen Schussverletzungen
durch Flobertwaffen wurden innerhalb der letzten vier Jahre
beobachtet. Diese Tatsache, die in grellem Gegensatz steht zu
der Sympathie und der grossen Verbreitung, deren sich dieses
beliebte „Kinderspielzeug“ in weiten Schichten der Gesellschaft
erfreut, veranlasste uns, dieser Sache einige Aufmerksamkeit zu
schenken. Die heitere Sorglosigkeit, mit welcher man so viele
Eltern ihren kaum halbwüchsigen Kindern diese Schusswaffe an¬
vertrauen sieht, sowie auch der Umstand, dass sogar unsere
Sicherheitsorgane diesen so häufigen Belustigungen kleinerer und
grösserer Kinder kaum irgend welche Bedeutung beilegen, die
relative Kleinheit der verwendeten Projektile sind tatsächlich
kaum geeignet, einen Verdacht darüber aufkommen zu lassen, dass
derartige Schusswaffen dem menschlichen Leben jemals gefährlich
werden könnten. Und diese Meinung scheint denn auch die all¬
gemein herrschende zu sein, sowie sie auch in einem der unten
beschriebenen Fälle selbst von einem Sachverständigen im Waffen¬
fache dem Richter gegenüber zum Ausdrucke gebracht worden ist.
In der medizinischen Literatur der letzten 20 Jahre fand ich nur
eine einzige Mitteilung, in welcher auf die Gefährlichkeit dieser
Schusswerkzeuge für das menschliche Leben aufmerksam gemacht
wird. Räuber 1 ) berichtet nämlich über vier Fälle von nicht
tödlichen Schussverletzungen durch Flobertgeschosse, von welchen
bloss eine durch eine starke Blutung aus der Art. profunda femoris
lebensgefährlich geworden war. Gleichwohl dürften wir sicher
nicht fehlgehen, wenn wir besonders mit Rücksicht auf die aus¬
gedehnte Verbreitung dieser Schuss Werkzeuge annehmen, dass
gewiss schon zahlreiche derartige Verletzungen zur Beobachtung
gelangten, ohne mitgeteilt worden zu sein und zwar aus dem
Grunde, weil dieselben wohl meist gut ausheilten und ihnen viel¬
leicht deshalb weder in sanitäts - polizeilicher, noch in forensischer
Hinsicht eine wesentlichere Bedeutung beigelegt wurde.
Die in unserem Institute beobachteten Fälle von Schuss¬
verletzungen durch Flobertwaffen sind folgende:
Fall i.
Der 10 jährige Knabe A. K. wurde am 19. November 1898 von seinem
Vater anfällig angescbossen und starb am nächsten Tage im Krankenhanse.
Der Vater gab an, von seinem Sohne anfgefordert worden an sein, mit ihm in
den Hof an gehen, nm Spatien an schiessen. Er nahm ein Flobert - Gewehr
und lnd es im Hofe, ln diesem Angenblicke sprang sein Sohn anf ihn an und
wollte ihm das Gewehr ans der Hand nehmen. Hierbei ging der Schnss los
nnd der Knabe stürzte mit einer Schnssverletznng in der linken Schläfe zu¬
sammen. Der Vater, der behauptete, als gewesener Soldat mit Schusswaffen
umgehen au können, führte die Verletaung auf einen unglücklichen Zufall,
herbeigeführt durch die Unvorsichtigkeit seines Sohnes, zurück.
Die gerichtliche Obduktion ergab am Kopfe folgenden Befund:
Der Kopf sehr lang, grösstenteils und awar in seinen vorderen Partien
*) Mitteilungen über Schussverletzungen durch Flobertgeschosse. Zeit¬
schrift für Medizinalbeamte; 1898, Nr. 20.
2nr Kenntnis der Verletzuhgen durch Plobert-Schusswaffen. 50?
glatt abrasiert. Etwa in der Mitte der geraden Verbindungslinie zwischen
dem linken Stirnbein- und Scheitelbeinhöcker eine rundliche, etwa 3 mm im
Darohmesser haltende lochförmige Wunde in der Haut, deren Bänder in einer
Breite von etwa 5—6 mm etwas gequetscht sind. Aus dieser Oeffnung entleert
Bich eine geringe Menge dunkelroten Blutes. Etwas schräg nach oben und
hinten von der eben genannten Oeffnung findet sich eine zweite, kaum 2 mm
im Durchmesser betragende Hautwunde, deren Ränder deutlich unregelmässig
gezackt und nur rückwärts in geringem Grade abgeschürft erscheinen. Die
Haut in dieser Gegend ist nur ganz unbedeutend verdickt. Die weichen Schädel¬
decken sehr blass, unter denselben an der linken Kopfseite in der Gegend der
oben genannten Wunden ausgebreitete, mässig dicke, schwärzliche, fest ge¬
ronnene Blutaustritte in der Ausdehnung eines Handtellers. Die weitere Unter¬
suchung der oben genannten Verletzungen der Kopfhaut ergibt, dass die erste
die Weichteile des Kopfes vollständig durchdringt, während die zweite nur die
oberen Schichten der Haut betrifft. Nach Freilegung des Schädeldaches findet
man unmittelbar hinter der linken Hälfte der Kranznaht, entsprechend der
Lage der zuerst genannten Kontinuitätstrennung der Kopfhaut im Schädeldache
eine unregelmässig begrenzte, 6—10 mm im Durchmesser haltende lochförmige
Lttoke im Knochen (Fig. 1), durch welche die eingeführte Sonde ohne Widerstand
in das Schädelinnere vordringt. Bei der Besichtigung der erwähnten Lücke im
Knochen von innen her (Fig. 2) zeigt sich, dass die Bänder derselben nach aussen
zogeschärft, nach innen abgeschrägt sind, und dass an der inneren Seite ein und
der andere Splitter der inneren Glastafel noch ziemlich fest dem benachbarten
Knochen anhaftet. Die harte Hirnhaut ziemlich stark gespannt, rechts an der
ganzen Konvexität des Gehirns, links im Bereiche der hinteren Hälfte derselben
bläulich schimmernd. Entsprechend der Lage der oben genannten Lücke im
linken Scheitelbeine zeigt sich ein rnndliches, etwas unregelmässig begrenztes
Loch in der harten Hirnhaut, in dessen nächster Umgebung einzelne kleine
Blutaustritte zu konstatieren sind. Die weichen Hirnhäute zart, ziemlich blut¬
reich, an der Konvexität reohts wie links von mässig ausgebreiteten, festge¬
ronnenen Blutaastritten durchsetzt. An der konvexen Obeifläche der linken
Grosshirnhälfte befindet sich und zwar an der hinteren Grenze des Stirnhirns,
einen Qaerfinger nach links vom Scheitelrande ein sehr weich anzufühlender
guldengrosser, graurot verfärbter Heid, in dessen Bereich die weichen Hirn¬
häute zum grössten Teile zerrissen sind und die Hirnsubstanz zertrümmert
erscheint. In der nächsten Nachbarschaft dieses Herdes erscheinen die Venen
der weichen Hirnhäute durch ziemlich feste, schwärzliche Blutgerinnsel ver¬
stopft (thrombosiert). In der rechten Grosshirnbälfte erscheint das Gehirn an
der Konvexität der rückwärtigen Hälfte bis auf etwa 8 Finger nach rechts
von der Mittellinie stark eingesunken; dasselbe fühlt sich hier sehr weich an
und bemerkt man im Bereiche dieser Hirnpartie einzelne, in kleinen Gruppen
beisammenliegende kleine Blutaustritte.
Bei weiterer Präparation der Verletzung konstatiert man, dass sich von
dem oben erwähnten Herde zertrümmerter Hirnsubatanz in der linken Gross-
hirnhälfte ein Wundkanal in schräger Richtung nach rechts und hinten fort¬
setzt, welcher an der medialen Seite der rechten Grosshirnhälfte in diese ein¬
dringt und in der rechten Grosshirnhälfte in einer mit reichlichem ziemlich fest
geronnenem, ausgetretenem, schwärzlichem Blute erfüllten kleinfaustgrossen
Höhle im rechten Scheitelhirn endet; diese Höble kommuniziert wiederum
durch einen kanalförmigen Hohlraum mit der rechten Seitenkammer. In diesem
ganzen Wundkanal findet man nebst ausgetretenem Blut zertrümmerte Hirn¬
masse und einzelne kleine ziemlich scharfe Knochensplitter, sowie ein stark
deformiertes Projektilstück aus Blei.
Der Obduktionsbefund widersprach nicht der Angabe, dass
die Schussverletzung mittelst eines Flobertgewehres gesetzt worden
war und konnte man weiter erschlossen, dass der Schuss die
Richtung von links nach rechts genommen hatte und offenbar
nicht aus unmittelbarer Nähe abgegeben worden war. Durch die
Ladung war das Gehirn in bedeutendem Umfange verletzt und
eine starke Blutung in dasselbe bewirkt worden, weshalb die
608
Dr. Beckert.
Verletzung als die alleinige Ursache des Todes angesehen und
daher in strafrechtlichem Sinne als eine ihrer allgemeinen Natur
nach tödliche bezeichnet werden musste. Der Obduktionsbefund
widersprach auch nicht der Angabe, dass es sich um eine zufällige
Verletzung gehandelt hat.
Fall u.
Am 20. Dezember 1898 schossen der 14 Jahre alte Bealschüler L. D.
and der 20 jährige Philosoph M. J. mit einer Flobertpistole nach einer Scheibe.
Hierbei soll dem D. einmal der SchnsB versagt haben. D. wollte nach Angabe
des J. die Waffe nntersuohen, wobei er die Mündung des Laufes gegen sioh
gekehrt hatte. In diesem Momente ging der Schoss los, wobei dem D. das
Projektil in die Brost eindrang. Der Verletzte wurde in Begleitung eines
Wachmanns in das allgemeine Krankenhaus überführt; bei seiner Ankunft
daselbst starb er.
J. gab bei seinem Verhör an, dass er, als er die Pistole gekauft, bei
der betreffenden Firma angefragt habe, ob für dieselbe ein Waffenpass nötig
Bei, was diese jedoch verneinte mit der Begründung, dass diese Waffe mehr
für ein Kinderspielxeug gehalten werde. Auch J. habe sie für ein solohes ge*
halten und nicht geglaubt, dass dieselbe dem menschlichen Leben gefährlich
werden könne.
Die geriohtliohe Sektion der Leiche des D. ergab u. a. folgenden für
die Begutachtung des Falles wichtigen Befand:
„In der vorderen Mittellinie der Brustwand findet sioh am Uebergang
zwischen dem oberen und mittleren Drittel des Brustbeins, 6 1 /» cm nach ab¬
wärts vom Brustbeineinschnitt, ein rundes mit etwas unregelmässigen Bändern
versehenes Loch in der Haut (Fig. 3), welches einen Durchmesser von 3 bis
4 mm hat und von einem kreisrunden bis 8 mm breiten, dunkelbraun ver¬
trockneten ringförmigen Hofe umgeben ist
Bei der Abpräparierung des Brustbeins aeigt sich, dass das oben
erwähnte Loch in der Haut der vorderen Brustwand in einen etwas schrägen,
von rechts aussen nach links innen verlaufenden, die ganze Dicke des Brust¬
beins durchsetzenden Wundkanal führt. Das Zellgewebe hinter dem Brustbein
war von ausgebreiteten schwärzlich geronnenen Blutaustritten durchsetzt, ebenso
das des vorderen Brustfellraumes. In den Brustfellsäcken kein abnormer
Inhalt. Die Lungen frei, überalllufthältig, sehr blutreich. Im Herzbeutel
eine reichliche Menge teils flüssigen, teils geronnenen Blutes, welches
das Herz von allen Seiten umgibt und den Herzbeutel straff spannt. In¬
mitten dieser Blutmassen findet sich ein nur wenig deformiertes, rundes, klein¬
erbsengrosses Bleiprojektil, das an seinem grössten Umfange eine deutliche
Binne zeigt. In der vorderen Wand des Herzbeutels findet sich etwa in der
Mitte eine erbsengrosse, schlitzförmige Oeffnung und der Höhe dieser ent¬
sprechend an der Herzbasis, unmittelbar an der Abgangsstelle der Lungenarterie,
an deren vorderen und hinteren Wand je eine erbsengrosse, mit unregelmässigen,
zackigen Bändern versehene, blutunterlaufene, loohförmige Oeffnung. Das Herz
gewöhnlich gross, sehr blass, sonst ebenso wie die grossen, vom Herzen ab¬
gehenden Qefässe normal.“
Auch in diesem Falle entsprach der Obduktionsbefund einer
Verletzung, welche mit einer kleinen Schusswaffe gesetzt wurde,
die eine Flobertpistole gewesen sein konnte; es war auch die
vorgewiesene Flobertpistole geeignet, die betreffende Verletzung
zu setzen. Es waren dabei lebenswichtige Organe, insbesondere
die Lungenarterie, verletzt worden. Hieraus resultierte eine in¬
tensive Blutung in den Herzbeutel, welche durch sogenannte
Tamponade des Herzbeutels den Tod bewirkt hat. Auch hier
war der Tod einzig und allein auf Rechnung der Verletzung
zu setzen und musste letztere somit in strafrechtlichem Sinne als
eine ihrer allgemeinen Natur nach tödliche bezeichnet werden.
Zur Kenntnis der Verletzungen durch Flobert - Schusswaffen.
609
Full III.
Laut Poliieinote wurde der 23 jährige F. M. am 1. Mai 1899 beim
Scheibenschiessen durch Unvorsichtigkeit eines anderen mittelst eines Flobert-
gewehres ans einer Entfernung von wenigen Schritten angeschossen und starb
seehs Stunden später auf der chirurgischen Klinik. Gegen den Täter wurde
auf Grund des §. 835 des Oesterr. Str. G. wegen fahrlässiger Tötung die Unter*
Buchung eingeleitet und die gerichtliche Obduktion des Falles angeordnet.
Aus dem Sektionsprotokolle sei hervorgehoben, dass eich an der Stirn,
swei Querflnger nach rechts von der Mittellinie und einen Qnerfinger Aber der
r. Augenbraue eine rundliche, kleinlinsengrosse Verletzung der Haut vorfand,
in deren Mitte sich ein vertieftes, 8 mm im Durchschnitt messendes rundliches
Loch befindet, durch das man leicht mit der Sonde in die Schädelhohle einsu¬
dringen vermag. Dieses Loch ist umgeben von einem 1—3 mm breiten, kreis¬
runden, aufgesohfirften und gequetschten Hautrande.
Die weichen Sohädeldeoken ziemlich blass, entsprechend der Mitte der
Stirn unter denselben ein handtellergrosser, mässig festgeronnener, schwarzroter
Blutaustritt.
Das oben genannte Loch an der Stirn durchsetzt die ganzen Weichteile;
man findet im Bereiche desselben und in seiner nächsten Umgebung ziemlich
festsitsend einige dtlnne, scharfrandige Knochensplitter.
Nach Abpräparierung der Weichteile an der Stirn konstatiert man an
der rechten Stirnbeinhälfte, welche, wie das Schädeldach Oberhaupt, eine normale
Dicke zeigt, entsprechend der Lage der Weichteilwnnde ein rundliches Loch,
welches horizontal 9 mm, vertikal 7 mm im Durchmesser hat. Die Bänder
dieser Knochenlflcke sind feinzackig und scharf; am linken Knochenwundrande
erscheint eine bis 5 mm breite, halbmondförmig gestaltete Knochenlamelle der
inneren Glastafel abgesprengt.
An der vorderen Grenze des rechten Stirnlappens erscheint die Hirn¬
substanz in etwa walnussgrosser Ausdehnung ziemlich Btark zertrümmert und
von kleineren Blutaustritten durchsetzt. An der linken Grosshirnhälfte findet
sich entsprechend der zweiten Stirnwindung eine von zertrümmerter Gehirn-
masse umgebene Oeffnung, von der aus man in einen die linke Grossbirnhälfte
in der Richtung von vorn nach hinten durchsetzenden, von Blutgerinnseln und
zertrümmerter (Jehirnmasse erfüllten Kanal gelangt, der an der Gehirnober¬
fläche, entsprechend dem hinteren Abschnitte der ersten linken Scbläfenwindung
nach aussen mündet. Entsprechend dieser letzteren Stelle erscheint die harte
Hirnhaut von einem unbedeutenden linsengrossen Blntaustritte durchsetzt und
von dem darunterliegenden Knoohen eine bobnengrosse dünne Lamelle der
inneren Glastafel abgesprengt. Im übrigen erscheint das Gehirn normal,
von mittlerem Blutgehalte. Die weichen Hirnhäute zart, blutreich, von aus-
gebreiteten, festgeronnenen, schwärzlichen Blutaustritten durchsetzt. Sonstige
Verletzungen am Gehirn nicht zu konstatieren.
Bei der nachträglichen genauen Untersuchung und Lamellierung des Ge¬
hirns wurde innerhalb der zertrümmerten Gehirnsubstanz im linken Stirnlappen
ein kleinerbsengrosses, stark deformiertes, an der einen Seite mit einer ge¬
rieften Schlifffläche versehenes Bleiproiektil vorgefnnden.
Im Gutachten wurde analog 1 wie in den früheren Fällen
hervorgehoben, dass der Mann infolge einer Schussverletzung
des Kopfes, welche ihre Eingangsöffnung an der Stirne hatte
und mit einer ausgebreiteten Zertrümmerung des Gehirns ver¬
bunden war, gestorben ist. Dieselbe war durch ein kleines
Projektil von etwa Erbsengrösse gesetzt worden, welches aus einer
Flobertpatrone herrühren konnte. Der Schuss wurde jedenfalls
nicht aus unmittelbarer Nähe abgegeben. Da sich bei dem Ob¬
duzierten keinerlei pathologische Zustände vorfanden, welche etwa
zum Eintritte des Todes mit beigetragen hätten, hat die genannte
Verletzung einzig und allein den Tod bewirkt und muss daher
vom forensischen Standpunkte 'als eine ihrer allgemeinen Natur
nach tödliche bezeichnet werden.
510
Dr. Beokert
Die Sachverständig-en im Waffenfache gaben an, dass das
verwendete Gewehr ein Flobertgewehr von 6 mm Kaliber gewesen
sei, dessen Schloss etwas abgebraucht war, so dass der Schuss
sehr leicht losgehen konnte. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass
der Hahn von selbst zugefallen sei, ohne dass derselbe irgend*
wie berührt worden wäre. Sie gaben ferner an, dass das Unglück
nur auf Rechnung der hier vorliegenden besonderen Verhältnisse
zu setzen sei, weil die Waffe an und für sich klein und nicht
geeignet sei, jemanden zu töten, was nur in dem Falle geschehen
könne, wenn ein sehr zartes und empfindliches Organ des mensch¬
lichen Körpers getroffen werde.
In allen drei angeführten Fällen wurde die weitere gericht¬
liche Untersuchung gemäss §. 90 der österr. Str. P. 0. eingestellt.
Fall rv.
In diesem Falle handelte es sieb nm einen Selbstmord, welcher yon dem
22 jährigen S. W. am 22. November 1900 mittels einer Flobert-Pistole verübt
worden ist.
Die sanitätspolizeiliohe Obduktion ergab am Kopfe der Leiche folgenden
Befand:
„In der rechten Schläfengegend findet sich, von einer geringen Menge an¬
getrockneten Blntes bedeckt, eine ca. bohnengrosse, braunrot vertrocknete Haut-
stelle, darin eine rundliche, für einen schwachen Federkiel durchgängige Ein¬
schussöffnung. Die H&are in der Umgebung etwas versengt. Die weichen
Sohftdeldecken entsprechend dieser Stelle in der Ausdehnung eines Guldenstückes
von schwärzlichen, fest geronnenen Blutanstritten durchsetzt. In der rechten
H&lfte des Stirnbeins, knapp an seiner Nahtverbindung mit dem Schläfenbein
findet sich eine rundliche, kaum für einen stärkeren Federkiel durchgängige,
aussen soharfrandige, nach innen mit abgeschrBgten Bindern versehene Ein¬
schussöffnung ; eine ebenso grosse Oeffnnng findet sich korrespondierend in der
harten Hirnhaut. Das Gehirn zeigt einen typischen Schusskanal, der rechter-
seits vorn in der Sylvischen Grube beginnt, näher der Hirnbasis zu gelegen ist
und links im Schläfenlappen ungefähr in dessen Mitte endigt. In den weichen
Hirnhäuten rechter- und linkerseits ausgebreitete filutaustritte. Die Dura
linkerseits unverletzt, ebenso der Knochen. Bei Lamellierung des Gehirns findet
sich in der linken Grosshirnhemisphäre unweit vom Ende des Schnsskanals ein
merklich deformiertes Projektil von ca. 6 mm Durchmesser, das Andeutungen
einer äquatorialen Binne zeigt.*
Fall T.
Brustschuss mittels einer kleinen Flobert-Pistole. 20jähr. Mann, Selbstmord.
Die Leiche eines mittelgrossen, kräftig gebauten jungen Mannes. Auf
der linken Brustseite findet sich 3 Querfinger von der Mittellinie in der Höhe
der 5. Bippe eine rundliche für eine federkieldicke Sonde durchgängige Oeffnnng
in der Haut, ringsum eine braunrot vertrocknete, ca. 1 cm im Durchmesser
haltende Hautstelle und rings um diese eine ca. kronenstückgrosse, abwisch¬
bare Schwärzung der Haut. Am unteren Bande der 5. Bippe entsprechend
dieser Stelle ein rundliches, federkieldickes Loch; die Muskulatur in der Um¬
gebung von schwärzlichen Blutaustritten durchsetzt. An der rückwärtigen
Seite des Brustbeins im mediastinalen Zellgewebe ausgebreitete schwärzliche
Blutaustritte. Im linken Brustfellsacke finden sich etwa */ 4 Liter grösstenteils
flüssigen, teilweise locker geronnenen Blutes. Der linke untere Lungenlappen
erscheint atelektatisch; in demselben findet sich vorn, ca. 2 Querfinger vom
inneren Bande entfernt, ein für eine starke Sonde durchgängiger Wnndkanal.
Der Herzbeutel ziemlich straff gespannt, mit reichlichen Mengen dnnklen,
geronnenen Blutes erfüllt. Vorn unten nnd an der rückwärtigen Wand des
Herzbeutels je eine ca. */» cm lange, schlitzförmige Oeffnnng mit blutunter¬
laufenen Bändern. Vorn knapp an der Herzspitze findet sich ein federkiel¬
dicker, die ganze vordere Wand des linken Ventrikels durchbohrender Kanal,
welcher auch die hintere Wand des linken Ventrikels scharf durchsetzt und
rückwärts in Form einer kleinen schlitzförmigen Oeffnnng austritt. Die übrigen
Organe ohne pathologische Veränderungen.
Zar Kenntnis der Verletzungen daroh Flobert-Schusswaffen.
511
Ueberblickt man die Befunde in diesen fiinf Fällen von
Schuss Verletzungen, so zeigt sich bei einem Vergleiche mit
Schussverletzungen durch anderweitige Schusswaffen, dass die
tödliche Wirkung der einzelnen Schüsse nicht so sehr in einer
hochgradigen primären Zertrümmerung gewisser lebenswich¬
tiger Organe und Organbestandteile gelegen ist, wie man sie
insbesondere nach Schüssen mit mehr oder weniger starker Pulver¬
ladung sieht, sondern dass eben die Lokalisation der Schuss¬
verletzung teils an grossen Oefässen, teils am Gehirn, es war,
welche für die sich unmittelbar anschliessende Blutung und für
den Eintritt des Todes bestimmend war.
Dadurch dürften sich allerdings wohl die meisten Verletzungen
durch Flobertwaffen von anderen Schussverletzugen unterscheiden,
dass eben die Ladung bei Flobertwaffen nur an jenen Stellen zur
Wirkung gelangt, wo das Projektil die Gewebe direkt trifft,
während Fernwirkungen, wie man sie infolge der Explosion grösserer
Pulvermengen oder bei gewissen Kugelschüssen auch aus grösserer
Entfernung beobachtet, gerade bei Schüssen aus Flobertwaffen
wegen der besonderen Beschaffenheit der Ladung vermisst werden.
Um nun die Wirkungen derartiger Schusswaffen näher zu
studieren, verschafften wir uns eine Flobertpistole, wie sie im
Falle n und IV benutzt worden war, sowie eine Anzahl von
Patronen, wie sie in allen unseren Fällen verwendet worden
waren. Der Lauf der Pistole ist 13 cm lang, mit einer Lichtung
von nicht ganz 6 mm. Die Patrone hat eine Länge von 7 und
einen Durchmesser von 6 mm und besteht aus einer Kupferhülse,
deren Boden mit einer gelblich weissen Sprengsubstanz bestrichen
ist, welche aus einer Mischung von Knallquecksilber, Schwefel¬
antimon, chlorsaurem Kali und Schiesspulver besteht. Eine eigent¬
liche Pulverladung fehlt. Das Projektil ist eine runde Bleikugel
von 6 mm Durchmesser.
Die Schiessversuche, die mit diesem Instrumente und diesen
Patronen angestellt wurden, ergaben ganz überraschende Resultate.
Bei der von anderen Schusswaffen abweichenden Ladung war es
zunächst von Interesse zu wissen, welche Charaktere der von
dieser Waffe erzeugte Nahschuss autweist. Derselbe ergab bis
auf ca. 12 cm Entfernung eine dem sogenannten „Pulverschmauch“
ähnliche Schwärzung der Haut. Diese Schwärzung, die durch die
Verbrennungsprodukte der Zündmasse entsteht, ist dem Pulver¬
schmauch von Pulverladungen gleichzusetzen und auf das beige¬
mischte Schiesspulver, vielleicht auch auf eine Antimonschwärzung
zurückzuführen.
Eine Flammenwirkung ist gleichfalls wahrzunehmen, wie
auch Fall IV zeigt, doch ist dieselbe keineswegs so intensiv wie
etwa bei Pistolen- oder Revolverschüssen. Bei den an Leichen¬
teilen vorgenommenen Schiessversuchen war es natürlich nicht
möglich, die Flammenwirkung, wie sie sich an der Haut beim
Lebenden zeigt, zu studieren.
Was die Durchschlagsfähigkeit des Geschosses anbelangt, so
ergab sich, dass ein 13 mm dickes Brett aus weichem Holz in einer
Dr. Beckert.
512
Entfernung von etwa 2 Metern noch yollkommen durchgeschlagen
wurde, desgleichen ein normal dickes Stirnbein eines Erwachsenen
auf dieselbe Entfernung. Diese Resultate entsprechen vollkommen
den an unseren Fällen gemachten Erfahrungen und geben einen
schlagenden Beweis von der Gefährlichkeit dieser Schusswerkzeuge.
Ob beim Flobert-Gewehre, bei dem dieselben Patronen ver¬
wendet werden, die Durchschlagsfähigkeit nicht eine noch grössere
ist, wie wenigstens zu erwarten wäre, haben wir nicht weiter
erprobt. Auffallend schien uns noch der Umstand, dass sehr viele
Schüsse versagten, was leicht zu allerhand Manipulationen mit
der geladenen Waffe bei gespanntem Hahn, und bei Mangel an
nötiger Vorsicht leicht zu Unfällen Veranlassung geben kann.
Der Grund des öfteren Versagens der Schüsse ist offenbar in der
nicht genügend präzisen Arbeit der Waffe gelegen.
Ein Umstand wäre forensisch noch von Bedeutung. Bei
näherer Untersuchung der Projektile zeigte es sich, dass jede
Kugel entsprechend ihrem Aequator eine zwar seichte, aber in
allen Fällen deutlich sichtbare Rinne (Fig. 4) trägt, so dass es den
Eindruck macht, als sei sie aus zwei gesonderten mit einander
verschmolzenen Halbkugeln zusammengesetzt. Diese Rinne rührt
her von dem Drucke, mit dem die freien Ränder der Patronen¬
hülse an den Umfang der Kugel behufs grösserer Festigkeit an¬
gepresst werden. Dieser Rinne kommt forensisch eine analoge Be¬
deutung zu, wie der basalen Delle der Spitzkugeln; denn auch
sie bleibt häufig selbst bei starker Deformation des Projektils er¬
halten, so dass man aus dieser äquatoriellen Rinne ein solches
Projektil als ein Flobert-Projektil ansprechen darf, — eine Tat¬
sache, die uns auch von Sachverständigen im Waffenfache be¬
stätigt wurde —, wodurch auch die Möglichkeit der Unterschei-
dungder Flobert-Projektile (insofern es sich hier um Rundkugeln
handelt) von Schrotkörnern gegeben ist.
Ausser den hier beschriebenen kleinsten Flobertpatronen
von 6 mm Kaliber mit Rundkugel ohne Pulverladung, welche am
häufigsten verwendet zu werden pflegen und auch in allen unseren
Fällen verwendet wurden, gibt es noch eine Anzahl verschiede¬
ner anderer Flobertpatronen, welche bezüglich des Kalibers, der
Länge der Patronen, der Art der Ladung und Verschiedenheit der
Projektile grosse Unterschiede aufweisen. Eine uns von einer
Kapselfabrik freundlichst überlassene Mustersendung derartiger
Patronen weist 16 verschiedene Sorten auf. Was das Kaliber
anbelangt, so gibt es solche von 6, 7 und 9 mm; die von 7 mm
Kaliber werden selten verwendet. Ausser der Sprengsubstanz
enthalten viele Patronensorten, besonders die mit Schrotladung,
noch Schiesspulver, wobei die Kupferhtilse entweder selbst oder
durch Ansatz einer Pappenhülse eine entsprechende Verlängerung
zeigt. Was die Projektile anbelangt, so gibt es ausser den
oben beschriebenen Rundkugeln und Schrot auch Spitzkugeln,
letztere in 3 verschiedenen Formen, die eine von der Form der
gewöhnlichen Revolverkugeln, eine zweite Form mit etwas dün¬
nerer Spitze, beide mit basaler Delle; eine dritte Art, die söge-
Ssjtüssverletzwig des Schädels im falle I,
von innen gesehen (natürl. Grösse).
Schussverleizüitg des Schädels fm Falle I
von aussen gesehen (natürl. Grosse).
£th Teil der vorderen Bru3twand mit Einschuss
otfn.ung in der Haut am Falle II (naturi. Grösse)
Rundkugft! aus omer Flobertpatfone mi!
äquatorialer Rinne (verjjfössert), •
Zur Kenntnis der Verletsangen durch Flobert-Schusswaffen.
513
nannten Bosquett - Spitzkugeln, zeigen eine von dem gewöhnlichen
Typus der Spitzkugeln abweichende, ganz charakteristische Form,
die einer Kombination von einem an der Oberfläche schräg kanne¬
lierten Bleizylinder mit einem aufgesetzten sehr kurzen, spitzen,
glatten Kegel entspricht. Letztere, gleichfalls selten verwendet,
werden in der Grösse von 6 und 9 mm Kaliber angefertigt, wobei
zu bemerken ist, dass die Spitzkugel dieser Art von 6 mm Kaliber
keine basale Deila trägt. Doch dürften, was die Form der Spitz¬
kugeln, sowie die stärkere oder schwächere Ausprägung oder gar
das Fehlen der basalen Delle anbelangt, wie uns mitgeteilt
wurde, bei den verschiedenen Fabrikaten ziemlich wesentliche
Unterschiede bestehen. Ein Unterschied zwischen den Flobert-
und Revolverspitzkugeln soll, abgesehen von unwesentlichen Unter¬
schieden an Erzeugnissen der einzelnen Fabriken, nicht bestehen.
Demnach hat die Form der Spitzkugeln, mit Ausnahme der letzt¬
genannten Sorte, kein spezifisches Merkmal an sich, welches sie
als von einer Flobert-Patrone herrührend erkennen Hesse.
Ein Umstand verdient hier hervorgehoben zu werden, nämlich
die etwaige Möglichkeit, eine Flobertpatrone aus einem Revolver
abzuschiessen. Alle Flobertpatronen sind Randfeuer - Patronen,
während die meisten Revolver für Zentralfeuer-Patronen kon¬
struiert sind, weshalb es im allgemeinen nicht möglich ist, eine
Flobertpatrone aus einem Revolver abzuschiessen. Auch hat
eine Flobertpatrone, aus einem Revolver abgeschossen, vermöge
der Konstruktion des Revolvers, die ein Entweichen von Pulver¬
gasen zwischen Trommel und Lauf ermöglicht, eine viel geringere
Durchschlagskraft.
Was die Durchschlagskraft anbelangt, so unterscheiden sich
die Spitz- und Rundkugeln wohl nur sehr unwesentlich von ein¬
ander; ebenso dürfte der diesbezügliche Unterschied, je nachdem
ob dieselben aus einem Flobert-Gewehre oder einer Flobert-Pistole
abgeschossen wurden, nur sehr unwesentlich sein. Wesentlicher
wird der Unterschied dadurch, ob dieselben aus einer gezogenen
oder ungezogenen Waffe abgeschossen wurden. Dass diejenigen Ge¬
schosse, welche ausser der Sprengsubstanz auch noch eine Pulver¬
ladung enthalten, eine bedeutendere Durchschlagskraft besitzen,
ist selbstverständlich.
Aus dem Angeführten ergibt sich, dass wir die Gefährlich¬
keit dieser Schusswaffen, selbst mit den kleinsten Patronen und
ohne Pulverladung, sicherlich nicht weit unter die der gewöhnlichen
kleinen Revolver zu setzen haben. Jedenfalls müsste man sich
gegebenen Falles vom rein gerichtsärztlichen Standpunkte dahin
aussprechen, dass ein derartiges Schusswerkzeug bei geeigneter
Anwendung (nicht zu grosse Entfernung und erfolgter Angriff
auf lebenswichtige Körperteile) jenen zuzurechnen ist, mit deren
Anwendung gemeiniglich Lebensgefahr verbunden ist, wobei es
wiederum dem Ermessen des Richters überlassen bleibt, zu ent¬
scheiden, wie weit die Kenntnis oder Unkenntnis von der Gefähr¬
lichkeit dieser Schusswerkzeuge zu Gunsten oder Ungunsten des
Angeklagten in konkreten Fällen in die Wagschale fällt.
514
Dr. Eyff.
Die praktische Verwertung der Widai’schen Blutprobe.
Von Dr. Eyff in Nimptscb.
Zur Sicherung der Diagnose Typhus ist die Widalsche Blut¬
probe seit der Veröffentlichung derselben im Jahre 1896 als Hilfs¬
mittel mit Erfolg herangezogen worden. Es stellte sich allerdings
heraus, dass in einzelnen klinisch sicher diagnostizierten Typhus¬
fällen die Reaktion ausblieb oder, weil sie zu spät eintrat, für die
Diagnose ohne Wert war. Dies Versagen der Methode bildet
jedoch die Ausnahme. In den Jahrgängen der deutschen me¬
dizinischen Wochenschrift (1896—1903) finden sich Berichte über
989 sichere Typhusfälle, die mit Hilfe der Widal sehen Blut¬
probe untersucht wurden. Die Prüfung ergab nach einer von
mir gemachten Zusammenstellung 26 Mal ein negatives Resultat,
14 Mal eine geringe Reaktion, 3 Mal eine verspätete. Da alle
diejenigen Befunde, welche als unvollkommene oder verspätete
bezeichnet werden, zur Diagnosenstellung nicht zu verwerten
sind, müssen sie bei Beantwortung der Frage, ob die Widalsche
Blutprobe eine Frühdiagnose ermöglicht, den negativen Reaktionen
zugerechnet werden. Unter Berücksichtigung dieses Standpunktes
sind von den 989 Typhusfällen 43 mit negativem Resultat geprüft
worden, d. h. unter 100 Blutproben ergaben 4,3 einen negativen Befund.
Dies Resultat berechtigt, die Probe zum Nachweise des
Typhus zu empfehlen, um so mehr, als die bisherigen Forschungen
ergeben haben, dass es bei Beobachtung bestimmter Vorsichts-
massregeln dem erfahrenen Bakteriologen in jedem einzelnen Falle
stets möglich ist, sein Urteil abzugeben, ob die Reaktion eine
zweifellos positive oder eine unvollkommene oder eine negative ist.
In zweiter Linie haben sämtliche Beobachtungen die eine Tat¬
sache erwiesen, dass der klinische Verlauf aller Erkrankungen oder
die Sektion in allen Fällen, in denen die Widalsche Reaktion positiv
ausfiel, die Diagnose Typhus bestätigt haben, dass also die positive
Widalsche Reaktion die Diagnose Typhus unumstösslich festlegt.
Nimmt man dies Ergebnis einerseits zusammen mit dem
Resultat der von mir aufgestellten Statistik, dass nämlich von
100 Typhusfällen 95—96 eine positive Blutprobe ergeben haben,
und anderseits mit der Tatsache, dass bei allen Krankheiten
andersartigen Ursprungs eine ev. auftretende Reaktion bei Berück¬
sichtigung aller Kautelen zu Irrtümern nie Veranlassung ge¬
geben hat, so ist die Forderung, dieses Hilfsmittel allgemein zur
Stellung der Diagnose zu benutzen, berechtigt, wenn es möglich
ist, mit dieser Methode eine Frühdiagnose zu stellen.
Widal 1 ) beobachtete die agglutinierende Wirkung des Serums
Typhuskranker am 7., Warburg 8 ) am 5., P. Fraenkel 8 ) am
9., Catrin 4 ) am 4., R. Stern 4 ) am 9., Breuer 1 ) am 6., 8 und
l ) Deutsche medizinische Woehenschrift. 1897. C. Fraenkel: „Ueber
den Wert der Widai’schen Probe rar Erkennung des Typhus abdominalis.
*) Deutsche medizinische Wochenschrift. 1898. Vereinsbeilage Nr. 14.
*) Deutsche medizinische Wochenschrift. 1901. Litteratur- Beilage Nr. 13.
Dr. P. Fraenkel: Göttinger Typhusepidemie im Sommer 1900.
4 ) Deutsche medizinische Wochenschrift. Dr. E. Ziemke: „Zur Serum-
diagnose des Typhus abdominalis.
Die praktische Verwertung der Widalschen Blutprobe.
515
9. Krankheitstage. Dieser Punkt ist bisher von den Autoren nicht
genügend berücksichtigt. Er ist jedoch wichtig, um auf Grund einer
grösseren Statistik festzustellen, an welchem Tage nach erfolgter
Erkrankung mit diesem Hilfsmittel durchschnittlich die Diagnose
Typhus zu stellen ist. Von bestimmten Krankheitstagen beim
Typhus zu sprechen, ist überhaupt schwer, da anfangs meist nur
ein unbestimmtes Krankheitsgefühl vorliegt und der Patient den
Arzt erst aufsucht, wenn die Beschwerden seine Arbeitsfähigkeit
in Frage stellen, gewöhnlich also einige Tage nach dem Krank¬
heitsbeginn. Der von den Autoren angenommene „erste“ Krank¬
heitstag wird ans diesen Gründen sich nicht decken, auch dann
nicht, wenn man, wie dies geschehen ist, als ersten Krankheitstag
den Tag annimmt, an welchem der Patient sich zum ersten Mal
wirklich krank gefühlt hat. Praktischer ist es daher, die Frage
so zu stellen, ob erfahrungsgemäss die Wi dal sehe Blutprobe an
dem ersten Tage, an welchem der Patient mit typhusverdächtigen
Symptomen den Arzt aufgesucht hat, die Diagnose Typhus zu
sichern, bezw. differential-diagnostisch den Ausschlag zu geben
im stände ist.
Nach diesen Gesichtspunkten habe ich die von mir im letzten
Jahre, z. T. in dem städtischen Krankenhause zu Nimptsch, z. T.
in der Privatpraxis behandelten Typhusfälle mit folgendem Er¬
gebnis untersucht:
14 Typhen wurden mittelst der Widalschen Blutprobe
mit positivem Resultat geprüft. Das hygienische Institut zu
Breslau hatte die Liebenswürdigkeit, die Proben zu untersuchen.
Von 14 Fällen wurden in 8 derselben Blutproben am ersten Tage
der Uebernahme der Behandlung eingeschickt; die übrigen Fälle
wurden später, vom 6. bis 14. Tage nach erfolgter Uebernahme
der Behandlung untersucht, z. T. weil ich zu Beginn dieser Er¬
krankungsperiode auf die Sicherung der Diagnose mittelst des
Widalschen Verfahrens nicht genügend Gewicht legte, z. T.
weil andersartige Erkrankungen den Typhus verdeckten. In einem
dieser Fälle war in drei nacheinander eingesandten Proben die
Reaktion in Verdünnung von 1 : 25 bis 1 : 100 mikroskopisch po¬
sitiv, makroskopisch stets negativ. Es wurde seitens des In¬
stitutes die Ansicht ausgesprochen, dass es sich um einen leichten
Typhus handelt. Der Verlauf bestätigte diese Vermutung:
quälende Kopfschmerzen, grosse Mattigkeit, dünne erbsenfarbene
Stühle und volle Appetitlosigkeit kennzeichneten das Krankheits¬
bild. Roseolen und Milzdämpfung konnten nicht nachgewiesen
werden; die im Anus aufgenommenen Temperaturen überschritten
37,6° nicht: der Verlauf war ein fast afebriler.
Dieser Fall scheint mir zum Beweise für die Notwendig¬
keit der Verwendung der Reaktion zur Sicherung der Typhus¬
diagnose von grösster Wichtigkeit zu sein. Er würde ausserhalb
des Krankenhauses als gastrisches Fieber gedeutet und ärztlicher¬
seits kaum behandelt worden sein. Eine derartige mit leichten
Durchfällen einhergehende Erkrankung ist aber häufig der Aus¬
gangspunkt von weiteren Ansteckungen. Es ist daher von der
516
Br. Eyff.
grössten Bedeutung, dass gerade diese Fälle sicher diagnostiziert
und sanitätspolizeilich kontrolliert werden. Auf Grand des klinischen
Verlaufs wird sich aber der behandelnde Arzt nicht entschlossen,
diesen Fall als Typhus anzuzeigen; er darf es nur, wenn es
feststeht, dass eine positive Wi dal sehe Reaktion den sicheren
Schluss auf Typhus gestattet.
Ebenso interessant ist eine zweite Typhuserkrankung. Eine
Diakonissin klagt über Müdigkeit, Appetitlosigkeit und Schmerzen
im Nacken und im Leibe. Da der klinische Untersuchungsbefund
am 13. August, dem Tage, an welchem sie sich krank meldete,
ein negativer war, anderseits der Verdacht bestand, dass sie
sich bei der, — allerdings nur vorübergehenden — Pflege der
Typhuskranken angesteckt hatte, wurde am 13. August sofort die
Blutprobe gemacht, und zwar mit positivem Ergebnis. Die
Anamnese ergab einen Typhus vor 13 Jahren. Die positive Re¬
aktion hätte ev. die Folgen jener vorhergegangenen Erkrankung
sein können. Der Verlauf bewies eine neue Infektion, wenn auch
leichter Art. Temperaturen in der Achselhöhle bis 38,3°, Durch¬
fälle, Appetitlosigkeit und grosse Mattigkeit charakterisierten die
Erkrankung als Typhus. Infolge Platzmangels schickte ich die
Patientin in ihre Heimat mit der auf Grand der positiven
Wi dal sehen Reaktion ausgesprochenen Diagnose Typhus. Da
Roseolen und Milztumor, sowie höhere Temperaturen fehlten,
wurde sie von dem dortigen Arzt sehr bald entlassen. Als sie
sich Ende August mir wieder vorstellte, sprach ich sofort die
Ueberzeugung aus, dass sie nicht gesund sein könne. Der Ver¬
lauf bestätigte meine Ansicht: am 2. September meldete sie sich
mit ähnlichen Erscheinungen wie am 13. August krank. Die
Schwester hatte 3 Mal eine halbe Nacht bei Typhuskranken ge¬
wacht, war also verhältnismässig wenig mit diesen in Berührung
gekommen. Dementsprechend leicht war die Ansteckung und der
Krankheitsverlauf. Sie hatte am 4. August sich zum ersten Mal
krank gefühlt: die Blutentnahme war also am 9. Krankheitstage
erfolgt.
Die Wi dal sehe Reaktion hatte in beiden Fällen die An¬
nahme eines Typhus gesichert trotz geringwertiger Krankheits¬
symptome und hatte den Arzt veranlasst, die Kranken vom ersten
Behandlungstage mit denjenigen Massnahmen zu umgeben, welche
zur Vermeidung weiterer Ansteckungen notwendig sind. Sodann
hatte sie ihn trotz der gegenteiligen Ansicht des zweiten be¬
handelnden Arztes befähigt, seine Ansicht von der Erkrankung
an Typhus und der Unmöglichkeit, dass dieser innerhalb 14 Tagen
zur Genesung gelangt war, aufrecht zu erhalten. Es ist ersicht¬
lich, welch’ ausgezeichnetes diagnostisches Hilfsmittel die Widal-
sehe Reaktion ist.
Dieselbe unzweideutige Entscheidung hat die Blutprobe in
denjenigen Fällen gebracht, in denen es sich um den Typhus ver¬
deckende oder um andersartige Krankheiten handelte.
Zwei der von mir behandelten Fälle imponierten als tief¬
gehende Lnftröhrenkatarrhe. Verdauungsstörungen und die Beob-
Die praktische Verwertung der Widalschen feiutprobe. M?
achtung, dass trotz angewandter Mittel ein Fortschritt nicht
erzielt wurde, führten zur Blutprobe und zur Sicherung der
Diagnose. Ein dritter Fall war besonders interessant. Am
25. Juli 1901 wurden in der Isolierbaracke des städtischen Kranken¬
hauses zu Nimptsch 2 Pockenkranke aufgenommen. Die jüngere
Person hatte nur wenige Pocken, machte dagegen einen ausser¬
ordentlich benommenen Eindruck und fieberte hoch, so dass die
anfängliche Annahme, dass die Pockenerkrankung den beobachteten
Symptomenkomplex hervorgerufen habe, der Ueberzeugung wich,
dass die Pocken- mit einer Typhus-Erkrankung kompliziert sei.
Die Widalsche Reaktion bestätigte diese Annahme.
Ein ebenso klares Resultat ergab die Blutprobe in 8 Fällen,
deren Verlauf die durch die negative Widalsche Reaktion ge¬
stellte Diagnose „Nicht Typhus“ bestätigte. Es handelte sich in
allen Fällen um anfänglich unklare Krankheitsbilder: Allen ge¬
meinsam waren heftige Kopfschmerzen und grosse Hinfälligkeit,
z. T. ausgesprochene Somnolenz. 3 Fälle verliefen mit Durch¬
fällen, 2 mit Lungen- und 3 ohne charakteristische Lokal¬
erscheinungen. Der Krankheitsverlauf war in der Mehrzahl der
Fälle ein kurzer: 3 erwiesen sich als Dysenterie, 2 als zentrale
Lungenentzündungen mit meningitischen Erscheinungen, 2 als
leichte Meningitiden und ein Fall als tuberkulöser Darmkatarrh.
Die von mir beobachteten Fälle haben also in der Hauptsache
dieselben Resultate ergeben, wie die in der Literatur veröffent¬
lichten. Es wurde positive Reaktion ausschliesslich bei Typhen
gefunden, und zwar in jedem Fall, in welchem am Tage der
Uebernahme der Behandlung die Blutentnahme erfolgte, sofort bei
dieser Probe. Ein negatives Resultat ergab keiner der Typhusfälle.
Auf Grund dieser eigenen und der durch die bisherigen
Veröffentlichungen kund gegebenen Beobachtungen betrachte ich
die Widalsche Blutprobe als ein Hilfsmittel ersten Ranges zur
Stellung oder Ablehnung der Diagnose Typhus, und glaube be¬
haupten zu können, dass es mit diesem Verfahren in der weitaus
grössten Mehrzahl der Krankheitsfälle am ersten Tage der Be¬
handlung möglich ist, eine Klärung der häufig unsicheren Diagnose
herbeizuführen.
Ist dies aber der Fall, so ist es eine selbstverständliche
Konsequenz, dieses Mittel zur Bekämpfung des Typhus zu
benutzen.
Diese Massregel wird aber nur unter der Voraussetzung den
erwarteten Erfolg haben, dass die Blutprobe von jedem Arzt in
allen typhusverdächtigen Fällen gemacht wird. Hierzu wird der
Arzt sich einverstanden erklären, wenn er behördlicherseits ge¬
zwungen wird, sie auszuführen. Dieser Zwang wird für den Arzt
dem ev. widerwilligen Patienten gegenüber ein willkommenes Unter¬
stützungsmittel sein.
Die gesetzliche Regelung dieses Verfahrens wird in dem
Augenblick gerechtfertigt sein, in dem es erwiesen ist, dass die
Widalsche Probe von jedem Arzt leicht auszuführen ist, den
Patienten in keiner Weise schädigt und eine schnellere Diagnosen-
m
t)r. Kauwerck.
Stellung als durch andere von dem praktischen Arzt beherrschte
Untersuchungsmethoden ermöglicht. Diese Bedingungen sind er¬
füllt: die desinfizierte Fingerbeere mit einem Messer anzustechen
und das Blut in einem sterilen Röhrchen aufzufangen, ist ein
Verfahren, das jeder Arzt ohne Vorübung auszuführen im Stande
ist. Der Patient selbst wird in keiner Weise geschädigt; die
kleine Wunde heilt schnell, stets ohne Störung. Hat der Staat
auf Grund der Erfahrung, dass eine Impfung mit Tierlymphe die
Erkrankung an Pocken wesentlich vermindert, die Impfung aller
Rinder angeordnet, eine Massnahme, die jedenfalls stets eine leichte
Erkrankung setzt, so kann er eine viel leichtere Operation, bei
der ein Krankheitsstoff dem Körper nicht eingeimpft wird, mit
demselben Recht obligatorisch machen. Die dritte Frage, ob durch
diesen geringfügigen Eingriff eine schnellere Diagnose gestellt
werden kann, ist in dieser Abhandlung bejaht. Deshalb ist es
im Interesse der Verhütnng der weiteren Verbreitung des Typhus
notwendig, dass die Entnahme des Blutes bei typhusverdächtigen
Personen zur Untersuchung gesetzlich gefordert und jeder Arzt
verpflichtet wird, dies zu tun. Eine natürliche Folge dieser
Forderung ist die Einrichtung hygienischer Zentralen in jedem
Regierungsbezirk, welche die Aufgabe haben, die eingesandten
Blutproben zu untersuchen.
Diese Erwägungen führen zu folgenden Schlusssätzen:
1. Blutserum, welches die charakteristische Widal’sehe
Reaktion ergiebt, stammt von Typhuskranken.
2. In bei weitem der grössten Mehrzahl der Typhusfälle
(95 unter 100) ist die Reaktion eine positive, gewöhnlich schon
zu einer Zeit, in der die Diagnose Typhus durch Beobachtung des
klinischen Verlaufs der Krankheit nicht gestellt werden kann.
3. Eine wirksame Bekämpfung des Typhus ist bei exakter
frühzeitiger Diagnosenstellung möglich.
4. Da die Wi dal’sehe Blutprobe die Diagnose Typhus
frühzeitig zu stellen ermöglicht, so ist die Blutentnahme zum
Zweck der Untersuchung in allen typhusverdächtigen Fällen mög¬
lichst am Tage der Uebernahme der Behandlung von jedem Arzt
gesetzlich zu fordern.
5. Ein positives Resultat ist dem beamteten Arzt sofort
mitzuteilen.
6. In jedem Regierungsbezirk ist staatlicherseits ein Institut
zur Vornahme der Blutuntersuchung zu errichten.
Ein Beitrag zur Widal’schen Probe.
Von Kreisarzt Med.-Bat Dr.Nanwerck in Gohrau.
Dem hiesigen Kreiskrankenhause wurde von dem behandeln¬
den Arzte am 16. April 1902 die im 5. Monat schwangere
Knechtsfrau Sch. aus Tscheschkowitz überwiesen, weil Erschei¬
nungen bei ihr eingetreten waren, die möglicherweise die künst¬
liche Entbindung notwendig machten.
Bin Beitrag zur Widalschen Probe.
m
Frau Sch., zum ersten Male schwanger, 24 Jahre alt. hatte Oedeme des
Gesichtes, der Arme and Beine, der Genitalien, war komatOs, and entleerte
nar wenig dankten, trüben Urin mit so viel Eiweiss, dass er beim Kochen
gerann. Oie Temperatur betrag am 16. abends 38,6, am 17. 88,9°, stieg am
18. abends auf 40°. Es gelang in einigen Tagen die drohenden Erscheinungen,
welche den Aasbrach der Eklampsie befürchten Hessen, za mildern and die
Fanktion der Nieren wieder herzasteilen, die Oedeme verloren sich ebenfalls
nach and nach, die Hyper&mie der Nieren konnte etwa nach 6—6 Tagen als
überwanden angesehen werden. Aber das Fieber blieb, die Temperaturen waren
in den ersten Wochen durchschnittlich morgens 39°, abends 89,6 °, am 24.
erfolgte morgens ein Abfall auf 38,5°, dem am 25. ein neuer Anstieg folgte.
Ans dem Widerspruch zwischen der Besserung von seiten
der Nieren und den Fieberverhältnissen musste die Diagnose auf
Nephritis, mit der die Franke eingekommen war, darauf be¬
schränkt werden, dass eine vorübergehende Hyperämie der Nieren
Vorgelegen hatte, wie sie schon bald nach Beginn des entzünd¬
lichen Prozesses bei infektiösen Krankheiten vorkommt, dass aber
eine andere Grundkrankheit vorlag. Als solche wurde aus dem
weiteren Verlaufe Unterleibstyphus klinisch festgestellt. Frau
Sch. machte einen mittelschweren Typhus durch und war am
10. Mai dauernd entfiebert, wurde am 4. Juni aus dem Kranken¬
hause entlassen.
Die Schwangerschaft war erhalten geblieben; am 21. Mai
entnahm ich eine Blutprobe, die dem Königl. hygienischen Institut
in Breslau übersandt wurde, die dort vorgenommene Widalsche
Probe fiel positiv aus.
Für die zu erwartende Entbindung der Frau Sch. hatte ich
der betr. Hebamme Probegläschen gegeben mit der Anweisung,
beim Durchschneiden der Nabelschnur aus deren Gefässen Blut
aufzufangen. Dies gelang auch der Hebamme, am 21. August
erhielt ich die Nachricht, dass ein gesunder Knabe von 47 cm
Länge und 3 kg Gewicht geboren war, und ein Gläschen mit
Blut. Dies wurde sofort nach Breslau eingeschickt, von wo mir
die Nachricht wurde, dass die Widalsche Probe negativ ausge¬
fallen sei. Leider hatte sich die Wöchnerin nicht mehr zur noch¬
maligen Entnahme ihres eigenen Blutes bereit finden lassen, so
dass die Kontrollprobe über das Verhalten des mütterlichen Blutes
am 21. August fehlt.
Ich muss gestehen, dass ich ein anderes Ergebnis erwartet
hatte; in der mir zugänglichen Literatur hatte ich über einen
derartigen Versuch nichts gefunden, doch ist der Typhusbacillus
in der Milz eines 4 monatlichen, durch Abort abgegangenen Fötus
einer typhösen Mutter nachgewiesen worden (Neuhauss). In der
Mehrzahl der Fälle starben in den früheren Monaten der Schwan¬
gerschaft bei Typhus die Früchte ab, es tritt Abortus ein, wobei
dahin gestellt bleiben mag, ob der Typhusbacillus, in sie übergehend,
den Tod verursacht, oder ob die höheren Fiebergrade, wie auch in
anderen Krankheiten, zum Abortus führen. Die Dauerhaftigkeit der
Wi dal sehen Probe, die mehr eine Immunitäts-, denn Infektions¬
reaktion ist, ist bekanntlich verschieden, von einigen Wochen bis
zu vielen Jahren; es kann also, da das Blut der Mutter am
21. Mai die Reaktion noch gegeben hatte, genau 3 Monate nachher
Atu Versammlungen und Vereinen.
m
das Blut des Kindes aber nicht, ans letzterem Umstande nur ge¬
schlossen werden, entweder, dass die Frucht vom Typhus nicht
befallen, also nicht immun geworden, oder, dass die Immunität
bereits erloschen war.
Leider ist mir ein ganz analoger zweiter Versuch nicht
gelungen, weil bei der Abnabelung des schon einige Zeit geborenen
Kindes Blut nicht mehr ausfloss, ein anderer Modus der Gewin¬
nung von Blut aber nicht zugelassen wurde. Immerhin dürfte
die kleine Mitteilung einiges Interesse erregen, wenn sie auch
nach keiner Seite schlüssig ist.
Aut Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die dienstliche Versammlung der Medisinal-
Beamten des Regierungsbezirks Osnabrück in Osnabrück
am £3. Oktober 1902.
Anwesend sind: Reg.- and Med.-Rat Dr. Orisar-Osnabrück, Vor¬
sitzender, die Kreisärzte: Med.-Rat Dr. Schiormeyer-Osnabrttck, Med.-Rat
Dr. zam Sande-Lingen, Med.-Rat Dr. T 0 b b e n - Osnabrück - Land, Med.-Rat
Dr. TJtolen-Papenborg, Med.-Rat Dr. Heilmann-Melle, Dr. Petermöller-
Meppen, Dr. Holling-Sögel, Dr. Strangmeier-Bersenbrück, Stadtarzt
Dr. Bitter-Osnabrück, San.-Rat Kreisphysikus a. D. Offenborg-Osnabrück,
Direktor der Hebammenlehranstalt Dr. Rissmann-Osnabrück and die pro
physicata geprüften Aerzte: San.-Rat Dr. Kanzler-Rothenfelde, Dr. Weit-
höner-Baer, Dr. Kreke-Bersenbrück.
Nach einer kurzen Begrttssung der Versammlnng durch den Herrn
Regierungspräsidenten ▼. Barnekow, welcher bedauert wegen besonderer
Abhaltung nicht längere Zeit den Verhandlungen beiwohnen zu können, werden
die Verhandlungen eröffnet.
I. Ländliche Krankenpflege. Der Referent, Med.-Rat Dr. Heil¬
mann-Melle, fährt in einem längeren, höchst fesselnden Vortrage, in dem er
die verschiedensten sozialen und ärztlichen Verhältnisse streift, etwa folgendes
aus: Zur Verbesserung der häuslichen Krankenpflege empfiehlt sich die An¬
stellung von Gemeindepflegerinnen. Laienschwestern, die aus der Ge¬
meinde selbst stammen und mit Sitten und Gebräuchen der Bevölkerung ver¬
traut sind, sind den Ordensschwestern, denen diese Kenntnis von Land und
Leuten meistens abgeht, entschieden vorzuziehen, besonders in konfessionell
gemischten Gegenden. Die Pflegerinnen müssen genügend bezahlt werden und
einen Pflegekasten haben, der folgende Gegenstände zu enthalten hat:
Irrigator, Katheter, Injektionsspritze, Thermometer, Luft- und Wasserkissen,
Steckbecken, Eisblase, Mundspatel, Einnahmeglas, Gummi-Bettunterlagen,
Wärmflaschen (gebogene für den Leib), Anweisung zur Desinfektion der Ab¬
gänge von Kranken, welche an ansteckenden Krankheiten leiden. Diese Zu¬
sammenstellung würde für etwa 150 Mark zu beschaffen sein. Die Ausbil¬
dung der Schwestern sollte nicht in den ganz grossen, sondern vorzugsweise
in mittelgroesen Krankenhäusern erfolgen. Eine gewisse Kontrolle der
Berufstätigkeit der Pflegerinnen übt schon der behandelnde Arzt aus; Revi¬
sionen des Instrumentariums könnte der Kreisarzt besorgen, welcher auch von
Zeit zu Zeit nach dem Zeugnisse des in Betracht kommenden Arztes einen
Wiederholangskursus im Krankenhause veranlassen könnte.
Die vielfach ausgesprochene Befürchtung, dass die Pflegerinnen Kur¬
pfuscherei betreiben, oder den einen oder anderen Arzt besonders bevorzugen,
teilt Referent nicht. Die Schuld in letzterer Hinsicht liegt meistens an den
Aersten selber, welche die Pflegerinnen nicht genügend heranziehen. Zum
Kurpfuschen kommen die Schwestern hauptsächlich dann, wenn solches Treiben
von einflussreicher Seite protegiert wird; in dieser Beziehung Bündigen nach
Hn Erfahrungen vielfach der Adel, die Geistlichen nnd besonders die Lehrer.
Ana Versammlungen and Vereinen.
521
Vorgebeugt wird der Kurpfuscherei seitens der Pflegerinnen auch dadurch, dass
man eine gewisse Beschränkung bei der Ausbildung der Pflegerinnen walten
lässt. Es ist in dieser Hinsicht nicht genug zu warnen vor zu hoben Anforde¬
rungen; insbesondere taugt eine za spezialistisehe Ausbildung nicht.
Die Frage, ob es angebracht ist, den Samariter-Vereinen auf dem
Lande Eingang zu verschaffen, muss entschieden verneint werden. H. hat viel¬
fach den Eindraok gewonnen, als ob es sich dabei um eine Art von Sport,
hauptsächlich für ältere Damen, handelt; praktische Erfolge hat er nicht
gesehen.
Die Errichtung und Verwaltung der Krankenhäuser soll womöglich
von den politischen Gemeinden, und nicht von den kirchlichen Gemeinden Über¬
nommen werden. In konfessionell gemischten Gegenden führen konfessionelle
Krankenhäuser leicht zu einer gewissen Rivalität und Spannung zwischen den
Konfessionen; die Kräfte werden zersplittert und es kommen infolgedessen nur
kleinere, nicht recht lebensfähige Krankenhäuser zustande. H. hat in dieser
Beziehung ungünstige Erfahrungen in der Stadt Melle gemacht, wo ein pro¬
testantisches und ein katholisches Krankenhaus kurz nacheinander errichtet
wurden. Die ganz kleinen Krankenhäuser hält er überhaupt nicht für zweck¬
mässig. Nach seiner Ansicht empfiehlt sich bei Errichtung von Krankenhäusern
am besten folgender Modus: In der Kreisstadt wird ein grösseres, allen An¬
forderungen der Neuzeit entsprechendes Krankenhaus erhöhtet. Die kleineren
Krankenhäuser in den umliegenden Gemeinden sollen mehr als Siechenhänser,
resp. Pflegehäuser dienen; für ihren Bau müsste in Bezug auf die zu stellenden
Anforderungen eine grössere Lioenz Platz greifen. Die operative Behandlung
soll hauptsächlich in dem grösseren Kreiskrankenhause statt finden. Die Aerzte
des Kreises hätten diesem die geeigneten Fälle zuzuführen, welche sie dann
gemeinschaftlich mit den am Orte befindlichen Aerzten weiter behandelten.
Auf diese Weise wäre es vielleicht möglich unter den Aerzten des Kreises
einen gewissermassen „genossenschaftlichen“ Betrieb in der Krankenbehandlung
in den Krankenhäusern einzurichten; es Hessen sich hierdurch geradezu ideale
Verhältnisse erreichen.
Referent kommt dann auf die Lungenheilstätten zu sprechen,
deren Bau jetzt als eine Art Sport betrieben werde. Nach eigener Anschauung
der Einrichtung und des Betriebes einer solchen Heilstätte und vielfachen Er¬
fahrungen aus der Praxis kommt er zu einem sehr ungünstigen Urteile. Die
Behandlung in den Heilstätten erfolgt zu schematisch, dieselben sind blosse
„Mastanstalten“, in denen die Kranken einer „akuten Mästung“ unterworfen
werden. Die in solcher Behandlung erreichte Gewichtszunahme verlieren die
Patienten nach Verlassen der Anstalt ebenso schnell wieder, wie sie erreicht
warde, die Krankheit kommt erneut zum Ausbruch und verläuft bösartiger.
H. formuliert das Ergebnis seiner Ausführungen dann in folgenden
Sätzen:
„1. Jede Gemeinde lässt sich eine Pflegerin ausbilden,
welche aus der Gemeinde stammt, sie wird mit einem Pflege¬
kasten ausgerüstet.
2. Diese Schwestern fallen fort, wenn in Gemeinden
Pflegehäuser eingerichtet sind, deren Bau möglichst be¬
fördert wird. Für den Bau dieser Pflegehäuser werden ein¬
fachere Vorschriften erlassen.
3. In jedem Kreise ist ein Krankenhaus zu gründen, in
dem sämtliche Aerzte des Kreises praktizieren — ein ge¬
nossenschaftlicher Betrieb —.
4. Lungenheilstätten mit jetziger schematischer Be¬
handlung werden nicht weiter gebaut. Die Regierung hat ein
Preisschreiben zu veranlassen, in welchem die Behandlung in
den Lungenheilstätten, in welchen speziell unbemittelte
Patienten untergebracht werden sollen, festgestellt und
festgelegt wird.“
Zum Schluss spricht Referent noch über Desinfektion und bringt
seine teilweise etwas eigenartigen Ansichten hierüber vor. Im aUgemeinen hält
er es für ausreichend, wenn in jedem Kreise 1 bis 2 Dampfdesinfektiontapparate
aufgestellt werden. Nach seinen Erfahrungen kann erden Spring fei dschen
522
Aas Versammlungen and Vereinen.
Kettenapparat zur Formalin-Desinfektion nicht empfehlen. Die Glieder de*
Kette gehen leicht auseinander und aaoh die Menge des wirklich verdampften
Formalins lässt sich nicht kontrollieren.
Der Korreferent, Kreisarzt Dr. Quent in-Bentheim, ist am persönlichen
Erscheinen verhindert und hat ein schriftliches Beferat erstattet unter spe¬
zieller Berücksichtigung der Verhältnisse des Kreises Bentheim. Danach ist
auch er der Ansicht, dass Bau und Verwaltung von Krankenhäusern in
gemischt-konfessionellen Gegenden nur den politischen Gemeinden überlassen
werden sollte; überlässt man sie den kirchlichen Gemeinden, so kommt man an
Verhältnissen wie jetzt in der Stadt Bentheim, wo ein protestantisches und ein
katholisches Krankenhaus besteht, beide sind nicht recht lebensfähig und ent¬
sprechen in ihrer Einrichtung nicht den modernen Anforderungen. Er empfiehlt
hauptsächlich die Einrichtung von Pflegerinnen-Stationen; für diese
aber ebenfalls, trotz der von ihm voll gewürdigten gnten Eigenschaften der
Ordensschwestern, in konfessionell gemischten Gegenden ans praktischen Gründen
nar weltliche Pflegerinnen, die den politischen Gemeinden angegliedert werden
müssten. Die Pflegerinnen, etwa von der sozialen Stellung der Hebammen,
rekrutieren sich am besten aus Mädchen, jungen Frauen oder Wittwen des
kleineren BürgerstandeB. Ihre Ausbildung soll in einem grösseren Kranken¬
hause erfolgen. Sehr wichtig ist es, dass die Pflegerin, ausser einer ge¬
nügenden Ausbildung in der eigentlichen Krankenpflege, auch befähigt ist, im
Haushalte mit einzagreifen, was auf dem Lande, besonders bei Erkrankung
der Hausfrau, oft fast wichtiger ist, als die Krankenpflege selbst. Die Ge¬
meindepflegerin muss mit Sitten, Gebräuchen und Sprache der Bevölkerung
völlig vertraut sein; sie muss womöglich aus der Gemeinde stammen, worin
sie pflegen soll. Für ®-ie Leistungen der Pflegerin wäre ein bestimmter Ge¬
bührensatz festzustellen, oder sie wird von der Gemeinde besoldet; letzteres
hat aber gewisse Nachteile; besser erscheint es, ihr ein Mindesteinkommen
zu gewähren. Für die kleinen Leute müsste die Pflege womöglich unent¬
geltlich sein.
An der Diskussion über die beiden Vorträge beteiligt sich lebhaft
die Mehrzahl der Anwesenden. Im grossen und ganzen finden die Ausführungen
beider Referenten die Zustimmung der Versammlung. Nur über die Frage,
ob es zweckmässig sei, die Krankenhäuser den politischen Gemeinden anzu-
gliedern, oder sie wie bisher den kirchlichen Gemeinden zu belassen, bestehen
Meinungsverschiedenheiten. Ebenso über die Frage, ob Laienschwestern, oder
Ordensschwestern als Gemeindepflegerinnen vorzuziehen seien; die Mehrzahl ist
allerdings der Ansicht, dass in konfessionell gemischten Gemeinden Laien-
Schwestern den Vorzug verdienen. Heilmanns Vorschläge über die Ausge¬
staltung des Krankenhausweaens in den einzelnen Kreisen (1 zentrales Kreis-
krankenhaus und Gemeinde-Pflegehäuser) begegnet vielfachen Widerspruch.
Seine ungünstige Ansicht über die bisherigen praktischen Erfolge und den
schematischen Betrieb der Lungenheilstätten wird von Grisar und Tholen
geteilt. Kanzler und zum Sande schieben einen grossen Teil des bis¬
herigen Misserfolges auf unzweckmässige Auswahl des Krankenmaterials (zu
weit fortgeschrittene Fälle) und glauben, dass bei zweckmässiger Auswahl
doch gute und dauernde Erfolge erzielt werden können.
II. Die Wartefrauen- Frage. Referent: Dr. Riss mann, Direktor
der Prov. • Hebammenlehranstalt in Osnabrück.
Hebammen und Wartefrauen werden in der Gesetzgebung des Deutschen
Reiches als Stiefkinder behandelt. Nicht allein in den Einzelstaaten sind die
Bestimmungen über das Hebammenwesen völlig verschieden, sondern auch in
den einzelnen Provinzen bestehen grosse Differenzen. Für Wochenbettpflege¬
rinnen vermissen wir gesetzliche Bestimmungen gänzlich. Es ist dringend
wünschenswert, dass möglichst bald die Frage der Wochenbettpflegerinnen
staatUcherseits gesetzlich geregelt wird. Aus den Akten der Prov. - Hebammen¬
lehranstalt Osnabrück ist zu ersehen, dass bereits im Jahre 1862 die König!,
hannoversche Landdrostei hier mit der Einrichtung von Wärterinnen - Kursen
vorgegangen ist Die Wärterinnen wurden in den Hebammen-Kursen ausge¬
bildet Die hierüber erlassene Verordnung enthält Bestimmungen Uber die
Vorbedingung zur Aufnahme und über die Ausbildung der Wärterinnen, welche
in Anbetracht dessen, dass sie bereits vor 40 Jahren erlassen wurde, als vor-
Atu Versaintalungeb and Vfcfeinen.
523
tägliche bezeichnet werden mttesen. Zar Zeit besteht in der Provinz Hannover
diese Einrichtung nicht mehr, leider fehlen auch jegliche Bestimmungen Uber
einen speziellen Lehrgang, ein bestimmtes Lehrbuch 1 ) ist nicht obli¬
gatorisch, eine Abgangsprüfung nicht vorgeschrieben.
Seit dem 1. April 1902 ist anf Antrag R.s in der hiesigen Hebammen¬
lehranstalt ein dreimonatlicher Korsos fttr Wochenbettpflegerinnen eingerichtet
Der Unterricht erstreckt sich anf:
1. Grandzttge der Anatomie and Physiologie, namentlich der weibliohen
Beokenorgane,
2. Schwangerschaftsveränderungen and Veränderungen bei der Gebart,
mit besonderer Berücksichtigung der Nachgebartsseit,
3. Desinfektionslehre in extenso,
4. Pflege der gesunden and kranken WOehnerin,
6. Pflege der Neugeborenen,
6. Krankheiten der Säuglinge.
Ausführlicheres über die Gebnrtsvorgänge wird absichtlich
nicht gelehrt. Die Wärterin soll eben am Kreissbette nur in Gegenwart von
Arzt oder Hebamme behilflich snin. B. betont die Notwendigkeit, bei jeder
vom Arzt geleiteten Gebart auch eine Hebamme zazoziehen, and nicht, wie
vielfach üblich, nar mit einer Wärterin die Leitang einer Geburt zu über¬
nehmen. Er empfiehlt nach Vorgang des Düsseldorfer ärztlichen Vereins, in
allen ärztlichen Vereinen den Antrag za stellen, dass die Leitung von Ge¬
barten ohne Zaziehang einer Hebamme von Vereinsmitgliedern nicht ge¬
schehen darf — Notfälle natürlich ausgenommen — and hält ein Gesetz für
wünschenswert, welches Wochenbettpflegerinnen die Ueberwachang von Ge¬
barten direkt untersagt. B. erwähnt dann noch kurz die in den letzten drei
Jahren von anderer Seite veröffentlichten and za seiner Kenntnis gelangten
Vorschläge zur Begehung der Wochenbettpflegerinnen-Frage and stellt zum
Schloss folgende Thesen auf:
I. Das Gewerbe einer Wochenbettpflegerin darf nur von
solchen Personen aasgeübt werden, welche im Besitze eines
Prüfangszeagnisses von einer, durch den Staat für diesen
Zweok bestimmten, Öffentlichen Anstalt sind. Diejenigen im
Berufe befindlichen Wartefranen, welohe diese Bedingung
nicht erfüllen, müssen binnen Jahresfrist sich der vorge¬
schriebenen Prüfung unterziehen. Beobachtung des Gehörte-
verlanfs ohne Arzt oder Hebamme ist Wartefranen verboten.
II. Vorschriften für den Lehrkursns:
a) Für die Anfnahme ist Geburtsschein (Alter nicht über
45 Jahre), polizeiliches Führungszeugnis und ärztliches Zeug¬
nis zu liefern.
b) Die Befähigung Ut durch Zeugnis oder eine Prüfung
nacbsuweisen (gute Volksschulbildung genügt wie fttr Heb¬
ammen).
c) Der Kursus dauert 3 Monate, in demselben erteilt ein
Arzt nach einem Lehrbuche Unterricht, und am Schlüsse ist
vor einer Kommission eine theoretische und praktische
Prüfung abzulegen. Nach bestandener Prüfung findet eine
Vereidigung statt und die Abgabe einer Instrumentontasche
an die Wartefrauen für die Praxis.
UL Vorschriften für die Praxis:
Die Wochenbettpflegerinnen unterliegen in ihrer Praxis
in ähnlicher Weise der Kontrolle wie die Hebammen, d. h. sie
müssen ein Tagebuch führen und alle Jahre dem Kreisärzte
vorzeigen. Kindbettfieber, infektiöse Erkrankungen oder
Todesfälle von Mutter und Kind, sind anzuzeigen und ist ent¬
sprechend den Anweisungen des Kreisarztes zu verfahren.
l ) Der Vortragende bat ein sehr empfehlenswertes Lehrbuch kürzlich
herausgegeben: »Lehrbuch für Wochenbettpflegerinnen.“ Von
Dt. Paul Bissmann. Berlin 1902. Verlag von 8. Karger. Preis: 1,60 M.
(Bemerkung des Beferenten.)
5ä4
Ins Versammlungen und Vereinen»
Alle 3 Jahre findet eine Nachprüfung statt; bei ungenügenden
Kenntnissen oder Uebersehreitnng der Befugnisse kann anf
Geldstrafen, 14tägigem Nachkuren» oder Entziehung des Prtt-
fungszeugnisses erkannt werden.
An der Diskussion beteiligten sich Grisar, Tholen, Többen
Heilmann, Schiermeyer, Kanzler, Bissmann.
Die Ausführungen Kissmanns finden durchweg volle Zustimmung.
Hierauf schliesst der Vorsitzende die Versammlung.
Der grösste Teil der Anwesenden vereinigte sich dann noch zu einem
gemeinschaftlichen Mahle im Hötel Dfitting.
Stadtarzt De. Bitter-Osnabrück.
Bericht über die Versammlung der Medizinalbeamten der
Provinz Schleswig-Holstein in Neum finster am 19. April
1903 .
Anwesend Beg.- u. Med.-Bat Dr. Bertheau (Vorsitzender), alle Kreis¬
ärzte des Bezirks, Stadtarzt Dr. Sehr öd er-Altona, Gerichtsarzt Dr. Neid¬
hardt-Altona, die Kreisassistenzärzte Dr. Hillenberg-Oldesloe und Dr.
Schulz-Niebüll und ferner Prof. Dr. Pischer-Kiel als Gast.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gedenkt Beg.- u. Med.-Bat Dr. Ber¬
theau des früheren langjährigen Leiters der Medizinalangelegenheiten der
Provinz, des Geheimrats Prof. Dr. Bockendahl, der nach einem an Arbeit
und Erfolgen reichen Leben am 16. Oktober vor. Jahres abbernfen worden iBt,
und der beiden gleichfalls seit der letzten Tagung verstorbenen Kollegen,
Kreisphysikus a. D. San.-Bats Dr. Hansen-Niebüll und Kreisarztes Dr. Deth-
lefsen-Plön.
1. Beg.- u. Med.-Bat Dr. Bertheau erläutert die Verfügungen, welche
seit der vorjährigen Versammlung erlassen sind. Aus der Besprechung sei
hervorgehoben, dass vom Herrn Begierungspräsidenten zum 1. Januar 1964 die
Einführung einer fakultativen Leichenschau versucht werden soll, in dem Sinne,
dass die Aerzte in den von ihnen behandelten Fällen um Abgabe einer Be¬
scheinigung über die letzte Krankheit ersucht werden und in ärztlich nicht
behandelten Fällen die Einziehung eines Totenscheins dem Belieben der Polizei¬
behörden überlassen bleibt.
2. Med.-Bat Dr. Bockend ah 1-Kiel erbittet sich die Abschriften der
von den Hebammen ausgefüllten Fragebögen, die er für die Provinz sta¬
tistisch zu bearbeiten beabsichtige.
3. Med.-Bat Dr. Asmussen-Bendsburg bemängelt an den von ver¬
schiedenen Firmen bezogenen Dienetformularen, dass oft bei wichtigen
Fragen zu wenig und bei minder wichtigen zu viel weisser Baum vorgesehen
sei und empfehle es sich daher, im Verein brauchbare Formulare zusammen-
zustellen, wofür jedoch keine Stimmung vorhanden ist.
4. Med.-Bat Dr. Horn-Tendern wünscht, dass die zwischen Aerzte-
kammer und Provinzial vor stand der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft
vereinbarten Atteetformulare und Gebührensätze von den Medizinal¬
beamten anerkannt werden, wohingegen von anderer Seite der freien Begut¬
achtung das Wort geredet und eine der Taxe entsprechende Honorarforderung
als angemessen erachtet wird.
5. Med.-Bat Dr. Horn berichtet über die bei der Aerstekammer zur
Verhandlung stehende Gründung einer zwangsmässigen Unterstützungs¬
kasse für die Aerzte des Bezirks, in welche die Praxis treibenden Kreis¬
ärzte mit einzuschliessen beabsichtigt sei. Man einigt sich in längerer Dis¬
kussion, im Falle eines Zustandekommens der Kasse auf eine freiwillige Mit¬
gliedschaft der Medizinalbeamten hinwirken zu wollen.
6. Prof. Dr. Fischer dankt zunächst für die Einladung und erbietet
sich zur ferneren Teilnahme, die ihm die erwünschte Gelegenheit gebe, mit
den Kreisärzten dauernd in Fühlung zu bleiben. Darauf referiert er über den
von Geheimrat Dr. Koch am 28. November 1902 vor dem wissenschaftlichen
Senat bei der Kaiser Wilhelms-Akademie gehaltenen, die Bekämpfung des
Typhus behandelnden Vertrag, der in dieser Zeitschrift noch nicht zur Sprache
gekommen ist und daher in seinen Hauptzügen hier mitgeteilt sei: Um eine
Am Versammlungen and Vereinen.
625
Infektionskrankheit wirksam za bekämpfen, müsse man den Infektionsstoff
sicher nnd schnell anffinden and ihn sicher abtoten können. Es sei seit län¬
gerem bekannt, dass diese beiden Vorbedingungen bei der Cholera and bei der
Malaria za erfüllen wären, er sei jetzt aber auch in der Lage, den Nachweis
an erbringen, dass anoh hinsichtlich des Typhus alle Schwierigkeiten als über¬
wanden gelten müssten. Man könne nämlich durch das von Drigalski und
Conradi ausgebildete Untersuchungsverfahren in Verbindung mit der Agglu¬
tinationsprobe innerhalb 20—24 Stunden die Typbaserreger im Stahl sicher
nachweisen; desgleichen sei die frühere Ansicht, dass die Typhnsbazillen sich
jahrzehntelang ausserhalb des Körpers halten nnd vermehren könnten, nicht
mehr haltbar. Denn wenn der Nachweis von Typhnsbazillen in zweifellos
infiziertem Brunnenwasser so selten gelinge, so lasse das den Schloss sn, dass
sie im Wasser kein langes Leben führen könnten; ferner müsse auch ihre
Lebensfähigkeit im Boden eine beschränkte sein, da sich bei kleineren Epide¬
mien, welche nach dieser Bichtang hin die grösste Beweiskraft hätten, ver¬
folgen lasse, wie die Krankheit von einem Individuum auf ein anderes über¬
gehe. Der TyphMbacillus sei daher auch ein obligater Parasit, der sich viel¬
leicht etwas länger im Boden halten könne als der Cholerakeim, aber schliesB-
lich doch anch zu Grande gehe. Um die Richtigkeit dieser Anscbannngen an
erweisen, habe er in dem Dorfe Waldweiler, in der Nähe von Trier belegen,
einen alten Typhnsherd aufgesucht, hier alle für Diagnostik nnd Behandlnng
nötigen Veranstaltungen getroffen nnd dann die Epidemie einer näheren Unter¬
suchung unterzogen. Dabei habe sich heransgestellt, dass ausBer den 8 ärzt¬
licherseits angemeldeten noch 64 andere Individuen mit Typhnsbazillen be¬
haftet gewesen wären, die sich entweder vollkommen wohl gefühlt, oder
nnr geringfügige Krankheitserscheinungen hätten erkennen lassen. Wenn
es sich dabei namentlich um Kinder gehandelt habe, so dürfe man das darauf
snrückffihren, dass eine ganze Reihe von Erwachsenen die Krankheit bereits
überstanden hätte und daher immnn gewesen wäre. Hinsichtlich der An¬
steckung habe er den Nachweis führen können, dass die Krankheit ohne Ver¬
mittelung von Wasser weiter gegangen sei. Indem nun alle schweren Typhus-
kranken in einer Döckerschen Baracke nntergebracht nnd erst nach dreimaliger
ergebnisloser Untersuchung ihres Stuhls auf Bazillen wieder entlassen, alle
leichteren Erkrankungen, wie alle sonst noch Typhnsbazillen beherbergenden
Personen durch geschaltes Hilfspersonal strenge überwacht nnd ferner alle
irgendwie infektionsverdächtigen Betten, Kleider nsw. von einem Desinfektor
desinfiziert worden wären, sei es innerhalb dreier Monate gelungen, den Typhus
dort ganz ansznrotten. Ein etwaiger Einwand, dass das Aufhören der Epidemie
ein zufälliges gewesen sei, werde dadurch hinfällig, dass der Typhus in den
andern Dörfern des Hochwaldes weiter bestanden habe.
Anschliessend an das Referat erklärt Prof. Fischer sich znr Nach¬
prüfung dieser für die Bekämpfung des Typhus hochbedentsamen Beobachtangen
bereit and ersucht die Teilnehmer, ihm von geeigneten Fällen, soweit sie von
Kiel aus leicht erreichbar wären, Mitteilung znkommen zu lassen.
7. Znm Schluss berichtet Dr. Schröder über die jüngst erlebte kleine
Pocken-Epidemie in Altona (Antoreferat):
Ende Dezember v. J. erkrankte im Altonaer Krankenhanse ein Geistes¬
kranker, welcher dort schon seit September in Behandlnng war, an Pocken.
Auf welchem Wege die Krankheit eingeschleppt war, konnte nicht nachgewiesen
werden. Der Kranke starb am 5. Jannar d. J., nachdem er eine Reibe von
Infektionen gesetzt hatte. Es erkrankten in der Zeit vom 9. bis Ende Jannar
in Altona weitere 15 Personen, von denen 18 (7 im Krankenbanse, 6 in der
Stadt) direkt auf den nngemein infektiösen ersten Fall znrückznführen waren,
nnr weitere 2 Fälle kamen durch Uebertragung in der Stadt vor. Anch nach
Schrimm in der Provinz Posen wnrde die Krankheit dnreh einen ans dem
Altonaer Krankenhanse entlassenen Patienten verschleppt. Von den 16 in
Altona Erkrankten starben 3, von welchen einer undeutliche, die anderen
beiden keine Impfnarben hatten, so dass es fraglich ist, ob sie jemals geimpft
waren. Ausserdem starb noch ein Kranker in der Rekonvalescenz an Magen¬
krebs. 9 hatten Variola, 7 Variolois. Von diesen waren 5 revacciniert, 1 batte
schon einmal Pocken gehabt nnd noch deutliche Pockennarben, 1 einjähriges
Kind war noch nach der Infektion geimpft, 2 waren im Alter von 50—60,
Ans Versammlungen and Vereinen.
526
10 im Alter von 40—50, 1 im Alter ron 20—30, 1 im ersten Lebensjahre.
Demonstration einiger Photographieen ron Pockenkranken.
Die Pocken sind ungemein ansteckend, noch mehr als die Masern. Das
Kontaginm haftet am KOrper der Pockenkranken und ist enthalten in den
Pockenpnsteln su jeder Zeit ihrer Entwickelung, im Answnrf und Speichel,
nach Pfeiffer anch im Urin nnd in den Tränen. Ferner ist es im Blut
enthalten, anscheinend nicht im Inknbationsstadinm, sicher aber im ersten
Fieberanfall nnd vielleicht anch während des sweiten Fiebers nnd in der Zeit
zwisohen erstem nnd zweitem Fieber.
Vom Körper des Pockenkranken geht das Kontaginm über in die um¬
gebende Atmosphäre, an staubförmige Körper gebunden, nnd zwar schon im
Inknbationsstadinm (Fall von Hngnenin).
Diese Möglichkeit ist plausibel, wenn man der Ansicht Pfeiffers folgt,
dass sich in der Inkubationszeit anf der Schleimhaut der Luftwege eine Proto-
pnstel bildet. Von dem Moment an. wo die Pocken Aber das Knötchenstadium
hinaus sind, besonders zur Zeit der Krnstenbildung, ist die Möglichkeit zu einer
Verstänbnng des Pockengiftes immer gegeben, doch sind die Angaben Aber die
Entfernungen, anf welche es sich dnreh die Luft verbreiten sein soll, fibertrieben.
Man muss aber die Lnft im Krankenzimmer nnd im Hanse des Kranken als
infiziert ansehen.
Frtther meinte man wiederholt ans Bakterien, welche ans dem Pustel¬
inhalt gezüchtet waren, den Erreger der Pocken isoliert in haben, es lief aber
durch die Knltnren immer etwas mit, was unerkannt blieb, v. d. Löff,
Pfeiffer, Guarnieri n. a. suchen den Erreger unter den Protozoen und
haben sowohl in der Vaccine-, wie in der Pockenpnstel konstant einen Para¬
siten gefunden, welchen Gnarnieri in der Hornhaut von Kaninchen rein
gesfiohtet hat (Demonstration der Guar nierischen Körperchen). Ob der
Parasit Sporen bildet nnd wie er ins Blnt aufgenommen wird, wissen wir
nicht (Darstellung der Pfeifferschen Theorie).
Als Sehntzmassregeln kommen in Anwendung:
1. Schutzimpfungen nnd 20 tägige Kontrolle der Angehörigen nnd sämt¬
licher Personen nebst Familien, welche mit dem Pockenkranken irgendwie in
Berfihrnng gekommen sind.
Eine Verordnung vom 2. September 1811 giebt in Schleswig-Holstein
eine Handhabe zn Zwangsimpfungen. Erörterung der Fragen, wann der Impf¬
schutz nach der Impfung eintritt nnd ob bereits mit Pocken infizierte Personen
durch nachträgliche Vaccination geschätzt werden können, Demonstration einer
Photographie eines einjährigen Kindes, welches nach der Infektion geimpft ist
und ausser den stark entwickelten Vaccinepusteln vereinzelte Pockenpusteln
aufweist. Die Dauer des Impfschutzes ist individuell ganz verschieden; von
den in Altona anlässlich der Pockenerkranknngen geimpften Personen wurden
30 bis 40 °/ 0 mit Erfolg geimpft.
Als weitere Massregeln kommen neben der Schutzimpfung in Betracht:
2. Strenge Isolierung der Erkrankten und Verdächtigen.
3. Sorgfältige Desinfektion.
Beim Ansbmoh von Pocken sind baldigst die Aerzte des Bezirks zn be¬
nachrichtigen. Dr. Rohwedder-Batzebnrg.
Verhandlungen der Medlco- legal society of New-York.
17. Desember 1902.
The medico legal journal; 1903, XX., März, S. 560.
Die Sitzung wurde durch Vorlesung eines Vortrages von Geh. Med.-Bat
Dr. Hermann Kornfeld, Gerichtsarzt in Gleiwitz eingeleitet, der als Ehren¬
mitglied der Gesellschaft einen Vortrag: „Deutsche Ansichten über Geistes¬
krankheit vom juristischen Standpunkte“ vorgelegt batte. Es folgten Vor¬
träge von Dr. Purdy-New-York: „Ober die Abschaffung des Coroner*
nnd von Dr. St. Smith: „über Aendernngen im Gesetse über Pflichten
nnd Amt des Coroners*.
Letzterer führte etwa folgendes ans:
Die Erforschung der Todesursachen, insbesondere bei plötzlichem Tode
hat sowohl für die öffentliohe Gesundheitspflege, als für das Beehtswesen die
Besprechungen.
627
grösste Bedeutung. Die Pflichten, die bisher dem Coroner obliegen, lassen sieh
non sorgfältiger, genauer nnd zweckmässiger dadurch erledigen, dass sie znm
Teil durch den ärztlichen Sachverständigen, znm anderen Teile durch
einen Juristen ansgeftthrt werden. Ein erfahrener ärztlicher Sachverständiger
kann die geheimnisvolle Geschichte eines Verbrechens in den Geweben nnd
Organen der Leiche verfolgen nnd oft die Schuld des Täters in Fällen nach-
weisen, in denen jeder sonstige Beweis fehlt, anderseits aber anch einen Un¬
schuldigen in Schntz nehmen, den eins unvollständige oder oberflächliche Unter¬
suchung verurteilt haben würde.
Als geeigneter Sachverständige ist der medical officer of health anzn-
sehen. Nach dem Gesetz von 1885 l ) hat jetzt jedes grössere Gemeinwesen des
Staates New-York ein gründlich organisiertes Gesundheitsamt, das anch die
Bearbeitung der standesamtlichen Statistik zn besorgen hat. Die Gesundheits-
beamten haben die Bescheinigungen nnd Berichte über die Todesursachen, über
die Befunde der jnries in Empfang zn nehmen, zn prüfen nnd sicher zn stellen.
Diese Behörde ist ferner ermächtigt, die Personen zn bezeichnen, die Begräb¬
nisscheine nnd Leichenpässe ansstellen dürfen. Keine Leiche darf beerdigt
werden, ehe nicht dem Gesnndheitsamte ein genügend bescheinigter Bericht
des behandelnden Arztes ansgebändigt ist. Das Amt darf bei Nichtbeachtung
seiner Anordnungen Strafen verhängen. Alle örtlichen Gesundheitsämter unter¬
stehen der Beaufsichtigung des State board of health, das bei Nichtbeachtung
der Vorschriften über Registrierung der Todesfälle diese Vorschriften zwangs¬
weise durchführen darf.
Da bis in die entlegensten Gegenden hin die geschilderte Organisation
ins Leben gerufen ist, da die Gesundheitsämter überdies nicht bloss sachver¬
ständige Aerzte, sondern auch chemische und pathologische Sachverständige zu
Mitgliedern zählen, so bürgen sie für eine gründliche forensisch medizinische
Prüfung jedes verdächtigen Todesfalles. Ueberträgt man nun noch einem
Juristen, dem Polizei- oder dem Friedensrichter die rechtliche Seite der An¬
gelegenheit, so ist der Coroner überflüssig.
Dr. Mayer-Simmern.
Besprechungen.
Hermann Peters: Der Arzt und die Hellkunst in der deutschen
Vergangenheit. Mit 158 Abbildungen und Beilagen nach den Originalen
des 15.—18. Jahrhunderts. Leipsig 1902. Verlag von Engen Diederichs
Preis: 4 Mark.
Das Buch gehört zn den Monographien zur deutschen Kulturgeschichte,
die Dr. G. Steinhausen im Diederichssehen Verlage berausgibt. Reich
geschmückt mit Nachbildungen alter Holzschnitte und Kupferstiche behandelt
das auch äusserlioh vortrefflich und geschmackvoll ansgestattete Werk zahl¬
reiche Kapitel, besonders aus der mittelalterlichen Vergangenheit der Heilkunst.
Im bunten Wechsel, wenn auch nicht streng wissenschaftlich, wird das Leben
und Treiben der damaligen Aerzte geschildert mit Wort und Bild, und oft
sagt man sich, — es war doch damals schon oft ganz so wie jetzt bei uns.
Als erster Heilkundiger wird Odin erwähnt, von dessen „Praxis“ die
Merseburger Zaubersprüche erzählen, und als „letzter und sicherster Arzt der
Vetter Knochenmann, der alle Krankheiten heilt“. Wirkliche Aerzte gab es
im frühesten Mittelalter in Deutschland wohl nur an den Höfen der Könige;
das Volk musste sich mit Kurpfuschern begnügen.
Das Apothekenwesen, das Hebammenwesen, Krankenhäuser und medi¬
zinische Unterrichtsanstalten werden gleichfalls besprochen. Für den Medi¬
zinalbeamten findet sich manches Interessante in dem Buche, z. B. das erste
Medizinalgesetz erliess 1224 der Enkel Kaiser Barbarossas, der Hohenstaufe
Friedrich II; in diesem Gesetz wurde das Studium, die Prüfung und die Be¬
zahlung des Arztes, sowie sein Verhältnis zum Apotheker geregelt. Der erste
Stadtarzt tauchte schon 1877 in Nürnberg auf mit 50 fl. vierteljährlicher Be¬
soldung.
‘1 Conf. Rapmund: Das öffentliche Gesundheitswesen. Leipzig 1901.
Seite 118.
528
Besprechungen.
Weitere Binielheiten za erwähnen, würde za weit führen. Des Lesen
des interessanten Baches kann nnr empfohlen werden.
Dr. Pilf-Alsleben a. S.
Dr. O. Mugd&n, Arzt in Berlin: Kommentar für Aerzte zum Ge¬
werbe-'O'nfallversicherungsgesetze nebst dem Gesetze betr. die
Unfallrersloberungsgesetze rom 80. Juni 1900. Berlin 1902. Ver¬
lag von Georg Bei me r. Gr. 9°; 215 8. Preis: 5 Mark.
In fast allen aas ärztlichen Kreisen stammenden und für Aerzte be¬
stimmten Werke über die Unfallversicherung ist, wie dies nahe liegt, haupt¬
sächlich der medizinische Standpunkt berücksichtigt, während die gesetzlichen
Bestimmungen u. s. w. nur insoweit wiedergegeben sind, als sie speziell die
Saohverständigentätigkeit auf diesem Gebiete berühren. Gerade die Aerzte
kommen aber sehr häufig in die Lage, sich auch über die sonstigen gesetzlichen Be¬
stimmungen und die massgebende Bechtsprechung auf diesem Gebiete informieren
zu müssen, und sicherlich hat schon mancher von ihnen ein Werk vermisst,
das, wie das vorliegende, nicht nur den Text der betreffenden Gesetze und
Ausführungsbestimmungen im Wortlaute wiedergibt, sondern diese auch an der
Hand der bisherigen Bechtsprechung des Beicbsversicherungsamts in einer
gerade dem Bedürfnis des Arztes angepassten Weise erläutert. Der Kommentar
wird daher sicherlich sehr bald in ärztlichen Kreisen eine grosse Verbreitung
finden, die er auch im vollstem Masse verdient. Bpd.
Dr. A. Eulenburg, Geh. Med.-Bat und Professor in Berlin: Sadismus und
Masooblsmus. Wiesbaden 1902. Verlag von Bergmann. Gr. 8°; 89 8.
Preis: 2 Mark.
Der Sadismus (nach dem Marquis de Sade genannt) ist nach Krafft-
Ebing eine Form sexueller Perversion, welche darin besteht, dass Akte der
Grausamkeit, am KOrper des Weibes vom Manne verübt, nicht sowohl als präpa-
ratorische Akte des Coitus bei gesunkener Libido - Potenz, sondern sich selbst
als Zweck Vorkommen, als Befriedigung einer perversen vita sexualis. Unter
den Begriff des Masochismus (nach dem Schriftsteller von Sacher-Masoch
genannt) gebären nach Krafft-Ebing diejenigen Fälle, wo der Mann auf
Grund von sexuellen Empfindungen und Drängen sich vom Weibe misshandeln
lässt und in der Bolle des Besiegten statt des Siegers sich gefällt. Sadismus
und Masochismus schliessen sich nach Eulenburg nur in der Theorie aus.
Sie sind in Wahrheit verwandt und beiden ist gemeinsam, dass Schmerz, sei
er zugefügt, erduldet oder auch imaginär, zur Quelle von Wollustgefühl wird.
Er braucht nicht nur physischer Natur zu sein, sondern auch der moralische
Schmerz in der Form der Demütigung und Erniedrigung kann zum Ausgangs¬
punkt von Wollustgefühlen werden. Zwischen Wollust und Grausamkeit oder
Schmerz bestehen nahe Beziehungen, und zwischen Lust und Unlust sind eigen¬
tümliche Verkettungen vorhanden, wie sie auch regelmässig beim Coitus der
Gesunden und nach demselben mehr oder minder deutlich ins Bewusstsein
treten. Hier liegen nach Eulenburg die Wurzeln des Sadismus und Maso¬
chismus. An diese Darlegungen schliessen sich im vorliegenden Hefte bio¬
graphische und literarische Hinweise auf Marquis de Sade und Sacher-
Masoch an und leiten zur speziellen Symptomatologie und Entwickelungs-
gesohichte der besprochenen Erscheinungen hinüber. Die Schrift ist höchst
interessant; die Schlaglichter, die auf den lyrischen Stimmungsgehalt der
heutigen Poesie fallen, sind frappirend. Die Lektüre des Baches ist durchaus
zu empfehlen. Dr. Lewald-Obernigk.
Dr. Havelook Bill«: Geschlechtstrieb and Schamgefühl. Autori-
sirte Uebersetzung von Julia E. Kötseher unter Bedaktion von Dr. Max
Kötscher. Zweite unveränderte Auflage. Würzburg 1902. Verlag von
A. Stüber (C. Kabitzsch). Preis: 5 Mark.
Das vorliegende Buch zerfällt in drei gesonderte Abschnitte, die dem
Verfasser nothwendige Prolegomena für eine Analyse des geschlechtlichen In¬
stinktes zu sein scheinen, welche ja die Hauptrolle bei einer Erforschung der
Gescblechtsphysiologie spielen muss. Die erste Studie führt den Titel: Die
Entwicklung des Schamgefühls. Dies Gefühl wird definirt als die
Besprechungen.
629
instinktive Fnroht, die znm Verheimlichen, zum Verbergen treibt; dies Ge*
fühl bezieht sieh gewöhnlich auf die sexuellen Vorgänge. Es ist zwar beiden
Gesehleehtern gemeinsam, tritt aber doch beim Weibe so viel stärker auf als beim
Hanne, dass man es als eins der wichtigsten sekundären Geschlechtscbarakters
des Weibes auf psychischem Gebiete bezeichnen kann. Dem Schamgefühl und
seinem Fortschritt, seiner Ausdehnung und Vertiefung verdanken wir nicht
nur die Verfeinerung und Entwicklung der sexuellen Gefühle, sondern anch
die durchgreifende Bolle, welche die sexuellen Instinkte in der Entwicklung
aller menschlichen Kultur gespielt haben. Dass das Schamgefühl — wie alle
eng verwandten Gefühle — auf Furcht, einer der primitivsten Gefühle, be¬
gründet ist, wird allseitig zugegeben werden müssen. Schamgefühl ist eine
Anhäufung von Furchtgef üblen, und man kann hauptsächlich zwei Furchtge¬
fühle unterscheiden: das eine, von noch vormenschlichem Ursprung und nur
vom weiblichen Wesen ausgehend, das zweite von ausgesprochen menschlichem
Charakter und eher sozialem als sexualem Ursprung. Das erste Gefühl ist
ursprünglich dazu geschaffen, den agressiven Hann fernzuhalten, fordert aber
vielmehr ihn zu seiner Ueberwindung auf; unter den Furchtgefüblen mehr
sozialen Ursprungs steht in erster Linie die Befürchtung, Ekel zu erregen.
Da die Verdauungs- und Geschlechts-Exkrete und -Sekrete entweder nutzlos
oder nach weitverbreiteten primitiven Anschauungen sogar höchst gefährlich
sind, wurde die genito-anale Region zum gemeinsamen Hittelpunkte des Ekels.
Im Zusammenhang damit ist eine ganz spezielle Art des Schamgefühls bei
wilden Völkern sehr interessant, nämlich das Gefühl der Schamlosigkeit in
Bezug auf das Essen. Wo dieses Gefühl besteht, wird das Schamgefühl duroh
gemeinschaftliches oder öffentliches Essen schwer verletzt; neben anderen Rei¬
senden erzählt z. B. v. d. Steinen in seinem bekannten Buch über Brasilien,
dass die Bakairi in Zentralbrasilien ein Schamgefühl bezüglich ihrer Nacktheit
nicht kennen, aber nicht gemeinschaftlich essen. Sie ziehen sich zum Essen
zurück; v. d. St. bemerkte, dass sie ihren Kopf in beschämter Verwirrtheit
hängen Hessen, als sie ihn selbst öffentlich essen sahen. — Neben dieser Furcht,
Ekel zu erregen, beruht das Schamgefühl häufig auch auf gesellschaftlichen
und rituellen Rücksichten. Ursprünglich ist jedes Schamgefühl ganz unab¬
hängig von der Kleidung, die nicht sowohl den Zweck hat, die Geschlechts¬
organe zu verbergen, als vielmehr sie hervorzuheben, da Nacktheit eben keuscher
ist, als theilweise Verhüllung. Als die physiologische Grundlage des Scham-
geftlhls sieht unser Autor den vasomotorischen Hecbanismus an, dessen sicht¬
bares Zeichen das Erröthen ist. Alle verwandten Abarten der Furcht: Scham,
Schüchternheit, Aengstlichkeit, werden in gewissem Grade von diesem Hecha-
niamus getragen. Es ist daher auch bis zu einem gewissen Grade richtiger,
zu sagen, dass Menschen schamhaft sind, weil sie erröthen oder fühlen, dass
sie erröthen können, als dass sie erröthen. weil sie schamhaft sind. Eine merk¬
würdige kompletäre Beziehung besteht zwischen dem Gesicht und der regio
sacro- pubica als anatomischem Sitz des Schamgefühls. Wo — wie bei den
mohamedanischen Völkern — das Gesicht der Brennpunkt des Schamgefühls ist,
wird die Blossstellnng des übrigen Körpers ganz gleichgültig behandelt; jeder
Arzt hat gesehen, dass bei einer Untersuchung der Geschlechtsorgane Frauen eine
Beruhigung darin finden, ihr Gesicht in den Bänden zu verbergen, obwohl gerade
diesem Körpertheil nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Der zweite Abschnitt behandelt die Erscheinung der sexuellen
Periodizität. Wie Rythmus überhaupt das Kennzeichen jedes biologischen
Vorganges ist, so sind auch in der ganzen pflanzlichen und thierischen Welt
die geschlechtlichen Funktionen periodisch. Die Menstruation, die ihrem Wesen
nach eigentlich ganz unbekannt ist, mit ihrem starken Einfluss auf die soziale
Stellung des Weibes, hat im Geschlechtsleben des Mannes einen Parallelvor¬
gang; auch beim Manne werden monatliche Schwankungen und Aenderungen
von körperlichen und geistigen, von gesunden und kranken Eigenschaften beob¬
achtet. Von einigen Autoren wird ein Zyklus von 23 Tagen behauptet; es
scheiut, als ob die Pollutionen ebenfalls eine gewisse Periodizität innehalten.
Nelson, Professor für Biologie, veröffentlichte 1888 im American journal of
psychology eine Studie über eigene Träume und Pollntinnen auf Grund zwei¬
jähriger eigener Beobachtungen und glaubte, alle 28 Tage einen Höhepunkt
der Träume und Pollutionen konstatiren zu dürfen. Eine andere eigene, durch
12 Jahre hindurch geführte Beobachtung schien einen deutlich wöchentlichen
580
Besprechungen.
Rythmus hinsiohtlich der Pollutionen erkennen zu lassen. Immerhin ist die
ganse Frage noch nicht spruchreif.
Der dritte nnd grösste Abschnitt des Boches behandelt den „Auto-
Erotismus“, d. h. das Phänomen der spontanen geschlechtlichen Erregung
ohne irgend welche Anregung, direkt oder indirekt, seitens einer anderen
Person. Dies Oebiet ist sehr ausgedehnt; es erstreckt sich von den ge¬
legentlichen wollfistigen Tagesträumen, bei denen das Indiriduum völlig passiv
bleibt, bis zu den beständigen schamlosen Versuchen zur geschlechtlichen
Selbstbefriedigung, die man häufig bei Geisteskranken beobachtet. Die typische
Form des Autoerotismus aber ist die gesteigerte geschlechtliche Erregung wäh¬
rend des Schlafes. Der Verfasser bringt ein riesenhaftes Th&tsachen-Material
zusammen; bespricht die Masturbation bei Thieren, bei unkultivirten Völkern,
den Missbrauch gewöhnlicher Geräthe und Gegenstände (Haarnadeln), die Unter¬
schiede der erotischen Träume bei Mann und Weib und kommt dann eingehend
auf die Beziehung dieser Erscheinung zur Hysterie zu sprechen. Er zeigt
ausführlich, welche Umwandlungen die Lehre von den Ursachen der Hysterie
im Laufe der Zeit erfahren hat, und erklärt, dass er der neuesten Theorie von
Freud und Breuer sympathisch gegenübersteht, ohne damit die ganze Frage
als definitiv gelost zu betrachten.
Was die Häufigkeit der Onanie anbetrifft, so wird Burger’s An¬
sicht, dass 99 Prozent aller jungen Männer und Frauen gelegentlich mastur-
biren, während der Hundertste die Wahrheit verbirgt, als zu weitgehend be¬
zeichnet; Moraglia stellt durch Nachfragen 60 Prozent fest. Ob diese Ge¬
wohnheit bei Männer oder Frauen häufiger ist, ist zweifelhaft Betau’s
Selbstbewahrung und ähnliche Litteratur unserer Tage hat übrigens, wie der
Verfasser des Näheren ausführt, schon Anfang des 18. Jahrhunderts einen Vor¬
läufer gehabt in dem Buche eines Engländers, das 80 Auflagen erlebt haben
soll und in welchem eine „stärkende Tinktur“ empfohlen und in den mitabge-
druekten Briefen der Patienten gelobt wird. Entgegen der früher herrschenden
Ansicht von der grossen Gefährlichkeit und Schädlichkeit der Onanie vertritt
Verfasser den Standpunkt, dass massige Masturbation bei gesunden, erblich
nicht belasteten Menschen keine verderblichen Folgen hat. Masturbation
schadet nicht mehr und nicht weniger, als geschlechtlicher Verkehr, der ebenso
häufig und bei demselben allgemeinen Gesundheitszustände, in demselben Alter
unter anderen Verhältnissen gepflogen wird. Als allgemeine Regel stellt Autor
die Ansicht auf, dass, wenn Masturbation nur in langen Zwischenräumen geübt
wird, und um faute de mieux Erleichterung von psychischem Druckgefübl und
geistigem Unbehagen zu erzielen, sie als ein natürliches Resultat unnatürlicher
Umstände betrachtet werden kann. Wenn sie aber, wie es bei Degenerirten
häufig vorkommt und wie es bei schüchternen und phantasiereichen Personen
auch manchmal der Fall sein kann, dem geschlechtlichen Verkehr vorgezogen
wird, dann ist sie sofort anormal und kann möglicherweise zu einer Reihe von
geistigen und körperlichen schädlichen Folgen führen. — Eine kurze Ueber-
sieht über die Beurtheilung, welche die Onanie bei verschiedenen Völkern und
in den verschiedensten Religionen findet, bildet den Schluss des dritten Ab¬
schnittes des Baches. Im Anhang wird zunächst der Einfluss der Menstruation
auf die Stellung der Frau, dann eine Arbeit von Perry-Coste über Sexual-
Periodizität beim Manne im Auszug wiedergegeben und schliesslich der auto¬
erotische Faktor in der Religion besprochen.
Die Lektüre des Buches fesselt durch die ausserordentliche Belesenheit
des Verfassers, durch seine Fülle von Beobachtungen und durch den kritischen
Geist, von dem es durchweht wird. Dt. Lewald-Obernigk.
Prot Dr. mod. Max Fleaoh, Frauenarzt, nnd Dr. Jur. Ludwig Wezt-
halmer, Rechtsanwalt in Frankfurt a. M.: Geschlechtskrankheiten und
Rechtsschutz. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1908. 82 Seiten.
Preis: 2 Mark.
Mit Rücksicht auf die Erweiterung unseres medizinischen Wissens be¬
züglich der Geschlechtskrankheiten und ihrer Folgen wird sehr eingehend die
Notwendigkeit einer Abänderung der zivilrechtlichen, dagegen nicht der straf¬
rechtlichen Bestimmungen erörtert und zwar werden bezüglich der Ehe folgende
rderungen gestellt':
Besprechungen, 531
1. Gonorrhoe and Syphilis gelten eo ipso, weoa sie während der Sh» hei
«Sem Ehegatten direkt oder indirekt Auftreten, als Kheecbeidungsgrned, ohne
8c6b es des Nachweises des Ehebrüche bedarf.
2. Die Zulassung der EideaiUBcbiebung «lg Beweismittel in allen den
Ehesachen. die auf das Auftreten ros Syphilis und Gonorrhoe gestützt Bind,
für die Tatsachen, welche sich auf die Entstehung und Art der Krankheit
bestehen.
S. Entbindung des behandelnden Arztes von Wahrung des Berufsgeheim¬
nisses in solchen Ehesachen.
Betreffs der Entschädigung des mit einer Geeeblechtskrenkbeit Infisierten
wird verlangt, dass schon Ah* VeraBlaswang einen Grund «uw. Schadenersatz
abgibt und «war ohne Unterschied, ob die Infizu rang beim eheliches oder
angserehelichen Geschlechtsverkehr erfolgt; mindestens aber müsse umgekehrt
dem Urheher des Schadens die BeWöislMt aufgebürdet werden, daee der Schaden
itrotg der von ihm angewändeten ordnnngsmässige» Sorgfalt eingetreteß i«t.
„Aber auch dieec Besömmuagen würde» ohne praktiacben Wert aein,
solange nicht durch eine Umwandlung der Sitten häutiger Ansprüche auf
Schadenersatz geltend gemacht würden« Erst wenn die Auffosttaeg eine allge¬
meine Wird, in jedem Akte geschlechtlichen Verkehrs nicht «inen Moment
Süchtigen Siaacafaasches, sondern ein folgenrchwerca Handeln in «eben ood
wenn derjenige, 4er eich dieser Verantwortung entricht, der allgemeinen Ver¬
achtung anheimfXllt, wird aus dem Kampfe gegen die venerischen Seuchen sin
sittlicher Portschritt der Menschheit hemrgehenA
Dieser Standpunkt des Verfassers ist ein »ehr idealer und bann man
nur wünsch«», dass ihre Hoffnungen in Erfüllung gehen. Im übrigen habe»
die Verhandlungen des Frankfurter Kongresses doch etwas andere Ansichten,
nicht nur der Juristen, sondern auch dar Mediriaer ergeben.
Dr. Bloh nse wa kl-Nieder breieig».Rh.
Dr. Bexxutrd Boiiniki, PrivatdoieflifttrGyn&koIogie in Königsberg.' Die
Syphiliu La der Schwacuger&obaft. Verlag von Ferdinand Enke.
Stuttgart 1903. 206 Seiten. Preis: 10 Mark.
Es handelt sich utn eine Monographie über das gesamte Gebiet der fatalen
Lues, insbesondere über die uterine Uebertragnng, teils referierend, teils be¬
sonders in den konträrer»*» Punkten, auf Grund persönlicher Erfahrungen bezw.
Untersuchungen, ho t. 8. betreffs der postkonzeptiönellea lieber tragung. Be¬
sonders eingehend erörtert und durch vorzügliche farbige Ülustrationen er¬
läutert werden die spezifischen Plazentarreirändernngen, aaf Grund deren Ver¬
fasser iß Sehr abweichenden ScblÜsBen kommt.
Dan .Buch ist nicht nur fürSpezialistes geschrieben, sondern ancb für
den praktischen Arzt, dem es durch seine übersichtliche Anordnung des Stoffes
eine schueUe Orientierung hd den toannigfacben Kombinationen ermöglicht.
Unter de» heutigen Verhältnissen wichtig sind neben anderen auch die Fragen
betreffs de» Ehekoasenses der SyphUitikar.
Dr. Blokuss wski-Ntederbreiaig a. Bb.
Prot Dr. Dranaalt* - Graz; Physiologische und sozial - hygleniaohe
Stadien über S&aglinga-Eraahrung und Säuglings-Sterblichkeit.
Mit mehreren Abbildungen und Tabellen. München 1902. J. F. Lehmanns
Vertag» Gr. 8«, 128 S. Preis: 8 Mark.
Der Verfasser bringt eine Menge Zahlen über den Nahrttogabedarf seiner
Kinder während des erste« Lebensjahres« Eine VeraUgemMnsrung dürfte nicht
ohne weiteres zulässig sein. Er wendet sich nach ausführlich begründetem
Hinweis auf die grossen Schwankungen in der chemischen Zusammensetzung
der Milch gegen die Sitte, die für den Säugling berauriebtende Milch, ohne
im speziellen Falle ihre Zna&mmenaetsanst za kennen, »ach irgend einer Vor«
schrift zu verdünnen. Nach Ansicht des Referenten uaferschätat P. die prak¬
tische Einsicht einer ihr Kind beobachtenden Mutter, Wo aber Unvernunft
und Böswilligkeit dem Säugling ans Milch «inen Gifttrank bereiten, da hilft
auch — «o Ist es wenigstens in der Heimat des Beferenten — der ärztliche
Bat nichts. P. gibt an, dass in Graz die bisherigen Versnob« zur Bekämpfung
der Säuglingssterblichkeit kein deutlich sichtbares Re«uH*t»g«haht haben nnd
t)r. Kauwerck.
618
Stellung als durch andere von dem praktischen Arzt beherrschte
Untersuchungsmethoden ermöglicht. Diese Bedingungen sind er¬
füllt: die desinfizierte Fingerbeere mit einem Messer anzustechen
und das Blut in einem sterilen Röhrchen aufzufangen, ist ein
Verfahren, das jeder Arzt ohne Vorübung auszuführen im Stande
ist. Der Patient selbst wird in keiner Weise geschädigt; die
kleine Wunde heilt schnell, stets ohne Störung. Hat der Staat
auf Grund der Erfahrung, dass eine Impfung mit Tierlymphe die
Erkrankung an Pocken wesentlich vermindert, die Impfung aller
Kinder angeordnet, eine Massnahme, die jedenfalls stets eine leichte
Erkrankung setzt, so kann er eine yiel leichtere Operation, bei
der ein Krankheitsstofi dem Körper nicht eingeimpft wird, mit
demselben Recht obligatorisch machen. Die dritte Frage, ob durch
diesen geringfügigen Eingriff eine schnellere Diagnose gestellt
werden kann, ist in dieser Abhandlung bejaht. Deshalb ist es
im Interesse der Verhütnng der weiteren Verbreitung des Typhus
notwendig, dass die Entnahme des Blutes bei typhusverdächtigen
Personen zur Untersuchung gesetzlich gefordert und jeder Arzt
verpflichtet wird, dies zu tun. Eine natürliche Folge dieser
Forderung ist die Einrichtung hygienischer Zentralen in jedem
Regierungsbezirk, welche die Aufgabe haben, die eingesandten
Blutproben zu untersuchen.
Diese Erwägungen führen zu folgenden Schlusssätzen:
1. Blutserum, welches die charakteristische Widal’sehe
Reaktion ergiebt, stammt von Typhuskranken.
2. In bei weitem der grössten Mehrzahl der Typhusfälle
(95 unter 100) ist die Reaktion eine positive, gewöhnlich schon
zu einer Zeit, in der die Diagnose Typhus durch Beobachtung des
klinischen Verlaufs der Krankheit nicht gestellt werden kann.
3. Eine wirksame Bekämpfung des Typhus ist bei exakter
frühzeitiger Diagnosenstellung möglich.
4. Da die Wi dal’sehe Blutprobe die Diagnose Typhus
frühzeitig zu stellen ermöglicht, so ist die Blutentnahme zum
Zweck der Untersuchung in allen typhusverdächtigen Fällen mög¬
lichst am Tage der Uebernahme der Behandlung von jedem Arzt
gesetzlich zu fordern.
5. Ein positives Resultat ist dem beamteten Arzt sofort
mitzuteilen.
6. In jedem Regierungsbezirk ist staatlicherseits ein Institut
zur Vornahme der Blutuntersuchung zu errichten.
Ein Beitrag zur Widal’schen Probe.
Von Kreisarzt Med.-Bat Dr.Nauwerck in Gohran.
Dem hiesigen Kreiskrankenhause wurde von dem behandeln¬
den Arzte am 16. April 1902 die im 5. Monat schwangere
Knechtsfrau Sch. aus Tscheschkowitz überwiesen, weil Erschei¬
nungen bei ihr eingetreten waren, die möglicherweise die künst¬
liche Entbindung notwendig machten.
Bin Beitrag zur Widalechen Brote.
m
Brau Sch., snm ersten Male schwanger, 24 Jahre alt. hatte Oedeme des
Gesichtes, der Arme and Beine, der Genitalien, war komatös, nnd entleerte
nur wenig dunklen, trüben Urin mit so viel Eiweiss, dass er beim Kochen
gerann. Oie Temperatur betrag am 16. abends 38,6, am 17. 38,9°, stieg am
18. abends anf 40°. Es gelang in einigen Tagen die drohenden Erscheinungen,
welche den Ausbruch der Eklampsie befürchten Hessen, zu mildern und die
Funktion der Nieren wieder herzustellen, die Oedeme verloren sich ebenfalls
nach und nach, die Hyperämie der Nieren konnte etwa nach 5—6 Tagen als
überwunden angesehen werden. Aber das Fieber blieb, die Temperaturen waren
in den ersten Wochen durchschnittlich morgens 39°, abends 39,6°, am 24.
erfolgte morgens ein Abfall auf 38,5°, dem am 25. ein neuer Anstieg folgte.
Ans dem Widersprach zwischen der Besserung von seiten
der Nieren nnd den Fieberverhältnissen musste die Diagnose auf
Nephritis, mit der die Kranke eingekommen war, darauf be¬
schränkt werden, dass eine vorübergehende Hyperämie der Nieren
Vorgelegen hatte, wie sie schon bald nach Beginn des entzünd¬
lichen Prozesses bei infektiösen Krankheiten vorkommt, dass aber
eine andere Grundkrankheit vorlag. Als solche wurde aus dem
weiteren Verlaufe Unterleibstyphus klinisch festgestellt. Frau
Sch. machte einen mittelschweren Typhus durch und war am
10. Mai dauernd entfiebert, wurde am 4. Juni aus dem Kranken¬
hause entlassen.
Die Schwangerschaft war erhalten geblieben; am 21. Mai
entnahm ich eine Blutprobe, die dem Königl. hygienischen Institut
in Breslau übersandt wurde, die dort vorgenommene Wi da Ische
Probe fiel positiv aus.
Für die zu erwartende Entbindung der Frau Sch. hatte ich
der betr. Hebamme Probegläschen gegeben mit der Anweisung,
beim Durchschneiden der Nabelschnur aus deren Gefässen Blut
aufzufangen. Dies gelang auch der Hebamme, am 21. August
erhielt ich die Nachricht, dass ein gesunder Knabe von 47 cm
Länge und 8 kg Gewicht geboren war, und ein Gläschen mit
Blut. Dies wurde sofort nach Breslau eingeschickt, von wo mir
die Nachricht wurde, dass die Wi dal sehe Probe negativ ausge¬
fallen sei. Leider hatte sich die Wöchnerin nicht mehr zur noch¬
maligen Entnahme ihres eigenen Blutes bereit finden lassen, so
dass die Kontrollprobe über das Verhalten des mütterlichen Blutes
am 21. August fehlt.
Ich muss gestehen, dass ich ein anderes Ergebnis erwartet
hatte; in der mir zugänglichen Literatur hatte ich über einen
derartigen Versuch nichts gefunden, doch ist der Typhusbacillus
in der Milz eines 4 monatlichen, durch Abort abgegangenen Fötus
einer typhösen Mutter nachgewiesen worden (Neuhauss). In der
Mehrzahl der Fälle starben in den früheren Monaten der Schwan¬
gerschaft bei Typhus die Früchte ab, es tritt Abortus ein, wobei
dahin gestellt bleiben mag, ob der Typhusbacillus, in sie übergehend,
den Tod verursacht, oder ob die höheren Fiebergrade, wie auch in
anderen Krankheiten, zum Abortus führen. Die Dauerhaftigkeit der
Wi dal sehen Probe, die mehr eine Immunitäts-, denn Infektions¬
reaktion ist, ist bekanntlich verschieden, von einigen Wochen bis
zu vielen Jahren; es kann also, da das Blut der Mutter am
21. Mai die Reaktion noch gegeben hatte, genau 3 Monate nachher
52Ö
Atu Versammlungen tind Vereinen,
das Blut des Kindes aber nicht, aus letzterem Umstande nur ge¬
schlossen werden, entweder, dass die Frucht vom Typhus nicht
befallen, also nicht immun geworden, oder, dass die Immunität
bereits erloschen war.
Leider ist mir ein ganz analoger zweiter Versuch nicht
gelungen, weil bei der Abnabelung des schon einige Zeit geborenen
Kindes Blut nicht mehr ausfloss, ein anderer Modus der Gewin¬
nung von Blut aber nicht zugelassen wurde. Immerhin dürfte
die kleine Mitteilung einiges Interesse erregen, wenn sie auch
nach keiner Seite schlüssig ist.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht Aber die dienstliche Versammlung der Medisinal-
Beamten des Regierungsbezirks Osnabrück in Osnabrück
am %3. Oktober 190%.
Anwesend sind: Reg.- und Med. - Rat Dr. Grisar-Osnabrück, Vor¬
sitzender, die Kreisärzte: Med.-Rat Dr. Schierney er-Osnabrück, Med.-Rat
Dr. sum Sande-Lingen, Med.-Rat Dr. T 0 b b e n - Osnabrück - Land, Med.-Rat
Dr. Th ölen-Papenburg, Med.-Rat Dr. Heilmann-Melle, Dr. Petermöller-
Meppen, Dr. Holling-Sögel, Dr. Strangmeier-Bersenbrück, Stadtarst
Dr. Ritter-Osnabrück, San.-Rat Kreisphysikus a. D. Offenberg -Osnabrück,
Direktor der Hebammenlehranstalt Dr. Rissmann-Osuabrück und die pro
physieatn geprüften Aerste: San.-Rat Dr. Kanzler-Rothenfelde, Dr. Weit-
höner-Buer, Dr. Kreke-Bersenbrück.
Nach einer kurzen Begrüssung der Versammlung durch den Herrn
Regierungsprisidenten v. Barnekow, welcher bedauert wegen besonderer
Abhaltung nicht ltngere Zeit den Verhandlungen beiwohnen su können, werden
die Verhandlungen eröffnet.
L Ländliche Krankenpflege. Der Referent, Med.-Rat Dr. Heil¬
mann-Melle, führt in einem längeren, höchst fesselnden Vortrage, in dem er
die rersohiedensten sozialen und ärztlichen Verhältnisse streift, etwa folgendes
ans: Zar Verbesserung der häuslichen Krankenpflege empfiehlt sich die An¬
stellung Ton Gemeindepflegerinnen. Laienschwestern, die aus der Ge¬
meinde selbst stammen und mit Sitten und Gebräuchen der Bevölkerung ver¬
traut sind, sind den Ordensschwestern, denen diese Kenntnis von Land und
Leuten meistens abgeht, entschieden vorzuziehen, besonders in konfessionell
gemischten Gegenden. Die Pflegerinnen müssen genügend bezahlt werden und
einen Pflegekasten haben, der folgende Gegenstände zu enthalten hat:
Irrigator, Katheter, Injektionsspritze, Thermometer, Luft- und Wasserkissen,
Steckbecken, Eisblase, Mundspatel, Einnahmeglas, Gummi -Bettunterlagen,
Wärmflaschen (gebogene für den Leib), Anweisung zur Desinfektion der Ab¬
gänge von Kranken, welche an ansteckenden Krankheiten leiden. Diese Zu¬
sammenstellung würde für etwa 150 Mark su beschaffen sein. Die Ausbil¬
dung der Schwestern sollte nicht in den ganz grossen, sondern vorzugsweise
in mittelgrossen Krankenhäusern erfolgen. Eine gewisse Kontrolle der
Berufstätigkeit der Pflegerinnen übt schon der behandelnde Arzt aus; Revi¬
sionen des Instrumentariums könnte der Kreisarzt besorgen, welcher auch von
Zeit sn Zeit nach dem Zeugnisse des in Betracht kommenden Arztes eines
Wiederholungskursus im Krankenhause veranlassen könnte.
Die vielfach ausgesprochene Befürchtung, dass die Pflegerinnen Kur¬
pfuscherei betreiben, oder den einen oder anderen Arzt besonders bevorsngea,
teilt Referent nicht. Die Schuld in letzterer Hinsicht liegt meistens an des
Anraten selber, welche die Pflegerinnen nicht genügend heranziehen. Zum
Kurpfuschen kommen die Schwestern hauptsächlich dann, wenn solches Treiben
von einflussreicher Seite protegiert wird; in dieser Beziehung sündigen nach
Bj Erfahrungen vielfach der Adel, die Geistlichen und besonders die Lehrer.
Aus Versammlungen and Vereinen.
521
Vorgebeugt wird der Kurpfuscherei seitens der Pflegerinnen auch dadurch, dass
man eine gewisse Beschränkung bei der Ausbildung der Pflegerinnen walten
lässt. Es ist in dieser Hinsieht nicht genug zu warnen vor zu hohen Anforde¬
rungen; insbesondere taugt eine za spezialistische Ausbildung nicht.
Die Frage, ob es angebracht ist, den Samariter-Vereinen auf dem
Lande Eingang zu verschaffen, muss entschieden verneint werden. H. hat viel¬
fach den Eindruok gewonnen, als ob es sich dabei um eine Art von Sport,
hauptsächlich für ältere Damen, handelt; praktische Erfolge hat er nicht
gesehen.
Die Errichtung und Verwaltung der Krankenhäuser soll womöglich
von den politischen Gemeinden, und nicht von den kirchlichen Gemeinden Über¬
nommen werden. In konfessionell gemischten Gegenden führen konfessionelle
Krankenhäuser leicht zu einer gewissen Bivalität und Spannung zwischen den
Konfessionen; die Kräfte werden zersplittert und es kommen infolgedessen nur
kleinere, nicht recht lebensfähige Krankenhäuser zustande. H. hat in dieser
Beaiehung ungünstige Erfahrungen in der Stadt Melle gemacht, wo ein pro¬
testantisches und ein katholisches Krankenhaus kurz nacheinander errichtet
wurden. Die ganz kleinen Krankenhäuser hält er überhaupt nicht für zweck¬
mässig. Nach seiner Ansicht empfiehlt sich bei Errichtung von Krankenhäusern
am besten folgender Modus: In der Kreisstadt wird ein grösseres, allen An¬
forderungen der Neuzeit entsprechendes Krankenhaus errichtet. Die kleineren
Krankenhäuser in den umliegenden Gemeinden sollen mehr als Siechenhäuser,
resp. Pflegehäuser dienen; für ihren Bau müsste in Bezug auf die zu stellenden
Anforderungen eine grössere Licens Platz greifen. Die operative Behandlung
soll hauptsächlich in dem grösseren Kreiskrankenhause statt finden. Die Aerzte
des Kreises hätten diesem die geeigneten Fälle zuzuftthren, welche sie dann
gemeinschaftlich mit den am Orte befindlichen Aerzten weiter behandelten.
Auf diese Weise wäre es vielleicht möglich unter den Aerzten des Kreises
einen gewissermassen „genossenschaftlichen“ Betrieb in der Krankenbebandlung
in den Krankenhäusern einzurichten; es Hessen sich hierdurch geradezu ideale
Verhältnisse erreichen.
Referent kommt dann auf die Lungenheilstätten zu sprechen,
deren Bau jetzt als eine Art Sport betrieben werde. Nach eigener Anschauung
der Einrichtung und des Betriebes einer solchen Heilstätte und vielfachen Er¬
fahrungen aus der Praxis kommt er zu einem sehr ungünstigen Urteile. Die
Behandlung in den Heilstätten erfolgt zu schematisch, dieselben sind blosse
„Mastanstalten“, in denen die Kranken einer „akuten Mästung“ unterworfen
werden. Die in solcher Behandlung erreichte Gewichtszunahme verlieren die
Patienten nach Verlassen der Anstalt ebenso schnell wieder, wie sie erreicht
wurde, die Krankheit kommt erneut zum Ausbruch und verläuft bösartiger.
H. formuliert das Ergebnis seiner Ausführungen dann in folgenden
Sätzen:
„1. Jede Gemeinde lässt sich eine Pflegerin ausbilden,
welche aus der Gemeinde stammt, sie wird mit einem Pflege¬
kasten ausgerüstet.
2. Diese Schwestern fallen fort, wenn in Gemeinden
Pflegehäuser eingerichtet sind, deren Bau möglichst be¬
fördert wird. Für den Bau dieser Pflegehäuser werden ein¬
fachere Vorschriften erlassen.
3. In jedem Kreise ist ein Krankenhaus zu gründen, in
dem sämtliche Aerzte des Kreises praktizieren — ein ge¬
nossenschaftlicher Betrieb —.
4. Lungenheilstätten mit jetziger schematischer Be¬
handlung werden nicht weiter gebaut. Die Regierung hat ein
Preisschreiben zu veranlassen, in welchem die Behandlung in
den Lungenheilstätten, in welchen speziell unbemittelte
Patienten untergebracht werden sollen, festgestellt und
festgelegt wird.“
Zum Schluss spricht Referent noch über Desinfektion und bringt
seine teilweise etwas eigenartigen Ansichten hierüber vor. Im allgemeinen hält
er es für ausreichend, wenn in jedem Kreise 1 bis 2 Dampfdesinfeftiontapparate
aufgestellt werden. Nach seinen Erfahrungen kann erden Spring fei d scheu
Atu Versammlungen and Vereinen.
fcivi
Kettenapparat nr Formalin - Desinfektion nicht empfehlen. Die Glieder der
Kette gehen leioht aaseinnnder and nach die Menge des wirklich verdampften
Formaline lieat eich nicht kontrollieren.
Der Korreferent, Kreisarzt Dr. Quentin* Bentheim, ist am persönlichen
Brecheinen verhindert and hat ein schriftliches Referat erstattet onter spe¬
zieller Berücksichtigung der Verhältnisse des Kreises Bentheim. Danach üt
anoh er der Ansicht, dass Bau und Verwaltung von Krankenhäusern in
gemischt-konfessionellen Gegenden nur den politischen Gemeinden überlassen
werden sollte; überlässt man sie den kirchlichen Gemeinden, so kommt man au
Verhältnissen wie jetzt in der Stadt Bentheim, wo ein protestantisches und ein
katholisohes Krankenhaus besteht, beide sind nicht recht lebensfähig und ent¬
sprechen in ihrer Einrichtung nicht den modernen Anforderungen. Er empfiehlt
hauptsächlich die Einrichtung von Pflegerinnen-Stationen; für diese
aber ebenfalls, trotz der von ihm voll gewürdigten guten Eigenschaften der
Ordensschwestern, in konfessionell gemischten Gegenden aus praktischen Gründen
nur weltliche Pflegerinnen, die den politischen Gemeinden angegliedert werden
müssten. Die Pflegerinnen, etwa von der sozialen Stellung der Hebammen,
rekrutieron sich am besten aus Mädchen, jungen Frauen oder Wittwen des
kleineren Bürgerstandes. Ihre Ausbildung soll in einem grösseren Kranken¬
hause erfolgen. Sehr wichtig ist es, dass die Pflegerin, ausser einer ge¬
nügenden Ausbildung in der eigentlichen Krankenpflege, auch befähigt ist, im
Haushalte mit einsugreifen, was auf dem Lande, besonders bei Erkrankung
der Hausfrau, oft last wichtiger ist, als die Krankenpflege selbst. Die Ge-
melndepflegerin muss mit Sitten, Gebräuchen und Sprache der Bevölkerung
völlig vertraut sein; sie muss womöglich aus der Gemeinde stammen, worin
nie pflegen soll. Für ®*ie Leistungen der Pflegerin wäre ein bestimmter Ge-
bührensala f«Staustellen, oder sie wird von der Gemeinde besoldet; letzteres
hat aber gewisse Nachteile; besser erscheint es, ihr ein Mindesteinkommen
au gewähren. Für die kleinen Leute müsste die Pflege womöglich unent¬
geltlich sein.
An der Diskussion über die beiden Vorträge beteiligt sich lebhaft
die Mehrzahl der Anwesenden. Im grossen und ganzen finden die Ausführungen
beider Heferenten die Zustimmung der Versammlung. Nur über die Frage,
ob es awoekttäasig sei, die Krankenhäuser den politischen Gemeinden anzu-
gltedera, oder sie wie bisher den kirchlichen Gemeinden zu belassen, bestehen
Meinung« Verschiedenheiten. Ebenso über die Frage, ob Laienschwestern, oder
Ordensschwvstern als Gemeindepflegerinnen vorzuziehen seien; die Mehrzahl ist
allerdings der Ansicht, dass in konfessioneil gemischten Gemeinden Laien-
Schwestern den Vorzug verdienen. Heilmanns Vorschläge über die Anage-
staltmag de* Kraakeahaasweaeas in den einzelnen Kreisen (1 zentrales Kreis-
krankenbaus and Gemeinde - Pflegehäaser) begegnet vielfachen Widerspruch.
Sein« ungünstige Ansicht über die bisherigen praktischen Erfolge und den
schematiechaa Betrieb der Lungenheilstätten wird von Grisar und Tholen
geteilt. Kanzler and zum Sande schieben einen grossen Teil des bis¬
herige« Misserfolges auf nasweokmässige Auswahl des Krankenmaterials (sa
weit fortgeschrittene Fälle) und glauben, dass bei zweckmässiger Answahl
doch gut« und dauernde Erfolge erzielt werde« können.
U. Ule Wartefrauaa - Frage. Referent: Dr. Rissmnan, Direkter
dar Frev * HebammenlehraasUlt in Osnabrück.
Hebammen and Wartefrauen werde« in der Gesetzgebung des Deutschen
KncW aU Stiefkinder behandelt. Nicht allein in den Kinzelstnaten sind die
iWummangoa über dz* Hcbamwca w e sea völlig verschiede«, senden nach in
de« «auteln*« ProvtaaM bestehen grosse Pifereazea. Für Wochenhettpflege-
rtanoz vemmse* wir gaseulkhe Bestimmungen gänzlich. E* ist dringend
«-*»***** w*«, dnns möglichst bald die Frage der Wo ch eabe t tgflegerinncn
stazi.jobcrawit* gesetzlich geregelt wird. An» den Akten der Pwv. - Hebammen-
Inbrunst*.'! vtsaahrboh ist za ersehe«, dass bereits im Jahre 1^82 die König!.
b*ancv*r*ofee ».aadiroetei hier mit der Einrichtung von Wärterinnen-Kurzen
v.'rgegauge« w*. l\e Wärterinnen wurden in den Hebammen-Kamen znzgs-
K.; 4 vt. bwrtber erianwne Verordnung enthält Besünnngm über die
\ ortwd^^aag znr Aufnahme and über die Ausbildung der Wärterinnen, w el che
io Anheamobt eoneom. da* *» bereut* vor Jahren erassen ■ udn, all vnr*
Atu Versaintalungeh und Vfeteinen.
623
begliche bezeichnet weiden müssen. Zar Zeit besteht in der Provinz Hannover
diese Einrichtung nicht mehr, leider fehlen auch jegliche Bestimmungen über
einen speziellen Lehrgang, ein bestimmtes Lehrbuch 1 ) ist nicht obli¬
gatorisch, eine Abgangsprüfung nicht vorgeschrieben.
Seit dem 1. April 1902 ist auf Antrag R.s in der hiesigen Hebammen¬
lehranstalt ein dreimonatlicher Kursus für Wochenbettpflegerinnen eingerichtet
Der Unterricht erstreckt sich auf:
1. Grundzüge der Anatomie und Physiologie, namentlich der weiblichen
Beekenorgane,
2. Schwangerschaftsveränderungen und Veränderungen bei der Geburt,
mit besonderer Berücksichtigung der Nachgeburtszeit,
3. Desinfektionslehre in extenso,
4. Pflege der gesunden und kranken Wöchnerin,
5. Pflege der Neugeborenen,
6. Krankheiten der Säuglinge.
Ausführlicheres über die Geburtsvorgänge wird absichtlich
nicht gelehrt. Die Wärterin soll eben am Kreissbette nur in Gegenwart von
Arzt oder Hebamme behilflich snin. B. betont die Notwendigkeit, bei jeder
vom Arzt geleiteten Geburt auch eine Hebamme zuzuziehen, und nicht, wie
vielfach üblich, nur mit einer Wärterin die Leitung einer Geburt zu über¬
nehmen. Er empfiehlt nach Vorgang des Düsseldorfer ärztlichen Vereins, in
Allen ärztlichen Vereinen den Antrag zu stellen, dass die Leitung von Ge¬
burten ohne Zuziehung einer Hebamme von Vereinsmitgliedern nicht ge¬
schehen darf — Notfälle natürlich ausgenommen — und hält ein Gesetz für
wünschenswert, welches Wochenbettpflegerinnen die Ueberwachung von Ge¬
burten direkt untersagt. B. erwähnt dann noch kurz die in den letzten drei
Jahren von anderer Seite veröffentlichten und zu seiner Kenntnis gelangten
Vorschläge zur Regelung der Wochenbettpflegerinnen-Frage und stellt zum
Schluss folgende Thesen auf:
I. Das Gewerbe einer Wochenbettpflegerin darf nur von
solchen Personen ausgeübt werden, welche im Besitze eines
Prüfungszeugnisses von einer, durch den Staat für diesen
Zweck bestimmten, öffentlichen Anstalt sind. Diejenigen im
Berufe befindlichen Wartefrauen, welche diese Bedingung
nicht erfüllen, müssen binnen Jahresfrist sich der vorge¬
schriebenen Prüfung unterziehen. Beobachtung des Geburts-
Verlaufs ohne Arzt oder Hebamme ist Wartefrauen verboten.
II. Vorschriften für den Lehrkursus:
a) Für die Aufnahme ist Geburtsschein (Alter nicht über
46 Jahre), polizeiliches Führungszeugnis und ärztliches Zeug¬
nis zu liefern.
b) Die Befähigung ist durch Zeugnis oder eine Prüfung
naehzuweisen (gute Volksschulbildung genügt wie für Heb¬
ammen).
c) Der Kursus dauert 3 Monate, in demselben erteilt ein
Arzt nach einem Lehrbuche Unterricht, und am Schlüsse ist
vor einer Kommission eine theoretische und praktische
Prüfung abzulegen. Nach bestandener Prüfung findet eine
Vereidigung statt und die Abgabe einer Instrumentontasche
an die Wartefrauen für die Praxis.
UL Vorschriften für die Praxis:
Die Wochenbettpflegerinnen unterliegen in ihrer Praxis
in ähnlicher Weise der Kontrolle wie die Hebammen, d. h. sie
müssen ein Tagebuch führen und alle Jahre dem Kreisärzte
vorzeigen. Kindbettfieber, infektiöse Erkrankungen oder
Todesfälle von Mutter und Kind, sind anzuzeigen und ist ent¬
sprechend den Anweisungen des Kreisarztes zu verfahren.
*) Der Vortragende hat ein sehr empfehlenswertes Lehrbuch kürzlich
herausgegeben: „Lehrbuch für Wochenbettpflegerinnen.“ Von
Dr. Paul Bissmann. Berlin 1902. Verlag von S. Karger. Preis: 1,60 M.
(Bemerkung des Referenten.)
524
Ans Versammlungen und Vereinen»
Alle 3 Jahre findet eine Nachprüf ung statt; bei ungenügenden
Kenntnissen oder Uebersohreitung der Befugnisse kann auf
Geldstrafen, 14tägigem Nachkursus oder Entziehung des Prü-
fungszengnisses erkannt werden.
An der Diskussion beteiligten sich Grisar, Tholen, Többen
Heilmann, Schiermeyer, Kanzler, Bissmann.
Die Ausführungen Kissmanns finden durchweg volle Zustimmung.
Hierauf schliesst der Vorsitzende die Versammlung.
Der grösste Teil der Anwesenden vereinigte sich dann noch zu einem
gemeinschaftlichen Mahle im Hötel Dütting.
Stadtarzt Dr. Bitter-Osnabrück.
Bericht über die Versammlung der Medisinalbeamten der
Provinz Schleswig;-Holstein in Neumünster am 19. April
1903.
Anwesend Reg.- u. Med.-Rat Dr. Bertheau (Vorsitzender), alle Kreis¬
ärzte des Bezirks, Stadtarzt Dr. Schröder-Altona, Gerichtsarzt Dr. Neid¬
hardt-Altona, uie Kreisassistenzärzte Dr. Hillenberg-Oldesloe und Dr.
Schulz-Niebüll und ferner Prof. Dr. Fischer-Kiel als Gast.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gedenkt Reg.- u. Med.-Rat Dr. Ber¬
theau des früheren langjährigen Leiters der Medizinalangelegenheiten der
Provinz, des Geheimrats Prof. Dr. Bockendahl, der nach einem an Arbeit
und Erfolgen reichen Leben am 16. Oktober vor. Jahres abberufen worden ist,
und der beiden gleichfalls seit der letzten Tagung verstorbenen Kollegen,
Kreisphysikus a. D. San.-Rats Dr. Hansen-Niebüll und Kreisarztes Dr. Deth-
lefsen-Plön.
1. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Bertheau erläutert die Verfügungen, welche
seit der vorjährigen Versammlung erlassen sind. Aus der Besprechung sei
hervorgehoben, dass vom Herrn Regierungspräsidenten zum 1. Januar 19U4 die
Einführung einer fakultativen Leichenschau versucht werden soll, in dem Sinne,
dass die Aerzte in den von ihnen behandelten Fällen um Abgabe einer Be¬
scheinigung über die letzte Krankheit ersucht werden und in ärztlich nicht
behandelten Fällen die Einziehung eines Totenscheins dem Belieben der Polizei¬
behörden überlassen bleibt.
2. Med.-Rat Dr. Bockendahl-Kiel erbittet sich die Abschriften der
von den Hebammen ausgefüllten Fragebögen, die er für die Provinz sta¬
tistisch zu bearbeiten beabsichtige.
3. Med.-Rat Dr. Asmussen-Rendsburg bemängelt an den von ver¬
schiedenen Firmen bezogenen Dienstformularen, dass oft bei wichtigen
Fragen zu wenig und bei minder wichtigen zu viel weisser Raum vorgesehen
sei und empfehle es sich daher, im Verein brauchbare Formulare zusammen-
Bestellen, wofür jedoch keine Stimmung vorhanden ist.
4. Med.-Rat Dr. Horn-Tendern wünscht, dass die zwischen Aerzte-
kammer und Provinzialvorstand der landwirtschaftlichen BerufsgenoBsenschaft
vereinbarten Attestformulare und Gebührensätze von den Medizinal-
beamten anerkannt werden, wohingegen von anderer Seite der freien Begut¬
achtung das Wort geredet und eine der Taxe entsprechende Honorarforderang
als angemessen erachtet wird.
5. Med.-Rat Dr. Horn berichtet über die bei der Aerztekammer zur
Verhandlung stehende Gründung einer zwangsmässigen Unterstützungs¬
kasse für die Aerzte des Bezirks, in welohe die Praxis treibenden Kreis¬
ärzte mit einzuschliessen beabsichtigt sei. Man einigt sich in längerer Dis¬
kussion, im Falle eineB Zustandekommens der Kasse auf eine freiwillige Mit¬
gliedschaft der Medizinalbeamten hinwirken zu wollen.
6. Prof. Dr. Fischer dankt zunächst für die Einladung und erbietet
sich zur ferneren Teilnahme, die ihm die erwünschte Gelegenheit gebe, mit
den Kreisärzten dauernd in Fühlung zu bleiben. Darauf referiert er über den
von Geheimrat Dr. Koch am 28. November 1902 vor dem wissenschaftlichen
Senat bei der Kaiser Wilhelms-Akademie gehaltenen, die Bekämpfung des
Typhus behandelnden Vertrag, der in dieser Zeitschrift noch nicht zur Sprache
gekommen ist und daher in seinen Hauptzügen hier mitgeteilt sei: Um eine
Aas Versammlungen and Vereinen.
625
Infektionskrankheit wirksam za bekämpfen, müsse man den Infektionsstoff
sicher and schnell aaffinden and ihn sicher abtöten können. Es sei seit län¬
gerem bekannt, dass diese beiden Vorbedingungen bei der Cholera nnd bei der
Malaria za erfüllen wären, er sei jetzt aber anch in der Lage, den Nachweis
an erbringen, dass auch hinsichtlich des Typhus alle Schwierigkeiten als über¬
wanden gelten müssten. Man könne n&mlich durch das von Drigalski nnd
Conradi aasgebildete Untersuchung verfahren in Verbindung mit der Agglu¬
tinationsprobe innerhalb 20—24 Stunden die Typhneerreger im Stahl sicher
naehweisen; desgleichen sei die frühere Ansicht, dass die Typhnsbazillen sich
jahrzehntelang ausserhalb des Körpers halten und vermehren könnten, nicht
mehr haltbar. Denn wenn der Nachweis von Typhnsbazillen in zweifellos
infiziertem Brunnenwasser so Belten gelinge, so lasse das den Schloss an, dass
sie im Wasser kein langes Leben führen könnten; ferner müfse anch ibro
Lebensfähigkeit im Boden eine beschränkte sein, da sich bei kleineren Epide¬
mien, welche nach dieser Bichtnng bin die grösste Beweiskraft hätten, ver¬
folgen lasse, wie die Krankheit von einem Individuum auf ein anderes über¬
gehe. Der Typhnsbacillns sei daher anch ein obligater Parasit, der sich viel¬
leicht etwas länger im Boden halten könne als der Cholerakeim, aber schliess¬
lich doch anch zu Grande gehe. Um die Richtigkeit dieser Anschauungen an
erweisen, habe er in dem Dorfe Waldweiler, in der Nähe von Trier belegen,
einen alten Typhnsherd aufgesucht, hier alle für Diagnostik and Behandlung
nötigen Veranstaltungen getroffen nnd dann die Epidemie einer näheren Unter¬
suchung unterzogen. Dabei habe sich herausgestellt, dass ausser den 8 ärzt¬
licherseits angemeldeten nooh 64 andere Individuen mit Typhnsbazillen be¬
haftet gewesen wären, die sich entweder vollkommen wohl gefühlt, oder
nnr geringfügige Krankheitserscheinungen hätten erkennen lassen. Wenn
es sich dabei namentlich nm Kinder gehandelt habe, so dürfe man das daranf
zurückführen, dass eine ganze Beihe von Erwachsenen die Krankheit bereits
Uberstanden hätte nnd daher immun gewesen wäre. Hinsichtlich der An¬
steckung habe er den Nachweis führen können, dass die Krankheit ohne Ver¬
mittelung von Wasser weiter gegangen sei. Indem nnn alle schweren Typhns-
kranken meiner Döckersehen Baracke nntergebracht nnd erst nach dreimaliger
ergebnisloser Untersuchung ihres Stuhls auf Bazillen wieder entlassen, alle
leichteren Erkranknngen, wie alle sonst noch Typhnsbazillen beherbergenden
Personen dnreh geschaltes Hilfspersonal strenge überwacht nnd ferner alle
irgendwie infektionsverdäebtigen Betten, Kleider nsw. von einem Desinfektor
desinfiziert worden wären, sei es innerhalb dreier Monate gelangen, den Typhus
dort ganz aaszurotten. Ein etwaiger Einwand, dass das Aufhören der Epidemie
ein zufälliges gewesen sei, werde dadurch hinfällig, dass der Typhus in den
andern Dörfern des Hochwaldes weiter bestanden habe.
Anschliessend an das Beferat erklärt Prof. Fischer sich zur Nach¬
prüfung dieser für die Bekämpfung des Typhus hochbedeutsamen Beobachtungen
bereit und ersneht die Teilnehmer, ihm von geeigneten Fällen, soweit sie von
Kiel aus leicht erreichbar wären, Mitteilung zukommen zu lassen.
7. Zum Schluss berichtet Dr. Schröder über die jüngst erlebte kleine
Pocken - Epidemie in Altona (Autoreferat):
Ende Dezember v. J. erkrankte im Altonaer Krankenhanse ein Geistes¬
kranker, welcher dort schon seit September in Behandlung war, an Pocken.
Auf welchem Wege die Krankheit eingeschleppt war, konnte nicht nachgewiesen
werden. Der Kränke starb am 5. Januar d. J., nachdem er eine Beihe von
Infektionen gesetzt hatte. Es erkrankten in der Zeit vom 9. bis Ende Jannar
in Altona weitere 15 Personen, von denen 18 (7 im Krankenhanse, 6 in der
Stadt) direkt anf den nngemein infektiösen ersten Fall zurückzuführen waren,
nnr weitere 2 Fälle kamen dnreh Uebertragung in der Stadt vor. Anch nach
Sehrimm in der Provinz Posen wnrde die Krankheit dnreh einen ans dem
Altonaer Krankenhanse entlassenen Patienten verschleppt. Von den 16 in
Altona Erkrankten starben 3, von welchen einer undeutliche, die anderen
beiden keine Impfnarben hatten, so dass es fraglich ist, ob sie jemals geimpft
waren. Ausserdem starb noch ein Kranker in der Bekonvalescenz an Magen¬
krebs. 9 hatten Variola, 7 Variolois. Von diesen waren 5 revacciniert, 1 hatte
sehen einmal Pocken gehabt nnd noch dentlicbe Pockennarben, 1 einjährigen
Kind war noch nach der Infektion geimpft, 2 waren im Alter von 50—60,
526
Aas Versammlungen and Vereinen.
10 im Alter von 40—60, 1 im Alter Ton 20—30, 1 im ersten Lebensjahre.
Demonstration einiger Photographieen von Pockenkranken.
Die Pocken sind angemein ansteckend, noch mehr als die Masern. Das
Kontagiam haftet am Körper der Pockenkranken and ist enthalten in den
Pockenpastein za jeder Zeit ihrer Entwickelung, im Aaswarf and Speichel,
nach Pfeiffer aach im Urin and in den Tr&nen. Ferner ist es im Blut
enthalten, anscheinend nicht im Inkabationsstadiam, sicher aber im ersten
Fieberanfall and vielleicht nach während des sweiten Fiebers nnd in der Zeit
zwisehen erstem and zweitem Fieber.
Vom Körper des Pockenkranken geht das Kontagiam über in die am¬
gebende Atmosphäre, an staubförmige Körper gebunden, and zwar schon im
Inkabationsstadiam (Fall von Hagnenin).
Diese Möglichkeit ist plausibel, wenn man der Ansicht Pfeiffers folgt,
dass sich in der Inkubationszeit auf der Schleimhant der Luftwege eine Proto-
pastel bildet. Von dem Moment an. wo die Pocken ttber das Knötchenstadinm
hinaus sind, besonders zur Zeit der Krastenbildang, ist die Möglichkeit za einer
Verstäabang des Pockengiftes immer gegeben, doch sind die Angaben ttber die
Entfernungen, auf welche es sich durch die Laft verbreiten sein soll, ttbertrieben.
Man muss aber die Lnft im Krankenzimmer nnd im Hanse des Kranken als
infiziert ansehen.
Früher meinte man wiederholt ans Bakterien, welche ans dem Pustel¬
inhalt gezüchtet waren, den Erreger der Pocken isoliert zu haben, es lief aber
durch die Knltnren immer etwas mit, was anerkannt blieb. ▼. d. Löff,
Pfeiffer, Gaarnieri n. a. suchen den Erreger unter den Protozoen nnd
haben sowohl in der Vaccine-, wie in der Pockenpastel konstant einen Para¬
siten gefunden, welchen Gaarnieri in der Hornhant von Kaninchen rein
gezttchtet hat (Demonstration der Gaarnieri sehen Körperchen). Ob der
Parasit Sporen bildet and wie er ins Blot aufgenommen wird, wissen wir
nicht (Darstellung der Pfeiffersohen Theorie).
Als Sohatzmassregeln kommen in Anwendung:
1. Schatzimpfangen nnd 20 tägige Kontrolle der Angehörigen und sämt¬
licher Personen nebst Familien, welche mit dem Pockenkranken irgendwie in
Berührung gekommen sind.
Eine Verordnung vom 2. September 1811 giebt in Schleswig-Holstein
eine Handhabe zu Zwangsimpfangen. Erörterung der Fragen, wann der Impf¬
schatz nach der Impfang eintritt and ob bereits mit Pocken infizierte Personen
durch nachträgliche Vaccination geschlitzt werden können, Demonstration einer
Photographie eines einjährigen Kindes, welches nach der Infektion geimpft ist
und ansser den stark entwickelten Vaccinepnsteln vereinzelte Podcenpnsteln
auf weist. Die Däner des Impfschutzes ist individuell ganz verschieden; von
den in Altona anlässlich der Pockenerkranknngen geimpften Personen wurden
30 bis 40°/ o mit Erfolg geimpft.
Als weitere Massregeln kommen neben der Schutzimpfung in Betracht:
2. Strenge Isolierung der Erkrankten nnd Verdächtigen.
3. Sorgfältige Desinfektion.
Beim Ausbrnch von Pocken sind baldigst die Aerzte des Bezirks zu be¬
nachrichtigen. Dr. Roh wed der-Ratzeburg.
Verhandlungen der Medico-legal society of New-York.
17. Dezember 1902.
The medieo legal journal; 1903, XX., März, S. 660.
Die Sitzung wurde durch Vorlesung eines Vortrages von Geh. Med.-Rat
Dr. Hermann Kornfeld, Gerichtsarzt in Gleiwitz eingeleitet, der als Ehren¬
mitglied der Gesellschaft einen Vortrag: „Deutsche Ansichten ttber Geistes¬
krankheit Tom juristischen Standpunkte* vorgelegt batte. Es folgten Vor¬
träge von Dr. Purdy-New-York: „ttber die Abschaffung des Coroner*
und von Dr. St. Smith: „über Aenderungen im Gesetze ttber Pflichten
und Amt des Coroners".
Letzterer führte etwa folgendes aus:
Die Erforschung der Todesursachen, insbesondere bei plötzlichem Tode
hat sowohl für die öffentliche Gesundheitspflege, als für das Rechtswesen die
Besprechungen.
527
grösste Bedeutung. Die Pflichten, die bisher dem Coroner obliegen, lassen sich
non sorgfältiger, genauer und zweckmässiger dadurch erledigen, dass sie zum
Teil durch den ärztlichen Sachverständigen, zum anderen Teile durch
einen Juristen ausgeführt werden. Ein erfahrener ärztlicher Sachverständiger
kann die geheimnisvolle Geschichte eines Verbrechens in den Geweben und
Organen der Leiche verfolgen und oft die Schuld des Täters in Fällen nach-
weisen, in denen jeder sonstige Beweis fehlt, anderseits aber auch einen Un¬
schuldigen in Schutz nehmen, den eins unvollständige oder oberflächliche Unter¬
suchung verurteilt haben würde.
Als geeigneter Sachverständige ist der medical officer of health anzu¬
sehen. Nach dem Gesetz von 1885 l ) hat jetzt jedes grossere Gemeinwesen des
Staates New-York ein gründlich organisiertes Gesundheitsamt, das auch die
Bearbeitung der standesamtlichen Statistik zu besorgen hat. Die Gesundheits¬
beamten haben die Bescheinigungen und Berichte Uber die Todesursachen, über
die Befunde der juries in Empfang zu nehmen, zu prüfen und sicher zu stellen.
Diese Behörde ist ferner ermächtigt, die Personen zu bezeichnen, die Begräb¬
nisscheine und Leichenpässe ansstellen dürfen. Keine Leiche darf beerdigt
werden, ehe nicht dem Gesundheitsamte ein genügend bescheinigter Bericht
des behandelnden Arztes ausgehändigt ist. Das Amt darf bei Nichtbeachtung
seiner Anordnungen Strafen verhängen. Alle Örtlichen Gesundheitsämter unter¬
stehen der Beaufsichtigung des State board of health, das bei Nichtbeachtung
der Vorschriften über Registrierung der Todesfälle diese Vorschriften zwangs¬
weise durchführen darf.
Da bis in die entlegensten Gegenden hin die geschilderte Organisation
ins Leben gerufen ist, da die Gesundheitsämter überdies nicht bloss sachver¬
ständige Aerzte, sondern auch chemische und pathologische Sachverständige zu
Mitgliedern zählen, so bürgen sie für eine gründliche forensisch medizinische
Prüfung jedes verdächtigen Todesfalles. Ueberträgt man nun noch einem
Juristen, dem Polizei- oder dem Friedensrichter die rechtliche Seite der An¬
gelegenheit, so ist der Coroner überflüssig.
Dr. Mayer -Simmern.
Besprechungen.
Hermann Paten: Der Arzt and die Heilkanst in der deutschen
Vergangenheit. Mit 158 Abbildungen und Beilagen nach den Originalen
des 15.—18. Jahrhunderts. Leipzig 1902. Verlag von Eugen Diederichs
Preis: 4 Mark.
Das Buch gebOrt zu den Monographien zur deutschen Kulturgeschichte,
die Dr. G. Steinhausen im Diederichsschen Verlage herausgibt. Reich
geschmückt mit Nachbildungen alter Holzschnitte und Kupferstiche behandelt
das auch äusserlich vortrefflich und geschmackvoll ansgestattete Werk zahl¬
reiche Kapitel, besonders aus der mittelalterlichen Vergangenheit der Heilkunst.
Im bunten Wechsel, wenn auch nicht streng wissenschaftlich, wird das Leben
und Treiben der damaligen Aerzte geschildert mit Wort und Bild, und oft
sagt man sich, — es war doch damals schon oft ganz so wie jetzt bei uns.
Als erster Heilkundiger wird Odin erwähnt, von dessen „Praxis“ die
Merseburger Zaubersprüche erzählen, und als „letzter und sicherster Arzt der
Vetter Knochenmann, der alle Krankheiten heilt“. Wirkliche Aerzte gab es
im frühesten Mittelalter in Deutschland wohl nur an den HOfen der KOnige;
das Volk musste sich mit Kurpfuschern begnügen.
Das Apothekenwesen, das Hebammenwesen, Krankenhäuser und medi¬
zinische Unterrichtsanstalten werden gleichfalls besprochen. Für den Medi¬
zinalbeamten findet sich manches Interessante in dem Buche, z. B. das erste
Medizinalgesetz erliess 1224 der Enkel Kaiser Barbarossas, der Hohenstaufe
Friedrich II; in diesem Gesetz wurde das Studium, die Prüfung und die Be¬
zahlung des Arztes, sowie sein Verhältnis zum Apotheker geregelt. Der erste
Stadtarzt tauchte schon 1877 in Nürnberg auf mit 50 fl. vierteljährlicher Be¬
soldung.
Conf. Rapmund: Das öffentliche Gesundheitswesen. Leipzig 1901.
Seite 118.
528
Besprechungen.
Weitere Binselheiten zu erwähnen, würde zu weit führen. Das Lesen
des interessanten Boches kann nor empfohlen werden.
Dr. Pilf-Alsleben a. 8.
Dr. O. Mugdan, Arzt in Berlin: Kommentar für Aerste tun Ge¬
werbe-UnfallTersicherungsgesetze nebst dem Gesetze betr. die
UnfallTerslcherungsgesetze vom 30. Juni 1900. Berlin 1902. Ver¬
lag von Georg Reimer. Gr. 9°; 215 S. Preis: 5 Mark.
In fast allen ans ärztlichen Kreisen stammenden und für Aerste be¬
stimmten Werke über die Unfallversicherung ist, wie dies nahe liegt, haupt¬
sächlich der medizinische Standpunkt berücksichtigt, während die gesetzlichen
Bestimmungen u. s. w. nur insoweit wiedergegeben sind, als sie speziell die
Saohverständigentätigkeit anf diesem Gebiete berühren. Gerade die Aerzte
kommen aber sehr häufig in die Lage, sich auch über die sonstigen gesetzlichen Be¬
stimmungen und die massgebende Rechtsprechung auf diesem Gebiete informieren
zu müssen, und sicherlich hat schon mancher von ihnen ein Werk vermisst,
das, wie das vorliegende, nicht nur den Text der betreffenden Gesetze und
Ausffihrungsbestimmungen im Wortlaute wiedergibt, sondern diese auch an der
Hand der bisherigen Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts in einer
gerade dem Bedürfnis des Arztes angepassten Weise erläutert. Der Kommentar
wird daher sicherlich sehr bald in ärztlichen Kreisen eine grosse Verbreitung
finden, die er auch im vollstem Masse verdient. Rpd.
Dr. A. Eulsnburg, Geh. Med.-Rat und Professor in Berlin: Sadismus und
Masochismus. Wiesbaden 1902. Verlag von Bergmann. Gr. 8°; 89 S.
Preis: 2 Mark.
Der Sadismus (nach dem Marquis de Sade genannt) ist nach Krafft-
Ebing eine Form sexueller Perversion, welche darin besteht, dass Akte der
Grausamkeit, am Kürper des Weibes vom Manne verübt, nicht sowohl als präpa¬
ratorische Akte des Coitus bei gesunkener Libido - Potenz, sondern sich selbst
als Zweck Vorkommen, als Befriedigung einer perversen vita sexualis. Unter
den Begriff des Masochismus (nach dem Schriftsteller von Sacher • Masoch
genannt) gehören nach Krafft-Ebing diejenigen Fälle, wo der Mann anf
Grund von sexuellen Empfindungen und Drängen sich vom Weibe misshandeln
lässt und in der Rolle des Besiegten statt des Siegers sich gefällt. Sadismus
und Masochismus schliessen sich nach Eulenburg nur in der Theorie aus.
Sie sind in Wahrheit verwandt und beiden ist gemeinsam, dass Schmers, sei
er sugefttgt, erduldet oder auch imaginär, zur Quelle von Wollustgefühl wird.
Er braucht nicht nur physischer Natur zu sein, sondern auch der moralische
Schmerz in der Form der Demütigung und Erniedrigung kann zum Ausgangs¬
punkt von Wollustgefühlen werden. Zwischen Wollust und Grausamkeit oder
Schmerz bestehen nahe Beziehungen, und zwischen Lust und Unlust sind eigen¬
tümliche Verkettungen vorhanden, wie sie auch regelmässig beim Coitus der
Gesunden und nach demselben mehr oder minder deutlich ins Bewusstsein
treten. Hier liegen nach Eulenbnrg die Wurzeln des Sadismus und Maso¬
chismus. An diese Darlegungen schliessen sich im vorliegenden Hefte bio¬
graphische und literarische Hinweise auf Marquis de Sade und Sacher-
Masoch an und leiten zur speziellen Symptomatologie und Entwickelungs-
geschichte der besprochenen Erscheinungen hinüber. Die Schrift ist höchst
interessant; die Schlaglichter, die anf den lyrischen Stimmungsgebalt der
heutigen Poesie fallen, sind frappirend. Die Lektüre des Bucbes ist durchaus
zu empfehlen. _ Dr. Lewald-Obernigk.
Dr. H&velOOk Ellls: Geeohleohtstrieb and Schamgefühl. Antori-
sirte Uebersetzung von Julia E. Kötscher unter Redaktion von Dr. Max
Kötscher. Zweite unveränderte Auflage. Würzburg 1902. Verlag von
A. Stüber (C. Kabitzsch). Preis: 5 Mark.
Das vorliegende Buob zerfällt in drei gesonderte Abschnitte, die dem
Verfasser nothwendige Prolegomena für eine Analyse des geschlechtlichen In¬
stinktes zu sein scheinen, welche ja die Hauptrolle bei einer Erforschung der
Geseblechtsphysiologie spielen muss. Die erste Studie führt den Titel: Die
Entwicklung des Schamgefühls. Dies Gefühl wird definirt als dis
Besprechungen.
629
instinktive Furcht, die sttm Verheimlichen, zum Verbergen treibt; dies Ge¬
fühl bezieht sich gewöhnlich auf die sexuellen Vorgänge. Es ist zwar beiden
Geschlechtern gemeinsam, tritt aber doch beim Weihe so viel st&rker anf als beim
Manne, dass man es als eins der wichtigsten sekundären Gescblechtscbarakters
des Weibes anf psychischem Gebiete bezeichnen kann. Dem Schamgefühl nnd
seinem Fortschritt, seiner Ausdehnung und Vertiefung verdanken wir nicht
nur die Verfeinerung und Entwicklung der sexuellen Gefühle, sondern auch
die durchgreifende Rolle, welche die sexuellen Instinkte in der Entwicklung
aller menschlichen Kultur gespielt haben. Dass das Schamgefühl — wie alle
eng verwandten Gefühle — auf Furcht, einer der primitivsten Gefühle, be¬
gründet ist, wird allseitig zugegeben werden müssen. Schamgefühl ist eine
Anhäufung von Furchtgefühlen, und man kann hauptsächlich zwei Fnrchtge-
fühle unterscheiden: das eine, von noch vormenschlichem Ursprung und nur
vom weiblichen Wesen ausgehend, das zweite von ausgesprochen menschlichem
Charakter und eher sozialem als sexualem Ursprung. Das erste Gefühl ist
ursprünglich dazu geschaffen, den agressiven Mann fernzuhalten, fordert aber
vielmehr ihn zu seiner Ueberwindung auf; unter den Furchtgefüblen mehr
sozialen Ursprungs steht in erster Linie die Befürchtung, Ekel zu erregen.
Da die Verdauungs- und Geschlechts -Exkrete nnd -Sekrete entweder nutzlos
oder nach weitverbreiteten primitiven Anschauungen sogar höchst gefährlich
sind, wurde die genito-anale Region znm gemeinsamen Mittelpunkte des Ekels.
Im Zusammenhang damit ist eine ganz spezielle Art des Schamgefühls hei
wilden Völkern sehr interessant, nämlich das Gefühl der Schamlosigkeit in
Bezug auf das Essen. Wo dieses Gefühl besteht, wird daB Schamgefühl dureh
gemeinschaftliches oder öffentliches Essen schwer verletzt; neben anderen Rei¬
senden erzählt z. B. v. d. Steinen in seinem bekannten Buch über Brasilien,
dass die Bakairi in Zentralbrasilien ein Schamgefühl bezüglich ihrer Nacktheit
nicht kennen, aber nicht gemeinschaftlich essen. Sie sieben sich zum Essen
zurück; v. d. St. bemerkte, dass sie ihren Kopf in beschämter Verwirrtheit
hängen Hessen, als sie ihn selbst öffentlich essen sahen. — Neben dieser Furcht,
Ekel zu erregen, beruht das Schamgefühl häufig auch auf gesellschaftlichen
und rituellen Rücksichten. Ursprünglich ist jedes Schamgefühl ganz unab¬
hängig von der Kleidung, die nicht sowohl den Zweck hat, die Geschlechts¬
organe zu verbergen, als vielmehr sie hervorzuheben, da Nacktheit eben keuscher
ist, als theilweise Verhüllung. Als die physiologische Grundlage des Scham¬
gefühls sieht unser Autor den vasomotorischen Mechanismus an, dessen sicht¬
bares Zeichen das Erröthen ist. Alle verwandten Abarten der Furcht: Scham,
Schüchternheit, Aengstlichkeit, werden in gewissem Grade von diesem Mecha¬
nismus getragen. Es ist daher auch bis zu einem gewissen Grade richtiger,
zu sagen, dass Menschen schamhaft sind, weil sie erröthen oder fühlen, dass
sie erröthen können, als dass sie erröthen. weil sie schamhaft sind. Eine merk¬
würdige kompletäre Beziehung besteht zwischen dem Gesicht und der regio
sacro-pubica als anatomischem Sitz des Schamgefühls. Wo — wie bei den
mohamedanisohen Völkern — das Gesicht der Brennpunkt des Schamgefühls ist,
wird die Blossstellung des übrigen Körpers ganz gleichgültig behandelt; jeder
Arzt bat gesehen, dass bei einer Untersuchung der Geschlechtsorgane Frauen eine
Beruhigung darin finden, ihr Gesiebt in den Bänden zu verbergen, obwohl gerade
diesem Körpertheil nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Der zweite Abschnitt behandelt die Erscheinung der sexuellen
Periodizität. Wie Rythmus überhaupt das Kennzeichen jedes biologischen
Vorganges ist, so sind auch in der ganzen pflanzlichen und thierischen Welt
die geschlechtlichen Funktionen periodisch. Die Menstruation, die ihrem Wesen
nach eigentlich ganz unbekannt ist, mit ihrem starken Einfluss auf die soziale
Stellung des Weibes, hat im Geschlechtsleben des Mannes einen Parallelvor¬
gang; auch beim Manne werden monatliche Schwankungen und Aenderungen
von körperlichen nnd geistigen, von gesunden und kranken Eigenschaften beob¬
achtet. Von einigen Autoren wird ein Zyklus von 23 Tagen behauptet; es
scheint, als ob die Pollutionen ebenfalls eine gewisse Periodizität innehalten.
Nelson, Professor für Biologie, veröffentlichte 1888 im American journal of
psychology eine 8tudie über eigene Träume und Pollntinnen auf Grund zwei¬
jähriger eigener Beobachtungen und glaubte, alle 28 Tage einen Höhepunkt
der Träume und Pollutionen konstatiren zu dürfen. Eine andere eigene, durcV^
12 Jahre hindurch geführte Beobachtung schien einen deutlich wöchentlich''
980
Besprechungen.
Rythmus hinsichtlich der Pollutionen erkennen zu lassen. Immerhin ist dis
ganse Frage noch nicht spruehreit
Der dritte und grösste Abschnitt des Buches behandelt den „Auto-
Erotismus“, d. h. das Phänomen der spontanen geschlechtlichen Erregung
ohne irgend welche Anregung, direkt oder indirekt, seitens einer anderen
Person. Dies Gebiet ist sehr ausgedehnt; es erstreckt sich von den ge¬
legentlichen wollüstigen Tagesträumen, bei denen das Individuum völlig passiv
bleibt, bis zu den beständigen schamlosen Versuchen zur geschlechtliches
Selbstbefriedigung, die man häufig bei Geisteskranken beobachtet. Die typische
Form des Autoerotismus aber ist die gesteigerte geschlechtliche Erregung wäh¬
rend des Schlafes. Der Verfasser bringt ein riesenhaftes Th&tsachen- Material
zusammen; bespricht die Masturbation bei Thieren, bei unkultivirten Völkern,
den Missbrauch gewöhnlicher Gerttthe und Gegenstände (Haarnadeln), die Unter¬
schiede der erotischen Träume bei Mann und Weib und kommt dann eingehend
auf die Beziehung dieser Erscheinung zur Hysterie zu sprechen. Er zeigt
ausführlich, welche Umwandlungen die Lehre von den Ursachen der Hysterie
im Laufe der Zeit erfahren hat, und erklärt, dass er der neuesten Theorie von
Freud und Breuer sympathisch gegenübersteht, ohne damit die ganse Frage
als definitiv gelöst zu betrachten.
Was die Häufigkeit der Onanie anbetrifft, so wird Burg er’s An¬
sicht, dass 99 Prozent aller jungen Männer und Frauen gelegentlich mastur-
biren, während der Hundertste die Wahrheit verbirgt, als zu weitgehend be¬
zeichnet; Moraglia stellt durch Nachfragen 60 Prozent fest. Ob diese Ge¬
wohnheit bei Männer oder Frauen häufiger ist, ist zweifelhaft Retau’s
Selbstbewahrung und ähnliche Litteratur unserer Tage hat übrigens, wie der
Verfasser des Näheren ausführt, schon Anfang deB 18. Jahrhunderts einen Vor¬
läufer gehabt in dem Buche eines Engländers, das 80 Auflagen erlebt haben
soll und in welchem eine „stärkende Tinktur“ empfohlen und in den mitabge-
druokten Briefen der Patienten gelobt wird. Entgegen der früher herrschenden
Ansioht von der grossen Gefährlichkeit und Schädlichkeit der Onanie vertritt
Verfasser den Standpunkt, dass mEssige Masturbation bei gesunden, erblich
nicht belasteten Menschen keine verderblichen Folgen hat. Masturbation
schadet nicht mehr und nicht weniger, als geschlechtlicher Verkehr, der ebenso
häufig und bei demselben allgemeinen Gesundheitszustände, in demselben Alter
unter anderen Verhältnissen gepflogen wird. Als allgemeine Regel stellt Autor
die Ansicht auf, dass, wenn Masturbation nur in langen Zwischenräumen geübt
wird, und um faute de mieux Erleichterung von psychischem Druckgefübl und
geistigem Unbehagen zu erzielen, sie als ein natürliches Resultat unnatürlicher
Umstände betrachtet werden kann. Wenn sie aber, wie es bei Degenerirtea
häufig vorkommt und wie es bei schüchternen und phantasiereichen Personen
auch manchmal der Fall sein kann, dem geschlechtlichen Verkehr vorgezogen
wird, dann ist sie sofort anormal und kann möglicherweise zu einer Reihe von
geistigen und körperlichen schädlichen Folgen führen. — Eine kurze Ueber-
sicht über die Beurtheilung, welche die Onanie bei verschiedenen Völkern und
in den verschiedensten Religionen findet, bildet den Schluss des dritten Ab¬
schnittes des Buches. Im Anhang wird zunächst der Einfluss der Menstruation
auf die Stellung der Frau, dann eine Arbeit von Perry-Coste über Sexual-
PerioiizitKt beim Manne im Auszug wiedergegeben und schliesslich der auto-
erotische Faktor in der Religion besprochen.
Die Lektüre des Buches fesselt durch die ausserordentliohe Belesenheit
des Verfassers, durch seine Fülle von Beobachtungen und durch den kritischen
Geist, vou dem es durchweht wird. Dr. Lewald-Obernigk.
Profi Dr. mod. Max Flesoh, Frauenarzt, und Dr. Jur. Ludwig Wost-
heinuer, Rechtsanwalt in Frankfurt a. M.: Geschlechtskrankheiten und
Rechtsachats. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1908. 82 Seiten.
Preis: 2 Mark.
Mit Rücksicht auf die Erweiterung unseres medizinischen Wissens be¬
züglich der Geschlechtskrankheiten und ihrer Folgen wird sehr eingehend die
Notwendigkeit einer Abänderung der zivilrechtlichen, dagegen nicht der straf¬
rechtlichen Bestimmungen erörtert und zwar werden bezüglich der Ehe folgende
Forderungen gestellt.:
Besprechungen.
631
1. Gonorrhoe und Syphilis gelten eo ipso, wenn sie wihrend der Ehe bei
einem Ehegatten direkt oder indirekt auftreten, als Eheseheidnngsgrund, ohne
dass es des Nachweises des Ehebruchs bedarf.
2. Die Zulassung der Eidessuscbiebnng als Beweismittel in allen den
Ehesachen, die auf das Auftreten von Syphilis und Gonorrhoe gestütnt sind,
für die Tatsachen, welche sich auf die Entstehung und Art der Krankheit
besiehen.
8. Entbindung des behandelnden Arztes von Wahrung des Berufsgeheim«
nisses in solchen Ehesachen.
Betreib der Entschädigung des mit einer Geschlechtskrankheit Infizierten
wird verlangt, dass schon die Veranlassung einen Grund zum Schadenersatz
abgibt und zwar ohne Unterschied, ob die Infizierung beim ehelichen oder
ausserehelichen Geschlechtsverkehr erfolgt; mindestens aber mttsse umgekehrt
dem Urheber des Schadens die Beweislast aufgebürdet werden, dass der Schaden
trotz der von ihm angewendeten ordnungsmissigen Sorgfalt eingetreten ist.
„Aber auch diese Bestimmungen würden ohne praktischen Wert sein,
solange nicht durch eine Umwandlung der Sitten häufiger Ansprüche auf
Schadenersatz geltend gemacht würden. Erst wenn die Auffassung eine allge¬
meine wird, in jedem Akte geschlechtlichen Verkehrs nicht einen Moment
flüchtigen Sinnenrausches, sondern ein folgenschweres Handeln zu sehen und
wenn derjenige, der sich dieser Verantwortung entzieht, der allgemeinen Ver¬
achtung anheimfällt, wird aus dem Kampfe gegen die venerischen Seuchen ein
sittlicher Fortschritt der Menschheit hervorgehen.“
Dieser Standpunkt des Verfassers ist ein sehr idealer und kann man
nur wünschen, dass ihre Hoffnungen in Erfüllung gehen. Im übrigen haben
die Verhandlungen des Frankfurter Kongresses doch etwas andere Ansichten,
nicht nur der Juristen, sondern auch der Mediziner ergeben.
Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rh.
Dr. Beranrd Boainskl, Privatdozent für Gynäkologie in Königsberg: Die
Syphilis in der Schwangerschaft. Verlag von Ferdinand Enke.
Stuttgart 1903. 206 Seiten. Preis: 10 Mark.
Es handelt sich um eine Monographie über das gesamte Gebiet der fötalen
Lues, insbesondere über die uterine Uebertragung, teils referierend, teils be¬
sonders in den kontraversen Pnnkten, anf Grund persönlicher Erfahrungen bezw.
Untersuchungen, so z. B. betreffs der postkonzeptionellen Uebertragung. Be¬
sonders eingehend erörtert und durch vorzügliche farbige Illustrationen er¬
läutert werden die spezifischen Plazentarveränderungen, auf Grund deren Ver¬
fasser zu sehr abweichenden Schlüssen kommt.
Das Buch ist nicht nnr für Spezialisten geschrieben, sondern auch für
den praktischen Arzt, dem es durch seine übersichtliche Anordnung des Stoffes
eine schnelle Orientierung bei den mannigfachen Kombinationen ermöglicht.
Unter den heutigen Verhältnissen wichtig sind neben anderen auch die Fragen
betreffs deB Ehekonsenses der Syphilitiker.
Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rh.
Profi Dr. Prausnitz - Graz: Physiologische und sozial - hygienische
Studien Aber Säuglings-Ernährung und Säuglings-Sterblichkeit.
Mit mehreren Abbildungen und Tabellen. München 1902. J. F. Lehmanns
Verlag. Gr. 8«, 123 S. Preis: 3 Mark.
Der Verfasser bringt eine Menge Zahlen über den Nahrungsbedarf seiner
Eiinder während des ersten Lebensjahres. Eine Verallgemeinerung dürfte nicht
ohne weiteres zulässig sein. Er wendet sich nach ausführlich begründetem
Hinweis auf die grossen Schwankungen in der chemischen Zusammensetzung
der Milch gegen die Sitte, die für den Säugling herznrichtende Milch, ohne
im speziellen Falle ihre Zusammensetzung zu kennen, nach irgend einer Vor¬
schrift zu verdünnen. Nach Ansicht des Referenten unterschätzt P. die prak¬
tische Einsicht einer ihr Kind beobachtenden Mntter. Wo aber Unvernunft
und Böswilligkeit dem Säugling aus Milch einen Gifttrank bereiten, da hilft
auch — so ist es wenigstens in der Heimat des Referenten — der ärztliche
Rat nichts, P. gibt an, dass in Graz die bisherigen Versuche zur Bekämpfung
der Säuglingssterblichkeit kein deutlich sichtbares Resultat*gehabt haben und
532
Besprechungen.
folgert daraus, „dass entweder die Aetiologie der Säuglingssterblichkeit nicht
richtig erkannt wurde, oder aber nicht die richtigen Mittel au ihrer Be*
kämpfang angewandt wurden bezw. angewandt werden konnten. Dass in der
Aetiologie der Säuglingssterblichkeit soziale Verhältnisse eine bedeutende
Rolle spielen, hat P. im letzten, sehr interessanten Teil seiner Arbeit bewiesen.
Br teilt die Bevölkerung von Graz in 4 Wohlhabenheitsklassen. In der ersten
Klasse ist in den letzten 20 Jahren kein Säugling an Magendarmerkrankungen
gestorben.
Die Unterschiede der Kindersterblichkeit in den verschiedenen Klassen
von Graz, Brünn, Braunschweig, Salzburg und Triest sind sehr übersichtlich
in den Diagrammen auf S. 101—103 dargestellt. P. erkennt zwar selbst an,
dass man die gestorbenen Kinder einer Wohlhabenheitsklasse in zahlengemässer
Beziehung zu den lebenden Kindern dieser Klasse bringen müsste; er hält eine
solche Statistik aber für unmöglich.
Die Einschränkung der Kindersterblichkeit ist eine der grossen hygieni¬
schen Aufgaben. Die P.sche Schrift enthält für die Beurteilung vieler in
Betracht kommender Fragen sehr wertvolles Material.
_ Dr. Hirschbruch-Posen.
Dr. W. Ebstein, Geh. Med.-Rat und a. o. Professor in Göttingen: Dorf-
und Stadthygiene. Unter besonderer Berücksichtigung auf die Wechsel¬
beziehungen für Aerzte und für die mit der Wahrnehmung der Interessen
der öffentlichen Gesundheitspflege betrauten Verwaltungsbeamten. Mit Ab¬
bildungen. Stuttgart 1902. Verlag von Ferd. Enke. Gr. 8*, 160 Seiten.
Preis: 4 Mark.
Die Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Land haben stets den
Hygieniker hervorragend interessiert. Auf der letzten Versammlung des Deut¬
schen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege widmete Roth denselben ein¬
gehende Behandlung. In der Tat ist es ein reizvolles Thema voll vielseitiger
Anknüpfungspunkte aus den verschiedensten Gebieten. E. beleuchtet dasselbe
einseitig, durchweg auf Grund von brieflichen Mitteilungen und Zitaten, er
hebt die Gefahren, welche den Städten vom Lande her drohen, besonders her¬
vor. Besser als der noch so einsichtsvolle Stadtbewohner dürfte aber zu solcher
Darstellung der kluge, hygienisch gebildete Landarzt berufen sein. Vielleicht
aus dieser Ueberzengung heraus gibt E. seinen Gewährsmännern selbst in aus¬
gedehntem Masse das Wort, ein Verfahren, welches allerdings der Einheitlich¬
keit des Werkes nicht zum Vorteil gereicht. Die so notwendige kritische Ver¬
arbeitung fehlt. Dass die Wasserversorgung auf dem Lande durchweg sehr
mangelhaft ist, dass unzweckmässige Lage und Bauart der Brunnen gelegent¬
liche Verunreinigungen ihres Inhalts durch tierische und menschliche Abgänge
zulassen, ist zu bekannt, als dass man viele Worte darüber verlieren sollte.
Wer Augen hat zu sehen, der sieht das oft. Uns Norddeutschen sind anch die
Gefahren der Marschen nur allzu geläufig, wo der Mensch demselben Wasser-
lanf seinen Bedarf entnimmt, dem er die Abgänge anvertraut, wie Dr. Tom-
f orde-Hechthausen es so anschaulich schildert (S. 9). Dass die Ehen zwischen
Blutsverwandten, wie sie auf dem Lande so häufig Vorkommen, dass die Be¬
schäftigung mit lungenkrankem Milchvieh, dass die feuchte Lage der Woh¬
nungen für die Ausbreitung der Schwindsucht von Bedeutung seien, wird oft
behauptet. Die Verbreitung von Typhuskeimen durch die Luft vom Lande zur
Stadt (S. 85) ist eine kühne Annahme. Kritisch behandelte, bestimmte Fälle
würden zur Klärung dieser Fragen mehr beitragen, als wiederholte theoretische
Erörterungen. WeT kennt endlich nicht die Angst der Landbewohner vor
frischer Luft in seinen Räumen, wem wären nicht die Alkoven-Betten ein
Gräuel?! Entsprechend dem örtlichen Stande der Hygiene fordern denn anch
in den betreffenden ländlichen Bezirken alle Infektionskrankheiten mehr oder
weniger zahlreiche Opfer, und die Behauptung, dass der Gesundheitszustand
der Landbewohner besser sei, als derjenige der Städter, dürfte nur, wie Kruse
hervorgehoben hat, für das kräftige Mannesalter zutreffend sein. — Gewiss ist
E. zuznstimmen, wenn er sagt, dass „die grössten Anstrengungen der Städte,
ihre sanitären Verhältnisse zn bessern, ihr Ziel so lange nnr unvollkommen
erreichen können, als die ländliohen Ortschaften niebt von einem gleichen Be¬
streben erfüllt sind.“ Grössere Reinlichkeit im allgemeinen und besonderen,
Respreehungeü.
533
das ist mit Hecht auch E.s Hauptforderung. Br wünscht auch lindliche Orte
mit ein wandsfreier Wasserleitung zu versehen, verlangt Anlage dichter Aborte
und Desinfektion der Abgänge von Infektionskranken, hebt die Wichtigkeit
reinlicher Milchgewinnung hervor und befürwortet Verbesserung der Fleisch¬
beschau und der Bäckereien. Wirksamere Desinfektionsmassregeln empfiehlt
E. durch „einheitliche Staatsgesetze“ anzustreben, dem Transport infektiöser
Kranken vom Lande zur Stadt sei besondere Aufmerksamkeit zu widmen. —
Und wer sorgt fttr die Durchführung aller dieser hygienischen Verbesserungen P
Es ist der Kreisarzt, dem aber eine grössere Bewegungsfreiheit gegeben werden
muss, und der von der gerichtsärstlichen Praxis zu entlasten ist. Seinem ver¬
ständnisvollen Einfluss auf Gemeindeverwaltungen und Einzelpersonen, in har¬
monischem Zusammenarbeiten mit den Behörden wird es besser gelingen, Fort¬
schritte zu zeitigen, als dem Zwangsmittel einer drakonischen Gesetzgebung.
Und wer trägt die Kosten? _ Dr. Sieveking-Hamburg.
Dr. E. Roth, Reg.- u. Geb. Med.-Rat in Potsdam: Die Wechselbe¬
ziehungen zwischen Stadt und Land in gesundheitlicher Be¬
ziehung und die Sanierung des Landes. Mit einem Anhang und
acut Tafeln. Braunschweig 1903. Verlag von F. View eg & 8 oh n. Gr. 8,
74 S. Preis: 2,50 Mark.
Verfasser hat jetzt den von ihm auf der vorjährigen Versammlung des
Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege gehaltenen höchst inter¬
essanten Vortrag, über den bereits in dieser Zeitschrift referiert ist, als be¬
sondere und nach verschiedenen Richtungen hin erweiterte Arbeit herausge¬
geben, deren Studium nicht nur den Aerzten und Medizinalbeamten, sondern
auch den Vertretern der Städte, insbesondere der Landkreise und Landgemeinden
warm empfohlen werden kann. Als Anhang ist eine recht zweckmässige Anwei¬
sung, betreffend Binzeianlagen für Trink- und Hauswässer, Abort-, Jauche-
und Düngergruben nebst Ausführungsbestimmungen beigefügt Rpd.
Dr. EL Holts, Regierungsassessor und Hilfsarbeiter im Ministerium für Land¬
wirtschaft, Domänen und Forsten: Die Fürsorge für die Reinhaltung
der Gewässer auf Grund der Allgemeinen Verfügung vom 20. Februar
1901. Auf amtliche Veranlassung erläutert. Berlin 1902. C. Heymanns
Verlag. Gr. 8o, 50 S. PreiB: 1 Mark.
Ein recht brauchbarer Kommentar für die praktische Handhabung der
allgemeinen ministeriellen Verfügung, der den zuständigen Behörden deren
Ausführung wesentlich erleichtern wird. Die gegebenen Erläuterungen weisen
nicht nur auf die praktischen und rechtlichen Gesichtspunkte der Verfügung
hin, sondern ergänzen auch die in dieser angezogene einschlägige Judikatur und
gehen auf den Inhalt der hier nur kurz erwähnten wichtigsten oberstrichter¬
liehen Entscheidungen ausführlicher ein. Die Schrift wird sicherlich zur Förde¬
rung der auf die Reinhaltung der Gewässer gerichteten Bestrebungen beitragen.
_ Rpd.
Dr. E. v. Esm&roh, o. ö. Professor der Hygiene in Göttingen: Hygienisches
Taschenbuch, für Medizinal- und Verwaltungsbeamte, Aerzte, Techniker
und Schulmänner. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin 1902.
Verlag von Julius Springer. 12°; 294 S. Preis: geb. 4 Mark.
Dm bei dem Erscheinen der früheren Auflagen bereits in dieser Zeit¬
schrift besprochene Taschenbuch ist von seinem Verfasser einer gründlichen
Umarbeitung unterzogen, namentlich gilt dies in bezug auf die Abschnitte über
die Desinfektion und die Beseitigung der Abfallstoffe. Ueberall sind die
neueren Forschungen und deren Ergebnisse auf dem Gebiete der Hygiene be¬
rücksichtigt ; auch die Angaben über die Bezugsquellen sind mit Sorgfalt revi¬
diert und ergänzt. Dabei ist der Charakter eines handlichen Taschenbuchs
gewahrt, ein unseres Erachtens ausserordentlicher Vorzug, dem das Buch nicht
zum geringsten Teile seine grosse Beliebtheit in den beteiligten Kreisen ver¬
dankt. Es kann daher, insbesondere den Medizinalbeamten, in seinem neuen,
wesentlich verbesserten Gewände nur auf das Wärmste empfohlen werden, da
es ihnen bei ihrer amtlichen Tätigkeit zweifellos recht gute Dienste leisten
wird. _ Rpd.
Besprechungen»
t>U
Dr. M. Bubner, Geh. Med.-Eat, Professor und Direktor des Hygienischeta tn-
Btituts in Berlin: Lehrbuch, der Hygiene. Systematische Darstellung:
der Hygiene und ihrer wichtigsten Untersuchungsmethoden. Zum Gebrauche
für Studierende der Mediain, Physikatskandidaten, Sanitätsbeamte, Aerite,
Verwaltungsbeamte. Mit 260 Abbildungen. 7. Auflage. Leipzig und Wien
1903. Verlag von Frans Deuticke. Gr. 8. Lieferung 1., 2. zu je 80 8.
Preis: je 2 Mark.
Nur wenige Jahre sind seit dem Erscheinen der sechsten Auflage des
Rubnersehen Lehrbuches verflossen, und schon wieder hat sich die Herausgabe
einer neuen Auflage als notwendig erwiesen, der beste Beweis für die Vortieff-
lichkeit des Werkes und für seine ausserordentliche Beliebtheit in den be¬
teiligten Kreisen. Wie sehr dasselbe die letztere verdient, braucht hier nicht
von Neuem hervorgehoben zu werden; dass sie ihm aber auch künftighin er¬
halten bleiben wird, dafür hat Verfasser durch die sorgfältige Berücksichtigung
aller Fortschritte und neuer wissenschaftlicher Tatsachen auf allen Gebieten
der öffentlichen Gesundheitspflege Sorge getragen. Nicht minder verdient an¬
erkannt zu werden, dass trotz der Berücksichtigung der neuen Errungen¬
schaften hygienischen Wissens das Lehrbuch auch in seiner neuen Auflage
seinen bisherigen Umfang, soweit sich nach den vorliegenden Lieferungen be¬
urteilen lässt, nicht wesentlich überschreiten und demgemäss seinen kompen-
diösen Charakter beibehalten wird.
Die Einteilung des Stoffes ist unverändert geblieben. Nach einer kurzen
die Geschichte der Gesundheitspflege behandelnden Einleitung werden zunächst
die Atmosphäre, sodann der Boden, das Klima und hierauf das Wohnhaus be¬
sprochen. Ueberall sind hierbei die wichtigsten Untersuchungsmethoden in
klarer, leicht verständlicher und präziser Weise geschildert, z. T. unter Bei¬
fügung zweckentsprechender Abbildungen. Insbesondere hat das Kapitel über
Kleidung eine den neuesten Forschungsergebnissen des Verfassers entsprechende
Umarbeitung erfahren.
Hoffentlich folgt das Erscheinen der weiteren Lieferungen ebenso schnell,
wie bei den früheren Auflagen!, _ Rpd.
Dr. Leo Burgerzteln und Dr. Ang. Netolitzky : Handbuch der
Schulhygiene. Mit 860 Abbildungen. Zweite umgearbeitete Auflage.
Jena 1902. Verlag von Gustav Fischer. Gr. 8°; 997 S. Preis: 20 Mark.
Die zweite Auflage des Baches ist bedeutend vergrössert erschienen, der
Inhalt ist von 429 Seiten der ersten Auflage auf 997 der zweiten gestiegen,
die Zahl der Illustrationen ist von 154 auf 360 gewachsen. Bei der Neube¬
arbeitung sind nur wenige Textseiten unverändert geblieben und ganze Kapitel
haben beträchtliche Veränderungen erfahren, z. B. die Hygiene des Unterrichts;
als neue Abschnitte sind das Kapitel über Hygiene des Lehrerbernfes und das
Kapitel über den Kindergarten einbezogen. Bei der Erörterung der Infektions¬
krankheiten sind Cholera, Malaria, Pest und Typhus neu aufgenommen worden,
da diese Krankheiten für die Schulen in den meisten Kulturstaaten bereits der
Anzeigepflicht unterliegen.
Das vorliegende Handbuch zählt zu den besten, die wir in der sohul-
hygienischen Literatur besitzen und stellt eine erschöpfende Darstellung der
umfangreichen Doktrin dar, in der die einschlägige Originalliteratur in
dänischer, deutscher, englischer, französischer, holländischer, italienischer,
russischer und schwedischer Sprache verwertet ist. Es ist ein Werk von
hoher praktischer and wissenschaftlicher Bedeutung, das namentlich von Aerzten,
die sich aus Beruf oder aus wissenschaftlichem Interesse mit der Scbulgesund-
heitslehre befassen, als ein willkommener Berater in allen schulhygienischen
Fragen begrüsst werden kann. _ Dr. Rump-Osnabrück.
Dr. O. Dummer: Handbuch der Arbeiterwohlfahrt. Mit zahlreichen
Textfiguren. Stuttgart 1902 u. 1903. Verlag von Ferd. Enke. Zwei Bände.
Gr. 8*; 880 S. bezw. 440 S. Preis: 22 M., geb. 24,60 M. bezw. 12,40 M.
Das Handbuch dürfte nicht nur den Arbeitgebern, sondern auch den
Verwaltungs-, Gewerbeaufsichts- und Medizinalbeamten in hohem Grade will¬
kommen sein, da es sowohl alle sozialpolitischen Gesetze, als alle Einrichtungen
berücksichtigt, die zur Förderung der Arbeiter in gesundheitlicher, geistiger
Besprechungen.
595
Und wirtschaftlicher Beziehung Bich als zweckmässig bewährt haben. Der Ver¬
fasser hat zur Bearbeitung des Überaus reichhaltigen und interessanten Mate¬
rials eine stattliche Anzahl von Mitarbeitern gewonnen, die sich alle mit Er¬
folg bemüht haben, die von ihnen bearbeiteten Kapitel in erschöpfender und
saehgemässer Weise zu behandeln; trotz dieser zahlreichen Mitarbeiter ist aber
doch der einheitliche Charakter des Handbuches gewahrt, desgleichen sind
Wiederholungen tunlichst vermieden.
Der erste Band umfasst die Kapitel: Arbeiterwohnungen von Architekt
Friedrich Wagner in Rostock — hier haben auch die einschlägigen Verhält¬
nisse des Auslandes Berücksichtigung gefunden —, das Schlafstellenwesen von
Kreisassistenzarzt Dr. Ascher in Königsberg i. Pr., die Desinfektion der Woh¬
nungen von Privatdozent Stabsarzt Dr. Diendonnä in Wttrzburg, die Er¬
nährung von Privatdozent Dr. Hirschfeld in Berlin, die Kleidung von Dr.
F. Leppmann in Berlin, die Fabrik von Prof. Büsing in Berlin — beson¬
ders eingehend sind hier Heizung, Lüftung und Beleuchtung besprochen —,
die Beschädigungen der Arbeiter bei der Arbeit und die Behandlung von Ver¬
unglückten und deren Transport von Dr. Ascher und die spezielle Gewerbe-
hygiene nebst Unfallverhütung von Qewerbeinspektor Dr. Fischer in Berlin.
In diesem letzten Kapitel sind nicht blos die Schutzvorrichtungen gegen Unfall,
Feuergefahr u. s. w., sondern auch alle Vorrichtungen zur Erhaltung von
frischer Luft (Bekämpfung von Staub, Gasen, Dünsten und Bauch) im allge¬
meinen sowohl, wie bei den einzelnen Gewerbetrieben berücksichtigt; es bildet
gleichsam eine ge werbe- technische Ergänzung des von Ascher bearbeiteten
Kapitels über die Beschädigungen der Arbeiter, bei dem der medizinisch-tech¬
nische Standpunkt in den Vordergrund tritt und das demgemäss besonders den
Arzt und Medisinalbeamten interessiert. Dasselbe gilt betreffs der aus der
Feder desselben Verfassers stammenden Kapitel über Hausindustrie und Ar-
beiterschuts, die den Anfang des zweiten Bandes bilden, der ausserdem
noch die Kapitel über staatliche Gewerbeaufsicht von Gewerbeinspektor Dr.
Schröder in Magdeburg, Privatrechtschutz der Arbeiter von Amtsgerichtsrat
Laubhardt in Berlin, Arbeitsnachweis von Gewerbeinspektionsassistent Dr.
Glühmann in Berlin, Kranken- u. Unfallversicherung von Beg.-Bat Prof.
Dr. Lass in Berlin, Invalidenversicherung von Beg.-Bat Klehmet in Berlin,
gewerkschaftliche Organisationen der Arbeiter von Dr. Mombert in Karlsruhe
und über Arbeitsvertrag, Lohnform, Arbeitervertretung nnd Fabrikwohlfahrts¬
pflege von Gewerbeinspektor Dr. Möller in Wittstock enthält.
Diese kurze Uebersicht wird genügen, um dem Leser ein Bild von dem
reichen Inhalt des Handbuches zu geben. Die Ausstattung desselben ist eine
vorzügliche; sein Wert für den praktischen Gebrauch wird durch zahlreiche,
recht instruktive Abbildungen, namentlich im ersten Bande (344), wesentlich
erhöht. _ Bpd.
Dr. R. dränier, Geh. Med.-Bat u. Kreisarzt in Berlin: Lehrbuch für
Heilgehilfen und Masseure. Dritte vermehrte Auflage. Berlin 1903.
Verlag von B. Schoetz. Gr. 8°, 213 S. Preis: geb. 6 Mark.
Das von der Zentralinstanz empfohlene Graniersche Lehrbuch für
Heilgehilfen und Masseure hat infolge der neuen ministeriellen Bestimmungen
vom 8. März v. J. eine bedeutende Umarbeitung und Vermehrung erfahren.
Die Krankenpflege und Badehilfe sind neu hinzugefügt, alle anderen Abschnitte
unter Berücksichtigung der neuesten Erfahrungen durchgearbeitet und bei der
Desinfektion auch das Vorfahren mit Formaldehyd eingehend besprochen. Von
den einschlägigen gesetzlichen und polizeilichen Bestimmungen haben mit Becht
nur die zur Zeit geltenden Bestimmungen Aufnahme gefunden, soweit sie für
die Tätigkeit der Heilgehilfen und Pflegepersonen in Betracht kommen. Durch
vorzüglich ausgeführte Abbildungen und tadellose Ausstattung in Bezug auf
Papier und Druck hat das Lehrbuch an Brauchbarkeit ausserordentlich ge¬
wonnen ; es sei deshalb in seiner neuen Gestalt den beteiligten Kreisen, insbeson¬
dere den Kreisärzten und Krankenhausärsten, als Leitfaden für die Heranbildung
eines tüchtigen Pflegepersonals wiederum aufs Wärmste empfohlen. Bpd.
Dr. O. v. Baxdeleben: Handbuch der Anatomie den Mennohen.
Jena 1902 u. 1903. Verlag von G. Fischer. Gr. 8«; Lieferung 8 mit
Tageen&chrichtetl.
586
89 Abbildungen und 182 8.; Preis 6 Mark für die Abnehmer des ganzen
Werkes, 7,60 Mark bei Einsei verkauf; Lieferung 9 mit 86 Abbildungen and
170 S., Preis 6,0 bezw. 7,50 M. and Lieferung 10 mit 198 Abbildungen und
178 S. Preis: 4,60 bezw. 6 M.
Nach längerer Pause sind von dem vorliegenden Handbuche der Anatomie
wiederum 8 Lieferungen erschienen: In der 8. Lieferung behandelt Prof. Dr.
Disse-Marburg die Harn- und Geschlechtsorgane, in der 9. Lieferung Prof.
Dr. Merk ei- Göttingen die Atmungsorgane, während die 10. Lieferung die Fort¬
setzung der Anatomie des Nervensystems von Prof. Dr. Ziehen-Utrecht bildet
und eine vorzügliche Darstellung der mikroskopischen Anatomie des Gehirns
gibt. Wenn auch gerade diese Lieferung den Gerichtsarzt besonders inter¬
essieren dürfte, so sind für ihn doch auch die beiden anderen Lieferungon des
Handbuches höchst wertvoll; denn für die gerichteärztliche ObduktionBtecbnik
und Beurteilung der Obduktionsergebnisse bildet eine genaue Kenntnis nicht
nur der pathologischen, sondern auch der normalen Anatomie die Hauptgrund¬
lage. Er muss auch mit den vorkommenden angeborenen Abweichungen, mit
der fortschreitenden Entwickelung des menschlichen Körpers im jugendlichen
Alter, wie mit dessen rückschreitender Umbildung im Alter bekannt sein; will
er nach dieser Richtung hin seine Kenntnisse erweitern oder in Zweifelfällen
einen sicheren Ratgeber haben, dann wird er ihn in dem Bardelebensehen
Handbuche finden. Die Ausstattung der jetzt zur Ausgabe gelangten Lie¬
ferungen ist eine ebenso gediegene wie die der bereits erschienenen; die zahl¬
reichen Abbildungen lassen sowohl in bezug auf Naturtreue, als in bezug auf
künstlerische Ausstattung nichts zu wünschen übrig. Rpd.
Tagesnachrichten.
Zur Bekämpfung des Typhus. Im diesjährigen Etat für das Deutsche
Reich sind bekanntlich für die Förderung der Bekämpfung des Typhus (s. die
betreffende Denkschrift in Nr. 2, 8. 79 der Zeitschrift) 150000 Mark eingestellt
und vom Reichstag bewilligt worden. Auf Veranlassung des Reichskanzlers
hat sich nun vor Kurzem eine Kommission unter Leitung des Präsidenten des
Kaiserlichen Gesundheitsamts Dr. Köhler nach dem Westen des Reiches be¬
geben. Vom Reichsamt des Innern nahm an der Reise der Geh. Ober-Beg.-Rat
Bumm teil, vom preußischen Kriegsministerium Oberstabsarzt Dr. Paalzow,
vom Ministerium des Innern Geh. Ober-Reg.-Rat Maubach, vom Finanzmini¬
sterium Geb. Reg.-Rat Dulheuer. Für die elsass - lothringische Regiernng war
Geh. Med.-Rat Dr. Biedert, von Bayern Stabsarzt Dr. Hertel, von Olden¬
burg Reg.-Rat Dr. Trost delegiert. Die Kommission besichtigte in Strassburg,
Landau, Saarbrücken, Metz und Trier die teils schon in Betrieb befindlichen
Einrichtungen, teils wurden die der Ausführung noch entgegensehenden Pläne
einer Untersuchung unterzogen. In Trier schlossen sich auch die Kommissare
des preussischen Kultusministeriums, Ministerialdirektor Dr. Förster und
Geh. Ober-Reg.-Rat Prof. Dr. Kirchner, an. Unter Zuziehung der Leiter
sämtlicher Typhusstationen fand hier eine Beratung statt, in der ein Plan
festgestellt wurde, nach dem sämtliche Stationen in Uebereinstimmung mit den
Verwaltungsbehörden vorzugehen haben, um eine systematische Bekämpfung
des Typhus nach der Anregung des Geh. Rats Prof. Dr. Koch zu erzielen.
In der Sitzung des Württembergisoben Landtages am 10. Jnni
d. J. ist die Errichtung eines homöopathischen Lehrstuhls wiederum
zur Sprache gebracht. Kultusminister Dr. v. Weizsäcker erklärte mit grosser
Entschiedenheit, dass er sich nach dem ablehnenden Gutachten des akademischen
Senates nicht veranlasst gesehen habe, dem vorjährigen Beschlüsse des Landtages
entsprechend einen Lehrauftrag für Homöopathie in Tübingen zu erteilen.
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Personalien. Der Privatdozent Dr. Paul Stolper, langjähriger Mit¬
arbeiter der Zeitschrift, hat einen Ruf als außerordentlicher Professor der
gerichtlichen Medizin nach Güttingen erhalten und angenommen.
Verantworte Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u.Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J, C. 0. Bruns, Herzog). 8Xehe. u. F. 8eh.-L. KfofbucbdruckereJ ln Minden,
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16. Jahrg.
Zeitschrift
1903.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentnlblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie,
fir ärztliche Sachverständigentatigkeit in Unfall- und Invaliditatssaehen, sowie
fir Hygiene, ofentl. Sanitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung und Rechtsprechog.
Henuugegeben
TOB
Dr. OTTO RAPMÜND,
Eeglerangi- Bad Geh. HedistBalrat in Minden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer-Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Iniento Böhmen die ▼erlegehandlang sowie alle ABoonoeoezpeditloBfin de« Ib-
BBd Aaslande« entgegen.
Nr. 15.
Krsehehit am 1. und 15. Jeden Monats
1. Aug.
Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren.
Reforagedanken von Dr. Placzek - Berlin.
Za den bemerkenswertesten Erscheinungen, die der deutsche
Einheitsgedanke, je tiefer er Warzel schlng, mit zwingender Not¬
wendigkeit im Gefolge hatte, zählen die deutschen Einheits-
Schöpfungen auf juristischem Gebiete. Begonnen mit dem anfänglich
für den Norddeutschen Bund geplanten und in unveränderter
Gestalt für das Reich übernommenen Strafgesetzbuch vom
22. Juni 1870, folgten in kurzen Intervallen das Gerichtsver¬
fassungsgesetz vom 27. Januar 1877, mit den Aenderungen vom
17. Mai 1897, die Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877 in
der Fassung vom 17. Mai 1898, die Strafprozessordnung für das
Deutsche Reich vom 1. Februar 1877 und schliesslich als Krönung
des Einheitsstrebens das Bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Januar 1900.
Was für die Vertreter des Rechtes möglich wurde und sich
als wohltätig erwies, nach deutschen Einheitsnormen za handeln,
sollte es nicht auch erfüllbar sein für die Gehilfen der Gerichts¬
behörden, die Gerichtsärzte in ihrer Funktion als technische
Berater P Sollte nicht der Zeitpunkt gekommen sein, um mit der
Bnntscheckigkeit der einzelstaatlichen Sektionsregulative, wie sie
jetzt noch im zwecklos gewordenen Sonderdasein fortexistieren,
endgiltig aufzuräumen P Erscheint nicht der jetzige Zeitpunkt
ganz besonders geeignet, da auch die deutschen Medizinalbeamten
unter Rapmunds tatkräftiger Initiative sich zu einem Deutschen
Medizinalbeamtenverein vereinigt haben?
038
Dr. Placzek.
Wenn aber einmal ein einheitliches Sektionsregulativ an¬
gestrebt wird, so müssen zn grundlegender Vorarbeit Vorzüge
und Mängel der gegenwärtig gütigen Regulative gekannt, kritisch
betrachtet und gegen einander abgewogen werden, um ihre Fort¬
existenz befürworten oder etwas Besseres an ihre Steüe setzen
zu können. Dass hier Mängel bestehen und sich den Obduzenten
lästig fühlbar machen, dürfte niemand bestreiten. Ich brauche
nur zum Beweise an die Anweisung des §. 22 des Preussischen
Regulativs „Ueber die Herausnahme des Magens bei Vergiftungen 41
zu erinnern. Das hier angegebene Verfahren hält der erfahrungs¬
reiche Fr. Strassmann 1 ) nicht nur „leider durchaus nicht für
glücklich gewählt 41 , sondern kritisiert es noch mit den herben Worten:
„Hätte man eine Prämie auf die Entdeckung des unbequemsten Verfahrens
ansgesetzt, so wäre sie wahrscheinlich der durch das Regulativ bestimmten
Methode zu Teil geworden“.
Ehe man die Frage eines Leicheneröffnungsverfahrens für
das Deutsche Reich aufwirft, erscheint es nicht unangebracht, sich
zu fragen, ob bindende Vorschriften überhaupt zweck¬
mässig sind? Nach meiner persönlichen Anschauung sicherlich;
mag auch volle Freiheit des Sektionsmodus im Einzelfalle günstig
sein, die grosse Mehrzahl der Obduzenten dürfte ein bindendes Re¬
gulativ wohltätig empfinden, vorausgesetzt, dass sie nicht zu skla¬
vischer Befolgung seiner Vorschriften für jeden Fall verpflichtet sind.
Da schon das preussische Regulativ dem Handeln des Ob¬
duzenten eine Variationsbreite lässt und nur einschränkend eine
ausdrückliche Motivierung jeder Abweichung verlangt, wäre nach
dieser Richtung eine Aenderung nicht nötig; indessen dürfte ein
ausdrücklicher Hinweis auch im deutschen Zukunftsregulativ
wünschenswert sein. Vorbildlich erscheint mir hierfür der §.10
des Württembergischen Regulativs:
„Die nachfolgenden technischen Vorschriften sollen nicht schablonenhaft
angewendet, sondern deren Reihenfolge nur im allgemeinen eingehalten, im
übrigen aber als Leitfaden für den Qang der speziellen Untersuchung angesehen
werden, welche jedesmal der Eigentümlichkeit des Falles anznpassen ist . . .“
Der Wortlaut dieses Paragraphen kann jedoch nur inhaltlich
als Vorbüd gelten und durchaus nicht stilistisch; denn ich möchte
nur darauf hin weisen, dass die Mehrzahl „sollen 44 unmöglich auf
„deren Reihenfolge 44 mitbezogen werden kann.
Welche deutschen Bundesstaaten besitzen nun ein
eigenes Sektionsregulativ? Hierauf gibt die folgende Auf¬
zählung Antwort, deren Voüständigkeit ich der liebenswürdigen
und bereitwilligen Unterstützung durch die Obersanitätsbehörden
der einzelstaatlichen Ministerien verdanke:
1. PreuBsen: Regulativ für das Verfahren der Qeriohtsärste bei den
gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 15 Februar
2. Bayern: Instruktion für das Verfahren der Aerzte bei den gericht¬
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 9. Dezember 1880.
8 . Sachsen: Anleitung für das Verfahren der Aerzte bei den gericht¬
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen. Justiz-Min.-Bl.; 1886, 8 . 21.
*) Lehrbuch der geriehtl. Medizin. Stuttgart 1896. Verlag von Ferd.
v n k e, 8 . 406.
Sin deutsche! gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 689
4. Württemberg: Instruktion für das Verfahren nnd die Stellung
der Aerzte bei der richterlichen nnd polizeilichen Leichenschau nnd Leichen¬
öffnung vom 81. Dezember 1885.
5. Baden: Dienstanweisung für OerichtsKrzte nebst Sektionsanleitnng
Tom 4. Januar 1888.
6 . Hessen: Regulativ vom 19. Dezember 1877.
7. Sachsen-Weimar: Anweisung zur Vornahme der richterlichen
Leichenschau und Leichenöffnung. 1890.
8 . Mecklenburg-Schwerin: Regulativ für das Verfahren der Aerzte
bei Leichenöffnungen. Regierungsblatt; Beilage zu Nr. 80, 1889.
9. Mecklenburg-Strelits: Regulativ ftkr das Verfahren der Gericfats-
ttrzte bei den medizinisch-gerichtlichen Untersuchungen der menschlichen
Leichname vom 28. Juli 1862.
10. Oldenburg hat kein besonderes Regulativ.
11. Braunschweig: Regulativ für das Verfahren der Gerichtsärzte
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 1882.
12. Sachen - Meiningen hat kein eigenes Regulativ.
13. Sachsen-Altenburg: Eier gilt daB sächsische Regulativ.
14. Sachsen-Koburg-Gotha: Hier gilt das preussische Regulativ.
16. Anhalt: Regulativ fttr das Verfahren der Gerichtsärzte bei den
gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 1900.
16. Schwarzburg-Rudolstadt: Anweisung fttr die Vornahme der
gerichtlichen Leichenöffnung zur Nachachtung seitens der Gerichte, Staats¬
anwaltschaften und Aerzte, Ministerial-Bekanntm. vom 27. Dezember 1895.
17. Schwarzburg - 8ondershausen: Verfahren bei der gerichts¬
ärztlichen Untersuchung menschlicher Leichname vom 2. Februar 1887.
18. Waldeck: Hier gilt das preussische Regulativ.
19. Renas ältere Linie: Desgleichen.
20. Reuse jüngere Linie: Ein besonderes Regulativ Uber das von
den Gerichtsärzten bei Sektionen zu beobachtende Verfahren ist nioht erlassen.
21. Lippe-Detmold: „Meistens“ wird das preussische Regulativ
angewendet.
22. Schaumburg-Lippe hat kein eigenes Regulativ.
23. Lübeck besitzt kein besonderes Regulativ; gearbeitet wird nach
dem preus8ischen.
24. Hamburg: „Als näherer Anhalt“ gilt das preussische Regulativ.
25. Bremen besitzt kein eigenes Sektions-Regulativ.
26. Eisass-Lothringen: Anweisung fttr das Verfahren der Aerzte
bei gerichtlichen Leichenöffnungen; Beilage zu Nr. 4 des Amtsblattes des
Minist, f. Eis.-Lothringen; 1882 *).
Diese Uebersicht kann zunächst einen Anhalt für die zu¬
künftige Bezeichnung des deutschen Leichenöffnungsverfahren
liefern. Bei derselben sollten jedenfalls Fremdwörter vermieden
werden. Deutsche Worte, wie „Anleitung“, Anweisung, Dienst¬
anweisung“ sind wenigstens ebenso bezeichnend, wie Regulativ
oder Instruktion und erfüllen ihren Zweck gleich gut. Mir
würde die Fassung „Dienstanweisung für die deutschen
Gerichtsärzte bei gerichtlichen Leichenöffnungen“ am
besten gefallen; indes sind hier zahllose Fassungen möglich und
annehmbar, sobald sie kein Fremdwort enthalten, auch nicht
Worte wie Sektion, Obduktion, Obduzenten. Ob das letzte Wort
sich vollständig wird vermeiden lassen, ist allerdings fraglich;
*) Der ausserordentlichen Liebenswürdigkeit der Herren Geh. Med .-Prof.
Dr. Biedert-Hagenau und Geh. Ober-Med.-Rat Dr. Krieger verdanke ich
es, dass ich ein Exemplar des ganz vergriffenen els.-lothr. Regulativs zur Ein¬
sieht erhielt. Nach Mitteilung der letzteren Herren ist jedoch schon vor
mehreren Jahren angeordnet, dass bei gerichtlichen Sektionen nach dem
preussischen Regulativ zu verfahren sei; deshalb ist jene ältere Anweisung
inhaltlich hier nicht erörtert.
640
Dr. Plaozek.
mindestens würde,man sich an die Bezeichnung „Leichenöffner“
erst gewöhnen müssen.
Schwanken könnten die Ansichten über die Beibehaltung des
Wortes „Protokoll“, denn es ist ein Fremdwort und stammt aus
dem Griechischen; ursprünglich Bezeichnung des den Papyrus¬
rollen vorgeklebten Zettels, gegenwärtig Bezeichnung für die ur¬
kundliche Festlegung einer Verhandlung, ist es allmählich durch
den strafrechtlichen, zivilrechtlichen und völkerrechtlichen Verkehr
so fest eingeführt, dass man es ohne Bedenken beibehalten kann.
Es dürfte auch nicht leicht ein es inhaltlich gut wiedergebendes
deutsches Wort gefunden werden. 1 )
Hecht mannigfaltig ist die Hauptdisposition der geltenden
Regulative. Ueberwiegend ist die Dreiteilung:
Preusseii, Mecklenburg-Schwerin,*) Mecklenburg - Strelltz,
Braunschwelg, Schwarzburg-Sondershausen, Anhalt: 1. Allgemeine
Bestimmungen. — II. Verfahren bei der Obduktion. — III. Abfassung des
Obduktionsprotokolls und des Obduktionsberichts.
Bayern: I. Allgemeine Bestimmungen. — n. Verfahren bei der
Obduktion. — III. Abfassung des Obdnktionsprotokolls und der Gutachten.
Sachsen: I. Allgemeine Bestimmungen: — II. Verfahren bei der
gerichtlichen Obdnktion.
Württemberg: I. Von den su einer Leichenschau und Leichenöffnung
beiznziehenden Aerzten und ihren Pflichten. — n. Vorschriften für das Ver¬
fahren bei der richterlichen und polizeilichen Leichenschau und Leichenöffnung.
— in. Protokolle und Gutachten.
Sachsen - Weimar - Eisenach: I. Allgemeine Bestimmungen. —
II. Die Leichenschau. — III. Die Leichenöffnung.
Bl8as8-Lothringen: I. Allgemeine Bestimmungen. — II. Verfahren
bei der Leichenöffnung. — III. Abfassung der Leichenöffnungs - Protokolle und
der Sohlussgutachten (Obduktionsberichte).
Eine ganz eigenartige Disposition hat die Dienstanweisung
in Baden:
I. Allgemeine Bestimmungen. — II. Besondere Bestimmungen Aber das
Verfahren bei einzelnen Verbrechen und Vergehen. — HI. Bestimmungen Aber
Untersuchung der Körper- und Geistesbeschaffenheit im allgemeinen. An¬
hang: Vorschriften fflr Vornahme von Leichenöffnungen.
Bei einer vergleichenden Betrachtung dieser inhaltlich und
stilistisch verschiedenen Hauptdispositionen finde ich am prak¬
tischsten die Dreiteilung, und zwar in der Form:
„1. Allgemeine Bestimmungen . *)
2. Verfahren bei der Leichenöffnung.
3. Protokoll und Gutachten. 11
„Leichenschau“ und „Leichenöffnung“ zu Hauptabteilungen zu
machen, wie in Sachsen-Weimar-Eisenach geschieht, halte
ich nicht für gut. Diese Begriffe gehören unter den allgemeineren
Begriff „Verfahren“; wollte man sie aber als Hauptabteilungen
gelten lassen, so müsste man eine IV. Rubrik „Protokoll und Gut¬
achten“ schaffen, die in Sachsen-Weimar-Eisenach fehlt.
*) Die Verdeutschung durch „Befund“, wie der Herausgeber der Zeit¬
schrift mir vorschlftgt, erschöpft nicht die Bedeutung des Wortes. Es geschieht
das nicht einmal durch „schriftlichen Befund*.
*) Die betreffenden Regulative stimmen in der Disposition Aberein statt
„Obduktion“ heisst es nur vereinzelt, z. B. in derjenigen fflr Mecklenburg-
Schwerin: „Leichenöffnung*.
*) Die Vorschläge fflr die neue Fassung sind in Kursivschrift gedruckt.
Bin deutsches gerichtsürstliohes Leichenöffnungsverfahren. 541
Auch nach ihrer kurzen and präzisen Form halte ich die
vorgeschlagene Hauptgruppierung für ausreichend; grössere Aus¬
führlichkeit macht sie recht schwerfällig, wie die Württem-
bergischen Abteilungen I, II beweisen.
Selbstverständlich ist das Wort „Obduktion“ durchgängig,
und zwar im gesamten Text der Anweisung, durch „Leichen¬
öffnung“ zu ersetzen.
Ueber die weitere Einteilung der drei Hauptgruppen
dürften Meinungsverschiedenheiten kaum entstehen. In allen drei
Gruppen kann es sich nur, wie bisher, um eine Aufeinanderfolge
einzelner, durch arabische Zahlen gekennzeichneter Abschnitte
handeln. Allerdings stimmen die geltenden Sektionsregulative auch
nur in dieser Anlage nach Paragraphen überein, weichen aber
erheblich voneinander in deren Anzahl, Inhalt und äusserer Kenn¬
zeichnung ab. Einige Anweisungen, wie die von Preussen,
Bayern, Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Schwarzburg-
Sondershausen weisen durch prägnante Ueberschriften in ge¬
sperrter Schrift auf den wesentlichen Inhalt eines jeden Para¬
graphen hin; Sachsen, Württemberg, Baden, Sachsen-
Weimar-Eisenach, Mecklenburg-Strelitz tun dies nicht,
sondern heben das den Hauptinhalt des Paragraphen kenn¬
zeichnende Schlagwort nur durch gesperrte Schrift hervor;
Braunschweig unterlässt auch dies. Für nachahmenswert halte
ich die erstere Kennzeichnungsart durch prägnante, kurz gefasste
Ueberschriften.
Bei einer vergleichenden Betrachtung der
Allgemeinen Bestimmungen
fällt inhaltlich zunächst auf, dass zwei Regulative, von Bayern
und Sachsen-Weimar-Eisenach, es für nötig erachten, im
Einleitungsparagraphen den Begriff „Obduktion“ resp. ihren Zweck
noch detailliert zu bestimmen, während andere Regulative, wie
die von Preussen, Sachsen, Württemberg, Baden gleich
mit den Obduzenten und deren Pflichten beginnen:
Bayern: „§. 1. Obduktion ist die gerichtliche Untersuchung einer
menschlichen Leiche lur Feststellung des Süsseren und inneren Befundes,
Leichenöffnung im Sinne des §. 87, der B. Str. P. 0. Dieselbe serf&llt in swei
Hauptteile:
A. Aeussere Besichtigung (Inspektion).
B. Innere Besichtigung (Sektion).“
Sachsen - Weimar - Eisenach : „§. 1. Zweck der Leichenschau und
Leichenöffnung iBt die Feststellung der Todesursache, soweit die Süssere und
innere Besichtigung der Leiohe dies gestatten.
Zweck der richterlichen Leichenschau und Leichenöffnung ist die Fest¬
stellung der Todesursachen mit Rücksicht auf die Beantwortung der Schuldfrage.
Der Zweck ist bei Feststellung des Leichenbefundes überall im Auge
su behalten und alles, was su seiner Erreichung dient, genau und vollst&ndig
zu untersuchen.“
Man kann zweifelhaft sein, ob solche ausdrückliche Begrifis-
deflnition des Wortes Obduktion notwendig ist. Dagegen spricht
schon die Erfahrungstatsache, dass die anderen Regulative ohne
sie auskamen und auskommen. Unnötig ist eine solche Inter¬
pretation für die Zukunft auch deswegen, weil das Fremdwort
542
Dr. Placsek.
„Obduktion“ in seiner Verdeutschung als gerichtliche Leichen¬
öffnung die Bedeutung zweifelsfrei erkennen lässt. Will man
aber trotzdem eine Definition, so könnte man dem §. 1 von
Sachsen-Weimar-Eisenach folgende Fassung geben:
§. 1. „Zweck der gerichtlichen Leichenöffnung ist die Feststellung der
Todesursache mit Rücksicht auf die Beantwortung der Schuldfrage“
Das Hauptschema, wie es die bayerische Instruktion schon
hier in §. 1 gibt, gehört nicht hierher, sondern in die Bestimmung
über die Abfassung des Protokolls.
Ueber die obduzierenden Aerzte und ihre Pflichten
sprechen die Begulative fast durchgängig unter Wiedergabe der
Vorschriften, wie sie §. 87 der R. St. P. 0. enthält. *)
Preussen: „§. 1. Die obduzierenden Aerzte nnd ihre
Pflichten. Die gerichtliche Untersuchung einer menschlichen Leiche (Ob¬
duktion) darf nach den bestehenden Gesetzen nur von 2 Aersten, in der Regel
einem Physikus (Gerichtsarzt) und einem Gerichts- (Ereiswundarzt) im Beisein
eines Richters vorgenommen werden.
Die Obduzenten haben die Pflichten gerichtlicher Sachverständiger.
Wenn Uber die technische Ausfflhrung der Obduktion Zweifel entstehen,
so entscheidet der Physikus oder dessen Vertreter, vorbehaltlich der Befugnis
des anderen Arztes, seine abweichende Ansicht zu Protokoll zu geben.“
Bayern: „§. 2. Die obdnzierenden Aerzte und ihre Pflich¬
ten. Die Obduktion ist nach §. 87 der St. P. 0. im Beisein eines Riohters von
2 Aerzten, einem Amtsarzt und einem zweiten Arzt vorzunehmen. Demjenigen
Arzte, welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar vorhergegangenen
Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu übertragen. Derselbe
kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung boisuwohnen, um aus der
Krankheitsgeschichte Aufschluss zn geben.
Die Obduzenten haben die Pflichten gerichtlicher Sachverständiger.
Wer von den beiden Aerzten die Leichenöffnung auszuftthren hat, bleibt
der Vereinbarung der Aerzte flberlassen. Kommt eine solche nicht zu stände,
so findet §. 78 der St. P. 0. Anwendung. Einem Bader darf die Ausfflhrung
der Sektion nicht flberlassen, sondern ein solcher nur zur Vornahme der niederen
Dienstleistung bei der Obduktion zugezogen werden.“
Sachsen: „§. 1. 1. Die gerichtliche Obduktion einer menschlichen Leiche
wird im Beisein des Richters von 2 Aerzten, unter welchen sich ein Gerichts¬
arzt befinden muss, vorgenommen. Demjenigen Arzte, welcher den Verstorbenen
in der dem Tode unmittelbar vorausgegangenen Krankheit behandelt hat, ist
die Leichenöffnung nicht zn übertragen. Derselbe kann jedoch aufgefordert
werden, der Leichenöffnung anzuwohnen, um Aber die Krankheitsgesohichte
Aufschluss zu geben. (§. 87,1 St. P. 0.)
2. Der Richter hat, soweit ihm dies erforderlich erscheint, die Tätigkeit
der Sachverständigen zu leiten. ($. 78 St. P. 0.)“
Württemberg: „§. 1. Von den zu einer Leichenschau und
Leichenöffnung beizuziehenden Aerzten und ihren Pfliohten.
Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines Arztes, die richter¬
liche Leichenöffnung im Beisein des Richters von 2 Aerzten, unter welchen
Bich ein Geriohtsarzt befinden muss, vorgenommen. (§. 87,1 der R. St. P. 0.)
Die Zuziehung eine* Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben, wenn sie
nach dem Ermessen des Richters entbehrlich ist (§. 87,2 der R. St. P. 0.).
Zu der Leichenschau ist als Sachverständiger in der Regel der Oberamts¬
arzt, zu der Leichenöffnung nebsn dem Oberamtsarzt als zweiter Arzt der
Oberamtswundarzt beizuziehen.
*) Der §. 87 der Skr. P. O. lautet: „Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung
eines Arztes, die Leichenöffnung im Beiseln des Richters von 2 Aerzten, unter welchen sich ein
Geriohtsarzt befinden muss, rorgenommen. Demjenigen Arzte, welcher den Verstorbenen iu der
dem Tode vorausgegangenen Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu übertragen.
Derselbe kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung anzuwohnen, um aus der Krankheits¬
geschichte Aufschlüsse zu geben.
Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben, wenn sie nach dem
Ermessen des Richters entbehrlich ist. Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon be¬
erdigten Leiche ist ihre Ausgrabung statthaft.“
Ein deutsche« gerlohtsärstliches LeichenOffhungsverfahren.
548
Im Fall der Verhinderung oder der Abwesenheit des Oberamtsarztes
tritt an seine 8teile der Oberamtawundarst, wenn er zugleich innerer Arzt ist,
anderenfalls, oder wenn ein Oberamtswondarst nicht aulgestellt ist, derjenige
Arzt, welcher als Stellvertreter für den abwesenden oder verhinderten Ober¬
amtsarzt bestellt ist. — Unter der in §. 78,2 der B. St. P. 0. bezeichneten Vor¬
aussetzung eines durch besondere Umstände begründeten Bedürfnisses können
statt des Oberamtsarztes und Oberamtswundarztes auch andere Aerzte als
Sachverständige sngezogen werden, übrigens schon mit der in Abs. 1 hervor¬
gehobenen Massgabe, dass unter den zu einer Leichenöffnung zuiuziehenden
Aerzten sich ein Qerichtsarzt befinden muss.
Einem Arzte, welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar
vorausgegangenen Krankheit behandelt hat, darf die Leichenöffnung nicht über¬
tragen werden, derselbe kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung
anzuwohnen, um aus der Krankheitsgeschiohte Aufschluss zu geben (§. 87,1
der B. St. P. 0).
Die Leichenöffnung selbst verrichtet in der Begel der zweite der beige¬
sogenen Aerzte, doch bleibt die Verteilung des Geschäfts der beiderseitigen
Vereinbarung überlassen. Kommt keine Vereinbarung zu stände, so entscheidet
der Bichter (§. 78 der B. St. P. 0.).
Niederen Wundärzten kann die zweite Stelle nur dann übertragen werden,
wenn sie förmlich angestellte Oberamtswundärzte sind, anderenfalls sind solche
nur zu niederen Dienstleistungen zu verwenden.
Haben sich an die Leichenschau oder Leichenöffnung nach Lage der
Sache mikroskopische oder ähnliche Untersuchungen durch andere Sachver¬
ständige anznschliessen, so kann der Bichter auch diese zur Anwohnung bei
der Leichenschau oder Leichenöffnung zuziehen.
Im übrigen finden auf die zu einer richterlichen Leichenschau und Leichen¬
öffnung suznsiehenden Aerzte die Vorschriften in den §§. 72—80, 82—91 der
B. St. P. 0. Anwendung.“
Baden: §. 23, Abs. 2. Die Leichenschau wird durch den Bichter, unter
Zuziehung des Gerichtsarzte. 0 , vorgenommen. Letztere kann unterbleiben, wenn
sie nach dem Ermessen des Bichters entbehrlich ist (§. 87 der St. P. 0.).
Wird der erwähnte Verdacht durch die Leichenschau beseitigt, so behält
es bei dieser sein Bewenden. Andernfalls wird zur Leichenöffnung geschritten.
§. 24. Die Leichenöffnung geschieht in Gegenwart des Gerichts durch
zwei Aerzte, unter welchen sich ein Gerichtsarzt befinden muss. Demjenigen
Arzt, welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar vorausgegangenen
Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu übertragen. Derselbe
kann jedoch aufgefordert werden, derselben anzuwohnen, um aus der Krank¬
heitsgeschichte Aufschlüsse zu geben (§. 87 St. P. 0.).
Dem ersten Gerichtsarzt steht bei der Leichenöffnung die Leitung su;
er besorgt in der Begel auch die technische Ausführung derselben, kann diese
aber anch dem Assistenzärzte des Bezirks übertragen.“
Sachsen - Weimar - Eisenach: „§. 2. Die richterliche Leichenschau
wird unter Zuziehung eines Arztes, die Leichenöffnung im Beisein des Bichters
von 2 Aerzten vorgenommen. Die zuzuziehenden Aerzte sollen in der Begel be¬
amtete Aerzte (Bezirksärzte) sein; an der Leichenöffnung muss mindestens ein
beamteter Arzt teilnehmen (§. 87 der St. P. 0.).
Beide Aerzte haben während der ganzen Dauer der Leichenöffnung an¬
wesend zu sein.
Demjenigen Arzte, welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittel¬
bar vorausgegangenen Krankheit behandelt bat, ist die Leichenöffnung nicht
su übertragen. Derselbe kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung
anzuwohnen, um aus der Krankheitsgeschichte Aufschlüsse zu geben.
Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben,
wenn sie nach dem Ermessen rfes Bichters entbehrlich ist.
Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon beerdigten Leiche
ist ihre Ausgrabung statthaft.“
Schwarzbnrg - Sonderhaasen: „§. 1. Die gerichtliche Untersuchung
einer menschlichen Leiche (Obduktion) wird den bestehenden Gesetzen gemäss
im Beisein des Bichters von dem Pbysikns, als dem ständigen Gerichtsarzt
und einem vom Gericht für den einzelnen Fall zugezogenen Arzt vorgenommen.
Die Obduzenten haben die Pflichten gerichtlicher Sachverständiger.
544
Dr. Placsek.
Wenn Uber die technische Ausführung der Obduktion Zweifel entstehen,
so entscheidet der Physikus oder dessen Vertreter, vorbehaltlich der Befugnis
des anderen Arstes, seine abweichende Ansicht su Protokoll su geben.“
Braunechweig leitet die allgemeinen Bestimmungen mit wörtlicher
Wiedergabe der §§. 87—92 der B. 8t. P. 0. ein.
Mecklenburg • Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Anhalt haben
keine allgemeinen Bestimmungen fttr die obdusierenden Aerste und ihre
Pflichten.
Vergleicht man die Fassung des vorbildlichen §. 87 der R.
St. P. 0. mit seiner praktischen Ausgestaltung in den verschiedenen
Regulativen, so findet man nur formelle Unterschiede, geringfügige
Zusätze und praktische Hinweise auf die speziellen Verhältnisse
der Einzelstaaten. Auch für das Zukunftsregulativ wird sich für
diesen Paragraphen „Die obduzierenden Aerzte und ihre Pflichten“
eine wortgetreue Wiedergabe des §. 87 empfehlen mit ausdrück¬
licher Berücksichtigung der obduzierenden Personen. Vielleicht
dürfte folgende Fassung annehmbar sein:
„Die gerichtliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines Arztes, die
gerichtliche Leichenöffnung im Beisein des Richters von zwei Aerzten vor-
genommen. Die zuzuziehenden Aerzte sollen in der Regel beamtete sein; an einer
Leichenöffnung muss mindestens ein beamteter Arzt teilnehmen.
Die Aerzte haben die Pflichten gerichtlicher Sachverständiger.
Wer von den beiden Aerzten die Leichenöffnung auszuführen hat, bleibt
der Vereinbarung der Aerzte überlßssen. Erst wenn eine solche nicht zu stände
kommt, entscheidet der Richter.
Wenn über die technische Ausführung der Leichenöffnung Zweifel ent¬
stehen, so entscheidet der die Leichenöffnung leitende Arzt, vorbehaltlich der
Befugnis des anderen Arztes, seine abweichende Ansicht zu Protokoll zu geben.
Demjenigen Arzte, welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittel¬
bar vorangegangenen Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu
Übertragen; er kann jedoch auf gefordert werden, der Leichenöffnung anzuwohnen,
um aus der Krankheitsgeschichte Aufschluss zu geben.
Beide Aerzte haben während der ganzen Dauer der Leichenöffnung an¬
wesend zu sein.
Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben, wenn
sie nach dem Ermessen des Richters entbehrlich ist.
„Zur Besichtigung oder Oeffnung darf eine schon beerdigte Leiche aus¬
gegraben werden. a
Ueberflüssig erscheint mir der Passus desWürttembergi-
schen Regulativs:
„Haben sich an die Leichenschau oder Leichenöffnung nach Lage der
Sache mikroskopische oder ähnliche Untersuchungen darob andere Sachverständige
aniuschliessen, so kann der Siebter auch diese zur Anwohnung bei der Leichen¬
schau oder Leichenöffnung suziehen.“
Ueberflüssig erscheint mir dieser Passus, weil ein Obduzent,
der nicht in der Lage ist, eine bestimmte Untersuchung selbst¬
ständig vorzunehmen, das betreffende Objekt so vorbereiten und
aufbewahren kann, dass der andere Sachverständige seine Spezial¬
aufgabe später erfüllen kann. Seine Anwesenheit aus diesem
Gründe allein dürfte unnötig sein.
Ueber die Stellvertretung treffen folgende Dienstan¬
weisungen eine spezielle Verfügung:
Prenasen: „§.2. Stellvertretung. Der Physikus (Gerichtsarzt)
und der Gerichts- (Kreis*) Wundarzt sind nur in den gesetzlichen Behinderungs¬
fällen berechtigt, sich durch einen anderen Arzt vertreten su lassen. Als Ver¬
treter ist, wenn möglich, ein pro physicatu geprüfter Arzt su wühlen.*
Württemberg: „§. 1, Abs. 8; s. vorher S. 542 u. 548.*
Bin deutsches gerichtsärztliches Leichen Offnen gs verfahr en.
546
8 oh varsbarg - Sondershftusen: „§. 2. Der Physikus ist in den
gesetzlichen Behinderungsfällen berechtigt, sich durch einen anderen Arzt ver¬
treten za lassen. Als Vertreter ist, wenn möglich, ein pro physicatn geprüfter
Arzt za wühlen.“
Bayern, Sachsen, Baden, Mecklenburg-Schwerin, Mecklen¬
burg-Strelitz, Sachsen-Weimar, Anhalt nnd Brannsohweig ent¬
halten keine Bestimmungen darüber.
Für das deutsche Regulativ dürfte sich die Uebernahme des
preussischen §. 2 in nachstehender Fassung empfehlen:
„Der beamtete Arzt (Gerichtsarzt, Kreisarzt, Landgerichtsarzt, Oberamts-
arzt, Kreisassistent, Oberamtswundarzt u. 8. te.) ist in den gesetzlichen Behinde¬
rungsfällen berechtigt, sich durch einen anderen Arzt vertreten zu lassen. Als
Vertreter ist, wenn möglich, ein amtsärztlich geprüfter Arzt zu wählen. 1 )
Wenn das Württembergische Regulativ von einer gesetzlichen
„Voraussetzung eines durch besondere Umstände begründeten Be¬
dürfnisses“ — nebenbei eine stilistische Ungeheuerlichkeit, selbst
im Juristendeutsch — spricht, in der statt des beamteten Arztes
auch andere Sachverständige zugezogen werden dürfen, so möchte
ich dagegen nichts einwenden, wenn nur die Bestimmung bleibt,
dass ein beamteter Arzt anwesend sein muss. Uebrigens erwähnte
ich schon zuvor, dass gerade die Anwesenheit von Spezialsach¬
verständigen kaum nötig sein dürfte. Die „gesetzliche Voraus¬
setzung“ ist auch durchaus nicht bestimmt; ihr Wortlaut: „Sind
für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich be¬
stellt, so sollen nur dann andere Personen gewählt werden, wenn
besondere Umstände es erfordern“, lässt dem Richter weiten
Spielraum.
Ueber die Zeit der Obduktion sprechen sich die geltenden
Regulative verschieden aus:
Preussen: „§. 8. Zeit der Obduktion. Obduktionen dürfen in
der Regel nioht vor Ablauf von 24 Stunden nach dem Tode vorgenommen
werden. Die blosse Besichtigung einer Leiche kann früher geschehen.“
8 aobsen-Weimar-Bi8enaob: „§.8. Leichenschau und Leichenöffnung
können vorgenommen werden, sobald der Tod festgestellt ist.“
Brannsohweig: „§. 1. Leichenöffnungen sind regelmässig nioht vor
Ablauf von 24 Standen nach dem Tode vorzunehmen.“
Mecklenburg - Schwerin, Anhalt und 8ohwarsburg - Sonders¬
hausen: Identisch mit Preassen.
Bayern, Sachsen, Württemberg, Mecklenburg-Strelitn: Hier
fehlt eine derartige Bestimmung.
Da vom ärztlichen Standpunkte eine möglichst frühzeitige
Sektion am wünschenswertesten ist, möchte ich die Einschränkung
des preussischen Regulativs nach Ablauf von 24 Stunden nicht
für nachahmenswert halten, wohl aber den §. 3 von Sachsen-
Weimar-Eisenach; nur würde ich in dem Wortlaut statt
„Leichenschau“ und „Leichenöffnung“ „gerichtliche Leichenunter¬
suchung“ wünschen. Der Paragraph würde dann lauten:
„Eine gerichtliche Leichenuntersuchung kann vorgenommen werden f sobald
der Tod festgestellt ist “
Praktisch scheint es mir, dass der Zeit der Obduktion in der
Anweisung Ort und Beleuchtung für die Leichenöffnung so-
*) Es bleibt der Erwägung Vorbehalten, ob „pro physicatn“ durch
„kreisärztlioh“, „amtsärztlich* oder „staatsärztlieh* übersetzbar ist.
646
Dr. Placzek.
fort folgen. In dieser Beziehung schreiben die jetzigen Regu¬
lative vor:
Preassen: „§. 6. Lokal and Beleuchtung. Behufs der Ob¬
duktion ist für Beschaffung eines hinreichend geräumigen und hellen Lokales,
angemessene Lagerung der Leiche und Entfernung störender Umgebung mög¬
lichst sa sorgen. Obduktionen bei künstlichem Licht sind, einzelne keinen
Aufschub erleidende Fälle ausgenommen, unzulässig. Eine solche Ausnahme
ist im Protokoll unter Anführung der Gründe ausdrücklich zu erwähnen.“
Bayern: Identisch mit Preussen.
Sachsen: „§. 5. Zum Zweck der Leichenöffnung ist für Beschaffung
eines hinreichend geräumigen und hellen Baumes und für angemessene, die
genaue Besichtigung gestattende Lagerung der Leiche möglichst zu sorgen.
Vornahme der Leichenöffnung bei künstlicher Beleuchtung ist, wenn tunlich,
zu yermeiden.“
Württemberg: „§. 8. Zeitig genug soll für einen hellen, genügend
grossen Baum zur Vornahme der Inspektion und Sektion, sowie für ein zweck¬
mässiges, den sezierenden Arzt nicht hinderndes Lager der Leiche gesorgt
werden. Bei Licht darf die Leichenöffnung teilweise oder ganz nur unter
zwingenden Umständen yorgenommen werden. Geschieht es, so sind die Gründe
dafür ins Protokoll aufzunehmen.“
Baden: §. 80. Identisch mit Preussen, nur heisst es statt „Obduktionen“
„Leichenöffnungen“.
Mecklenburg • Schwerin: §. 4. Identisch mit Preussen.
Mecklenburg - Strelitz: „§. 2. Identisch mit Preussen, enthält nur
noch den weiteren Zusatz: „Ist die Anwendung des künstlichen Lichtes
während der Obduktion eingetreten, so ist in dem Protokoll der bezügliche
Zeitpunkt zu erwähnen.“
Sachsen-Weimar-Eisenach: „§. 4. Da das Tageslicht für die Be¬
urteilung der Farbe der Leichenteile durch keine künstliche Beleuchtung ganz
ersetzt werden kannn, sind Leichenschau und Leichenöffnung in der Begel am
Tage und in genügend hellem Baum vorzunehmen.
Erfolgt die Leichenuntersuchung ausnahmsweise bei künstlichem Licht,
so ist dies unter Anführung der Gründe in dem Besichtigungsprotokoll aus¬
drücklich zu erwähnen.“
Braunschweig: „§. 8. Obduktionen sind tunlichst in einem geräumigen
und hellen Lokale bei Tageslicht vorzunehmen. Geschieht es bei künstlichem
Licht, so ist solches im Protokoll zu bemerken.“
Anhalt, Schwarzburg-Sondershansen und Elsass-Lothrlngen:
Identisch mit Preussen.
Ans einem Vergleich der genannten Bestimmungen würde
ich einen Paragraphen folgender Fassung für brauchbar halten:
„Ort und Beleuchtung. Frühzeitig genug ist für einen geräumigen
und hellen Raum zur Vornahme der gerichtlichen Leichenuntersuchung und für
zweckmässige, die genaue Besichtigung aller Teile der Leiche gestattende Lage -
rung dez Leiche zu sorgen. Störende Umgebungen sind möglichst zu beseitigen.
Leichenuntersuchungen bei künstlichem Lichte sind, wenn tunlich, zu vermeiden .
Eine Ausnahme ist im Protokoll unter Anführung der Gründe ausdrücklich zu
erwähnen. Das Gleiche hat zu geschehen, wenn die künstliche Beleuchtung
während der Leichenöffnung eintrat. u
An nächster Stelle kommt in den Anweisungen eine Vor¬
schrift für die „Behandlung von Leichen mit Fäulnis-
erscheinungen“. Wenn das preussische Regulativ hier von
„Behandlung von Leichen, die in Fäulnis übergegangen“ spricht,
so kann ich diese Schlussform nicht als stilistisch glücklich ge¬
wählt ansehen. Hier fehlt das Wort „sind“, allerdings eine
Wendung, die den ganzen Titel etwas schwerfällig macht. Ohne
dieses Schlusswort hat der Titel eine poetische Form, die wieder
für eine nüchterne Dienstanweisung nicht passt. Die einzelnen
Bin deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfehren.
647
Regulative behandeln den Gegenstand verschieden, wie die folgende
Zusammenstellung lehrt:
Preussen: „§.4. Behandlung toüL eiohen, welche in Fäul-
nie libergegangen. Wegen vorhandener Fäulnis dürfen Obduktionen in
der Regel nicht unterlassen und von den gerichtlichen Aerzten nicht abgelehnt
werden. Denn selbst bei einem hohen Grade der Fäulnis können Abnormitäten
und Verletzungen der Knochen noch ermittelt, manche, die noch zweifelhaft
gebliebene Identität der Leiche betreffende Momente, z. B. Farbe und Be¬
schaffenheit der Haare, Mangel von Gliedmassen u. s. w., festgestellt, einge¬
drungene Fremdkörper aufgefunden, Schwangerschaft entdeckt und Vergiftungen
naehgewie 8 en werden. Es haben deshalb auch die Aerzte, wenn eB sich nur
Ermittelung derartiger Momente um die Wiederausgrabung einer Leiche
handelt, für dieselbe zu stimmen, ohne RUoksicht auf die seit dem Tode ver¬
strichene Zeit.“
Bayern: {$. 4. Identisch mit Preussen; ausserdem jedoch folgender
Zusatz: „Bei einer Exhumation hat der Amtsarzt darauf anzutragen, dass
dieselbe in der Art erfolgt, dass das Resultat der Untersuchung der Leiche
nicht gefährdet wird."
Sachsen: §. 2. „Wegen vorhandener Fäulnis darf die Vornahme der
LeichenOffauug nicht verweigert werden. Wenn jedoch die beiden Aerzte über¬
einstimmend der Meinung sind, dass nach der Beschaffenheit des Falles von
der Leichenöffnung oder von der Fortsetzung derselben ein Ergebnis nicht zu
erwarten sei, haben sie dies dem Richter anzuzeigen. Bei Ausgrabungen von
Leichen (§. 87,8 St. P. 0.) ist darauf zu achten, dass dieselben in einer Weise
ausgeführt werden, welche den Erfolg der Leichennntersuchung nicht gefährdet."
Württemberg: „§. 8. Gerichtlichen Ausgrabungen hat mindestens
einer der Aerzte beizuwohnen, welche später die Besichtigung oder Eröffnung
der Leiche vornehmen. Derselbe hat im Einvernehmen mit dem Richter dafür
zu sorgen, dass die Blosslegung und Erhebung des Sarges, sowie dessen spätere
Eröffnung mit möglichster Vorsicht geschehe. Liegt der Verdacht einer Ver¬
giftung vor, so ist das Mittelstück der unteren Seite des Sarges herauBzunehmen
und aufzubewahren. Von der unterhalb desselben gelegenen Erde, sowie auch
zur Kontrolle von dem gewachsenen Boden der Seitenwände des Grabes Uber
dem Sarge oder in einiger Entfernung von demselben sind Proben zur chemi¬
schen Untersuchung mitzunehmen.
Niemals darf von seiten der Aerzte eine Ausgrabung in alleiniger Rück¬
sicht auf die seit dem Tode verstrichene Zeit oder einen vermuteten hohen
Fäulnisgrad für zwecklos erklärt oder abgelehnt werden.
g. 4. Hochgradige Fäulnis einer Leiche darf kein Hindernis für ihre
genaue und sorgfältige geriohtsärztliche Untersuchung abgeben. Immer können
einige Umstände erhoben werden, welche die etwa noch zweifelhaft gebliebene
Identität feBtstellen helfen. Auch Schwangerschaft, eingedrungene Fremdkörper,
Vergiftung, Knochenverletzungen und je nach Umständen Verletzungen der
Weichteile können noch längere Zeit nach dem Tode nachgewiesen werden.
Selbstverständlich ist aber, dass je nach dem Grade der Fäulnis die später für
die Oeffoung der Leiche gegebenen Vorschriften modifiziert werden müssen."
Baden: „§. 23, Abs. 2. Die Leichenschau ist auch bei eingetretener
Fäulnis, wenn und soweit sie noch irgend tunlich ist, vorzunehmen.
Sollte die Leiche schon beerdigt sein, so kann Bie zum Zwecke der
Leichenschau wieder ausgegraben werden, sofern nach den Umständen davon
noch ein erhebliches Ergebnis erwartet werden kann, und die Rücksicht auf die
Gefahr für die Gesundheit der Personen, die au der Leichenschau teilnehmen
müssen, es nicht widerrät."
Sachsen-Weimar-Eisenach: „§. 8, Abs. 2. Fäulnis ist nur dann ein
Unterlassungsgrund, wenn durch sie die Beweismittel sicher vernichtet sind.
Vorher §. 2,4.
Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon beerdigten Leiche
ist ihre Ausgrabung statthaft."
Mecklenburg-Schwerin (§. 2), Braunschweig (§. 1), Anhalt (§. 2),
Bohwarzburg - Sondershausen (§.4) und Blsass - Lothringen (§. 4)
identisch mit Preussen.
548
Dr. Pl&ozek.
Meoklenburg-Strellta: Hier fehlt eine Vorschrift.
Braunsohweig: 1.wegen rorgesehrittener Fäulnis aber
nicht in unterlassen and ist die Länge der seit dem Tode verstrichenen Zeit
kein Grand, sich gegen die Wieder&asgrabang einer Leiche behob deren Unter¬
suchung su erklären.“
Wie schon ein Blick auf diese der Form und dem Inhalt
nach recht verschiedenartigen Bestimmungen lehrt, die alle den
gleichen Zweck verfolgen, Anweisungen für die Behandlung von
Leichen mit Fäulniserscheinungen zu geben, stimmen sie darin
überein, dass Fäulnis, selbst die hochgradigste, kein Motiv gegen
Ausführung der Leichenöffnung abgeben darf; denn immer dürften
sich forensisch wertvolle Befunde erheben lassen. Eine einzige
Ausnahme führt Sachsen an: „wenn nämlich beide Aerzte über¬
einstimmend der Meinung sind, dass nach der Beschaffenheit
der Fäulnis von der Leichenöffnung oder von der Fortsetzung
derselben ein Ergebnis nicht zu erwarten sei.“ Diese Aus¬
nahme ist wohl theoretisch denkbar, ich glaube aber nicht,
dass sie oft praktisch wirksam werden dürfte. Jeder gericht¬
liche Mediziner, der sich gegenwärtig hält, dass und welche
Veränderungen trotz hochgradigster Fäulnis auffindbar bleiben,
wird sich doch sehr bedenken, so kategorisch, wie es hier als
conditio sine qua non gefordert wird, ein negatives Ergebnis vor¬
auszusagen; tut er es aber trotzdem, so bleibt es gefahrvoll. Um
nur eine recht betrübende Erfahrung für diese Ansicht zu zitieren,
möchte ich auf die Mitteilung des Oberjustizrats Schwabe „Raub¬
mord* (Fall Ludwig-Chemnitz) 1 ) hin weisen. Hier hatten die
ärztlichen Sachverständigen bei der ersten Ausgrabung einer Leiche
die Fäulnis für so weit vorgeschritten erklärt, dass nichts mehr
zu konstatieren wäre. Und was ergab sich, als eine verhängnis¬
volle Verkettung von Indizien auf neue Spuren wies und eine
zweite Ausgrabung erforderlich machte P Eine schwere Schädel¬
zertrümmerung! Dass ein solcher Widerspruch auf den Juristen
besonders angenehm gewirkt haben sollte, wage ich zu bezweifeln.
Ich halte deshalb die Ausnahme des sächsischen Regulativs, ob¬
wohl durch die Forderung, dass beide Aerzte übereinstimmen
müssen, eine relative Garantie gegeben wird, für unheilvoll, und
möchte demzufolge auch nicht für ihre Aufnahme in das zukünftige
Regulativ stimmen. Mir erscheint vielmehr folgende Fassung
empfehlenswert:
Behandlung von Leichen mit Fäulnis erscheinungen.
Fäulnis einer Leiche, selbst hochgradige, darf kein Hindernis für eine genaue
und sorgfältige gerichtsärztliche Untersuchung der Leiche abgeben . Immer noch
können Befunde erhoben werden, welche die etwa noch zweifelhaft gebliebene
Identität feststellen helfen . Auch Schwangerschaft, eingedrungene Fremdkörper,
Vergiftungen, Knochenverletzungen und je nach Umständen Verletzungen der
Weichteile können noch längere Zeit nach dem Tode nachgewiesen werden . Selbst¬
verständlich ist, dass je nach dem Gerade der Fäulnis die später für eine Leichen¬
öffnung gegebenen Vorschriften entsprechend geändert werden dürfen .
Fäulnis ist nur dann ein Unterlassungsgrund, wenn durch sie die Beweis¬
mittel vernichtet sind .
Gerichtlichen Ausgrabungen hat mindestens einer der Aerzte beizuwohnen,
welche später die Besichtigung und Eröffnung der Leiche vornehmen . Derselbe
l ) Archiv für Krimin&lanthropologie, 8. Heft, 1903.
Bin deutsches geriehtsKntliches Lelehe&Offx&iiDgsTerfahies.
649
hat im Einvernehmen mit dem Richter dafür zu sorgen, dass die Blosslegung und
Herausnahme des Sarges sowie dessen spätere Eröffnung mit möglichster Vorsicht
geschehe . Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so ist das Mittelstück der
unteren Seite des Sarges herauszunehmen und aufzubewahren . Von der unter
dem Sarge befindlichen Erde sowie auch zur Kontrolle von dem bewachsenen
Boden der Seitenwände des Grabes, über dem Sarge oder in einiger Entfernung
von demselben sind Proben zur chemischen Untersuchung mitzunehmen .
Niemals darf von seiten der Aerzte eine Ausgrabung allein mit Rücksicht
auf die seit dem Tode verflossene Zeit oder einen unvermuteten hohen Fäulnis¬
grad für zwecklos erklärt oder abgelehnt werden“
In Sonderparagraphen geben die Regulative auch Anweisung
für die Behandlung gefrorener Leichen. Die folgende Zu¬
sammenstellung gibt hiervon ein Bild.
Preussen : „§. 7. Ist die Leiche gefroren, so ist sie in ein geheiztes
Lokal za bringen, nnd es ist mit der Okduktion za warten, bis die Leiche
gentlgend anfgetant ist. Die Anwendung von warmem Wasser oder von anderen
warmen Gegenständen zur Beschleunigung des Aaftaaens ist unzulässig.“
Bayern : Identisch mit Preussen.
Sachsen : „§. 3. Ist die Leiche gefroren, so ist sie in ein geheiztes
Lokal zu bringen. Mit der Leichenöffnung darf nicht eher begonnen werden,
als bis die Leiche aufgetaut ist. Bei etwa zur Beschleunigung des Anftanens
getroffenen Massnahmen ist darauf za achten, dass alles unterlassen werde, was
den Leichenbefund wesentlich verändern könnte.“
Württemberg: „§. 6. Gefrorene Leichen sollen vor Beginn der inneren
Besichtigung aufgetaut sein. Zu diesem Zweck bringt man sie in einen mässig,
etwa auf 16° B. erwärmten Raum und lässt sie darin im Durchschnitt 12
Stunden liegen. Es ist unzulässig, das Auftauen durch Einlegen in warmes
Wasser, Bedecken mit warmen Tüchern oder auf andere Weise zu beschleunigen.“
Baden: „§. 30, Abs. 1. Ist die Leiche gefroren, so ist sie vorher in
einen geheizten Raum zu bringen, und zu warten, bis sie genügend aufgetaut
ist. Die Anwendung von warmem Wasser oder von anderen Erwärmungsmitteln
zur Beschleunigung des Auftauens ist unzulässig.“
Sachsen-Weimar-Eisenach: „§. B. Da die Beurteilung der Festig¬
keit der Leichenteile durch Gefrieren unmöglich wird, sind gefrorene Leichen,
wenn irgend tunlich, vor der Leichenschau und Leichenöffnung in einer Weise
aufzutauen, welche die Erhebung des Befundes nicht beeinträchtigt.“
Eine ähnliche Bestimmung wird natürlich das zukünftige
Regulativ enthalten müssen. Vielleicht dürfte sich die folgende
Form empfehlen:
„Gefrorene Leichen. Da die Beurteilung der Leichenteile durch Ge¬
frieren unmöglich wird, sollen gefrorene Leichen möglichst frühzeitig vor Beginn
der Leichenöffnung in einen mässig erwärmten Raum (12 — 20 0 R.) gebracht
werden und dort so lange bleiben, bis sie aufgetaut sind. Unzulässig ist es, das
Auftauen in einer Weise zu bewerkstelligen, welches die spätere Erkennung des
Befundes beeinträchtigt. Deswegen soll weder Einlegen in warmes Wasser, noch
Bedecken mit warmen Tüchern oder ein anderes, das Auftauen beschleunigendes
Verfahren angewandt werden.“
Als nächste allgemeine Bestimmung für die Behandlung von
Leichen enthalten die Regulative eine Anweisung für den Trans¬
port. Auch hier wird eine Nebeneinanderstellung der ein¬
schlägigen Bestimmungen sich nützlich erweisen.
Preussen: „§. 8. Transport der Leichen. Bei allen mit der
Leiche vorzunehmenden Bewegungen, namentlich bei dem Transport derselben
von einer Stelle zur anderen, ist tunlichst darauf zu achten, dass kein zu
starker Druck auf einzelne Teile ausgeübt, und dass die Horizontallage der
grösseren Höhlen nicht erheblich verändert werde.“
Bayern: Identisch mit Preussen.
8 aohsen: „§. 8. Ist vor der Leichenöffnung der Transport der Leiche
von einer Stelle zur anderen erforderlich, so hat, wenn möglich, die äussere
660
Dr. Plaesek.
Besichtigung des Leichnams vor dem Transport stattznfinden. Bei allen mit
der Leiche vorzunehmenden Bewegungen, namentlich beim Transport derselben
ist darauf an achten, dass kein an starker Druck anf einzelne Teile ansgettbt,
and dass die wagerechte Lage der grossen KOrperhöhlen möglichst innege¬
halten werde.“
Württemberg: „§. 5.sie (PoliseibehOrde) selbst soll auch die
Lage, in welcher die Leiche gefunden wurde, genau erheben und womöglich
eine gerichtliche oder polizeiliche Leichenschau veranlassen, ehe dieselbe an
einen anderen Ort gebracht wird. Ferner haben eie darüber zu wachen, dass
die Leiche beim Transport in eine horizontale Rückenlage gebracht, kein
Druck auf einzelne Teile ausgeübt und die etwa durch die Totenstarre fixierte
Stellung der Glieder nicht verändert werde.“
Baden: „§. 26. Sollte behufs Vornahme der Leichenöffnung der Leich¬
nam an einen anderen Ort verbracht werden müssen, so ist, wo immer tunlich,
vorher wenigstens die äussere Besichtigung des Leichnams vorzunehmen. Der
Gerichtsarst hat bei der Verbringung die erforderliche Anleitung zu geben und
dafür zu sorgen, dass dies nur unter gehöriger Aufsicht und Begleitung ge¬
schehe, dass namentlich die wagrechte Lage der grosseren Hohlen nicht erheb-
lioh beeinträchtigt und überhaupt an dem Leichnam keine wesentliche Ver¬
änderung bewirkt werde.
Die Gründe einer solchen Verbringung und die Art und Weise, wie sie
geschehen, müssen im Protokoll angegeben werden.“
8 aohsen-Weimar: Hier fehlt eine solche Bestimmung.
Man wird gewiss die Sorgsamkeit billigen, die ans der
sächsischen, württembergischen und badischen Bestimmung spricht,
indem sie nicht nur für den Transport der Leiche strikte und
recht beherzigenswerte Massregeln anempfiehlt, sondern wenn
irgend tunlich, die äussere Besichtigung seitens des Gerichtsarztes
schon vor dem Transport wünscht. Da heutzutage die Kriminal¬
polizei die Mitwirkung des Gerichtsarztes für den ersten Augen¬
schein stetig mehr schätzen gelernt hat, eine derartige aus¬
nahmslose Mitwirkung in allen deutschen Landen ein höchst
erstrebenswertes Ziel wäre, so kann man die Forderung einer
äusseren Besichtigung* vor dem Transport für das zukünftige Re¬
gulativ nur wünschen. Es kann dabei der sächsische §. 8 als
Muster dienen:
„Fortschaffung der Leichen. 1 ) Ist vor der Leichenöffnung Fort¬
schaffung der Leiche von einer Stelle zur anderen erforderlich, so hat, wenn möglich,
die äussere Besichtigung des Leichnams vor der Fortschaffung stattzufinden. Bei
allen mit dem Leichnam vorzunehmenden Bewegungen, namentlich bei Fortschaf¬
fung desselben ist darauf zu achten, dass kein zu starker Druck auf einzelne
Teile ausgeübt, die wagerechte Rückenlage innegehalten und die etwa durch die
Totenstarre bewirkte Stellung der Glieder nicht geändert werde. u
Erst jetzt, nachdem Art und Behandlung der Leichen in
ihrem Einfluss auf die Leichenöffnung besprochen, erscheint mir
derZeitpunkt für die Anführung der erforderlichen Instrumente
gekommen. In dem geltenden preussischen Regulativ geschieht
das unmotiviert zwischen „Behandlung der Leiche mit Fäulnis¬
erscheinungen“ und „gefrorenen Leichen“. Am besten wird auch
hier wieder eine übersichtliche Nebeneinanderstellung der ein¬
schlägigen Bestimmungen nützen. Der bequemeren Uebersehbar-
keit wegen habe ich in den einzelnen Regulativen die Reihenfolge
so weit geändert, als es nötig war, gleiche oder zusammengehörige
Dinge auf eine Linie zu bringen.
‘) Gern folge ich dem Vorschläge des Herausgebers der Zeitschrift,
„Transport“ darob „Fortschaffang“ za ersetzen.
Sin deutsches geriohtsärstliches Leich enCffnongsverfahren.
661
Preneeen. §. 6. Instrumente. 1 )
Die Gerichtsärzte haben dafür an
sorgen, dass zur Verrichtung der ihnen
obligenden Obduktion folgende Sek-
tionsmatrumente in guter Beschaffen¬
heit sur Stelle sind:
4—6 Skalpelle, davon 2 feinere mit
grader und 2 stärkere mit bauchiger
Schneide,
1 Scheermesser,
2 starke Knorpelmesser,
2 Pinzetten,
2 Doppelhaken,
2 Seheeren, eine stärkere, deren einer
Arm stumpf, der andere spitsig ist,
und eine feinere, deren einer Arm
geknOpft, der andere spitsig ist,
1 Darmscheere,
1 Tubulus mit drehbarem Verschluss,
1 grobe und 2 feine Sonden,
1 Säge,
1 Meissei und
1 Schlägel,
1 Knochenscheere,
6 krumme Nadeln von verschiedener
Grosse,
1 Tasterzirkel,
1 Meterstab mit Einteilung in Zenti¬
meter und Millimeter,
1 Mensuriergefäss mit Einteilung in
100 , 50, 25 cbcm,
1 Wage mit Gewichtsstücken bis zu
10 Pfund,
1 gute Lupe,
Bayern. §.5. Instrumente. Die
Amtsärzte sollen zur Verrichtung der
obliegenden Obduktion folgende In¬
strumente in guter Beschaffenheit sur
Stelle haben:
4—6 Skalpelle, davon 2 feinere, eines
mit grader und eines mit bauchiger
Schneide, 2 stärkere, eines mit
bauchiger und eines mit langer ge¬
rader Schneide. Beide 23 cm, die
Klinge 10 cm lang,
1 Scheermesser,
2 starke Knorpelmesser,
2 Pinzetten,
2 Doppelhaken,
2 Seheeren u. s. w.
1 Darmscheere,
1 Tubulus mit drehbarem Verschluss,
Mehrere Metall- und Fiscbbeineonden,
1 Luersches Doppel-Rhachiotom,
1 Bogensäge,
1 2—2*/* cm breiter Meissei mit höl¬
zernem Griff, 1 sog. Quermeissel u.
1 Hammer,
2 Knochenscheeren, eine grosse und
eine kleine,
6 krumme Nadeln von verschiedener
Grosse mit dem notwendigen Faden
und Bindfaden,
1 Tasterzirkel,
1 englisches Stahlzentimeterband mit
Einteilung in Zentimeter und Milli¬
meter,
1 Mensuriergefäss u. s. w.
1 Schnellwage zum Wägen bis zu 5 kg,
1 gute, wenigstens 5 mal vergrOssernde
Lupe,
1 wenigstens 100 cbcm haltende Spritze
und 2,3 und 5 mm besitzende Tubuli,
Blaues und rotes Reagenspapier,
Schluss identisch mit Preussen.
Blaues und rotes Beagenspapier,
Die schneidenden Instrumente müssen
vollständig scharf sein, auch ist dem
Obduzenten zu empfehlen, dass sie
ein Mikroskop mit 2 Objekten und
mindestens 400 maliger Vergrösse-
rang, sowie mit den zum Präparieren
erforderlichen Instrumenten, Gläsern
u. Beagentien in Bereitschaft halten.
Sachsen. §. 6: Weicht darin von Prenssen ab, dass es nur 1 Knorpel¬
messer fordert, dagegen noch besonders 1 Hohlsonde und 1 Katheter.
Württemberg: §. 2. Weicht von der preussischen Anweisung
darin ab, dass es 5 Messer verlangt, ferner 2 Seheeren „von mittlerer Grosse,
*) Statt „Instrumente" konnte, wenn das Wort verdeutscht werden soll,
„Werkzeuge* gesagt werden. Allerdings bliebe dann die Tatsache ungeändert
wie bisher, dass „Beagenspapier" eigentlich nicht an diese Stelle gehört.
062
Dr. Placsek.
eine davon mit geknöpfter Spitse, die längere Scheere mit einem breiten,
atnmpfen Blatt* (Darmscheere ohne Widerhaken).
Baden: §. 1. Die Vorschrift gleicht ganz der bayerischen Anweisung,
wünscht den Meusel „mit einschiebbarem Hebel, damit er als Quermeissei be¬
nutzt werden kann*, ferner „1 einfaches Rhachiotom (oder ein Luersches
Doppelrhachiotom).“
Mecklenburg - Schwerin, Braunschweig, Schwarsburg- Son-
derehausen, Bisass - Lothringen: Identisch mit Prenssen.
Sachsen-Weimar, Mecklenburg - Strelltz, Anhalt: Hier fehlen
Bestimmungen.
Die Vorschriften über die Instrumente weichen demnach,
soweit überhaupt solche getroffen sind, nur wenig nnter einander
ab; sie sind aber nach manchen Richtungen ergänzungsbedürftig.
Allgemein beherzigenswert dürfte zunächst eine Empfehlung
Entres sein, die das Zeitalter der Asepsis notwendig mit sich
bringt. Alle Instrumente sollen aseptisch, d. h. ganz aus
Metall sein. Ob ein weiterer Wunsch „alle Scheeren, die
Knochenscheere, den Tasterzirkel, das Rasiermesser, alle Pinzetten,
die Säge und besonders das Doppelrhachiotom zerlegbar anzu¬
fertigen", leicht erfüllbar ist, halte ich für zweifelhaft.
Wenn das Regulativ 4—6 Messer für wünschenswert hält,
also einen Spielraum lässt, so sollte das zukünftige Regulativ
getrost 6 Messer als Norm fordern. Bedenkt man, dass Messer
leicht schadhaft, durch Reparaturen, Schleifen nicht benutzbar
werden, so kann die Anzahl 6 nicht zu hoch bemessen erscheinen.
Ueber die Messergrösse lässt sich nur das bayrische Regulativ
aus. Für die zwei stärkeren verlangt es 23 cm Länge, davon
die Klinge 10 cm lang. Nauwerck wünscht sie 28 cm lang,
davon 16 cm auf die Klinge (mit Einschluss des 2—3 cm langen
Halses). Betreffs der Messerform kann die in den jetzigen
Regulativen gegebene Anweisung getrost beibehalten werden,
wenigstens wird es wohl kaum nötig sein, mit den bistouriförmigen
Seziermessern, wie sie von Recklinghausen angegeben hat,
zu rechnen, da sie anscheinend keine grössere Verbreitung ge¬
funden haben. Es wird sich auch in Zukunft empfehlen, 2 feinere
Skalpelle mit grader, und 2 stärkere mit bauchiger Schneide zu
besitzen. Dazu könnten, nm die Sechszahl voll zu machen,
2 ähnliche, aber kleinere Skalpelle kommen, mit einer Klingen¬
länge von 10 und 8 cm, wie sie Nauwerck empfiehlt.
Während alle Regulative ein starkes Knorpelmesser
verlangen, wünscht Bayern zwei. Man kann diese Forderung nur
gutheissen, angesichts der Tatsache, dass gerade die Knorpel¬
messer an der ihnen zugewiesenen Aufgabe leicht schadhaft
werden, ein Ersatzstück daher nur willkommen sein kann. Ueber
seinen Ban geben die Regulative nichts an, wohl aber tut es
Nauwerck:
„Wo es nötig ist, einen kräftigen Druck aussuüben, da bedarf es eines
Messers mit breitem Bücken, auf den man bequem den Zeigefinger oder selbst
den Daumen auflegen kann. Virchow hat für diesen Zweck das gewöhnliche
Knorpelmesser weiter ausgebildet, indem er die Klinge (10 cm lang mit Hals)
dieker und bauohiger, namentlich aber seinen (11—12 cm) langen Griff stärker
macht. Der Bücken ist 16 mm breit.*
Bin deutsches gerichtsftrstliches LeichenöffnuHgsverfahren.
558
Als Ergänzung würde ein Gehirnmesser recht nützlich sein,
ganz besonders, wenn nicht mehr die Gehirnsektionstechnik, wie
üblich, zur Anwendung käme. Ein solches Messer beschreibt
Nanwerck:
„Klinge lang, bis zum Ende gleich breit, doppelschneidig, dünn, blatt¬
artig, aber ohne sn federn, vorn abgerundet, dabei scharf, die Klinge 2B cm
lang, 0,4 cm breit.“
Abweichend lauten die Angaben über Pinzetten. Preussen
begnügt sich mit 2, Sachsen-Weimar-Eisenach wünscht eine davon
mit Schieber, Bayern und Württemberg verlangen 3; ersteres
bestimmt sogar ihre Länge auf 20 und 10 cm. Wünschenswert
erscheinen mir 3 Pinzetten verschiedener Grösse, davon eine
mit Schieber.
' Was die Scheeren anlangt, so stimmen die Regulative in
ihrer Zahl überein, weichen aber in der für sie wünschenswerten
Form ab. Baden, Bayern, Sachsen verlangen „eine stärkere,
deren einer Arm stumpf, der andere spitz und eine feinere, deren
Arm geknöpft, der andere spitz ist“. Württemberg wünscht
ausserdem die längere Scheere mit einem breiten, stumpfen Blatt
(Darmscheere ohne Widerhaken) und beide Scheeren von „mittlerer
Grösse“. Es dürfte fraglich sein, ob eine solche „Darmscheere
ohne Widerhaken“ nötig ist. Wenn nur die Einkerbung nicht so
ausgesprochen ist, dass sie den gleitenden Blattteil zum Wider¬
haken macht, wird die Darmscheere in ihrer bisherigen Form
ihren Zweck weiter gut erfüllen. Nanwerck wünscht, dass die
übliche Darmscheere mit einem „längeren breiteren Blatt, welches
das andere um etwa 2,5 cm überragt und abgerundet endet“.
Er verlangt noch eine zweite Darmscheere gleicher Form, die
nur in allen Dimensionen kleiner ist. Sicher würde diese dem
Obduzenten angenehm sein, speziell bei Kinderleichen.
Ueber Zahl, Art und Form der Sonden differieren die
Regulative wesentlich. Preussen fordert „eine grobe und 2 feine
Sonden“, macht keine Angabe über das Material, ebenso Baden.
Bayern wünscht „mehrere Metall- und Fischbeinsonden, Sachsen
eine Hohlsonde und mehrere Sonden verschiedener Stärke,
Württemberg 2 metallne und 1 Fischbeinsonde von verschiedener
Stärke. Als Material wird also Metall und Fischbein bevorzugt.
Nauwerck wünscht die Sonden verschieden dick und lang,
auch geknöpft; er sowohl wie Puppe, Entres fordern auch
Borsten. Vielleicht dürfte sich, um allen, auch den weitgehendsten
Wünschen zu entsprechen, die Fassung empfehlen:
„2 Fischbein-, 2 Metallsonden geknöpft, verschieden stark und lang, eine
Hohlsonde, Schweinsborsten.“
Für die Säge machen die Regulative keine Vorschriften,
es sei denn, dass einzelne ausdrücklich eine Bogensäge verlangen.
Eine solche findet Nauwerck am praktischsten „mit bequem
liegendem Griff“, das Sägeblatt 25 cm lang, 1 mm dick, 1,5 cm
breit, bequem spannbar. Die Zähne sollen nach vorn sehen.
Eine kleinere Bogensäge findet er für die Oefihung des Kinder¬
schädels brauchbar. Recht praktisch bewährt sich die Einrichtung
564
Br. Placzek.
der Säge, wie sie Prof. Strassmann benutzt, mit nach ver¬
schiedenen Richtungen einstellbarem Sägeblatt. Für das zu¬
künftige Regulativ dürfte sich demnach empfehlen:
„2 verschieden grosse Bogensägen mit bequem liegendem Holzgriff, Säge¬
blatt 25 resp. 50 cm lang, 1,5 cm breit, 1 mm dick, bequem spannbar, drehbar
und auswechselbar . Die Zähne sehen nach vom.“
Ueber Meissei und Schlägel weichen die Regulative
beträchtlich voneinander ab. Preussen gibt gar keine weiteren
Anweisungen; Baden wünscht einen Meissei „mit einschiebbarem
Hebel, dass er als Quermeissei benutzt werden kann“ und ausser
dem Schlägel ein einfaches Rhachiotom (oder ein Luersches
Rhachiotom). Bayern verlangt einen (2—2 1 /* cm) breiten Meissei
mit hölzernem Griff, einen sogenannten Quermeissei und einen
Hammer, Sachsen einen Meissei mit hölzernem Griff und Schlägel,
Württemberg 2 Meissei, beide mit starkem, hölzernem Griff, der
eine davon mit grader, 2 cm breiter Schneide, der andere ein Hohl-
meissel, dessen Schneide 1,5 cm breit ist. Nauwerck empfiehlt:
1 . Meiseei mit grader, 3 and 2 cm breiter Klinge and kräftigem
hölzernem Griff;
2. Holzmeissei verschiedener Grösse, ebenfalls mit Holzgriff;
3. einen dreiarmigen Metallmeissei, dessen einer Arm 12—18 om lang
and geschärft, dessen zweiter Arm 6 cm lang and gleichfalls geschärft ist and
dessen dritter Arm abgestampft ist, am darauf za hämmern;
4. einen Hammer aas Holz oder mit stählernem, zylindrischem, 5—6 cm
langem Schlagteil, dessen beide je 2,6—3 cm Durchmesser haltende Endflächen
zum Hämmern dienen; breite Holzschlegel wirken etwas schonender.
Ohne die Berechtigung der über die Regulative hinaus¬
gehenden Wünsche Nauwercks zu verkennen, glaube ich doch,
dass ein Meissei mit starkem hölzernem Griff, ein Hohlmeissei
und ein breiter Holzschlägel vollauf genügen dürften, ganz
besonders, wenn das sehr praktische Lu ersehe Rhachiotom
hinzukommt.
Die zur Durchtrennung der Rippen dienende Knochen-
scheere empfehlen alle Regulative, Bayern sogar doppelt, gross
und klein. Ich glaube, dass eine Enöchenscheere bekannten For¬
mats ausreicht. Willkommen würde eine sogenannte Larynxscheere,
für verknöcherte Kehlkopfknorpel etc. bestimmt, sein mit kräftigen,
allmählich spitz auslaufenden Blättern. Hie und da könnte eine
Knochenhaltezange vielleicht nützlich sein.
Seltsamerweise lassen die Regulative eine Angabe über ein
Raspatorium vermissen, obwohl doch dieses Instrument gerade
für gerichtliche Zwecke zur sorgfältigen Durchforschung der
Knochen auf Verletzungen dringend notwendig ist. Den Katheter
erwähnt nur das sächsische Regulativ. Ein solcher ist unum¬
gänglich nötig, und zwar ein männlicher und ein weiblicher.
Ein sehr wichtiges Instrument sind auch Nadeln, von
denen die Regulative 6 verschiedener Grösse verlangen. Entres
findet ausserdem eine grosse krumme Nadel von mehr als 10 cm
Bogenweite sehr geeignet, auch ein Nadelhalter wird im Einzel¬
falle praktisch sein. Fäden verschiedener Art dürfen natürlich
nicht fehlen.
Ein deutsches gerichtsäritliches Leichenöffnnngsverfahren. 666
Uebereinstimmend fordern die Regulative einen Taster-
zirkel. Nauwerck möchte ihn so eingerichtet sehen, dass die
Arme im Schlosse vollständig drehbar sind und auch mit auswärts
gewandten Spitzen gebraucht werden können. Es kann diese
Einrichtung in manchen Fällen nützlich sein.
Statt des Meterstabs, wie ihn das prenssische und säch¬
sische Regulativ fordert, wünschen die anderen ein Stahlmeterband
mit entsprechender Einteilung.
In den anderen Anforderungen stimmen die Regulative überein;
es erübrigt sich also ihre Einzelbesprechnng, zumal auch alle
die Teile notwendig in das neue Verzeichnis übernommen werden
müssen.
Das Instrumentarium, wie es die Regulative geben, ist nach
mancher Richtung weiter ergänzungsbedürftig. Entres und
Puppe wünschen:
2 kleinere Gläschen mit Glasstopfen, Fingerhttte ans Kautschuk oder
mehrere Gnmmifinger eventl. solche Handschuhe, 1 Gläschen Jodoformkollodium
mit Pinsel, Nagelbürste, Seife, 1 Röhre Sublimatpastillen (nach Entres
Hydrarg. oxycyan., um die Instrumente nicht anzugreifen).
Ausserdem wünscht Puppe:
1 grösseren Schwamm, 1 geeignetes Schöpfgefäss, Hanfzwirn, Schürze
mit Aermeln, Sau de Cologne; für Vergiftungsfälle 3 Gläser mit weitem Halse
zu 3—500 gr. mit Stöpseln, Bindfäden und Pergamentpapier.
Entres verlangt ferner:
Gewichte zu 1 gr, 10 gr, 100 gr. Einige Objektträger und Deckgläschen
und eine leere schwedische Zündholzschachtel zu deren vorläufiger Aufbewahrung;
Jodoformgaze, Verbandwatte, Bänder; Guttaperchapapier, amerikanisches Heft¬
pflaster, einige anatomische Schemata und die Obduktionsinstruktion.
Nauwerck fordert:
Reagensgläser, verschiedene Holzteller, Schüsseln, Eimer zur Aufnahme
der flüssigen Abfallstoffe, 1 Giesskanne, Holzklötze.
Diesen speziellen Ergänzungen werden, wie ich glaube, noch
weitere folgen müssen, wenn anders man die Ergebnisse der
neueren Forschungen berücksichtigen will. Allerdings wird man
hier unterscheiden müssen zwischen der Ausstattung eines Ob¬
duktionsraumes, der ein für alle Mal dafür bestimmt ist, und
deshalb auch mit allem ausgestattet sein sollte, was zur Klar¬
stellung forensischer Streitfragen dienen kann, und einem gelegent¬
lich dafür eingerichteten Raum. In letzterem Falle werden na¬
türlich kompliziertere oder zeitraubendere Untersuchungen für die
spätere Untersuchung zurückgestellt werden müssen. Die not¬
wendigen Utensilien sollte der Gerichtsarzt besitzen, aber nicht
für jede Sektion mitzunehmen haben.
Als Instrumente, die sich nutzbar erweisen dürften, möchte
ich nennen:
1 Handspektroskop, 1 Doppelmesser; 1 Kryoskop, 1 Aräometer, 1 Pykno¬
meter zur Feststellung der Blutdichte. 1 Troikart mit abschliessbarem Seiten¬
ventil zur Lungenprobe. 1 Wasser oder Quecksilbermanometer. Eine Sammlung
folgender Reagentien: Chloroformbenzolmischung vom spezif. Gew. von 1055,
Chloroform und Benzol einzeln, Silbersalzlösung, Bleilösung, Filtrierpapierstreifen,
Cyankalium, alkoholische Guajakharzlösung, Terpentinöl, schwache Kupfersulfat¬
lösung (etwa 1:1000); konzentrierte Schwefelsäure, Kalium bichromatum,
Eisenchlorid, 3°/ 0 ige Tanninlösung, gelbes Schwefelammon, verdünnte Essig-
556
Au Versammlungen und Vereinen.
süure, Uhlenhut-Wassermannsches Serum znr Prüfung auf Menschenblut,
physiologische Kochsalzlösung, Pacinische Flüssigkeit (Aqua 300,0, Gly¬
zerin 100,0, Kochsalz 2,0, Sublimat 1,0), Pepsinglyzerin mit Zusatz vom Formal-
dehyd, Schwefelammonium, Eisessig, Flor encesches Reagens (Jodkalium 1,66,
Jod 2,54, Aqua dest. 80),
Für ganz wünschenswert halte ich, dass das zukünftige
Regulativ die Konservierung wichtiger Befunde für eine
bestimmte Zeit verlangt. Da wir in der glücklichen Lage sind,
in der Kayserlingschen Flüssigkeit ein Mittel zu haben, dass
die natürlichen Farben vortrefflich erhält, ist diese Forderung
um so mehr berechtigt; denn dann erst werden Nachuntersucher
ihre Aufgabe voll erfüllen können. Stets wird das wirkliche
Objekt leichter und deutlicher Klarheit schaffen, als selbst die
eingehendste, niemals von subjektiven Anschauungen und sub¬
jektivem Wissen ganz losgelöste Schilderung. Dieser persönliche
Wunsch ist nicht etwa ganz neu, sondern wird schon im sächsischen
Regulativ §. 20 ausgesprochen. Es heisst da: „Wo es im Interesse
der dauernden Erhaltung eines klaren Tatbestandes liegt, kann
der Gerichtsarzt die Aufbewahrung und Konservierung von Körper¬
teilen oder von in der Leiche gefundenen Fremdkörpern be¬
antragen“. Ich wünschte daher, dass das folgende modifizierte
Keyserlingsche Verfahren vorgeschrieben würde, wie es in der
Berliner Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde üblich ist:
„Frisch abgespült kommt das Präparat in Lösung I: Aqua fontana 4000,
Formalini puri 800, Kal. acet. 85, Kal. nitr. 45.
Hierin bleibt es je nach Grösse bis zur völligen Entfärbung. Je schneller
Entfärbung eintritt, desto schöner und 'natürlicher später die Farbe ! Entfärbung
kann beschleunigt werden durch Einschnitte. Man legt dann das Präparat,
nachdem es ganz abgelaufen ist, in Lösung II (80 °j 0 igen Alkohol); hierin treten
die natürlichen Farben wieder hervor, und zwar bei verschiedenen Präparaten
in verschieden langer Zeit, meist in 4—5 Stunden . Man kann durch Reinigen,
Bürsten, Schaben der Schnittfiächs nachhelfen. Nachdem die natürlichen Farben
leuchtend wiedergekehrt sind, kommt das Präparat in Lösung III (Aqua dest.
9000, Glyzerin 3000, Kal acet. 2 000); hierin bleibt das Präparat zur definitiven
Aufbewahrung“
Als Schluss der allgemeinen Bestimmungen dürfte sich die
folgende Vorschrift empfehlen:
„Die nachfolgenden technischen Vorschriften sollen nicht schablonenhaft
angewendet, sondern deren Reihenfolge nur im allgemeinen eingehalten, im übrigen
aber als Leitfaden für den Gang der speziellen Untersuchung angesehen werden,
welcher jedesmal der Eigentümlichkeit des Falles anzupassen ist. a
(Fortsetiung folgt.)
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die 18. Versammlung der Medizinalbeamten
des Reg. - Bez. Merseburg zu Merseburg am 19. Mai 1903.
Za der Versammlung waren erschienen der Oberpräsident der Provinz
Sachsen Herr v. Bötticher, der Regierungspräsident von Mersebarg, Freiherr
von der Reeke, der Oberregierungsrat v. Terpitz, ferner der Direktor
des hygienischen Institutes der Universit&t Halle, Prof. Dr. Fr&nkel, sowie
der Vorsitzende, Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr. Penkert, 18 Kreisärzte,
1 Kreisarzt z. D. und 3 pro physicatu geprüfte Aerzte.
Nachdem der Vorsitzende den Herrn Oberpr&sidenten und den Herrn
Regierungspräsidenten begrünst und denselben für ihr Erscheinen gedankt hatte,
ergriff zunächst der Herr Oberprüsident das Wort und verbreitete sich
Ans Versammlungen and Vereinen.
B57
Aber das in letzter Zeit das öffentliche Interesse mehr and mehr in Anspruch
nehmende Verhältnis zwischen Aersten and Krankenkassen. Er bedanerte die
in letzter Zeit mehrfach stattgehabte Zuspitzung der Differenzen zwischen
diesen beiden Parteien, da der dadurch geschaffene Kriegszustand weder im
Interesse der Kassen, noch in dem der Aerste sei, und richtete die Aufforde¬
rung an die Kreisärzte, soweit als ihnen möglich, auch ihr Teil dazu beitragen
su helfen, dass auftauchende Differenzen in friedlichen Bahnen verlaufen
möchten. Insbesondere sollten sie einerseits, da wo es nötig sei, bei den
Kassenvorständen Verständnis für die Forderungen der Aerste su erwecken
suchen, anderseits bei den Kassenärzten dahin wirken, dass diese sich mit
ihren Ansprachen der Aufsichtsbehörde erster and eventuell auch zweiter
Instanz anvertrauten, welche berechtigten Forderungen sicher ein wohlwollendes
Entgegenkommen beweisen würden.
Hierauf besprach der Vorsitzende die seit der letzten Versammlung
ergangenen Verfügungen und Verordnungen, welche zu einer Diskussion
diesmal keine Veranlassung gaben, worauf noch einige geschäftliche Ange¬
legenheiten (Rechnungslegung etc.) erledigt wurden.
Danach trat man in Punkt 2 der Tagesordnung ein, wozu Kollege
Fielitz Mitteilungen über die Grundlagen einer beabsichtigten Versiche¬
rungskasse für Hebammen machte, welche ähnlich, wie die reichsgesetz¬
lichen Kassen sich auf die Versicherung gegen Krankheit, Unfall, Alter und
Invalidität erstrecken solle. Die kurze Besprechung, welche sich daran an¬
schloss, endete damit, dass der ausgearbeitete Entwurf zunächst den Vorge¬
setzten Behörden zu weiterer Berücksichtigung eingereicht werden boU.
Bevor nun zum Hauptpunkte der diesmaligen Tagesordnung, der Be¬
sichtigung der im vorigen Jahr neu erbauten, nach der sogenannten biologi¬
schen Methode eingerichteten Abwässerreinigungsanlage der Stadt Merseburg
übergegangen wurde, gab der Unterzeichnete Berichterstatter als Ein¬
leitung einen Ueberblick über die verschiedenen Reinigungsverfahren städti¬
scher Abwässer, besprach die Grenzen ihrer Wirksamkeit und ihren Wert
und verbreitete sich insbesondere in Anlehnung an die neuesten Veröffent¬
lichungen von Dunbar über das sogen, biologische Verfahren im
engeren Sinne, welches sich auch hier in Merseburg in nunmehr einjährigem
ununterbrochenem Betriebe bewährt und nach jeder Richtung hin günstige
Resultate ergeben habe.
An diesen Vortrag anschliessend betont Prof. Fränkel, dass die Haupt¬
wirkung des biologischen Verfahrens in der Beseitigung des grössten Teiles
der gelösten organischen Stoffe liege; der Bakteriengehalt der Abwässer würde
wenig alteriert. Diese Wirkung sei aber auch völlig ausreichend, denn dadurch
würde eben der Zustand, der am meisten die sanitären Missstände in den
Flussläufen hervorrufe, nämlich die stinkende Fäulnis, beseitigt. Speziell auf
die Merseburger Verhältnisse übergehend, fasste er das Ergebnis der im
hygienischen Institut zu Halle stattgefundenen regelmässigen Kontrollunter-
suchungen dabin zusammen, dass von den gelösten organischen Stoffen ein
Prozentsatz entfernt worden sei, der zwischen 40 und 90 •/« geschwankt habe.
Stinkende Fäulnis sei auch bei den Proben nicht mehr aufgetreten, bei denen
nur ein relativ geringer Prozentsatz der gelösten organischen Stoffe durch die
Filter zurückgehalten sei, so z. B. habe eine Probe, welche nur einen Verlust
von 50°/ 0 dieser Stoffe gezeigt habe, trotz längerer Aufbewahrung im Brut¬
schrank nicht mehr gefault. Woran das liege, könne er nicht mit voller Sicher¬
heit sagen, wahrscheinlich sei ihm, dass in solchen Fällen keine stickstoffhaltigen
organischen Substanzen mehr in dem Filtrat seien, sondern nur Kohlenhydrate
und Fette.
Auf die Dunbar 1 sehen Untersuchungen übergehend, halte er es eben¬
falls als ein hauptsächliches Erfordernis für eine ausreichende Wirkung des
Verfahrens, dass vor der biologischen Behandlung die suspendierten Teile der
Abwässer soweit wie nur irgend möglich entfernt werden müssten. Dagegen
müsse er nach seinen eigenen in England gemachten Erfahrungen im Gegen¬
satz zu den neuesten Veröffentlichungen von Dunbar 1 ) einen Faulraum vor
*) Prof. Dr. Dunbar und Dr. B. Thumm: Beiträge zum derzeitigen
Stande der Abwässerreinigungsfrage mit besonderer Berücksichtigung der bio¬
logischen Reinigungsverfahren. Verlag von Oldenbourg. München 1902.
558
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
dem Auflassen auf die Filter für durchaus zweckmässig, ja sogar notwendig
ansehen, weil durch die darin eingeleiteten Fäulnisprozesse unlösliche Stoffe in
LOsnng übergeführt, die Schlammenge vermindert and dadurch die Wirkung
der Filter erhöht würde, was ja auch bei der Merseburger Klftranlage in aus-
gibigem Umfange beobachtet worden sei.
Ferner sei bisher immer nur von einem intermittierenden Verfahren die
Rede gewesen; er wolle aber nicht die Gelegenheit vorübergehen lassen, ohne
auf die letzten im Gesundheits-Ingenieur veröffentlichten Dnnbarsehen
Untersuchungen über kontinuierlichen Betrieb aufmerksam zu machen. Dabei
werde entweder die Flüssigkeit mit sogen. Sprinklern auf die Oberfläche
der Filter versprüht oder aber in einer ganz oberflächlichen feinen Deck¬
schicht von etwa 15 cm Höhe in feinste Teilchen zerlegt, und nachdem dies
geschehen, gelange sie in die tieferen Abschnitte der Filter, die aus grobem Ma¬
terial, Schlacken von Fanst- bis KindskopfgröSBe, bestehen, und nun den von
oben kommenden Wasserteilchen Gelegenheit geben, sich wieder zu grösseren
Tropfen zu vereinigen und so duroh den Filterkörper hindurohzurieseln (Tropf¬
filter). Die dadurch erzielte Berührung mit der Luft genüge, um auch in
dauerndem Betriebe eine genügende Wirkung zu erzielen. Fränkel hat
die neuen Tropffilter vor wenigen Tagen selbst auf der Hamburger Anlage in
Augenschein genommen und sich von den guten Resultaten überzeugen können.
Es erfolgte nunmehr die Besichtigung der Kläranlage, welche durch
den Erbauer derselben, Stadtbaumeister Krüger, der schon vorher die tech¬
nischen Einzelheiten erläutert hatte, in Betrieb gezeigt und erklärt wurde.
Die Anlage ist naeh Art ihrer Einrichtung die erste derartige für ein grösseres
Gemeinwesen in Deutschland und geradezu vorbildlich. Die Kollegen nahmen
mit hohem Interesse die sämtlichen Einrichtungen in Augenschein, insbesondere
fanden die vorgezeigten Proben des abgeklärten Wassers, welche teilweise
schon seit Monaten aufbewahrt waren, ohne die mindeste Spur von Fäulnis
oder Geruch zu zeigen, allseitige Anerkennung.
Nachdem die Besichtigung beendet war, erholte man sich von den An¬
strengungen der Sitzung und Besichtigung noch, wie üblich, bei einem gemein¬
samen Mahle. Dr. Schneider-Merseburg.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Gerichtliche Medizin nnd Psychiatrie. 1 )
Lysolvergiftung. Experimentelle Untersuchungen aus der k. Univer¬
sitäts-Frauenklinik zu Wflrzburg. Von Assistenzarzt Dr. Fritz Hammer.
Münchener mediz. Wochenschrift; 1908, Nr. 21.
Verfasser hält die Lysolvergiftungen durchaus nicht für so selten nnd
glaubt, dass die Befunde für Lysolintoxikation sowohl in bezug auf den Symp-
tomenkomplex, als auch auf die Organveränderungen sehr schwer zu deuten
sind. So wurden mehrmals bei Uterusausspülungen mit Lysol üble Zufälle
gesehen, die sich ans der Anämie allein nicht erklären Hessen.
Hierfür bringt Verfasser ein Beispiel mit Krankengeschichte und Obduk¬
tionsbefund, gibt dann einige kurze Bemerkungen über das chemische Ver¬
halten des Lysols, lässt hierauf einige kasuistische Mitteilungen aus der Li¬
teratur folgen, die ihm geeignet erscheinen, zur Erklärung des Wesens der
Lysolvergiftung beizutragen.
Wie unglückliche Zufälle an Menschen die Giftigkeit des Lysols dartun,
ist dieselbe auch experimentell an Tieren bewiesen worden. Auch hier zeigte
sich durchaus, dass neben lokaler Aetzwirkung vorwiegend das Zentralnerven-
*) Mit Rücksicht auf die in Nr. 12 gebrachten Referate über 12 Vor¬
träge, gehalten von Privatdozeut Dr. Gottschalk. Geh. Med.-Rat Dr. Jolly,
Prof. Dr. Israel, Prof. Dr. Köppen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Liebreich,
Prof. Dr. Mendel, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Moeli, Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. Ohls hausen, Gerichtsart Privatdozent Dr. Puppe und Gerichtsarzt
Prof. Dr. Strassmann, bemerken wir, dass dieselben im besonderen Heft
bei G. Fischer in Jena erschienen sind; der Preis des Heftes beträgt 6 Mark.
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 659
sjstem in der Form von Krämpfen eines Teiles der gesamten Körpennuskulatur
beeinflusst wird.
Bei UterusausspOlungen im Wochenbett gleioh nach der Gebart besteht
die Möglichkeit, dass von den geöffneten Venen Teile des Desinfiriens aspiriert
oder resorbiert werden and so aaf dem Wege der Blat- oder Lymphb&hn in
den Körper bezw. in kflrzester Zeit za den Zentralorganen gelangen, wobei
noch verhältnismässig geringe Mengen von Lysol gentlgen, am die Zentral*
organe empfindlich reizen za können.
Aas den Erscheinungen, die Verfasser bei den Tierversuchen gesehen
hat, glaubt er vor allem folgern za mttssen, dass es insbesondere nicht darauf
ankommt, wieviel von der Flüssigkeit gegebenen Falles aspiriert oder absorbiert
wird, sondern insbesondere auf die Konzentration der Lösang and die Schnellig¬
keit, mit der eine konzentrierte Lösang in die Gewebssäfte gebracht wird.
Die Lehre, die sich für den Verfasser aus seinen Beobachtungen and
Untersuchungen bezüglich der Anwendangsweise des Lysols in der Geburtshilfe
ergibt, ist eine doppelte:
1. Bei Aasspfllungen des paerperalen Uterus ist eine möglichst geringe
Konzentration der Lysollösnng zu wählen (ob sie dann noch nützt P Bef.).
2. Ist es absolut za verwerfen, die Ausspülung unter hohem Drucke aus-
zaführen. Insbesondere darf sie bei Placenta praevia nur unter ganz geringem
Drucke ausgeführt werden, weil sonst zu leicht eine Aspiration einer Lysol¬
menge durch die klaffenden Venen erfolgen kann. Dr. Waibel-Kempteu.
Lokale Wirkungen der Chroms&ure. Ein Fall von akuter Chrom-
■äureverglftung. Von Dr. Robert Rössle. Deutsches Archiv für klinische
Medizin; Bd. 76, H. 6, S. 569.
Einer eingehenden Besprechung der bisher in der Literatur nieder¬
gelegten Beobachtungen von Chromsäurevergiftungen beim Menschen schliesst
Verfasser die ausführliche Beschreibung eines selbst beobachteten, tödlich ver¬
laufenen derartigen Falles an.
Bei einer älteren Frau, die wenige Stunden nach dem Genuss einer be¬
trächtlichen, der Menge nach genau nicht mehr festzustellenden Quantität einer
sehr konzentrierten Lösung von reiner ChromBäure tot im Bette aufgefonden
war, fand sich als voirnehmlicher Befand Häutung und starke Grünfärbung der
Zungen* und Speiseröhrensohleimhaut, der Magen wand und des oberen Duo¬
denum; sehr starke Rötung und Schleimhautablösung am Schlund, Kehldeckel
und Stimmbändern. Mikroskopisch zeigten sich die Gewebe in den betroffenen
Organen ziemlich tief nekrotisiert, in den Kapillaren fanden sich in diesen
Bezirken überall eigentümlich angeordnete, durch Haematoxylin blaugefärbte
Niederschläge, die Verfasser als Chromatinsubstanz anspricht und von einem
Zerfall der Kerne der Leukozyten und Endothelien herleitet.
_ Dr. Risel-Leipzig.
Vergiftung mit Kalibichrom&t. Von Dr. Franz Berka, Sekundär¬
arzt am Krankenhause in Brünn. Münchener medis. Wochenschrift; 1903, Nr. 16.
Die ChromBäure und ihre Präparate, das gelbe und das rote (auch saure)
chromsaure Kali, gehören zu den, zwar in der Technik hänfig angewandten,
jedoch wegen ihrer Giftigkeit wenig gewürdigten Substanzen. Nach Vogl
bewirken schon die Gaben von 0,05—0,1 g des roten (zeitweilig arzneilich an¬
gewendeten) Salzes Erbrechen und Durchfall, 0,3 erhebliche Intoxikationszu¬
fälle, 1 g den Tod.
Eine 22 jährige, seit Jahren mit schwerer hysterischer Psychose behaftete
Person, die schon fünfzehnmal Selbstmordversuche unternommen hatte, kaufte
sich ungefähr 20—35 g Chromkali, wickelte dasselbe in Feigen ein und ver¬
giftete sich damit. Nach einem kurzen 12 ständigen Krankheitsverlaufe,
welcher in seinen Symptomen an das Stadium algidum der Cholera erinnerte,
starb die Patientin.
Die später vorgenommene chemische Prüfung sowohl der Spülflüssigkeit,
als des Erbrochenen weist ausser starkem Sodagehalt und dementsprechender
alkalischer Reaktion (von der Ausspülung herrührend) in beiden ChromBäure
in reichlicher Menge nach.
560
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Obduktionsbefund: Körper mittelgross, mässig kräftig, tou entsprechender
Er nährung . Haut blass; Bindehaut, sowie Lippenscbleimhant ohne anifallenden
Befand.
Hirnhäute zart, die Sinns mit dnnkelflttssigem Blute gefallt; Gehirn
1250 g, blutreich.
Rechte Lange angewachsen, linke frei; beide lufthaltig, blntreich; in
den Bronchien kein Inhalt. Herzbeutel leer, Herz von gewöhnlicher Grösse,
im rechten Anteile stark schlaff; Herzfleisch granbrann, m&ssig fest; Klappen zart.
Schleimhaut der Mund-, Rachenhöhle and der Speiseröhre blass; in der
letzteren ein leichter brauner Sehleimbelag; Zungenbalgdrüsen leicht vergrössert.
In der Luftröhre unter den Stimmbändern mehrere flohstichartige Blntnngen.
In der Bauchhöhle kein abnormer Inhalt; Darmserosa glatt and glänzend.
Magen m&ssig ausgedehnt; in demselben ca. 200 ccm branner schleimiger
Flüssigkeit, in welcher sich 5 walnassgrosse unverdaute Feigensttlcke(ohne fremd¬
artige Sabstanzen) befinden. Schleimhaut in zahlreiche Falten gelegt, geschwellt,
oberfl&ohlich braunrot imbibiert. Duodenum von brauner Farbe, welche sich im
Jejnnnm in eine dunkelkarminrote, diffus die ganze Schleimhaut färbende, um¬
wandelt. Schleimhaut geschwellt, weder im Magen, noch im Darme Ulzera-
tionen; in der oberen Darmh&lfte wässrig schleimiger, dunkelroter Inhalt. Erst
im unteren Dünndarm nimmt der Darm die gewöhnliche Färbung an; die
Schleimhaut, sowie die Dickdarmschleimhant ist leicht iniiziert, stellenweise
mit rötlich fingiertem Schleime belegt.
Die übrigen Bauchhöhlenorgane von gewöhnlicher Beschaffenheit, Geni¬
talien virginal.
Die mikroskopische Untersuchung des Magens and Dünndarms ergab
kleinzellige Infiltration der obersten Schleimhantschichten, dann im Magen
kapilläre H&morrhagien an der Oberfläche der Magendrflsen.
Dass die Haut der Mnndöffnung und die Schleimhaut des ganzen oberen
Verdauuugsweges nicht, wie gewöhnlich, rot gefärbt war, dürfte wohl
durch die Einhüllung des Giftes in Feigen an erklären sein. Nephritis fehlte,
wahrscheinlich wegen des schnellen Krankheitsverlanfes.
_ Dr. Weibel-Kempten.
1. Lokalisation und Elimination der metallischen Gifte bei den
gewerblichen Vergiftungen. Von G. MeiHöre. Comptes rendns soo.
biol.; 1902, S. 1134.
2. Ueber das Vorkommen von Blei im Organismus. Von G.
Meillöre. Ibidem; 1903, S. 517.
3. Lokalisation des Bleies im Organismus der Bleikranken.
Ibidem; 1903, S. 518.
An Bleikranken, die im Hospitale lagen and schon lange Zeit der Ein¬
wirkung des Bleies entzogen waren, wies der Antor nach, dass das Blei sich
besonders in den Haaren und den Horngehilden der Haut anhäuft nnd
durch dieselben aus dem Körper ausgeschieden wird. Bis zu 1 cg fand sich
in 20 g Haaren, eine Menge, die besonders gross im Verhältnis zn der in den
Eingeweiden gefundenen Quantität ist. Das Metall wurde durch Elektrolyse
der Salpetersäuren Lösung des Schwefelhleis dargestellt; der Niederschlag löst
sich leicht in angesammeltem Wasser.
Hatte es sich bei diesen Versuchen meist nm Arbeiter gehandelt, die
lange Jahre bereits ihre Tätigkeit anfgegeben hatten nnd im Kranken¬
hanse an Bleiniere oder an anderen Erkrankungen behandelt wurden, so prüfte
der Autor in einer weiteren Reihe chemischer Untersuchungen auch die Organe
solcher Bleikranken, die ihren Tod mitten in ihrer Tätigkeit fanden.
Während die weisse Substanz des Zentralnervensystems in Millionteln
ausgedrttckt 1—4 Teile Blei enthielt, wies Verfasser in der grauen Substanz
15—60 Teile nach. Die elektive Lokalisation des Metalls in der Nervenzelle
wurde hierdurch auch chemisch bewiesen. Dr. Mayer-Simmern.
Vergleichende Wirknng des Jods und der Jodsalze auf die Lunge.
Von Marcel Labbö and Löon Lortat-Jacob. Ans dem Laboratorium des
Prof. Landonzy). Comptes rendns soc. biol.; 1903, S. 625.
Nach Vergiftung von Meerschweinchen mit Jodkali oder Jodkalilösung
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
661
zeigten die Langen starke Blutüberfüllung mit manchmal reichlichen Blutungen.
Ausserdem fanden sich in der Longe sehr reichliehe eosinophile Leukozyten.
Die Gefahr der Jodide bei bestimmten Tuberkulösen, bei denen Blut¬
überfüllung und Verschlimmerung der Lungenerkrankung auftreten
kann, lässt sich wohl durch diese Versuche begründen.
Nach Anwendung von Jod selbst, etwa in Vaselinöl gelöst, hat die Ver¬
giftung der Tiere eine weit weniger stark ausgesprochene Kongestion der
Lungen und seltener Blutungen sur Folge.
Wenn die bei Anwendung der Jodide beobachtete Vermehrung der
eosinophilen Zellen die Bedeutung einer Verteidigungsreaktion des Organismus
hat, etwa in der Art, dass das Salz dieselbe Reaktion auslöst, wie ein Irritans,
das Asthma bedingt, so lässt sich vielleicht auf diesen Mechanismus ein Teil
der Wirkungen des Jodkali zurückführen. Dr. Mayer -Simmern.
Versuche über die Dauer des Aufenthalts von Flüssigkeiten im
Magen. Von G. Leven. Aus dem Laboratorium von Prof. Bouchard.
Comptes rendus soc. biol.; H. 64, S. 1262.
Im Anschluss an die Arbeiten von G. Corin, C. Ferrai, 1 ) Hoff¬
man n-Elberfeld*) und die Diskussionsbemerkung von Herrn Prof. Strass¬
mann*) dürfte sich eine Besprechung der vorliegenden Darlegung empfehlen.
Der Autor liess 4 Hunde 24 Standen fasten. Alsdann reichte er ihnen
eine bekannte Menge Wasser. Nach verschieden langer Zeit wurden die Tiere
durch Injektion von Chloroform ins Herz getötet. Unmittelbar nach dem Tode
wurde der Magen aufgesucht, Pylorus und Cardia unterbanden und die Menge
des im Magen befindlichen Wassers geschützt. Bei 4 Hunden, die in den ersten
12 Minuten getötet wurden, befand sich die gesamte von den Tieren aufge¬
nommene Menge Wassers noch im Magen; bei einem, der nach 15 Minuten ge¬
tötet wurde, waren von 46 ccm noch 10 darin. Im Magen eines nach 30 Mi¬
nuten getöteten Hundes fand sich von 100 ccm Wasser nichts mehr im Magen
vor. In den ersten 12 Minuten hatte also das Wasser den Pylorus noch nicht
überschritten, um die 16. Minute beginnt die Entleerung, nach 30 Minuten
war sie beendet.
(Erweisen sich diese Versuche als rechtzeitig und als auf den Menschen
übertragbar, so würde eine halbe Stunde nach Aufnahme von
100 ccm Flüssigkeit an der Leiche ein leerer Magen gefunden
werden.) _ Dr. May er-Simmern.
Funktionsprüfnngen bei akuten Mittelohrentzündungen. Von Dr.
Friedrich Wanner. Zeitschrift für Ohrenheilkunde; Bd. XLIH.
Von den Arbeiten des 43. Bandes der Zeitschrift für Ohrenheilkunde,
welcher als Jubiläumsband Friedrich Besold gewidmet ist, hat die Arbeit
von Wanner ein besonderes Interesse. Die Ergebnisse der Hörprüfungen
wurden mit Hülfe der Bezold-Edelmannschen kontinuirlichen Tonreihe
gewonnen. Es wurden die untere und obere Tongrenze bestimmt, die Versuche
nach Schwabach, Weber und Rinne angestellt, und die Hördauern für
die einzelnen Töne im Verlaufe der ganzen Tonreihe festgestellt. Bei der
Prüfung mit Flüstersprache war die Zahl 6 diejenige Zahl, welche weitaus am
schlechtesten gehört wurde, nicht ganz so schlecht wurden die Zahlen 4, 6
und 7 verstanden, während die Zahlen 3 und 8 am besten gehört wurden.
Die untere Tongrenze zeigte bei den Füllen von Otitis media catarrhalis
acuta keine wesentliche Einengung, eine etwas grössere aber bei den Füllen
von akuter Mittelohreiterung.
Die obere Tongrenze war bei den Füllen von Otitis media catarrhalis
acuta stark eingeengt, etwas weniger stark dagegen bei den Füllen von akuter
Mittelohreiterung.
Der Versuch nach Rinne war bei Otitis media purulenta acuta stets«
negativ, bei Otitis media catarrhalis acuta stets verkürzt positiv.
Auf eine Reihe interessanter Einzelheiten kann nicht näher eingegangen
werden. Rudloff-Wiesbaden.
*) Vierteljahrssohr. f. ger. Med.; XXI, 1901, S. 240.
*) XIX. Hauptversammlung des Pr. Med.-B.-V.; S. 68 und S. 68.
562
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Anatomische Besonderheiten des kindlichen Gehörorganes. Von
Priratdosent Dr. G. Brüh 1. Archiv für Kinderheilkunde; Bd. XXXV. H. 5 u. 6.
Der Autor hobt in seiner Arbeit hervor, dass wichtige anatomische
Eigentümlichkeiten des kindlichen Gehörorganes — das dicke resistente
Trommelfell, der fibröse Verschloss der durch das Tegmen tymp. verlaufenden
Fissura petrosquamosa, die durch dieselbe hindurchgehenden Aeste der Arteria
meningea media und mitunter der reBtirende Sinus petrosquamosus — das
Uebergreifen von Eiterungen auf den Sch&delinhalt begünstigen.
Dr. Rudloff-Wiesbaden.
Sektionsergebnis eines Falles von angeborenem Herzfehler.
Von Dr. A. Gut kin d in Mannheim. Münchener mediz. Wochenschr.; 1903, Nr. 17.
Verfasser behandelte ein dreijähriges Kind mit systolischem, blasendem
Geräusche an der Herzspitze, bronchitischen Erscheinungen, blauer Hautver¬
färbung, 3 Jahre hindurch.
Nachdem dasselbe einige Wochen hindurch keuchhustenähnliche Anfälle
gehabt hatte, starb es, scheinbar an Herzlähmung.
Die Sektion des Herzens (vom Verfasser und von Dr. Luss ausge¬
führt) ergab:
Das Foramen ovale nicht geschlossen, somit offene Kommunikation zwischen
beiden Vorhöfen, ln den linken Vorhof münden die Lungenvenen normal ein,
desgleichen in den rechten Vorhof die Vena cava snperior und inferior. Beide
Ventrikel sind durch eine Scheidewand vollständig getrennt. Ans dem rechten
Ventrikel geht keine Arteria pulmonaris ab, sondern die Aorta entspringt aus
beiden Ventrikeln gemeinsam und hat die normale Anzahl von Klappen. Die
Mitral- und Trikuspidalklappe sind normal entwickelt, die Muskulatur beider
Ventrikel stark hypertrophisch. Ein Ductus Botalli ist, da keine Pulmonalis
vorhanden ist, nicht nachzuweisen. Da leider die Sektion des Kindes nicht
vollständig gemacht werden konnte, weil der Vater des Kindes dasselbe nicht
zerstückeln lassen wollte, war der Abgang der Arteria pulmonalis aus der
Aorta nicht mehr zu finden, obwohl das Herz an den grossen Gefässen abge¬
schnitten und ein grosses Stück der Aorta mit dem Herzen herausgenommen
war. _ Dr. Waibel-Kempten.
Hermaphroditismus verus. Von W. Simon. Virchows Archiv für
pathol. Anatomie; Bd. 172, H. 1, S.
Die Abhandlung bringt einen ausführlichen Bericht über einen kürzlich
iu der Garröschen Klinik beobachteten, durch histologische Unter¬
suchung ganz zweifellos sicher gestellten Fall von wahrem
Hermaphroditismus. Es handelte sich um ein 20jähr. Individuum, das als
Knabe aufgewaohsen war. Dasselbe besass im ganzen mehr weiblichen Habitus,
wenn auch männliche und weibliche Geschlechtscharaktere innig vermischt waren.
Beide Mammae waren stark, aber ungleiohmässig entwickelt, schwollen mit ca.
5 Jahren bisweilen vorübergehend an. Allmonatlich traten in regelmässigen
^wöchentlichen Intervallen mehrtägige Blutungen aus dem Genital ein. Seit
einigen Jahren trat dann und wann unter geschlechtlicher Erregung und Erek¬
tion des Geschleohtsgliedes Abgang von weisslich schleimiger Flüssigkeit auf.
Aeusserer Genitalbefund: Unterhalb der Mons veneris an der Symphyse ein
zylindrischer, penisartiger Körper mit haselnussgrosser, nicht perforierter Glans
und operativ behandelter, ursprünglich offener Rinne an der unteren Seite
(Hypospadie). An dieses Gebilde setzen sich nach unten zwei stark behaarte
Hautwülste an, zwischen denen zwei kleinere unbehaarte Hautfältchen liegen,
die kammartig eine dem normalen Orificium ezt. urethrae an Grösse ent¬
sprechende schlitzförmige Oeffnung umschliessen. Von da aus gelangte man
mit einem geraden Katheter nach etwa 4 cm langer Strecke in die Harnblase
Bei endoskopischer Untersuchung dieses Ganges werden kleine in das Lumen
vorspringende Hautfältchen gesehen. Die Rektaluntersuchung liess linkerseits
einen bleistiftdicken walzenförmigen Körper fühlen, über dem sich ein flaches,
kastaniengrosses verschiebliches Gebilde konstatieren liess. Vor der Oeffnung
des rechten Leistenkanals lag ein über kirschgrosser länglicher Körper. Bei
der Operation ergab sich, dass sich an dieses Gebilde an dem einen Pole ein
etwa erbsengrosser, weisser Nebenknoten ansetzte und dass auf der einen Seite
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
563
von hier ans in die Bauchhöhle sich ein seiner (ranzen Konfiguration nach ent¬
sprechender KOrper mit einem kurzen plumpen Fimbrien tragenden Ostinm an
einem Ende anschloss, w&hrend sich am anderen in einer als Lig. latnm aufzu¬
fassenden Peritonealduplikatur ein Qewirr verschieden dicker grangelblieber
Stränge fand, die als Parovarialschläuehe anzusprechen waren. Von dem als
Keimdrüse zu deutenden Organ führte ein bandartiges Ligament in die Bauch¬
höhle, in dem ansser Gefässen ein dünner, als Vas deferens anzusehender
Strang verlief, neben dem ein länglicher, halberbsengrosser KOrper — Nebenhode
— lag.
Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Keimdrüse eine
Zwitterdrüse darstellte, so dass die grossere Hälfte aus Hodengewebe mit
atrophischen Hodenkanälchen ohne Zeichen von Spermatosoeen, nnd mit starker
Wucherung der Zwischenzellen — ähnlich wie bei Leistenhoden — bestand,
die kleinere dagegen von Ovarialgewebe, mit z. T. erhaltenem Keimepithel,
stark ausgebildeter Albuginea und der Parenchymschioht mit gnt entwickelten
Primärfollikeln gebildet wurde; der unter der Tube subperitoneal gelegene
KOrper erwies sich als zweifelloses Parovarium, das neben dem Vas deferens
gelegene Gebilde als Nebenhode. _ Dr. Ri sei-Leipzig.
1. Einwirkung der Kastration auf die Entwickelung des Skelettes.
Von Prof. Antonin Poncet. Comptes rendus soc. biol.; 1908, Nr. 2, 8. 65.
2. Zusammenhang zwischen männlichen Geschlechtsdrüsen nnd
Skelettentwickelung. Von P. B. Launois und P. Roy. Ibidem; 1908,
Nr. 1, 8. 22.
1. Bei allen Tieren, ausser bei den Pferden, geht die Kastration mit
einer Verlängerung des Skelettes einher; besonders die hinteren Glied¬
massen, in erster Linie die Tibiae, sind betroffen. Die kompakte Knochen¬
substans ist verdickt, die Epiphysenknorpel dagegen ossifizieren abnorm spät.
Beim Stier ist die Ossifikation in 2 Jahren, beim Ochsen aber erst nach vier
Jahren vollendet.
Eine ähnliche Beziehung zwischen Hodenfunktion und Entwickelung des
Knochengewebes findet sich beim Menschen. Eunnehen pflegen eine grossere
KOrperlänge infolge von Wachstumsvermehrung von Femur und Tibia zu haben,
als Männer desselben Volksstammes. Personen mit Riesenwuchs haben gewöhn¬
lich eine unternormale Hodenentwickelung. Aehnliches lehrt die klinische Be¬
obachtung an Kastraten, an Männern mit doppelter Hodenatrophie oder
doppeltem Kryptorchismus.
2. Auch L. und R. betonen, dass bei Entwiekelungshemmnng der Ge¬
schlechtsdrüsen ein übertriebenes Wachstum der Extremitäten, insbesondere
der unteren Gliedmassen, durch übermässige Verzögerung der Verknöche¬
rung der Epiphysenknorpel sich zu vollziehen pflegt. Dr. Mayer-Simmern.
Ueber psychische Störungen nach Schädelverletzungen. Von
Dr. Viedens, zweiter Arzt der Landesirrenanstalt zu Eberswalde. Archivf.
Psycb.; 1903, 36. Bd., 3. H.
Verfasser bereichert die Kasuistik gut beobachteter Fälle von trauma¬
tischer Psychose um 4 bemerkenswerte Beobachtungen. Für die gerichtsärzt¬
liche Begutachtung erscheint die Kenntnis solcher Fälle — einmal halluzina¬
torischer (Pseudo-) Stnpor, einmal Katatonie, ferner Epilepsie mit schweren
psychischen Aequivalenten und ein Fall vod langsamem, Paralyse ähnlichem
Verlauf — von grosser Wichtigkeit. Die Schlüsse, die der Verfasser ans
seinen Beobachtungen nnd denen anderer Autoren zieht, dass für die nach
Trauma auftretenden Psychosen keine bestimmten Krankheitsbilder charak¬
teristisch seien, werden kaum Widerspruch erwecken. Gewisse Symptome sind
jedoch diesen Fällen stets eigen, wie Gedächtnisschwäche, Alkoholintoleranz
und Charakterveränderung mit erhöhter Reizbarkeit. Es wird hervorgehoben,
dass die traumatischen Storungen viele Aehnlichkeit haben mit solchen alko¬
holischer Provenienz. Dr. Pollitz-Münster.
Ueher das Gans ersehe Symptom mit Berücksichtigung seiner
forensischen Bedeutung. Von Dr. Lück in Dresden. Allg. Zeitschrift f.
Psychiatrie; 60. Bd., 1. u. 2. H., 1903.
564
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Der Verfasser bringt eine Reihe Beiträge zu dem interessanten und
forensisch wichtigen Krankheitsbilde des hysterischen Dämmerzustandes nnd
des von Ganser zuerst geschilderten Symptomenkomplozes, der, wie es scheint,
nicht ganz selten im Verlaufe jener Psychose einzutreten pflegt. Bs bleibt
dabei eine offene Frage, ob dieser Ganser sehe Symptomenkomplex nur bei
hysterischen Psychosen beobachtet wird, oder ob weiteres Material ergibt,
dass er auch im Verlaufe anderer Störungen sich einstellt. Das Charakteristische
dieses Symptomes ist, dass die Kranken — meist unter dem Einfluss einer
Haft erkrankt — nach einem Stadium von Stupor, der oft halluzinatorisch
bedingt ist, in eine halbe Luzidität gelangen, in der sie die einfachsten Dinge
falsch beantworten, Erinnerungslücken und Defekte fttr die täglichsten Ge*
dächtnisgegenstände haben (z. B. Zahl und Namen der Monate, bis 10 zählen,
einfache Gegenstände bezeichnen u. a. m.). Stets finden sich hysterische Stig*
mata, wie Sensibilitätsstörungen, Druckpunkte, Parästhesien. Da die Zustände,
besonders bei Gefangenen in der Untersuchungshaft beobachtet werden, so wird
der Verdacht der Simulation leicht erweckt werden. In dieser Hinsicht ist
von Wichtigkeit, dasB die Anfälle nur kürzere Zeit dauern und stets von den
erwähnten somatischen Symptomen begleitet werden. Es besteht später ein
Erinnerungsdefekt für die Zeit des Anfalles. Im übrigen weist Verfasser
mit Recht darauf hin, dass Stuporzustände nicht selten in Strafanstalten simu¬
liert werden. Schon dieser Umstand zeigt, dass die Erkennung des kompli¬
zierten Krankheitsbildes nicht ganz leicht ist. In forensischer Hinsicht kann
wohl die Haftfähigkeit eines solchen Kranken zweifelhaft sein, hinsichtlich der
Zurechnungsfähigkeit bei Begehung einer vor Ausbruch der Krankheit began¬
genen strafbaren Handlung kann die Störung nicht in Betracht kommen (conf.
d. Zeitschr., 1898, S. 785 und 1901, S. 293). Dr. Pollitz-Münster.
Beitrag zur Lehre von der Melancholie. Von Dr. A. Schott, Assi¬
stenzarzt. Aus der psychiatrischen Klinik zu Tübingen. Archiv f. Psych., 1903,
36. Bd«, 3. H.
Schott hat sich der verdienstvollen Aufgabe unterzogen, an der Hand
eines grösseren Materiales von 280 klinischen Fällen die von den Autoren auf¬
gestellten Lehren über die Melancholie auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Sowohl
in der Definition wie in der Abgrenzung des Begriffes Melancholie herrschen
manche Widersprüche und Differenzen. Von Wichtigkeit erscheinen folgende
Ergebnisse des Verfassers:
1) Mehr als die Hälfte der Melancholien heilen, die jugendlichen in
erheblicherem Masse, als die des höheren Alters. Bei enteren ist die Ab¬
grenzung von der Dementia praecox wichtig, nur selten gehen sie in Schwach¬
sinn oder Paranoia über. 2) Im fünften Dezennium treten einfache nnd rezi¬
divierende Fälle besonders beim weiblichen Geschlecht am häufigsten ein. 3) Die
Auffassung Kräpelins, dass die Melancholie eine Krankheit des Rückbildungs-
alters sei, trifft nicht vollkommen zu, doch ist die Neigung zu Rezidiven bei
Melancholien Jugendlicher sehr deutlich. 4) Der Uebergang der Krankheit in
Paranoia findet sich vorzüglich bei Fällen des Involutionsaltere. 5) Prognostisch
ungünstig ist das Auftreten von Beziehungswabn, im späteren Alter von Hallu¬
zinationen. Das Gleiche gilt allgemein von Zwangsvorstellungen, Stupor und
der Notwendigkeit der Sondenfütterung. Dr. Pollitz-Münster.
Zur Frage der Dementia praecox. Eine Studie von Dr. Max Jahr¬
märker, Oberarzt der psychiatrischen Klinik zu Marburg (Prof. Tuczek).
Halle a. S. 1903. Verlag von Mar hold. Preis: 3 Mark.
Verfasser zeigt an einer grossen Zahl von eingehend geschilderten
Krankheitsfällen, wie befruchtend die Kräpelinsche Auffassung der De¬
mentia praecox für die Diagnose vieler bisher dunkler Fälle geworden ist.
Es gilt dies nicht nur für solche, die auffallende Bilder der Paralyse oder
einer „abnorm* verlaufenden Paranoia boten, auch mancher Fall von eigen¬
artiger Melancholie musste bei genauer Untersuchung der Dementia praecox
zugewiesen werden. Verfasser fand Psychosen von katatonem Charakter viel¬
fach bei Kranken, die im Klimakterium zuerst erkrankt waren; im übrigen
konstatiert er, die Häufigkeit des Krankheitabildes und die Mannigfaltigkeit
der Symptome. Auf die einzelnen interessanten Fälle kann hier nicht einge-
Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften.
665
gangen werden, sie müssen in der der LektOre warm empfohlenen Schrift
studiert werden. Dr. P o 11 itz- Münster.
Die Grenzen der geistigen Gesundheit. Von Prof. Dr. Ho che in
Freiburg i. Br. Halle a. S. 1903. Verlag yon Marhold. Preis: 0,80 Mark.
Die kleine Schrift des durch seine gerichtsärztlichen Abhandlungen be¬
kannten Antors enthält eine grosse Zahl wertvoller Winke für die forensische
Begutachtung zweifelhafter Fälle. Verfasser weist auf die Schwierigkeit der
Aufgabe und die häufige Abneignng der juristischen Kreise, psychiatrische
Auffassungen sich zu eigen zu machen, besonders hin. Nicht immer kann der
Irrenarzt mit einem einfachen Ja oder Nein sein Gutchten scbliessen, aber
grade die zahlreichen Uebergangsformen zwischen geistiger Gesundheit und
Krankheit bilden den häufigsten Gegenstand der Begutachtung.
Der Laie hat meist eine höchst unklare Vorstellung von dem Verlaufe
und dem Wesen geistiger Störung und ist infolge dieser Vorurteile häufig
gegen die psychiatrische Begutachtung eingenommen, besonders gilt dies für
die Fälle sozialer Minderwertigkeit, in denen in erster Linie von Jugend auf
ein Fehlen sittlicher Geftthle als prägnantestes Symptom im Vordergründe
steht. In den meisten Fällen wird ein mehr oder weniger schwerer intellek¬
tueller Defekt das Pathologische des Individuums deutlicher machen. Solche
Menschen sind, wie H. betont, als psychisch Kranke zu betrachten. Ein mehr
theoretisches Interesse kommt in diesem Zusammenhang den Zwangszuständen
zu, die Verfasser zum Schlüsse seiner Abhandlung behandelt, der eine Antritts¬
rede beim Antritt des akademischen Lehramtes in Freiburg zugrunde liegt.
Im Übrigen wäre dem Vortrage eine weite Verbreitung in den Kreisen der
Juristen besonders zu wtlnschen. Dr. Pollitz-Münster.
Die Exhibitionisten vor dem Strafrichter. Von Dr. G. Bur gl, Kgl.
Landgerichtsarzt in Nürnberg. Allg. Zeitschr. f. Psych.; 1903,60. Bd., 1. u. 2. H.
Die eigenartige Perversität auf sexuellem Gebiete, die als Exhibitio¬
nismus bezeichnet wird, kommt nach den Erfahrungen des Verfassers nicht
selten zur gerichtlichen Aburteilung. Grade in solchen Fällen erscheint die
psychiatrische Beobachtung überaus notwendig, da der grösste Teil dieser
Täter Störungen auf psychischem Gebiete von verschiedener Art und Intensität
auf weist. Verfasser grenzt eine Beihe Gruppen ab: 1) die verschiedenen
Formen des angeborenen und erworbenen Schwachsinns. Zu ersteren gehören
die leichteren Zustände von Debilität, in denen die intellektuelle Schwäche
zurücktritt hinter der ethischen. Vorstellungen dieser Art sind bei derartigen
Individuen „so schwach gefühlsbetont, dass sie das Handeln so gut wie gar
nicht beeinflussen“. Es kommen ferner besonders oft in Frage der senile und
paralytische Schwachsinn. 2) Kommt das Delikt als triebartige Handlung bei
den verschiedenen Formen von Dämmerzuständen (epileptischen, traumatischen,
alkoholischen) vor. Hier besteht oft die Schwierigkeit, Dämmerzustände von
wenig ausgeprägtem Charakter als solche nachzuweisen. Besonders wenn die
Kranken beim Herannahen einer störenden Person oder eines Schutzmanns ent¬
fliehen oder später ihre Handlung eingestehen, ist es schwierig, den Bichter
von der Krankhaftigkeit des Zustandes zu überzeugen. Die Erinnerung des
Kranken ist vielfach nicht aufgehoben, aber lückenhaft. Nahe verwandt sind
diesen Fällen solche, bei denen der Exhibitionismus begangen wird unter dem
Einfluss des Alkohols, sei es während alkoholischer Dämmerzustände oder
in traumartiger (Trance) Bewusstseinstrübung. 3) Kommen verschiedene Geistes¬
störungen, wie periodische Erregungszustände, impulsives Irresein bei Entar¬
teten und Zwangshandlungen als physische Grundlage des Deliktes in Frage.
— In einzelnen Fällen ergibt schliesslich die Untersuchung keinerlei Störung,
hier handelt es sich um Wollustakte strafrechtlich zurechnungsfähiger Personen.
Verfasser weist schliesslich darauf hin, dass die Umstände, unter denen
die Handlung begangen wurde, von grösster Bedeutung ist. Der Arzt muss
feststellen, ob der Täter in Gegenwart einer grösseren Anzahl von Personen
sein Delikt begangen, ob er es einmal (Exhibition) oder mehrfach (Exhibi¬
tionismus) ausgeführt hat. Auch die sonstigen Bedingungen, sowie die Art
der Ausführung, die sieh in den Fällen des Verfassers stets verschieden ge¬
staltete, sind festzustellen. Dr. Pollitz-Münster.
566
Besprechungen.
Ueber einige Fälle von Simulation. Von Dr. Bolte, I. Assistent
am Jttrgenhospital zu Bremen. Allg. Zeitsehr. I. Paych.; 1903, 60. Bd., 1. n. 2. H.
Im allgemeinen gilt die bewusste Simulation von Geistesstörung bei
den Irrenärzten als eine seltene Erscheinung, dagegen kombiniert sie sich in
manchen Fällen mit Geistesstörungen, die oft recht schwer von dem simulierten
Krankheitsbilde abzugrenzen sind. B. stellt den m. E. etwas zu weit gehenden
Satz auf, dass „ein sog. Simulant uns immer als psychopathisch oder als Psychose-
kandidat verdächtig erscheinen muss und meistens anstaitsbedttrftig ist“. Es
ist allerdings zuzugeben, dass Degenerierte, besonders auch Epileptiker zur
Simulation und speziell zur Uebertreibung von Symptomen neigen, die Schwierig¬
keit der Diagnose besteht ganz besonders bei den wunderlichen Krankheits-
bildera, welohe die Hebephrenen und Katatoniker oft darbieten, und die grade
bei der forensischen Begutachtung so leicht den Verdacht des absichtlich Ge¬
machten erwecken. Es ist sehr anzuerkennen und der Nachahmung wert, dass
der Verfasser eine Beihe Fehldiagnosen veröffentlicht. Im ersten Falle han¬
delte es Bich um einen jugendlichen Einbrecher, der in der Haft an einer
akuten Psychose erkrankt war; in der Irrenanstalt machte er den Eindruck
eines schwachsinnigen Menschen, dem die einfachsten Kenntnisse fehlten.
Später stellte sich heraus, dass seine Intelligenzschwäche simuliert war, und er
absichtlich alle Fragen falsch und töricht beantwortet hatte, so dass die Dia¬
gnose auf angeborenen Schwachsinn fallen gelassen, während die vorangegangene
Haftpsychose als zweifelhaft bezeichnet werden musste.
In einem zweiten Falle war der Angeschuldigte bereits früher in einer
Irrenanstalt als Simulant erklärt worden, er bot ein Bild von Desorientiertheit
und Imbezillität bei epileptischem Dämmerzustand. Später hatte er angeblich
einen Krampfanfall, war zeitweise vollkommen benommen und gegen alle Beize
unempfindlich. Der Zustand änderte sich in der Art, dass der Kranke den
Aerzten gegenüber verwirrt und desorientiert blieb, bei den anderen Kranken
jedoch korrekte Angaben machte und sich über alles orientiert erwies. Er
wurde als Simulant bezeichnet.
Im folgenden Fall wurde ein paranoisches Krankheitsbild vorzutäuschen
gesucht, in einem vierten ein wirres Bild, das als Paralyse imponieren sollte
mit Gedächtnisdefekten, Wahnideen und Schriftstörang; der Angeklagte be¬
hauptete u. a., dass er Fetisehist sei (nach der Lektüre der Psychopathie von
Krafft-Ebing).
Der fünfte Fall ist von besonderem Interesse: Der Angeklagte, ein
internationaler Taschendieb, war bereits von Autoritäten als schwachsinniger
Epileptiker in früheren Fällen exkulpiert worden. Bei der nunmehrigen Beob¬
achtung, die durch Entweichen des Kranken einen schnellen Abschluss fand,
erschien er als Katatoniker, fiel aber durch ausserordentliche Intelligenz auf.
Im letzten sechsten Falle wurde ebenfalls ein Hemmungszustand mit
einiger Geschicklichkeit vorgetäuscbt. Dr. Pollitz-Münster.
Besprechungen.
Dr. Hoohu, Kreisarzt in Geestemünde: Arst und Hebamme. Hamburg
1903. Verlag des Aerstlichen Zentral -Anzeigers. Preis: 1 Mark.
Verfasser hat sich der sehr zweckmässigen Aufgabe unterzogen, die zer¬
streut liegenden Bestimmungen für Hebammen, soweit sie den Arzt angehen,
zu ordnen. Es ist für den praktischen Arzt tatsächlich schwer, sich schnell
und sicher zu orientieren, z. B. darüber, was eine Hebamme tun darf und was
sie unterlassen muss, ferner wenn sie auf Zuziehung des Arztes sowohl während
der Schwangerschaft, ab während der Geburt und bei Erkrankung der Wöch¬
nerin und des Kindes dringen muss. Durch Anschaffung des Büchelchens wird
sieh der Arzt einerseits manchen Aerger und Zeitversäumnis ersparen, ander¬
seits aber auoh besser als jetzt zu der so notwendigen Kontrolle der Hebammen
beitragen können. Dr. Blokusewski-Niederbreiaig.
Dr. Osorg LsbMn, Öffentlich bestallter und beeideter Handels- und Gerichts-
Chemiker in Berlin: Dm Weingesets vom 24. Mal 1901. Mit den ergange-
Tagesnachrichten.
667
neu Ausführungsbestimmungen. Berlin 1902. Verlag von J. Gnttentag.
Taschenformat. 168 S. Preis: geb. 1,50 Hark.
Dr. Georg Iaebbin, öffentlich bestallter und beeidigter Handels* and Gerichts*
Chemiker in Berlin, and Dr. Georg Baum, Bechtsanwalt beim Kammer¬
gericht: Das Fleisohbesohaugeeetz vom 3. Jnni 1900. Mit den er¬
gangenen Ansftthrangsgesetsen and Verordnungen im Beiche and in Preassen.
Berlin 1903. Verlag von J. Gattentag. Taschenformat. 468 Seiten.
Preis: geb. 4 Mark.
Diebeiden, Nr. 65 and 68 der bekannten Gatte nt ag sehen Sammlung
Deutscher Reichsgesetze bildenden Textausgaben nebst Erläuterungen werden
den beteiligten Kreisen nicht nar wegen ihres handlichen Formats, sondern auch
wegen der vollständigen Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Be¬
stimmungen and der daza gegebenen, ebenso sacbgemässen, als karsen, präzisen
and das juristische wie technische Bedürfnis gleichmässig berücksichtigenden
Erläuterungen sehr willkommen sein. Rpd.
Dr. Eaoble, Direktor der Kreis-Pflegeanstalt in Sinsheim (Baden): Das
Arbeltsanatorium. München 1902. Verlag von Gmelin. Gr. 8°; 26 8.
Preis: 1,20 Mark.
Verfasser versucht au beweisen, dass aus einer Reihe von Gründen die
bestehenden und bereits projektierten Anstalten den vorhandenen Bedürfnissen
nicht genügten. — Für gewisse Klassen von Kranken sei die Gründung soge¬
nannter Arbeitssanatorien erforderlich, da bei ihnen durch die Arbeitstherapie
ein Erfolg am ersten zu erwarten sei. Er bespricht die Beschäftigungsarten,
die nach den bisherigen Erfahrungen in einer derartigen Anstalt vorwiegend
zu kultivieren seien, die Organisation und die Kosten einer solchen Anstalt
und die Art, wie dieselben aufzubringen seien.
Dr. Schraka mp-Düsseldorf.
Tagesnachrichten.
Die schon längst erwartete Regelung des Verkehrs mit Geheim-
mitteln und ähnlichen Arzneimitteln ist jetzt für Preussen durch Erlass
vom 8. Juli d. J., und für Hamburg durch Verordnung vom 8. Juli d. J. (s.
Beilage zur heutigen Nummer, S. 194) erfolgt; die übrigen Bundesstaaten
werden jedenfalls in allernächster Zeit durch gleiche Vorschriften nachfolgen,
so dass nunmehr die seit Jahren von der Reichsregierung angestrebte einheit¬
liche Regelung dieser Materie erreicht wird. Bekanntlich ist ein Entwurf von
Vorschriften über die Regelung des Geheimmittelverkehrs nach wiederholten
Beratungen mit Vertretern der beteiligten Kreise zunächst im Jahre 1898
(s. Nr. 6 dieser Zeitschrift, 1898, S. 201) festgestellt und dieser dann im Jahre
1900 (s. Nr. 2 dieser Zeitschrift, 8. 71) erheblich abgeändert. Die jetzt er¬
gangenen Vorschriften entsprechen im allgemeinen diesem Entwürfe, nur mit
dem Unterschiede, dass die Bestimmungen der §§. 2, 3 und 6 desselben teils
fortgefallen sind, weil sie sich durch die beigefügten Verzeichnisse von Ge¬
heimmitteln (Anlage A. und B.) erübrigen, teils z. B. über die Ankündigung,
an anderer Stelle eingefügt sind. Die Handhabung der jetzigen Vorschriften
wird jedenfalls durch die Beifügung der Geheimmittelverzeichnisse wesentlich
erleichtert. Es finden darnach nur auf 93 Geheimmittel die in den Vorschriften
vorgesehenen Beschränkungen Anwendung; eine Ergänzung der Verzeichnisse
ist aber Vorbehalten. Das ursprünglich beabsichtigte Verbot des Feilbaltens
für alle diejenigen Geheimmittel, durch deren Verwendung die Gesundheit ge¬
fährdet oder durch deren Vertrieb das Publikum in schwindelhafter Weise aus¬
gebeutet wird, ist jetzt fallen gelassen, und nur das absolute Verbot für
die Ankündigung aller in den Verzeichnissen genannten Mittel ausge¬
sprochen, gleichgiltig, ob die Bestandteile auf der Ankündigung angegeben
sind oder nicht. Für alle hier nicht genannten Geheimmittel bleiben dagegen
die bisher geltenden Vorschriften bestehen; ihre Ankündigung ist also nicht
verboten, wenn ihre Bestandteile bekanntgegeben werden und sie dadurch den
Charakter des Geheimmittels verlieren. Ausser dem unbedingten Verbot der
Ankündigung sind genaue Bestimmungen über die Bezeichnung der Gefässe
668
Tagesnaohrlchten.
und der Umhüllungen, in denen die Abgabe der Mittel erfolgt (§. 2, Abs. 1 nnd
§. 8, Abs. 8), gegeben; — es muss darnach der Name des Mittels, des Fabri¬
kanten nnd des Verkäufers, sowie die Hohe des Abgabepreises und bei denen,
die nur auf ärztliche Anweisung abgegeben werden dürfen, eine dement¬
sprechende Inschrift angegeben sein. Ferner ist die Beigabe von An¬
preisungen, Empfehlungen, Danksagungen oder Gutachten
über Heilerfolge verboten (§.2, Abs. 2) und die Abgabe der in Anlage B.,
sowie der in Anlage A. aufgeführten Mittel, über deren Zusammensetzung der
Apotheker sich nicht vergewissern kann, nur auf ärztliche Anweisung gestattet.
Da es sich beiden in den Verzeichnissen aufgeführten Geheimmitteln fast
ausschliesslich um solche handelt, die nach der Kaiserlichen Verordnung vom
22. Oktober 1901 dem freien Verkehr entzogen sind, so werden die neuen Vorschrif¬
ten jedenfalls nicht ohne Erfolg bleiben, wenn die Aerzte sich der Verordnung
derartiger Mittel enthalten, und die Apotheker somit nicht gezwungen sind, sie
vorrätig zu halten. Geschieht dies seitens der letzteren dann trotzdem, so
wird ihnen mit Recht der Vorwurf der Begünstigung des Geheimmittelunwesens
gemacht werden können. _
Im Königreich Sachsen ist jetzt ebenfalls unter dem 14. Juli d. J.
eine Bekanntmachung, betreffend die Ausübung der Heilkunde durch Kur¬
pfuscher usw., erlassen, die ihrem Inhalt nach den in den einzelnen prenssi-
sohen Regierungsbezirken infolge des Ministerial-Erlasses vom 26. Juni 1902
(s. Beilage zu Nr. 15 der Zeitschrift, S. 199) erlassenen Vorschriften entspricht.
75. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Cassel
vom 20. bis 26. September 1908.
28. Abteilung: Gerichtliche Medizin. Einführende: Geh. Med.-Rat
Dr. Gottfried Krause, Kreisarzt Dr. Ulrich Dreising; — Schriftführer:
Dr. Richard Meder, San.-Rat Dr. Wilh. Fey. — Sitzungsraum: Saal des
Ständehauses, Ständeplatz 8. — Tagesordnung: 1. Schäfer-Bingen a. Rh.:
Ueber akute Kupfervergiftung (mit Demonstration). 2. Strauss-Berlin:
Anatomische Beiträge zur Lehre von den Stichverletzungen des Rückenmarks
in gerichtlich-medizinischer Beziehung. 8. Wey g and -Würzburg: Ueber die
(zivilrechtliche) psychiatrische Begutachtung in Zivilsachen lediglich auf Grund
der Akten.
29. Abteilung: Hygiene, Bakteriologie und Tropenhygiene. Ein¬
führende: Reg.- u. Med.-Rat Dr. Karl Rockwitz, Stadtbaurat P. Höpfner;
— Schriftführer: Dr. Franz KOltzschky, Dr. Wilhelm Willgerodt. —
Sitzungsraum: Hanusch, Schlaraffensaal, Ständeplatz 1. — Tagesordnung:
1. Am Ende-Dresden: GemeindeOrtliche Einrichtungen auf dem Gebiete der
Gesundheitspflege. 2. Fick er-Berlin: Die Typhusdiagnose im Laboratorium
und in der Praxis. 3. Klein-Amsterdam: Thema Vorbehalten. 4. Neisser-
Frankfurt a. M.: Thema Vorbehalten. 6. Obertttsohen -Wiesbaden: Kinder¬
heilstätten und Schwindsuchtsbekämpfung. 6. Stich-Leipzig: Messung und
Abwehr von Luftstaub, nebst Demonstration eines Sprengapparates für Turn-
und Exerzierhallen, Krankenhäuser etc. 7. v. Wunsch heim-Innsbruck:
Ueber Hämolyse bei experimentellen Infektionen.
Das Komitee für Krebsforschung hat sioh entschlossen, eine
Zeitschrift für Krebsforschung herauszugeben, die einen Sammelpunkt für
die wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiete der Krebsforschung bilden soll.
Es werden in derselben Originalartikel und Referate zum Abdruck gebracht
und in jeder Nummer eine tunlichst vollständige Bibliographie aus dem Gebiete
der Krebsforschung des In- und Auslandes zusammengestellt werden.
Die Redaktion der im Verlage von G. Fischer in Jena erscheinenden
Zeitschrift haben Prof. Dr. v. Hansemann und Prof. Dr. George Meyer-
Berlin übernommen. Die Zeitschrift bildet eine besondere Abteilung des
Klinischen Jahrbuches; die Hefte werden je nach dem vorhandenen Stoffe
ausgegeben, um baldigstes Erscheinen der eingehenden Arbeiten zu ermöglichen.
Der Ladenpreis eines Bandes zu 40 Druckbogen wird 20 Mark betragen.
VerantwortL Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-n.Geh.Med.-Rat in Minden L W«
J. 0. 0. Braus, Henogl. Bis oh. «. P. Soh.-L. Hofbuehdruokerel lnMlnden.
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16. Jahrg.
1908.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zeutralblatt für gerichtliche Medizin and Psychiatrie,
für ärztliche Sachverstandigentätigkeit in Unfall- and Invalid itatesachen, sowie
für Hygiene, öfentl. Sanitatswesen, Medizinal -Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Herausgegeben
Ton
Dr. OTTO RAPMÜND,
Regierung«- und Geh. Medizinulrat in Minden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Bnehhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Bachhändler.
Berlin W. 85, Lützowstr. 10.
Imerate nehmen die Verlugthandlung sowie alle Annoncenexpeditionen dee In-
und Auslände« entgegen«
Nr. 16.
Kraehelnt am 1. and 15.
jeden Monate
15. Aug.
Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren.
Beformged&nken von Dr. Placzek-Berlin.
(Fortsetzung.)
U. Die verschiedenen Verfahren bei der Leichen¬
öffnung.
Ausdrücklich wird der „richterliche Zweck der Leichen¬
öffnung“ in den Regulativen für Preussen und Bayern definiert.
In der preussischen Anweisung besagt der §. 9:
. „Beim Erheben der Leichenbefunde müssen die Obdnzenten überall den
richterlichen Zweck der Leichennntersacbnng im Ange behalten nnd alles, was
diesem Zwecke dient, mit Genauigkeit nnd Vollständigkeit untersuchen. Alle
erheblichen Befände müssen, bevor sie in das Protokoll aufgenommen werden,
dem Bichter von dem Obduzenten vorgezeigt werden.“
Wenn eine derartige den Zweck der gerichtlichen Leichen¬
öffnung noch besonders präzisierende Bestimmung überhaupt ge¬
wünscht wird, dürfte sich gegen die vorhandene .Fassung kaum
etwas einwenden lassen.
Von weit grösserem Interesse sind die Bestimmungen über
die Aufnahme des Augenscheinbefundes. Sein Wesen
scheint nicht einheitlich erkannt zu werden; denn das eine
Regulativ rubriziert ihn unter die allgemeinen Bestimmungen, das
andere hält ihn für einen Teil des Verfahrens. Ich möchte ihn als
Einleitung zu letzterem sehen und daher nicht zögern, ihn an
dieser Stelle auch in das Zukunftsregulativ einzureihen. Sehen
wir zunächst zu, in welcher Form hier die Vorschriften in den
verschiedenen Regulativen getroffen sind:
Preuazen: „§. 10. Pflichten der Obdnzenten in bezog anf
die Ermittelung besonderer Umstände des Falles. Die Obdn-
670
Dr. Placzek.
Kenten sind verpflichtet, in den Fällen, in denen ihnen dies erforderlich er*
scheint, den Siebter rechtzeitig zn ersuchen, dass vor der Obduktion der Ort,
wo die Leiche getänden worden, in Angenschein genommen, die Lage, in welcher
sie gefunden, ermittelt and ihnen Gelegenheit gegeben werde, die Kleidungs¬
stücke, welche der Verstorbene bei seinem Auffinden getragen, zu besichtigen.
In der Hegel wird es indes genügen, dass sie ein hierauf gerichtetes
Ersuchen des Sichters abwarten.
Sie sind verpflichtet, auch über andere, für die Obduktion und das abzu¬
legende Gutachten erhebliche, etwa schon ermittelte Umstände sioh von dem
Sichter Aufschluss zu erbitten.“
Bayern: (§. 10) Identisch mit Preussen.
Sachsen: Hier fehlt eine Bestimmung.
Württemberg: „§. 5.sie (dieAerzte) selbst sollen auch die
Lage, in welcher die Leiche gefunden wurde, genau erheben und womöglich
eine gerichtliche oder polizeiliche Leichenschau veranlassen, ehe dieselbe an
einen anderen Ort gebracht wird.
§. 9. Vor der Leichenschau und Leichenöffnung haben die Aerzte den
Sichter zu ersuchen, ihnen Gelegenheit zu geben, den Ort, an welchem die
Leiche gefunden wurde, genau zu besichtigen und ihre Lage daselbst festzu-
stellen, vorausgesetzt, dass der Tod ohne Zeugen und ohne vorausgegangene
Krankheit erfolgt ist. Wurden diese Umstände schon genau ermittelt, so sollen
sich die Aerzte die nötigen Aufklärungen verschaffen und wenn nötig, die
Erhebung weiterer für die ärztliche Beurteilung des Falles erheblichen Um¬
stände veranlassen.
§. 11, Abs. 1. Haften an den Kleidern der Leiche oder an anderen
in ihrer unmittelbaren Nähe befindlichen Gegenständen Haare oder dergl.,
bo werden dieselben pünktlich aufgesammelt. Verdächtige Flecken,
Werkzeuge, Strangulationsmittel und Gegenstände, welche
die Sparen eines stattgefandenen Kampfes an sioh tragen, oder die Entstehung
vorhandener Verletzungen, oder die Art des Todes aufklären können, sind an
den verdächtigen Stellen mit der Lupe zu besichtigen. Hierbei soll die Auf*
merksamkeit auch darauf gerichtet werden, ob in den Flecken von Blut, Eiter,
Samen, Speiseresten usw. nicht Haare, Zeugfasern oder andere fremde Körper
festgeklebt sind.
Zum Zwecke einer späteren mikroskopischen oder chemischen Unter¬
suchung werden die betreffenden Stellen der Kleider, Bettstücke usw. ausge¬
schnitten. Wäre die Zahl der Flecken an einem solchen Gegenstand eine sehr
grosse, so wird daB ganze Stück aufbewahrt. Verdächtige Stellen auf der Ober¬
fläche hölzerner Gegenstände werden ausgesägt oder mit einem Holzmeissei ent¬
sprechend tief abgehoben, auf Flächen von Stein im Notfall mit einem Stein-
meissei abgesprengt.
Alle diese Gegenstände werden, ebenso wie Werkzeuge von Metall, auf
welchen näher zu untersuchende Stellen gefunden wurden, jedes für sich in
reines glattes Papier gewickelt und mit der nötigen Aufschrift versehen.
Die mikroskopische Untersuchung ist ohne Verzug oder wenigstens am
nächsten Tage zu beginnen; zutreffendenfalls sind die fraglichen Gegenstände
dem sie untersuchenden weiteren Sachverständigen mit den erforderlichen An¬
gaben über die mutmassliche Art und die Zeit der Entstehung der verdächtigen
Erscheinungen zu übergeben.“
Baden: „§. 28. Ferner ist im Protokoll der Ort, wo der Verstorbene
gefunden wurde, zu beschreiben; etwa eingetretene Veränderungen des Leich¬
nams seit der ersten Besichtigung, falls eine solche stattgehabt hat, sind zu
bezeichnen. Auch ist der Wärmegrad des Ortes, wo der Leichnam gelegen,
nach möglichst genauer Abschätzung anzugeben.“
Sachsen-Weimar-Bisenach: „§. 6. Die Aerzte sind verpflichtet,
alle äusseren Umstände zu berücksichtigen, deren sachgemässe Beurteilung zur
Beantwortung der Schuldfrage beizutragen vermag.
In allen Fällen, in welchen ihnen dies erforderlich erscheint, haben sie den
Sichter rechtzeitig zu ersuchen, dass vor der Leichenuntersuchung der Ort, wo
die Leiche gefunden wurde, in Augenschein genommen, die Lage, in welcher
sie angetroffen, ermittelt, und ihnen Gelegenheit gegeben werde, die Kleidungs¬
stücke, welche an der Leiche vorgefunden worden sind, zu besichtigen. Auch
sind die Aerzte wie berechtigt, so verpflichtet, sich auch über andere, für die
Bia deutsches geriehtsftrstliches Leichenöffnungsverfahren.
571
Leichennntersuchung und das abzugebende Gutachten erhebliehe etwa schon
ermittelte Umstände von dem Richter Aufschluss zu erbitten."
Mecklenburg - Strelitz: „§. 3. Es kann erforderlich sein, zuvörderst
den Ort und die Umgebungen, wo der Leichnam aufgefunden worden ist, auch
ärztlicherseits in Augenschein zu nehmen, die Lage, in der der Leichnam ge¬
funden worden, zu ermitteln und dessen Bekleidungsstücke zu besichtigen.
In der Regel werden zwar die Obduzenten eine hierauf bezügliche richter¬
liche Requisition abwarten können, doch kann es den Umständen nach auch
angemessen sein, dass die Obduzenten bei Zeiten auf die Notwendigkeit einer
solchen Voruntersuchung aufmerksam machen.
Dieselben sind auch berechtigt, über andere als die hier bezeichneten
Umstände des Todes des Verstorbenen, wenn und soweit solche zur Zeit der
Obduktion bereits ermittelt sind, sich Aufschluss von den anwesenden Gerichts¬
personen zu erbitten."
Mecklenburg- Schwerin, Anhalt, Braunechwelg, 8chvara-
burg- Sondershausen und Blsass- Lothringen: Identisch mit Preussen.
Der preussische §. 10 könnte unverändert akzeptiert werden,
nur müssten abgekürzte Wortverbindungen wie „gefunden worden“,
„gefunden“, „getragen“, die sich mehr für die dichterische Aus¬
drucksweise eignen, vermieden werden. Besser wird es lauten
„der Ort, wo die Leiche gefunden wurde“, „die Lage, in der sie
sich befand“, „die Kleidungsstücke, welche der Verstorbene an
sich trug“. Die Einschränkung des württembergischen Regulativs:
„vorausgesetzt, dass der Tod ohne Zeugen und ohne voraus¬
gegangene Krankheit erfolgt ist“, möchte ich fortlassen; denn
auch wenn diese Voraussetzung nicht zutrifft, kann das persönliche
Urteil des gerichtsärztlichen Fachmannes sich im Einzelfalle er-
spriesslich erweisen.
Ueber mikroskopische Untersuchungen geben die
Regulative bestimmte Anweisungen.
Preussen: „§. 11. Mikroskopische Untersuchung, ln allen
Fällen, in denen es znr schnellen and sicheren Entscheidung eines zweifelhaften
Befundes, z. B. zur Untersuchung von Blut und von blos gefärbten (hämatin¬
haltigen) Flüssigkeiten erforderlich ist, eine mikroskopische Untersuchung vor¬
zunehmen, ist diese sofort bei der Obduktion zu veranstalten.
Wenn die äusseren Umstände dies unmöglich machen oder schwierige
mikroskopische Untersuchungen, z. B. von Gewebsteilen der Leiche, nötig sind,
welche sich nicht sofort ausfilhreu lassen, so sind die betreffenden Teile zurück-
zalegen, unter gerichtliche Obhut zu nehmen und so schnell als möglich einer
nachträglichen Untersuchung zu unterwerfen.
In dem darüber zu erstattenden Berichte ist die Zeit, zn welcher diese
nachträgliche Untersuchung vorgenommen wurde, genau anzugeben."
Bayern: §. 27, Abs 1 stimmt mit §. 11, Abs. 1 des preussischen Re¬
gulativs überein. Dann heisst es weiter:
„Ausserdem und insbesondere bei schwierigen mikroskopischen Unter¬
suchungen, z. B. von Gewebsteilen der Leiche, welche sich nicht sofort uub-
ftthren lassen, sind die betreffenden Teile zorückzulegen, unter gerichtliche
Obhut zu nehmen nnd so schnell als möglich einer nachträglichen Untersuchung
nach Massgabe der allerhöchsten Verordnung vom 29. September 1878 (Ges.-
und Verord. -Bl. S. 435) zu unterwerfen. Dieselben sind zu diesem Zweck,
wenn nach dem Zustande der Leiche erforderlich, in Weingeist, Teile des
Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) aber in */» prozentige wässerige Chrom-
säurelösung einzulegen.
In dem darüber zu erstattenden Berichte ist die Zeit, zu welcher die
nachträgliche Untersuchung vorgenommen wurde, genau anzugeben."
Württemberg: „§. 20. Mikroskopische Untersuchungen
sind schon während der Leichenöffnung immer dann vorzunehmen, wenn ein
zweifelhafter Erfund rasch und sicher aufgeklärt werden kann, so z. B. die
572
Dr. Placzek.
Natur aspirierter Stoffe in der Luftröhre and deren Aesten oder die einer
blatigen Färbung der Gewebe in der Richtung, ob Blutergüsse oder nur blutige
Tränkung stattgefunden haben und dergl. — Umständlichere mikroskopische
Untersuchungen werden womöglich am nächsten Tage begonnen. Die Zeit
dieser Vornahme ist in dem darüber zu erstattenden Berichte anzugeben.
Die betreffenden Leichenteile werden von dem Arzt zur Hand genommen
und aufbewahrt, welcher die Untersuchung ausführt. Dieselben sind im Not¬
fall in reine Tücher einzuschlagen, welche mit Glyzerin oder Weingeist, mit
Karbolsäure (3 proz.) getränkt sind. In der Regel sollen sie aber in geeigneten,
diese Flüssigkeiten enthaltenden Gläsern anfbewahrt werden. Bei Teilen des
Gehirns oder Rückenmarks hat dies immer zu geschehen, jedoch hat in diesem
Falle die Flüssigkeit aus einer wässerigen 1 / t proz. Lösung von doppelt chrom-
saurem Kali zu bestehen.
Die Aufbewahrung yon Flüssigkeiten, welche der Leiche entnommen sind,
geschieht zum Zwecke einer späteren Untersuchung auf einem gewöhnlichen
Deckgläschen für mikroskopische Untersuchungen, wenn nur eine geringe Menge
zu Gebote steht, oder eine solche zur Aufhellung ihrer Natur genügt. Die
Flüssigkeit wird in sehr dünner Schicht auf dem Gläschen ausgebreitet und
rasch eingetrocknet. Das Präparat wird dann mit einem zweiten Deckgläschen
oder einem Objektträger bedeckt und in reinem weissen Papier sorgfältig auf¬
bewahrt. Grössere Mengen werden in Kapillarröhren, wie sie sonst für flüssigen
Stoff verwendet werden, aufgesaugt, und diese nach ihrer Füllung versiegelt.
Hat keiner der Aerzte genügende Erfahrung und Fertigkeit in mikro¬
skopischen Untersuchungen, oder soll eine solche aus anderen Gründen einem
weiteren Sachverständigen übertragen werden, so hat die Uebersendung, wie
schon in §. 11 vorgeschrieben warde, sofort zu geschehen, weil durch eine Ver¬
zögerung nioht nur die positiven Ergebnisse nnsicher werden können, sondern
auch die negativen an Wert verlieren.“
Sachsen-Weimar-Eisenach: „§.20. Soweit dies möglich ist, sollen
mikroskopische Untersuchungen, welche zur Entscheidung zweifelhafter Be¬
funde notwendig sind, während der Leichenöffnung vorgenommen werden.
Wenn die äasseren Umstände dies unmöglich machen oder die mikro¬
skopische Untersuchung besondere Vorbereitungen erfordert, so sind die be¬
treffenden Teile dem Richter zur möglichst baldigen Veranlassung des nach
Lage des Falles Erforderlichen zu übergeben.“
Mecklenburg - Schwerin, Anhalt, Braunschweig, Schwarz-
burg - Sondershausen und Eisass - Lothringen: Identisch mit Preussen.
Sachsen, Mecklenburg-Strelits, Baden: Hier ist eine derartige
Bestimmung nicht vorgesehen.
Vergleicht man diese der Form und dem Inhalt nach sehr ver¬
schiedenen Anweisungen, die den gleichen Gegenstand betreffen,
so dürfte sich aus teil weiser Verschmelzung der preussischen
und der württembergischen Bestimmung eine ausreichende Neu¬
anweisung etwa in folgender Form empfehlen:
„ln allen Fällen, in welchen es zur schnellen und sicheren Entscheidung
eines zweifelhaften Befundes erforderlich ist, eine mikroskopische Untersuchung
vorzunehmen, hat dies sofort bei der Obduktion zu geschehen. Sind schwierigere
mikroskopische Untersuchungen nötig oder machen äussere Umstände die sofortige
Ausführung unmöglich, so sind die betreffenden Teile in ausreichend grossen
Stücken zurückzulegen, unter gerichtliche Obhut zu nehmen und so schnell als
möglich einer gerichtlichen Nachuntersuchung zu unterwerfen . Die Zeit der
Vornehme ist in dem darüber zu erstattenden Bericht anzugeben. — Die Leichen¬
teile werden von dem Arzte aufbewahrt, der die Untersuchung vor nimmt. Die
Aufbewahrung von Organteilen soll in geeigneten, 10°j 0 ige Formalinlösung ent¬
haltenden Gläsern geschehen. Flüssigkeiten sollen, wenn sie in grösserer Menge
vorhanden sind, in zugeschmolzenen Glasröhren auf bewahrt werden, wenn sie in
nur geringer Menge vorhanden sind, in dünner Schicht auf Deckgläschen ge¬
strichen, rasch eingetrocknet, mit einem zweiten Deckgläschen oder Objektträger
bedeckt und in reinem weissen Papier sorgfältig aufbewahrt werden.
Hat keiner der Aerzte genügende Erfahrung und Fertigkeit in mib'o-
skttpischen Untersuchungen oder soll eine solche aus anderen Gründen einem
Ein deutsches gerichts&ntliches LcichenöffnnngsTerfahren.
B73
weiteren Sachverständigen übertragen werden, so hat die Uebersendung sofort zu
geschehen y weil durch eine Verzögerung nicht nur die positiven Ergebnisse
unsicher werden können, sondern auch die negativen an Wert verlieren.“
Wir kommen nun zur eigentlichen Leichenöffnung. Deren
Hauptteile wünschen die Regulative fast übereinstimmend in
folgender Form:
Preussen: „§.12. Obduktionen. Die Obduktion zerfallt in zwei
Hauptteile: A. Aeussere Besichtigung (Inspektion). B. Innere Besichtigung
(Sektion).
Bayern: Identisch mit Preussen.
Sachsen: §. 8. Desgleichen.
Württemberg: I. Leichenschau (äussere Besichtigung, Inspektion).
II. Leichenöffnung (innere Besichtigung, Sektion).
Baden: §. 36. A. Leichenschau. B. Leichenöffnung.
Sachsen- Weimar -Eisenach: IL Leichenschau. UI. Leichenöffnung.
Mecklenburg - Schwerin (§. 10), Mecklenburg-Strelits (§. 5),
Anhalt (§. 9), 8chwaraburg-Sondershausen (§. 12): Identisch mit Preussen.
Braunschweig: Vaeat.
Es dürfte kein Anlass vorliegen, von der bewährten Zwei¬
teilung des preussischen Musters abzugehen; die Beifügungen
„Inspektion“ und „Sektion“ könnten allerdings als überflüssig
wegfallen.
Für die äussere Besichtigung selbst geben die Regulative
sehr eingehende Hinweise. Auch in Zukunft sollte diese recht
minutiös ausgestaltet werden, damit der gerichtliche Mediziner
schon hier erkennt, dass nichts, auch nicht der unwesentlichste
Befund, übersehen werden darf und, dass die gerichtliche Medizin
wesentlich andere Zwecke verfolgt wie die pathologische Anatomie,
bei der die äussere Besichtigung zumeist als Stiefkind, etwas
Nebensächliches, gilt und entsprechend behandelt wird.
Preussen: „§. 13. Aeussere Besichtigung. Bei der äusseren
Besichtigung ist die äussere Beschaffenheit des Körpers im allgemeinen und
die seiner einzelnen Abschnitte zu untersuchen.
Demgemäss sind, betreffend den Körper im allgemeinen, soweit die Be¬
sichtigung solches ermöglicht, zu ermitteln und anzugehen:
1. Alter, Geschlecht, Grösse, Körperbau, allgemeiner Ernährungszustand,
etwa vorhandene Krankheitsresiduen, s. B. sogen. Fussgesohwüre, besondere
Abnormitäten (z. B. Mäler, Narben, Tätowierungen, Ueberzahl oder Mangel an
Gliedmassen);
2. die Zeichen des Todes und die der etwa schon eingetretenen Ver¬
wesung.
Zu diesem Behuf müssen, nachdem etwaige Besudelungen der Leiohe
mit Blut, Kot, Schmutz und dergl. durch Abwasohen beseitigt worden, ermittelt
werden: die vorhandene oder nicht vorhandene Leichenstarre, die allgemeine
Hautfarbe der Leiche, die Art und die Grade der etwaigen Färbungen und
Verfärbungen einzelner Teile derselben durch die Verwesung, sowie die Farbe,
Lage und Ausdehnung der Totenflecke, welohe einzuschneiden, genau zu unter¬
suchen und zu beschreiben sind, um eine Verwechselung derselben mit Blut-
auatretungen zu vermeiden.
Betreffend die einzelnen Teile ist folgendes festsustellen:
1. bei Leichen unbekannter Personen die Farbe und sonstige Beschaffen¬
heit der Haare (Kopf und Bart), sowie die Farbe der Augen;
2. das etwaige Vorhandensein von fremden Gegenständen in den natür¬
lichen Oeffnungen des Kopfes, die Beschaffenheit der Zahnreihen und die Be¬
schaffenheit und Lage der Zunge;
3. demnächst sind zu untersuchen: der Hals, die Brust, der Unterleib,
die Bückenfläche, der After, die äusseren Geschlechtsteile und endlich die
Glieder.
574
Dr. Pl&ozek.
Findet sieh an irgend einem Teile eine Verletzung, so ist ihre Gestalt,
ihre Lage and Bichtang mit Beziehung aaf feste Punkte des Körpers; ferner
ihre Länge and Breite in Metermass anzageben. Das Sondieren von
Trennaugen des Zusammenhanges ist bei der äusseren Besichtigung in der
Kegel za vermeiden, da sich die Tiefe derselben bei der inneren Besichtigung
des Körpers und der verletzten Stellen ergibt. Halten die Obduzenten die Ein*
ftthrang der Sonde für erforderlich, so ist dieselbe mit Vorsicht za bewirken
and haben Bie die Gründe für ihr Verfahren im Protokoll besonders anzageben.
Bei Vorgefundenen Wanden ist ferner die Beschaffenheit ihrer Bänder
and Umgebungen festzastellen and nach erfolgter Untersuchung and Be¬
schreibung der Wunde in ihrem ursprünglichen Zustande dieselbe zu erweitern,
um die innere Beschaffenheit ihrer Bänder und ihres Grandes za prüfen.
Bei Verletzungen and Beschädigungen der Leiche, die unzweifelhaft
einen nicht mit dem Tode in Zusammenhang stehenden Ursprung haben, s. B.
bei Merkmalen von Bettnngsversuchen, Zernagungen von Tieren and dergl.,
genügt eine summarische Beschreibung dieser Befunde.“
Eine wörtliche Anführung 1 der entsprechenden Parallel¬
bestimmungen aus allen anderen Regulativen dürfte sich erübrigen;
es wird vielmehr für die Folge ausreichen, die wesentlichen Ab¬
weichungen, event. eine klarere Begriffsbestimmung, hervor¬
zuheben.
In Bayern sollen, bevor etwaige Besudelungen der Leiche
entfernt werden, etwa noch vorhandene äussere Wunden oder
Verletzungen festgestellt werden. Ferner soll nach fremden
Gegenständen „auch unter den Nägeln gesucht werden“. Die
betreffende Bestimmung (§. 12) lautet:
„Besudelungen der Leiche mit Blat, Eiter, Schleim, Kot, Schmatz and
dergl. sind mit der Lupe, nötigenfalls auch mit dem Mikroskop, aaf ihre Be¬
schaffenheit an sich, sowie aaf ihren etwaigen Gehalt an fremden Bestandteilen
za untersuchen; dann erst ist die Leiche za reinigen.“
Sachsen gibt noch genau die Orte an, an welchen die
Leichenstarre geprüft werden soll, i. e. Kiefer, obere Extremitäten
und untere Extremitäten.
Die eingehendste Direktive gibt dass württembergische
Regulativ; sie zieht sich auch durch 6 §§. (§§. 12—17 inkl.). Sie
könnte, weil ausserordentlich eingehend, vorbildlich werden, wenn
einige Aenderungen vorgenommen werden, vornehmlich in der
Reihenfolge. Schon im §. 12 kann es nicht als praktisch an¬
gesehen werden, wenn gleich nach der Bestimmung von Geschlecht,
Alter, Grösse, Körperbau, Ernährungszustand schon Farbe
und Beschaffenheit der Haare am Kopfe und den übrigen
behaarten Stellen, sowie etwa an denselben haftende fremde
Geg enstände und endlich die Farbe der Iris und das Verhalten
der Pupillen festgestellt werden. Als Durchgangsprinzip sollte
doch gelten erst das Allgemeine und dann das Spezielle.
Befolgt man dieses Prinzip, so gehören an diese Stelle zunächst
die Zeichen des Todes, dann erst kann man, vom Kopf nach den
Füssen vorwärtsschreitend, die Details aufsuchen. Ebensowenig
empfehlenswert ist es, wenn schon in §. 12, und wieder vor den
Zeichen des Todes, „auch aut andere individuelle Eigentümlich¬
keiten“ die Aufmerksamkeit zu richten ist, wie „die Stellung der
Kiefer, das Verhalten der Zahnreihen, sowie die Beschaffenheit
der Füsse, Arme und Hände“. Auch alle diese Dinge gehören
in die Spezialbetrachtung.
Ein deutsches gerichtsärztliehes Leiohenöflhungsverfahren.
576
Lnnt §. 13 „dürfen Angaben Ober das Vorhandensein der Leiohenstarre
überhaupt und über ihren Grad an den verschiedenen Körperteilen nicht fehlen,
ebenso wie über die Farbe nnd allgemeine Beschaffenheit der Hant. Finden
sich auffällige Verschiedenheiten der Temperaturen an einseinen Körperstellen,
ho ist dies gleichfalls zu bemerken.“
Erst nach diesem Satz sollte kommen „sodann sind die
Zeichen des Todes zn ermitteln, also vor allem die Grösse, Farbe
nnd Verbreitung der Totenflecke“. Das Verhalten der Augen und
den Zustand ihrer einzelnen Teile jetzt zu untersuchen, ist nicht
angebracht, sondern soll erst bei der Spezialbetrachtung erfolgen.
Wenn hierbei nur die Sichtung vom Kopf nach den Füssen inne¬
gehalten wird, dürfte nichts übersehen werden.
Bei der „allgemeinen Beschaffenheit der Haut“ könnte auch
die Bestimmung Platz finden, die erst in §. 14 sich findet und in
Preussen fehlt: „Auch soll das Verhalten der Haut (Stehenbleiben
von Hautfalten etc.) festgestellt werden“.
Für die Bestimmung des preussischen Regulativs „über das
etwaige Vorhandensein von fremden Gegenständen in den natür¬
lichen (Hoffnungen des Kopfes“ kann als Ergänzung die Anordnung
des württembergischen Regulativs aus §.14 dienen:
„Die Nägel werden mit der Lupe nntersncht, nm su ermitteln, ob sich
nicht nnter den ihnen anliegenden Hantfalten grössere Fetzen von Oberhaut,
Blut, Haare, Zeuefasern, abgerissene Teile von Pflanzen, Erde oder dergleichen
finden. Etwaige Fnnde sind sofort mit dem Mikroskop zn untersuchen oder für
eine spätere Prüfang sorgfältig anfznbewahren.
Ist dem Eintritt des Todes ein Kampf vorausgegangen, oder kann ver¬
mutet werden, dass sonst nähere Berührungen mit anderen stattgeftanden haben,
so sollen auch Proben von den Haaren der Leiche anfbewahrt werden.“
Beachtenswert ist ferner eine Bestimmung aus dem §. 15,
Abs. 1:
„Bei ebenen Flächen werden die Masse mit dem Massstab genommen,
bei gekrümmten nicht mit dem Bande, sondern mit dem Zirkel.“
Strittig kann sein, welches von den angegebenen Verfahren
zur Untersuchung einer Verletzung den Vorzug verdient. In
Preussen heisst es:
„Bei Vorgefundener Wände ist ferner die Beschaffenheit ihrer Bänder
nnd Umgebungen festznstellen nnd nach erfolgter Untersuchung nnd Be¬
schreibung der Wnnde in ihrem ursprünglichen Zustande, dieselbe zn erweitern,
nm die innere Beschaffenheit ihrer Bänder nnd ihres Grandes zn prüfen.“
In Württemberg lautet die Bestimmung:
„In keinem Fall dürfen die zn diesem Zweck gemachten Schnitte die
verletzte Stelle qner durchsetzen oder ihre Enden erweitern. Die betreffende
Stelle der Hant soll Umschnitten, d. h. es soll ein im Zusammenhang mit den
übrigen Teilen bleibender Lappen gebildet werden, welcher die Verletzung der
Fläche nach unversehrt enthält. In ähnlicher Weise sind die darunter liegenden
Weichteile als einzelne Lappen schichtenweise zn präparieren, damit man die
Schichten wie die Blätter eines Buches Umschlägen nnd die Dimensionen,
sowie das sonstige Verhalten der verletzten Stellen in jeder einzelnen Schicht
feststellen kann.“
Den folgenden Passus des württembergischen Regulativs
möchte ich aufgenommen wissen:
„Ihre (der Verletzung) Gestalt im grossen sowie die Beschaffenheit
ihrer Bänder nnd Winkel ist zn beschreiben. Sind die letzteren nicht ganz ein¬
facher Art, so empfiehlt es sich, dieselben ansserdem durch Zeichnnngen zu
576
Dr. Plaosek.
veranschaulichen. Namentlich soll auch die gegenseitige Lage mehrerer auf
einem kleinen Baum zusammenliegender Verletzungen, wie s. B. Wflrgespuren
am Halse und Gesichte auf diese Weise dargestellt werden. Finden Bich Ver¬
legungen an behaarten Teilen, so sind die Haare in ihrer Umgebung mit der
Seheere knapp absuschneiden oder mit einem bauchigen Skalpell absurasieren. <>
Hier wäre einzufügen: „die Verletzungsstelle und ihre nächste
Umgebung ist möglichst sorgfältig in Kays erlingscher Flüssig¬
keit aufzubewahren.“ Auf diese Weise wird etwaigen Nachunter¬
suchern ihre Aufgabe erleichtert, gleichzeitig aber auch die Mög¬
lichkeit gegeben, wichtige Befunde an Gerichtsstelle zu demon¬
strieren und so theoretische Ausführungen wirksam zu unter¬
stützen.
Recht angebracht ist die weitere Bestimmung des württem-
bergischen Regulativs, dass
„von Hautabschürfungen, unter welchen mit blossem Auge kein Blut-
ergass bemerkt werden kann, von welchem es also zweifelhaft ist, ob sie im
Leben entstanden, Darohschnitte in senkrechter Richtung zu machen und diese
mit der Lupe, nötigenfalls auch mit dem Mikroskop zu untersuchen sind.
Beim Anfsuohen verletzter Nerven und Gefässe wird der Stamm in einiger
Entfernung von der betreffenden Stelle blosgelegt, und diese von hier aus auf-
gesucht.“
Das letztgenannte Vorkommnis behandelt noch eingehender
der bayerische §. 26, der „Verletzungen, Durchschneidungen
oder brandige Zerstörungen von Gefäss- und Nervenstämmen
unterscheidet und auf genaue Feststellung und Bezeichnung von
deren Lokalität und Namen aufmerksam“ macht. Bei Aufsuchung
solcher verletzter Gefässe und Nerven ist nicht die verletzte
Stelle direkt in Angriff zu nehmen, sondern man muss dieselben
von den betreffenden Stämmen aus aufsuchen und präparieren.
Und da es oft schwer ist, bei angeschnittenen oder brandig zer¬
störten Gefässen die verletzten Stellen aufzusuchen, so ist es
rätlich, in solchen Fällen in den Stamm des Gefässes einen Tubulus
einzuführen und von dort aus Wasser in dasselbe einzuspritzen,
um durch den Ausfluss desselben die Stelle der Verletzung zu
entdecken.
Gleichfalls zur Aufnahme wert erscheint mir §. 17 des
württembergischen Regulativs:
„Zerschnittene and in ihren einzelnen Teilen versehleppte Leichen, deren
Weiehteile genügend erhalten sind, werden genau gemessen and aach sonst
sorgfältig untersacht, nioht allein, am die Identität der Personen, sondern
wenn möglich, noch Verletzungen za konstatieren, welche unmittelbar vor dem
Tode entstanden.
Leiehen von im Fener amgekommenen Personen, selbst wenn sie halb¬
verkohlt sind, sollen gleichfalls genaa untersucht werden, weil es möglich
ist, aaoh an ihnen noch brauchbare Anhaltspunkte für die gerichtliche Unter¬
suchung anfzufinden.
In ihren einzelnen Teilen erhaltene Skelette können Aufschlüsse über
das Geschlecht, das Lebensalter, die Körpergrösse and über etwaige Knochen¬
verletzungen geben. Sie sind deshalb nach stattgefundener Reinigung einer
sorgfältigen Messung und weiteren Untersuchung zu unterziehen.“
Sehr beachtenswert sind die Gewichts- und Masstabellen,
welche Bayern in seinem §. 26 Abs. 1—3, der inhaltlich dem
§.17 des württ. Regulativs entspricht, zur leichteren Identifi¬
zierung einer Person binzutügt. Nach Krause ist:
Bia deutsche* goriohtsftrztliohes Lcichenöffnungsverfahren.
577
das Gewicht eines Kopfe» . . = */„—Vit Abs ganzen Körpergewichtes,
* * de» Stammes ..=»/* »
„ „ der beiden oberen
Extremitäten zasammen
mit der Schalter . . . = '/« „ „ „
„ Gewicht der beiden unteren
Extremitäten mit den
Hüften.= */r » n „
Zur Beziehung auf die Masse können folgende Angaben von
Quetelet als Anhaltspunkte dienen:
Wird die Totalhöhe eines Menschen zu 1,000 angesetzt, so betrügt die
Ectfernang
vom Scheitel bis »am Kinn.0,133
„ Kinn „ „ Brustbein.0,039
„ Brustbein bis zam Schambein.0,320
„ Schambein zur Brde.0,508
1,000
vom Schambein bis zur Mitte des Knies.0,225
von der Mitte des Knies bis Knöchel.0,232
vom Knöchel bis znr Erde.0,051
von einem Akromium zum anderen.0,232
von einer Hüfte zur anderen.0,139
vom Akromium bis Ellbogen.0,196
vom Ellbogen bis Handwarzel.0,145
die Hand.0,113
Die Regulative von Mecklenburg-Schwerin, Anhalt und
Braunschweig stimmen mit dem preussischen überein; ebenso fast
gauz §. 6 von Mecklenburg -Strelitz. Letzterer enthält nur fol¬
genden unwesentlichen Schlusssatz:
„Ebenso ist es gestattet, bei Blutunterlaufungen, abgesohürften Haut¬
stellen and dergleichen . . . dieselben ihrer allgemeinen Gestalt nach mit be¬
kannten Körpern zu vergleichen, s. B. einem Geldstück, einer Fracht a. dergl.“
Au8 dem Regulativ von Sachsen-Weimar-Eisenach halte
ich für beachtenswert, was es in den §§. 12 und 14 angibt. In
ersterem heisst es:
„Die Feststellung der Lftnge erfolgt dorch Messung der Entfernung des
8cheitels von dem unter dem Knöchel befindlichen Teile der Fusssohle bei
wagerechter Lage der Leiche.“
Im §. 14 sind so sorgfältige Detailanweisungen über die
Untersuchung der Körperteile gegeben, wie sie kein anderes
Regulativ aufweist, deshalb wünschte ich auch ihre wortgetreue
Wiedergabe in der zukünftigen Bestimmung. B r iernach würde
sich für A. äussere Besichtigung folgende Form ergeben:
„Bei der äusseren Besichtigung ist die äussere Beschaffenheit des Körpers
im allgemeinen und die seiner einzelnen Abschnitte zu untersuchen.
Für die allgemeine Betrachtung des Körpers sind zu ermitteln und an¬
zugeben :
1. Alter 7 Geschlecht, Grösse (durch Messung der Entfernung des Scheitels
von dem unter dem Knöchel befindlichen Teile der Fusssohle bei xcagerechter
Lage der Leiche), Körperbau, allgemeiner Ernährungszustand, etwa vorhandene
Krankheitsresiduen, individuelle Eigentümlichkeiten, wie Schwielen, Karben, Tä¬
towierungen, Verfärbungen, welche auf die Beschäftigung hinweisen.
2. Die Zeichen des Todes und die der etwa schon eingetretenen
Verwesung.
578
Dr. PUoBek.
Zur Bestimmung der Zeichen des Todes sind etwaige Besudelungen der
Leiche durch Abwaschen zu beseitigen; wenn nötig, sind sie mit der Lupe, erfor¬
derlichenfalls mit dem Mikroskop auf ihre Beschaffenheit an sich, sowie auf ihren
etwaigen Gehalt an fremden Bestandteilen zu untersuchen; dann erst ist die Leiche
zu reinigen. Nun wird die Leichenstarre ermittelt. Angaben über ihr Vorhandensein
überhaupt, sowie über ihren Grad an den verschiedenen Körperstellen, dem Unter -
kiefer, den oberen und unteren Gliedmassen dürfen nicht fehlen. Demnächst ist
ist zu schildern: die allgemeine Beschaffenheit der Haut, ihre Farbe, Temperatur,
Art und Stärke etwaiger Verfärbungen durch Fäulnis, sowie die Bildung von
Hautfalten. Alsdann sind zu beschreiben die Totenflecke nach Farbe, Grösse
und Verbreitung. Sie sind einzuschneiden, um eine Verwechslung mit Bluter¬
güssen ins Gewebe auszuschliessen. Dass dies geschehen ist, muss im Protokoll
erwähnt werden. Endlich muss noch festgestellt werden, ob Verwesungsgeruch
vorhanden gewesen ist. Die einzelnen Körperteile sind in folgender Reihenfolge
und Art zu beschreiben:
a. Am Kopf ist Farbe, Beschaffenheit, Länge, Dicke und Dichtigkeit des
Haares festzustellen, event. eine Haarprobe aufzubewahren ; ferner die Beschaffen¬
heit der weichen Bedeckung, Umfang, Form und Festigkeit des Schädeldaches
und Form der Stirn anzugeben.
b. Am Gesicht ist festzustellen: ob die Augenlider geschlossen oder geöffnet
sind, die Beschaffenheit der Augenbindehaut (Farbe, Blutaustretungen), der Horn¬
haut, der Regenbogenhaut und die Weite der Pupillen, die Durchsichtigkeit der
Linse, Farbe, Form und Dichte der Augenbrauen.
c. Form der Nase, Beschaffenheit der Nasengänge, Beschaffenheit des
äusseren Ohres und der Gehörgänge, event. des Trommelfelles; Form, Farbe und
Beschaffenheit der Lippen, in gleicher Art der Zunge; Zahl, Stellung und Be¬
schaffenheit der Zähne und Verhalten des Zahnfleisches, Vorhandensein fremder
Gegenstände in diesen Oeffnungen.
d. Am Hals sind die Beweglichkeit, natürliche Hautfalten, Strangulations-
falten zu prüfen, sowie Lage und Beschaffenheit des Zungenbeins, des Kehlkopfs,
der Schilddrüse, der oberen und unteren Lymphdrüsen zu berücksichtigen.
e. An der Brust soll Form und Umfang des Brustkorbes, die Beschaffen¬
heit der Brustwarzen, der Milchdrüsen, des Inhalts der Milchgänge ermittelt
werden.
f. Am Bauch ist Wölbung und Beschaffenheit der Wand, ob einge¬
sunken, schlaff, aufgetrieben festzustellen, auf das Vorhandensein von Brüchen,
Schwangerschaftsnarben, Pigmentierungen zu achten.
g . An den äusseren G es chl echt st eilen ist die Beschaffenheit der Vor¬
haut und ihres Bändchens, der Eichel, Hamröhrenmündung, des Gliedes, des
Hodensacks und seines Inhalts zu prüfen.
An den weiblichen Geschlechtsteilen sind die grossen und die kleinen Scham¬
lippen, der Kitzler, das Hymen, der Scheidenvorhof zu beschreiben.
Der Damm ist bei beiden Geschlechtern auf Narben und Trennungen zu
untersuchen.
h. Am Nacken ist die Beschaffenheit der Haut, der Muskeln , der Dom¬
fortsätze der Halswirbel,
i. am Rücken der Verlauf der Wirbelsäule, die Symmetrie der beiden
Seiten, die Beschaffenheit der Schulterblätter,
k. am Gesüss die Beschaffenheit der weichen Decken und der unterlie¬
genden Knochen festzustellen.
l. An den oberen Gliedmassen ist die Form und Beschaffenheit der
Finger , Hände, des Unter- und Oberarmes anzugeben, das Knochengerüst
auf Zusammenhangstrennungen zu prüfen, die Beschaffenheit der Gelenke zu
berücksichtigen. Die Nägel werden mit der Lupe untersucht, um zu ermitteln,
ob sich nicht unter den ihnen anliegenden Hautfalten oder ihren vorderen Enden
grössere Fetzen von Oberhaut, Blut, Haaren, Zeugfasern, abgerissenen Teilchen
von Pflanzen, Erde oder dergl. finden. Etwaige Funde sind sofort mit dem
Mikroskop zu prüfen oder für eine spätere Prüfung sorgfältig aufzubewahren.
m. Das Gleiche gilt für die unteren Gliedmassen.
n. Findet sich an irgend einem Teil eine Verletzung, so ist ihre Gestalt,
Lage und Richtung mit Beziehung auf feste Punkte des Körpers, ferner ihre
Länge, Breite, die Beschaffenheit ihrer Ränder, der Randwinkel und der Um¬
gebung festzustellen. Ist die Form der Wunde nicht ganz einfacher Art, so
Bin deutsches geriohtslntliohes LeiohenOffnungSTerfähren.
B79
empfiehlt es sich, dieselbe durch Zeichnung zu veranschaulichen, namentlich soll
auch die gegenseitige Lage mehrerer auf einem kleinen Raum zusammenliegender
Verletzungen, wie z. B. von Würgespuren am Halse und Gesicht auf diese
Weise dargestellt werden. Findet sich die Verletzung an behaarten Teilen, so
sind die Haare in ihrer Umgebung knapp abzuschneiden.
Das Sondieren von Trennungen des Zusammenhangs ist bei der äusseren
Besichtigung in der Regel zu vermeiden, da sich die Tiefe derselben bei der
inneren Besichtigung des Körpers und der Verletzungsstelle ergibt. Halten die Ob¬
duzenten die Einführung der Sonde für erforderlich, so ist dieselbe mit Vorsicht
zu bewirken, und müssen die Grütide für dieses Verfahren im Protokoll beson¬
ders angegeben werden. In keinem Falle dürfen Schnitte die Verletzungsstelle
quer durchsetzen oder ihre Enden erweitern; die betreffende Stelle der Haut
soll Umschnitten, d. h. es soll ein im Zusammenhang mit dem übrigen Teil blei¬
bender Lappen gebildet werden, welcher die Verletzung der Fläche nach unver¬
sehrt erhält. In ähnlicher Weise sind die darunter liegenden Weichteile als
einzelne Lappen schichtweise zu präparieren, damit tnan die Schichten wie die
Blätter eines Buches Umschlägen und die Dimensionen, sowie das sonstige Ver¬
halten der verletzten Stellen in jeder einzelnen Schicht feststellen kann.
Die Verletzungsstelle und ihre nächste Umgebung ist möglichst sorgfältig
in Kayserlingscher Flüssigkeit aufzubewahren.
o. Bei gekrümmter Fläche werden die Masse nicht mit dem Bande, son¬
dern mit dem Zirkel gemessen.
p. Hautabschürfungen, welche mit blossem Auge keinen Bluterguss be¬
merken lassen, von denen es also zweifelhaft ist, ob sie im lieben entstanden sind,
sind senkrecht einzuschneiden und mit der Lupe, nötigenfalls auch mit dem
Mikroskop zu untersuchen.
q. Zerschnittene und in ihren einzelnen Teilen verschleppte Leichen, deren
Weichteile genügend erhalten sind, werden genau gemessen und auch sonst sorg¬
fältig untersucht, nicht allein, um die Identität der Person, sondern, wenn mög¬
lich, auch die Verletzungen zu konstatieren, welche unmittelbar vor dem Tode
entstanden sind.
laichen von im Feuer umgekommenen Personen, selbst wenn sie halbver¬
kohlt sind, sollen gleichfalls genau untersucht werden, weil es möglich ist, auch an
ihnen brauchbare Anhaltspunkte für die gerichtliche Untersuchung aufzufinden.
Die Zähne in ihren Besonderheiten, speziell die Zahnfüllungen , sind zu beachten.
ln ihren einzelnen Teilen erhaltene Skelette können Aufschluss über das
Geschlecht, das Lebensalter, die Körpergrösse und etwaige Knochenverletzungen
geben. Sie sind deshalb nach stattgefundener Reinigung einer sorgfältigen Messung
und weiteren Untersuchung zu unterziehen. Zur leichteren Identifizierung einer
Persönlichkeit sollen folgende Anhaltspunkte dienen:
Nach Krause:
Gewicht des Kopfes .= 1 / 11 — 1 l l7 des ganzrn Körpergewichts.
„ „ Stammes .= */* » „ »
„ der beiden oberen Extremi¬
täten mit Schulter . . == l j 6 » n
„ der beiden unteren Extremi¬
täten mit Hüften . . . = */ 7 „ „
Nach Quetelet ist, wenn die Totalhöhe 1,000, die Entfernung
von Scheitel bis Kinn . 0,133
„ Kinn bis Brustbein . 0,039
„ Brustbein bis Schambein . 0,320
„ Schambein zur Erde . 0,508
1,000
vom Schambein bis Mitte Knie . 0ß25
von Mitte Knie bis Knöchel . 0J232
„ Knöchel bis Erde . 0,051
„ Akromium zum andern . 0,232
„ Hüfte zur anderen . . 0,139
„ Akromium bis Ellbogen . 0,196
„ Ellbogen bis Handwurzel . 0,145
die Hand . 0,113
Beschädigungen der Leiche, welche unzweifelhaft erst nach dem Tode ent-
680
Dr. Placzek.
standen, wie die Folgen von Rettungsversuchen, Nagetieren u. dergl. sind nach
Angabe ihrer vermutlichen Ursache kurz zu beschreiben .“
Der Tatsache, dass in Vergiftungsfällen schon die äussere Be¬
sichtigung wertvolle Anhaltspunkte geben kann, trägt allein Sachsen-
Weimar-Eisenach Rechnung. Hier heisst es in §. 14, Abs. p.:
„Liegt Verdacht auf Vergiftung vor, so ist auf die Färbung der Haut
und der Bindehaut der Augäpfel, das Vorhandensein von Stichkanälen in der
Haut, Farbe der Totenflecke, das Vorhandensein von Blutaustritten, das Vor«
halten der Lippen und des Zahnfleisches besonders zu achten.
Ergiesst sich Flüssigkeit aus Hund oder Nase, so ist deren Farbe und
Geruch anzugeben, die Beaktion mit Lakmus oder Kongorot zu prüfen."
Wie man sieht, ist diese Bestimmung so prägnant, dass ich
nicht zögere, ihre Aufnahme auch für das Zukunftsregulativ zu
empfehlen.
Eine gewisse Sonderstellung nimmt die äussere Besichti¬
gung von Neugeborenen ein. Hier sind so viele wesentliche
Momente zu beobachten, dass alle Regulative ihr eine Besprechung
in Sonderparagraphen widmen. Auch hier sollen wieder die
anderen Bestimmungen mit der preussischen verglichen, doch nur
in ihren wesentlichen Abweichungen zitiert werden.
Preuaaen: „§.23. Neugeborene, Ermittelung der Reife und
deren Entwickelungszeit. Bei den Obduktionen Neugeborener sind
ausser den oben angeführten allgemeinen Vorschriften noch folgende besondere
Punkte zu beachten:
Es müssen erstens die Zeichen ermittelt werden, aus welchen auf die
Reife und Entwickelungszeit des Kindes geschlossen werden kann. Dahin ge¬
hören: Läoge und Gewicht des Kindes, Beschaffenheit der allgemeinen Be¬
deckung und der Nabelschnur, Länge und Beschaffenheit der Kopfhaare, Grösse
der Fontanellen, Länge-, Quer- und Diagonaldurchmesser des Kopfes, Be¬
schaffenheit der Augen (Pupillarmembran), der Nasen- und Ohrknorpel, Länge
und Beschaffenheit der Nägel, Qnerdurohmesser der Schultern und Hüften, bei
Knaben die Beschaffenheit des Hodensacks und die Lage der Hoden, bei Mäd¬
chen die Beschaffenheit der äusseren Geschlechtsteile.
Endlich ist noch zu ermitteln, ob und in welcher Ausdehnung in der
unteren Epiphyse des Oberschenkels ein Knochenkern vorhanden ist. Zu diesem
Behuf wird das Kniegelenk durch einen unterhalb der Kniescheibe verlaufenden
Querschnitt geöffnet, die Extremität im Gelenk stark gebeugt und die Knie¬
scheibe entfernt. Alsdann werden dünne Knorpelsohichten so lange abgetragen,
bis man auf den grössten Qaerdurchmesser des etwa vorhandenen Knochen¬
kerns gelangt, welcher nach Millimeter zu messen ist.
Ergibt sich aus der Beschaffenheit der Frucht, dass dieselbe vor
Vollendung der 80. Woche geboren ist, so kann von der Obduktion Abstand
genommen werden, wenn dieselbe nicht von dem Richter ausdrücklich ge¬
fordert wird.“
Bayern enthält im §. 22 „Neugeborene, Ermittlung der
Reife und der Entwicklungszeit“ eine ähnliche, aber nach den
verschiedensten Richtungen abweichende Bestimmung.
Schon zu Anfang wird die Ermittelung der Zeichen gefordert,
„aus welchen auf die Reife, die Entwicklungszeit und Lebens¬
fähigkeit“ des Kindes geschlossen werden kann. Es wird also
schon hier die Frage nach der Lebensfähigkeit in den Vordergrund
geschoben, die das preussische Regulativ an dieser Stelle nicht
aufwirft. Von deren Zeichen wird die Beschaffenheit der Nabel¬
schnur hier durch die Worte ergänzt „nämlich der Einpflanzungs¬
stelle und der Trennungsfläche derselben“. Weiter abweichend
ist hier die Bestimmung der Kopfdurchmesser. Während das
Bin deutsches geriehtsärstliches LeichenöffnungsYerfahren.
681
preussische Längs-, Quer- und Diagonaldurchmesser verlangt,
wird hier noch der Umfang des Kopfes genannt. Ausserdem wird
gleich die Art ihrer Messung festgelegt. „Erstere werden mit
dem Tasterzirkel, letzterer durch das Zentimeterband bestimmt,
welches entsprechend dem graden Durchmesser um die grösste
Peripherie des Kopfes herumzulegen ist.“
Die im preussischen Regulativ nur allgemein angeführten
Querdurchmesser der Schultern und Hüften sind hier durch die
Worte „an den Trochanteren“ genauer lokalisiert.
Eine Bestimmung über das Recht, von einer Obduktion ab¬
zusehen, wenn die Frucht vor Vollendung der 30. Woche geboren
wurde, fehlt in Bayern, dafür enthält das betreffende Regulativ
folgenden Schlusspassus:
„Zweitens ist womöglich die Nachgeburt herbeizuschaffen, deren Gewicht,
sowie die Länge der Nabelschnur zu bestimmen, dieselbe auf ihre Eigenschaften
zu untersuchen und die Beschaffenheit des Trennungsendes der Nabelschnur
genau zu beschreiben, sowie aus der Beschaffenheit des Nabelringes und der
Nabelschnur, auch etwa aus der Beschmutzung der Haut mit Käseschmiere und
Blat die Zeichen der Neugeburt su ermitteln und endlich auf das Vorhanden¬
sein einer Geburtsgeschwulst Bttcksicht zu nehmen.“
Sehr nachahmenswert, sodass ich nicht zögere, sie auch für
die zukünftige deutsche Bestimmung zu empfehlen, ist die Ein¬
fügung einer ausführlichen Tabelle über Masse und Gewichte von
neugeborenen Kindern und deren Skeletteilen.
Die sächsische Anweisung beginnt abweichend von den
bisher erwähnten den §. 18 in folgender Form:
„Bei Oeffnung der Leiobe eines neugeborenen Kindes ist nach §. 90 der
St. P. 0. die Untersuchung auch insbesondere darauf zu richten, ob dasselbe
während oder nach der Geburt gelebt habe, und ob es reif oder wenigstens
fähig gewesen sei, das Leben ausserhalb des Hutterleibes fortzusetzen.
Zur Beantwortung der letzten Frage mflssen genau die Zeichen er¬
mittelt werden, aus welchen auf die Beife und Entwickelungszeit geschlossen
werden kann. . . .“
Erwähnenswert ist bei der Aufzählung der Zeichen nur,
dass bei der Nabelschnur auch „die Lage ihres Ansatzpunktes in
der Bauchgegend oder des noch vorhandenen Nabelschnurrestes“
verlangt wird, ferner dass man sich nicht mit der Freilegung
des Knochenkerns in der unteren Epiphyse des Oberschenkels
begnügt, smdern in folgender Weise fortfährt:
„Nachdem in dieser Weise das Knorpelende (Epiphyse) untersucht, wird
durch die Verknöcherungsschicht hindurch in den Knochen (Diapbyse) mit dem
Messer oder der Säge ein den letzteren in seiner Längsachse spaltender Schnitt
geführt, um an der in dieser Weise erhaltenen Schnittfläche, etwa an der Ver¬
knöcherungslinie zwischen Knorpel und Knochen, yorhandene krankhafte Be¬
funde (Syphilis, Bhachitis) festzustellen.“
Das die Untersuchung Neugeborener sehr eingehend be¬
handelnde württembergische Regulativ beginnt in §. 31 mit
folgenden Worten:
„Der dnrch §. 90 der B. St. P. 0. festgestellte Zweck dieser Untersuchung
erfordert es, dass sie sich, ausser auf die Feststellung der Todesursache, auch
noch auf die Ermittelung der Beife, Lebensfähigkeit und des Lebens Tor,
während und nach der Geburt beziehe. Das Verfahren bei der Leichenschau
und Leichenöffnung bedarf daher folgender Abänderungen und Erweiterungen.“
Beachtenswert ist hier zunächst die genauere Präzisierung
der Kopfpunkte, an denen die Durchmesser bestimmt werden:
682
Di. Pl&cxek.
„Den grössten Umlang des Kopfes bestimmt man (dem geraden Durch¬
messer desselben entsprechend) mit dem Zentimeterband. Seine Durchmesser,
ebenso wie die der Schultern und Httften mit dem Tasterzirkel.*
In Württemberg soll auch festgestellt werden,
„ob eine Kopfgeschwulst ftusserlioh bemerkbar, wie die Haut beschaffen
ist, und ob sie behaart, mit käsigem Schleim, Blut, Kindspech und dergleichen
bedeckt ist.*
Für die Feststellung der Augenbeschaffenheit wird folgende
Anweisung gegeben:
„Soll der nicht gans leichte Nachweis der Pupillarmembran geliefert
werden, so sind die Augen herauszunehmen, einige Millimeter hinter der Horn¬
haut senkrecht zu durohschneiden, das vordere Segment in dünner Chromsäure-
lOsung oder in Alkohol zu erhärten und dann auf einem Objektglase mit der
Lupe zu untersuchen.*
Auch für die Nachgeburt werden präzise Angaben gemacht.
Es ist die Beschaffenheit ihrer Fläche, namentlich etwaige Ver¬
änderungen derselben, das Gewicht, die Breite und Dicke, sowie
die Länge und das übrige Verhalten des an ihr haftenden Teiles
der Nabelschnur zu ermitteln.
Baden besitzt einen besonderen Abschnitt, betitelt „bei
Kindestötungen“. Hier heisst es:
„§. 40, Abs. 1: „Insbesondere ist zu erheben und genau zu Protokoll an-
zogeben: wo der Kindesleichnam aufgefunden worden, womit er bekleidet oder
umwickelt, und wie und wodurch er etwa verunreinigt gewesen; ob der Mutter¬
kuchen mit aufgefunden, wie dieser und der etwa noch daran befindliche Teil
der Nabelschnur beschaffen gewesen sei.*
§. 48. Das Gutachten Aber todgefundene, neugeborene Kinder hat sich
darüber auszusprechen:
1. ob das Kind reif oder wenigstens fähig gewesen sei, das Leben ausser¬
halb des Mutterleibes fortzusetzen;
2. ob das Kind vor, während oder nach der Geburt gestorben ist;
S. ob der Tod des lebend geborenen Kindes zufällig, (etwa infolge der
Geburtsvorgänge) oder infolge der Unterlassung der nötigen Fürsorge oder von
Gewalttätigkeiten eingetreten sei;
4. ob anzunehmen ist, dass das Kind in oder gleich nach der Ge¬
burt und zwar innerhalb welchen Zeitraumes getötet worden sei.*
Von den Abweichungen, welche das Regulativ von Sachsen-
Weimar-Eisenach in der Untersuchung Neugeborener aufweist,
ist nur anzugeben:
1. „Die Länge der Leiche ist in Millimeter, ihr Gewicht in Grammen
anzugeben. An der Brust sollen die Milchgänge auf ihren Inhalt unter¬
sucht werden.
8. Bei Knaben ist auf das Vorhandensein von Harnsäurebelag der Vor¬
haut, sowie auf die Lage der Hoden, bei Mädchen auf das Verhältnis der
grossen zu den kleinen Schamlippen die Aufmerksamkeit zu richten.*
Mecklenburg-Schwerin stimmt inhaltlich in seinem §. 21
mit Preussen überein, nur lautet der Schlusssatz:
„Ergibt sich aus der Beschaffenheit der Frucht und besonders daraus,
dass sie in gestrecktem Zustand bei normaler Körperform vom Scheitel bis
zur Ferse in gerader Linie gemessen weniger als 36 cm misst, mit Sicherheit,
dass eine unzeitige Frucht (Fehlgeburt) vorliegt, so kann von der Obduktion
Abstand genommen werden, wenn dieselbe nicht von dem Richter ausdrücklich
gefordert wird.
Anhalt (§. 20), Braunschweig (§. 17), Schwarzburg-
Sondershausen (§. 23) stimmen mit Preussen überein, Braun-
Bin deutsches gerichts&rstliches LeiohenMEsungsTetfahren.
688
schweig allein führt nur an, dass der Schlussabsatz, wonach unter
gewissen Umständen die Sektion unterbleiben kann, dem §. 90
R. St. P. 0. entspricht.
Diese Eventualität erwähnt der §. 12 von Mecklenburg-
Strelitz gar nicht. Hier soll auch der Knochenkern in der Weise
freigelegt werden, dass „die Hautbedeckung über dem Knorpel
durch einen Querschnitt bis auf den Knochen getrennt* wird.
Aus dem Vergleich der zitierten Bestimmungen und ihrer
Abweichungen dürfte sich folgender Wortlaut für das zukünftige
Regulativ empfehlen:
n Neugeborene. Ermittelung der Reife und der Entwich-
l un gszeit.
Der durch §. 90 der R. St. P. 0. festgestellte Zweck dieser Untersuchung
erfordert es, dass sie sich ausser auf die Feststellung der Todesursache auch
noch auf die Ermittelung der Reife, Lebensfähigkeit und des stattgehabten Lebens
vor, während und nach der Geburt erstreckt. Das Verfahren bei der Leichen-
besichtigung bedarf daher folgender Veränderungen und Erweiterungen:
Es müssen 1. die Zeichen ermittelt werden, aus welchen auf die Reife,
die Entwicklungszeit und Lebensfähigkeit geschlossen werden kann.
Dahin gehören: Länge (in mm) und Gewicht (in gr) des Kindes; Be¬
schaffenheit der allgemeinen Bedeckung; Vorhandensein oder Fehlen von Blut,
Hauttalg, Kindspech und sonstiger Beläge, etwaiger Mazeration; lAnge und Be¬
schaffenheit der Nabelschnur oder des noch vorhandenen Nabelschnurrestes, Lage
des Ansatzpunktes (Entfernung von der Schambeinfuge), Beschaffenheit der Einpftan-
zungs- und der Trennungsfläche; Länge und Beschaffenheit der Kopfhaare; Grösse
der Fontanellen ; Vorhandensein der Kopfgesch wulst; Form des Schädels; sein
grösster Umfang wird mit dem Zentimeterbandmass gemessen; mit Tasterzirkel
wird der Stimhinterhauptsdurchmesser, der Kinnhinterhaupts- und der Quer¬
durchmesser bestimmt; ferner Durchmesser der Schultern und Hüften; Be¬
schaffenheit der Augen; Feststellung der Pupillarmembran, indem man die
Augen herausnimmt, einige mm hinter der Hornhaut senkrecht durchschneidet,
im vorderen Segment die Regenbogenhaut frei präpariert, auf einem Objektträger
ausbreitet, mit der Lupe event. Mikoskop untersucht; Nasen- und Ohrknotpel auf
Festigkeit zu prüfen; Länge und Beschaffenheit der Nägel; Brustmilch¬
gänge; bei Knaben die Beschaffenheit des Hodensacks und die Lage der Hoden,
bei Mädchen die Beschaffenheit der äusseren Geschlechtsteile .
Wenn möglich, ist die Nachgeburt herbeizuschaffen, deren Gewicht, die
Beschaffenheit der äusseren Fläche, namentlich etwaige Veränderungen demselben,
die Breite , Dicke, Länge und das übrige Verhalten des an ihr haftenden Teiles
der Nabelschnur zu bestimmen.
Endlich ist zu ermitteln, ob und in welcher Ausdehnung in dem unteren
Knorpelende des Oberschenkels ein Knochenkern vorhanden ist . Zu diesem Zweck
wird das Kniegelenk durch einen unterhalb der Kniescheibe verlaufenden halb¬
mondförmigen Schnitt geöffnet, die Extremität im Gelenk stark gebeugt und die
Kniescheibe nach oben geklappt. Alsdann werden dünne Knorpelschichten so
lange abgetragen, bis man den etwa vorhandenen Knochenkern im grössten Durch¬
messer vor sich hat, welcher in Millimetern festzustellen ist.
Ergibt sich am der Beschaffenheit der Frucht, dass dieselbe vor Vollen¬
dung der 30. Woche geboren ist, so kann von der Leichenöffnung Abstand ge¬
nommen werden, wenn dieselbe nicht von dem Richter ausdrücklich gefordert wird.
Zur leichteren Durchführung der in vorstehendem Absatz verlangten An¬
gaben folgen hier:
1 . Die von v. Hecker in „Hecker und Buhl Klinik f. Geburtskunde u ,
T. I, von nahezu 1000 Kindern gewonnenen Zahlenwerte:
Maximalgewicht eines reifen Kindes . 5000 gr
Minimalgewicht „ n „ 2500 „
Durchschnittsgewicht n „ 3275 n
n » » Knaben . 3310 „
„ p » Mädchens . 3230 „
584 Dt. Placsek: Bin deutsches gerichts&rztliches LeichenOfEhnngsyerfahien.
Maximale Länge eines reifen Kindes .
Minimale „ „ * „.
Durchschnittslänge „ „ . .
Durchschnittsumfang des Schädels .
Durchmesser des Schädels von der Kinnspitze bis zur kleinen Fontanelle
Gerader Durchmesser von der Nasenwurzel bis zur hervorragendsten
Stelle des Hinterhaupts .
Grosser querer Durchmesser von einem Seitenbeinhöcker zum anderen
Kleiner querer Durchmesser vom unteren Ende der Kranznaht
einer Seite zur anderen .
Breite der Schultern .
Breite der Hüften .
Sagitaler Durchmesser des Brustkorbes .
2. Knochenmassbestimmungen eines reifen Neugeborenen nach
Höhe des Stirnbeins ...
Breite desselben .
Länge seines Augenteils .
Durchmesser des Scheitelbeins vom vorderen oberen bis hinteren Rande
Derselbe vom vorderen unteren bis hinteren oberen Winkel . . .
Höhe der Pars occipitalis des Hinterhauptbeins .
Breite derselben .
Höhe des Schuppenteils des Schläfenbeins vom oberen Rande des
Gehörringes an .
Höhe des Jochbeins .
Weite des Jochbogens .
Höhe des Nasenbeins .
Breite n n ..
Höhe des Oberkiefers vom Processus alveolaris bis zur Spitze des
Processus nasalis .
Länge des Oberkiefers von der Spina nasalis ant . bis zur Spitze
des Proc . zygomatic .
Länge jeder Hälfte des Unterkiefevs .
Höhe des Unterkiefers .
„ der 7 Halswirbel .
„ „12 Rückenwirbel .
n „5 Lendenwirbel .
„ des Kreuz - und Steissbeins .
Länge des Schlüsselbeins .
„ n Schulterblatts .
Breite „ „ .
Länge des Oberarmknochens .
„ der Ulna .
„ des Radius .
„ „ Oberschenkelknochens .
„ der Kniescheibe .
Breite derselben .
Länge der Tibia .
. „ Fibula .
58,0
cm
48,0
n
51,0
9
34,44
»
13,38
19
11,44
19
9,22
19
8,00
19
12,2
19
9,8
19
9,4
19
Guenz:
4,1
19
4,96
19
2,71
19
8,8
19
8,8
19
5,42
19
4,94
19
2,71
19
1,34
19
2,71
19
1,13
19
0,48
19
2,71
19
2,93
19
4,94
19
1,58
19
3,93
19
10,14
9
4,10
19
4,10
19
4,28
9
4,04
9
3,04
9
8,12
9
7,47
9
7,22
9
9,48
9
2,03
9
1,80
9
8,57
9
8,35
9
3. Gewicht und Längenbestimmung des Fötus für die einzelnen Monate
der Schwangerschaft nach v. Hecker:
Gewicht. Länge .
Zweiter
Monat
4
9r
2,5— 3
Dritter
9
5—20
9
7— 9
Vierter
n
120
9
10—17
Fünfter
9
284
9
18-27
Sechster
9
434
9
28—34
Siebenter
9
1218
9
35-38
Achter
9
1549
9
39-41
Neunter
9
1971
9
42-44
Zehnter
9
2334
9
45-47
(Fortsetzung folgt.)
Dr. Keferstein; Bekämpfung der Kurpfuscherei n. s. w.
585
Bekämpfung der Kurpfuscherei auf gerichtlichem und
polizeilichem Wege. 1 )
Von Dr. Keferstein, Königlicher Gerichtsarzt in Magdeburg.
Die Mitteilungen, welche hier gemacht werden, gründen sich
auf in öffentlichen Gerichtsverhandlungen festgestellte Tatsachen,
wie sie der Verfasser in seiner Eigenschaft als Gerichtsarzt in
Erfahrung brachte.
Was zunächst die Beilegung eines arztähnlichen Titels
anbetrifft, so hatten in einem Strafverfahren, wo ein Kurpfuscher
wegen Betruges angeklagt werden sollte, fast sämtliche Zeugen
ausgesagt, der Titel „Homöopathischer Praktikant“, welchen sich
der Beschuldigte zugelegt hatte, hätte in ihnen den Glauben er¬
weckt, der Betreffende wäre ein praktischer Arzt, welcher sich
deshalb „Homöopathischer Praktikant“ nenne, weil er als Arzt eine
homöopathische Praxis betriebe. Der Beschuldigte wurde daher
vom Schöffengericht auf Grund des §. 147, Ziffer 3 der Gewerbe¬
ordnung wegen Führung eines arztähnlichen Titels verurteilt, und
auch die Berufungskammer des Landgerichts in Magdeburg be¬
stätigte, dass „Homöopathischer Praktikant“ ein arztähnlicher
Titel sei. Gleich darauf sind auch noch zwei andere Homöopathen
wegen desselben Titels gerichtlich bestraft worden, von denen der
eine mit gewissem Stolz angab, dass er früher Assistent bei
Dr. Volbeding gewesen sei.
Kurbadeanstalten sind nicht konzessionspflichtig, solange
sie nicht gleichzeitig zur Aufnahme von Kranken behufs Ver¬
pflegung und Behandlung dienen. Doch kann der Betrieb von
Badeanstalten überhaupt durch die zuständige Behörde untersagt
werden, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit
des Gewerbetreibenden in Bezug auf diesen Gewerbebetrieb dartun.
Wo aber hier Kurbadeanstalten sind, hat sich anscheinend stets
ein approbierter Arzt gefunden, der die Wasserheilmethode ausübt,
und dessen Anleitung dann die Badeanstalt in ärztlicher Beziehung
untersteht, so dass ein gerichtliches Eingreifen bei den Kurbade¬
anstalten in den letzten Jahren nicht vorgekommen ist. Dagegen
hat ein solches bei Hebammen, die eine Privatentbindungs¬
anstalt im Betriebe haben, mehrere Male stattgefunden. Hier
handelte es sich um Gesundheitsbeschädigungen wegen Zurück¬
lassen von Nachgeburtsresten und um Abtreibungen. Von dieser
Seite konnte man auch andere weise Frauen, die nicht Hebammen
waren, kennen lernen. Ueber gerichtliche Vorgänge betreffs Pri¬
vatkranken-und Privatirrenanstalten ist nichts weiter
mitzuteilen.
Einmal ist die Bestrafung eines Kurpfuschers, der sich
Krankenheiler nannte und mit Sympathie kurierte, angeregt, weil
er auch die Heilkunde im Umherziehen ausübte. Der Mann
war insofern merkwürdig, als er kaum seinen Namen schreiben
konnte. Dabei sprach er als geborener Pole gebrochen deutsch.
*) Nach einem in der Magdeburger medizinischen Gesellschaft gehaltenen /~~
Vortrage.
586 Bf* Kefersteiu. "
Die Sympathie wandte er siete zri drei verschiedenen Malen durch
Besprechet! an. Wollte er stärker Vorgehen. 30 beleckte er mit
asM# Zunge die Steil e d^ Körperg bei den Kr&nkeb, die uach
^seiner Auffassung der Sits der, Krankheit war. Eine Kranke,
welch# er wegen Kopfschmerzen die Stirn »bleckte, will ein deut¬
liches Knirschen bemerkt hal>ea, als wenn Salz auf ihrer Stirn
gewesen wäre, Ausserdeiö gab. dieser Krankeaheiler Aipenkräutör-
tee als Heilmittel ab, und dann als Beheimmittel Jerusalemer
i&isäün den er als besonders heüki’äftjg aus einer Apotheke in
Böhmen be^og. Wegen dieser IJebertretimgen der Kaiserlichen
Verordnungist # dann bestraftiwordei}. Derartige Bestrafungen
wegen Abgab e von Arzneien, wobei gegen die jetzt gültige
Kaiserliche Verordnung vom 22. Oktober 1901 über den Verkehr
mit Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken verstosse» wurde,
sind noch mehrfach vovgekoinmeu, ebenso auch Bestmfus,gen wegen
öffentlicher Ankündiguag vea Beheltöniittehs, welche dazu
bestimmt sind, zur Verhütung: oder Heilung: menschlicher Krank¬
heiten zu dienett.
Dagegen konnte gegen deu erwähnten Krankenheiler eine
Anklage, wegen Betruges nicht erhoben werden, weil er selbst
behauptete, an die Wirksamkeit seiner Heilmethode zu glauben.
Ausserdem fanden sich auch noch mehrere dankbare Patienten,
welche auäs>ea, dass das Besprechen und Lecken mit der Zunge
bei ihrem Leiden ## grossem Erfolg gewesen sek
Nicht so .glimpflich kam ein anderer ; Kurpfusch# weg, der
folgeöden Schwindel betrieben hatte;
Er kündigte io den Zeitungen ausser veraüMedecen anderen HeUmethodea
atscb eine, besondere Kur an, welche Gallensteine in drei Stunden beseitigen
sollte. Bienen Hess et Me betreffenden Kranken mehrere Tfinkgiäaer toll einer
Flüssigkeit einnebmen» die halb and halb aus Klaionsöl and Mohnöl bestand,
unter Zusatz von Holzkohle, so dass das betreffende Medikament vollkommen
schwär» auasab. Er gab es für ein Oei an» Änstralie» ans, welches darch den
Zoll besonders verteuert wäre: auch die Holzkohle sollte ei« iremdlKndfgcbe»
Pal rer sein. Die Kur war dementsprechend teuer find kostete 0 bis 50 Mark.
Nach dem Oel bekatnea die Kranken mehrere FUacben Selterswasser w trinken
Und mussten sich la seianr Wohnung auf eia Buhebett legen. Trat dann ab«
führende Wirkung ein, «0 untersuchte der Knrpfascher den Stuhlgang auf Ab¬
gang von Gallensteinen. Bald sagte er« die Steine wdreö »o Schleim ver¬
wandelt ahgegangen, bald, die Steine würen derartig serhieMert, dass man sie
nicht finde» könnte. Einer Dame, die sich bei ihm 1» Karpeusion »nfhielt,
eeigte er im Stuhlgang vorhandene Feigehkejfoe als abgegangene öaneasteine.
Damit aber die Kranken wirklich Stein« tu sehen bekämen, warf öez
Kurpfuscher spltez kleine Kieselsteine in den Stuhlgang. Auch Barnnntcr-
rochnngsn waren von ihm in seiner Annonce ftügeMndigt. BeV der späteren
Hatuwncbong fand die F»H*ei aasaer einem Hanfes kleiner dunkler Kimlateine
eine Menge Medizin flaschen mit strobgeihem , W deserigeffi Inhalt. Bei der
tinteranchnng wnrde festgesteUc, dass in affe» dt» Flasche» iholender Urin
war. Der Knrpfascber hatte Harnanter^nöbußgeö gar nicht gemacht, hatte
auch hieran gar keine KenntniBsavund war aachlSeelg g-ettng gewesen, den za
aoteraachenden U«a nicht einmal sofort fort?«giössea.
Als nach und nach dem Kurpfusche* der Boden in heiss geworden war
{et hielt sich nftxalicb hier troter falschem Namen auf; da er noch eise Strafe
abzübSeues hatte), nahm er sich einen sogenannten Assistenten an, der ihm
später eeine Praxis abkaafen sollte. Diesen Assistenten führte et als jungen
Arzt, mit dem er in Heidelberg »ns&mmen atndiert hatte, in seine Praxis ein.
fjta Wahrheit war dieser junge Mann ein - MaiergehUfe', der so geistig beschränkt
Bekämpfung der Kurpfuscherei auf gerichtlichem u. polizeilichem Wege. &S7
war, dass später das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde, da mau zu der
Ueberzeugung gekommen war, dass derselbe willenlos unter dem Einfluss des
andern gehandelt hatte. Dieser angebliche Assistent musste sich mit der
Tochter eines wohlhabenden Mannes verloben. Der zukünftige Schwiegervater
kaufte dann wirklich die Praxis für 5000 Mark für den zukünftigen
Schwiegersohn.
Der frtthere Assistent beging nun als erstes selbständiges Auftreten die
Dammheit, dass er einer Dame nach der berühmten Gallensteinkur die in den
Stuhlgang geworfenen Kieselsteine als abgegangene Gallensteine mit nach
Hause gab. Hier wurden die Steine als Kieselsteine erkannt, und der Schwindel
damit offenkundig. Der Haupttäter war aber mit den erscbwindelten 5000 M.
verschwanden, und wäre auch nicht so bald festgenommen worden, wenn er
nicht die Dreistigkeit gehabt hätte, in einer benachbarten Grossstadt unter
dem Mädchennamen seiner Frau eine Praxis zu gründen, wie er sie hier ge¬
habt hatte. Der betreffende Kurpfuscher war eine vielmals vorbestrafte Person;
im Untersuchungsgefängnis spielte er dann den wilden Mann, so dass er auf
seinen Geisteszustand beobachtet werden musste. Bei der Verurteilung wurden
ihm sämtliche nachweisbaren Gallensteinkuren als Betragsfälle angerechnet,
desgleichen die magnetischen Kuren, denn er hatte auch mit Lebensmagnetis*
mos kariert und bei unheilbaren Leiden sicheren Erfolg versprochen.
Bei einem nicht approbierten Homöopathen lagen die Betrags-
fälle auf einem ganz anderen Gebiet.
Dieser Kurpfuscher verschrieb homöopathische Medikamente der vierten
Potenz, welche bei ihrer ausserordentlichen Verdünnung kaum noch etwas
anderes sind, als verdünnter Spiritus, und deshalb in den Apotheken im Hand¬
verkauf abgegeben werden dürfen, ausserdem gab er stets noch ein unschäd¬
liches Abführmittel. Seine Rezepte schrieb er aus einem homöopathischen
Arzneimittelbach ab. Wusste er ausnahmsweise gar nicht, was er verschreiben
sollte, so gab er ein Rezeptblatt mit zur Apotheke, auf welches er geschrieben
hatte: „Da remedium contra morbum“, und überliess es dem betreffenden Apo¬
theker das Mittel selbst zu wählen. In der Hauptverhandlung gab er an, dass
er diese lateinischen Brocken kenne, weil er sich mit dem Italienischen be¬
schäftigt habe; in Rom und Umgegend spräche man jetzt noch lateinisch.
In seinen Zeitungsannoncen hatte er überraschend grosse Erfolge gegen
fast alle Krankheiten mit diskreter Behandlung und keiner Berufsstörung ver¬
sprochen. Letstere Worte sind die Umschreibung dafür, dass er auch Ge¬
schlechtskrankheiten behandele. Und gerade derartige Kranke haben ihn mit
Vorliebe aufgesueht.
Kam ein Kranker zu ihm, so musste er erst drei Mark im voraus ent¬
richten; eine Mark für die Unterredung und zwei Mark für die Untersuchung.
In seinen Zeitungsannoncen hatte der Heilkünstler auch Harn- und Auswurf-
Untersuchungen angekündigt, die er so auBführte, dass er die etwa vom
Kranken mitgebrachte Harnflasoho gegen das Licht hielt und beschaute; für
irgend welche andere Untersuchung fehlte ihm jede Kenntnis. Die körperliche
Untersuchung bestand darin, dass er dem Kranken in die Augen sah, angeblich
um festsustellen, in welchem Grade Blutarmut oder Vollblütigkeit vorläge, um
hiernach die stärkere bezw. schwächere Gabe der zu verordnenden Arznei aus-
zuwählen. Diese Behauptung war aber unwahr, da er stets die homöopathische
vierte Verdünnung verschrieb. Die Leiden stellte er in der Weise fest, dass
er sich von dem Kranken erzählen liess, was ihm fehlte, jede einzelne mitge¬
teilte Beschwerde galt als besondere Krankheit. Hierauf wurde ein vorge-
drucktes Formular aasgefüllt, in welches der Kranke selbst nach Diktat des
Heilkünstlers seine Krankheiten einschrieb, und diesem gleichzeitig einen Auf¬
trag für Krankenbehandlung und Krankenpflege unter Verschwiegenheit erteilte.
Auf dem Formulare fand sich noch folgende Klausel: „Die Arznei, Bemühung
und Auslage zahle ich noch ausserdem bei Uebernahme voll aus.“ Was diese
Worte bedeuten sollten, wurde weiter nicht erklärt. Als Preis für die ganze
Behandlung wurden meist 40 Mark vereinbart. Nachdem eine Anzahlung er¬
folgt war, wurde die Restschuld auf demselben Formular eingetragen mit der
Verpflichtung, dieselbe nach Ablauf von etwa einem Vierteljahr zu bezahlen.
Hierauf wurde der Kranke elektrisiert, wobei derselbe je einen Griff eines In¬
duktionsapparates in je eine Hand bekam, etwa in derselben Weise wie man
588
Dr. Keferstein.
sich auf Jahrmärkten and Schützenfesten für sehn Pfennige elektrisieren lassen
kann. Nachher trat die Ehefraa des Heilkünstlers in Tätigkeit, indem sie den
nackten Bücken und anch manches Mal die Oberarme des Kranken massierte.
Diese Teile worden stets massiert, gleichgiltig, ob der Kranke Kopfschmersen
oder Unterleibsschmerzen hatte; dadurch sollte nur die Anregung des Blut¬
kreislaufes bewirkt werden, wozu der Bücken die geeignete Stelle sei. Die
Massage musste besonders bezahlt werden; denn für den vereinbarten Preis war
nur das Elektrisieren and das Verschreiben des homöopathischen Bezeptes frei.
Kam der Kranke öfter, so schlag der Heilkünstler ihm vor, dass er selbst die
Medikamente ans der Apotheke besorgen würde, nnd der Kranke diese von
ihm abholen sollte. Der Heilkünstler nahm dann 8 bis 5 Mark mehr, als die
Medikamente in der Apotheke gekostet hatten. Dieses Geld rechnete er für
den Weg, den er zar Apotheke gemacht hatte; das war die sogenannte Arznei¬
bemühung. In zwei Fällen hatten die Kranken nicht Lust gehabt, den Auftrag
zum Abholen der Medikamente zu geben; der Heilkünstler hatte ihnen infolge
dessen vorgespiegelt, die von ihm neuerdings verschriebenen Medikamente
wären so stark, dass der Apotheker dieselben nicht an die Kranken abgeben
würde, sondern nur an ihn selbst, da er mit ihm bekannt wäre. In Wahrheit
waren es nur homöopathische Arzneien vierter Verdünnung gewesen. Es war
also hier der Betrug erwiesen.
Auch gegen Blutstockungen hatte dieser Pfuscher sichere Hilfe ver¬
sprochen, doch hatte er sich anch hier gehütet, etwas Anderes zu geben, als
seine homöopathischen Gaben. Den Betrag darin za finden, dass überhaupt
wertlose Medikamente gegeben wurden, war nicht angängig; denn der Sach¬
verständige musste selbst zageben, dass nach den Lehren der Homöopathie die
4. Potenz ein wirksames Medikament sei. Auch die wunderbare Elektrisier¬
end Massier - Methode konnte im guten Glauben ausgeführt worden sein.
Fanden sich doch wirklich in der Hauptverhandlung Entlastungszeugen, welche
den Wert dieser Behandlungsart am eigenen Körper verspürt haben wollten.
Im allgemeinen ist bei Kurpfuscherei Betrug dann anzu¬
nehmen, wenn bei offenbar unheilbaren Kranken sicherer Erfolg
versprochen wird in der Absicht, den Kranken zu bewegen, weiter
die wertlosen Mittel anzuwenden und dieselben weiter zu be¬
zahlen, ausserdem auch noch bei sonstigen nachweisbaren lügen¬
haften Vorspiegelungen.
Bei Gefährdung von Leben und Gesundheit seitens
der Kurpfuscher kann wegen fahrlässiger Tötung bezw. Körper¬
verletzung vorgegangen werden. Die zu verhängende Strafe wird
verschärft, wenn der Kurpfuscher sein Tun gewerbsmässig aus¬
übte, auch ist dann bei der fahrlässigen Körperverletzung kein
Antrag seitens des Verletzten notwendig. In einem derartigen
Falle handelte es sich um Unterleibsentzündung mit tödlichem
Ausgang durch Massnahmen eines Kurpfuschers, der an einer tod¬
kranken Frau die Massage mit dem Stubenschlüssel ausgeführt
hatte, so dass man noch nach zwei Tagen die blauen Flecken am
Körper der Kranken bemerken konnte. Die Kranke hatte Krebs
des Mittelfelles und sonstige schwere krankhafte Organverände¬
rungen; der Heilkünstler erklärte aber, es handele sich hier nur
um versetztes Blut. In der Hauptverhandlung brachte der Be¬
treffende diese Theorie auch wieder vor, und rühmte sich, dass er
Unterricht in der Massage genossen habe und sein Gewerbe schon
Jahre lang ausübte. Das war freilich die ungeschickteste Art
der Verteidigung; denn dadurch war der Nachweis leicht zu er¬
bringen, dass der Täter die Aufmerksamkeit aus den Augen ge¬
setzt hatte, zu welcher er vermöge seines Gewerbes besonders
verpflichtet war. Auch hätte der Betreffende nach dem Masse
Bekämpfung der Kurpfuscherei auf gerichtlichem u. polizeilichem Wege. 589
seiner Kenntnisse und nach seiner sonstigen Einsicht nnd Er¬
fahrung bei Anwendung gehöriger Sorgfalt jene schädlichen Folgen
voraussehen müssen.
Zur Herbeilockung yon Kranken wenden die Kurpfuscher
mit Vorliebe marktschreierische Zeitungsannoncen an. Um dieses
Verfahren einzudämmen, ist das Gesetz zur Bekämpfung des un¬
lauteren Wettbewerbes anwendbar und zwar der §.4. Der
Antrag auf Bestrafung kann nach §. 1 sowohl von jedem Gewerbe¬
treibenden, der Waren oder Leistungen verwandter Art herstellt,
als von Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen gestellt
werden. Da sich bei den Aerzten ein Antragsteller selten fand,
haben die Aerztekammem die Angelegenheit in die Hand genommen.
Der Strafantrag ist aber, um alle Zweifel zu beheben, von dem Vor¬
sitzenden der Kammer zu unterzeichnen, da nach juristischer Auf¬
fassung nur der Vorsitzende die Kammer nach aussen vertreten kann,
und nicht willkürlich jedes Vorstandsmitglied. Es sind auch hier in
Magdeburg eine ganze Reihe von Bestrafungen auf Grund dieses
Gesetzes erfolgt. Wo hier das Schöffengericht ausnahmsweise zu
einer Freisprechung kam, wahrscheinlich, weil die Schöffen selbst
für Naturheilmethode oder Homöopathie schwärmten, wurde von
dem Amtsanwalt Berufung eingelegt; die Sache kam an die Be¬
rufungskammer, und es erfolgte dann hier die Verurteilung.
1. Bin Kurpfuscher, der mit dem von Alimond&schen elektrischen
Strome arbeitete, führte ans, dass hier die Stellung einer Diagnose nicht nötig
sei. Der Strom selbst gäbe den Sitz des Leidens an, da sich dann hier ein
prickelndes, bohrendes Gefühl einstelle; ja selbst wenn man sich Uber den Sitz
des Leidens täuschte, so schadet dies nichts, da doch Heilung oder wenigstens
Besserung eintrete. Deshalb fühlte sich der Heilkünstler berechtigt, die gross¬
artigsten Brfolge bei sämtlichen inneren und äusseren Leiden anzukündigen.
Das Gericht glaubte aber diesen schönen Worten nicht und schloss sich der
entgegengesetzten Ansicht des medizinischen Sachverständigen an.
2. Auch ein Homöopath hatte die gründlichsten Brfolge gegen alle
Leiden versprochen, ohne beim Gerichtshof Glauben zu finden, der bei der
Ueberzeuguog blieb, dass nicht alle menschlichen Leiden heilbar wären.
3. Eine Frau behauptete, durch russischen Anis und Wasserkerbel
„monatlich hunderte von Hals- und Lungenkranken zu heilen oder zu helfen“; ihre
Verurteilung wegen unlauteren Wettbewerbs erfolgte erst in der Berufungs¬
kammer, da sie vor dem Schöffengericht behauptete, dass sie bei Lungen¬
leidenden hochgradige Lungenschwindsüchtige stillschweigend ausgeschlossen
habe, auch eine grosse Zahl von Dankesbriefen wirklich vorlegen konnte.
4. Bin Badehalter hatte allen an Syphilis Leidenden durch seine Kalt¬
wasserkuren Heilung versprochen, doch erfolgte auch hier Verurteilung.
Da es sich hier überall am Zeitungsannoncen handelte,
konnte auch ein Strafantrag gegen den verantwortlichen Re¬
dakteur wegen Beihülfe gestellt werden. Notwendig war
dieser Antrag, wenn es sich um Annoncen mit unlauteren Wett¬
bewerb aus dem Auslande handelte. So hatte ein Schweizer Arzt
Hautkrankheiten jeder Art brieflich in kürzester Zeit gründlich
heilen wollen, z. B. unter andern auch Haarausfall; hier erfolgte
die Verurteilung des verantwortlichen Zeitungsredakteurs. Bei
unlauterem Wettbewerb von Ausländern durch Zeitungsannoncen
kann gegen den verantwortlichen Redakteur deshalb vorgegangen
werden, weil es sich um ein Vergehen handelt, und bei einem
solchen Beihülfe möglich ist.
590
Dr. Referate in: Bekämpfung der Earpfascherei u. s. w.
Uebrigens ist nach einer Kammergerichtsentscheidung: Kahl¬
köpfigkeit keine Krankheit, sondern die Folge einer Krankheit.
Daher kann bei Annoncen, in denen sicherer Erfolg gegen Kahl¬
köpfigkeit versprochen wird, ein Arzt oder die Aerztekammer
keinen Strafantrag stellen, das müsste ein Friseur tun. Dagegen
ist Haarausfall eine Krankheit. Doch ist hier eine Verurteilung
auf Grund der Kaiserlichen Verordnung über den Verkehr mit
Arzneimitteln nicht mehr möglich, da nach der neuesten Verord¬
nung kosmetische Mittel (Mittel zur Reinigung, Pflege oder Fär¬
bung der Haut, des Haares oder der Mundhöhle) auch als Heil¬
mittel verkauft werden können.
In Betracht kommt endlich noch die infolge Ministerial - Er¬
lasses vom 6. Juni 1902 ('s. Beilage zu Nr. 15 der Zeitschrift,
Jahrg. 1902, S. 199) in allen Regierungsbezirken erlassene Po¬
lizeiverordnung über die Anzeigepflicht der Kurpfuscher
und das Verbot prahlerischer, auf Vortäuschung berech¬
neter Anpreisungen von Behandlungsmethoden usw. Ziffer 8
dieser Polizeiverordnung verbietet Personen, welche, ohne appro¬
biert zu sein, die Heilkunde gewerbsmässig ausüben, öffentliche
Anzeigen, sofern diese über Vorbildung, Befähigung oder Erfolge
dieser Personen zu täuschen geeignet sind oder prahlerische Ver¬
sprechungen enthalten. Ziffer 4 verbietet weiterhin die öffentlichen
Ankündigungen zur Heilung von Krankheiten, wenn den ange¬
kündigten Gegenständen, Vorrichtungen, Verfahren oder Mitteln
besondere über ihren wahren Wert hinausgehende Wirkungen bei¬
gelegt werden usw. Wegen solcher prahlerischen Versprechungen
sind hier bereits mehrere Verurteilungen erfolgt.
So hatte ein Kurpfuscher annonciert: „Schnellste Hülfe für innere,
äussere und chronische Leiden.“ Das Gericht nahm an, dass mit den Worten
„Schnellste Hülfe usw.“ hat gesagt werden sollen, der Angeklagte könne und
werde'den Kranken, die sich an ihn wenden, durch Heilung oder doch Besse¬
rung in schnellster Weise helfen. Der Angeklagte behaupte, schneller als
andere die Kranken heilen zu können, so dass über die Erfolge des Ange¬
klagten die Annonce zu täuschen geeignet sei. Sie enthalte aber auch prahle¬
rische Versprechungen; letztere sind in der Superlativfora gefunden worden,
die dazu geeignet ist, Leichtgläubige zu betören und den Angeklagten mit
seiner Tätigkeit in ein hellstrahlendes Licht zu setzen. Das aber sei gerade
das Wesen der Prahlerei.
Wie gemeingefährlich die Kurpfuscherei ist, kann man auch
daraus erkennen, dass gerade die nicht approbierten Heilkünstler,
welche sich am hartnäckigsten vordrängen, häufig vielfach vor¬
bestrafte Persönlichkeiten sind; manche haben sogar schon
mit dem Zuchthause Bekanntschaft gemacht. Will man die Kur¬
pfuscherei als solche nicht überhaupt verbieten, so wäre doch
wenigstens zu wünschen, dass Personen, welche, ohne dazu appro¬
biert zu sein, die Heilkunde gewerbsmässig ausüben oder ausüben
wollen, dieser Gewerbebetrieb untersagt werden könnte, wenn
Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbe¬
treibenden in bezog auf den Gewerbebetrieb dartun, damit nicht
die Gesundheit der Mitmenschen Personen anvertraut wird, die
schon wegen schwerer Vergehen und Verbrechen vorbestraft sind.
Fraglich dagegen scheint mir ein Verbot der Anfertigung
Dr. Status: Beitrag zur Verbreitung des Krebses.
591
von Kurpfuscher-Rezepten in den Apotheken und ein Ver¬
bot der brieflichen Behandlung, wie sie der Königsberger Aerzte-
t&g in Anregung bringt. Ausserdem wäre es schwer zu kon¬
trollieren, ob diese Gebote nicht umgangen würden. Wirksamer
wären vielleicht von den Behörden erlassene Warnungen gegen
schwindelhafte Heilmethoden und Mittel. Auch müssten die Kur¬
pfuscher durch Polizeiverordnung gezwungen werden, ein Tage¬
buch zu führen, aus welchem Namen und Wohnung derjenigen
Personen zu ersehen sind, denen sie Hilfe geleistet haben und
die Veranlassung, wie auch Zeit und Art der Hilfeleistung.
Um noch einige statistische Angaben zu machen, so kommen in
Magdeburg auf 190 Aerzte etwa 19 Kurpfuscher, die den Gewerbe¬
betrieb angemeldet haben, so dass ein Kurpfuscher ein zehnmal
so grosses Terrain hat, wie ein Arzt.
In einem Jahre kamen bei einer Einwohnerzahl von etwa
230000, soweit der Gerichtsarzt davon Kenntnis erlangt hat, an
Kurpfuscherprozessen vor wegen:
„Fahrung eines arztähnlichen Titels".3
„Uebertretung der Kaiserlichen Verordnung, betr. Verkehr mit
Arzneimitteln".4
„Uebertretung der Polizei Verordnung, betr. Geheimmittel" .... 2
„Unlauteren Wettbewerb".10
„Uebertretung der Polizeiverordnung, betr. Personen, welche, ohne
approbiert zu sein, die Heilkunde aosttben*.5
„Betrug“.2
„fahrlässiger Tötung". 1
„fahrlässiger Körperverletzung" .2
Also zusammen 29 Prozesse, die sämtlich zur Verurteilung
der betreffenden Kurpfuscher führten.
Beitrag zur Verbreitung des Krebses.
Von Oberamtsarzt Dr. Staues in Hechingen.
In einer mir näher bekannten Gemeinde von ca. 600 Ein¬
wohnern sind in den letzten 30 Jahren 10 Personen an Krebs
erkrankt:
1. 1870 eine Frau an Brustkrebs,
2. in der zweiten Hälfte der 70iger Jahre ein Hann an Nasen- und
Gesiohtskrebs,
3. in den ersten Jahren der 80ger Jahre die Schwester von Nr. 1 an
Brustkrebs,
4. zu Ende der 80ger Jahre eine Frau an Gebärmutterkrebs,
5. Mitte der 90ger Jahre eine Frau an Magenkrebs,
6. Ende der 90ger Jahre eine Frau an Magenkrebs,
7. zu derselben Zeit eine Frau an Gebärmutterkrebs,
8. 1901 der Sohn von Nr. 2 an Magenkrebs,
9. in demselben Jahre ein Mann an SpeiserOhrenkrebs,
10. im Jahre 1902 eine Frau an Lippenkrebe.
Von diesen Personen stammen Nr. 1, 2, 3, 4, 7, 8 und 10
von denselben Urgrosseltern ab. Ein reger persönlicher Verkehr
bestand zwischen 1, 2 und 7; Nr. 7 war ein Geschwisterkind von
Nr. 1 und 2; Nr. 1 war ausserdem die Taufpate der Kinder von
Nr. 7. Nr. 7 und Nr. 10 waren Geschwisterkinder zu einander,
Nachbarn und Gegenschwiegermütter, standen also natuigemäss
ebenfalls in sehr regem Verkehr untereinander.
592 Dr. Status: Beitrag rar Verbreitnag des Krebses.
Nr. 5, 6 und 9 gehören nicht za der Krebsfamilie. Nr. 5
war aber an einen Mann verheiratet, der in erster Ehe mit einer
Frau aus der Krebsfamilie verheiratet war, hierdurch, und weil
aus dieser Ehe noch Kinder vorhanden waren, blieb zwischen
dieser Familie und der Krebsfamilie ein persönlicher Verkehr noch
viele Jahre bestehen. Nr. 9 wohnte in unmittelbarster Nachbar¬
schaft von 5, ein reger persönlicher Verkehr zwischen diesen
beiden Familien war also schon durch die Nachbarschaft gegeben.
Ebenso wohnte Nr. 6 in unmittelbarster Nachbarschaft von Nr. 2
und auch in der Nachbarschaft von Nr. 4.
Die Krebsfälle sind über das ganze Dorf, das aus einem
Unter- und einem Oberdorf besteht und sehr trocken liegt, gleich-
mässig verteilt. Das Dorf ist sehr lang gestreckt, so dass die
Nachbarschaft der Fälle um so mehr auffallen muss.
Aus der Krebsgeschichte dieses Dorfes fällt besonders auf,
dass von den 10 erkrankten Personen 7 einer Familie angehören,
und alle Fälle untereinander durch verwandtschaftliche Be¬
ziehungen, persönlichen Verkehr und Nachbarschaft Zusammen¬
hang aufweisen. Als die Trägerin der Krankheit erscheint die
Krebsfamilie, die eine grosse Disposition zu der Krankheit zu
haben scheint und die Krankheit sowohl auf ihre Familienmit¬
glieder, als auf die in ihrer Nachbarschaft wohnenden, zu der
Krankheit disponierten Personen übertragen hat. Besonders auf¬
fallend ist das wiederholte Auftreten mehrerer Fälle bei benach¬
barten, in einer verwandtschaftlichen Beziehung nicht zueinander
stehenden Personen. Als ein Zufall kann dies nicht angesehen
werden. Wenn ich hiermit die Beziehungen der Geisteskranken
dieses Dorfes, die auch vorwiegend einer Familie angehören, zu¬
einander vergleiche, so fehlt hierbei dies nachbarliche Moment
völlig.
Will man hieraus einen Schluss über die Natur des Krebses
ziehen, so kann nur ein infektiöser Charakter der Krankheit an¬
genommen werden. In dieser Annahme werde ich auch durch
folgende Beobachtung, die ich in meinem Bezirk schon wiederholt
gemacht habe, bestätigt. Der Krebs zeigt gar nicht selten ein
epidemisches Auftreten, besonders in den kleineren Ortschaften. So
sind z. B. in einer Ortschaft meines Amtsbezirks mit ca. 800 Ein¬
wohner im Jahre 1902 5 Todesfälle an Krebs vorgekommen, der
vierte Teil der Krebstodesfälle des ganzen Bezirks, deren Zahl
im letzten Halbjahr überhaupt eine auffallend grosse gewesen ist.
Ueber die mutmasslichen Keime selbst ist zu sagen, dass
diese sehr langlebig und widerstandsfähig sein müssen. Die Zeit¬
räume. welche zwischen zwei Fällen liegen, die aller Wahrschein¬
lichkeit nach in Zusammenhang miteinander stehen, können jahre¬
lang sein. Als Lieblingssitz des Krebses erscheint ferner der
Magen, in dem so viele andere Krankheitskeime ihr Ende finden.
Die Inkubationszeit scheint eine sehr verschiedene, und die Dis¬
position für die Erkrankung nach dem immerhin nur sporadischen
Auftreten des Krebses eine sehr beschränkte zu sein.
Aus dieser Zusammenstellung ergeben sich in bezug auf das
Aas Versammlungen and Vereinen.
693
epidemiologische Verhalten des Krebses keine Anhaltspunkte für
eine Bodentheorie oder Wassertheorie, sondern nur für eine kon-
tagiöse Natur des Krebses. Da bei der Mehrzahl der Fälle die
Nahrungswege den Sitz der Krankheit bilden, so würden als die
Hanptvermittler der Krankheitskeime die Nahrungsmittel anzu¬
sehen sein, durch deren Verunreinigung das Krankheitsgift in den
menschlichen Körper gelangt.
Die Bekämpfung des Krebses hätte sich demnach aufznbanen
auf seiner vermutlich kontagiösen Natur und dem Umstand, dass
als die Hanptvermittler desselben die Nahrungsmittel erscheinen.
Wir hätten also in jedem einzelnen Falle dafür fürs erste Sorge
zn tragen, dass der erkrankte Mensch nicht der Ausgangspunkt
zn weiteren Erkrankungen wird. Die Hauptwaffen hierbei sind
frühzeitige Diagnose und Therapie, Isolierung, Desinfektion, Be¬
lehrung über die infektiöse Natur des Krebses u. s. w. Unheil¬
bare, offene Krebsfälle werden am besten in Pflegeanstalten unter¬
gebracht werden. Das zweite Hauptaugenmerk wäre auf die Ver¬
besserung der Ernährung zu richten, wobei zwei Ziele zu
verfolgen sind: Einmal müsste vermieden werden, durch unzweck¬
mässige Ernährung einen geeigneten Boden für die Erkrankung
zu schaffen, und anderseits müsste die Bevölkerung zn grösserer
Sorgfalt und Reinlichkeit in bezug auf Auswahl, Aufbewahrung,
Zubereitung und Aufnahme der Nahrungs- und Genussmittel er¬
zogen werden, um einer Infizierung durch diese möglichst vorzu¬
beugen; ein Ziel, das auch aus vielen anderen hygienischen
Gründen erstrebenswert ist.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die offizielle Versammlung der Medlzinal-
beamten des Beg.-Bez. Stade am 1%. November 190% im
Kreishanse zn Geestemünde.
Anwesend waren aas dem Beg.-Bez. Stade die Herren: Reg.-Präsident
Frhr. v. Reiswitz, Reg.- a. Med.-Rat Dr.Nesemann, Reg.-Rat Hesterberg
aas Stade nod Landrat Geiger aas Lehe, die Kreisärzte Dr. Elten-Frei-
bnrg, Med.-Rat Dr. Ga eh de- Blamenthal, Dr. Ho che-Geestemünde, Dr.
litt 11 e r - Rotenburg, Dr. Oek er-Verden, Dr. Saehrendt - Zeven, Geh. Med.-
Rat Dr. Vogel-Stade and komm. Kreisarzt Oberstabsarzt Dr. Nothnagel-
Lehe, Kreisassistenzarzt Dr. Ritter- Bremervörde and die amtsärztlich ge-
prüften Aerzte Dr. Brack mann - Bremervörde, Dr. Gattmann-Otterndorf,
Dj. Proelss-Scheessei.
Ansserdem waren aof besondere Einladung des Herrn Regierungsprä¬
sidenten erschienen aas Hamborg: Med.-Rat Dr. Reineke, Prof. Dr. Dunbar
und Hafenarzt Physikus Dr. Nocht; aas Bremen: Med.-Rat Dr. Focke, Reg.-
Rat Dr. Tjaden, Direktor des hygienischen Instituts; ans Bremerhaven:
Amtmann Hey er.
Der Herr Regierungspräsident eröffnete die Versammlung unter
Hinweis darauf, dass die Befürchtungen, welche man mit bezog auf eine bal¬
dige Wiederkehr der Cholera hegen müsse, Veranlassung zur Wahl der zur
Verhandlung stehenden Themata gegeben habe; er übertrug sodann den Vor¬
sitz dem Regierangs- u. Medizinalrat.
Es folgte das Referat des Dr. Ocker über die Frage: Welche sanitäts¬
polizeilichen Massnahmen sind zulässig oder geboten, falls die Cholera
im Reg.-Bes. Stade auftritt oder denselben bedroht?
Referent ging von der Cholera-Epidemie des Jahres 1892 aus, welche
594
Ans Versammlungen nnd Vereinen.
den Reg.-Bez. Stade mit 164 Erkrankungs- nnd 88 Todesfällen in Hitleiden-
scbaft zog. Er führte ans, dass wohl eine derartige Gefahr nicht wieder zn
befürchten sei, dass aber der Reg.-Bez. Stade, welcher zwischen zwei der
bedeutendsten Ströme des Reiches gelegen ist, stets zn den am meisten ge¬
fährdeten Teilen der prenssischen Monarchie gehöre nnd es daher geboten sei,
sich jederzeit anf den Einbruch der Seuche gefasst zn halten.
Er bezeichnete sodann die Dresdener Sanitätskonvention vom
15. April 1893 nnd das Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfnng
gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 1900 als die beiden
bedeutsamsten Vorgänge anf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung,
erstere für die internationalen, letzteres für die inländischen Hassnahmen.
Da Ansführnngsbestimmnngen betreffend die Cholera für das Reichs-
senchengesetz noch nicht erschienen seien, müsse man z. Zt. noch anf den
Ministerialerlass vom 8. August 1893 zurückgreifen, anch könnten die Bundes-
ratsbesehlüsse, betreffend Anweisung znr Bekämpfnng der Pest, vom 3. Juli 1902
zum Teil sinngemässe Anwendung finden. Nach kurzer Erwähnung derjenigen
Hassnahmen, welche von den Landeszentralbehörden anzuordaen sind, besprach
Referent eingehender an der Hand der dafür massgebenden Bestim¬
mungen erstens diejenigen Hassnahmen, welche im Regierungsbezirk beim
Drohen der Cholera und zweitens diejenigen, welche beim Ansbrnoh
derselben zu treffen sind.
Im ersten Teil wurden nacheinander besprochen die Wasserentnahme-
steilen, einschliesslich der Seen, Teiche nnd Flussläufe, Abführung der Schmutz¬
wässer, Behandlung der Abtritte und Abtrittsgruben, Desinfektionsapparate
und Desinfektoren, sowie Bereitstellung von Desinfektionsmitteln, Bereitstellung
von Unterkunftsräumen, wobei auf die Bereitwilligkeit des Zentralkomitees der
Vereine vom Roten Kreuz, bei Notständen seine transportablen Baracken den
Gemeinden zur Verfügung zu stellen, verwiesen wurde. Sodann wurden die
Massnahmen, welche gegenüber solchen Personen, die aus Choleraorten zureisen,
zulässig sind, sowie die weitergehenden Hassregeln gegen Obdachlose, Land¬
streicher, Zigeuner, Saisonarbeiter einer Besprechung unterzogen und schliesslich
noch die öffentliche Bekanntmachung der vom Reichsgesundheitsamt aus¬
gearbeiteten Belehrung über das Wesen der Cholera u. s. w., die „Ratschläge
für praktische Aerzte“ und die „Schutzmassregeln für die Schiffer“ als not¬
wendig gefordert. Im zweiten Teile wurde die Notwendigkeit der sofortigen
Feststellung des ersten Falles dringliohst betont und die dem Kreisärzte ob¬
liegenden, zu diesem Zwecke geeigneten Hassnahmen wie Leichenöffnung, Ent¬
nahme und Versendung von Untersuchungsmaterial an die offiziellen Unter¬
suchungsstellen besprochen.
Es folgten die Behandlung der Isolierung und des Transportes der
Kranken, der Leichenbestattung nnd Wohnungs-Desinfektion, der Meldungen
an die höhere Verwaltungsbehörde, des Verbots des Verkaufs von Nahrnngs-
und Genussmitteln, der zulässigen Ausfübrungsverbote von gebrauchter Leib¬
wäsche, getragenen Kleidern, Hadern und Lumpen, Hassnahmen gegenüber den
Schulen, Verbot der Hessen, Märkte und andere Volksansammlungen.
Der Korreferent Dr. Hoche-Geestemünde besprach zunächst die beson¬
deren geographischen und geologischen Verhältnisse des Reg.-Bez. Stade nnd
die daraus sich einerseits infolge der regen Benntzung selbst der kleinsten
Wasserläufe als Transportwege, anderseits des Gebrauchs des Wassers von
Gräben u. s. w. als Trinkwasser sich ergebende hochgradige Gefährdung der
Bevölkerung bezüglich der Einschleppung von Cholera. Von diesem Gesichts¬
punkte aus ging er sodann auf die einzelnen, den Kreisärzten bei Cbolera-
gefahr erwachsenden Aufgaben über und beschäftigte sich besonders mit der
Kontrolle des Schiffsverkehrs in den Hafenorten, ferner mit dem Schutze der
Anwohner der Wasserläufe duroh Belehrung einerseits, durch Beschaffung ein¬
wandfreien Wassers anderseits. In letzterer Beziehung wies er auf die durch
die Bestimmungen des Reichsseuchengesetzes und der im Reg.-Bes. Stade gü¬
tigen Bauordnungen gegebenen Vollmachten hin.
Hit Bezug auf die Tätigkeit dez Kreisärzte nach erfolgter Einschleppung
der Cholera besprach er den Verkehr mit Nahrungsmitteln (MUch, Gemüse
u. s. w.), ferner die Beschaffung von Pflegepersonal, von Unterkunftsräumen
sowie von Desinfektoren nnd schloss nach kurzer Berührung der §§. 10, 12,
14, 15, 18, 19, 21 des Reicbsgesetzes mit einem Hinweise auf die im Reg.-
Aus Versammlungen and Vereinen.
595
Ben. Stade bereite gütigen, im Oesetee gleichfalls vorgesehenen, aber noeh
nicht feetgelegten Bestimmungen Ober Leichentransporte n. s. w. in Choleraseiten.
An diese Vorträge knüpfte sich eine lebhafte Diskussion.
Der Vorsitzende wies darauf hin, wie noch im Jahre 1892 in betreff
der gegen die Cholera zu ergreifenden Massregeln eine gewisse Unklarheit und
Verwirrung geherrscht habe, und wie sich allmählich die Anschauungen Aber das
Wesen und die Verbreitungsweise der Cholera dank den Forschungen R. Kochs
geklärt und die zu ergreifenden Massregeln so wesentlich vereinfacht hätten.
Das Gesetz, betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten sehe eine
Reihe von Massregeln schon fOr den Fall vor, dass eine Bedrohung durch eine
gemeingefährliche Krankheit bestehe. Eine solche Bedrohung des Regie¬
rungsbezirks sei aber schon vorhanden, wenn in einem auswärtigen
HafenCholera vorkomme. Die Gefahr sei dann zunächst eine imminente,
sie kOnne aber sofort eine eminente werden, sobald ein Fall eingeschleppt
sei. Daher gelte es bei Zeiten einen Mobilmachungsplan zn entwerfen.
Vor allem müsse man alle Wege ins Auge fassen, auf welchen sich etwa die
Cholera ausbreiten könne. Diese Wege seien uns im hiesigen Regierungsbezirk,
in welchem der Unterleibstyphus nie ausgehe und von Zeit zu Zeit zu Epide¬
mien geführt habe, gewiesen, da die Cholera, wie auch Koch hervorhebt,
dieselben Wege gehe, wie der Typhus. Ausser einer Prüfung und Ueber-
waohung der Wasserentnahmestellen sei daher im Bezirk ganz beson¬
ders eine solche der Molkereien geboten. Im Reichsseuchengesetz werde
direkt die Ausführung sacbgemässer Desinfektion verlangt, daher müsse eine
Hauptsorge die Ausbildung guter Desinfektoren sein. Eine fernere
Fürsorge betreffe die Krankenpflege und Beschaffung von Räumen
für die Erkrankten, wenn man auch von der Einrichtung stationärer Ba¬
racken wegen des sprungweisen Auftretens der Cholera nach Koch wohl ab-
sehen müsse. Der V or sitz ende berührte dann noch kurz die Punkte, welche
bei der Versammlung der Regierungs- und Medizinalräte unter Leitung der
Herren Ministerialkommissare im August in betreff der Cholera behandelt
worden waren.
Med.-Rat Dr. Reineke hält für die Verbreitung der Cholera den
Landweg wichtiger als den Wasserweg. In Hamburg sei die Ver¬
schleppung wesentlich mit durch den Marktverkehr erfolgt, namentlich
schienen Gemüse gefährlich zu sein. Bei verschiedenen Epidemien in Hafen¬
städten haben sich allerdings die Fälle auch um die Stellen gruppiert, wo das
Ballastw&sser des Schiffes abgelassen worden sei, so auch in Hamburg.
Regierungspräsident Frhr. v. Reiswitz erwähnt, dass am Rhein 1898
zweimal die Cholera durch Flussschiffer eingeschleppt worden sei, einmal von
Rotterdam her. Bei den zu ergreifenden Massregeln handele es sich
1) um die schon ietzt zu treffenden, 2) um die beim Ausbruch der
Cholera zu treffenden. Er geht dann in näherer Ausführung auf ein¬
zelne Punkte der Vorträge, so besonders die Ausbüdung der Desinfektoren, die
Fürsorge für einwandfreies Trinkwasser und Regelung des Verkehrs auf den
Flüssen ein.
Dr. Proei es hält eine Verbreitung der Cholera durch Hausierer für
möglich.
Prof. Dr. Dun bar führt auf verschiedene Anfragen etwa folgendes ans:
Die Rohrbrunnen schützen nicht vor jeder Infektionsgefahr, da
das Wasser gewöhnlich auch seitlich in die Röhre eintreten kann, und man die
Rohre oft unterhalb der Erde absebneide. Besonders lehrreieb war hierin eine
Typhusepidemie in Wilbelmsburg bei Hamburg. Von den Ring-
sementbrunnen ist zu verlangen, dass sie bis in eine tiefe Wasser¬
schicht, welche von dem Grundwasser durch eine Lehmschicht ge¬
trennt ist, geführt werden. Das Brunnenpnmprohr ist am besten seitlich
abzuführen, der Rrunnenkrans bis 1 m über die Erde zu führen.
Für die Desinfektion eines verseuchten Brunnens kommen
naeh Fränkel Karbolsäure und Schwefelsäure in Betracht, es bleibe freilich
der Geschmack; bei Anwesenheit einer Dampfmaschine empfehle sich auch
Einleitung von Dampf. Das beste Mittel sei wohl zur Zeit der Chlor¬
kalk, welcher zu 1 °/ 0 der Gesamtmenge des Brunnenwassers zuzusetsen sei;
der Geschmack verschwindet nach einer Stunde.
Dr. Tjaden macht darauf aufmerksam, dass auch der Urin des Typhus-
596
Au Versammlungen and Vereinen.
kranken infektiÖB and geeignet sei, die Bronnen na infizieren. Um etwaige
unreine Zuflüsse za einem Bronnen heransxnfinden, empfehle er du Fluoreszin.
Regierungspräsident Frhr. v. Beiswitz weist im Laafe der Debatte
darauf hin, dass nach der Baupolizeiordnong für die Landgemeinden des Re*
gierangsbezirks die Braunen schon so erhalten werden mttsaen, dass sie nicht
gesandheitsgefäbrlich sind.
Hafenarzt Dr. Nocht hält es für dringend geboten, dass den Schiffern
an Land gutes Trinkwasser zur Verfügung stehe. In Hamborg sei
es ihm gelangen, dieses za erzielen and die Schiffer auch an die Benutzung
zu gewöhnen.
Eine Anfrage von Dr. Ocker, ob man nicht die Kanalisation desinfi¬
zieren müsse, beantwortete Dr. Nesemann dahin, dass bei der Kanalisation
etwa hineingelangte Krankheitskeime durch die kolossale Verdünnung unschäd¬
lich werden, Dr. Reinke dahin, dass die Desinfektion der Abgänge schon am
Krankenbett einzusetzen habe.
Dr. Nocht glaubt, dus die Flusskontrolle noch milder gehandhabt
werden könne; namentlich sei die Ueberwachung der Reisenden auf den Lokal¬
dampfern nicht anders zu behandeln, als auf der Eisenbahn, nur die Mannschaft
sei zu beobachten.
Dr. Nothnagel erwähnt, dass 1892 im Rhein die Schiffe im Fahren
überwacht worden seien mit nur geringer Verzögerung der Fahrt.
Nachdem Herr Regierungspräsident Frhr. v. Reisswitz wegen not¬
wendiger Weiterreise sich von der Versammlung verabschiedet hatte und noch
besonders den aus Hamburg und Bremen erschienenen Herren für ihr Erscheinen
und ihre rege Teilnahme gedankt hatte, folgt das Referat von Dr. Gaehde
über die Bestimmungen der §§. 74 (Wasserversorgung) und 76 (Rein¬
haltung der Wasserläufe) der Dienstanweisung für die Kreisärzte unter
Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Regierungsbezirks
Stade und führt etwa folgendes aus:
Der §.74 der Dienstanweisung überträgt dem Kreisarzt die
umfassende Aufgabe der Ueberwachung der Trinkwasserver¬
sorgung seines Bezirks. Er soll um eine ausreichende Versorgung mit gutem,
einwandfreien Trinkwasser stetig bemüht sein. Die vorhandenen Wasserver-
sorgungsanlagen, sowohl die zentralen, wie die Einzelbrunnen, unterstehen
seiner dauernden Beaufsichtigung. Diese soll vorwiegend in einer Örtlichen
Besichtigung, weniger in chemischer und bakteriologischer Untersuchung
bestehen.
Bei zentralen Anlagen wird indessen der Kreisarzt, welcher Wert
darauf legt, dass sein Gutachten berücksichtigt wird, ohne eigene bakte¬
riologische Untersuchungen nicht auskommen. Storungen im Be¬
triebe lassen sich meist nicht durch das Auge erkennen, und wenn auch den
Verwaltungen von Wasserwerken die bakteriologische Wasserkontrolle aufzu¬
geben ist, so wird doch der Kreisarzt nicht umhin können in dieser Richtung
selbst tätig za sein, wenn er die Kontrolle in der Hand behalten will.
Bei Brnnnenanlagen wird es leichter sein durch Besichti¬
gungen Schädlichkeiten aufzudecken. In wichtigen Fällen wird er indessen
auch hier die chemische und bakteriologische Untersuchung nicht entbehren
können, besonders wenn es sich um den Nachweis handelt, ob bereits eine
Verunreinigung des Wassers eingetreten ist, bezw. auch ob eine einge¬
tretene Verunreinigung beseitigt ist. Vergleichende Untersuchungen
mit Wasserbrunnen und vorausgegangene Analysen können hier Auf¬
klärungen geben.
Der Reg.-Bez. Stade ist durch häufige über das ganze Jahr verteilte
Niederschläge reichlich mit Wasser versorgt. Auf der Geest kommen für die
gewöhnlichen Brnnnenanlagen 2 wasserführende Schichten in Betracht;
eine sehr oberflächliche, die durch den Geschiebelehm der Gletscherzeit
gebildet wird, und eine tiefere Sandschicht, welche über einer sehr weit ver¬
breiteten Tonschicht liegt. Der Geschiebelehm ist westlich der Elbe nur in
einfacher Schicht abgelagert, aber nicht überall vorhanden, auch ist seine Durch¬
lässigkeit verschieden; das „Oberwasser“ fehlt daher häufig. Im Winter
reicht sein Niveau oft bis nahe an die Oberfläche, im Sommer trocknet die
Schicht oft aus. Das Wasser führt nur wenig gelöste Bestandteile. Das Wasser
der tieferen Schicht ist fast überall zuerbohren, je nach der Höhenlage
Ans Versammlungen und Vereinen.
597
in fast sicher in berechnenden Tiefe. Es ist erheblich härter, auch nicht
immer wohlschmeckend, häufig von bitterlichem Nachgeschmack, der wohl anf
den Gehalt von Chlormagnesium zu beziehen ist.
Stellenweise, besonders bei Stade, treten tertiäre Schichten an die Ober¬
fläche, namentlich reicher Salzton. Auch sonst kommen lokale Abweichungen yor.
Das Moor ist an den Talrändern auf dem präglazialen Sande aufge-
waohsen. Durch Kanäle und Schiffgräben ist es bewohnbar gemacht. Die Be¬
wohner haben eich bisher mit diesem Grabenwasser begnügt, oder sie haben
in der Nähe der Gräben im Torfboden Wasserlöcher oder Flachbrunnen
angelegt, ln jüngster Zeit sind nicht selten Bammbrunnen eingeschlagen,
die ein stark eisen- und ammoniakhaltiges Wasser liefern, das zwar
wirtschaftliche Mängel besitzt, in gesundheitlicher Beziehung aber dem
Grabenwasser weit voransteht.
Schwieriger noch ist die Wasserversorgung in der Marsch.
Die tonigen Schichten sind häufig mit Pflanzenresten gemischt (Darg). Das
Wasser ist brackig uni meist ungeniessbar, nur selten finden sich Sandschiohten
mit brauchbarem Wasser. Der arme Marschbewohner ist auf Grabenwasser
angewiesen; der wohlhabendere, der in Häusern mit fester Bedachung wohnt,
benutzt auch in Zisternen gesammeltes Regenwasser.
5 Städte: Stade, Horneburg, Leehe, Geestemünde und Verden besitzen
zentrale Wasserversorgung; das Wasser wird aus Grundwasserbecken der Geest
bezogen. Alle übrigen Orte sind auf Hausbrunnen angewiesen. Neuere Brunnen¬
anlagen werden meist zur Zufriedenheit hergestellt, wenn auch in kleineren
Orten von den Brunnenmachern, die nur Handwerker sind, häufig Fehler ge¬
macht werden. Auf dem Lande überwiegt der Ziehbrunnen. Auf der hohen
Geest kann dieser der oft grossen Wassertiefe wegen noch nicht entbehrt
werden. Nicht selten sind Ziehbrunnen, die ein hohes Alter anfweisen. Die
Brunnen auf den Bauernhöfen sind meist recht unsauber und primitiv; die
Steinritzen werden mit Moos verstopft, oft genug dienen Torfsoden als Bau¬
material. Hier Besserung zu schaffen, wird bei der sähen Bauernnatur viel
Mühe machen. Die Baupolizeiordnnngen geben nur allgemeine
Vorschriften und sind für bestehende Anlagen nicht anwendbar.
Der §. 76 der Dienstanweisung eröffnet dem Kreisarzt ein
neues Gebiet der Beobachtung: Die Ueberwachung der Flussver¬
unreinigung. Der Kreisarzt hat die Pflicht, selbständig die Ini¬
tiative zu ergreifen, sobald Misstände vorhanden sind. Die ministerielle
Anweisung vom 20. Februar 1901 gibt darüber klare Anweisung. In dieser
Richtung wird die Tätigkeit des Kreisarztes im wesentlichen eine beobachtende
sein. Nur selten wird er in der Lage sein, eigene chemische und bakteriologi¬
sche Untersuchungen anzustellen, leichter noch wird es ihm gelingen, Fauna
und Flora mit dem Mikroskop zu beobachten. Bei den Ortsbesichtigungen und
Begehungen der Flussufer wird er die Einlassstellen aus industriellen Anlagen,
Kanälen u. s. w. zu beachten haben und sich über die Zusammensetzung der
Abwässer Aufklärung zu verschaffen suchen; besonders wird er dem Einlass
von Fäkalien seine Aufmerksamkeit zu widmen haben.
Natürliche Verunreinigungen finden sich im Bereich der Ebbe und Flut
durch Aufwirbelung von Schlick, auch das organische Plankton ist in den
grossen Strömen recht reichlich. Die den Flüssen und Bächen anwohnende
Bevölkerung ist sehr geneigt, die Haushaltungsabfälle den Flussläufen zu über¬
geben. Aborte und Dttngerstätten liegen oft in der Nähe der Wasserzüge und
führen die Jauche diesen zu. Die Baupolizei Verordnungen verbieten den Ein¬
lass von Jauche und Fäkalien nur innerhalb der Ortschaften.
Der Korreferent Dr. Ritter schildert im speziellen die Trinkwasser-
verhältniese im Regierungsbezirk. Er bespricht zunächst die Wasserver¬
sorgung auf der Geest und hält die Qualität des Wassers sowohl über der
ersten, wie über der zweiten undurchlässigen Bodenschicht für hygienisch
einwandfrei, wenn nur die Art der Brunnenanlage überall eine gute
wäre. Er bespricht sodann die Verhältnisse in den Marschen (Zisternen
und Oberfläohenwasser) und in den Moorgebieten, wobei er zwischen
Binnen- und Randmooren unterscheidet. Letztere liegen in den Fluss¬
niederungen. Ihre Bewohner sind nur anf Oberflächenwasser ange¬
wiesen. Br ist der Ansicht, dass in diesen Gegenden die Bestimmung der
Baupolizeiverordnung für die Landgemeinden vom 1. Januar 1891, wo-
696
Tagesnachrichten.
nach jedes Wohngebäude einen eigenen Abort haben muss, mit
besonderer Soh&rfe durchgeführt werden muss, da in ihnen eine Vernnreinignng
der Öffentlichen Wasserläufe mit besonderen Gefahren verbanden ist.
Sodann geht er noch anf die Untersaohangsarten ein; er ist, gestützt
anf eine grossere Zahl von Brunnenuntorsuchungen, der Ansicht, dass in der
Regel die lassere Besichtigung aasreicht, dass die bahteriologische
Untersuchung aomeist die Resultate der Besichtigung bestätigt
and nar in wenigen Aasnahmefällen Schäden anfdeckt, die daroh die Be¬
sichtigung nicht klargestellt waren. Die ohomisohe Untersuchung der
Brannenwässer zeigt namentlich in Moorgegenden meistens eine sehr erheb¬
liche Uebersohreitnng der üblichen Grenzwerte (Ammoniak, or¬
ganische Substanzen and Chlor), ohne dass dies eine hygienische Be¬
deutung hat.
Der Vorsitzende hält die Verhältnisse in den Marschen, wo vielfach
aas denselben Wasserläufen, in weiche die Dejektionen entleert werden, Wasser
za Trink- and Haushaltungszwecke geschöpft werde, für besonders tibelständige
and einen circalas vitiosas vorliegend, wie er beim Aaftreten der Cholera, des
Typhös usw. nicht schlimmer gedacht werden konnte. Hier sei es Pflicht des
Kreisarztes in Gemeinschaft mit dem Landrat, Besserangen darchzasetzen.
Bei der Begutachtung einer Wasserentnahmestelle lege er den Haupt-
nachdraek auf die Örtliche Besichtigung, die festzastellen habe, ob die
Entnahmestelle äasseren Veranreinigangen zugänglich sei. Die chemische und
bakteriologische seien unter Umständen aber anch als Index für das Vor¬
handensein von Veranreinigangen wertvoll.
Aach Quellwasser, namentlich das aas den Wiesen kommende, sei
nicht immer einwandfrei.
Die Debatte erstreckt sich dann noch auf einige, mehr nur ein lokales
Interesse beanspruchende Pankte. Dr. Ga eh de wünscht, dass eine gedruckte
Anweisung über die bei der Anlegung von Bronnen za berücksichti-
gendea Pankte an die Gemeinden versandt würde. Auf Wunsch des Vor¬
sitzenden erklären sich Dr. Gaehde and Dr. Ritter bereit, eine derartige
Anweisung auszuarbeiten. Hiermit schliesst die Versammlung.
Dr. Nesemann-Stade.
Tagesnachrichten.
Von dem Grundsätze aasgehend, dass durch gemeinsame Arbeit aller
Nationen die Aufgaben und Bestrebungen der Schulhygiene erleichtert und ge¬
fordert werden, sollen jetzt auch internationale Kongresse für Schul¬
hygiene ins Leben gerufen werden und diese alle drei Jahre tagen. Der
erste Kongress soll an den sechs Tagen der Woche nach Ostern des Jahres
1904 in Deutschland und zwar in Nürnberg stattfinden. Mitglied des Kon¬
gresses kann jeder werden, der für die Förderung sohulhygienischer Bestrebungen
Interesse besitzt. Der Beitrag ist auf 20 Mark festgesetzt. Der Kongress
wird folgende Abteilungen haben: 1. Hygiene der Schulgebäude und ihrer Ein¬
richtungen. 2. Hygiene der Internate. 3. Hygienische Untersuchungsmetboden.
4. Hygiene des Unterrichts und der Unterrichtsmittel. 5. Hygienische Unter¬
weisungen der Lehrer und Schüler. 6. Körperliche Erziehung der Schuljugend.
7. Krankheiten und Kränklichkeitszustände und ärztlicher Dienst in den Schulen.
8. Hilfsschulen für Schwachsinnige, Parallel- und Wiederholungskurse, Stotter-
kurse, Blinden- und Taubstnmmenschulen, Krüppelschulen. 9. Hygiene der
Schuljagend ausserhalb der Schule, Ferienkolonien und Organisation von Eltern¬
abenden. 10. Hygiene des Lehrkörpers. Dem permanenten internationalen
Komitee gehören aus Deutschland als Mitglieder an: Griesbach-Mühl¬
hausen i.E., A. Baginsky, Hoffa, A. Eulenburg-Berlin, H. Cohn-
Breslau und Finkler-Bonn.
Von der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder ist ein Preisaus¬
schreiben ergangen für ein kurz gefasstes und gemeinverständ¬
liches Plakat über die Notwendigkeit und Nützlichkeit des
Tagesnachrichten.
599
regelmässigen Badens. Der Inhalt soll sich auch znm Abdruck als Flug¬
blatt eignen und einerseits zur Belehrung der Bevölkerung Überall da dienen,
wo Badegelegenheiten vorhanden sind, anderseits dazu anregen, solche zu schaffen.
Für die drei besten Arbeiten sind drei Preise ausgesetzt: 200 Mark als erster,
150 Mark als zweiter und 100 Mark als dritter Preis. Die Entwürfe sind (mit
einem Kennwort versehen) spätestens bis zum 30. September 1903 an die Ge¬
schäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder in Berlin NW., Karl¬
strasse 19, einzusenden. Dasselbe Kennwort ist auf einen verschlossenen Brief¬
umschlag, welcher den Namen und Wohnort des Verfassers enthält, zu setzen.
Die preisgekrönten Entwürfe werden Eigentum der Gesellschaft, welcher die
Verwertung im Sinne ihrer gemeinnützigen Bestrebungen zusteht. Die übrigen
Entwürfe werden den Verfassern auf Wunsch zurückgesendet.
Berichtigung. In Nr. 15, S. 560, Zeile 14 von unten lies „unge¬
säuertem“ statt „angesammeltem“ Wasser; und Zeile 1 von unten: „Jod-Jod¬
kalilösung" statt „Jodkalilösung“.
Preussischer Medizinalbeamtenverein.
Die Vereinsmitglieder werden nochmals auf die am Sonnabend, den
12. September 1903 in Halle a.|S., „Grand-Hötel Bode“,
Magdeburger - Strasse, nahe am Bahnhof Btattfindende
XX. Hauptversammlung
aufmerksam gemacht.
Tagesordnung:
Freitag, «len 11. September:
8 Uhr Abends: Begrfiesnng im „Grand-Hötel Bode“ (mit Damen).
Sonnabend, den 1Ä. September:
9 Uhr Vormittags: Sitsong im Feeteaal des „Grand-Hötel Bode“.
1. Eröffnung der Versammlung.
2. Geschäfts- und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren.
3. Praktische Erfahrungen bezüglich der Dienstanweisung der Kreis¬
ärzte, Insbesondere betreffs Ortsbesichtigrungen und Jahres¬
berichte. Referenten: H. Kreisarzt Dr. Scnäfer in Frank¬
furt a. 0. nnd H. Kreisarzt Dr. Herrmann in Bitterfeld.
4. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren.
5. Ueber die gerichtsärztliche Benrteilnng der Epilepsie. Referent:
H. Gerichtsarzt Dr. Neid har dt in Altona.
Maoh Sohluss der 8itznng : Besichtigung des Knappschafts-
Krankenhauses Bergmannstrost (Mersebnrgerstrasso 59 ).
6 Uhr N&ohmittags: Festessen (mit Damen).
Bestellungen auf Wohnung sind an den Schriftführer, H.
Kreisarzt n. Med.-Rat Dr. Fielitz-Halle a./S. möglichst rechtzeitig unter
Angabe der gewünschten Preislage oder anch direkt an das „Hötel Bode“
zu richten. Hier stehen Zimmer in grosser Anzahl zur Verfügung; der ver¬
einbarte Preis beträgt im I. Geschoss: 3,50 Mark für 1 Person, im II. Geschoss:
3 Mark und im III. Geschoss: 2,50 Mark. Frühstück: 1 Mark.
Die verehrlichen Mitglieder werden dringend ersucht, alsbald nach
ihrer Ankunft in Halle sich im Anmeldeburean im .,Grand - Hötel
Bode“, Magdeburgerstrasse 65 zu melden, um daselbst ihre Namen in die
Präsenzliste eintragen zu lassen. Dasselbe ist geöffnet Freitag, den
11. September von Nachmittags 4 Uhr bis Abends 11 Uhr, &m Sitzungs¬
tage von Vormittags 8 Uhr bis nach Schluss der Sitzung.
Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins.
Im Anftr.: Dr. Rapmund, Vorsitzender,
Reg.- u. Geh. Med.-Rat In Minden.
Deutscher Medizinalbeamten - Verein.
Die Vereinsmitglieder werden nochmals aal die am 14. und 15. Sep¬
tember 1903 in Laeipzig im Gartensaal des Zoologischen
Gartens 1 ) (Hingang von a«r Pfattendorferstrasse) stattfindende
Zweite Hauptversammlung
aufmerksam gemacht.
Tagesordnung:
Sonntag, «len 13. September.
8 Uhr Abende: Gesellige Vereinigung zur Begrttssung im Garten¬
saal des Zoologischen Gartens (mit Damen.)
Montag, den. Id» September.
9 Uhr Vormittags: Erste Sitzung (Gartensaal des Zoolog. Gartens).
1. Eröffnung der Versammlung.
2. Geschäfts- und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren.
3. Die reichsgesetzliche Regelung des Irrenwesens. Referenten: H.
Landesrat Dr. Vorster in Düsseldorf, H. Geh. Med.-Rat Dr. Weber,
Direktor der Heil- und Pflegeanstalt in Sonnenstein nnd H. Reg.- u.
Med.-Rat Dr. Rnsak in Köln.
Hittagessen nach freier Wahl, am besten im Zoologischen Garten,
da von hier aus 3*/• Uhr Nachmittags die Besichtigungen (nach Wahl):
Kläranlage der Stadt Leipzig auf der Staxwlese oder Ent-
eiaenungsanlage der 8tadt Leipzig am Napoleonstein, daran
schliessend „Hermann-Haus“, UnfallnerYenklinik der Sächsischen
Baugewerks- Berufsgenossensch&tt, oder Heil- nnd Pflegeanstalt der
8tadt Leipzig in Dösen stattfinden sollen.
7 Uhr Naohmlttags: Festessen mit Damen im Gartensaal des Zoologischen
Gartens (Preis des trocknen Gedeckes 3 Mark).
Dienstag', den IS. September.
0 Uhr Vormittags: Zweite Sitzung (Gartensaal des Zoolog. Gartens).
1. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrerisoren.
2. Verhütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten durch die
Schalen. Referenten: H. Prof. Dr. Leabnscher, Reg.- and Med.-
Rat in Meiningen nnd H. Reg.-Rat a. D. Prof. Dr. Tj&den, Direktor
des bakteriologischen Institnts in Bremen.
3. Beiträge zur pathologischen Anatomie der Kohlenoxidvergiftung.
Referent: H. Kreisarzt Dr. Sch&ffer in Bingen a. Rh.
4. Die Photographie im Dienste der gerichtlichen Medizin. (Mit De¬
monstrationen.) Referenten: H. Proi. Dr.Strassmanc in Berlinn.H.
Dr. Arth. Schulz, Assistent am Institut für Staatsarzneikunde in Berlin.
Wohnungen werden am besten direkt bestellt; empfehlen werte Bötels
sind: Hötel Han ff e am Rossplatz: Zimmer von 3,50 M. an, Frühst. 1,40 M.,
Hötel Prasset, Rossplatz 7: Z. von 3,00 — 7,50 M., Frühst. 1,25 M., Hötel
Kaiserhof, Georgiring 7a: Z. von3—7 M., Frühst. 1,25M., Hötel Sedanf,
Blücherstr. 1: Z. von 2,50—6 M., Frühst. 1,26 M., Hötel de Rnszie, Peterstr.
20: Z. von 2,50—3,50 M., Frühst. IM., Hötel de Polognef, Hainstr. 16/8:
Z. von 2,50—5 M., Frühst. 1 M., Hötel Hentschel, Rossstr. 1: Z. von 2,50 M.
an, Frühst. IM., Hötel Stadt Rom, Georgiring 18: Z. von 2,50—8,60 M.,
Frühst. IM., Hötel Palmbaum*, Gerberstr.3: Z. von 2—4M., Frühst. 1 M.,
Hospiz des ev. Vereinshauses, Rossstr. 19 Z. von 1,50 M. an. f Bötels
des Deutschen Offizier - Vereins. * Hötels des Waarenhauses für deutsche Beamte.
Die verehrlichen Mitglieder werden dringend ersucht, alsbald nach
ihrer Ankunft in Leipzig sich im Anmeldebure&u lm Gartensaal das
Zoologisohen Gartens, Pfaffendorferstrasse, zu melden. Dasselbe ist ge¬
öffnet Sonntag, den 13. September von Nachmittags 4 Uhr bis Abends
11 Uhr , an den Sitzungstagen von Vorm. 8 Uhr bis nach Schluss der Sitsnng.
Auskünfte erteilt bereitwilligst der Schriftführer Med.-Rat n. Bezirks-
arzt Dr. Flinzer in Planen i/Vogtl.
Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereins.
Im Anftr.: Dr. Rapmand, Vorsitzender,
Reg.- u. Geh. Med.-Rst in Minden.
*) Gegen Lösung einer Karte zum Preise von 90 Pf. haben die Theil-
nehmer für die Versammlnngstage freien Eintritt in den Zoologischen Garten .
Vorantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-n.Geh.Med.-Rat in Minden L W-
J. O. 0. Brau, Herzog). Slaoh. u. F. Sch.-L. Hofbachdruckerei ln Min den.
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lg. Jahrg.
Zeitschrift
1903.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt fir geriehtüehe Medizin und Psychiatrie,
fir ärztliche Säehyerstindigeutatigkeit in Unfall- und Invaüditätssaehen, sowie
fir Hygiene, oYentl. Sanitätswesen, Medizinal - Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Herausgegeben
Ton
Dr. OTTO RAPMÜND,
Regierangi- and Geh. Medlrinalrat in Sünden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Bnehhandlg., H. Kornfeld,
Heraogl. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inierato nehmen die Verlnfehendlonf sowie olle Annoncenexpeditionen des In*
and Auslandes entgegen.
Nr. 17.
Erscheint am 1« und 15« Jedem Monats
1. Septbr.
Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren.
Reformgedanken von Dr. Placzek-Berlin.
(Fortsetzung.)
Wir kommen nun zur
inneren Besichtigung.
Ueber deren Gang geben die Regulative folgende allge¬
meine Bestimmungen:
Preneeen: „§. 14. Behufs der inneren Besichtigung sind die drei
Haupthöhlen des Körpers, Kopf-, Brust- und Bauchhöhle zu öffnen.
In allen Fällen, in welchen von der Oeffnung der Wirbelsäule oder ein¬
zelner Gelenkhöhlen irgend erhebliche Befunde erwartet werden können, ist
dieselbe nicht zn unterlassen.
Besteht ein bestimmter Verdacht in Bezug anf die Ursache des Todes,
so ist mit derjenigen Höhle zn beginnen, in welcher sich die hauptsächlichsten
Veränderungen vermuten lassen, andernfalls ist zuerst die Kopf-, dann die
Brust- und zuletzt die Banohhöhle zn öffnen.
In jeder der genannten Höhlen sind zuerst die Lage der in ihr befind¬
lichen Organe, sodann die Farbe und Beschaffenheit der Oberflächen, ferner ein
etwa vorhandener ungehöriger Inhalt, namentlich fremde Körper, Gas, Flüssig¬
keiten oder Gerinnsel, und zwar in den letzteren beiden Fällen nach Mass bezw.
Gewicht zn bestimmen, nnd endlich ist jedes einzelne Organ äusserüch nnd
innerlich zn untersuchen.“
Bayern: „§. 13. Stimmt mit dem vorstehenden §. 14 des prenssischen
Regulativs ttberein mit Ausnahme des Schlusssatzes, der hier lautet: „die
Brust- nnd Bauchhöhle nnd znletst den Kanal der Wirbelsäule an öffnen“.
„§. 20. Die Eröffnung des Kanals der Wirbelsäule hat in der Begel
von der Rückseite her zn erfolgen. Ist nicht zn befürchten, dass durch das
Liegen anf der Bauchseite das Resultat der Untersuchung der Brust- nnd
Bauchhöhle gefährdet wird, so ist es vorteilhaft, die Eröffnung der Wirbelsäule
vor der Sektion des Halses, der Brust nnd des Bauches zn unternehmen, weil
602
Dr. Pl&czek.
nach derselben der erforderliche Widerstand snr Eröffnung des Wirbelkanals,
insbesondere durch einen Meissei, fehlt and dieselbe dadurch wesentlich er¬
schwert wird. Dies ist weniger der Fall, wenn man sich des La er sehen
Rhachiotoms bedienen kann.“
Sachsen: „§. 10. Die Sektion moss sich, soweit der Zastand der
Leiche dies gestattet, stets aaf die Oeffnnng der Kopf-, Brast- and Bauchhöhle
erstrecken (§. 89 St. P. 0.).
In allen Fällen, wo von der Eröffnung der Wirbelsäule oder einseiner
Gelenkhöhlen, sowie von der Freilegung der Knochen oder tief liegender Weich¬
teile der Extremitäten (Blutgefässe, Nerven usw.) irgend erhebliche Befände
erwartet werden können, ist dieselbe nicht zu unterlassen. Bei vorhandenen
Knochenbrüchen und Verrenkungen muss auf die verletzte Stelle eingeschnitten
und der Einochen in der Ausbildung der Verletzung frei präpariert werden.
g. 17. Die Oeffnnng der Wirbelsäule findet in Fällen, wo sie angezeigt
ist, erst nach vollendeter Untersuchung der übrigen Körperhöhlen statt.“
Württemberg: „§. 18. Jede richterliche oder polizeiliche Leichen¬
öffnung hat ohne Ausnahme Kopf, Hals, Brust nnd Bauch (§. 89 der R. St. P. 0.)
za umfassen. Die Eröffnung der Wirbelsäule oder einzelner Gelenke findet nur
dann statt, wenn irgend erhebliche Befände erwartet werden können, immer
aber erst am Ende der inneren Besichtigung, um deren Ergebnisse nicht zu
trüben. Ebenso ist die Untersuchung von Venenthrombosen, Muskelabszessen,
Phlegmonen usw. bis dahin aufzuschieben. Die genannten Körperteile sind in
der Regel in der oben aufgeführten Reihenfolge zu untersuchen.
ln den Fällen, in welchen ob von Wert ist, die Füllung der grossen
Blutgefässe der Brust und deB Herzens genau zu erheben, wird die Brust zu¬
erst geöffnet. Finden sich schwere Verletzungen, oder sind sonst Gründe vor¬
handen, die wesentliche Todesursache oder sonst wichtige Zustände in einem
der Teile za vermuten, so wird mit diesen begonnen. Zunächst sollen etwaige
Veränderungen beschrieben werden, welche im äusseren Verhalten der Leiche
seit der ersten Besichtigung eingetreten sind.
Der Gang der nun folgenden anatomischen Untersuchung soll vom Allge¬
meinen zu den Einzelheiten fortsohreiten. Jedes Organ soll also nach seiner
Lage, Grösse, Gestalt, Farbe, der Beschaffenheit seiner Oberfläche, seiner Kon¬
sistenz und seinem Gefüge untersucht werden. Dann folgt die Ermittelung
seines inneren Znstandes, seines Inhalts (Gase, Flüssigkeiten, Gerinnsel) und
unter Umständen der Nachweis fremder Körper. Die Menge der Flüssigkeit
oder Gerinnsel soll, wenn sie erheblich genug ist, nach Mass oder Gewicht
bestimmt werden. Endlich soll auch den Veränderungen der inneren Organe,
welche erst nach dem Tode eingetreten sind (Leichenerscheinungen), die er¬
forderliche Aufmerksamkeit zugewendet, vor allem also die Verwechselung der¬
selben mit krankhaften Vorgängen vermieden werden.“
Sachsen- Weimar -Eisenach: „§. 16. Die Oeffnnng der Körper¬
höhlen und die Untersuchung der in ihnen enthaltenen Organe hat nach dem
Verfahren zu erfolgen, welches die pathologische Anatomie lehrt.
§. 17. Die Oeffnung muss sieb, soweit der Zustand der Leiche dies ge¬
stattet, stets auf die Kopf-, Brust- und Bauchhöhle erstrecken. (§. 89 der R.
St. P. 0.) Von der Oeffnung der Rückgratshöhle ist nur in den Fällen absu-
sehen, in welchen der Befand der drei Haapthöhlen genügenden Aufschluss
gegeben hat, oder die Untersuchung der Rückgratshöhle keinen irgend erheb¬
lichen Befund erwarten lässt. Die Untersuchung jeder Höhle hat mit der Fest¬
stellung der Lage der Organe, der Beschaffenheit ihrer Oberfläche, der Art und
gegebenen Falles der Menge etwaigen ungehörigen Inhalts zu beginnen.
§. 18. Ist die Todesursache nach der Leichenschau ungewiss, so ist mit
der Untersuchung der Kopf- bezw. Rückgratshöhle zu beginnen, diejenige der
Brust- und Bauchhöhle anzuschliossen. Liegen Gründe zur Annahme einer be¬
stimmten Todesursache vor, so ist mit der Untersuchung derjenigen Körperböhle
zu beginnen, welche den entscheidenden Befand verspricht, insbesondere bei
Verdacht auf Erstickung mit der Brusthöhle, bei Verdacht auf Vergiftung mit
der Bauchhöhle.“
Baden (§. 32 der Dienstanweisung und §. 2 der Vorschriften), Meck¬
lenburg - Schwerin (§. 12), Mecklenburg - Strelitz (§. 7), Anhalt (§. 11),
Braunschweig (§.8), Schwarzburg - Sondershausen (§.14) stimmen
mit Preussen überein.
Ein deutsches geriehtstrztliches LeiehenSffhnngsrerfahren. 603
Alle diese „allgemeinen Bestimmungen für die innere Be¬
sichtigung“ geben bindende präzise Vorschriften über die Reihen¬
folge, in der die Körperhöhlen eröffnet werden sollen. Auffallend
ist nur, dass der Zeitpunkt der Eröffnung der Rücken¬
markshöhle nicht gleich scharf bestimmt ist. Württemberg
allein gibt an, dass diese Eröffnung nur dann stattfinden soll,
„wenn irgend erhebliche Befunde erwartet werden können, immer
aber erst am Ende der inneren Besichtigung, um deren Ergebnis
nicht zu trüben“. Aehnlich lautet Sachsen-Weimar-Eisenach.
Ob das im Hinblick auf die relativ seltene Notwendigkeit
der Eröffnung dieser Körperhöhle geschieht, weise ich nicht. Ver¬
wunderlich wäre es; denn einerseits handelt es sich um eine
selbständige Körperhöhle, anderseits kann das Ergebnis ihrer Er¬
öffnung gleich bedeutungsschwer wie das der anderen Höhlen sein.
Die Regulative begnügen sich alle mit einer Angabe, wann etwa
von einer Eröffnung der Wirbelsäule abzusehen ist. Preussen
und Baden wünschen, dass sie nicht unterlassen werde, wenn
irgend erhebliche Befunde erwartet werden können. Den Zeit¬
punkt der Sektion der Rückenmarkshöhle findet Puppe am zweck-
mässigsten „nach derjenigen der Bauchhöhle“. Ob das Sektions¬
ergebnis dann unter jenes der Bauchhöhle kommt, und mit deren
arabischen Zahlen weiter fortgeführt wird, oder als Sondergruppe
nach der Bauchhöhle, sagt er nicht. Strassmann eröffnet
die Rückenmarkshöhle gleichfalls nach der Bauchhöhle und rubri¬
ziert es unter III; nur wenn der wichtigste Befund in der
Rückenmarkshöhle erwartet werden kann, wird sie am Beginn der
„Inneren Besichtigung“ eröffnet. Entres gibt als Schema bei
Verletzung der Wirbelsäule und des Rückenmarks:
A. Aenssere Besichtigung.
B. Innere Besichtigung.
I. Kopf- und Bückenmarkshöhle.
a. Kopfhohle; b. Bückenmarkshöhle.
Diese Rubrizierung entspricht auch der vorher mitgeteilten
Bayerischen Instruktion (§. 20), die allerdings auch den Fall
vorsieht, dass die Eröffnung der Wirbelsäule von vorn durch Ent¬
fernung der Wirbelkörper notwendig wird (§. 20, Abs. 4):
„Was dann natürlich erst nach der ErOffnnng der Brnst- nnd Bauch¬
höhle and Entfernang der in denselben gelagerten Organe, sowie aach der
Halsorgaue geschehen kann.“
Hier ist mir nur das für diese Eventualität vorgesehene
Schema, wie es Entres gibt: „I. Kopfhöhle. II. Brust- und Bauch¬
höhle. b. Rückenmarkshöhle“, nicht recht verständlich. Soll hier
Brust- und Bauchhöhle gemeinsam unter IIa rubriziert werden?
Verständlicher erschiene a. Brusthöhle, b. Bauchhöhle, c. Rücken¬
markshöhle.
Sachsen wünscht die Oeffnung der Wirbelsäule erst nach
vollendeter Untersuchung der übrigen Körperhöhlen (§. 17).
Württemberg fordert sie unter B gleich nach Eröffnung
der Kopfhöhle, sagt aber nichts über die Bestimmung (§. 23).
Nicht recht verständlich ist aber auch, dass dieselbe Instruktion
im §.18 „die Eröffnung der Wirbelsäule .... immer aber erst
am Ende der inneren Besichtigung“ fordert, „um das Ergebnis
604
Dr. Plaezek.
nicht zn trüben“. Es ist das ein Widerspruch, der aus der In¬
struktion allein sich nicht erklärt.
Sachsen-Weimar-Eisenach bestimmt den Zeitpunkt
mit den Worten:
„lat die Todesursache nach der Leichenschau ungewiss, so ist mit der
Untersuchung des Kopfes bezw. der Rttchgratshöhle zu beginnen, diejenige der
Brust- und Bauchhöhle anzuschliessen.“
Meiner Ansicht nach würde sich die Eröffnung der Bücken¬
markshöhle, wenn sie notwendig wird, am besten an die diejenige
der Kopfhöhle anschliessen lassen. Das Protokoll würde dann
«I. Kopf- und Rückenmarkshöhle: a. Kopfhöhle, b. Rückenmarks¬
höhle; II. Brust- und Bauchhöhle“ lauten.
Nach diesen Erwägungen würde sich für das zukünftige
Regulativ die für die innere Besichtigung geltende allgemeine Be¬
stimmung am besten in folgender Form empfehlen:
Jede gerichtliche Leichenöffnung hat Kopf-, Brust- und
Bauchhöhle zu umfassen, soweit der Zustand der Leiche es
gestattet (§. 89 R. St. P. 0 .). Die Eröffnung der Wirbelsäule oder
einzelner Gelenke findet nur dann statt , wenn irgend erheb¬
liche Befunde erwartet werden können; sie erfolgt dann im
Anschluss an die der Kopf höhle.
Die Oeffnung der Körperhöhlen und die Untersuchung der in ihnen ent¬
haltenen Organe hat nach dem Verfahren zu erfolgen, welches die pathologische
Anatomie lehrt.
Die Reihenfolge ist ein - für allemal: Kopf-, Br u st - und Bauch¬
höhle. Ist die Eröffnung der Rückenmarkshöhle nötig, so geschieht sie im An¬
schluss an die Kopf höhle.
In jeder Höhle ist zunächst die Lage der in ihr befindlichen Organe,
sodann Farbe und Beschaffenheit der Oberfläche, ferner ein etwa vorhandener
ungehöriger Inhalt, namentlich Fremdkörper, Gase, Flüssigkeiten oder Gerinnsel,
und zwar in den letzteren beiden Fällen nach Mass und Gewicht zu bestimmen,
und endlich auch jedes einzelne Organ äusserlich und innerlich zu untersuchen .
Auch Veränderungen der inneren Organe, welche erst nach dem Tode eingetreten
sind (Leichenerscheinungen), soll die erforderliche Aufmerksamkeit zugewendet,
vor allem also die Verwechslung derselben mit krankhaften Vorgängen vermieden
werden .
Wenn von Eröffnung einzelner Gelenkhöhlen sowie von dei Freilegung der
Knochen oder der tiefliegenden Weichteile der Extremitäten (Blutgefässe, Nerven
usw.) irgend erhebliche Befunde erwartet werden können, ist dieselbe nicht zu
unterlassen. Bei vorhandenen Knochenbrüchen oder Verrenkungen muss auf die
Verletzungsstelle eingeschnitten und der Knochen in der Ausdehnung der Ver¬
letzung frei präpariert werden“
Absichtlich möchte ich die Bestimmung fortgelassen sehen,
dass mit der Körperhöhle begonnen werden soll, in der man die
Haupttodesursache vermutet. Hierfür sehe ich keinen zwingenden
Grund. Da mit der Eröffnung der hauptsächlich in Frage
kommenden Körperhöhle die Vollständigkeit der Sektion nach
keiner Richtung verkürzt werden darf, liegt hierfür gar kein An¬
lass vor. Zur Zeit ist das Verfahren hauptsächlich für Vergif¬
tungen notwendig. Da das hierbei gebräuchliche Verfahren aber
zweifellos änderungsbedürftig ist, und zwar in einer Weise, dass
dann Brust- und Bauchhöhle in regelrechter Aufeinanderfolge er¬
öffnet werden können, darf die Bestimmung fortfallen.
Wenn wir jetzt zu den speziellen für die Sektion der Körper¬
höhle geltenden Bestimmungen übergehen, so wird sich schon der
Bia deutsches gerichtsärztlir.hes Leiohenöffnungsverfahreu.
605
Raumersparnis wegen eine wörtliche Anführung der einschlägigen
Paragraphen aller Regulative erübrigen. Für den hier ange¬
strebten Zweck wird es vollkommen genügen, wenn ich mich auf
die wesentlichen Abweichungen beschränke und in einer Schluss¬
zusammenfassung bespreche, was beibehaltenswert oder änderungs¬
bedürftig ist.
Für die Oeffnung der Kopfhöhle gilt in Preussen fol¬
gende Vorschrift:
„§. 15. Die Oeffnung der Kopfhöhle geschieht, wenn nicht etwa Ver¬
letzungen, die so viel als möglich mit dem Messer umgangen werden müssen,
ein anderes Verfahren gebieten, mittelst eines von einem Ohr znm anderen
mitten über den Scheitel hingeführten Schnitte, worauf zunächst die weichen
Kopfbedeckungen nach vorn und hinten abgezogen werden.
Nachdem alsdann die Beschaffenheit der Weichteile und die Oberfläche
der knöchernen Sohädeldecke geprüft worden, wird letztere durch einen Sägen-
kreiaschnitt getrennt, abgenommen und sowohl die Schnittfläche und die Innen¬
fläche, als auch die sonstige Beschaffenheit des Schädeldaches festgestellt.
Hierauf wird die äussere Oberfläche der harten Hirnhaut untersucht, der
obere lange Blutleiter geöffnet und sein Inhalt bestimmt, sodann die harte
Hirnhaut zuerst auf einer Seite getrennt, zurtlokgeschlagen und sowohl die
innere Oberfläche derselben, als auch die Beschaffenheit der vorliegenden Ab¬
schnitte der weichen Hirnhaut untersucht.
Nachdem dasselbe auch auf der anderen Seite geschehen ist, wird das
Gehirn kunstgerecht herausgenommen, wobei sofort auf die Anwesenheit eines
ungehörigen Inhalts am Schädelgrunde zu achten und die Beschaffenheit so¬
wohl der harten, als auch der weichen Hirnhaut am Grunde und an den Seiten¬
teilen zu ermitteln, auch das Verhalten der grösseren Arterien festzustellen ist.
Nachdem auch die queren, und, falls ein Grund dazu vorliegt, die übrigen
Blutleiter geöffnet sind und ihr Inhalt bestimmt worden ist, wird die Grösse
und Gestalt des Gehirns ermittelt und endlich durch eine Reihe geordneter
Schnitte die Untersuchung der einzelnen Hirnteile, namentlich der Grosshirn¬
hemisphären, der grossen Ganglien (Seh- und Streifenhttgel), der Vierhflgel, des
Kleinhirns, des Gehirnknotens und des verlängerten MarkeB vorgenommen,
wobei namentlich die Farbe, die Füllung der Gefässe, die Konsistenz und die
Struktur festzustellen sind.
Ausserdem ist stets der Zustand des Gewebes und der Gefässe an der
oberen Gefässplatte (Velum chorioides) zu ermitteln.
Die Ausdehnung und der Inhalt der einzelnen Hirnhöhlen, sowie die
Beschaffenheit und Gefässfülle der verschiedenen Adergeflechte sind bei den
einzelnen Abschnitten besonders ins Auge zu fassen, auch das Vorhandensein
etwaiger Blutgerinnsel ausserhalb der Gefässe zu ermitteln.
Den Schluss macht die Untersuchung der Knochen des Grundes und der
Seitenteile des Schädels, welcher Btets eine Entfernung der harten Hirnhaut
voraufigehen muss.“
§. 14 in Bayern zeigt folgende Abweichungen. Während
in Preussen nur gesagt ist, dass die Schädeldecke
„durch einen Sägekreisschnitt“
getrennt wird, heisst es hier:
„wird letztere durch einen Sägekreisschnitt in der grössten Peripherie
des Schädels getrennt und zuletzt mit Hammer und Meissel oder mit dem
Quermeissel abgesprengt.“
Ebenfalls eingehender ist hier die Darstellung der Eröffnung
der harten Hirnhaut. Hier heisst es nicht nur „sodann wird die
harte Hirnhaut zuerst auf einer Seite getrennt zurückgeschlagen“,
sondern es wird auch die Art der Trennung genau beschrieben.
„Sodann wird die harte Hirnhaut entweder durch einen Kreisschnitt oder
durch zwei längs des langen Blutleiten geführte Längsschnitte und zwei Quer-
606
Dr. Plaozek.
schnitte getrennt nnd nach Ablösung der Hirnsichel von dem Hahnenkamme
unter Durchschneidung der in den Blntleiter einmündenden Hirnnerven zurück¬
geschlagen. . .
Bayern verlangt ferner, dass das Gehirn nicht nur nach
Grösse und Gestalt, sondern auch nach Gewicht bestimmt wird.
Hier wird auch die „Reihe geordneter Schnitte, durch die das
Hirn zerlegt werden soll“, genau beschrieben, und zwar weichen
diese von dem in Preussen üblichen Verfahren beträchtlich ab.
„Zu diesem Zwecke wird das Gehirn auf seine Basis gelegt und werden
hierauf mit einem grossen scharfen Messer die beiden Hemisphären im ganzen
bis auf den Balken abgetragen und durch Querschnitte in Stücke zerlegt,
welche durch die Pia mater im Zusammenhang gehalten werden, um sich Über
ihre relative Lage stets versichern zu können. Alsdann werden durch zwei zu
beiden Seiten der Raphe des Balkens angelegte Schnitte die beiden Seiten¬
ventrikel in ihrer Mitte geöffnet, diese Schnitte in die Vorder- und Hinter¬
hörner fortgesetzt, der Balken hierauf vorn vom foramen Monroi aus durch¬
schnitten, aufgehoben und zurückgeschlagen, wodurch nun die beiden Seiten¬
ventrikel und der dritte Ventrikel, letzterer noch bedeckt von der tela oho-
rioidea superior, blossgelegt sind. Nach Entfernung der letzteren und der
plexus chorioidei aus den absteigenden Hörnern der Seitenventrikel werden
auch diese geöffnet, der Inhalt und die Beschaffenheit der inneren Oberfläche
der Ventrikel untersucht und sodann die beiden Hemisphären voneinander und
mit Durchschneidung der Hirnschenkel von dem Kleinhirn und der Brücke ge¬
trennt. Jetzt legt man durch jede Hemisphäre senkrechte Querschnitte, weläe
wiederholt durch die Streifenhttgel und Sehhügel dringen und das Innere der¬
selben zur Ansicht bringen, ohne dieselben ganz zu zerlegen.
An dem Kleinhirn wird zunächst durch einen senkrechten Schnitt in der
Mittellinie durch den Wnrm der 4. Ventrikel eröffnet und sodann die beiden
Hemisphären durch Radiärschnitte, endlich die Brücke und das verlängerte
Mark auf Querschnitten untersucht. ..."
In Sachsen beschreibt §.11 anfs Genaueste die Eröffnung
der Kopfhöhle. Hier sind zunächst an dem freigelegten knöchernen
Schädeldach
„etwa an demselben vorhandene Blutaustritte und Verletzungen genau
ihrer Ausdehnung und ihrem Sitze nach zu beschreiben. Bei Frakturen ist die
Beschaffenheit der Bruchränder und das Fehlen oder Vorhandensein ausge¬
tretenen Blutes zwischen denselben anzugeben.“
In Preussen soll an dem abgesägten Schädeldach „sowohl
die Schnittfläche und die Innenfläche, als auch sonstige Beschaffen¬
heit des Schädeldaches“ festgestellt werden. In Sachsen heisst es:
„Dann wird das Verhalten der Schnittfläohe (Dicke, Entwickelung der
schwammigen Substanz, Blutgehalt) und der Innenfläche des Schädeldaches fest-
gestellt.“
Das sächsische Regulativ enthält weiter eine sehr eingehende
Beschreibung der kunstgerechten Herausnahme des Gehirns:
„. . . mit der linken Hand wird der vordere Teil des Grosshirns vor¬
sichtig emporgehoben, während die Hirnnerven nnd die Gefässstämme in der
Richtung von vorn nach hinten durchschnitten werden; das Kleinhirnzelt wird
durch zwei unmittelbar hinter dem Felsenbein durchlaufende Schnitte durch¬
trennt; es wird hierauf das Gehirn noch weiter emporgehoben, das Kleinhirn
mit dem verlängerten Mark und der Brücke vorsichtig unterstützt und mit
dem langen, in den oberen Teil des Wirbelkanals eingeführten Messer das
Rückenmark mit seinen Häuten quer durchschnitten."
Für die Gehirnsektion wird hier gewünscht, dass von der
grossen Längsspalte aus horizontale Schnitte durch die Gross¬
hirnhalbkugeln gelegt werden.
Sb deutsches geriehtzärztliehes Leichenöffaugaverfahrez. 607
.Durch solche Schnitte, welche am besten nur bis dicht anter die weiche
Hirnhaut n führen sind, damit letztere die einzelnen Schnitte nsammenhalte,
wird das Groeshirn bis dicht über der Hobe des Hirnbalkens nach nnten
zerlegt; dann werden die Seitenkammern. . . .*
Hecht bemerkenswerte Abweichungen finden sich in §. 21
Württembergs. Zunächst darf die Durchsägung des Schädels
erst stattfinden, „nachdem die Schläfenmuskeln zu beiden Seiten
abgeschabt und nicht quer durchschnitten sind.* Sodann heisst es:
.Ist die harte Hirnhaut durch pathologische Veränderungen mit dem
Schädel verwachsen, so dass er weder von vorn noch von hinten her ohne grosse
Gewalt abgezogen werden kann, so wird sie dem Sägesehnitt entsprechend mit
der geknöpften Scheere durchschnitten, die Sichel in der Nähe des Hahnen*
kammes und ihre Verbindung mit dem Gehirnzelt gespalten und dann das
Ganse abgenommen.“
„Bei Kindern bis zum 7. Jahre ist immer ein ähnliches Verfahren ein¬
suschlagen, weil bis zu dieser Zeit die im Säuglingsalter normale Verwachsung
der harten Hirnhaut mit den Nähten und deren nächster Umgebung fortbesteht.*
Sachsen-Weimar-Eisenach gibt in §. 22 die Anweisung:
„Fissuren sind in zweifelhaften Fällen durch Eingiessen tob Farbstoff¬
lösungen mit nachherigem Abspülen oder durch vorsichtiges Anbringen einer
Spreize von Holz festzustellen.
In allen Fällen, in welchen sie angezeigt erscheint, soll die mikroskopi¬
sche Untersuchung veränderter oder verdächtiger Stellen an frischen, gegebenen
Falls an dem in entprechender Weise gehärteten Gehirn stattfinden.*
Baden (§. 3 der Vorschriften), Mecklenburg-Schwerin
(§. 17), Anhalt (§. 12), Braunschweig (§. 9), Schwarzburg-
Sondershausen (§. 15) stimmen mit Preussen überein. Meck-
lenburg-Strelitz weicht in §. 8 nur unwesentlich von der
preussischen Bestimmung ab.
Die instruktive Vergleichung der verschiedenen Bestimmungen
lehrt, dass die eigentliche Eröffnung der Kopfhöhle nur wenig
differiert. An ihr wird wohl auch in Zukunft nicht viel ge¬
ändert werden, es sei denn, dass die schon oben angeführten ge¬
naueren Schilderungen einzelner Regulative vorbildlich werden.
Für die Schnittführung durch die weichen Kopfbedeckungen auf
die Modifikation zurückzugreifen, wie sie s. Z. Griesinger 1 )
empfahl, wird sich wohl kaum empfehlen. Hier wird ein verti¬
kaler möglichst feiner Sägeschnitt von einem Ohr zum anderen
durch Schädel und Hirn gemacht, ein zweiter horizontaler Schnitt
durch die vordere Kopfhälfte.
Nicht die gleiche Unveränderlichkeit dürfte man für die zu¬
künftige Gehirnsektion wünschen. Hier dürfen wenigstens
die Bestrebungen nicht unberücksichtigt bleiben, welche die gegen¬
wärtige Zergliederung des Gehirns durch eine vollständig andere,
bessere ersetzen möchten. Namentlich seitens der Neurologen sind
in neuester Zeit dahin zielende Vorschläge gemacht worden. Hier
wird die Ausarbeitung und Vervollkommnung der Manipulation,
welche zur Eröffnung des Innenraums des Schädels, zur Ent¬
fernung des Hirns aus der Schädelhöhle und zur Sektion des Ge¬
hirns notwendig ist, nicht blos Sichtbarmachung und Bloslegung
der Teile im Auge haben dürfen, sondern auch die Aufrechthaltung
*) Archiv für Psychiatrie; Bd. I, S. 817.
608
Dr. Placzek.
der Teile, um die möglichst ausgedehnte mikroskopische Unter¬
suchung zu ermöglichen.
Die älteste Methode, die Galen sehe, wie Spiegel 1 ) und
Ruysch*) sie nennen, untersucht das Gehirn von oben her.
Weniger zweckmässig und auch nicht zu allgemeiner Einführung
gelangt ist die erst von Varol (1573—1641) angegebene Methode,
das Gehirn von unten her zu untersuchen. Ein drittes Verfahren
nach Silvius kombiniert beide Methoden. In den 40 er Jahren
änderte Virchow das Verfahren und in der von ihm angegebenen
Fassung ist es auch mit geringen Abänderungen in die Regulative
übergegangen. Nur das bayerische wendet die alte anatomische
Methode an. Das Grundprinzip des Virchow’sehen Verfahrens
ist, bei möglichster Wahrung des Zusammenhangs der Teile eine
vollständige Einsicht in die Ausdehnung der Veränderungen zu
gewinnen.
Die an sich sehr interessante Methode Meynerts, 3 )die eine
Trennung der verschieden gebauten und verschieden bedeutungs¬
vollen Gehimteile bezweckte, um ihre Masse durch Wägung mit¬
einander vergleichen zu können, dürfte für die Zwecke des Ge¬
richtsarztes kaum in Frage kommen. Eher hätte man ihre Modi¬
fikation durch Weigert ins Auge zu fassen, der sie mit der
Virchow sehen Technik verschmilzt. Er öffnet zunächst die
Seitenventrikel und geht dann längs des fornix ins Unterhorn.
Hierauf werden die Stammganglien um- und ausgeschnitten, so
dass man Hirn, Stamm und Mantel getrennt erhält. Die grossen
Hemisphären werden nun von aussen her bis zu den Zentral¬
windungen durch Frontalschnitte zerlegt. Von den Zentral¬
windungen ab gelangen Horizontalschnitte, welche auch den Hinter¬
hauptslappen zerlegen, zur Anwendung. (Die Herausschälung des
Hirnstammes aus dem Mantel wird zuerst 1865 in der österreichi¬
schen Zeitschrift für Heilkunde beschrieben.)
Zu dem Virchowschen Verfahren empfiehlt Nauwerck 4 )
für bestimmte Fälle neben der gewöhnlichen einseitigen Durch¬
trennung der Ganglien die frontale Durchschneidung derselben
auf beiden Seiten zugleich. Er durchtrennt auch den Wurm in
der Mitte, ohne den Aquädukt zu durchspalten, zerlegt von oben
her die Vierhügel mit Pedunculis, Brücke, medulla oblongata in
frontale Schnitte.
Die neuerdings von Neurologen bevorzugte Methode wählt
vornehmlich Frontalschnitte. So macht Pitres 5 ) 6 Schnitte.
1. Schnitt 5 cm vor dem sulcus rolando, 2. Schnitt durch den Fass der
Stirnwindnng, 8. Schnitt darch die vordere Zentr&lwindang, 4. Schnitt dnreh
*) Adri&ni Spiegelii, Brnzellensis, opera, quae extant omnia.
Amstelod. 1645.
*) Opera omnia. Amstelod. XU. t
*) Das Gesamtgewicht und die Teilgewichte des Hirns in ihren Be¬
ziehungen. . . . Vierteljahrschrift für Psychiatrie; 1867.
4 ) Sektionstechnik etc. 3. Auflage. Jena 1899.
*) Bech. sur 16sions du centre ovale des hemisph. c6i6br.; 6tude au
point de vue des localisations c6r6br. Paris 1877.
Bin deutsches gerichtsärstliohes Leichenöffnungsverfahren. 609
die hintere Zentralwindung, 5. Schnitt durch den Fnss der beiden Scheitel-
lftppohen, 6. Schnitt 1 cm vor der fissnra parieto-ocoipitalis.
Nothnagel 1 ) variierte die Methode. Die von Burckhardt*)
und Byron Bramwell 3 ) empfohlenen Verfahren sind keine Sek¬
tionsmethode mehr im gewöhnlichen Sinne.
Siemerling*) empfiehlt neuerdings folgende Frontalschnitte:
a. dicht hinter dem Balkenknie, b. vor dem Chiasma, c. unmittel¬
bar hinter demselben, d. durch die Corpora candicantia. Man
durchtrennt dann das splenium, entfernt den Hirnstamm und kann
nun den hinteren Teil jeder Hemisphäre für sich zerlegen.
Für die zukünftige Eröffnung der Kopfhöhle empfiehlt sich
folgende Fassung:
„Kopfhöhle. Die Leiche liegt auf dem Rücken, der Kopf am Rande
des Tisches. Der Keilklotz erhebt den Kopf derart, dass der Scheitel nach oben
zu liegen kommt.
Ein kräftiger Messerzug mit dem Knorpelmesser durchtrennt die Weich¬
teile bis auf den Knochen. Er beginnt hinter dem linken Ohr an der Spitze
des Warzenfortsatzes, geht über die Scheitelhöhe und endet an der Spitze des
rechten Warzenfortsatzes.
Verletzungen und anderweitige pathologische Befunde, die man zu schonen
Anlass hat, werden so viel als möglich mit dem Messer umgangen.
Nun werden die weichen Kopfbedeckungen nach vom und hinten abgezogen,
indem man mit dem Quermeissei von dem Schnitte aus die Knochenhaut ablöst,
nach vom bis zum oberen Rande der Augenhöhle, nach hinten bis zum Hinter¬
hauptshöcker, nach den Seiten bis zum Gehör gang.
Die Schläfenmuskeln werden jetzt in der Weise abgelöst, dass ein längeres
Messer mit aufwärts gerichteter Schneide über dem Jochbogen von vom oder
hinten her zwischen Muskel und Knochen eingestossen, unter der ganzen Breite
des Muskels durchgeführt und womöglich durch einen gerade nach aufwärts
geführten Schnitt den Muskel von allen Befestigungen löst, sodass er herab-
gsechlagen werden kann. Etwaige Weichteilreste werden nach abwärts weg¬
geschabt.
Man prüft nun die Weichteile und die Oberfläche des knöchernen Schädel¬
daches, achtet besonders auf etwa vorhandene Blutaustritte und Verletzungen,
die genau nach Ausdehnung und Lage zu beschreiben sind. Bei Brüchen ist die
Beschaffenheit der Bruchränder und das Fehlen oder Vorhandensein ausgetretenen
Blutes zwischen denselben anzugeben.
Jetzt wird die Schädeldecke durch einen Sägekreisschnitt in der grössten
Peripherie des Schädels durchtrennt und zuletzt mit Hammer und Meissei oder
mit dem Quermeissei abgesprengt. Das Verhalten der Schnittflächen (Dicke,
Aussentafel, schwammige Substanz, Blutgehalt) und der Innenfläche des Schädel¬
dachs wird sorgfältig festgestellt. Auch die Gestalt des Schädels im allgemeinen
wird beachtet, insbesondere also Abweichungen desselben von der normalen Form
durch frühzeitige Verwachsung einzelner Nähte, das Vorhandensein von Schalt¬
knochen und anderen krankhaften Veränderungen. Hierauf wird die äussere Ober¬
fläche der harten Hirnhaut auf Spannung, Durchsichtigkeit und Blutgehalt
geprüft. Der obere lange Blutleiter wird geöffnet und sein Inhalt bestimmt.
Sodann wird die harte Hirnhaut auf einer Seite durchtrennt, und zwar dicht
oberhalb des Sägerandes bis zur Längsspalte in die Höhe geschlagen und ihre
Innenfläche besichtigt. Ist das Gleiche auf der anderen Seite geschehen, so wird
sie vom Hahnenkamm gelöst und nach hinten zurückgeschlagen.
Nachdem auch die Beschaffenheit der weichen Hirnhäute geprüft ist , wird
das Gehirn kunstgerecht herausgenommen. Zu dem Zweck wird seht Vorderteil
mit der linken Hand vorsichtig emporgehoben, wobei die Himnerven und die
*) Topographie and Diagnose der Gehirnkrankheiten; 1879.
*) Zentralblatt f. d. m. Wissenschaft: 1881, Nr. 29.
•) Brain. Vol. X. 1887.
4 ) Archiv für Psychiatrie; 1893.
610
Dr. Placzek,
Gefässstämme in der Richtung von vorn nach hinten durchschnitten werden.
Das Kleinhirnzelt wird durch 2 unmittelbar hinter dem Felsenbein verlaufende
Schnitte durchtrennt. Es wird hierauf das Gehirn noch weiter emporgehoben,
das Kleinhirn mit dem verlängerten Mark und der Brücke vorsichtig unterstützt
und in dem oberen Teil des Wirbelkanals das Rückenmark mit seinen Häuten
durch 2 Kreuzschnitte durchtrennt. Nun wird der Schädelgrund untersucht,
die haHe Hirnhaut abgezogen, auf ungehörigen Inhalt und Verletzungen unter¬
sucht. Die Quer- und falls ein Grund dazu vorliegt, die übrigen Blutleiter
werden geöffnet und ihr Inhalt bestimmt .
Zunächst werden jetzt, während das Hirn auf der Grundfläche ruht, die
Hirnhäute betrachtet, auf ihre Abziehbarkeit geprüft , alsdann wird das Gehirn
umgedreht, die Gefässe an der Basis werden losgelöst, bis in die Sy Irische
Furche verfolgt und auf ihre Elastizität und ihren Inhalt geprüft. Nun werden
mit dem Himmesser Frontralschnitte gemacht:
1. dicht hinter dem Balkenknie,
2. vor der Sehnervenkreuzung,
3. unmittelbar hinter demselben,
4. durch die weichen Markkörper.
Zur Feststellung des Verlaufs einer Verletzung soll die
Schnitt Wirkung entsprechend abgeändert werden.
Der untere Teil jeder Hemisphäre icird für sich zerlegt. Man durch¬
trennt nun den Balken an seinem hinteren Wulst und weitet * die Vierhügel und
den Wurm in der Mittellinie, sodass die 5. Gehimkammer freigelegt wird. Die
Kleinhirnhalbkugeln werden erst durch Horizontalschnitte, sodann durch Radiär¬
schnitte zerlegt. Man klappt nun das Gehirn um und trennt das verlängerte
Mark und die Brücke und das Rückenmark durch Querschnitte. Wenn not¬
wendig, muss vor diesem letzten Aid die Grundschlagader abpräpariert werden.“
Ueber die Freilegung von Gesicht, Ohrspeicheldrüse
und Gehörorgan stimmen die Regulative ziemlich überein. In
Preussen sagt §. 16:
„Wo es nötig wird, die Oeffnung der inneren Teile des Gesichts, die
Untersuchung der Ohrspeicheldrüse oder des Gehörgangs vorzunehmen, da ist
in der Regel der über den Kopf geführte Schnitt hinter dem Ohre bis znm
Halse sn verlängern and von hier aas die Haat nach vorn hin absapräparieren,
am dieselbe za schonen. Bei diesen Untersachangen ist stets besondere Auf¬
merksamkeit auf den Zastand der grösseren Arterien and Venen za richten.*
Die bayerische Instruktion stimmt im §. 15 hiermit wört¬
lich überein, enthält aber zwischen beiden Teilen noch folgenden
Passus:
„Die Untersuchung der gesamten inneren Teile des Gesichts und Kopfes
geschieht dann am besten an frontalen S&geschnitten durch den ganzen Kopf,
die Untersuchung der Paukenhöhle durch Wegmeisseln des Daches derselben
von der Schädelhöhle aus.“
Sachsen enthält in dem die Eröffnung der Kopihöhle de¬
tailliert schildernden §.11 den Satz:
„Wo die Untersuchung der inneren Gehörorgane angezeigt ist, muss
dieselbe nach Entfernung ihres barten Hirnbantüberzuges von der Scbldelböble
aus mit Hilfe des Meisseis eröffnet werden.“
Ueber die Untersuchung des Gesichts, der Ohrspeicheldrüse
und der äusseren Gehörorgane sagt es nichts.
Sehr eingehend ist die Anweisung in Württemberg (§. 22),
die folgenden Wortlaut hat:
„Sind Verletzungen oder andere Veränderungen am Gesiebt vorhanden,
so ist der über den Scheitel gehende Schnitt zu beiden Seiten nach abwärts
in entsprechender Weise zu verlängern, der vordere Lappen durch einen über
den Nasenrücken verlaufenden weiteren zu spalten, unter Umständen auch ein
Querschnitt entlang dem unteren Bande des Unterkiefers anzulegen, um durch
Eia deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfthren.
611
Lostrennung entsprechender Lappen den Untergrnnd der Veränderungen unter-
suchen zu können.
Für die weitere Untersuchung des Gehörorgans wird zuerst ein Säge-
schnitt gemacht, welcher dnroh die Schläfeschuppe, unmittelbar vor dem hinteren
Rand des äusseren Gehörganges und am vorderen Rand des inneren vorüber,
nach der Spitze des Felsenbeins verläuft und letzteres vollständig durchdringt.
Die Richtung des Schnittes geht von oben und rückwärts nur wenig nach vor¬
wärts und unten, also nicht ganz senkrecht auf die horizontale Ebene. Die
beiden Teile werden dann durch zwei weitere Sägeschnitte vom übrigen Schädel
losgelöst, welche gegen jene Spitze konvergieren. Der eine von ihnen beginnt
an dem hinteren Rande des Warzenfortsatzes, der andere am vorderen der
Gelenkgrube für den Unterkiefer.
Zur Untersuchung der vorderen Abschnitte der Nasenhöhle genügt es,
die Oberlippe und die seitlichen Teile der Nasenöffnung vom Knochen zu trennen
nnd dann die Nasenscheidewand so tief als möglich durchznschneiden. Die
tiefer gelegenen Teile können nnr durch Sägeschnitte im harten Gaumen neben
den beiden Alveolenrändern blosgelegt werden . . . .“
Dazu kommt Abs. 1:
„Wird in den Augen oder deren Umgebung eine Veränderung ver¬
mutet, so sind behufs weiterer Untersuchung zwei von den Anssenrändern
der Augenhöhle nach dem Sehloch (Foramen opticum) konvergierende Säge¬
schnitte zn machen, die Decke abzunehmen und dann der Bulbus zu untersuchen.“
Sachsen-Weimar-Eisenach enthält die Bestimmung
über die Untersuchung von Gehörorgan und Auge in §. 22:
Zopfhöhle.
„Verletzungen der Augen sind in Bezug auf Art and Sitz zn be¬
schreiben. In den Fällen, in welohen dies zur Feststellung der Ausdehnung
und der Folgen einer solchen Verletzung geboten erscheint, soll nach vor¬
heriger Trennung der Bindehaut und Wegnahme der knöchernen Decke der
Angenhöhle das Auge mit dem Sehnerven herausgenommen und der methodi¬
schen Zergliederung unterzogen werden. Auf das Verhalten der Umgebung
des Auges, der in und am Sehnerven verlaufenden Blut- und Lympbgefässe und
des schwammigen Blutleiters ist zu achten.
Liegt eine Verletzung des mittleren oder inneren Ohres vor, so ist die
Schläfenbeinpyramide mit dem Eörnerven und der Ohrtrompete nach vorheriger
subkutaner Ablösung des äusseren Ohres nnd des Gelenkkopfes des Unterkiefers
mittelst der Ohrsäge herausznnebmen; dies geschieht durch drei Sägescbnitte,
von denen der erste vor der Pyramide zum vorderen Keilbein, der zweite hinter
der Pyramide zur hinteren Fläche der Sattellehne verläuft und der dritte die
Enden der beiden anderen in der Mittellinie der Schädelbasis verbindet. So¬
dann ist durch geeignete weitere Zergliederung die Art der Verletzung fest¬
zustellen.“
Baden, Mecklenburg-Schwerin (§.14), Anhalt (§.13),
Braunschweig (§. 16), Schwarzburg-Sondershausen(§.16)
stimmen mit Preussen überein; in Mecklenburg-Strelitz fehlt
eine entsprechende Bestimmung.
Vergleicht man die eben erwähnten Bestimmungen mitein¬
ander, so wird man zweifellos der württembergischen den Vorzug
geben, wenigstens wegen der Genauigkeit und Ausführlichkeit,
mit der die Eingriffe geschildert werden. Eine andere Frage ist,
ob man auch das hier geschilderte Verfahren zur Freilegung des
Gehörorgans für das beste hält, oder die einfachen Sägeschnitte,
wie sie Sachsen-Weimar-Eisenach angibt. Das Verfahren, wie
es bei uns üblich ist, von der Schädelbasis aus das innere Gehör¬
organ freizulegen, ist wohl einfach, gibt aber doch nicht ein aus¬
reichend klares Uebersichtsbild. Für das deutsche Begulativ
würde mir folgende Fassung geeignet erscheinen:
612
Dr. Plaozek.
„ Gesicht, Ohrspeicheldrüse, Gehörorgan, Nasenhöhle,
Stirnhöhle, Keilbeinhöhle . Wo es nötig wird, die inneren Teile des
Gesichts, die Ohrspeicheldrüse, das Gehörorgan zu untersuchen, ist der über den
Scheitel gehende Schnitt zu beiden Seiten nach abwärts in entsprechender Weise
zu verlängern und von hier aus nach vorn abzupräparieren, um dieselben zu
schonen . Ist letzteres nicht nötig, so spaltet man den vorderen Lappen durch
einen über den Nasenrücken gehenden Schnitt und legt unter Umständen noch
einen Querschnitt entlang dem unteren Rande des Unterkiefers .
Für die weitere Untersuchung des Gehörorgans sägt man die Schläfen¬
pyramide mit dem Ilömerven und der Ohrtrompete nach vorheriger Ablösung des
äusseren Ohres und des Gelenkkopfes des Unterlciefers heraus; dies geschieht
durch drei Sägeschnitte, von denen der erste vor der Pyramide zum vorderen
Keilbeinrande, der zweite hinter der Pyramide zur hinteren Lehne der Sattel¬
fläche verläuft, der dritte die Enden der beiden anderen in der Mittellinie der
Schädelbasis verbindet. Zur Untersuchung der Nasenhöhlen mit ihren Neben¬
räumen, des Nasenrachenraumes und des Mund rachenraumes wird die Gesichts¬
haut bis an die Augenbogen und Nasenbogen vorsichtig abpräpariert und so weit
als möglich über das Gesicht herunter gezogen. Dann wird mit der Säge der
Schädel vorn bis in die Nasenbeine, hinten bis ins Hinterhauptsloch in der
Mitte durchsägt . Mit einem breiten Meissei, welcher in den Sägeschnitt eingesetzt
wird, biegt man die Schädelhälften auseinander, sodass man einen Einblick in
die Nasenhöhle, Stirn-, Keilbeinhöhle und die Rachenhöhlen erlangt“
Wir kommen nun zur Eröffnung der Wirbelsäule. Wie
wir schon früher erwähnten, soll diese, wenn nötig, sich gleich
an die Kopfhöhle anschliessen. Für ihre Eröffnung schreibt
Preussen folgendes Verfahren vor:
„§. 17. Wirbelsäule and Rückenmark. Die Oefihnng der Wirbel¬
säule erfolgt in der Regel yon der Rückseite her. Es wird zunächst die H&nt
and das Unterh&utfett über den DornfortsStzen durchschnitten; sodann wird
zn den Seiten der letzteren nnd der Bogenstücke die Mnsknlatnr abpräpariert,
dabei ist anf Blntanstretnngen, Zerreissungen nnd sonstige Veränderungen,
namentlich anf Brüche der Knochen, sorgfältig zn achten.
Sodann wird mittels des Meisseis, oder, wo eine solche vorhanden ist,
mit einer Wirbelsäge (Rhachiotom) der Länge nach ans allen Wirbeln der
Dornfortsatz mit dem nächst anstossenden Teile des Bogenstückes abgetrennt
and herausgenommen. Nachdem die äussere Fläche der nun vorliegenden harten
Haut geprüft ist, wird letztere darch einen Längsschnitt vorsichtig geöffnet
and dabei sofort ein etwaiger ungehöriger Inhalt, namentlich Flüssigkeit oder
aasgetretenes Blat, festgestellt; auch Farbe, Aussehen nnd sonstige Beschaffen¬
heit des hinteren Abschnittes der weichen Haut and darch sanftes Hinüber¬
gleiten des Fingers über das Rüokenmark der Grad des Widerstandes der¬
selben ermittelt.
Nächstdem werden jederseits durch einen Längsschnitt die Nervenwnrzein
durchschnitten, das Rückenmark an seinem unteren Ende vorsichtig mit der
Hand heraasgehoben, auch die vorderen Verbindungen nach and nach getrennt
nnd endlich das obere Ende ans dem grossen Hinterhanpteloche hervorgezogen.
Bei allen diesen Tätigkeiten ist besonders darauf zn achten, dass das
Rückenmark weder gedrückt noch geknickt wird. Ist es herausgenommen, so
wird die Beschaffenheit der weichen Haut an der Vorderseite geprüft, nach¬
dem die Grösse nnd Farbe des Rüokenmarks nach der äusseren Erscheinung
angegeben nnd endlich darch eine grössere Reihe von Querschnitten, die mit
einem ganz scharfen und dünnen Messer zu führen sind, die innere Beschaffen¬
heit des Rückenmarks, and zwar sowohl der weissen Stränge, als der granen
Substanz dargelegt. Schliesslich wird die harte Haut von den Wirbelkörpern
entfernt and naehgesehen, ob hier Blutergüsse oder Verletzungen oder Ver¬
änderungen der Knochen oder der Zwisehenwirhelscheiben aufsnfinden sind.*
In Bayern stimmt der §. 20 mit Preussen überein. Hier
wird nur gewünscht,
«dass die Mnsknlatnr «im Zusammenhang längs der ganzen Wirbelsäule*
abpräpariert, auch ans allen Wirbeln nnd Dornfortsätzen mit dem nächst an-
Bia deutsches geriohtslntliches Leichenöffnungsrerfahren. 613
stosseodenden Teile des Bogenstüekes „im Zusammenhang längs der ganzen
Wirbelsäule* entfernt wird. Nach der Prüfung der äusseren Fläche der vor«
liegenden harten Hirnhaut soll „das auf derselben anfliegende Fett* ent¬
fernt werden.
Natürlich wird das obere Ende des Bückenmarks ans dem
Hmterhanptsloche nicht hervorgezogen, sondern abgeschnitten,
wenn das Gehirn noch nicht seziert ist.
„In besonderen Fällen kann es übrigens auch angezeigt sein, den
Kanal der Wirbelsäule von vorn her durch Entfernung der WirbelkOrper an
eröffnen, was dann natürlich erst nach der Eröffnung der Brost- und
Bauchhöhle and Entfernung der in denselben gelagerten Organe, sowie auch
der Halsorgane geschehen kann.*
Baden, Sachsen, Württemberg, Mecklenburg-
Schwerin, Anhalt, Brannschweig, Schwarzburg-
Sondershansen stimmen in dem Verfahren mit Preussen
überein; Württemberg wünscht nur direkt, dass anch hier,
wie überall, mit Vorliebe die Lupe zu Hilfe genommen werde.
Mecklenburg-Strelitz enthält keine spezielle Anweisung.
Sachsen-Weimar-Eisenach hat in §. 28 eine sehr ein¬
gehende Anweisung, die inhaltlich mit dem Vorerwähnten über¬
einstimmt, doch im Wortlaut abweicht. Für die Untersuchung
wird gewünscht,
„auf das Vorhandensein yon Trübungen und Verkalkungen der Spinn-
wehehant, Füllung der Qefässe, Menge und Beschaffenheit der Flüssigkeit in
den Maschen der weichen Bückenmarkshänte und Festigkeit des Bückenmarks
so achten.*
Auf den Bückenmarksquerschnitten soll Vorwölben oder Ein¬
sinken der Schnittfläche, Färbung nnd Festigkeit der einzelnen
Faserzüge, Färbung der grauen Substanz, Weite des Zentral¬
kanals beachtet werden. Die Beschaffenheit veränderter Stellen
soll beschrieben, ihre Lage nnd Ausdehnung durch Sezierung
auf die Nervenwurzel genau angegeben, nötigenfalls durch Ein¬
tragung in ein Schema deutlich gemacht werden. In allen
Fällen, in welchen dies geboten erscheint, soll die mikroskopische
Untersuchung veränderter Stellen am frisch oder am zweckmässig
gehärteten Bückenmark stattfinden.
Von diesen letzten Vorschriften, so eingehend sie sind, kann
man die Prüfung „auf Färbung und Festigkeit der einzelnen
Faserzüge“ getrost streichen. Man darf das um so mehr, da selbst
das beste Auge am frischen Präparat die Forderung nicht er¬
füllen kann. Im allgemeinen sollte man auf derartige makroskopi¬
sche Beurteilungen nicht viel geben, da der grösste Teil der
pathologischen Bückenmarksveränderungen erst bei der mikro¬
skopischen Untersuchung zu Tage tritt. Ich möchte nur an die
Veränderungen in den Vorderhornganglienzellen bei Poliomye¬
litis acuta, bei progressiver Muskelatrophie und dem Hungertode
erinnern.
(Fortsetzung folgt.)
614
Dr. Friedei.
Manganvergiftungen in Braunsteinmühlen und gesundheits¬
polizeiliche Massregeln zu ihrer Verhütung. 1 )
Von Dr. Friedei, Kreisarzt in Wernigerode.
Aus den mannigfachen Betriebsarten, in denen Mangan ver¬
arbeitet wird, sind bisher mir — und zwar mit einer Ausnahme
aus allerletzter Zeit — bei Arbeitern in Braunsteinmühlen und
beim Trocknen von Manganhyperoxydschlamm Vergiftungen be¬
kannt geworden. Ueber die letzte Beschäftigung schreibt Prof.
Dr. R. v. Jaksch-Prag: 2 )
„Der genannte Schlamm wird mittele Pressen von der Chlorcalcium-
l&age getrennt, mit Wasser gewaschen und kommt in die Form von Press¬
kohlen, die circa 60 Prozent Wasser, 2 Prozent Chlorcaloinm and rectifiziertes
Mangansaperoxyd enthalten, and gelangt anf grosse Platten, welche auf 100 0 C.
erhitzt sind. Die drei Leate hatten mit Holzschahen auf den Platten zu
stehen and die gebildeten Knollen za verkleinern.“
Es hat danach die Vergiftung in den drei von v. Jak sch
beobachteten Fällen offenbar durch Mangandämpfe stattgefunden.
Die Krankheitserscheinungen stimmen jedoch völlig mit den bei
Arbeitern in Braunsteinmühlen beobachteten überein.
In den Braunsteinmühlen wird der aus Japan und dem
Kaukasus über Hamburg eingeführte und der viel hochwertigere,
an verschiedenen Stellen Deutschlands, so in unmittelbarer Nähe
von Wernigerode am Büchenberge, ferner in Ilfeld am Harz und
vor allem der an mehreren Orten Thüringens geförderte Braunstein
durch Trocknen, Auslesen, Zerbrechen, Sieben und Mahlen für die
Industrie gebrauchsfähig gemacht. Bei dieser Prozedur, besonders
beim Sieben und Mahlen entwickelt sich ausserordentlich viel
feinster Braunsteinstaub, der sehr flugfähig ist.
Die ältesten Berichte über Vergiftungen in diesen Braun¬
steinmühlen stammen von Couper aus dem Jahre 1837. Bereits
damals schreibt Couper nach dem Embden sehen Referat in der
Deutschen Med. Wochenschrift, 1901, Nr. 46, dass „das Mangan-
Superoxyd ein Gift für den Menschen sei, welches, wenn es lang¬
sam dem Organismus zugeführt wird, wie Quecksilber und Blei
wirkt und die Funktionen der Nerven schwächt“.
Die Coup er sehe Arbeit war bereits völlig in Vergessenheit
geraten, als Dr. Emb den-Hamburg, wie eben erwähnt, im Jahre
1901 in einer Hamburger Braunsteinmühle drei und in einer
Thüringer einen Fall von Braunsteinvergiftung fand.
Zu diesen Fällen kommen nun noch die von Prof. v. Jak sch
im Herbst 1902 auf der Naturforscher Versammlung in Karlsbad
vorgestellten Erkrankungen.
Sämtliche von den vorstehend genannten Autoren bei den
l ) Nach einem in der Frtthjahrsversammlang des M&gdebargischen Me-
disinalbeamtenvereins gehaltenen Vortrage.
*) (Jeher gehäufte diffaae Erkrankungen des Gehirns and Bttcbenmarks,
an den Typas der multiplen Sklerose mahnend, welche durch eine besondere
Aetiologie gekennzeichnet sind. Wiener Klinische Bandschau; 1901, Nr. 1.
Für diejenigen, welche diese Arbeit im Original nachlesen, mochte ich noch
bemerken, dass Prof. v. Jaks oh jetzt diese Fälle für reine Manganvergiftungen
ansieht, wie er mir schriftlich mitteilte.
MugUTeigiftnga ia Bnaitduttka uw.
615
von ihnen veröffentlichten Mangen Vergiftungen übereinstimmend
geschilderte Symptome habe ich wiedergefunden bei einer in einer
hiesigen Braunsteinmiihle vorgekommenen schweren Erkrankung.
Ausserdem bot aber die hier vorgekommene Vergiftung eine bisher
nicht erwähnte Erscheinung, die mir den Charakter der Metall-
vergiftung ganz besonders überzeugend zum Ausdruck zu bringen
scheint. Zu dem ist der hiesige Fall vielleicht geeignet, auch
ätiologisch zur Klärung der Manganvergiftung beizutragen.
Krankengeschichte.
17. Febr. 1903. Beinhold Beckjer, 34 Jahre alt, war seit Herbst 1898
bis Bade 1902 als Müller in der Braunste inmtthle von W. & Comp, in Wernige¬
rode beschäftigt. Vor Eintritt in die Mühle ist er bis aal eine chronische
Lidentzündang and einen fast gänzlichen Verschloss der Nase (infolge Hyper¬
trophie der Maschein), der den Kranken snr Mondatmong geswungen, völlig
gesund gewesen. Syphilis hat er nicht gehabt and Schnaps überhaupt nie
getrunken. Btwa ein Jahr nach seinem Eintritt hat er angeblich gtosae
Mattigkeit gefühlt, so dass er eingeschlafen sei, sobald er sich niedersetzte.
Die Beine hätten ihm den Dienst versagt. Im Genick hätten sich rhythmische
Krampfbewegungen eingestellt, die den Kopf abwechselnd in Nick- and Schüt¬
telbewegungen versetzten. Kr habe gespürt, dass er magerer wurde. Dazu
hätte sich eine Erschwerung der Sprache gesellt, die zuletzt ganz unverständ¬
lich geworden sei. Seine Muskeln, besonders die des Gesichts hätten angefangen
zn zittern; er habe nicht mehr schreiben können. Des Nachts hätten sich
starke Schweisse eingestellt. Sein Gedächtnis hätte abgenommen, doch sei er
im übrigen geistig klar geblieben. Zu all diesen Veränderungen habe sich im
letzten halben Jahre starker Speichelfluss gesellt. Allmählich sei er dann immer
noch schlaffer geworden. Er habe nicht mehr die Energie gehabt, den im
offenen Munde sich ablagernden Manganstaub auszuspucken. Gleich bei den
ersten Krankheitsseichen sei er zum Arzt gegangen. Derselbe habe erklärt,
es sei Nervenschwäche und habe nichts mit seiner Beschäftigung zu tun;
infolgedessen habe er weiter gearbeitet, bis es nicht mehr gegangen sei.
Objektiver Befand: Ans dem offen stehenden Munde fliesst ständig
klarer Speichel in grosser Menge. Die Angenlidränder sind intensiv gerötet.
Der Gesiehtsausdruck ist starr, zu ständigem Lachen verzogen. Die Sprache
ist leise, monoton, völlig unartikuliert und fast unverständlich. Der Gang ist
stampfend und ungeschickt mit leicht vornüber geneigtem, schwankendem
Oberkörper. Das Aussehen entspricht dem angegebenen Alter. Die Patellar-
reflexe sind unverändert, die Lichtreflexe erhalten. Die hintere Bachenwand
und die Gaumenbogen sind leicht gerötet. Die Stimmbänder erscheinen im
Spiegelbilde leicht granrot injiziert. Puls regelmässig, klein, 110 in der Minute.
Während der Untersuchung fangen Lippen und Wangen an in fibrilläre
zitternde Bewegung zu geraten, dazu gesellt sich ein klonischer Krampf der
Halsmuskeln, die den Kopf in langsamer rhythmischer Schttttelbewegung um
eine vertikale Axe bewegen.
Status vom 25. Februar. Die in der Zwischenzeit vorgenommene Unter¬
suchung des schleimig zähen Auswurfs hat nichts besonderes ergeben. Der
Urin war frei von Eiweiss und Zucker. Aus den mir mittlerweile von Herrn
Prof. Dr. v. Jaksoh-Prag und Dr. B. Embden-Hamburg freundlichst über¬
sandten Abhandlungen hatte ich ersehen, dass eine der merkwürdigsten Er¬
scheinungen der chronischen Manganvergiftung die Unfähigkeit sei, rückwärts
zu gehen. Ich fand diese Erscheinung bei meinem Kranken voll ausgebildet.
Beim Versuch rückwärts zu gehen, stürzt er zu Boden. Einen weiteren Ver¬
such, einen Gegenstand vom FaBsboden aufzuheben, führt er umständlich in der
Weise aus, dass er mit beiden Händen gleichmässig den Fussboden zu erreichen
sucht. Auch dabei wäre er zu Boden gefallen, wenn ich ihn nicht aufgefangen
hätte. Willkürlich vermag er nicht im geringsten den Kopf zu schütteln,
weil ihm „alles steif sei“. Ein Versuch zu pfeifen gelingt nicht. Die Lippen
fangen dabei heftig an zu zittern.
Status vom 12. März. Patient gibt an, dass er sich noch immer ausser¬
ordentlich matt fühle. Er könne in einem fort schlafen. Stehen auf einen
616 Dr. Friedel: Manganvergiftungen in ßraonsteinmühlen usw.
Bein ist nur für gang kurze Zeit ausführbar. Wendungen nach rechts und
links sind unmöglich. Der Speichelfluss ist heute etwas geringer. Während
der Untersuchung geraten die Halsmuskeln in rytmische klonische Zuckungen,
die den Kopf in Schöttelbewegung um die vertikale Aze und nach einiger Zeit
in Nickbewegung nm die horizontale Aze bewegen. Durch festes Anlegen des
Kopfes an die Stuhllehne werden die Bewegungen allmählich unterdrückt.
Status vom 26. April. Patient fühlt sich etwas kräftiger. Der Speichel*
floss ist fast verschwunden. Die leise monotone, unartikulierte Sprache ist
unverändert. Ratschend vollführt er, mit einem Beine sich abstossend, langsam
eine Viertelwendung. Rückwärtsbewegnngen sind auch heute noch gänzlich
unmöglich. Zwangslachen noch vorhanden, geht bei Erregung in Weinen über.
Im Laufe der Untersuchung geraten die Gesichtsmaskein in zitternde Be¬
wegung. —
Die am 24. April von Herrn Dr. Wagner vom hygienischen Institut
zn Berlin vorgenommene Untersuchung des Urins auf den Nachweis von Mangan
hat ein negatives Ergebnis gehabt, was nicht verwunderlich erscheint in An¬
betracht des Umstandes, dass Patient seit Weihnachten 1902, also volle vier
Monate, aus dem Betriebe ausgesohieden ist.
Wiederholen wir nun kurz die Hauptpunkte des Krankheits¬
bildes, so beobachten wir bei einem 34 Jahre alten, vorher ge¬
sunden Menschen nach vierjähriger Tätigkeit in einer Braunstein¬
mühle : Mattigkeit und Schlafsucht, Sprachstörungen, Zwangslachen,
Speichelfluss, Zittern und Zuckungen, ataktischen schwerfälligen
Gang und völlige Unfähigkeit, rückwärts zu gehen. Alles Er¬
scheinungen, die teilweise für eine allgemeine, teilweise mehr
für eine lokalisierte schwere Schädigung des Zentralnerven¬
systems sprechen.
Von diesen Erscheinungen findet sich in den bisherigen Ver¬
öffentlichungen über Manganvergiftungen Speichelfluss nicht er¬
wähnt; gerade dieses Symptom aber erscheint mir nicht unwichtig
für die Diagnose einer Metall Vergiftung, da wir es bei Vergiftungen
mit anderen schweren Metallen, wie Quecksilber und Blei, als
gewichtiges Kriterium kennen.
Was die Prognose betrifft, so erscheint mir nach meinen
Beobachtungen die Erkrankung besserungsfähig. Eine völlige
Wiederherstellung wird von keinem der in letzter Zeit veröffent¬
lichten Erkrankungsfälle berichtet.
Es folgt also der chronischen Manganvergiftung offenbar
eine dauernde hochgradige Beeinträchtigung der Gesundheit und
Erwerbsfähigkeit. Sie verdient daher die besondere Aufmerk¬
samkeit des die gesundheitlichen Verhältnisse im Gewerbebetriebe
überwachenden Medizinalbeamten.
Wenn man nun auch annehmen darf, dass bei der bisher wenig
verbreiteten Kenntnis der Symptome der chronischen Manganvergif¬
tung die Zahl der wirklich vorgekommenen Erkrankungen die der
bekannten veröffentlichten Fälle etwas übersteigt, so muss bei der
bedeutenden Ausdehnung, welche die Manganindustrie in den letzten
Jahren genommen hat, doch immerhin die Anzahl der Erkrankungen
als gering bezeichnet werden. Es gehört zweifellos zum Zu¬
standekommen der Manganvergiftung eine andauernde, lang fort¬
gesetzte Aufnahme des Metalls, wie sie nur in wenigen Betriebs¬
arten möglich und die in den Braunsteinmühlen wohl sicher in
feinster staubförmiger Form durch Magen und Darm vor sich
Dr. Friedei: Manganvergiftungen in BrannsteinmOblen new.
617
geht. Anderseits spielt wohl in weit höherem Grade wie bei
Blei- und Quecksilbervergiftungen die persönliche Disposition eine
wichtige Rolle. In dem von mir beobachteten Falle möchte ich
ein beförderndes Moment darin erblicken, dass der Kranke schon
vor dem Eintritt in die Mühle nicht frei durch die Nase atmen
konnte; er atmete von anfang an durch den Mund und schluckte
infolge dessen natürlich auch grössere Mengen des sich in den
Schleimhäuten des Mundes festsetzenden Braunsteinstaubes.
Nach den Untersuchungen von Harnack und Schreiber
(Zeitschrift für physiol. Chemie; 1901, Bd. 46, H. 5 und 6) wird
Mangan bei intakter Schleimhaut vom Darmtraktus resorbiert.
Nach Untersuchungen von Robert und zuletzt von Cahn
rufen leicht lösliche Mangansalze, Warmblütern in toxischen Dosen
intravenös oder subkutan eingeführt, grosse Schwäche, Somnolenz,
Abnahme der Reflexe, erschwertes Atmen, Sinken des Blutdruckes
und der Wärmeproduktion, heftige Krämpfe und Tod durch Herz¬
lähmung hervor (Eulenburg; Real - Enzyklopädie).
Die ersten Zeichen fortgesetzter Manganaufnahme bestehen
also in grosser Mattigkeit und Schläfrigkeit. Diese wiederum wird
in dem betreffenden Arbeiter das Gefühl und Verlangen für und
nach Sauberkeit allmählich vernichten. Er wäscht sich vor der
Nahrungsaufrahme nicht mehr die staubbedeckten Hände und
wird mit der Zeit so schlaff, dass er die Mühe des Ausspuckens
scheut und den im Munde angesammelten Manganstaub einfach
herunterschluckt. So kommt es denn immer mehr zu den eben vor¬
geführten schweren Vergiftungserscheinungen.
Von den übrigen sechs Müllern und Arbeitern des hiesigen
Betriebes fand sich keiner, bei dem die freie Nasenatmung irgend
behindert war. Sämtliche Arbeiter hatten mehr oder weniger in¬
tensive Reizerscheinungen in den oberen Luftwegen, keiner davon
erregte den Verdacht einer tuberkulösen Erkrankung der Lunge.
Nur zwei davon waren über zwei Jahre in der Mühle tätig; sie
zeigten keines der oben angeführten charakteristischen Krank¬
heitszeichen, nur gaben sie an, dass sie sehr viel schlafen müssten.
In dem Urin beider wurde von Dr. W ag n er (im hygienischen Institut
zu Berlin), Mangan in Spuren nachgewiesen. Auf den Nachweis vop
Mangan in den Fäces glaubte ich weniger Gewicht legen zu sollen,
da mir sein Vorkommen dort selbstverständlich schien.
Die gesundheitspolizeilichen Massnahmen zur Verhütung von
Erkrankungen in Braunsteinmühlen ergeben sich ohne Weiteres
aus der Art des Betriebes und bei der Annahme, dass das Metall
vom Darm aus dem Körper zugefUhrt wird:
I. Einschränkung der Staubatmung durch kräftige Venti¬
latoren an jeder Arbeitsstätte, ähnlich den in Schleifereibetrieben
vorgesehenen, deren Konstruktion im einzelnen den Gewerbe¬
inspektoren überlassen werden muss.
n. Schaffung eines vom Betriebe abgesonderten Raumes für
die Arbeiter zur Aufnahme der Mahlzeiten.
III. Schaffung von Gelegenheit zum Händewaschen und Mund¬
spülen vor jeder Mahlzeit und strengste Anordnung dieser Massregel.
618
Dr. Kornfeld: Znr Desinfektion der Hebammen.
IV. Beibringung einer ärztlichen Bescheinigung über volle Ge¬
sundheit mit Hervorhebung freier Nasenatmung vor der Anstellung.
V. Vierteljährliche Untersuchung sämtlicher Arbeiter von
einem mit den Erscheinungen der Manganvergiftung völlig ver¬
trauten Arzte.
Zur Desinfektion der Hebammen.
Von Geriohtsarzt Dr. H. Kornfeld in Gleiwitz.
§.71 des Hebammenlehrbuches schreibt vor, wie die Heb¬
amme sich vor einer innerlichen Untersuchung zu desinfizieren
hat. Auf diesen Paragraphen wird Bezug genommen in §. 202
(Wendung) und §. 296 (Entfernung der Nachgeburt). Vergleicht
man diese Anweisung, wie die Hebamme sich desinfizieren soll,
mit denjenigen Vorschriften, welche in den Lehrbüchern den
Operateuren gegeben werden (z. B. die von Ahlfeld, Lehrbuch
d. Geb.; 1898, S. 146), so muss man es befremdlich finden, dass
für dieselben Eingriffe der Hebamme nicht eine ebenso präzise
Anleitung gegeben ist, wie den Geburtshelfern. So ist nicht
gesagt, wie lange die Hebamme ihre Hände bürsten soll; es ist
nicht darauf Rücksicht genommen, inwieweit eine 1 °/o ige Lösung
von Lysol den gegenwärtigen Anforderungen an ein Desinfektions¬
mittel genügt. Um nackzuweisen, wie wichtig in foro diese im
Lehrbuch vorhandene und in dem neuen zu verbessernde Unvoll¬
kommenheit werden kann, möge die Veröffentlichung des nach¬
folgenden Falles gestattet sein. Wenn auch in demselben eine
Verurteilung erfolgte, so wird sich doch zeigen, dass der be¬
zeichnet« Mangel sehr leicht zu einer Freisprechung hätte führen
können.
Die unv. W., Ip., 30 J., wurde yon der Hebamme J. entbunden. Un¬
mittelbar nach Austritt des Kindes erfolgte starke Blutung, wegen der zum
Armenarzt geschickt wurde. Nicht dieser, aber sein Vertreter kam — */* oder
1 Stunde später. Er fand gutes Aussehen und kräftigen Puls, die Gebärmutter
susammengezogen, keine Blutung, die Placenta z. T. zerfetzt. Ein Eingriff
schien ihm nicht angeseigt, und er verschrieb nur etwas gegen Wiederkehr
der Blutung. 4 Tage nachher, nachdem die W. schon einmal aufgestanden
war, wurde die Hebamme abends geholt, weil die Wöchnerin „tobte“. Sie
erklärte aber, nicht kommen zu können. Am nächsten Morgen machte sie
dann einen Besuch und liess den Arzt holen, der die W. sofort ins Krankenhaus
schickte. Es war Puerperalfieber schwerster Form vorhanden, und nach einigen
Tagen starb die Kranke. Die Sektion ergab: 2 kleine, festanhaftende Beste
der Placenta im Uterus; Eiter in der Wand an der Ansatzstelle der Placenta,
putride Entzündung der Uterusschleimhaut, Peritonitis, Pleuritis u. s. w. Die
Hebamme bestritt beim 1. Besuche des Arztes, dass sie die Placenta manuell
herausbefördert hätte, gab es aber später zu.
Zur mündlichen Verhandlung waren ausser Verfasser 4 Aerzte
geladen, die sämtlich den Kausalzusammenhang zwischen Eingriff
der Hebamme und der tötlichen Ansteckung bejahten. Verfasser
sprach sich dagegen im schriftlichen und mündlichen Gutachten
wie folgt aus:
Wenn man den Nachweis führen könne, dass die an der vorliegenden,
unzweifelhaften Infektion schuldigen Strepto-, 8taphylo- u. s. w. Kokken von
der Hand der Hebamme hergerührt hätten, so könne man eine anderweitige
ausschiiessen. Nun könne aber von der jedenfalls nicht skrupulös reinen
Dr. Baomm: Entgegnung nnf den Aufsatz des Herrn Med.-Bnte Dr. Coeeter. 619
Bettwäsche, den Unterlagen, der Hand der Entbundenen, ja von schon vorher
in der Vagina befindlichen — dort vorher nioht, aber nunmehr virulent
gewordenen — Bakterien die Ansatsstelie infiziert worden sein. Ja, die
desinfizierte Hand der Hebamme könne sie hineinbefOrdert haben, weil die
nur nach dem Lehrbuche erfolgte Desinfektion nach dem jetzigen Standpunkte
die Hand nicht steril mache. Operateure haben sich in peinlicherer Weise zu
desinfizieren; es befände sich demnach eine Lücke im Hebammen-Lehrbuch.
Auch über die Berechtigung zum Eingriffe spreche sich das Lehrbuch nicht prä¬
zise genug aus. Ob angeblich die Schwäche hochgradig genug, ob Brechneigung
vorhanden gewesen, sei nach dem ärztlichen Befunde zwar zweifelhaft; aber
die Hebamme, die bei einer Blutung mtlssig zusehen müsse, ohne das einzige
hier wirksame und tatsächlich mit Erfolg gegen sie angewendete Mittel ergreifen
zu dürfen, und die gleichseitig Angst haben müsse, wegen fahrlässiger TOtnng
infolge Unterlassung eines ihr gebotenen Eingriffes ins Gefängnis zu kommen,
wenn sie zu spät zur Entleerung der Gebärmutter schreite, sei jedenfalls sehr
milde zu beurteilen, wenn sie hier zu früh eingegangen sei. Der Fall liege
ähnlich wie bei einer Uebersohreitung der Notwehr. Die Hebamme müsse
allerdings ihre Approbation verlieren, aber gerichtlich • medizinisch liege nur
eine, im St.G. ß. nicht bedrohte, fahrlässige Gefährdung des Lebens vor.
Der Staatsanwalt beantragte l 1 /» Jahr. Der Verteidiger
hob insbesondere hervor, dass eine nnvorschriftsmfissige Des¬
infektion nicht nachgewiesen sei und dass auch nach Ausführung
des Gerichtsarztes die Infektion trotzdem durch die Hand der Heb¬
amme entstanden sein könne, also eine Schuld nicht sicher vor¬
liege. Nachdem aber anderweit bekundet worden war, dass die
Hebamme auch sonst unsauber, deshalb auch nicht mehr zu Ent¬
bindungen im Krankenhause zugelassen und als Bezirkshebamme
abgesetzt sei, nahm der Gerichtshof mit Rücksicht auf die unter¬
lassene rechtzeitige Herbeiholung des Arztes beim Auftreten des
Fiebers an, dass der Kausalzusammenhang genügend wahrschein¬
lich sei, und verurteilte die Hebamme unter Zubilligung mildernder
Umstände zu 3 Monaten.
Entgegnung auf den Aufsatz
des Herrn Med.-Rats Dr. Coester „Wochenbettfieber und
Fieber im Wochenbett“ in Nr. 9 dieser Zeitschrift
Von Dr. Baumm, Direktor der Hebammen-Lehranstalt zu Breslau.
Man pflegt Erwiderungen sofort zu machen. Leider war
mir das nicht möglich, weil ich erst jetzt Kenntnis von dem
Coesterschen Artikel bekommen habe. Ich bin nicht regel¬
mässiger Leser dieser Zeitschrift, auch ist mir bedauerlicher Weise
kein Abzug der Arbeit Coesters von der verehrlichen Redaktion
zugegangen. Ich kann aber, wenn auch spät, diese Arbeit nicht
unbeantwortet lassen.
Herr Coester stimmt meinen Vorschlägen für die Neube¬
arbeitung unseres Hebammenlehrbuches nicht bei. Gut. Zweck
meiner Arbeit war auch nur der, Meinungsäusserungen über das
wichtige Thema anzuregen. Er polemisiert aber, z. T. in per¬
sönlicher Weise, gegen Dinge, die ich nie verbrochen habe. Nur
ungenügende Bekanntschaft mit meinen Ausführungen und mit den
Bestimmungen des Hebammenlehrbuches haben ihn dahin gebracht.
Beweis:
P, Battnam: Botgegoting auf des Aafaaw dee Hart« Meä,*Rata Dr. Caestet,
1) Er kan» «ich nicht »ntecblksöe% iö)6i»er Ansicht, beizii-
;mmen r »dass die bisherige PflicM der Hebamme», bei einer
Temperatar von 38,5“ dem Kreisärzte Anzeige za m/statten, auf
-aben sei,“:. Wo steht diese Bestimmung'? teh kenne sie: nicht
»H t. habe daher auch nicht ihre ..Abschaffung verlangt, Herr
>-.ster verwechselt die Bestimmungen des Lehrbacbs aber die
Meldepflicht mit denjenigen über Herbeirutung des Arztes, Bei
38,5° ist der Arzt so rufen (§§.. 158, 308:, 333J. Die Melde¬
st ist sicht an eine bestimmte Temperaturhöhe
gebundbö, sondern laut §. 303 ist lediglich•WOekenbe^fleber
• r eine als eobdre verdächtige Krankheit dem Kreisarzt anzn*
$ß iigen. Was als verdächtig aazuseheu ist, davon buh 2 das Nähere
2) Herr Chester insinuiert mir die Ansicht, „dass eine
. geklagte Hebamme ■ nicht straffällig sei, wenn sie Fieber im
Woahenhetf dem Kreisarzt verschweige, sobald der zugezogene Arzt
•it die Diagnose auf Wochenbettfieber gestellt habe. 0 Wann und
WO. hat Herr Coester solches von mir gehört? In dem ange*
enen Termin mag er mich miseverstanden haben. Das ist
-cischuldbar. Unentschuldbar aber ist es, dass er meine achrift-
: h&n Ausführungen nicht mit derjenigenAufmerksamkeit gelesen
bat, die allein ihn zu einer Polemik gegen mich berechtigt hätte,
v. , iil wissend, dass die Aerzte den Ausdruck * Wocheubettfiober*
i- ;h Mdgfiickheit./vermeiden,' habe ich gesclirieben, letue und
trete ich auf Grund nicht meiner persönliche» Anschauung, wiu
fr Coe s t e r meint, sondern auf Grund des mir zwar zn milden,
•v-nnöch aber allein massgebenden Lehrbuches folgendesVer¬
dacht auf Wochen bsttäeber uud somit Meldepflicht, liegen für die
Hebamme bei jedem Fieber im Wochenbett vor, auch dann, wenn
der bebandefiide Arzt die Diagnose »Wocbeübettftöber“ nicht
.stoßt. Nur eine Aasnahme beäteht hier, nämlwlij wenn der Arzt
nimmt -eine andere Krankheit diagnostiziert, und damit Wochen-
J>* t rfieber ausschllesst. Typhus* Pneumonie, Diphtherie, Genick-
üre u$w, sind für die jäsbämmö nicht meldepflichtig und wenn
das Fieber dabei 42 8 ';erroiehtv-;~-.‘leider! denn der einzig in Be¬
fracht kommende §, 303 spricht nur vom Wocbenbetfcfieber. Die
Anordnung einzelner Kreisärzte, ausnahmslos bei B8,5° oder
r ähnlichen Temperatur ^n^dige zu erstatten, gellt über die
r . timamttgett des Lehrbuches hinaus und bedeutet unter Om-
Mfhüden eine Ueberschreituog ihrer Matditliefiognisse,
3) Lediglich in dem sub 2 :.ch»)ßaktBriüierten Trrtume be¬
engen konnte Ooeetef ausrufen; ^Dahth gelangt man, wenn
tou! die, Meldepflicht der Hebammen bestfeitOL' 1 Auf entstellte»
TrcUachea aufgebaut, fällt die Anklage in sich selbst zusammen.
4) Mit Erstaunen lese ich: »Der Ansicht, daes Beunruhi¬
gungen der Wdcbmsrirmen und der Familie» Ker^||erii|ehv'^M6a,;’
^*eun die- Hebammeu bei Tempomtursteigeruöge» . . gezwungen
> i, einen Arzt, zu rufen* kann ich nicht beistimraeu Mas muss
sehr auf dein Standpunkte der Naturheilmethodisten stellen, um
an etwas zu glauben. Kinder schreckt man wohl mit dem ,Onkel
l'vktor“ uswA Nicht die Zuziehung des Arztes, sondern
Dr. Coester: Bemerkungen so der yor« teilenden Erklärung.
621
die Meldung an den Kreisarzt habe ich als Beunruhigung
für Kranke und Umgebung bezeichnet. Wer wollte das leugnen P
Zum mindesten durfte ich verlangen, dass Herr Coester richtig
las, ehe er f&r gut fand, seine Bemerkungen über „Naturheilme¬
thodisten“ und den „Onkel Doktor“ vorzutragen. So sind sie
deplaziert und gerichtet.
Auf diesen unbegreiflichen Irrtümern Coesters baut sich
seine Schlussthese 4 auf: „Es ist im Interesse des Hebammen¬
standes, dass die Lehrer an Hebammenlehranstalten das Ver¬
hältnis der Hebamme zu ihrem Vorgesetzten Kreisärzte nicht
dadurch trftben, dass sie ihnen andere Lehren einprägen, als im
Hebammenlehrbuch stehen und dieselben bei gerichtlichen Terminen
vertreten.“ Wahrlich ein Vorwurf, wie er nicht schwerer unsere
Hebammenlehrer treffen kann und in erster Linie mich treffen
soll! Wo aber die Bausteine morsch sind, da ist das ganze Ge¬
bäude faul. Es bricht, ohne dass man daran rühren braucht,
von selbst zusammen. Vorsicht, dass es im Fall nicht den Bau¬
meister selber trifft!
Breslau, im Juli 1903.
Bemerkungen zu der vorstehenden Erklärung.
Von Med.-Rat Dr. Coester, Kreisarzt in Bnnslan.
Zunächst wiederhole ich, dass mein kleiner Aufsatz veran¬
lasst wurde durch das in öffentlicher Gerichtssitzung abgegebene
Gutachten des Herrn Dir. Baumm; ich habe ihm meine Absicht,
dieses öffentlich zu besprechen, auch sofort mündlich mitgeteilt.
Er belehre, so führte Herr B. damals aus, seine Schülerinnen
dahin, Fieber im Wochenbett nicht immer dem Kreisarzt anzu¬
melden, da es die verschiedensten Ursachen haben könnte. Dieser
Ausspruch wird unter Nr. 4 der vorstehenden „Erklärung“ zu¬
gegeben. Jeder Kreisarzt wird darin eine Einmischung in seine
Funktionen finden, da er die Hebammen seines Kreises auf das
Hebammenlehrbuch (insbesondere §. 303) und die Dienstanweisung
für Kreisärzte (§. 57) hinweisen muss, die vorschreiben, dass ihm
jeder Fall von Kindbettfieber, Gebärmutter- oder Unterleibsent-
zündung oder eine als solche verdächtige Krankheit gemeldet
werden muss. Eine Polizeiverordnung vom 24. April 1884 und
30. Januar 1886 bestimmt dasselbe für die Provinz Schlesien.
Ausserdem sind die Hebammen „als Personen, die mit der Pflege
und Behandlung der Erkrankten beschäftigt sind“, auch nach der
Polizei Verordnung vom 3. Juni 1901 verpflichtet, jeden Typhus-,
Diphtherie- u. s. w. Fall anzuzeigen, falls ein Arzt nicht zuge¬
zogen ist. Jedenfalls sagt das Hebammenlebrbuch (§. 304) klipp
und klar, dass die Hebamme bei Temperaturen über 38° stets in
erster Linie an Wochenbettfieber zu denken und sich demgemäss
nach §. 303 von dem Kreisarzt Verhaltungsmassregeln zu holen
hat. Wenn daher in einem gerichtlichen Termine in Gegenwart
einer Hebamme eine solche Aeusserung wie die vorher erwähnte
von dem Direktor einer Hebammenlehranstalt fällt, so bin ich
622
▲tu Versammlungen und Vereinen.
als Kreisarzt zur Aufstellung meiner Schlusstbese wohl berechtigt;
ich halte diese auch trotz des Einspruches des Herrn Dir. Baumm
in ihrer Allgemeinheit völlig aufrecht, weil solche Lehren in den sowie
so nicht immer klaren Köpfen von Hebammen nur Verwirrung,
wenn nicht bösen Willen und feindlichen Widerstand gegen die
gegebenen Vorschriften zum Schaden der Wöchnerinnen hervorrufen.
Damit fällt auch Nr. 2; denn ich insinuiere Herrn Dir.
Baumm nicht die Ansicht, dass eine angeklagte Hebamme nicht
straffällig sei, wenn sie Fieber im Wochenbett dem Kreisarzt
verschweigt, sobald der zugezogene Arzt nicht die Diagnose auf
Wochenbett gestellt hat, sondern Herr Dir. Baumm belehrt frei¬
willig ohne meinen Einfluss seine Schülerinnen selbst, nicht jeden
Fieberfall dem Kreisärzte mitzuteilen; er findet es eben nicht
strafbar, wenn die Meldung unterbleibt.
Der Ansicht des Herrn Dir. Baumm, dass nicht jeder
Fieberfall im Wochenbett dem Kreisärzte gemeldet zu werden
brauche, kann ich auch jetzt nicht beipflichten und würde es im
Interesse der Wöchnerinnen und mit Rücksicht auf die Disziplin
bedauern, falls diese Ansicht künftighin als massgebend anerkannt
werden sollte. Zugleich benutze ich die Gelegenheit, den be¬
rufenen Herren, welche meine kleine Arbeit so gütig aufgenommen
haben, meinen ergebensten Dank auszusprechen. 1 )
Bunzlau, den 6. August 1903.
Aut Versammlungen und Vereinen.
Versammlung der Medizinal beamten des Regierungsbez.
Magdeburg in Magdeburg am 26. April 1903.
Anwesend sind die Herren: Begiernngspräsident Dr. Baltz, der Vor¬
sitzende Reg.- and Geh. Med.-Bat Dr. Hirsch, die Kreisärzte Probst,
Moritz, Herms, Kühn, Strassner, Janert, Holthoff, Plange,
Thilow, Friedei, Klage, Sohade, Dippe and der Gerichtsarzt
Keferstein.
Der Vorsitzende begrflsste die Versammlung and dankte dem Herrn
Begiernngsprlsidenten für sein Erscheinen.
Der Begiernngspräsident dankte für die Begrtlssang and betonte
die Notwendigkeit gemeinschaftlicher Arbeit, am die neue Institution der
Kreisärzte ein- and darchsaführen. Die grossen Errungenschaften der Medizin,
besonders der Hygiene, haben dem Kreisarzt einen grossen Wirkungskreis zu¬
gewiesen, einen grosseren, wie früher, so dass kanm noch ein Gebiet der Ver¬
waltung vorhanden sei, wo nicht der Kreisarzt mit seinem Gutachten not¬
wendig werde.
Der Kreisarzt soll nach dem Gesetz der technische Berater des Landrats
sein, deshalb muss zwischen beiden ein kollegiales Verhältnis bestehen, ein
Verhältnis des gegenseitigen Vertrauens. Wie weit ein solches hier im Bezirk
besteht, sei ihm noch unbekannt, im Breslauer Bezirk, wo er bis zum 1..April
gewesen, habe sich jedenfalls das Kreisarztgesetz gut eingefübrt und dement¬
sprechend sich auch das Verhältnis zwischen Landrat und Kreisarzt entwickelt.
Zu Beibungen sei es nie gekommen, das sei auch Aufgabe des Taktes. Der
Begiernngspräsident wünscht, dass hier die Verhältnisse ebenso liegen.
Bei der Erfüllung seiner vielseitigen Aufgaben soll aber der Kreisarzt
nicht zu weit gehen, damit er die neue Institution nicht diskreditiert. Er
muss deshalb Mässigung walten lassen, denn das Bessere ist auch hier der
Feind des Guten; er muss auf die Verhältnisse, besonders auch anf die Finanz-
*) Damit ist für die Bedaktion die Angelegenheit erledigt.
Au Versammlungen und Vereinen.
628
läge der Gesamtheit nnd des einseinen Rücksicht nehmen.
Der Regierungspräsident schloss damit, er würde sich freuen, wenn er
in dieser Auffassung mit seinen Kreisärzten harmoniere.
Der Vorsitzende berührte vor der Tagesordnung noch kurz die
Schulrevisionen und wies besonders darauf hin, in die beizufügenden
Haud-*kizzen die Himmelsgegend nach Feststellung mit Kompass einzueichnen
und die Protokolle möglichst sofort und nicht zu grosserer Zahl gesammelt
einsureichen.
Hierauf wurde in die Tagesordnung eingetreten:
1. Dr. Keferstein referierte über gerichtsärztliche Sachver¬
ständigentätigkeit des Kreisarztes vor dem Amtsgericht in Straf¬
sachen. (Autoreferat.)
Uebertretungen, bei denen der Kreisarzt besw. der Gerichtsarzt
vorzugsweise als Sachverständiger gehOrt wird, sind zunächst solche der Kaiser¬
lichen Verordnung, betreffs Verkehr mit Arzneimitteln, vom 22.Oktbr.
1901. Hier ist gewissermassen ein Widerspruch zu beachten in der Freigabe
der kosmetischen Mittel. Letztere werden in der Verordnung als Mittel
erklärt znr Reinigung, Pflege oder Färbung der Haut und des Haares sowie zur
Reinigung und Pflege der Mundhöhle; da sie aber auch als Heilmittel freige¬
geben sind, kOnnen sie, soweit Haut, Haar oder Mundhöhle in Frage kommen,
sich in ihrer Wirksamkeit weiter erstrecken, nämlich bis zur Beseitigung und
Linderung von Krankheiten, denn das ist die in der Verordnung gegebene Er¬
klärung des Heilmittels; nur dürfen diese Mittel nicht Kreosot, Phenylsalizylat
oder Resorzin enthalten. Die Fabrikanten sind jetzt bestrebt, alles Mögliche
als kosmetische Mittel zu erklären; so z. B. ein Mittel gegen Fettsucht. Hier
kann aber von eiuer Haut-, Haar- oder Mundhöhlenpflege keine Rede sein; auch
muss man anerkennen, dass Fettsucht krankhaft ist, wenn arzneiliche Zube¬
reitungen gegen dieselben angewandt werden sollen.
Die Polizeiverordnung, betr. Verbot der öffentlichen Ankündigung von
Geheimmitteln, welche zur Verhütung oder Heilung menschlicher Krank¬
heiten dioncn sollen, wird gleichfalls nicht selten übertreten. Zur Entschuldi¬
gung wird angeführt, dass diese Mittel nur Hausmittel seien und aus durch
Kaiserliche Verordnung freigegebenen Vegetabilien beständen. Die Bezeichnung
als Hausmittel ist aber ganz willkürlich und die Freigabe der einzelnen Be¬
standteile ändert nichts daran, dass man verlangen muss, es sollen die Be¬
standteile und Mengenverhältnisse für jedermann bei der Ankündigung er¬
kennbar gemacht sein, sofern das Mittel nicht ein Geheimmittel sein soll. Als
HauB- oder Gennssmittel ist es nur dann anzusehen, wenn es nicht znr Ver¬
hütung oder Heilung menschlicher Krankheiten gebraucht wird, wobei als
Krankheit eine solche Abweichung des KOrpers gilt, welche die Erhaltung des
Organismus und seine vollkommene Leistungsfähigkeit zu gefährden droht. Bei
der Ankündigung von Geheimmitteln in der Zeitung ist nach dem ReichsprcBS-
gosotz auch der verantwortliche Zeitungsredakteur strafbar.
Zur Bekämpfung der Kurpfuscherei ist seit Herbst 1902 eine Poli-
zeiverordnung erlassen. Ziffer 3 verbietet hier Personen, welche, ohne approbiert
zu sein, die Heilkunde gewerbsmässig ausüben, öffentliche Anzeigen, sofern sie
über Vorbildung, Befähigung oder Erfolge dieser Personen zu täuschen geeignet
sind oder prahlerische Versprechungen enthalten. So wurde ein Kurpfuscher
verurteilt, welcher Harnuntersuchungen öffentlich angekündigt hatte, obgleich
er solche knnstgemäss nicht ausführen konnte, weil diese Anzeige geeignet war,
über seine Befähigung zu täuschen; ein anderer, weil er schnellste Hilfe ver¬
sprochen hatte, da diese Superlativform prahlerisch sei.
Bei Vergehen der Kurpfuscher gegen das Gesetz, betr. unlauteren Wett¬
bewerb, wird der Kreisarzt vor Gericht als Gutachter gehOrt, ob hierbei
wissentlich unwahre und zur Irreführung geeignete Angaben tatsächlicher Art
gemacht worden sind. Hierbei kann der verantwortliche Zeitungsredakteur,
falls auch gegen diesen ein Strafantrag gestellt ist, gleichfalls bestraft werden.
Diese letztere Massnahme hat bewirkt, dass die marktschreierischen Ankündi¬
gungen selten geworden sind, weil der Redakteur aus Furcht vor Strafe solche
Anzeigen nicht nfehr in seine Zeitung aufnimmt.
Verhältnismässig wenig wird der ärztliche Sachverständige vor dem
Schöffengericht in Anspruch genommen bei Körperverletzungen, we :<
624
Ans Versammlungen and Vereinen.
#
bei leichteren Verfettungen, wie solche nnr vor dem Schöffengericht abge-
urteilt werden, das schriftliche ärztliche Gutachten verlesen werden kann
ohne persönliche Vernehmung des Sachverständigen.
Selten wird auch vor dem Schöffengericht der Sinwand der Geistes¬
krankheit gemacht, weil der Betreffende befürchten muss, in eine Irren¬
anstalt kommen su können, und einen solchen Aufenthalt mehr scheut, als
eine karse Gefängnisstrafe. Nnr Landstreicher nnd derartige Personen
kommen hier mit diesem Einwand, nm dem Arbeitshauso zu entgehen; auch
bei jugendlichen Personen wird dieser Einwand gelegentlich von den Ange¬
hörigen erhoben.
2. Dr. Friedei sprach über Manganvergiftung nnd stellte den be¬
treffenden Kranken vor. (Siehe S. 614.)
In der Diskassion fragte der Regierungspräsident, welche
Schutzmassregeln die Berufsgenossenschaft getroffen habe, und ob die Lente
Kenntnis besässen, dass sie in einem gefährlichen Betriebe arbeiten. Friedel
verneinte letzteres, teilte aber mit, dass regelmässige periodische Untersuchungen
stattfinden sollen. Kühn fragte nach etwaiger hereditärer Anlage zu Nerven¬
krankheiten. Moritn erwähnte seine Erfahrungen, wonach in Solinger Schlei¬
fereien Exhanstoren, welche der Vorsitzende in Anregung brachte, durch Zug¬
luft häufig noch mehr Staub aufgewirbelt haben. Bei Besprechung etwaiger
Unfallentschädigung der Erwerbsbeschränkung wies Strassner darauf hin,
dass hier nur eine Gewerbekrankheit, kein Unfall in Frage komme.
8. Dr. Schade machte Verbesserungsvorschläge ihr ein neues
Hebammenlehrbueh. (Autoreferat.)
Er kritisiert die Vorschläge Baum ms in Nr. 7 der Zeitschrift fürMedl-
sinalbeamte und wünscht vor allem klare unzweideutige Vorschriften über das
Verhalten der Hebammen bei Fieber und Wochenfieber. Er hält am Thermometer,
als dem Hauptkriterium des Fiebers, fest nnd kann von Baum ms Vorschlägen
in dieser Beziehung keine Besserung erwarten. Er will ferner die Meldepflicht
der Hebammen unabhängig von der Diagnose deB behandelnden Arztes machen,
einmal auf Grund eigener Erfahrungen, zweitens weil die Hebamme zur
Meldung verpflichtet sei, der Arzt aber nicht, und Entscheidungen vorlägen,
nach denen die Hebamme wegen unterlassener Meldung des eigenen Verdachts
des Kindbettfiebers bestraft sei, der Arzt aber straffrei ausging, und drittens,
weil die Hebamme oft bei den Besuchen des Arztes nicht zugezogen und der
Arzt auch za einer Meldung seiner Diagnose an die Hebamme nicht verpflichtet
sei. Heute erführe die Hebamme die oft falsch verstandene oder verklausulierte
Diagnose des Arztes nicht selten auf Umwegen; durch diese Verzögerung ent¬
ständen stets Gefahren für andere Wöchnerinnen.
Im übrigen lauteten seine Leitsätze:
,1. Die Hebamme hat über jede WOchnerin einen Temperaturzettel su
führen; die Eintragungen in diesen haben regelmässig bei jedem Besuch sofort
nach der Messung sn erfolgen.
2. Der Kreisarzt hat nach einem vom Regierungspräsidenten su ge¬
nehmigenden Plane die Hebammen seines Kreises an ihrem Wohnort su kon¬
trollieren, insbesondere auch darauf, dass die Eintragungen in das Tagebuch
und die Temperaturzettel regelmässig erfolgen.
8. Besteht Fieber zwischen 87,9—88,3°, so ist die Zuziehung eines
Arztes geraten, ebenfalls, wenn die Hebamme aus schlechtem Allgemeinbefinden,
Schmerzhaftigkeit des Leibes oder sonstiger Ursache auf eine Erkrankung der
WOchnerin schliesst.
4. Die Zuziehung eines Arztes ist stets su verlangen, wenn der Thermo¬
meter in der Achselhöhle der WOchnerin 88,6° C. zeigt, oder wenn das Fieber
zwischen 37,9—38,6° auch am zweiten Tage nicht unter diese Temperatur
gefallen ist.
5. Findet die Hebamme hierbei eine besondere Schmerzhaftigkeit des
Leibes und übelriechenden Ausfluss oder eine ansteckende Krankbeit, oder be¬
findet sich eine an solcher Krankheit leidende Person in der Wohnung der
Hebamme oder WOchnerin, so ist gleichseitig der Kreisarzt zu benachrichtigen.
6. Derselbe ist ebenfalls su benachrichtigen, wenn dem Verlangen der
Hebamme, einen Arzt su rufen, nicht entsprochen wird, oder wenn der be¬
handelnde Arst Kindbettfieber oder eine ansteckende Krankbeit feststellte,
Ans Versammlungen and Vereinen.
626
oder wenn er den Verdacht, dass es sich am Kindbettfieber oder am eine
andere ansteokende Krankheit bandele, nicht aossobliesaen kann. Diese Fragen
sind dem behandelnden Arste in vorstehender Form vorzulegen and die Dia¬
gnose des Arztes dem Kreisarzt za melden. Za diesem Zwecke erhält die
Hebamme frankierte Meldekarten mit Vordruck.
7. Ueber jede Zuziehung des Arztes, jede Erkrankung and jeden Todes¬
fall hat die Hebamme mit Angabe der Ursachen eine Notiz unter Bemerkungen
im Eatbindnngsverzeichnis einzntragen. Die Ueberschriften der betreffenden
Rubriken sind entsprechend abzuändern.
8. Am Schlüsse des Verzeichnisses hat die Hebamme za versichern, dass
die Eintragungen im Verzeichnis richtig, keine Entbindung aasgelassen sei and
alle Fragen nach bestem Wissen beantwortet worden.
9. Um Unterschlagnngen von Todesfällen im Wochenbett im Ent-
biadangsVerzeichnis der Hebammen dem Kreisarzt auffindbar za machen, haben
die Standesbeamten bei Todesfällen im Wochenbett ein W. am Rande der
Sterbekarten za verzeichnen. Das statistische Bnrean hat diese Karten dem
Kreisarzt vorzulegen.“
In der Diskassion erklärt Kluge, dass in seinem Kreise jetzt wohl
jeder Kindbettfieberfall gemeldet werde; erreicht habe er dies durch einige
Bestrafungen von Hebammen und Belehrung im Hebammenverein. Er erwähnt
als erschwerend die Opposition der Aerzte, besonders der Gynäkologen;
Keferstein teilt als Erfahrung aus seinem früheren Kreise mit, dass Baumm
die Hebammen im Kursus lehre, dass sie Kindbettfieber nnr auf Grund ärzt¬
licher Diagnose zu melden hätten.
Auch der Regierungspräsident beteiligte sich wiederholt an der
Diskussion. Her ms erwähnt die obligatorische Leichenschau als bestes Mittel
gegen Unterschlagung der Todesfälle.
4. Kluge behandelte die Schularztfrage für ländliche Gemeinden.
(Autoreferat.)
Im Anschluss an sein am 16. Dezember 1902 in der amtlichen Konferenz
der Mediziaalbeamten des Regierungsbezirks erstattetes Referat: „Ueber die
bisherigen Erfahrungen bei den kreisärztlichen Schulbesichtigucgeu“ spricht
Referent über die „Schalarztfrage für ländliche Gemeinden“.
In der Spalte 12 des Formulars IX der Dienstanweisung für die Kreis¬
ärzte sind unter der Ueberschrift „Krankheiten der Schulkinder“ Fragen ge¬
stellt, deren genaue Beantwortung eingehende Untersuchungen aller Schalkinder
voraassetzt, andernfalls haben die Ergebnisse keinen Wert. — Solche Unter¬
suchungen erfordern viel mehr Zeit, als dem Kreisarzt jetzt für die Besichtigung
der Schulen einer Ortschaft zur Verfügung steht, aber auch gesetzt, er hätte
die Zeit dazu, so sind die Ergebnisse ohne wesentlichen Nutzen, da sie nur
alle 5 Jahre kontrolliert werden können. — Eine Untersuchung des neu in den
Schulunterricht eintretenden Kindes ist im Interesse einer „vollkommenen Schul¬
hygiene“ aber ebenso notwendig, als die Ueberwachung der gesundheitlichen
Beschaffenheit des Gebäudes nebst Zubehör, desgleichen die fortlaufende Ueber¬
wachung der gesundheitlichen Entwickelung durch halbjährige oder wenigstens
jährliche Wiederholang der Untersuchungen, wenn auch in nicht so eingehender
Weise, wie beim Eintritt in die Schale. Die Durchführung dieser Massregel
wird die Notwendigkeit der Anstellung von Schulärzten auch für ländliche
Gemeinden ebenso herbeiführen, wie dies jetzt in den meisten grösseren Ge¬
meinwesen bereits der Fall gewesen ist. — Nach Ansicht des Referenten soll
sich die Tätigkeit der Schulärzte auf dem Lande völlig auf die gesundheitliche
Kontrolle der Kinder beschränken; die Kontrolle der Gebäude etc. ist lediglich
dem beamteten Arzt Vorbehalten.
Die Untersuchung der neu in den Schulunterricht eintretenden Kinder
hat sich auf allgemeine Körperbeschaffenheit und Ernährungszustand (eventuell
mit Gewichtsbestimmungen), auf den Zustand der Eingeweide in den grossen
Körperhöhlen (speziell Lungen und Herz), auf den ZnBtand der Sinneswerkzeuge
(Gesicht, Gehör) und eventuell auch auf den Zustand der Zähne zu erstrecken.
— Körperliche Gebrechen, Hautkrankheiten werden bei der Feststellung der
allgemeinen Körperbeschaffenheit gleich mit festgestellt. — Der bei der Unter¬
suchung anwesende Lehrer trägt den Befand in vorgedruckte Schemata (ärzt¬
liche Stammrolle) ein, welche als Anhalt bei den jährlichen bezw. halbjähr-
626
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
liehen Gesundheitskontrollen sämtlicher Schulkinder dienen. — Nach angestellten
Berechnungen wird ein Schularzt für die Aufsicht über 700 Kinder zu den
Untersuchungen und Besichtigungen im ganzen 28 bis 80 Stunden im Schuljahr
nötig haben, die sich auf einen Zeitraum von 2‘/»— 3 Wochen verteilen würden.
Mit der schulärztlichen Tätigkeit würden am besten die praktischen
Aerzte zu beauftragen sein, welche in dem Ort bezw. in dem Bezirke die
Praxis aasüben (also analog der Binrichtnng bei der öffentlichen Impfung).
Oie grösste Schwierigkeit bei Einführung von Schulärzten für ländliche
Gemeinden würde, wie bei fast allen die Gesundheitspflege betreffenden Neue¬
rungen, die Lösung der Kostenfrage bilden. — Berger-Hannover ist für
Uebernahme der Kosten auf den Kreis und berechnet für einen solchen von
30000 Einwohnern die Gesamtkosten auf nur 1200 Mark, indem er annimmt,
dass ein Schularzt für seine Tätigkeit bei 700 Kindern 160 Mark erhalten solle,
allerdings vorausgesetzt, dass er in denselben Bezirken impf- und Vertrauens-
ärztliche Tätigkeit mit besonderem Honorar austtbt.
Nach Berechnungen des Referenten Bind diese Kosten zu gering veran¬
schlagt. Sie werden mindestens das doppelte betragen müssen, wenn gute und
zuverlässige Aerzte gewonnen und damit zuverlässige Resultate erreicht
werden sollen.
Der Kreisarzt muss für sämtliche Schulärzte die Zentralinstanz bilden,
an ihn müssen alle Berichte und Vorschläge gehen. Konferenzen des Kreis¬
arztes mit den Schulärzten würden zur gemeinsamen erspriesslichen Tätigkeit
sich als notwendig erweisen.
Oie Diskussion eröffnet Friedei mit der Erklärung, dass nach
seinen Erfahrungen auf dem Lande bei den vorliegenden Verhältnissen Schul¬
ärzte nicht notwendig seien; er warnt, mit den Forderungen zu weit zu gehen,
und erinnert daran, dass man in Greifswald bereits die Schularzttätigkeit als
überflüssig erkannt und eingestellt habe. Kühn will das nicht unterschreiben;
er wünsche eine solche Gesundheitskontrolle; die Notwendigkeit bestehe unbe¬
dingt, aber es fehle noch an dem notwendigen Verständnis dafür. Der Re¬
gierungspräsident hält die allgemeine Einführung der Schularzttätigkeit auf
dem Lande noch für verfrüht, man solle erst die Erfahrungen der Städte mit
dieser Einrichtung ab warten; die Forderungen, welche das Kreisarztgesetz
bedingt, sind für ländliche Gemeinden schon jetzt und noch für längere Zeit
recht erhebliche.
Auf die Anfrage von Herms, wie es mit der in Aussicht gestellten
Desinfektionsordnnng stehe, erwidert der Vorsitzende, dass eine solche
für die Provinz in Bearbeitung sei und bald erscheinen werde.
Infolge der weiteren Mitteilung von HermB, dass in seinem Bezirk
häafig Granulöse bei den fremden Arbeitern vorkomme, aber häufig von den
Aerzten nicht als solche erkannt werde, wurde darauf aufmerksam gemacht,
dass sie nach anderer Erfahrung, besonders auch der Magdeburger Augenärzte,
hier nicht gerade häufig vorkomme. Auch sprach der Regierungspräsi¬
dent über seine Erfahrungen, die er bezüglich der Granulöse alB Landrat des
Kreises Gr. Wartenberg gemacht hat, und beauftragte Herme, einen
amtlichen Bericht über diese Frage zu erstatten, um auf Grund der Unterlagen
der Angelegenheit selbst näher treten zu können.
Dr. Strassner-Magdeburg.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitätswesen.
Die Blutserumtherapie bei der Dysenterie. Von Prof. Dr. K r u s e.
Aus dem hygienischen Institut der Universität Bonn. Deutsche Med. Wochen¬
schrift ; 1903, Nr. 1 und 3.
Verfasser berichtet zunächst über seine Heil- und ImmunisierungsveTsuebe
an Tieren mit dem von ihm hergestellten Rohrheilserum. Darnach gelang
es ihm, Meerschweinchen, die mit Ruhrbazillen infiziert waren und ohne Be¬
handlung nach sieben bis zehn Tagen gestorben wären, noch durch die am
dritten Krankheitstage eingeleitete Blutserumtherapie zu heilen. Desgleichen
Kleinere Mitteilangen and Referate aas'Zeitschriften.
627
genügte der aohtsigtansendete Teil eines Grammes Ruhrsernm, am Meerschwein*
eben ror dem sonst binnen 24 Standen erfolgenden Tode durch Rahrbasillen
sn retten.
Für die Wirkung des Rahraernms auf den Menschen war non die
Beobachtang wichtig, dass, wenn Blatsernm gesunder Menschen mit Rahrbasillen
geimpft and zu diesem Gemisch eine Spar, z. B. der tausendste Teil Rahr-
seram hinsagefttgt wurde, binnen wenigen Standen die Bazillen, statt zn wachsen
and sich zu vermehren, ihre normale Form und ihr Aussehen veränderten, auf-
qaollen, sich teilweise aaflösten and schliesslich mit Zarttcklassnng spärlicher
kOrniger Reste ganz verschwanden.
Verfasser zog aas diesem Versaohsergebnis mit Recht den Schloss, dass
das Blutserum des normalen Menschen durch Zuführung von Rnhrseram in den
Stand gesetzt wird, der Rahrbasillen Herr zn werden.
Es frag sich jetzt: Entspricht die Praxis der Theorie and bat die Blot*
sernmtherapie wirklichen Wert bei der Ruhr? Obwohl Krnse das von ihm
hergestellte Serum unentgeltlich zur Verfügung stellte nnd bei den Aerzten
allenthalben das freundlichste Entgegenkommen fand, weist seine Liste über
Versuche bei Menschen doch nur etwa 100 Kranke anf. Von diesen sind 8 = 8°/ 0
gestorben, während 10—11 °/ 0 Mortalität bei Ruhrepidemien die regelmässige Sterb¬
lichkeitsrate ist. Bleiben ausserdem drei Fälle ausser Betracht, bei denen es sich
zur Zeit der Serameinspritzung schon nm Todeskandidaten handelte nnd diese
somit von vornherein keine Aussicht auf Erfolg bot, so ergibt Bich eine Mor¬
talität von nur 5°/ 0 . Die gleiche Sterbeziffer stellt sich heraus, wenn man nur
die von den Krankenhäusern mit Serum behandelten Ruhrkranken (86) berück¬
sichtigt, von denen 4 starben, eine jedenfalls recht günstige Ziffer, nament¬
lich wenn man bedenkt, dass die drei oben erwähnten Todeskandidaten, bei
denen die Behandlung von vornherein aussichtslos erschien, dazu gehörten, nnd
dass 19 von diesen Krankenhanspatienten im Alter von unter zehn Jahren
standen and von diesen nur einer verstorben ist, während die Sterblichkeit
sonst in diesen Altersklassen durchschnittlich dqs drei- bis vierfache beträgt.
Hervorgehoben zn werden verdient ferner der mehrfach beobachtete abortive
Verlauf der Krankheit nach der Einspritzung.
Das Urteil der Praktiker, die das Serum znr Anwendung gebracht haben,
lässt sich dahin zusammenfassen, dass die grosse Mehrzahl von ihnen, and
zwar gerade diejenigen, die die meisten Fälle zu behandeln hatten, einen deut¬
lichen Einfluss der Sernmtherapie, insbesondere bei den frischen Fällen, gesehen
haben wollen nnd zwar insofern, als die Schwere der Erkrankung and der Re¬
konvaleszenz abgekürzt, die Zahl der Todesfälle vermindert wird.
Nach Ueberzengung des Verfassers würde der Erfolg der Serambehand-
luDg ein noch günstigerer gewesen sein, wenn gleich von Anfang an grössere
Dosen des Serams eingespritzt worden wären. Zunächst hatte er geglaubt,
die Dosis für den Erwachsenen anf 10 ccm, für die Kinder auf die Hälfte be¬
messen zu müssen; später hat er jedoch gesehen, dass die doppelte Menge,
also 20 ccm, auf einmal oder in zwei Portionen, nicht nur von den Erwachsenen,
sondern auch von Kindern ausgezeichnet vertragen wurde and bessere Heil-
resaltate ergab.
Ueber den prophylaktischen Wert des Rnhrsernms kann Krnse
noch nichts Sicheres aussagen, obwohl er überzengt ist, dass gerade diese
Art der Anwendung die besten Aussichten auf Erfolg bietet. Im ganzen
sind im Jahre 1902 10 solche Einspritzungen in Familien, in denen Rahr-
erkrankungen vorgekoinmen waren, gemacht. Neunmal trat bei den Ge¬
spritzten keine Infektion auf, einmal erfolgte sie am dritten Tage nach der
Einspritzung von 2 ccm Serum; der Termin der Injektion fiel danach schon
in die Inkubationszeit. Jedenfalls liegt es im Interesse der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege, dass die praktischen Aerzte, vor allem aber die Anstaltsärzte
und Medizinalbeamten von diesem sicher rationellen Vorbengnngsmittsl künftig¬
hin allgemeinen Gebranch machen. Es wird ihnen dies dadurch wesenU*“
erleichtert, dass der Verfasser das von ihm hergestellte RubTsernm nnen 1
lieh abgebe (s. Notiz anter Tagesnachrichten).
Nicht za beeinflussen dnrch das Rnhrseram sind die Amöbendysi
und die sogenannte Pseadodysenterie, die teils sporadisch, teils als Rui
Irren vorkommt. Rpd.
628
Kleinere Mitteilangen and Referate ans Zeitschriften.
Ueher Fütter ungstuberknlose. Von Prof. Dr. v. Esnsemtsn. Vor¬
trag, gehalten am 4. Februar 1908 in der Berliner medizin. Gesellschaft.
Berliner klinische Wochenschrift; Nr. 7 n. 8, 1908.
Kochs Aufforderung an die pathologischen Institute, ihm Fälle von
primärer Ffltternngstnberknlose zugänglich in machen d. b. Fälle von angeb¬
licher Infektion nach Gennas von Perl9nchtmilch unter Berücksichtignng gewisser
Bedingungen (Obduktion, Ausschluss anderer Infektionsquellen, Verhalten der
übrigen Personen, die dieselbe Milch genossen haben, Nachweis der Euter-
tuberkulo8e) ist anerfüllbar, da selbst in denjenigen Fällen, wo naebgewiesen
wurde, dass die Patienten tnberkelhaltiges tierisches Material genossen hatten,
es immer noch möglich ist, dass auch noch ansserdem menschliche Tuberkel-
bazillcn aufgenommen worden. Mit dieser Einschränkung veröffentlicht Ver¬
fasser 25 Fälle primärer Darmtuberkulose, sichere Fälle, bei denen die Tuber¬
kulose vom Darm ihren Ausgangspunkt genommen hat. Sie verteilen sich
über 7 Jabre. Zunächst 5 Fälle, bei denen sich ausschliesslich ein tuber¬
kulöses Geschwür im Darm als Nebenbefund nnd sonst nichts von Tuberknlose
fand. Die weiteren 12 Fälle waren solche, bei denen die Tuberkulose sich von
einem Darmgeschwür ausgehend auf die mesenterialen Lymphdrflsen oder auf
das Peritoneum fortgepflanzt hatte, während im übrigen Körper sich nichts
von Taberkulose vorfand. Dann folgen Fälle mit Ausbreitung der Tuberkulose
auf die Bauchhöle und zum Schluss solche, die an Tuberkulose endeten, deren
Deutung jedoch zur Annahme primärer Darmtuherknlose führen musste. Bin
Teil der primären Darmtuberkulosen heilt aus; die schweren zum Tode
führenden Fälle bilden die Ausnahmen. Darch irgendwie kranke, entzündete
oder ulzerierte Schleimhäute können Tuberkelbazillen hindurebgehen, ohne an
der Eingangspforte haften zu bleiben, besonders an den Stellen lymphatischer
Einrichtungen (Tonsillen, Darmfollikeln). Auch primäre Mundschleimhauttuber¬
kulose ist keine Seltenheit (oft mit Zungenkrebs verwechselt), dagegen primäre
Tonsillentuberkulose äus9erst selten, ebenso Tuberkulose des Magens. Die
Speiseröhre ist noch niemals als Eingangspforte bezeichnet worden. Am
meisten kommen tuberkulöse Geschwüre im Ileum in der Gegend der Bauhin-
sehen Klappe and im Dickdarm vor. Von den mit Lungenschwindsucht be¬
hafteten Menschen, die ihre Taberkulosebasillen in Massen verschlucken
(Kinder unter 10 Jahren) bekommen nur wenige Darmtnberkulose. Man muss
daher für die primäre Darmtuberkulose eine gewisse Disposition vorausaetzen.
Verfasser kommt zu folgenden Schlüssen: Die primäre Ftttterungs-
tuberkulöse vom Darm aus ist eine seltene Erkrankung. Sie kommt meist bei
Schwerkranken und Greisen oder bei besonders disponierten Individuen vor.
In den meisten Fällen kann sie frühzeitig ausheilen. Zuweilen nimmt sie
grössere Dimensionen an und kann durch Propagation auf andere Organe oder
allerhaud Zufälligkeiten den Tod herbeifuhren. Es ist bisher in keinem Fall
beobachtet worden, dass durch Infektion vom Darm aus eine Lungenschwind¬
sucht entstanden wäre und insofern kommt Verfasser, wenn auch auf ganz
anderen Wegen zu demselben Schluss wie Koch.
_ Dr. Räuber-Düsseldorf.
Fütterungstuberkulose ln einer Abdeckerei. Von Dr. med. vet.
Köhler. Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene; 1908, Nr. 6.
Im Schlachthause der 8tadt Bremen beobachtete man, dass die Schweine
einer dortigen Abdeckerei durchweg stark tuberkulös waren. Der Besitzer
verfütterte an dieselben z. T. als untauglich auf dem Schlachthofe bean¬
standetes und ihm zur technischen Verwertung überwiesenes Fleisch nnd Organ¬
teile. Naturgemäss befand sich darunter viel tuberkulöses Material. Es steht
fest, dass alles derartige Fleisch vor dem Abholcn zerschnitten und reichlich
mit Petroleum ttbergossen war. Ferner wurde seitens des Wasenmeisters be¬
hauptet, dass stets die betr. Stücke vor der Verfütterung 9 Stunden lang (?)
stark, allerdings in einem gewöhnlichen, grossen Kessel, gekocht haben. Dass
sie in der Tat gründlich gekocht gewesen sind, ist anznnehmen, weil die Schweine
das mit Petroleum stark übergossene Fleisch sonst nicht gefressen haben
würden. Das Kochen muss aber dennoch nicht stark genug gewesen sein, da
die Taberkelbazillen durch dasselbe nicht abgetötet wurden.
Der Fall liefert einen unfreiwilligen Beitrag zu der Lehre von der
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
629
F&tternngstnberknlose nnd neigt, wie notwendig stellenweise noch eine Rege¬
lung des Abdeokereiwesens ist Dr. Schrakamp-Düsseldorf.
Beitrag tarn Studium der Binder- und menschlichen Tuberkulose.
Von Dr. Angelo Cipollins. Aus dem Institut für das Studium der Tuber¬
kulose in Genua, Direktor Prof. D. Maragliano. Berl. klin. Wochenschrift,
Nr. 8. 1908.
Cipollina gelang es, einen weiblichen Affen darch Fütterung mit
Milch, die eine Aufschwemmung von tuberkalöien Rinderbazillen enthielt, all¬
gemein tuberkulös zu machen (tuberkulöse Peritonitis, Schwellang and käsige
Entartung der Mesenterialdrüsen, tuberkulöse Knoten in Milz, Nieren,
Lungen. Magenschleimhäut und Darmscnleimhant intakt). Ein Kalb wurde
mit Inhalationen von Bazillen menschlicher Taberknlose, später mit Injektionen
von Aufschwemmungen solcher Bazillen in das Peritoneum behandelt. Bei der
Autopsie keine Tuberkulosis, also Widerstand gegen menschliche Taberknlose.
Der menschliche Bacillus ist auf alle Haustiere übertragbar, die empfindlich
sind für den Rin lerbacillns mit dem Unterschied, dass der erstere fast immer
weniger virulent erscheint als der zweite. Verfasser zieht daraus in Ver¬
bindung mit seinen Versuchen den Schluss, dass der Rinderbacillus auch für
den Menschen virulenter ist als der menschliche Bacillus selbst.
_ Dr. Räuber-Düsseldorf.
Zur Kritik der Tuberkulosefrage. Von Dr. Sohottelius. Zieg¬
lers Beiträge zur patholog. Anatomie usw.; Bd. XXXIII, H. 1—2, S. 32.
Verfasser betont die Gefährlichkeit des Spntnms von Phthisikern hin¬
sichtlich der Verbreitung der menschlichen Taberknlose. Er vertritt die An¬
sicht, dass auch die weitaus grösste Zahl der Fälle von Rinder¬
tuberkulose direkt durch Infektion mit den Auswurfstoffen
(Dejektionen, besonders aber das Sputum) tuberkulöser Menschen
(Melker, Kuhmägde usir.) entstehe. Es ist ihm gelungen, durch längere
Zeit hindurch fortgesetzte Fütterungsversuche bei 3 Rindern, denen Futter
mit grösseren Mengen tuberkulösen Sputums infiziert wurde, Tuberkulose, und
zwar Ftttterungstuberkulose hervorzurufen. Besonders beweisend lür die Mög¬
lichkeit einer auf diesem Wege erfolgenden Uebertragung der menschlichen
Tuberkulose auf das Rind erscheinen ihm die Befunde bei zwei Kühen.
_ Dr. Riesel-Leipzig.
Der Kampf gegen die Tuberkulose als Volkskrankheit. Von Dr.
Jalius Katz. Berliner Klinische Wochenschrift; Nr. 6, 1903.
Wenn aus den Berichten des Reichsversicherungsamts hervorgeht, dass
die Sterblichkeit an Tuberkulose abgenommen hat, so scheint dies bei den in
Kassen organisierten Industriearbeitern nicht in gleichem Masse der Fall zu
sein. Bei einer Anzahl Berliner Kassen betrug die Sterblichkeit 1894 : 38,
1896 : 28, 1898 : 37 und 1901: 35 auf je 10000. Die an die Errichtung von
möglichst viel Heilstätten geknüpften Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Nach
der Engelmannschen Statistik sind von 424 Patienten, die sich bei der
Aufnahme im ersten Stadium befanden, nur 44 °/ 0 nach 3‘/*—4 Jahren arbeits¬
fähig geblieben. Dazu kommt, dass unter diesen 66,3 °/ 0 waren, bei denen man
keine Taberkelbazillen gefunden hat — also vielleicht nur anämische. Segens¬
reich hat die Heilstättenbewegung dadurch gewirkt, dass sie das Volksgewissen
aufgerttttelt hat; man darf sich aber nicht mit den erzielten Erfolgen be¬
gnügen, sondern muss eine weitere Ausgestaltung der Tuberkulösen-Fürsorge
fordern.
Verfasser tritt für grössere Berücksichtigung des Klimas ein, die in der
letzten Zeit fallen gelassen worden ist. Auch Erb hat vor kurzem betont,
dass zur Erzielung energischer klimatischer Wirkung es eines Klimawechsels
bedarf. Den unleugbar günstigen Einfluss mancher Klimate und des Klima¬
wechsels für die Tuberkulösen sollte man ausnützen. Ein begrenzter Aufent¬
halt von ein paar Monaten, selbst im günstigsten Klima der Welt genügen
aber nicht, lungenkranke Arbeiter dauernd gesund zu erhalten, wenn der Kur
nicht eine Kolonisierung dieser Patienten als Ackerbauer und Landwirte ip“^
einem Klima folgt, das für den dauernden Aufenthalt von Phthisikern geeigr
630
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
ist. Eine Kolonisation in Deutschland, wie von anderer Seite empfohlen, ist
nicht gtlnstig; dagegen entspricht allen notwendigen Anforderungen Deutsch*
West-Afrika, wie alle Personen, die dort gelebt haben, bestätigen. Warum
sollten unsere deutschen Arbeiter nicht Heimat und Beruf verlassen, um
im fremden Lande Gesundheit und Existenzmöglichkeit wiedersugewinnen.
Nicht minder wichtig ist die finanzielle Durchführbarkeit des Kolonisa-
tionsplanes. Von den Landesversicberungsanstalten sind in den letzten
Jahren 5 Millionen fttr die Tuberkulosebekämpfung und aber bO Millionen fOr
andere gemeinnützige Zwecke aufgewendet worden, während das von diesen
Anstalten aufgesammelte Kapital aber 900 Millionen beträgt. Ein kleiner Teil
dieser Samme konnte fOr koloniale Zwecke aufgewendet werden. Ferner
werden später durch eine Zentralisierung der tuberkulösen Behandlung inner¬
halb der Krankenkassen grosse Summen fOr den gedachten Zweck frei werden.
Der vierte bis fünfte Teil aller Kraokenhausausgaben, die sich 1900 auf 176 Mil¬
lionen beliefen, wird fttr die Behandlung der Phthisiker aufgewendet. Mit
diesen 35—10 Millionen könnte eine ganz andere planvolle Verwendung ermög¬
licht werden als bisher.
Verfasser bittet, seinem eine wertvolle Ergänzung bildenden Plan zur
Durchführung za verhelfen. Dr. Räuber- Düsseldorf.
Tuberkulosebekämpfung. Ausgearbeitet für einen Vortrag am 12. April
1903 im Wiener Verein für innere Medizin. Von E. ▼. Behring in Marburg
(Lohn). Berliner Klin. Wochenschrift; Nr. 11, 1903.
B. legt den gegenwärtigen Stand seiner tierexperimentell gewonnenen
tuberkulosetherapeutischen Ergebnisse dar, nachdem die Institutsexperimente
zum Studium der Tuberkuloseschutzimpfung an Bindern im wesentlichen abge¬
schlossen sind. Seine weiteren Versuche an Bindern geschehen nur noch, um
für den Menschen eine praktisch durchfürbare schützende Behandlung auf
sichere experimentelle Grundlagen zu stellen. In Bezug auf die Schutzimpfung
von Bindern verweist B. auf seine Veröffentlichung in Johns Zeitschrift für
Tiermedizin: »Die Jennerisation als Mittel zur Bekämpfung der Rindertuber-
kulose in der landwirtschaftlichen Praxis“.
Die für die Bekämpfung menschlicher Tuberkulose wichtigen Versuchs¬
ergebnisse beziehen sich auf das Verhalten von Bindern in den verschiedenen
Lebensaltern gegenüber der gleichen Dosis und der gleichen Applikationsart
seines Impfstoffes. Letzterer wird aus einer virulenten Kultur menschlicher
Taberkelbazillen gewonnen, die, mit Wasser emulsioniert, in eine Halsvene
eingespritzt wird. Die Binder reagieren um so heftiger auf die intravenöse
Einspritzung von Taberkelbazillen, je länger sie unter dem Einflüsse einer
ursprünglich krankmachenden Tuberkelinfektion gestanden haben, woraus sich
die praktische Konsequenz ergiebt, zur Vermeidung übler Zufälle in der land¬
wirtschaftlichen Praxis jede Schutzimpfung von Bindern, die älter als 1 Jahr
sind, za vermeiden. B. empfiehlt sogar zur Schutzimpfung die Bevorzugung
von Kälbern unter 3 Monaten. Da nun eine schützende Behandlung tuber-
kulosebedrohter Kinder schwerlich in gleicher Weise wie bei den Kälbern
durch intravenöse Einspritzung von lebendem Tuberkulosevirus durchführ¬
bar sein wird, so ist v. Behring auf die Idee gekommen, den mensch¬
lichen Säuglingen mit der Milch von tuberkuloseimmun gemachten Kühen
Antikörper suzaführen und sie auf diese Weise über die gefährlichste Periode
der Taberkulose - Ansteckungsgefahr hinwegzubringen. Denn die Hauptgefahr
für die tuberkulöse Durchseuchung ist in der infantilen Infektion zu suchen,
die in dem ersten Lebensjahre deshalb so leicht bewirkt werden kann, weil
die intestinale Schleimhaut (Fehlen einer kontinuierlichen Schleimzellenschicht)
für die Resorption korpuskulärer Elemente besonders gut disponiert ist und
antibakteriell wirkende Fermente noch nicht produziert werden. Wie die In¬
fektionsstoffe, so gehen aber auch die Antikörper während der ersten Lebens-
wochen unverändert hindurch und werden im Blut aufgehäuft.
Mit Behrings Erfahrungen bezüglich der Binderimmunisiernng stimmen
die Versuche von Thomüssen in Utrecht überein. Verfasser wird mit
K rosser Vorsicht die Uebertragung seiner Institutsexperimente in die menseh-
che Praxis vornehmen lassen. Wenn aber dann der Taberknlosesehntz für
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
631
jugendliche Individuen auch des Menschengeschlechts ein sicher nnd ohne Ge¬
fahr erreichbares Ziel geworden ist, dann werden wir ein grosses Mittel haben,
geeignet zur Ausrottung der Tuberkulose, nicht blos zur Milderung
des Tuberkuloseelends. Was bis jetst im Kampfe gegen die Tuberkulose ge¬
schehen ist, gehört nur zn den kleinen, den Palliativmitteln. B. erkennt aber
den Nutzen der HeiLatättenbewegung an, die in Deutschland zu der Er¬
richtung von 67 Anstalten geführt habe, dem die Eröffnung von 27 wei¬
teren Anstalten in allernächster Zeit folgen wird. Auch die Anstrebung
von Nachkuranstalten in ländlichen Kolonien, sowie die Errichtung von
Heimstätten sind beachtenswert, ebenso die Fürsorge für gute Arbeiter-
wohnnngen. Allein ebensowenig wie hygienisch-musterhafte Unterkunftsräume
für Tiere die Weiterverbreitung der Tuberkulose hindern, wenn nicht gleich¬
seitig durch Entfernung der Rinder mit offener Tuberkulose die Ablagerung
von Tuberkelbasillen verhindert oder eingeschränkt wird, ebensowenig bleibt
die Infektion der wegen ihrer leicht permeablen und durch Fermente nicht
geschützten Schleimhäute dieser besonders exponierten neugeborenen Kinder
in einem Raume aus, in dem sich ein hustendes phthisisebes Individuum be¬
findet. Das Problem der erblichen Belastung erklärt sich dadurch, dass die
tuberkulosefrei geborenen Neugeborenen im Zusammenleben mit tuberkulösen
Eltern usw. der Infektionsgefahr nicht entgehen können. Für den Tuberkulose¬
schutz neugeborener Kinder in menschlichen Wohnungen sollte daher mehr
da bisher geschehen. _ Dr. Räuber-Düsseldorf.
Tuberculosis und the Sanatorium. Von Prof. Dr. John Lowman in
Cleveland.
Nach einer klaren Ausführung über die Notwendigkeit und den Nutzen
der Sanatorien, ihre Einrichtung, Lage usw. schliesst Verfasser mit der sehr
beherzigenswerten Mahnung: „Ahmen wir nicht das Experiment mit den
Staats-Irrenanstalten nach, wo Einer 1000 Patienten kontrolliert, eine Monster-
Anstalt leitet und nebenbei noch diversen politischen Pflichten nachkommt.
Wie bei der Laparotomie die Peritonitis, so ist es bei der Tuberkulose die
Frühdiagnose, die uns zu schaffen macht. Wenn erst die Patienten alsbald
Sanatorien, Gebirge usw.aufauchen werden, dann ist das erste Aussen werk ge¬
stürmt.“ _ Dr. Kornfeld-Gleiwits.
Ueber Abtötung von Tuberkelbazillen in erhitzter Milch. Vor¬
läufige Mitteilung von Dr. Ru 11 mann-München. Münchener med. Wochen¬
schrift ; 1903, Nr. 31.
Die im hygienischen Institut München aasgeführten Untersuchungen
haben entgegen der auf Smiths gleichnamiger Arbeit fassenden Behauptung
Hesses-Dresden, dass ein nur 20 Minuten währendes Pasteurisieren bei
60* C. unter ständigem Umschütteln genüge, um die einer Milch zngesetsten
Tuberkelbazillen abzutöten, ergeben, dass selbst eine halbstündige Er¬
hitzung mit Sputum infizierter Milch bei 66° C. unter ständigem Schütteln
und Beachtung aller Kautelen (gleichbleibender Temperatur etc.) nicht ge¬
nügt, um solches mit Sicherheit zu erreichen, sondern dass die Abtötung
der Tuberkelbazillen mehr als eine halbstündige Erhitzung
bei 66° C. in der Milch erfordert.
Gleichzeitig angestelhe Versuche über die Einwirkung einer ein-
stündigen Erhitzung bei 66* C. auf den Geschmack reiner, roher Milch
unter Anwendung des Ger berschen Schüttelverfahrens haben gezeigt, dass
bei dieser Zeitdauer und Temperatur keine Geschmaoksänderung und
Beeinflussung des Ernpyms statthat; der Keimgehalt der rohen Milch
ging von 229120 Keimen auf 340 Keime in 1 ccm der dem eben genannten
Verfahren unterzogenen Milch zurück.
_ Dr. Waibel-Kempten.
Für und wider die Anneigepflicht bei Tuberkulose. Verhand¬
lungen des engl. Medisinalbeamtenvereins. Diskussion im Anschluss an einen
Vortrag von Dr. Alfred Hi liier im engl. Medisinalbeamtenverein. Public
Health; März 1908, 8. 801-826.
632 Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
Auf Grund der Untersuchungen von Koch, Plügge, B. Frftnkel,
Niyen-Manchester entwickelte Hillier seine Ansichten über den Kampf
gegen die Tuberkulose, über die Notwendigkeit der Anzeigepflicht, über die
Art der Unterbringung der Phtisiker in den späten Stadien in eigenen Kranken¬
häusern. Br hatte mit Koch im vergangenen Dezember eine Besprechung
nnd erfahr, dass dieser das Sinken der Sterblichkeitsziffer an Tuber¬
kulose in Preussen vorläufig noch nicht in wesentlichem Massstabe auf die
Sanatorien zurückzoführeu geneigt ist, sondern anf die Vor sich tsmaBsregeln,
die selbst in den untersten Klassen der Bevölkerung gegen die Ansteckung
durch Tuberkulöse getroffen werden.
Hillier hatte ferner die Abgeordneten der „Friendly sooieties“ in
Deutschland mit unseren modernen Einrichtungen bekannt gemacht. Er schliesst
seine von Begeisterung diktierteu Worte mit den Goetheschen Sätzen: „Die
sollen mit Fülle die Tätigen lohnen! Wir heissen Euch hoffen.*
In der Diskussion teilte zunächst der Vorsitzende, Dr. Cameron,
mit, dass die Zentralbehörde sich unbedingt geweigert habe,
die Schwindsucht auf dieListe der anzeigepflichtigen Krank¬
heiten zu setzen, da es sich um eine Beeinträchtigung der persönlichen
Freiheit handle. Gehe man mit dem Gesetze zu weit, so werde es ein toter
Buchstabe bleiben; anderseits müsse man allerdings sehen, dass man auch
wieder weit genug gehe. Manchester habe bereits die Anzeigepfiioht. Die
Hindernisse, die sich der „freiwilligen* Anzeigepflicht entgegenstellten,
beständen darin, dass wenn ein Arzt anzeige und der andere nicht, der
letztere vom Pablikum bevorzugt werde.
P. Caldwell Smith führte aus, dass viele Medizinalbeamten der Haupt¬
stadt zwar die Einführung der Anzeigepflicht gern sähen; es bestehe aber
wenig Hoffnung, dass die Behörden die Frage entnähmen; vor 12 Jahren habe
auoh der Verein selbst nicht viel davon gehalten.
Dr. Sydney Davis: In Woolwich bestehe die fakultative Anzeige-
pflioht. Die Aerzte hätten aber nicht den Mut, ihren Kranken die Diagnose
mitzuteilen. Es sei eine weitere Schalung der Aerzte nötig.
Dr. Herbert Jones: Zuerst müsse das geltende Gesundheitsgesetz noch
besser ausgeftthrt werden. Die Hi liiersahen Forderungen Hessen sieh ins¬
besondere auf dem flachen Lande nicht erfüllen.
Auch Dr. Allan war der Ansicht, bei Einführung der Anseigepflicht
sei beträchtliche Vorsicht nötig. In einigen amerikanischen Staaten sei das
Gesetz zu Tode gehetzt worden; die Leute bekämen keine Arbeit mehr, da die
Mitarbeiter sich vor einer Infektion fürchteten.
Von den übrigen in der Disknssion geäußerten Ansichten — für die
obligatorische Anzeigepflicht, war nur ein Redner, Dr. Nash — ist zu er¬
wähnen, dass man den Nutzen ländlicher Kolonien insbesondere auch ausser¬
halb Europas empfahl, und dass der Plan, Schwindsüchtigen in ihren letzten
Stadien in eigene Krankenhäuser zu senden, auf Widerstand stiess. Dr. Mc.
Vail, dessen sympathische Persönlichkeit bereits aus einem früher in dieser
Zeitschrift 1 ) besprochenen Vortrage hcrvorleuchtete, sagte: „In der Welt giebt
es ausser der öffentlichen Gesundheitspflege auch noch andere Dinge. Die
menschlichen Empfindungen, die Familienbande müssen geschont werden. Einen
Familienvater zu einem Abschied auf ewig in ein solches Hospital zu senden,
komme einem lebendigen Tode gleich.* Dr. Mayer-Simmern.
Beitrag zur Kenntnis der Tuberknloseverbreitung in Baden.
Von Dr. W. Hoff mann-Heidelberg. Mit 4 Karten und 5 Tafeln. Beiträge
zar Klinik der Tuberkulose; 1903, H. I.
Nach allgemeinen Ausführungen über die Verbreitungsweise der In¬
fektionskrankheiten auf Grund ihrer ätiologischen Momente kritisiert Verfasser
die verschiedenen statistischen Untersuohungsmethoden. Daran anschliessend
gibt er an der Hand eines selten genau verarbeiteten statistischen Materials
des grossherzoglich badenschen Landesamtes ein Bild von der Verbreitung der
Schwindsucht in Baden, sowie von ihrer Beeinflussung durch die verschiedenen
sozialen Verhältnisse, Ernährungsweise, Berufsarten und durch das Moment der
*) Zeitschr. f. Medizinalbeamte; 1901, S. 668.
Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften.
633
Disposition. Die Haaptgesichtspankte und Ergebnisse der interessanten Arbeit
sind in folgende Schlusssätze kurs zusammengefasst: Mit zunehmender
Erhebung über den Meeresspiegel sinkt die Tuberkulose*
mortalitüt der Bewohner. Dieses Absinken wird gesteigert durch
den häufigeren Betrieb der Landwirtschaft in grosserer Hohe,
vielleicht durch die geringere Volksdichte und durch noch wenig be¬
kannte Faktoren, welche mit dem geographischen Höhenbegriff
in direkterem Zusammenhang stoben. Für den Einfluss bestimmter
Berufsarten auf die Schwindsuchtsverbreitung innerhalb der ganzen Be¬
völkerung kommt in Betracht die prozentuarische Beteiligung der
Berufsarten an der Zusammensetzung der Bevölkerung, ferner die Zu¬
sammensetzung der betreffenden Berufsart ans Erwerbstätigen
und nicht im Beruf beschäftigten Angehörigen, schliesslich die Schädigung
durch den Beruf oder die vermehrte Infektionsgefahr an dem
Arbeitsplatz. Im allgemeinen zeigt sich Zunahme der Tuberkulose-
mortalität mit Zunahme der Industrie und Abnahme der Land¬
wirtschaft. Kein Einfluss konnte auf statistischem Wege nachgewiesen
werden für Armut, Ernährungsweise, Alkoholkonsum. EinGegen-
s a t z in der geographischen Verbreitung besteht zwischen Krebs und Tuber¬
kulose, indem sich diese mehr im Norden zu hohen Mortalitätsziffern auf¬
schwingt, während der Krebs im Süden bedeutendere Zahlen erreicht. Ein
Einfluss einer Rassendisposition ist wahrscheinlich.
_ Dr. Roepke-Lippspringe.
Das Auftreten der Tuberkulose iu Zigarrenfabriken. Von Prof.
Dr. Brauer. Beiträge zur Klinik der Tuberkulose; 1903, H. 1.
Der Herausgeber der „ Beiträge zur Klinik der Tuberkulose“ leitet ihr
erstes Erscheinen mit einer eigenen Arbeit ein, die den staatlichen GeBundheits-
beamten hinsichtlich seiner Mitwirkung bei der Gewerbeaulsicht inseressieren
wird und daher eine eingehendere Besprechung rechtfertigt. Um die Fragen
zu klären, ob und in welcher Weise die Zigarreniudustrie der Ausbreitung der
Tuberkulose Vorschub leistet, hat sich Prof. B. der mühevollen Arbeit unter¬
zogen, die Tuberkulose-Morbidität und -Mortalität unter den Zigarrenarbeitern
Nord-Badens und der bayerischen Pfalz festznstellen. Die in Tabellen und
Tafeln übersichtlich geordneten Zusammenstellungen berücksichtigen das
stationäre Krankenmaterial der Heidelberger medizinischen Klinik, die Kranken¬
scheine einer Zigarrenarbeiter-Hanptkrankenkasse, die Sterberegister und Ge¬
sundheitsverhältnisse tuberkulös belasteter Stämme eines bestimmten Distriktes
und schliesslich die an Zigarrenfabrik-Orten reichen Gemeinden der BezirkeMann-
heim, Heidelberg, Bruchsal, Wieslocb, Weinheim, und Schwetzingen nach Höhen¬
lage, Gesamtzahl der Erwerbstätigen, der Zigarrenarbeiter, der Gesamtsterb¬
lichkeit und der Tuberkulose-Sterbefälle. Aus der kritischen Verarbeitung dieses
Stoffes geht hervor, dasB die Lungentuberku lose unter den Zigarren¬
arbeitern Nordbadens und der Pfalz nicht nur häufiger vor¬
kommt, alswie unter der übrigen Bevölkerung dieser Distrikte,
sondern dass auch mit der Zunahme der Zigarrenfabrikation
die Tuberkulose-Mortalität im allgemeinen steigt, dasB so¬
mit Beziehungen beider Faktoren zu einander bestehen.
Welcher Art diese Beziehungen sind, behandelt der II. Teil der Arbeit. Die
Angabe, dass die badische Zigarrenindustrie sich in Orten niedergelassen habe,
die von jeher ein Herd der Tuberkulose waren, erklärt die Beziehungen
zwischen Zigarrenfabrikation und Tuberkulosesterblicbkeit nicht; ebenso wenig
bietet die Lage der Zigarrenorte in der Rheinebene, noch der
starke Zustrom von Schwächlingen zu den Zigarrenfabriken eine Er¬
klärung dafür, noch die vielfach verfochtene Anschauung, dass unter Prole¬
tariern und der vorwiegend die Zigarrenfabriken bevölkern¬
den Altersklasse (15 — 30 Jahre) die Tuberkulose überhaupt
häufiger vorkäme. Nach Br.s Ansicht besteht vielmehr ein ursäch¬
licher Zusammenhang zwischen Zigarrenindustrie und Tuberkulosemortalität;
derselbe ergibt sioh direkt aus dem Leben in den Arbeitsränmen
oder indirekt aus der Gesamtlage der Industrie und ihren öko¬
nomischen Eigenheiten. So macht die Ungunst der Lohnverhältnizse
634
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
die stärkere Heranziehung der Kinder and Franen zar Fabrik¬
arbeit oder gar sor Hausindustrie notwendig. Während dnrch die Mitarbeit
der Kinder ein Teil der Schwächlinge in der Fabrik entsteht, beruht der Nach¬
teil aasgedehnter Frauenarbeit in der Zigarrenfabrikation darin, dass die Frau
▼on ihrer eigentlichen Tätigkeit abgehalten wird, and dass dadurch die Zabe¬
reitang der Speisen, die Reinhaltung des Hauses nnd die Erziehung der Kinder
notgedrungen leiden muss.
Ob die Wohnungsverhältnisse den der Zigarrenindastrie parallel
gehenden Anstieg der Tuberkulose-Mortalität in nennenswerter Weise be¬
herrschen, ist bislang nicht erwiesen, wenn es auch selbstverständlich unbe¬
stritten bleibt, dass diejenigen Individuen unter den Zigarrenarbeitern, welche
in unreinlichen und überfüllten Häusern leben, der Tuberkulose besonders leicht
verfallen werden. Endlich ist der Zigarrenfabrikation ein engeres Zu¬
sammenarbeiten der Geschlechter eigentümlich; dieses führt zu
frühzeitigem sexuellen Verkehr und damit indirekt snr Schädigung der Gesund¬
heit. Eine Besserung der genannten Faktoren verspricht sich Verfasser von
der Beschränkung der Hausindustrie, derKinder- und Frauen¬
arbeit, soweit dies mit der wirtschaftlichen Lage der Industrie vereinbar
ist. Weiter empfiehlt es sich, im Anschluss an den Fabrikbetrieb
Speisehäuser zu schaffen, welche den Arbeitern eine bessere und wohl
häufig auch billigere Kost liefern könnten.
Von den Schädlichkeiten, welche den Zigarrenarbeiter während und
daroh seinen Beruf direkt gefährden, erwähnt Verfasser zunächst die
durch die Einatmung des Tabakstaubes verursachte Schädigung,
welche die Empfänglichkeit der Luftwege für eine event. Infektion steigert.
Die Tabakstaubeinatmung äussert sich aber nicht in eigenartigen Verände¬
rungen der Longe, einer sog. Tabacosis, sondern in chronischen, zur
Schleimhautatrophie führenden Nasen- und Kehlkopf¬
katarrhen, sowie in chronischen trockenen Bronchial¬
katarrhen, die eine Resistenzveränderung der Schleimhäute Infektionen
gegenüber bedingen, oder zu Sekretanhäufungen führen, welche hinzntretenden
Keimen als Nährboden dienen, oder Epitheldefekt als Eingangspfoite für die
Bakterien schaffen. Für das Zustandekommen dieser Vorgänge ist weniger die
Menge, als wie das physikalische und chemische Verhalten des Staubes von
Bedeutung. Die tuberkulöse Infektion der so vorbereiteten Schleimhautpartien
kann nun entweder in der Fabrik selbst oder erst in der Wohnung erfolgen,
so dass im letzteren Falle die beiden ähnlichen Momente — Disposition und
Infektion — räumlich und zeitlich getrennt zur Wirkung gelangen werden.
In der Körperhaltung der Zigarrenarbeiter während ihrer Tätigkeit
ist ein weiterer begünstigender Faktor zu Beben; denn die gebückte Haltung,
sowie ganz besonders die Feststellung der oberen Brusthälfte durch die Schulter-
und Oberarmmuskulatur hindert die respiratorische Tätigkeit der Oberlappen
und befördert dadurch die Ablagerung von Staub und Keimen.
Ferner sind den häufigen dyspeptischen Erscheinungen der
Zigarrenarbeiter gewisse zur Tuberkulose disponierende Einflüsse nicht abzu-
spreohen. Als Ursache der Verdauungsstörungen hat man die sitzende Lebens¬
weise in Verbindung mit ungeeigneter und mangelhaft zubereiteter Kost, das
Kauen des Tabaks zwecks Herrichtung der Zigarrenspitze, sowie die Ein¬
wirkungen der Luftverunreinigungen in den Arbeitsräumen anzusehen.
Die Frage, ob in Zigarrenfabriken auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit
besteht, ein mit Tuberkelbazillen beladenes Material zu in¬
halieren, ist entschieden zu bejahen. Einmal muss man die Mehrzahl der
lungenkranken Zigarrenarbeiter als unreine Kranke im 8inne Cor net’s an-
sehen, weil sie fast alle auf den Boden speien, dann aber befördert der Pflanzen¬
staub die Austrocknung der schleimigen Sputa und damit ihre Verstaubung
und Einatmung, für deren Zustandekommen in den Fabriken stets reichlich
Gelegenheit gegeben ist. So stellt schon ein einzelner Phthisiker während der
vielen Monate, welche er in der Fabrik zubringt, eine recht beträchtliche
Quelle der Infektion dar, zumal der Tabakstaub trotz der bekannten antipara¬
sitären Eigenschaften der beizenden Tabakinfuse nicht im stände ist, die Tuber-
kelbasillen abzutöten.
Auch für eine wirksame Tröpfcheninfektion sind die Bedingungen
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
636
vorhanden, da die Arbeiter vielfach in 1—1 ‘/» m Entfernung einander gegen*
Obersitzen, und der hustende auf diese Entfernung seinen Answurf ver¬
stäuben kann.
Ueber die Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der
Tuberkulose in Zigarrenfabriken ist man sich ziemlich einig. Folgende Punkte
scheinen indes dem Verfasser besonderer Hervorhebung zu bedürfen.
In erster Linie soil man die Zigarrenindustrie nicht als
ein Gewerbe ansehen, das im Hinblick auf die Verbreitung der
Tuberkulose indifferent ist; es sind daher die Schwächlichen und die¬
jenigen, welche durch ihre familiären Verhältnisse zur Tuberkulose disponiert
scheinen, den Fabriken fern zu halten.
Der Infektionsgefahr würde am besten dadurch entgegengearbeitet, dass
man Lente mit tuberkulösem Lungenleiden aus dem Fabrik¬
betriebe eliminierte, sie auch möglichst bei vorhandener
Hausindustrie isolierte. Zu erreichen wäre dieses Ziel mit der Zeit,
wenn den Kranken in Lungenheilstätten ein anderes Gewerbe
gelehrt würde, welches neben dem gleichen Verdienste die Kranken ent¬
weder in gesundere Verhältnisse brächte oder sie Berufen zuführte, die ein
Zusammenarbeiten mit Gesunden nicht nötig machen.
So lange aber die Entfernung der Infektionsquellen nicht möglich ist,
muss besonders sorgfältig im Sinne der üblichen Prophylaxe gehandelt
werden. Die Krankenkassen haben den Patienten Spuokgläser zu geben. Die
Arbeiter, die trotz Belehrung auf den Boden oder in die Taschentücher spucken,
sind strafweise aus der Fabrik zu entlassen. Der Fussboden ist nach der Arbeit
nicht trocken zu kehten, sondern mit Wasser aufzunehmen, dem ein- bis zwei¬
mal pro Woche Kalk als Desinftziens hinzugesetzt sein muss (einen Teil Kalk
mit 4 Teilen Wasser löschen; von diesem Brei eine 2proz. Lösung verwenden,
d. h. einem Eimer von etwa 25 Liter Inhalt */» kg Brei zusetzen). — Die
Arbeitsplätze sind durch eine Zwischenwand zu trennen, um direktes Anhasten
beim diohtea Gegenübersitzen unmöglich zu machen.
Die viel diskutierte Frage der Ventilation hat erstens die Ent¬
fernung eines event. keimbeladenen Staubes und zweitens die Erneuerung der
Atemluft zu berücksichtigen. Ersteres wird am sichersten und schnellsten durch
kräftige und grobe Lüftung unter Oeffnen der Türen und Fenster
erreicht, letzteres durch die Darbietung eines grossen Luftkubns
und tunlichste Entfernung der Tabake aus den Arbeitsräumen.
Verfasser kann das von Wörishoffer in den badischen Zigarrenfabriken ein¬
geführte Ventilationssystem nicht weiter empfehlen, auch nicht raten, über die
bestehenden künstlichen Ventilationsvorrichtungen noch hinauszugehen. Eher
wäre die Fensterlüftung unter gleichzeitigem feuchten Auf¬
nehmen des Bodens und der Arbeitstische noch häufiger und
energischer auszuführen, als es bisher schon geBohieht.
Zum Schluss schlägt Br. vor, den Kassenärzten oder den Medi-
zinalbeamten Sitz und Stimme in den Vorstandssitzungen der
Krankenkassen zu geben. Dadurch würde in zweckmässiger Weise das
Zusammenarbeiten des Arztes mit jenen Leuten gefördert, welche die wirt¬
schaftliche Lage der Industrie kennen und in gewissen Grenzen mit beein¬
flussen. Nur das bedachte gemeinsame Streben der wirtschaftlichen und ärzt¬
lichen Elemente wird viele Momente beseitigen können, denen ein die Tuber¬
kulose-Infektion vorbereitender Einfluss zuzuerkennen ist.
Dr. Roepke-Lippspringe.
Ueber die Septumperforation der Chromarbeiter. Von Dr. Bam-
berger in Bad Kissingen. Aus dem hygienischen Institut zu Würzburg.
Münchener medizinische Wochenschrift; Nr. 61, 1902.
Chromfabrikarbeiter werden bekanntlich, wenn sie nioht genügend durch
Respiratoren geschützt sind oder wenn die sonstigen fabrikbygienischen Vor-
sichtsmassregeln nicht beachtet werden, von einem eigentümlichen Leiden be¬
fallen, das in einer fast schmerzlos zu stände kommenden Perforation des
Septum narium besteht.
Nach Albrecht übt das Chrom einen ganz seltsamen Reiz auf die
Nasenschleimhaut aus, dadurch dass in der Nase ein heftiges Prickeln entsteht
636
Kleiaere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften.
dass die Leute nun häufigen Niessen reist, worauf dann an der Nasenschleim-
haot ein kleines Geschwür mit nachfolgender Perforation der Nasenschleimbaut
entsteht. Das Loch vergrössert sich bis zur vollkommenen Zerstörung des
8eptams, worauf dann der Prozess aufhört, ohne irgend ein anderes Organ in
Mitleidenschaft za ziehen. Bei Arbeitsniederlegung tritt Heilung ein, mit
Wiederaufnahme der Arbeit beginnt auch wieder das Leiden. In Russland
sollen 60 d / o der Chromfabrikarbeiter zerstörte Nasenhöhlen besitzen. Einige
Arbeiter bekommen das Leiden bald nach dem Eintritte in die Fabrik, während
andere Arbeiter jahrelang in derselben arbeiten und nicht daran erkranken.
Schnupfende Arbeiter werden weniger von dem Leiden betroffen. Es ist
nun sonderbar, dass immer zuerst am Septum die Perforation cintritt, bevor es
au weiteren Zerstörungen in der Nasenhöhle kommt. Man sollte viel eher
erwarten, dass der mit der Inspirationsluft in die Nasenhöhle eingezogene
Chromstaub sich Überall an den Wänden der Nasenhöhle niederschlägt und«
so au gleicher Zeit seine zerstörende Aetzwirkung an verschiedenen Punkten
entfaltet.
Verfasser erklärt sich das Zustandekommen der Septumperforatioa da¬
mit, dass der Inspirationstrom derart in die Nase eintritt, dass
er in einem aufwärts gerichteten Bogen von der Seitenwand
der Nase her nach dem Septum herttbergeftthrt wird, wo er an¬
prallend dann längs des Septums weiter nach den Choanen
zieht. Dies trifft wenigstens für eineu grossen Teil der Atmungsluft zu.
Die der Luft beigemischten Chrompartikelchen gelangen so an das feuchte
Septum, wo sie hängen bleiben, nnd so dnreh Aetznng dieses schliesslich durch¬
bohren. Diese Erklärung steht im Einklänge mit den Experimenten und Er-'
klärungsversuchen anderer Autoren (Kaiser, Pommkarö etc.), welche
Verfasser am Schlüsse seiner Arbeiten anfOhrt. Dr. W a i b e 1 - Kempten.
Die Glasuren unserer irdenen Geschirre vom Standpunkte der
Hygiene. Von Prof. Dr. K. B. Lehmann. Aus dem hygienischen Institut
zu Wttrsburg. Hygienische Rundschau; 1902, Nr. 16.
Das deutsche Reichsgesetz betr. den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen
Gegenständen bestimmt, dass Esb-, Trink* und Kochgeschirre nicht mit Email
oder Glasur versehen sein dürfen, welche bei halbstündigem Kochen in 4proz.
Essigsäurelösung Blei an letztere abgeben. Nachdem Verfasser von einem aus¬
wärtigen Geschirrhändler veranlasst worden war, eine Sendung feiner französi¬
scher Geschirre darauf hin zu untersuchen, ob sie dem deutschen Gesetz ent¬
sprächen, und gefunden hatte, dass eine erhebliche Bleiabgabe beim Anskochen
mit 4 proz. Essigsäurelösung in diesen Geschirren eintrat, dehnte er seine Unter¬
suchungen weiter aus and nahm Bleibestimmnngen an den Auskochungen des
in Wttrsburg üblichen Geschirrs verschiedenster Provenienz vor. Es ergab sich
dabei, dass von den in Wttrsburg zum Kauf gebotenen Geschirren nur 28°/ 0
annähernd den Anforderungen des Deutschen Reichsgesetzes entsprachen, aller¬
dings war auch bei einem Teil dieser Proben noch immer so viel Blei vor¬
handen, dass man den Auszug als absolut bleifrei nicht bezeichnen kann. 14 # / 0
enthielten im Liter Auekocbflttesigkeit 1—5 mg, 22°/» 6—10 mg, 24°/o 10,7 bis
86,8 mg, 12 o/ 0 55—155 mg Blei. Die Bleiabgabefähigkeit lässt sich durch das
Aussehen nicht beurteilen. Im allgemeinen verhielt sich das teuerere Ge¬
schirr gttnstiger als das billigere.
Auch die hygienisch hochbedeutsame Frage, ob bei weiter fortgesetzter
Auskochung längere Zeit hindurch Blei abgegeben werde, hat Verfasser ver¬
folgt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass, wenn die Bleimenge in der
ersten Auskochung bedeutend ist, sie in der zweiten meist eine geringe ist.
Von der dritten Auskochung ab bis zur achten sind in 4 methodisch durebge-
führten Versuchen jedesmal ziemlich gleichmäsBige Mengen gefunden. Die
Konstatierung einer einmaligen starken Bleiabgabe berechtigt zu dem Schluss,
dass das betreffende Geschirr lange Zeit beim häuslichen Gebrauch Blei abgeben
wird. Verfasser hält anf Grund seiner Untersuchungen lttr erwiesen, dass viel¬
fach in Deutschland Geschirre zum Verkauf gelangen, die durch starke Blei¬
abgabe zu akuten, wie chronischen Vergiftungen fahren können und schlägt
als besten Ausweg aus diesen bedenklichen Verhältnissen folgendes vor: Einer¬
seits sollen häufige Untersuchungen vorgenommen und rücksichtslos strenge
Besprechungen.
687
Strafen für Verstösse gegen das Gesetz verhängt werden, anderseits sollte Geschirr
aber nur dann beanstandet werden, wenn es 8—5 mg Blei pro Liter Anskoch*
flttssigkeit abgibt. Bei Gestattung einer solchen Minimalabgabe wird den
Forderungen der Hygiene voll Rechnung getragen nnd gleichzeitig dabei er¬
reicht, dass die Gesetzesvorschriften nicht wegen ihrer zu grossen Härte nnr
auf dem Papier stehen bleiben. _ Dr. Wolff-Stralsund.
In welchen Fällen schreibt das Hebammenlehrbneh das Hinsu-
sieben des Arctes vor? Von Dr. Dahlmann. Allgemeine Deutsche
Hebammen-Zeitung; 1008, Nr. 1 und 2.
Die Medizinalbeamten werden naturgemäss wohl kaum etwas ihnen Neues
in dem von Herrn Med.-Rat D. gehaltenen Vortrage finden. Derselbe ist
aber für sie insofern wichtig, als er vorbildlich wirken sollte. Immer wieder
sollten in den Vereinsversammlungen die Hebammen darauf hingewiesen werden,
dass sie in der kurzen Zeit ihrer Ausbildung nur das Allernotwendigste und
auch dieses nur in Sachen der Geburtshfilfe und ersten Pflege des Neugeborenen
sieh angeeignet haben können, — dass sie daher in ihrem eigenen Interesse
handeln, wenn sie, um eine ihnen nicht zustehende Verantwortung zu ver¬
meiden, den Kreis ihrer Tätigkeit nur auf das beschränken, was nach dem
Lehrkurse ihnen zu tun gestattet ist. — Es ist dieses um so wichtiger für sie,
als bekanntlich eine stellenweise recht lebhafte Bewegung dafttr eintritt, die
Geburtshilfe als einen Teil der Medizin den Aersten zu ttbertragen. Die
Hebammen sollten daher vor allem streben, sich das Vertrauen des Publikums
zu erhalten. Dieses wird ihnen am besten dadurch gelingen, wenn sie, sich
korrekt an den Vorschriften des Lehrbuches haltend, keinerlei Tätigkeit über¬
nehmen, die dem Umfange ihrer Ausbildung nicht entspricht.
Dr. Schrak am p-Dflsseldorf.
Besprechungen.
Dr. A. Baur, Arzt und Lehrer der „Schulgesundheitspflege“ am K. Lebrer-
und Lehreriunenseminar in Sohw. • Gmünd: Das kranke Schulkind. An¬
leitung zu physiologisch-psychologischen Beobachtungen in der Schule. Mit
Beiträgen von Dr. J. L. Koch, Irrenanstaltsdirektor a. D. - Cannstatt, Prof.
Dr. Eversbusch, Direktor der Köaigl. Universitätsangenklinik in München,
Hofrat Dr. Köbe 1, Ohrenarzt• Stuttgart, Dr. Schmid-Monnard, Kinder¬
arzt-Halle. Für Schalamtsvorstände, Schulärzte, Lehrer und Schulbibliotheken.
Mit 1 Farbentafel und 138 Abbildungen. Verlag von Ferd. Enke. Stuttgart
1902, Gr. 8°, 306 S. Preis: 6 Mark.
Der Zweck des vorliegenden Buches ist, dem Lehrer das Verständnis ffir
die an den Kindern im Laufe der Schuljahre hervortretenden Veränderungen
näher zu rücken. Der Lehrer soll mit den Erscheinungen an gesunden und
kranken Schulkindern bekannt werden, soll merken, wenn ein Kind krank zu
werden beginnt und soll die Wechselbeziehungen zwischen Körper und Geist
in gesunden und kranken Tagen kennen lernen, damit er in der Beurteilung
eines Kindes keine Trugschlüsse mache nnd damit einem zarten, kranken Kinde
schweren, vielleicht nicht wieder gut zu machenden Schaden zufüge. Er soll
durch systematische Beobachtung sein Interesse für die Gesundheit der Kinder
rege erhalten und ein Verständnis gewinnen nicht nur fflr körperlich kranke,
sondern auch für psychopathisch minderwertige Kinder. Viele Erscheinungen
können nur vom Lehrer, der ein ständiger Beobachter der Kinder in der Schule
ist, aufgefangen und zur Erkennung einer Krankheit verwertet werden. So
kann er dem Arzte wertvolle Anhaltspunkte für die Stellung der Diagnose
geben. Den Arzt soll der Lehrer nicht ersetzen.
Die 6 Abschnitte des Werkes behandeln die Anatomie und Physiologie
des gesunden Schulkindes, dann das kranke Schulkind nnd zwar die Störungen
in der Ernährung und im Wachstum des Schulkindes, die Krankheitserscheinungen
des Kreislaufs-, Attnungs-, Verdauung«- und Harnsystems, die die Wärme¬
bildung und Wärmeabgabe betreffenden Störungen, die Krankheitserscheinungen
am Aeussern des Körpers, am Nervensystem, an den Sinnesorganen und infolge
äusserer Gewalteindrücke. Hierauf folgte ein kurzer Abschnitt über die Ur
638
T&gesnaohrichten.
Sachen der Erkrankungen der Kinder nnd du Krankenezamen nnd im An*
sohla88 daran die einielnen Kinderkrankheiten. Aneh die Simulationen nnd
die WechselbeZiehungen zwischen Körper and Geist finden Berücksichtigung.
Von besonderer Wichtigkeit sind die Beiträge von Dr. Koch über die
psychopathisch Minderwertigen in der Schule, von Prof. Eversbusch über
Augenkrankheiten, von Dr. Köbel über Ohrenkrankheiten und von Dr. Schmid-
Monnard Uber Morbidität und Mortalität der Schulkinder.
Wohl mögen einseine Abschnitte deB Werkes zu ausführlich erscheinen
und über den Bahmen des für den Lehrer Wissenswerten hinausgehen, indessen
soll das Bach zugleich zeigen, dass die Bestrebungen mancher Laien, den Arzt
za ersetzen, ebenso unsinnige wie gefährliche sind und soll dem Lehrer in
zweifelhaften Fällen hauptsächlich als Nachschlagebuch dienen. Damit dürfte
der Zweck, den Lehrer mit den Krankheiten der Schulkinder bekannt zu
machen, sein Interesse hierfür zn wecken und ihn zu befähigen, die Tätigkeit
des Schularztes wesentlich zn ergänzen, erreicht werden. Hoffen wir, dass der
Lehrer in diesem Sinne das Bach studiert und dem Arzte sein Recht lässt.
Dann wird es Segen stiften und dazn beitragen, dass krankhafte Zustände unter
den Schulkindern richtig aufgefasst und dementsprechend berücksichtigt werden.
_ Dr. Räuber-Düsseldorf.
Berichtigung in dem Berioht Aber die Versam m l u n g des
Medizinalbeamten-Vereins des Beg.-Bez. Stade.
In der heute mir zugegangenen Zeitschrift für Medizinalbeamte yom
16. August, Nr. 16, Seite 696, wo über die Versammlung der Medizinalbeamten
des Regierungsbezirks Stade vom 12. November 1902 berichtet ist, finde ich
angegeben, dass ich bei der Verbreitung der Cholera den Landweg für wich¬
tiger als den Wasserweg erklärt habe. Du ist nicht meine Meinung und auch
sicher von mir nicht gesagt worden. Ich habe nur gegenüber dem Referat
von Kollegen Hoche, der verschiedene Choleraaasbrüche in Orten des Regie¬
rungsbezirks Stade, die an kleinen Zuflüssen zur Unterelbe belegen sind, auf du
mit der Flutwelle dorthin verdrängende Elbwasser zurückführen wollte, ausge¬
führt, dasB in diesen Fällen meiner Meinung nach die Einschleppung zutref¬
fender durch den Marktverkehr der Bewohner mit Hamburg zu erklären sei.
Hamborg, den 20. August 1908. Med.-Rat Dr. Reineke.
Tagesnachrichten.
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Koch in Berlin ist von der Akademie der
Wissenschaften in Wien zum Ehrenmitglied gewählt.
Durch Rundschreiben deB Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheitsamtes
vom 26. Juni d. J. — Nr. 4691/08 — ist jetzt sämtlichen Bezirksbehörden der
einzelnen Bundesstaaten eine Anzahl Exemplare der im Kaiserlichen Gesund¬
heitsamte unter Mitwirkung von Geh. Med.-Rat Dr. Kirchner, Geb. Med.-
Rat Prof. Dr. Koch nnd Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Krieger-Strassbnrg aus¬
gearbeiteten Ratschläge für Aerzte bei Typhus und Ruhr zur Verteilung
an sämtliche Aerzte des Bezirks versandt.
In Stralsund ist jetzt du au Privatmitteln errichtete hygienisch-
bakteriologische Laboratorium von der Medizinalverwaltung übernommen
und der königlichen Regierung unterstellt worden. Nach einer Bekanntmachung
des zuständigen Regierungspräsidenten vom 13. August soll daB Arbeitsgebiet
des Laboratoriums umfassen: 1. Bakteriologische Untersuchungen zum Zwecke
der möglichst schnollen Feststellung von ansteckenden Krankheiten (Typhus,
Diphtherie uw.) sowie 2. die wichtigsten Prüfungen auf dem Gebiete der
Trinkwasser-, Wohnungs-, Sohul- und Gewerbe-Hygiene. Vorsteher des La¬
boratoriumsist der Kreisassistenzarzt Dr. Wollf in Stralsund.
Herr Prof. Dr. Kruse teilt uns mit, dass er auch in diesem Jahre eine
grössere Menge Ruhrheilserums hergestellt habe, die er an Kollegen im Amt
Tagesnachrichten.
639
und in der Praxis anentgeltlich abgeben könne. Besteilangen sind za
richten an das hygienische Institut in Bonn. Den Serumfläschchen sind
Gebrauchsanweisungen beigegeben._
Der III. internationale Tnberbnlosekongress findet vom 24. Sep¬
tember bis 1. Oktober 1904 in Paris statt.
In der in München am 26. Augast d. J. abgehaltenen 82. Hauptver¬
sammlung des Deutschen Apothekervereins wurde einstimmig eine Reso¬
lution betreffend die Einführung einer Zwangsversicberung der Apo¬
theker, und zwar einer Alters-, Iuvaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung
auf dem Wege der Reichsgesetzgebung angenommen. Ferner sprach sich die
Versammlung für eine Reichsarzneitaxe aus, wenn diese mindestens die
Höhe der jetzigen Durchschnittssätze verschiedener deutscher Arzneitaxen fest¬
hält. Desgleichen wurde eine beschleunigte Neuregelung de rApotheker-
Vorbildung für notwendig erkl&rt, wobei als Grundlage das Reifezeugnis
eines humanistischen oder Realgymnasiums zu wählen sei. Als Ort der nächst¬
jährigen Versammlung wurde Hamburg gewählt.
Preu8sischer Medizinalbeamtenverein.
Die Vereinsmitglieder werden nochmals auf die am Sonnabend, den
13. September 1903 in XXEtile Et./S., „Grand-Hötel Bode“,
Magdeburger-Strasse, nahe am Bahnhof stattfindende
XX. Hauptversammlung
aufmerksam gemacht.
Tagesordnung:
Freitag, den. 11. September:
8 TJhr Abends: Begrüssung im „Grand-Hätel Bode“ (mit Damen).
Sonnabend, den 1Ä. September*:
9 Uhr Vormittags : Sitzung im Festsaal des „Grand - Hötel Bode".
1. Eröffnung der Versammlung.
2. Geschäfts- nnd Kassenbericht; Wahl der Kassenrevlsoren.
3. Praktische Erfahrungen bezüglich der Dienstanweisung der Kreis¬
ärzte, insbesondere betreffs Ortsbesichtignngen nnd Jahres¬
berichte. Referenten: H. Kreisarzt Dr. Schäfer in Frank¬
furt a. 0. und H. Kreisarzt Dr. Herrmann in Bitterfeld.
4. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren.
5. Veber die gericbtsfirztliche Beurteilung der Epilepsie. Referent:
H. Gerichtsarzt Dr. Neid har dt in Altona.
Naoh Sohluss der Sitzung : Besichtigung des Knappsohafts-
Krankenhauses Bergmannstrost (Merseburgerstrasse 59).
6 Uhr Naohmittags: Festessen_(mit Damen).
Bestellungen auf Wohnung sind an den Schriftführer, H.
Kreisarzt u. Med.-Rat Dr. F ielitz - Halle a./S. möglichst rechtzeitig unter
Angabe der gewünschten Preislage oder auch direkt an das „Hötel Bode“
zu richten. Hier stehen Zimmer in grosser Anzahl zur Verfügung; der ver¬
einbarte Preis beträgt im I. Geschoss: 3,50 Mark für 1 Person, im II. Geschoss:
3 Mark und im III. Geschoss: 2,50 Mark. Frühstück: 1 Mark.
Die verehrliohen Mitglieder werden dringend ersucht, alsbald nach
ihrer Ankunft in Halle sich im Anmeldeburoan im .,Grand - Hötel
Bode“, Magdeburgerstrasse 65 zu melden, um daselbst ihre Namen in die
Präsenzliste eintragen zn lassen. Dasselbe ist geöffnet Freitag, den
U. September von Nachmittags 4 Uhr bis Abends 11 Uhr, am Sitzungs¬
tage von Vormittags 8 Uhr bis nach Schluss der Sitsung.
Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins.
Im Auftr.: Dr. Rapmund, Vorsitzender,
Reg.- u. Geh. Med.-R*t in Bünden.
Deutscher Medizinalbeamten - Verein.
Die Vereinsmitglieder werden nochmals auf die am 14. und 16. Sep¬
tember 1903 in Leipzig im Gartenaaal des Zoologischen
Gartens 1 ) (Eingang von der Pfaffendorferstrasse) stattfindende
Zweite Hauptversammlung
aufmerksam gemacht.
Tagesordnung:
Sonntag, den 13. September.
8 Uhr Abends: Gesellige Vereinigung zur Begrttssung im Garten¬
saal des Zoologischen Gartens (mit Damen.)
Montag, «len. 14. September.
9 Uhr Vormittags: Erste Sitzung (Gartensaal des Zoolog. Gartens).
1. Eröffnung der Versammlung.
2. Geschäfts- und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren.
3. Die reichsgesetzliche Regelung des Irrenwesens. Referenten: H.
Landesrat Dr. Vorster in Düsseldorf, H. Geb. Med.-Rat Dr. Weber,
Direktor der Heil- und Pflegeanstalt in Sonnenstein nnd H. Reg.- n.
Med.-Rat Dr. Rnsak in Köln.
Mittagessen nach freier Wahl, am besten im Zoologischen Garten,
da von hier aus 3*/* Uhr Nachmittags die Besichtigungen (nach Wahl):
Kläranlage der Stadt Leipzig auf der Stazwieae oder Ent-
eiaenungaanlage der 8tadt Leipzig am Napoleonstein, daran
schliessend „Hermann-Hans“, Unfallnervenkllnik. der Sächsischen
Baugewerks-Berufsgenossenschait, oder Heil-und Pflegeanstalt der
Stadt Leipzig in Dösen stattfinden sollen.
7 Uhr Naohmitt&gs: Festessen mit Damen im Garteneaal des Zoologischen
Gartens (Preis des trocknen Gedeckes 3 Mark).
Dienstag, den 13. September*.
9 Uhr Vormittags : Zweite Sitzung (Gartensaal des Zoolog. Gartens).
1. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren.
2. Verhütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten durch die
Schalen. Referenten: H. Prof. Dr. Lenbnscher, Reg.- nnd Med.-
Rat in Meiningen nnd H. Reg.-Rat a. D. Prof. Dr. Tjaden, Direktor
des bakteriologischen Instituts in Bremen.
3. Beiträge znr pathologischen Anatomie der Kohlenoxidvergiftung.
Referent: H. Kreisarzt Dr. Sch&ffer in Bingen a. Rb.
4. Die Photographie im Dienste der gerichtlichen Medizin. (Mit De¬
monstrationen.) Referenten: H. Prof. Dr. Strass mann in Berlin u.H.
Dr. Artb. Schals, Assistent am Institut für Staatsarzneiknnde in Berlin.
Wohnungen werden am besten direkt bestellt; empfehlenswerte Hötels
sind: Hötel Hau ff e am Rossplatz: Zimmer von 3,60 M. an, Frühst. 1,40 M.
Hötel Prasset, Rossplatz 7: Z. von 3,00—7,50 M., Frühst. 1,25 M., Hötel
Kaiserhof, Georgiring 7a: Z. von3—7 M., Frühst. 1,25 M., Hötel Sedanf,
ßlücherstr. 1: Z. von 2,50—6 M., Frühst. 1,25 M., Hötel de Rnssie, Peterstr:
20: Z. von 2,50—3,50 M., Frühst. IM., Hötel de Polognef, Hainstr. 16/8.
Z. von 2,50—5 M., Frühst. IM., Hötel Hentsohel, Rossstr. 1: Z. von 2,50 M.
an, Frühst. IM., Hötel Stadt Rom, Georgiring 18: Z. von 2,60—3,60 M.,
Frühst. 1 M., Hötel Palmbanm*, Gerberstr.3: Z. von 2—4M., Frühst. 1 M.,
Hospiz des ev. Vereinshauses, Rossstr. 19 Z. von 1,60 M. an. f Hötels
des Deatschen Offizier - Vereins. * Hötels des Warenhauses für deutsche Beamte.
Die verehrlichen Mitglieder werden dringend ersucht, alsbald nach
ihrer Ankunft in Leipzig sieb im Anmoldebureau lm Gartensaal des
Zooiogisohen Gartens, Pfaffendorferstrasse, zu melden. Dasselbe ist ge¬
öffnet Sonntag, den 13. September von Nachmittags 4 Uhr bis Abends
11 Uhr, an den Sitzongstagen von Vorm. 8 Uhr bis nach Schluss der Sitzung.
Auskünfte erteilt bereitwilligst der Schriftführer Med.-Rat n. Bezirks¬
amt Dr. Flinzer in Planen i/Vogtl.
Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereine.
Im Anftr.: Dr. Rapmnnd, Vorsitzender,
_ Reg.- u. Geh. Med«-Rat in Minden.
*) Gegen Lösung einer Karte znm Preise von 90 Pf. haben die Teil-
nehmet für die Versammlnngstage freien Eintritt in den Zoologischen Garten.
Verantwort!. Redaktetu: Dr. Rapmnnd, Reg.-n.Geh.Med.-Rat in Minden L W.
* « " ■— "* • - - - -■- -
EIN NATURSCHATZ VON WELTRUF. MILO, ZUVERLÄSSIG
er et 1tber üb ..raten K.rähn.olieiiquoll©!!
Emser Ktsselbrunnen. Kalaerbrunnen., Viktoriabronae».
Sohwaibaoher Stahl- and Weinbrunncn.
za haben in allen Apotheken u, MineralwassarhandiongeB sowie darufe.il
Königlichen Bade- u. Brunnen -Verwaltungen,
Berlin W. 57
tfrfiinniftrt
G. m.bjT.
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1. i;
■
p /
16. Jahr*.
Zeitschrift
1903.
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt für gerichtlich« Medizin und Psychiatrie,
für ärztliche Sachverstandigentätigkeit in Unfall- und Inraliditatssachen, sowie
für Hygiene, ofentL Sanitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung und Rechtsprechnng.
Heraasgegeben
Ton
Dr. OTTO RAPMÜND,
Regierangfl- and Geh. Medixtnalrat ln Minden.
Verlag von Fischer’s mediz. Bnehhandlg., E Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die Verlegshandlang sowie alle Annoncenexpeditionen des In-
and Aaslandes entgegen.
Nr. 18
Brseheint
1. and 15. Jeden Monate
15. Septbr.
682 Typhusfälle und ihre Entstehungsursachen.
Von Dr. Schlegtendal, Beg.- n. Med.-Rat in Aachen.
Das Bestreben, in einem gegebenen Falle von Erkrankung
an Unterleibstyphus die Wege der Ansteckung anfzudecken,
gleicht oft der Jagd nach dem Glück, und manchmal bieten sich
dem Medizinalbeamten, der bis zur Quelle der Infektion vorzudringen
bemüht ist, nicht mehr Aussichten anf Erfolg als einem Lotterie¬
spieler. Es gibt zwar zahlreiche Fälle, wo die Ansteckung oder
die Uebertragung handgreiflich ist; in anderen Fällen ist die
Ursache immerhin noch mit einer an Gewissheit grenzenden
Wahrscheinlichkeit festzustellen. Daneben gibt es aber noch eine
Anzahl von Fällen, die weder sicher noch wahrscheinlich zu er¬
klären sind, und zwar einmal solche, wo immerhin noch ein Weg
der Ansteckung als möglich hingestellt werden kann, dann aber
alle die, wo alle Nachforschungen, und wären sie noch so gründlich,
gewissenhaft, amsichtig und scharfsinnig angestellt worden, er¬
gebnislos bleiben. Und gerade die Zahlen dieser letzten Art sind
so gross, grösser vielleicht, als manche ahnen!
Es bedarf keines Hinweises darauf, wie bedauerlich dies ist.
Es leuchtet ein, dass jede Bekämpfung des Typhus nur dann von
ganz befriedigendem Ergebnis ist, wenn auch die Quelle erkannt
und unschädlich gemacht worden ist, die den jeweilig vorliegenden
Erkrankungsfall bedingt hat; können doch, so lange wie sie nicht
verstopft ist, noch ungezählte andere Ansteckungen von ihr aas¬
gehen. Es ist und bleibt deshalb für den Medizinalbeamten neben
der Aufgabe, am Bette und im Hanse des Kranken alle die An¬
ordnungen zu treffen, die eine weitere Verbreitung der Ansteckungs-
642
Dr. Schlegtendal.
keime verhindern sollen, das als wichtigstes Ziel der Bemühungen,
dass er die Entstehungsnrsache auffinde.
Dieser Ursachen gibt es verschiedene. Die Beobachtungen
der letzten Jahre haben gezeigt, wie die Wege sich ändern, oder
richtiger, wie sie sich vermehren können in Anpassung an neu¬
zeitliche Einrichtungen (Molkereien, zentralisierte Käsereien, von
den schon älteren zentralen Wasserleitungen abzusehen). Es ist
aber, wie ich glaube, noch nicht bewiesen, dass ältere Annahmen
darum etwa ganz unberechtigt seien, wie die, dass Typhuserkran¬
kungen ohne weiteres Zutun beim Arbeiten in altem, schlechtem
und jedenfalls auch von Alters her verseuchtem Erdboden entstehen
können. Die Lehre, die sich Koch 1 ) bei seinen Untersuchungen
im Regierungsbezirk Trier gezogen, wonach der Typhus ähnlich
der Malaria in einem Orte lediglich durch Uebertragung von
Mensch zu Mensch zu herrschen vermöge und durch Ausschaltung
jeder Uebertragungsmöglichkeit getilgt werden könne, hat auf den
ersten Blick etwas sehr Bestechendes, zumal da der erfahrene
Autor ihre Richtigkeit durch den praktischen Erfolg seiner Mass¬
nahmen belegen konnte. Aber sie ist doch nicht so ganz neu;
auch die Beteiligung der Kinder ist schon bekannt gewesen und
wohl schon jedem, der sich mit einer länger währenden Endemie
zu beschäftigen hatte, immer wieder aufgestossen. Vor allem
darf sie aber den Beamten nicht dazu verführen, dass er etwa
meine, solche Epidemien, wie sie Koch in beneidenswerter An¬
schaulichkeit beschrieben hat, bildeten die Regel, oder sie nähmen
unter den Typhusfällen im grossen und ganzen auch nur eine
hervorragende Stelle ein, und er brauche nicht an andere In¬
fektionswege zu denken.
Das Material, das der folgenden Zusammenstellung zu Grunde
liegt, beweist, wie verschieden die Wege sein können, auf denen
sich der Typhus in die Ortschaften und in die Häuser einschleicht.
Es wird an und für sich nichts Neues damit gebracht. Aber die
Frage nach der Aetiologie des Unterleibstyphus verliert nicht
leicht ihre Spannung, und es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass
die Kochschen Ausführungen die Untersuchungen und Erörterungen
hierüber neu anregen werden. Es werden dabei grössere Zu¬
sammenstellungen einen gewissen Wert haben, und so hoffe ich,
dass auch die 682 Fälle, von denen hier die Rede sein soll,
willkommen sein werden. Die Arbeit Kochs erschien übrigens,
während ich schon mit dieser Zusammenstellung beschäftigt war.
Das Ende des Jahrhunderts hatte im diesseitigen Bezirk die
wohl als bekannt anzunehmenden Molkerei - Typhusepidemien auf-
treten lassen. Die letzte Seuche wurde dadurch besonders ver¬
hängnisvoll, dass sie sich auf den Truppenübungsplatz Elsenborn
erstreckte, hier Mannschaften von 4 Regimentern ergriff und
durch diese in die Garnisonen Aachen, Cöln-Mülheim und Coblenz
verschleppt wurde. Gleichzeitig hatten sich ausgedehnte und
') Ko oh: Die Bekämpfung des Typhus. Veröffentlichungen auf dem
Oebiete des Militär-Sanitttswesens. Heft 21. Berlin. Verlag von Angnst
Hlrsohwaid.
682 Typhoafftil« nu<i Ihre Sntatehooganreacheu.
hartnäckige Epidemien im Trierer Bezirk gezeigt. Auf Ver¬
anlassung das Herrn O'berprftsidenten wurde deshalb mittelst Ver¬
fügung vom 22. November 190Ö ü, a. »»geordnet, dass jeder
Typhuafail, der bei der Örtspotizeibebörde angemeldet wurde, so*
fort dem EieismediziißalbeaiÄtfeä bekannt gemacht würde, und der
JKreißphyetku» ..erhielt die Anweisung, hieraufhin jeden
einzelnen Typbuafall an Ort und Stelle zu unter*
Buchen u. s. w. und wöchentlich hierüber kurz zu berichten.
Dieses ausserordentliche Verfahren fand die Billigung des Herrn
Medizinal'Ministers - und ist hier auch, da es sich offensichtlich
gut bewährte, mit seiner Genehmigung weiterhin durchgefährt
und beibehaltftü worden, obwohl in §. 82 der Dienstanweisung
der UüteiieibBtyphu8 noch nicht zu den „weitere Volksfcreise
gefährdenden Krankheiten* gerechnet wird, deren Ausbruch die
unverzüglich vorzn nehmenden Ermittelungen des Kreisarztes not¬
wendig machen. Die Berichte der Kreisärzte sind im a-Ügemeinen
nur dann eingehend gewesen, wenn die Krankheit ton vornherein
iü grösserer Verbreitung auftiat. oder wenn sonstige Umstände
eine breitere Darlegung erforderten. Der wöchentliche Bericht
erfolgt mittelst eines einfachen Formulare, das aber in der Rubrik
„ßntsfcehaagsursache u. A-usführungen
reichlichsten Platz gewährt
Diese Berichte begannen mit der ersten Woche des' De¬
zembers iüOö; ich habe sie für diese Zusammenstellung
banutzt bis zum 31. Dezember 1902. Es handelte sich also um
25 Monate. Während dieser Zeit trat ein Wechsel in den Beamten
insofern ein, ala am i. April 18öl 2 Kreisphysiker itussehiedeü;
toti diesen hatte übrigens bis dahin nur einer eine Meldung vor¬
gelegt. ■ Das Material ist deshalb bezüglich der Autoren recht
glöiehmä8sig geblieben. Wollte man es nach Jahrgängen and
Kreisen zerpflücken, so würden natürlich manche Unterschiede
zu Tage treten, bedingt durch etwas umfangreichere Haun- oder
Ortschaffcs-Epidemien, die eiahi&l hier, ein ahderes Mal dort die
Gesamtziffern häuften, die aber auch von grösstem Einflüsse auf
die Verhältuiszifferü seiu mussten, die betreffe der Aerologie der
Krankheit entweder unter „Triakw&aser“ oder „Ansteckung 4 oder
unter „unbekannt“ an wüchse».
Es standen im ganzen t)82 untersuchte Fälle zur Verfügung;
sie verteilen sich an/ die einzelnen Jahre wie folgt*.
1 Mooat iw Jt&n 1900 5 t FäUe
13 Kopite „ „ tflOi : 419 ,
. ißi l J m : 212 „
Die Verteilung der Fälle auf die unten anfgeführten ein¬
zelne» Rubriken wir manchmal nicht ganz leicht, da die von den
Kreisärzten beigebr&chfcett .Angaben: die üdhw#iäb|si
lassen konnten. Ich habe alsdann den F
mir am ehesten schien, wo aW< von zww
keiten die eine doch noch etwas meh/ . Wabrachoüittokkeit »#
bieten schien, als die andere./ Die fNuunckfwhmi V ivhöitnme
des praktischen Lebens veranlassten begreiffieberw«*^
644
Dr. 8chlegtendaL
solche Zweifel. Grundsätzlich habe ich sodann nie einen Fall
zur Rubrik „unbekannt“ gewiesen, wo auch nur in etwa eine
bestimmte Ursache als Möglichkeit erwähnt worden war. Um
die Uebersicht nicht durch zu kleinliche Teilung zu stören, habe
ich endlich nur möglichst wenige Rubriken gewählt.
Hiernach verteilen sich die 682 Fälle, wie folgt: die Ur¬
sache war
a) Uebertragung
in
151 Fällen
= 22,1 v.
H.
b) Einschleppung
D
35
7t
= 5,0 „
7t
c) Wasser
n
223
Ji
= 32,7 „
rt
d) Milch, Obst
ji
7
71
= U *
yt
ej Typhös schon früh, in
dems. Hans „
19
7t
= 2,8 „
7t
f) unbekannt
7t
247
7t
= 36,3 „
1»
682 Fällen = 100,0 v. H.
Einige Bemerkungen seien hierzu gestattet:
а. Uebertragungen. Unter den 151 Fällen finden
sich 5, die die Erkrankung berufsmässiger Pflegerinnen betreffen;
kurz vor dem 1. Dezember 1900 waren noch 3 andere Opfer dieser
ihrer Tätigkeit bekannt geworden; die meisten (7) Ansteckungen
entfallen hiervon auf Krankenhauspersonal, nur 1 auf eine freie
Pflegerin. 2 mal waren es ferner Wäscherinnen, die nachweislich
die Wäsche von Typhuskranken besorgt hatten. 5 Uebertraguögen
erfolgten im Bett bezw. durch die Bettwäsche: einmal hatten
2 Burschen, von denen der eine unbekannter Weise schon krank
war, das Bett geteilt; die 4 anderen Ansteckungen erfolgten
durch Benutzung von Betten, in denen vorher ein Typhuskranker
gelegen hatte. In 3 Fällen handelte es sich um Männer, die
berufsmässig mit dfer Entleerung der Abortgruben beschäftigt
waren. Bemerkenswert sind ferner folgende einzelne Beob¬
achtungen :
1. Ein 8jähriger Knabe in Aachen spielte im Juli mit Kinderspielseng,
das als Geschenk von einer Familie ins Hans gelangt war, wo im August des
▼oraofgegangenen Jahres Mutter und 2 Söhne (9 n. 18 Jahre alt) an Typhus
gelitten hatten.
2. Eine 46jährige Näherin erkrankte an Typhus; sie besserte die ihr
▼on auswärts sagesandten Kleidungsstücke ans.
3. Der Vater des erkrankten Knaben hat 2 Monate vorher die Leiche
eines an Typhus gestorbenen Ackergehilfen gewaschen.
4. Die Mutter eines anderen 10jährigen Knaben hat in dem Hause des
vorerwähnten Falles verkehrt, bevor die Erkrankung als Typhus erkannt
worden war.
5. Der Erkrankte hat wiederholt seinen an Typhus erkrankten Schwager
besucht and sich bei ihm längere Zeit „mit ansgesprochenem Widerwillen“
aufgehalten.
б. Ein Kind Sch. in Aa. erkrankt; die Krankheit wird nicht als Typhus
erkannt und nicht angemeldet; es erkranken in schneller Folge seine Matter,
ein Geselle und ein Laufbursche, die in demselben Hanse beschäftigt waren,
und endlich noch die Schwester der Matter, die das rekonvalessente Kind au
sich in Pflege genommen hatte.
In 7 Fällen wurden mindestens je 3 Uebertragungen bekannt,
einmal 4 und ein anderes Mal sogar 5. Dass infolge einer grösseren
Dorfepidemie, die durch einen verseuchten öffentlichen Brunnen
entstanden war, noch mehr Ansteckungen von Person zu Person
682 Typhusfälle und ihre Entstehongsnrsaeben.
646
erfolgten, ist natürlich; sicher als solche gemeldet 'wurden 12; in
Wirklichkeit dürften es noch mehr sein.
b Einschleppungen. Die hier untergebrachten 35 Fälle
sind die, bei denen nichts weiter festgestellt worden war. Alle
von ausserhalb des Bezirks oder von einem Ort in den anderen
Ort eingeschleppten und vertragenen Erkrankungen, deren Ent¬
stehung bestimmter auf Uebertragung oder Trinkwasser u. 8. w.
zurückgeführt werden konnte, sind nach dieser besonderen Ursache
eingeschätzt worden.
c. Wasser. Die 32,7 v. H. betragenden 223 Fälle, die
auf eine Ansteckung durch Wasser beruhen dürften, teilen sich
in 2 Gruppen: 187 = 27,4 v. H. erkrankten durch Brunnen¬
wasser, 36 = 5,3 v. H. dagegen erkrankten durch Bach-,
Flusswasser. Beide Ziffern sind verhältnismässig hoch, und
sie bleiben hoch, auch wenn man 2 grössere Epidemien als ausser-
gewöhnlich abziehen wollte; es verblieben dann dort (187—53)
134 und hier (86—16) immer noch 20 Fälle. Wie zahlreich die
auf das Wasser zurückzuführenden Ansteckungen sind, erhellt
ferner, wenn man auch andere Mehrzahlfälle abzieht und sie nur
einfach d. i. in der Einzahl anrechnet. Es wurden nämlich
gezählt: 2 mal je 7 zusammengehörende Fälle, 1 mal 5, 3 mal
je 4, 2 mal je 3 und zwei mal je 2. Es sind dies 41 Fälle an
nur 10 Stellen. Die beiden Epidemien entsprechen 2 Stellen.
Es ergibt sich dann, dass an 125 Stellen das Wasser als Er¬
krankungsursache angenommen werden musste. Auf diese 125 Stellen
entfallen zunächst obige 223 Erkrankungen, ferner aber auch
mittelbar eine nicht geringe Zahl der unter „Uebertragungen“
aufgezählten Fälle.
Der Erwähnung wert sind noch folgende Einzelheiten:
1. An 9 Stellen, darunter einmal gleichzeitig 2 Erkrankungen, ist der
Genuss von Grubenwasser beschuldigt worden (es handelte sich hierbei um teil¬
weise tiefe Kohlengruben, in denen hier und da z. 6. auch das Anchylostomnm
vorkommt).
2. An 6 Stellen musste angenommen werden, dass der Brunnen vom
Nachbarhanse her Typhuskeime aufgenommen habe, wo vorher Typhus geherrscht
hatte, mutmasslich oder sicher aber nicht genügend beachtet worden war.
Die Erkrankung im Nachbarhanse lag zurück 1 mal 1 */* Jahre, 1 mal 2 Jahre
und in einem 3. Falle war vor 1 nnd vor 3 Jahren dort Typhus gewesen.
3. In Mtj. erkrankte ein 9 jähriges Mädchen, das eingestandenermassen
10—14 Tage vorher viel im Wasser der Bnr gespielt batte. Bei der engen
Talbildnng nnd dem felsigen Untergrund bildet die Bnr von alters her den
natürlichen Abwässerkanal des Städtchens, nnd fast sämtliche Hänser leiten
auch die Fäkalien dahin ab. Zn jener kritischen Zeit war eine Kranke mit
unbestimmter Diagnose in das Hospital gebracht worden; ancb ihre Abgänge
flössen znr Bnr ab. Nach 2 Tagen erst wurde die Diagnose auf Typhus
gestellt; die Fäkalien wurden nunmehr sorgsam desinfiziert. Das Kind
hatte aber das Unglück gehabt, in der Zeit der ungewissen Diagnose mit dem
verseuchten Flusswasser zn spielen.
4. Im Kreise A.-L. erfolgte eine Ansteckung vermutlich durch den Genuss
von verdächtigem Wasser eines Brunnens, der dicht bei einem Aborte gelegen
ist; dieser Abort war aber nachweislich von mehreren Arbeitern benutzt worden,
die ans dem Orte kamen, wo die eine der erwähnten Epidemien herrschte,
nnd die selbst an Unterleibstyphus erkrankten.
5. Im Kreise A. - L. entfielen 7 Fälle gleichzeitig auf folgende Quelle:
an einem sonst unverdächtigen Brnnnen war der Sangkolben der Pompe
646 Dr. Sohlegtendfcl.
wkidlttft geworden; er wirkte ent wieder, wenn ron oben Warner eingegoMen
war; dieeee Wueer wurde aber stete dem nahen Bache entnommen, dessen
Wasser auch bei anderen Typhnsf&llen eine Bolle spielte.
6. Recht klar verliefen die Ansteckungen in 0. Das DOrfchen siebt sich
in einem Tale hin und ist, da eine Wasserleitung bisher nicht su beschaffen
war, sehr viel auf das Baehwasser angewiesen. An einem der oberen Hftnser
wurde die Wische eines — einstweilen unbekannten — Typhusfalles gespftlt,
und nach einer Zeit lagen talabwärts 16 andere Kranke darnieder.
d. In 5 Fällen (S einzelnen, 2 zusammen) ist die Milch als
infiziert zu bezeichnen gewesen. Je 1 mal fiel der Verdacht auf
Obst nnd Gemüse. In dem letzteren Falle hatte der Patient
in Gartenland gearbeitet, wohin nachweislich Typhuskeime ge¬
langen konnten; entweder erfolgte die Ansteckung unmittelbar
oder aber durch Gemüse, was diesem Garten entnommen wurde.
Dass diese letztere Annahme berechtigt sein kann, war vor einigen
Jahren in einer Hausepidemie ersichtlich gewesen.
e. Es folgen nunmehr die 19 Fälle = 2,8 v. H., die unter
der Bezeichnung „Typhus in demselben Hanse schon
früher* zusammengefasst worden sind. Diese gesonderte Auf¬
führung wird vielleicht mannigfach beanstandet werden. Ich bin
mir wohl bewusst, wie sie sowohl allen denen nicht genehm sein
kann, die weder Pest- oder Diphtheriehäuser noch auch die früher
keineswegs unbekannten Typhushäuser anerkennen, wie sie aber
anch den Beifall derer nicht finden wird, die auf Grund der bis¬
herigen Laboratoriumsversuche u. s. w. dem Typhusbacillus im
Erdboden nur eine geringe Langlebigkeit zuerkennen wollen. Es
ist aber zunächst einfach Pflicht, diese 19 Fälle, die schon von
den untersuchenden Kreisärzten so ihre eigene Bezeichnung er¬
halten haben, auch in einer eigenen Gruppe aufzuzählen. Sodann
wird man sich ja aber wohl damit trösten dürfen, dass denen,
die eine derartige Sonderstellung nicht anerkennen wollen, immerhin
eine nicht geringe Anzahl von Praktikern gegenübersteht, die
ähnliche Erfahrungen und Beobachtungen gemacht haben. Endlich
aber dürften die Untersuchungen über die in der Freiheit belassenen
Typhuskeime, ihre Lebensbedingungen und ihre Lebensdauer (sei
es mit, sei es ohne eine besondere Form, die eine grössere Aus¬
dauer gestattet) noch nicht als abgeschlossen zu betrachten sein.
Es ist immerhin recht bemerkenswert, dass Koch a. a. 0. S. 13
an- und zugibt: „Sie können sich vielleicht in einem feuchten
Boden, wenn sie etwa mit Dungstoffen u. s. w. dahin gelangten,
ein paar Wochen, selbst einige Monate halten. Es ist möglich,
dass sie sich einen Winter hindurch auf den Feldern lebend er¬
halten können, wenn sie durch Latrineninhalt u. s. w. dahin ge¬
kommen sind*. Koch schliesst den Satz mit „aber viel länger
nicht*. Hiermit meint er zunächst offenbar die kurz vorher er¬
wähnte alte Ansicht, die Keime könnten in den Boden gelangen,
sich dort einnisten und vermehren, „Jahrzehnte, womöglich Jahr¬
hunderte darin leben, so dass, wenn ein verseuchter Boden
angerührt und umgewühlt würde, dann der Typhus zum Ausbruch
käme*. Derartig lange Fristen können aber hier unberücksichtigt
bleiben, und die von Koch zugestandene Dauer ist lang genug,
682 TyphugfEUe and ihre Bntetehmigsanmeheo.
647
am viele Ansprüche zn befriedigen. Es ist aber nicht recht
ersichtlich, warum unter günstigen Verhältnissen (lockerer, lnftiger,
günstig angefeuchteter, von geeigneten Nährstoffen durchsetzter
Boden z. B.) die Keime nicht auch noch einen Sommer und noch
einen Winter aushalten sollten. Was im Laboratorium bei der
Züchtung der Stämme möglich ist, wird in der freien Natur doch
nicht unter allen Umständen ganz und gar unmöglich sein, auch
ohne dass die Keime zwischendurch erst mal wieder einen mensch¬
lichen Körper passiert haben. Ich möchte diese Möglichkeit einst¬
weilen jedenfalls noch als zu Recht bestehend anerkannt sehen!
Dann dürfen aber auch die fraglichen 19 Fälle gesondert auf¬
geführt werden, und es verschlägt dabei auch nichts, dass wir
nicht wissen, ob die Infektionskeime auf dem Hofe oder gar im
Hause, etwa zwischen und unter den Holzdielen ihr Leben ge¬
fristet haben. Im einzelnen ist dazu nicht viel zu sagen; es
gehört unter die Fälle dieser 25 Monate auch nicht eine Fest¬
stellung, die vorher bei einem Gehöfte gemacht worden war, die
aber hier erwähnt sein möge: In diesem Gehöft erkrankt jeder
neue Dienstbote nach einiger Zeit an Typhus und ebenso alle hier
geborenen Kinder noch während ihrer Jugend. Wie lange dies
schon zurückreicht, weiss man nicht. Es fehlen auch alle greif¬
baren Momente zur etwaigen Annahme, dass hier oder da etwas
gesundheitswidrig sei und geändert werden müsse. Je nach den
Umständen vergehen Jahre, bevor ein neuer Erkrankungsfall
auftritt. Bei unseren 19 Fällen lag die letzte Typhuserkrankung in
dem betreffenden Hause zurück:
1 mal 2 Hoaate 1 mal 8 Monate 8 mal 18—24 Monate
1. 3 „ 1„ 9 „8„8 Jahre
2 „ 4 „ 1 „ 14 „ 1 . ß , (damaleSF.)
1 „ mehrere „ 4 „ 18 „
Zu bemerken ist endlich noch, dass 1 mal 2 Fälle und
1 mal 3 Fälle in demselben Hause aufgetreten sind; die übrigen
14 Erkrankungen waren vereinzelt. Sie verteilen sich auf
5 Kreise.
f. Den Beschluss machen 247 Fälle = 36,3 v. H., deren
Herkunft unbekannt geblieben ist, die aber gerade deshalb
einer besonderen Besprechung wert sind, weil sie beweisen, dass
auch der so bekannte und viel erörterte Typhus noch seine Rätsel
hat. Wir können in der Schar allerdings noch etwas sondern.
Die Kreisärzte haben in solchen Fällen nicht immer nur lakonisch
gemeldet „Ursache unbekannt“, sondern sie haben erfreulicher¬
weise oft noch angegeben, wenn in oder an dem Hause etwas
nicht iu Ordnung war, wenn sich sanitäre Misstände fanden, die
der Abstellung bedurften. Dabei war die Sachlage aber so, dass
diese Misstände keineswegs ätiologisch mit der Erkrankung in
Verbindung gebracht werden konnten.
So ist 23 mal angegeben, dass das Gelände, auf dem das
Haus steht, schlecht, nicht entwässert oder von alten Zeiten her
mit organischen Stoffen durchsetzt sei. Es reihen sich 5 Fälle
aus einer grösseren Anstalt an, wo das Gelände gar nicht einmal
648 Dr. Sohlegtendal: 682 TyphuBf&lIe und ihre Entstehanganraaeheii.
besonders grosse Mängel aufwies, wo aber doch der einzige be¬
stimmtere Verdacht, der gefasst werden konnte, nur das Erdreich
treffen musste. Es sind ferner 43 Häuser genauer bezeichnet
worden, wo gröbere Misstände herrschten, wie Schmutz, schlechte
Ableitung der Abwässer, Ansammlung von Kehricht, schlechte
Luft und dergl. Gerade solche Häuser sind es auch gewesen,
wo entweder sofort oder nach und nach 2 und mehr Erkrankungen
auf traten, so in Aachen 3 mal je 3 Fälle und 2 mal je 5 Fälle,
ohne dass eine Uebertragung nachweisbar oder eine bestimmte
Infektionsquelle zu erkennen gewesen wäre.
Alles in allem genommen ist bei 82 Fällen etwas Besonderes
nebenbei bemängelt worden, und es bleiben 165 = 24 v. H. der 682
Fälle übrig, wo der Kreisarzt nichts gefunden hat, wo die Infek¬
tion gänzlich rätselhaft geblieben ist. Dass die Untersuchung
in rund */ 4 aller Fälle entweder die Ursache feststellen konnte oder
doch eine Reihe von Misständen gewissermassen als Verdachts¬
momente beizubringen vermochte, finde ich nicht so verwunderlich,
nachdem jeder Medizinalbeamte aus eigener Erfahrung oder auf
Grund seiner Studien und litterarischen Forschungen die Schleich¬
wege des Typhus kennen gelernt hat. Das ist aber m. E. ver¬
wunderlich, dass bei 24 v. H. d. i. fast bei jedem 4. Falle gar nichts
aufzudecken gewesen ist: kein schlechtes Wasser, keine Erkrankung
vorher in der Familie und in der Freundschaft, keine Misstände,
kein Schmutz.
Noch verwunderlicher wird diese Tatsache, wenn wir zum
Schluss noch einen kurzen Blick auf diese Reihen der Unbekannten
werfen. Es ist begreiflich, wenn die Nachforschungen bei einem
einzelnen Falle in einer grösseren Stadt ergebnislos bleiben:
es ist tatsächlich ein Ding der Unmöglichkeit, hier allen den
Wegen nachzuspüren, die das erkrankte Individuum vor 2—3 Wochen
gegangen ist, festzustellen, was und wie es damals gegessen und
getrunken hat, welche Menschen mit ihm in Berührung gekommen
sind, und von welchem Gesundheits- oder Krankheitszustand diese
waren. Dieselben Verhältnisse finden sich auch in Landbezirken,
wo etwa die Industrie die Bevölkerung dichter wohnen macht
und zu unverfolgbarem Verkehrstreiben durch einander wirbelt,
wo dann noch die schärfere Kontrole der Nahrungsmittel, wie sie
der Grosstädter kennt, fehlt, wo es entweder keine Wasserleitung
gibt, oder wo daneben noch alte Brunnen zweifelhaften Wertes
in Benutzung stehen, wo die allgemeinen Ansprüche an Anstand
und Reinlichkeit minder laut auftreten, und wo der wertvolle
Dung nicht sofort weggespült, sondern sorgsam gesammelt
wird u. s. w. Dass ein grosser Teil der 165 unbekannten Fälle
auf die Stadt Aachen und auf die Arbeiterviertel im Landkreise
Aachen u. s. w. fällt, ist also begreiflich. Ich lasse sie beiseite;
beiseite auch die aus Kreisen und Ortschaften, die seit Jahr¬
zehnten als hervorragend von Typhus heim gesucht gelten; denn
hier drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf: wo einmal so
viele Brunnen verdächtig sind, und wo Jahr aus Jahr ein so viele
Erkrankungen auftreten, da ist es doch nicht unbegreiflich, dass
Df, Romeick : Regelung des DeMnfektloßswesen« im Kreise na*-. 649
non auch der jeweilig in Betracht kommende Mensch hat an*
gesteckt werden müssen,, seinem Schicksal nicht entrinnend.
Ich möchte aber &ui § Kreiäe terweieefi, die durchaus zu
den ländlichen Bezirken gehören, die verhältnismässig schwach
bevölkert sind, wo es nur wenige und nur kleine geschlossene
Ortschaften, gibt., und wo der Typhus keineswegs heimisch ist
oder letzthin verbreitet war. Hier fallen die Schwierigkeiten,
die vorstehend dargelegt sind, grösstenteils fort; es lassen eich
alle Wege, die der Mensch gegangen, alle Mitmenschen, die er
gesprochen hat, u. s. w. weit eher feststellen, und die öertlichfceit
ist übersichtlich, selbst wenn es sich nicht nur um Hinan einzelnen
Hof, sondern um ein ganzes Dorf handelt. Da ist:
t. Dar Kreis Erkelenz; uaf raad 289 qkm wohnen 87000 Ein*.; die
KreUst&dt zählt 4600 Ebw. und Wegberg ist fast ebenso gross. Es sind ge¬
meldet worden te den & Jahren 22 Tyjsliusf&ile ia zusammen 9 Orten. Hiervon
blieben onaufgeblbrt 10 Fälle An 7 Off.eo.
2. Der Kreis Geilenkirchen; 26öOÖ Einw. auf 197 $km, die Kreisstadt
bat -4200 Biow. Die 6 gemeldatau Erkrankungen verteilen eich auf 6 Orte,
die 3 öoaufgekUrten aber auf 2 Orte.
3. Xm Krmaa Heitttfberg (36000 Eiaw., 243 qkm) kamen Überhaupt ho*
3 Anzeigen eia ; n 2 Fälle wurden aufgeklärt, der 3. war ganz isoliert und
blieb dunkel, .
4. Keeie Jülich (42700 Einw. auf 318 qkm); die Kreisstadt, bat.
Ö&ÜÖ Einw^iLiunieb 2100 Einw. Es wurden 47 Erkrankungen angeseigt;
hiervon blieben besUglicb der Entsteh an g unbekannt 23, Diese 33 Falle ver¬
teilen sieb auf 9 Orte, aber so, dass 17 Fälle auf 3 Ortschaften entfallen und
0 Fälle ganz vereinzelt vorgekommen sind,
6, Der Kreis Schleiden erstreckt »ich Uber 824 qkm; dis 'Ortschaften
(Schleiden 660, Gern find 1900, Mechernich 3600. Biankenbejm 860 Einw.) sind
nur klein; *b verteUen «ich die 45600 : Slow,; 'daher sehr stark. Dabei ist
meistens wenig Verkehr, da die Industrie im wesentlichen auf einen Talzng
beschränkt ist. Von 39 Fälle« blieben30 dunkel t Diese verteilen afab aber
auf nicht weniger ab 18 Orte, sog war, dang auf 13 Orte nur je eie Fall kam!
Diese Ergebnisse gemahnen an das bekannte Wort, dass es
zwischen Himmel und Erde manche Dinge gebe, die der Schul-.
Weisheit spotten, Sie werden aber auch* wie Ich hoffe, manchem
Leser zum Abtrieb werden, ähnliche ^naamtaehstelluagen zu
machen hhd:#^3!ifc«Bhh. Für die Natürgesehihht^ des üüterieibs-
typhös werden dieselben vielleicht ebenso wertvoll aein, wie für
die noch nicht geschriebene endgüUige Kulturgeschichte des
hinterlistigen E 5>e r t hsehen Bacillus,
Regelung des Desinfektionswesens im Kreise und Absönde-
rungsve(fahren,
; Von Kr6isar*t Or, Romeick i» Mobtungun,
Das dem A.bgeordnetenhauee. vorgelegte, aber von diesem flieht
verubschiedet« pceussfsdie Souchengesetz für die eiuh^mischeo
Heu eben fordert, ehe d*o wie -das Beidmeu;-iiengesetz ($ vm :
last, alten Iw^ikhette» die ttesmfektidö Uöd iö der B . ' ; '
dazü {s. § 8, Nr. II) heisst es ausdrücklich, ft die ricuit.biile.«
and Kreise werden für die ßereithaltung eines geschultst; D*
inlektionspersonals und die Bereitstellung wirksamer Fr ; j
650
Dr. Romeick.
tionsmittel, sowie zureichender und im leistungsfähigen Zustande
zu erhaltender Desinfektionsapparate Sorge zu tragen haben/ In
dem hiesigen ländlichen Kreise besteht bereits das Institut von
Kreisdesinfektoren seit 4 1 l a Jahren und es dürfte von Interesse
sein, die Einrichtung und den Betrieb desselben kennen zu lernen.
Der 1265 qkm grosse Kreis mit 58350 Einwohnern wird
durch den Röthloffer See von Nord nach Süd in zwei annähernd
gleiche Teile geteilt. Der Mittelpunkt des einen ist die Stadt*
Mohrungen, der des anderen die Stadt Saalfeld. In diesen
beiden Städten ist für je eine Hälfte je ein Kreisdesinfektor
angestellt, früher ein Maler- und ein Schuhmachermeister, jetzt
beide Schuhmachermeister. Aus den Kreisen der kleinen Hand¬
werker dürfte stets, falls einer ausscheidet, Ersatz zu schaffen
sein; sie sind an fleissiges Arbeiten gewöhnt und jederzeit ver¬
hältnismässig leicht abkömmlich, während letzteres für Barbiere,
untere Polizeibeamte u. s. w. weniger der Fall ist. Mehr als
zwei im Kreise anzustellen, etwa in jedem Amtsbezirke einen,
wäre für hiesige Verhältnisse unzweckmässig; denn dann hätten
alle zu wenig Einnahmen aus diesem Nebenamt und würden auch
aus der Uebung kommen.
Im März 1898 bewilligte der Kreistag die erforderlichen
Mittel. Auf die betr. Annonce in den Kreisblättern liefen eine
Anzahl von Meldungen ein. Die beiden Ausgewählten wurden in
der städtischen Desinfektionsanstalt in Berlin drei Wochen lang
unentgeltlich sowohl in der Haus* und Transportkolonne, wie in
der Bedienung der Desinfektionsapparate ausgebildet. Sie er¬
hielten während der Zeit 4 Mark Tagegelder und freie Hin- und
Rückfahrt 4. Klasse. Ihre Ausrüstung wurde ihnen von Gebr.
Schmidt in Weimar für je 100 Mark angeschafft. Ihre Tätig¬
keit ist nach folgenden Grundsätzen geregelt:
Der Landrat bestimmt nach dem Vorschläge des Kreisarztes,
wo und wann eine Desinfektion durch den Kreisdesinfektor auszu¬
führen ist. Der Gemeinde- bezw. Gutsvorstand hat denselben zur
vorgeschriebenen Zeit zu requirieren. Der Kreisdesinfektor erhält
4 Mark Tagegeld, sowie Hin- und Rückfahrt, angemessene Ver¬
pflegung und event. Unterkunft für die Nacht. Der Kreis über¬
nimmt die Hälfte des Tagegeldes und die Hergabe der aus der
Apotheke zu beziehenden Desinfektionsmittel. Die Gemeinden
haben also nur 2 Mark Tagegelder zu zahlen, den Desinfektor mit
Fuhrwerk hin- und zurückzuschicken oder ihm Bahngeld (5 Pfg.
pro km) zu bezahlen, die Desinfektionshausmittel (grüne Seife, ge¬
löschten Kalk u. s. w.) zu liefern und ihm Verpflegung und event.
Unterkunft zu gewähren. Der Kreis stellt ausserdem die Dampf¬
apparate in beiden Kreiskrankenhäusern für die durch den Desin¬
fektor vorzunehmenden Desinfektionen unentgeltlich zur Verfügung.
Sofort nach ausgeführter Desinfektion schickt der Desinfektor seine
Rechnung an den Kreisausschuss. Dieser zieht die Beträge ein und
liefert sie ohne Verzug an den Desinfektor ab. Die Einnahme
für seine Arbeit wird ihm also vom Kreise garantiert, so dass er
keine Verluste erleiden kann und dadurch besser steht als die
Desinfektionaweaen im Kreise and Absonderaogaverfahreii. 651
Bezirkshebammen. Im Kalenderjahr 1902, wo allerdings hier eine
* sehr ausgedehnte Scharlachepidemie herrschte, hat der Kreisdes¬
infektor in Mohrungen 198, der in Saalfeld 171 Desinfektionen
ansgeffihrt; ersterer hat also 792, letzterer 696 Mark Tagegeld
erhalten. Rechnet man noch die freie Verpflegung und vielleicht
noch kleine Ersparnisse von den Reisegeldern, so dürfte sich auch
weiterhin das durchschnittliche Einkommen jedes der beiden Des¬
infektoren auf etwa 500 Mark stellen. Die Hebammen des Kreises
haben 1902 durchschnittlich 50 Entbindungen gehabt; rechnet
man jede zu 6 Mark (was sehr oft noch nicht erreicht wird), so
ergibt sich erst ein Jahreseinkommen von 300 Mark und die Ein¬
treibung ihrer Forderungen ist ihre eigene Sache. Die finanzielle
Sicherstellung leistet also dem Institut der Kreisdesinfektoren Ge¬
währ für Bestand und Dauer.
Die grossen Vorzüge, welche die Formalindesinfektion für die
überwiegende Zahl der Infektionskrankheiten bietet, führten dazu,
beide Kreisdesinfektoren im vorigen Jahre abwechselnd zu einem
14 tägigen Nachkursus zur Erlernung der Formalindesinfektion nach
Berlin zu schicken unter denselben Bedingungen wie beim ersten
Lehrkursus. Auch dieser Nachkursus wurde in der städtischen
Desinfektionsanstalt kostenlos gewährt und jedem ein Prüfungs¬
zeugnis ausgestellt. Der eine hat „gut“, der andere „sehr gut“
bestanden. Danach wurde jedem ein F1 ttg g e scher Apparat nebst
Ammoniakentwickler von G. Härtel-Breslau zum Preise von
60 Mark angeschaflt, Watteschnurstreifen von Krafft & Buss-
Wetzlar, die übrigen Ausrüstungsgegenstände von einheimischen
Kaufleuten. Die Ausrüstung ausser dem Apparat kostet für jeden
ca. 50 Mark. Die Desinfektionsmittel aus den Apotheken (For¬
malin und Ammoniak und Sublimatpastillen) werden aus diesen
zu Engrospreisen bezogen. Trotzdem hat der Kreis dadurch
gegen früher erhebliche Mehrkosten. Seitdem sind alle Woh¬
nungsdesinfektionen mittels Formalin ausgeführt, ausser bei Unter¬
leibstyphus (Ruhr und Cholera sind noch nicht vorgekommen),
wo die frühere einfache Desinfektion mit Ueberfübrung der nicht
waschbaren Gegenstände in die Dampfapparate ihre Geltung be¬
hauptet.
Im Regierungsbezirk Arnsberg sind den für jeden Amts¬
bezirk vorgesehenen Desinfektoren ausser den Schlussdesinfektionen
noch andere Aufgaben zugewiesen, wozu ich noch in Kürze
Stellung nehmen möchte. Erstens die Kontrolle der laufenden
Desinfektionen am Krankenbett, für die den Familienvorständen
eine gedruckte Anweisung sofort bei Ausbruch der Krankheit ein¬
gehändigt wird. Auch hier wird den verseuchten Familien eine
vom Kreisärzte ausgearbeitete Anweisung sofort durch den Amts¬
vorsteher zugestellt, und der Kreisarzt erläutert dieselbe bei seinen
Untersuchungen an Ort und Stelle ausführlich. Dennoch wird
dieselbe fast überall sehr unvollkommen oder gar nicht ausgeführt.
Eine Kontrolle wäre also höchst nötig. Unsere beiden Kreisdes¬
infektoren können dieselbe aber höchstens an ihrem Wohnorte selbst
ausüben; für ihre sonst dazu erforderlichen Reisen würden weder
652
Dt. Romeiek.
Kreis, noch Gemeinden die Mittel hergeben. Die Aufstellung dieser
Forderung würde das immerhin noch nicht überall gewürdigt *
Institut der Kretadesinfektoren noch unbeliebter machen und eine
Opposition gegen dasselbe wachrufen. Hier bleibt noch eine
Lücke in unserem Desinfektionswesen, deren Ausfüllung auf
anderem Wege ins Auge gefasst werden muss. Wir haben im
Kreise fünf von den Frauenvereinen unterhaltene Gemeinde¬
schwestern. Bei den jährlichen Nachprüfungen der Kreisdesin¬
fektoren müsste der Kreisarzt auch die Schwestern heranziehen,
sie in den Desinfektionen ausbilden, und ihnen die Ausführung
und Kontrolle derselben am Krankenbette in ihrem Wirkungskreise
zur Pflicht machen. Ferner sollen im Regierungsbezirk Arnsberg
die Kreisdesinfektoren die Gehülfen und Führer des Kreisarztes
bei den Orts- und Schulbesichtigungen sein und sogar die Kon¬
trolle über die Ausführung der von ihm vorgeschlagenen Mass¬
nahmen ausüben. Hier im Osten ist das Ortsbesichtigungsrecht
des Kreisarztes dem Grossgrundbesitz vorläufig noch ein Dom im
Auge, und die Schulgemeinden wehren sich mit Händen und Füssen,
die vom Kreisärzte für nötig befundenen Verbesserungen an den
Schulen aus ihrer Tasche zu bezahlen. Hier noch einen Unter¬
beamten mit dem Rechte der Mitbesichtigung und gar der Kon¬
trolle einzuführen, wäre wenigstens für den Osten der Monarchie
ganz verfehlt. Ueberdies hat diese Tätigkeit auch mit den
Funktionen eines Desinfektors gar nichts zu schaffen.
Ich möchte nun noch in Kürze erläutern, wie das AbSonde¬
rung 8 verfahren nach dem neuen Gesetz auch für die ein¬
heimischen Seuchen zu handhaben ist, um wirklich eine Weiter¬
verbreitung derselben zu verhüten. Ohne gesicherte Absonderung
der Kranken, der Krankheitsverdächtigen (die unter Erscheinungen
erkrankt sind, welche den Ausbruch der Seuche befürchten lassen)
und der Ansteckungsverdächtigen (die, ohne krank zu sein, das
Ansteckungsgift wahrscheinlich in sich aufgenommen haben oder
an sich herumtragen) hinkt auch die beste Desinfektion der Seuche
nach, ohne wesentlichen Nutzen zu schaffen. Sie gleicht dann
einer Feuerspritze, die ein brennendes Haus löscht, während die
Insassen desselben ungestört alle umliegenden Häuser in Brand
setzen. Wie ist es denn bisher gewesen? Man hat vielleicht
eine Tafel an dem verseuchten Hause anbringen lassen und das
Betreten der verseuchten Wohnung untersagt; man hat ferner die
schulpflichtigen Kinder aus der Familie oder auch aus dem Hause
von Schule und Konflrmandenunterricht ausgeschlossen. Aber die
freie Bewegung der Kranken sowohl, wie der Haushaltungsange¬
hörigen hat man nicht zu beschränken vermocht. Ansteckende
Kranke, besonders diphtheriekranke Kinder, werden in ärmeren
Gegenden, wie hier, sehr oft zum Arzte hingefahren zur Behand¬
lung bezw. zur Heilserumeinspritzung. Danach wird der nötige
Einkauf bei verschiedenen Kaufleuten gemacht oder im Gasthause
eingekehrt und überall der Giftstoff abgelagert. Ein Antrag
meinerseits, den Transport ansteckender Kranken, abgesehen
Deainfektionsweaen im Kreise and Absonderangsverf&hren. 653
den nach einem Krankenhause, zu verbieten, ist vom Landrat, als
gesetzlich unzulässig, abgelehnt. Und die Haushaltungsmitglieder?
Eine Absonderung von den Kranken, so dass jede Berührung mit
Sicherheit ausgeschlossen ist, lässt sich nur ganz ausnahmsweise,
etwa in einem Guts- oder Pfarrhause, durchführen. Die Ueber-
führung der Kranken ins Krankenhaus ist auf dem Lande selten
möglich, denn in diesem ist kein Platz, kein Isolierraum und kein
geeignetes Personal. Die Kranken bleiben deshalb meist zu Hause,
und die Haushaltungsmitglieder derselben sind dann nicht nur als
ansteckungsverdächtig, sondern bei kleinen Handwerkern und Ar¬
beitern, die oft in einer einzigen Stube wohnen, essen und schlafen,
geradezu als mit dem Ansteckungsstoff geschwängert zu bezeichnen.
Und diese haben freie Bewegung! Der Mann geht auf seinen
Arbeitsplatz in Landwirtschaft und Fabrik, oder als Handwerker,
Händler, Briefträger von Haus zu Haus, oder auf sein Bureau
zur Abfertigung des Publikums, oder nach den Mühen des
Tages in die Schenke; wie der verseuchte Postbeamte wirkt,
hat Herr Kollege v. Gyzicki in seinem Artikel „die Post als
Vermittlerin bei der Weiter Verbreitung von Krankheiten“ in Nr. 2
dieser Zeitschrift treffend geschildert. Die Frau trägt vielleicht
Nahrungsmittel (Brot, Gemüse) von Haus zu Haus, oder sie be¬
sorgt Einkäufe in den Kaufläden oder auf dem Markte, oder sie
geht an mehreren Stellen aufwarten oder kochen, oder sie macht
Freundschaftsbesuche. Die Tochter geht in den Dienst oder in
fremden Häusern schneidern. Die Kinder spielen tagüber mit an¬
deren Kindern zusammen auf der Strasse. Und wie geht es in
dem verseuchten Hause selbst zu, trotz Tafel und Eintritts verbot?
Unnütze Besuche werden vielleicht dadurch etwas hintangehalten,
beim Schneider habe ich aber schon die zum Austragen oder Ab¬
holen bereit gestellten Kleider auf dem Bett des scharlachkranken
Kindes lagern, den Verkaufsraum des Bäckers oder Kaufmanns in
offener Verbindung mit dem Krankenzimmer gesehen; ebenso den
Bureauraum beim Postagenten. Kurz, überall, wo eine Abgabe
von Waren oder Gegenstände in einem verseuchten Hause statt¬
findet, tragen diese das Gift nach allen Himmelsrichtungen hin
fort. Alles dies beruht auf eigener Anschauung; und so kann
man wohl sagen, dass die Verhütung der Weiter Verbreitung an¬
steckender Krankheiten mit den bisher gesetzlich zulässigen Mass-
regeln niemals gelungen ist und niemals gelingen konnte.
Wie wird nun auf Grund des Reichsseuchengesetzes sowie
des neuen Gesetzes, falls dieses zur Annahme gelangt ist, vorge¬
gangen werden müssen? Das Gesetz gibt nicht nur die Mass-
regel der Absonderung Ansteckungsverdächtiger, son¬
dern auch die Meldepflicht zugereister, welche sich inner¬
halb der Inkubationszeit in einem verseuchten Bezirk aufgehalten
haben, und die Beobachtung Ansteckungsverdächtiger und
zwar in einfacher Form, indem zeitweise Erkundigungen nach dem
Gesundheitszustände eingezogen werden, und in verschärfter Form
bei umherziehendem Volk mit Beschränkung des Aufenthalts und
der Arbeitsstätte. Schliesslich gibt es den wegen Ansteckungsver-
654 Dr. Romeiok: Desinfektion im Kreise and Absoodernngeverfehren.
dacht Abgesonderten Anspruch auf Entschädigung für ver¬
loren gegangenen Arbeiteverdienst. Mit diesen Massregeln ist die
Verhütung der Weiter Verbreitung tatsächlich erreichbar. Gleich
bei den ersten Ermittelungen, die der Kreisarzt auf die einge¬
laufene Anzeige einer Seuche hin vornimmt, wird er sämtliche
Haushaltungsangehörige für ansteckungsverdächtig erklären und
ihre Absonderung vorschlagen. Männer, Frauen und Kinder dürfen
mit niemand in irgend eine Berührung treten. Jede Abgabe von
Gegenständen aus dieser Familie — seien es Verkaufs- oder Hand¬
werksgegenstände — ist sofort zu verbieten. Waren, Packete und
Briefe dürfen aus dieser Familie nicht befördert werden. Jede
halbe Massregel ist unnütz. Für die übrigen in demselben Hause
wohnenden Familien ist je nachdem entweder, sofern sie bereits
in näherer Berührung mit der verseuchten gestanden haben, eben¬
falls die Absonderung, oder im anderen Falle die Beobachtung
anzuordnen, so dass jeder neue Krankheitsfall im Hause sofort
bekannt wird. Diese Massregeln bleiben in Kraft bis nach
erfolgter Schlussdesinfektion. Aber auch nach dieser muss für
die Dauer der Inkubation der betr. Seuche — nach Unter¬
leibstyphus also 3 Wochen lang — noch eine Beobachtung
aller Hausinsassen erfolgen, da noch kurz vor der Desin¬
infektion eine Neuansteckung erfolgt sein kann. Erst wenn auch
diese Beobachtungszeit ohne Neuerkrankung vorübergegangen ist,
hat man gewonnenes Spiel und geht nun daran, den durch die
Absonderung in ihrem Erwerb Geschädigten die gesetzlichen Ent¬
schädigungen zuzuweisen. — Ich habe damit nur ein grobes
Schema des notwendigen Vorgehens gegeben; alle Möglichkeiten
lassen sich in einem kurzen Artikel nicht in Betracht ziehen. Ich
wollte nur hervorheben, dass es gottlob demnächst gesetzlich mög¬
lich sein wird, durch energische Massregeln dem bisherigen Schlen¬
drian der Bevölkerung den Seuchen gegenüber entgegenzutreten,
und dass überall ganze Massregeln getroffen werden müssen. Die
angeordnete Absonderung muss polizeilich überwacht werden. Die
notwendigen Lebensmittel sind den Abgesonderten so zuzuführen,
dass dabei keine Berührung stattfindet.
Einen Punkt muss ich aber noch in Kürze erwähnen, der
nach meinen Erfahrungen in allererster Linie zur weiten Ver¬
breitung der Seuchen beiträgt, — nämlich die Gebräuche der Be¬
völkerung bei Todesfällen an ansteckenden Krankheiten. Hier
geht es wie bei allen übrigen Todesfällen folgendermassen zu:
Die Leiche wird von der Totenfrau gewaschen, dann herkömmlich
herausgeputzt und im offenen Sarge drei Tage lang mitten ins
Zimmer gestellt. Die Nachbarn treten, so oft es ihre Zeit ge¬
stattet und besonders jeden Abend, zum Gebet an die Leiche und
bleiben dann noch einige Zeit plaudernd bei der trauernden
Familie. Zur Beerdigung werden die Nachbarn und sämtliche
Verwandten eingeladen. Diese finden sich nicht nur aus dem¬
selben Dorfe, sondern oft aus weiter Feme zu Wagen oder per
Bahn — sogar auswärtige Lehrer habe ich bei Scharlachleiehen¬
begängnissen angetroffen 1 — mehrere Stunden vorher ein, und im
Dr. Placzek: Bin deutsches geriohtsürztliches Leichenöffnungsverfahren. 665
Hause beginnt die Vorfeier; sehr oft singen die Schulkinder schon
in der verseuchten Wohnung. Nach der Beerdigung findet dann
ein solenner Leichenschmaus statt, der die Teilnehmer bis spät in
die Nacht zusammenhält. Die Auswärtigen nächtigen dann noch
in der verseuchten Stube und fahren erst am anderen Tage fort.
Dabei liegen oft noch mehrere Kinder in derselben Stube an Schar¬
lach oder Diphtherie schwerkrank darnieder. Auch dieses alles
habe ich viele Male mit eigenen Augen gesehen! Die angeord¬
neten gegenteiligen Massregeln werden nie befolgt, weil religiöse
Vorstellungen mit diesen altgeheiligten Beerdiguugsgebräuchen
enge verknüpft sind. Auch hiergegen muss man mit ganzen Mass¬
regeln so energisch wie möglich vorgehen. Die Leiche ist sofort
in mit desinfizierender Flüssigkeit getränkte Tücher zu hüllen
und in einen dichten Sarg zu legen. Das Waschen derselben ist zu
verbieten, ebenso die Ausstellung derselben im Sterbehause oder
im offenen Sarge. Der Sarg ist, wenn möglich, sofort in eine
Leichenhalle zu schaffen, die Beerdigung tunlichst zu beschleunigen.
Das Leichengefolge ist möglichst zu beschränken und dessen Ein¬
tritt in das Sterbehaus zu verbieten. Von auswärts darf niemand
zur Beerdigung eingeladen werden. Die Ausführung dieser Mass¬
regeln muss jedesmal polizeilich überwacht werden.
Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren.
Reformgedanken von Dr. Placzek- Berlin.
(Fortsetzung.)
Der nächste Paragraph behandelt die Eröffnung von
Hals-, Brust- und Bauchhöhle.
Preussen: ,§.18. Die Oeffnung des Halses, der Brust-und Bauchhöhle
wird in der Regel eingeleitet durch einen einzigen langen, vom Kinn bis zur
Sohambeinfage, und zwar links vom Nabel geführten Schnitt. In den gewöhn¬
lichen Fftllen ist derselbe am Unterleibe sogleich bis in die Bauchhöhle zu
fahren, so jedoch, dass jede Verletzung der Organe derselben vermieden wird.
Dies geschieht am besten derart, dass nur ein ganz kleiner Einschnitt in das
Bauchfell gemacht wird. Bei dem Einschneiden ist darauf zu achten, ob Qas
oder Flüssigkeit austritt. Es wird dann zuerst ein, sodann noch ein Finger
eingeführt, dann mittels derselben die Bauchdecke von den Eingeweiden abge¬
zogen und zwischen beiden Fingern der weitere Schnitt durch das Bauchfell
geführt. Dabei ist sofort die Lage, die Farbe und das sonstige Aussehen der
vorliegenden Eingeweide, sowie ein etwa vorhandener ungehöriger Inhalt anzu-
geben, auch durch Zuftthlen mit der Hand der Stand des Zwerchfells zu be¬
stimmen.
Die Untersuchung der Organe der Bauchhöhle wird nur in dem Falle
sofort angeschlossen, wo eine besondere Vermutung besteht, es sei die Todes¬
ursache in der Bauchhöhle wirksam gewesen. Für gewöhnlich hat die Unter¬
suchung der Brusthöhle der weiteren Erforschung der Bauchhöhle voranzugehen."
Bayern weicht in §. 16 nach folgender Richtung ab:
„Hierauf wird auch unterhalb des Nabels ein eingehender Querschnitt
durch die Bauchdecken geführt und die gebildeten 4 Lappen zurückgeschlagen."
Natürlich müsste hier im Nachsatz das Wort „werden“ stehen.
Ferner heisst es nach „ein etwa vorhandener ungehöriger Inhalt
anzugeben“,
Dl. Placsek.
,>3t»&jgeo V<>nraB'iange 2 oisr Durchbohrungen des Magens und Daraus,
der Qo< Ue von ?oraan4enen Blutungen nacbzuspsieo, auch durch ZalfiiUen ®it
•1-jf ßs&d der Staad de« Zwerchfells auf beiden Seiten nach den Kippen und
i Knorpeln za benimmen, Will xuaa auch noch des Baud hinter dem
il i.v." len sogenanntes W ins law sehen Beatei besehen, so hass dieses ohne
w«tW* ätöniag der späteren Sektion der Übrigen Stuck- und Brusthöhle da*
■!*»*>’& :g nsebeheu, da« ®*a läng» der grossen Knrratur des Magens das grosse
:r vielmehr das Ligameatust gastro-saUcum einschneidet, wodurch »an
«oglc&& in diesem Baum gelangt, und das Pancreas vor sieh liegen hat, an
und in d«*8M* üagebang etwaige Blutungen sofort za kon*
- tterest sind.*
In dieser allgemein gütigen Art der Eröffnung von Hals-,
und Bancbhökie macht der wtirttembergische 24
einige AussteUüngen. Gleich nach Beschreibung des Hautlängs-
schaHttes kommt folgender Satz js
r Vorausgesetzt, dass keine Veränderungen Ycrhaadea aad, welche eine
geeon<tefte Prlparierung der Muskel» erfordere, wird asm die Haut von der
iche des Halses (mit Einschluss «Ua fiaatmoskels} und der Brust tu-
--b «it sämtlichen Muskeln lusgetrennt.
im Bauche wird nur die Haut und. das ünterhaatMtidegenebe von der
■ «bgelöat. Es wire nicht zweckmissig, diese letzte Abteilung des
Scauttce« sofort durch alle Bauchdecken za führen, weil dabei sehr leicht das
J£rgeJ<*M der späteren Untersuchung getrübt werden könnt*. 4
.Sachsen-W:feima^Elkenach sondert in seinem §. 24
»teilt in allgemeine Bestimmungen und spezielle. Eine seltsame
v i u es. die hier fUr die Bestimmung des Zwerehfellst&ndes
ivGcklich vorgeschrieben Wird. Es soll geschehen »durch Ein*
iiftg eines Fingers längs der linken Seite des Aolhängebandea
her und Empordrängen der Brustwand in der Ebene der
Zw* i. ’ifellkuppe 4 .
Legt man auch heutzutage Aut die Bestimmung des Zwerch*
felter^udes kein besonderes Gewicht, so wird es sichte wenn Bie
überhaupt auagetührt werden »oll, doch empfehlen, dies auf beiden
».iten zu ton.
ln Mecklettlvurg-St relitz sagt §. 9 kurz:
. .. Guoügt es in toriSegtiS, durch die »Ugomome Deck« vom Sinh bis zur
■i-hi^t.-AHifuge an der lutkeu Sethe de» Kabole vorbei eine» Schnitt zu führen,
K- '1 '‘s^bb Schnitt durch da*BhucitMt c« dri&gen, die WeSchteiie an der
•/•>r4vf.£» ThoraxAftcbe jtdemiu bie einig«* Zoll weit hinter der 'Verhindungs-
•*r ttippsakuarpel und der Kippen jaaisutr^nnen und sie sodann samt den
i'cktn itaek-.- beiden Seiten zarüekzBsrkjkggb.*'
: aehsert 11), Bade«, Mecklenburg-Schwerin
• . Braansehweig (§♦ 12), Anhalt (§. 15), Schwarz-
So u dev s hausen (§. 18} stimmen ganz oder fast ganz mit
{'feäwteu überein te . .
Üinzuzufügert wäre dem Wortlaut des preussiseben Para*
gru-photn
Alm ‘U* ßadclultcfon l^*aerzurückklappen tu könnten vrt/i #ö dw i-kbeiy.
■ ti uie iviit«re .Sektion zt* *rl<Hihlern, duntethneid tman dir >jcraäv.» .
nahe rtfi ihrem ,lwwi um Bavkm dm Hauchr&uw avb, ohd* dü
fiW* .-:<ihei z'v verletze. Sind dft Baurfttranduni/m .^ehr fettrvick adetr eiurk
;}-$$, mv führt *>>un den Schnitt zugleich durch die gatuen Suhkvtia hindurch.“
vie die Brusthöhle zu sezieren ist, schildert in
seen sehr eingehend §. 19*
Bin deutsches gericbteäntüicbes LeichenöffnuBgsverfnhren. 857
„Für die Oaffnang der Brusthöhle ist «s erforderlich, da*s wanächat die
Waichteile der Brost bis aber die Aasatastellc der Bippenfcnorpni an die Bipjun
hinäUB »bpiäpariert werden,
Näcnetdem werden die Rippeahaorpel^ and awur um einige Millimeter
nach innen von ihren Ansatzstdien An die Hippen mit einem «türken Kesser
durchschnitten} dasselbe ist so *a führen, dass das gindringen der SpItote sn tiie
Longe oder das Hers vermieden wird*
Bei Verknöcherung der Knorpel ist es vorzaziehen, die Bippsn seihst
etwas nach aussen von den AnBatzstelien der Knorpel mit einer Säg® oder
einer Knocheoachere su trennen.
Sodann wird jederaeits das Schlttaselbeingelenk vom Handgriffe des Brust¬
beins durch halbmondförmig geführte vertikale Schnitte getrennt und dis Ver¬
bindung der erstes Rippe, sei es im Knorpel,, sei cs ln der Verknöcherung, mit
Kerner oder Knoohenschere gelöst, wobei die grösste Vorsicht nur Vermeidung
einer Verletzung der «liebt darunter gelegenen Gefässc ansawanden lat. Als¬
dann wird das Zwerchfell, soweit es swischen den Endpunkten der genannten
Soimjt.iliaieu augeheftet ist, dicht an den falschen Knorpeln und dem Befcweri-
fortaata abgetrennt, das Brustbein nach aufwärts geschlagen und da» Mittel¬
feld mit sorgsamer Vermeidung jeder Verletzung des Herzbeutels und der
grossen <üe&sse durchschnitten.
Nachdem das Brustbein entfernt ist, wird sunichot der Zustand der
BnMtfsHsSflke, namentlich ein ungehöriger Inhalt derselben, nach Maas und
Beschaffenheit, sowie der Ausdehauagsznst&ud und das Aussehen der vorliegenden
Luugseteile festgestelit. Hat bol der Entfernung des Brustbeins eine Vor-
testzang von Hefässen stattgefuadea, so ist sofort eine Unterbindung oder
wenigstens ein Abflass derselben durch einen Schwamm vöraunehmen, damit
das auadiesseade Blut nicht ia die Brustfeüdeck* trete and später das Urteil
störe, Die Zustände des MittelfeUes und besonders das Verhalten der darin
vorhandenen Brust- oder Thymüsdriies, sowie die äussere Beschaffenheit der
grossen ausserhalb des Herabeuteis gelegenen Gtatässe, welche jedoch noch nicht
tu Offnen sind, werden schon hier festgestellt.
Nächatde» wird der Herzbeutel geöffnet Und untersucht und das Her*
selbst geprüft. Bei letzterem ist Grösse, Füllung der Kranzgefässe und der
einzelnen Abschnitte (Vorhöfe und Kammern), Farbe und Konsistexn (Leichen-
farbe'i st» -bestimmen, bevor irgend ein Schnitt in des Herz gemacht oder gar
dasselbe aus dem Körper entfernt wird. Sodann ist, während das Her* noch
in samern natürlichen Zusammenhänge sich befindet, jede Kammer and jeder
Vorbot einzeln su öffnen und der Inhalt jedes einzeisen Abschnittes nach
Konge, Hertauungssustaßd und Aussehen au bestimmen, auch die Weite der
Atrioventrikularklappen durch Einführung zweier Finger vom Vorhof sub *u
erproben. Alsdann wird das Herz herarageachnitten, der Zustand der arteriellen
Mündungen zuerst durch Eingiessen von Wasser, sodann durch Aufschneiden
geprüft and endlich die Beschaffenheit des Haraffeisches nach Farbe und Aus¬
sehen genauer festgestellt. Entsteht die Verantong, dass Veränderungen des
Muskelgewebes, z. B. Fettenisrtacg desselben, in grösserer Ausdehnung v®r-
bandan seien, so ist jedesmal eine mikroskopische Untersuchung su veranstalten.
An die Untersuchung dns Herzens schlieest sich die dar grösseren Ge-
fässe mit einziger Ausnahme der absteigenden Aorta, weiche erst oash den
Lungen zu prüfen ist.
Die genauere Untersachuog der Lungen setzt die Herausnahme der¬
selben aus dar Brusthöhle voran». Dabei ist jedoch mit gwmiwp -VdisstoSk zu
verfahren und jade Z«urrßi.SBa»g and Zerdrilckong des . » :.bw zu matttidim.
Stad ausgedehnter«, namentlich Altera Verwachsungen vntfakads», so sind die¬
selben nicht zu trennen, sondern as ist *n dieser B.tdfö dät nippenbrastfali
mit za eoiisrnes. Nachdem di» Longen feafatugeao!»??^ stad, wird 0 : 0 h
einmal sorgsam ihre Oberfläche betrachtet, um namr#jiii tfieehe Vwäodf-
rniigen, «. B. 41» Anfänge 8nt*ftodiföher Attsschwit*ar^ «r ttbewebw».
Sodann werden Luftgehait, Farbe und Konsiaiaas dar Ak&eJmm LnjtgM&b- -
schnitte angegeben; endlich grosse glatte Einschnitte jtemaebt und 1:.
sobstfenheit der Schnittflächen, der Luft-, Blut- and F!ßesigkfciwg*h*D. dy® ' -
etwaige fest* dnbnit der Lungenbläschen, der Zwstasd der Bronabwri >
Langenarterlen, letzterer namentlich mit Rüoksieht and ntsgfttMttase Vtt
668
Dr. Plaozek.
stopfangen, ubw. feztgestellt. Zu diesem Zwecke sind die Luftwege und die
grosseren Lungengefässe mit der Schere aufzuschneiden und in ihren feineren
Verästelungen zu verfolgen.
Wo der Verdacht vorliegt, dass fremde Massen in die Luftwege hinein*
gelangt sind und wo Stoffe in den Luftwegen gefunden werden, deren Natur
durch die groben Merkmale derselben nicht sicher angezeigt wird, da ist eine
mikroskopische Untersuchung zu veranstalten.“
Bayern gibt im §.17 für die Messerführung, um das Ein¬
dringen der Messerspitze in Lungen oder Herz zu vermeiden, an,
dass es „in wiegenartiger Bewegung“ geschehe.
„Dabei muss man sich daran erinnern, dass sich die erste Bippe mit
kurzem Knorpel an das breitere Mannbrium sterni ansetzt, also nicht in un¬
mittelbarer Fortsetzung der sich nach oben verjüngenden Linie des Ansatzes
der Übrigen Hippen. Das Messer muss also etwas weiter nach aussen geführt
und mit der Schneide desselben vorsichtig die Stelle des Knorpels aufgesucht
und dieser durchschnitten werden.“
Beträchtlich ist die Abweichung in der Anweisung, wie das
Schlüsselbein von dem Brustbein zu trennen ist. Hier heisst es:
„Dieses kann allerdings von Sachkundigen durch halbmondförmige, ver¬
tikal um den Gelenkkopf des Schlüsselbeines von vorn und aussen gefflbrte
Schnitte bewerkstelligt werden. Allein die Operation gelingt nicht ganz leicht,
und es geschieht dann oft, dass bei unnötig grosser Kraftanwendung das
Messer durch das Gelenk in die Tiefe fährt und die dicht hinter demselben
liegenden grossen Blutgefässe ansticht, wodurch störende und das Obdnktions-
resultat leicht verwirrende Blutung entsteht. Es ist daher ein anderes Ver¬
fahren, den ersten Rippenknorpel und die Articulatio sternoclavicnlaris zu
trennen, anzuempfehlen.
Man beginnt zu diesem Zwecke, naohdem man die übrigen Rippenknorpel
auf beiden Seiten dnrchschnitten hat, damit, dass man auf einer Seite die
Knorpel der falschen Rippen mit der linken Hand fasst, möglichst stark in
die Höhe zieht und sie von den sich an sie ansetzenden Zacken des Zwerch¬
fells abschneidet. Indem man dieses auch anf der anderen Seite anaftkhrt, löst
man zugleich das Brustbein auch von den hinter ihm liegenden Teilen ab nnd
schiebt dasselbe nach oben, bis man an die erste Rippe kommt. Es ist jetzt
leicht, das Messer an der rechten Seite durch den ersten Rippenknorpel dnrch-
zuftthren. Biegt man nun das Brustbein noch stärker in die Höhe, so gelingt
es leicht, von der hinteren flaohen Seite in das Brostbein-Schlüsselbeingelenk
mit dem Messer einzudringen nnd dann das Brustbein mit der linken Hand
gewissermassen aus dem Gelenk heransznbrechen, sobald dasselbe nur einiger-
massen angeschnitten ist. Eine Verletzung der Blutgefässe ist dabei fast nicht
möglich, und man hat endlich nur noch die M m. sternocleido - mastoidei, sterno-
hyoidei und sternothyreoidei abzuschneiden. Bei wirklicher, aber nur selten
vorkommender Verknöcherung des Schlüssel - Brustbeingelenkes mnss anch dieses
mit der Knochenschere oder mit der Säge getrennt werden . . .“
Sehr wichtig ist, dass das bayerische Regulativ nicht die
Eröffnung des Herzens, während es noch „in seinem natürlichen
Zusammenhang“ sich befindet, als einzige Sektionsmethode em¬
pfiehlt, sondern die Herzeröfifnung auch ausserhalb des Brustkorbes
gestattet. Allerdings ist ja der natürliche Zusammenhang auch
gewahrt, wenn die Halsorgane mit den gesamten Brustorganen
herausgenommen werden. Zweifellos ist diese Methode bequemer,
übersichtlicher und auch reinlicher.
Nicht weiter beachtenswert ist, dass in dem bayerischen
Paragraphen die einzelnen Anweisungen über die Herausnahme
der Lungen im Wortlaut mit den preussischen übereinstimmen.
Wichtig ist nur, dass die Sektion des Herzens ganz detailliert
geschildert wird.
Bin deutsches gerichts ärztliches Leichenöffnungsverfabren.
669
Der wtirtt embergische §. 27 hat gleichfalls die eben
erwähnte Eröffnung des Schlüsselbein -Brustbeingelenks und der
ersten Rippe, gibt auch noch genaue Anweisung über die Messer¬
führung bei Durchtrennung der Rippenanknorpel.
. am besten in der Weise, dass man ein bauchiges Skalpell, das aber
nicht an dick sein soll, mit der ganzen Hand fasst, den Zeigefinger Aber seinen
Rficken nahe an der Spitze legt, so dass sein letztes Glied anf die Brnst zu
liegen kommt, and dass man dann von der zweiten Rippe an abwärts die
Knorp 1 mit wiegendem Schnitte durchtrennt. Hierbei ist darauf zu achten,
ob nicht während des Durchschneidens der Brustwand Luft aua der Brusthöhle
dringt (Pneumothorax).
Für das Herz ist .bei allen plötzlichen Todesarten darauf zu achten, ob
sieb nicht grössere Gasblasen oder kleinere (Schaum) in der Herzhöhle finden,
bei deren Beurteilung selbstredend der Fäulnisgrad in Betracht zu ziehen ist.*
Sehr wesentlich weicht der §. 24 von Sachsen-Weimar-
Eisenach von den anderen Regulativen ab. Hier wird sogar
eine andere Herzsektion gefordert. Zunächst wird verlangt, dass
.der Grad des Zusammensinkens der Lungen unter der Wirkung des Luft¬
drucks* erwähnt werde."
Ferner heisst es:
„Wo dies angezeigt erscheint, soll durch einen neben der Scheidewand
geführten Längsschnitt jede der 4 Herzhöhlen zum Zweck der Feststellung
des Inhalts sogleich geöffnet werden."
Später kommt die Schilderung:
„Vom Herzen ist die Grösse, der Grad der Zusammenziehung, der Fett¬
gehalt des Epikard anzugeben, ferner die Dicke und Farbe des Herzfleisches.
Veränderungen des letzteren sind nach Lage, Ausdehnung und Beschaffenheit
zu beschreiben, eintretendenfalls durch mikroskopische Untersuchung festzu-
stellen, die Eranzgefässe, veränderte Stellen zn untersuchen.
Das Endokard ist anf Blutaustritte und Verdickungen zu prüfen, der
Umfang der Klappenringe anzugeben, ebenso die Beschaffenheit der Herz¬
klappen, 8 fttr den rechten, 2 für den linken Vorhof, je eine für jede Kammer
(and ihrer Sehnenfäden). Soweit dies möglich ist, ist die Sohlussfähigkeit der
Klappen festzustellen.
Im Inneren des Herzens ist auf Menge, Farbe und Beschaffenheit des
flüssigen Blutes, der ausgeschiedenen Leichengerinnsel und auf das Vorhanden¬
sein der Thromben zu achten.
An die Untersuchung der Lungenarterie soll sich jene des arteriellen
Ganges, an jene der Aorta die der Halsschlagader, an jene des rechten Vorhofs
die der Halsvenen anschliessen."
M ecklenburg-Strelitz sagt in seinem §. 9:
„Um die Brusthöhle zu eröffnen, ist es am sweckmässigsten, zunächst
die Rippenknorpel an ihren Vereinigungsstellen mit den Rippen mit Ver¬
meidung von Einschnitten in die Lange zu durchschneiden. Hierauf wird das
Zwerchfell von den untersten Rippen und dem schwertförmigen Knorpel ge¬
trennt, das Brustbein nach aufwärts geschlagen und dessen Handhabe ans der
Verbindung mit dem Schlüsselbein und den Knorpeln der ersten Rippe — mit
sorgfältiger Vermeidung der darunter gelegenen Blutgefässe — getrennt."
Baden, Mecklenburg-Schwerin, Brannschweig
(§. 13), Anhalt (§. 16), Schwarzburg-Sondershausen
(§. 19) stimmen mit Preussen überein.
Ehe ich mich dahin äussere, wie ich mir die Eröffnung der
Brusthöhle in Zukunft denke, wird es sich empfehlen, die Vor¬
schriften für die Eröffnung des Halses zu prüfen. Hier sagt
zunächst der preussische §. 20:
>860
Dt. Plaezsk.
„Hals. Die Untersuchung des Halses kamt je nach der Eigentümlich¬
keit des Falles vor oder nach der Oeffnang der Brost oder der Herausnahme
der Longe veranstaltet werden. Aooh ist es den Obdosenten anheimgegeben,
die Untersuchung des Kehlkopfes and der Luftröhre von derjenigen der übrigen
Teile za trennen, wenn desselben eine besondere Wichtigkeit beisalegen ist,
wie es z. B. bei Ertrunkenen oder Erh&ngten der Fall ist
In der Begel empfiehlt es sieh, zunächst die grossen Gefässe ond die
Nervenstämme so untersuchen, näohstdem den Kehlkopf nnd die Luftröhre
daroh einen Sahnitt von vornher za öffnen and den Inhalt derselben za prüfen.
Wo letzterer Betrachtung ein grösserer Wert beisalegen ist, da ist die¬
selbe vor Herausnahme der Langen anzastellen and dabei sogleich ein vor¬
sichtiger Drack auf die Langen aaszaüben, am za sehen, ob and welche Flüssig¬
keiten asw. dabei in die Laftröhre aufsteigen.
Es wird alsdann der Kehlkopf im Zusammenhänge mit der Zange, dem
Gaumensegel, dem Schlunde and der Speiseröhre heraasgenommen, die einzelnen
Teile werden vollständig aufgeschnitten nnd ihre Zustände, namentlich anch
die dar zugehörigen Schleimhäute, festgestellt. Es sind dabei die Schilddrüse,
die .Mandeln, die Speicheldrüse nnd die Ljmphdrüsen des Halses zn beachten.
Wo Verletzungen des Kehlkopfes oder der Luftröhre stattgefunden haben
oder wichtige Veränderungen derselben vermntet werden, da ist jedesmal die
Oeffnung der Luftwege erst nach der Herausnahme derselben, und zwar von
der hinteren Seite her vorzunehmen.
Wo bei Erhängten oder bei Verdacht des Erwürgangstodes eine Oeffhnng
der Karotiden vorgenommen wird, am za ermitteln, ob die inneren Hänte der¬
selben verletzt sind oder nicht, da ist diese Untersuchung zu veranstalten,
während die Gefässe sich noch in ihrer natürlichen Lage befinden.
Sohliessliah ist der Zustand der Halswirbelsäule and der tiefen Musku¬
latur za berücksichtigen.“
Bayern. §. 18:
...... In allen Fällen, in welohen dem Inhalte des Kehlkopfes and
der Laftröhre, sowie dem Zustande der grösseren Geffisse am Halse eine
S össere Wichtigkeit beiznlegen ist, wie z. B. bei Ertrunkenen and Erhängten,
; zuerst in vita vor Oeffhnng der Brost oder doch vor Herausnahme von
Hers nnd Lange die Füllang der grossen Venen za bestimmen; bei Erhängten
oder bei Verdaoht des Erwürgangstodes ist aaoh eine Eröffnung der Karotiden
vorznnehmen. . . .
Die Herausnahme der Halsorgane wird eingehender be¬
sprochen:
„Es wird alsdann der Kehlkopf im Zusammenhänge mit der Zange, dem
Gaumensegel, dem Schlunde und der Speiseröhre, besw. mit den gesamten Brust-
organe in der Art heraasgenommen, dass längs des inneren Bandes des Unter¬
kiefers ein bis in die Mundhöhle eindringender und bis in die Wirbelsäule nach
rückwärts gerichteter Schnitt ausgeführt, die Zunge unterhalb des Unterkiefers
vorgezogen, das Gaumensegel von dem hinteren Bande des knöchernen Bandes
abgesohnitten, die hintere Wand des Schlundes quer dnrchsohnitten and dann
.sämtliche Teile, Schlund, Kehlkopf and Laftröhre von der Wirbelsäule Joege-
trennt werden, wobei lediglich die Zange za erfassen ist. Die einzelnen Teile
werden vollständig aufgeaehnitten.. . .“
Ferner heisst es:
„In Fällen, wo dem Befände an den Halsorganen ein grösseres Gewicht
nioht beisalegen ist, kann die ganze Untersuchung derselben auch bis nach
der der B n m t o r gane verschoben werden.“
Sachsen. §. 14:
„ .... In allen Fällen, in welchen dem Inhalte des Kehlkopfes und
der Luftröhre, sowie dem Zustande der grossen Gefässe am Halse Wichtig¬
keit zukommt (namentlich wenn es sich am Feststellung des Todes von
Ertrinken, Erhängen, Erwürgen, durch Eindringen von Fremdkörpern in die
Luftwege handelt), muss vor der Eröffnung der Brusthöhle der Füllnngszastand
der grossen Halsvenen bestimmt and das Verhalten der grossen Halsschlagader
Bis deutsche« geriehtsAnrtUehes LcichenöffnuBgzverfahren. 061
durah Anfaohneidan der letzteren ermittelt werden. NAohstdsm sind Kehlt
köpf . . . .«
Die Sektion der Halsorgane wird wie in Bayern eingehend
geschildert mit der einzigen Abweichung:
„. . . wobei dieselben durch Zug an der Zunge nach vorn gesogen
werden. Der Zusammenhang mH den Organen der Brusthöhle kann hierbei
erhalten werden, so dass die Halsorgane gemeinsehaftlioh mit den Brustorgaaen
herausgenommen werden.“
Württemberg. §. 25 weicht im Wortlaut und Inhalt so
beträchtlich ab, dass ich ihn wörtlich wiedergebe:
«Zuerst wird der Kopfnioker von Brust und Schlüsselbein abgelOst. In
den FSUen, in welchen ein abgekürztes Verfahren bei der Untersuchung: der'
inneren Organe sulässig ist, wie bei den meisten poliseilichen Sektionen, kann
der Kehlkopf und die Luftröhre von vorn geöffnet werden, um das Verhalten
ihrer Oberfläche und ihres Inhaltes su ermitteln, — sonst, namentlich aber bei
Verletzungen oder wenn man Fremdkörper oder sonst wichtige Veränderungen
im Kehlkopf oder der Luftröhre vermutet, wird die BrOffnnng derselben spater
nach LoslOsung und Untersuchung der Übrigen Teile des Halses von hinten
her vorgenommen.
Von Wert ist es, durch Druck auf das Brustbein die etwa in den tieferen
Teilen der Luftröhre enthaltenen Flflssigkeiten aufsteigend su machen. —
Sind Verletzungen am Halse vorhanden, oder vermutet man andere wichtige
Veränderungen, so werden . . . vom Ende des Längsschnittes ausgehende am
unteren Bande des Unterkiefers bis zu seinen Winkeln verlaufende. Schnitte
geführt und die Haut der ganzen Vorderflache losgelüst.
Der Füllung der grossen Venen des Halses, der Beschaffenheit des Blutes
in denselben, dem Verhalten ihrer WAnde, sowie der inneren und ausseren
Oberfläche der Karotiden und der Nervenstamme ist gleichfalls Aufmerksamkeit
su schenken. Besonders wichtig ist es hier, Leichenersobeinungen nicht mit
solchen zu verwechseln, welche erst nach dem Tode entstanden sind, wie s. B.
Einrisse in den Karotiden unterhalb ihrer Teilungsstelle bei ErhAngton, welche
auch bei solchen Vorkommen, welche erst nach dem Tode aufgehfeigt w ur d en.
Nun werden die Weichteile hinter dem Unterkiefer durch tiefe Schnitte
vom. Knochen losgelOst, die Zunge mit einem Haken angezogen, das Gaumensegel
von dem Rande des harten Gaumens weggeschnitten, die hintere Wand des
Schlundes durchschnitten, Kehlkopf, Speiseröhre und LuftTOhre von der Wirbel¬
säule abgetrennt, mit dem an der Zunge liegenden Haken hervorgezogen und
dann sämtliche Teile mit Einsohluss der Schilddrüse, der Mandeln, der Speichel¬
und der Lymphdrüsen, sowie der Muskeln und der vorderen Flüche der Hals¬
wirbel untersucht.
Wenn nicht besondete Gründe voriiegen, so werden diese Teile an ihrem
unteren Ende vorerst nicht abgesohnitten, um sie später im Zusammenhang •
mit dem Magen oder der Lunge herausnehmen su kOnnen.“
Sachsen-Weimar-Eisenach. §. 24, Abs. 10:
.Die Herausnahme der Halsorgane soll deren Untersuchung in natür¬
licher Lage in allen Füllen vorhergehen, in welchen eine Verletzung vorliegt
oder angenommen werden kann. In der Regel wird deren Herausnahme mit
jener des Mnndbodens, des weichen Gaumens, des Herzens und der im Mittel¬
feld enthaltenen Teile zu verbinden sein.“
Wie diese Uebersicht erkennen lehrt, bestehen die Ab¬
weichungen der Regulative über die Sektion des Halses darin,
dass der Zeitpunkt der Halssektion, ob vor oder nach der Sektion
der Brusthöhle, bestimmt oder dem Ermessen des Obduzenten
überlassen wird, dass ferner Wahlfreiheit darüber besteht, ob die
HalBorgane in Zusammenhang mit den Brustorganen herausge¬
nommen werden, dass drittens der Zeitpunkt für die Prüfung der
grossen Halsgefftsse verschieden festgestellt wird, dass schliesslich
662
Dr. Placzek.
das Hervorziehen der Zunge nach einem Regulativ mit einem
Haken, nach einem anderen dem Obdnzenten überlassen bleibt,
also wie üblich mit der Hand za geschehen hat.
Mir würde für das Zukunftsregulativ der Vorschlag am besten
gefallen, zuerst den Herzbeutel zu eröffnen und seinen Inhalt etc.
zu prüfen, sodann die grossen Halsgefässe, event. Nervenstämme
zu untersuchen, und schliesslich die Halsorgane mit den Brust¬
organen im Zusammenhang herauszunehmen. Der letztere Vor¬
schlag, in einigen Anweisungen schon als Ausnahmemöglichkeit
angedeutet, verdient zum Durchgangsprinzip erhoben zu werden.
Er scheint auch an manchen Stellen schon vielfach praktisch ver¬
wirklicht zu sein, denn Nauwerck sagt geradezu:
„Nioht selten werden die gesamten Hals* and Brastorgane im Zu¬
sammenhang heraosgenommen, entweder geradeso als das gewöhnliche Ver¬
fahren, oder wenn es sich daram handelt, Erkrankungen der tiefen Organe,
besonders der Brusthöhle (Speiseröhre, Aorta, Mediastinum posterius) su den
oberflächlicher gelegenen (Herz, Lunge), oder umgekehrt in ihren genauen Be-
siehangen klarzalegen. Auch gewisse Herz- und Gef&ssfehler angeborener
Natur, bei denen das Verhalten der Gefässe (Stenose der Aorta, Offenbleiben
des Ductus Botalli) besondere Aufmerksamkeit erfordert, machen ein gleiches
Verfahren erforderlich.* . .
Eine Ausnahme davon sollte nur stattfinden, wenn Ver¬
letzungen der Halsorgane dabei in ihrer Lage so verschoben
werden könnten, dass die spätere Untersuchung dadurch an Sicher¬
heit verlöre. Die Speiseröhre sollte mit den Halsorganen heraus¬
kommen, nur in Vergiftungsfällen im Körper bleiben, und dann im
Zusammenhang mit dem Magen -Darmtraktus herausgenommen
werden. Diese Art der Herausnahme hält Nauwerck auch bei
gewissen Erkrankungen des Oesophagus (Aetzungen, Krebs) für
wünschenswert. Sie wird es daher sicherlich bei Vergiftungsfiülen
sein, da man auf diese Weise ein Uebersichtsbild der Oesamtein¬
wirkung des Giftes vom Nasenrachenraum bis zum Mastdarm¬
ende erhält.
Bei dieser Art der Sektion, wo die Hals- und Brustorgane
im Zusammenhang aus dem Körper genommen werden, wird es
auch am leichtesten, durch Druck auf die Lungen, auf die Luft¬
röhre selbst „die etwa in deren tieferen Teilen enthaltenen Flüssig¬
keiten aufsteigen zu machen“. Es werden aber nicht nur bessere
Uebersichtsbilder geliefert, sondern es wird auch die Herzsektion
wesentlich erleichtert.
Kaum nötig dürfte es sein, die württembergische An¬
weisung nachzuahmen, wonach, wenn Verletzungen am Halse vor¬
handen sind, oder dort andere wichtige Veränderungen vermutet
werden, „vom Ende des Längsschnittes ausgehende, am unteren
Rande des Unterkiefers bis zu seinen Winkeln verlaufende Schnitte
geführt und die Haut der ganzen Vorderfläche losgelöst wird.*Hj
Ob es nötig sein dürfte, an den Herzschnitten, wie sie
Virchow wünschte, etwas zu ändern, dürfte fraglich sein. Er¬
wähnenswert sind jedenfalls die beiden Methoden, wie sie Praus-
nitz zur Eröffnung der Herzventrikel, an wendet.
Bin deutsches geriehtsKntliohes LeiebenOftmngsTerfsbren.
668
Als Anweisung für die Sektion der Hals- und Brust¬
höhle würde sich folgende Fassung empfehlen:
„Mit einem starken Messer werden die Rippenknorpel vom zweiten ab,
und zwar um wenige Millimeter nach innen von ihren Ansatzstellen an die
Rippen durchschnitten. Das Messer ist so zu führen, dass das Eindringen der
Spitze in .die Lunge oder das Herz vermieden wird. Bei Verknöcherung der
Knorpel ist es vorzuziehen, die Rippen selbst etwas nach aussen von den Ansatz¬
stellen der Knorpel mit einer Knochenschere zu trennen. Man fasst nun die
Knorpel der falschen Rippen auf einer Seite mit der linken Hand möglichst
stark, zieht sie in die Höhe und schneidet sie von den sich an sie ansetzenden
Zacken des Zwerchfells ab . Indem man dieses auch auf der anderen Seite aus¬
führt, löst man zugleich das Brustbein von den hinte. liegenden Teilen ab und
biegt dasselbe nach oben, bis man an die erste Rippe kommt. Es ist jetzt leicht,
das Messer durch den ersten Rippenknorpel durchzuführen. Biegt man nun
das Brustbein noch stärker in die Höhe, so gelingt es leicht, von der hinteren
Fläche in das Brustbein - Schlüsselbeingelenk mit dem Messer einzudringen und
dann das Brustbein mit der linken Hand gewissermassen aus dem Gelenk her*
auszubrechen. Eine Verletzung der Blutgefässe ist dabei fast unmöglich, und
man hat endlich nur die am oberen Teile des Brustbeins sich ansetzenden
Muskeln abzuschneiden .
Bei wirklicher, aber nur selten vorkommender Verknöcherung des Schlüssel-
Brustbeingelenks ist dieses mit der Knochenschere zu durchtrennen.
Nach der Entfernung des Brustbeins wird zunächst der Zustand der
Brustfellsäcke, namentlich ein etwaiger ungehöriger Inhalt derselben nach Mass
und Beschaffenheit, sowie der Ausdehnungszustand und das Aussehen der vor¬
liegenden Lungenteile festgestellt.
Der Zustand des Mittelfelles, insbesondere das Verhalten der darin vor¬
handenen Brustdrüse ist zu beachten.
Nächst dem wird der Herzbeutel geöffnet und untersucht, sein Inhalt
bestimmt, die Füllung der einzelnen Herzabschnitte durch die Besichtigung des
Umfanges und durch Befühlen festgestellt. Ausserdem wird die Füllung der
Kranzgefässe und der einzelnen Herzabschnitte, die Farbe und Konsistenz
(Leichenstarre) bestimmt, bevor irgend ein Schnitt in das Herz gemacht oder
gar dasselbe aus dem Körper entfernt wird.
Nun werden die Weichteile hinter dem Unterkiefer durch tiefen Schnitt
vom Knochen losgelöst , die Zunge wird angezogen, das Gaumensegel von dem
Rande des harten Gaumens weggeschnitten, die hintere Wand des Schlundes
durchschnitten, Kehlkopf, Speiseröhre und Luftröhre werden von der Wirbelsäule
abgetrennt und hervorgezogen und dann mit sämtlichen Teilen der Brusthöhle
herausgenommen.
Bei Verwachsungen präpariert man die Halsorgane bis zur oberen Brust¬
öffnung frei und durchtrennt die grossen Hals- und Armgefässe, indem die linke,
dann die rechte Lunge mit der linken Hand nach der entgegengesetzten Seite aus
dem Brustkorb herausgehoben wird. Zeigefinger und Mittelfinger lagern sich
dabei hakenförmig gleichzeitig über die gelösten Halsorgane und den Lungenein¬
gang, sodass die Lunge geschützt unter der Hohlhand liegt. Nun greift die
linke Hand von oben her hakenförmig über das Präparat, die Hals- und Brust¬
organe kräftig aus dem Absatz heraus nach abwärts ziehend. Speiseröhre und
grosse Körperschlagader werden dicht oberhalb des Zwerchfells abgeschnitten.
Sind ausgedehntere, namentlich ältere Verwachsungen vorhanden, so. sind
dieselben nicht zu trennen, sondern es ist an dieser Stelle das Rippenbrustfell
mit zu entfernen.
Durch Druck auf die iAingen werden jetzt die etwa in den unteren Teilen
der Luftröhre enthaltenen Flüssigkeiten nach oben gepresst.
Sodann wird, während das Herz noch in seinem natürlichen Zusammen •
hang sich befindet, jede Kammer und jeder Vorhof einzeln durch Längsschnitte
geöffnet, welche an den äusseren Rändern verlaufen, aber sich auf die einzelnen
Teile beschränken, also gar bis dicht an den Sulcus circularis gehen. Aus den
einzelnen Abteilungen wird nun das Blut herausgeholt und das Verhalten der
Vorhofsklappen durch vorsichtiges Einführen von zwei Fingern, ferner die Farbe
des gefundenen Blutes, seine Menge, Flüssigkeit festgestellt.
Bei allen plötzlichen Todesarten ist darauf zu achten, ob sich nicht
grimm * Gasblasen oder kleinere (Schaum) in der Herzhöhle finden, bei deren
Beurteilung selbstredend der Fäulnisgrad in Betracht zu ziehen ist.
Nun wird das Herz von den anliegenden Gefässen abgeschnitten. Die
arteriellen Klappen werden durch Eingiessen von Wasser, während das Herz
an den Herzohren gehalten wird, auf ihre Schlussfähigkeit geprüft. Dann wird
die Lungensohlagader in der Weise geöffnet, dass man von der Mitte des Schnittes
in der rechten Herzkante unter Erhaltung des Papillarmuskels der dreizipfligen
Klappein die Lungenschlagader eingeht und sie eröffnet. Zur Untersuchung der
grossen Körperschlagader geht man mit der Schere von der Herzspitze längs der
Herzwand in sie hinein, während man die Lungenschlagader zur Seite schiebt. Nun
werden die Vorhofsklappen näher untersucht, das Endokard, die übrigen grossen
Gefässe, die Kranzgefässe, das Herzfleisch nach Dicke, Farbe und Beschaffenheit,
sowie die Weite der Herzkammern festgestellt.
Die Lungen werden, erst die linke, dann die rechte , noch einmal auf
ihrer Oberfläche betrachtet, auf ihren Luftgehalt, ihre Farbe, Konsistenz geprüft,
endlich durch grosse glatte Einschnitte zerlegt. Die Beschaffenheit der Schnitt-
fläche, der Luft-, Blut- und Flüssigkeitsgehalt, der etwaige feste Inhalt der
Lungenbläschen, der Zustand der Luftröhrenäste und Gefässe wird festgestellt.
Zu letzterem Ztoecke werden die Luftwege und die grösseren Lungengefässe mit
der Schere bis in die feinsten Verzweigungen verfolgt.
Wo der Verdacht vorliegt, dass fremde Massen in die Luftwege hinein¬
gelangt sind, und wo Stoffe in den Luftwegen gefunden werden, deren Natur
durch die groben Merkmale derselben nicht sicher angezeigt wird, ist eine mikro¬
skopische Untersuchung vorzunehmen.
Nun durchschneidet man den weichen Gaumen, um ihn besser zu tr-
haiten, nach vom von der linken Mandel durch einen Schnitt mit der Darm¬
schere, welcher durch die seitliche Rachenwand unmittelbar in die Speiseröhre
hineingeht, die man an ihrer linken Seite sogleich mit aufschneidet. Sie wird
dann bei Seite gezogen und der Kehlkopfs owie die Luftröhre aufgeschnitten .
Hierbei sind die Schilddrüse, die Mandeln, die Speicheldrüsen und die Lymph-
drüsen dm Halses zu untersuchen, a
(Forteetemig folgt.)
JCMnure> RMtteikmgen und Rnferste aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medizin nnd Psychiatrie.
Blausäure, ein Ver br ennnngepr odukt des Celluloids. Von Prof«
Dr. Kochel- Leipzig. Vierteljahrschrift für gerichtL Medizin n. öffentliches
Gesundheitswesen; ifi. F., XXVI. Bd., 1. Heft, S. 1.
Gelegentlich eines Brandes von Celluloid - Abfällen in Leipsig kamen
sechs Personen nms Leben, welche, nach den äusseren Umstftnden zu sch Hessen,
mit aaaecigewohnlicher Schnelligkeit den Br&ndgasen erlegen waren. Bei der
Obdaktion wurde bei Tier der Leichen ein deutlicher Blausäuregeruch wahr*
genommen. Verfasser konnte experimentell erweisen, dass schon 6 g Celluloid
beim Verbrennen ungefähr soviel Blausäure liefern, als zur Tötung eines
Monodien hinzeiohen. Kaninchen gingen an den Verbrennungsprodukten des
Celluloids unter der Erscheinung der Blaueäurevergiftung zn Grunde. Wegen
ihrer gefährlichen Eigenschaften müssen Celluloid waren - Fabriken daher nicht
in nächster Nähe bewohnter Gebäude geduldet und Einrichtungen getroffen
werden, welche die Entetehnng von Bränden verhüten nnd bei Ausbruch
solcher den Arbeitern die Möglichkeit raschester Flucht bieten.
Dr. Ziemke-Haile.
Uebertritt nnd Wirkung des Phosphors auf menschliche nnd
tierische Früchte. Von Dr. Wasemnth. Ibidem; 8. 12.
Eine Frau, welohe 8 Wochen lang Phosphorzündhölzchen genommen
hatte, gebar heimlich ein der Beife nahes Kind, das bald nach der Gehört
abstarb. Die mikroskopische Untersuchung ergab in fast sämtlichen Organen
fettige Degeneration, die für die Phosphorvergiftung charakteristische Ver¬
änderung, sodase auf einen Uebertritt des im mtttterliohen Blute gelösten
I
Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 666
»
Phosphors in den kindlichen Kreislauf so schliessen war. Ai» Ursache der
Fracht todes war nach Meiaang des Verfassers nicht die Intoxikation an siob,
sondern die in ihrem Verlaufe eintretenden bedeutenden Blutungen an zu sehen.
Experimentell konnte nach ungefähr 48 Stunden bereits ein Vorkommen von
Fetttröpfchen in den fötalen Geweben der Leber, des Herzens nnd der Miere
nachgewiesen werden. _ Dr. Ziemke-Halle.
1. Normaler Arsengeh< der Tiere. Von Armand Gantier. C. R.
soc. biol. 64, S. 727.
2. Normales Vorkommen nnd Herkunft des Arsens bei Tieren
and Pflanzen. Derselbe. Ibidem; S. 1242.
Gegenüber den Ergebnissen der Untersuchungen von C. H öd 1 mos er, 1 )
K. Czerny 1 ) nnd E. Ziemke hält der Autor daran fest, dass Arsen schon
in derNorm, allerdings in sehr kleinen Mengen, beim Menschen
und bei Landtieren vorkomme. Die Haut und ihre Adnexe, Gl. thyreoidea,
Thymus, Milchdrüse in erster Linie, dann Gehirn und Knochen enthalten dieses
Metalloid, allerdings in sehr variablen Mengen. Es sind also besonders die
Organe, die der Empfindung, der Reproduktion und „den Cerebralfunktionen*
dienen, die ektodermalen Ursprungs sind, in denen sich Arsen findet. Eine Eli¬
mination dürfte durch Epidermis, Haare, Hörner, bei Frauen durch das
Menstrualblut geschehen.
In 30 positiven Versuchen bat der Autor Arsen in der Thyreoidea, in
der Haut und ihren Adnexen gefunden; in 200 anderen liess sich Arsen bei
denselben Tieren und mit denselben Reagentien in den übrigen Organan gar
nicht oder nur in Mengen unter */*o Milliontel des Organgewidites nachweisen.
G. Bertrand*) vom Institut Pasteur hat die Beobachtungen Gautiers
bestätigt und die Mar sh sehe Methode vervollkommnet.
Er hat übrigens Arsen ausser in der Gl. thyreoidea des Schweines und
der Kuh sogar bei der Sehkuh von Spitzbergen nachweisen können.
Von interessanten weiteren Beobachtungen des Verfassers ist zu erwähnen,
dass im Auge des Schwanzes des männlichen Pfaues sich Arsen findet. Von
Algen sind diejenigen, die an Jod reich sind, auch arsenhaltig. Es Hess sich
auch im Plankton nachweisen. 100 g Granit der Bretagne enthielten 0,06 mg
Arsen. Von den Gesteinen findet der Uebergang ins Meerwasser statt.
Hödlmoser, der nur minimale Spuren Arsen im tierischen Organis¬
mus gefunden hatte, hatte diesem Metalloid keine wichtige Rolle zuBchreiben
können und die Vermutung ausgesprochen, dass der Gegensatz zwischen seinen
und Gautiers Resultaten vielleicht auf lokalen geologischen Verhältnissen
beruhe.
Die weitere Entwickelung der Frage wird für den Gerichtsarzt von
wesentlichem Interesse sein. _ Dr. Mayer-Simmern.
Resultate der Kryoskopie bei Ertrunkenen. Von Dr. R e v e n s t or f.
Vierteljahrschrift für gerichtl. Medizin und öffentliches SanitätsweBen; HL F.,
XXVI. Bd., 1. H., S. 81.
Man kann nach Untersuchungen des Verfassers die Resorption von Er-
tränkangsflüssigkeit in das Blut und damit den Tod durch Ertrinken mit
Sicherheit aus dem Vergleich der kryoskopischen Werte des Blutes in der
linken Herzkammer und der Cerebrospinalflüssigkeit erkennen. In solchem
Falle ist die Konzentration der Cerebrospinalflüssigkeit immer wesentlich
geringer. In ähnlicher Weise ist auch die Untersuchung des echten Lungen¬
ödems von dem mit dem Ertrinken oft verbundenen Lungenödems möglich.
Dr. Ziemke-Halle.
Ueber den Nachweis von Blutkörperchen mittelst Chinin. Von
Dr. Marx. Ibidem; S. 38.
Zum Nachweis der Blutkörperchen in alten Blutflecken, empfiehlt Ver¬
fasser für die Sichtbarmachung der Kerne des Vogelblutes eine l°/oo Chinin¬
lösung und nachherige Färbung mit Metylenblau. Bei Säugetierblut muss die
*) Ref. in Litt.-Ausz. der Berliner Klin. Wochenschrift; 1902, S. 9 u. 21.
*) Besprochen: Münchener med. Wochenschrift; 1902, 8.1864,1978, 2106.
606
Kleinere Mitteilung« ud Referate au Zeitschriften.
hämolytisch wirkende Chininlösung mit 88*/o Kalilauge so gleichen Teilen
vermischt werden. Aoch dann ist noch eine Firbug ud zwar mit Botin
möglich. Auf diese Weise liessen sieh die Blutkörperchen noch in gaus alten,
auf Instrumenten angetrockneten Fleeken ud im Blut, das bis auf 200° C.
erhitzt war, nach weisen. _ Dr. Z i e m k e - Halle.
Die elastischen Fasern in der fötalen Lunge und in der Lunge
du Neugeborenen. Bon Prof. Ot toi eng hi. Ibidem; 8. 46.
Bei der fötalen Lange ist die Breite der Zwischenräume zwischen den
alreolaren Mündungen sehr gross and durch sehr zahlreiche elastische Fasern
gekennzeichnet, die nicht gedehnt, dünner ud schwacher gefärbt sind, als die
einer Lange, welche geatmet hat. In dieser sind auch die Alveolarräume
grösser. Die mikroskopische Untersuchug der Luge Neugeborener kann un¬
entbehrlich werden, wo die makroskopische Untersuchug nicht ansreichte zur
Feststellung,, ob ein Kind lebend geboren wurde. Dr. Ziemke-Halle.
Plötzlicher Tod im elektrischen Bade. Von Med.-Rat Dr. y. Brunn
in Coethen.
Weu schon ein wissenschaftlicher Wert den nachstehenden Zeilen
nicht innewohnt, halte ich doch deren Veröffentlichung gerechtfertigt, weil
das darin bekannt gegebene Vorkommnis in gesetzgeberischer Hinsicht zu
denken gibt.
Bin Mann, der schon seit mehreren Jahren als Bademeister und Masseur
tätig gewesen war, errichtete Yor wenigen Monaten hier eine Anstalt zur
Verabreichung der verschiedensten Wasser-, Dampf- ud elektrischen Schwitz¬
bäder sowie zar Applikation elektrischer Bestrahlung. Einige Wochen darauf
fügte er noch ein elektrisches Bad, welches er nach seinen eigenen Angaben
darch einen Techniker nasführen liess, hinzu. Am Abend nach der Fertig¬
stellung wollte er dasselbe probieren. Er nahm zunächst ein Dampfschwitzbad
und setzte sich danach in die mit Wasser gefüllte Wanne des elektrischen
Bades. Nachdem er etwa 10 Minuten darin verweilt hatte, forderte er seine
Frau auf, den Strom anzustellen. Kaum war dies geschehen, so streckte sich
der Mann, tat einen tiefen Atemzug und war eine Leiche.
Irgend eine Veränderung konnte bei der Leichenschau an dieser nicht
entdeckt werden. Der Apparat bestand in einer etwas kurzen Zinkbadewanne,
an deren Kopfende innerhalb eine demselben parallel gebogene Zinkblechplatte
befestigt war, während vom Fassende eine zungenförmig gestaltete, etwa */* m
lange, dicht über dem Boden angebrachte, aus dem gleichen Metalle in die¬
selbe vorsprang, sie beide dienten alB Elektroden. An einem Schaltbrette war
Vorrichtung getroffen zur Abstufung des Stromes in fünf verschiedenen Graden,
deren schwächster angeblich benutzt worden ist. Die Elektrizität wurde aus
der Zeutrale einer benachbarten grössseren Brauerei, welche ihre sämtlichen
Maschinen damit treibt und mit 20 Ampöres bei 110—120 Volts Spannung
arbeitet, bezogen.
Höchst wahrscheinlich ist wohl der tödliche Erfolg dadurch herbeigefflbrt,
dass der ziemlich grosse Mann bei der Kürze der Wanne direkt mit den beiden
Polen in Berührung gekommen ist. Mag aber auch der Fehler stecken, wo er
will, der Fall zeigt, wie auf allen Gebieten bei unverständiger Applikation
von Heilmitteln oder Methoden durch Laien Unheil angerichtet werden kann.
Verletzungen der Gebärmutter. Ans dem Stadtkrankenhaus Dresden-
Friedrichstadt. Von Dr. Osterloh. Münchener medizinische Wochenschrift;
1903, Nr. 21.
Verfasser teilt 5 seltene und interessantere Verletzungen der Gebär¬
mutter mit.
I. Fall. 28jährige Frau. 3 normale Geburten ausgetragener Kinder.
Vor 2 Jahren vaginale Operation wegen Gebärmutterknickung.
Am 15. Oktober 1902 schwere Entbindung eines schon abgestorbenen, nicht
ausgetragenen Kindes durch Wendung und Extraktion wegen Unnacbgiebigkeit
dar Operationsnarben in der Scheide und Gebärmutter.
Sin deutaehee gericbts&rztliches Leicbenöffnungsverfabren.
667
Nach schwerem Krankheitsverlaufe unter dem Bilde von Sepsis, Peri¬
tonitis, Pneumonie, Verdacht auf subphrenischen Abszess, Endocaiditis, am
3. November 1902 Tod.
Sektionsresultat: Eitrige Pelveoperitonitis. Ulseröse Bndocarditis der
Mitralis. Embolisehe Abssesse in Milz und Nieren. Lnngeninfarkt. Pleuritis
rechts. Die Gebärmutter ist wenig vergrössert. Nach Lösungen der Ver¬
wachsungen im Douglas findet sich am Grunde derselben in der hinteren Wand
des Uterus ein quer verlaufender Einriss mit unregelmässigen Bändern von ca.
l‘/t cm Länge, der die Wand völlig durchsetzt. Die Schleimhaut der Gebär¬
mutter ist gequollen, stellenweise missfarbig. Der Ausgangspunkt der Er¬
krankung ist ohne Zweifel in der verhältnismässig nicht sehr ausgedehnten
Zerreissung des Uterus zu suchen, welche mit der plastischen Operation sicher
in ursächlichem Zusammenhang steht. Die Analogie mit den aus der Literatur
bekannten Fällen lehrt die grosse Gefahr von vaginalen Opera¬
tionen bei Betroflexio für spätere Entbindungen.
II. Fall. 83jährige Witwe, angeblich 3 Monate schwanger; seit 7. März
Blutungen, am 11. März ins Krankenhaus aufgenommen. Kollabiertes Aussehen,
38,2 C., Puls 136. Icterus. Meteorismus. Peritonitis. Scheusslich stinkendes
Blut fliesst aus der Vagina. Leichte manuelle Ausräumung stinkender Abort-
massen aus dem Uterus, 50proz. Alkoholausspülung. Der Zervikalkanal ballon¬
artig; an seiner vorderen Wand vorspringende Leiste, die dem inneren Mutter¬
munde zu entsprechen scheint. Bapider Verfall. Tod am 18. März. Sektions¬
befund der Gebärmutter: In der vorderen Wand des Cervix bemerkt man eine
mit stark übelriechenden, missfarbigen, duokelbraungelben, schmierigen Massen
erfüllte Höhle von 5 cm Breite, 3 cm Länge; sie reicht in der Tiefe bis an
die hintere Blasenwand, nach oben bis zum Peritoneum der Exoavatio vesico-
uterioa, welches hier mit einer ziemlich dicken Schicht von schmutzig gelbem
Fibrin belegt ist. Der untere rauhe, wie zerfetzte Band der Höhle ist etwa
2 mm vom äusseren Muttermund entfernt, ebenso der obere vom inneren Mutter¬
munde. Auch auf der hinteren Blasenwand eine dünne Schiebt Bckmierig gelb¬
grauer Massen. Das Gewebe des Cervix ist ausserordentlich morsch. Im Uterns
jauchige Flüssigkeit, die Plazentarstelle mit schwarzgrauen, missfarbenen Massen
teils locker, teils fester besetzt. In den Venen der Plazentarstelle jauchig
schmelzende Tromben.
III. Fall. 22 jähriges Dienstmädchen. Aufnahme am 8. März 1902, nach¬
dem sie am 28. Februar eine starke Blutung im 6. Schwangerschaftsmonate
gehabt und Beit 4. März Fieber und Leibschmerzen bekommen hatte. Jeden
Tag Schüttelfrost mit Temperatur his 40,6°. Meteorismus. Links Pleuro¬
pneumonie. Parametrien druckempfindlich. Stinkender Ausfluss. Tod am
15. März unter dem Bilde schwerer Sepsis.
Sektionsbefund: Pyämie. Embolische Pleuropneumonie. Sohwere Nieren¬
entzündung. Septische Milz. Thrombophlebitis. Das Beckenbindegewebe
ödematös, die Gefässe mit eitrig schmelzenden Thromben erfüllt. In der hinteren
Wand des Uterus wölbt sich im unteren Drittel der rechten Hälfte ein tauben¬
eigrosser Herd vor. Beim Einschneiden entleert sich reichlich dünnflüssiger
Eiter; kleinere Vorwölbungen mit Eiter am Ansatz der rechten Tube. Die
Venenplexus der rechten Seite und in der Umgebung der Harnröhre ebenfalls
mit eitrig schmelzenden Thromben erfüllt. In der hinteren Blasenwand kleinere
Abszesse, ein ebensolcher in der vorderen Scheidewand. An der Schleimhaut
des. Zervikalkanals keine Verletzung, dagegen finden sich in der Gebärmutter¬
höhle, die mit dünnflüssigen schmierig eitrigen Massen erfüllt ist und einen
an der Plazentarstelle fest anhaftenden, 1 mm dicken graugelben Belag hat,
an der rechten Kante 2 cm vom inneren Mattermund entfernt, mehrere über¬
einander gelegene Löcher, 4,9 und 10 mm breit und ziemlich stArk klaffend.
Durch diese Oeffnnngen kann man eine Sonde bequem nach aufwärts und hinten
schieben und gelangt dabei in die oben beschriebene, taubeneigrosse Abszess-
höhle. Die Bänder dieser Oeffnnngen sind dünn, nicht ganz regelmässig und
sehen zerfetzt aus.
Die Verletzungen waren im Fall II, wie durch das gerichtliche Ver¬
fahren festgestellt wurde, und ohne Zweifel auch im Falle III, mit einer Spritze
geschehen, welcher sich die Abtreiberinnen bedienen und mit welcher sie ge¬
wöhnlich Wasser und Seifenwasser zwischen Eihäute und Gebärmutter ein-
6«» ff Mrare Mitteilungen und Beferate rar Zefeaehrifteu.
spritzen (die Sprit» ähnelt eirar gewöimRcfawr Kind crkt y st le rs prfr ac mit
etaem- tragen biegsame n , sienüieh spit* endenden Attests aus Zins); Sobata
die Spritze beim Einfahren aaf Widerstand stOsst, s. B. bei stark retro- oder
anteflektiertem Uterus, sucht die Abtreiberin ibn su überwinden und bohrt das
Instrument in die Gebärmntterwand ein. Es entstehen Verletsnngen, die durch
Wiederholung vergrössert und zahlreicher werden. Dabei treten su der Ge¬
fahr des Lufteindringens die Gefahren der septischen Infektion hinzu.
Aehniiohen Verlauf und Ausgang neigen Fälle, bei denen der Gebrauch
der Kttrette sur Entfernung von Abortusresten su mehr oder weniger tiefen
Verietsungen oder völliger Durchreibung der Gebärmutterwand fahrt. Sind bei
der Aussehabang alle aseptischen VorBichtsmassregeln eingehalten worden, so
kann eine derartige nicht su grosse Verletsung, ähnlich wie die Durchbohrung
der Gebärmutterwand mit der Sonde, reaktionslos verlaufen; Ist dies aber
nicht der Fall, so sehliesst sich auoh hier Sepsis oder Pyämie an.
Verfasser führt noch swei solche Fälle mit kurzer Krankengeschichte
an (Fall IV und Fall V). Im ersten Falle wurde durch wiederholte An¬
wendung der Kttrette die Zerstückelung des kleinen Fötus, die Durcbreibung
der Gebärmutterwand and der Austritt der Fötalteile in den Douglas bewirk^
wobei zweifellos gleichseitig eine septische Infektion stottgefnuden hat. Im
zweiten Falle (Fall V) fand sich im Fundus- der Gebärmutter ein. schmaler
Fistelgang, der ins perimetrisohe Gewebe führte und der zweifellos mit-der.
Kürette gebohrt wurde unter gleichzeitiger septischer I n f ek t ion.
Verfasser möohte die Kürette in der Abortbehandlnng nicht entbehren,
wendet allerdings meistens die stumpfe an und gibt zu, dass in den häufig
schwierigen Verhältnissen der Privatpraxis jeder operative Eingriff, also rach
die Aussehabang der Gebärmutter, nicht mit derselben Buhe und Sicherheit
aasgeführt werden kann, wie in der Klinik. Dr. Waibei-Kempten.
Ueber einen forensiseh interessanten Fall von Manie. (Ein Beitrag
aur Erblichkeit der Psychosen). Von Dr. Kölpin in GroifswaldL (Ana der
psychiatrischen Klinik des Prof. Westphal). Allg. Zeitschrift t Psychiatrie;
60 Band, 8. Heft, 1903.
Ein 26 jähriger Kaufmann hatte unter falschen Namen und Titeln
(Referendar, Graf) zahlreiche Zechprellereien und Betrügereien verübt. Das
auffallende Verhalten des sonst soliden, vollkommen orientierten Kranken ver-
anlasste den Gefäognisarzt, eine Beobachtung desselben ln der Irrenklinik
su beantragen. Die eingehenden Erhebungen über die Familienverhältnisse
des Angeklagten ergaben, dass in der Familie des Vaters von 9 Geschwistern
6 geisteskrank gewesen und dass weiterhin die Kinder von diesen ebenfalls
zum grossen Teil erkrankt waren. Der Vater des Angeklagten leidst
alle 8 bis 4 Jahre an BrregangsanfäUen, in denen er bei änsserlich sehr
korrektem Wesen die ansinnigsten Handlangen begeht. Der Patient selbst
bot in der Anstalt deutliche Symptome einer hypomanisohen Störung, und es
ist nicht uninteressant, dass Verfasser bei den meisten Gliedern der gesamten
Familie das Auftreten periodischer oder zirkulärer Psychosen von gleichem
Charakter naehweisen konnte, während Störungen mit Ueberg&ng in Verblödung
in keinem Falle mit Sicherheit festgestellt wurden. Der Fall beweist übrigens
nach der forensischen Seite, wie notwendig in den meisten — oft scheinbar
recht klar liegenden Fällen — eine längere Beobachtung und weitergehende
Erhebungen in der Irrenanstalt werden können. Dr. Pollitz-Münster.
Die einfache demente Form der Dementia praecox (Dementia
slmplex). (Ein klinischer Beitrag snr Kenntnis der Verblödongspsychosen).
Von Otto D i e m, vormals I. Assistensarst der psychiatrischen Klinik im Borg-
hölzli-Zürich. Archiv f. Psychiatrie; 37. Bd., 1. H., 1903.
Verfasser weist auf eine nicht ganz seltene Modifikation der Dementin
praecox bin, die sich von den häufigeren hebephrenen Formen durch die Aus¬
bildung eines allmählich fortschreitenden Schwachsinns unterscheidet, während
andere psychotische Symptome vollkommen fehlen. Die 19 hier mitgeteilten
Fälle bieten in der Tat mit mehr oder weniger (s. B. Fall XIX) DentUehkeit
das Bild der reinen Verblödung in oder nach der Pubertät. Nickt selten
stellt sieh bei den bereits schwachsinnig gewordenen Kranken eine Neigung
Kleinere Mitteilungen and Beferate am Zeitschriften
<69
m Alkohlcxzcssen ein, die leieht den Verdaeht einer alkoholistischen Störung
vortänscht. Dass ein grosser Teil dieser Schwachsinnigen, bei denen die
sittlichen Vorstellungen swar vorhanden, aber von geringer Wirksamkeit für
ihre Handlangen sind, als Vagabonden in Arbeitsbfiosern and Gefängnissen
endet, hat bereits Bonhoeffer in einer eingehenden Studie nachgewiesen.
Nicht immer tritt die psychische Veränderung in früherem Alter auf, bei
manchen Kranken fällt der Beginn der Störung in dae 30. Lebensjahr oder
nach später. Die Kranken werden unstät, willenlos, die geistige Leistungs¬
fähigkeit nimmt immer mehr ab, oder aber es machen sich Charakterver¬
änderungen bemerkbar, wie Heilbarkeit und Unverträglichkeit mit unverständiger
Begehrlichkeit und steter Unzufriedenheit mit der Lage. In der Anstalt sind
sie meist fügsam und — besonders wenn frühere Alkoholexsesse wegfallen —
ruhige, indifferente Patienten ohne jede Aktivität und ohne jede selbständige
Begung. Stets stellt sich eine zunehmende gemütliche Verblödung neben der
intellektuellen Urteilsschwäche sin. Dagegen bleiben die Schulkenntnisse,
ebenso Gedächtnis und Merkiähigkeit lange erhalten. Ein grosser Teil dieser
Kranken stammt aus psychisch kranken Familien; in der Hälfte der Fälle
waren die ursprünglichen geistigen Anlagen gut. Verfasser betont am Schlüsse
seiner Arbeit, dass wir in dem Gesamtgebiet der Dementia praecox neben der
katatonen, hebephrenen und paranoiden Form eine weitere als einfache Demenz
zu unterscheiden haben, der die Symptome der enteren abgehen, während der
terminale Schwachsinn allen gleich, ist. Dr. Po 11 itz-Münster.
lieber die Detinierung nicht entmündigter Geisteskranker in
Irrens net alten. Von Dr. Löwenthal. (Vortrag, gehalten im psohiatrischen
Verein in Berlin). Allg. Zeitschrift f. Psychiatrie. 60. Bd., 3. H., 1903.
Verfasser weist in einem lehrreichen Falle nach, dass die prinzipielle
Entlassung von Kranken aus einer Irrenanstalt, deren Entmündigung abgelehnt
worden ist, zu recht bedenklichen Konsequenzen führen kann. Im vorliegenden
Falle handelt es sioh um einen der Paralyse verdächtigen Gewohnheitstrinker,
dessen Zustand sich wesentlich gebessert hatte, so dass er im Entmündigungs-
termine keine sehr prägnanten Symptome von Geistesstörung erkennen liess,
während er vorher Symptome von Wahn der ehelichen Untreue mit Bedrohung
seiner Familie dargebeten hatte, die zu seiner Internierung Anlass gegeben
hatten. Der Gutachter beseiehnete ihn im Entmündigungsverfahren zwar als
noch krank, aber so weit gebessert, dass die Voraussetzungen des §. 6, Abs. 1
d. B. G. B. nicht zuträfen. Bereits 2 Monate nach seiner daraufhin erfolgten
-Entlassung musste er wiederum wegen Bedrohung seiner Ehefrau in die
Anstalt surüokgebraeht werden, aus der dann nach kurzer Zeit aufs neue
seine Entlassung erfolgte. Verfasser betont, dass eine Entmündigung wegen
Trunksucht kaum erfolgreicher gewesen wäre, da eine Irrenanstalt einen der¬
artig Entmündigten auch nicht zu definieren berechtigt sei. In der Dis¬
kussion wies besonders Moeli darauf hin, dass der AnstaltBarzt gegenüber
dem die Entmündigung ablehnenden Beschlüsse des Amtsgerichts die Staats¬
anwaltschaft zur Beschwerde veranlassen konnte. Znr Definierung des Begriffs
„Besorgung der eigenen Angelegenheiten“ bemerkte Moeli, dass hierher auch
die „richtige soziale Haitang“ gehöre. Ein anderer Bedner empfahl, in solchen
Fällen eine Vertagung des Eatmündigungstermines um 6 Monate su beantragen;
gleichseitig kann eine vorläufige Vormundschaft eingesetzt werden, die die
Beehte des Detiniertea zu wahren bat. Dr. Pollitz-MUmter.
Zur Frage der sogen, freiwilligen Pensionäre. Von Dr. Boedeker.
(Vortrag, gehalten im psychiatrischen Verein su Berlin). Allg. Zeitschrift für
Psychiatrie; 60. Bd., 8. H., 1908.
Dem Besitzer eiuer Privatirrenanstalt war seitens des Begierungs-
präsidenten aufgegeben worden, für die als freiwillige Pensinonäre eintretenden
psychisch Kranken bestimmte Bäume zum ausschliesslichen Gebrauche su
reservieren. Verfasser weist an einigen Beispielen nach, dass eine solche
prinsipielle räumliche Trennung der verschiedenen Aufnahmekategorien von
Kranken, die übrigens auch nicht im Ministerialerlass vom 26. März 1901 vor¬
gesehen ist, für die Anstalt schwer durchführbar und für die in Frage
kommenden Patienten wenig vorteilhaft sei. Die Verteilung der Kranken auf
670
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
die einzelnen Abteilungen muss sich in erster Linie nach dem Leiden nnd dem
jeweiligen Zustande der letzteren richten nnd wird sie bald in freiere Bedingungen
and mit weniger schwer Kranken zusammen bringen, bald in andere Umgebung
mit strengerer Ueberwachung. Verfasser erinnert hier zutreffend an Alkoholisten
und Morphinisten, die in sehr zahlreichen Fällen als freiwillige Pensionäre
eintreten and eine anfangs sorgfältige Ueberwachung gern und freiwillig hin-
nehmen. — In der Diskussion über diesen Vortrag stellte sich übrigens heraus,
dass eine solche Trennung der freiwiligen Pensionäre von den anderen
Kranken in den meisten Primanatalten nicht gefordert wurde.
Dr. Pollitz-Münster.
Jahresbericht des Hilfsvereins für Geisteskranke im Königreich
Sachsen für das Jahr 1902. Erstattet von Geh. Med.-Rat Dr. Weber,
Direktor der Heil* nnd Pflegeanstalt in Sonnenstein.
Das Bedürfnis, die notleidenden Angehörigen der in den Anstalten unter¬
gebrachten Geisteskranken za unterstützen und vor allem den ans der Anstalts-
behandlung Entlassenen in einem über den Rahmen der öffentlichen Fürsorge
hinausgehenden Umfange Hilfe zu bringen, ist der Hauptzweck des seit dem
Jahre 1900 bestehenden Hilfsvereins für Geisteskranke im Königreich Sachsen.
Daneben hat er sich die Aufgabe gestellt, daB Verständnis für die Geistes¬
krankheiten and das Interesse für die Geisteskranken za erwecken und sn
fördern; ausserdem will er seine Tätigkeit auch auf die Epileptischen nnd
Hysterischen erstrecken. Nach dem vorliegenden Bericht haben sich nicht nur
die finanziellen Verhältnisse des Vereins während des Berichtsjahres reoht
günstig gestaltet, sondern es sind auch beachtenswerte Erfolge erzielt.
Die Zahl der Mitglieder ist fast in allen Bezirken erheblich gewachsen, nicht
weniger als 4300 Mark (2900 Mark von den Bezirksvereinen nnd 1400 Mark
von der Zentralkasse) konnten für Geldunterstützungen verwendet werden.
_ Rpd.
B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬
sachen.
Entstehung einer primären Herzerweiterung durch eine unge¬
wöhnlich grosse, plötzlich eingetretene Muskelanstrengung bei dem
Heben eines schweren Baumstamms. Aerztliches Obergutachten,
auf Veranlassung des Reichs-Versicherungsamts unterm 6. März 1902 erstattet
von Dr. Frohmann, Oberarzt an der Königl. medizinischen Universitätsklinik
in Königsberg i. P. (Amtliche Nachrichten des Reichs - Versicherungsamts;
1903, Nr. 6.)
Das Ergebnis der objektiven Untersuchung macht es zweifellos, dass bei
L. ein schweres Herzleiden vorliegt. In dieser Hinsicht stimmen wir mit den
Herren Vorgutachtern vollständig überein. Dagegen können wir uns ihrer Auf¬
fassung in Bezug auf die Natur der Affektion bei L. nicht anschliessen. Herr
Dr. K. and Herr Dr. E. nehmen eine Erkrankung der Herzklappen an, and
zwar speziell eine Schiassunfähigkeit der Mitralklappe (Mitralinsuffizienz). Herr
Dr. G. spricht gleichfalls von einem Herzklappenfehler, wenn er anch die Mög¬
lichkeit einer akaten Herzerweiterung nicht für ausgeschlossen hält. Wir
selbst sind dar Ansicht, dass eine Erkrankung der Herzklappen (Sohlnssun-
fähigkeit der Mitralklappe» mit Wahrscheinlichkeit auszuschliessen ist, viel¬
mehr eine Erkrankung des Herzmuskels, und zwar eine primäre Herzerweite¬
rung vorliegt. Am Herzen haben wir folgende Symptome festgestellt: 1. eine
hochgradige Erweiterung der Herzkammern, und zwar besonders der linken,
nachweisbar an der Vergrösserung der Herzdämpfong und der Verbreiterung
des Herzschattens im Röntgenbilde; 2. dumpfe erste systolische Herztöne, meist
ohne Herzgeräusche; nur ab und za ist ein ganz schwaches systolisches Herz-
geräusch hörbar. Eine Verstärkung des zweiten Pulmonaltons fehlt; 3. hoch¬
gradige Unregelmässigkeit in der Schlagfolge des Herzens. Hierbei ist das
fast vollständige Zurücktreten resp. Fehlen der Herzgeränsche gegenüber der
erheblichen Erweiterung der Herzkammer unseres Erachtens das wichtigste
Symptom, das für eine primäre Erkrankung des Herzmuskels und gegen das
Vorhandensein eines Heraklappenfehlers sprioht Zu dem Symptomenbude der
Desinfektion» wesen im Kreise and Absonderangsverf&hren.
653
den nach einem Krankenhause, zu verbieten, ist vom Landrat, als
gesetzlich unzulässig, abgelehnt. Und die HaushaltungsmitgliederP
Eine Absonderung von den Kranken, so dass jede Berührung mit
Sicherheit ausgeschlossen ist, lässt sich nur ganz ausnahmsweise,
etwa in einem Guts- oder Pfarrhause, durchführen. Die Ueber-
führung der Kranken ins Eirankenhaus ist auf dem Lande selten
möglich, denn in diesem ist kein Platz, kein Isolierraum und kein
geeignetes Personal. Die Kranken bleiben deshalb meist zu Hause,
und die Haushaltungsmitglieder derselben sind dann nicht nur als
ansteckungsverdächtig, sondern bei kleinen Handwerkern und Ar¬
beitern, die oft in einer einzigen Stube wohnen, essen und schlafen,
geradezu als mit dem Ansteckungsstoff geschwängert zu bezeichnen.
Und diese haben freie Bewegung! Der Mann geht auf seinen
Arbeitsplatz in Landwirtschaft und Fabrik, oder als Handwerker,
Händler, Briefträger von Haus zu Haus, oder auf sein Bureau
zur Abfertigung des Publikums, oder nach den Mühen des
Tages in die Schenke; wie der verseuchte Postbeamte wirkt,
hat Herr Kollege v. Gyzicki in seinem Artikel „die Post als
Vermittlerin bei der Weiter Verbreitung von Krankheiten" in Nr. 2
dieser Zeitschrift treffend geschildert. Die Frau trägt vielleicht
Nahrungsmittel (Brot, Gemüse) von Haus zu Haus, oder sie be¬
sorgt Einkäufe in den Kaufläden oder auf dem Markte, oder sie
geht an mehreren Stellen aufwarten oder kochen, oder sie macht
Freundschaftsbesuche. Die Tochter geht in den Dienst oder in
fremden Häusern schneidern. Die Kinder spielen tagüber mit an¬
deren Kindern zusammen aut der Strasse. Und wie geht es in
dem verseuchten Hause selbst zu, trotz Tafel und Einti-ittsverbot?
Unnütze Besuche werden vielleicht dadurch etwas hintangehalten,
beim Schneider habe ich aber schon die zum Austragen oder Ab¬
holen bereit gestellten Kleider auf dem Bett des scharlachkranken
Kindes lagern, den Verkaufsraum des Bäckers oder Kaufmanns in
offener Verbindung mit dem Krankenzimmer gesehen; ebenso den
Bureauraum beim Postagenten. Kurz, überall, wo eine Abgabe
von Waren oder Gegenstände in einem verseuchten Hause statt¬
findet, tragen diese das Gift nach allen Himmelsrichtungen hin
fort. Alles dies beruht auf eigener Anschauung; und so kann
man wohl sagen, dass die Verhütung der Weiter Verbreitung an¬
steckender Krankheiten mit den bisher gesetzlich zulässigen Mass-
regeln niemals gelungen ist und niemals gelingen konnte.
Wie wird nun auf Grund des Beichsseuchengesetzes sowie
des neuen Gesetzes, falls dieses zur Annahme gelangt ist, vorge¬
gangen werden müssen? Das Gesetz gibt nicht nur die Mass-
regel der Absonderung Ansteckungsverdächtiger, son¬
dern auch die Meldepflicht zugereister, welche sich inner¬
halb der Inkubationszeit in einem verseuchten Bezirk aufgehalten
haben, und die Beobachtung Ansteckungs verdächtiger und
zwar in einfacher Form, indem zeitweise Erkundigungen nach dem
Gesundheitszustände eingezogen werden, und in verschärfter Form
bei umherziehendem Volk mit Beschränkung des Aufenthalts und
der Arbeitsstätte. Schliesslich gibt es den wegen Ansteckungsver-
C 5 >l Hr. Ifuneiak: Dasiufaktion im Kmafc »ml AbsootlerangsTer/ibren.
'.iAf'üt Abtv^sondertea Anspruch auf Entschädigung- für ver¬
loren gezogenen Arbeitsverdienst. .Mit diösenM&ö®elo ist die
;tut\£ der Weiterverbreitung tatsächlich erreichbar.- Gleich
fm -len reu Emtfctelaijgen, die dar Kreisarzt ant die einge-
lauluoe Auzoige einer Beuche hin vomimmt, wird er sämtliche
Bnuaühltungsangehürige ihr anstechaageverd&chög erMären und
ihre Absuininrang vorschlÄgen. MÄnnery FrÄhei» Kihd# dürfen
mit niemand in irgend eine Berührung treten, Jede Abgabe von
'.'^agen»Mh#h ans-tB® 8 ®!? .'B'aintUie--— seien es Verkaufs- oder Band-
werksg*g%:&s£ände — ist eofort zu verbieten. Waren, Packete und
Briefe Mtfm aus dltsseiFamilie nicht befördert »erdeu. Jede
halbe l&^rcgei ist unnütz. Für die übrigen in demselben Hause
»ohvtrutku Familien ist je nachdem entweder, sofern sie bereits
in näh«« BöriÜirung mit der verseuchten gestanden haben, eben¬
falls die Absontleruüg, oder ins anderen Falle die Beobachtung
anztiordoev», au dass jeder neue Krankheitsfall im Hanse sofort
bekannr wird. Diese' Maseritgfeln bleiben .io ' Kraft bis nach
erfolgter $S blussdesihtektm, Äbö?v auch nach dieser muss für
Dauer” der Inkubation der betr, »Beuche — nach Uuter-
leibetyplm» also 3 W^ebeu hoch eine Beobachtung
aller M iooi.-sassen erfolgen, da auch kurz vor «ier Desin-
infektioit eine Neuan&tecküög erfolgt sein kann. Erst wenn auch
diese Bcobachtangezeit ohne Nenerkraiikung vorübergegangen ist,
hat ihaii gewonnenem Spiel und geht hu» daran, den durch die
Absonderung in' ihrem Erwerb Geschädigte» die gesetzlichen Ent-
mjhädigüngeÄ zuzuweisen. — loh habe damit niti: ein grobes
Schema dos.notwendigen Vorgehens gegeben; alle Mögliehkeiten
iaaseft s?icb t ot einem kurzen Artikel nicht in Betracht ädöheu. Ich
wollte nur her vorheben, dass es gottlob demnächst gesetzlich m%\
lieh sein wird, durch energische Maseregela dem bisherigen Schien»
drian der Bevölkerung den Seuchen gegenüber entgegenzutreten,
und da*s Überall ganze Massregelu getroffen werden müsBen, Die
Absonderung muss polizeilich überwacht werden. Die
notwendigen Lebensmittel sind de« Abgesonderten so zuzuführen,
dass d*b«*i keine Berührung atattindet - : ;
Eiühö. Punkt muss ich aber noch in Kürze erwähnen, der
naeb u; i > ßttähfungen in allererster Linie zar weiten Ven-
iKMi;!.,. Seuchen beiträgt, — nämlich die Gebräuche* der Be-
m ^oifesfäUen aa ansteckenden Krankheiten, Bier
b« »Hea übrigen Todesfällen folgeudermaseen zu:
Die Wfflb v^v der Totenf^a gewaschen, dann herkömmlich
{lei Ausgtpn ui und M ‘ iifeinen Barge drei Tage lang mitten ins
^.uoioty Die Nachbarn treten, so oft es ihre Zeit ge-
matter und ’>esönders jeden Abend, zum Gebet an die Leiche und
l.deiben däno noch einige Zeit plaudernd bei der trauernden
l ; ;u • r Beerdigung werden die Nachbarn and sämtliche
v^i’w, eiugeladen. Diese dmlen «ich nicht nur aus dem-
♦ielbeu X*uri\% sondern oft ans Weiter Ferne zu Wagen oder per
ßat.i- - sogar auswärtige Lehrer habe ich bei Scharl&chleichen-
‘‘ogeugtt.iptevi- angetroffen! — mehrere Stunden vorher ein, und im
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 678
Nährboden in dem sonstigen Zustande des Fnsses des Verletaten vorge¬
funden habe.
Berücksichtigung des bisherigen Berufs bei Beurteilung des
Grades der Erwerbsunfähigkeit eines Verletzten. Rekurs-Ent-
seheidung des Reichs-Vei sicherungsamts vom 27. Februar 1908.
Es entspricht allerdings dem Sinne der Unfallversicherungsgesetze und
der Praxis des Reichs - Versicherungsamts, bei der Beurteilung des Masses der
durch den Unfall herbeigeftthrten Erwerbsunfähigkeit nicht die Berufsinvalidität,
das heisst die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit in dem bisherigen Be¬
rufe, sondern die nach dem ganzen geistigen und körperlichen Zustand einge¬
tretene Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit auf dem gesamten Gebiete des
wirtschaftlichen Lebens als massgebend anzusehen. Aber dabei ist doch fest-
zuhalten und auch stets festgehalten worden, dass unbillige Härten zu ver¬
meiden sind, dass namentlich auf die Ausbildung und die bisherige Berufs-
Stellung angemessene Rücksicht zu nehmen ist, und dass deshalb nicht ohne
RQoksicht hierauf dem verletzten Arbeiter ein Berufswechsel unter allen Um¬
ständen zugemutet werden darf, sobald dadurch die Möglichkeit der Erzielung
eines höheren Verdienstes als bei der bisherigen Berufsarbeit anzunehmen ist.
Auch auf dem Gebiete der Invalidenversicherung genügt die Berufsinvalidität
nicht als Voraussetzung für den Rentenanspruch, aber sowohl das Invaliditäts¬
und Altersversicherungsgesetz vom 22. Juni 1889, als noch eingehender das
Invalidenversicherungsgesetz vom 13. Juli 1899, §. 5, Abs. 4 haben doch Härten
vermieden, letzteres insbesondere durch die ausdrückliche Anordnung der Rück¬
sichtnahme auf die Ausbildung und den bisherigen Beruf des Versicherten.
Wenn auch die Begriffsbestimmungen der Invalidität im Sinne dieser Gesetze
nicht ohne weiteres auf das Gebiet der Unfallversicherung übertragen werden
können, so ist doch in dieser Rücksichtnahme auf den bisherigen Beruf und
Vermeidung unbilliger Härten ein Gedanke zu erblicken, der dem Gebiete der
Unfall- und der Invalidenversicherung gemein ist. Unvereinbar mit diesem
Gedanken und eine unbillige Härte aber wäre es, wenn einem Arbeiter, der in
einem bestimmten Beruf ausgebildet ist und bisher tätig war, im Falle einer
Verletzung, durch welche er in dieser bisherigen Berufstätigkeit in geringerem
Masse behindert ist, zugemutet würde, um der Möglichkeit willen, in einem
anderen, vielleicht seinen Fähigkeiten wenig entsprechenden Beruf etwas mehr
zu verdienen, seine bisherige Berufsarbeit aufzugeben und eine andere zu suchen.
In einem solchen Falle entspricht es vielmehr den geltenden Grund'
Sätzen, den verletzten Arbeiter nach dem Masse der Minderung seiner Erwerbs¬
fähigkeit innerhalb des bisherigen Arbeitsfeldes zu entschädigen, und es kann
deshalb ohne Widerspruch mit der Spruchübung des Reichs -Versicherungsamts
auch die Rente des Klägers unter Zugrundelegung des Berufs des Webers
bemessen werden.
Geringe Winkelstellung der Brückenden nach Bruch des Unter¬
schenkels bedingt an sich keine Erwerbsverminderung. Rekurs-Ent¬
scheidung des Reichs-Versicherungsamts vom 24. Februar 1903.
Nach dem Gutachten der Aerzte Dr. R., Dr. Sch. und Dr. Rei., die in
Gegenwart von drei aus der Zahl der Betriebsbeamten gewählten Vertrauens¬
männern den Kläger am 12. September 1901 und 28. Mai 1902 untersucht haben,
ist der Bruch des linken Unterschenkels, den der Kläger am 10. Dezember 1900
erlitten hat, gut verheilt. Die geringe Winkelstellung des unteren Knochen-
endes zu dem oberen hat nach dem bedenkenfreien Urteil der Sachverständigen
auf den Gebrauch auch nicht den geringsten Einfluss. Die Gelenke sind frei
und beweglich; die Muskulatur des linken Beines ist eher stärker als die des
rechten. Die Klagen über Schmerzen in dem Beine halten die genannten Aerzte
nach dem geschilderten objektiven Befunde für unglaubwürdig. Kläger ver¬
richtet die nämliche Arbeit wie vor dem Unfälle und bezieht denselben Lohn
wie seine gleichaltrigen Arbeitsgenossen.
Wenn diesem Befund gegenüber der von dem Schiedsgericht zugezogene
Arzt bei seiner Untersuchung am 24. September 1902 eine Besserung in dem
Zustande des Klägers als nicht eingetreten und eine Schwäche in dem Beine
als nooh vorhanden annimmt, so findet dieses Gutachten in dem objektiven Be-
674
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
fand insofern nioht seine Stütze, als die Maskolatnr des verletsten Beines in
keiner Weise schwacher ist als die des rechten. Der Umstand allein, dass das
Bein mit einem unbedeutenden, seinen Gebrauch nicht beeinträchtigenden Schön¬
heitsfehler geheilt ist, kann einen Entschädigungsanspruch nicht begründen,
weil weder eine Verunstaltung des Klägers dadurch eingetreten ist, noch der
Gebrauoh des Beines in einer ungünstigen Weise beeinflusst wird. Erfabrungs-
gemäss pflegen auch Brüche bei so jugendlichen Personen, wie es der Kläger
ist, unter ärztlicher Hülfe in einer nachteilige Folgen für die Zukunft aus-
schliessenden Weise auszuheilen, so dass die aus dem Befand nicht nachweis¬
baren Schmerzen des Klägers in dem verletzten Beine von vornherein nicht
wahrscheinlich sind. Immerhin könnte es sich schliesslich bei diesen als
Schmerzen empfundenen Beschwerden nur um geringe Unbequemlichkeiten
handeln, die bei der seit dem Unfall abgelaufenen geraumen Zeit eine Beein¬
trächtigung der Erwerbsfähigkeit nicht bedeuten.
Eine messbare Beeinträchtigung im wirtschaftlichen Leben liegt
bei Verletzung des Nagelgliedes des linken Mittelfingers nicht vor.
Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom
26. Mai 1903.
Der Kläger hat das Nagelglied des linken Mittelfingers verloren. Die
Stumpfspitze des Fingers ist zwar nur mit einem dürftigen Weichteilpolster
bedeckt, welches mit dem Knochen ziemlich fest verwachsen und mit mehreren
Narbenzügen durchwachsen ist, aber die beiden noch vorhandenen Glieder des
verletzten Fingers haben hinsichtlich der Beugungsfähigkeit keine Einbusse
erlitten. Der Faustschluss ist an sich kräftig und die Hand schwielig. Der
Kläger hat auch gleich nach dem Verlassen des Krankenhauses — etwa 7 bis
8 Wochen naoh dem Unfälle — seine frühere Arbeit als Schmied mit voller
Leistungsfähigkeit wieder aufgenommen.
Hiernach liegt eine messbare Beeinträchtigung im wirtschaftlichen Leben
nicht vor. Mit dieser Ansicht stimmt auch das ärztliche Gutachten des Prof.
0. vom 25./26. März 1903 überein, so dass kein Grund vorliegt, den Aus¬
führungen des Kreisarztes Geh. Medizinalrat Dr. R. vom 27. Februar 1903
zu folgen. _
Anhörung des behandelnden Arztes ist nicht nnr für das Bescheids¬
verfahren, sondern auch für die Rechtsmittelinstanzen vorgeschrieben.
Rekurs-Entscheidung des Reichsversicherungsamts vom
20. Juni 1903.
Die Anhörung des behandelnden Arztes hat in denjenigen Fällen, für
welche sie vorgeschrieben ist, nicht nur insofern Wert, als sie geeignet ist,
ein etwa bestehendes Misstrauen der Verletzten gegen die Unparteilichkeit
der berufsgenossenschaftlichen Organe bei der Erteilung ihrer Rentenfest-
stelluagsbescheido in einem wesentlichen Pankte zu beseitigen; sie hat vielmehr
in diesen Fällen auch eine grosse sachliche Bedeutung. Denn der behandelnde
Arzt kennt den Verletzten und den Verlauf seiner Krankheit in der Regel
genau, kann häufig über die oft schwer zu beantwortende Frage, ob ein Leiden
erst durch den Unfall entstanden ist oder schon früher vorhanden war, ent¬
scheidenden Aufschluss geben und vermag nicht selten auch über andere für
die Beurteilung des Entschädigungsanspruchs des Verletzten wichtige Tat¬
sachen Angaben zu machen. Das auch solche sachlichen Erwägungen für die
Einführung der fraglichen Vorschrift bestimmend waren, ergeben die Verhand¬
lungen des Reichstags.
Die Vorschrift des §. 76 Abs. 3 Satz 1 des Unfallversicherungsgesetzes
für Land- und Forstwirtschaft hat daher nicht allein für das Bescheids¬
verfahren Bedeutung; sie kennzeichnet sich vielmehr als eine allgemeine, das
gesamte Feststellungsverfahren beherrschende und deshalb auch von den Rechts¬
mittelinstanzen zu beachtende Vorschrift.
Da sie ferner, wie schon ihre Fassung erkennen lässt, zwingender Natur
ist, so leidet das Verfahren, in welchem sie verletzt wird, an einem wesent¬
lichen Mangel. Dieser Mangel ist im Rechtsmittelverfahren zu beseitigen.
Die Heilung hat in der Weise zu geschehen, dass entweder der behandelnde
Ein deutsches gerichtsäxstlkbes Leichenöffnungsverfahren. 867
„Für <lie Oeffnung der Brusthöhle ist es erforderlich, dass «Bidet die
Weichteile der Brust bis Ober die Ansatzstelle der Bippenkuorpel au die Bippcn
hinaus abpräpariert werden.
Nächstdem werden die Bippenkuorpel, und «war um einige Hillimeter
nach innen von ihren Ansatzstellen an die Hippen mit einem starken Messer
dnrchsehnitten; dasselbe ist so su fuhren, dass das Eindringen der Spitze in. die
Lunge oder das Hers vermieden wird.
Bei Verknöcherung der Knorpel ist es vorsusiehen, die Hippen selbst
etwas nach aussen von den Ansatzstellen der Knorpel mit einer Säge oder
einer Knochenschere zu trennen.
Sodann wird jederseits das Schlüsselbeingelenk vom Handgriffs des Brust¬
beins durch halbmondförmig geführte vertikale 8ohnitte getrennt und die Ver¬
bindung der ersten Bippe, sei es im Knorpel, sei es in der VerknOcherung, mit
Messer oder Knochenschere gelost, wobei die grösste Vorsieht zur Vermeidung
einer Verletzung der dicht darunter gelegenen Gefüsse ansuwenden ist. Als¬
dann wird das Zwerohfell, soweit es zwischen den Endpunkten der genannten
Schnittlinien angeheftet ist, dicht an den falschen Knorpeln und dem Sehwert-
fortaatz abgetrennt, das Brustbein nach aufwärts geschlagen und das Mittel¬
feld mit sorgsamer Vermeidung jeder Verletzung des Herzbeutels und der
grossen Gefftsse durchschnitten.
Nachdem das Brustbein entfernt ist, wird zunächst der Zustand der
Brustfellsäcke, namentlich ein ungehöriger Inhalt derselben, nach Maas und
Beschaffenheit, sowie der Ausdehnungszustand und das Aussehen der vorliegenden
Lungenteile festgestellt. Hat bei der Entfernung des Brustbeins eine Ver¬
letzung von Gefässen stattgefunden, so ist sofort eine Unterbindung oder
wenigstens ein Abfluss derselben durch einen Schwamm vorzunehmen, damit
das ausfliessende Blut nicht in die Brustfelldecke trete und später das Urteil
stOre. Die Zustände des Mittelfelles und besonders das Verhalten der darin
vorhandenen BruBt- oder Thymusdrüse, sowie die äussere Beschaffenheit der
grossen ausserhalb des Herzbeutels gelegenen Gefässe, welche jedoch noch nicht
zu Offnen sind, werden schon hier festgestellt.
Nächstdem wird der Herzbeutel geöffnet und untersucht und das Herz
selbst geprüft. Bei letzterem ist Grösse, Füllung der Kransgefäsae und der
einzelnen Abschnitte (VorhOfe und Kammern), Farbe und Konsistenz (Leichen¬
farbe) zu bestimmen, bevor irgend ein Schnitt in das Herz gemacht oder gar
dasselbe aus dem KOrper entfernt wird. Sodann ist, während das Herz nooh
in seinem natürlichen Zusammenhänge sich befindet, jede Kammer und jeder
Vorhof einzeln zu Offnen und der Inhalt jedes einzelnen Abschnittes naeh
Menge, Gerinnungszustand und Aussehen zu bestimmen, auch die Weite der
Atrioventrikularklappen durch Einführung zweier Finger vom Vorhof aus zu
erproben. Alsdann wird das Herz herausgeschnitten, der Zustand der arteriellen
Mündungen zuerst durch Eingiessen von Wasser, sodann durch Aufschneideu
geprüft und endlich die Beschaffenheit des Herzfleisches nach Farbe und Aus¬
sehen genauer festgestellt. Entsteht die Vermutung, dass Veränderungen des
Muskelgewebes, z. B. Fettentartung desselben, in grosserer Ausdehnung vor¬
handen seien, so ist jedesmal eine mikroskopische Untersuchung zu veranstalten.
An die Untersuchung des Herzens schliesst sich die dar grosseren Ge¬
fässe mit einziger Ausnahme der absteigenden Aorta, welche erst nmh den
Lungen zu prüfen ist.
Die genauere Untersuchung der Lungen setzt die Herausnahme der¬
selben aus der Brusthöhle voraus. Dabei ist jedoch mit grosser Vorrieht-su
verfahren und jede Zerreissung und Zerdrückung des Gewebes zu vermeiden.
Sind ausgedehntere, namentlich ältere Verwachsungen vorhanden, so sind die¬
selben nicht su trennen, sondern es ist an dieser Stelle das Bippenbrustfhll
mit zu entfernen. Nachdem die Lungen herausgenommen sind, wird noch
einmal sorgsam ihre Oberfläche betrachtet, um namentlich frische Verände¬
rungen, z. B. die Anfänge entzündlicher Ausschwitzung nicht au übersehen.
Sodann werden Luftgehalt, Farbe und Konsistenz der einzelnen Lnngenab-
schnitte angegeben; endlich grosse glatte Einschnitte gemacht und die Be¬
schaffenheit der Schnittflächen, der Luft-, Blut- und Flüssigkeitsgehalt, der
etwaige feste Inhalt der Lungenblftseben, der Zustand der Bronchien und
Lungenarterien, letzterer namentlich mit Büoksieht auf emgetzehue Vtr-
656
Dt. Phuaek.
Stopfungen, mw. fe&tges teilt Za diesem Zwecke sind die Luftwege und di»
grösseren Lnhgengefäsec mit der Schere uufenschaeiden und io ihren feineren
Verästelungen za verfolgen.
Wo der Verdacht vorliegt, dass fremde Maasen in die Luftwege feisein-
gelangt sind and wo Stoffe in den Luftwegen gefandeö werden, deren Natur
dorob die groben Merkmale derselben nicht sicher' angeseigt wird, da ist eise
mikroskopische Ouiersachang sa veranstalten.*
Bayern gibt itn $.17 für die Messerfnbrnngy um das Ein»
dringen der Messerspitze in Lungen oder Herz zu vermeiden, an,
dass es „in wiegeaArtiger.Bewegung 4 ' geschehe.
„Dabei muss man akh daran eriuneru, dass »idh die ..$»** Kippe mit
komm Knorpel an xüm& summ. also nicht io an-
mittelbarer Fortsetauag ’4w Äwh nach ob®» .rfe?|t(tigecdim Linie tes Ammtses
der dhrigen Rippen. Das Messer muss also etwas weitet nach aassen geffljhn
and mit der Schneide dtaweibeu «»tüchtig die Steile des Kaorpel» «nfgesnefct
Old dieser darchschnittea werden.*
Beträchtlich ist die AbwejcbiJfig m der Anweisung, wie dsE
Schlftsselbein von dem Brustbein m trentien ist. Hier heisst m:
„Dieses kann allerdings wo Sachkundigen dttrch 'halbtaondförinige, r*r*
tikal am den Gelenkkopf des ScWüsseibejaaa von toru and äasshn geffihrte
Schnitte bewerkstelligt werden. 'Allein die Operation gelingt. siebt ganz telehti:^
and es geschieht dann oft, dass hei an nötig grosser Jvr aftaowendang das
Messer durch das Gelenk in die Tiefe fährt and die dicht hinter dein selben
liegenden grossen Blutgefässe austiebt, wodurch störende and -das Obduktion«*
resuitat Mchs verwirrende Blutung entsteht. Es ist daher ein anderes Ver¬
fahren, den «raten Rippenknorpel und die AiticUiaUö slernociavicälarm an
trennen, aosnempfehlen.
Man beginnt zu diesem Zwecke, nachdem man die Sbdgea Hippenknorpel
auf beiden Seiten darchechnitten hat, damit, dass man auf einer Seite die
Knorpel der falschen Rippen mit der linken Band fasst, möglichst stark in
die Höhe zieht und sie von den ntph *n aie ansetsendeu Zacken das Zwerch -
felis abschneidet. Indem man dieses auch auf der anderen Seit« ausffihrt, löst
man zugleich da« Browtbein auch von den hinter ihm liegenden Teilen ab and
schiebt dasselbe nach oben, bis man an die «rate Rippe kommt. Es ist jetzt
leicht, das Messer an der rechten Seite durch den ersten Rippcubnorpei durch-
sufflbre», Biegt man nun das Brustbein hoch stärker in die Höhe, ao gelingt
es.-'leicht, von "der hinteren fiaoben Seite in daa Brostbetu-Sehlösselbeingcleak
mit dem Messer ftiötndrtngen und dann das Brustbein mH der linken fl and
gowissermasaen ans dem Gelenk heraaBznbreoheo, sobald dasselbe nur einiger-
aussen Aagesebaittes ist. Eise Verletzung der Blutgefässe ist dabet fast nicht
möglich, und man hat endlich nurnoch di© JH in> sternocleido • m&stoidei, Sterne*
byoidei und sternothyreoldel abzaachneiden. Bei wirklicher, aber hur seltera,
vorboromander Verknöcherung des Schlüssel- Brustiiöingelenkas muss auch diese»
mH der Knochenschcr« ©der mit der Säge getrennt werden ..."
Sfthr wichtig ist, dass das bayerisch«- KegulMtv nicht die
.Eröffnung-'des Herzens, während es noch „in'«einem 'natürlichen.
Zusammenhang'* 1 rieh' befindet, ab einzige Sek-ttottMQetfaod« em¬
pfiehlt, sondern die Hisrz»röffatmg atie.| r ; auaserhftlb deg jBriB^örhes
gestattet, Allerdings ist ja der nailirlrebe Zttsämmealiaiß» auch
gewahrt, wenn die Hnlsorgane mit den ■gesamten .Biuatörganen
heransgenoninaeh werden. Zweifellos ist diese Methode bequemer,
übersichtlicher and auch reinlicher.
Nicht weiter beachtenswert ist, dass in dem bayerischen
Paragraphen die einzelnen Anweisungen über die Herausnahme
der Lungen im Wortlaut mit den preuseiachen fibei'emstimnien.
Wichtig ist uar, daaa die Sektion des Herzens ganz detailliert
geschildert wird.
Bin deutsches gorichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren.
659
Der Württembergs che §. 27 hat gleichfalls die eben
erwähnte Eröffnung des Schlüsselbein -Brustbeingelenks und der
ersten Rippe, gibt auch noch genaue Anweisung über die Messer¬
führung bei Durchtrennung der Rippenanknorpel.
. am besten in der Weise, dass man ein banchiges Skalpell, das aber
nicht sa dick sein soll, mit der ganzen Hand fasst, den Zeigefinger über seinen
Racken nabe an der Spitze legt, so dass sein letztes Glied anf die Brust zu
liegen kommt, und dass man dann von der zweiten Rippe an abwärts die
Knorp 1 mit wiegendem Schnitte durchtrennt. Hierbei ist darauf zu achten,
ob nicht während des Durchschneidens der Brnstwand Loft ans der Brusthöhle
dringt (Pneumothorax).
Für das Herz ist „bei allen plötzlichen Todesarten darauf zu aohten, ob
sich nicht grossere Gasblasen oder kleinere (Schaum) in der Herzhöhle finden,
bei deren Beurteilung selbstredend der Fäulnisgrad in Betracht zu ziehen ist.“
Sehr wesentlich weicht der §. 24 von Sachsen-Weimar-
Eisenach von den anderen Regulativen ab. Hier wird sogar
eine andere Herzsektion gefordert. Zunächst wird verlangt, dass
„der Grad des Zusammensinkens der Lungen unter der Wirkung des Luft¬
drucks“ erwähnt werde.“
Ferner heisst es:
„Wo dies angezeigt erscheint, soll durch einen neben der Scheidewand
geführten Längsschnitt jede der 4 Herzhöhlen zum Zweck der Feststellung
des Inhalts sogleich geOffnet werden.“
Später kommt die Schilderung:
„Vom Herzen ist die Grosse, der Grad der Zusammenziehung, der Fett¬
gehalt des Epikard anzugeben, ferner die Dicke und Farbe des Herzfleisches.
Veränderungen des letzteren sind nach Lage, Ausdehnung und Beschaffenheit
zu beschreiben, eintretendenfalls durch mikroskopische Untersuchung festzu-
stellen, die Eranzgefässe, veränderte Stellen zu untersuchen.
Das Endokard ist auf Blutaustritte und Verdickungen zu prflfen, der
Umfang der Klappenringe anzugeben, ebenso die Beschaffenheit der Herz¬
klappen, 3 für den rechten, 2 fflr den linken Vorhof, je eine ffir jede Kammer
(und ihrer Sehnenfäden). Soweit dies möglich ist, ist die Schlussfähigkeit der
Klappen festzustellen.
Im Inneren des Herzens ist auf Menge, Farbe und Beschaffenheit des
flüssigen Blutes, der ausgeschiedenen Leichengerinnsel und auf das Vorhanden¬
sein der Thromben zu achten.
An die Untersuchung der Lungenarterie soll sich jene des arteriellen
Ganges, an jene der Aorta die der Halsschlagader, an jene des rechten Vorhofs
die der Halsvenen anschliessen.“
Mecklenburg-Strelitz sagt in seinem §. 9:
„Um die Brusthöhle zu eröffnen, ist es am sweokmässigsten, zunächst
die Bippenknorpel an ihren Vereinignngsstellen mit den Rippen mit Ver¬
meidung von Einschnitten in die Lunge zu durchschneiden. Hierauf wird das
Zwerchfell von den untersten Rippen -nnd -dem schwertförmigen Knorpel ge¬
trennt, das Brustbein nach aufwärts geschlagen und dessen Handhabe aus der
Verbindung mit dem Schlüsselbein und den Knorpeln der ersten Rippe — mit
sorgfältiger Vermeidung der darunter gelegenen Blutgefässe — getrennt.“
Baden, Mecklenburg-Schwerin, Brannschweig
(§. 13), Anhalt (§. 16), Schwarzburg-Sondershausen
(§. 19) stimmen mit Preussen überein.
Ehe ich mich dahin äussere, wie ich mir die Eröffnung der
Brusthöhle in Zukunft denke, wird es sich empfehlen, die Vor¬
schriften für die Eröffnung des Halses zu prüfen. Hier sagt
zunächst der preussische §. 20:
678
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
habe unvorsichtig gehandelt nnd verurteilte dieselbe an
5000 Mark Schadenersats. Der Fall werde eine Warnung für die Behörden
sein and sie veranlassen, schon in senchenfreien Zeiten Vorsichtsmassregeln sn
treffen. Zn Gunsten der Verklagten mfisse allerdings gesagt werden, dass der
Distriktsrat nicht haftbar gewesen wäre, wenn er gar keine Schritte unter¬
nommen hätte, die Pockenkranken zn isolieren nnd die Krankheit ruhig sich
hätte weiter verbreiten lassen; schaffte er aber tatsächliche Misstände durch
seine Anordnungen, so fehlte daifir im Gesetz jeglicher Rückhalt.
(Interessant ist übrigens, dass in der ganzen Verhandlung von Impfung *)
nicht die Bede ist. Ref.) _ Dr. Mayer-Simmern.
Ueber die Dauer des Krankenhaosanfenthaltes infektiSs Er*
krankter nnd über Heimkehrfälle (Retnrn cases). Von Dr. W. A. B o n d,
med. off. of healtb of the Metropolitan Borongh of Holborn. Nach einem Vor¬
trag in der Sektion London des engl. Medizinalbeamtenvereins. Public Health;
1908, S. 248.
Nach einem Berichte Dr. Simpsons an die Londoner Zentralverwal-
tnngsbehOrde für das Krankenhanswesen *) ist die Häufigkeit der „Return cases",
jener Fälle von Infektionskrankheiten, die nach der Entlassung eines infektiös
Erkrankten aus dem KrankenhauBe in seinem früheren Heim auftreten, durch
langem Aufenthalte im Krankenhause nicht zn vermeiden.
Auf diesen Bericht lässt sich bereits die Tatsache zurückführen, dass
die von dem Metropolitan Asylnms Board verwalteten Krankenhäuser bei jährlich
10—13000 Fällen den dorcüschnittlichen Krankenhausaufenthalt von 1899 bis
1901 von 74 auf 66 Tage im einzelnen Falle herabgesetzt haben. Wesentlich
geringer ist die Däner des Krankenhansaufenthaltes in Leicester, wo Dr. Mil¬
iar d die Kranken nnr durchschnittlich 35 Tage zurückhielt
Der Autor selbst hält eine frühe Entlassung für wünschenswert. Die
späte Abschuppung bei: Scharlach sei nicht infektiös; die Kranken, die in
sonstiger Hinsicht zur Entlassung passend scheinen, brauchen nicht zurückbe*
halten werden, bis die Desquamation vollendet ist. Als Hanptqnelle der
Infektion auch in den späteren Stadien von Diphtherie und Soharlach ist
der Mund* und besonders der Tonsillenschleim anzusehen. Um mög¬
lichst viele Isolierräume zu haben, die es ermöglichen, Scharlachkranke mit
Diphtherie von den übrigen Scharlachkranken oder Diphtheriekranken zn
trennen, dürfen die einzelnen Räume recht klein sein. Es handelt sich beson¬
ders darum, Hospitalinfektionen zu verhüten. Rekonvaleszenten müssen von
frischen Fällen wenigstens eine ganze Woche vor der Entlassung getrennt
bleiben. Diagnostische Irrtümer in Bezug auf die ins Krankenhaus eingelieferten
Kranken sollten den Medizinalbeamten von den dirigierenden Aerzten möglichst
jedesmal mitgeteilt, und es sollten diese Kranken selbst rasch entlassen werden.
Auch die Anzeige von dem Entlassungstermine sollte in jedem Falle an den
Medizinalbeamten gelangen; dieselbe sollte bei Komplikationen in Ohr oder
Nase auch hierüber Einzelheiten enthalten.
Bei der Entlassung der Kinder sind den Angehörigen gedruckte War-
nnngs- and Belehrungsformulare mitzugeben.
Von einem Zusammenarbeiten zwischen MedizinalbehOrden, dem ärztlichen
Stande und dem Publikum einerseits, der Zentralinstanz für das Krankenhans-
wesen anderseits erhofft Verfasser ein 8eltenerwerden der „Return cases*
bei gleichzeitiger Verringerung der Dauer der Krankenhaus-
anfenthaltes. Er erinnert daran, dass auch in Amerika und in Deutsch¬
land diese Dauer eine kürzere, als in London, ist und erwähnt, dass von den
zu Hause behandelten Fällen 57,4 °/ 0 , von den im Krankenhause behandelten
Fällen von Scharlach 8,8 °/ 0 weniger als 6 Wochen isoliert wurden.
Dr. Mayer-Simmern.
Znr Kenntnis der Arteigenheit der verschiedenen EiweisskOrper
der Milch. Von Arthur Schlossmann und Ernst Moro. Münchener med.
Wochenschrift; 1903, Nr. 14.
*) Vergl. diese Zeitschrift; 1898, S. 528 nnd 681 nnd 1902, 8. 286.
*) Vergl. das Referat Zeitsohr. f. Medizinalbeamte; 1901, 8. 649.
Bia deutsche« geriahtsäntUchas Leichenöffnung« verfahren. 661
duck Aufachneidcn dar. letzterem ermittelt werden. Näohetdem did KtU«
köpf . . . .*
Die Sektion der Halsorgane wird wie in Bayern eingehend
geschildert mit der einzigen Abweichung:
,. . . wobei dieselben durch Zug an der Zunge nach vorn gesogen
werden. Der Zusammenhang mH den Organen der Brusthöhle kann hierbei
erhalten werden, so dass die Halsorgane gemeinschaftlich mit den Brustorganen
herausgenommen werden.*
Württemberg. §. 25 weicht im Wortlaut und Inhalt so
beträchtlich ab, dass ich ihn wörtlich wiedergebe:
«Zuerst wird der Kopfnieker tob Brust und Schlüsselbein abgelöst. In
den Füllen, in welchen ein abgekürstes Verfahren hei der Untersuchung, der’
inneren Organe sulüssig ist, wie bei den meisten poliseilichen Sektionen, kann
der Kehlkopf und die Luftröhre von vorn geöffnet werden, um das Verhalten
ihrer Oberfläche und ihres Inhaltes au ermitteln, — sonst, namentlich aber bei
Vertetsungen oder wenn man Fremdkörper oder sonst wiohtige Veränderungen
im Kehlkopf oder der Luftröhre vermutet, wird die Eröffnung derselben später
nach Loslösung und Untersuchung der übrigen Teile des Halses yon hinten
her yorgenommen.
Von Wert ist es, durch Druck auf das Brustbein die etwa in den tieferen
Teilen der Luftröhre enthaltenen Flüssigkeiten aufsteigend su machen. —
Sind Verletsungen am Halse vorhanden, oder vermutet man andere wichtige
Veränderungen, so werden . . . vom Ende des Längsschnittes ausgehend» am
unteren Bande des Unterkiefers bis su seinen Winkeln verlaufende Schnitte
geführt und die Haut der gansen Vorderfläche losgelöst
Der Füllung der grossen Venen des Halses, der Beschaffenheit des Blutes
in denselben, dem Verhalten ihrer Wände, sowie der inneren und äusseren
Oberfläche der Karotiden und der Nerrenstämme ist gleichfalls Aufmerksamkeit
su schenken. Besonders wichtig ist es hier, Leichenerscheinungen nicht mit
solohen zu verwechseln, welche erst nach dem Tode entstanden sind, wie s. B.
Einrisse in den Karotiaeu unterhalb ihrer Teilungsstelle bei Erhängten, welche
auch bei solchen Vorkommen, welche erat nach dem Tode aufgehttngt wurden;
Nun werden die Weichteile hinter dem Unterkiefer durch tiefe Schnitte
vom. Knochen losgelOst, die Zunge mit einem Haken angezogen, das Gaumensegel
von dem Bande des harten Gaumens weggeschnitten, die hintere Wand des
Sehlandes durchschnitten, Kehlkopf, Speiseröhre und LuftTOhre von der Wirbel¬
säule abgetrennt, mit dem an der Zunge liegenden Haken hervorgesogen und
dann sämtUohe Teile mit Einschluss der Schilddrüse, der Mandeln, der Speiohel-
und der Lymphdrüsen, sowie der Muskeln und der vorderen Fläche der Hals¬
wirbel untersucht.
Wenn nicht besondeoe Gründe vorliegen, so werden diese Teile an ihrem
unteren Ende vorerst nicht abgeschnitten, um sie später im Zusammenhang •
mit dem Magen oder der Lunge herausnehmen su können.*
Sachsen-Weimar-Eisenach. §. 24, Abs. 10:
.Die Herausnahme der Halsorgane soll deren Untersuchung in natür¬
licher Lage in allen Fällen vorhergehen, in welchen eine Verletzung voiiiegt
oder angenommen werden kann. In der Begel wird deren Herausnahme mit
jener des Mnndbodene, des weichen Gaumens, des Herzens und der im Mittel¬
feld enthaltenen Teile zu verbinden sein.*
Wie diese Uebersicht erkennen lehrt, bestehen die Ab¬
weichungen der Regulative über die Sektion des Halses darin,
dass der Zeitpunkt der Halssektion, ob vor oder nach der Sektion
der Brusthöhle, bestimmt oder dem Ermessen des Obduzenten
überlassen wird, dass ferner Wahlfreiheit darüber besteht, ob die
Halsorgane in Zusammenhang mit den Brustorganen herausge¬
nommen werden, dass drittens der Zeitpunkt für die Prüfung der
grossen Halsgefftsse verschieden festgestellt wird, dass schliesslich
680 Besprechungen.
bisher, nnr dass das intrauterine Operieren, welches das prenssische Lehrbuch
noeh lehrt, fortfällt.
2. Es soll keine sweite Art Hebammen unter irgend welcher Bezdch-
nung geschaffen werden.
3. Frei praktizierende Hebammen neben den angestellten sind auch
ferner zuzulassen.
5. Die Pflege der Wöchnerinnen ist womöglich der Hebamme abzu-
nehmen; die Pflege erkrankter Wöchnerinnen unbedingt. Im Falle der Er¬
krankung der Wöchnerin ist die Hebamme zu desinfizieren; darüber hinaus
keine Karenzzeit.
6. Es ist Anordnung zu treffen, dass Geburten ohne Hinzuziehung einer
Hebamme prinzipiell nicht stattflnden sollen.
7. Alljährlich Revision der Tagebüoher und Instrumente der (aller)
Hebammen mit kurzem Examen.
8. Obligatorische Nachkurse mindestens alle 6 Jahre auf mehrere Wochen
für jede Hebamme.
9. Krankenversicherung. Invalidenversicherung. Altersversorgung.
10. Nenn Monate Unterricht genügt für Ausbildung der Hebammen.
11. Stationäre Frauenklinik, geburtshilfliche Poliklinik sind womöglich
mit jeder Hebammenschule zu verbinden.
12. Universitäts-Frauenkliniken sollen das Recht haben, Hebammen im
9 monatlichen Kursus anszubilden.
13. Unterricht mit Examen für alle Schülerinnen, auch die hoher vor¬
gebildeten, gemeinsam und gleich.
14. Für Methode des Unterrichts breiter Spielraum dem Direktor der Schule.
15. Wegfall der Präsentation der Schülerinnen von seiten der Gemeinden.
Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rh.
Besprechungen.
Prof. Dr. B. Robert, Direktor des Instituts für Pharmakologie und pbysio"
logische Chemie zu Rostock: Compendium der praktischen Toxlko*
logie zam Gebrauche für Aerzte, Studierende und Medizinal*
beamte. Vierte Auflage. Mit 38 Tabellen. Stuttgart 1903. Verlag von
Ferdinand Enke. Gr. 8°, 206 Seiten. Preis: 5 Mark.
Von der fleissigen Feder des wohlbekannten Verfassers rührt dieses
Oompendinm her, welchem das Motto vorgesetzt ist: „Man muss dem Medi¬
ziner die Toxikologie mundgerecht machen; dann wird sie aufhören, ihm fremd
zu sein“, und welches nach des Verfassers Angabe seine Aufgabe erfüllt hat,
wenn es von solchen Aerzten und Studierenden mit Vorteil benutzt wird,
welche auf die Toxikologie weder viel Zeit, noch viel Geld zu verwenden im
stände sind.
Und sicher ist gerade die kompendiOse, handliche Form nicht der kleinste
Vorzug des Werkes, welches Uebersetzungen ins Dänische, Italienische, Russi¬
sche, Ungarische und Englische erlebt hat.
Das Buch zerfällt in eine allgemeine und eine spezielle Toxikologie,
während ein Anhang eine Uebersicht toxikologisch interessanter Stoffwechsel-
Produkte, eine Uebersicht toxikologisch interessanter Pflanzenfamilien, eine
Uebersicht wichtiger Klassen und Gattungen der Invertebraten und eine Ueber-
sicht wichtiger Reaktionen bringt.
Auch dem Anhänge sind eine Anzahl von Tabellen beigegeben, welohe
im Hauptteile zur sohndien Orientierung beitragen, da sie „auf den ersten
Blick die Aehnliohkeiten und Unterschiede zusammengehöriger Gifte er¬
kennen lassen".
Dem überaus praktischen, lesenswerten und wohl ausgestatteten Buohe
werden, wie bisher, die Leser nicht fehlen. Dr. Hoff mann-Berlin.
Dr. Walther Frleboer: Beiträge nur Kenntnis der Guajokpräpa-
rate. Von der mediz. Fakultät der Landeiuniversität Rostock gekrönte
Preisschrift. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. R. Kobcrt. Mit 10 in den
Besprechungen.
681
Text gedruckten Abbildungen. Stuttgart 1908. Verlag ton Ferdinand
Bake. Gr. 8®, 119 Seiten. Preis: 4 Mark.
Im Vorworte weist Kobert daran! hin, was für ein Interesse die Syphi-
lldologen an dem Thema haben müssen, nnd Frieboer sohildert in seinem
amten Kapitel in sehr ansprechender Welse die Gnajakmedisin als Panasen
gegen die „Fransosenkrankheit* ans dem Anfang des 16. Jahrhunderts.
Es folgt dann die Beschreibung des Gnajakholzes, seiner chemischen Be-
standteile, die Gesehiehte des Saponins, die Methoden snr Gewinnung von
Baponlnsnbstansen nnd ein Verseiehnis der Saponin enthaltenden Pflannen.
Weiterhin sohliessen sich an eine Reihe chemischer Untersuchungen nnd An»*
IjBen, sowie die Versnobe Uber die physiologisch-toxikologische Wirkungen der
Gnajaksaponinsftnre nnd des neutralen Guajaksaponins. Nachdem noch Unter¬
suchungen an! 8aponin und Studien über die Wirkungen des Gnajakholsüles
nnd des Guajols gemacht sind, wird eine ausführliche Zusammenstellung der
neuesten Literatur über die therapeutische Wirkung des Guajaks gegeben.
Den Schluss der Arbeit bilden 16 Leitsfttae, in welohe die Ergebnisse
nasammengefasBt sind.
Die interessante nnd flelssige Arbeit ist glatt nnd messend geschrieben,
ihre Ausstattung — besonders auch hinsichtiioh der Bilder — ist eine recht gute.
Dr. Hoffmann-Berlin.
Dr. Hann Knrella: Zareohzmngef&higkeit nnd BIrizninalanth.ro-
pologla. Halle a. S. 1903. Verlag von Gebaner-Schwetschke.
Gr. 8°; 123 S. Preis: 3 M.
Die vorliegende Schrift hat der auf diesem Gebiet sehr bekannte Autor
dasu bestimmt, das gebildete Publikum mit den schwierigen Fragen bekannt
xn machen, die als Grennprobleme der Lehre von der Zurechnung beseichnet
werden können. Die Frage nach der forensischen Beurteilung Schwachsinniger
hat er dabei aus guten Gründen ausgeschlossen. Es werden im übrigen die¬
jenigen Zustünde behandelt, Welche die Zurechnungsfähigkeit aussohliessen
können, ohne doch su den Erscheinungen derjenigen Bewusstlosigkeit oder der-
E iigen krankhaften Störungen der Geistestätigkeit su gehören, welche nach
61 Str. G. B. die Straffähigkeit aussohliessen. Dies sind die Anomalien des
schleohtsgefUhls (Päderastie, Sadismus usw.), die Trübungen und Verände¬
rungen des Stumpfsinns bei impulsiven und unbewussten Handlungen und die
Störungen des Gedächtnisses, sowie die unter dem Namen der Entartunge-
sustände zns&mmengefassten Krankheitsbilder. Hierauf kommt der Verfasser
auf die Kriminalanthropologle im allgemeinen zu sprechen, streift kurz ihre
Geschichte und erörtert auf Grund seines Materials schlesischer Zuchthaus-
insassen eine Reihe interessanter und strittiger Punkte. Eine kurze Darstellung
der praktischen Folgerungen, die sich für Strafrecht, Strafvollzug und Sozial¬
politik ergeben, macht den Schluss der interessanten Schrift.
_ Dr. Lewald-Obernigk.
Dr. B. Farnsteiner, Dr. F. Buttenberg und Dr. O. Korn, Chemiker am
hygienischen Institut in Hamburg: Leitfaden für die chemische Unter¬
suchung von Abwasser. Aus dem staatlichen hygienischen Institut zu
Hamburg. München 1902. Verlag von R. Oldenbourg. Gr.8», 165 S.
Preis: 3 Mark.
Die Verfasser dieser Abhandlung haben sich das dankenswerte Ziel ge¬
steckt, gestützt auf die im Hamburger hygienischen Institute gesammelten
Erfahrungen, aus der Unsumme der Methoden nnd Reaktionen für die Unter¬
suchung von Trink- nnd Abwasser die zuverlässigsten Verfahren anssnwählen,
dieselben eingehender zu erläutern und in verständlicher Form zusammenzu¬
fassen. Sie haben bei dieser Sichtung es gut verstanden, auch dem Neuling
auf diesem Gebiete wertvolle Fingerzeige zu geben, so dass es dem Lernenden
nteht schwer fallen wird, an der Hand dieses Buches sich in die fragliche
Materie einsuarbeiten. Berücksichtigt wurden in erster Linie die Unter¬
suchungen städtischer Abwässer, sodanu auch die Analysierung der in vielen
Orten in reichliches, leider uuvermeidlichen Mengen produzierten Abwässer
aus industriellen Anlagen.
Verfasser weisen zunächst anf die Bedeutung der Abwässeruntersuchnsg
hin und reden mit Recht einer saehgemässen Berücksichtigung der örtlichen
682
Tagesnachrichten.
Verhältnisse das Wort, indem eie die Notwendigkeit einer Besichtigung an Ort
nnd Stelle zwecks Begutachtung eines Betriebes in erster Linie betonen.
Weiterhin ist die Zeit der Probeentnahme von Wichtigkeit, da die Kanäle
nicht zu jeder Tageszeit gleiche Mengen Schmutzstoffe enthalten. Man hat
deshalb zu verschiedenen Zeiten Proben zu entnehmen oder aber sich eine
Durchschnittsprobe herzustellen, welch’ letzteres wohl als das praktischere er¬
scheinen dürfte.
Verfasser gehen sodann zu der Beschreibung der eigentlichen Wasser-
Untersuchung über. Wenngleich sie sich hierbei ihrer Aufgabe, die Methodik
der einzelnen Untersuchungen „in kurzer, aber auch dem Fernstehenden ver¬
ständlicher Form“ wiederzugeben, im allgemeinen trefflich entledigt haben, so
kann anderseits doch nicht verschwiegen werden, dass infolge der gedrängten
Uebersicht die gebräuchlichsten und am leichtesten ausführbaren Methoden
meist allzuwenig im Verhältnis zu andern, wenigstens nicht genügend hervor¬
gehoben worden sind.
Bei der gesonderten Besprechung der Untersuchung von Schlammproben
sind wertvolle Anhaltspunkte gegeben für eine eventuelle landwirtschaftliche
Ausnützung des Schlammes, z. B. als Düngermittel.
Schliesslich wird die Herstellung der zur chemischen Wasseruntersuchnng
notwendigen Beagentien und Lösungen zusammenhängend in einem besonderen
Kapitel besprochen, desgleichen noch die Fragen nach dem Qrade der Verun¬
reinigungen von Wässern und ihren Gefahren.
Als Leitfaden für die chemische Untersuchung von Abwässern kann das
vorliegende Buch wärmstens empfohlen werden. Dr. Engels-Posen.
Dr. A. Deutsoh und Dr. O. Feistmantel : Die Impfstoffe und Sera.
Grundriss der ätiologischen Prophylaxe und Therapie der In¬
fektionskrankheiten. Leipzig 1903. Verlag von G. T hie me.
Dieses vorzügliche Buch, eine Fundgrube des Wissenswertesten aus den
Gebieten der Impfstoffe und Sera, sollte in der Bibliothek eines Kreisarztes
nicht fehlen.
Der allgemeine Teil bietet in den Kapiteln: „Festigung gegen Gifte,
gegen Bakterien und Bakterienvirulenz allgemeine Bemerkungen über das
Zustandekommen des Impfschutzes und über die Bedeutung der Schutzimpfung,
antitoxisohe Sera, bakterienfeindliche Sera, die Phagozytose, allgemeine
Bemerkungen über die Serumtherapie, allgemeines über Zustandekommen der
Immunität, über Antikörper oder Immunsubstanzen, Haemolysine und Haem-
agglutinine, Cytotoxine und Praozipitine“ eine Wissensquelle, die erstaunlich ist.
Als ein besonderer Vorzug des Buches muss ferner hervorgehoben werden,
dass die Verfasser nicht nur die Ansichten der deutschen Schulen zur Geltung
kommen lassen, sondern vor allem auch der französischen Schule durchaus
gerecht werden. Sie halten, und nach des Beferenten Ueberzeugung mit Becht,
die zur Zeit bestehende Neigung, die Vernichtung der in die lebenden Orga¬
nismen dringenden Keime nur den Antikörpern zuzuschreiben, für ungerecht¬
fertigt. Hierbei fällt vielmehr dem Tierkörper eine aktive Bolle zu, indem er
gegen die bakteriellen Leukotoxine Antileukotoxine bildet.
Der zweite spezielle Teil des Werkes wird vorzüglich dem Praktiker
willkommen sein. Er findet darin eine ganz erstaunliche Menge von Tatsachen,
eine Fülle wissenschaftlicher Anregungen, die ihn erfreuen werden, und die
er fruchtbringend verwerten kann.
Dr. Wolfgang Weichardt-Berlin.
Tagesnachrichten.
Die fortgesetzt von der Typhusgefahr bedrohten Gesundheitsverhält¬
nisse der Stadt Metz haben vor wenigen Tagen Se. Majestät den Kaiser
zum Einschreiten und Absendnng folgenden Telegramms an den Statthalter
Fürsten Hohenlohe-Langenburg veranlasst: „Wiederum wie in den letzten
Jahren ist in Metz, vorläufig in der Zivilbevölkerung, eine Typhusepidemie
ausgebrochen, welche die Garnison ernstlich gefährden kann. Sie hat ihren
Ursprung in der schlecht verwahrten „Bouillon-Quelle“ nnd ihrer in unerhörtem
Zustande befindlichen Leitung. Diese Sachlage ist lediglich Schuld der Stadt-
Tagesnachrichten.
683
Verwaltung Mets, welche absolut nicht zu energischem Handeln bezüglich ihrer
Wasserversorgung sich entsehliessen kann. Laut Meldung der Kommission, welche
im Vorjahre die sanitären Verhältnisse in Metz und Umgegend untersuchte —
darunter Exsellens v. Leuthold und Koch — sind die Zostände geradeso
himmelschreiend und empörend; trotz allen Drängens und Protestierens des
Generalkommandos des 16. Armeekorps, welches andauernd auf die schwere
Gefahr für das Militär hingewiesen und das Wasser als unbrauchbar beseichnete,
hat die Stadt nichts Ernstes getan 1 Das ist nun nicht länger angängig;
Im Kriegsfälle würden diese Zustände eine Katastrophe unvermeidlich zur
Folge haben. Ich ersuche Ew. Darchlauoht umgehend mit den allerschärfsten
Mitteln den Zuständen ein Ende zu machen und die Stadt zu ihrer Pflicht zu
zwingen." Inzwischen hat die Stadtverwaltung, die übrigens eine Verseuchung
der Bouillon -Quelle und das Vorhandensein von Typhus in Metz bestreitet,
bereits energisch die Sanierungsarbeiten und Neufassung der Quelle in An¬
griff genommen, so dass auch die während dieser Arbeiten eingetretene
Wassersnot demnächst als beseitigt angesehen werden kann.
Neues Irrengesetz. Nach der „Nationallib. Korr." wird dem Beiohs-
tag in der nächsten Gesetsgebungsperiode ein Entwurf vorgelegt werden,
welcher die Grundsätze über Aufnahme und Aufenthaltsverhältnisse
von Geisteskranken in Irrenanstalten, sowie die Entlassung aus
denselben reichsgesetzlich regeln soll.
Nach der „Neuen polit. Korrespondenz" soll Düsseldorf die erste
Akademie fdr praktische Medizin erhalten und zwar in Verbindung mit dem
neu anzulegenden städtischen Krankenhause. Weitere Akademien sind für Frank¬
furt a./M., Breslau, Magdeburg oder Halle und in Berlin in Aussicht genommen.
Eine ganz aussergewühnliche Auszeichnung ist anlässlich der An¬
wesenheit Sr. Majestät in der Provinz Hessen-Nassau, dem Direktor des
hygienischen Instituts in Marburg, H. Prof. Dr. v. Behring durch Verleihung
des Charakters als Wirklicher Geheimer Bat mit dem Titel Exzellenz
zu Teil geworden. Bisher haben Mediziner nur ganz vereinzelt diese höchste
Auszeichnung erhalten, und dann sind es, soweit uns bekannt, nur stets
Chirurgen gewesen; diesmal ist sie zum ersten Male einem Hygieniker,
dem berühmten Entdecker des Diphtherie und- Tetanusheilserum, ob seiner
hervorragenden Verdienste auf hygienischem und bakteriologischem Gebiete
verliehen und zwar in einem früheren Lebensalter, als dies sonst, insbesondere
Aerzten gegenüber, der Fall gewesen ist. Die Verdienste v. Behrings
haben damit eine Anerkennung erfahren, durch welche die ganze medizinische
Wissenschaft geehrt wird, und zu der wir ihm deshalb um so freudiger unsere
herzlichsten Glückwünsche darbringent
Am 27. AugUBt d. J. hat sich der frühere Verein Braunschweigischer
Physid unter den Namen Verein der Medizinalbeamten des Herzogtums
Braunschweig neu konstituiert und zu seinem Vorsitzenden den Physikus
Sanitätsrat Dr. Cr eite in SchOningen, sowie zu dessen Stellvertreter und
Kassenführer den Physikus Dr. Müller in Braunschweig gewählt. In der
betreffenden Sitzung gelangten zur Beratung:
I. Satzungen des wiedergegründeten Vereins;
K. Entwurf einer vom Herzoglichen Landes-Medizinal-Kollegium her-
auszugebenden Dienstanweisung für die Physid.
Wir können die Bildung dieses neuen Landesvereins der Medizinal¬
beamten nur mit Freuden begrüssenl
Der internationale Kongress für Volkshygiene in Brüssel vom
2.—8. d. M. hat unter grosser Beteiligung aus den beteiligten Kreisen, speziell
auch aus Deutschland, einen glänzenden Verlauf genommen. In der Sitzung
vom 8. September gelangte u. a. die Wurmkrankheit der Gruben¬
arbeiter zur Erörterung, die zur Annahme des Antrages führte, dass sich
die Grubenarbeiter angesichts der Gefahr dieser Krankheit einer ärztlichen
Untersuchung zu unterziehen haben, und dass eventuell die Anzeigepflioht ein¬
geführt werde. Die durch] die Untersuchung entstehenden Kosten hätten die
684
Tageszaehrlohteo.
Gemeinden zu tragen, wie die» auch ia England der fall »ei. —« Aa den«
selben Tage beriet die 6. Sektion ln einer siebenstüadigen Sltaoag Iber die
Bekämpfung der Tuberkulose. Berichterstatter ftr die Beratung»-
gegenstände waren: Brouardel-Paris, Faber-Eopeahagea, Pana wita-
Beriin and andere. Die deatsche Heilstättenbewegung fand hOohate An¬
erkennung, namentlich seitens Broaardels, der die Heilstfttten als wieh-
ttgste therapeutische and wesentlichst prophylaktische Waffe beaeichaete.
Eine ia diesem Sinne abgefasste Sehlassreselnticn gelangte einstimmig aar
Annahme.
In der Sltanng derselben Abteilang am 6. d. M. fand eine lebhafte
Debatte tber die Frage der Uebertragang der Tiertaberkalose aaf
den Menschen statt, aa deren Sehlass mit grosser Mehrheit ein Kompromiss¬
en trag angenommen werde, dahin laatend: die Taberkaloae sei swar speziell
tibertragbar non Menschen aaf den Menschen, nichtsdestoweniger liege beim
gegenwärtigen Stande der Forschnng Anlass vor, auch hygienische Massnahmen
zur Verhinderung der Uebertragang von Tiertaberkalose aaf den Menschen
Torzuschreiben.
In der Sohlasssitaung am 8. d. M. wurde Berlin als Ort itlr den
nächsten, im Jahre 1907 stattfindenden Kongress gewlhlt.
Im Aufträge des internationalen Komitees für Schulhygiene-Kon¬
gresse und des allgemeinen deutschen Vereins für Gesundheitspflege fordert
Jetzt der Ortsausschuss des vom 4. bis 9. April 1904 in Nürnberg tagenden
internationalen Kongresses dnreh Aufruf nur Beteiligung am Kongress aaf, sowie
aar Anmeldung Ton Vertragen oder ron Objekten für die schalhygienisehe
Ausstellung.
Meldungen zur Teilnahme and Mitgliedschaft, Ankündigung ron Vor¬
trägen unter Bezeichnung des Themas and der Kongressabteilnng, für welche
sie bestimmt sind, sowie Ansage ton Ausstellungsgegenständen sind sobald
als müglich, spätestens aber bis znm 15. Dezember d. J., an dea
Generalsekretär Hofrat Dr. Schubert- Nürnberg einzuaenden, der Mitglieds-
beitrag tob 90 Mark dagegen an den Schatzmeister des Kongresses, Herrn
Kaufmann Bmil Hopf, Nürnberg, Blameastrasse 17.
Vor längerer Zeit bst die „Nationalseitung* einen Artikel über eine
in Preossen beabsichtigte Reform des Apothekenwesens gebracht, der an¬
scheinend offiziösen Ursprungs gewesen ist. Danach sollen neue Konzessionen
sowie frei werdende, bereits vorhandene Personalkonzessionen in Zukunft nicht
mehr verschenkt, sondern nnr unter der Bedingung der Entrichtung einer
jährlichen, von dem Reinertrag der Apotheke abhängenden Abgabe verliehen
werden. Der Ertrag dieser Abgabe soll teils zum Ankauf veräusserlicher
Konzessionen, die dann ebenfalls in Personalkonzessionen nmgewandelt werden
würden, teils za besonderen, dem Apothekenstande (Pensionsfonds nsw. für nicht
demzufolge nicht in die Staatskasse, sondern in einen besonderen, mit
juristischer Persönlichkeit ansgestatteten Apothekenfonds fliessen. Dass die
Regierung einen solchen Plan ernsthaft ins Auge gefasst hat, geht aus den
Erklärungen ihres Vertreters aus der diesjährigen Hauptversammlung des
Deutschen Apothekervereins, vor allem aber ans einem Min.-Erlass an die
Herren Oberpräsidenten hervor, dessen Inhalt jetzt durch eine Verfügung
des Königlichen Regierungspräsidenten in Merseburg vom 28. August 1903 an
einen Konzessionsbewerber bekannt wird. Hiernach ist eine anderweitige
Regelung des Apothekenkonzessionswesens beabsichtigt und zwar in der Weise,
dass den Konzessionären eine nach den Erträgnissen des Geschäfts abgestufte,
mehr oder minder erhebliche Botriebsabgabe aufznerlegen ist. Um diese
Betriebsabgabe womöglich auch auf die jetzt zu erteilenden Konzessionen auszu*
dehnen, also dem neuen Gesetze rückwirkende Kraft geben zu könuen, sollen
die betreffenden Bewerber stets gefragt werden, ob sie gewillt sind, sich
diesen Bedingungen zu unterwerfen.
Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W.
J. 0. 0. Brno*, Heraof L Stieb. n. F, Seb.-L, Hofbnehdruekerel In Minden.
Sin deutsches gerichtsftntliches Leicbenöffnungsverfabren.
667
Nach schwerem Krankheitsverlanfe unter dem Bilde von Sepsis, Peri¬
tonitis, Pneumonie, Verdacht auf subphrenischen Abszess, Endocarditis, am
3. November 1902 Tod.
Sektionsresultat: Eitrige Pelveoperitonitis. Ulzeröse Endocarditis der
Mitralis. Embolische Abszesse in Milz und Nieren. Lungeninfarkt. Pleuritis
rechts. Die Gebärmutter ist wenig vergrössert. Nach Lösungen der Ver¬
wachsungen im Douglas findet sich am Grunde derselben in der hinteren Wand
des Uterus ein querverlaufender Einriss mit unregelmässigen Bändern von ca.
l'/t cm Länge, der die Wand völlig durchsetzt. Die Schleimhaut der Gebär¬
mutter ist gequollen, stellenweise missfarbig. Der Ausgangspunkt der Er¬
krankung ist ohne Zweifel in der verhältnismässig nicht sehr ausgedehnten
Zerreissung des Uterus zu suchen, welche mit der plastischen Operation Bicher
in ursächlichem Zusammenhang steht. Die Analogie mit den aus der Literatur
bekannten Fällen lehrt die grosse Gefahr von vaginalen Opera¬
tionen bei Betroflexio für spätere Entbindungen.
II. Fall. 83jährige Witwe, angeblich 3 Monate schwanger; seit 7. März
Blutungen, am 11. März ins Krankenhaus aufgenommen. Kollabiertes Aussehen,
38,2 C., Puls 136. Icterus. Meteorismus. Peritonitis. Scheussüch stinkendes
Blut fliesBt aus der Vagina. Leichte manuelle Ausräumung stinkender Abort-
massen aus dem Uterus, 50proz. Alkoholausspülung. Der Zervikalkanal ballon¬
artig; an seiner vorderen Wand vorspringende Leiste, die dem inneren Mutter¬
munde zu entsprechen scheint. Bapider Verfall. Tod am 13. März. Sektions¬
befund der Gebärmutter: In der vorderen Wand des Cervix bemerkt man eine
mit stark übelriechenden, missfarbigen, duokelbraungelben, schmierigen Massen
erfüllte Höhle von 6 cm Breite, 3 cm Länge; sie reicht in der Tiefe bis an
die hintere Blasenwand, nach oben bis zum Peritoneum der Excavatio vesico-
uterka, welches hier mit einer ziemlich dicken Schicht von Bchmutzig gelbem
Fibrin belegt ist. Der untere rauhe, wie zerfetzte Band der Höhle ist etwa
2 mm vom äusseren Muttermund entfernt, ebenso der obere vom inneren Mutter¬
munde. Auch auf der hinteren Blaseuwand eine dünne Schicht schmierig gelb¬
grauer Massen. Das Gewehe des Cervix ist ausserordentlich morsch. Im Uterns
jauchige Flüssigkeit, die Plazentarstelle mit schwarzgrauen, missfarbenen Massen
teils locker, teils fester besetzt. In den Venen der Plazentarstelle jauchig
schmelzende Tromben.
III. Fall. 22 jähriges Dienstmädchen. Aufnahme am 8. März 1902, nach¬
dem sie am 28. Februar eine starke Blutung im 5. Schwangerschaftsmonate
gehabt und seit 4. März Fieber und Leibschmerzen bekommen hatte. Jeden
Tag Schüttelfrost mit Temperatur Ms 40,6°. Meteorismus. Links Pleuro¬
pneumonie. Parametrien druckempfindlich. Stinkender Ausfluss. Tod am
15. März unter dem Bilde schwerer Sepsis.
Sektionsbefund: Pyämie. Embolische Pleuropneumonie. Schwere Nieren¬
entzündung. Septische Milz. Thrombophlebitis. Das Beckenbindegewebe
ödematös, die Gefässe mit eitrig schmelzenden Thromben erfüllt. In der hinteren
Wand des Uterus wölbt sich im unteren Drittel der rechten Hälfte ein tauben¬
eigrosser Herd vor. Beim Einschneiden entleert sich reichlich dünnflüssiger
Eiter; kleinere Vorwölbungen mit Eiter am Ansatz der rechten Tube. Die
Venenplexus der rechten Seite und in der Umgebung der Harnröhre ebenfalls
mit eitrig schmelzenden Thromben erfüllt. In der hinteren Blasenwand kleinere
Abszesse, ein ebensolcher in der vorderen Scheidewand. An der Schleimhaut
des. Zervikalkanals keine Verletzung, dagegen finden sich in der Gebärmutter¬
höhle, die mit dünnflüssigen schmierig eitrigen Massen erfüllt ist und einen
an der Plazentarstelle fest anhaftenden, 1 mm dicken graugelben Belag hat,
an der rechten Kante 2 cm vom inneren Muttermund entfernt, mehrere über¬
einander gelegene Löcher, 4,9 und 10 mm breit und ziemlich stark klaffend.
Durch diese Oeffnungen kann man eine Sonde bequem nach aufwärts und hinten
schieben und gelangt, dabei in die oben beschriebene, taubeneigrosse Abszess¬
höhle. Die Bänder dieser Oeffnungen sind dünn, nicht ganz regelmässig und
sehen zerfetzt aus.
Die Verletzungen waren im Fall II, wie durch das gerichtliche Ver¬
fahren festgestellt wurde, und ohne Zweifel auch im Falle III, mit einer Spritze
geschehen, welcher sich die Abtreiberinnen bedienen und mit welcher sie ge¬
wöhnlich Wasser und Seifen Wasser zwischen Eihäute und Gebärmutter ein-
608 Elemere lßtSvUsagos aai Betonte m Z dtwfaltw a,
spricaea (di* Sprit» ähnelt einer gewöhnliches SOnäerkiyBtierepm»* mit
tiUMai Images biegsames, ziealica »piw endenden Awiw au Znm). S obal d
3 a* Sprit*« beim Einfuhren auf Widerstand stöeat, *. B. bei stark w o» oder
Ubhedektiertaa Oterua, sackt die Abtmberin tun » überwinden ud bohrt du
i i'rameei i» die Gebinnaitetwand eia. Es eatstebea Verleimung«, die durch
WtÄ ierbolttBg vergröeaert and atkineicher werde». Dabei treten ra du Ge-
tmr des Lafmibdriageas die Gefahr« der septischen Infektion hinzu.
AehnUcb« Verlief and Augaag »eigen Pille, bei denen der Gebrauch
la "'vörette sv Entfernung von Abortasresten tu mehr oder weniger tiefen
V$rietaaBgen oder völliger Darehreibttng der GobärmutterwaBd führt. Sind bei
4er Ausschabung »Ile aseptischen VorsiehüuBUsregela eingehaUen worden, so
kann eine derartige sieht ta grosse Verietsung, ihslieh wie die Dsrehbohrong
der iobirmntterwand mit der Sonde, reaktivnsloe verlaufen. Ist die« aber
tttabt der Pall, so aehliesst «ich a&eh hier «Sepsis oder Pyfcmie an.
Verfasser fahrt noch xwei solche Fülle mit kur «er Krankengeschichte
iP (Fall LV and Pall V). Im ersten PalJe wurde durch wiederholte An*
•*rfc& lang der Kürette die Zerstückelung des kleinen Fötus, die Onrchreihnng
•W •iehirmauerwand and der Aastritt der Fötalteile in den Deuglss bewirkt,
wetei zweifellos gleichzeitig eise septische Infektion stattgefanden hat. Im
»weiten Palle (PaU V) fand sich im Fand» der Gehirns teer rin schmier
Pistelgaog, der in« perimetriacke Gewebe fOhrte und der sweiüeUoe mit der
Sorbite gebohrt wurde unter gleichseitiger septischer Infektion.
Verfasser möchte die Kürette u> der Abort beb oodlimg nicht entbehren,
fielet aller ding-< mewtene die stampfe an and gibt», dau in dea häufig
« .aw-erigeo Verhältnis*« der Privatpraxis jeder ojmrntive Eingriff, »if« ati
die Aassoaabang der Gebärmutter» nicht mit derselben Buhe and Sieheriwdt
«angeführt werden bann, wie in 4er K-liöik. Dt. Waihel*Kempten.
Geber einen forensisch interessant«»« PaU m Manie. (Bin Beitrag
zur Erblichkeit der Psychose«?. Vce Pr. Kftlpie ta Greifswald. (An* der
pvychiatriseh« Klinik des Prof. Waetphai). Allg. Zeitschrift L Psychiatrie•,
8? Band, 3, Heft, 1903.
Elin 26 jähriger Kaufmann batte nnter falschen Hamu and Titeln
(liefsreadar, Graf) zahlreiche Zechprellereien and BetrSgereiee verübt. Du
eaif eilende Verhalten des sonnt soliden, vollkommen arifcnriertea Krank» vor*
«U-me den Gefäogßtaarat, eine Beobachtang desselben in der Irrenklinik
ta beantragen. Die eingehenden Erhebungen Aber die PamiUenrnrhUtaian
• Angeklagten ergaben, dam io der Familie des Vaters von 9 Geschwistern
6 g-?«steokraak gewesen and dass weiterhin die Kinder von diesen ebeefalla
groanes Teil erkrankt waren. Der Vater des Angeklagten leidet
ail* 8 bla 4 Jahr* an BrregoegsaafiUen, in denen er bei iasserlioh aebr
fco»si?tUwt Wesen die unsinnigsten Handlang et begeht. Der Patient salbet
Ws- in der Anatalt deatliche Symptome einer hypntaanisohen Störung, and es
.. oht aninteresiiant, dass Verfasser bei den meUten Gliedern der gesamten
das Auftreten periodischer oder zirkulärer Psychosen von gleichem
Ithkter nachwelseu konnte, während Störungen mit Uebergang in Verblödung
ü» keinem Palle mit Sicherheit faatgektaUs wurden. Der Fall beweist übrigens
der forentisohen Seite, w{* »Awendig in dsn meisten — oft scheinbar
:.r klar liefernden Philea —' eins Hoger* Beobachtung und weitergeksnde
ßrh- ittagöft in der lrr*nan*t&lc■•werden kflenep. Dr. Pollita-Münster.
Die ela fache dement* Fon» der Dementia praeeor (Dementia
*irv';l*x). (Bin klinischer Beitrag »nr Kenntnis der YerblMangvpaychoaen).
V^’ir Otto Diem, vormals f. Assistensam der psychiatrische» Klinik im Burg’
Zürich. Archiv t Psychiatrie; 37. Bd., L R» 1903.
Verfasser weist auf eine nicht ganz seltene Modifikation der Dementia
ox bin, die Bich von den häufigeren bebepbrenea Farmen durch die Au¬
ing eine» allmählich fortschreitenden Schwachsinn* unterscheidet, während
**i ditfe psychotische Symptom* voUknrameo fehlen. Die 19 hier mitgeleilten
bieten in der Tat mit mehr oder weniger (*. B. Pall XIX) Deutlichkeit
Bfld der reinen Verblödung in oder nach der Pubertät. Nicht selten
U sich bei den bereits schwachsinnig gewordenen Kranken eine Neigung
KJ«Laers Mitteilungen und Bef «ratai km Zeitschrift«®
689
xu Alkohlexsca&eu eis, die leicht dea Verdacht einer alkoholisiisaben St&raug
»ort&necht, Data eie grosse? Teil dieser Schwachsinnigen, bei den cd die
sittlichsa VorsteUaagen «wer Torbtedeo, aber von geringer Wirksamkeit ffir
ihre Handlungen sind, eis Vagabonden ia Arbeitshäusern und Gefängnisses
endet, bat bereite B.onkoelfer ia einer eingebe&dea Studie Bswbgerrjesaa.
Nickt immer tritt die ptjdüadse Veränderung in früherem Alter aof, bei
»uneben Krankes füllt der Beginn der Störung ia da« SO. Lebensjahr oder
nach «pater» Dis Kranken werden unstät, willenlos, die geistige Leistungs¬
fähigkeit nimmt, immer mehr ab, oder aber ee tnaeben sich Charaktervet-
änderäugen bemerkbar, wie Beusbatkeit uud ünrestrSg'lichkesc mit na verständiger
Begehrlichkeit und steter Unsnitiedenheit mit der Lage.In der Anstalt sind
xia meist fügsam und — besonders wenn freiere Aikoholeataeasö Wegfällen —
ruhige, indifferente Patienten ohne jede Akimtät und ebne jede eelbstäaäige
Regung. Stets stellt sich eine »nnebmeadt gemütliche Vcrb!“Kjtiftg «eben der
intellektaeUec üneilsaehwäcfee eis, Dagegen bleiben die ScbnlkeontniBse,
ebenso Gedächtnis and Merkiahigfcelt Irmge erkalten. Bin grosser Teil dieser
Kracken stammt am psychisch kranken Familien^ in der Hälfte der Fälle
waren die ursprünglich oo geistigen Anlagen gut. Verfaaserhetont am Schlüsse
seiner Arbeit, dass wir ia dam Oesamtgebiet der Deme&tta praecox sehen, der
katateoes, hefeephrenen nod paranoiden Form eine weitere als einfar.be Demsns
m antereafeeiden haben, der die Symptome der eroteren ahgeben, während der
itxaiiftale Schwachsinn «dien gleich lat. Münster.
____
Debet die Detiniercsg »lebt entmUndigtur Geisteskranker ln
Ixtenuanataiten, Van Dr. Löwenthal. (Vortrag, gehalten imnaohiatrisiUien
Verein in Berlin). Allg. Zeitschrift L Psychiatrie. 80, Ed., 3. H. v i908,
Verfasser weist in einem lehrreiches Pali« nach, da» die gmsipielle
Entlassung Tun Keankea aas einer Irrenanstalt, deren Bnuattädigusg abgelehnt
worden ixt, aa recht bedenklichen Koneeqaensen führen kann. Im vorliegenden
Falle bandelt es siob um eines der Paralyse verdächtigen Qewo&nheitstrlnker,
dessen Zustand sich wesentlich gebessert hatte, m dass er im gntmündigaogs*
tsrais» keine sehr prägnanten Symptome von ßei.-te&at&ruug erkennen lieas,
während er vorher Symptome von Wahn der ehelichen Untreue mit Bedrohung
serawr Familie dar geboten hatte, die an seiner Internierung Anlass gegeben
hatten. Der Gutachter bexetohnete ihn im fhatmtadigusvgB verfahren swar als
aosh krank, aber so weit gebessert, da» die Veroossetsiusgen des §. 6, Abs, 1'
4, ß. Q. E. Dicht sntr&fen Bereits 2 Monate nach seiner daraufhin erfolgten
gaüaesaag tansate er wiederum wegen Bedrohung seiner Ehefrau in die
Anstalt »tf rück gebracht werden, ans der dann nach kurser Zeit wate neue
seine Kntiftasßag erfolgte. Verfasser betont,, dass eine Entmündigung wegen
Tr Habsucht kswm «ffoigreieber gewesen wäre, da eine IrreDsnatsH eiten der¬
artig Entmündigten auch nicht sn definieren berechtigt sei, In der Dis¬
kussion wies besondere Moeli darauf bin, dass der Anstaltsarat gegenüber
dem die EBimüBdigaug ablehnenden Beschlüsse des Amtsgerichts di« Stsate*
aowaJtschaft sur Beschwerde veranlaeaen konnte. Zar Ddhierttng des Begriffs
„ Besorgung der eigenen Angelegenheiten“ bemerkte M oeli, dass hierher auch
die .richtige sozuis Haftung“ gehöre. Ein anderer Bednar empfahl, tu solchen
Fällen-eine Vertagung: des Buttnttndigungstermines um 6 Monate sn beantragen;
gleichseitig keea eine vorläufige Vormundschaft eingesetst werden, die die
Rechte des De linierten xu wahren bat Dr. Polilti-Münster.
Zur Frage der »ogea. ik®iwlJMgm> Frtu*j«*Jüre. Vw Dr. Be edelkwjf,
(Vortrag, gehalten im psychiatrischen. Vwtd* s« Berl t»)- Aifg Zetag&rift SHt ;
Psycbiarrie; 60. Öd,, ff, .BL, 1903.
Dem Besitzer einer FriTatirrc!»«5?MaJt war dehma des #«&»'«!
Präsidenten aufgegeben worden, ftr die ifer freiwillige PcBßinosäna «taifipBlp
psycktoeb Krank«« heatimaate Räum^', srtrm »ussehÜe«tUebeb<
reservieren, Verfasser weist an.' einismj ' Itei^piciiU nach, dass
pmeipieüe räumliche Trennung der *«fjj$jad*uy» Aufenhmxlij&qgteii
Krank«», di» übrigen« »ach nicht im^^ikh^jakrtAia vm S.)l Mb«* "
gasehan ist, für die Anstalt schwer '■ yi'iüi^jhrtflhri»nr. otu« für.
kwnmeadoB Patiencen wenig vwteUhtk ml. Dh VarteEtutg A
mal
670 Kltd«*®* MirteütlUgön uq< 1 Referate *ob Zeitschriften..
die ebenen Abteilungen muss sio'a in tratet Linie nach dem Leiden and dem
je welligen Zustande def ietsteron richtjen and wird Bie bald in freiere Bedingungen
uni mit weniger sdiwer Krank-» sasaunnenbrinven, bald in andere Umgebung
Ott strengerer Uftberwachaag. Perfauatir erinnert hier *q treffend na Aikoholiaten
Uod Morphinisten, die in »ehr sahireicUen Fallen nie freiwillige Pensionäre
eintreten und eins anfangs sorgfältige üeberwachnsig ger« and freiwillig hin'
nehmen. In dar Diskussion aber diesen Vortrag stellte sieb, übrigens heraus,
dass eine solche Trammag der Irewligeu Pensionäre von den anderen
Staaken in den meisten Pmatanataltön ainht gefordert würde.
:0n PollHf*Münster.
Jahresbericht des Hüfsrereins för Geisteskrank© ins Königreich
'Stehst»* für das Jahr 1902, Erstattet von Geb. Med,-Bat Dt. Weber,
Direktor der Seilv «ad Pflegeaastalt in Sooneaatein.
Das Bedhriais* die nöUefdeadea Angehörigen der in den Anstalten nnti.f-
gebrachtea Geiateakranken so uut>;r»tüUt:a and vor allem den ans der Anstalts-
behandlang Entlassenen in eines» über den Bahnten der Bfentlichen Fürsorge
hmunsgehendeu Umfang* Sills an bringen, ist der Häuptaweck des «eit dem
Jahre 1900 h.t«itiB^en4^/.|^fl^tiShs : ifhf’ öeisteskrank« i& SÜnigretch Sachsen.
Daneben hat er sich die Aoigabe gestellt. das Verständnis för die Geistes-
krankbaiten and du ftttöresse für die uei&teAk tunken «t er wecken and au
fördern; ausserdem »ach auf die %ileptiiiöit«n und
Hysterischen eretreckeu. iNach dem eorliegeaden Bericht haben sieh nicht nur
die finaasielldu VetbSÜtaissa des Vereins wfthrend des BericfcisjubreB recht
günstig gestaltet, sondern es sind auch beachtenswerte Erfolge ereielt.
Die Zahl <ler Mitglieder l*t fast in all«* Bewrkfru erheblich gewachsen, nicht
weniger als 4300 Mark (2900. Mark *ou den Beairltavereinen und 1400 Mark
von der Zantraik&sse) konnten für GelduntcrattUaangen verwendet werden.
Bpd.
3 ä ach verständigen titigkeit in Unfall- and Invalid! tits-
suchen.
EaMtebung einer primären Herxerwettor ang durch eine nage«
wohnlich graue*. ptöt»Heti eiogetretene Maskelanstrengung bei dem
Hobo« «law» schwären BaaiBst«iaius. A erat lichesObergnt achten,
auf Veranlassung de« Reichs- Fernehr rans'sanuts notem 6. Mira 1902 erstattet
von Dr. F r o b jh a n a, Oberem an der Käaigl. medizinischen üoivemt&taklinik
in Kdatgsberg i. P, (Amtliche Nachrichten des Reichs • Veraleherougsamta;
190c», Nr. 0.)
Das Ergebnis der sbjektWen Untersachang macht es zweifellos, da« bei
L. ein schwere* Herzleiden yorljejjftv In dieser Hinsicht stimmen wir mit den
Herren Vorgauchtetn vollmliadiig ttberdin. Dagegen können wir aas ihrer Auf*
tusnng in Besag »nt iliKJ Nui-ar dett jAffektioa bei L. nicht ss«cbiieeseo. Herr
Dr. E. und Herr Dr. E. nehmea «iine Erkrankung der Herzklappen an, und
awar spexietl eine Sabl'tssuüt'aUigkcU der Mitralklappe (Mitr&Jiiunffiriees). Herr
Dr. G, spricht gleichfalls vou einem Sertkiappeofehler. wenn er auch die Müg*
üchkttit einer akuten Hcnerweiteraag nicht für ausgeschlossen hiit. Wir
•i.-h*at sind der Ansicht, das« eine Erkrankung der Herakisppen (Snhlassun-
fkUtgkeK der 'Mitralklappe- mit Wahrscheinlichkeit ausutmehüease.n ist, viel¬
mehr eine- Erkrankung -les HersinaskrJa, nod zwar eine primfre HeruerWeite-
m«g rerliegt. Am Herren haben wir folgende Symptome festgestellt: 1. eine
hachgraügo Er weiteraug der ileaktumueni, und zwar besonders der linken.
jiachwMebaf an Inr ViirgTibseraag 1er Hert-Bimpfung and der V»krelttrt«|
de* H«r«ach*UetN im Röntge nfcilde; 2. dampfe erste systolische Herztöne, meist
s**ä«. *•■!** *!>• ;rti4 vü w> «•;-£• »•*&* y jüdisches Hers-
fehlt; 3. hoch--
f?<*5*V v &*** * WmwÄMV 4 *\ -ds-W ■&<&.'&*!&&*. Hierbei Ist du
• • >> ' 1 ' gegenüber der
' 'HM das wichtigste
' ■>. “'■'••• -.-v*u, • >3x‘rr<5iVi'!i<-ii und gegen du
i'eÄi*MfAW'#A * -* .T-a 1«« r=rr: ptomenbüde der
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
671
Sshlnssnnf&higkeit der Mitralklappe — nur dieser Klappenfehler käme hier in
Frage — gehören «war anoh Erweiterungen der Herzkammer, aber neben ihnen
dominieren immer die systolischen Herzgeräusche, während bei den primären
Herzerweiterungen Geräusche entweder völlig fehlen oder wenigstens ganz in
den Hintergrund treten. Dazu kommt noch, dass der Mangel der Akzentation
des zweiten Pulmonaltons und auch das Verhalten des Pulses gegen die An¬
nahme eines Herzklappenfehlers zu verwerten ist. Einen so unregelmässigen
kleinen Puls, das Fehlen des klappenden zweiten Pnlmonaltons finden wir bei
den primären Herzerweiterungen ganz gewöhnlich, bei einer Mitralinsuffizienz
aber nnr dann, wenn sich die Zeichen des VersagenB der Herztätigkeit ein¬
stellen, besonders hochgradige Atemnot und Schwellung der Reine, Symptome,
die bei L. völlig fehlen. Aus diesen Gründen halten wir es daher für äusserst
wahrscheinlich, dass L. an einer primären Herzerweiterung leidet.
Für ebenso wahrscheinlich halten wir es aber auch, dass dieses Herz¬
leiden bei L. als Folge des von ihm angegebenen Unfalls zu betrachten ist.
Ungewöhnlich grosse, plötzlich eintretende Mnskelanstrengungen sind bereits
seit längerer Zeit als relativ häufige Ursachen der primären Herzerweiterung
bekannt. Das Herz hat in solchen Fällen eine erhebliche Mehrarbeit bei
wesentlich vermehrtem Widerstande za leisten. Beicht seine Kraft dazu nicht
ans, so tritt Ueberdehnnng, Herzerweiterung ein. Diese Herzerweiterungen
können sioh entweder wieder zurüokbilden oder aber dauernde Folgeerscheinungen
am Herzen machen.
Eine solche plötzliche Mnskelanstrengnng hat aber L. im Oktober 1899
leisten müssen. Ans den Akten geht hervor, dass L. in der genannten Zeit
einen ausserordentlich schweren Baumstamm mit nur zwei anderen Arbeitern
hat heben müssen, während er gewöhnlich die weniger schweren Baumstämme
mit drei anderen Arbeitern zusammen getragen bat. Der Baumstamm war so
schwer, dass der eine Arbeiter sich damals geweigert hat, beim Tragen mit¬
zuhelfen. L. hat also damals zweifellos eine ungewöhnlich schwere, das Mass
seiner gewöhnlichen Arbeit übersteigende, zeitlich abgrenzbare Anstrengung
gehabt, die sehr wohl geeignet gewesen ist, eine Herzerweiterung bei ihm
hervorzurufen, umsomehr, als er schon vorher körperlich schwer gearbeitet
hatte, und demgemäss die Anforderungen an die Herzarbeit bei ihm schon vor¬
her recht grosse gewesen waren. Dass L. damals nicht plötzlich umgesunken
oder ohnmächtig geworden ist, kann durchaus nicht gegen den von uns ange¬
nommenen Zusammenhang sprechen. Denn wenn auch in den meisten Fällen
von Ueberanstrengung des Herzens die Symptome von Anfang an recht schwere
zu sein pflegen, so können dieselben mitunter auch zunächst viel geringfügiger
sein und sich allmählich erst stärker ausbilden.
Es ist nun durch das Zeugnis des Oberförsters B. festgestellt, dass L.
bis zum Oktober 1899 ununterbrochen im HolzBchlage gearbeitet hat, nnd dass
die Krankheitsersoheinungen sich bei ihm zeitlich an den Unfall ange¬
schlossen haben.
Wir halten es daher für in höchstem Masse wahrscheinlich, dass bei L.
das Heben des schweren Baumstamms im Oktober 1899 eine Erweiterung des
Herzens verursacht hat, deren Folgen dauernd fortbestehen. Ob L. bis zu dem
Tage des Unfalls ein ganz gesundes Herz gehabt hat, lässt sich natürlich nach¬
träglich nicht feststellen, ist aber auch für die ursächliche Vei knüpfung
zwischen Unfall uud Herzerweiterung belanglos. Denn wenn auch sein Herz
bereits vorher nicht mehr normal gewesen sein sollte, so hat es jedenfalls bis
zu dem Unfälle noch so kräftig funktioniert, dass L.’s Arbeitsfähigkeit völlig
normal gewesen ist. Durch den Unfall wäre aber erst die schwere Herzer¬
weiterung hervorgerufen, die bei L. die subjektiven Krankbeitserscbeinnngen
ausgelöst hätte. Aber selbst bei der von uns zurückgewiesenen Annahme, dass
es sich bei L. nicht um eine primäre Herzerweiterung, sondern um einen Herz-
klappenfebier handelt, wäre der ursächliche Zusammenhang zwischen Unfall
und Herzleiden ein äusserst wahrscheinlicher. Denn plötzliche Mntkelan-
strengungen können, wie sicher bewiesen ist, auch zu Zerreissungen von Berz-
klappen nnd dadurch zu Herzklappenfeblern führen. Dass eine derartige
Klappenserreissung zunächst ohne wesentliche Störungen des Befindens ein-
treten kann, ist ebenfalls bereits bewiesen (vergl. den bei 8tern „Ueber trau¬
matische Entstehung innerer Krankheiten* zitierten Fall von Burney-Yeo).
*. .• ........ ■' X \/ ;. v V' SY«:'.' .V:,*’. '
H72 Kleiner* Üit teil unsren and fl?f«rate «ft» ZSeitschnlteü,
Dar et sein Bersleideu Wt L. narbig geworden, körperlich« Arbeit, irgend
welcher Art *u leiste», was bei seinem Bildungsgrade mit einer völligen Kr-
w<-rbsaa?ähigkeit gieicbbeüeaiöad int. Es ist afizunehme», dw diese bereite
»«it der visrsekntea Kraokheiwwaaho hei ihm besteht.
Das Reichs-Yefsicherasgsamt bat anf Grond deB vorstehenden Ober-
gatacbieaa, mit Ae© aSah abeb der Geh. Med.-Rat Prof, Br tjchtbetim ein-
leratanden srrhiSri hatte, aßgeuom men, dass «ich der Kläger durch eint* aoaeer-
c-r leBÜiche AftstrCflgnng bei dem Heben and Tragen eines besondere «sbwereis
Baumstamm« eine Erkrankung des Herzmuskels, und «war eine primäre
äenttjriveiterahg^^ hat und infolge dieses Leidens völlig «rwezbsaa-
fähig geworden ist,. Es ist deshaih dem Kläger unter Aufhebung der Voreat*
ocheidangen ?öli*ente vom Beginne der vierzehnten Woohe nach diesem
als iktiriebsaniiUi angesehenen Ereignis ab sageuproehen worden.
Lu a$Qumixüuümng infolge von Erkältung. BetriebsanfaJU euaer-
banst, Rekbrs’Entscheid aog des Eriche-Yeraickuvangsanits
vom &. Jnni 1903,
öet Bergmann Johann A. hatte in der Nacht vom ■-% auf de» 3. Mär*
IvWA attT der Grabe Löchborn bei Bieber zusammen mit einem anderen Arbeiter
die Nachtwache. Während der Schicht, weiche von abends 6 Uhr bis morgens
<5 Obr daaecte, versagte der in einem Gesenke eingebaute PolHator, Hierbei
«««stand infolge der andauernden Wärmeansstrahlnng de» Dampfes eine aaessr-
ordentlich grosse Hitze. A. warfast die ganze Nacht hindurch in anstrengender
Arbeit bemüht, die Maschine wieder in Gang zn bringen. Diese Bein Übungen
bv-tten xox Folg«, dass er mehrere -Stnndec Jang nicht bloss der aehr starben,
*m der Maschine amMtt»blead*n Wärme ansgesetzi, sondern noch vollständig
öaröhnfeat wurde. Data kam, dass sein Arbeitsplatz von starkem Wetfcerange
berührt. worde. Schon am nächsten Tage neigten sich bei A, deutliche Sparen
«inet Erkältung» Nach vier Tagen wurde eine Lungenentzündung festgestein
mul ae&b sechs Tage später starb A. an dieser Krankheit. Der Sekritmsvat*
efood hat den Anaprboh der Hinterbliebenen auf Gswährung einer Usfolirente
»bgÖ«iict ( w*iI eie Unfall im Sinne des ünf.^YerÄ -Gea. aicht voeHsge. Jfte
S-.aiBdsg«rioht Arabbtete jedoah als erwiesen, dass dl« Lüageaemzttndsng die
namiVtelbare Folge eines bestimmten Betriebsereignisses gewesen 8«i and be-
w Üligt* die gesetzlichen Uafallrenten. Bas Reichst eraiehei ungssuat schloss sich
dieser Ansicht an und wies den Rekurs mit folgender Begründung zurück*.
Unter den obwaltenden Umständen kann nicht angenommen werden, dass
*3 sich um ein darob die andanerode und regelmässige Arbeit im feuchten
Bergwerk aüaiähliöb entstandenes Leiden handelt. Vielmehr liegt eine tu zeit-
ücäer Entwickelung geaaa begrenzte and mit dem Betriebe im engsten 25a»
Käutmenbasjc« stehende Körper schädig an g vor, die mit einer Beiriebartöfong;
ur«ächhoh «flsaffiitteohlflgt and die'den Tod des Verstorbenen unmittelbar Var*
macht hat and bei einer eiazelneo, bestimmten, innerhalb einer Schicht ans-
geführte» Arbeit, also ia diesem Sinne pldtbüch entatauden ist. Hiermit ist
Begriff des BetriebsOBfoli» gegeben.
UrsAchUcher Zusammenhang AwUwhen Tod nnd Unfall. Urteil
4v# RefcbsgerUbis (VJX Z.-S.Lvom &. Btjaember 1902.
Der erkennende Senat hkt he*«iis in Wiede , rbol.teB, gleich liegende Fälle
v:f.re8eotien Entscheid tagen ausgesprochen,' das* es rechtlich bedenkfrei ms,
ßinen Unfall als >i|rekte and äaedcbliössUch« Ursache des Todes nach Maasgabi*
4w VersiAberftagsbcdiagattge« anob daan zu bcxeichueDi Wenn eine gewisse
S /ipfiogUcbkeiv des Körper« für die BscbleiUgen Einwirkungen der Vaxletmwg
»orbwrleu gewesen «fi, wenn also möglicher'Weiae hei anderer körperlicher
i:haffenk«H des BeecbAdigten der Unfall ganstiger Verianfen wäre. Auch
i« solcbvn Fäil'en lä«5 sieb sagen, dass der Tod lediglich die Folge des Oofalis
and dass die Vsr»foh«rttag eicht d%dtireh aasgcschjwsen werde, däas im
2<:i»«tfalle dar Verstchemegsnehmer zieh gegenüber Cofällett m geringerem
r-rade widorvtandsf&hlg «elgt. 3o verhält cs *4cb offenbar f» d«r gege-owärtigsn
-«che. D*r Bvmfocgsriefcier will sage», dass der Blntcrgnaj allein den tiMt-
i)ohaa Ausgang verashuwt haha, obsebon er einen dar BlntvergUtong günstigen
Kleinere Mitteilungen und Befente ans Zeitschriften. 678
Nährboden in dem sonstigen Zustande des Fnsses des Verletzten vorge-
funden habe. _
Bertteksichtignng des bisherigen Berufs bei Beurteilung des
Grades der Erwerbsunfähigkeit eines Verletzten. Bekurs-Ent-
seheidnng des Beichs-VeiSicherungsamts vom 27.Februar 1903.
Es entspricht allerdings dem Sinne der Unf&llversicherungsgesetze und
der Praxis des Beichs- Versicherungsamts, bei der Beurteilung des Masses der
durch den Unfall herbeigeführten Erwerbsunfähigkeit nicht die Berufsinvalidität,
das heisst die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit in dem bisherigen Be¬
rufe, sondern die nach dem ganzen geistigen und körperlichen Zustand einge¬
tretene Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit auf dem gesamten Gebiete des
wirtschaftlichen Lebens als massgebend anzusehen. Aber dabei ist doch fest-
zuhalten und auch stets festgehalten worden, dass unbillige Härten zu ver¬
meiden sind, dass namentlich auf die Ausbildung und die bisherige Berufs-
Stellung angemessene Bficksicht zu nehmen ist, und dass deshalb nicht ohne
Bücksicht hierauf dem verletzten Arbeiter ein Berufswechsel unter allen Um¬
ständen zugemutet werden darf, sobald dadurch die Möglichkeit der Erzielung
eines höheren Verdienstes als bei der bisherigen Berufsarbeit anzunehmen ist.
Auch auf dem Gebiete der Invalidenversicherung genügt die Berufsinvalidität
nicht als Voraussetzung für den Bentenanspruch, aber sowohl das Invaliditäts¬
und Altersversicherungsgesetz vom 22. Juni 1889, als noch eingehender das
Invalidenversicherungsgesetz vom 13. Juli 1899, §. 5, Abs. 4 haben doch Härten
vermieden, letzteres insbesondere durch die ausdrückliche Anordnung der Bück-
sichtnahme auf die Ausbildung und den bisherigen Beruf des Versicherten.
Wenn auch die Begriffsbestimmungen der Invalidität im Sinne dieser Gesetze
nicht ohne weiteres auf das Gebiet der Unfallversicherung übertragen werden
können, so ist doch in dieser Bücksichtnahme auf den bisherigen Beruf und
Vermeidung unbilliger Härten ein Gedanke zu erblicken, der dem Gebiete der
Unfall- und der Invalidenversicherung gemein ist. Unvereinbar mit diesem
Gedanken und eine unbillige Härte aber wäre es, wenn einem Arbeiter, der in
einem bestimmten Beruf ausgebildet ist und bisher tätig war, im Falle einer
Verletzung, durch welche er in dieser bisherigen Berufstätigkeit in geringerem
Masse behindert ist, zugemutet würde, um der Möglichkeit willen, in einem
anderen, vielleicht seinen Fähigkeiten wenig entsprechenden Beruf etwas mehr
zu verdienen, seine bisherige Berufsarbeit aufzugeben und eine andere zu suchen.
In einem solchen Falle entspricht es vielmehr den geltenden Grund¬
sätzen, den verletzten Arbeiter nach dem Masse der Minderung seiner Erwerbs¬
fähigkeit innerhalb des bisherigen Arbeitsfeldes zu entschädigen, und eB kann
deshalb ohne Widerspruch mit der Spruchübung des BeichB-Versicherungsamts
auch die Beute des Klägers unter Zagrundelegung des Berufs des Webers
bemessen werden. _
Geringe Winkelstellung der Bruchenden nach Bruch des Unter¬
schenkels bedingt an sich keine Erwerbsverminderung. Bekurs-Ent-
Boheidung des Beichs-Versicherungsamts vom 24. Februar 1903.
Nach dem Gutachten der Aerzte Dr. B., Dr. Sch. und Dr. Bei., die in
Gegenwart von drei aus der Zahl der Betriebsbeamten gewählten Vertrauens¬
männern den Kläger am 12. September 1901 und 28. Mai 1902 untersucht haben,
ist der Bruch des linken Unterschenkels, den der Kläger am 10. Dezember 1900
erlitten hat, gut verheilt. Die geringe Winkelstellnng des unteren Knochen-
endes zu dem oberen hat nach dem bedenkenfreien Urteil der Sachverständigen
auf den Gebrauch auch nicht den geringsten Einfluss. Die Gelenke sind frei
und beweglich; die Muskulatur des linken Beines ist eher stärker als die des
rechten. Die Klagen über Schmerzen in dem Beine halten die genannten Aerzte
nach dem geschilderten objektiven Befunde für unglaubwürdig. Kläger ver¬
richtet die nämliche Arbeit wie vor dem Unfälle und bezieht denselben Lohn
wie seine gleichaltrigen Arbeitsgenossen.
Wenn diesem Befand gegenüber der von dem Schiedsgericht zugezogene
Arzt bei seiner Untersuchung am 24. September 1902 eine Besserung in dem
Zustande des Klägers als nicht eingetreten und eine Schwäche in dem Beine
als noch vorhanden annimmt, so findet dieses Gutachten in dem objektiven Be-
688
Dr. Bundt.
Knoten am Kinn, Nr. 23 überdies vergesellschaftet mit einer
starken Schwellung der Halslymphdrüsen. Bei beiden vergingen
trotz mehrfachen, schmerzhaften Epilationen viele Wochen bis
zur Heilung.
Auch noch einige der anderen Fälle kann ich heranziehen,
um meine Aeusserung zu belegen, dass der Herpes tonsurans
schwerere Erscheinungen gemacht habe:
Der Knabe Nr. 1 hatte grosse, nicht unerheblich schmerzende
Schwellungen der Nackendrüsen, die ihm den Schlaf raubten und
ihn im Verein mit der durch häufige Epilationen quälenden Behänd*
lung appetitlos und elend machten. Seine Heilung nahm drei
Monate in Anspruch. Seine Mutter (Nr. 3) war durch die Loka¬
lisation der grossen Flechte an der Hand, deren ganze Umgebung
entzündlich gerötet und geschwollen war, wochenlang arbeitsun¬
fähig. Sie, sowie zwei ihrer Söhne bekamen infolge der Chry-
sarobinbehandlung ausgebreitete, stark juckende Ekzeme über
einen grossen Teil des Körpers.
Den einen der Unterschweizer traf ich mit einer Temperatur
von 39,2 im Bette. Eine handgrosse Herpesstelle am linken Ober¬
schenkel war entzündet und sezernierte stark. Die Leistendrüsen
waren pflaumengross geschwollen. Er war 14 Tage bettlägerig,
bekam später noch ein allgemeines Ekzem, doch Flechte und
Drüsenschwellung gingen ohne Inzision zurück.
Ausser diesen 25 Fällen erhielt ich noch von einigen anderen
Meldung, deren Träger ich jedoch nicht gesehen habe, weil sie
sich ohne Konsultation mit den von mir vorgeschriebenen, anderen
entliehenen Medikamenten behandelten. Es sind wohl sicher im
ganzen 30 Fälle gewesen, deren Erkrankung in letzter Reihe
auf jenen importierten Stier zurückzuführen sind.
Nicht unerwähnenswert erscheint mir noch eine Beobachtung.
Es rezidivierten ganz plötzlich einige Fälle, die schon fast voll¬
kommen abgeheilt erschienen. Und zwar trat bei allen vier Fällen,
dem acht- und zwölfjährigen Knaben, deren Mutter und dem Sohn
des Schweizers dieser akute Ausbruch zahlreicher kleiner Knötchen
in kreisförmiger Anordnung, die sehr bald in Schuppen übergingen
und so das Bild einer Herpes tonsurans squamosus und maculosus
darboten, im Anschluss an das Erscheinen eines Masernexanthems
auf. Ob die gesteigerte Blutfülle der Haut oder die erhöhte
Temperatur der Masernkranken dem Pilz ganz besonders günstige
Wachstumsbedingungen boten, oder ob äussere Momente, z. B. die
gleichmässige Wärme des Bettes hier mehr mitspielen, vermag
ich nicht zu entscheiden.
Ich sah ferner Herpeskreise auf oberen und unteren Augen¬
lidern, ohne dass jemals die Erkrankung auf die Lidränder oder
die Bindehaut überging.
Die Behandlung bestand meist in Anwendung von lOproz.
Chrysarobin - Traumatizinlösung, Aufpinseln von Seifenspiritus, Auf¬
legen von 3proz. Naphtol-sapo-kalinus-Salbe. Hie und da liess
ich Sublimatumschläge machen. Gegen die dicken Infiltrate in
Haupt- und Barthaar hat Quecksilber-Karbolsäure-Pflastermull
Ueber eine Epidemie von Herpes tonsnrans.
689
gute Dienste getan, und die zwar etwas sehr komplizierte, aber
gute, von Kaposi empfohlene Mischung von Ol. Rusci 15,0,
Spirit, sapon. kalin. 25,0, Lact, sulfur. 10,0, Spiritus Lavand. 50,0,
Bals. peruv. 1,5, Naphtoli 0,5. Zurückbleibende Reizzustände
wurden mit Lassars Paste bekämpft.
Unter dieser Behandlung sind zur Zeit (März 1908) die
meisten Flechten bis auf einige unbedeutende Reste geheilt. Von
einigen neuen Kranken hörte ich noch vor wenigen Tagen. Bei
der weiten Entfernung werden sie den Arzt voraussichtlich erst
in Anspruch nehmen, wenn unangenehme Erscheinungen eintreten,
oder wenn die Heilung gar zu lange auf sich warten lässt.
Wenn nun ja auch eine Erkrankung an Scherflechte wohl
kaum jemals ernstliche, dauernde Gesundheitsschädigungen im Ge¬
folge haben und das Leben gefährden wird, so ist sie doch, zumal
wenn sie sich auf stark behaarten Körperteilen lokalisiert, ein so
unangenehmes, so langwieriges und entstellendes Leiden, dass ein
jeder Arzt es für seine Pflicht halten wird, seine Klientel nach
Möglichkeit vor derselben zu schützen. Und wenn man bei jedem
Falle von Herpes tonsurans der Ansteckungsquelle nachforscht,
so wird man, glaube ich, nicht allzu selten dazu kommen, ihn auf
eine Erkrankung von Tieren zurückzuführen. Wenigstens meiner
Erfahrung nach ist dieser Weg der Ansteckung ein häufiger,
während ich mich nicht erinnere, eine Scherflechte aus einer
Barbierstube herleiten zu können.
Die Verhütung der Verbreitung ist nach Bekanntwerden der
Quelle sehr leicht. Erkrankte Tiere dürfen nicht von einer Ortschaft
zur anderen gebracht werden. Das mit der Pilzkraukheit besetzte
Tier ist allein zu stellen. Der Fütterer und Pfleger gebrauche
zur Reinigung dieses Tieres besondere Apparate (Striegel, Bürsten
u. s. w.), besorge und futtere es, nachdem er sich ein leicht wasch¬
bares Obergewand (Drillichhose und Drillichjacke) angezogen hat.
Ein nachheriger Kleiderwechsel und Reinigen der Hände mit
Lysol- oder Kreolinlösung, sowie eine Desinfektion des Standes
des Tieres nach Ablauf der Erkrankung mit Kalkmilch tun das
übrige.
Wenn die Art der Erkrankung, die ^Möglichkeit der Ueber-
tragung auf den Menschen und diese einfache Sorge für Ver¬
meidung der Verschleppung den Viehbesitzern mehr als bisher
bekannt gemacht wird, so wird die Scherflechte unter dem Vieh
seltener werden und somit auch seltener auf das Viehpflegepersonal
und von diesem auf andere Menschen übertragen werden. So ganz
leicht muss die Ansiedelung des Pilzes auf und in menschlicher
Haut überhaupt nicht sein; denn andernfalls müssten wir noch
viel häufiger bei Schweizern 3 und Viehfütterern den Herpes , ton¬
surans zur Behandlung bekommen, da ja zur Zeit noch oft ganze
Herden, namentlich Jungviehherden, von dieser £ Hautkrankheit
befallen werden sollen. Es gehört doch wohl zum Haften des
Pilzes, dass er mit einer gewissen Kraft in die Haut eingerieben
wird, oder in eine präformierte, wenn auch noch so kleine Ver¬
letzung oder Schrunde der Oberhaut hinein kommt. Für eine
*574 Stainers Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
fand insofern «iaht seine Stütze, ata die Muskulatur des verletsten Beine« in
Keiner Welse schwächer ist eis die des rechten. Der Umstand allein, dass das
Rain mit einem unbedeutenden, seinen Öchransii nicht beeinträchtigenden Schön-?
feaitefehler geheilt ist, kann eisen Eatschädignngeanspmch nicht begründen,
«eil weder eine V er uns taitang des Klägers dadurch emge treten ist, noch der
t>ebraüch de* Beines in einer nnghnstigen Weise beeinflnsst wird. Ertahrungs-
gamäss pdegsn auch Bräche hei so jugendliche»» Personen, wie es der Kläger
tat, Unter ärztlicher Hülfe in einer nachteilige Folgen für die Zukunft ans-
«« hlieasenden Weise auszohdile«, eti dass die aus dem Befand nicht n&chweta-
ktren Schmerzen des Klägers in dem verletzten Beine von vornherein nicht
^ahtecheißiioh sind. Immerhin könnte es sich schliesslich bei diesen als
•vtimersufi empfundenen Beschwerden nur um geringe Unbequemlichkeiten
.todein, die hei. der seit dem Unfall abgelau/onen geraumen Zeit eine Beein-
teäehtigoag der JErwerbsfähigkeit nicht bedeuten.
Bind messbare Beeinträchtigung im wirtschaftlichen Laben liegt
bei Verletauog des Nagelgliedes de» Unken Mittelfinger» nicht vor.
K ekors-Euipebai.dnng des Befchs-TersicherstagasMits vom
\;.h, Mai 1903,
Her Kläger bat das Nagelgiiad des Unken Mittelfingers verloren. Die
vitumpfspltze des Fingers ist zwar nur mit einem dürftigen WwchteilpoUt«
.'deckt, welches mit dem Knochen ziemlich fest verwachsen und mit mehreren
Narbeuzttgeü durchwachsen tat, aber di« beiden noch vorhandenen 6fjeder des
' ■'.rletztea Fingers haben hinsichtlich der Bengungsfähigkeit keine Einbusae
imea. Der FaöEteckluss ist an sich kräftig und die Hand schwielig. Der
Kläger hat auch gieicii nach dem Verlassen des Krankenhauses — etwa 7 bi»
ß Wochen nach dem Unfälle —- sein* frühere Arbeitata Schmied mit voller
r.eistnngsiäbjgkeit wieder anfgeudnimeD.
Hiernach liegt eine messbare BeeinirllehügiasgIm wDtscbaftiicheji Leben
nicht vor. Mil dieser Ansicht stimmt.auch das ärztliche Gutachten des Prot
fit vom 25./8B. März 1903 Überein, ao» daas kein Orund vorliegi, den Ans-
fithruagea dt» Kreisarztes '3eb. Mediziaalrat t>r. R. vom 27. Februar 1903
m felgen. ~ • : V'*\ v> ; \ ' ' •
AnMrung des behandelnden Arztes ist nichtnur für des Besehe!As-
v«r fahren, somit*«» auch für die RedatsmiUelitistanzea vorguschrieben.
!•: ekurs-En tscheidnng des Reich« vere icberangsem ts Vota
'0. Juni 1003.
Djta Anhörung des behandelnde« Ar*tes bat in denjenigen Fällen, füf
vralcfce sie. vorgssebrjeben tat, nicht nur insofern Wert, als sie geeignet Ist,
tauf etwa bestehendea Misstrauen der Verletzten gegen; die Unparteilichkeit
4 er beruf sgenusBcseehftftUehett. Organe bei der Erteilung ihrer Ben teufest'
v ;ellaagshosohel da in einem waseotltchea Funkte au beseitigen.*, sie hat vielmehr
diesen Fällen auch aiue grosse sachliche Badeötnng. Denu der behandelnde
*;m kennt den Verletzten nnd den Verlauf seiner Krankheit in der Regel
gbaan, kann häufig (Iber die oft schwer zu beautwertende frage, ob ein Leiden
rat durch de« Unfall entstanden ist oder schon früher vorhanden war, erste
«oddeaden Aufschluss geben und vermag nicht selten adek über «adere fftti
»ata- Beurteilung des Entschädigungsanspruchs des Vörtetzteu wichtige Tate
jvclien Angaben zu machen. Das auch sulche sachlich«« Erwägungen für äia
infübiung der fraglichen VorÄubriit bestimsjend wkren, ergeben die Varhand-
. mgen Iss Reichet*»?-».
Bla Vorschrift 3 Sät* 1 des ITofaUYersjcheTdngsgeBetze*
i.ttr Land- and Fötetwirtac&kftteh&t daher nicht allem für das Bescheids'
-erfahren B8deal«dgf^#iis^ sich vjdaeir als eine nTlgdmeine, das
gesamte Feststellungs^^ähteil^eMrfschenile nuä desbadb auch von den Recht«'
riitteiiasteasen au heMSteM*- v-?r?shrift . \ "■{ . . ..
Da sie ferner, wie schon ihre Fassrang erkennen lässt, awingendtr Statur
• ,t. so leidet das Verfahren,, in welchem sie verletzt wird, an einem weaent*
; eben Mangel. Dieser Mangel ist Ta» RechtemiHclvt-rfobren zu beseitigen,
tii* Heilung hat in der Weise zu geschehen, dass entweder der behandelnde
Dr. Pl&czek: Bin deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 691
Gebührenordnung vom 15. Hai 1896 (Min.*Bl. S. 105) erlassen worden ....
Insbesondere sollen nach derselben die niedrigsten Sätze znr Anwendung
gelangen, wenn nachweisbar Unbemittelte die Verdichteten sind, soweit nicht
besondere Schwierigkeiten der ärztlichen Leistnng oder das Mass des Zeit¬
aufwandes einen höheren Satz rechtfertigen (§. 2 a. a. 0). Im übrigen soll
die Höhe der Gebühren innerhalb der festgesetzten Grenzen nach den besonderen
Umständen des einzelnen Falles — bemessen werden. Mag hiernach auch die
Berücksichtigung des besonderen Rufs, dessen der liquidierende Arzt bei seinen
Fachgenossen oder doch beim Publikum genieBst, als ein innerhalb der fest¬
gesetzten Grenzen einen höheren Satz begründender Umstand nicht grundsätzlich
ausgeschlossen sein, so ist sie doch in der Bekanntmachung keinesfalls hervor¬
gehoben worden. Auf diese Frage kommt indessen, wie sich weiterhin zeigen
wird, für die Entscheidung des vorliegenden Falles nichts an.
Naeh §. 612 B. G. B. ist bei Dienstverträgen, wenn die Vertrag-
sohliessenden die Höhe der Vergütung nicht bestimmt haben, beim Bestehen
einer Taxe die taxmässige Vergütung als vereinbart anznsehen ....
.... Der Kläger verlangt eine Vergütung, deren Gesamthöhe den ihm
unter Zugrundelegung der höchsten Sätze der Gebührenordnung zustehenden
Betrag erheblich überschreitet. Um durchzudringen, würde er also zu beweisen
gehabt haben, es sei zwischen den Parteien vereinbart worden, dass er nicht
nach den Sätzen der Gebührenordnung, sondern nach den in seiner ärztlichen
Praxis üblichen Sätzen liquidieren solle. Das Zustandekommen einer Verein¬
barung sei im vorliegenden Falle darin zu finden, dass der Beklagte, als er
sich in die ärztliche Behandlung des Klägers begab, sich habe sagen müssen,
dass der Kläger ihn nicht zu den Maximalsätzen der Gebührenordnung, sondern
zu höheren Sätzen behandeln werde. So zutreffend diese tatsächlichen Ans¬
führungen und die daran geknüpften rechtlichen Ausführungen an sich sind,
so wenig sind sie doch nach Lage der Sache geeignet, mit ihrer Hilfe zu den
vom Kläger gezogenen Schlussfolgerungen zu gelangen. Denn zn der Unter¬
stellung einer stillschweigenden Willenseinigung darüber, dass die Anwendung
der Taxe ausgeschlossen und die Bestimmung der Gegenleistung in das billige
Ermessen der Gegenpartei gestellt sein solle, würde man auf Grund des oben
charakterisierten Vorganges der Aufsuchung nnd Gewährung ärztlicher Hilfe
ohne besondere Preisabreden regelmässig gelangen können. Für alle Fälle der
vorliegenden Art mnss aber, um znr Ueberzengnng einer stattgehabten still¬
schweigenden Willensbe8timmnng besonderen Inhalts zu gelangen, umsomehr
der Nachweis gefordert werden, dass der Wille, wenn auch ohne Worte,
zuverlässig erkennbar in die Anssenwelt getreten ist, als §. 612 B. G. B. eine
bestimmte Vermutung aufstcllt, was als vereinbart anzusehen ist. wenn gegen¬
teiliges nicht zuverlässig erhellt ... Wer sich in die Behandlung eines
ausserordentlich hervorragenden namhaften Arztes begibt,
ohne dass besondere Honorarabreden getroffen werden, kann
daher wohl stillschweigend der Willensmeinung sein, in Er¬
mangelung solcher Abreden werde die bestehende Taxe in
Anwendung kommen müssen . . . .“
Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren.
Reformgedanken von Dr. Placzek-Berlin.
(Fortsetzung.)
Was die Sektion der Bauchhöhle anlangt, so ist es zunächst
wertvoll, festzustellen, in welcher Reihenfolge die Regulative
die einzelnen Organe herausnehmen. In Preussen soll es laut
§. 18 in einer Reihenfolge geschehen,
„dass durch die Herausnahme des einen Organs die genauere Erforschung
seiner Verbindung mit einem anderen nicht beeinträchtigt wird. So hat die
Untersuchung des Zwölffingerdarms und des Gallengangs der Herausnahme der
Leber voranzugehen. In der Regel empfiehlt sich folgende Reihenfolge:
1. Netz, 2. Milz, 3. Nieren und Nebennieren, 4. Harnblase, 5. Ge-
$76 Kleinere Mitteilangen and Referate atu Zeitschriften.
Erkrankung und der letzten Impfung ein Zeitraum von mindestens 21 Jahren,
hat den meisten, so hei den beiden Verstorbenen, 40 Jahre und mehr.
ln der Diskussion über den Vortrag wies Prof. Dr. Naunyn anf die
ausgezeichnete Wirkung dea roten Licktea hin. Unter den von ihm Bo-,
handelten befanden sieh 5 Fälle von schwerer, konfluierender Erkrankung,
einer mit ziemlich ansgehreitetcr- Purpura tarioloaa, und zahlreiche Bindungen
iß die Pusteln. In keinem dieser 5 Falle, sowie auch ln keinem der übrigen,
die rechtzeitig in rote» Licht kamen, trat eine .richtige Eiterung anf. Sobald
die Pusteln aufgeschossen warn», begannen sie, ohne sich erst prall mit Flüssig¬
keit za füllen, bereits eimmtroekueo. Auch in den konfluierenden Formen kam
3 S nirgends *ar Entwickelung irgend welcher kutaner Eiterung. Bei der
Heilung stiesB sich dann di« Haut, s. B. an den Fingern, ln Form Ton Hand-
scbahiiogetu ab, and auf isr lanoaftkche der Epidermis tragen diese Hand-
jcbtthüuger eibc staiieaweise mehr wie 1 mm dicke Schicht elngetrocknetea
Exsudates. Die Kranken kamen zum Teil mit schon beginnendem Eiterfieber
in das Spital. Nachdem sie dann 24 Stunden unter HolUchtbeh&ndinng ge¬
wesen waraa, fiel die Temperatur anr Norm, «dar wenigstens annähernd nur
Norm, und blieb so, abgesehen ton Komplikationen.
Demgegenüber kamen die drei ersten Fälle leichterer Variola, die ohne
rotes Lieht behandelt worden waren, zur Eiterung mit richtigem Suppu¬
rationsfieber.
Prof Df. Wo l f f kuaaerfc die Ansieht, dass die günstige Wirkung nicht
dem roten Eichte aU' solchem, sonder« der Ausschaltung der blauen, : violetten
aal ultra violetten Strahlen za verdanken sei. Man würde wahrscheinlich eie-
lalboö Erfolge haban, wenn man zwischen doppelwandige Fensterscheiben eine
itir blaue Lichtstrahlen uodnrohdrmgUche Flüssigkeit bringe, a. B. eine ange-
sänert» Chiaialösnng. Dr, Hecker-Weissenbnrg (Els-E
Ergebnisse der amtlichen Pockentodesfallstatistik int Deutnohen
Reiehe vom Jhhre iüOI, nebst Anhang, betreffend die Pockener-
krankatt^en im Jahre 1900. Berichterstatter: Eegiernngsrat Dr. Kfcible.
McdiKinisch-statistisahö Mittellnng ans dem Kkiaarb Gesundheitsamt. {Beiheft
so den yeröökntUcbungßn de» K&iaeriiöhee Gesundheitsamt®.) Siebenter Sand.
Dritte® (Soblfls»') Heft, ßerlin ;lü<)3. Verlag von Jni, Spränge t.
Im Jahrs 190Ö ät&rbeu Im Deutschen Reich 49 Personen an Pocken; &#
ist demnach diese Zahl gegenüber dem Vorjahren weiter gestiegen, aber immer«
hin noch Unter dem Däfchschmtt de® iöjährigen Zeitraums. 1890/99, wo sie
545 botrag, zurBckgcblieber/. Aaf je 1 Million Einwohner 1» Reiche kommen
während dos Berichtsjahres 0,87 Todesfälle an Pocken, gegen 0,52 im Jahre
1899; 1,04 hn 10jährigen Durchschnitt IHe Fäll« venolle» sich anf 8S Ort-
oehafteu, von denen 31 auf PteusBoif, js eine auf Bayern, Reden, Hesjssß nnd
Hamburg entfallen. 3 t Todesfälle kaiaea in den nahe den Reicfcsgreszee ge¬
legenen Kreisen vor. In 2 Städten starben je 4 Pernioe«, in «leer Gemeinde
j, in 0 Gemeinden, je 2; die übrigen Fälle traten vereinzelt küf. Anf Kinder
de» 1. Lebensjahres caUaiiee iß Fälle; ton ihnen waren 12. noch nicht geimpft
and 3 unbekannten Impfünstsades». Im 2; Lebensjahr starb kein Kind, im
3* bi« 10. 1. mit anbakftönthöä>, JmpfzasUndö. Im 11. bis 20. limbenajahre
.darben 6 Personen, darunter eine im lukabationsstadinm wiedorgeimpfte, 2 un-
geimpfte, l einmal- and l :wf«äaisb^pfte,'^Iii'.’Aek Altersklasse • vom ES. bis
10. Lebensjahr« standen 4 Vewtorbene, nämHch i vier Tage vor der Erkrankung
id. ii ®o spät} geimpfter rnaslscbcr Arbeiter, 2 Geimpfte and1 unbekannten
implzastandos. Im Alter Vom Bl, bis 4CI. Lebensjahre starben 2 Personen n.u*
bekannten Intpfzastandes. ha 4L bis öö. LelwoBjahre erlagen 11 ?BW$nae v
davon eine erst im Inknhatlonsstadtäm zum «raten Male geimpft», ferner 7
-'jnmal geimpfte. 1 wiedergeimpfte and 2 UftHekannieo Impf zustande«. Im 61.
ܧ i)0. Jahr« starben 2 einmal Geimpfte, 2 Wiedeigeimpitr nod 1 unbekannt««
Impfzastandea. Toi Altervon mehr>1* 0 labten eturben ebenfalls & P«woneo;
I cinnjol geimpfte, 2 wjgdergeimpfte, 2 Hoheknnnien Impfstisiaiadce, 'ObIw*
lanatec Altera and mit unbekanntem Impfanatande starb endlich, noch ein
.russischer Arbeiter. 29 waren männlichen, 20 weiblichen Geschlechts.
Seat man die Verhältniaiiffer der PookentödesfttUe la den 287 Städten
Deatachlaad* (0 k 09:10 000 Einwohner} als Einheit, io entfielen auf die Städte
Ein deutsches gerichtslntliches Leichenöffnnngsverfahren.
693
Sachsen-Weimar-Eisenach: §. 25, Abs. 1.
„Jedes der beiden Organsysteme, welche im Baach liegen, das vom
Baachfell umschlossene System der Verd&aangsorgane and das ausserhalb des
Bauchfells liegende System der Harn- und Geschlechtsorgane soll f&r sich in
fortlaufender Reihe untersucht werden. Es ergibt sich hier nachstehende
Reihenfolge: Milz, Inhalt und Beschaffenheit der im Zwölffingerdarm ver¬
laufenden Gallenwege und Gefässe, Leber, Magen und Darm mit der Bauch¬
speicheldrüse zugleich mit Gekröse und Netz, Bruchpforten, Oeffnung des Magens,
des Zwölffingerdarms, des Dünndarms, des Dickdarms, des Wurmfortsatzes; Ge¬
kröse und Notz, Harn- und Geschlechtsorgane topographisch, Nebennieren nnd
Nieren, Nierenbecken, Harnleiter, Harnblase und Harnröhre, Herausnahme der
Vorsteherdrüsen, der S&menblase und des Baachteils der Samenleiter zngleich
mit jener der Harnblase. Spaltung des Hodensackes und Ereilegnng der Teile.
Herausnahme der weiblichen Geschlechtsorgane und Verbindung mit jener der
Harnblase und des Mastdarmes. Untersuchung auf Schamlippen, Kitzler,
Scheide, Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke, Nebeneierstöcke, Mutterbänder, Blut¬
end Lympbgefässe.“
Mecklenburg-Strelitz: §. 10.
„Nach den allgemein jede Höhle betreffenden Ermittelungen sind in
der Bauchhöhle zu untersuchen: Leber, Magen- nnd Darmkanal, Netz und
Gekröse, Milz, Niere und Harnblase, bei weiblichen Leiohen, Gebärmutter mit
ihren Anhängen, die grossen Blutgefässe und, wenn es nach Lage der 8ache
erforderlich erscheint, das Bauchfell . . .“
Baden, Mecklenburg-Schwerin, Braunschweig,
Anhalt, Schwarzburg-Sondershausen stimmen mitPreussen
überein.
Ein Vergleich dieser mannigfach differierenden Bestimmungen
führt nicht leicht zu einer Entscheidung, welche Reihenfolge die
gerichtsärztlich brauchbarste ist. Es dürfte sich gegen die Bei¬
behaltung der in Preussen üblichen Sektionsfolge wohl kaum etwas
wesentliches sagen lassen. Immerhin könnte in Erwägung ge¬
zogen werden, ob sich die umständliche Eröffnung von Zwölffinger¬
darm und Magen in situ verlohnt, allein zu dem Zweck, die
Durchgängigkeit des Gallenganges herzustellen. Das Interesse
des pathologischen Anatomen hieran ist doch ein durchaus anders¬
artiges wie jenes des Gerichtsarztes. Etwas Wesentliches oder
Erspriessliches für den forensischen Zweck sah ich bei dieser
Methode bisher nicht. Sie könnte deshalb für die gerichtsärztliche
Praxis getrost der Herausnahme des Magen -Darmtraktus in toto
weichen.
Ueber die Sektionsart der einzelnen Bauchorgane
geben die Regulative Anweisungen, die mannigfach von einander
abweichen.
A. Milz.
Preussen: „Die Milz wird jedesmal in Bezug auf Länge, Breite und
Dicke und zwar in liegender Stellung (nicht in der Hand) und ohne dass der
Massstab ausgedrückt wird, gemessen, sodann der Länge nach und, falls sich
veränderte Stellen zeigen, in mehreren Richtungen durchschnitten. Jedesmal
ist eine Beschreibung ihres Blntgeh<s zu geben.“
In Bayern ist die betreffende Vorschrift verschieden für die beiden
zuvor geschilderten Verfahren der Bauohsektion:
„a. Ebenso verfährt man darauf mit der Milz, die gleichfalls der Länge
nach und, falls sich veränderte Stellen finden, in mehreren Richtungen durch¬
schnitten nnd namentlich der Blntgehalt angegeben wird.“
b. Stimmt wörtlich mit Preussen überein.
694
Dr. Placzek.
Sachsen: „Bei der Untersuchung der drüsigen Organe der Unter¬
leibshöhle (Leber, Milz, Nieren, Bauchspeicheldrüse) ist auf das Verhalten der
Kapseln zu achten und das Volumen, die Konsistenz und bei Abweichung von
der Norm das Gewicht derselben festzuBtellen. Es sind weiter durch die
Organe ausgiebige Schnitte zu legen, um die Beschaffenheit der Schnittflächen
nach Farbe, Konsistenz und Blutgehalt zu bestimmen.“
Württemberg: „Zuerst wird die Lage der Milz nfther festgestellt,
dieselbe dann, mit sorgfältiger Sohonung des Magens, herausgenommen, auf den
Tisch (nicht auf die Hand) gelegt und ihre Länge, Breite und Dicke gemessen.
Veränderte Stellen auf ihrer Oberfläche werden eingeschnitten und dann auf
Längsschnitten die Beschaffenheit der Kapsel, des Gewebes und dessen Blut¬
gehalt ermittelt.“
In Sachsen- Weimar -Eiaenaoh soll die Milz unter Trennung ihrer
Befestigungen am Magen und Zwerchfell herausgenommen, ihre Grösse, das
Verhalten der Kapseln und Schnittflächen angegeben werden.
Mecklenburg-8trelitz unterlässt es, im §. 7 die Art der Milzsektion
zu beschreiben.
Baden, Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Braunsohwelg,
Schwarzburg - Sondershausen stimmen mit Preussen überein.
Eine Vergleichung dieser Bestimmungen lehrt, dass sie in
der Mehrzahl die schon aus der Bauchhöhle herausgenommene Milz
behandeln. Wie sie aber herauszunehmen ist, wird gar nicht aus¬
gesprochen, nur wünscht Sachsen-Weimar-Eisenach, dass
es „unter Trennung ihrer Befestigungen am Magen und Zwerch¬
fell“ geschehe, Württemberg, dass es „mit sorgfältigster
Schonung des Magens“ ausgeführt werde. Beides ist erwähnens¬
wert, ausserdem aber die Art der Handhabung unter normalen
und anormalen Verhältnissen. Für die Zukunft erschiene mir
demgemäss folgende Fassung passend:
„Die Milz wird mit der linken Hand gefasst und aus der Bauchhöhle
emporgehoben. Von links aussen her durchschneidet das Messer die Gefässe an
der Einmündungssteile utid die Verbindungsbrücken zu anderen Organen.
Bestehen untrennbare Verwachsungen mit dem Zwerchfell 9 so werden sie
Umschnitten und mit der Milz herausgenommen.
Sie wird nun in liegender Stellung (nicht in der Hand) und ohne dass
der Masstab angedrückt wird , nach Länge, Breite und Dicke gemessen, sodann
der Länge nach und, falls sich veränderte Stellen zeigen, in mehreren Richtungen
durchschnitten. Jedesmal ist der BlutgehaU zu beschreiben.“
B. Die Nieren.
Preussen: „Jede der beiden Nieren wird in der Art heransgenommen,
dass ein vertikaler Längsschnitt dnreh das Bancbfell nach aussen hinter dem
auf- oder absteigenden Dickdarm gemacht, letzterer znrückgeschoben und die
Niere ausgelöst wird. Alsdann wird zunächst durch einen über den konvexen
Band geführten Längsschnitt die Kapsel eingesebnitten und langsam abgezogen,
die freigelegte Oberfläche der Niere in Bezug auf Grösse, Gestalt, Farbe, Blut¬
gehalt, etwaige krankhafte Zustände beschrieben. Dann wird ein Längsschnitt
durch die ganze Niere bis zam Becken derselben geführt, die Schnittfläche in
Wasser abgespült und beschrieben, wobei Mark- and Bindensubstanz, Gefässe
und Parenchym zu unterscheiden sind.“
Bayern: „a) Hierauf kommen die Nieren und Nebennieren an die Beihe,
welche man, nach Einschneiden der Capsula adiposa, ans derselben mit der
Hand herausschält, von dem Harnleiter absohneidet, and nun einen Längs¬
schnitt durch die ganze Niere von ihrem äusseren Bande bis zum Becken führt,
und die Schnittfläche betrachtet.
b) Nachdem man sodann die noch in der Bauch- und Beckenhöhle be¬
findlichen Harn- und Geschlechtsorgane einer Inspektion in situ unterworfen
hat, werden dieselben im Zusammenhänge herauBgenommen.
Dazu löst man zuerst jede der beiden Nieren mit ihren Nebennieren
aus ihrer Fettkapsel nnd verfolgt die Harnleiter mit den entsprechenden
Bin deutsches gorichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren.
695
Schnitten bis in das kleine Becken gegen den Grand der Harnblase hin, wobei
man die Vasa deferentia der Hoden, die sich mit ihnen kreuzen, nicht durch-
scb neiden darf.
Die so heransgeschnittenen Organe sollen nnn genauer untersucht werden and
zwar zunächst die Nieren. An denselben wird durch einen Uber den konvexen
Rand geführten Längsschnitt die Kapsel eingeschnitten and langsam abgezogen,
wobei gewöhnlich die Nebenniere mit abgelöst and untersucht wird. Die frei-
gelegte Oberfläche der Niere wird in Bezug auf Grösse, Farbe, Blntgehalt und
etwaige krankhafte Zustände beschrieben. Dann wird ein Längsschnitt dnrch
die ganze Niere vom konvexen Rande ans bis znm Becken geführt, die Schnitt¬
fläche mit Wasser abgespült nnd beschrieben, wobei Mark and Rindensubstanz,
Gefässe and Parenchym za unterscheiden sind. “
Sachsen macht keine Angaben über die Art der Herausnahme und der
Sektion von Nebennieren and Nieren.
In Württemberg heisst es: „Um die Nieren and Nebennieren
heraaszanehmen, werden Längsschnitte gemacht, welche sich auf das Bauchfell
zu beschränken haben. Nachdem dieses abgezogen ist, werden ihre Lage nnd
das Verhalten der Blutgefässe am Hylns untersucht, dann die Harnleiter,
nachdem sie eine Strecke weit verfolgt sind, abgescbnitten. nicht abgerissen,
das Organ mit der Hand herausgeschält nnd seine Grösse, Gestalt und Farbe
bestimmt. Hieranf macht man in der Mitte des konvexen Randes einen Längs¬
schnitt bis znm Nierenbecken and ermittelt auf der Schnittfläche das Ver¬
halten der Rinden- and Marksubstanz, der Pyramiden, sowie der Oberfläche
des Beckens, wobei die Lape za Hilfe za nehmen ist. Jetzt erst wird fdie
Kapsel abgezogen and ihre Beschaffenheit sowie die der Nierenoberfläche
festgestellt. Eine nähere Untersuchung der zunächst liegenden Blutgefässe,
ihre Füllung and sonstige Beschaffenheit, sowie das Verhalten der hinteren
Banohwand an der betreffenden Stelle darf nnter keinen Umständen versäumt
werden.
Hierauf sind die Lage and Grösse der Nebennieren nnd nach ihrer
Herausnahme die Beschaffenheit ihrer Schnittfläche zu untersuchen.“
In Sachsen-Weimar-Eisenach beginnt die Untersuchung der Harn-
und Geschlechtsorgane mit der Beschreibung der Lageverhältnisse.
„Die Nebennieren sind auf Grösse und Beschaffenheit zu prüfen.
An den Nieren, welche zugleich mit den Nebennieren der Leiche zu
entnehmen sind, ist die Beschaffenheit der Fettkapsel und der Faserkapsel,
der Grad des Haftens der letzteren, nach ihrer Ablösung, Grösse und Form
der Niere, Grad der Festigkeit, Verhalten der Oberfläche nnd der Schnittfläche
anzugeben. Bezüglich letzterer ist in der Rinde auf die Markstrablen und die
die Gefässknäuel beherbergenden Kapseln, im Mark auf Abscheidungen in
Lichtung oder Wand der geraden Harnkanälchen zu achten, eintretenden
Falles deren Natur durch mikroskopische und mikrochemische Untersuchung
festzustellen. Die grösseren Blutgefässe sind auf Inhalt und Beschaffenheit
der Wand zu prüfen.“
Baden, Mecklenburg - Schwerin, Anhalt, Braun schwelg,
Sohwarsburg- Sondershausen stimmen mit dem preussischen Verfahren
überein.
Mecklenburg -Strelltz gibt keine Anweisung über die Art, wie
Nieren und Nebennieren zu sezieren sind.
Wenn man die vorerwähnten Bestimmungen vergleicht, so
findet man allenthalben die Sektion der Nieren nnd Nebennieren
nach der Herausnahme ans der Bauchhöhle mehr weniger
eingehend geschildert ("mit alleiniger Ausnahme von Mecklenborg-
Strelitz), die Herausnahme wird dagegen anscheinend als bekannt
vorausgesetzt. Wenigstens wird nirgends erwähnt, in welcher
Weise die Nieren erst bequem freizulegen und zu unterscheiden
sind, die Herausnahme selbst wird aber teils gar nicht (Sachsen,
Sachsen-Weimar-Eisenach, Mecklenburg - Strelitz), teils unvoll-
680 Besprechungen.
bisher, nur dass das intrauterine Operieren, welches das prenssische Lehrbuch
noch lehrt, fortf&llt.
2. Es soll keine nweite Art Hebammen unter irgend welcher Bezeieh-
nung geschaffen werden.
8. Frei praktisierende Hebammen neben den angestellten sind auch
ferner nuzulassen.
5. Die Pflege der Wöchnerinnen ist womöglich der Hebamme absu-
nehmen; die Pflege erkrankter Wöchnerinnen unbedingt. Im Falle der Er¬
krankung der Wöchnerin ist die Hebamme zu desinfizieren; darüber hinaus
keine Karenzzeit.
6. Es ist Anordnung zu treffen, dass Geburten ohne Hinzuziehung einer
Hebamme prinzipiell nicht stattfinden sollen.
7. Alljährlich Revision der Tagebücher und Instrumente der (aller)
Hebammen mit kurzem Examen.
8. Obligatorische Nachkurse mindestens alle 6 Jahre auf mehrere Wochen
für jede Hebamme.
9. Krankenversicherung. Invalidenversicherung. Altersversorgung.
10. Neun Monate Unterricht genügt für Ausbildung der Hebammen.
11. Stationäre Frauenklinik, geburtshilfliche Poliklinik sind womöglich
mit jeder Hebammenschule zu verbinden.
12. Universitäts-Frauenkliniken sollen das Recht haben, Hebammen im
9 monatlichen Kursus auszubilden.
18. Unterricht mit Examen für alle Schülerinnen, auch die hoher vor-
gebildeten, gemeinsam und gleich.
14. Für Methode des Unterrichts breiter Spielraum dem Direktor der Schule.
15. Wegfall der Präsentation der Schülerinnen von seiten der Gemeinden.
Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rh.
Besprechungen.
Prot Dr. B. Kobert, Direktor des Instituts für Pharmakologie und physio*
logische Chemie su Rostock: Compendium der praktischen Toxlko*
logie zum Gebrauche für Aerzte, Studierende und Medizinal*
beamte. Vierte Auflage. Mit 88 Tabellen. Stuttgart 1908. Verlag von
Ferdinand Enke. Gr. 8°, 206 Seiten. Preis: 5 Mark.
Von der fleissigen Feder des wohlbekannten Verfassers rührt dieses
Compendium her, welchem das Motto vorgesetzt ist: „Man muss dem Medi¬
ziner die Toxikologie mundgerecht machen; dann wird sie aufhören, ihm fremd
zu sein“, und welches nach des Verfassers Angabe seine Aufgabe erfüllt hat,
wenn es von solohen Aerzten und Studierenden mit Vorteil benutzt wird,
welche auf die Toxikologie weder viel Zeit, noch viel Geld zu verwenden im
stände sind.
Und sicher ist gerade die kompendiöse, handliche Form nicht der kleinste
Vorzug des Werkes, welches Uebersetzungen ins Dänische, Italienische, Russi¬
sche, Ungarische und Englische erlebt hat.
Das Buch zerfällt in eine allgemeine und eine spezielle Toxikologie,
während ein Anhang eine Uebersicht toxikologisch interessanter Stoffwechsel¬
produkte, eine Uebersicht toxikologisch interessanter Pflanzenfamilien, eine
Uebersicht wichtiger Klassen und Gattungen der Invertebraten und eine Ueber¬
sicht wichtiger Reaktionen bringt.
Auch dem Anhänge sind eine Anzahl von Tabellen beigegeben, welohe
im Hauptteile zur schnellen Orientierung beitragen, da Bie „auf den ersten
Blick die Aehnliohkeiten und Unterschiede zusammengehöriger Gifte er¬
kennen lassen“.
Dem überaus praktischen, lesenswerten und wohl ausgestatteten Buche
werden, wie bisher, die Leser nicht fehlen. Dr. Hoff mann-Berlin.
Dr. Walther Frieboer: Beiträge zur Kenntnis der Guajakpräpa-
rate. Von der mediz. Fakultät der Landcjuoiversität Rostock gekrönte
Preisschrift. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. B. Kobert. Mit 10 in den
Besprechungen
681
Text gedruckten Abbildungen. Stuttgart 1908. Verleg ton Ferdinand
Bnke. Gr. 8®, 119 Seiten. Preis! 4 Mark.
Im Vorworte weist Eobert daraal hin, was für ein laterem die Syphi-
lidologen an dem Thema haben müssen, nnd Frieboer sohildert in seinem
ersten Eapitel in sehr ansprechender Weise die Gnajakmedisin als Panaae«
gegen die „Pransosenkrankheit* ans dem Anfang des 16. Jahrhnnderts.
Es folgt dann die Beschreibung des Goajakholzes, seiner ehemischen Be¬
standteile, die Gesehichte des Saponins, die Methoden snr Gewinnung ton
Saponinsubstansen nnd ein Verseiehnis der Saponin enthaltenden Pflansen.
Weiterhin sohliessen sieh an eine Reihe chemischer Untersuchungen nnd Ana¬
lysen, sowie die Versuche über die physiologisch-toxikologische Wirkungen der
Gnajaksaponinsäure und des neutralen Gugjaksaponins. Nachdem noch Unter¬
suchungen auf Saponin und Studien über die Wirkungen des Guajakholsüles
und des Guajols gemacht sind, wird eine ausführliche Zusammenstellung der
neuesten Literatur über die therapeutische Wirkung des Gnajaks gegeben.
Den Schluss der Arbeit bilden 16 Leitsltse, in welche die Ergebnisse
atnammengefasst sind.
Die interessante und fleissige Arbeit ist glatt nnd lliessend geschrieben,
ihre Ausstattung — besonders nach hinsichtlioh der Bilder — ist eine recht gute.
_ Dr. Hoff mann «Berlin.
Dr. Hann Kurella: Zurechnungsfähigkeit und Kriminalanthro¬
pologie. Halle a. S. 1908. Verlag von Gebauer-Schwetschke.
Gr. 8®; 123 S. Preis: 3 M.
Die vorliegende Schrift hat der auf diesem Gebiet sehr bekannte Autor
daun bestimmt, das gebildete Publikum mit den schwierigen Fragen bekannt
si machen, die als Grensprobleme der Lehre von der Zurechnung beseichnet
werden können. Die Frage naah der forensischen Beurteilung Schwachsinniger
bat er dabei aus guten Gründen ausgeschlossen. Es werden im übrigen die¬
jenigen Zustände behandelt, welche die Zurechnungsfähigkeit ausschliessen
können, ohne doch su den Erscheinungen derjenigen Bewusstlosigkeit oder der¬
jenigen krankhaften Storungen der GeiRtestätigkeit su gehören, welche nach
|. 51 Str. G. B. die Straffähigkeit ausschliessen. Dies sind die Anomalien des
Gesehleohtsgefühls (Päderastie, Sadismus usw.), die Trübungen und Verände¬
rungen des Stumpfsinns bei impulsiven nnd unbewussten Handlungen und die
StOrangen des Gedächtnisses, sowie die unter dem Namen der Entartungs-
sustände susammengefassten Krankheitsbilder. Hierauf kommt der Verfasser
auf die Kriminalanthropologle im allgemeinen su sprechen, streift kurz ihre
Geschichte und erörtert auf Grund seines Materials schlesischer Zuchthaus-
issassen eine Reihe interessanter und strittiger Punkte. Eine kurze Darstellimg
4er praktischen Folgerungen, die sich für Strafrecht, Strafvollzug und Sozial¬
politik ergeben, macht den Schluss der interessanten Schrift.
_ Dr. Lewald-Obernigk.
Dr. 36. Fanwteiner, Dr. P. Battenberg und Dr. O. Korn, Chemiker am
hygienischen Institut in Hamburg: Leitfaden für die chemische Unter¬
suchung Ton Abwasser. Aua dem staatlichen hygienischen Institut zu
Hamburg. München 1902. Verlag von B. Oldenbourg. Gr.8», 166 S.
Preis: 3 Mark.
Die Verfasser dieser Abhandlung haben sich das dankenswerte Ziel ge¬
steckt, gestützt auf die im Hamburger hygienischen Institute gesammelten
Erfahrungen, aus der Unsumme der Methoden und Reaktionen für die Unter¬
suchung von Trink- und Abwasser die zuverlässigsten Verfahren auszuwählen,
dieselben eingehender zu erläutern und in verständlicher Form zusammenzu¬
fassen. Sie haben bei dieser Sichtung eB gut verstanden, auch dem Neuling
auf diesem Gebiete wertvolle Fingerzeige su geben, so dass es dem Lernenden
nicht schwer fallen wird, an der Hand dieses Buches sich in die fragliche
Materie elnsuarbeiten. Berücksichtigt wurden in erster Linie die Unter¬
suchungen städtischer Abwässer, sodann auch die Analysierung der in vielen
Orten in reichlichen, leider unvermeidlichen Mengen produzierten Abwässer
aus industriellen Anlagen.
Verfasser weisen zunächst auf die Bedeutung der Abwässeruntersuchung
Mn und reden mit Recht einer sachgemässen Berücksichtigung der Örtlichen
682 Tageanaehricktcn.
Verhältnisse das Wort, indem aio die Notwendigkeit einet Besichtigung an Ort
ond Stelle zwecks Begatack taug eines Betriebes in erster Linie, betonen.
Weiterhin ist die Zeit der Probeentnahme von Wichtigkeit, da die Kanäle
'trinkt i-ft jeder Tageszeit gieiehe Mengen Sebmntsstoife enthalten. Man h»t
deshalb so. Verschiedenen Zeiten Prcbeö ae eatnehmen oder aber sieb elo«
Darefchitittsprohe herzustellen, Weich’ letzteres wohl als «Us praktischere er¬
scheine« dürfte. t'!/'i
Verfasser geben sodann ws der Beschreibung der eigentlichen W&sser-
nntersacbtuiLg Über. Wenngleich sie sich hierbei ihrer Aufgabe, di« Methodik
der einzelnen Untersuchungen -*in kurzer, aber mich dem Fernstehenden ?eS^
etän<Ukher Form“ wiedersägeben, im kllgemeinea trefflich entledigt haben, to
kann anderseits doch nicht rer sch wiegen werden, dass infolge der gedrängten
üahcrah:ht die gebräuchlichste« und am leichtesten aoai'Ührbaren Methode»
meist Älisuwenig im Verhältnis zu andein, wenigstens nicht genügend hervor-
gehoben worden sind.
Bei der gesonderten Besprechung der Untersuchung von Schlamm proben
sind wi-rtvoiiß Anhaltspunkte gegeben für eine eventuelle lajadwistsohaftllohd
Ansntitaung des Schlammes, ». B, alo Pftugertaittel.: : 1v v
Hahliesslicb wird dt« Herstellung der sur chemischen W’aasevüfitersuchung
notwendige» Keagenüeu und IdisöagBn snsamniänhäög,e»d in einem; besonderen
Kapitel besprochen, desgleichen noch, dis Frage» nach dem örad« der Vornn-
reinigtogen von Wässern und ihren Gefahreu.
Ala Leitfaden für die cbemische Untersuchung ton Abwftssör» kann dag
vorliegende Buch wärmsteus empfohlen werden. "Br. Kugels-Posen.
Dr. A. und Dir. ft FMitnutfMx Di© Impfstoff© and Sern.
Öruadrtaa dar ÄtiologischenProphylaxe und Therapie der In-
fektibaskraakhöltea. Leipzig 1903. Verlag von G. T hie me.
: *iesesi vörfftgliöhe Büch, eine Fundgrube dea Wissenswertesten aas den
GnMctcu der Impfstoffe und Sera, sollte tu der Bibliothek eines Kreisarzt*»
nicht fehlen.
Der allgemeine Teil bietet in den Kapiteln: „Festigung gegen Gifte,
gegen Bakterien und Bakterienviralens allgemeine Bemerkungen über das
Zustaa l«kommen, des Impfschutzes und übe? die Bedautnuff de? Söhunimpfang,
antiUtSi.HCks Sera, b-tkterienfesndliche 3«ra, die Phagozytose, allgememe
Bemerkangeu über die Sernoatherapie, allgemeines über Zustandekommen der
fmmuuit&t, Aber Antikörper oder ImmuaBabatanzen, HaemoIyatB« und Haeni-
oggliitisino, Cytotaxine and HranKtpitins" sins WissensqueUe, die erstaunlich Ist.
Als eie besonderer Vorzug des Bucheii muss ferner hervorgfthobea werden,
>U-j3 di-.c Verfasser nicht nur die Ansichten der dänischen Schalen zur Geltung
komme« lassen. «andern vor allem auch der französischen Schoiei dorchaoa
gerecht werden. Sie halten, and nach des Befereoten Ueberzeugtsiig mit .Hecht,
die ■/ Zeit bestehende Neigung, die Vernichtung der lu die febenden O-rga-
niaoieo dringenden Keime nur den Antikörpern znzaachmbeo, für Ungerecht-
IsSrfigt. Hierbei fällt vielmehr dem Tierkörper eine aktive Bolle zn, indem er
gvgeo die bakteriellen Leokotoiine Antlleftkotoxiha bildet.
Der «weite spezielle Teil des Werkes wird vorzüglich dem Praktiker
wilts '. men sein. JSr badet darin eine ganz erstaunliche Menge von Tatsachen,
’ :üs wissenschaftlicher Anregungen, die Jhu erfreuen werden, und di«
»c fioohtbringend verwerten kann. v 44irD-
Dr. Wclfgang Weicbardt-BerOo.
TagesnaefrricJiteaf
.•'•de fottgeserft von der Typbusgefahr bedrohten Gesandheitaverhält-
Shit'iv d$c Stadt Met* haben vor wenigen Tag«« Sb. Majestät den Kaiser
• .•schreiten und Abseoduog folgenden Telegramms an den Statthalter
Fftnreu Höh*alö&e>L*ogenbn:rg veranlasst: „Wiedarnsn wfeia deh Ietaten
•Taurett ist ia Metz, vorläufig in der ZtVÜbevölkBiiSng, eine Typhuaepidemie
riehen, welche die Garnison ernstlich gefährden kann. Sie bst ihren
Ursprung in der schlecht verwahrtes „BöaiUan*Qanlle“ und ihrer in, unerhörtem
ZnsitAnde befindlichen Leitung. Disso Sachlage ist lediglich Scltuld der Stadt-
Bin deutsches geriehtsärztlicbes Leichenöffnangsverfehren. 699
der Samenblasen und des Baachteils der Samenleiter zugleich mit jener der
Blase. Die Teile sind nach Grösse, Beschaffenheit nnd Inhalt za beschreiben.
Die Untersuchung des im Leistenk&n&l und Hodens&ck verlaufenden
Teils der Samenleiter, der Nebenhoden, Hoden und Scheidenhaut erfolgt in
der Regel durch Spaltung des Hodensacks in der Mittellinie und deren sich
anschliessende Freilegung. Grösse und Beschaffenheit der Teile ist anzugeben,
auf Verwachsungen und ungewöhnlichen Inhalt der Scheidenhaut, auf das Ver¬
halten der im Samenstrang verlaufenden Blutgefässe zu achten.
Vor der Herausnahme der weiblichen Geschlechtsorgane, welche in Ver¬
bindung mit jener der Harnblase und des Mastdarms erfolgt, ist die Lage und
Form der Gebärmutter, Eileiter und Eierstöcke festzustellen, auf ungewöhn¬
liche Verbindungen dieser Teile unter sich und mit den Nachbarorganen zu
achten.
Nach der Herausnahme soll die Untersuchung auf Schamlippen,
Kitzler, Scheide, Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke, Nebeneierstöcke, die
runden und breiten Matterbänder und die in letzteren verlaufenden Blut- und
Lymphgefässe sich erstrecken. Inhalt und Wand Bollen gleichmässig berück¬
sichtigt, vorhandene Blataustritte, Verletzungen, Narben nach Lage und Aus¬
dehnung beschrieben, eintretenden Falls die Anwesenheit von Samenfäden durch
mikroskopische Untersuchung festgestellt werden.
Besteht Schwangerschaft, so ist deren Dauer aus der Grösse der
Gebärmutter und des Kindes soweit als möglich iestzusteUen, auf Verletzungen
der Geschlechtsorgane und Eihüllen zu achten.
Ist der Tod im Wochenbett erfolgt, so ist dem Verhalten der Scheide,
der Innenwand der Gebärmutter, der in der Wand der letzteren verlaufenden
und der von ihr ausgehenden Blut- und Lymphgefässe besondere Aufmerksam¬
keit zu widmen, die Lage des Graafsehen Bläschens, welchem das befruchtete
Ei entstammte, anzugeben.“
Baden, Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Braun¬
schweig und Schwarzburg-Sondershausen stimmen mit
Preussen überein.
Mecklenburg-Strelitz sagt nur, dass „die Harnblase,
bei weiblichen Leichen die Gebärmutter mit ihren Anhängen“
zu untersuchen sind, ohne die Art dieser Untersuchung anzugeben.
Ein Vergleich der angeführten Bestimmungen ergibt zunächst
die auffällige Tatsache, dass Bayern und Sachsen die Möglich¬
keit einer Sektion der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane
in situ frei lässt, wenn kein wesentlicher Befund zu erwarten ist;
Es dürfte fraglich sein, ob eine derartige Ausnahme sich bewährt,
Voraussagen lässt sich ein Sektionsergebnis doch nie. Schon des¬
halb dürfte daher ein einheitlicher Sektionsmodus für jeden Fall
erwünschter sein.
Für diesen Sektionsmodus könnten die in Preussen, und ähn¬
lich in Württemberg und Sachsen - Weimar Eisenach geltenden
Bestimmungen als Vorbild dienen, obwohl hier die Herausnahme
der äusseren Geschlechtsorgane unterbleibt. Diese Erweiterung
der Sektion könnte im Zukunftsregulativ als Ausnahmefall Er¬
wähnung finden. Ihre praktische Ausführung könnte wie in
Sachsen geschehen, wo die Herausnahme „durch einen von der
vorderen Beckenfuge beginnenden, bis zum Schwanzbein sich er¬
streckenden, die äusseren Geschlechtsteile und die Aftermündung
umkreisenden und die Weichteile bis in das Becken hinein durch¬
setzenden Schnitt“ erfolgt. Es sollten dann aber nicht, wie es
Bayern will, die inneren Beckenorgane unter der Symphyse durch¬
geschoben werden, sondern die äusseren Geschlechtsteile auf diesem
Tageimachrtohtwn-
Ge®ei»dsn n> tragen, wie die« saefa in England dar Fall aal. — Aa dam*
«Uwe Tage beriet die 6. Sektion ln «Isar su.be« attodigan Sitsang Aber die
Bekbmpfaug dar Tsbaffealoae. Berichterstatter flfcr die Beratung»*
gegvwflAad* wataoi 8 roca rdsl* Paris, Pa bar-Kopenhagen, Pm«wH**
Berun. nu& »adere. Die deutsche Eeätet&ttsn bewegttag fand hösfeata An»
«rkeaeRng, aameatUrA settene Brount&ni», der di« Heilstätten ab wsteh«'
tberapeetiwbe and wweatUohst prophylaktische Waffe bsaaisiWf«*«.
BXa« ln diesem &ia»a «hgafasrt« Behioaereeolatioa gelangt« einstimmig rar
Annahme«
In der Btixasg demlWn Abteilung am S. d. M iaad eine lebhaft«
Pel-rite Aber die Frage dar tJafcerirngaag der Ti ertu fesrfcaloa« auf
den ?l e a s c h *n statt, a« deren Sehlas* mit grosser.Mehrheit ein Kompromiss*
aatra# angenommen ward«, dahin lastend i die Tuberkulose sei nwar apeaiall
ftber^egbar wou Meaeehe» »ul da« Männchen, aichtadastowvaigeir Hege beim
gegy « Artigen Stande der Forschung Anlass tot, nach hygienische Masen&hm««
tnr Verhinderung der Gebertragnog von Tiertnberimto»« sui' den Menschen
Vorfcri.^hrelben.
In der Bohlcussltxnng o. d. M. wurde Berlin als Ort lür des
atefeMe, lw lehre iWt milfiadeeden Kongress gewiblc,
im Aufträge des inteirBÄtlonaleB Komitee» für SohoJhygieße-Kon-
gre*** an# des aÜgerueliien deutschen Vereins für Gesundheitspflege fordert
jhi: der OrtaangsehRBs des vom i\ bis 9. April 1904- io Nürnberg tagenden
mern&iünalefl Kongresses durch Aufruf snr BeteÜignog am Kongress nuf, eowie
mt damoldomg von Vertrtgaa oder von Objekten für die aehulbjgienl&ehe
AOBeieilnag.
Meldungen snr Teilnahme und Mitgliedschaft, Ankandsgang von
trägt« unter Bexeichnung des Themas and der Kongteesabieilting, für welche
eie'bestimmt sind, sowie Ansage von Anfstelinngeg«geaBtS»dce Sind sobald
ei« r;<lgllch t . spätestens aber bis sbr 16. Heaember d. J., an Amt.
fknerttfeekreiÄr Hoff»! I) t. Schab ert- Sötsherg einsrasendea, der Mitglieds*
bei fr»# vor 20 Mark dagegeo aa des Scbntwnelster des Kongresse«, Herrn
Kaufmann Emil Hopf, Nürnberg, Blnmenstrsiwe 17.
Vor längerer Zeit hat die „NailooaiBetfcuog 4 einen Artikel Aber sine
in Proosseu beabsichtigte KefonndeS Apotheken wesen« gebracht, der an*
Aäjm.ir.yad ofdriöseu Ursprungs gewesen ist. Danach sollen neue Kouxessioa«
sowj» frei werdead«, bereits Vorhandene Persouaikoategsioaen in Zukunft nicht
lOfrttr verschenkt, Sündern nur unter der Bedingung ifcr Eutricbtung einer
]ftlu'li?hen, toa dom Beinenrag der ApCftheke »bhängeoden Abgabe verlieht«
werUrs. Der Ertrag dieser Abgabe soll teils aum Ankauf voiSufieerlichet
Iv-xMj^sioheii,' di« dann ebenfalls iu peraüaadkonpCSek>nen umgewandelt werden
, teils xq besonderen, dem Apotbekonstand« (Penstonsfoiids usw. für nicht
W-Uwocie Apotheker) und dem Gemeinwohl dienenden Zwecken dienen und
■•.•olgo niebc in di« Staatskasse, sondern in einen besonderen, mit
\ur>;!liA>uber Persönlichkeit aosgestaiteten Apolhekeofonds fliessen. Dass di«
mg einen solchen Fiat) ernsthaft ins A»g». gefasst bat, geht «aa dem
Erklärungen ihres Vertreters au» dar diesjährigen HauptveraiunmlaDg des
Apüthekervereine, vor »Hem aber aus einem Min.- Erlass aa die
a&jttfiÜ Oherpräiidentea hervor, . (fasse» Inhalt jetat doxek eine Verfügung
uigticheo Regierungspräsidenten in Merseburg vom 28. Auguet 1908 an
Scmesaioasbowerber bekannt wird. Hiernach ist ein« anderweitige
Ik£■•-.iVAg des Apothehe.iikoiixceejbti8wese.us beabsichtigt und »war in der Wehe,
dr.«*. i=;U Kotuessionäreu ffauo nach Jeu Erträgnissen dea Geschäfts abgestufte.
ui.-b; jder minder «rbubikbe Butrkbsftbgabe «afinerlegsn ist. Dm diese
Ibirs^’^abgahs wmaögiich andh auf dio jetsi su erteilenden Koniessionen ammm*
. also dam neuen Öeeetxe rückwirkende Kiaft geben in können, »ollen
ÄHnffend*» Bewerber stot» geirsgt werden, pb 9ie gewillt sind, sich
dicev« Bödimrungeij xu unterwerfen.
Vyjri'WWprU. Bedakferur; Dr, Bspitiatid, Reg.-n.Geh.Med.-Iiat in Minden i. W..
S.. C, C r Knixu, Herro«L Ültcht fÜ ftclt.*JU ^oÜfUfikiiriKiliÄrel in Minden*
Bin deutsche« gerichts&rztliches Leich enöffnuDgsverfahreii.
701
leert and nach in Beziehung auf seinen Geruch untersucht ist, setst man den
Sohuitt durch die Speiseröhre fort und stellt zum Schluss das Verhalten der
einzelnen Ge websschichten dieser Organe fest/
Sachsen-Weimar-Eisenach: „Hagen und Darm mit der Bauch¬
speicheldrüse sollen zugleich mit Gekröse und Nets der Bauchhöhle entnommen,
bei der Herausnahme die gewöhnlichen Bruchpforten nachgesehon werden.
Die Oeffaung des Hägens geschieht lftngs der Hitte der vorderen Wand
vom H&genmund bis zam Pförtner, der Zwölffingerdarm wird lftngs der Hitte
der vorderen Wand, . . . geöffnet
Iu allen Abschnitten soll der Beschaffenheit der Wftnde gleiche Berück¬
sichtigung werden, wie jener des Inhalts. Im Magen ist es insbesondere die
Drüsenschicht, im Zwölffingerdarm die Papille. . .
Mecklenburg - Strelitz sagt nur, dass der Magen „nach den allge¬
meinen, jede Höhle betreffenden Ermittelungen“ zu untersuchen ist.
Baden, Mecklenburg - Schwerin, Anhalt, Braunsohvelg,
Sohwarzburg-Sonderahausen stimmen mit Preussen fiberein.
Wie eine vergleichende Betrachtung der Bestimmungen lehrt,
weichen sie vielfach von einander ab. Bald sollen Magen und
Zwölffingerdarm ohne vorhergehende Sicherung in ihrer natür¬
lichen Lage aufgeschnitten werden, bald soll dies erst nach
Unterbindung dieser Organe geschehen, bald soll die Speiseröhre
im Zusammenhang mit entfernt werden, bald der ganze Darm
gleichzeitig herausgenommen werden. Auch die Art und Stelle,
an der die Organe eröffnet werden sollen, differiert. Die meisten
Regulative wünschen, dass der Zwölffingerdarm an der vorderen
Wand, der Magen an der grossen Kurvatur aufgeschnitten werde,
nur Sachsen-Weimar-Eisenach verlangt die Magenöffnung längs
der Mitte der vorderen Wand.
Das ganze, bisher übliche Verfahren, die Sektion des Magens
und Zwölffingerdarms von jener des übrigen Darmes zu trennen,
sie durch komplizierte Doppelunterbindungen zu erschweren und
endlich Organe mit flüssigem Inhalt in situ zu untersuchen, er¬
scheint mir für gerichtsärztliche Leichenöffnungen nicht beibe-
haltenswert. Diktiert wird es hauptsächlich durch die übertriebene
Rücksichtnahme auf die Bedeutung der Tatsache, den Oallengang
auffinden und auf seine Durchgängigkeit prüfen zu können. Ge¬
wiss kann diese Feststellung pathologisch - anatomisch änsserst
wertvoll sein, aber doch nur pathologisch - anatomisch, viel seltener,
wenn überhaupt, auch forensisch-medizinisch. Es brauchte des¬
halb eine Rücksichtnahme in dieser Richtung nicht allein aus¬
schlaggebend zu sein, um einerseits die Magen- and Zwölffinger¬
darm-Sektion in der bisherigen Form beizubehalten, anderseits
die wünschenswerte Herausnahme des Magens und Darmkanals
in toto zu hindern. Diese Rücksichtnahme ist um so weniger
nötig, wenn man erwägt, dass die Papille anch ohne Konstatierung
der Ausflussmöglichkeit der Galle durch Kompression der Gallen¬
blase auffindbar ist. Jedenfalls reichen Angaben wie „vier Finger
breit unterhalb des Pylorus“ und „ein kleiner, in der Längsachse
verlaufender Wulst“ (Nauwerck 1. c. S. 103) zur Auffindung aus.
Noch sicherer wird Orths Direktive führen, laut welcher man
den leicht zu fühlenden Kopf des Pankreas aufsucht, den Darm
in der Querrichtnng anspannt und dann etwas nach unten von der
Mitte des Pankreaskopfes die Papille leicht erkennt.
702 Dr. Placzek: Bia deutsches geriehtsärztliches Leichenöffnungsverfahren.
Mein Vorschlag geht deshalb dahin, im zukünftigen Regulativ
Magen und Darmkanal (event. auch die Speiseröhre) im Zusammen¬
hang herauszunehmen, in Vergiftungsfällen aber die Speiseröhre
unbedingt in diesem Zusammenhänge zu lassen. Die entsprechende
Bestimmung würde etwa folgendermassen lauten:
„Nachdem die einzelnen Abschnitte des Magendarmkanals äusserlich auf
Ausdehnung, Farbe und sonstiges Aussehen geprüft worden sind, wird das Ge¬
kröse mit einem Messer dicht am Darm abgeschnitten. Es geschieht dies in der
Weise, dass das Messer, während der Darm kräftig angespannt wird, fast senk¬
recht zur Richtung des Darmes schnell hin und her bewegt wird. Ist so der
ganze Dünndarm bis zum horizontalen Teile des Zwölffingerdarmes herausge¬
nommen, so wird dieser von Leber und Bauchspeicheldrüse gelöst, ebenso die
kleine Magenki'ümmung und der noch am Magen haftende Teil der Speiseröhre
von ihren Verbindungen.
Nun wird zunächst der Magen von der Speiseröhre aus an der grossen
Krümmung aufgeschnitten, der Inhalt mit Schöpfbecher entfernt und auf Farbe,
Geruch, Konsistenz, chemische Reaktion geprüft, die Schleimhaut des Speise¬
röhrenendes und des Magens auf Farbe , Dicke, Schleimbelag, Glätte und Blut¬
gehalt untersucht. Des Weiteren wird der Zwölffingerdarm an seiner vorderen
Seite, der Dünn- und Dickdarm an der Ansatzstelle des Gekröses auf geschnitten,
abgespült, ausgebreitet. Der Darminhalt wird auf Farbe, Konsistenz, Geruch
geprüft. Es wird die Mündungsstelle des Gallenganges aufgesucht und die
Schleimhaut nach Farbe, Dicke, Schleimbelag, Zotten, Falten und Drüsen
betrachtet. Der Wurmfortsatz ist aufzuschneiden.
Das Gekröse wird an der Wurzel abgetrennt, auf Farbe , Dicke unter¬
sucht und mehrfach eingeschnitten. u
E. Es folgt nun die Herausnahme von Leber und Bauch¬
speicheldrüse. Darüber bestimmt
Preussen: „Die Leber wird zuerst äusserlich in ihrer natürlichen Lage
beschrieben and, nachdem gegebenenfalls die Untersuchung ihrer Ausführungs-
gänge stattgefunden, heraasgeschnitten. Durch lange, quer über das Organ
gelegte glatte Schnitte wird der Blutgehalt und das Verhalten deB Parenchyms
festgestellt. Bei der Beschreibung ist stets eine kurze Mitteilung Uber das
allgemeine Verhalten der Leberläppchen, namentlich Uber das Verhalten der
inneren und äusseren Abschnitte derselben zu geben.“
Bayern: Die Leber ist „von dem Zwerchfell und ihren Verbindungen
mit anderen Teilen unter zweimaliger Durchtrennung der unteren Hohlvene in
lösen und dann durch lange, quer durch daB Organ gelegte Schnitte anf den
Blutgehalt und das Verhalten des Parenchyms zu untersuchen. Auch ist dabei
auf die Gallenblase zu achten and dieselbe anzuschneiden.
b) Zuerst, wenn es angezeigt ist, wendet man sich an die Porta hepatis,
präpariert hier die Gallengänge und prüft sie auf ihre Durchgängigkeit,
etwaigen Inhalt etc.An der Leber wird durch lange, quer durch das
Organ gelegte, glatte Schnitte der Blntinhalt und das Verhalten des Paren¬
chyms festgestellt, auch eine kurze Mitteilung über das Verhalten der Leber-
läppohen, namentlich übor die Unterschiede in ihrem Zentrum und in ihrer
Peripherie gegeben.“
Sachsen: Bei der Untersuchung der drüsigen Organe der Unterleibs¬
höhle (Leber, Milz, Bauchspeicheldrüse) ist auf das Verhalten der Kapseln zu
achten und das Volumen, die Konsistenz und bei Abweichung von der Norm
das Gewicht derselben festzustellen. Es sind weiter durch die Organe aus¬
giebige Schnitte zu legen, um die Beschaffenheit der Schnittflächen nach Farbe,
Konsistenz und Blutgehalt zu bestimmen.“
Württemberg: „Nun wird die Leber heransgeschnitten, nachdem ihre
äussere Beschaffenheit und das gegenseitige Verhalten ihrer Lappen ermittelt
sind. Auf langen querlaufenden Schnitten unter sucht man das Verhalten des
Gewebes, die Beschaffenheit, sowie die Füllung der Blutgefässe und der Gallen¬
gänge. Jetzt kann auch das Gefüge, die Farbe und Gestalt der Bauchspeichel¬
drüse festgestellt werden.“
Sachsen - Weimar - Eisenach: „Grösse und Form der Leber, die
Atu Versammlungen and Vereinen.
703
Beschaffenheit der Kapsel and der Schnittflächen ist anzugeben, auf Fett¬
beschlag der Messerklinge za achten. Die Untersnchnng der Gallenblase, der
grosseren Gallengänge and Gefässe innerhalb der Leber bildet den Schloss.“
Baden, Mecklenburg - Schwerin, Anhalt, Brannnchwelg,
Schwarzburg - Sonderehaueen stimmen mit Preassen überein.
Es dürfte unerheblich sein, welche dieser Bestimmungen in
das zukünftige Regulativ übergeht, da sie doch wesentlich nur im
Wortlaut ab weichen. Hinzuzufügen wäre, was Sachsen-Weimar-
Eisenach ausdrücklich erwähnt, dass auf Fettbeschlag der Messer¬
klinge zu achten ist, und ferner die Orthsche Anweisung über
die Herausnahme des Organs. Hiernach wird dieses am besten
am rechten Lappen in die Höhe gehoben und von allen Befesti¬
gungen bis zur Mitte der Wirbelsäule losgetrennt. Man legt dann
den rechten Leberlappen über den rechten Rippenrand und durch¬
schneidet, indem man nunmehr den linken Leberlappen in die Höhe
hebt, die noch vorhandenen Befestigungen.
Ob die Bauchspeicheldrüse in der Bauchhöhle oder nach
ihrer Herausnahme aus dieser eingeschnitten wird, dürfte auf
eins herauskommen. (Schloss folgt.)
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die Hamburger allgemeine Ausstellung für
hygienische Hilchversorgung unter besonderer Berück¬
sichtigung der die Medizinalbeamten interessierenden
Fragen.
Ia den folgenden Zeilen soll es nicht meine Aufgabe sein, eine irgendwie
amfassende and erschöpfende Uebersicht über die gesamte Ausstellung za geben,
deren Tendenz ja nicht ganz ausschliesslich nur auf sanitäre Bestrebungen and
Interessen gerichtet war, aach will ich an dieser Steile nicht ihre hohe allge¬
meine Bedeutung beleuchten, sondern ich verfolge lediglich die Absicht, aus
der bunten Menge der zur Ausstellung gelangten Dinge diejenigen herauszu-
heben and za besprechen, welche besonders im Hinblick anf §. 79 der Dienst¬
anweisung den Medizinalbeamten za interessieren mir geeignet erscheinen. Nor
eine karze Bemerkung allgemeiner Art sei mir gestattet. Während der Aus¬
stellungstage las ich in einem grossen Hamburger Blatte die Auslassungen
eines Berichterstatters, dem wohl der Lokalpatriotismus die Augen leicht ge¬
trübt und das kritische Vermögen etwas verwirrt haben musste. In jenem
Blatt stand nämlich zu lesen, wie jedermann beim Betreten der Ausstellung
von der enormen Reichhaltigkeit des Gebotenen und der hervorragenden Ueber-
siohtlichkeit überrascht sein musste. Nun, über die Reichhaltigkeit liesse sich
ja streiten. Je nach dem Grade der Bescheidenheit des einzelnen Beurteilers
wird dem einen überwältigend erscheinen, was der andere vielleicht als etwas
dürftig bezeichnen wird; hinsichtlich der Frage der Uebersichtlichkeit kann es
aber meines Brachte» nur eine Ansicht geben, nämlich die, dass darin die Aus¬
stellung allerlei zu wünschen übrig liess. Vielleicht wäre es auch richtiger
gewesen, in etwas weniger volltOniger Weise, als es von gewisser Seite ge¬
schah, die Ausstellung schon im voraus in einigen Fachblättern zu besprechen;
ihre hohe Bedeutung und die Tatsache, dass von ihr gewiss für eines der
wichtigsten und am meisten brach liegenden Gebiete der Volksernährung und
der Volksgesundheit eine nachhaltige Forderung ausgehen wird, wird niemand
bestreiten wollen, aber so manches, was mau in einigen präliminarischen Be¬
richten las, kann mau nachträglich beim besten Willen nicht unterschreiben.
Auf eine künstlich hochgeschraubte Erwartung ist noch stets die Ernüchterung
gefolgt. Umgekehrt verlangt es aber die Billigkeit, den FleisB und die Um¬
sicht ansuerkennen, welche nötig waren zur Ueberwindung aller jener dem
erstmaligen Zastandebringen eines so einzigartigen Unternehmens sich ent¬
gegenstellenden Schwierigkeiten; und dass von den meisten an den Vorarbeiten
704 Ans Versammlungen und Vereinen.
beteiligten ein emsiger Fleiss anfge wendet ist, kann ich ans eigener Erfahrung
versichern.
Eine im eingangs angedenteten Sinne systematische Besprechung des
Au3stellangsmateriale8 hat sich zunächst dem eigentlichen Produktionsorte der
Milch, dem Kuhstall znznwenden. Es war auf dem Ausstellungsterrain ein
nach den neuesten Erfahrungen konstruierter, für 40 Kühe berechneter Muster¬
stall von der Firma Hüttenrauch in Apolda aufgestellt, in welchem in Be¬
zug auf Reinlichkeit, Jaucheabführung, Ventilation und Helligkeit weitgehenden
hygienischen Anforderungen entsprochen war. Das helle, luftige und saubere
Innere des Stalles stand in einem wohltuenden Gegensatz zu dem, was man
sonst in den ländlichen Kuhställen, namentlich bei kleineren Besitzern zu sehen
gewohnt ist. Die Wände waren bis über Mannshöhe mit Porzellanemaillefarbe
gestrichen, jede geringste Verunreinigung daher an ihnen sichtbar und leicht
abznwaschen. Selbstverständlich waren Fussboden und die Gänge aus undurch¬
lässigem Material hergestellt, die Krippen aus glasierter Chamotte besw.
Ton. Zur leiohteren Säuberung des Stalles waren alle scharfen Winkel und
Ecken sorgfältig vermieden. Die Ventilation war in der Weise vorgesehen,
dass zum Eintritt frischer Luft in der Aussenmauer Kanäle eingebaut waren,
in welche die Luft durch verstellbare Klappen in die Fensterlaibnng eintrat
und in der Richtung nach der Decke geleitet wurde. Zum Ableiten ver¬
brauchter Luft, sowie zum Zuführen vorgewärmter frischer Luft dienten Luft¬
schächte aus Ziegelsteinen mit Isolierung, Luftaustrittkasten und Ventilations¬
säulen. Die Fenster waren mit Kippflügeln versehen und es war durch seitliche
Schutzbleche dafür gesorgt, dass die Tiere nicht unmittelbar vom Luitsuge
getroffen werden konnten. Das Fehlen von Waschgelegenheit für das Melk¬
personal und einiger anderer zu einem Musterstall gehörender Details lag wohl
in der relativ geringen räumlichen Abmessung des Stalles begründet. Viel¬
leicht wurde aus diesem Grunde auch nicht dem Aussteller der grosse vom
Preussischen Landwirtschaftsministerium gestiftete und überhaupt nieht zur
Verteilung gelangte Geldpreis, sondern nur der zweite Preis zuerkannt. Die
acht Standreihen für je 5 Kühe waren in vier verschiedenen Ausführungen her¬
gestellt, und zwar eine nach dem holländischen System, an dem die Art
der Jaucheabführung besonders bemerkenswert ist. Der kurze Stand wird von
einer schmalen tiefen Rinne abgegrenzt, in welche, wenn die Kühe vor der
Krippe stehen, die flüssigen und festen Fäkalien fallen. Es wird dadurch er¬
reicht, dass sich die Tiere beim Liegen nie die Hinterteile und Euter mit Ex¬
krementen beschmutzen können. Angeblich werden die Tiere durch diese Ein¬
richtung in keiner Weise belästigt; sie gewöhnen sich insofern sehr schnell
daran, als sie das Zurücktreten beim Hinlegen, durch das sie mit den Hinter¬
beinen in die Rinne geraten würden, bald vermeiden lernen. Ob das System wirk¬
lich das ideale darstellt, erscheint mir aber doch noch etwas zweifelhaft; denn
wenn auch einerseits eine grosse 8auberheit der Tiere im Gegensatz zu allen
anderen Systemen unbedingt gewährleistet ist, so scheint es doch anderseits,
als ob die Tiere mit ihren teilweise frei in der Luft schwebenden Hinterteilen
unbequem liegen. Auch halte ich die tiefen Rinnen für das Stallpersonal nicht
für ganz gleichgiltig und ungefährlich.
Ein sehr instruktives und exaktes Modell seines Mustermilchstalles mit
Meierei-Einrichtung hatte E. Li pp er t -Hohenbüchen ausgestellt. Daeraneh
die Ausstellungsbesuoher zu einer Besichtigung seiner Ställe eingeladen hatte,
so bot sich die Gelegenheit, einen im wahrsten Sinne des Wortes musterhaft
eingerichteten Stall mit einem tadellos geschulten Personal ans eigener An¬
schauung im Betriebe kennen zu lernen. Neben der peinlichen Sauberkeit, die
in diesen Ställen herrschte, den guten Ventilationsvorrichtungen, der reichlichen
Waschgelegenheit für das Melkpersonal, verdienen eine besondere Beachtung
die Vorkehrungen, welche in der Stallluft eine Verbreitung von Heu- und
Futterbazillen, die bekanntlich für die Milch eine besondere Gefahr bedeuten,
zu vermeiden suchen. Zu diesem Zweok gelangen die Futter- und Streu¬
materialien vom Stallboden durch eine grössere Anzahl von dichten Hoin-
sehächten an die Kuhstände heran und werden hier möglichst vorsichtig aus¬
gebreitet und verteilt Die Staubentwickelung durch Heu, Stroh und dergL
ist dadurch in der Tat eine sehr geringe, und um auch die wenigen bei diesem
MeduB in die Stallluft gelangten Keime von der Milch fernzuhalten, ist die
Anordnung getroffen, dass die Verteilung von den genannten Materialien stets
Au Versammlungen and Vereinen.
706
nar eine Reihe von Standen yor dem Molken geeehehen darf, so dass etwaige
Keime Zeit haben, an Boden za sinken. Aach die sonstigen aaf eine möglichst
reinliche Qewinnang der Milch absielenden Anordnungen sind als mnstergiltig
an bezcichnon. Das Melkpersonal ist z. B. mit weissen Schürzen and Mützen
bekleidet; es ist selbstverständlich verpflichtet, vor dem jedesmaligen Melken
die Hände sorgfältig za sänbern; auch die Eater der Kühe werden vor dem
Melken regelmässig mit reinen trockenen Tüchern gereinigt. Durch alle diese
Massnahmen, die noch durch eine rationelle Kühlung der Milch und durch die
seitens eines beamteten Tierarztes geübte ständige Ueberwachnng des Gesund¬
heitszustandes und der FUtterangsart der Kühe wirksam unterstützt werden,
hat es Herr Lippert erreicht, eine Milch nach Hamburg zu liefern, die an
Güte und Reinheit z. Z. wohl nicht mehr übertroffen werden kann. Ich habe
ungefähr während eines halben Jahres, das sich zum Teil auch über die Sommer¬
monate erstreckte, Gelegenheit gehabt, diese Milch ein- bis zweimal wöchent¬
lich auf ihre Haltbarkeit und ihre bakterielle Beschaffenheit zn untersuchen.
Die Befände waren derartige, dass ich anfangs kaum glauben wollte, es mit
nicht pasteurisierter Milch za tan za haben, da Keimzahlen von 600—600 pro
Kabikzentimeter verschiedentlich za beobachten und höhere als 8000—4000
seltene Ausnahmen waren. Die stets zum Vergleiche mit untersuchte Markt¬
milch enthielt dagegen fast nie unter 600000 Keime, sehr häufig 8—4 Mil),
und vereinzelt sogar 20—30 Millionen. Naturgemäss ging die Däner der Halt¬
barkeit der Milch diesen Keimzahlen parallel. Der Preis für die Li pp er t-
sche Milcb, die nur in plombierten Literflaschen zur Stadt geliefert wird, be¬
trägt pro Liter trotz der kostspieligen Fütterung der Kühe und der subtilen
Gewinnung und Kühlung nur 30 Pfg., wobei allerdings nicht verschwiegen sein
darf, dass dies die Selbstkosten sind. Herr Lippert betreibt nämlich seine
Milchwirtschaft aus Liebhaberei und will keinerlei Gewinn aus ihr enielen.
Wie e>>en erwähnt, werden in dem Lippertschen Stall die Euter der
Kühe vor dem Melken mit trockenen Tüchern gereinigt. Hinsichtlich der Frage,
in welcher Art die Enterreinigung am rationellsten vorzunehu en ist, d. h. so,
dass beim Melken einerseits keine Keime vom Euter herabfallen und in die
Milch gelangen, anderseits aber auch keine entzündlichen Reizungen am Enter
entstehen können, gab Prof. Dr. Ostertag vom hygienischen Institut der
Berliner tierärztlichen Hochschule in seinem lehrreichen auf der Ausstellung
gehaltenen Vortrage: „Ueber die Regelung des Milchverkebrs vom hygienischen
Standpunkte“ eine sehr bemerkenswerte Anregung. Bekanntlich reagieren die
Euter anf Waschungen mit Entzündungserscheinungen, deshalb wird in der
Schweiz seit längerer Zeit ein Verfahren geübt, dass in folgenden Akten
besteht:
1. Grobe Reinigung der ganzen Euteroberlläehe und der Umgebnng (be¬
nachbarte Teile, Hinterscfaenkel) mit den Händen.
2. Einfetten der ganzen Enteroberfläche and der Umgebnng mit einem
Wolltuch, (las leicht angefettet ist.
3. Reinigung der Hände des Melkers mit Seife und Wasser.
4. Wegmelken der ersten Kubikzentimeter in die Streu.
Wird so vorgegangen, so lässt sich eine keimfreie Milch erzielen. Wie
Herr Prof. Ostortag mir vor kurzem brieflich mitzuteilen die Güte hatte,
konnte er sich bei der Herstellung von Milchnährböden von der Brauchbarkeit
des Verfahrens zur Gewinnung steriler Milch überzeugen. Nachdem ich einen
Stallbesitzer gefunden habe, der sich bereit erklärt hat, nach dieser Methode
eine Zeitlang melken zu lassen, bin ich zar Zeit in dem hygienisch - bakterio¬
logischen Laboratorium der hiesigen Königl. Regierang mit der Bearbeitung
der noch offenen Frage nach der bakteriellen Eigenschaft von Milch beschäf¬
tigt, welche nach dem Verfahren nnter gewöhnlichen Stallverhältnissen
gewonnen ist. Von dem Ausfall dieser Untersuchung und den sonstigen in der
Stallpraxis gemachten Erfahrungen soll cs abhängen, ob wir künftigbin im
diesseitigen Regierungsbezirk für die Anwendung eintreten wollen.
Die Wiener Molkerei, deren hervorragende und nngeteilten Beifall bean¬
spruchende Ausstellungsgegenstände später noch Erwähnung finden sollen, hat
nnter ihren wichtigsten Massnahmen zur Erzielung einer hygienisch einwand¬
freien Verkaufsmilch auch einige Vorschriften für eine rationelle Stall- and
Melkhygiene erlassen, die als recht nachahmenswert kingestellt werden können.
Die wichtigsten davon mögen hier folgen, sie lauten:
706
Ana Versammlungen and Vereinen.
a. Haitang der Ktthe.
1) Haitang der Ktthe in einem reinen, lichten, gnt ventilierbaren Stalle.
2) Reinlichste Haitang der Ktthe, Vermeidung der Enter • Veranreinignng,
tägliches Striegeln and Bttrsten der Ktthe.
3) Tägliche Entfernung des Düngers ans dem Stalle, Verwendung guter and
reiner Streu.
4) Genaue Einhaitang der Patter- and Melkzeiten.
5) Tägliche Bewegung der Ktthe im Freien bei günstiger Witterang.
b. Fütterung der Ktthe.
1) Aassohlass eines jeden verdorbenen oder stark riechenden oder sonst nicht
normalen Futtermittels.
2) Ausschluss von Mais- oder Kartoffelschlempe, eingesänertem Mais, gähren-
den Biertrebern n. a.
3) Aenderung der Fütterung beim Auftreten eines auf die Futtermittel
zarttckzaftthrenden Milchfehlers.
o. Melken, Behandlung and Ve rsendang der Milch.
1) Reinigung der Eater vor dem Melken.
2) Vornahme des Melkens mit reinen Händen.
3> Vornahme des Melkens vor der Fütterung oder mindestens eine halbe
Stunde nach derselben.
4) Sorgfältiger Schatz der Milch vor jeder Veranreinignng; rasches Entfernen
der Milch ans dem Stalle; Seihen derselben unmittelbar nach dem Melken
mittelst Sieb and Seihtuch; möglichst rasche Abktthlnng der Milch anf 6
bis 8 0 G. Aufbewahrung der Milch in einem gnt ventiliertem Ktthlraam
(Milchkammer) bei einer Temperatur von 6—8° G. bis znr Versandzeit.
5) Verwendung von sanitär einwandfreien, gut gereinigten Milch-Transport-
kannen.
c. Vorschriften bezüglich des Personals.
1) Verwendung vollkommen gesander Personen bei der Gewinnung und Be¬
handlung der Milch. Ausscbliessung solcher, welche an Tuberkulose,
Haut- nud anderen Infektionskrankheiten leiden.
2) Aasschliessung solcher Personen vom Dienste im Hofe, in deren Wohnung
eine Infektionskrankheit, z. B. Scharlach, Masern, Diphtherie, Blattern
eingetreten ist, bis zum vollständigen Erlöschen einer Infektionsgefahr.
3) Sofortige Einstellung der Milchlieferung bei Auftreten von Typhus auf
einem Gehöfte und Sohadloshaltung des Genossenschafters durch die
Wiener Molkerei.
Man steht heute mit Reoht noch allgemein auf dem Standpunkte, die
auch bei den reinlichsten Melken gewonnene Milch zu seihen oder zu fil¬
trieren, um Bie von etwa hineingeratenen Schmutzt ei len zu befreien.
Seit Jahren bat die Molkereitechnik, um die diesen Zweck nur unvollkommen
erfüllenden Seihtücher zu ersetzen, die verschiedenartigsten Milchsiebe und
Milchfilter auf den Markt gebracht, nnd neuerdings wird dabei ein im Hinblick
auf den Bakteriengehalt bezw. die Haltbarkeit der Milch ganz überaus wich¬
tiges, leider aber immer noch längst nicht genügend gewürdigtes Moment mehr
nnd mehr berücksichtigt. Alle älteren, aber auch jetzt noch vielfach im Ge¬
brauch befindlichen Filter, ob sie nun aus Draht- oder Haarsieben bestanden,
oder ob sie sich ans zwei oder drei zu einandergestellten Siebplatten zusammen¬
setzten, krankten nämlich an dem Fehler, dass die Milch mit mehr oder weniger
starkem Drnck, d. h. durch den Flttssigkeitssänlendruck durch die Siebe ge¬
presst wurden. Dabei kann es nun nicht ausbleiben, dass namentlich bei der
Filtration grösserer Milchmengen durch ein und dasselbe Filter die auf den
Sieben anfangs zurückgehaltenen Kotpartikelchen oder sonstige auflösbare
Schmutzbestandteile von den nachfolgenden Milchmengen allmählich zerrieben
werden und nun in feinsten Teilchen ungehindert die Sieböffnungen passieren.
Es leuchtet ohne weiteres ein, dass eine so filtrierte Milch wohl von gröberen
Schmutzbestandteilen frei sein kann, während sie in bazillärer Hinsiebt und in
besag auf Haltbarkeit als höchst zweifelhaft bezeichnet werden muss und unter
Umständen viel bedenklicher sein kann, als eine überhaupt nicht geseihte oder
filtrierte. Diese Kalamität bei der Filtration lässt sich in zweierlei Weise
umgehen.^ Einmal dadurch, dass man die Milch ohne jeglichen Druck ein enges
Sieb panieren lässt, so dass sie nur durch ihre eigene Schwere hindurchfliesst.
Diese Filtrationsmethodik repräsentierten auf der Ausstellung das vom Tier-
Ans Versammlungen and Vereinen.
707
arzt Levens erfundene and von der Firma Levens & AndrA in Goch ver¬
triebene Patent-Hilchsieb and ferner das Schebensohe Milehsieb. Beide
haben sich in der Praxis schon gat bewährt. Wählt man anderseits das Filter¬
material so dicht, dass feinste Schmatzpartikelchen nicht mehr passieren
können and ohne dass dabei dnrch Verstopfen der Filterporen die quantitative
Leistungsfähigkeit za schaell erschöpft wird, so wird ein solcher Apparat
ebenfalls zweckentsprechend sein. In dieser Weise ist der Ul and ersehe
Milchreiniger, bei dem das wirksame Prinzip die Anwendung von einer oder
zwei zwischen zwei bezw. drei Siebplatten befestigten Wattescheiben darstellt,
konstruiert. Prof. Dr. Vieth, der Direktor deB milchwirtschaftlichen Insti¬
tutes Hameln empfiehlt diesen Apparat aaf das wärmste and sagt, dass ihm
bisher keine Reinigangsvorrichtang für Milch näher bekannt geworden ist,
welche ihren Zweck in gleich einfacher and gleich vollkommener Weise er¬
reichen lässt. Aach die quantitative Leistangsfähigkeit befriedigte durchaus,
insofern als ent nachdem 120—150 Liter Milch das Filter passiert haben, die
Anwendnng einer neuen Filterscheibe notwendig wird. In ganz ähnlicher,
sogar noch etwas einfacherer Weise arbeitet der von F. Pittias ansgestellte
hygienische Milchreiniger „Freya“, bei dem nnr eine Wattescheibe, die zwischen
Metallscheiben aas gelochtem Blech angebracht ist, zur Verwendung kommt.
— Einen Versach, jede Seih- and Filtriervorrichtang annOtig za machen und
dnrch einen entsprechend konstruierten Melkeimer za ersetzen, stellt der
WertgenBche Sicherheitsmelkeimer, Purificator“ dar. Die Milch läaft
bei ihm daroh eine hinreichend grosse Oeffnang zunächst durch ein gröberes
Sieb, dann darch ein feines Haarsieb. Beide Siebe können mit einem Griff
abgenommen, aaseinandergezogen and in Wasser gereinigt werden. Am Ans¬
guss findet sich ein luftdichter Verschloss. Ich mochte die Anwendung eines
solchen Eimers dann als einen Fortschritt ansehen, aber auch nur dann, wenn
bei seinem Gebrauch streng darauf geachtet wird, nach dem Melken jeder ein¬
zelnen Kuh die Siebreinignng in reinem Wasser vorzunehmen; dagegen mOchte
ich nicht den Filtrier-Zentrifugen, die neuerdings verschiedentlich empfohlen
werden und auch in der Ausstellung vertreten waren, das Wort reden. An¬
geblich ist mit ihnen, ohne dass Entrahmung eintritt, eine genügende Heini-
gang der Milch za erzielen. Ich kann mir das .nicht vorstellen, am aller¬
wenigsten dann, wenn sie fttr den Handbetrieb eingerichtet sind, da man mit
etwa 600 Umdrehungen in der Minnte unmöglich die leichtesten Scbmntzteile
aus der Milch herauszentrifugieren kann.
In diesem Zusammenhänge sei noch der Desinfektion von Milch¬
viehstallungen gedacht. Leider bot die Ausstellung nichts, was die Unzu¬
länglichkeit der bisherigen Desinfektionsverfahren zu vervollkommnen geeignet
gewesen wäre. Da die Milch bekanntlich gegen Aromata irgend welcher Art
sehr empfindlich ist und leicht deren Geschmack und Geruch annimmt, so ergibt
sich — unter selbstverständlicher Voraussetzung eines guten Effektes — als
Haupterfordernis einer für Kuhställe sich eignenden Desinfektionsmethode not¬
wendigerweise die Gernchlosigkeit der znr Desinfektion verwendeten Mitte).
Annähernd ebenso wichtig ist die Ungiftigkeit. Erst in dritter Linie kommt
es auf die Einfachheit und Handlichkeit der anzuwendenden Apparate an.
Die ausgestellten einschlägigen Apparate, z. B. der LflbbeckeBche, ein nach dem
Prinzip des Heronsballes arbeitende 3prayapparat, waren als zweckentsprechend
zu bezeichnen, nicht aber die von den Ansstellern vorgeschlagenen Desinfektions¬
mittel, mit welchen die Apparate arbeiten sollten. Heisse SodalOsung versprüht,
ist in ihrer desinfizierenden Wirkung ebenso unsicher wie parfümierter Nitro¬
benzol. Chinosol ist aber für Ställe im allgemeinen unbrauchbar, weil es
Eisenteile stark angreift. Aus diesen Gründen musste auch die gestellte Preis¬
aufgabe: „Desinfektionsverfahren für Milchviehstallungen“ als nngelOst be¬
trachtet werden. So lange wir keine für die allgemeine Anwendnng brauch¬
bare Desinfektionsmethode haben, wird zn deren Ersatz darauf hinzuwirken
sein, die Ställe so einzurichten, dass sie der mechanischen Reinigung leicht
zugänglich sind, womit aber nicht gesagt sein soll, dass dies nicht unter allen
Umständen anzustreben wäre. A1b Muster in dieser Hinsicht konnte der er¬
wähnte Hüttenrauchsohe Stall dienen. Auch der altbewährte Kalkanstrich,
welcher den Tieren nicht schadet, wohl aber alles sich ansetzende Ungeziefer,
und sei es auch nur Fliegenbrut, vernichtet, keinen unangenehmen Geruch
hinterlässt, welcher auf die Qualität der Miloh nachteiligen Einfluss ansübt,
706
Aas Versammlungen und Vereinen
wirt vorteilhaft snr Desinfektion heranzusiekea sein; wer ihn oft erneuert,
übt eine wirksame Prophylaxe.
Wenn ich bei einigen Punkten der MUebgewinnnng etwas länger ver¬
weilt habe, so geschah das in wohlüberlegter Absicht. Enthält das andeutungs¬
weise Besprochene auch nur die Hinweise auf die elementarsten örnndsätse der
Milchgewinnung, so sind sie doch auch gleichzeitig die wichtigsten, nnd
die sanitäre Beanfsichtignng der Milchwirtschaft hat diese Verhältnisse
besonders ins Ange an fassen. Mit Recht wird daher auch neuerdings
bei der gesamten Milehprodnktion, vornehmlich der der Kindermilch, der
Hauptwort auf die saubere nnd einwandfreie Gewinnung gelegt; ist erst
einmal im Stalle die Milch verschmutzt, so ist sie durch kein Mittel der Welt
wieder su einem wohlschmeckenden und bekömmlichen Nahrungsmittel umzu¬
gestalten. Zum Glück finden aber hier die sanitären Bestrebungen bis su einem
gewissen Grade eine Stütze am pekuniären Interesse der Produzenten selbst,
denn nur eine saubere Milch lässt beim Versand an Molkereien und Milchhändler
oft grosse Verluste vermeiden, und bei der Gewinnung der allein gutbezahlten
erstklassigen Butter spielt die Sauberkeit des Rohmaterials die Hauptrolle und
eine vielleicht noch grössere in der Käserei.
Dem Melken hat sich bekanntlich, sofern nicht die Milch am Produktions¬
orte selbst sofort weiter verarbeitet wird, unmittelbar die Kühlung der
Milch anzuscbliessen; es ist zu fordern, dass sie auf mindestens 12° C.
gekühlt wird, ehe sie zum Transport gelangt. Ueber die zur Ausstellung ge-
langten Kühlapparate ist im allgemeinen nichts Besonderes zu berichten. So¬
wohl die kleineren für die Produktionsart der Milch bestimmten, welche die
für den Transport notwendige Temperaturerniedrigung bezwecken sollen, als
auch die grösseren für die Sammelmolkereien waren, soweit ich mich unterrichten
konnte, nur in den bekannten Formen —Röhrenkühler nach Lawrence schein
System und Schmidt scher runder Kühler mit gewellter Blech wand — ver¬
treten. Neu war nur der von Sem ml er & Gsell in Düsseldorf ausgestellte,
einen enormen Kälteeffekt erzielende Berieselungsmilcbkühler, in dem die
Kälteerzeugung durch Verdampfung von Schwefeldioxyd geschieht. Gelegentlich
der Besprechung der Milchkühlung sei aber nachdrttcklichst bingewiesen auf
die Ausstellungsgegenstände der „Gesellschaft für allgemeine hygienische Milch¬
versorgung“ in Berlin, dorrt» System einer hygienischen Milchversorgung als
prinzipielle Grundlage die Tiefkühlung der Milch hat. Der Leiter der Gesell¬
schaft, der bekannte Milchtechniker Ingenieur Wilhelm Helm in Berlin, bat
in einer sehr sehr lesens- und beherzigenswerten Arbeit, die in der im Aufträge
der wissenschaftlichen Abteilung der Ausstellung herausgegeberen Festschrift:
„Die Milch und ihre Bedeutung für Volkswirtschaft und Volksgesundheit“
veröffentlicht ist, die Vorzüge des Verfahrens der Milchtiefktthlung in
Ueberzeugung dargelegt. Diese Vorzüge der Neuorganisation basieren in erster
Linie darauf, dass die Arbeiten der Milchversorgnng auf einen viel grösseren
Zeitraum, als es bisher möglich war, verteilt werden können; denn die tief¬
gekühlte Milch ist von grosser Haltbarkeit und nicht mehr ein Handelsartikel,
der mit aller Hast vertrieben werden muss, will man nicht durch sein Ver¬
derben empfindliche Einbussen erleiden. Die Molkereien, welche das neue
System eingeführt haben, arbeiten in der Weise, dass sie die eingelieferte
MUch durch Kältewirkung haltbar machen, den Tag über aufbewahren und am
nächsten Tage vor Einlieferung der frischen MUch verkaufen oder versenden.
Wer daher einen solchen Betrieb besichtigt, erhält den Eindruck, als ob die
Molkereien die MUch eher verkaufen, als Bie solche erhalten. Die gewonnenen
VorteUe sind so bedeutend, dass die Betriebsführung mit der Kältemaschine
auch im Winter aufrecht erhalten wird. Eine derartige Organisation des
Betriebes mit ihrer Rahe und Ordnung ermöglicht natürlich eine ganz andere,
viel sorgfältigere und subtilere Behandlung der Milch und auch ihrer Trans-
portgefässe, als man sie ihnen in anderen Molkereien angedeihen lassen kann,
in denen Anlieferung, Prüfung und Verteilung der Milch sowie Reinigung der
Transportgefäsae, also fast die ganze Arbeit sich auf wenige Vormittagsstunden
zusammendrän$t und in grösster Eile erledigt zu werden pflegt. Auch dem
Produzenten bietet die Neuorganisation, da die Milch erst viel später als
früher angeliefert su werden braucht, eine nicht zu unterschätzende Er-
leichtecang mancher Unbequemlichkeiten, die mit der Milcbgewinnung auf dem
Lande verknüpft sind. „Während sonst, namentlich im Winter, in sehr früher
Am Venamnlungea uad Vuebna
709
Morgenstunde bei der Lntene die Mi lob ermolken werden müsste, wobei und
reinliches Melken, gutes Ausmelken, reinliebe Behandlung der Milch kaum
Blicksieht genommen werden konnte, ist jetst fttr alle diese Arbeiten die nötige
Zeit gewonnen, und der strebsame Landwirt ist in die Lage versetzt, vor¬
zügliche Milch zu liefern und dadurch die Anwartschaft auf einen höheren
Preis zu gewinnen. * Um die Temperaturerniedrignng, welche die Milch in
der Zentrale erfahren hat, zu erhalten, sind zum Transport an die einzelnen
Milchhändler die Transportgefässe so konstruiert, dass eich die einzelnen Qefässe
dicht an dicht und dicht auf dicht stellen lassen, um dadurch einen einzigen
Milchblock zu bilden, der nun von oben und den Seiten her durch einfache
Isolierung mit Strohdecken oder dgl. vor Erwärmung leicht geschützt werden
kann. Um der Milch auch in den Verkaufslokalen die Kälte zu erhalten,
gelangen die Transportgefässe in einfache isolierte Aufbewahrungsräume. Zum
Verkauf der Milch werden die Transportgefässe mit einer einfachen Hebe¬
vorrichtung herausgehoben, mit einem Zapfdeckel versehen nnd umgekippt.
Alle diese Manipulationen können leicht und ohne Kraftanstrengung von
einer einzigen Person ausgeführt werden. Auf die geschilderte Weise ist der
geringste Verbrauch an Kälte gesichert; ein Umgiescen der Milch wird ver¬
mieden und damit die Möglichkeit ihrer Infizierung oder des Hin ein geratene
von Fliegen und anderen Insekten ausgeschlossen. Ueberall dort, wo das neue,
übrigens billig arbeitende Verfahren eingeführt ist, hat es sich schnell den
Beifall des Pablikums erworben und solche Mehreinnahmen zur Folge gehabt,
dass die Anschaffangskosten für die Kältemaschinen und Transportgefässe in
kurzer Zeit gedeckt werden konnten. Wer auf der Ausstellung den von der
Berliner Gesellschaft eingerichteten Milchausschank und die blitzsauberen
Verkaufsläden mit all ihren ebenso einfachen wie praktischen Einrichtungen
gesehen hat, wird sich der Ansicht nicht verschliessen können, dass es sich hierbei
um einen hervorragenden Fortschritt in der städtischen Milchversorgung handelt,
der als ein glänzendes Vorbild auf diesem anerkanntermassen ausserordentlich
bedeutungsvollem Gebiet bezeichnet werden kann.
In vortrefflicher Weise war das Milchtr aasportwesen in der Aus¬
stellung seitens einer Beihe von Firmen behandelt. Von Milchwagen nnd
Karren, welche bestimmt waren für Beförderung der Milch von der Produktions-
Stätte bis zur Eisenbahnrampe bezw. bis zum Geschäftslokal des Händlers und
für den Vertrieb der Milch im Stadtverkehr, war eine stattliche Zahl von
Exemplaren zu sehen. Ihre nähere Schilderung dürfte über den Rahmen dieser
Besprechung hinansgehen. Auch Miicktransportkannen waren in mannigfach
varierten Formen und Ausstattungen ausgestellt. Als beste konnte eine
Kollektion von gestanzten, nahtlosen mit Verzinnung versehenen und mit
Stechdeckel und Gummidichtung ausgestatteten angesehen werden. Interessant
war mir, dasB als zweckmäßigster Deckelverschlnss für Milcheimer im städtischen
Verkehr ein staub- und wasserdicht konstruierter Holzdeckel von den Preis¬
richtern bezeichnet wurde, und zwar, wie mir von kompetenter Seite mitgeteilt
wurde, besonders deshalb, weil nur ein bölzener Deckel nicht der Gefahr des
Vcrbeulens und infolge dessen der der Undichtigkeit unterliegt.
Von verschiedenen Firmen waren vollständige Molkereien mit
Beinigungs-,Pa8teurisiernng8-,Kühlungs-und Verarbeitungs¬
apparaten ausgestellt, in denen Behandlung und Vertrieb der Milch teils
im Original, teils in Modellen vorgeführt wurde. An der Spitze stand die
Wiener Molkerei, „die schönste Molkerei der Welt“, die in tadellos gearbeiteten
Modellen, Photographien und graphischen Darstellungen ein vollständiges Bild
ihrer grossartigen und interessanten Tätigkeit geboten hatte. Das, was
Modellen ja überhaupt an unmittelbarer Wirkung und Eindrncksfähigkeit ab¬
geht, ersetzte hier die minutiöse und anschauliche Darstellung des umfang¬
reichen Betriebes. Imposant wirkte die grosse Arbeitshalle, eines 75 m langen,
11 m breiten und durch zwei Stockwerko reichenden Raumes, in welchem den
hygienischen Anforderungen durch eine entsprechende Ansstattung sorgfältig
Rechnung getragen ist, insofern als die Verwendung von Holz ganz vermieden
ist, die Wände 2 m hoch mit glasierten Tonplatten verkleidet Bind, der
Fussbodeu aus starken heilen Klinkerplatten hergestellt und somit jede
Gelegenheit zur Staub- und Schmutzansammlung vermieden ist Für Luft und
Licht sorgen 48 grosse Fenster, nebenbei ist eine künstliche Ventilation ein¬
gerichtet. In der Halle befindet sich die grosse Milchtribüne, auf welcher
710
Aus Versammlungen nnd Vereinen.
Filter, Kühlapparate nnd Sammelbassins anfgestellt sind. Die Mileh wird nach
Kiesfiltration anf 4° C. herabgekfiblt nnd sofort entweder in Kannen gefüllt,
welche für grossere Kunden, sowie fflr die Ansschankmilch in den Filialen
bestimmt sind, oder nnd «war mm grösseren Teil in Flaschen gefüllt. Der
Milchverkauf anf offener Strasse wird ans hygienischen Gründen grundsätzlich
vermieden nnd fast die ganze Milchproduktion in plombierten Flaschen ab¬
gesetzt. Znr Zeit gelangen täglich ca. 30000 Flaschen znr Ansgabe. Es ist
nicht zu leugnen, dass vom hygienischen Standpunkte ans der Flaschenmilch¬
handel nnstreitig die vollendeste Art des Milchverkanfes darstellt. Dass ihm
anch an vielen anderen Orten allmählich mehr nnd mehr der Vorrang vor
allen anderen Verkanfsarten eingeränmt wird, ist als eine höchst erfreuliche
Ereoheinnng zn hegrüssen; als ein Beweis für seine znnehmende Beliebtheit
konnten anch anf der Ausstellung die zahlreichen Kollektionen von Milch¬
flaschen, FlaschenverschlüB8en sowie von Apparaten znr Flaschenfüllung nnd
Reinigung gelten. Der Verkauf von pasteurisierter Milch ans der Wiener
Molkerei ist nnr gering, da die dortige Bevölkerung gegen solche Milch znr
Zeit einen Widerwillen hegt nnd roher Milch den Vorzug gibt. Die Wiener
Molkerei legt ans diesem Grunde nm so grösseren Wert anf die hygienisch
einwandsfreie Gewinnnng nnd Behandlung der Milch, vom Melken angefangen
bis zum Verkaufe derselben.
Ueberhanpt sollte man davon zurückkommen, in der Milchpasteurisie-
rnng, deren allgemeine gesetzliche Einführung ja von mancher Seite bestimmt
verlangt wird, ein unbedingt sicheres Schutzmittel gegen gewisse Gefahren
des Milchgennsses zu erblicken. „Es lässt sich", wie Rnbner in seinem Ans-
stellungavortrage ansführte, „nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob die
Milch als Nahrungsmittel besser wäre, wenn sie nnr pasteurisiert in den Handel
gelange. Die pasteurisierte Milch hält sich länger, ehe sie sichtbare Ver¬
änderungen, die sie als Handelsware untauglich macht, eingebt. Voraussichtlich
wird der Detailhändler die pasteurisierte Milch eben auch länger aufbewahren
können und wollen. Er braucht sie nicht mehr so sorglich zu behandeln, wie
die nicht pasteurisierte Milch. Die schliesslichen Veränderungen sind aber
wesentlich andere, als die bei roher Milch. Diese wird sauer, dadurch ist
die Genussfähigkeit aufgehoben. Die pasteurisierte Milch macht aber zu¬
nächst unsichtbare und unmerkliche Verändernngen durch, die dem Kon¬
sumenten den Darm gründlich verderben können. Man sollte derartige Vor¬
schläge, die meist nur Vorteile nach einer Seite bieten, gründliehst überlegen,
wenn man nicht von der Scylla in die Charybdis gelangen will."
Der Hygieniker wird daher aus diesen und anderen Gründen die Miloh-
pastenrisierung nnr als einen Notbehelf, dessen wir aber leider z. Zt. noch
nicht entraten können, ansehen müssen und nur diejenigen Bestrebungen, welche
anf die Möglichkeit der Lieferung einer unverdächtigen Rohmilch an die Kon¬
sumenten hinanslaufen, mit wahrer Genugtuung verfolgen und hegrüssen können.
In besonderem Masse gilt dies fflr die Ernährung der Säuglinge, forderen
Organismus nur eine Milch im Rohzustände, nicht aber eine durch Einwirkung
hoher Wärmegrade in ihren biologischen, chemischen und physikalischen Eigen¬
schaften stark veränderte, als ein rationelles Nährmittel angesehen werden
kann. Wohlverdientes Interesse wurde daher allseitig dem von dem Leipziger
Privatdozenten Dr. med. Seiffert ausgestellten, höchst originellen Verfahren
gewidmet, bei welchem die Milch durch Bestrahlung mittels ultra¬
violettem Licht sterilisiert wird. In kurzem dargestellt ist das Ver¬
fahren folgendes: Die Milch wird möglichst sauber gewonnen, gelangt sofort
dnrch Glasheber aus dem Melkeimer in den Keimtötnngsapparat, d. h. eine
Anzahl von terrassenförmig angeordneten Gefässen, welche die Milch in einem
solchem Gefälle dnrcbfliesst, dass sie 2 Minuten der Einwirkungsdauer der
über den Gefässen befindlichen Belenchtungkörpern ansgesetzt sind. Der Be¬
leuchtungskörper besteht für jedes Gefäss aus einer von zwei Leydener Flaschen
gespeisten Funkenstrecke mit Aluminium oder Kadmiumspitzen, welche dnrch
den hochgespannten Strom eines Ruhmkor ff sehen Apparates versorgt wird.
War die Milch die angegebene Zeit der Bestrahlung ausgesetzt, so ist sie ab¬
solut steril. Sie wird dann in einen Ahfüllapparat in sterile Flaschen gefüllt,
so zwar, dass eine Luftinfektion dabei mit Sicherheit ausgeschlossen ist, auch
die Aufbringung von sterilen Staniolkapseln anf die Flaschen geschieht mit
Aas Versammlungen und Vereinen.
711
einer sinnreich konstruierten Maschine so, dass ein Hineingeraten von Keimen
in die Milch gans unmöglich ist.
Wenn sich das Verfahren, welches jetzt vorläufig noch den Eindruck eines
allerdings hochinteressanten wissenschaftlichen Experimentes macht, so gestalten
lassen wird, dass es in der Praxis relativ leicht durchführbar und im Betriebe
nicht zu kostspielig wird, so wird es, meine ich, einen Wendepunkt in der
ganzen Milchhygiene bedeuten.
Das vielnmstrittene, überaus schwierige Problem einer geeigneten Mager-
milohyerwertung bot natürlich auch auf der Ausstellung den vielen, die
sich um seine Lösung mühen, Gelegenheit, ihre einschlägigen Arbeiten und
Versuche vorzulegen. Die Ausstellnngsleitnng hatte mit ihrer Preisaufgabe:
„Verfahren snr Herstellung eines billigen Volksnahrnngsmittels ans Magermilch
evt. unter Mitbenutzung anderer Nährstoffe" den, glaube icb, einzig richtigen
Weg gewiesen, auf welchem sieh die Versuche einer rationellen Befreiung der
Molkereien von der Magermilchscbwemme künftig zu bewegen haben. Denn
gegen alle anderen Verwertungsarten, sei es zn Viehfntterzwecken, sei es zu
technischen Zwecken, lassen sich gntgegründete Bedenken erheben. Der für
Lösung der Preisaufgabe gestiftete Preis wnrde geteilt und es erhielt die
Schweizer Firma Streckeisen für kondensierte Magermilch, ungezuckert, offen
und in Flaschen, Magermilch ohne Zusatz und Magermilcbhafermehl, Lactaven
genannt, die grössere, und die Berliner Fabrik von E. Passburg für Mager-
milchpulver und Magermilchbrocken, die kleinere Hälfte. Mir möchte scheinen,
als ob derjenigen Richtung, welche die Herstellung eines wohlfeilen haltbaren
Volksgetränkes, das aber billiger oder wenigstens nichts teurer als Bier sein
müsste, zum Ziele hat, die Zukunft gehört. Diese Richtung war in beachtens¬
werter Weise mehrfach vertreten. Die Berliner „Adsella-Gesellschaft" z. B.
vertreibt einen gut schmeckenden Milehsekt zum Preise von 10 Pfg. für */ 10 Liter
und hat bereits ausser in Berlin in Stettin und Breslau ein gutes Absatzfeld
gefunden.
Wenn ich der sehr wohlgelungenen und gediegenen wissenschaft¬
lichen Abteilung anf der Ausstellung nicht gedacht habe, so geschah das
nicht etwa, weil ich ihren Wert unterschätze, sondern nur aus der Ueberzeugung,
dass mit einem kurzen Bericht darüber niemanden gedient sein kann. Ein
Bild der instruktiven Demonstrations- und Unterrichtsobjekte, der zahreichen
vorzüglichen pathologisch-anatomischen Präparate, der vielen graphischen Dar¬
stellungen statistischer Arbeit lässt sich zudem in Worten nicht wiedergeben;
sie wollten gesehen sein.
Schliesslich sei nochmals hingewiesen auf die schon erwähnte literarische
Beigabe zur Ausstellung, die Festschrift: „Die Milch und ihre Bedeutung
für Volkswirtschaft und Volksgesundheit". 1 ) Sie ist von ausgezeichneten Fach-
J) C. Boysers Verlag, Hamburg 1903; Gr. 8; 522 S. Die Festschrift ist
im Aufträge der wissenschaftlichen Abteilung der Ausstellung von dem Physikus
Dr. Sieveking herausgegeben und enthält die nachstehenden Arbeiten: 1 Die
Hauptphasen der geschichtlichen Entwickelung des Molkereiwesens in den
letzten Jahrzehnten von Geb. Hofrat Prof. Dr. Kirchner in Leipzig. 2. Stati¬
stisches über Rindviehhaltung und Milchwirtschaft in verschiedenen Ländern
von H. Mohr in Hamburg. 3. Grnndzüge der Stallbygiene von Dr. Wilhelm
Stödter, Polizeitierarzt in Hamburg. '4. Fütterung des Milchviehes von
Dr. Noll, Assistent am hygienischen Institut zu Hamburg. 5. Die schädliche
Wirkung der Krankheiten der Milchkühe, der Verabreichung bestimmter Arz¬
neien nnd einer ungeeigneten Fütterung mit Bezug auf die Beschaffenheit der
Milch von Friedrich Glage, Polizeitierarzt nnd Leiter der bakteriologischen
Station des Veterinärwesens zu Hamburg. 6. Die Tiefkühlung der Milch als
Grundlage der hygienischen Milchversorgnng von Wilh. Helm, Ingenieur in
Berlin. 7. Ueber Einrichtung und Betrieb von Milchbandlnngen mit besonderer
Berücksichtigung der Hamburger Verhältnisse und 8. welche Rolle spielt die
Milch bei der Verbreitung von Typbus, Diphtherie und Scharlach? von Dr.
G. H. Sieveking, Physikus und Stadtarzt in Hamburg. 9. Milch und Tuber¬
kulose von Dr. med. Rosatzin in Hamburg. 10. Milchkonservierungsmittel
nnd deren Gesundheitsscbädlicbkeit von Dr. C. Hagemann, Kreisassistenz-
arzt, Münster i. W. 11. Säuglingsmilch und Milcbpräparate von Prof. Dr.
712
Besprechungen.
männern geschrieben and enthält eine Sammlung tob gemeinverständlichen
aber streng wissenschaftlichen Aafsätsen ans den verschiedenen Gebieten der
MilohWirtschaft. Dr. Wolff-Stralsund.
Besprechungen.
Dr. Th. Ziehen, o. Professor an der Universität Utrecht: Psychiatrie.
Bearbeitet für Aerste and Studierende. Zweite vollständig amgearbeitete
Auflage. Leipzig 1902. Verlag von L. Eirzel. Preis: 16 Mark.
Wir verdanken dem Verfasser des vorliegenden Baches eine Darstellung
der physiologischen Psychologie, die bereits in 6. Anflage erschienen ist und
sieh einer weitgehenden Beliebtheit erfreut, während sein Lehrbuch erst jetst
— 8 Jahre nach seinem ersten Erscheinen — su einer sweiten Auflage gelangt ist.
Die Gründe für diesen geringen Erfolg des Werkes liegen nicht an diesem
selbst, sondern wie uns scheint, in erster Linie an dem Vorherrschen der
Kraepelinschen Lehren. Jedenfalls wird man dieser sweiten Anflage eine
gute Prognose stellen können. Der Verfasser geht von einfachen und klaren
psychologischen Anschauungen aus, die sich im Gegensatz nur herrschenden
Wundtsohen Lehre auf ein grundlegendes Schema reduzieren lassen, das ihm
zur Erklärung aller psychischen Phänomene ausreicht.
Nach Ziehens Auffassung gibt es nur zwei psychologische Elemente
(S. 5): Empfinden und Vorstellen, mit beiden arbeitet die Ideenassoziation;
das Ergebnis ist die Handlang. Begleitet werden jene beiden von Gefühls-
tönen, aus Lust- oder Unlastgeftthlen entstehend, die von verschiedener Qualität
und Quantität, wie Intensität sein können. Verfasser erörtert im Anschluss
an diese fundamentalen Sätze die Störungen der Empfindungen und Vorstellungen,
der Affekte, der Ideenassoziation und des Handelns stets unter Hinweis auf
ihren Zusammenhang mit psychischen Störungen. Ein vortreffliches Kapitel
bildet die Besprechung der somatischen Begleiterscheinungen der Psychosen,
aus dem nur einige wichtige Sätze über die erbliche Belastung und ihre
Bedeutung hervorgehoben werden mögen. Nach Verfasser unterscheiden sich
Psychosen, die sich auf Grund der Belastung entwickeln, nicht von solchen
andersartiger Entstehungsweise; dagegen verleiht die erblich - degenerative
Modifikation den Störungen in vielen Fällen ein spezifisches Gepräge; im
eigentlichsten Sinne gilt dies für die degenerative psychopathische Konstitution.
Mit grosser Regelmässigkeit finden sich bei letzterer somatische und psychische
Degenerationszeichen; hierher rechnet Verfasser u. a. Labilität der Affekte,
neben bisarren einseitigen Gefühlsbetonungen, Ungleichmässigkeit der Ver¬
anlagung, Neigung zu überwertigen Vorstellungen; Symptome, die sich oft
schon recht früh bemerkbar machen. Aus den Bemerkungen über allgemeine
Prognose interessiert die Angabe Ziehens (S. 247), dass etwa 30 \ dauernde
Heilungen bei Geistesstörungen nnter sachgemässer Behandlung erzielt werden.
Ein sehr lesenswertes Kapitel über die Therapie der Psychosen, das eine
Menge zutreffender Angaben und Erfahrungen enthält, beschliesst den all¬
gemeinen Teil.
Im speziellen Teil finden wir eine eigehende Darstellung der psychischen
Störungen unter Gruppierung des Materials in zwei Hauptgruppen: solche ohne
und solche mit Intelligenzdefekt. Wie gegen die meisten bisher versuchten
Edlefsen in Hamburg. 12. Kindersterblichkeit und Milch Versorgung von
Dr. v. Oh Ion. 13. Die Behandlung der Milch im Haushalt von Dr. Wolfgang
Weichardt. 14. Uober Käse Vergiftung von Physikns Dr. Lochte in Ham¬
burg. 15. Ueber die durch Mikroorganismen bedingte Gesnndheitsschädlicbkeit
der Butter and anderer Produkte von Dr. Kister, AbteilungsVorsteher am
hygienischen Institut in Hamburg. 16. Die Saprophyten der Milch und ihre
Beziehungen zur Milchwirtschaft und zum Molkereigewerbe von Prof. Dr.
H. Weigmannn in Kiel. 17. Die pathogenen Mikroorganismen in Milch und
Milchprodukten von Dr. phil. nnd med. H. L. Plaut in Hamburg. 18. Chemie
der Milch von Dr. Eichloff, Vorsteher des milch wirtschaftlichen Instituts der
pommerschen Landwirtschaftskammer in Greifswald. 13. Die Analyse der Milch
von J. Zink, wissenschaftlicher Assistent des hygienischen Instituts in Hamburg.
Tagesnachrichten.
718
Einteilungsprinzipien lassen sieh auch gegen die des Verfassers manche schwere
Bedenken geltend maohen. Es sei gleich erwihnt, dass Ziehen sn den Defekt*
psychosen alle Schwaohsinnsformen angeborener and erworbener Natur rechnet,
so dass die epileptische Demenz an dieser Stelle ihre Erörterung findet, während
der epileptische Dämmerzustand und die epileptische psychopathische Konstitution
zu den Psychosen ohne Intelligenzdefekte gezählt werden. In der viel*
umstrittenen Paranoiafrage stellt sich Verfasser auf den älteren Standpunkt
Westphals, der eine einfache und halluzinatorische Form annabm, beide
in chronischer oder akuter Weise verlaufend. Hierher gehören alle Psychosen
mit primären Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen. Wie man sieht,
nähert sich Ziehen in dieser umfassenderen Auffassung des paranoischen
Krankheitsbildes den Anschauungen Wernickes. Darchaus originell ist die
Zusammenfassung aller Dämmerzustände unter den gemeinsamen Gesichtspunkt
des klinischen Verlaufes; sie stehen den akuten Formen der Paranoia (Delirium
tremens) sehr nahe. Unter zusammengesetzten Psychosen versteht Verfasser
die periodisch und zirkulär verlaufenden Geistesstörungen, zu denen er auch
die Katatonie im 8inne Kahlbaums rechnet. Diese kleine Gruppe von
Krankheitsbilder gibt den Uebergang zur zweiten Hauptgruppe: den Störungen
und Intelligenzdefekt, letzterer ist zusammengesetzt aus Gedächnisschwäche
und UrteilsBchwäche. Hier finden alle Schwachsinns- und Verblödungsprozesse
eine einheitliche Darstellung. Zum Schlüsse gibt Ziehen eine sehr dankes¬
werte Uebersicht Uber die für die Psychiatrie wichtigen straf* und zivil¬
rechtlichen Gesetzesbestimmungen. Auch den einzelnen Kapiteln sind kurze
Erörterungen über die gerichtsärztliehe Bedeutung der einzelnen Störungen
beigefttgt, so dass das Buch neben seiner vortrefflichen klinischen Darstellung
auch ein reiches Material an gerichtsärztliohen Angaben und Hinweisen enthält
Dr. Pollitz-Münster.
Tagesnachrichten.
Die am 12. September d. J. in Halle a.'S. abgehaltene XX. Haupt¬
versammlung des Preussisehen Medizinalbeamtenvereins hat unter ver¬
hältnismässig reger Beteiligung der Vereinsmitglieder einen recht befrie¬
digenden Verlauf genommen, der nicht zum geringsten Teile den vom Orts¬
ausschüsse in vorzüglicher Weise getroffenen Vorbereitungen zu danken ist.
Als Vertreter des Herrn Ministers war H. Geh. 0b.-Med.-Bat Dr. Schmidt¬
mann erschienen, der die Versammlung in dessen Aufträge mit warm em¬
pfundenen Worten begrüsste und ihren Verhandlungen den besten Erfolg
wünschte. Dasselbe geschah von dem als Vertreter des H. Regierungspräsi¬
denten erschienenen H. Ob.-Beg.-Rat Czirn v. Terpitz in Merseburg und von
dem als Vertreter der Stadt erschienenen Geh. Beg.-Bat Oberbürgermeister
8taude.
Ein reicher Damenflor trug bei dem unter grosser Teilnahme stattfin¬
denden Festessen wesentlich dazu bei, dass an demselben eine lusserst ver¬
gnügte Stimmung herrschte.
Nicht ganz so gut war der Besuch der sich anschliessenden II. Haupt¬
versammlung des Deutschen Medisinalbeamtenvereins in Leipzig am
14. und 15. September di J., aber trotzdem ihr Verlauf ebenfalls ein
durchaus befriedigender, sowohl in Bezug auf die Verhandlungen, als auf die
sich anschliessenden Besichtigungen und das am Abend des ersten Sitzungstages
stattgehabte Festesten, das den grössten Teil der anwesenden Mitglieder mit
ihren Damen zu frohbewegtem Beisammensein vereinigte. Die Versammlung
wurde hier von H. Geh. Beg.-Bat Grünl er-Leipzig als Vertreter des Mini¬
sters des Innern und von H. Bürgermeister Dittrich-Leipzig als Vertreter
der Stadt begrttsst.
Von der sonst üblichen Erstattung eines vorläufigen Berichtes
über beide Versammlungen ist Abstand genommen mit Bttck-
sicht darauf, dass die Drucklegung der offiziellen Berichte
diesmal auf Wunsch des Vorstandes beschleunigt werden wird,
und die Berichte voraussichtlich schon den am 1. bezw. 15. November d. J.
erscheinenden Nummern der Zeitschrift beigelegt werden. Mitgeteilt sei jedoch
schon jetzt, dass auf der Versammlung des Preussisehen Medizinal-
714
Tagesnachrichten.
beamtenvereins beschlossen ist, die nächstjährige Jahresversamm¬
lung wieder in Berlin and zwar im Frühjahr (womöglich in der zweiten
Hälfte des Aprils) abzahalten sowie zwei Verhandlungstage dafür in Aussicht
za nehmen. Der Deatsche Medizinalbeamtenverein wird nach einem
Beschlasse des Vorstandes voraussichtlich ebenfalls in Berlin tagen, aber
wie bisher im September. Die Vorstände beider Vereine sind per Akklamation
wiedergewählt, in dem Vorstande des Deutschen Medizinalbeamtenvereins ist
jedoch insofern eine Aenderang eingetreten, als an Stelle des eine Wiederwahl
ablehnenden Med.-Bats Dr. Kürz-Heidelberg H. Ob.-Med.-Rat Dr. Greiff
in Karlsruhe gewählt ist. _
An der in Posen errichteten Akademie ist Prof. Dr. Wernicke,
Direktor des dortigen hygienischen Instituts zam Pofessor ernannt und gleich¬
zeitig zam Prosektor für die erste Amtsperiode bestallt.
Mit dem 1. Oktober d. J. werden auch im Grosaherzogtam Baden
zwei Untersnchangsämter für ansteckende Krankheiten, eins in Heidel¬
berg, das andere in Freibarg i./Br. in Wirksamkeit treten. Die Einrichtung*
dieser Untersuchungsanstalten beraht auf der Erwägung, dass es den in der
Praxis stehenden Aerzten, auch denjenigen, welche sich über die Fortschritte
aaf dem Gebiete der bakteriologischen Untersuchung auf dem Laufenden er¬
halten haben, doch im angegebenen Falle vielfach nicht nur an der durch fort¬
gesetzte Uebung erreichbaren technischen Sicherheit und Fertigkeit, sondern
auch an der für solche Untersuchungen notwendigen Zeit gebricht.
Betreffs Bekämpfung der Kurpfuscherei hat der Reichskanzler Graf
Bülow an die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten auf eine Petition derselben folgende Antwort erteilt:
„Der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
beehre ich mich ergebenst mitzuteilen, dass ich aus der überreichten Petition
gern Veranlassung genommen habe, den Herrn Staatssekretär des Innern um
Erwägungen über die Bekämpfung der Kurpfuscherei, jedoch nicht für ein,
sondern für alle Gebiete der Heilkunde zu ersuchen.“
Die in Breslau am 14. d. Mts. abgehaltene Jahresversammlung
des Zentralverbandes von Ortskrankenkassen im Deutschen
Reiche nahm naoh einem Vorträge von Geheimrat Neisser: „Inwiefern
können die Krankenkassen zur Bekämpfung der Geschlechtskrank¬
heiten beitragen?“ folgende Resolution an: „Der Ortskrankenkassentag
in Breslau sieht im Anschluss an die Ausführungen des Geheimrats Prof. Dr.
Neisser den Mitteilungszvrang der Kassenärzte an die Krankenkassen als
unbedingt notwendigen, wenn in eine wirksame Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten seitens der Krankenkassen eingetreten werden soll. Er beauftragt
daher den Zentral verband, an massgebender Stelle dahin vorstellig zu werden,
dass die Aerzte gegenüber den Krankenkassen von der Wahrung des Berufs¬
geheimnisses (§. 300 des Str. G. B.) entbanden, dagegen die Strafbestimmung
des §. 300 des Str. G. B. auf die Kassenorgane im Interesse der Versicherten
ausgedehnt werde.“ _
Die diesjährige in Kassel vom 21.—26. September abgehaltene, sehr
zahlreich besuchte 75. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte
wählte Breslau als Ort der nächstjährigen Tagung. Zu Geschäftsführern
wurden die Professoren Geh. Med.-Rat Dr. Ponfik und Dr. Ladenburg-
Breslau, zum zweiten stellvertretenden Vorsitzenden Geh. Rat Prof. Dr.
v. Winkel-München gewählt. Ein ausführlicher Bericht über die Ver¬
sammlung wird in einer der nächsten Nummern gebracht werden.
Auf dem XXXI. Deutschen Aerztetag in Cöln a. Rh. am 11. und
12. September 1903 waren 259 Delegierte, welche 264 Vereine mit 19814
(von 20790) Mitgliedern vertraten, anwesend. Beschlossen wurde die Ver¬
einigung des „Verbandes der Aerzte Deutschlands zur Wah-
Tagesnachrichten.
715
rang ihrer wirtschaftlichen Interessen“ mit dem Deutschen
Aerztevereinsbnnde. Der erstere soll künftig eine besondere Abteilung
in der Organisation des Deutschen Aersteyereinsbnndes bilden; seine Kasse
aber als selbständige Kasse bestehen bleiben.
Betreffs Bekämpfung der Kurpfusohrei wurde der Geschäfts*
aussohuss beauftragt, „unter Zuziehung eines juristischen Beirates beim Bundes¬
rat und Reichstag für die in Aussicht genommene Novelle zum Gesetze gegen
den unlauteren Wettbewerb auf die Kurpfuscherei bezügliche und geeignete
Massnahmen zu beantragen.“
Hinsichtlich der Förderung des ärztlichen Unterstützungs-
Wesens und des Ausbaus schon bestehender Kassen fanden die Leitsätze des
Referenten (Geh. San.-Rat Dr. 8 e 1 b e r g - Berlin), wonach die staatlichen ärzt¬
lichen Vertretungen der Bundesstaaten und — wo jene noch nicht vorhanden —
die Vereine die Bildung von grösseren UnterstUtzungakassen für jeden Bezirk
einer Aerztekammer in die Hand nehmen und zwischen den einzelnen Aerzte-
kammer- und Landes-Unterstützungsk&ssen Beziehungen geschaffen werden sollen,
die eine einheitliche Besteuerung, gleiche Unterstützungsgrundsätze, Austausch
und Unterstützung verzogener Klienten anbahnen können, einstimmige Zustim¬
mung. Angenommen wurden hierzu noch Anträge von Windeis und David¬
sohn, die den Aerzten die rechtzeitige Fürsorge für ihre Hinterbliebenen
durch Beitritt zur Versicherungskasse für die Aerzte Deutschlands bezw. die
Einsetzung einer ständigen Kommission empfehlen, die insbesondere die tech¬
nischen und anderen Bedingungen zunächst iür eine Witwen- und Waisen¬
versicherung und eine solche für Invalidität ermitteln soll.
Ebenso sprach sich der Aerztetag zustimmend auB für den Erlass einer
Reiehsarzneitaxe sowie für eine an alle Bundesregierungen zu richtende
Eingabe zwecks Aufhebung des SelbstdispensierreohtB der Homöo¬
pathen, soweit ein solches Selbstdispensierrecht noch besteht. Anch der
Antrag Uer ärztlichen Bezirksvereins Leipzig - Stadt: „Der Deutsche Aerzte¬
tag wolle seinen Geschäftsausschuss beauftragen, die erforderlichen und geeig¬
neten Schritte zu tun, um die Herausnahme aller auf die Aerzte bezüg¬
lichen Bestimmungen aus der Gewerbeordnung und den Erlass einer
Deutschen Aerzteordnung herbeizuführen“, wurde angenommen.
Endlich wurde ein Antrag des allgemeinen ärztlichen Vereins zu Göln,
„dass eine Beschränkung der Ableistung des praktischen Jahres auf die zwecks
Ablegung des praktischen Jahres zu bildenden medizinischen Akademien nicht
den bei dem Vorschlag eines praktischen Jahres leitenden Intentionen ent¬
sprechen würde“, dem Geschäftsausschusse als Material überwiesen.
Die Dentsche Gesellschaft für Volksbftder hat, der ihr gewordenen
Einladung nach Kassel folgend und im Einvernehmen mit den städtischen
Behörden daselbst, ihren nächsten Jahreskongress auf den Tag nach Himmel¬
fahrt, 13. Mai 1904, festgesetzt. _
Geh. San.-Rat Dr. Alex Spiess, ständiger Sekretär des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, ist von diesem Verein
bei seiner diesjährigen Versammlung in Dresden (16.—19. September) zum
Ehrenmitglied und von der staatswissenscbaftlichen Fakultät der Uni¬
versität München zum Ehrendoktor ernannt worden.
Zu der für Preussen geplanten Reform des Apothekerwesens (siehe
Nr. 18 dieser Zeitschrift, S. 684) hat der Vorstand des Deutschen Apo¬
theker-Vereins folgende fünf Leitsätze einstimmig angenommen:
1. Die Verpflichtung eines Apothekers, der die Erlaubnis zur Neuein¬
richtung einer Apotheke erhält, zu einer angemessenen Abgabe an den
Staat erscheint gerechtfertigt.
2. Die Aufhebung der Veräusserlichkeit der Apotheken bedeutet keinen
Fortschritt, sondern einen Rückschritt für die Pharmazie. Lässt man dabei
den Privilegien die freie Verkäuflichkeit und Vererblichkeit, so beseitigt man
nicht einmal die ungesunde Preissteigerung der Apotheken, sondern man fördert
sie. Zur Beseitigung der vorhandenen Misestände und zur Herbeiführung eines
einheitlichen Systems muss die Veräusserlichkeit aller Apotheken anerkannt und
716
Tagesnachrichten.
rechtlich festgelegt werden. Insbesondere darf die freie Veräusserlichkeit und
Vererblichkeit der von 1811 bis 1894 konsessionierten Apotheken nicht in Frage
gesogen werden.
3. Es ist dringend an wünschen, dass solche Apotheken entschuldet
werden, welche daroh übermässig hohe Preise über Gebühr belastet erscheinen.
Für eine Reform in diesem Sinne ist die Zuhilfenahme des Staatskredits un¬
entbehrlich.
4. Apotheken, denen gegen eine Abgabe an den Staat die Verlasserlich-
keit eingeräumt worden ist, sowie diejenigen, welche den in Sats 3 vorge-
ehenen Staatskredit in Anspruch nehmen, Bind nur mit jedesmaliger Genehmi¬
gung verkäuflich. Die Genehmigung erfolgt naoh gesetzlich festzulegenden
Grundsätzen und nach Anhörung von dazu berufenen Fachmännern.
5. Die Erteilung von Konzessionen nur Anlage neuer Apotheken ist ge¬
setzlich za regeln and unterliegt dem verwaltnngsgeriohtliohen Verfahren.
Auf eine Eingabe der Zentralvertretung der tierärstlichen
Vereine betreffend die Einführung einer staatlich anerkannten Standes¬
vertretung hat der H. Landwirtschaftsminisfer von Podbielski folgenden
Bescheid erteilt: „Zur Verwirklichung des vorgetragenen Wunsches, dem näher
zu treten ich nicht abgeneigt bin, kann die staatliche Anerkennung der Zentral-
Vertretung der tierärztlichen Vereine nicht in Betracht kommen, vielmehr dürfte
die Einrichtung von Tierärstekammern nach dem Muster der Aerzte-
und Apothekerkammern als der geeignete Weg erscheinen. Den Aerzte-
kammern ist das Recht der Besteuerung und der Ehrengerichte durch das Ge¬
setz vom 25. November 1899 verliehen worden. Die den Aerztekammern nach¬
gebildeten Apothekerkammern entbehren dieser Einrichtungen. Es bleibt ihnen
überlassen, für die Bereitstellung der erforderlichen Mittel 8orge zu tragen,
und nur die Befugnis der Entziehung des aktiven und passiven Wahlrechts
gibt ihnen ein Mittel in die Hand, der Missbilligung des Verhaltens eines
Standesgenossen Ausdruck zu geben. Wenn die Tierärztekammern den Apo¬
thekerkammern nachgebildet werden, so würde ihre Schaffung durch eine gl.
Verordnung erfolgen können, während sowohl die Beilegung des Besteuerungs¬
rechtes als auch die Einrichtung von Ehrengerichten die Form des Gesetzes
notwendig machen würde. Ob auf das BeBtouerungsrecht besonderer Wert zu
legen ist, erscheint in Anbetracht der zu erwartenden geringen Ausgaben
zweifelhaft. Sollte dieses der Fall sein, so wird auch auf die Einführung von
Ehrengerichten, die von der überwiegenden Mehrzahl der Aerzte für geboten
erachtet wurden, nicht verzichtet werden können. Diese beiden Punkte werden
zunächst einer eingehenden Prüfung zu unterziehen sein. Ich stelle anheim,
Bich hierüber, sowie über den sonstigen Inhalt der gewünschten Verordnung
zu äussern.“
Nicht so günstig lautet dagegen ein anderer Bescheid desselben Ministen
auf eine Eingabe der vorgenannten Zentralvertretung betreffs Reform der
Dienststellung der Kreistierärzte. Der Bescheid lautet: „Die Ausführungen
sollen bei den zurzeit schwebenden Verhandlungen nach Möglichkeit verwendet
werden. Der Erlass eines Gesetzes über die Dienststellung der Kreistierärste
nach dem Vorbilde des Gesetzes über die Dienststellung der Kreisärzte vom
16. September 1899 liegt einstweilen nicht in in der Absicht, da ein Bedürfnis
hierfür bei der wesentlich verschiedenen Rechtslage nicht anzuerkennen ist.
Dagegen ist in Aussicht genommen worden, dem Landtage einen Gesetzentwurf
zu unterbreiten, der den Kreistierärzten die Pensionsberechtigung ver¬
leiht und ihre Dienstbezüge unter Aufhebung des Gesetzes vom 9. März 1872
anderweit regelt. Unter Voraussetzung des Zustandekommens dieses Gesetzes
sollen die Gehälter der Kreistierärzte durch den Staatshaushalt erhöht werden.
Die Ordnung der Rangverhältnisse endlich, von der auch die Höhe der Reise-
gebührnisBe abhängt, muss der Allerhöchsten Entscheidung Vorbehalten bleiben.“
In Marseille sind infolge von Einführung pestveraeuchter Lumpen in
einer Papierfabrik der Vorstadt Baint Barnabö Anfang September 14 Personen
an Pest erkrankt und 4 davon• gestorben. Die Krankheit scheint auf diesem
Herd beschränkt geblieben zu sein. _
Verantwertl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Geh. Med .-Bat in Minden L W.
i. C. O. Brau, Htrmoffl. Slftoh. •. F. Seh.-L. HofbnohdniekErel In Mlnde«.
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16. Jahrg.
1908.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt für geriehtliehe Medizin nnd Psychiatrie,
für ärztliche Saehverstandigentätigkeit in Unfall- nnd Invaliditätssachen, sowie
für Hygiene, offentl. Sanitätswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Herausgegeben
Ton
Dr. OTTO RAPMOND,
Regierung«- nnd Geh. Medistnalrat in Minden.
Verlag von Fischer’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof* u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Berlin W. 35, Lntzowstr. 10.
Inserate nehmen die Verlagshandlung sowie alle Annocenexpedltionen des In-
und Auslandes entgegen.
Nr. 19.
Brseheint
1. und 15. Jeden Monats
1 .
Oktbr.
Ueber eine Epidemie von Herpes tonsurans.
Von Dr. 6. Bon dt, Kreisarzt in Bublitz.
Uebertragungen von Hautkrankheiten der Tiere auf Menschen
sind gar nicht so selten beobachtet worden. Nicht nur tierische,
sondern auch pflanzliche auf Tieren schmarotzende Parasiten
wechseln meiner Erfahrung nach des öfteren ihren Wirt und
gehen von Vierfüsslern auf Menschen über und zwar zumeist auf
diejenigen Menschen, die mit Wartung und Pflege hautkranker
Tiere betraut sind. So sind mir in meiner Klientel auffallend
häufig Erkrankungen an Krätze bei Schweizern vorgekommen,
denen hier zu Lande meist die Milchwirtschaft grösserer Güter
obliegt, nicht ganz selten auch bei Pferdeknechten. Es kann dies
kaum zufällig sein; denn mit Ausnahme des intimen Verkehrs mit
ihren vierfüssigen Pflegebefohlenen, stehen sie unter denselben
Daseinsbedingungen wie das andere ländliche Dienstpersonal. Die
meisten Fälle der hier nicht gerade übermässig häufigen Scheer-
fleehte (Herpes tonsurans) habe ich ebenfalls bei Schweizern ge¬
sehen. Ich erinnere mich auch zweier Fälle dieser Erkrankung
bei Molkereiangestellten, bei denen eine Infektion aus irgend
einem Kuhstall auch nicht gerade fern liegt.
Eine mit Herpes tonsurans behaftete junge Katze hat in
meinem eigenen Haushalte im Jahre 1895 drei Mitglieder infiziert.
Aber epidemieartiges Auftreten dieser Hautkrankheit ist
immerhin seltener beobachtet; deshalb teile ich hier eine diesbe¬
zügliche Erfahrung mit, die ich im Winter 1902/03 gemacht habe.
Es handelt sich um mindestens 25 Fälle von Herpes tonsurans in
einem Dorfe hiesiger Gegend, bei denen die Ansteckung von einem
386 Dr. Bondt.
‘uugen Bullen ausging. Einzelne der Fälle gingen mit, ich will
nicht äageav- so schweren, aber doch so langwierig^ . und onan-'
genehmen Erscheinungen einher, dass man die Erkrankung nicht
»1 ehr für eine, gäöz- gleiehgtitige halten konnte,: und dass es mir
iuch deshalb nicht übei-flüssig erscheint, die Aufmerkeamkeit aut
dieselbe und ihre Quelle zu lenken;
Am 8. Oktober 1902 wurde ich *u eidenj seit 14 Tageü erkraukteu,
.attfctj&Mgen Knabe» auf ein Gut swei Meilen ton fc»er geraten, leb «ab vor
und Über dem rechten Ohr dee Kindes eine etwa T 6m lange und 5 cm breite,
orale, braunrote, erhabene Stelle ohne Bi&eeben, ohne Schaden, die zuerst aut
mich niobt den Eindruck einer Scheräecbte machte, sondern wie ein derbes,
'. sofachea Hautinflltr&t ausaah. lieber der tnfiltrtmea Stelle Witten Ai« Haare
«tim Teil im Niveau der Haut oder wenig oberhalb denselben abgebrochen; ein
grosser Teil derselben ataud jedoch noch io voller Länge, ni't inmitien einer
kleinen Eiterpustel schon leichtem Zago folgend. Nach Entfernung der lockeren
laare und Attsqüetscbuiig de» Eiters oder Serums aus den Pusteln sah die
4 Anzo erhabene Stelle siebartig durchlöchert aus. Sprachen schon die letzteren
Reichen für einen Herpes tv)aßttra.Be, so war die Diagnose sofort sicher, ais ich
sine zweite (erkrankt« Stella am Hinterkopfe zu Gesichte bekam. Hier war
6in markstöckgroaahr Pieck, 8bor dem die meisten Haare ebenfalls abgebrochen
wareu und dessen kreisförmig»« R&ßd nioe ganz typische Eruption von Knöt¬
chen zeigte, wie nie fttr den öerpeb tonbar an» reeic. charakteriatisch sind. Die
Mitte zeigte fast normale oür noch etwas gerötete Haöt.
Wo hatte der Knabe die Flechte hur? In einer Bartdemtufee.
war er seit Jahren nicht mehr gewesen; die Mutter schnitt dem
Kinde selbst: 'las Haar, Meiue fr üheren Erfahrungen Hesse», mieh
nach einer Bauterkraukung uuier deuj Vibk fragen, und ieh er¬
fuhr, dass ein im August aus Östfiieskßd eiögetdhptef junger
Bolle einen Hautaussehkg bäbov äehuu bei®.Kauf fei eine weiss-
iiche Abschuppung an der Wurzel des Schwanzes Anfallend ge¬
wesen • Der Verkäufer habe auf dieselbe aufmerksam gemacht
und geraten, Lysolwasciumgeii vomuelimaü IHcs sei auch ge¬
schehen, aber trotzdem sei die Flechte li&nientHch ÄU allen StbÜeti
mit zarterer Hanfe (unter dem LeiliH und an der looenselfee der
Beine) Schritt für Schritt vorwärts gegangenj nun aber sei sie ;;
fast geheilt, Die Besichtigung ergab nur noch einige trockene,
mit kicienfönnigeu, leicht * zu entfernenden Schuppen bedeckte,
Steiles am Leibe- Am Kopfe dagegen befanden sieh noch zwei ;
nässend Stellen entzündeter Haut ohne Posteln und Bläscheu oiit
verklebten Haaren darüber, anderen der Haut zugekebrten Teilen
reichlich Borken and Öberimtscli^peB saesen, >
Von dem Öbei öchweizer erfuhr ich, »lass man diese nässende
Stellen Teig Warzen nenne, und dass soleh eih schuppender Aus¬
schlag wie arn Leibe des Tieres oftmals ganze Herden befalle,
und datm namentlich auf dem Jungvieh mit zarter Häufe zu finden
Me». Die gleiche Auskunft gab mir der behandelnde: Tierarzt,
der öbeusGWbuig, wie der de« Vieh» lassen
wollte, dass jene i^cherflechte des Knaben auf (diese: Etkrankiuig
des Bullen zttrickzufiikren» sei, bis ich ihn einem
schuppenden Herpesdecke ■ &sa linken Käsen Winkel .nab, und er mich
bat, ihm etwas zu verschreiben. Der Vater gab oluie weiteres
die Möglichkeit der TJebertragung zu, da der Kunbe sieb sehr
viel im Kuhstall aufgehalteu und sich gerade mit diesem schönen
und sehr frommen »Stier beschäftigt habe.
Ueber eine Epidemie von Herpes tonsnrans.
687
Ein sicherer Beweis wurde auch sehr bald dadurch gebracht,
dass sowohl die abgebrochenen Haare des Knaben, wie diejenigen
des Bullen und einzelne Schuppen nach Behandlung mit lOproz.
Kalilauge unter dem Mikroskop die langgestreckten segmentierten
schmalen Pilzfäden des Trichophyton tonsurans mit vereinzelten
Gonidien zeigten. Ein Versuch direkter Verimpfung übertrag¬
baren Materials vom Bullen auf menschliche Haut ist von mir
nicht gemacht worden, weil einige weitere auf demselben Gut
vorgekommenen Fälle mir die Sicherheit des Experiments zu haben
schienen; denn es war schon vor dem Knaben der Oberschweizer,
welcher den Bullen pflegte, an Hand und Vorderarm, und dessen
Sohn, welcher den Vater einige Male vertreten hatte, ebenfalls
an denselben Hautstellen erkrankt.
Hat nun auch meiner Ueberzeugung nach der Bulle ohne
allen Zweifel die Flechte von Ostfriesland nach Hinterpommem
eingeschleppt, so sind doch, mit nur wenigen Ausnahmen, die
weiteren Erkrankungen auf die schon erwähnten sekundären In¬
fektionsherde zurückzuführen, auf den erstgenannten Knaben und
auf den Oberschweizer mit seinem Sohn, denn von diesen aus
wurden mit grosser Wahrscheinlichkeit die betreffenden beiden
Familien mit Pilzen infiziert:
Um die erste Quelle
1. den Knaben mit Herpes tonsnrans capillitii nnd mit kreisförmigen
Herpesstellen im Gesiebt nnd auf dem Körper,
gruppieren sich zwanglos folgende Fälle:
2. Der Vater desselben mit einer kleinen Stelle von Herpes tonsnrans
vesionlosns am Arm.
3. Die Mntter mit einer überaus langwierigen Herpeseruption an der
linken Hand, von der Ulnarseite ans in einem Durchmesser von 10 cm
anf Hoblhand nnd Handrücken übergehend. Die starke Infiltration
machte wochenlang heftige Schmerzen.
4. Ein zehnjähriger Brnder \ mit Beteiligung des Gesichts nnd des
5. „ achtjähriger „ , / Körpers.
6. Das KinderfrSnlein mit mehreren Stellen im Gesicht. Eine der¬
selben die linke Angenbrane betreffend trotzte der Heilnng lange Zeit.
7. Die Wirtschafterin mit Flecken im Gesichte.
Von dem zweiten Herde
8. dem Schweizer nnd 9. seinem Sohne
erkrankten:
10. die Sehweizerfran nnd
11. deren Mntter, beide mit mehreren kleinen zerstreuten Stellen.
11—15. 5 kleinere Kinder des Schweizers, alle mit vornehmlicher Beteiligung
des Gesichts.
16 —21. 6 Unterschweizer nnd Lehrlinge bis anf einen mit leichteren Affektio¬
nen. Anf diesen einen schwerer Erkrankten werde ich noch zorück-
kommen.
Nicht mit Wahrscheinlichkeit auf einen dieser Ansteckungs¬
herde zweiter Linie sind zurückzuführen Erkrankungen:
22. des Rechnung sführers,
23. des Pferdefütterers,
24. deB Meiers nnd
25. des Tierarztes.
Von diesen hatten Nr. 24 und 25 nur einige kleine schnell
abheilende Stellen. Nr. 22 und 23 kennzeichneten sich aber als
sehr langwierige, echte parasitäre Sykosen mit derb infiltrierten
Ö88
Pr- ßootU-
Kuoten am Kinn, Nr. 23 Überdies vergesellschaftet mit einer
starken Schwellung der Hals]ymphcir üs ei i. Bei beiden vergingen
trotz : mehrfachen,. aebl»'er.zba!t«B Epilationen viele Woeben bis
zur Heilung.
Auch owj^ ifeibige tlef aja^ä$ßti Fülle kann ieU heramzieben,
um meine Äeusserung ij» betegeo, dass der Herpes tonanrans
sebwefere Erscheittnugeii gemacht habe;
Bor Knabe Nr 1 hatte grosse, nicht unerheblich aohmerzeMÖl
Schwellungen dfcr Nahkbhdrühen, die ihm den Schlaf raubten und
ihn im Vereiri mit iler clnrcb häutige Epilationen fühlenden Behänd-;
laug appetit !ös rrrsd eiend machten. Seine Heilung nahm drei
Monate in Anspruch- Seine Mutter t Nr 3 ) war durch die UokH -
ILsatiim der grossen Flechte an der Hand, dere‘a gauze. Umgebung
entzündlich gerbtet und geschwollen war, wochenlang arbeliRm-
iahig. Sie, sowie zwei ihrer Söhtre KekÄme» infolge der
aarobinbehandlurfg öimgebresietei stÄrk .jtickeude Ek?etu6 ii^E
einen g rossen Ted des Körpers,
Deo einen der Untemhweteer traf ich mit einer Törnp^räUir-
von 10,2 ha Betle. Bitte bAbdgrdsse ara
schhiikel war •/ ’ liie LeisteudtilBeiii
waren pliaurneagross geschwollen. Br war Ti Tage bettlägerig,
bekam später noch ein allgemeines Ekzem, doch Flechte aoi
BrUshh§(#we8h«lr ging# obnÄ luzfeion zurttek. : :
fiü»öippi ir _.n.._ .i. _ % _m
sich ohne KbusnUafiuii mit den von tglr Vöpgesdhrbeb^i^i», anderen
entlielieften MedikflüHUiHi) behanöeiten. Es sind' wohl sicher im
ganzen 10 Fülle geweeen, -jforen Erkrauküttg jo ; letzter Reihe
auf jenen impoilhrikh SHer _zurh«A2Ufhin'^h sind*
Nicht unerwähnt* uswert emtbelMmtr hötii eine Beobachtung.
Es rezidi vierten ganz .■plötzlich einige Fälle, die schon fast voll-
kommen abgeheilt erschienen, "Und zwar trat bei alle» vier Fallen,
dem acht- und zwölfjAhrigt» Knaben, deren Mutier und dem Sohn
des •Schweizers öfi&er akute Ausbruch zahlreicher kleiner Knötchen
in kreisförmiger Anordnung, die «ehr bald in Schuppen ülmrgiugett
und ho das Bild einer Herpes tonsufätta shuumusus und roaettlösus
darhoteu, m Anschluss k» 4$S E^^eTiieh eines Masernexantliemö
aut Oh die igevte BiutfülleBdor Haut oder die erhöht«
Temperatur der Maeeimkväukeu dem Pilz ganz besonders gunstige
Wachstums beding ungern boten, oder # attseem Momertic, z. B. die
gleiehroassire Wären « des Beu.ee hier mehr mit spielen, veriöhju
ich nicht zu 'iui*scheidest"
leb a&h lerner Berposkraöe übf oberen und nuferen Augen*
lidetu, ohne -dass jemals die Fukraukung ärifdie Lidränder oder
die Biiüdehaut überging. ;; i? , y ••/ ü^:\v> t : f'K .;*’ ■( ‘
Bit* RehandBing bestand meist in Anwendung von 10pro;',.
(’iirysaröbin - Traumatiziulösuiig, Aufpiiisclu von Seifenspiritus, Auf¬
legen von 3 proz. Naphthi* aitpo- kalittus-Salbeu. Hie und dg ljhfis
ich Sublunat,Umschläge maeheu, (legen die dicken iniUtrate in
Haupt- und Barth«är|;hat Quecksilber - Karbolsäure - Pftaeteriil'uU
Ueber eine Epidemie von Herpes tonsnrans.
689
gute Dienste getan, und die zwar etwas sehr komplizierte, aber
gute, von Kaposi empfohlene Mischung von Ol. Rusci 15,0,
Spirit, sapon. kalin. 25,0, Lact, sulfur. 10,0, Spiritus Lavand. 50,0,
Bals. peruv. 1,5, Naphtoli 0,5. Zurückbleibende Reizzustände
wurden mit Lassars Paste bekämpft.
Unter dieser Behandlung sind zur Zeit (März 1903) die
meisten Flechten bis auf einige unbedeutende Reste geheilt. Von
einigen neuen Kranken hörte ich noch vor wenigen Tagen. Bei
der weiten Entfernung werden sie den Arzt voraussichtlich erst
in Anspruch nehmen, wenn unangenehme Erscheinungen eintreten,
oder wenn die Heilung gar zu lange auf sich warten lässt.
Wenn nun ja auch eine Erkrankung an Scherflechte wohl
kaum jemals ernstliche, dauernde Gesundheitsschädigungen im Ge¬
folge haben und das Leben gefährden wird, so ist sie doch, zumal
wenn sie sich auf stark behaarten Körperteilen lokalisiert, ein so
unangenehmes, so langwieriges und entstellendes Leiden, dass ein
jeder Arzt es für seine Pflicht halten wird, seine Klientel nach
Möglichkeit vor derselben zu schützen. Und wenn man bei jedem
Falle von Herpes tonsurans der Ansteckungsquelle nachforscht,
so wird man, glaube ich, nicht allzu selten dazu kommen, ihn auf
eine Erkrankung von Tieren zurückzuführen. Wenigstens meiner
Erfahrung nach ist dieser Weg der Ansteckung ein häufiger,
während ich mich nicht erinnere, eine Scherflechte aus einer
Barbierstube herleiten zu können.
Die Verhütung der Verbreitung ist nach Bekanntwerden der
Quelle sehr leicht. Erkrankte Tiere dürfen nicht von einer Ortschaft
zur anderen gebracht werden. Das mit der Pilzkrankheit besetzte
Tier ist allein zu stellen. Der Fütterer und Pfleger gebrauche
zur Reinigung dieses Tieres besondere Apparate (Striegel, Bürsten
u. s. w.), besorge und futtere es, nachdem er sich ein leicht wasch¬
bares Obergewand (Drillichhose und Drillichjacke) angezogen hat.
Ein nachheriger Kleiderwechsel und Reinigen der Hände mit
Lysol- oder Kreolinlösung, sowie eine Desinfektion des Standes
des Tieres nach Ablauf der Erkrankung mit Kalkmilch tun das
übrige.
Wenn die Art der Erkrankung, die''Möglichkeit der Ueber-
tragung auf den Menschen und diese einfache Sorge für Ver¬
meidung der Verschleppung den Viehbesitzern mehr als bisher
bekannt gemacht wird, so wird die Scherflechte unter dem Vieh
seltener werden und somit auch seltener auf das Viehpflegepersonal
und von diesem auf andere Menschen übertragen werden. So ganz
leicht muss die Ansiedelung des Pilzes auf und in menschlicher
Haut überhaupt nicht sein; denn andernfalls müssten wir noch
viel häufiger bei Schweizern 3 und Viehfütterern den Herpes, ton¬
surans zur Behandlung bekommen, da ja zur Zeit noch oft ganze
Herden, namentlich Jungviehherden, von dieser l< Hautkrankheit
befallen werden sollen. Es gehört doch wohl zum Haften des
Pilzes, dass er mit einer gewissen Kraft in die Haut eingerieben
wird, oder in eine präformierte, wenn auch noch so kleine Ver¬
letzung oder Schrunde der Oberhaut hinein kommt. Für eine
'}!K> Dr. Moritz: Zur Frage der Honoraraneprflche der Spezial8r*te.
Vermeidung der Uebertraguog von Mensch zu Mensch wird eine
zweckmässige Belehrung das meiste leisten, Man wird engere
Berührungen, Zusammensehlatet), Benutzung desselben Handtuches
und Waschgeschirres verbieten und wird die Erkrankten aus den
öffentlichen Barbierstuben; mriiekbalten. lieber eine Prophylaxe
and Desinfektion in letzteren weiteres zu sagen, liegt nicht im
Rahmen meiner Äuseinandm setpugi. ; Die Schntzro^ssrngnin gegen
Trichophyton torisurans sind Utör dieäeJiberi wie ffie Erreger
anderer übertragbarer Haut- und Bj^arkJraäkheite». '
Zur Frage der Hönoraranspröche der Spezialärzte.
Von Med.* ft« PK Mtwif», KreJamt in HiltottNdt.
Ein uamhafbav Spesialarzt in Berlin hatte für mehrere
schwierige Operationen nnd längere Nachbehandlung ein Honorar
von 770 Mark beansprucht, wahrend er nach den Höchstsätzen
der Gehnhrßwtlnu Hg vom iä, Mai 1S9B nur 495 Mark zn fordern
hatter Da ihqi. dt« Äuszahlung der Differenz von 1275 Mark sei-
tens deÄ i'afciehteü verweigert wurde, wurde er klagbar.
Das Landgericht; zu Bklhwvö tafft sprach ihm obige
275 Mark, also seihe ursprüngliche Forderung mit folgender Be-
griindttpg zur; •
. ;C; Ss ist allgemein bekannt and konnte anch dem Pätientea sieht
verhorgeo »ein, ltn anerkannte ärzUibh* SpezfaÜeten ihr» Hilfe Patienten »lebt
gegen die Sätze der Gebührenordnung m gewähren pflegen, sonder» Ißr ihre
besondere Geschicklichkeit erhöhte Koischädlgeng beeaepmehei], pÄtietit«»,
die sich in die Behandlung derartiger Spezialisteii begeben, erkenne» dsSber,
ebne dass es einer besonderen Abrede bedarf, MÜlsohw eigen dan, dass für die
Dienste des Arztes nicht die Qebührenordnnng, sonder« allein die Angetbensen-
beit massgebend sein soll. Dieser aUgdtnr jiiea Ktfahrnng des täglichen Lfhens
»tebt det Umstand nicht entgegen, dass die n<m« GoMbrenordnbiig für appro¬
bierte Aerat». die Sätze aUgeweia erhöbt bat; den» naebdem Gntaebten des
Dr. Morit* besteht die allgemeine Anscbsottfig, ilaae Spezialisten sich nicht
an die Sätze der nun schon seit sechs Jahren geltenden t'/ebübreoordnoag
bladen, ancb noch jetzt. Der Beklagte kann daher, Als et zur Hetlong seiner
Leiden die Hilfe des Klägers la Anspruch nahm, nicht der Aesicbt gewesen
sein, das« daeHönotar äaf Grnad der Geböhreßordnang iieBtitamt werden
würde, sondern er hat sich, da er eine Vefßiüb&rßng de« Honorars nicht für
erforderlich hielt, stillschweigend damit einverstanden erklärt, das» Klüger;
die angemessene Entsehädlgneg erhalten «olle. . , .* - ,
Der Zivilsenat des hieraach vom Beklagten Äßgerufeneß
OberlahdesgeJtichts ühteebieil dagegen dmreh
Erkenntnia vom 23, März 1903 wie folgt:
. , „ Wa* b«b die rechtliche ftenrteiinög des streitigen Ansprache an*
langt, ist der Vorderrichter davon »angegangen, dass der Kläger berechtigt
sei, eine Vergütung 1» Höbe de» angetnessenett Betrages für die »on ihm
geloiateten Ärztlichen Dienste na fordern, weil eine bestimmte Vereinbarung
über d|« Höhe de» Honorars nicht stzttgefanden hat.
Dleeer AnSasaung könnte nicht Wigatretrn werden, §. 80 der deutschen
Gewerbeordnnng vom 18, Jnni 1868 beBtiiorat: ^.Die Bezahlung der approbierten
Aerzte tww. <§. 29 Abs. 1} bleibt der Vereinbarn»g überlassen. Als Sonn für
streitige Fälle im Mangel «itier Vereinbarnng können jedoch für dieselben
Taxen von den Zentralbehörden festgeetellt Werden,“
) Anf Grüfld diirter Be»timmn»g ist für Prewen vom Minister der geist¬
lichen new Angelegenheiten die Bekaoatsmebung hetr den Erfass einer
Pr. Pl&czek: Bin deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnun gsverfahren ■ 691
Gebührenordnung vom 15. Hai 1896 (Hin.-Bl. S. 105) erlassen worden
Insbesondere sollen nach derselben die niedrigsten Sätze znr Anwendung
gelangen, wenn nachweisbar Unbemittelte die Verdichteten sind, soweit nicht
besondere Schwierigkeiten der ärztlichen Leistung oder das Hass des Zeit¬
aufwandes einen höheren Satz rechtfertigen (§. 2 a. a. 0). Im übrigen soll
die Höhe der Gebühren innerhalb der festgesetzten Grenzen nach den besonderen
Umständen des einzelnen Falles — bemessen werden. Hag hiernach auch die
Berücksichtigung des besonderen Rufs, dessen der liquidierende Arzt bei seinen
Fachgenossen oder doch beim Publikum geniesst, als ein innerhalb der fest¬
gesetzten Grenzen einen höheren Satz begründender Umstand nicht grundsätzlich
ausgeschlossen sein, so ist sie doch in der Bekanntmachung keinesfalls hervor¬
gehoben worden. Auf diese Frage kommt indessen, wie sich weiterhin zeigen
wird, für die Entscheidung des vorliegenden Falles nichts an.
Nach §. 612 B. G. B. ist bei Dienstverträgen, wenn die Vertrag-
sohliessenden die Höhe der Vergütung nicht bestimmt haben, beim Bestehen
einer Taxe die taxmässige Vergütung als vereinbart anzusehen ....
.... Der Kläger verlangt eine Vergütung, deren Gesamthöhe den ihm
unter Zugrundelegung der höchsten Sätze der Gebührenordnung zustehcnden
Betrag erheblich überschreitet. Um durchzudringen, würde er also zu beweisen
gehabt haben, es sei zwischen den Parteien vereinbart worden, dass er nicht
naeh den Sätzen der Gebührenordnung, sondern nach den in seiner ärztlichen
Praxis üblichen Sätzen liquidieren solle. Das Zustandekommen einer Verein¬
barung sei im vorliegenden Falle darin zu finden, dass der Beklagte, als er
sich in die ärztliche Behandlung des Klägers begab, Bich habe sagen müssen,
dass der Kläger ihn nicht zu den Haximalsätzen der Gebührenordnung, sondern
zu höheren Sätzen behandeln werde. So zutreffend diese tatsächlichen Aus¬
führungen und die daran geknüpften rechtlichen Ausführungen an sich sind,
so wenig sind sie doch nach Lage der Sache geeignet, mit ihrer Hilfe zu den
vom Kläger gezogenen Schlussfolgerungen zu gelangen. Denn zu der Unter¬
stellung einer stillschweigenden Willenseinigung darüber, dass die Anwendung
der Taxe ausgeschlossen und die Bestimmung der Gegenleistung in das billige
Ermessen der Gegenpartei gestellt sein solle, würde man auf Grund des oben
charakterisierten Vorganges der Aufsuchung und Gewährung ärztlicher Hilfe
ohne besondere Preisabreden regelmässig gelangen können. Für alle Fälle der
vorliegenden Art muss aber, um zur Ueberzeugung einer stattgehabten still¬
schweigenden Willensbestimmnng besonderen Inhalts zu gelangen, umsomehr
der Nachweis gefordert werden, dass der Wille, wenn auch ohne Worte,
zuverlässig erkennbar in die Aussenwelt getreten ist, als §. 612 B. G. B. eine
bestimmte Vermutung aufstellt, was als vereinbart anzusehen ist, wenn gegen¬
teiliges nicht zuverlässig erhellt ... Wer sich in die Behandlung eines
ausserordentlich hervorragenden namhaften Arztes begibt,
ohne dass besondere Honorarabreden getroffen werden, kann
daher wohl stillschweigend der Willensmeinung sein, in Er¬
mangelung solcher Abreden werde die bestehende Taxe in
Anwendung kommen müssen . . . .“
Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenölfhungsverfahren.
Reformgedanken von Dr. Placzek-Berlin.
(Fortsetzung.)
Was die Sektion der Bauchhöhle anlangt, so ist es zunächst
wertvoll, festzustellen, in welcher Reihenfolge die Regulative
die einzelnen Organe herausnehmen. In Preussen soll es laut
§. 18 in einer Reihenfolge geschehen,
„dass durch die Herausnahme des einen Organs die genauere Erforschung
seiner Verbindung mit einem anderen nicht beeinträchtigt wird. So hat die
Untersuchung des Zwölffingerdarms und des Gallengangs der Herausnahme der
Leber voransugehen. In der Regel empfiehlt sich folgende Reihenfolge:
1. Netz, 2. Hilz, 3. Nieren und Nebennieren, 4. Harnblase, 5. Ge-
724
Dr. Placzek.
Während es in Preussen heisst: „Jedes dieser Gefässe wird
verschlossen, versiegelt und bezeichnet“, wird hier verlangt:
„Damit die Gegenwart der zur Aufnahme nnd Konservierung aller ge¬
nannten Teile notwendigen Gefässe, deren Verschluss und Transport sicher
gestellt Ist, ist es notwendig, einen hierzu passenden Apparat vorrätig zu halten.
Derselbe kann aus einem in vier Abteilungen geteilten, verschliessbaren
Kasten bestehen, welcher vier nummerierte Gläser enthält. Diese sollen von
zylindrischer Gestalt sein mit möglichst wenig eingezogenem Halse und mit
eingeschliffenen, gläsernen Stopfen. Zwei dieser Gläser sollen einen Durch¬
messer von 12 cm und eine Höhe von 20 cm besitzen, zwei andere können
einen geringeren Durchmesser, aber eine gleiche Höhe haben, damit der Deckel
des Kastens alle vier noch ausser ihrem eigenen Verschluss festbält. Die
Gläser werden in duplo angeschafft, damit, wenn die eine Serie in Gebrauch
ist, die andere in Bereitschaft sich befindet.
Die Gefässe sollen zur Konservierung der in sie aufzunehmenden Organe
samt Inhalt reinen Weingeist enthalten. Wenn sie gefüllt sind, werden sie
luftdicht mit dem Stopfen und darüber gelegter Blase oder Pergamentpapier
verschlossen, versiegelt, bezeichnet nnd dem Bichter zur weiteren Veranlassung
übergeben.“
Inhaltlich abweichend ist ferner der vorletzte Abschnitt.
Dieser lautet in Bayern:
„Da bei dem Verdachte einer Vergiftung auch die chemische Unter¬
suchung von etwa nooh vorhandenen Ausleerungen, namentlich Erbrochenem,
sowie von Besten genossener Speisen, Getränke und Arzneien, ferner von Ge¬
schirren und anderen verdächtigen Gegenständen im Hause des mutmasslich
Vergifteten von Wichtigkeit sein kann, so hat der Amtsarzt auch auf solche
Gegenstände Bücksicht zu nehmen und solche in zweckmässiger Verpackung
dem Bichter zur weiteren Veranlassung zu übergeben.“
In Sachsen -weicht § 18 gleichfalls vielfach von der
preussischen Bestimmung ab: „Zunächst ist ein etwa im Bauchfell¬
raume vorhandener freier Inhalt (z. B. Mageninhalt nach Durch¬
ätzung oder Ruptur des Magens) in einem reinen Gefässe zu
sammeln und nötigenfalls in der unten beschriebenen Weise für
die chemische Untersuchung aufzubewahren. Für die Aufbewahrung
der Organe wird ausserdem gewünscht, dass „der Inhalt des
Leerdarms in allen Fällen, wo seine chemische Untersuchung an¬
gezeigt erscheint, ebenfalls in einem besonderen Gefässe auf¬
zuheben“ ist.
Ferner muss
„in allen Fällen, wo die chemische oder spektralanalytische Unter¬
suchung des Blutes (bei Verdacht auf Vergiftung durch Blausäure, durch
Kohlenoxyd oder durch chlorsaures Kali) für die Feststellung der Todesursache
wesentlich ist, eine aus den Gefässen der Leiche entnommene Blutmenge
ebenfalls in einem besonderen Gefässe aufbewahrt werden.“
Von Organteilen sind auch StückederEörpermuskulatür
aufzubewahren. Schliesslich besteht hier noch folgende Variante:
„Die Gerichtsärzte haben in allen Fällen, wo im Interesse eines klaren
Ergebnisses der chemischen Untersuchung die Ausführung derselben vor weiter¬
gehender Zersetzung der zu untersuchenden Substanzen stattznfinden hat, den
Bichter auf diese Sachlage aufmerksam zu machen.
Damit die Gegenwart von Gefässen, welche für Aufnahme nnd Transport
der für die chemische Untersuchung bestimmten Teile geeignet sind, sicher
gestellt werde, ist den Gerichtsäriten zu empfehlen, dass sie einen passenden
Apparat vorrätig halten. Derselbe kann aus einem verschliessbaren Kasten
bestehen, in welchem sich zylindrische Glasgefässe mit wenig eingezogenem
Halse und gläsernen Stopfen befinden. Es müssen mindestens zwei solche
Bin deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahrcn. 725
Gläser, deren Rauminhalt einen Liter fasst, vorhanden sein; ausserdem noch
mindestens sechs Gläser, deren Inhalt bis zu einem halben Liter beträgt.
Wo die rasche Zersetzung der für die chemische Untersuchung bestimmten
Organe und Organteile zu fürchten ist, ist die eine Hälfte eines jeden dieser
Organe oder Organteile durch Zusatz von reinem Weingeist (Spiritus rec-
tificatissimus der Pharmakopoe) zu konservieren, die andere Hälfte aber ohne
jeden Zusatz anfzuheben. Zu diesem Ende haben die Gerichtsärzte eine
genügende Menge von reinem Weingeist vorrätig zu halten. Mit den für die
chemische Untersuchung bestimmten Teilen ist in Füllen der bezeichneten Art
eine Probe des verwendeten Weingeistes einzusenden.
Nach der Füllung werden die Gefüsse möglichst dicht verschlossen.*
Beträchtlich weicht die Bestimmung Aber Vergiftungsfälle
in Württemberg ab:
„Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so hat der Oberamtsarzt oder
dessen Stellvertreter 5 Gläser mit weitem, möglichst wenig eingezogenem
Halse bereit zu halten. Zwei derselben sollen eine Höhe von etwa 20—25 cm und
einen Durchmesser von 10—12 cm haben, die übrigen drei können kleiner sein.
Gläser wie sie gewöhnlich zum Binmachen von Früchten oder dergleichen
dienen, können verwendet werden, wenn keine mit eingeriebenen Glasstöpseln
zu Gebote stehen. Der endgültige Verschluss geschieht mit Blase oder doppeltem
Pergamentpapier; der mehrfaoh umgelegte Bindfaden wird (fest geschnürt,
jedes versiegelt und der Inhalt der nummerierten Gläschen im Protokoll
angegeben.
In Württemberg soll ferner:
„bei Vergiftungen der an seinem oberen Ende schon unterbundene Dünn*
darm auch an seinem unteren Bnde doppelt unterbunden werden .... Sein
ganzer Inhalt, sowie einzelne Stücke seiner Häute, an welchen besondere Ver*
änderungen bemerkt wurden, sollen in dasselbe Gefäss mit dem Magen usw.
gebracht oder für eine etwaige mikroskopische Untersuchung zurüokgelegt
werden.“
Besondere Anweisungen werden hier für die chemische
Untersuchung gegeben:
„Können mehrere Methoden für die Auffindung eines Giftes mit Aus¬
sicht auf Erfolg angewendet werden, so sind mindestens zwei derselben zur
gegenseitigen Kontrolle in Anwendung zu bringen.
Ist es gelungen, die giftigen Stoffe in ihrer ursprünglichen Form aus-
zuscheiden, oder sind sie sonst bei der Untersuchung nachgewiesen worden, so
sind dieselben wohl zu verwahren und mit den entsprechenden Aufschriften
zu versehen.
Ueber die angewendeten Untersuchungsmethoden und deren Ergebnisse
•ist ein fortlaufendes Protokoll aufzunehmen, von den dabei tätig gewesenen
Sachverständigen zu unterzeichnen und zugleich mit dem darüber auszustellen¬
den Gutachten und den oben erwähnten Stoffen dem Richter zu übergeben.“
In einer besonderen Bestimmung (§ 30) wird hier das Ver¬
halten bei Tod durch Infektion mit Trichinen geregelt. Es
ist dann
„der Inhalt des oberen Teils des Dünndarms einer genauen mikros¬
kopischen Untersuchung zu unterwerfen. Teile des Zwerchfells, der Muskeln
des Halses, der Brust und der Augen sind, besonders an den Ansätzen der
Sehnen, herauszonehmen und später zu untersuchen.
In Sachsen-Weimar weicht der Paragraph für Ver¬
giftungen vornehmlich darin ab, dass hier eine dreifache Doppel¬
unterbindung vorgeschrieben wird, und zwar die Speiseröhre dicht
über der Einmündung in den Magen, der Anfang des Leerdarms,
der Mastdarm oberhalb des Beckenbodens, ferner eine einfache
Unterbindung der Speiseröhre an ihrem Anfang.
Mecklenburg-Strelitz bestimmt in seinem kurz gehaltenen
726
Dr. Placzek.
§ 11, dass „um den unteren Teil der Speiseröhre und etwa den
mittleren des Dünndarms doppelte Ligaturen gelegt werden“, ausser¬
dem die Speiseröhre nahe am Halse unterbunden werde.
An den zitierten Bestimmungen, wie sie mit mehr weniger
breiter Detailschilderung als Zwangsanweisung für Vergiftungs¬
fälle gelten, wird durchgreifend reformiert werden müssen. Zu¬
nächst wird der Schematismus fallen müssen, der alle Vergiftungs¬
arten nach dem gleichen Gesichtspunkt beurteilt, als lieferten sie
alle ihre Hauptmerkmale im Magen und Darmkanal. Dass dies
nicht zutrifft, bedarf keiner weiteren Begründung. Es muss daher
dem Obduzenten ein Spielraum bleiben, nach persönlichem Er¬
messen zu entscheiden, wann er die Magen-Darmsektion nach
dem Vergiftungsschema ausführen und Organteile nach Vorschrift
konservieren will.
Sodann muss die unglückselige, komplizierte und oft genug
dem Geschicktesten missglückende Magen-Darmunterbindung, wie
sie bisher üblich ist, durch eine andere Methode ersetzt werden.
Schon früher erwähnte ich, wie hart Strassmann das geltende
Verfahren kritisiert. Hier brauche ich nur hinzuzuftigen, dass die
Methode, die er vorschlägt, und die ein einheitliches Uebersichts-
bild vom Anfang der Speiseröhre bis zum Mastdarm anstrebt, alle
billigen Anforderungen erfüllt. Wird, wie Strassmann wünscht,
Speiseröhre, Magen und Darmkanal in toto herausgenommen, so
sind nur zwei Unterbindungen nötig, am Anfang der Speiseröhre
und am Mastdarm oberhalb des Beckenbodens; ausserdem über¬
blickt man so die Gesamtwirkung des Giftes bei der Passage durch
den Verdauungstraktus.
Natürlich fällt auch bei Annahme dieses Sektionsmodus die
Vorschrift, in Vergiftungsfällen stets mit der Bauchhöhle zu be¬
ginnen.
Für die Aufbewahrung der Organteile etc. könnte ein Gläser¬
kasten nach dem Muster des bayerischen vorgeschrieben werden,
doch keine Zusatzflüssigkeit.
Hiernach würde die Obduktion eines Vergiftungsfalles genau
so verlaufen, wie die eines gewöhnlichen Falles, nur dass vor
Herausnahme der Halsorgane die Speiseröhre und der Mastdarm
unterbunden werden, und die Halsorgane ohne Speiseröhre heraus¬
genommen werden.
Da wir die Besonderheiten der äusseren Besichtigung
Neugeborener, wie sie zur Ermittelung ihrer Reife und Ent¬
wickelungszeit notwendig werden, bereits früher besprachen,
können wir uns hier auf Vergleichung der Anweisungen be¬
schränken, welche speziell für die innere Besichtigung Neugeborener
gelten. Hier gelten zunächst folgende Bestimmungen für die Er¬
mittelung stattgehabter Atmung:
Preussen:
„§. 24. Ist aniunehmen, dass das Kind nach der dreißigsten Woehe
geboren worden, so muss zweitens nntersncht werden, ob es in oder nach der
Geburt geatmet bat. Es ist deshalb die Atemprobe ananstellen, und an diesem
Zweck in nachstehender Reihenfolge vorzugehen:
a. Schon nach Oeffnnng der Bauchhöhle ist der Stand des Zwerchfells in
Ein deutsches geriehtsärztliches Leichenüffnuugsverfzhren.
699
der Snmenblaaen und des Baachteils der Samenleiter zngleich mit jener der
Blase. Die Teile sind nach GröBse, Beschaffenheit nnd Inhalt zn beschreiben.
Die Untersuchung des im Leistenkanal und Hodensack verlaufenden
Teils der Samenleiter, der Nebenhoden, Hoden und Scheidenhaut erfolgt in
der Regel durch Spaltung des Hodensacks in der Mittellinie und deren sich
anschliessende Freilegung. Grösse und Beschaffenheit der Teile ist anzugeben,
auf Verwachsungen und ungewöhnlichen Inhalt der Scheidenhaut, auf das Ver¬
halten der im Samenstrang verlaufenden Blutgefässe zu achten.
Vor der Herausnahme der weiblichen Geschlechtsorgane, welche in Ver¬
bindung mit jener der Harnblase und des Mastdarms erfolgt, iBt die Lage und
Form der Gebärmutter, Eileiter und Eierstöoke festzustellen, auf ungewöhn¬
liche Verbindungen dieser Teile unter sich und mit den Nachbarorganen zu
achten.
Nach der Herausnahme soll die Untersuchung auf Schamlippen,
Kitzler, Scheide, Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke, Nebeneierstöcke, die
runden und breiten Matterbänder und die in letzteren verlaufenden Blut- und
Lymphgefässe sich erstrecken. Inhalt und Wand sollen gleichmässig berück¬
sichtigt, vorhandene Blutaastritte, Verletzungen, Narben nach Lage und Aus¬
dehnung beschrieben, eintretenden Falls die Anwesenheit von Samenfäden durch
mikroskopische Untersuchung festgestellt werden.
Besteht Schwangerschaft, so ist deren Dauer aus der Grösse der
Gebärmutter und des Sandes soweit als möglioh festzustellen, auf Verletzungen
der Geschlechtsorgane und Eihttllen zu achten.
Ist der Tod im Wochenbett erfolgt, so tat dem Verhalten der Scheide,
der Innenwand der Gebärmutter, der in der Wand der letzteren verlaufenden
und der von ihr ausgehenden Blut- und Lymphgefässe besondere Aufmerksam¬
keit zu widmen, die Lage des Graafsehen Bläschens, welchem das befruchtete
Ei entstammte, anzugeben.“
Baden, Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Braun¬
schweig und Schwarzburg-Sondershausen stimmen mit
Preussen überein.
Mecklenburg-Strelitz sagt nur, dass „die Harnblase,
bei weiblichen Leichen die Gebärmutter mit ihren Anhängen“
zu untersuchen sind, ohne die Art dieser Untersuchung anzugeben.
Ein Vergleich der angeführten Bestimmungen ergibt zunächst
die auffällige Tatsache, dass Bayern und Sachsen die Möglich¬
keit einer Sektion der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane
in situ frei lässt, wenn kein wesentlicher Befund zu erwarten ist;
Es dürfte fraglich sein, ob eine derartige Ausnahme sich bewährt,
Voraussagen lässt sich ein Sektionsergebnis doch nie. Schon des¬
halb dürfte daher ein einheitlicher Sektionsmodus für jeden Fall
erwünschter sein.
Für diesen Sektionsmodus könnten die in Preussen, und ähn¬
lich in Württemberg und Sachsen-Weimar Eisenach geltenden
Bestimmungen als Vorbild dienen, obwohl hier die Herausnahme
der äusseren Geschlechtsorgane unterbleibt. Diese Erweiterung
der Sektion könnte im Zukunftsregulativ als Ausnahmefall Er¬
wähnung finden. Ihre praktische Ausführung könnte wie in
Sachsen geschehen, wo die Herausnahme „durch einen von der
vorderen Beckenfuge beginnenden, bis zum Schwanzbein sich er¬
streckenden, die äusseren Geschlechtsteile und die Aftermündung
umkreisenden und die Weich teile bis in das Becken hinein durch¬
setzenden Schnitt“ erfolgt. Es sollten dann aber nicht, wie es
Bayern will, die inneren Beckenorgane unter der Symphyse durch¬
geschoben werden, sondern die äusseren Geschlechtsteile auf diesem
728
Dr. Placzeb.
Sachsen enthält eine mit Bayern inhaltlich übereinstimmende
Anweisung.
Württemberg erklärt, abweichend von den anderen Regu¬
lativen, dass „die innere Besichtigung Neugeborener ohne Aus¬
nahme mit der Eröffnung der Brust und des Unterleibes durch
einen Längsschnitt“ beginnt. Weiter wird hier gefordert, dass die
Luftröhre „mit Einschluss der Speiseröhre, sowie der anliegenden
Gefässe dicht oberhalb des Brustbeins mit einem doppelten, nicht
zu dünnen Faden einmal unterbunden, und jetzt erst die Brust¬
höhle mit der Schere geöffnet werde“.
Endlich werden hier die Speiseröhre, Aorta und untere
Hohlader unmittelbar vor ihrem Durchtritt durch das
Zwerchfell unterbunden, über dieser Ligatur durchschnitten
und dann erst besichtigt.
Sachsen-Weimar-Eisenach sagt kurz:
„Bei Herausnahme der Lungen soll auf den Inhalt der Bronchien bei
deren Durchsehneidung geachtet werden. Die Oberfläche der Lungen soll erst
mit freiem Auge, dann mit der Lupe besichtigt werden, die hydrostatische
Probe der Besichtigung nachfolgen und sich auf die Lunge im ganzen und auf
die einseinen Abschnitte erstrecken.“
Mecklenburg-Strelitz stimmt im §. 13 im allgemeinen
mit Preussen überein: Baden, Mecklenburg-Schwerin,
Anhalt, Braunschweig, Schwarzburg-Sondershausen
sind ganz identisch.
Sehr praktisch ist die Art, wie Prof. Strassmann die Hals¬
organe herausnehmen lässt: Der Unterkiefer wird an seinen
Winkeln beiderseits durchtrennt und bietet nun an seinem Mittel¬
stück einen vortrefflichen Halt, um Zunge, Gaumen etc. zu lösen.
Nicht recht verständlich ist die preussische Bestimmung in § 24 b,
„vor Oeffnung der Brusthöhle“ die Luftröhre einfach zu unterbinden.
Warum P Fürchtet man wirklich einen vollständigen Luftaustritt
aus lufthaltigen Lungen, wenn die Unterbindung nicht erfolgte?
Die Befürchtung ist grundlos. Sie wird gegenstandlos durch
die physiologisch feststehende Tatsache, dass kein Druck von
aussen die Luft aus den Lungenalveolen vollständig verdrängen
kann. Es dürfte daher- die Erwägung angebracht sein, ob die
Luftröhrenunterbindung fortbestehen soll.
Wünschenswert erscheint mir, dass 1. das Strassmann sehe
Verfahren Regel würde, 2. als Ergänzung die von mir angegebene
Lungenprobe angewendet würde. Gerade weil sie das Verfahren
des Regulativs in keiner Weise beeinträchtigt, könnte sie nach
Unterbindung der Luftröhre und vor Eröffnung des Brustkorbes
schnell und leicht ausgeführt werden, mag es mit Quecksilber¬
oder, einfacher, mit Wassermanometer geschehen.
Während Preussen es an den beiden Sonder-Paragraphen für
Neugeborene: „Ermittelung der Reife und der Entwickelungs¬
zeit“, und „Ermittelung stattgehabter Atmung“ genügen lässt,
haben andere Regulative noch weitere Sonderbestimmungen. So
heisst es in Bayern:
*) Siehe Placsek: „Eine neue Luneenprobe“. Münchener mediz. Wochen¬
schrift; 1902.
Bin deutsches gerichtaüritliches LeichenBffnusgsverfabreo.
701
leert and nach in Beziehung auf seinen Geruch untersucht ist, setst man den
Schnitt durch die Speiseröhre fort und stellt zum Schluss das Verhalten der
einzelnen Ge websschichten dieser Organe fest.“
Sachsen-Weimar-Eisenach: „Magen und Darm mit der Bauch¬
speicheldrüse sollen zugleich mit Gekröse und Netz der Bauchhöhle entnommen,
bei der Herausnahme die gewöhnlichen Bruchpforten nachgesehen werden.
Die Oeffaung des Magens geschieht längs der Mitte der vorderen Wand
vom Magenmund bis zam Pförtner, der Zwölffingerdarm wird längs der Mitte
der vorderen Wand, . . . geöffnet.
Iu allen Abschnitten soll der Beschaffenheit der Wände gleiche Berfick-
sichtignng werden, wie jener des Inhalts. Im Magen ist es insbesondere die
DrQsenschicht, im Zwölffingerdarm die Papille. . . .“
Mecklenburg - Strelitz sagt nur, dass der Magen „nach den allge¬
meinen, jede Höhle betreffenden Ermittelungen“ zu untersuchen ist.
Baden, Mecklenburg - Schwerin, Anhalt, Braunsohwelg,
Sohwarzburg-Sondershausen stimmen mit Preussen überein.
Wie eine vergleichende Betrachtung der Bestimmungen lehrt,
weichen sie vielfach von einander ab. Bald sollen Magen und
Zwölffingerdarm ohne vorhergehende Sicherung in ihrer natür¬
lichen Lage aufgeschnitten werden, bald soll dies erst nach
Unterbindung dieser Organe geschehen, bald soll die Speiseröhre
im Zusammenhang mit entfernt werden, bald der ganze Dam
gleichzeitig herausgenommen werden. Auch die Art und Stelle,
an der die Organe eröffnet werden sollen, differiert. Die meisten
Regulative wünschen, dass der Zwölffingerdarm an der vorderen
Wand, der Magen an der grossen Kurvatur aufgeschnitten werde,
nur Sachsen-Weimar-Eisenach verlangt die Magenöffnung längs
der Mitte der vorderen Wand.
Das ganze, bisher übliche Verfahren, die Sektion des Magens
und Zwölffingerdarms von jener des übrigen Darmes zu trennen,
sie durch komplizierte Doppelunterbindungen zu erschweren und
endlich Organe mit flüssigem Inhalt in sitn zu untersuchen, er¬
scheint mir für gerichtsärztliche Leichenöffnungen nicht beibe-
haltenswert. Diktiert wird es hauptsächlich durch die übertriebene
Rücksichtnahme auf die Bedeutung der Tatsache, den Gallengang
auffinden und anf seine Durchgängigkeit prüfen zu können. Ge¬
wiss kann diese Feststellung pathologisch - anatomisch änsserst
wertvoll sein, aber doch nur pathologisch - anatomisch, viel seltener,
wenn überhaupt, auch forensisch - medizinisch. Es brauchte des¬
halb eine Rücksichtnahme in dieser Richtung nicht allein aus¬
schlaggebend zu sein, um einerseits die Magen- and Zwölffinger¬
darm-Sektion in der bisherigen Form beizubehalten, anderseits
die wünschenswerte Herausnahme des Magens und Darmkanals
in toto zu hindern. Diese Rücksichtnahme ist um so weniger
nötig, wenn man erwägt, dass die Papille auch ohne Konstatierung
der Ausflussmöglichkeit der Galle durch Kompression der Gallen¬
blase auffindbar ist. Jedenfalls reichen Angaben wie „vier Finger
breit unterhalb des Pylorus“ und „ein kleiner, in der Längsachse
verlaufender Wulst“ (Nauwerck 1. c. S. 103) zur Auffindung aus.
Noch sicherer wird Orths Direktive führen, laut welcher man
den leicht zu fühlenden Kopf des Pankreas anfsncht, den Darm
in der Querrichtnng anspannt und dann etwas nach unten von der
Mitte des Pankreaskopfes die Papille leicht erkennt.
M'
Ä
702 0/, Placzä'b - Bia deutsches gerichtsärstliches LeicheaöiJnungflrcrfÄbrM).
dies «» rdty.
frd. fdst ^estk'
Mein Vorschlag. geht, deshalb «lahm, iaj zukünftigen Regulativ
Magen und Därmkaiiai £eveiit. auch die Speiseröhre) im Zxtmwmvt}*
hang her&uszimehtüeft,, aber <üe Speiseröhre
unbedingt m diesem Zuaamiüeiiliüage zu lassem Oie entsprechende
Beatimmung würde etwa folgeridemasseii lauten;
„Nachdem dfe *}ifi MagendurmktuiaU
Ä uedehnükff, War he und HGiisügtä Au^chta würden $$$'/■ 't%&
"4v^h 4 ■ mH ' Mb$&r dicfit am iprfm M. geschieht du* . a*«.
y0%i‘i4jr dü&f das Mtja&er, ■ w&krmä iUrS&dri* Ivüfivg angespannt u h
dc4Dari7\e^ $e v ” ' ~
gwizt Dünndarm bis
• - -.-I M HJ| ... .. v ., ,|||PPHRPPV|||MP .......... .
/kdeiat Mtigtidcrdmmnng und, der noch <tM Mä<ßn haftende Ted '(fpr.’Sfip&tr&h-r*
Kpn ihren Verbindungen. 4
;: .. .-w-irtf^Untfehtf der Etagen von der Speiseröhreaus m* diT g?ak&üi-
Krümmung aüfg^chn/Uen f der Inhalt mii 'SchÖpfbedutf mdfe? ui and auf Farbe %
chcmisckt fienktitrh rtepriifL di# ÜehlnmhMid dtb Speise-
and d$$ Magens mf Farbe, bickund Blut-
gehiift untersucht, . ih'S Weiteren mrd der.!&$?•%ffinper darrt* tm ^iner vorderen
.Seite,-, der Dünn- and llkkdurm an der Amaizstelfe dn Dekrusi^ pufgenchnittm,
trbge*pidl r nusgtbreüiii. Der Imrmiuhalt wird auf Farbe, KixmhUn2 r - ilrr^ h
geprüft _Ki udril. dit;.. MtDfd^ugs'ShUe :-d*x Gatfanyanges aufgesuchi und
iiifiiHi
Dr#(?ett
Utufa-
Schied fnhfjut
betrachtet.
Hi
sucht Und mehrfach tinfj&vkmkenA
ö^''|||^praüsiiÄhraL!e! von Leber und Bauch*
Speicheldrüse, ßarübsr bestimmt
Preusseu: „Die Leber wird zuerst äusserlicb. in ihrer natürliche» Lage
beimh lieben «md, aaeftdem gegebenenfalls die Untersuchung ihrer AUBfabmiigB-
gäoge ebskttgefaudeo,; hefSkCdgöSbhuit.ten. Dttrah lange, quer aber da# Örgao
gelegte glatte Sahaitta wird der Blutgehalt and das Verhalten dca t’äreacb’fin»
fcstgestellt. Bei der Beschreibung ist stets eine kurze Mitteilung öhäx das
allgeujeine^ Verhalten det Lebßrlhppchen, namentlich Über das Verhalten;; dtr
inneren und änsseren Abschnitte derselben zn geben.“
Bayern i Die Leber Ist „von dem Zwerchfell und ihren Verbindungen
mit andern» Teiieii unter zweimaliger Dnwhtrennnng der nuteten Hoblvene zn
lösen und dann durch lange, quer durch das Organ gelegte Schnitte auf den
IJhitgshfclfc und das Verhalten des Parenchyms za untersuchen. Auch ib* dabei
auf die Gallenblase an achten und die,selbe anzüaehneiden.
b) Zuerst, wenn es angezeigt ist,. Wendet man aich an die Porta hepati«,
präpariert hier die Galieugttnge and prüft sie anf ihre Durchgängigkeit,
etwaigen Inhalt etc.. Aa der Leber wird darch lange, quer durch da«
Organ gelegte, glatte Schnitte der Bintinhalt nnd das Verhalten des Paron-
chyms festgegtellt, auch eine kurze Mitteifaug fiber ditB Verhalten der Leber*
läppchen, namentlich Über die ünterHchiede in ütrem ZaBiram und in ihrer
Peripherie gegeben.“
Sncheen: Bel der UnterBuebung der drüsigen Organe der Unterleib«-
höhle (Leber, Milz, Baechepeicbeldrliae) iat auf das Verhalten der Kapseln in
wehten und d&a Volumen, die Sohsiatenz und bei AbWeinhong von der ^ona
das Gewicht derselben lestznsteUan, Ee sind weiter durch die Organe aoa-
yiebige Schnitte zu S«gco, um die ßeschafenheit der ScbniUft&ebbn »ach Parbe,
KDoaietenz und Blutgefealt an bestimmen.“
, v WUrttwinberg t „Nhn wird die Leber herauBgeBchniUea, naebdam ihre
äussere Beschaffenheit «jjd das gegenseitige Verhalten ihrer läppen ermittelt
«lad. Auf lang«» dtterlaufett&eir Schnitten nhtersneht man das Verhallen d«w
Gewebes, die Bsschaffftuhsit, sowie die Füllung der Blutgefässe und der Qallea-
Jetzt haha atush da» Oafüge, die Farbe und Gestalt der Battchspehdiel-
drflsa festgesstelit werden.“
• Wdtr.ar- Einunacb: »Gröese and Form der Leber, die
Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren.
781
wünscht, dass man nach Griesingers Methode horizontal von
vorn nach hinten mit den Knochen zugleich das Gehirn durchsägt.
Nach Orths kompetentem Urteil erleidet das Gehirn hierbei nnr
geringe Verletzungen, in jedem Falle geringere als bei der anderen
Methode. Vielleicht lässt man in Zukunft den Obduzenten die
Wahl zwischen beiden Methoden.
Preussen und Württemberg, sowie die mit Preussen
übereinstimmenden Staaten haben noch folgende, auch für die Zu¬
kunft empfehlenswerte Bestimmungen über sonstige Unter¬
suchungen nnd Schliessung der geöffneten Leiche:
Preussen: „§.25. Sonstige Untersuchungen. Schliesslich wird
den Obduzenten zur Pflicht gemacht, auch alle in dem Regulativ nicht nament¬
lich aufgeftthrten Organe, falls sie an denselben Verletzungen oder sonstige
Regelwidrigkeiten Anden, zu untersuchen.
§. 26. Schliessung der geöffneten Leiche. Der Geriehts-
(Kreis-) Wundarzt, bezw. der zugezogene zweite Arzt, hat die Verpflichtung,
nach beendigter Obduktion und nach der soweit als möglich erfolgten Beseiti¬
gung der Abgänge die kunstgerechte Schliessung der geöffneten XOrperhöhlen
zu bewirken.“
Württemberg: „§.32. Schluss der Leichenöffnung. Ergeben
sich bei der inneren und Äusseren Besichtigung Verletzungen oder sonstige
Veränderungen in Organen, welche im Vorstehenden nicht namentlich aufge-
führt sind, so darf doch deren nähere Beschreibung unter keinen Umständen
unterlassen werden. Der zweite Arzt hat die Verpflichtung, nach Beendigung
der Protokoll-Aufnahme und der Abgabe des vorläufigen Gutachtens für die
Beseitigung der Abgänge und die regelrechte Verschliessung der KOrperhöhlen
zu sorgen.“
Wir kommen nunmehr zum dritten Teil des geltenden Regu¬
lativs der
Abfassung der Obduktionsprotokolle und des
Obduktionsbericbts.
Dieser Hauptabschnitt zerfällt noch zumeist in die Unterab¬
teilungen:
1. Aufnahme des Obduktionsprotokolls,
2. Einrichtung und Fassung des Protokolls,
8. Vorläufiges Gutachten,
4. Obduktionsbericht.
Hierzu kommen noch in Preussen „Zusätzliche Erklärungen
über Werkzeuge“.
Allein Sachsen-Weimar-Eisenach lässt einen derartigen
Hauptabschnitt vermissen und ersetzt ihn durch kurze Anweisungen
unter I. Allgemeine Bestimmungen.
Preussen:
„§ 27. Aufnahme der Obduktionzprotokolle. Ueber allez die
Obduktion Betreffende wird an Ort und Stelle von dem Richter ein Protokoll
aufgenommen (ObduktionaprotokoU).
Der Phyzikus (Gerichtzarzt) hat dafür zu aorgen, dazz der teehnieehe
Befund in allen zeinen Teilen, wie er von dem Obduzenten feztgeztellt worden,
wörtlich in das Protokoll anfgenommen werde.
Der Richter ist zu ersuchen, dies so geschehen zu lassen, dass die Be¬
schreibung nnd der Befand jedes einzelnen Organs aufgezeiehnet ist, bevor zur
Untersuchung eines folgenden geschritten wird.“
Das bayrische und sächsische Regulativ stimmen fast
wörtlich mit dem preussischen überein.
782 Dr. Placzek: Bia deatschea geriohtsärstliches Leichenöffnungsverfahren.
Eine Sonderbestimmung mit eigener Fassung hat Württem¬
berg, dessen §. 33 „das Protokoll“ in seinem I. Teil lautet:
„Das Protokoll wird während der änsBeren and inneren Besichtigung
▼on dem Gerichtssohreiber nach den Angaben der Aerzte niedergeschrieben.
In der Regel soll sofort nach Untersuchung eines Organs auch die Schilderung
des Erfundes su Papier gebracht werden. Jedenfalls ist es su vermeiden, eine
längere Reihe von Beobachtungen vor dem Niederschreiben Zusammenkommen
zu lassen.
Der erste Arst (Oberamtsarzt) hat dafür zu sorgen, dass die Beschrei¬
bung aller Erfände wörtlich so aufgenommen wird, wie sie durch die Unter¬
suchung festgestellt wurden. Beide Aerzte können nicht dringend genug auf-
gefordert werden, auch solche Funde, welche nach der gewöhnlichen ärztlichen
Anschauung unbedeutend erscheinen, wie z. B. kleine Hautabschürfungen, Blut¬
unterlaufungen, kleine Fremdkörper u. dgl. so vollständig als möglich zu unter¬
suchen und zu beschreiben. Denn nicht selten tritt im weiteren Verlaufe der
gerichtlichen Untersuchung zu Tage, dass gerade sie von allergrösster Wichtig¬
keit sind.
Das Protokoll wird also um so brauchbarer sein, je unverrückter es den
gerichtlichen Zweck im Auge behält, und je eingehender, klarer und bündiger
es die aufgefundenen Veränderungen im einzelnen beschreibt.
Am allerwenigsten darf die Würdigung und Aufnahme der Funde vou
irgend einer vorgefassten, durch äussere Umstände und Verhältnisse hervor¬
gerufenen Meinung Uber die Todesursache beeinflusst werden.“
Sachsen-Weimar-Eisenach:
„§ 7. Ueber jede Leichenuntersuchung ist ein Protokoll aufsunehmen,
in welchem das Wesentliche der Befunde in möglichst gemeinverständlichen
Ausdrücken und in gehöriger Aufeinanderfolge wiederzugeben ist. Soweit als
möglich sollen Messungen an die Stelle von Schätzungen treten, Urteile für
das nach Schluss der Leichenschau bezw. Leichenöffnung abzugebende Gut¬
achten aufgespart werden.“
Der preussische § 27 kann vorbildlich bleiben. Es bedarf
nicht der übermässigen Ausführlichkeit des württembergischen
§ 33, zumal die dort gegebenen besonderen Hinweise nur einen
Teil der „Allgemeinen Bestimmungen“ wiederholen. Betreffs der
Einrichtung und Fassung des Protokolls wünscht Preussen:
„§ 28. Der den technischen Befand ergebende Teil des Obduktions¬
protokolls muss von dem Physikas (Gerichtsarzt) deutlich, bestimmt und auch
dem Nichtarzt verständlich angegeben werden. Zu letzterem Zwecke sind
namentlich bei der Bezeichnung der einzelnen Befunde fremde Kunstausdrücke,
soweit es unbeschadet der Deutlichkeit möglich ist, zu vermeiden.
Die beiden Hauptabteilungen — die äussere und innere Besichtigung —
sind mit grossen Buchstaben (A und B), die Abschnitte über die Oeffnungen
der Höhlen in der Reihenfolge, in welcher dieselben stattgefunden, mit römischen
Zahlen (I, II), die der Brust- und Bauchhöhle aber unter einer Nummer zu
bezeichnen.
Die Befände müssen überall in genauen Angaben des tatsächlich Beob¬
achteten, nicht in der Form von blossen Urteilen (z. B. „entzündet“, „brandig“,
„gesund“, „normal“, „Wunde“, Geschwür“ u. dergl.) zu Protokoll gegeben
werden. Jedoch steht es den Obduzenten frei, falls es ihnen zur Deutlichkeit
notwendig erscheint, der betreffenden Angabe des tatsächlich Beobachteten
derartige Bezeichnungen in Klammern beizufügen.
In jedem Falle muss eine Angabe über den Blutgehalt jedes einzelnen
wichtigen Teiles und zwar auch hier eine kurze Beschreibung nnd nicht blos
ein Urteil (s. B. „stark“, „rnässig“, „ziemlich“, „sehr gerötet“, „blutreich“,
„blutarm“) gegeben werden. Bei der Beschreibung sind der Reihe nach die
Grösse, die Gestalt, die Farbe und die Konsistenz der betreffenden Teile an¬
zugeben, bevor dieselben zerschnitten werden.“
Bayern: § 31 stimmt wörtlich überein, ebenso Baden,
Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Braunschweig.
Kleinere Mitteilungen und Beferate nun Zeitschriften
788
Sachsen: § 22 stimmt nur znm Teil überein. Hier findet
sichnoch folgender Sehlussteil:
„So notwendig für den Zweck der Leichenöffnung die genaue und be¬
stimmte Wiedergabe der wichtigen Befunde ist, so überflüssig erscheint die
umständliche Beschreibung solcher Befunde, welche für das Interesse des
Biohters unwesentlich sind. Für solche Verhältnisse genügt eine kurze, zu¬
sammenfassende Bemerkung. Ueber die technische Ausführung der Leichen¬
öffnung in ihren einzelnen Teilen sind nur dann Angaben im Protokoll nieder¬
zulegen, wenn und soweit dieselbe aus bestimmten Gründen von der vorge¬
schriebenen Form abwoioht.“
Württemberg:
„Die Darstellung des Gefundenen soll bestimmt, vollständig und so
deutlich sein, dass sie bei gleichzeitiger Vermeidung aller Weitschweifigkeiten
auch solchen ein klares Bild ermöglicht, welche nicht bei der Leichenschau
und Leichenöffnung anwesend sein konnten.*
Ausserdem werden „ungezwungene kurze, deutsche Ueber-
setzungen* gewünscht, aber „die Kunstaasdrücke jedesmal in
Klammern“.
.... _Im Falle sich beide Aerzte über die Abfassung der Beschrei¬
bung einzelner Veränderungen, oder über die Aufnahme solcher in das Protokoll
nioht einigen können, bo ist jede der beiden Auffassungen unter dem Namen
des betreffenden Arztes aufzunehmen. Ist die Beschaffenheit des Gegenstandes
der Meinungsverschiedenheit der Art, dass sie noch nach seiner Konservierung
oder wenn die Veränderung einen Knochen, insbesondere den Schädel betrifft,
nach der Mazeration erkannt werden kann, so ist eine solche Konservierung
bezw. Mazeration vorzunehmen und das Präparat dem Bichter zu übergeben,
damit dieser sofort das Urteil eines weiteren Sachverständigen einholen kann.*
Mecklenburg-Strelitz: § 17 entspricht inhaltlich der
württembergischen Vorschrift.
Es liegt kein Anlass vor, den preussischen § 29 inhaltlich
oder formell zu ändern. Hält man ihn für ergänzungsbedürftig,
so könnte der Schlussteil des sächsischen § 22 nutzbringend an¬
gefügt werden.
Es erübrigt sich, die Paragraphen 20 „Vorläufiges Gut¬
achten“, 30 „Zusätzliche Erklärungen über Werkzeuge“
und 81 „Obduktionsbericht“ vergleichend zu betrachten. Sie
können ohne jede Aenderung in das Zukunfts- Regulativ übergehen.
Es war der Gedanke an ein einheitliches gerichtsärztliches
Leichenöffnungsverfahren für das Deutsche Reich, der zu dieser
vergleichenden Studie führte. Sollte er einst verwirklicht werden,
so würde ich zufrieden sein, hierzu eine bescheidene Anregung
gegeben zu haben. _
Kleinere Mitteilungen und Referate aue Zeitschriften.
A. Gerichtliohe Medizin und Psychiatrie.
Kohlenoxydvergiftung. Verschwinden des Gases aus dem Blute.
Von L. Garnier. Biologisch chemisches Laboratorium der medizinischen
Fakultät zu Nancy. C. B. de la sociötö de biologie; 1803, Bd. 66, 8. 761.
Bericht über 4 Personen, die unter verschiedenen Umständen einer
Kohlenoxydvergiftung ansgesetzt waren.
Im ersten Falle lag ein Selbstmordversuch vor. Der Mann hatte sich in
einer Novembernacht 1902 mit Leuchtgas zu vergiften gesucht, war am nächsten
Morgen bewusstlos gefunden worden; ins Krankenhaus gebracht, lag er dort
einen Tag im Koma. Nach starkem Aderlass, NaCl.- Injektionen kehrte das
?06 Ans VerBamralaugeu and Vereinen,
i. Haltnng der Ktth*.
tjtjl.ajtaag 4 et Eflhe in einem -ischtc«,; grti venfcüierbaren Stalle,
i .oljcbste Haltung' ier yerjo«i4ßAg der Eoter- Terwireiwgtinf,
iä^ticheB Striegeln und Bürsfen Ät? KÖbe.
gliche Enlfernnng tles Pfingen an? den» Stalle, V«rwendnag guter und
h «/ Streß.
t;V iüsnaoe Rtabaltttttg der Patter- and Melka&iien.
T>) T4güfihe Bewegung der £fihe t« Freien bet günstig« Witterung,
b, FhtlöiUug der Kflb«.
H v.:saehlttÄs ein«# jeden ««derbenen «4« stark riechenden oder sonat nicht
FfttteiTBtit'tefe. •/
äjfvÄmüidblä» '• fea .Mai*- :04 äV K anoffeSsdiierope, eaftgetänerle® Ha», g»kre.n-
*r; fr.ertrebetn n, ft.
, üderaog der Ffittefuflg beim Auftreten eines auf die Futtermittel
nif&ek^eiflhrende& Milchfehler«. •
t. Melken , Behandlung und ?e reendnag det Milch.
Ke4igabg der Kater ’ffor dem Melken.
$ - nähme de» Melken* mit reinen Händen.
;'M'tuae des Melkens vor der .Fütterung oder mindestens eine halbe
- jsde nach derselben.
4T '^{.i^fälturer Söhnt* der Milch v»sr jeder Veranreinignng: resebes Entfernen
<fe* Milch ans dem Stelle; Seihen derselben turtniltelbttr nach dem Melken
ijjtltelBt Sieb and Seihtuch, möglichst rasche Abfcübltibg d« Milch auf
Ä* C. Aufbewahrung der Milch in einem got ventiliertem EtiMranim
liJiifeb'kammer} bei einer Temperatur von t»-—S ö bis nur Tereandteit,
Verwendung von sanitär einwftudfreieni: gut gereinigten Mslcb-Trensjiürt-
• v:n.
. yorschrifton bezüglich dev Persona!?.
1} Verwendung vollkommen gesuader Personen bei der Ocwinntmg and Be-
ti tlang der MÜcb. • AnseeWiesrnng solcher, ' welche an Tuberkulose.
EU.at- und. anderen lnfekticrafckrankheiten leiden. : H‘ '•.'.■/
2> Ati'Sfihtiaaaong solcher Personen vom Dienate im H^fe, in deren Wohnung
eine Infektionskrankheit., z. B : Scharlach, Masern, Diphtherie, Blattern
■ .getreten ist. bis «um- voli<üt.8ndigen Erlösdieo einer Infektionsgefabt.
3.i ^x<lge EinsteUußg der Milch}ieferttng bei Auftreten tc.» Typhös auf
■xitem tJehöfte and Sohadloslialtitflg des Genossenschafters durch die
"Mener Molkerei.' ■’ \
Mnn stöbt heute mit Hecht noch allgemein an! dem Standpunkt«, ili«
, den reialicfisten Melken gewonnene Milch Jtn seihen odet je« fi 1 -
■ , im eis voo etwa bineingeratenen Schm n tat eilen re'befreien..
Seit . «n bat die Uolkereitecbuik, am die diesen Z-weck nur unvollkommen
»rfilite«usn Seihtücher *u eraetsen, die verschiedenartigsten Milehsiebe and
-r auf den Markt gebracht, und iiotterdisg» wird dabei ein im Hinblick
■tut > - laktcritngehftlt bex». die Haltbarkeit der Mikb gdne überaus wkh*
ler aber immer noch.tängst nicht gentigend gewhTdlgtes Moment mehr
nnd i*&*r berücksichtigt Alle älteren, aber »ach jetst noch mlfVh
>rn.^ befindlieben PiUer, ob sie nün ans Draht- oder SaarsiehecB bestanden,
<>*« sich aas *wel oder drei «a einaiutergesteütea SiebplattaH ausamnien-
dankten nSmllcb an dep» Fabier, dass die Milch mit »ehr oder vrebtger
xr.ark«»i Druck, d. h. durch den FlBsaigkeitssäuletidruck durch die Siebe ge-
prsyH wardeo, , Dabei kann es nun nicht ftnsbleiben, da es naffientllcil bei der
>2 gröfiacrer Mtlchroengen darch «in and daescibe Filter die nnf den
v * snfanga rarftckgehalteneo Kotpanikelchen oder, sonstige anfUbbäre
Sihrvn ?,Bestandteile von den aachfolgeede« MilcböHtigea ftHtlibbÖch zerrieben
•verde*. «aä non ha feinste» Teilchen nngRbstHtert 4teiiSiebi?llaiiiitgen pasBierv».
Es •;> : -et ohne weiteres ein, dass eine so filtrierte Miicih woki von (gröberen
schrsdltbestaadtettea frei sein kan«, «rÄhrend; eie in bazijlÄrer Hinsicht tmd in
t .Äitg rt'if Haltbarkeit als hfichst swiedlelbsät &ee»icb««t werden mnas eod unter
t'asstSaden viel bedenklicher aein kann, als eiae hberbaapt nicht geseihte bdif
Diese Kalamität bei der Filtration lässt sich I» swelerlei Weist
i'O'ft 'fces Einmal dadurch, dass man die Mücb ohne jeglkbeu Brack ein eng«
r vc'- v" i rdess» lässt, m dass sie nur durch Uim eigen* Schwere StiödurcbfUeMt.
ivvo Ftitrationsmethodik repräsentierten auf det’AauRtsBcftg das vom Tier*
Aub Versammlungen and Vereinen.
707
nrst Levens erfundene and von der Firma Levens & Andrö in Goch ver¬
triebene Patent-Milchsieb and ferner das Sch eben sehe Milchsieb. Beide
haben sich in der Praxis schon gat bewährt. Wählt man anderseits das Filter¬
material so dicht, dass feinste Schmatzpartikelchen nicht mehr passieren
können and ohne dass dabei dnreh Verstopfen der Filterporen die quantitative
Leistangsfähigkeit za schnell erschöpft wird, so wird ein solcher Apparat
ebenfalls zweckentsprechend Bein. In dieser Weise ist der Ul and ersehe
Milchreiniger, bei dem das wirksame Prinzip die Anwendung von einer oder
zwei zwischen zwei bezw. drei Siebplatten befestigten Wattescheiben darstellt,
konstruiert. Prof. Dr. Vieth, der Direktor des milch wirtschaftlichen Insti¬
tutes Hameln empfiehlt diesen Apparat anf das wärmste and sagt, dass ihm
bisher keine Beinigangsvorrichtnng für Milch näher bekannt geworden ist,
welche ihren Zweck in gleich einfacher and gleich vollkommener Weise er¬
reichen lässt. Aach die quantitative Leistungsfähigkeit befriedigte durchaus,
insofern als erst nachdem 120—150 Liter Milch das Filter passiert haben, die
Anwendung einer neuen Filterscheibe notwendig wird. In ganz ähnlicher,
sogar noch etwas einfacherer Weise arbeitet der von F. Pittins ansgestellte
hygienische Milchreiniger „Freya“, bei dem nur eine Wattescheibe, die zwischen
Metallscheiben auB gelochtem Blech angebracht ist, zur Verwendung kommt.
— Einen Versuch, jede Seih- und Filtriervorrichtung unnötig zu machen und
dnreh einen entsprechend konstruierten Melkeimer zu ersetzen, stellt der
Wertgensche Sicherheitsmelkeimer, Purificator“ dar. Die Milch läuft
bei ihm dnreh eine hinreichend grosse Oeffnnng zunächst durch ein gröberes
Sieb, dann durch ein feines Haarsieb. Beide Siebe können mit einem Grift
abgenommen, auseinandergezogen und in Wasser gereinigt werden. Am Aus¬
guss findet sich ein luftdichter Verschluss. Ich möchte die Anwendung eines
solchen Eimers dann als einen Fortschritt ansehen, aber auch nur dann, wenn
bei seinem Gebrauch streng darauf geachtet wird, nach dem Melken jeder ein¬
zelnen Kuh die Siebreinigung in reinem Wasser vorzunehmen; dagegen möchte
ich nicht den Filtrier-Zentrifugen, die neuerdings verschiedentlich empfohlen
werden und auch in der Ausstellung vertreten waren, das Wort reden. An¬
geblich ist mit ihnen, ohne dass Entrahmung eintritt, eine genügende Reini¬
gung der Milch zu erzielen. Ich kann mir das .nicht vorstellen, am aller¬
wenigsten dann, wenn sie für den Handbetrieb eingeriohtet sind, da man mit
etwa 600 Umdrehungen in der Minute unmöglich die leichtesten Schmutzteile
aus der Milch herauszentrifugieren kann.
In diesem Zusammenhänge sei noch der Desinfektion von Milch¬
viehstallungen gedacht. Leider bot die Ausstellung nichts, was die Unzu¬
länglichkeit der bisherigen Desinfektionsverfahren zu vervollkommnen geeignet
gewesen wäre. Da die Milch bekanntlich gegen Aromata irgend welcher Art
sehr empfindlich ist und leicht deren Geschmack und Geruch annimmt, so ergibt
sich — unter selbstverständlicher Voraussetzung eines guten Effektes — als
Haupterfordernis einer für Kuhställe sich eignenden Desinfektionsmethode not¬
wendigerweise die Geruchlosigkeit der zur Desinfektion verwendeten Mittel.
Annähernd ebenso wichtig ist die Ungiftigkeit. Erst in dritter Linie kommt
es auf die Einfachheit und Handlichkeit der anzuwendenden Apparate an.
Die ausgestellten einschlägigen Apparate, z. B. der Lübbeckesche, ein nach dem
Prinzip des Heronsballes arbeitende Sprayapparat, waren als zweckentsprechend
zu bezeichnen, nicht aber die von den Ausstellern vorgeschlagenen Desinfektions¬
mittel, mit welchen die Apparate arbeiten sollten. Heisse Sodalösnng versprüht,
ist in ihrer desinfizierenden Wirkung ebenso unsicher wie parfümierter Nitro¬
benzol. Chinosol ist aber für Ställe im allgemeinen unbrauchbar, weil es
Eisenteile stark angreift. Aus diesen Gründen musste auch die gestellte Preis-
aufgabe: „Desinfektionsverfahren für Milchviehstallungen" als ungelöst be¬
trachtet werden. So lange wir keine für die allgemeine Anwendung brauch¬
bare Desinfektionsmethode haben, wird zu deren Ersatz darauf hinzuwirken
sein, die Ställe so einzurichten, dass sie der mechanischen Reinigung leicht
zugänglich sind, womit aber nicht gesagt sein soll, dass dies nicht unter allen
Umständen anzustreben wäre. Als Muster in dieser Hinsicht konnte der er¬
wähnte Hüttenrauch sehe Stall dienen. Auch der altbewährte Kalkanstrich,
welcher den Tieren nicht schadet, wohl aber alleB sich ansetzende Ungeziefer,
und sei es auch nur Fliegenbrut, vernichtet, keinen unangenehmen Geruch
hinterlässt, welcher auf die Qualität der Milch nachteiligen Einfluss ausübt,
Au Varafcaunltwgefl und Vereinen
Vß8
<>ii4 vorteilhaft *nr Desinfektion heransuaieheB sei«; wer ihn oft erneuert,
»M «i«e wirksam« Prophylaxe
i Wcailioh imuinig«» Funkte» der ÄikthgewianuBg etwas l&aget ver-
* »»Ut habe, aa getebab du i* wobittberlegt er Absicht, JgJnth&il 4 m andestüfiga-
v«iH Besprochen© auch ottt die Hinweise auf die elejnestant^ Oroadsfttafcdw
MficbiEewiaoRng, so sind sie doch auch giejcbaeHtg die wichtigsten, und Y
>ti© »ßiitltre Baaäfsichtignng der Milchwirtschaft bat diese V&hllttdtöte
Iwtend«* in* Aags *u fassen. Mit Recht wird daher auch neuerdings
b*ä 4W gmmte» Müch^rodabtioa, vornehmlich der der Eindermilch, der
Hcupiwert «tf Ais sanbora and Bjnwaodfrei'e Gewinnuog gelegt ; ist erst,
etumai in» Stelle die Milch versctmuwt. ?o ist sie dtttefc kein Mittel der Welt
wiedäf »i etecm wohlschmeckenden und bekömmlichen KbbJ^lpmitteJ um*»-
gestalte«. Zu® Glück finden aber hier die sacitfiren Seetrshußgea bis so einem
gewisse» Grade «Ute Sthue am pekftnihre» Interesse der ProdteeBteo selbst,
denn i»#t ei&e saxtbere Milch Hast behö V>mod ah Molltweie» »»4 Milchhtndlei
oft grosse Vurlaste vermeiden, and hei der Gewiennog der allein gnthesahltcn
oratkl&ssigeB Butter spielt die Sauberkeit des Rohmaterial* dt« Hauptrolle und
eine vielieiaht auch, grössere in der ft&serei.
Dam Melken hat «loh bekanntlich, eofero »icliuUe Milch ata Prodaktioas-
arta selbst sofort weiter verübeltet wird, unmittelbar die Kühlung der
Milch aszaschlieseen.} es ist- sa fordern, d&s* sie auf mindestens 12 ° C.
gekühlt wird, eh* sie «tn Transport gelangt. Uebor dl* bar Austeilung ge-
u-agUMi KühiappiMr«te ist itn silgomoinen atebt* Bosoodor««' k» berichten. So-
wähl di© kleiner»* für die Prodnktiansart der Milch bestimmt«*, welche dis
für den Transport notwendige Tewpeoaluyeritfedngiing bezweckest Mfow« «3*
Mich die grösaaraa für die SaounelRwikemco waren, soweit ich mich unterrichte»
konnte, not in den bekannten Formen — Rökrenkttbler nach La wr*sc-ß schein
£y*te® and Sc k m id t scher rundvr Kühler mit gewellter Bleebwapd— ver¬
treten. Non war nur der von So® mier & Hsell in Düsseldorf aassttstelifc*,
einen enormen Kiifceeffekt eraidende Beriecclnngsmilcbfcbfeter, io dem dl»
Xtltee««ogasg dorob Yerdampfoag ton Schwefeldioxyd geschieh.!. GetegenUieb
iw Bvsprechnog der Müchküblncg sei aber »aobdrfickUchst biogewiecon wnf
4» Aasatdllangsgegenstande der „G©*ell*ehaft jfllr allgwneiiw bygiejwteb« Milch-
taraorgnng 4 isßerii», deren System eioer hygkinechcn Milchveiworg»»# kJ»
prinsdpteUe Grundlage die Tiefkübiueg de? Milch hat. per Leiter dag. Gstell«
eohaft, der bekannte Kilchteehniker X»ge»ie«f Wilhelm Helm io Berlin, b»t
io einer sehr «ehr lesen«- und helfe r*Üge**itöHeh Arbeit, die in der im Anftrage
der wissenschaftliche» Abteilnogtiejr Ausstellung hf-raoegegefefren Ferttebffllti
* Di« Milch und ihre Bodeateog für Volkswirtschaft and Volksgesufidhuit*
veröffentlicht ist, die Vorsüge das Varfshieus der Vilcbtiefkhhleng in
Ueberaeugong dargalegt. Die«« Voraüge der Nenorgeniaation basiere» I» ervteri.-
Linie darauf, dass dl» Arbeiten der Milchversorgnog auf einen viel grösseren
Zeitraum, als es bisher; möglich war, verteilt weiden können; denn 41« t»*’
gekühlte Milah ist von grosser Haltbarkeit und nicht mehr ©in fiasdf lsertXkeh
4er mit aller Hut vertrieben Werda» i»a*s, will man nicht durch sein Ver¬
derb co empfindliche Rinbtuwen erleide». Die Molkereien, welche da* neue
System eingefttbtt haben, arbeiten so der Weise, dass sie die. «logeliefarte
Milch durch KMtewirkang halte« machen, den Tag 1 über antbewahren aail am
bSchsten Tage vor BU»li*ferong der frischen Milch verkaufen, oder versende®.
Wer daher einen solche« Betrieb hteichtigt, «rfcllt den Bindrnck, als ob di?
Molkereien die Milch eher verkaufe«, als aic solche ©rhalten. Di«'gdwonaenen
Vorteile sind so bedeutend, das» die Batriehafftkruiig uut der RSltemBK'hiiic
auob im Winter aufrecht v4:halt»» wird. Bin»., derartige Organisation d«
Betriebes mit ihrer Kuh© und Ordnung: smügUchk oatttilich eice gac* andere,
viel gorgf<igere und «»htllete Bcbjkftdlu»g der Milch und auch ihrer Trsn»-
portgefÄsse, als tnaa ata ihnen in «öderen M<itk«rOien angedeiben laaseu k*»n,
in deaeo AnKa/exung, PrUf>u»g n»4 dvj Milcb ?ow»c Reinigung der
Trauaportgeffcs»e, also fast di« gws*e Arbeit eich ao! wenige Voroittogsrtosden
ruaamta«ndrÄnal und in grösster Silo ©tied%f «» werden pflegt. Anch dem
Frodosenten bietet die ifonorganisatjoo, da die Milch erst viel »pAtci »1»
früher aag©li«fert an werden braucht, öStia nicht su uuterechfttÄend* Kr-
laiohteinug uutnoher ünbequemiichkcUsn, die mit 4or Müchgewinnung »nf 4®«
:> Landa verkodpft sind. „ Während sonst, namaatUcb im Winter, sa sehr Mb»
Au Varsammlnogea ud Vereinen.
70»
Morgenstunde »ei der Laterne die Milch ermolken werden müsste, wobei nf
reinliches Melken, gutes Ausmelken, reinliehe Behandlung der Milch kann
Rücksicht genommen werden konnte, ist jetst für alle diese Arbeiten die nötige
Zeit gewonnen, and der strebsame Landwirt ist in die Lage versetzt, vor¬
zügliche Milch an liefern and d&darch die Anwartschaft anf einen höheren
Preis za gewinnen.* Um die Temperatarerniedrignng, welche die Milch in
der Zentrale erfahren hat, za erhalten, sind zam Transport an die einzelnen
Milchhändler die Transportgefässe so konstruiert, dass eich die einzelnen Gefftsse
dieht an dicht and dicht anf dicht stellen lassen, nm dadurch einen einzigen
Milchblock zn bilden, der nnn yon oben and den Seiten her darch einfache
Isolierung mit Strohdecken oder dgl. vor Erwärmung leicht geschätzt werden
kann. Um der Milch auch in den Verkanfslokalen die Kälte an erhalten,
gelangen die Transportgefässe in einfache isolierte Aufbewahrungsräume. Zum
Verkauf der Milch werden die Transportgefässe mit einer einfachen Hebe¬
vorrichtung heraasgehoben, mit einem Zapfdeckel versehen nnd amgekippt.
Alle diese Manipulationen können leicht und ohne Kraftanstrengnng von
einer einzigen Person ausgeführt werden. Auf die geschilderte Weise ist der
geringste Verbrauch an Kälte gesichert; ein Umgieseen der Milch wird ver¬
mieden und damit die Möglichkeit ihrer Infizierung oder des Hin ein geratene
von Fliegen und anderen Insekten ausgeschlossen. Ueberall dort, wo das nene,
übrigens billig arbeitende Verfahren eingeführt ist, hat es sich scbnoll den
Beifall des Publikums erworben und solche Mehreinnahmen zur Folge gehabt,
dass die Anschaffangskosten für die Kältemaschinen und Transportgefässe in
kurzer Zeit gedeckt werden konnten. Wer auf der Ausstellung den von der
Berliner Gesellschaft eingerichteten Milchausschank und die blitzsauberen
Verkaufenden mit all ihren ebenso einfachen wie praktischen Einrichtungen
gesehen hat, wird sich der Ansicht nicht verschlieBsen können, dass es sich hierbei
am einen hervorragenden Fortschritt in der städtischen Milchversorgung handelt,
der als ein glänzendes Vorbild auf diesem anerkanntermassen ausserordentlich
bedeutungsvollem Gebiet bezeichnet werden kann.
In vortrefflicher Weise war das Milchtr aasportwesen in der Aus¬
stellung seitens einer Reihe von Firmen behandelt. Von Milchwagen and
Karren, welche bestimmt waren für Beförderung der Milch von der Produktions¬
stätte bis zur Eisenbahnrampe bezw. bis zum Geschäftslokal deB Händlers und
für den Vertrieb der Milch im Stadtverkehr, war eine stattliche Zahl von
Exemplaren zu sehen. Ihre nähere Schilderung dürfte über den Rahmen dieser
Besprechung hinansgehen. Auch Miicktransportkannen waren in mannigfach
varierten Formen und Ausstattungen ausgestellt. Als beste konnte eine
Kollektion von gestanzten, nahtlosen mit Verzinnung versehenen und mit
Stechdeckel und Gummidichtung ausgestatteten angesehen werden. Interessant
war mir, dass als zweekmässigster Deckelverschluss für Milcheimer im städtischen
Verkehr ein staub- und wasserdicht konstruierter Holzdeckel von den Preis¬
richtern bezeichnet wurde, und zwar, wie mir von kompetenter Seite mitgeteilt
warde, besonders deshalb, weil nur ein hölzener Deckel nicht der Gefahr des
Vcrbeulens und infolge desgen der der Undichtigkeit unterliegt.
Von verschiedenen Firmen waren vollständige Molkereien mit
Reinigungs-,Pasteurisierung8-,KühlungB-und Verarbeitungs¬
apparaten ausgestellt, in denen Behandlung und Vertrieb der Milch teils
im Original, teils in Modellen vorgefübrt wurde. An der Spitze stand die
Wiener Molkerei, „die schönste Molkerei der Welt“, die in tadellos gearbeiteten
Modellen, Photographien nnd graphischen Darstellungen ein vollständiges Bild
ihrer groasartigen und interessanten Tätigkeit geboten hatte. Das, was
Modellen ja überhaupt an unmittelbarer Wirkung und Eindrncksfähigkeit ab¬
geht, ersetzte hier die minutiöse und anschauliche Darstellung des umfang¬
reichen Betriebes. Imposant wirkte die grosse Arbeitshalle, eines 75 m langen,
11 m breiten und durch zwei Stockwerke reichenden Raumes, in welchem den
hygienischen Anforderungen durch eine entsprechende Ausstattung sorgfältig
Rechnung getragen ist, insofern als die Verwendung von Holz ganz vermieden
ist, die Wände 2 m hoch mit glasierten Tonplatten verkleidet sind, der
Fassboden aus starken hellen Klinkerplatten hergestellt und somit jede
Gelegenheit zur Staub- und Schmutzansammlang vermieden ist Für Laft und
Licht sorgen 48 grosse Fenster, nebenbei ist eine künstliche Ventilation ein¬
gerichtet. In der Halle befindet sich die grosse Milchtribüne, aaf welcher
788
Kleinen Mitteilungen und Referate atu Zeitschriften.
Eine befriedigende Erklärung Uber den möglicherweise auch nicht intra
partum erfolgten Tod war also auch durch die Untersuchung der Plaoenta nicht
su finden.
Solche sichere Beobachtungen beweisen aber immer wieder ton neuem,
wie vorsichtig man bei der Beurteilung der forensen Begutachtung sein muss,
Wenn man nicht den unglücklichen Müttern einmal bitter unrecht tun will, fy
_ Dr. Waibei-Kempten.
Fett, Glykogen und Zellentfttigkeit der Leber des Neugeborenen.
Von L. Natlan-Larrier. Comptes rendus de la socidtd de biologie; 1908,
Bd. 56, S. 885.
Die Frage des Glykogengehaltes der Leber ist nach den Arbeiten von
Lacassagne und Martin, von Modioa, L. Wachholz tu a. von
geriohtsärztlicher Bedeutung.
Die mikroskopischen Untersuchungen des Autors an der Leber des neu¬
geborenen Menschen und neugeborener Nagetiere ergaben nun das Resultat,
dass die normale Leber des Neugeborenen Fett und Glykogen
enthält. Beide Sabstanzen zeigen insofern ein charakteristisches Verhalten,
als das Fett in der Umgebung der afferenten, das Glykogen in der der efferenten
Wege sich hauptsächlich findet.
Da sich die Zellen in lebhafter Tätigkeit befinden, handelt es sich nicht
um ein einfaches Aufspeichern dieser Stoffe; es muss angenommen werden,
dass das Fett zunächst in Glykogen, dann in Zucker nmgesetzt wird Und zur
Ernährung und Wärmebildung des Neugeborenen beiträgt.
(Leider ist nicht angegeben, welches die Todesursachen der Neugeborenen
waren, an deren Leber die Untersuchungen angestellt wurden.)
_ Dr. Mayer-Simmern.
Ueber den Mechanismus des Todes infolge von Lufteintritt in die
Venen. Embolien der Koronargefftsse. Von Ch. A. Fran$ois-Franck.
Aus dem physiol.-pathol. Universität*-Laboratorium, Paris. Comptes rendus
de la soo. de biol.; 1903, Nr. 25, S. 960.
Mit Hilfe einer eigenartigen, vom Verfasser ansgebildeten Methode der
Momentphotographie gelang es ihm, an Tieren die einzelnen Phasen der Ver¬
änderungen im Gefässsystem nach Eintritt von Luft in die Venen genauer als
es bisher bekannt war, darzustellen.
In kleinen Quantitäten in die Venen eingedrungene Luft
S assiert dieselben in den meisten Fällen ohne Schaden, es sei denn, dass
ie Luft in besonders intolerante Organe, wie ins Hirn oder ins Herz gelangt.
Wird dagegen eine bedeutendere Menge in die Venen angesogen
oder unter Druck in dieselben injiziert, so sammelt sie sich zuerst im rechten
Atrium und im rechten Ventrikel an, dehnt diese aus und gelangt von da ln
die Art. pulmonales; zum Teil aber auch geht sie in die Venen surück.
Dieser letztere Anteil kann ins Zentralnervensystem gelangen und sieh
in den feinsten Netzen der Gehirn- und Rückenmarksvenen fangen. Die übrige
dem Blut beigemengte Luft tritt zum Teil in die Venae coronariae cordis ein,
deren Vorhofmündungen erweitert sind. In diesen Venen geschieht die Fort¬
bewegung der Luftblasen unter dem Einflüsse der perikardialen Aspiration.
In den Lungenkapillaren findet keine Behinderung für die dem
Blute beigemischte Loft statt, ein Beweis, dass der Tod von Menschen und
Tieren nioht auf einer mechanischen Behinderung der Atmung
bernht.
Nachdem Luft- und Blutmassen die Lunge passiert haben, treten sie im
linke Herz ein, gelangen in die Aorta und von da in die verschiedenen
arteriellen Gefässgebiete. Besonders wichtig ist die Verteilung im Karotiden-
und Vertebralesgebiete einerseits, in den AA coronariae cordis anderseits.
Die akute Anaemie des Zentralnervensystems wird bedingt durch ein
Eindringen schaumigen Blutes in die feinsten Schlagaderverzweigungen desselben.
Der Tod aber tritt ein durch eine Luftembolie der Koro¬
nararterien. Stossweise entleert sich mit Luft gemengtes Blut in die«
Gefässe, während sich gleichzeitig auch die Koronarvenen mit Luftblasen
füllen. Das Herz stirbt ^Infolge Absperrung des Blutsuflusses^. zum Myokard.
Ddnore Mitteilungen und Referate mu Zeischriften.
7 ®
(Die Frage der Luftembolie ist jüngst in der Arbeit S tu eins [Viertel-
jabrsscb. f. ger. Medisin; 1908, Sopplb. 1] snsammenfassend besprochen worden.
Die Vemcbe des Antors geben eine aneh gerichteärstlich wichtige Srglnsnng
sn jener Darstellnng.) _ Dr. Mayer-Simmern.
Der Nachweis individueller Blntdifferenzen. Von Dr. Wolfgang
Weiehardt, Assistent am hygienischen Institut der Universitftt Berlin.
Hygienische Rundschau; 1903, Nr. 15.
Die Spezifizität der durch Injektion gewonnenen Blntdiagnosenseia kann
durch Absorption der heterologen Bestandteile erhöht werden. 1 ) Verfasser
stellte Pferdeblutdiagnosensera her, mittels deren er im stände war, swischen
mehreren Pferdeblutsorten sichere diagnostische Unterschiede festzustellen.*)
Nach diesen ermutigenden Vorversuchen legte Verfasser zunichst eine von
bestimmten Gesichtspunkten ausgehende Methodik des biologischen Blntnaeh-
weises fest, mit Hilfe dessen nicht nur die sichere diagnostische Unterscheidung
von Blut nahestehender Arten, wie das vom Menschen und Affen, sondern
aueh von dem zweier menschlicher Individuen gelingt.
Da ferner Verfasser mittels 4 maliger Injektion von Leiehenblut A.
binnen 8 Tagen ein Kaninchenserum erzielen konnte, mit dem nach Absorption
der heterologen Bestandteile ein ganz deutlicher Unterschied festzustellen war
zwischen dem Blut der Leichen A. und B., so ist auch zu erwarten, dass die
Gerichtsärzte in forensischen Fällen mit Hilfe dieser Methode event. das Blut
eines Gemordeten zu diagnostizieren im stände sein werden.
Deshalb dürfte es sich empfehlen, bei betreff, gerichtlichen Sektionen
ca. 50 ccm Blut zu asservieren und mit Phenol zu versetzen, damit event. ein
für das Blut des Gemordeten spezifisches Kaninchenserum gewonnen werden kann.
_ (Autoref.)
Ueber Röntgenstrahlen in gerichtlich • medizinischer Beziehung.
Von Dr.Troeger. Friedreichs Blätter f. gerichtl. Medizin; 1903,Heft IV.
Die Epipbysenbildnng der einzelten Knochen und abnorm vorkommende
Knochen muss der Gerichtsarzt genau kennen, da er sonst normale ROntgen-
bilder als anormale bezeichnen kann. Bei Brüchen, Verrenkungen und ihren
Folgen am Knochengerüst gibt das Röntgen-Verfahren den besten und
sichersten Aufschluss. Manche Brüche und Risse im Knochen sind häufig nur
mit Hilfe der ROntgen - Strahlen zu erkennen. Die ROntgen • Strahlen sind am
Knochengerüst, ausgenommen Kopf und Wirbelsäule, da sie hier noch der er¬
forderlichen Sicherheit ermangeln, ein gerichtsärztliches Postulat. Ein ge-
richtsärstliohes Postulat sind die ROntgen-Strahlen auch bei in den mensch¬
lichen KOrper eingedrungenen Fremdkörpern, da dieselben in allen KOrper-
gegenden und KOrperhOhlen nach ge wiesen werden können, wenn sie mit Rücksicht
auf ihre GrOsse und Konsistenz überhaupt einen Schatten geben. Wenn
auch zugegeben werden muss, dass bei manchen inneren Krankheiten das
ROntgen-Verfahren den alten klinischen Methoden in der exakten Diagnosen-
stellung überlegen ist, so kann es jedoch, mit Rücksicht auf die der ROntgen-
Methode noch anhaftende Mangelhaftigkeit, ein gerichtsärztliches Postulat
nicht sein. Ueber die Lebensfähigkeit eines neugeborenen Kindes und darüber,
ob ein Foetus in oder nach der Gebuit geatmet habe, sowie über etwa be¬
stehende Schwangerschaft gibt das ROntgen* Verfahren bis jetzt keine gerichts-
ärstlich verwertbaren Aufschlüsse. Bei einigen Hautkrankheiten ist die
ROntgen-Therapie als die beste anzuerkennen. Nicht zum geringsten hängt
das Urteil über den diagnostischen etc. Wert einer ROntgen • Untersuchung
davon ab, wer die Untersuchung vorgenommen hat, da nur ein mit dem
ROntgen-Verfahren seit Jahren auf das genaueste vertrauter Untersuchpr be¬
rechtigt ist, ein massgebendes Urteil abzugeben. Dr. Rump.
Ueber angeborenen Mangel der Schlüsselbeine. Von Privatdozent
Dr. Gross, Oberarzt der medizinischen Klinik in Kiel. Münchener medizin.
Wochenschrift; 1903, Nr. 27.
>) Cool Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1902, Nr. 20.
*) Münchener med. Wochenschrift.; 1903, Nr. 25, S. 1077.
712
Beepreehvngen.
otawn geacheltbe« und enthält ei ob Sammlung to» gemeinverständlichen
aber -vimensebaf tischen Aufsitzen aas des verschiedenes Gebieten der
IttfehffiriftAsfl. Dr. Wolff- Stralsund.
Besprechungen.
Dt, Th. Ziehen, o. Professor an der Universität Utrecht: Psychiatrie.
Bearbeite: für Aerzte and Studierende. Zweite vollständig amgearbeitete
Anftagt. Leipzig 1902. Verleg von L. Hirse 1. Preis: 16 Merk.
:-Sanken dem Verfasser des vorliegenden Baebes eine Darstellung
der ph • • ; 'dien Psychologie, die bereits in 6. Anflage erschienen ist and
«•ich «oer weitgehenden Beliebtheit erfreut, während sein Lehrbnch erst jetst
- fl J*hr< «JMtb seinem ersten Erscheinen — zu einer zweiten Anflage gelangt izt.
L»i- !'>t diesen geringen Erfolg des Werkes liegen nicht an diesem
selbst, «-.«der» wie ans scheint, in erster Linie an dem Vorherrschen der
K reepe Huschen Lehren. Jedenfalls wird man dieser zweiten Auflage eine
gute Pft-giK«»» stellen können. Der Verfasser geht von einfachen and klaren
Aaschanangen aas, die sich im Gegensatz zur herrschenden
W fl n d t«ehe» Lehre aaf ein grundlegende» Schema reduzieren lassen, das ihm
enr Sfklä’osg aller psychischen Phänomene ausr eicht.
Nach- Ziehens Auffassung gibt es nar zwei psychologische Elemente
Stspfluden and Vorstellen, mit beiden arbeitet die Ideenassoziation;
iU“. Ergebne ist die Handlang. Begleitet werden jene beiden von GefBhlt-
1 '.neu > t-oder Unlnstgefühlcn entstehend, die von verschiedener Qualität
ao<l *;Ai, wie Intensität sein können. Verfasser erörtert im Anschluss
•aent&len Sätze die Störangen der Empfindungen and Vorstellungen,
d&f ■ >sr ideenassoziation and des Handelns stets nBter Hinweis auf
ihren Zosummanhang mit psychischen Störangen. Ein vortreffliches Kapitel
!. -prechüng der somatischen Begleiterscheinungen der Psychosen,
»*w da« nur einige wichtige Sätze Uber die erbliche Belastung and ihre
i oatueg hervorgehoben werden mögen. Nach Verfasser unterscheiden sich
p 8 y.- , ti-, «ich auf Grund der Belastung entwickeln, nicht von solchen
nad -rr v;-! ; Eutstehungsweise; dagegen verleiht die erblich - degenerative
*» den Störangen in vielen Fällen ein spezifisches Gepräge; im
«tg^ntlicbstsb 8ione gilt dies für die degenerative psychopathische Konstitution.
■ ■ r '«egolmä-wigkeit linden sieb bei letzterer somatische und psychische
wichen; hierher rechnet Verfasser a. a. Labilität der Affekte.
B\be» bissmn einseitigen Gefühlabetonnngen, UngleichmässigkcU der Vex-
afliageeg, Neigung zu Überwertigen Vorstellungen ; Symptome, die sich oft
schon r$ehf früh bemerkbar machen. Ans den Bemerkungen über allgemeine
Prognose interessiert die Angabe Ziehens (3. 247), dass etwa 30% dauernde
Heilung- -1 Geistesstörungen unter sachgemässer Behandlung erzielt werden.
Ei« $nh% UMmswortes Kapitol über die Therapie der Psychosen, das eine
Meng« toi reifender Angaben und Erfabrangen enthält, beschlieest den all-
\,
Im ^«ziellen Teil finden wir eine eigehende Darstellung der psychischen
Mtöruage« «ater Gruppierung des Materials in zwei Hauptgruppen; solche ohne
und JtaTrb* mit Iotelligenzdefekt. Wie gegen die meisten bisher versuchten
E d l - f # >t« )n Hamburg. 12. Kindersterblichkeit und Milehversorgung von
Dr. v ('UiIon. 13. Dio Behandlung der Milch im Haushalt von Dr. Woltg&ng
Weichet ; . 14. Uober Käse Vergiftung von Pbysikns Dr. Lochte in Ham¬
burg. 1h. Heber die durch Mikroorganismen bedingte Gesnndbe-itsschädlichkeit
dnr Butt-.-f und anderer Produkte von Dr. Kister, Abieilnngsvowteber am
bygios>**cbna Institut in Hambarg 16. Die Saprophyten der Milch und ihre
- <- > zur Milchwirtschaft uud zum Molkereigewerbe von Prof. Dr.
H. W »t on in Kiel. 17. Die pathogenen Mikroorganismen in Milch und
Mil IufcteB von Dr. pbil. und med. H. L. Plant in Hamburg. 18. Chemie
' . •.'«» Dr. Eic. bl off, Vorsteher des milch wirtschaftlichen Instituts der
■’.'uHjj Landwirtscbaftskammer in Greifswald. 13. Die Analyse der Milch
'»n .1, /.Ink, wissenschaftlicher Assistent des hygienischen Instituts in Hamburg-
Tagesnachrichten.
718
Einteilungsprinzipien lassen sich anch gegen die des Verfassers manche schwere
Bedenken geltend machen. Es sei gleich erwähnt, dass Ziehen sn den Defekt*
psychosen alle Schwachsinnsformen angeborener nnd erworbener Natur rechnet,
so dass die epileptische Demenz an dieser Stelle ihre Erörterung findet, während
der epileptische Dämmerzustand nnd die epileptische psychopathische Konstitution
za den Psychosen ohne Intelligenzdefekte gezählt werden. In der viel¬
umstrittenen Paranoiafrage stellt sich Verfasser anf den älteren Standpunkt
Westphals, der eine einfache nnd halluzinatorische Form annahm, beide
in chronischer oder akuter Weise verlaufend. Hierher gehören alle Psychosen
mit primären Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen. Wie man Bieht,
nähert sich Ziehen in dieser umfassenderen Auffassung des paranoischen
Krankheitsbildes den Anschauungen Wernickes. Darchaus originell ist die
Zusammenfassung aller Dämmerzustände unter den gemeinsamen Gesichtspunkt
des klinischen Verlaufes; sie stehen den akuten Formen der Paranoia (Delirium
tremens) sehr nahe. Unter zusammengesetzten Psychosen versteht Verfasser
die periodisch und zirkulär verlaufenden Geistesstörungen, zu denen er auch
die Katatonie im 8inne Kahlbaums rechnet. Diese kleine Gruppe von
Krankheitsbilder gibt den Uebergang zur zweiten Hauptgruppe: den Störungen
und Intelligenzdefekt, letzterer ist zusammengesetzt aus Gedächnisschwäche
und Urteilsschwäche. Hier finden alle Schwachsinns- und Verblödungsprosesse
eine einheitliche Darstellung. Zum Schlüsse gibt Ziehen eine sehr dankes¬
werte Uebersicht über die für die Psychiatrie wichtigen straf- und zivil-
rechtlichen Gesetzesbestimmungen. Auch den einzelnen Kapiteln sind kurze
Erörterungen über die gerichtsärztliehe Bedeutung der einzelnen Störungen
beigefügt, so dass das Buch neben seiner vortrefflichen klinischen Darstellung
auch ein reiches Material au gerichtsärztliohen Angaben und Hinweisen enthält
Dr. Pollitz-Münster.
Tagesnachrichten.
Die am 12. September d. J. in Halle a.'S. abgehaltene XX. Haupt-
Versammlung des Preussischen Medizinalbeamtenvereins hat unter ver¬
hältnismässig reger Beteiligung der Vereinsmitglieder einen recht befrie¬
digenden Verlauf genommen, der nicht zum geringsten Teile den vom Orts¬
ausschüsse in vorzüglicher Weise getroffenen Vorbereitungen zu danken ist.
Als Vertreter des Herrn Ministers war H. Geh. Ob.-Med.-Bat Dr. Schmidt-
mann erschienen, der die Versammlung in dessen Aufträge mit warm em¬
pfundenen Worten begritsste und ihren Verhandlungen den besten Erfolg
wünschte. Dasselbe geschah von dem als Vertreter des H. Regierungspräsi¬
denten erschienenen EL Ob.-Reg.-Rat Czirn v. Terpitz in Merseburg nnd von
dem als Vertreter der Stadt erschienenen Geh. Reg.-Rat Oberbürgermeister
Staude.
Ein reicher Damenflor trug bei dem unter grosser Teilnahme stattfin¬
denden Festessen wesentlich dazu bei, dass an demselben eine äusserst ver¬
gnügte Stimmung herrschte.
Nicht ganz so gut war der Besuch der sich anschliessenden II. Haupt¬
versammlung des Deutschen Medizinalbeamtenvereins in Leipzig am
14. und 15. September d> J., aber trotzdem ihr Verlauf ebenfalls ein
durchaus befriedigender, sowohl in Bezug auf die Verhandlungen, als auf die
sich auschliessenden Besichtigungen und das am Abend des ersten Sitzungstages
stattgehabte Festessen, das den grössten Teil der anwesenden Mitglieder mit
ihren Damen zu frohbewegtem Beisammensein vereinigte. Die Versammlung
wurde hier von H. Geh. Reg.-Rat Grünl er -Leipzig als Vertreter des Mini¬
sters des Innern und von H. Bürgermeister Di t tri oh-Leipzig als Vertreter
der Stadt begrüsst.
Von der sonst üblichen Erstattung eines vorläufigen Berichtes
über beide Versammlungen ist Abstand genommen mit Rück¬
sicht darauf, dass die Druoklegung der offiziellen Berichte
diesmal auf Wunsch des Vorstandes beschleunigt werden wird,
und die Berichte voraussichtlich schon den am 1. bezw. 15. November d. J.
erscheinenden Nummern der Zeitschrift beigelegt werden. Mitgeteilt sei iedoch
schon jetzt, dass anf der Versammlung des Preussischen Medizinal-
TageaD&cfefichleii
ä 'o te ave re io» beschlossen ist, die «Sahst jährige Jahresvsraamm-
1 1 >. ö? wieder io Berlin und *w*f im Frühjahr (womügücb in der zweiten
HaU:v dos Aprils) nbzub&iten *»wtezwei Verhandlung-stage dafür in Ansicht;
üo a^?oea- Üer Keutschö äfod'uiaalbsäffiteareretii wird auch eisern
Bsscb.hjsae des Vorstandes voraussichtlich. «benfbHs !r Berl?n t&geo» aber
wie imiior im September. 'Die VurstSsdö beider Vereine sind per Akklamation
«<e<»afgew&hlt, in dem Vorstände de» Deutschen KedirisRibeamteurereius ist
j^docU iosütern eine Aendernag eiogetreteo, &i» an Stelle des «JBe Wiederwahl
abletaujndau -Med-Rats Kr Kürz-Heidelberg H„ Gb,-Med.*Bat Dr\ C* toi ff
io Karlsruhe gewählt ist. _
An der io Posen errichteten Akademie ist Prof. Dr. Wer nicke,
DirekMtr des dortigen hygienischen Instituts «am PofeSso* ernannt and glefch-
zeitig «tna Prcsektor fttt di* erst«; .Amtaperiode bestallt.
Mit dem 1, Oktober d. J. «erden auch im Orosaberzogtoui Baden
rwel bfttsrsacb%agsämt6r flir ansteckende Kraofcheitea, eins in Heidel¬
berg, das s-ßdeteia Fr eibarg i ./Br. in Wirksamkeit treten. Die Einrichtung
•liosi-r ü n ternociiungsanstaitea beraht auf der Erwägung, dass es den. in der
Praxis steteodbo Aeratea, aucü denjenigen, welche sich über die Fortschritte
Änt • ••( Gebiete der bakteriologischen Dntersackang auf dem Laufenden er-
li Ala'ä haben, «ibob itn angegebenen Falb vielfach nicht nur; an der dnrch fort
gi.se t?‘4 Debnng erreichbaren technischen Sicherheit und Fertigkeit, sondern
«aeli au der für solche Untersaohnagen notwendigen Zeit gebricht.
Betreffe Bekhmpfaag der Kurpfuscherei bat der Reichskaasler Graf
ß b m> • an die Deutsch« öeseHschnft zur Bekämpfung dar Ge-
s c b 1/j.fjh tek Paakhe i t en aal eine Petition derselben folgende Antwort erteilt:
,Ödr Deutschen Gesellschaft aor Bekämpiang der Gescblechtekraakbeiteä
beehr* ick mich ergebenst miteateilen, dass ich «ns der überreichten Petition
gern \ eranlassnng genommen habe, den Herrn Staatssekretär des Innern am
K»*«%$sngön über die Bekämpfung der Karpfnscherei, jedoch nicht für ein,
rna^'rc für alle Gebiete der Heilkunde in ersuchen.“
Die in Breslau am 14, d. Mts. abgebaltene Jahresversammlung
des Zentralverbandes von Gr tskrank o n-k-ansc-n iu> Kentsehen
BeUtve nahm nach einem Vorträge yon Geheiratet NeUser: „Inwiefern
Jt.. u vi «a die & f a n fceakassea *u r Bekämpfung: der Gwchleehtekrank-
UelteK beitragonf 1 “ folgende Resolution an: „Der Ortskrankenkassentag
m Brodau sieht im Anschluss an die AOsfiihrtuJgcn des Geheiratet« Prof. Dr.
N •: i * e r den lÜttetiaagsswang der Kasgoaärzte an die Krankenkassen ähr
itub-iiegt notwendigen, wenn Ln eine trirkenme Bekämpfung dw Goschlechts-
..Mi iitea seitens der Sraakenkassen eingetreten werden soll.. Br beauftragt
tirii-ir loa Zsntral Vorhand, an raas$gebtedet Stelle dahin vorstellig; an werden,
•lass eis Aerete gegenüber den Kränkenkissön yba dör Wahrung' des Berufs-
sisses (§. 300 des Stt. tf. 8.) entbanden, dagegen die StröJbestimmuDg
; 300 de» Str. Q. Bf, auf die Eassänorgane im Interesse der Vereicherten
a*isg.rd.«hot werde.“
Die diesjährige in Kassel yoa September »hgehalteno, sshr
«ahlroicfa besuchte ?3, Veriattanlüttg 4*atsene? N’«anrfor!»t’ii**r «*»4 A brate
wäbJÄ. Br esl au »1* pii der a&ghatjähi'igen Tagung, Zu G#«rblfteiUhrctu
wurdp! die PrbfesBofeti Geh- Med. Kat Dr P o n f i k mini Br. tind e h b tt rg-
Brasld^«. anip »weiten «tcllyertrtjtenden. VoMitzenden ^ Prof- Kr
■ vr, a &e l - Münchec gewählt- Kid aasfiihriicker Belicht übh’r dt« Ver-
samuP mg wird in einer der ßichüteu Nomtnerti gebracht wc?den.
Auf dem HXl Beattdiea Aerzietag in i'üti* ä. Ith. am 11. and
.13. ;^<>ptsijnber 1908 waren 259 Delegierte» welche 364 VaretBO isit 19814
(*on 3)Öi790) Mitgliedern vertraten, anwesend. BeschUvtht« Wurde d ie Vor-
«inlgting des *Verbftnd«B dar Aerstn De ötBChlaads zur Währ
Tagesnachrichten.
715
rang ihrer wirtschaftlichen Interessen“ mit dem Deutschen
Aerztevereinsbunde. Der erstere soll künftig eine besondere Abteilung
in der Organisation des Deutschen Aerztevereinsbnndes bilden; seine Kasse
aber als selbständige Kasse bestehen bleiben.
Betreffs Bekämpfung der Kurpfuschrei wurde der Geschäfts¬
ausschuss beauftragt, „unter Zuziehung eines juristischen Beirates beim Bundes¬
rat und Reichstag fOr die in Aussicht genommene Novelle zum Gesetze gegen
den unlauteren Wettbewerb auf die Kurpfuscherei bezügliche und geeignete
Massnahmen zu beantragen.“
Hinsichtlich der Förderung des ärztlichen UnterBtützungs-
wesens und des Ausbaus schon bestehender Kassen fanden die Leitsätze des
Referenten (Geh. San.-Rat Dr. S e 1 b e r g - Berlin), wonach die staatlichen ärzt¬
lichen Vertretungen der Bundesstaaten und — wo jene noch nicht vorhanden —
die Vereine die Bildung von grösseren Unterstützungskassen für jeden Bezirk
einer Aerztekammer in die Hand nehmen und zwischen den einzelnen Aerzte-
kammer- und Landes-Unterstützangskassen Beziehungen geschaffen werden sollen,
die eine einheitliche Besteuerung, gleiche Unterstützungsgrundsätze, Austausch
und Unterstützung verzogener Klienten anbahnen können, einstimmige Zustim¬
mung. Angenommen wurden hierzu noch Anträge von Windeis und David-
s o h n, die den Aerzten die rechtzeitige Fürsorge für ihre Hinterbliebenen
durch Beitritt zur Versicherungskasse für die Aerzte Deutschlands bezw. die
Einsetzung einer ständigen Kommission empfehlen, die insbesondere die tech¬
nischen und anderen Bedingungen zunächst für eine Witwen- und Waisen¬
versicherung und eine solche für Invalidität ermitteln soll.
Ebenso sprach sich der Aerztetag zustimmend auB für den Erlass einer
Reichsarzneitaxe sowie für eine an alle Bundesregierungen zu richtende
Eingabe zwecks Aufhebung des Selbstdispensierrechts der Homöo¬
pathen, soweit ein solches Selbstdispensierrecht noch besteht. Auch der
Antrag der ärztlichen Bezirksvereins Leipzig-Stadt: „Der Deutsche Aerzte¬
tag wolle seinen Geschäftsausschuss beauftragen, die erforderlichen und geeig¬
neten Schritte zu tun, um die Herausnahme aller auf die Aerzte bezüg¬
lichen Bestimmungen aus der Gewerbeordnung und den Erlass einer
Deutschen Aerzteordnung herbeiznführen“, wurde angenommen.
Endlich wurde ein Antrag des allgemeinen ärztlichen Vereins zu Cöln,
„dass eine Beschränkung der Ableistung des praktischen Jahres auf die zwecks
Ablegung des praktischen Jahres zu bildenden medizinischen Akademien nicht
den bei dem Vorschlag eines praktischen Jahres leitenden Intentionen ent¬
sprechen würde“, dem Geschäftsausschusse als Material überwiesen.
Die Deutsche Gesellschaft für Volksbäder hat, der ihr gewordenen
Einladung nach Kassel folgend und im Einvernehmen mit den städtischen
Behörden daselbst, ihren nächsten Jahreskongress auf den Tag nach Himmel¬
fahrt, 13. Mai 1904, festgesetzt.
Geh. San.-Rat Dr. Alex Spiess, ständiger Sekretär des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, ist von diesem Verein
bei seiner diesjährigen Versammlung in Dresden (16.—19. September) zum
Ehrenmitglied und von der staatswissensohaftlichen Fakultät der Uni¬
versität München zum Ehrendoktor ernannt worden.
Zu der für Preussen geplanten Reform des Apothekerwesens (siehe
Nr. 18 dieser Zeitschrift, S. 684) hat der Vorstand des Deutschen Apo¬
theker-Vereins folgende fünf Leitsätze einstimmig angenommen:
1. Die Verpflichtung eines Apothekers, der die Erlaubnis zur Neuein¬
richtung einer Apotheke erhält, zu einer angemessenen Abgabe an den
Staat erscheint gerechtfertigt.
2. Die Aufhebung der Veräusserlichkeit der Apotheken bedeutet keinen
Fortschritt, sondern einen Rückschritt für die Pharmazie. Lässt man dabei
den Privilegien die freie Verkäuflichkeit und Vererblichkeit, so beseitigt man
nicht einmal die ungesunde Preissteigerung der Apotheken, sondern man fördert
sie. Zur Beseitigung der vorhandenen Missstände und zur Herbeiführung eines
einheitlichen Systems muss die Veräusserlichkeit aller Apotheken anerkannt und
716
Tagesu&chrichten.
rechtlich festgelegt werden. Insbesondere darf die freie Veränderlichkeit und
Vererblichkeit der von 1811 bis 1894 konzessionierten Apotheken nicht in Frage
gezogen werden.
3. Es ist dringend za wünschen, dass solche Apotheken entschuldet
werden, welche darob übermässig hohe Preise über Gebühr belastet erscheinen.
Für eine Reform in diesem Sinne ist die Zuhilfenahme des Staatskredits un¬
entbehrlich.
4 Apotheken, denen gegen eine Abgabe an den Staat die Ver&uaserlich-
kftit eingeräamt worden ist, sowie diejenigen, weiche den in Satz 3 vorge-
ebroen Staatskredit in Ansprnch nehmen, sind nnr mit jedesmaliger Genehmi¬
gung verkäaflieh. Die Genehmigung erfolgt nach gesetzlich festzalegenden
Grundsätzen and nach Anhörung von dazu berufenen Fachmännern.
5. Die Erteilung von Konzessionen zar Anlage nener Apotheken ist ge¬
setzlich za regeln and unterliegt dem verwaltangsgerichtlichen Verfahren.
Auf eine Eingabe der Zentralvertretnng der tierärztlichen
Vereine betreffend die Einführung einer staatlich anerkannten Standes¬
vertretung hat der H. Landwirtechaftsminisfer von Podbielski folgenden
Bescheid erteilt: „Zur Verwirklichung des vorgetragenen Wunsches, dem näher
za treten ich nicht abgeneigt bin, kann die staatliche Anerkennung der Zentr&l-
vercretang der tierärztlichen Vereine nicht in Betracht kommen, vielmehr dürfte
die Einrichtung von Tierärztekammern nach dem Muster der Aerzte-
rind Apothekerkammeru als der geeignete Weg erscheinen. Den Aerste-
kaumero ist das Recht der Besteuerung und der Ehrengerichte durch das Ge¬
rs vom 25. November 1899 verliehen worden. Die den Aerztekammern nach-
gebiideten Apothekerkammern entbehren dieser Einrichtungen. Es bleibt ihnen
oUerl&ssen, für die Bereitstellung der erforderlichen Mittel Sorge zu tragen,
nn-1 nnr die Befugnis der Entziehung des aktiven und passiven Wahlrechts
gibt ihnen ein Mittel in die Hand, der Missbilligung des Verhaltens eines
Btaadesgenossen Ausdruck zu geben. Wenn die Tierärztekammern den Apo-
thekorkammern nachgebildet werden, so würde ihre Schaffung durch eine gl.
Verordnung erfolgen können, während sowohl die Beilegung des Besteuerungs-
rechtes als anch die Einrichtung von Ehrengerichten die Form des Gesetzes
notwendig machen würde. Ob anf das Bestonernngsrecht besonderer Wert zu
lugen ist, erscheint in Anbetracht der zn erwartenden geringen Aasgaben
• veifelhaft. Sollte dieses der Fall sein, so wird auch auf die Einführung von
Ehrengerichten, die von der überwiegenden Mehrzahl der Acrzte für geboten
».rächtet wurden, nicht verzichtet werden könuen. Diese beiden Punkte werden
zunächst einer eingehenden Prüfung zu unterziehen sein. Ich stelle anheim,
wi.h hierüber, sowie über den sonstigen Inhalt der gewünschten Verordnung
z« äussern.“
Nicht, so günstig lautet dagegen ein anderer Bescheid desselben Ministen
auf eine Eingabe der vorgenannten Zentralvertretnng betreffs Referat der
Dienststellung der Kreistierärzte. Der Bescheid lautet: „Die Ausführungen
wllen bei den zurzeit schwebenden Verbandlongen nach Möglichkeit verwendet
Werden. Der Erlass eines Gesetzes Uber die Dienststellung der Kreistier&rzte
»ach dem Vorbilde des Gesetzes über die Dienststellung der Kreisärzte vom
i6. September 1899 liegt einstweilen nicht in in der Absicht, da ein Bedürfnis
hisrfiir bei der wesentlich verschiedenen Rechtslage nicht anzuerkennen ist.
Dagegen ist in Aussicht genommen worden, dem Landtage einen Gesetzentwurf
zu unterbreiten, der den Kreistierärzten die Pensionsberechtigung ver-
< ht und ihre Dienstbezüge unter Aufhebung des Gesetzes vom 9. März 1872
anderweit regelt. Unter Voraussetzung des Zustandekommens dieses Gesetzes
sollen die Gebälter der Kreistierftrzte durch den Staatshaushalt erhöht werden.
Die Ordnung der RangverhftUnisse endlich, von der auch die Höhe der Reise-
^ bührnisse abhängt, muss der Allerhöchsten Entscheidung Vorbehalten bleiben."
In Marseille sind infolge von Einführung pestverseuchter Lumpen in
«luer Papierfabrik der Vorstadt Saint Barn&be Anfang September 14 Personen
au Pest erkrankt nnd 4 davon gestorben. Die Krankheit scheint anf diesem
Herd beschränkt geblieben zu »ein. _
. Verantwort!. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-n. Geh. Med .-Rat in Minden i. W.
1 C O. Brun», H«nto*l. Bi»ch. a. F. Meh.-L. HoOntetidtuehcrci Io Mieden
9ESbP^' <
Kleinen Mitteilungen and Befernte au Zeitschriften.
746
ist anf Rechnung der Schntsbehandlang mit Pestseram za setzen. Markgraf
bekam am selben Tage, wo er dem Kranken zuerteilt war, SO and 20 ccm
Seram, nach seiner Erkrankung weitere Dosen, im ganzen in 8 Tagen 186 ccm.
Die Isolierung der mit dem Kranken in Berührung gekommenen Personen,
Beobachtang Ansteckungsverdäohtiger mit Untersuchung des Rachenschleimes
and Fahndung auf Bubonen, Schutzimpfung der am meisten gefährdeten
Personen, Desinfektion der Wohnung des Verstorbenen, worden alsbald vor-
genommen, letztere besonders sorgf<ig, nachdem die Nacht über Formalin*
dampf eingewirkt hatte.
Dass man der Infektionsgefahr Herr geworden ist, ist in erster Linie der
Isolierung der Kranken und der mit ihnen in Berührung gekommenen Personen,
sowie der Fahndung auf etwaige Bazillenträger zu verdanken. Wegen etwaiger
Uebertragung der Krankheit auf Ratten des Wohnhauses des Kranken wurden
auch die Bewohner dieses Hauses unter Aufsicht des Medizinalbeamten gestellt
und die Kinder vom Schulbesuch ferngehalten. Es ist nicht zu befürchten,
dass man sich mit Pest leichter im Laboratorium ansteckt, als mit irgend einer
anderen Krankheit. Solchen Betriebsunfällen, wie dem vorliegenden, sind aber
die geschicktesten Arbeiter gelegentlich unterworfen.
_ Dr. Räuber-Düsseldorf.
Der Berliner Pestfall in seiner epidemiologischen Bedeutung.
Von Prof. Dr. F. Plehn, Reg.-Arzt a. D. Vortrag, gehalten in der Berliner
mediz. Gesellschaft am 1. Juli 1903. Berliner klin. Wochenschrift ; 1903, Nr. 29.
Die Befürchtung, dass solche vereinzelte Fälle, wie der in Berlin auf¬
getretene, Anlass zu einer allgemeinen PeBtepidemie in Deutschland geben
konnten, tritt P. entgegen. Seine Erfahrungen in Indien nnd Aegypten sprechen
dagegen. Die Ansteckungsgefahr sowie die Schwierigkeit, die Seuche vom
Lande fernzuhalten und die Gefahr einer allgemeinen Verbreitung bei einer
Einschleppung würden überschätzt. Die englischen Aerzte und das Pflegeper¬
sonal in Indien denken nicht daran, eich in ihrem Verkehr nnd speziell ihrer
Aussenpraxis irgend welche Beschränkung aufzuerlegen. Uebertragungen auf
diesem Wege gehören zu den ganz verschwindenden Ausnahmen. Die Pest ist
eine Krankheit des schmutzig und zusammengedrängt lebenden Eingeborenen¬
proletariats; die Exemption der in günstigen Verhältnissen lebenden Euro¬
päer geht so weit, dass unter den Farbigen der Verdacht aufsteigt, die Pest
werde ihnen von den Europäern beigebracht, um sie auszurotten. Daher die
Schwierigkeit, die Eingeborenen in Hospitäler zu bringen, nnd ihr Widerstreben
gegen alle seitens der Regierung getroffenen hygienischen Massnahmen. Die
Beulenpest ist nur infektiös im septicämischen Stadium, in dem die Bazillen
auch in Urin und in Fäces übergehen. Leichter können die Pestbazillen bei
der Lungenpest ins Freie gelangen, aber in den indischen Pesthospitälern sind
die Lungenpestkranken nur selten gründlich isoliert. Gross ist die Ansteckungs¬
gefahr bei Obduktionen. In Ceylon ist es gelungen, sich gegen die Einschlep-
S ung einer Epidemie aus dem Mutterlande Indien zu schützen. Durch gründl¬
iche Untersuchung jedes zugelassenen Kuli am Ausfahrt- und Ankunftshafen,
Darchmachung einer Quarantäne und einer regelmässigen weiteren etappen-
mässigen Kontrolle auf den Stationen an den Strassen nach den Theeplantagen.
In Aegypten dagegen hat die völlige Fernhaltung der Pest wegen der vielen Ein¬
gangspforten und dem jährlichen Zuströmen Tausender aus dem verseuchten
Mekka zurüokkebrender mohamedanischer Pilger sich unmöglich erwiesen, aber
auch hier ist es möglich gewesen, durch schnelle Ermittelung und Isolierung
der Kranken, Absperrung aller mit ihnen in Berührung getretenen Personen
uni Desinfektion aller von ihnen benutzten Gegenstände am Seuchenherd
diesen jedesmal zu begrenzen und in kurzem zum Erlöschen zu bringen.
Bezüglich der Diagnose kommt die bakteriologische Untersuchung für
die praktischen Zwecke zu spät, selbst bei der Lungenpest. Aus der Anamnese
und dem allgemeinen Eindruck kann die Diagnose von dem Erfahrenen in den
meisten Fällen leicht gestellt werden. Bezüglich der Therapie hat der Ver¬
fasser von der Anwendung des Haffkinschen, Lustig sehen und Verein
sehen Serums keine Erfolge gesehen. Die Wirksamkeit des bei dem Wärter M.
angewandten Serums zieht er in Zweifel. Dr. Räuber- Düsseldorf.
16
Tagesn&chrichten.
rechtlich festgelegt werden. Insbesondere darf die freie Verftnsserlichkeit und
Vererblichkeit der von 1811 bis 1894 koasessionierten Apotheken nicht in Frage
gezogen werden.
3. Es ist dringend za wünschen, dass Bolche Apotheken entschuldet
werden, welche daroh übermässig hohe Preise über Gebühr belastet erscheinen.
Für eine Reform in diesem Sinne ist die Zuhilfenahme des Staatskredits un¬
entbehrlich.
4. Apotheken, denen gegen eine Abgabe an den Staat die Veräusserlich-
keit einger&nmt worden ist, sowie diejenigen, welche den in Satz 3 vorge-
ehenen Staatskredit in Anspruch nehmen, sind nur mit jedesmaliger Genehmi¬
gung verkäuflich. Die Genehmigung erfolgt nach gesetzlich festzulegenden
Grundsätzen und nach Anhörung von dazu berufenen Fachmännern.
b. Die Erteilung von Konzessionen nur Anlage neuer Apotheken ist ge¬
setzlich za regeln und nnterliegt dem verwaltungsgeriohtlichen Verfahren.
Auf eine Eingabe der Zentralvertretung der tierärztlichen
Vereine betreffend die Einführung einer staatlich anerkannten Standea-
vertretung hat der H. Landwirtechaftsminisfer von Podbielski folgenden
Bescheid erteilt: „Zur Verwirklichung des vorgetragenen Wunsches, dem näher
zu treten ich nicht abgeneigt bin, kann die staatliche Anerkennung der Zentral-
vertretung der tierärztlichen Vereine nicht in Betracht kommen, vielmehr dürfte
die Einrichtung von Tierärztekammern nach dem Muster der Aerzte-
und Apothekerkammern als der geeignete Weg erscheinen. Den Aerzte-
kammern ist das Recht der Besteuerung und der Ehrengerichte durch das Ge¬
setz vom 26. November 1899 verliehen worden. Die den Aerztekammern nach¬
gebildeten Apothekerkammern entbehren dieser Einrichtungen. Es bleibt ihnen
überlassen, für die Bereitstellung der erforderlichen Mittel Sorge zu tragen,
und nur die Befugnis der Entziehung des aktiven und passiven Wahlrechts
gibt ihnen ein Mittel in die Hand, der Missbilligung des Verhaltens eines
Standesgenossen Ausdruck zu geben. Wenn die Tierärztekammern den Apo¬
thekerkammern nachgebildet werden, so würde ihre Schaffung durch eine gl.
Verordnung erfolgen können, während sowohl die Beilegung des BeBteuerungs-
rechtes als auch die Einrichtung von Ehrengerichten die Form des Gesetzes
notwendig machen würde. Ob auf das Bestouerungsrecht besonderer Wert su
legen ist, erscheint in Anbetracht der zu erwartenden geringen Ausgaben
zweifelhaft. Sollte dieses der Fall sein, so wird auch auf die Einführt.ng von
Ehrengerichten, die von der überwiegenden Mehrzahl der Aerzte für geboten
erachtet wurden, nicht verzichtet werden können. Diese beiden Punkte werden
zunächst einer eingehenden Prüfung zu unterziehen sein. Ich stelle anheim,
sich hierüber, sowie über den sonstigen Inhalt der gewünschten Verordnung
zu äussern.“
Nicht so günstig lautet dagegen ein anderer Bescheid desselben 1 inietera
auf eine Eingabe der vorgenannten Zentralvertretung betreffs Refe m der
Dienststellung der Kreistierärzte. Der Bescheid lautet: „Die Ausfüi rangen
sollen bei den zurzeit schwebenden Verhandlungen nach Möglichkeit ve 'wendet
werden. Der Erlass eines Gesetzes über die Dienststellung der Kreist lerärste
nach dem Vorbilde des Gesetzes über die Dienststellung der Kreisär te vom
16. September 1899 liegt einstweilen nicht in in der Absicht, da ein fi idürfnis
hierfür bei der wesentlich verschiedenen Rechtslage nicht ansuerkei len ist.
Dagegen ist in Aussicht genommen worden, dem Landtage einen Geset: mtwurf
zu unterbreiten, der den Kreistierärzten die Pensionsberechtigu ig ver¬
leiht und ihre Dienstbesüge unter Aufhebung des Gesetzes vom 9. Mi rz 1872
anderweit regelt. Unter Voraussetzung des Zustandekommens dieses fesetzes
sollen die Gehälter der Kreistierärzte durch den Staatshaushalt erhöht werden.
Die Ordnung der Rangverhältnisse endlich, von der auch die Höhe d< Reise¬
gebührnisse abhängt, muss der Allerhöchsten Entscheidung Vorbehalten leiben."
In Marseille sind infolge von Einführung pestverseuchter Li npenin
einer Papierfabrik der Vorstadt Baint Barnabt Anfang September 14 ersonen
an Pest erkrankt und 4 davon gestorben. Die Krankheit scheint at diesem
Herd beschränkt geblieben zu sein.
Veraatwertl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Mim»* L W.
J. O. 0. Brau, Hermotfl. SftMh. s. F. Beh.-L. Hofbnehdruekeret ln Minden.
Kleinere Mitteilungen und Betente atu Zeitschriften.
747
Ohne die bakteriologischen Untersuchungsmethoden wäre es aneh nicht möglich
gewesen, bei dem Wärter feststellen in können, dass er virulente Pestbasillen
hatte. Die Veröffentlichung aller in Betracht kommenden Umstände habe auf das
Publikum ausserordentlich beruhigend gewirkt. Dr. Bäuber-Düsseldorf.
- * . _ •
Sammlung von Gutachten über Flussverunreiuiguug. (Fortsetsung.)
XIV. Gutachten des Relchsgenundbeltsamtes über die Einleitung der
Abwässer Dresdens in die Elbe. Berichterstatter: Geh. Hofrat Prof. Dr.
Gärtner u. Geh. Hed.-Bat Prof. Dr. Bubner (Hierzu die Tafeln XII—XIV.)
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. Beihefte zu den Veröffent¬
lichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. Neunzehnter Band. Drittes
(Schluss-) Heft. Mit 8 Tafeln. Berlin 1903. Verlag von Julius Springer.
Die Stadt Dresden mit 430000 Einwohner entleert zur Zeit schätzungs¬
weise drei Viertel ihrer gesamten abschwemmbaren Schinutzstoffe in den Elb-
strom, ohne dass nach den Ermittelungen der Berichterstatter bis jetzt sicher
nachweisbare Gesundheitsschädigungen oder eine erhebliche Belästigung dadurch
entstanden wäre. Die Zunahme des Elbwassers an Gesamtrückstand und an
suspendierten organischen Stoffen ist eine sehr geringe, die chemischen, durch
die übliche Wasseranalyse bestimmten Stoffe werden in ihren Mengen kaum
verändert; es findet sich auch keine weitere Aenderung der Wasser-
beschaffenheit bis zur preussischen Grenze. Die Zahl der Bakterien allerdings
nimmt erheblich zu; ein beträchtlicher Teil der Mikroben verschwindet in
kürzester Zeit — 1 Stunde — ans dem Wasser, im übrigen bleibt der Bakterien¬
gehalt ein verhältnissmässig hoher und nimmt bis zur preussischen Grenze
nicht wesentlich ab. Die Entfernung der Abwässer und Fäkalien der Stadt
Dresden in der jetzigen Art und Weise ist daher nicht mehr angängig, aber
es besteht für die Stadt die Möglichkeit, ihre Abgänge in besserer Weise, als
bisher in die Eibe zu schicken. Die Zulässigkeit dieses Zugeständnisses beruht
auf folgenden Erwägungen. Bei dem Wasserreichtum der Elbe, ihrer guten
Begulierung, den regelmässigen und starken Hochwässern sind Schlammbildungen
im Flussbett und aus solchen entstehende üble Gerüche nicht zu erwarten,
dagegen können gröbere Schwimmstoffe oder leichtere Sinkstoffe auf grosse
Entfernungen fortgesehwemmt und als ekelerregende, üble Gerüche erzeugende
Massen an den Ufern abgelagert werden. Ferner ist die Gefahr einer Ueber-
tragung von Krankheitskeimen auf die Uferbevölkerung durch das Flusswasser
verschwindend klein, auf die Flussbevölkerung gering; sie lässt sich ausserdem
noch dureh verschiedene Massnahmen erheblich vermindern. Endlich kommen
schädliche industrielle Abwässer zur Zeit in erheblichem Masse nicht in
Betracht. Die Bedingungen nun, unter welchen die Einleitung gestattet werden
kann, sind: a) Die Entfernung der gröberen Schwimm- und Sinkstoffe bis her¬
unter zu Teilchen von 3 mm im stärksten Durchmesser, und die Beseitigung
der so erzielten Bückstände in einer den Anforderungen der Gesundheitspflege
und Aesthetik entsprechenden Weise, b) Die regelrechte Desinfektion der
Abgänge der in Betracht kommenden Kranken und die Ueberwachung der
Desinfektion, sowie die Gewährung der Möglichkeit, in besonderen Ausnahme¬
fällen eine allgemeine Desinfektion der Abwässer vornehmen zu können,
e) Es ist auf ausreichende Reinigung schädlicher industrieller Abwässer Bedacht
su nehmen. Dr. Bost-Rudolstadt.
Beitrug sur Untersuchung der Erdfarben auf Arsen. Von Dr.
Carl Fisolier, Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamte, Ibidem.
Durch die Untersuchungen wurde festgestellt, dass ein grosser Teil der
im Handel befindlichen Erdfarben frei von Arsen ist. In den Fällen, in denen
Arsen nachgewiesen werden konnte, war seine Menge mit wenig Ausnahmen
so gering, dass vor einer quantitativen Festsetzung abgesehen werden musste.
Dr. Rost-Rudolstadt.
Tagesnachrichten.
Dem Bundearat sind jetzt die noch ausstehenden AusfBhrungsbestim-
mumgen nu dem Reichs-Seucbengesetz vorgelegt worden; derselbe hat sie
748 Tagesnachriohten.
in seiner ersten Sitzung nach den Sommerferien dem anständigen Ausschass
überwiesen.
Am 10. d. 11. ist die internationale Sanitätskonferens in Paris
znsammengetreten, am die auf den Konferenzen in Dresden (1893) and Venedig
(1897) getroffenen Vereinbarungen Aber gemeinsame Massregeln znm Schatze
gegen Pest and Cholera eine den nenen Erfahrungen auf dem Gebiete der
Seuchengefahr entsprechende Revision zu unterziehen. Als Delegierte Deutsch¬
lands nahmen an der Konferenz teil: Botschaftsrat Graf Gr Oben, Geh. Ober«
regierungsrat im Reichsamt des Innern Bumm, Geb. Med.-Rat Professor
Dr. Ga ff ky -Giessen and Hafenarzt Dr. No oh t -Hamburg.
Das ablehnende Verhalten der Stadtverwaltungen gegenüber der Er¬
richtung von Untersuchnngsämtern wird meist unter Hinweis anf die
nicht nur durch die Errichtung, sondern auch durch den Betrieb verur¬
sachten hohen Ausgaben begründet, die durch die Einnahmen nur zum geringen
Teil gedeckt würden. Dieser Ansioht gegenüber ist es interessant, zu erfahren,
dass z. B. das städtische Untersuchungsamt in Dortmund während des Etats-
jahres 1901/02 nicht nur keine Zuschüsse, sondern nach Abzug aller Unkosten
sogar einen Ueberschuss von 3000 M. ergeben hat. Das Untersuchungsamt hat
allerdings auch eine sehr grosse Tätigkeit gehabt; denn im Berichtsjahre Bind
nach der Dortmunder Zeitung 3199 Untersuchungen ausgeführt und zwar
2900 Untersuchungen von Nahrungs-, Genussmitteln und GebrauchBgegenständen,
29 hygienische und bakteriologische, 51 forensische und 219 andere technische
Untersuchungen. _
Ueber die Zahl der vor ihrem Tode nicht ärztlich behandelten
Gestorbenen sind in Bayern und Baden für das Jahr 1901 Ermittelungen an¬
gestellt. Es ergibt sich daraus, dass ihre Ziffer verhältnismässig hoch ist,
besonders in Bayern; in Niederbayern und in der Oberpfalz betrug
diese mehr als 50°/o, in den Bezirksämtern Parsberg und Viechtach sogar
76,8 bezw. 81,6°/o und im Bezirksamt Obervieohtach 89,5°/o. In Baden liegen
die Verhältnisse zwar wesentlich günstiger, die Prozentziffer der nicht ärzt¬
lich behandelten Gestorbenen stellte sich im Jahre 1901 aber doch auf 28,7 °/o
and erreicht im Bezirksamt Mosbach mit 37,9 °/o den höchsten Stand. Von
den im ersten Lebensjahre verstorbenen Kranken waren 48,3 °,o nicht ärztlich
behandelt, von den über 1 Jahr alten Gestorbenen dagegen nur 8,1 °/ 0 .
Sprechsaal.
Anfrage: Wann ist für den Transport einer Leiche auf Land¬
wegen ein Leichenpass erforderlich? Kommt es dabei auf die Grösse der
Entfernung an, oder — ohne Rücksicht auf die Entfernung — auf die Ueber-
führung in ein anderes Dorf, einen anderen Amtsbezirk oder ein anderes
Kirchspiel?
Antwort: Nach §. 463 d. Allg. L. R. Teil II Tit. 11 bedarf es znm
Transport einer Leiche auf dem L a n d w e ge eines Leichenpasses, wenn dieser
ans einen Polizeibezirk (Amt) in einen anderen erfolgt, abgesehen jedoch von
den Fällen, wo sich der Begräbnisplatz des Sterbeortes etwa ausserhalb des
betreffenden Polizeibezirks befindet, oder die Leiche in unmittelbarem
Bestattungszuge vom Sterbeort nach ihrem ordentlichen, nahe gelegenen
Begräbnisplatz übergeführt wird, auch wenn dieser nicht im Polizeibezirk des
Sterbeortes liegt. Erfolgt die Ueberführung der Leiche nicht in unmittelbarem
Bestattungszuge nach einem nahe gelegenen Begräbnisplatz eines anderen
Polizeibezirks, so bedarf es nach dem Min.-Erl. vom 12. Juli 1838 auch keines
Leichenpasses, sondern es genügt eine von der Polizeibehörde des Sterbeortes
ausgestellte Legitimation des Begleiters der Leiche. Eine solche
Legitimation ist ebenfalls ausreichend, wenn eine Leiche von einem Orte nach
einem anderen, in demselben Polizeibezirke liegenden Orte transportiert
werden soll.
Verantworti. Redakteur: Dr. Rapmnnd, Reg.-n. Geh. Med.-Rat in Minden i W.
J. O. 0. Braus, Hersofl. Slseh. «. F, Beh.-L. Hoftmshdruekerat im lOrndem«
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Emser K«9»elörumi«n„ l!Ca.i*ßrbrunncu, STikiorJabramum,
»cfcvrAlfräclier stähl' and WeittbKanaeta.
Emser Pastillen und Quellsalz
.-*« batep to allen Afiothekeu n Minern]waHKejrWad! aus^ii { u»wiv! durch die betr
Rönigüchen Bad*- u. Bruaaea-' 1
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Berlin W, 57
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■
16. Jahrg.
1903.
Zeitschrift
für
MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt für geriehtliehe Medizin und Psychiatrie,
für ärztliche Saehverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditätssaehen, sowie
für Hygiene, offentL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Heraasgegeben
Ton
Dr. OTTO RAPMÜND,
Rnglnrangi- and Geh. Medlrinelret in Minden.
Verlag von Fiseher’s mediz. Buchhandlg., H. Kornfeld,
Herzogi. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Eiammer - Buchhändler.
Berlin W. 35, Liitzowstr. 10.
Inserate nehmen die Verlagshandlung sowie alle Annoncenexpeditionen des In-
und Auslandes entgegen.
Nr. 21.
Eriekeint
1. nad iS. Jedem Monate
1 .
Novbr.
Beitrag zur Bekämpfung der Tuberkulose.
Von Oberamtsarzt Dr. Staues in Hechingen.
Das mir in meiner Tätigkeit als praktischer Arzt, Kranken¬
haus- und beamteter Arzt im Laufe der Jahre durch die Hände
gegangene Material von tuberkulösen Erkrankungen ergab mir
eine Reihe interessanter Beobachtungen, die ich einer Veröffent¬
lichung für wert halte. Sie stimmen zwar mit manchen heutigen
Anschauungen nicht über ein, ohne dass ich sie im Gegensatz zu
denselben stellen will, weil ich Schlussfolgerungen aus diesen Be¬
obachtungen aus engbegrenzten eigenartigen Verhältnissen nicht
für verallgemeinerungsfähig halte. Immerhin aber verdienen
solche Beobachtungen aus dem täglichen Leben m. E. mindestens
ebensoviel Beachtung, wie die aus Statistiken und Sammelfor-
schongen ans anfechtbarem Material und von dem täglichen
Leben fernstehenden Bearbeitern gewonnenen Anschauungen.
Die Erforschung der Häufigkeit der Haustiertuberkulose in
meinem Bezirke führte zn dem auffallenden Resultat, dass zwei
Ortschaften, in welchen die Sterblichkeit an Tuber¬
kulose bei den Menschen eine erhöhte ist, auch eine
erhöhte Tnberknlosenerkranknngsziffer unter den
Haustieren anfweisen. Während die sozialen Verhältnisse
in der einen Gemeinde schlechte, in der anderen recht gute sind,
sind die hygienischen Verhältnisse in beiden schlechte; in der
wohlhabenden Gemeinde hauptsächlich deswegen, weil dessen Be¬
völkerung ausserordentlich fleissig und sparsam ist, sich in der
Arbeit geradezu schindet und sich wenig gönnt. Diese schlechten
hygienischen Verhältnisse bewirken jedenfalls in beiden Gemeinden
750
Dr. Staun.
bei den Menschen, wie bei den Haustieren gleichmässig eine er¬
höhte Erkrankungs- und Sterbeziffer an Tuberkulose. Daneben
spielt aber auch die gegenseitige Uebertragung eine, wenn auch
offenbar nur untergeordnete Bolle. Zn dieser Ansicht bin ich dnrch
folgende Beobachtungen gekommen:
In einer in der jetzigen Generation bestimmt tnberkulose-
freien gut situierten Familie starb ein ca. 2jähriges Kind an
allgemeiner Tuberkulose. Das Kind war von den ersten Lebens¬
tagen ab bis fast zu seinem Tode mit Kuhmilch ernährt worden.
Diese Milch stammte von einer den Eltern des Kindes gehörigen
Kuh, die noch während der Krankheit des Kindes wegen schwerer
Tuberkulose geschlachtet werden musste. Ich nehme keinen An¬
stand, hier eine Uebertragung der Tuberkulose von der erkrankten
Kuh durch die MUch auf das Kind anzunehmen.
Eine weitere Beobachtung spricht für den umgekehrten Gang
der Uebertragung. Von Hühnern, welche zum Haushalte eines
mehrere Jahre schwer tuberkulösen und später auch an Tuber¬
kulose verstorbenen Mannes gehörten, gingen kurz nach dem Tode
des Mannes zwei Stück an Bauchfelltuberkulose ein, wie ein Tier¬
arzt durch die Sektion feststellte. Diese Hühner hatten ihren
Weideplatz unter den Fenstern des Krankenzimmers ihres ver¬
storbenen Besitzers; auf diesen Weideplatz entleerte der Mann
beim Hinausschauen zum Fenster erwiesenermassen häufig sein
Sputum. Diese Beobachtung ist um so auffallender, als Tuber¬
kulose nnter Hühnern selten ist und es sich in den vorliegenden
Fällen um Tuberkulose am Verdauungstraktus handelte. Es ist
mehr wie gerechtfertigt, anzunehmen, dass eine Uebertragung der
Tuberkulose von dem erkrankten Manne auf die Hühner stattge¬
funden hat durch Vermittelung des von den Hühnern aufgefressenen
Sputums desselben.
Weitere Beobachtungen erstrecken sich auf den Einfluss
der sozialen und hygienischen Verhältnisse, der Here¬
dität, Disposition und Kontagiosität bei der Tuber¬
kulose. Die Tuberkulose ist unter den hiesigen ländlichen Ver¬
hältnissen nichts mehr und nichts weniger eine Krankheit des
Proletariats, wie alle anderen Infektionskrankheiten. Allerdings
muss gesagt werden, dass unter unseren kleinbäuerlichen Verhält¬
nissen die Lebensweise bei Reich und Arm keinen allzu grossen
Unterschieden unterliegt, dass im Gegenteil die Lebensweise
mancher Besitzlosen eine bessere ist, als die der Besitzenden.
Jedenfalls ist aber nach den hier gemachten Beobachtungen die
Tuberkulose keineswegs sehr überwiegend eine Krankheit der
sozial und hygienisch schlechter Gestellten. Abgesehen davon,
dass schlechte hygienische Verhältnisse durchaus nicht immer mit
schlechten sozialen Verhältnissen vergesellschaftet sind und um¬
gekehrt, kommt Tuberkulose in meinem Bezirk auch verhältnis¬
mässig häufig in Familien mit guten Vermögensverhältnissen und
guter Lebenshaltung vor. Vielfach waren die Erkrankten schon
vor ihrer Erkrankung an Tuberkulose gesundheitlich minderwertig.
Diese Minderwertigkeit war häufig hereditäre Belastung; diese
Beitrag nur Bekämpfung der Tuberkulose.
751
war aber nicht immer oder auch nur vorwiegend eine tuber¬
kulöse Belastung. Ebenso häufig fanden sich bei den Vorfahren
andere chronische Krankheiten, namentlich des Verdauungstraktus,
der Nerven, Haut u. s. w. Noch häufiger war aber die Minder¬
wertigkeit eine erworbene, namentlich durch fortgesetzte Ex¬
zesse in baccho et venere, Unterernährung, Ueberarbeitung, an¬
haltendes Arbeiten in Hausindustrie u. s. w. In wieder anderen
Fällen waren disponierende Momente überhaupt nicht zu erforschen.
Hecht interessant und lohnend sind in jedem einzelnen Falle
von Tuberkulose die Nachforschungen, von welchem anderen Falle
er stammt; denn nach unserem ganzen epidemiologischen Denken
muss doch jeder Tuberkulosefall wieder von einem anderen her¬
stammen. Naturgemäss führen diese Nachforschungen recht häufig
auf einen Zusammenhang mit einem vorangegangenen oder gleich¬
zeitigen Fall in der eigenen Familie, ebenso häufig aber auch
in der Nachbarschaft, oder im engeren Verkehrskreis der Er¬
krankten. Nicht selten führen mehrere gleichzeitig auftretende
Fälle in einer Gemeinde auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt.
Nur verhältnismässig selten gelingt es, nicht einen Zusammen¬
hang mit einem anderen Fall aufzufinden.
Als einer der wichtigsten Faktoren für die Verbreitung der
Schwindsucht auf dem Lande erscheinen mir die Wirtschaften.
Von den vier Wirtschaften einer mir näher bekannten Gemeinde
sind bis jetzt in drei Schwindsuchtsfälle unter den Besitzerfamilien
vorgekommen. In einer Wirtschaft starben vor mehreren Jahren
der Vater und drei erwachsene Kinder kurz nacheinander an
Schwindsucht. In dieser Zeit erkrankten mehrere in der Nach¬
barschaft dieser Wirtschaft wohnende und zu ihrem ständigen
Besucherkreis gehörende erwachsene Personen ebenfalls an Tuber¬
kulose und übertrugen ihrerseits wieder zum Teil die Erkrankung
auf Angehörige ihrer eigenen Familie. Aehnlich waren die Ver¬
hältnisse in einer anderen Wirtschaft, in der Mutter und Sohn an
Tuberkulose erkrankten und starben. In der dritten Wirtschaft
ist die Besitzerin erst neuerdings an Tuberkulose erkrankt. Wenn
man sich den Betrieb so- vieler ländlichen Wirtschaften vergegen¬
wärtigt, begreift man auch ihre Gefährlichkeit. Zu ihren häufigsten
Besuchern gehören in ihrer Arbeitsfähigkeit beschränkte Tuber¬
kulöse, welche dort Unterhaltung suchen, durch Genuss von
schlechtem Bier u. s. w. die vom Arzt angeratene bessere Lebens¬
haltung und Ernährung in Wirklichkeit umsetzen wollen und
dabei alles voll spucken. Dazu kommt dann noch die übliche Reini¬
gung und Reinlichkeit dieser Wirtschaften, um sie zu wahren
Pflanzstätten für Tuberkulose zu machen.
Weiter möchte ich eine für die Möglichkeit einer kongeni¬
talen Uebertragung der Tuberkulose sprechende Beobachtung des
beamteten Tierarztes meines Bezirks mitteilen. Für eine Ge¬
meinde, in der sonst Tuberkulose unter dem Rindvieh ganz selten
war, wurde ein Farren angekauft, der sich bald nachher als
schwer tuberkulös erwies und geschlachtet werden musste. Ein
von diesem Farren stammendes Kalb, dessen Mutter gesund war,
752
Dr. Staues: Beitrag sur Bekämpfung der Tuberkulose.
erwies sich gleich nach der Geburt als schwer tuberkulös, so dass
es weggeschafft werden musste.
Was zum Schlüsse noch die Häufigkeit der Tuberkulose
betrifft, so war in meinem Bezirk in früheren Jahrzehnten Schwind¬
sucht entschieden häufiger wie heute. Auch scheint mir früher
die Tuberkulose der Lungen mehr unter dem Bilde einer sehr
chronischen Erkrankung verlaufen zu sein. Hand in Hand mit
dieser Abnahme der Tuberkulose ging auch eine sehr erhebliche
Abnahme der jährlichen Sterbeziffer, die im letzten Jahrzehnt
rund durchschnittlich 15°/ 00 niedriger ist, wie vor ca. 40 Jahren.
Entschieden besser geworden ist in dieser Zeit auch die Lebens¬
haltung der Leute, ob dies auch bei den Vermögens Verhältnissen
zutrifft, möchte ich bezweifeln. Diese Verbesserung der Lebens¬
haltung, also der hygienischen Verhältnisse, betrachte ich als die
Ursache sowohl des Rückganges der Sterblichkeit überhaupt, wie
auch der Tuberkulose.
Ziehen wir aus diesen Beobachtungen noch die Schlussfolge¬
rungen, welche sich für die Epidemiologie und Bekämpfung der
Tuberkulose ergeben. In epidemiologischer Beziehung wird nach
meiner Ansicht heute der infektiöse und vor allem der kontagiöse
Charakter der Krankheit zu wenig beachtet. In den Vordergrund
unserer epidemiologischen Anschauungen hat mehr der Tuberkel¬
bacillus als Erreger der Krankheit und massgebender Faktor für
die Verbreitung zu treten an Stelle der Disposition, Heredität u.s.w.
Die Disposition zu der Erkrankung ist jedoch keineswegs so eng
begrenzt, wie wir heute annehmen, wie ja auch durch zahlreiche
Sektionsbefunde festgestellt ist, dass ein sehr hoher Prozentsatz
der Menschen einmal im Leben an Tuberkulose erkrankt. Wie bei
allen Infektionskrankheiten ist diese Disposition bei dem einen
mehr, bei dem anderen weniger vorhanden. Wer sich lange Zeit
in der unmittelbaren Umgebung eines Schwindsüchtigen aufhält,
erkrankt nach meinen Erfahrungen mit Wahrscheinliche^ eben¬
falls an Tuberkulose, wie wir auch an dem Pflegepersonal der
Krankenhäuser, Lungenheilstätten und iu den Familien befindlicher
Kranken leider nur zu oft erfahren. Die Heredität spielt nach
meiner Ansicht bei der Tuberkulose keine grosse Bolle.
Auch in der Bekämpfung der Tuberkulose haben wir neben
der Bekämpfung der Disposition durch Verbesserung der Lebens¬
haltung unser Hauptaugenmerk mehr auf den Tuberkelbacillus
und den Hauptträger desselben, den erkrankten Menschen, und die
von ihm ausgehende Ansteckungsgefahr zu richten. Die Haupt¬
mittel zur Bekämpfung dieser Gefahr sind die Isolierung und Des¬
infektion. Diese lassen sich unter unseren Verhältnissen häufig
nicht durchführen. In solchen Fällen wird es sich darum handeln,
die Erkrankten, sowie sie eine Ansteckungsgefahr werden, aus
ihreu Familien zu entfernen und in Heilanstalten unterzubringen.
Lässt sich eine Heilung oder Besserung, so dass sie keine An¬
steckungsgefahr mehr bieten, nicht erzielen, sind sie Pflegeanstalten
zu überweisen. Für ganz besonders notwendig möchte ich, soweit
immer möglich, die Ueberweisung solcher Kranken in Pffegean-
Dr. Schmidt: Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus new. 763
stalten in den unheilbaren Stadien halten, da in diesen die An¬
steckungsgefahr am grössten ist. Mit der einfachen Belehrung,
wie diese Ansteckungsgefahr zu beseitigen ist, ist zumeist nur
wenig geholfen, die Krankheit verbreitet sich deswegen in der
Familie der Schwindsüchtigen doch weiter. Dass wir in der Be¬
kämpfung der Tuberkulose noch nicht mehr erreicht haben, beruht
neben dem, dass sich bis jetzt die Fürsorge für Tuberkulose nur
auf Unbemittelte erstreckt und das ganze Heer der weniger
Bemittelten, die sich allein ebenfalls nicht helfen können, sich
selbst überlässt, hauptsächlich darin, dass wir keine Pflegean¬
stalten für unheilbare Tuberkulöse haben.
Auch für die Versicherungsanstalten würde sich m. E. die
Errichtung solcher Pflegeanstalten ebenso rentieren, wie die Heil¬
anstalten; denn bei einer Belassung der Unheilbaren in ihren
Familien kann die Versicherungsanstalt mit Bestimmtheit auf
weitere Fälle rechnen, für die sie die Fürsorge zu übernehmen hat.
Ausserdem darf bei der Bekämpfung der Tuberkulose die
gegenseitige Uebertragbarkeit der Menschen- und Tiertuberkulose
nicht ausser Acht gelassen werden.
Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus durch
Flusswasser.
Von Dr. Schmidt, Kreisarzt in Elbing (früher in Beigard).
Als ein Beitrag zum Beweise für den ursächlichen Zusammen¬
hang zwischen dem Gesundheitszustand einer Stadt und einem
diese durchziehenden Flusslaufe sind die nachfolgenden Aus¬
führungen gegeben. Es handelt sich um das Auftreten von Unter¬
leibstyphus auf Grund der Benutzung eines verseuchten Fluss¬
wassers in Beigard.
Beigard, eine Hinterpommersche Kreisstadt mit 8000 Seelen,
wird von dem Leitznitzbache. einem Nebenflüsse der Persante,
durchflossen, bezw. es lehnt sich an die Ufer dieses Flüsschens.
Die Leitznitz entspringt von den Ausläufern des Baltischen Höhen¬
zuges und mündet nach einem in gerader Bichtung gemessenen
N. W. gekehrten Laufe von 80 km Länge unterhalb Belgards in
die Persante. Das Weichbild der Stadt Beigard berührt die
Leitznitz an seiner N. 0. - Grenze. Von hier geht sie in ihrem
weiteren Verlaufe an der N. 0.-Grenze der Altstadt entlang, durch¬
schneidet nach etwa 200 m Wegslänge die Stadt an der Grenze
zwischen Alt- und Neustadt, um sich, wieder nach N. W. wendend,
an die nach S. W. gerichtete Stadtgrenze anzulegen. — Kurz nach
ihrem Herantreten an die Stadt gibt die Leitznitz auf dem linken
Ufer einen Graben ab (Strille), welcher anfangs die Stadt im
S. W. gekehrten Laufe durchzieht, dann nach N. W. umbiegt,
längs der Stadtgrenze entlang geht, um weiter in unregelmässigem
Laufe der Persante zuzustreben.
Die Beziehungen zwischen den Bewohnern der Stadt Beigard
und den Wasserläufen der Leitznitz und Strille sind yon Alters
722
Dr. Plaonek.
Gerade bei Behandlung der Knochenbrüche trifft in ländlichen
Gegenden der Arzt auf die grössten Schwierigkeiten. Das Ge¬
heimnis der „Knochenflicker“ hat von jeher darin bestanden, dass
sie auf Einrichtung und auf oft wiederholte Nachuntersuchung
grosses Gewicht gelegt haben, selbst in Zeiten, in denen der Arzt,
befangen in der Vorstellung, dass die Anlegung des Gypsverbandes
das wichtigste sei, das ausschliessliche Gewicht auf das Anlegen
dieses Verbandes, ein geringeres auf exakte Reposition zu legen
pflegte, während die Kontrolle des Befundes in den ersten Tagen
oft unmöglich war. So sagt Riedel (Berl. klin. Wochenschr.,
1902, S. 630) mit Recht: „Der Schwerpunkt der Behandlung
liegt immer in der primären Reposition, und dies wird, und das
behaupte ich mit voller Sicherheit, noch heute in zahlreichen
Fällen versäumt oder unvollständig gemacht.“ Spricht er auch
nur vom Radiusbruch, so gilt unter den notwendigen Ein¬
schränkungen auch für andere Frakturen ähnliches.
Bei Unterlassung von Repositionsversuchen ist hierzulande
die Gefahr, dass ein Kurpfuscher hinter dem Rücken des Arztes
zugezogen wird, eine grosse und es bedarf des ganzen persön¬
lichen Einflusses des Arztes, wenn es ihm gelingen soll, dieser
Gefahr vorzubeugen. So war es auch hier. Während der Dauer
der Behandlung verlangten die Nachbarn und Freunde, dass eine
Einrichtung der gebrochenen Knochen durch einen Knochenflicker
stattfinden solle. Sie beobachteten, dass ich von jeder Reposition
aus Rücksicht für die Atmungsorgane Abstand nahm, hielten also
eine solche für geboten, das Unterlassen aber für fehlerhaft.
Als sich nun bei der Leichenöffnung neben den Verände¬
rungen am Schädel und Gehirn, neben den zahlreichen Rippen¬
brüchen eine Zerreissung (Anspiessung) der Lunge fand, musste
eine objektive Darlegung der vorliegenden Verhältnisse auf frucht¬
baren Boden fallen. Es gelang, die Leute davon zu überzeugen,
dass jede forzierte, an den Rippen ausgeführte Bewegung, jeder
gewaltsame Versuch, denselben ihre normale Krümmung wieder
zu geben, das Loch in der Lunge hätte vergrössern müssen.
Durch den Fall wird übrigens auch die Ansicht v. Bra-
manns (vgl. Peters: Ueber die Entwicklung des allge¬
meinen Körperemphysems nach Lungenverletzungen. Diss. Balle
1894) bestätigt, dass nach Verletzungen der Pleura parietalis
und cost&lis sich ein hochgradiges allgemeines Körperemphysem
der Lunge frei entwickeln könne, auch wenn die Lunge frei von
Verwachsungen ist.
Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren.
Beformgedanken von Dr. Placzek- Berlin.
(Schloss.)
Wir kommen nun zu den Sonderbestimmungen für Ver¬
giftungsfälle. Die betreffenden Bestimmungen des preussischen
Regulativs lauten:
„Boi Verdacht einer Vergiftung beginnt die innere Besichtigung mit der
Baachhohle. Bs ist dabei vor jedem weiteren Eingriff das Süssere Aussehen
Bin deutsche« gerichtsärztliches Leloh enöfinungsverfahren. 723
der oberen Baacheingeweide, ihre Lage and Ausdehnung, die Füllung ihrer
Gewisse und der etwaige Geruch zu ermitteln.
In Besag auf die Gefässe ist hier, wie an anderen wichtigen Organen,
stets festsuBtellen, ob es sich um Arterien oder Venen handelt, ob auch die
kleineren Versweigungen oder nur Stämme und Stftmmehen bis sn einer ge¬
wissen Grösse gefüllt sind, und ob die Ausdehnung der Gef&sslichtung eine
beträchtliche ist oder nicht.
Alsdann werden um den untersten Teil der Speiseröhre dicht über dem
Magenmnnde, sowie um den Zwölffingerdarm unterhalb der Einmündung des
Gallenganges doppelte Ligaturen gelegt und beide Organe swischen denselben
durchschnitten. Hierauf wird der Magen mit dem Zwölffingerdarm im Zu¬
sammenhänge heransgeschnitten, wobei jede Verletzung derselben sorgfältig sn
Termeiden ist. Die Oeffnung geschieht in der im §. 18 angegebenen Weise.
Es wird sofort der Inhalt nach Menge, Eonsistens, Farbe, Znsammen-
setsung, Reaktion und Geruch bestimmt und in ein reines Gefäss von Porsellan
oder Glas getan.
Sodann wird die Schleimhaut abgespült und ihre Dicke, Farbe, Ober¬
fläche, Zusammenhang nntersuoht, wobei sowohl dem Zustande der Blutgefässe,
als auch dem Gefüge der Schleimhaut besondere Aufmerksamkeit susawenden
und jeder Hauptabschnitt für sich zu behandeln ist. Ganz besonders ist fest-
sustellen, ob das vorhandene Blut innerhalb von Gefässen enthalten oder aus
den Gefässen ausgetreten ist, ob ob frisch oder durch Fäulnis oder Erweichung
(Gährung) verändert und in diesem Zustande in benachbarte Gewebe einge-
drungen (imbibiert) ist. Ist es ausgetreten, so ist festsustellen, wo es liegt, ob
auf der Oberfläche oder im Gewebe, ob es geronnen ist oder nicht usw.
Endlich ist besondere Sorgfalt zu verwenden auf die Untersuchung des
Zusammenhanges der Oberfläche, namentlich darauf, ob Substanzverluste, Ab¬
schürfungen (Erosionen), Geschwüre vorhanden sind. Die Frage, ob gewisse
Veränderungen möglicherweise dnrch den natürlichen Gang der Zersetzung
nach dem Tode, namentlich nnter Einwirkung gährenden Mageninhalts, zu
stände gekommen sind, ist stets im Ange zu behalten.
Nach Beendigung dieser Untersuchung werden der Magen nnd der
Zwölffingerdarm in dasselbe Gefäss mit dem Mageninhalt (s. oben) getan und
dem Richter zur weiteren Veranlassung übergeben. In dasselbe Gefäss ist auch
später die Speiseröhre, nachdem sie nahe am Halse unterbunden und über der
Ligatur durchschnitten worden, nach vorgängiger anatomischer Untersuchung,
sowie in dem Falle, dass wenig Mageninhalt vorhanden ist, der Inhalt des
Leerdarms zu bringen.
Endlich sind auch andere Substanzen nnd Organteile, wie Blut, Harn,
Stücke der Leber, der Nieren usw. aus der Leiche zu entnehmen und dem
Richter abgesondert zur weiteren Veranlassug zu übergeben. Der Harn ist für
sich in einem Gefässe zu bewahren, Blut nur in dem Falle, dass von einer
spektralanalytischen Untersuchung ein besonderer Aufschluss erwartet werden
kann. Alle übrigen Teile sind zusammen in ein Gefäss zu bringen.
Jedes dieser Gefässe wird verschlossen, versiegelt und bezeichnet.
Ergibt die Betrachtung mit blossem Auge, dass die Magenschleimhaut
durch besondere Trübung und Schwellung ausgezeichnet ist, so ist jedesmal
und zwar möglichst bald eine mikroskopische Untersuchung der Schleimhaut,
namentlich mit Bezug auf das Verhalten der Labdrüsen, zu veranstalten.
Auch in den Fällen, wo sich im Mageninhalt verdächtige Körper, z. B.
Bestandteile von Blättern oder sonstige Pflanzenteile, Ueberreste von tierischer
Nahrung, finden, sind dieselben einer mikroskopischen Untersuchung zu unter¬
werfen.
Bei Verdacht einer Trichinenvergiftung hat sich die mikroskopische
Untersuchung zunächst mit dem Inhalt des Magens und des oberen Dünndarms
zu beschäftigen, jedoch ist zugleich ein Teil der Muskulatur (Zwerchfell, Hais¬
und Brustmuskeln) zur weiteren Prüfung zurückzulegen.“
Bayern hat eine anch dem Wortlaute nach mit der preussi-
schen gleiche Bestimmung, die nur nach folgenden Richtungen
weiter ausgestattet ist.
766
Dr. Schmidt.
1897; September bis November: 9 F&lle. \ -
1898; Januar: 1 Fall. / Äp -
1898; Juni: 1, Anglist bis November: 11 F&lle. \
1899; Januar: 6 Fälle. / P *
1899; August bis Oktober: 6 F&lle.
1900; Januar: 1, Februar: 1, August 1, Oktober: 3 F&lle.
1901; Mai: 2, Juni: 3, Juli: 30, August: 18, September: 16, Oktober:
10, November: 10, Dezember: 14 F&lle.
1902; Februar: 8 F&lle, M&rz, April, Mai und September je 1 Fall.
Epidemiologisch bemerkenswert ist, dass auch hier, wie
andernorts beobachtet, die grösseren Anhäufungen der Erkrankungen
in der zweiten Hälfte des Jahres aufzutreten pflegen, während
die erste Hälfte nur durch sporadische Fälle ausgezeichnet ist
oder die abklingenden Erscheinungen einer mehr weniger grossen
Anhäufung der Erkrankungszahl des voraufgegangenen Jahres dar-
stnllt. Handelt es sich auch nur um ein sehr beschränktes Kranken¬
material, welches der epikritischen Beurteilung unterzogen werden
kann: Das gruppenförmige Auftreten oder die Herausbildung kleiner
Lokalepidemien treten aus der vorliegenden Zusammenstellung
als greifbare Erscheinung heraus.
Für die ätiologische Betrachtung über das Auftreten deB
Typhus am hiesigen Orte lässt sich die vorstehende Zusammen¬
stellung der Jahre 1886—1902 in 3 Gruppen gliedern: 1886 bis
1895; 1896—1900 und 1901—1902. — Die erste Gruppe umfasst
die Jahre vor der amtlichen Tätigkeit des Berichterstatters in
Belgard, von 1896—1900 sind die Erkrankungen unter den Augen
des Berichterstatters verlaufen; 1901—1902 tritt besonders hervor
durch das Umsichgreifen einer bedeutenden Epidemie.
Soweit sich nach den vorliegenden Aufzeichnungen die Ver¬
teilung der Erkrankungen im Orte verfolgen lässt, ist das Auf¬
treten stets ein derartiges gewesen, dass die Krankheitsfälle sich
in unregelmässiger Verteilung über den ganzen Stadtbezirk zeigten,
ohne eine Abhängigkeit von bestimmten Brunnen erkennen zu
lassen; bemerkenswert ist nur die Bevorzugung der Altstadt,
welche durch Leitznitz und Strille bis auf eine kleine Spanne
ganz umfasst wird und ihre Wasserversorgung zum Teil mit
Leitznitzbrunnen habt, und das Seltenerwerden der Erkrankung
entsprechend der Entfernung von Leitznitz und Strille in der
Neustadt.
Greifbare Unterlagen erhielt das Forschen nach der Ursache
des Auftretens des Typhus in der Stadt für den Berichterstatter
mit seinem Amtsantritte im Jahre 1896. — Die von den Jahren
1896—1900 hervorgetretenen Erkrankungen haben sämtlich das
gemein, dass in den Haushaltungen, in denen die Krankheit vor¬
kam, Leitznitz- oder Strillenwasser zur Verwendung kam. Die
Erkrankungen traten auch in dieser Zeit stets in weiter Ver¬
teilung über das Stadtgebiet auf. Jeder verbindende Anhalt der
Fälle unter einander fehlte; weder Kontakt, noch Trinkwasser,
noch Milchversorgung, noch der Bezug sonstiger Nahrungsmittel
konnten als Infektionsquellen beschuldigt werden; nur in den ange¬
führten Punkten kamen sie zusammen, wie von den behandelnden
Ein deutsche» goricbtsäratliehes Leiehenöffnungsverfahren. 725
Gläser, deren Haaminfa< einen Liter fasst, vorhanden sein; ausserdem noch
mindestens sechs Gläser, deren Inhalt bi« an einem halben Liter beträgt.
Wo die rasche Zersetzung der für di« cbemisehe ITntersuehnng bestimmten
Organe nad Organteile an fürchten ist., ist die eine Hälfte eines jeden dieser
Örgaisa edef Organteiie durch Zusatz von reinem Weingeist (Spiritus rec-
tifisatUsimna der Pharmakopoe) an kooaermreo, die andere HElfte aber ohne
jeden Zusatz aafzahebeß. Zu diesem Ende haben, die Geriehtsärste eine
genügende; Menge voö reinem Weingeist vorrätig au halten. Mit den für die
ehenmobe Hatötsuehang bestimmten Teilen ist in Philen der beseichoeten Art
eine Probe des verwendeten Weingeistes etusoseoden.
Nach der Fdilnng werden die Gef&sse möglichst dicht verschlossen.“
Beträchtlich ■weicht die Begtiarnttfigf über Yergfiffcangafälle
in Württemberg ab:
»Liegt der Verdacht einer VergjftUBg vor, so hat der Oberamtsarzt oder
dessen Stellvertreter 5 Gläser mit weitem, mtlgöchat wenig eingezogenem
Halse bereit an halten. Zwei derselben sollen «ine Höh« von etwa .20—25 ein und
einen Durchmesser von 10—12 cm haben, die übrigen drei können kleiner sein,
Glaser wie sie gewöhnlich zu® Einmachea ton Früchten oder dergleichen
dienen, können verwendet wertf»», wenn keine mit einseriebenen Glasstöpseln
*n Gebote stehen, per endgültige Yferscblna» geschieht mit Blase oder doppeltem
Pergameotpapier; der mehrfach nrogelegte Bindfaden wird (fest geschnürt,
jedes versiegelt und der Inhalt der nammerierten Gläschen im Protokoll L
angegeben. ; A
In Württemberg soll Mmv:
„beli Vergifirmgea der nn seinem oberen Ende schon unterbundene Dünn¬
darm aftch aa oeiaem notererr Ende doppelt «nterbandeft werden . . . . Sein
ganzer Inhalt, sowie einzelne Stücke eeiu.«T filate, an welchen besondere Ter*
ftndernngen bemerkt worden. Sollen in dasselbe öef&ss mit. dem Magen usw.
gebracht oder für ein« etwaig« miktöslsopische Üntersncbnng xnrückgeiegt
werden.“ - •'
V(?££i Bespftdeftb' Anwcisung-gri•. -wertig® hier für die chemische.
U b fc e r s ü c b u n g gegeben
„Können mehrere Methoden für die Auffindung eines Giftes mit Aus¬
sicht auf Erfolg ««gewendet werden, so sind inindestetas zwei derselben zur
gegenseitigen Kontrolle in Anwendung sn'.bringen.
Ltt *8 gelungen, die giftigen Stoffe in ihrer ursprünglichen Form ans-
znscheidsn. oder sind sie sonst bei 3er Untersnchnng naebgewieee» worden, so
sind dieselben wob! za verwahren and mit den entsprechenden Aufschriften
zu versehen.
lieber die aftge wendeten Hntersnchnngemethoden und deren Ergebnisse
»ist ein fortlÄnfendes Protokoll anfzunebmen, von den dabei tätig gewesenen
Sachverständigen >u nhierzeichneo und zugleich mit dem darüber anszoBteilen¬
den Gutachten und den eben erwähnten Stoffen dem Hiebt er- ra übergeben.“
In einer besonderen Bestilnömßsf (S 30 \ wird hier das Ver¬
halte?! bei Tod dnreh Infektion mit Trichinen geregelt. Es
ist. dann
„der Inhalt des oberen Teils des Dünndarms jälasr genauen mikros¬
kopischen Untersuchung sn nnterwerfea. Teile des ZwercihfoUs, der Muskeln
des Halses, der ßrnst und der Angeo sind, besondüra sn den Ansätzen der
Sehnen» beraoszunehineii and später zn »ntei-sucben.
In Sachsen ■•'Weimar weicht ' 4er .
gifftiüffen vornebmlfeh darin »b, dass : -M$t ßine 1
Unterbindung vorgeschriebe® wird, und xw&r die v (iir.hp-:.-
über der Eulmündöiier In den der Anfang K ;,*ev4itmr
der Mastdarm oberhalb des Bee.it enbodens, fern.• -*u• «j*
Unterbindung der Speiseröhre an ihrem Anfang.
Mecklenbnrg-Strelitz bestimmt in seinem kift;
726
Dr. Placzek.
§ 11, dass „um den unteren Teil der Speiseröhre nnd etwa den
mittleren des Dünndarms doppelte Ligaturen gelegt werden“, ausser¬
dem die Speiseröhre nahe am Halse unterbunden werde.
An den zitierten Bestimmungen, wie sie mit mehr weniger
breiter Detailschilderung als Zwangsanweisung für Vergiftungs¬
fälle gelten, wird durchgreifend reformiert werden müssen. Zu¬
nächst wird der Schematismus fallen müssen, der alle Vergiftungs¬
arten nach dem gleichen Gesichtspunkt beurteilt, als lieferten sie
alle ihre Hauptmerkmale im Magen und Darmkanal. Dass dies
nicht zutrifft, bedarf keiner weiteren Begründung. Es muss daher
dem Obduzenten ein Spielraum bleiben, nach persönlichem Er¬
messen zu entscheiden, wann er die Magen-Darmsektion nach
dem Vergiftungsschema ausführen und Organteile nach Vorschrift
konservieren will.
Sodann muss die unglückselige, komplizierte und oft genug
dem Geschicktesten missglückende Magen-Darmunterbindung, wie
sie bisher üblich ist, durch eine andere Methode ersetzt werden.
Schon früher erwähnte ich, wie hart Strassmann das geltende
Verfahren kritisiert. Hier brauche ich nur hinzuzufügen, dass die
Methode, die er vorschlägt, und die ein einheitliches Uebersichts-
bild vom Anfang der Speiseröhre bis zum Mastdarm anstrebt, alle
billigen Anforderungen erfüllt. Wird, wie Strassmann wünscht,
Speiseröhre, Magen und Darmkanal in toto herausgenommen, so
sind nur zwei Unterbindungen nötig, am Anfang der Speiseröhre
und am Mastdarm oberhalb des Beckenbodens; ausserdem über¬
blickt man so die Gesamtwirkung des Giftes bei der Passage durch
den Verdauungstraktus.
Natürlich fällt auch bei Annahme dieses Sektionsmodus die
Vorschrift, in Vergiftungsfällen stets mit der Bauchhöhle zu be¬
ginnen.
Für die Aufbewahrung der Organteile etc. könnte ein Gläser¬
kasten nach dem Muster des bayerischen vorgeschrieben werden,
doch keine Zusatzflüssigkeit.
Hiernach würde die Obduktion eines Vergiftungsfalles genau
so verlaufen, wie die eines gewöhnlichen Falles, nur dass vor
Herausnahme der Halsorgane die Speiseröhre und der Mastdarm
unterbunden werden, und die Halsorgane ohne Speiseröhre heraus¬
genommen werden.
Da wir die Besonderheiten der äusseren Besichtigung
Neugeborener, wie sie zur Ermittelung ihrer Reife und Ent-
wickelungszeit notwendig werden, bereits früher besprachen,
können wir uns hier auf Vergleichung der Anweisungen be¬
schränken, welche speziell für die innere Besichtigung Neugeborener
gelten. Hier gelten zunächst folgende Bestimmungen für die Er¬
mittelung stattgehabter Atmung:
Preussen:
24. iBt anranehmeB, dass das Kind nach der dreissigsten Woehe
geboren worden, so muss >weiten» untersucht werden, ob es in oder nach der
Geburt geatmet hat. Es ist deshalb die Atemprobe ansustellen, und au diesem
Zweck in nachstehender Reihenfolge vorzugehen:
a. Schon nach Oeifnung der Bauchhöhle ist der Stand des Zwerchfells in
Zar Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus durch Flusswasser. 757
Aerzten in Verbindung mit dem berichtenden Medizinalbeamten
festgestellt wurde.
Die bis zu einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit ent¬
wickelte Annahme, dass der Typhus in Belgard seine Verbreitung
durch die Benutzung des Wassers aus Leitznitz und Strille haupt¬
sächlich finde, führte zur teilweisen Beseitigung der Leitznitz-
brunnen bis auf die Belassung des einen Marktbrunnens und der
Doppelleitung des Brunnens zwischen Markt und Leitznitz. Der
Marktbrunnen sollte als ein gesundheitsgefährlicher bezeichnet
werden und angeschlossen gehalten werden. Der Brunnen mit
der Doppelleitung sollte in der Regel von der Leitznitzleitung ab¬
geschlossen sein. Die Privatleitungen waren zu jener Zeit offi¬
ziell nicht bekannt.
Der Sommer 1901 brachte für Belgard mit einer grösseren
Epidemie weitere Erfahrungen bez. des Unterleibstyphus. Das
Jahr war ein sehr trockenes; der Wassergehalt der Stadtbrunnen
fing an knapp zu werden. Ohne Wissen der städtischen Behörden
hatte der Brunnenmeister, um die Leistungsfähigkeit des Brunnens
mit der Doppelleitung zu erhöhen, den Wasserznflusshahn in dem
Brannenkessel geöffnet.
Im Anfang Mai 1901 wurden in der Altstadt nnd in der
nach Polzin führenden Vorstadt die ersten beiden Fälle von Unter¬
leibstyphus bemerkt; Anfangs Juni reihten sich 2 weitere Fälle,
einer in der Eösliner Vorstadt und ein zweiter in der Georgen¬
strasse an die voraufgegangenen. Die Fälle hatten in sich keinen
direkten Zusammenhang; sie lagen örtlich ziemlich weit ausein¬
ander, ein Verkehr hat zwischen ihnen nicht bestanden. Mitte
Juli, etwa vom 18. Juli an, kam mit steilem Anstieg eine Epi¬
demie zum Ausbruch, welche in der kurzen Zeit bis zum Schlüsse
des Monates 30 Erkrankungen zur öffentlichen Kenntnis brachte;
23 weitere Fälle reihten sich im August an die Julierkrankungen,
nm mit diesen den Gipfelpunkt der Epidemie zu charakterisieren.
Eigentümlich, wie für fast alle hierselbst beobachteten Epidemien
war anch dieses Mal das weite Ausgreifen der Erkrankungen
über das ganze Stadtgebiet. Von dem östlichen Ende der Stadt
bis in die Vorstadt des westlichen Teiles, über 1 km Wegeslänge,
traten mit einem Male die Krankheitsfälle in die Erscheinung. In
dem einen B[ause um den oft genannten Brunnen der Leitznitz-
Marktleitung, in welchem nachweisbar das dem Brunnen ent¬
nommene Leitznitzwasser nur zur Verwendung kam, auch ge¬
trunken wurde, erkrankten 3 Personen; in dem Hanse mit der
Privatleitung am Markt erkrankten 2 Personen, auf dem Amte
mit seinem Leitznitz Wasseranschlüsse 3 Personen. — Ergriffen
waren Kinder, die in und an den genannten Wässern gespielt
hatten; Waschfrauen, die in der Leitznitz Wäsche gespült hatten,
nnd Angehörige von Familien, in denen zugestanden, Bachwasser
zur Verwendung kam.
Fast ausnahmslos waren es Angehörige der arbeitenden
Klasse, die von der Krankheit ergriffen wurden, Personen, bei
denen das immer wiederholte Mahnen, das Bachwasser als ein
758
Dr. Schmidt.
gesundheitsgefährliches nicht zu verwenden, vergeblich gewesen.
Als Ausnahmen traten beim ersten Einbruch nach dieser Richtung
hin nur die Erkrankten am Privatanschlusse am Markt und die
Bewohner des Amtes hervor, denen sich 2 Soldaten der hiesigen
Garnison zureihten. — Wo lag für diese mit so grosser Heftig¬
keit in breiter Ausdehnung über das ganze Stadtgebiet auftreten¬
den Epidemie das verursachende Moment? Eine in lokaler Um¬
grenzung wirkende Veranlassung, etwa eine Brunnenverseuchung
— der Nahrungsmittelbezug aus einer Krankheitsquelle — konnte
bei der Verbreitung über die ganze Stadt von vornherein nicht
angenommen werden und erwies sich bei den vorgenommenen ein¬
gehenden Nachforschungen als nicht vorhanden. Bei jedem
fehlenden sonstigen ursächlichen Momente dieser vielen über die
ganze Stadt verbreiteten Fälle legte sich fast ausnahmslos um
alle als verbindendes Glied die Beziehung zur Leitznitz bezw.
zur Strille. Die bösen Erfahrungen, welche Belgard in gesund¬
heitlicher Beziehung mit seinen Stadtbächen gemacht, fanden ihre
Bestätigung in dieser relativ grossen Typhusepidemie.
Dem kritischen Urteile musste jede andere Möglichkeit der
Entstehung der Epidemie ausgeschlossen erscheinen: Die plötz¬
liche Verbreitung über das ganze Stadtterrain, die nachweisbaren
Beziehungen der Erkrankten mit den schon seit langer Zeit ver¬
dächtigen Wasserläufen, die Erkrankungen in den Haushaltungen,
in welche Leitznitz wasser direkt geführt, das Fehlen jedes andern
die Erkrankungen vereinigenden Punktes: Beweisende Momente
für den Schluss, dass die Typhusepidemie dem Einflüsse der Bach¬
wässer zu verdanken war. Unter dem energischen Durchgreifen
strenger sanitätspolizeilicher Massnahmen (Sperre der Flussläufe,
Kontrolle der Desinfektion in den Krankheitsfällen durch einen be¬
stellten Beamten, gehobene Strassenreinigung, strengere Nahrungs¬
mittelkontrolle) ging die Epidemie im langsamen Abstieg bis zum
Schlüsse des Jahres zu Ende. Vereinzelte Erkrankungen des
Jahres 1902 sind wohl als letzte versprengte Ausläufer des Krank¬
heitszuges zu betrachten, die in ihrer isolierten Erscheinung ohne
besondere Bedeutung für die allgemeine Gesundheit blieben. Der
Kampf gegen die Krankheit war für die Aufsichtsbehörde ein
recht wenig dankbarer, da die Bevölkerung der Stadt den not¬
wendig gewordenen Massnahmen zum Teil mit zähem Wider¬
stande trotzte.
Dass nach der reichen Aussaat des Typhus über die Stadt
die Epidemie in ihrem weiteren Bestände die verschiedensten
Wege der Infektion wandelte, die im einzelnen dann nicht mehr
zu verfolgen waren, ist ja selbstverständlich und findet ihre
Hlustration in der Tatsache, dass im Herbst und Winter (1901
bis 1902) zahlreiche Typhen in die Umgebung von Belgard ver¬
schleppt wurden, die niemals nachweisbare Beziehungen zu unsern
Flussläufen gehabt. Dass der Bach und sein Abflussgraben ihren
Teil an der Weiter Verbreitung der Krankheit immer noch bei¬
steuerten, dafür sorgten sie in ihrer Eigenschaft als die grossen
Sammelstellen jeglichen städtischen Unrats, zu welchem sich
Zu Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus dnrch Flusswaster. 769
zweifellos einerseits die Abgänge manches nicht erkannten oder
nicht genügend desinfizierten Krankheitsherdes gesellten, nnd
anderseits die nicht za bewältigende Einfalt und Renitenz der
Bevölkerung.
Zu der Frage, wie die Verseuchung des Flusslaufes erfolgt
ist, lässt sich eine Antwort nur bis zu einer gewissen Wahrschein¬
lichkeit geben. Im Mai nnd Juni traten mehrere Typhen in Bel-
gard in die Erscheinung (5 Fälle). Dev* zeitlichen Stellung nach
konnten diese Erkrankungen mit Berücksichtigung der Inkubation
für die Julierkrankungen wohl als die Primärerkrankungen ange¬
sehen werden. Ihrer ganzen örtlichen Lage nach scheinen sie
jedoch nicht die Verbreiter des im Wasser kreisenden Keimes
gewesen zu sein. Nach dem Bilde, welches die Krankheit im Be¬
ginne zeigte, traten die ersten Erkrankungen auch im östlichen
Teile der Stadt auf in Haushaltungen, welche ihr Wasser der
Leitznitz oberhalb der Eintrittsstelle des Baches in das Stadt¬
gebiet entnehmen. Eine allen Voraussetzungen genügende Er¬
klärung wurde in der Aufdeckung eines Krankheitsfalles gefunden,
der in einem Dorfe 12 km aufwärts an einem Nebenflüsschen der
Leitznitz im Juni 1901 vorgekommen. Hier hat um die ange¬
gebene Zeit ein 12 Jahre altes Mädchen 8 Wochen lang (im Mai
und Juni) an einem schweren gastrischen Fieber krank gelegen.
Die Wäsche der Kranken ist täglich in dem Flüsschen gewaschen,
die Stühle sind dicht am Flussufer undesinfiziert ausgegossen, die
Geschirre bezw. Eimer für Stuhl und Urin sind im Flusse ge¬
reinigt. Ein zwingender Beweis für den Zusammenhang dieses
Falles mit den Belgarder (auch den Fällen vom Juni) ist nicht
zu erbringen; jedoch muss unter den vorliegenden Umständen
der erwähnten Erkrankung eine hohe Wahrscheinlichkeit der Ver¬
schuldung in der Verseuchung des Belgard durchziehenden Fluss¬
laufes und der Infizierung der Stadt zugeschrieben werden.
Die vorstehenden Ausführungen geben in ihrer Gesamtheit
den Niederschlag der Erfahrungen, welche der Berichterstatter
über das Auftreten des Unterleibstyphus an der Stelle seines
Amtssitzes gemacht hat: Die die Stadt durchziehenden Bäche sind
die Verbreiter der Typhuskeime über das Stadtgebiet und somit
die Schuldigen in dem Auftreten der Typhusepidemien in der Stadt.
Das alljährliche Hervortreten des Typhus am Ort beweist, dass
in der Stadt und wohl auch auf den Aeckern der Umgebung der
Stadt eine reiche Saat von Typhuskeimen verstreut liegt. Den¬
selben ist nicht nachzuspüren, und deshalb ist das Auftreten des
Einzelfalles vielfach nicht zu begründen. Dass aber der Einzel¬
fall seine Beziehungen zu der Allgemeinheit gewinnt, das ver¬
dankt er den Wasserarmen, die die Stadt umspannen. Mit ihrem
Nehmen und Geben werden sie die Vermittler zwischen dem Ein¬
zelnen und der Bevölkerung, zwischen Kranken und Gesunden,
werden sie zum Verbreiter von Seuchen in der Gemeinde.
Das Vorgehen gegen den Unterleibstyphus wird grundsätz¬
lich stets nach 2 Richtungen hin geführt werden müssen: 1. Er¬
kennen und Festlegen des Einzelfalles mit Beseitigung der An-
760
Dr. Seydel.
steckungsgefahr für andere Personen. 2. Sicherung der Seiten
des öffentlichen Lebens gegen das Eindringen von Infektionskeimen,
welche bez. der Typhnsgefahr anerkannt von massgebender Be¬
deutung sind. Die letztere Forderung wäre hinfällig, sobald es
gelänge, der ersteren zu genügen. Solange dieses nicht geschieht,
muss sie, selbständig für sich bestehend, als notwendig anerkannt
werden. — Zur Erfüllung der ersteren Forderung bedarf es in
reichem Masse des Entgegenkommens des behandelnden Arztes
und der Einsicht des Publikums neben der Voraussetzung eines
rechtzeitigen Eintretens des Arztes in die Behandlung. — Die
zweite Aufgabe ist Sache der Sanitätspolizei. Die Trinkwasser¬
frage ist für diese lange Gegenstand eifriger Fürsorge in der Be¬
handlung des Unterleibstyphus; die Gefahren, welche der immer
weiter um sich greifende Grossbetrieb genossenschaftlicher Milch¬
wirtschaften für die Allgemeinheit bez. der Typhusverbreitung
bringt, lassen mit zunehmender Dringlichkeit den Ruf nach einem
allgemein vorgeschriebenen Pasteurisierungsverfahren der ge¬
samten Gebrauchsmilch laut werden. Die vorstehenden Aus¬
führungen gehören in das Gebiet der Gefahr, welche sich aus der
Verunreinigung von Flussläufen ergeben. Die Forderung nach
Reinhaltung der Flüsse ist neuerdings in besonderer Weise aus¬
gesprochen. — Dem Schutze der Oeffentlichkeit gegen Typhus-
gefahr möge Vorstehendes für sein kleines Teil dienstbar werden
in der Gesundheitspflege neben den anerkannten Bestrebungen der
Trinkwasserpflege und des Milchschutzes.
Ueber Fischvergiftung.
Von Prof. Dr. Seydel in Königsberg.
Der Umstand, dass in dem Entwürfe zum neuen Seuchen¬
gesetze die Anzeige von Wurst-, Fisch- und Fleischvergiftung von
den Aerzten verlangt wird, ebenso die Ausschreibung der St.
Petersburger Akademie der Wissenschaften, welche einen höheren
Preis auf die Erforschung der Fischvergiftung setzt, rechtfertigen
nachstehende Mitteilung:
In dem Städtchen Rh. im Reg.-Bez. Gumbinnen machte
Dr. B. nachstehend beschriebene Beobachtung, die ich einer brief¬
lichen Mitteilung desselben entnehme. Am 11. September 1902,
nachmittags 5 Uhr, wurde er in die Wohnung des Färbereibe¬
sitzers N. in Rh. gerufen und konstatierte folgenden Befund:
Die Stieftochter des N. Frl. G., etwa 20 Jahre alt, von mehr als mittlerer
KOrpergrOsBe, schlankem KOrperban und mftssig entwickelter Muskulatur, neigt
eine wachsbleiche Farbe des Gesiebtes, die eingesunkenen Angen sind von
dnnkeln Schattenringen umgeben, leichte Somnolenz vorhanden, ans der Pat.
durch lautes Anreden erweckt, an gibt, sie fühle sieb sehr schwach, kOnne nicht
deutlich sehen, leide an hochgradiger Uebelkeit und Brechneigung, ferner an
Schmerzen im Halse und könne nicht schlucken. Die Hitteilung wird mit
sehr schwacher, kaum vernehmbarer Stimme gemacht. Der Puls ist enorm
beschleunigt, 130 in d. M., kaum fflhlbar. Beim Abziehen der scheinbar ge-
lfthmten Lider erscheinen die Pupillen stark erweitert, ohne jede Beaktion auf
Lichteinfall. Die Lippen trocken, *1er Mund geschlossen, lässt sich nur unvoll¬
kommen öffnen; Zungenrüeken gelblich bräunlich verfärbt; stattliche Abschnitte
Sin deutsches geriehUfirztliches LeichenöffnongHverfabreD. ?3l
wünscht, dass maß nach Öriesinvers Methode horizontal von
vorn nach hinten mit den Knochen zugleich das Gehirn durchsägt.
Nach Orths kompetentem Urteil erleidet das Gehirn hierbei nur
geringe Verletzungen, in jedem Falle geringere als bei der anderen
Methode, Vielleicht lässt man in den Obduzenten die
Wahl zwischen beiden Methoden.
Preussen und Wü.r11ernberg,. aowie die mit Preüssea
übereinstimmenden Staate» haben »och folgende, auch für die Zu¬
kunft empfehlenswerte Bestimmungen über sonstige Unter*
Stichlingen and Schliessung der geöffneten Leiche:
Fr«aa»em: „§,26. Sonstige Uuteranchaitgoa. Seblioisallßb wird
den Obdnaeaten »üt Pflicht gfensacht, auch alle, in dem Regalatiy nicht »ament-
lieh aufgefhhrten Organe, falle eia an denselben Verletraogan oder sonstige
Regelwidrigkeiten ßnden,zn nntownehen.
§. 26, SchiicBHang der geöffneten Leiche. Dsr Oariohto*
(Kreis*) WttndariU, V«iw. deär zngezogene «weite Arzt, hat die Verpflichtung,
nach beendigter Obduktion and «ach der soweit als möglich erfolgten Beseiti*
gung der Abgänge die kunstgerechte Schliessung der geöffnete» Körperhöblen
«u bewirken.“
Württembergr „§, 32. Sohinas der Lolch anSriau 5 g. Ergebe»
sieb bei der inneren und äosaereu Besichtigung Verleisnngen oder sonstige
Veränderungen io Organen, welche im Vorstehenden nicht’ namentlich anfge-
führt sind, so darf doch deren nSkere Beschreibung unter keinen Umständen
unterlaesen werden. Der «weite Ar*t hat die 'Verpflichtung, nach .Beendigung
der Protokoll - Aufnahme und der Abgabe des vorläufigen Gutachtens för die
Beseitigung der Abgänge und die regelrechte Verschlieesung der Körperhöhlen
su sorgen,“
Viftr kommen nunmehr zum dritte» Teil des geltenden Regu¬
lativs der
Abfassung der ObduJfctionsprotokolle und des
Obduktionsbericbts.
Dieser Baöpt&bsehmU zerfällt noch zumeist in die Unterab¬
teilungen;
1. Aufnahme des Gbdnktionsprotokolls,
2. Einrichtung und Fassung des Protokolls,
3. Vorläufiges Gutachten,
4. Obduktionsbericht.
Hierzu kommen noch in Preussen „Zusätzliche Erklärungen
über Werkzeuge*.
Allein Sachsen-Weit» ar-Eiseoach lässt einen derartigen.
Hauptabschnitt vermissen und ersetzt ihn durch kurze Anweisungen
unter 3. Ällgeöieiae Bestimmungen.
Pre-uasen:
»I 27. Aufnahme dor öhdnktjönsprotokolle. Ueber alles die
Obdaktlon Betreffehdo wird *0 Ort find Stelle von dem Richter ein Protokoll
aufgenomnien {Ohdnktiooeprotekoüp -
Bes Phyiikas (Oeii^tsarat) hat, dafür zu sorgen, dass des technische
Befand in alten «einen Tsiüeo, wie? er von dem Obd»^«#
wörtlich in das l^otöfeoU *oilgehom®en werde.
Der Richter ist zu «Machen, die» so geecb«;
«chreibnng and, der Befund jedh» einaelnen Organa
Untersnehnng eines folgenden geschritten wird.“ Wjj V T va-*-} j
Das b äyr is ch b Und sä t h s i 8 c h e
■wörtlich mit dem pr^ussiachen überein.
732 Dr. Placsek: Bio deutsches gerichtsKrztliches Leichenöffnungsverfahren.
Eine Sonderbestimmung mit eigener Fassung hat Württem¬
berg, dessen §. 83 „das Protokoll“ in seinem I. Teil lautet:
„Das Protokoll wird während der änsaeren and inneren Besichtigung
von dem Qerichtssohreiber nach den Angaben der Aerate niedergeschrieben.
In der Begel soll Bofort nach Untersachang eines Organs auch die Schilderung
des Erfandes su Papier gebracht werden. Jedenfalls ist es su vermeiden, eine
längere Reihe von Beobachtungen vor dem Niederschreiben Zusammenkommen
zu lassen.
Der erste Arzt (Oberamtsarzt) hat dafttr zu sorgen, dass die Beschrei¬
bung aller Erfände wörtlich so aufgenommen wird, wie sie durch die Unter¬
suchung festgeBtellt wurden. Beide Aerzte können nicht dringend genug auf¬
gefordert werden, auch solche Funde, welche nach der gewöhnlichen ärztlichen
Anschauung unbedeutend erscheinen, wie z. B. kleine Hautabschürfungen, Blut¬
unterlaufungen, kleine Fremdkörper u. dgl. so vollständig als möglich zu unter¬
suchen und su beschreiben. Denn nicht selten tritt im weiteren Verlaufe der
gerichtlichen Untersuchung zu Tage, dass gerade sie von allergrösster Wichtig¬
keit sind.
Das Protokoll wird also um so brauchbarer sein, je unverrückter es den
gerichtlichen Zweck im Auge behält, und je eingehender, klarer und bündiger
es die aufgefandenen Veränderungen im einzelnen beschreibt.
Am allerwenigsten darf die Würdigung und Aufnahme der Funde vou
irgend einer vorgefassten, durch äussere Umstände und Verhältnisse hervor*
gerufenen Meinung über die Todesursache beeinflusst werden.“
Sachsen-Weimar-Ei 8 enach:
„§ 7. Ueber jede Leichenuntersnchung ist ein Protokoll aufsunehmen,
in welchem das Wesentliche der Befunde in möglichst gemeinverständlichen
Ausdrücken und in gehöriger Aufeinanderfolge wiederzugeben ist. Soweit als
möglich sollen Messungen an die Stelle von Schätzungen treten, Urteile für
das nach Schluss der Leichenschau bezw. Leichenöffnung abzugebende Out¬
achten aufgespart werden.“
Der preussische § 27 kann vorbildlich bleiben. Es bedarf
nicht der übermässigen Ausführlichkeit des württembergischen
§ 38, zumal die dort gegebenen besonderen Hinweise nur einen
Teil der „Allgemeinen Bestimmungen“ wiederholen. Betreffs der
Einrichtung und Fassung des Protokolls wünscht Preussen:
„§ 28. Der den technischen Befand ergebende Teil des Obduktions-
Protokolls muss von dem Pbysikas (Geriohtsarzt) deutlich, bestimmt und auch
dem Nichtarzt verständlich angegeben werden. Zu letzterem Zwecke sind
namentlich bei der Bezeichnung der einzelnen Befunde fremde Kunstausdrücke,
soweit es unbeschadet der Deutlichkeit möglich ist, zu vermeiden.
Die beiden Hauptabteilungen — die äussere und innere Besichtigung —
sind mit grossen Buchstaben (A und B), die Abschnitte über die Oeffnungen
der Höhlen in der Reihenfolge, in welcher dieselben stattgefunden, mit römischen
Zahlen (I, II), die der Brust- und Bauchhöhle aber unter einer Nummer zu
bezeichnen.
Die Befunde müssen überall in genauen Angaben des tatsächlich Beob¬
achteten, nicht in der Form von blossen Urteilen (z. B. „entzündet“, „brandig",
„gesund“, „normal“, „Wunde“, Geschwür“ u. dergl.) zu Protokoll gegeben
werden. Jedoch steht es den Obduzenten frei, falls es ihnen zur Deutlichkeit
notwendig erscheint, der betreffenden Angabe des tatsächlich Beobachteten
derartige Bezeichnungen in Klammern beizufügen.
In jedem Falle muss eine Angabe über den Blutgehalt jedes einzelnen
wichtigen Teiles und zwar auch hier eine kurze Beschreibung und nicht blos
ein Urteil (z. B. „stark“, „mässig“, „ziemlich“, „sehr gerötet“, „blutreich*,
„blutarm“) gegeben werden. Bei der Beschreibung sind der Reihe nach die
GrOsse, die Gestalt, die Farbe und die Konsistenz der betreffenden Teile as-
zugeben, bevor dieselben zerschnitten werden.“
Bayern: § 31 stimmt wörtlich überein, ebenso Baden,
Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Braunschweig.
Ueber Fischvergiftung.
768
noch ausserhalb derselben genossen worden. So blieb und bleibt
auch jetzt nichts anderes übrig, als jenes Fischgericht tatsächlich
der erwähnten schweren Folgen zu beschuldigen.
Schreiber führt die Symptomatologie der Fischvergiftung
nach Boehm und Husemann an und den Unterschied zwischen
dem von ihm und den oben genannten Autoren beschriebenen
Krankheitsbilde und die Aehnlichkeit desselben mit Botulismus.
Dieselbe Ansicht vertritt Kobert in seinem Handbuche der In¬
toxikationen, 1893, S. 615 und 711; die Beschreibung des Krank¬
heitsbildes der Fischvergiftung und der Wurstvergiftung zeigt so
viel ähnliches, dass man die eine Ursache nur nach Ausschluss
der anderen als wahrscheinlich annehmen kann.
Kobert nennt bekanntlich das Gift, das sich in den ver¬
dorbenen Nahrungsmitteln bildet, Ptomatropin und hebt die Aehn¬
lichkeit des Vergiftungsbildes mit Atropin und Skopolamin hervor.
Welche Einflüsse auf das Fischfleisch einwirken, lässt sich
nach den bisherigen Erfahrungen nicht mit Bestimmtheit sagen.
Die einfache faulige Zersetzung des Fischfieisches, das bekanntlich
sehr viel schneller, wie jede andere eiweisshaltige Substanz dazu
neigt, genügt anscheinend nicht. In der Heimat der Fischver¬
giftungen, in Russland, werden faule, den übelsten Geruch ver¬
breitende Fische von den Iliaken und Tataren massenweise,
ohne jeden Schaden genossen. In den in Ostprenssen beobachteten
Fällen, wozu ein vor etwa 10 Jahren in Königsberg vorgekommener
tödlich verlaufender bei einem jungen Manne zugezählt werden
muss, sind es zweifellos Fische, die sonst ein absolut gesundes
Nahrungsmittel bilden und nicht etwa giftige Fische, von denen
Kobert 1. c. eine ganze Reihe aufzählt. Ob die Annahme von
Ermenghems, dass ein besonderer Bacillus die Zersetzung her¬
beiführt, zutreffend ist, lässt sich bis jetzt nicht mit Sicherheit
behaupten. Jedenfalls ist die Mitteilung von E. nicht weiter be¬
stätigt, aber auch nicht widerrufen. Auch die Untersuchungen
von Siebers und Babes haben Klärung dieser Frage bis jetzt
nicht gebracht. Die häufigste Entwickelung des Fischgiftes kann
nach Kobert in Russland bei den zur Fastenzeit oft weithin
versandten und mangelhaft konservierten Fischen beobachtet
werden. Von Anrep konnte aus verdorbenem Störfleisch eine
Menge dieses Ptomatropins hersteilen, das sich beim Tierexperiment
in der oben ausgeführten Weise wirksam erwies.
Für den diagnostischen Zweck wird man daran festhalten
müssen, dass Gruppenerkrankungen, die mit heftiger Magendarm¬
reizung einsetzen, dann Erscheinungen der Lähmung im Gebiete
des Oculomotorius und Glossopharyngeus erkennen lassen, die
Wahrscheinlichkeit einer Fisch- oder Wurstvergiftung nahelegen.
Sind konservierte Fleischwaren, die in Ostprenssen relativ selten
Vergiftungen herbeiführen, da die Konservierung ziemlich sorgsam
vorgenommen zu werden pflegt, ausgeschlossen, so hat man volle
Veranlassung an Fischvergiftung zu denken, die um so wahr¬
scheinlicher wird, wenn es sich in der wärmeren Jahreszeit um
ziemlich weit transportierte und dann nach ungenügendem Kochen
784.
Kleinere Mitteilungen and Beiernte nai Zeitschriften.
Bewusstsein wieder. Unter Mazkelzuckangen, Entleerung schwarzer Stuhle
trat nach 4 Tagen Heilung ein. Das Aderlansblut aeigte nach Bednktion im
Spektroskop nur das Haemoglobinband.
Im s weiten Falle, ebenfalls einem Selbstmordversuch, trat nach 24 Standen
der Tod ein. Aach hier gab das bei der Antopsie geronnene Blut kein Kohlen-
oxydhlmoglobinspektrnm mehr. Anch die chemische Analyse der Blntgase
ergab nnr wenige Kubikzentimeter durch Cu» CI» absorbierbaren Gases.
Im dritten Falle handelte es sich nm eine gewerbliche Vergiftung. Im
Min 1903 wurde ein Hüttenarbeiter in einem Gewölbe tot anfgefunden, in
welches er vor einer Viertelstunde eingetreten war and wo sich Hochofengase
angesammelt hatten. Gewebe and Organe waren noch mit giftigem Gase ge¬
sättigt; es zeigte das flüssige Blut CO - Haemoglobinspektrnm. Die Hg-Pampe
extrahierte aus dem Blate ein Gas, das zum grossen Teile ans C0> bestand.
In 100 ccm Blut waren 61,79 ccm Gas enthalten, das zu 12,66 ccm ans CO,
zn 0,96 ans 0 bestand. Der Best war CO t.
In Fall 4 war ein Arbeiter einer Gasfabrik damit beschäftigt, glühende,
der Betörte entnommene Koaks mit Wasser zn löschen. Er fiel nieder, kam
vorübergehend zu sich, sprach von seiner Frau, klagte Ober Uebelsein, Schmers
in der Magengrube and starb nach einer Viertelstande.
Die Leiche zeigte charakteristische rote Flecke, der übrige Befand, die
Art des Unfalles sprach für CO-Vergiftung; trotzdem war die spektroskopische
Prüfung and die chemische Analyse des der Vena cava entnommenen Blutes
negativ.
Es ergibt sich ans dem Gesagten eine Bestätigung der bekannten Tat¬
sache, dass, selbst wenn der Tod der CO - Vergiftung rasch gefolgt ist, der
chemische Naohweis der Vergiftung nicht zn gelingen braucht.
Dr. Mayer-Simmern.
Vergiftnngeerscheinnngen nach Aspirin. Von Dr. Franke, prakt.
Arzt in Bad Harzbarg. Münchener med. Wochenschrift; 1903, Nr. 80.
Verfasser nahm, weil er Schmerzen in den Waden verspürte and sieh
unpässlich fühlte, 1 g Aspirin, nachdem er etwa 20 Minuten vorher ohne
nassen Appetit zu Abend etwas Leberwurst und einige Appetit-Sylt aas einer
Irisch angebrochenen Büchse verspeist und eine Tasse Tee dazu getrunken hatte.
Höchstens */« Stunde später schwoll die linke Oberlippe an; Verfasser
bekam Schluckbesch werden, Würgen im Halse, Atmungsbeschleunigung. Dieser
Zustand verschlimmerte sich von Minute zu Minute, die Sohwellnng wurde
stärker, ging über das ganze Gesicht hinweg, besonders Lippen, Augen und
Wangen wurden gerötet und zwar so schnell, wie Verfasser es nie gesehen
und sich ebensowenig erinnerte, je davon gelesen zu haben.
Die Pulsfrequenz steigerte sich auf 160! Die Temperatur, leider nicht
£ 9 messen, hatte sicher eine enorme Höhe erreicht. Nach Applikation einer
isblase auf den Kopf und Eisumschlägen um die Stirn, Versehlneken von Eis-
stflckchen und Trinken von mehreren Eierweiss in kurzen Intervallen besserten
sich die Schlack- und Würgbewegungen. Etwa 20 Minuten später spürte Ver¬
fasser die Abkühlung des Kopfes; es Hessen allmählich die Beschwerden nach,
bis plötzlich auf dem ganzen Körper, besonders aber auf Handrücken, Hals und
Fass ein quadelartiger, juckender, etwa linsen- bis bohnengroeser, erhabener
Ausschlag entstand.
Mit Eintritt dieses neuen, fast blitzartig entstandenen Symptoms Hessen
die Beschwerden merklich nach und besserte sich der Zustand 1 Stunde später
derart, dass Verfasser wieder zu einem Patienten gehen konnte. Bald darauf
legte er sich zu Bett, kam bald in starke Transpiration, Jackgefühl und Aus¬
schlag verschwanden, so dass Verfasser am anderen Morgen seine Praxis wieder
versehen konnte, da er ausser einem m&asigen Spannungsgefühle und leichter
Schwellung an den Lippen, dem Unken Auge und der linken Backe nicht die
geringsten Beschwerden mehr hatte. Puls und Appetit normal; am daraaf-
folgenden Tage völlige Wiederherstellung.
Verfasser meint, dass im Magen eine chemische Zersetzung der dort
anfeinander platzenden Säuren stattgefunden hat, eine Phenol Verbündung frei
geworden und diese sofort resorbiert worden ist. Die Urinuntersuchung ergab
"ämlioh grosse Mengen PhenoL
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
786
Bin« Fleischvergiftung allein kann, abgesehen von den Phandbefunde
in Urin, derartige 8jmptone nicht hervorrufen; auch müssten dann 2 andern
Hauamitglieder, welche von den Fischen genossen, ebenfalls erkrankt sein.
Eine Wirkung des Aspirins allein schliesst Verfasser deswegen aas, weil
vertragen hat.
Schliesslich erwähnt Verfasser noch, dass Otto und Meyer in der
Deutschen ned. Wochenschrift, 1903, S. 123 und 124, Uber Nebenwirkungen
nach den Gebrauche tou Aspirin in der Form Ton Odem&tOsen Schwellungen,
besonders der Augenlider, Kopfhaut etc. berichteten. In beiden Fällen seien
die Erscheinungen am nächsten Tage geschwunden.
_Dr. Waibel-Kempten.
Vier Fälle von innerer Lyaol Vergiftung. Aus der inneren Abteilung
des Krankenhauses Bethanien su Berlin (dir. Arst Prof. Dr. Zinn). Von Dr.
Liepelt, Assistenzarzt. Berl. klia. Wochenschrift; Nr. 25, 1903.
Zu den bisher in der Literatur mitgeteilten 37 VergiftungsfIllen fügt
Liepelt noch 4 in selbstmörderischer Absicht entstandene hinzu, die in
Bethanien beobachtet wurden. Sie genasen, obwohl die grösste genommene
Menge unveränderten Lysols 100 gr betrug und trotzdem in 2 Fällen tiefes
(Joma vorlag. Wichtig ist in der Therapie der inneren Lysolvergifiung die
aasgiebige MagenausspOlung mit Wasser, die solange fortzusetzen ist, bis das
Spülwasser (in einem Fall 26 Liter) klar zurtlckkommt. Weil das Lysol vom
Magen nur langsam resorbiert wird, hat eine Magenaussptilung noch nach
Stunden nach der Vergiftung Erfolg; eine Unterlassung einer solchen wäre als
Kunstfehler su betrachten. Ausserdem muss die sinkende Herzkraft durch
kräftigende Mittel (Katapher) behoben werden. Im Handverkauf sollte Lysol
nur in Verdünnungen, reines Lysol nur in eckigen Flaschen mit dem Gift*
seichen abgegeben werden. Verfasser fährt die bisher veröffentlichten Fälle
mit aut Der Eintritt des Todes infolge Uteruespölnngen mit 1°/« Lysol-
lösong bei einer Wöchnerin hat sur Empfehlung von Spülnngen mit niedriger
Konsentration (*/* °/o) und bei geringem Druck geführt.
_ Dr. Bä über-Düsseldorf.
Eta Full Ton Lysol Vergiftung. Von Dr. Schwarz ln Nestomita.
Prager medisinieehe Woehenschrift; Nr. 27, 1908.
Im Anschluss an die in dieser Zeitschrift (Heft 15, 1903, S. 558) bereits
besprochene Arbeit Hammers Ober „Lysolvjrgiftnng“ bespricht Verfasser einen
Fall aus seiner Praxis. Ein 47 jähriger, vollkommen gesunder Fabrikarbeiter
trank aus Versehen einen „Schluck" konzentriertes käufliches Lysol aus einer
Weinflasche. Er trank sofort etwas Milch nach, doch etwa wenige Augenblicke
später begann er zu taumeln. Eine halbe Stunde darauf fand Schwarz den
Patienten somnolent, jedoch auf Fragen träge reagierend. 15 Minuten später
lag er völlig bewusstlos im Bette, das Gesteht war blaes, die Coojnnktiva
gerOtet, Kornealreflex vorhanden, Papillen mittelweit, Pols mässig beschleunigt,
regelmässig, Atmung laut schnarchend. Die mit 12—15 Liter vorgenommene
Magenausspttlung forderte die charakteristisch grau gefärbte LysollOsnng zu
Tage. Eine halbe Stunde darauf erwachte Patient aus dem somnoleuten Zu¬
stande und klagte über brennende Schmerzen im Mond und Magen. Patient
hatta für dae Vorgegaageoe eine völlige Erinnerungalozigkeit. Im Harne
neigte Mob weder Phenol, noch Eiweiss. Dr. Glogowski-GörUts.
Neekmab Shoek und der Shoektod, speziell neck Kontusionen
den Bauche«. Von Dr. med. P. Seliger, Kreiswundarzt z. D. in Schmiede¬
feld, Kreis Sehleusingen. Prager mediz. Wochenschrift; 1903, Nr. 32.
Wir haben in Nr. 9, Jahrg. 1901 und Nr. 18, J&hrg. 1902 über Ver¬
fassers Arbeiten über das in der Ueberschrift genannte Thema berichtet. An
der Hand von 14 Abhandlungen anderer Autoren, die nachträglich erschienen
stad, hält er seine Ansichten für bewiesen und fordert die Kollegen auf, ihm
einschlägige Fälle behufs Sammeiforsehong zugehen sn lassen.
_ Dr. G log owski-GOrlitz.
786 Kleinere Mitteilungen und Befer&te aus Zeitschriften.
Fragliche Todesursache im Säuglingsalter. (Tod durch Thymus-
drttsenhyperplasie?) Von Prof. Dr. Leubuscher, Beg.- u. Med.-Bat in
Meiningen. Mttnchener mediz. Wochenschr.; 1908, Nr. 28.
Nach dem Tode eines 8 Tage alten Kindes einer ledigen Person ent¬
standen allerlei Gerttohte, dass der Tod nicht auf natürliche Weise erfolgte.
Die deshalb vorgenommene Sektion des Kindes ergab nirgends Spuren äusserer
Gewalt und unter anderem neben deutlichen Erscheinungen des Erstickungs¬
todes (dünnflüssiger Beschaffenheit des Blutes, Ueberfülluug der Lungen mit
Blut, namentlich des rechten Mittellappens, Ueberfüllung des rechten Hersens
mit Blut, flohstiohartigen Blutaustritten unter die Pleura beider Lungen uni
kleinen Blutaustritten auf die Knochenhaut des Schädels) eine ziemlich grosse
Thymusdrüse, welche 5 cm breit, 5 1 /« cm lang, 1 cm dick nach Eröffnung der
Brusthöhle dieselbe mit dem Herz grösstenteils ausfüllte. Bei der Frage, wo¬
durch die zweifellos bei dem Kinde nachweisbare Erstickung zustande ge¬
kommen sei, war immerhin die seitens des Arztes nicht zu entscheidende Mög¬
lichkeit zu erwägen, dass die Bespirationsöffnungen durch das Bedecken mit
weichen Gegenständen (Tüchern, Betton u. s. w.) verschlossen worden seien.
Nachdem aber die Untersuchung nicht den geringsten Anhaltspunkt für ein
Verschulden der Angehörigen ergeben hat, blieb für den Erstickungstod des
Kindes alB Ursache noch ein Befund übrig, d. i. der Nachweis einer exzessiv
grossen Thymusdrüse.
Dass die Vergrösserung der Thymusdrüse mit einem plötzlichen Tode,
namentlich bei kleineren Kindern, in Zusammenhang zu bringen ist, lässt sieh
wohl heute nicht mehr in Abrede stellen. Bei einer Anzahl von Kindern fand
man eine direkt durch den Druck der grossen Thymusdrüse verursachte Platt-
drückung der Luftröhre. Post mortem lässt sich meistens die hyperplastische
Drüse, nicht aber die akute, den tödlichen Druck verursachende Blutstauung
in der Thymusdrüse nachweisen. Diese Stauung kann mitunter Bchon durch
eine abnorme, nach hinten stark übergeneigte Stellung des Kopfes, die einmal
den Baum der oberen Brustapertur durch Nachvornetreten der Halswirbelsäule
nooh mehr verringert, weiter aber auch eine venöse Blutüberfüllung der Hals¬
venen und damit eine Stauung in der Thymusdrüse zustande bringt, veranlasst
werden. Dass ein Spasmus glottidis bei gleichzeitig vorhandener Thymusdrüsen-
hypertrophie auch gerade nach dieser Bichtung hin wirken kann, ist zweifellos
und damit würde auch bei Annahme eines Spasmus glottidis jedenfalls die
Vergrösserung der Thymusdrüse das unterstützende Moment für den Eintritt
des Todes bilden.
ln dem vorliegenden Falle fehlten alle Zeichen von Bhachitis. Ebenso
fehlten alle Zeichen eines allgemeinen lymphathischen Status oder einer anderen,
den Tod erklärenden Krankheit, weshalb Verfasser berechtigt zu sein glaubt,
den Todesfall als durch Thymusdrüsenhyperplasie verursacht anzusehen. Mög¬
licherweise hat das Kind im Bette mit nach hinten übergebeugtem Kopfe ge¬
legen and war hierdurch eine Ursache einer plötzlichen Stauung und Schwellung
der ohnehin grossen Drüse gegeben. Dr. Waibei-Kempten.
Ueber Todesursachen bei Neugeborenen und gleich nach der Ge¬
burt mit Rücksicht auf ihre forensische Bedeutung. Aus der Universitäts-
Frauenklinik zu Würzburg. Von M. Hofmeier. Münchener med. Wochen¬
schrift; 1908, Nr. 85.
Verfasser berichtet über einige unter ärztlicher Aufsicht verlaufene Fälle
von unerwartetem und zunächst unerklärtem Tode bei scheinbar ganz gesunden
nnd kräftig entwickelten Kindern gleich nach und kurz vor der Geburt.
Der erste Fall betrifft die Geburt eineB ausgetragenen, spontan geborenen
Kindes, welches sich lebhaft bewegte, laut schrie, 8800 g schwer war, nach
einigen Minuten oberflächlich und dann bald nicht mehr atmete, so dass trotz
aller angewandten Mittel nach */* Stunde Exitus erfolgte.
Kind und Fruchtwasser zeigten penetranten Geruch. Die Sektion erklärte
den unerwarteten Tod in keiner Weise (Lungen marmoriert, nicht voll ent¬
faltet, von ziemlich derber Konsistenz, mässigem Blutgehalt; dieselben
schwammen im ganzen und in einzelnen Stücken; Leber und Mil« nor¬
mal). Bei mikroskopischer Untersuchung von Hers, Lunge und Leber fanden
’ch Veränderungen in der Form von degenerativ veränderter, körnig getrübter,
Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften.
787
die Qaerstreifong nicht erkennenlassender Herannskalatnr, interstitiellen
Bindegewebswncherangen nnd teilweise desqnamierten Alveolenepithels in den
Langen, trüber Schwellang der Leberzellen and m&ssiger Bindegewebsentwicke-
lang in der Leber.
Beim Fehlen jeder anderen Erklärung musste man den anerwarteten
Tod des Kindes anf diese mikroskopischen Veränderungen snrückführen and so
erklären, dass Hers and Lange trots ihrer scheinbar gans normalen Beschaffen¬
heit nicht im stände waren, den Ansprüchen der extraaterinen Atmung sa ge¬
nügen and deshalb sehr schnell versagten.
Betreffs der Ursaohe dieser anatomischen Veränderungen kam man gleich¬
falls nicht über Vermutungen hinaus.
ln einem sweiten Falle waren die Herztöne des Kindes während der
14 Stunden dauernden Qeburt sehr wechselnd, 10 Minuten vor der Gebart
regelmässig (140—150). Bei der Geburt Herzschlag völlig erloschen, keine
spontane Atembewegung, längere Zeit künstliche BeBpiration.
Sektion: Kind vollkommen normal, frischtot, 2800 g schwer; Langen
dankeifarbig mit einzelnen hellroten Flecken, in toto schwimmend; sonst nichts
Besonderes. Die mikroskopische Untersuchung zeigte fettige Degeneration der
Herzmuskulatur; die Septa der Lungenalveolen stark verdickt, in der Leber
interlobuläre Herde mit Infiltration.
Placenta 550 g schwer, ziemlich derb, mit weisser Sprenkelung; mikro¬
skopisch: Gefässe, zum Teil mit Blut gefüllt, dicke Wandangen zeigend, die
Arterien zum Teil vollkommen obliteriert.
Wenn man hier absieht von dem geringen, durch künstliche Bespiration
in die Lungen gebrachten Luftgehalt, der selbstverständlich nach einer heim¬
lichen Geburt nicht vorhanden gewesen wäre, so würde in diesem Falle bei
der forensen Beurteilung einer solchen Leiche die Sache ja insofern anders
liegen, als eben alle Zeichen eines Lebens nach der Geburt gefehlt hätten, nnd
damit der Beweis, dass hier ein bereits post partum lebendes Kind getütet
sein könnte, nicht zu führen gewesen wäre. Die Möglichkeit besteht aber doch,
dass auch in solchen Fällen ein Kindsmord ausgeführt sein könnte, wenngleich
die Ausführung in dieser Weise eine Ueberlegung und ein Baffinement bei der
betr. Matter voraassetzen würde, das bei einer jungen und unerfahrenen Erst¬
gebärenden sicherlich nicht vorhanden ist. Trotzdem ist es für den Gerichts¬
arzt sehr schwierig, in solchen Fällen zu erklären, warum bei augenscheinlich
leiohter und normaler Geburt ein normal gebildetes Kind tot geboren sein soll,
nnd man wird stets versucht sein, bei derartigen heimlichen Geburten an eine
Absicht der Mutter, ihr Kind zu töten, zu glauben. Zur Erklärung des Ab¬
sterbens der Kinder unter solchen Umständen während der Geburt, muss in
erster Linie auf die histologische Untersuchung der Placenta zurückgegangen
werden, weloho dann nicht selten endo- und periarteriitische Prozesse anf-
weisen lässt.
Solche Gefässveränderungen zeigt auch die Placenta im vorliegenden Fall;
es bleibt daher kaum eine andere Erklärung für den ganz unerwartet eingetre¬
tenen Tod des Kindes, als die durch diese Erkrankungen hervorgerufenen fötalen
Zirkulations- oder Bespirationsstörungen.
Es folgt daraus für gerichtsärztliche Fälle, wie sehr zur völligen kau¬
salen Aufklärung die Untersuchung der Placenta nötig ist, ohne welche man
ein bestimmtes Urteil nicht formulieren kann.
Bei einem dritten Falle gab auch die Untersuchung der Placenta keinen
sicheren Aufschluss über die Todesursache des Kindes:
Nach 12 ständiger Geburtsdauer erfolgte Geburt eines toten, 4000 g
schweren Kindes, keine Zeichen vorzeitiger Plazentarlösung. Lungen voll¬
kommen luftleer, die übrigen Organe normal, keine Zeichen von Lues, in der
Trachea und den Bronchien überall Meconium. Herzmuskel fettig degeneriert
mit Aufhebung der Qaerstreifong; die Placenta zeigte eine bedeutende Hyper¬
trophie der Decidua, starke Gefässfüllong, sonst keine Veränderung.
Der Nachweis von Meconium in Trachea nnd Bronchien beweist die in¬
trauterine Inspiration des Kindes, deren Grund unklar bleibt, da von einer
etwa eingetretenen vorzeitigen Plazentarlösung nichts zu bemerken war, eine
direkte Schädigung des Kindes natürlieh gleichfalls ausgeschlossen war and
Plazentarveränderungen der eben genannten Art gleichfalls nicht vorhanden waren.
788
Kleinere Mitteilungen und Beiente ft tu Zeitschriften.
Eine befriedigende Erklärung Über den möglicherweise auch nicht ifltra
partum erfolgten Tod war also auch durch die Untersuchung der Plaoenta nicht
su finden.
Solche sichere Beobachtungen beweisen aber immer- wieder von neuem,
wie vorsichtig man bei der Beurteilung der forensen Begutachtung sein mnss,
wenn man nicht den unglücklichen Müttern einmal bitter unrecht tan will, h
_ Dr. Waibei-Kempten.
Fett, Glykogen nnd Zellent&tigkeit der Leber des Neugeborenen.
Von L. Natlan-Larrier. Comptes rendus de la soci6t6 de biologie; 1908,
Bd. 66, S. 886.
Die Frage des Glykogengehaltes der Leber ist nach den Arbeiten von
Laeassagne und Martin, von Modioa, L. Wachholz u. a. von
gerichtsärztl icher Bedeutung.
Die mikroskopischen Untersuchungen des Autors an der Leber des neu*
geborenen Menschen und neugeborener Nagetiere ergaben nun das Resultat,
dass die normale Leber des Neugeborenen Fett und Glykogen
enthtlt. Beide Substanzen zeigen insofern ein charakteristisches Verhalten,
als das Fett in der Umgebung der afferenten, das Glykogen in der der efferenten
Wege sich hauptsächlich findet.
Da sich die Zellen in lebhafter Tätigkeit befinden, handelt es sich sicht
um ein einfaches Aufspeicbern dieser Stoffe; es muss angenommen werden,
dass das Fett zunächst in Glykogen, dann in Zucker umgesetzt wird Und zur
Ernährung und Wärmebildung des Neugeborenen beiträgt.
(Leider ist nicht angegeben, welches die Todesursachen der Neugeborenen
waren, an deren Leber die Untersuchungen angestellt wurden.)
_ Dr. Mayer-Simmera.
Ueber den Meobanismns des Todes infolge von Lnfteintritt in die
Venen. Embolien der Koronargef&sse. Von Ch. A. Fran$ois-Franck.
Ans dem physiol.-pathol. Universitäts-Laboratorium, Paris. Comptes rendus
de la soo. de biol.; 1903, Nr. 25, S. 960.
Mit Hilfe einer eigenartigen, vom Verfasser ansgebildeten Methode der
Momentphotographie gelang es ihm, an Tieren die einzelnen Phasen der Ver¬
änderungen im Gefässsystem nach Eintritt von Luft in die Venen genauer als
es bisher bekannt war, darzustellen.
In kleinen Quantitäten in die Venen eingedrungene Lnft
S assiert dieselben in den meisten Fällen ohne Schaden, es sei denn, dass
ie Luft in besonders intolerante Organe, wie ins Hirn oder ins Hers gelangt
Wird dagegen eine bedeutendere Menge in die Venen angesogen
oder unter Druck in dieselben injiziert, so sammelt sie sich zuerst im rechten
Atrium und im rechten Ventrikel an, dehnt diese aus und gelangt von da in
die Art. pulmonales; zum Teil aber auch geht sie in die Venen zurück.
Dieser letztere Anteil kann ins Zentralnervensystem gelangen und sich
in den feinsten Netzen der Gehirn- und Rackenmarksvenen fangen. Die übrige
dem Blut beigemengte Luft tritt zum Teil in die Venae coronariae cordis ein,
deren Vorhofmündungen erweitert sind. In diesen Venen geschieht die Fort¬
bewegung der Luftblasen unter dem Einflüsse der perikardialen Aspiration.
In den Lungenkapillaren findet keine Behinderung für die dem
Blute beigemischte Lnft statt, ein Beweis, dass der Tod von Menschen und
Tieren nioht auf einer mechanischen Behinderung der Atmung
beruht.
Nachdem Luft- und Blntmassen die Lunge passiert haben, treten sie inn
linke Hers ein, gelangen in die Aorta und von da in die verschiedenen
arteriellen Gefässgebiete. Besonders wichtig ist die Verteilung im Karotiden-
und Vertebralesgebiete einerseits, in den AA coronariae cordis anderseits.
Die akute Anaemie des Zentralnervensystems wird bedingt durch ein
Eindringen schaumigen Blutes in die feinsten Sohlagaderverzweigungen desselben.
Der Tod aber tritt ein durch eine Luftembolie der Koro¬
nararterien. Stossweise entleert sich mit Luft gemengtes Blut in diese
Gefässe, während sieh gleichseitig auch die Koronarvenen mit Luftblasen
füllen. Das Hers stirbt .infolge Absperrung des Blutsuflusses^snm Myokard.
Kleinere Mitteilungen ul Referate ui Zcischriften.
780
(Die Frage der Luftembolie ist jüngst in der Arbeit Stnelps [Viertel-
jahrssch. f. ger. Medisin; 1903, Snpplh. 1] snsammenfassend besprochen worden.
Die Versnobe des Antors geben eine anoh gerichtsftrstlieh wichtige Brglnsnng
sn jener Darstellnng.) _ Dr. Mayer-Simmern.
Der Nachweis individueller Blutdifferenzen. Von Dr. Wolfgang
Weichardt, Assistent am hygienischen Institut der UniversitBt Berlin.
Hygienische Bnndschan; 1903, Nr. 15.
Die Spezifizität der durch Injektion gewonnenen Blutdiagnosensera kann
dureh Absorption der heterologen Bestandteile erhöht werden. 1 ) Verfasser
stellte Pferdeblutdiagnosensera her, mittels deren er im stände war, zwischen
mehreren Pferdeblutsorten sichere diagnostische Unterschiede festzustellen. *)
Nach diesen ermutigenden Vorversuchen legte Verfasser zunächst eine von
bestimmten Gesichtspunkten ausgehende Methodik des biologischen Blutnach-
weises fest, mit Hilfe dessen nicht nur die sichere diagnostische Unterscheidung
von Blnt nahestehender Arten, wie das vom Menschen und Affen, sondern
auch von dem zweier menschlicher Individuen gelingt.
Da ferner Verfasser mittels 4 maliger Injektion von Leichenblnt A.
binnen 8 Tagen ein Kaninchenserum erzielen konnte, mit dem nach Absorption
der heterologen Bestandteile ein ganz deutlicher Unterschied festzustellen war
zwischen dem Blnt der Leichen A. und B., so ist auch zu erwarten, dass die
Gerichtsärste in forensischen Fällen mit Hilfe dieser Methode event. das Blnt
eines Gemordeten zu diagnostizieren im stände sein werden.
Deshalb dürfte es sich empfehlen, bei betreff, gerichtlichen Sektionen
ea. 50 ccm Blnt sn asservieren und mit Phenol zu versetzen, damit event. ein
für das Blnt des Gemordeten spezifisches Kaninchenserum gewonnen werden kann.
_ (Antoref.)
Ueber Röntgenstrahlen in gerichtlich • medizinischer Beziehung.
Von Dr.Troeger. Friedreichs Blätter f. gerichtl. Medizin; 1903,Heft IV.
Die Epiphysenbildnng der einzehen Knochen und abnorm vorkommende
Knochen muss der Gerichtsarzt genau kennen, da er sonst normale Röntgen¬
bilder als anormale bezeichnen kann. Bei Brüchen, Verrenkungen nnd ihren
Folgen am Knochengerüst gibt das Röntgen-Verfahren den besten und
sichersten Aufschluss. Manche Brüche und Risse im Knochen sind häufig nur
mit Hilfe der Röntgen - Strahlen zu erkennen. Die Röntgen - Strahlen sind am
Knochengerüst, ausgenommen Kopf und Wirbelsäule, da sie hier noch der er¬
forderlichen Sicherheit ermangeln, ein gerichtsärztliches Postulat. Ein ge¬
richtsärztliches Postulat sind die Röntgen-Strahlen auch bei in den mensch¬
lichen Körper eingedrungenen Fremdkörpern, da dieselben in allen Körper¬
gegenden und Körperhöhlen nacbgewiesen werden können, wenn sie mit Rücksicht
auf ihre Grösse und Konsistenz überhaupt einen Schatten geben. Wenn
auch zugegeben werden muss, dass bei manchen inneren Krankheiten das
Röntgen-Verfahren den alten klinischen Methoden in der exakten Diagnosen-
Stellung überlegen ist, so kann es jedoch, mit Rücksicht auf die der Röntgen-
Methode noch anhaftende Mangelhaftigkeit, ein gerichtsärztliches Postulat
nieht sein. Ueber die Lebensfähigkeit eines neugeborenen Kindes und darüber,
ob ein Foetus in oder nach der Gebuit geatmet habe, sowie Über etwa be¬
stehende Schwangerschaft gibt das Röntgen-Verfahren bis jetzt keine gerichts¬
ärztlich verwertbaren Aufschlüsse. Bei einigen Hautkrankheiten ist die
Röntgen-Therapie als die beste anzuerkennen. Nicht zum geringsten bängt
das Urteil über den diagnostischen etc. Wert einer Röntgen • Untersuchung
davon ab, wer die Untersuchung vorgenommen hat, da nnr ein mit dem
Ä i- Verfahren seit Jahren auf das genaueste vertranter Untersnchpr be-
ist, ein massgebendes Urteil abzugeben. Dr. Rump.
Ueber angeborenen Mangel der Schlüsselbeine. Von Privatdosent
Dr. Gross, Oberarzt der medizinischen Klinik in Kiel. Münchener medizin.
Wochenschrift; 1903, Nr. 37.
’) Conf. Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1902, Nr. 20.
') Münchener med. Wochenschrift.; 1903, Nr. 25, S. 1077.
740
Ildn w Mitteflungea nd Referate aus Mti e tiita.
Missbildungen an des Gttrtelzonen kommen relativ bbt selten mi ärzt¬
lichen Kenntnis and sind speziell Aber isolierten Sdüüsselbeinmnngel knam Aber
30 Fälle bekannt. Da die daraus sich ergebenden Funktionsstörungen billig
zieht bedeutend sind, fAhrt meistens eine zufällige and beliebige anderweitige
Untersuchung der Patienten sar Kenntnis dieses Defektes.
Verfasser berichtet Aber einen derartigen Fall, bei dem die eigentüm¬
liche Haitang des 12jibrigen Mädchens auffiel. Es fehlte die normalerweise
scharfe Grenze der beiden Schlfisselbeingrnben and die Akromion sprangen
stark hervor.
Unwillkürlich gelang es bei der Abtastung die »lösen* Oberarmköpfe
fest vollkommen einander za nähern, so dass sie sieh oberhalb des Brustbein*
sehaftes berührten. Aktiv konnte das Kind die dentlicbst voispringenden Ober-
armköpfe, deren Entfernung bei bequemer Haltung 18 cm betrag, auf 7 cm
rase mmenbringen. Ebenso Hessen sich die »Schaltern* nach abnorm weit nach
hinten verlagern etc. etc.
Bei der genaueren Betastung ergab sich, dass die Schlüsselbeine in ihrem
lateralen Teile völlig fehlten, während medial sich an das Manabriom Storni
beiderseits 2 cm lange, frei endigende Stümpfe ansetsten. Ausserdem war der
Brustkorb des Kindes missgestaltet — eine starke Hühnerbrust mit terrassen¬
förmig hervortretendem Brustbein und starker Abknickung der Bippen nahe
der Knorpelknochengrenze. An den inneren Organen war nichts besonderes zu
konstatieren.
In ätiologischer Beziehung scheint es dem Verfasser am wahrschein¬
lichsten, dam mit Rücksicht auf die bei dem Mädchen deutlich zu konstatie¬
renden Entwickelongsstörungen: mangelhaftes Längenwachstum, Störungen der
Zahnentwickelung, Anomalien am Gaumen und Schädel —, es sich bei dem
S ch lüsselbeinmangel im vorliegenden Falle um eine wahre Hemmungsbildung
handelt. _ Dr. Waibei-Kempten.
Haftpflicht des Arztes bei fahrlässiger Ausstellung eines Zeug¬
nisses. Urteil des englischen Appellgerichtshofes. Public Health; 1903, S. 408.
Eine Näherin, die mit ihrer Tochter in H. lebte, liess wegen der
Erkrankung der Tochter einen Arzt rufen. Dieser stellte die irrtümliche
Diagnose, es liege ein Fall von Pocken vor. Er sog den zuständigen Medi¬
zinal beamten zu. Um diesen, der die Diagnose anscheinend auch nicht richtig
gestellt hat, in stand zu setzen, eine UeberfAhrung ins Krankenhaus zu bean¬
tragen, bescheinigte der Arzt auch schriftlich, dass es sich um einen Fall von
Pocken handle. Das Kind wurde ins Krankenhaus gebracht, nach 4 Tagen
aber entlassen, da es tatsächlich keine Variola hatte.
Die Matter klagte nun gegen den Arzt, da infolge der falschen Diagnose
ihr Geschäft Schaden gelitten habe.
Sie wurde in der ersten Instanz abgewiesen, da einerseits die Klage
unberechtigt sei, anderseits das »Gesetz zum Schatze der Beamten* von 1893
einen Prozess gegen den Arzt unmöglich mache. Das Berufungsgericht aber
f ab zu, dass der Arzt unrichtig gehandelt und die Bescheinigung
ahrlässig ausgestellt habe; der Arzt sei also haftpflichtig und das An¬
strengen des Zivilprozesses gegen ihn sei berechtigt.
(Der Fall ist für uns schon aus dem Grunde von Interesse, weil er eine
bemerkenswerte Ergänznng zu einer Arbeit von Biberfeld: »Fälle ärztlicher
Schadenersatzpflicht*, diese Zeitschrift 1898, S. 723, 763, darbietet; umsomehr
als in jener Arbeit die Frage vom Standpunkte des Bürgerlichen Gesetzbuches
und auch des französischen Rechtes, nicht aber des englischen Rechtes be¬
sprochen ist. Ref.) _ Dr. Mayer-Simmern.
Ueber Störungen des Erwachens. Von a. o. Prof. Dr.H. Pfister,
L Assistenzarzt der psychiatrischen Klinik Freiburg i. B. Berliner klinische
Wochenschrift; 1903, Nr. 17.
Unter gewöhnlichen Verhältnissen wird beim spontanen Erwachen wie
beim plötzlichen Gewecktwerden sofort eine derartige assoziative Leistengs-
gröase unseres Bewusstseinsorgans erreicht, dass wir völlig klar sind und dass
auch unser Muskelapparat sofort funktionsfähig ist. Ausnahmen kommen auch
bei nerrenro basten Menschen unter besonderen Umständen vor, so bei plöts-
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
741
liebem Erwachen durch einen Donnerschlag in einem fremden Wirtshauce nach
strapaziösem Marsch. In solchen Fällen kann eine Verzögerung der völligen
Aufhebung des Bewusstseins und eine VerzOgerong der Orientierung eintreten.
Anders bei neuropathischen Individuen. Bei solchen (Hereditariern ver¬
schiedenster Art, besonders Epileptikern) kOnnen sich zwischen Schlaf- und
Wachsein längere abnorme Zustände mit Illusionen einschieben, die als „Schlaf¬
trunkenheit“, „verwirrtes Erwachen“ bezeichnet werden, in denen allerlei
Delikte von forensischer Bedeutung durch Angreifen der Umgebung usw. aus-
geftthrt werden. Disponierend wirken in dieser Bichtang auf solche neuro-
pathisohe Individuen grosse Ermüdung, Strapazen, Trinkexzesse u. a.
Eine andere bei neuropathischen Individuen vorkommende Form des
verwirrten Erwachens besteht darin, dass, ohne Vorhandensein abnormer Ideen
und AngstgefOhl, nur ein langsames Bewusstwerden und träges Zusammen¬
ordnen, ein ausserge wohnlich verzögerter assoziativer Zusammenschluss der
Elemente des PersOnlichkeitsbewusstseins stattfindet.
Eine dritte Anomalie des Erwachens schildert Verfasser durch Veröffent¬
lichung mehrerer Fälle, die sich dadurch auszeichnet, dass das daran leidende
Individuum geistig sofort wach wird, im Moment vollständig bezüglich Ort,
Zeit, eigener Person usw. orientiert, aber — bis zu mehreren Minuten in seiner
psychomotorischen Aktionsfähigkeit alteriert ist. Solche Personen kOnnen dann
sieh weder bewegen, noch sprechen (motorisch - aphatisch). Dieses verzögerte
psyohomotorische Erwachen stellt ein Stigma hereditatis dar; es findet sich nur
bei den verschiedensten Formen neuropathischer (bezw. psychopathischer) Be¬
lastung. In Anologie lässt sich die Störung am ehesten mit dem Eingescblafen-
sein einer Extremität nach unbequemer Lage setzen. Man kann vermuten,
dass zerebrale Zirkulationsanomalien oder wahrscheinlich assoziative Lockerungen
eine Rolle spielen und dass die im Schlaf vorhandene Lockerung des Zusammen¬
hangs zwischen Bewegungsmechanismus und der eigentlichen Psyche infolge
uns unbekannter (konstitutioneller) abnormer Verhältnisse beim Erwachen eine
gewisse Zeit noch fortdauert, bis sich die normale assoziative Verknüpfung
einstellt. Dr. Räuber-Düsseldorf.
Ueber akute transitorische Aphasie. Von Dr. Max Roth mann,
Frivatdosent in Berlin. Berliner klin. Wochenschrift; 1903, Nr. 16 und 17.
Verfasser veröffentlicht mehrere Fälle von transitorischer Aphasie, die
auf Einwirkung von Sonnenhitze (Insolation) zurttckzufübren waren, und be¬
rührt die nach Ueberladung des Magens mit verdorbenem Fleisch und im Ge¬
folge von Nikotin-Vergiftungen auftretenden toxischen, sowie die nach Embo¬
lien, im Verlauf der Dementia paralytica und bei Hysterie beobachteten transi¬
torischen Aphasien. ' Dr. Räuber-Düsseldorf.
Ueber Psychosen unter dem Bilde der reinen primären Inko¬
härenz. Von Dr. L. W. Weber, Oberarzt und Privatdozent der psychiatri¬
schen Klinik in GOttingen (Prof. Cr am er). Münchener med. Wochenschrift;
1903, Nr. 33.
Nach Feststellung des Begriffes von „Inkohärens* oder „Dissoziation“
und ihrer sekundären oder primären Entstehungsbedingungen teilt Verfasser
einen Fall mit, der bei weniger rapidem Verlaufe das Symptom der primären
Inkohärenz auch für den Nichtfachmann sehr rein erkennen lässt und zeigt,
wie das ganze, zunächst sehr kompliziert erscheinende Krankheitsbild sich auf
primäre Störung des Vorstellungeablanfes zurückfuhren lässt, die sich sowohl
un Reden, als Handeln zeigt. An der Hand der ausführlichen Krankengeschichte
analysiert Verfasser dann epikritisch in höchst instruktiver Form die einzelnen
S syohischen Symptome und kommt endlich auf Grund der Analyse des betroffen¬
en Krankheitsbildes, wie ähnlicher Fälle, zu den folgenden Schlussfolgerungen:
1. Hauptsächlich unter der Einwirkung erschöpfender oder toxischer
Schädlichkeiten kann eine akute Psychose auftreten, bei der im Vordergründe
und als einziges primäres Symptom Lockerung und Auseinanderfall des Vor-
stellungsablaufes steht.
2. Auf diese primäre Inkohärenz und die dadurch bedingte Unorientiert-
heit und Ratlosigkeit können alle übrigen Symptome, namentlich aber die
743 KlefaMre Mitteilungen und Referate Mi Zeitschriften.
Stimmungsasom allen, die Veränderung du Bewusstseins und die Wahnideen
sorückgeführt werden. _ Dr. Weibel'Kempten.
Zur Kasuistik der famfli&ren amaurotischen Idiotie. Von Dr.
denn er, Augenarzt in Bamberg. Münchener med. Wochenschrift; 1908, Nr. 7.
Die geringe Zahl der in Deutschland beobachteten Fälle von amauroti¬
scher Idiotie reranlasste Verfasser einen Fall ans seiner Praxis mitznteilen.
Derselbe betraf ein l 1 /« Jahr altes Mädchen jüdischer Abstammung. Das Kind,
gesnnd geboren, blieb bis sum 7. Lebensmonate gesnnd. Von da ab wnrde es
allmählich sohwScher, es horten die Bewegungen der Beine anf, eine gewisse
8tarre der Extremitäten trat ein, Erbrechen oder andere nerebrale Symptome
waren anfangs nicht vorhanden, erst in letzter Zeit der Erkrankung ist Er¬
brechen aufgetreten. Gehör blieb gut. Schliesslich konnte das vollständig
teilnahmslose Kind weder sitsen noch stehen noch den Kopf gerade halten. Es
entwickelte sich spastische Lähmung des ganzen KOrpers. Das Sehvermögen
war erloschen. Luetische Erkrankungen der Familie sind nicht nachweisbar
gewesen, ebensowenig Tuberkulose oder nervOse Belastung.
Die ophthalmoskopische Untersuchung ergab als pathognomischen Be¬
fand: Die Papillen zeigten sich beiderseits vollständig abgeblasst (Atropbia
nerv, optie); in der Makalagegend fand sich symetriseh auf beiden Augen eine
ungefähr 1'/» Papillendurchmesser grosse, welsse, nahezu runde Fläche mit
einem roten Tupfen in der Mitte.
14 Tage später starb das Mädchen.
Die Fälle von amaurotischer Idiotie stammen hauptsächlich aus Amerika
und England und lassen eine auffallende Prävalens der jüdischen Familien
konstatieren. Die Symptome sind bei allen Fällen genau dieselben: Gesund
geborene Kinder entwickeln sich in den ersten Monaten — sich bis sum
12. Monate hinausziehend, oder aber schon in den ersten Wochen auf-
hürend — geistig und körperlich regelmässig und normal, dann tritt Schwäche
der Muskulatur ein, die Kinder werden vollständig teilnahmslos, können sich
nicht mehr aufrecht halten, den Kopf nicht mehr gerade halten, das Sehver¬
mögen nimmt ab, in der Makulagegend der Retina zeigt sich ein weisser Fleck,
gewöhnlich grosser als der Papillendurchmeeeer, symetriseh auf beiden Augen,
mit einem roten Tupfen im Zentrum desselben. An diesen typischen Krank¬
heitsbefand an dem hinteren Augenhintergrunde reiht sich die Sehnervenaffektion
bezw. Optikusatrophie. Das GehOr bleibt fast immer gnt, die schlaffe Lähmung
der Muskulatur geht mitunter im Laufe der Wochen in eine spastische über,
die Patienten magern ab und sterben an Marasmus in der Regel vor Ablauf
des 2. Lebensjahres. Die Krankheit befällt nur ein oder mehrere Kinder einer
Familie, entweder der Reihe nach, oder das eine oder andere überspringend.
Aetiologische Anhaltspunkte für Lues, Alkoholismus, Taberkulose, nervOse
Belastung etc. sind nicht vorhanden. Höchst auffallend ist nur, dass es sieh
nahezu stets um Kinder jüdischer Abstammung handelt und dass unter diesen
ein grosser Prosentsatz polnisch-jüdischer Familien vertreten sind.
Die pathologisch-anatomischen Veränderungen bestehen in einem degene-
rativen Prozess, welcher das Zentralnervensystem bei anfangs normaler Ent¬
wickelung ergreift. Schaffer fand „ein höchstgradiges und ausgedehntes
Hrgriffensein des Grosshirns; die Rinde total entmarkt. Es bandelt sich also
um eine auf das ganze Grosshirn sich erstreckende änsserst intensive Er¬
krankung, nebst normaler äusserer Konfiguration derselben". Die Degeneration
kann übrigens in den einzelnen Fällen verschieden intensiv sein und das Gross-
kirn mehr verschonen, während dann das Rückenmark tiefgehendere Degeae-
ratianseneheinungen aafweist und umgekehrt. Dr. Waibel-Kemptnn.
Die Beschäftiguugsneurose der Telegraphisten. Von B. Cron-
baeh. (Aus der Poliklinik des Herrn Professor Mendel-Berlin). Archiv f.
Psychiatrie; 87. Bd., 1. H., 1908.
Das hier mitgeteilte Krankheitsbild verdient auch an dieser Stelle eine
besondere Berücksichtigung. Es handelt sich um eine Besehäftigungsneurese,
ähnlich dem Schreibkrampf oder dem Trompetenstottern u. a. Der Verfasser
hat im Laufe einiger Jahre 17 Kranke dieser Art beobachtet, von denen zwölf
s c h l iesslich einen anderen Beruf aufsuchen mussten, bei neun Patienten stellten
IMam Mitteilungen und Betaut* im Zeitschriften.
748
floh sekundäre 8ehreibstörungen eia. In einnlnen Fällen konnten die Beamt«
nach einen Weebsel des Apparates — Hughs statt Morse — noch eine
Zeit lang Dienst verrichten. Die wechselnden Symptome des Leidens, bei den
die nervOse Veranlagung offenbar nur eine geringe Bollle spielt, sind Sehmersen
im Handracken, in die Fingerspitsen aasstrahlende Sehmersen, solche in den
Vorderarmen im Qebiete aller Armnerven, in den Fassen, Oberschenkeln nnd
Schulterblättern; data gesellen sich Analgesien and Hypalgesien, letsterc
besonders durch Taabheitsgeftthl der Fingerspitsen and Gelenke charakterisiert,
das nnm Anschlägen falscher Tasten fahrt. Weiterhin werden eine Reihe
sekundärer Symptome genannt, Schmers and 8chwichegef0hl der Arme,
Parnesthesien, die in die Beine and Fasse sieben (Kälte, Kriebeln, Ameisen»
laufen), Tremor der Hände, der Zange and der Angenlider nebst Symptomen
allgemeiner Neurasthenie. Die Prognose erwies sieh im allgemeinen als recht
angOnstig; die therapeutische Beeinflussung gelang nur bei wenigen Fällen
ohne dauernden Rrfolg. Verfasser erinnert an die symptomatisehe Aehnlichkeit
dieser — wahrscheinlich nioht gans seltenen — Neurose mit dem Krankheits¬
bilde der Akroparästhesie. _ Dr. Pollitn-Mttnster.
B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten nnd Öffentliches
8anitltswesen.
Die Lebensdauer der Pestbacillen in Kadavern nnd im Kote tob
Pestratten. Von Dr. Albert Maassen, technischem Hilfsarbeiter im Kaiser¬
lichen Gesundheitsamts. Arbeiten aas dem Kaiserlichen Gesundheitsamt«.
Beihefte sa den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. Neun-
sehnter Band. Drittes (8chluss-) Heft. Mit 8 Tafeln. Berlin 1908. Verlag
von Julius Springer.
In Uebereinstimmung mit den Untersuchungen Tokotes u. a. fand
Maassen, dass die Lebensfähigkeit der Pestkeime im toten Körper abhängig
ist von der Temperatur und dem Fäulnisgradc: je hoher die Temperatur und
je stärker die Fäulnis, um so schneller gehen die Pestkeime zu Grunde. In
den Kadavern, die bei höherer Temperatur (-f- 18 bis ■+■ 28*) gelagert hatten,
wurden die Pestbazillen noch nach 90 Tagen gefunden, darflber hinaus konnten
sie jedoeh auch durch den Tierversuch niebt mehr aaebgewiesen werden; ln
den bei niederer Temperatur (+ 5 bis 4-12*) aufbewahrten hielten sie sieh
bis zum 93. Tage lebens- und infektionsfähig. Mit der stärkeren Fialais war
ferner eine stärkere Abnahme der Pestbazillen verbunden; in einem Falle, in
dem der Kadaver aus e'gewöbnlieh starke Fäulniserseheinungen darbot, konnten
die Banillen schon nach 7 Tagen durch den Tierversueh nicht mehr nach-
G wiesen werden. Neben der Hohe der Temperatur und dem Grade der Fänlnis
endlieh auch die Zahl der Pestbazillen in der frischen Leiehe von Be¬
deutung. Im allgemeinen stellte sieh heraus, dass immer diejenigen Kadaver
am längsten lebenskräftige Pestkeime enthielten, bei denen vor der fingrahnag
in dem durch Punktion gewonnenen Herzbluts die grossere Anzahl Pestbakterien
durch Ausstrichpräparate und Kultur naehgewiesen worden war. Die Kadaver
an Pest eingegangener Tiere werden hauptsächlich dadurch gefährlich, da«
sie den Ratten zur Nahrung dienen, eine Infektion dieser Tiere vom Ver¬
dauen giwege aus herbeifahren und auf die« Weise die 8euehe unter den
Batten weiter verbreiten. Von besonderer Wichtigkeit war es daher, zu er¬
mitteln, innerhalb welcher Zeitdauer die Pestkadaver fttr dis Infektion vom
Verdauungswege ans ihre Ansteekungsfäbigkeit bewahren. Die Aasteeknngs-
fähigkdt schwächt sich bei einer mittleren Temperatur von -f- 22® nach 1—2
Tagen noch nicht, mach 3 Tagen nur wenig, nach 4 und 5 Tagen bedeutend
ah und ging nach 6 Tagen vollkommen verloren. Bei einer mittler« Temperatur
v« -f- 8 0 hielt sieh die Infektiosität der Kadaver längere Zeit, bis zu 12 Tagen,
auf annähernd gleicher Höhe, aber erst nach 25 Tag« war sie erloschen.
Abnahme und Vertut der Ansteekungsfäbigkeit stand endlich in unmittelbarem
Zusammenhangs mit der Abnahme der Bazillen im Kadaver.
Was die Frage nach der Lebensfähigkeit der Pestbazill« im Batteakst
betrifft, so rathielt der frisch entleerte, noch gelbbraune fette Kot der isfixiert«
Batten, eben« wie der Darainhalt stets fttr Meersehweineh« viral«te Pest-
bamllra; die« verloren jedoeh in dem sn einer «ehwarnen, harten Kam bald
eiatrocknead« Kots innerhalb knrzsr Zeit ihre Lsb«sflhifbrit In 4cm ver
744 Kleinere Mitteilungen and Beferate aas Zeitschriften.
Aastrocknang geschultsten Danninhalte der Pestratten liessen sich die Keime
bis sn zwei oder bis sn vier Tagen nachweisen, je nachdem der Darminhalt
bei -+■ 22 oder bei -f- 8° aufbewahrt worden war.
Endlich hat Maaasen noch zn ermitteln versucht, wie lange sich die
Pestkeime in dttnnen, flüssigen Entleerungen an Getreide angetrocknet lebens¬
fähig halten; er fand sie, wenn das Getreide in einem dunklen, nicht ven¬
tilierten Banme lagerte, bei einer mittleren Temperatur von 22 0 zwei Tage
lang, bei einer solchen von -}- 8° drei Tage lang infektionsfähig.
Dr. Bost-Budolstadt.
Die Pest in Odessa. Von Dr. J. Wernitz. Berliner klinische
Wochenschrift; 1903 Nr. 6.
Eine sehr interessante lehrreiche Schilderung der Pesterkranknngen in
Odessa vom 9. Oktober 1901 bis Ende 1902. Es kamen in der inzwischen
erlassenen Epidemie 60 Erkrankungen mit 18 Todesfällen vor. Der erste
Krankheitsfall betraf einen dem Trünke ergebenen, obdachlosen, früheren Koch,
der sich viel am Hafen umhergetrieben hatte. Der zweite Patient hatte einen
kleinen unbenutzten Kellerraum zum schlafen benutzt. In diesem Kellerranm
fand man 14 zum Teil Btark verweste Battenleichen, bei denen allen typische
Pestbazillen nachgewiesen wurden. Bei der Durchsuchung des Hafens fand
man noch 2 Battennester mit toten Tieren, an einem Orte sogar 14 tote
Batten. Die Pest musste also schon vor längerer Zeit eingeschleppt und die
Infektion der Menschen in diesen Schlupfwinkeln nur durch die Batten erfolgt
sein. Die Schwierigkeit, die Batten in Odessa ausznrotten, ist deshalb eine
besonders grosse, weil die aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts herrllhrenden
sogenannten Minen, lange, kellerartige, als Ersatz für Eisschränke dienende
Gänge im Erdboden, nur zum Teil verschüttet wurden, so dass hier die Batten
Schlupfwinkel haben, aus denen sie nicht zu vertreiben sind. Bis Ende August
waren 4000 Batten getötet und gefangen worden.
Erst 6 Monate nach den beiden genannten Fällen traten die Er¬
krankungen im Innern der Stadt auf, die zweifellos anf Verschleppung der
Infektionskeime durch Batten zurückgeführt werden mussten. Die Krankheits¬
fälle waren alle solche der Bubonenpest; an primärer Lungenpest kam kein einziger
Fall vor. Verfasser hält es für möglich, dass auch Insekten, insbesondere
Flöhe, an der Uebertragnng der Pest beteiligt sind.
_ Dr. Bäuber-Düsseldorf.
Ueber die im Institute ftlr Infektionskrankheiten erfolgte An¬
steckung mit Pest. Von W. Dönitz. Vortrag, gehalten in der Berliner
medis. Gesellschaft am 17. Mai 1903. Berl. klin. Wochenschr.; 1903, Nr. 27.
Eine autentische Darstellung der im Institute erfolgten Ansteckung
des Dr. 8achs mit Pest 1 ), aus denen im Original nacbzulesende Einzelheiten
nur einiges hervorgehoben werden mag. Am 28. Mai hatte Dr. Sachs zuletzt
im Institute gearbeitet, am 2. Juni erschien er wohl und munter im Pest¬
laboratorium nur auf 40 Minuten, ohne viel zu arbeiten. In der Nacht vom
2. zum 3. Juni erkrankte er mit rechtsseitiger Angina, rechtsseitiger Dämpfung
mit BasselgeräUBchen in der Lunge, Tod am 5. Juni. Bei der unter Beachtung
der Anweisung zur Bekämpfung der Pest (Bundesratssitzung v. 3. Juli 1902)
vorgenommenen Sektion fand sich schwammig anzufühlende Anschoppung im
unteren rechten Lungenlappen, blutiges Oedem der ganzen rechten Lunge;
in dem Herzblut, Lungen- und Milzsaft grosse Mengen Pestbazillen, die einen
sehr virulenten Bazillenstamm lieferten.
Wahrscheinlich handelte es sich um eine Tröpfcheninfektion, die dadurch
zu stände kam, dass Sachs am 28. Mai unvorschriftsmässigerweise mit einer
Pravazspritze den aus einen Pestbubo gewonnenen Gewebssaft auf die Agar¬
platte (Luft in der Spritze) verspritzte. Hierbei mag ein Tröpfchen beim
Atmen in die Nase oder auf Umwegen in den Mund gelangt sein.
An diese Erkrankung schloss sich die des Wärters Markgraf, in
dessen Answurf sich zweimal reichlich Pestbazillen fanden. Der änsserzt
milde Verlauf einer tatsächlichen Infektion an einem mit Lnngenpest Behafteten
*) Vergl. diese Zeitschrift Nr. 12, S. 470 unter Tagesnachrichten.
Kleiner« Mitteilungen and Referate au Zeitschriften.
746
ist auf Rechnung der Schntibehandlung mit Pestsernm zu setzen. Markgraf
bekam am selben Tage, wo er dem Kranken suerteilt war, SO und 20 ccm
Serum, nach seiner Erkrankung weitere Dosen, im ganzen in 8 Tagen 186 ccm.
Die Isolierung der mit dem Kranken in Berührung gekommenen Personen,
Beobachtung Ansteckungsverdächtiger mit Untersuchung des Rachenschleimes
und Fahndung auf Bubonen, Schutzimpfung der am meisten gefährdeten
Personen, Desinfektion der Wohnung des Verstorbenen, wurden alsbald vor*
genommen, letztere besonders sorgfältig, nachdem die Nacht über Formalin¬
dampf eingewirkt hatte.
Dass man der Infektionsgefahr Herr geworden ist, ist in erster Linie der
Isolierung der Kranken und der mit ihnen in Berührung gekommenen Personen,
sowie der Fahndung auf etwaige Bazillenträger zu verdanken. Wegen etwaiger
Uebertragung der Krankheit auf Ratten des Wohnhauses des Kranken wurden
auch die Bewohner dieses Hauses unter Aufsicht des Medizinalbeamten gestellt
und die Kinder vom Schulbesuch ferngehalten. Es ist nicht zu befürchten,
dass man sich mit Pest leichter im Laboratorium ansteckt, als mit irgend einer
anderen Eirankheit. Solchen Betriebsunfällen, wie dem vorliegenden, sind aber
die geschicktesten Arbeiter gelegentlich unterworfen.
_ Dr. Räuber-Düsseldorf.
Der Berliner Pestfall in seiner epidemiologischen Bedeutung.
Von Prof. Dr. F. Plehn, Reg.-Arzt a. D. Vortrag, gehalten in der Berliner
mediz. Gesellschaft am 1. Juli 1903. Berliner klin. Wochenschrift; 1903, Nr. 29.
Die Befürchtung, dass Bolche vereinzelte Fälle, wie der in Berlin auf¬
getretene, AnlasB zu einer allgemeinen PeBtepidemie in Deutschland geben
konnten, tritt P. entgegen. Seine Erfahrungen in Indien und Aegypten sprechen
dagegen. Die Ansteckungsgefahr sowie die Schwierigkeit, die Seuche vom
Lande fernzuhalten und die Gefahr einer allgemeinen Verbreitung bei einer
Einschleppung würden überschätzt. Die englischen Aerzte und das Pflegeper¬
sonal in Indien denken nicht daran, sich in ihrem Verkehr und speziell ihrer
Aussenpraxis irgend welche Beschränkung aufzuerlegen. Uebertragungen auf
diesem Wege gehören zu den ganz verschwindenden Ausnahmen. Die Pest ist
eine Krankheit des schmutzig und zusammengedrSngt lebenden Eingeborenen¬
proletariats; die Exemption der in günstigen Verhältnissen lebenden Euro¬
päer geht so weit, dass unter den Farbigen der Verdacht aufsteigt, die Pest
werde ihnen von den Europäern beigebracht, um sie auszurotten. Daher die
Schwierigkeit, die Eingeborenen in Hospitäler zu bringen, und ihr Widerstreben
gegen alle seitens der Regierung getroffenen hygienischen Massnahmen. Die
Beulenpest ist nur infektiös im septicämischen Stadium, in dem die Bazillen
auch in Urin und in Fäces übergehen. Leichter können die Pestbazillen bei
der Lungenpest ins Freie gelangen, aber in den indischen Pesthospitälern sind
die Lungenpestkranken nur selten gründlich isoliert. Gross ist die Ansteckungs¬
gefahr bei Obduktionen. In Ceylon ist es gelungen, sich gegen die Einschlep-
S ung einer Epidemie aus dem Matterlande Indien zu schützen. Durch gründ-
iche Untersuchung jedes zugelassenen Kuli am Ausfahrt- und Ankunftshafen,
Darchmachung einer Quarantäne und einer regelmässigen weiteren etappen-
mässigen Kontrolle auf den Stationen an den Strassen nach den Theeplantagen.
In Aegypten dagegen hat die völlige Fernhaltung der Pest wegen der vielen Ein¬
gangspforten und dem jährlichen Zuströmen Tausender aus dem verseuchten
Mekka zurückkebrender mohamedanischer Pilger sich unmöglich erwiesen, aber
auch hier ist es möglich gewesen, durch schnelle Ermittelung und Isolierung
der Kranken, Absperrung aller mit ihnen in Berührung getretenen Personen
und Desinfektion aller von ihnen benutzten Gegenstände am Seuchenherd
diesen jedesmal zu begrenzen und in kurzem zum Erlöschen zu bringen.
Bezüglich der Diagnose kommt die bakteriologische Untersuchung für
die praktischen Zwecke zu spät, selbst bei der Lungenpest. Aus der Anamnese
und dem allgemeinen Eindruck kann die Diagnose von dem Erfahrenen in den
meisten Fällen leicht gestellt werden. Bezüglich der Therapie hat der Ver¬
fasser von der Anwendung des Haffk in sehen, Lustig sehen und Verein
sehen Serums keine Erfolge gesehen. Die Wirksamkeit des bei dem Wärter M.
angewandten Serums zieht er in Zweifel. Dr. Räuber- Düsseldorf.
746 Heben Mitteilungen u4 Brfente au ZeitieUltii.
Der Pestbaelllus and du Pestserum. Von Dr. Erich Martini,
Marinestabsarzt, kommandiert zam Institut ftr Infektionskrankheiten. Tortrag,
gehalten in der Berliner medis. öeeellsobaft am 17. Juli 1908. Berliner klie.
Wochenschrift; Nr. 28, 1908.
Hauptträger and Hauptverbreiter der Pest sind Menseh and Batte,
während Hände and Frettchen imman and der bei Ausrottung von Pestratten
eine Rolle sa spielen bestimmt sind. Die Erklärung der Epidemien des „schwarzen
Todes* im Mittelalter liegt darin, dass die Pestbakterien, durch eine Reihe
▼on Lungenpassagen einmal aerob angezQchtet, bei weiteren Uebertragungen
auch von der Haut aus immer wieder in den Laagen ihre Hauptansiedelungs*
Stätte suchen. Vor Beginn vieler Pestepidemien ist eine Rattensterben beob¬
achtet worden. Merken die Ratten, dass ein Teil von ihnen zu gründe geht,
so wandern sie aus; die chronisch Pestkranken schleppen sieh mit, werden
in der neuen Heimat von ihren Genossen gefressen und dann beginnt auch
hier die Pest von neuem. Zur Uebertragung der Pest von den Ratten auf
Menselien sind Flöhe nicht nötig; die in ihrer Krankheit harmlosen, zutraulichen
Ratten werden ungefasst, verunreinigen den Boden in den Hafenspei unken mit
Kot, Schiffsratten fallen in Trinkwassertanks und so gibt es genug Gelegen¬
heiten zur Infektion. Die Form der Pestbazillen ist sehr verschiedenartig, die
Kolonien haben einen doppelten Saum am Rande. Zur Vernichtung genügen
die tblichen Desinfizientien, 8—5°/o Karbol, 3°/o Lysol, l°/oo Sublimat. Zur
Diaguosenstelluag gehören der Tierversuch, Zdchtungsversuch, Doppelzerum¬
kolonien und die mit letzteren vorzunehmende spezifische Agglutination. Bei
zweifelhaften Fällen lassen sieh Reinkulturen polgefärbter Bakterien nicht un¬
mittelbar auffinden. Den pestverdächtigen Kranken muss öfters Blut entzogen,
untersucht, auf Platten und Tiere verimpft, der Auswurf auf die rasierte Bauch-
haut von Meerschweinchen eingerieben werden. Die Entscheidung gibt auch
hier die Agglutination der auf Agar oder Gelatine gezüchteten Bakterien mit
dem spezifischen stark verdünnten Pestserum.
Zur Gewinnung des Pestserams werden Pferde-Pestbakterien, die durch
einst findiges Erhitzen auf 60—65 0 C. abgetötet sind, subkutan oder intravenös
in steigenden Dosen eingespritzt. Haffkine in Indien immunisiert aueh
Mensehen aktiv gegen Pest mit abgetöteten Bouillionkulturen. Besser ist das
von der deutschen Pestkommission zu Bombay 1897 angegebene Immunisierungs-
Verfahren mit abgetöteter Pest-Agar-Kultur. Bei Immunisierung der Tiere
kann man schliesslich zum Injizieren von lebenden Kulturen übergehen. Das
dargestellte Verfahren wird im Institut Pasteur in Paris und im Serum-
institut in Bern geübt. Ueber das Lustigache Pestserum liegen keine
günstigen Erfolge vor. Von Zeit zu Zeit wird den Pestserumtieren Blut ans
einer Jajalarvene entnommen, und das daraus gewonnene Serum nach Prüfung
auf seine Wirksamkeit in Flaschen oder Taben gefüllt.
Das Pariser Pestserum bringt die Pestbakterien zur Auflösung and ent¬
faltet eine grosse Schutz Wirkung, doch ist seine Heilkraft bei deutlichen Er-
kraukangseraeheiauagea minimal. Es brachte jedoch bei Ratten nach 24 Stunden
nach der „künstlichen Infektion durch die Lungen“ eine durchaus sichere
Schutzimpfung. Bei Verftttterung pesthaltigen Materials fanden Kolle und
Otto noch günstigere Resultate mit dem Berner Pestserum. Von allen mit
dem Lungenkranken Dr. Sachs Zusammengekommenen, die sämtlich mit dem
einen oier anderen oder beiden Pestseris behandelt wurden, erkrankte nur der
Wärter und dieser unter der Schutzwirkung der allerdings zu gering (25 oem)
verabreichten Schntzdoais ganz leicht. In Zukunft wird man mindestens gleick
50 eem geben müssen.
In den 4 Jahren, in denen Prof. Kolle die Station für besonders
S efährliohe Krankheiten leitet, war trotz regen Arbeiteas mit virulentestem
[aterial bis zu der uoglttakliohen Infektion des Dr. Sachs keiner der Unter-
aaeher na Peat erkrankt.
In der Diskussion (Nr. 27) wies Prof. Kolle auf die Notwendigkeit
hin, in Berlin Untersuchungen und Arbeiten mH Pest vorznnehmen. Die
Erkrankung des Dr. Sachs fasste er als eine primäre Pestsepsis, aus¬
gehend von der Tonsille auf, zu der eine sekundäre Luugenerkrankung
■Ich gesellte. Wenn man in Bern und Paris das Arbeiten mit Pestserum
ebenso untersagt hätte, wie in Wien, dann hätten wir das branehbare Schutz¬
mittel sieht gehabt, um die nächste Umgebung des Kranken nu schütaea.
Kleinere Mitteilungen and Beiente aus Zeitschriften.
747
Ohne die bakteriologischen Unterraehungsmethoden wäre es nach nicht müglieh
gewesen, bei dem Wärter feststellen sn können, dass er virulente Feetbasillen
hatte. Die VerOffentlichnng aller in Betracht kommenden Umstände habe anf das
Publikum ansserordentlich beruhigend gewirkt. Dr. Bänber-Düsseldorf.
- * _
Sammlnng von Gutachten über Flussverunreinigung. (Fortsetsnng.)
XIV. Gutachten dea Reiebagesnndbeitsamtes über die Einleitung der
Abwässer Dresdens in die Eide. Berichterstatter: Geh. Hofrat Prof. Dr.
Gärtner u. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bubner (Hierin die Tafeln XU—XIV.)
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt«. Beihefte su den Veröffent¬
lichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. Neunsehnter Band. Drittes
(Schluss-) Heft. Mit 3 Tafeln. Berlin 1903. Verlag von Julius 8pringer.
Die Stadt Dresden mit 430000 Einwohner entleert rar Zeit schätzungs-
weise drei Viertel ihrer gesamten abschwemmbaren Schaumstoffe in den Elb¬
strom, ohne dass nach den Ermittelungen der Berichterstatter bis jetst sicher
nachweisbare Gesundheitsschädigungen oder eine erhebliche Belästigung dadurch
entstanden wäre. Die Zunahme des Elbwassers an Gesamtrückstand und an
suspendierten organischen Stoffen ist eine sehr geringe, die chemischen, durch
die übliche Wasseranalyse bestimmten Stoffe werden in ihren Mengen kaum
▼eiändert; es ffndet sich auch keine weitere Aenderung der Wasser-
besohaffenheit bis rar preussischen Grense. Die Zahl der Bakterien allerdings
nimmt erheblich zu; ein beträchtlicher Teil der Mikroben verschwindet u
kürzester Zeit — 1 Stunde — aus dem Wasser, im übrigen bleibt der Bakterien¬
gehalt ein verhältnissmässig hoher und nimmt bis zur preussischen Grense
nicht wesentlich ab. Die Entfernung der Abwässer und Fäkalien der Stadt
Dresden in der jetzigen Art und Weise ist daher nicht mehr angängig, aber
es besteht für die Stadt die Möglichkeit, ihre Abgänge in besserer Weise, als
bisher in die Eibe zu schicken. Die Zulässigkeit dieses Zugeständnisses beruht
auf folgenden Erwägungen. Bei dem Wasserreichtum der Elbe, ihrer guten
Regulierung, den regelmässigen und starken Hochwässern sind Schlammbildungen
im Flussbett und aus solchen entstehende üble Gerüche nicht zu erwarten,
dagegen können gröbere Schwimmstoffe oder leichtere 8inkstoffe auf grosse
Entfernungen fortgeschwemmt und als ekelerregende, üble Gerüche erzeugende
Massen an den Ufern abgelagert werden. Ferner ist die Gefahr einer Ueber-
tragung von Krankheitskeimen auf die UferbevOlkerung durch das Flusswasser
verschwindend klein, auf die FlussbevOlkerung gering; sie lässt sich ausserdem
noch dureh verschiedene Massnahmen erheblich vermindern. Endlich kommen
schädliche industrielle Abwässer zur Zeit in erheblichem Masse nicht in
Betracht. Die Bedingungen nun, unter welchen die Einleitung gestattet werden
kau, sind: a) Die Entfernung der gröberen Schwimm- und Smkstoffe bis her¬
unter zu Teilchen von 3 mm im stärksten Durchmesser, und die Beseitigung
der so erzielten Rückstände in einer den Anforderungen der Gesundheitspflege
und Aeetketik entsprechenden Weise, b) Die regelrechte Desinfektion der
Abgänge der in Betracht kommenden Kranken und die Ueberwachung der
Desinfektion, sowie die Gewährung der Möglichkeit, in besonderen Ausnahme-
fällen eine allgemeine Desinfektion der Abwässer vornehmen zu kOnnen.
s) Es ist auf ausreichende Beinigug schädlicher industrieller Abwässer Bedacht
su nehmen. _ Dr. Bost-Rudolstadt.
Beitrag nr Untersuchung der Erdfarben auf Arsen. Von Dr.
Carl Fis eh er, Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamte, Ibidem.
Durch die Untersuchungen wurde festgestellt, dass ein grosser Teil der
im Handel befindlichen Erdfarben frei von Arsen ist. In den Fällen, in denen
Arsen nackgewiesen werden konnte, war seine Menge mit wenig Ausnahmen
so gering, dass vor einer quantitativen Festsetzung abgesehen werden musste.
Dr. Rost-Rudolstadt
Tagesnachrichten.
Dem Bundesrat sind jetst die noch ausstehenden Ausführungsbeetim-
mungen su dem Beieha-Seueltengeseta vorgelegt worden; derselbe hat sie
748 Tageinachrichten.
in aalner ersten Sitsong nach den Sommerferien dem zuständigen Annehnss
überwiesen.
Am 10. d. M. ist die internationale Snnitätskonferenz in Paria
zusammengetreten, um die auf den Konferenzen in Dresden (1893) nnd Venedig
(1897) getroffenen Vereinbarungen Ober gemeinsame MaBsregeln zum Schutze
gegen Pest und Cholera eine den neuen Erfahrungen auf dem Gebiete der
Seuchengefahr entsprechende Revision zu unterziehen. Als Delegierte Deutsch*
lands nahmen an der Konferenz teil: Botschaftsrat Graf Gr Oben, Geh. Ober*
regierungsrat im Reichsamt des Innern Bumm, Geh. Med.-Rat Professor
Dr. Gaffky-Giessen und Hafenarzt Dr. Nooht-Hamburg.
Das ablehnende Verhalten der Stadtverwaltungen gegenüber der Er¬
richtung von Untersuchungenmtern wird meist unter Hinweis auf die
nicht nur durch die Errichtung, sondern auch durch den Betrieb verur¬
sachten hohen Ausgaben begründet, die durch die Einnahmen nur zum geringen
Teil gedeckt würden. Dieser Ansicht gegenüber ist es interessant, zu erfahren,
dass z. B. das städtische Untersuchungsamt in Dortmund während des Etats¬
jahres 1901/02 nicht nur keine Zuschüsse, sondern nach Abzug aller Unkosten
sogar einen Ueberschnss von 3000 11. ergeben hat. Das Untersuchungsamt hat
allerdings auch eine sehr grosse Tätigkeit gehabt; denn im Berichtsjahre sind
nach der Dortmunder Zeitung 3199 Untersuchungen ausgeführt und zwar
2900 Untersuchungen von Nahrungs-, Genussmitteln und Gebrauchsgegenständen,
29 hygienische und bakteriologische, 51 forensische und 219 andere technische
Untersuchungen. _
Ueber die Zahl der vor ihrem Tode nicht ärztlich behandelten
Gestorbenen sind in Bayern und Baden für das Jahr 1901 Ermittelungen an-
geatellt. Es ergibt Bich daraus, dass ihre Ziffer verhältnismässig hoch ist,
besonders in Bayern; in Niederbayern und in der Oberpfalz betrug
diese mehr als 50°/o, in den Bezirksämtern Parsberg und Viechtach sogar
76,3 bezw. 81,6 °/o und im Bezirksamt Oberviechtach 69,5 °/o. In Baden liegen
die Verhältnisse zwar wesentlich günstiger, die Prozentziffer der nicht ärzt¬
lich behandelten Gestorbenen stellte sich im Jahre 1901 aber doch auf 28,7°/»
und erreicht im Bezirksamt Mosbach mit 37,9 °/o den höchsten Stand. Von
den im ersten Lebensjahre verstorbenen Kranken waren 48,3 °,o nicht ärztlich
behandelt, von den über 1 Jahr alten Gestorbenen dagegen nur 8,1 °/ 0 .
Sprechsaal.
Anfrage: Wann ist für den Transport einer Leiche auf Land¬
wegen ein Leichenpass erforderlich? Kommt es dabei auf die Grösse der
Entfernung an, oder — ohne Rücksicht auf die Entfernung — auf die Ueber-
führung in ein anderes Dorf, einen anderen Amtsbezirk oder ein anderes
Kirchspiel ?
Antwort: Nach §. 468 d. Allg. L. R. Teil II Tit. 11 bedarf es zum
Transport einer Leiche auf dem Landwege eines Leichenpasses, wenn dieser
aus einen Polizeibezirk (Amt) in einen anderen erfolgt, abgesehen jedoch von
den Fällen, wo sich der Begräbnisplatz des Sterbeortes etwa ausserhalb des
betreffenden Polizeibezirks befindet, oder die Leiche in unmittelbarem
Bestattungszuge vom Sterbeort nach ihrem ordentlichen, nahe gelegenen
Begräbnisplatz fibergeführt wird, auch wenn dieser nicht im Polizeibezirk des
8terbeortes liegt. Erfolgt die Ueberführung der Leiche nicht in unmittelbarem
Bestattnngszuge nach einem nahe gelegenen Begräbnisplatz eines anderen
Polizeibezirks, so bedarf es nach dem Min.-Erl. vom 12. Juli 1838 auch keines
Leichenpasses, sondern es genügt eine von der Polizeibehörde des Sterbeortes
ausgestellte Legitimation des Begleiters der Leiche. Eine solche
Legitimation ist ebenfalls ausreichend, wenn eine Leiche von einem Orte nach
einem anderen, in demselben Polizeibezirke liegenden Orte transportiert
werden soll.
Verantwort!. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden L W.
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r*tcm Breslau, Oberstiibaarzt ft 0. D>. .ISftV'oftMNV
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K^ÄlJfreiok »ftyerft,
tSrnaruvi• "P>of Dr. Erssui ?»«.«« urden (Heftes. Beisitw,
’’»•&'$■& it'fcäua.• ertteiu und Prof. Üf. Vo it aßm 3*e}ta& S'ßppteastea d**
fctmii-töes ia KrUtigbu
äea itQ.fteetnsii gwtrftte# nügjrkeam T<r Eagtri ia D»cusra
^ftetotben Ofteretiibearät a. D Dr Wiegand Ü» M^toeltes-, I
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p.reft'k’fr.jftV&gü’ritcrfcft Albraeht« 4e3 B&test dem Qreb. H»S-R*P3
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EfuAurit. Osb. Meü.-Rat Prof. Dr. Biedßrr ju Hagtsaaü ‘»
'Wtöriwirtfueeptm «ad vürttagcadon Rat te S'aieer). ÄÖftäildittlß ff& “ w —
ivütftriog«n in atmmfttftg I. Ei»,, Dr. HjorSs b Eftgesan zftftf Sr?
Pftyziftiti? S*B.-Eßt Dr.. Ut.eisstaastt !« SüntBb&rg {Saohmi-^euüAgesi *»
■ v.-Rai B. Mttgiieii <ior Mo-3 .-i»ftpatfttiop; der i-raftt Arat t>i. Nplrenki
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V.igftb»cbi>4#l «ßf »iigisnsss Aflß®ohßB r M'ed.'Rät Df He a'd eij f'b.ralk
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... tresttorben: Dr. TzVicä b-Scftiid*, ':.V«.
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16. Jahrg,
1903.
für
Zentralblatt für gerichtlirh* fe&mn and Psyebiatrie,
für ärztliche ^aehverstäfidigeiitliigkeit in Usfalf- aod InmlidiTätssachen, sowie
für Hygiene, offentL SanitätsweseB, Medizinal - Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Horaa^egeben
TQII
Dr. OTTO RAPMUND,
ao«! 3N?h. ModlüniLltMS lo tfliuUu,
Verlag von Fiseher’s nisdiz. Buehhandlg., H. Kornfeld,
Herzogl. Bayer, H<if- u, K&t&mer * ßncltfiäudfer >
Berlin W. Lütaowstr. 10,
Ittf-eratr a Hirnen die gowfe••«fte^ Annpt»o^T>pipeiUUpnen diis.Ic-
udU iuslan&ei» entgegenJ
Nr. 21.
RrMehelfif M 1. und 45. jedes üfonAti
1. Novbr.
Beitrag zur Bekämpfung der Tuberkulose.
Von Obaraoitaatzi Dr, Staute ja Hechiugen.
Das mir in meiner Tätigkeit als praktischer Arzt, Kranken¬
haus- und beamteter Arzt im Laufe der Jahre durch die Hände
gegangene Material von tuberkUltimen Erkrankungen ergab mir
eine Reihe interessanter Beobachtungen, die ich einer Veröffent¬
lichung für wert halte. Sie stimmen zwar mit manchen heutigen
A _1__ i-i. i_ _ _. LJ—.'
Anschauungen
übel ei u t ahne.
ich sie im Gegensatz zu
denselben stellen will, weil ich Schlussfolgerungen aus diesen Be¬
obachtungen aus eRgbegrewzten eigenartigen Verhältnissen nicht
für veialigemeincrmigsfäbig halte.../Immerhin aber verdienen
solche Reobaehiungeu ÄUs dem täglichen Leben m. E. mindestens
ebensoviel Beachtung, ^ie die aus Statistiken und Sammeltor-
sebungen aus anfechtbarem Material und von dem täglichen
Leben fernstehenden Bearbeiter« gewonnenen Anscbauflßgen.
Die Erforschung der Häufigkeit: der Hanstiertübijrkttlöse in
meinem Bezirke führte zu dem auffallenden Resultat, dass zwei
Ortschaften, in welchen die St'ex.büchJkeit ao Tuber¬
kulose bei den Menschen eine erhöhte ist, auch eine
erhöhte Tuberkaloneiierkrar*k» tt*r «vier dt.n
Haustieren auf weise«, Während die. *«.»?» aten YwrhaRuissn
in der einen Gemeinde schlechte, ■«.- des ^ ,
sind die hygienische« Verhältnis;?*- in l;>
wohlhabenden Gemeinde haubtsächHcb
hygienischen Verhältnisse bewirken jvdonUlU-
750
bei den Menschen, wie bei den Haustieren gleichmässig eine er¬
höhte Erkrankung»- und Sterbeziffer an Tuberkulose. Daneben
spielt aber auch die gegenseitige Uebertragung eine, wenn auch
offenbar nur untergeordnete Rolle. Zu dieser Ansicht bin ich durch
folgende Beobachtungen gekommen:
In einer in der jetzigen Generation bestimmt tuberkulose¬
freien gut situierten Familie starb ein ca. 2jähriges Kind an
allgemeiner Tuberkulose. Das Kind war von den ersten Lebens¬
tagen ab bis fast zu seinem Tode mit Kuhmilch ernährt worden.
Diese Milch stammte von einer den Eltern des Kindes gehörigen
Kuh, die noch während der Krankheit des Kindes wegen schwerer
Tuberkulose geschlachtet werden musste. Ich nehme keinen An¬
stand, hier eine Uebertragung der Tuberkulose von der erkrankten
Kuh durch die Müch auf das Kind anzunehmen.
Eine weitere Beobachtung spricht für den umgekehrten Gang
der Uebertragung. Von Hühnern, welche zum Haushalte eines
mehrere Jahre schwer tuberkulösen und später auch an Tuber¬
kulose verstorbenen Mannes gehörten, gingen kurz nach dem Tode
des Mannes zwei Stück an Bauchfelltuberkulose ein, wie ein Tier¬
arzt durch die Sektion feststellte. Diese Hühner hatten ihren
Weideplatz unter den Fenstern des Krankenzimmers ihres ver¬
storbenen Besitzers; auf diesen Weideplatz entleerte der Mann
beim Hinausschauen zum Fenster erwiesenermassen häufig sein
Sputum. Diese Beobachtung ist um so auffallender, als Tuber¬
kulose unter Hühnern selten ist und es sich in den vorliegenden
Fällen um Tuberkulose am Verdauungstraktus handelte. Es ist
mehr wie gerechtfertigt, anzunehmen, dass eine Uebertragung der
Tuberkulose von dem erkrankten Manne auf die Hühner stattge¬
funden hat durch Vermittelung des von den Hühnern aufgefressenen
Sputums desselben.
Weitere Beobachtungen erstrecken sich auf den Einfluss
der sozialen und hygienischen Verhältnisse, der Here¬
dität, Disposition und Kontagiosität bei der Tuber¬
kulose. Die Tuberkulose ist unter den hiesigen ländlichen Ver¬
hältnissen nichts mehr und nichts weniger eine Krankheit des
Proletariats, wie alle anderen Infektionskrankheiten. Allerdings
muss gesagt werden, dass unter unseren kleinbäuerlichen Verhält¬
nissen die Lebensweise bei Reich und Arm keinen allzu grossen
Unterschieden unterliegt, dass im Gegenteil die Lebensweise
mancher Besitzlosen eine bessere ist, als die der Besitzenden.
Jedenfalls ist aber nach den hier gemachten Beobachtungen die
Tuberkulose keineswegs sehr überwiegend eine Krankheit der
sozial und hygienisch schlechter Gestellten. Abgesehen davon,
dass schlechte hygienische Verhältnisse durchaus nicht immer mit
schlechten sozialen Verhältnissen vergesellschaftet sind und um¬
gekehrt, kommt Tuberkulose in meinem Bezirk anch verhältnis¬
mässig häufig in Familien mit guten Vermögensverhältnissen und
guter Lebenshaltung vor. Vielfach waren die Erkrankten schon
vor ihrer Erkrankung an Tuberkulose gesundheitlich minderwertig.
Diese Minderwertigkeit war häufig hereditäre Belastung; diese
Bfiifcr&g sttip Bekftffipfaog der Tabetkahwt
751
war aber nicht iöifr^er oder au'*,h nür : Vorliegend eine tuber¬
kulöse .Belastung,. Ji^nso häufig fanden sieh bei des Vorfahren
andere chronische E mufcheBeiJ, km&Misfe des Verdanxiagstraktus,
der Nerven, Ha«t u. s. w. Noch häufiger war aber die Minder$fl
Wertigkeit eine erworbene, nasaettaieh derch fortgesetate Ex¬
zesse in bacebo et venerei tTntßrernÄiudngi Ueberarbeitang. an¬
haltendes Arbeiten in Hausindustrie) ü.s. w. In wieder anderen
Fällen waren disponierende Momente fifaerhaujjt nicht zu erforschen.
Recht interessant«adlofcjiend sind in jedem einzelnen Falle
von Tuberkulose dk’.^acyurndhtuug;«^. *^^ßlcfcenotanderen Falle
er stammt; denn «ach anaerem ganzen epidemiologischen Denken
muss doch jeder Tuberkulosefal! wieder von: einem anderen her¬
stammen. Natiirgemäss führen diese Nachforschungen recht häufig
ani einen Zusammenhang mit einem vorangegangenen oder gleich¬
zeitigen Fall in der eigenen Familie, ebenso häufig aber auch
in der Nachbarschaft, oder int engeren Verkehrskreis der Er¬
krankten. Nicht selten fuhren mehrere gleichzeitig aultTetende
Fälle in einerGemeinde ani einen gemeinsamen Ausgangspunkt,
Nur verhältnismässig selten gelingt es, nicht einen Zusammen¬
hang mit einem anderen Fall aafzufindeü.
Als 'einer der wichtigsten Faktoren für die Verbreitung der
Schwindsucht auf dem Lätule erscheinen mir die W irtschaften.
Von den vier Wirtschaften einer mir näher bekannten Gemeinde
sind bis jetzt in drei Schwindsucbtsfälie unter den Besitzerfamilien
»gekommen;, tu einer Wirtschaft starben vor mehreren Jahren
der Vater und drei erwachsene Kinder kurz nacheinander an
Schwindsucht In dieser Zeit erkrankten mehrere in der Nach¬
barschaft dieser Wirtschaft wohnende und ^u ihrem ständigen
Besucherkreis gehörende erwachsene Personen ebenfalls an Tuber¬
kulose und übertrugen ihrerseits wieder zum Teil die Erkrankung
auf Angehörige ihrer eigenen Familie, Aehölich waren die Ver¬
hältnisse in einer andfU’an Wirtschaft, in der Mutter und Sohn an
Tuberkulose erkrankten und starben. In der dritten Wirtschaft
ist die BesttzöWn erst neuerdings an Tuberkulose erkrankt. Wenn
man sich deu Betrfeb so- vielmv ländlichen Wirtschaften vergegen¬
wärtigt, begreift man auch ihre GefährliekkeiU Zu ihren häufigsten
Besuchern gehören in ihrer Arbeitsfähigkeit beschränkt Tuber¬
kulöse, welche dort Unterhaltung suche« r durch ..'v Genuas von
schlechtem Bier u. s. w. die vom Arzt angeratone bessere Debens-
haltung und Ernährung in Wirklichkeit umsetze« weilen und
dabei alle# voll ipucken. Dazu kommt dann »och die Übliche Reini¬
gung und Reinlichkeit dieser Wirtschaften, um sie zu wahren
Pflanzstätten $fe- Tuberkulose zu machen,
Weitär mhehte wh eine ffir die Möglichkeit einer kongeni-
war, wurde ein F« rcgafefr&ft., ■• •• ••••
änkwer
von diesem K m>-
762 Dr. Staaas: Beitrag rar Bekämpfang der Tuberkulose.
erwies sich gleich nach der Geburt als schwer tuberkulös, so dass
es weggeschafft werden musste.
Was zum Schlüsse noch die Häufigkeit der Tuberkulose
betrifft, so war in meinem Bezirk in früheren Jahrzehnten Schwind¬
sucht entschieden häufiger wie heute. Auch scheint mir früher
die Tuberkulose der Lungen mehr unter dem Bilde einer sehr
chronischen Erkrankung verlaufen zu sein. Hand in Hand mit
dieser Abnahme der Tuberkulose ging auch eine sehr erhebliche
Abnahme der jährlichen Sterbeziffer, die im letzten Jahrzehnt
rund durchschnittlich 15°/ 00 niedriger ist, wie vor ca. 40 Jahren.
Entschieden besser geworden ist in dieser Zeit auch die Lebens¬
haltung der Leute, ob dies auch bei den Vermögens Verhältnissen
zutrifft, möchte ich bezweifeln. Diese Verbesserung der Lebens¬
haltung, also der hygienischen Verhältnisse, betrachte ich als die
Ursache sowohl des Rückganges der Sterblichkeit überhaupt, wie
auch der Tuberkulose.
Ziehen wir aus diesen Beobachtungen noch die Schlussfolge¬
rungen, welche sich für die Epidemiologie und Bekämpfung der
Tuberkulose ergeben. In epidemiologischer Beziehung wird nach
meiner Ansicht heute der infektiöse und vor allem der kontagiöse
Charakter der Krankheit zu wenig beachtet. In den Vordergrund
unserer epidemiologischen Anschauungen hat mehr der Tuberkel¬
bacillus als Erreger der Krankheit und massgebender Faktor für
die Verbreitung zu treten an Stelle der Disposition, Heredität u. s.w.
Die Disposition zu der Erkrankung ist jedoch keineswegs so eng
begrenzt, wie wir heute annehmen, wie ja auch durch zahlreiche
Sektionsbefunde festgestellt ist, dass ein sehr hoher Prozentsatz
der Menschen einmal im Leben an Tuberkulose erkrankt. Wie bei
allen Infektionskrankheiten ist diese Disposition bei dem einen
mehr, bei dem anderen weniger vorhanden. Wer sich lange Zeit
in der unmittelbaren Umgebung eines Schwindsüchtigen aufhält,
erkrankt nach meinen Erfahrungen mit Wahrscheinliche^ eben¬
falls an Tuberkulose, wie wir auch an dem Pflegepersonal der
Krankenhäuser, Lungenheilstätten und in den Familien befindlicher
Kranken leider nur zu oft erfahren. Die Heredität spielt nach
meiner Ansicht bei der Tuberkulose keine grosse Rolle.
Auch in der Bekämpfung der Tuberkulose haben wir neben
der Bekämpfung der Disposition durch Verbesserung der Lebens¬
haltung unser Hauptaugenmerk mehr auf den Tuberkelbacillus
und den Hauptträger desselben, den erkrankten Menschen, und die
von ihm ausgehende Ansteckungsgefahr zu richten. Die Haupt¬
mittel zur Bekämpfung dieser Gefahr sind die Isolierung und Des¬
infektion. Diese lassen sich unter unseren Verhältnissen häufig
nicht durchführen. In solchen Fällen wird es sich darum handeln,
die Erkrankten, sowie sie eine Ansteckungsgefahr werden, ans
ihren Familien zu entfernen und in Heilanstalten unterzubringen.
Lässt sich eine Heilung oder Besserung, so dass sie keine An¬
steckungsgefahr mehr bieten, nicht erzielen, sind sie Pflegeanstalten
zu überweisen. Für ganz besonders notwendig möchte ich, soweit
immer möglich, die Ueberweisung solcher Kranken in Pflegean-
Dr. Schmidt: Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus ubw. 758
stalten in den unheilbaren Stadien halten, da in diesen die An¬
steckungsgefahr am grössten ist. Mit der einfachen Belehrung,
wie diese Ansteckungsgefahr zu beseitigen ist, ist zumeist nur
wenig geholfen, die Krankheit verbreitet sich deswegen in der
Familie der Schwindsüchtigen doch weiter. Dass wir in der Be¬
kämpfung der Tuberkulose noch nicht mehr erreicht haben, beruht
neben dem, dass sich bis jetzt die Fürsorge für Tuberkulose nur
anf Unbemittelte erstreckt und das ganze Heer der weniger
Bemittelten, die sich allein ebenfalls nicht helfen können, sich
selbst überlässt, hauptsächlich darin, dass wir keine Pflegean¬
stalten für unheilbare Tuberkulöse haben.
Auch für die Versicherungsanstalten würde sich m. E. die
Errichtung solcher Pflegeanstalten ebenso rentieren, wie die Heil¬
anstalten; denn bei einer Belassung der Unheilbaren in ihren
Familien kann die Versicherungsanstalt mit Bestimmtheit auf
weitere Fälle rechnen, für die sie die Fürsorge zu übernehmen hat.
Ausserdem darf bei der Bekämpfung der Tuberkulose die
gegenseitige Uebertragbarkeit der Menschen- und Tiertuberkulose
nicht ausser Acht gelassen werden.
Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus durch
Flusswasser.
Von Dr. Schmidt. Kreisarzt in Elbing (früher in Belgard).
Als ein Beitrag zum Beweise für den ursächlichen Zusammen¬
hang zwischen dem Gesundheitszustand einer Stadt und einem
diese durchziehenden Flusslaufe sind die nachfolgenden Aus¬
führungen gegeben. Es handelt sich um das Auftreten von Unter¬
leibstyphus auf Grund der Benutzung eines verseuchten Fluss¬
wassers in Belgard.
Belgard, eine Hinterpommersche Kreisstadt mit 8000 Seelen,
wird von dem Leitznitzbache. einem Nebenflüsse der Persante,
durchflossen, bezw. es lehnt sich an die Ufer dieses Flüsschens.
Die Leitznitz entspringt von den Ausläufern des Baltischen Höhen¬
zuges und mündet nach einem in gerader Richtung gemessenen
N. W. gekehrten Laufe von 80 km Länge unterhalb Belgards in
die Persante. Das Weichbild der Stadt Belgard berührt die
Leitznitz an seiner N. 0. - Grenze. Von hier geht sie in ihrem
weiteren Verlaufe an der N. 0.-Grenze der Altstadt entlang, durch¬
schneidet nach etwa 200 m Wegslänge die Stadt an der Grenze
zwischen Alt- und Neustadt, um sich, wieder nach N. W. wendend,
an die nach 8. W. gerichtete Stadtgrenze anzulegen. — Kurz nach
ihrem Herantreten an die Stadt gibt die Leitznitz auf dem linken
Ufer einen Graben ab (Strille), welcher anfangs die Stadt im
S. W. gekehrten Laufe durchzieht, dann nach N. W. umbiegt,
längs der Stadtgrenze entlang geht, um weiter in unregelmässigem
Laufe der Persante zuzustreben.
Die Beziehungen zwischen den Bewohnern der Stadt Belgard
und den Wasserläufen der Leitznitz und Strille sind yon Alters
766
Dt. Schmidt.
1897; September bis November: 9 FUle. \
1898; Januar: 1 Fall. / fip '
1898; Jani: 1, August bis November: 11 Fälle. \ -
1899; Januar: 6 Fälle. / P *
1899; August bis Oktober: 6 Fälle.
1900; Januar: 1, Februar: 1, August 1, Oktober: 3 Fälle.
1901; Mai: 2, Juni: 3, Juli: 30, August: 18, September: 16, Oktober:
10, November: 10, Desember: 14 Fälle.
1902; Februar: 3 Fälle, Män, April, Mai und September je 1 Fall.
Epidemiologisch bemerkenswert ist, dass anch hier, wie
andernorts beobachtet, die grösseren Anhäufungen der Erkrankungen
in der zweiten Hälfte des Jahres aufzutreten pflegen, während
die erste Hälfte nur durch sporadische Fälle ausgezeichnet ist
oder die abklingenden Erscheinungen einer mehr weniger grossei
Anhäufung der Erkrankungszahl des voraufgegangenen Jahres dar-
stnllt. Handelt es sich auch nur um ein sehr beschränktes Kranken¬
material, welches der epikritischen Beurteilung unterzogen werden
kann: Das gruppenförmige Auftreten oder die Herausbildung kleiner
Lokalepidemien treten aus der vorliegenden Zusammenstellung
als greifbare Erscheinung heraus.
Für die ätiologische Betrachtung über das Auftreten des
Typhus am hiesigen Orte lässt sich die vorstehende Zusammen¬
stellung der Jahre 1886—1902 in 3 Gruppen gliedern: 1886 bis
1895; 1896—1900 und 1901—1902. — Die erste Gruppe umfasst
die Jahre vor der amtlichen Tätigkeit des Berichterstatters in
Belgard, von 1896—1900 sind die Erkrankungen unter den Augen
des Berichterstatters verlaufen; 1901—1902 tritt besonders hervor
durch das Umsichgreifen einer bedeutenden Epidemie.
Soweit sich nach den vorliegenden Aufzeichnungen die Ver¬
teilung der Erkrankungen im Orte verfolgen lässt, ist das Auf¬
treten stets ein derartiges gewesen, dass die Krankheitsfälle sich
in unregelmässiger Verteilung über den ganzen Stadtbezirk zeigten,
ohne eine Abhängigkeit von bestimmten Brunnen erkennen zu
lassen; bemerkenswert ist nur die Bevorzugung der Altstadt,
welche durch Leitznitz und Strille bis auf eine kleine Spanne
ganz umfasst wird und ihre Wasserversorgung zum Teil mit
Leitznitzbrunnen habt, und das Seltenerwerden der Erkrankung
entsprechend der Entfernung von Leitznitz und Strille in der
Neustadt.
Greifbare Unterlagen erhielt das Forschen nach der Ursache
des Auftretens des Typhus in der Stadt für den Berichterstatter
mit seinem Amtsantritte im Jahre 1896. — Die von den Jahren
1896—1900 hervorgetretenen Erkrankungen haben sämtlich das
gemein, dass in den Haushaltungen, in denen die Krankheit vor¬
kam, Leitznitz- oder Strillenwasser zur Verwendung kam. Die
Erkrankungen traten auch in dieser Zeit stets in weiter Ver¬
teilung über das Stadtgebiet auf. Jeder verbindende Anhalt der
Fälle unter einander fehlte; weder Kontakt, noch Trinkwasser,
noch Milchversorgung, noch der Bezug sonstiger Nahrungsmittel
konnten als Infektionsquellen beschuldigt werden; nur in den ange¬
führten Punkten kamen sie zusammen, wie von den behandelnden
754
Dr. Schmidt
her möglichst intim gewesen. Die Stadt übergibt durch Binnen-
leitnng den Flüssen seine Strassen- and Hauswässer und von den
Hofwässern den Teil, der nicht mit Düngerwagen und Jauche¬
fässern hinausgefahren wird; die Leitznitz und Strille ihrerseits
versorgen die Stadt zum Teil mit dem Wirtschaftswasser und zum
Teil auch mit Trinkwasser. An dem Leitznitzufer befinden sich
zahlreiche Wäschespül- und Wasserentnahmestellen. Diese sind
zur bequemeren Benutzung am oberen Laufe der Leitznitz an dem
Ufer angebracht, an welchem die Schmutzrinnen in den Floss
treten. Eine mangelnde hygienische Einsicht hatte dieselben z. T.
so gelegt, dass die Ausflüsse der Schmutzwässer diese Einrich¬
tungen umspülen. — In der Frage der Trinkwasserversorgung
speiste die Leitznitz bis vor wenigen Jahren durch eine Kanal¬
verbindung zwei Marktbrunnen und einen weiteren zwischen Markt
und Flusslauf befindlichen öffentlichen Brunnen. Ein an der Markt¬
ecke gelegenes dreistöckiges Haus hatte zur bequemen Wasser¬
versorgung Anschluss genommen an die von der Leitznitz nach
dem Markt führende Leitung; ein in unmittelbarer Verbindung
mit der Stadt stehendes Amt hatte ebenfalls durch Kanalver¬
bindung Leitznitzwasser herangeführt, welches mit einer Pumpe
gehoben, die Bewohner des Amtes und die zunächst Wohnenden
z. T. mit Gebrauchs- und Trinkwasser versorgte.
Die Trinkwasserversorgung geschieht im übrigen durch
26 öffentliche Brunnen, von denen 4 Rohrbrunnen den sanitären
Anforderungen genügen, die übrigen 22 Kesselbrunnen in hygieni¬
scher Beziehung sehr angreifbar sind, und durch zahlreiche Privat¬
brunnen, deren Qualität in der grösseren Angabe den öffentlichen
Kesselbrunnen gleichkommen.
Elin einheitliches Abfuhrsystem besteht nicht. Die Haus¬
und Wirtschaftsabfälle liegen zum Teil auf den Höfen frei, zum
Teil in Gruben und werden von hier in offenem Wagen entfernt.
Dieses die hierher gehörende allgemeine Situation bis Ende
der 90 er Jahre. Um diese Zeit wurde der eine Marktbrunnen
von der Leitznitzverbindung gelöst und in einen Bohrbrunnen ver¬
wandelt, und der auf der Verbindungslinie Leitznitz - Markt
liegende Bachbrunnen erhielt neben der Bachleitung eine Zuführung
durch eine besondere Bodenbohrung. Elin Doppelhahn konnte die
eine oder die andere Leitung abschliessen. Bei Feuersgefahr und
zur Strassenreinigung sollte die reichlicher zufliessende Fluss¬
leitung das augenblickliche grössere Wasserbedürfnis decken.
Die Gesundheitsverhältnisse der Stadt sind somit von Leits*
nitz und Strille abhängig
1. durch eine sanitäre Beeinflussung, welche das Wasser
erleidet auf seinem Wege bis zu seinem Elintritte in das Stadt¬
gebiet (Gesundheit« Verhältnisse anliegender Dörfer, Zuflüsse von
den Aeckern),
2. durch die Beigaben, welche die Stadt selbst diesen Wasser¬
linien übermittelt.
Belgard gilt von jeher als eine vom Unterleibstyphus häufig
heimgesuchte Stadt. Der Charakter der Krankheit scheint i®
Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstypus ducb Flusswasser. 765
allgemeinen durchgehend ein leichter gewesen zu sein, so dass
sich bei älteren Aerzten die Annahme eines der Stadt eigentüm¬
lichen endemischen Typhoids gebildet hat. Dieses Belgard eigen¬
tümliche Typhoid hat auch heute noch seine teilweise ärztliche
Anerkennung und bildet als angeblich der Anzeigepflicht nicht
unterworfene Krankheit die Lücke, durch welche so mancher
Typhus der sanitätspolizeilichen Würdigung entgeht.
Nach den zu Gebote stehenden statistischen Angaben über
die zur öffentlichen Kenntnis gebrachten Fälle von Unterleibs¬
typhus wurden in Belgard seit dem Jahre 1886 an Typhus¬
erkrankungen beobachtet:
1886 : 5 Fälle, 1891: 14 Fälle, 1896 : 6 Fälle, 1899: 12 Falle,
1887: 10 * 1892 : 2 , 1896: 10 „ 1900 : 6 „
1888 : 5 „ 1893 : 5 „ 1897 : 9 „ 1901: 102 „
1889: 16 „ 1894 : 5 „ 1898: 18 „ 1902 : 7 „
1890: 7 „
Dass diese Zahlen dem Typhusbild aus den angeführten
Jahren nicht voll entsprechen, ist sicher, da, wie schon angegeben,
die in Belgard so geläufigen Typhoide auch heute noch der An¬
zeige zum grossen Teile entgehen; ein weiteres hierfür sprechendes
Moment ist das, dass die meisten Anzeigen bis zum Jahre 1892
von der Hand des damaligen Medizinalbeamten der Stadt stammen,
der nur eine beschränkte Praxis trieb. Die zahlreichen noch
nachträglich bekannt gewordenen hingezogenen gastrischen Er¬
krankungen aus der Typhuszeit des Jahres 1901, die zum Teil
mit Haarschwund einhergingen, sprechen an sich noch dafür, dass
mit den 102 Typhen von 1901 die Krankenziffer auch in diesem
Jahre bei weitem nicht erschöpft ist. Als Index für das Auf¬
treten der Krankheit sind die Ziffern auch der früheren Jahre
immerhin bedeutungsvoll.
Aus den gegebenen Krankheitsfällen der Jahre 1886 — 1902
erhellt, dass der Unterleibstyphus Jahr für Jahr in Belgard auf¬
getreten ist.
Eine zweite zu konstatierende Erscheinung ist die, dass die
Erkrankungen in der Mehrzahl in geschlossenen Zeitabschnitten
auftreten, während der übrige Teil des Jahres frei bleibt. Da¬
neben stehen vereinzelte Fälle. Die Berücksichtigung des zeit¬
lichen Auftretens in den betreffenden Jahren gibt einen Einblick
nach dieser Richtung:
1886: Oktober u. November: 5 Fälle.
1887: März: 4, Anglist bis Dezember: 6 Fälle.
1888: Jnli und August: 2, November: 3 Fälle.
1889: August bis Dezember: 16 Fälle.
1890: August und September: 9 Fälle.
1891: Juni: 1, September: 13 Fälle.
1892: Juni: 2 Fälle.
1898: August: 1, Oktober bis Dezember: 4 Fälle.\ -
1894: Januar: 3 Fälle. / “ p *
1894: Dezember: 2 Fälle. \ -
1896: Januar: 2 Fälle. / Mp '
1895: Juli: 1, November und Dezember: 3 Fälle.
1896: Januar und Februar: 3, Mai: 1, August: 1, November und De¬
zember: 5 Fälle.
Zar Prag« der Verbreitung Von Unterleibstyphus durch Flueswasper 757
Aerzten io Verbindung mit dem berichtenden Medizinalbeamten
fdetgesMlt .wirrde. r.. ~-
Die bi? m einem iiobeu Drade w>h Wabrsebeiulielikeit ent-
wiekelte ÄiHäälHBe. dass ; deb $|phuä in Belgard seine Verbreitßffg
durch die Bemitaajfg des Wassers aus Leitzflitz und Strille hanpt*
sächHcU finde, ikbrte #jt teil'«’eisen Beseitigung der Leitzuitz*
bruüüeu bis auf die Be3as9»«g des einen Markibrunnens und der
Doppelleitung des Brunnens zwischen Markt, und Leimntz. Der
Marktbnmnen sollte als ein geRundheitsgefshrlieher bezeichnet
werden undangeschlossefi gehalten werden. Der Brunnen mit
dei*. Doppelleitung sollte in der Begei von der LeHzniizleituitg. ab¬
geschlossen sein. Die Pmutleitungen waren zu ianer Zeit offi¬
ziell nicht, bekannt.
Der Sommer 1901 brachte für Belgard mit einer grösseren
Epidemie weitere Erfahrungen bez. des Unterleibstyphus. Das
Jahr war ein sehr trockenes , der Wassergehalt der Stadtbrunnen
8ng an knapp zu werden. Ohne Wissen der städtischen Behörden
hatte der Brurmenmeister, um dseLeistnngsfäMg&eit des Brunnens
mit dar ItoppeBeiitmg zu erhöhen, dem Wasseriuflnsshalm in dem
Brunnenkessei gebffaet.
Im Anfang Mai 1901 wurden in der Altstadt und in der
nach Polziu führenden Vorstadt die ersten beiden Fülle .von Unter¬
leibstyphus bemerkt^ ÄuBuags Juni reihten sieh 2 weitere Fälle,
einer in der Kösliner Vorstädt und ein zweiter in Oeorghii-
strasse an die yoraufgegängenen, Die Fälle hatten iu sich keinen
direkten Zusammenhang, v ®.$ lagen örtlich ziemlich weit ausein¬
ander, ein Verkehr hat. zwischen ihnen ' nicht;, .bestanden, Mitte
Juli, etwa vom iS. Juli an, kam mit steilem Anstieg eine Epi-
demie zum Ausbruch, welche in der kurzen Zeit bis mm Schlosse
des Monates 80 Erkrankungen zur öffentlichen Kenntnis brachte,
23 Weitere Fälle reihten sich' im Asigßät hg die Jali er fcra nkungen,
um mit diesen den (Jipielpunkt der Epidemie zu charakterisieren.
Eigentümlich, wie für fast alle hierseibstbeobachteten Epidemien
war auch dieses Mai das weite Änsgrcitcft der Erkrankungen
über das ganze Stadtgebiet Von dem öatlfchen Ende der Stadt
bis in die Vorstadt, des westlichen Teiles, Über 1 km Wegeslänge,
traten mit einem Male .(Be .KjAnWieitsfölle in die Erscheinung. In
dem einen Hause um den oft genannten Brunnen der Leitznitz-
Marktleitung, • in welchem tmehweisbar das dem Brunnen ent¬
nommene Leitzoitzwasser nur zur Verwendung kam, auch ge*
trunken wurde, erkrankten 3 Personen; in-dem Hause mit der
Privatleitnxjg am Markt erkrankten 2 Personen, auf dem Amte
mit seinem Leitzhitzwaseeimischlusse 3 Personen, — Ergriffen
waren Kinder,, -die.' 'in'' 'and an -
hatten; Waschfrauen. die in.
und Angehörige von Familien, io *«£=?>•*?• »«»«•/.;
zur Verwendung kam.
Fast ausnahmslos waren ••
Klasse, die von der Krankheit . •
denen das immer wiederholte. - Mahlten mm £Uc v
758
Dr. Schmidt.
gesundheitsgefährliches nicht za verwenden, vergeblich gewesen.
Als Ausnahmen traten beim ersten Einbrach nach (ieser Richtung
hin nur die Erkrankten am Privatanschlusse am Markt und die
Bewohner des Amtes hervor, denen sich 2 Soldaten der hiesigen
Garnison zureihten. — Wo lag für diese mit so grosser Heftig¬
keit in breiter Ausdehnung über das ganze Stadtgi hiet auftreten¬
den Epidemie das verursachende Moment P Eine n lokaler Um¬
grenzung wirkende Veranlassung, etwa eine Brum ienVerseuchung
— der Nahrungsmittelbezug aus einer Krankheitsqi teile — konnte
bei der Verbreitung über die ganze Stadt von vornherein nicht
angenommen werden und erwies sich bei den vorgenommenen ein¬
gehenden Nachforschungen als nicht vorhanden Bei jedem
fehlenden sonstigen ursächlichen Momente dieser fielen über die
ganze Stadt verbreiteten Fälle legte sich fast ausnahmslos um
alle als verbindendes Glied die Beziehung zur Leitznitz bezw.
zur Strille. Die bösen Erfahrungen, welche Belgtird in gesund¬
heitlicher Beziehung mit seinen Stadtbächen gemacht, fanden ihre
Bestätigung in dieser relativ grossen Typhusepidemie.
Dem kritischen Urteile musste jede andere Möglichkeit der
Entstehung der Epidemie ausgeschlossen erscheinen: Die plötz¬
liche Verbreitung über das ganze Stadtterrain, die nachweisbaren
Beziehungen der Erkrankten mit den schon seit langer Zeit ver¬
dächtigen Wasserläufen, die Erkrankungen in den Haushaltungen,
in welche Leitznitzwasser direkt geführt, das Fehlen jedes andern
die Erkrankungen vereinigenden Punktes: Beweisende Momente
für den Schluss, dass die Typhus epidemie dem Einflüsse der Bach¬
wässer zu verdanken war. Unter dem energischen Durchgreifen
strenger sanitätspolizeilicher Massnahmen (Sperre der Flussläufe,
Kontrolle der Desinfektion in den Krankheitsfällen durch einen be¬
stellten Beamten, gehobene Strassenreinigung, strengere Nahrungs¬
mittelkontrolle) ging die Epidemie im langsamen Abstieg bis zum
Schlüsse des Jahres zu Ende. Vereinzelte Erkrankungen des
Jahres 1902 sind wohl als letzte versprengte Ausläufer des Krank-
heitszuges zu betrachten, die in ihrer isolierten Erscheinung ohne
besondere Bedeutung für die allgemeine Gesundheit blieben. Der
Kampf gegen die Krankheit war für die Aufsichtsbehörde ein
recht wenig dankbarer, da die Bevölkerung der Stadt den not¬
wendig gewordenen Massnahmen zum Teil mit zähem Wider¬
stande trotzte.
Dass nach der reichen Aussaat des Typhus über die Stadt
die Epidemie in ihrem weiteren Bestände die verschiedensten
Wege der Infektion wandelte, die im einzelnen dann nicht mehr
zu verfolgen waren, ist ja selbstverständlich und findet ihre
Hlustration in der Tatsache, dass im Herbst und Winter (1901
bis 1902) zahlreiche Typhen in die Umgebung von Belgard ver¬
schleppt wurden, die niemals nachweisbare Beziehungen zu unsern
Flussläufen gehabt. Dass der Bach und sein Abflussgraben ihren
Teil an der Weiterverbreitung der Krankheit immer noch bei¬
steuerten, dafür sorgten sie in ihrer Eigenschaft als die grossen
Sammelstellen jeglichen städtischen Unrats, zu welchem sich
Zur Frage der Verbreitnog von Unterleibetypbn« dnrcb Flnwwawer. 769
zweifellos einerseits die Abgänge manches nicht erkannten oder
nicht genügend desinfizierten Krankheitsherdes gesellten, und
anderseits die nicht zu bewältigende Einfalt und Renitenz der
Bevölkerung.
Za der Frage, wie. die Verseuchung des Flussianfes erfolgt
ist, lässt sich eine Antwort ßür bis zu einer gewissen Wahrschein¬
lichkeit gaben. Im Mai und Juni tratet? mehrere Typhen in Bel-
gard in die Erscheinung (5 Fälle). Bei’.'..zeitlichen Stellung nach
konnten diese Erliranbungen mit ßerücksichtigußg der Inkubation
für die Mjerfo-aukungeü wohl äis die FHmäj’erfo'ankungen ange¬
sehen werden. Ihrer ganzen örtlichen Lage nach scheinen sie
jedoch meid die Verbreiter des iai Wasser toretaenden Keimes
gewesen zu sein. Nach dem Bilde, welches die Krankheit im Be¬
ginne zeigte, traten die ersten Erkrankungen auch im östlichen
Teile der Stadt auf in Haushaltungen, welche ihr Wasser der
Deitznitz oberhalb 4er Eintrittsstelle dös Baches in das Stadt-
gebiet entnehmen. Eine eilen Voraussetzungen genügende Er¬
klärung wurde in der Aufdeckung eines Krankheitsfalles gefunden,
4«r-' iä einem' .Dorfe' 12 km aufwärts an einem Nebenflüssehen der
Leitznitz im Juni 1801 vorgekommep, Hier hat um die ange¬
gebene Zeit ein 12 Jahre altes Mädchen 8 Wochen lang (im Mai
und Juni) an einem schweren gastrischen Fiebei krank gelegen.
Die Wäsche der Kranken ist täglich in dem Flüsschen gewaschen,
die Stahle sind dicht am Fluesnfer undesinfiziert ausgegrisses, die
Geschirre bezw. Eimer für Stuhl und Urin sind im Flusse ge¬
reinigt. Ein zwingender Beweis für den Zusammenhang dieses
Falles mit den Belg&rder (auch den Fällen vom Jani) ist nicht
zu erbringen; jedoch muss unter den vorliegenden Umständen
der erwähnten Erkrankung eine hohe Wahrscheinlichkeit der Ver¬
schuldung rn der Versenclung des Belgard durchziehenden Flnss-
laufes und der Infizierung der Stadt gugeschrieben werden.
Die vorstehenden Ausfübrangen- geben in ihrer Gesamtheit
den Niederschlag der Erfahrungen, welche der Berichterstatter
über das Auftreten des Ünterleibstyphus an der Stelle seines
Amtssitzes gemacht hat ’ Die die Stadt, durchziehenden Bäche sind
die Verbreiter der Typhuskeime über das Stadtgebiet und somit
die Schntdigco in dem Auftreten 4«f Typhttsepidemiett' in der Stadt.
Das alljährliche Hervorlreteö des Typhus arn Ort beweist, dass
in der Stadt und wohl auch auf. den Aeekerw der Umgebung der
Stadt eine reiche Saat von T^husköiroe»; verstrebt Magi.
selben ist nicht nachzttspüre«.und deshalb, ist das Auftreten des
Einzelfalles vielfach nicht zu begründen. Dass aber - der Einzel-
fall seine Beziehungen zu der Allgemeinheit gewinnt, das ver¬
dankt er den Wasserarmen, die die Stadt Mit ihrem
Nehmen und Geben werden sie die Vermittler zwischen dem Ein¬
zelnen und der Bevölkerung, zwischen Kränken und Gesunden,
werden sie zürn Verbreiter von Seuchen in der Gemeimle
Das Vorgehen gegen den Unterleibstyphus wird gtfi,ntlp&te-
licb stet« nach 2 Richtungen hin geführt werden mitSfe» 1 «: i, Fu*
kennen und Festlegen des Einzelfalles mit Beseitigung’ Je* A. f >
Dt SerfeL
T«.
«»fansrmge&hr Sr andere Pos»». 2. SdMmf der Seiten
fett ftfeorättiiea Debea* regen das Eiadringet von Infektionskeimen,
rdt«: 4er Typhu^r^-fahr anerkannt toi massgebender Be-
tertnog frad. Die letztere Forderung wäre hm fällig. sobald es
gelinge, der ersteren za genügen. Solange dieses nicht geschieht,
mm sie. selbständig für sich bestehend, als notwendig anerknnnt
▼erde», — Zur Erfüllung der ersteren Forderung bedarf es in
reäe&emi Masse des Entgegenkommens des behandelnden Arztes
*s*d der Einsicht des Publikums neben der Voraussetzung eines
r*eÄrtzerag*n Eintretens des Arztes in die Behandlung. — Die
zweite Aufgabe Ist Sache der Sanitätspolizei. Die Trinkwasser¬
frage ist für diese lange Gegenstand eifriger Fürsorge in der Be¬
handlung des Unterleibstyphus: die Gefahren welche der immer
weher uns sich greifende Grossbetrieb genossenschaftlicher Milch¬
wirtschaften für die Allgemeinheit bez. der Typbusverbreitimg
bringt, lassen mit zunehmender Dringlichkeit den Bnf nach einem
allgemein rorgesrhriebenen Pasteuririernngsverfahren der ge¬
samten Gebranchsmflch laut werden. Die vorstehenden Aus¬
führungen gehören in das Gebiet der Gefahr, welche sich ans der
Verunreinigung von Flnsslänfen ergeben. Die Forderung nach
Berahaltong der Flüsse ist neuerdings in besonderer Weise aus¬
gesprochen. — Dem Schütze der Oeffentlichkeit gegen Typhus-
gefahr möge Vorstehendes für sein kleines Teü dienstbar werden
in der Gesundheitspflege neben den anerkannten Bestrebungen der
Trinkwasserpflege and des Milchschutzes.
lieber Fischvergiftang.
Von Prof. Dr. 8eydel io Königsberg.
Der Umstand, dass in dem Entwürfe znm neuen Seuchen¬
gesetze die Anzeige von Wurst-, Fisch- nnd Fleischvergiftung von
den Aerzten verlangt wird, ebenso die Ausschreibung der St.
Petersburger Akademie der Wissenschaften, welche einen höheren
Preis auf die Erforschung der Fischvergiftung setzt, rechtfertigen
nachstehende Mitteilung:
In dem Städtchen Rh. im Reg.-Bez. Gumbinnen machte
Dr. B. nachstehend beschriebene Beobachtung, die ich einer brief¬
lichen Mitteilung desselben entnehme. Am 11. September 1902,
nachmittags 5 Uhr. wurde er in die Wohnung des Färbereibe¬
sitzers N. in Rh. gerufen und konstatierte folgenden Befand:
Die 8tieftocbter des N. Frl. G., etwa 20 Jahre alt, von mehr als mittlerer
Körpergrösse, schlankem Körperbau nnd mässig entwickelter Muskulatur, neigt
eine wachsbleiche Farbe des Gesichtes, die eingesunkenen Augen sind toi
dunkeln 8ehattenringen umgeben, leichte Somnolenz vorhanden, ans der Pnt.
dnreh lantes Anreden erweckt, anaibt, sie fühle sich sehr schwach, könne nicht
deutlich sehen, leide an hochgradiger Uebelkeit nnd Brechneigung, ferner an
Sehmerzen im Halse nnd könne nicht schlucken. Die Mitteilung wird mit
•ehr sehwaeher, kaum vernehmbarer Stimme gemacht. Der Puls ist enorm
beschleunigt, 130 in d. M., kaum fühlbar. Beim Abziehen der scheinbar ge*
Ithmten Lider erscheinen die Papillen stark erweitert, ohne jede Beaktion aaf
Lichteinfall. Die Lippen trocken, der Mund geschlossen, lässt sich nnr unvoll¬
kommen öffnen; Znngenrüeken gelblich bräunlieh verfärbt ; sämtliche Abschnitte
(jeher Fiechvergittnng.
761
des S&leea. soweit sie einer Uatewachang zngänglich sind, stark gerötet and
trocken Die Magengegend aal Druck bcü? «u>pfb*iÜcü, na den übrigen Organen
sind neanenawerte krankltaite Veründeiüdgen nickt nacliweiabar. Urin frei
von Eiweius and Zucker.
Die Diagnose^ dass es sich ura eine VergiftüDg xiorch ver¬
dorbene Nahrungsmittel handeln müsse, wurde durch die Tatsache
bestärkt, dass auch bei weiteren 3 Mitgliedern derselben Familie,
der Mutter und zwei 15—16jäiirigeu Kindern ßreehdurehfali und
Sehstörung bestanden; der schulpflichtige Knabe war genötigt,
eine Brille, die er bis dahin nie nötig gehabt, in der Schale zu
brauchen.
Die von Dt*. B. sogleich, vij^Tdiö weiteren Verlauf der
Krankheit angestellten, korgfältigeü Nachforsehongeo bezüglich
der in den letzten Tagen genossenen Speisen und Getränke waren
von geringem Erfolge gekröntj da seitens der Angehörigen nur
sehr widerwillig und unvollkommen Auskunft erteilt wurde, immer
mit der Beteuerung, auf die Zubereitung und Aufbewahrung der
Speisen würde die grösste Sorgfalt verwendet, hierduhih könne
die Krankheit nicht her vorgerufen sein .
Die Möglichkeit, durch chemische Öotersucbuüg des Magen¬
inhaltes die Diagnose sicher zu stellen, lies« sich nicht ausführen,
da die im weiteren Krankheitsverlaute noch relativ häufigen
Magen - DarmeriÜeerungeü trotz ausdrücklicher Anordnung nicht
aufbewahrt wurden uad mm Mageoausspülusg bei dem rapiden
Kräffeveviall und zunehmender Somnolenz, sowie bei der Unmög¬
lichkeit, den Mund der Patientin weit zu Öffnen, absolut ätiBge*
schlossen war. Die Behandiang musste sich daher vorwiegend
auf die Bekämpfung der subjektiven Beschwerden (Uebelkeit, .
Magenschmerz, Stuhidrangv Diarrhoe) beschicken* vermochte diese
zwar erheblich zu Imflurn, aber nicht den Kräfteverfaii ayfou*
halten, so dass der Tod am 13. September 9 1%: abends eintrat.
Auf die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft- wurde die ge*
richtliche Öektiön am Hh September ausgeiührt, ui s Todes Ursache
eine - acMetehöA. .Lungenentzündung, die sich aber bei absolut
fieberlosem Eraokheitsverlaut nicht hatte diagnostizifere» .lassen,
festgestellt. In dcö übrigen Organen speziell im VVrdaiiungskäiiäl
wurden auffällige Veränderungen nicht gefunden.
A?ön eifihf cbemischen U nt b rsuchung dm Leiehenteile
wurde abgesehen.. Auf meine briefliche Anfrage teilte mir ür B.
mit, dass die .Verwandten ' der Verstorbenen, erbittert Uber die
öbduktie» der Deiche, jede Auskunft Verweigerten-, doch konnte
er feetstellen, dass in der Familie des N. im Aiifaßg September
Fische zubereitet und geuosseu waren. WeiteTe NachforschungeD
waren bei der Widerh&nigkei? der -Beteiligte«/erfolglos,
Die Admlichkeit dieser zweifellos auf -V#t-gfft»jög,:herubetMleu
Gruppenerkrankuiig mit Botulismus ist ab-
auch in dieser Richtung konnte von I>r. B. durch •
gangen nicht der geringste Anhalt gewonnen wen;
Prof. Di*. J. Schreiber hat im Jahre 13b ; tjj
Wocheoschr., Nr. 11, S. 152} eine in Ostpreußen ‘ r: .a > .
Gruppeherkrankung durch vergiftete Fische jj^au hu
764 Aas Versammlungen und Vereinen.
in Essig oder anderer Konservierungs - Flüssigkeit aufbewahrfce
Fische handelt.
Die Therapie ist, wenn es in frühen Stadien nicht gelingt,
eine ausgiebige Entleerung der schädlichen Stoffe durch Magensonde
oder Abführmittel herbeizuführen, eine wenig erfolgreiche; denn oft
treten, wie Schreibers Fälle lehren, nach Wochen Todesfälle
durch Lähmung der Atmung und vielleicht auch des Herzens ein.
Es ist daher dankbar anzuerkennen, dass die Akademie der
Wissenschaften in St. Petersburg namhafte Preise zur Er¬
forschung dieser noch immer rätselhaften und in ihren Folgen so
deletären Erkrankung ausgesetzt hat.
Sollte, wie in dem oben berichteten Falle aus Rh., das
Publikum in unverständiger Weise den Anfklärungsversnchen
Widerstand entgegensetzen, so müsste die volle amtliche Autorität
des Kreisarztes eingesetzt werden, um die nötigen Ermittelungen
zu ermöglichen. Belehrung und Warnung in den zur Fastenzeit
nicht immer einwandsfreien Fischspeise verbrauchenden Gegenden
wäre nicht ohne Nutzen. Jedenfalls müsste seitens der Haus¬
haltungen darauf gehalten werden, dass bei der Bereitung von
Fischspeisen die Substanz bis zur völligen festen Gerinnung des
Eiweisses bis in die tiefsten Schichten erhitzt wird. Es lässt sich
dann das Fischfleisch zu verschiedenen Speisen auch nach einigen
Tagen anstandslos verwenden.
Eine unvollständige Eiweissgerinnung bedingt, namentlich
bei hoher Lufttemperatur, stets Gefahr bei Fischspeisen.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die 28. Versammlung
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege
in Dresden am 10.—19. September 1903.
Wenn die diesjährige Versammlung des Deutschen Vereine Ihr öffent¬
liche Gesundheitspflege fast ebenso sahireich wie die vorjährige in München
besucht war — die Präsenzliste wies fast 600 Teilnehmer auf — so ist dies
sicherlich s. T. auf die deutsche Städte-Ausstellung in Dresden
surückzufflhren. Sie bildete auch während der Versammlnngstage den Haupt¬
anziehungspunkt für die Vereinsmitglieder, und zwar nicht blos mit Rücksicht
auf die dort abgehaltenen Festlichkeiten — ein von der Stadt dargebotener
Begrüssungsabend am Abend des ersten, und das Festessen am Abend
des zweiten Sitzungstages —, sondern hauptsächlich mit Rücksicht auf die
Ausstellung selbst, die gerade auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬
pflege recht Beachtenswertes darbot und ein ebenso interessantes, wie lehr¬
reiches Bild gab von den ausserordentlichen Fortschritten der Hygiene und von
den erfolgreichen Bestrebungen der deutschen Städte, diesen Fortschritten
tanlichst gerecht zu werden. Der äussere Verlauf der Versammlung war, wie
immer, ein recht befriedigender, wenn er auch durch die recht ungünstige
Witterung etwas beeinträchtigt wurde. Nur der letzte Tag war von dem
schönsten Wetter begünstigt, so dass die Mitglieder, die bis dahin ausgebalten
und sich an den Ausflug in die schönsten Partien der Sächsischen
Schweiz beteiligt hatten, für ihre Ausdauer reich belohnt wurden.
Brate Sitzung, Mittwoch, den 16. September d. J.
I. Eröffnung der Versammlung.
Die Verhandlungen wurden in üblicher Weise durch eine Ansprache des
derzeitigen Vorsitzenden, H. Geb. Baurat Stubben-Köln, eröffnet, indem er
Ana Versammlungen und Vereinen.
765
auf das 30 jährige Bestehen des Vereins hinwies und betonte, dass von den
Grttadern desselben nur noch zwei — Geb. San.-Rat Prof. Dr. Lent-Köln und
Geh. San.-Rat Dr. S p i e s s - Frankfurt a. U. — am Leben und auch hier an¬
wesend seien. Geh.-Rat Spiess habe seitdem nnunterbrochen als ständiger
Sekretär die Geschäfte des Vereins in der aufopferndsten nnd vorzüglichsten
Weise geführt und sich die grössten Verdienste um dessen Gedeihen erworben;
deshalb schlage der GeschäftsansschUBS vor, ihn zum Ehrenmitgliede zu
ernennen; ein Vorschlag, der einstimmig angenommen wurde.
Nach Wahl des Bureaus erfolgte die Begrttssung durch den
Geh. Reg.-Rat Dr. Kunze als Vertreter des Ministers des Innern und dem
Oberbürgermeister Bentler als Vertreter der Stadt. Vor Eintritt in die
eigentliche Tagesordnung stattete sodann noch der ständige Sekretär, Geb.
San.-Rat Dr. Spiess, den Rechenschaftsbericht ab; darnach zählt der Verein
z. Z. 1689 Mitglieder.
II. Naoh welchen Richtungen bedürfen unsere derzeitigen Mass¬
nahmen nur Bekämpfung der Tuberkulose der Ergänzung.
Der Referent, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Gaffky-Giessen, hatte seine
mit grossem, alleeitigem Beifall entgegengenommenen Ausführungen in folgende
Schlusssätze zusammengefasst:
„I. Die unverkennbare Abnahme der Sterblichkeit an Lungenschwindsucht
zeigt, dass wir mit unseren derzeitigen Massnahmen zur Bekämpfung der
Taberkulose auf dem richtigen Wege uns befinden.
II. Einer Ergänzung bedürfen die Massnahmen nach folgenden Rich¬
tungen :
1. Es sind in hinreichender Zahl öffentliche Untersuchungsstellen zu schaffen,
durch welche den Aersten in Stadt und Land die Möglichkeit geboten
wird, die Absonderungen tuberkuloseverdächtiger Kranker unentgeltlich
auf das Vorhandensein von Tuberkelbazillen untersuchen zu lassen. Die
Einsendung der Proben an die Untersuchnngsstellen ist den Aerzten tun¬
lichst zu erleichtern.
2. Den Aerzten ist eine beschränkte Anzeigepflicht aufzuerlegen, welche sich
zum mindesten zu erstrecken hat:
a) auf jeden Todesfall an Lungen- oder Kehlkopfschwindsncht;
b) auf jeden Fall, in welchem ein an vorgeschrittener Lungen- oder
Kehlkopfschwindsucht Erkrankter aus seiner Wohnung verzieht oder
in eine Heilanstalt gebracht wird;
c) auf jeden Fall, in welchem ein an vorgeschrittener Lungen- oder
Kehlkopfschwindsucht Erkrankter in Rücksicht auf seine Wobnnngs-
verhältnisse oder unsauberen Lebensgewohnheiten seine Umgebung
hochgradig gefährdet.
8. Für die Fälle unter 2 a und 2 b ist die DeBinfektionspflicht einzuführen.
Die Kosten der Desinfektion sind, zum mindesten soweit es sich um wenig
bemittelte Personen handelt, aus Öffentlichen Mitteln zu bestreiten.
4. In den Fällen unter 2 c hat die Behörde tunlichst im Einvernehmen mit
dem behandelnden Arzte diejenigen Anordnungen zu treffen, welche zur
Verhütung der Krankheitsübertragung geeignet erscheinen.
5. Das wirksamste Mittel, unter ungünstigen WohnungBverhältnissen und bei
unsauberen Lebensgewohnheiten der Kranken die Krankheitsübertragung
zu verhüten, besteht in der Verbringung der Kranken in ein Krankenhaus.
Eine besonders dringende Aufgabe ist daher die weitere Schaffung von
Heimstätten und Asylen, sowie von besonderen Abteilungen in den all¬
gemeinen Krankenhäusern, in welchen unbemittelte, für die Heilstätten
nicht geeignete Schwindsüchtige unentgeltlich oder gegen geringes Entgelt
Aufnahme finden können.
6. Sofern ln den Fällen unter 2 c die Entfernung des Kranken aus der Woh¬
nung sich nicht erreichen lässt, iBt die Entfernung der Gesunden, soweit
sie nicht zur Pflege nötig sind, namentlich aber der Kinder anzustreben.
Durch Errichtung von Säuglingsheimen und Kinderasylen ist in weiterem
Umfange als bisher die Möglichkeit zu schaffen, der in früher Jagend be¬
sonders grossen Gefahr einer tuberkulösen Infektion vorzubeugen.
7. Es ist darauf hinzu wirken, dass tuberkulöse Personen solchen Berufen und
Beschäftigungen ferngehalten werden, welohe die Gefahr einer Ueber-
766
Au Versammlungen and Vereines
tragung der Krankheit besonders naheliegend erseheinen lassen, s. B. dem
Seemannsbernfe, der Beschäftigung in stanbersengenden Betrieben, der
Beschiftignng in Verkaufsstellen von Nahrungsmitteln und dgl.“
An der Hand der Statistik wies Referent auf die ausserordentlich gross e
Zahl ron Todesfällen hin, welche lediglich der Tuberkulose sur Lut n legen
sind. Im Jahre 1900 sind im Deutschen Reiche 112000 Personen an Tuber*
kuloee der Lungen und 10000 Personen an solohe anderer Organe gestorben,
während z. B. nur 66000 Todesfälle durch Diphtherie yerunaeht worden
sind. Diese Ziffern bleiben noch weit hinter der Wirklichkeit zurück, da du
nrseit nicht alle der Tuberkulose sar Lut fallenden Todesfälle statistisch
su fassen vermag. Jeder zehnte Todesfall wird durch Tuberkulose yerunaeht.
Am schwersten wird du erwerbsfähige Alter (15. bis 60. Lebensjahr) von der
Krankheit betroffen, auf du zwei Drittel aller Todesfälle an Tuberkulose ent*
fallen. Von den Erwerbsfähigen geht nahezu der dritte Teil aller überhaupt
Verstorbenen an Tuberkulose mittelbar oder unmittelbar zugrunde. Mit dem
zunehmenden Lebensalter steigt die Häufigkeit der tuberkulösen Infektion.
Unter 1400 obduzierten Leichen von Leuten Aber 30 Jahren fand Nägeli in
Zürich keinen einzigen Fall ohne frische oder geheilte tuberkulöse Verände¬
rungen und im städtischen Krankenhause in Dresden sind bei 91°/» aller ver¬
storbenen Erwachsenen tuberkulöse Veränderungen festgestellt.
Obwohl seit der Entdeckung des Tuberkelbacillus erst zwanzig Jahre
vergangen sind, lässt sich jedoch in allen Ländern schon eine unverkennbare
Abnahme der Tuberkulose verzeichnen. Im Grossherzogtum Hessen ist z. B. die
Tuberkulosen-Sterblichkeit von 3,35°/oo auf 2,4°/oo der Lebenden gesunken; ein
Erfolg, der nicht nur auf die Verbesserung der Lebensbedingungen und
Wohnungsverhältnisse zurttokzuführen ist, sondern vor allem auch auf die durch
Warnungen, Belehrungen usw. sich immermehr unter der Bevölkerung, nament¬
lich der städtischen, verbreitende Erkenntnis, dass die Tuberkulose eine über¬
tragbare Krankheit ist, gegen die man sich schützen kann.
Neben den allgemeinen Massnahmen, die insbesondere Besserung der
Wohnungs- und ErnährungsverhältniBse, Erziehung zur Reinlichkeit usw. im
Auge haben müssen, ist der Kampf gegen den Bacillus selbst nicht zu unter¬
schätzen. Deshalb darf anch der Wert der Lungenheilstätten nicht su gering
geachtet werden, in denen die Kranken eine wertvolle hygienische Schulung
erwerben und diese in das Volk hinaustragen. Schon von diesem Gesichtspunkte
aus sind die Heilstätten als ein bedeutsamer Fortschritt ansusehen; daneben
müssen aber auch Heimstätten, Asyle, besondere Abteilungen in
Krankenhäusern zur Aufnahme von solchen Kranken geschafft werden, die
nicht für die Heilstätten geeignet sind oder ihre Umgebung gefährden. Mit
Recht betont der Referent den Wert der frühzeitigen Diagnose der Tuber¬
kulose, die, da es den Aerzten häufig an Zeit und den erforderlichen In¬
strumenten mangelt, durch unentgeltliche Untersuchung verdächtiger Sputa in
geeigneten bakteriologischen Untersnehungsstellen erleichtert werden müsste,
ähnlich wie dies in Belgien durch die Provinziallaboratorien sowie in einzelnen
preussischen Reg.-Bezirken, z. B. in Halle für den Reg.-Eez. Merseburg, und
verschiedenen deutschen Bundesstaaten (Zentralanstalt für öffentliche Gesund¬
heitspflege in Dresden usw.) geschieht.
Von nicht minder grosser Bedeutung für die Bekämpfung der Tuber¬
kulose ist die Anseigepflicht, die Referent in beschränktem Masse (s. die
Leitsätze II, 2a—c) für notwendig und durchführbar hält; dasselbe gilt betreffs
der Desinfektion, auf deren erfolgreiche Durchführung aber nur dann ge¬
rechnet werden kann, wenn die Kosten aus öffentlichen Mitteln getragen werden.
Bezüglich der von Koch angeschnittenen Frage über die Identität
der Menschen- und Rindertuberkulose liegt zurzeit jedenfalls noch
ein non liquet vor. Es müssen erst umfangreichere Untersuchungen ange¬
stellt werden, ehe an eine Revision derjenigen Massnahmen heran getreten
werden kann, die eine Verhütung der Uebertragung der Rinder - Tuberkulose
im Auge haben.
Nachdem Referent noch eingehend die I sol ier u n g der K ranken in den
Wohnungen sowie den Schutz der Gesunden, namentlich der Kinder, deren
Entfernung aus derartigen Wohnungen erörtert und auf die Errichtung von
Säuglingsheimen, Kinderasylen hingewiesen hatte, um jene in früher
Ans Versammlungen and Vereinen.
767
Jagend gegen die Ansteckungsgefahr sn sichern, schloss er mit dem Wunsche,
dass der Verein die Bekämpfung der Tuberkulose ebenso energisch und er¬
folgreich in die Hand nehmen möge, wie er dies dem Wohnungselend gegenüber
getan habe I
In der sich anschliessenden, verhältnismässig lebhaften Debatte fordert
Dr. Petruschky, Direktor des bakteriologischen Instituts in Dansig, die
Errichtung wissenschaftlicher Untersuchungsstationen, die nicht nur die Unter¬
suchung des Auswurfs, sondern auch die Frühdiagnose mit Tuberkulin zu hand¬
haben verstehen. Die städtischen Gemeinden sollten ausserdem die armen-
ärstliche Fürsorge für die Tuberkulösen zu zentralisieren suchen, um den
tuberkulösen Seuoheherden energischer als bisher zu Leibe za gehen. Hit den
sanitätspoliseisichen Forderungen des Beferenten kann sich dieser Bedner nur
einverstanden erklären, während sich der folgende, Beigeordneter Lehwald-
Duisburg, davon nichts verspricht und mehr durch eine geeignete Erziehung,
Belehrung, namentlich durch die Aerste, zu erreichen glaubt. iMbesondere
empfiehlt er eine geeignete freiwillige Wohnungspflege, durch welche das Ver¬
bleiben der Kranken in der Pflege ihrer Familie ermöglicht wird und sieh ihre
zu lange Unterbringung in den Krankenhäusern erübrigt. Sanitätsrat Dr.
Altschul-Prag wendet sich gegen die heutige Medizinalstatistik, die zu
weitgehenden und unberechtigten Schlüssen führe und gerade mit Rücksicht
auf die zu ergreifenden vorbeugenden Massregeln im Stich lasse. Nicht
die Tuberkulose habe abgenommen, sondern die allgemeine Sterblichkeit. Für
die Bekämpfung der enteren müsse der Hauptwert auf Sauberkeit in den
Wohnungen uw. gelegt werden. Auch Dr. Wolff-Beiboldsgrün bezeichnet
die Ergebnisse der Statistik als zweifelhaft und hofft von der Anerziehung der
Jugend mehr Erfolg als von der Heilstättenbehandlung. Nachdem sodann Ober¬
bürgermeister Schmidt-Erfurt einige Mitteilungen über die Ergebnisse der
dort seit 1897 eingeführten unentgeltlichen Untersuchungen des Auswurfs
Tuberkulöser und über die Ausführung der Zwangsdesinfektion nach Todesfällen
infolge von Tuberkulose gemacht hat, betont Geh. Ob.-Med.-Bat Dr. Kirchner-
Berlin, dass die Statistik des Kaiserl. Gesundheitsamtes betreffs des BUck-
gangs der Tuberkulosesterblichkeit als einwandsfrei anzusehen sei; zur Zeit
fange die letztere aber wieder an, langsam zu steigen. Durch Besserung der Er¬
ziehung des Volkes die Tuberkulose hauptsächlich bekämpfen zu wollen, sei ein
aussichtsloses Unternehmen in anbetracht der vielfach herrschenden traurigen
Familienverhältnisse. Auch hygienische Belehrungen, Vorträge usw. haben
bisher wenig Erfolg gehabt; zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse werde
in Preussen ein Wohnungsgesetz geplant. Der Forderung der Anzeigepflicht
stimmt Bedner voli zu, ohne diese sei nichts zu machen. Bedenklich erscheine
nur die ausschliessliche Beschränkung auf die Aerste, da diese dann
vielfach nicht zugezogen würden und der Kurpfuscherei Tür und Tor geöffnet
werde. Die Desinfektionspflicht müsse dauernd während der ganzen Krankheit
gefordert werden. Mit den Heilstätten allein könne man nicht durchkommen,
wenn sich auch ihr Nutzen nicht verkennen lasse. Die Hauptsache sei, die¬
jenigen Leute unschädlich zu machen, die für ihre Umgebung gefährlich sind.
In der weiteren Debatte bemängelte Bürgermeister Job an sen-Minden,
dass die Erfolge der Heilstätten in der Presse grösser angegeben würden, als
sie in Wirklichkeit seien, und dadurch die öffentliche Meinung irre geführt
würde. Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Löffler-Greifswald trat warm für die
Gründung von Heimstätten statt Heilstätten ein; Prof. Dr. Hahn-München wies
darauf Mn, dass die Schulärzte ihren Einfluss auf die Berufswahl bei Kindern
um tuberkulösen Familien geltend machen sollten; Prof. Dr. v. Esmarch
betonte die Notwendigkeit unentgeltlicher Wobnungsdesinfektion gerade mit
Rücksicht auf die Bekämpfung der Tuberkulose. In seinem SchlMBWort sprach
der Referent seine Freude darüber auB, dass seine Ausführungen und Vor¬
schläge allseitige Zustimmung gefunden hätten. Er begründe darauf die Hoff¬
nung, dass sie nicht ohne segensreiche Früchte bleiben würden!
III. H 7 glenische Einrichtungen der Gasthäuser und
Schankstätten.
Der Referent, Reg.- u.Med.-Bat Dr. Bornträger-Düsseldorf, führte
zunächst aus, dass auf dem Gebiete der Gasthofshygiene auffallender Weise
bisher nur verhältnismässig wenig und eigentlich nur nebenbei durch gesetz-
768
Aas Versammlungen and Vereinen.
liehe Bestimmungen, Polizei Verordnungen asw. geschehen sei, die in erster Linie
sitken-, Verkehrs- and feuerpolizeiliches Interesse im Aage hätten. Wenn anch
die Verhältnisse in den Gasthäusern äasserst verschieden seien, je nachdem es
sich am eia fashionables Hotel der Grossstadt oder am ein einfaches Dorf-
Wirtshaus handele, so müssten doch in hygienischer Hinsicht bestimmte and
für alle geltenden Anforderungen gestellt werden, um den dnrch die Eigen¬
tümlichkeiten im Wirtschaftsleben für die Gäste wie für das Personal beding¬
ten gesundheitlichen Gefahren mit Erfolg entgegenzatreten. Referent wies
insbesondere unter Anführung von Beispielen hin aaf die Gefahren der Uebertra-
gong ansteckender Krankheiten dnrch die Gäste aaf andere Gäste, die Wirte
and deren Familie sowie aaf das Personal, ferner aaf die gesundheitlichen Ge¬
fahren der Gäste darch verdorbene Nahrangsmittel asw. Er besprach dann
eingehend an der Hand der von ihm anfgestellten Leitsätze (s. nachstehend)
die hygienischen Einrichtungen, die in Gasthäusern und Schankstätten gefordert
werden müssten and von deren Herstellung die Konzessionserlaubnis abhängig
gemacht werden sollte. Insbesondere betonte er die Notwendigkeit einer
einwandsfreien and reichlichen Wasserversorgung, sowie ausreichender Bade-
einrichtangen für die Gäste sowohl, als für das Personal; desgleichen erörterte
er eingehend die in Bezag aaf die Beseitigung der Abfallstoffe, bauliche Ein¬
richtung der Gasthäuser asw. za stellenden Forderungen, indem er gleichzeitig
das bisher aaf diesem Gebiete teils durch behördliche Anordnungen, teils durch
eigenes Vorgehen einsichtiger Wirte Erreichte hervorhob. Darch Mithalte der
Gäste selbst kOnne gerade hier viel erreicht werden, da viele Wirte in ihrem
eigenen Interesse nicht abgeneigt sind, den gegebenen Anregungen Folge zu
leisten. Referent schliesst seine vortrefflichen Ausführungen mit dem Wunsche,
dass dies künftighin in noch grösserem Masse als bisher der Fall sein ncOge.
Die von ihm aufgestellten Leitsätze hatten folgenden Wortlaut:
„1. Gasthäuser und Schankstätten, nötige and nützliche Anstalten des
öffentlichen Verkehrs, bedingen zafolge der Eigentümlichkeiten des Wirtschafts¬
lebens leicht gewisse besondere gesundheitliche Gefahren für die Gäste, daneben
aaoh für das Personal und für weitere ßevölkerungskreise (Uebertragnng an¬
steckender Krankheiten, Verursachung sonstiger Erkrankungen, Gesundheits-
schädigangen, Belästigungen und Störungen des seelischen and körperlichen
Wohlbefindens).
2. Es sind daher hygienische Einrichtangen am Platze, so namentlich:
a) Versorgung der ganzen Wirtschaft mit reichlichem, zu jedem Zwecke
der Körperpflege and Haashaltang geeigneten, infektionssicherem Wasser
and seine bequeme Bereitstellung für Gäste, Personal und gesamten
Betrieb.
b) Vorkehrungen für eine beqaeme, belästigangslose, unschädliche Beseiti¬
gung sämtlicher Abfallstoffe.
c) Zweckentsprechende and gesandheitsmässige Anlage, Bauart and Ein¬
richtung der ganzen Wirtschaft.
d) Geordneter, sauber and gesundheitsgemäss dnrcbgefflhrter Betrieb.
e) Gesunde Verpflegung ohne Trinkswang.
f) Gesundheitliche Fürsorge für das Personal.
g) Gehörige Berücksichtigung der im Hanse aaftretenden, insbesondere an¬
steckenden Krankheiten.“
h) Massnahmen gegen mit dem Wirtschaftsverkehr gelegentlich verbundene
Auswüchse auf moral- and sozialhygienischem Gebiet.
3. Manche dieser hygienischen Einrichtungen sind vorgeschrieben, manche
hier and da von einsichtigen Wirten aas eigenem Antrieb eingefübrt; im all¬
gemeinen ist ein grösseres praktisches Interesse znr Sache dringend za
wünschen; and der vorsichtige Besucher von Gasthäusern and Schankstättes
wird znm Schatze seiner Gesundheit gewisser privater hygienischer Mass¬
nahmen nicht entraten wollen.
Der Vortrag gab nur za einer kurzen Debatte Veranlassung.
(Fortsetsang folgt.) Rpd.
Ans Versammlungen nnd Vereinen.
769
Bericht über die 75. Versammlung Deutscher Natur¬
forscher und Aerzte ln Kassel rem Septbr. 1903.
Ueber den Verlauf der Versammlung kann man im allgemeinen
sagen, dass er ein sehr gelungener war. Nicht nur klappte alles in der Organi¬
sation tadellos, sondern es wurde auoh das überreiche wissenschaftliche Pensum
(über 500 Vorträge) glatt erledigt, und nicht zum wenigsten kamen, begünstigt
von einem selten schönen Wetter, die festlichen Veranstaltungen zu
ihrem Rechte.
I. Allgemeine 8itaungen.
Die allgemeinen Sitzungen worden am Montag, den 21. September,
mit einem Vortrag von Prof. Dr. Ladenburg-Breslau: „Einfluss der Natur¬
wissenschaften auf die Weltanschauung“ eröffnet, der ohne wesentlich neue
Gesichtspunkte zu bringen, doch an der Stelle und in der Form, wie er gehalten
wurde, nicht nur lokal, sondern auch ausserhalb viel Aufsehen erregt hat.
Sodann sprach Prof. Dr. Ziehen-Utrecht, jetzt in Halle a. S., Uber
„Physiologische Psychologie der Gefühle und Affekte“. Redner führte aus,
dass beim Studium seelischer Vorgänge die gewöhnlichen Hilfsmittel (Analyse
und Synthese) naturwissenschaftlicher Forschung versagen, weil die Er¬
scheinungen gar zu fliessende seien. Man hat sich einstweilen vielfach mit
Definitionen geholfen, die aber nicht als Mittel zur Erforschung dienen können.
An Beispielen zeigt er dann, dass zum Zustandekommen einer bewussten Vor¬
stellung, z. B. zur Apperzeption eines Bildes nötig sind: der äussere Reiz, die
Erregung der Hirnrinde nnd der seelische Prozess des Sehens. Diese drei
Parallelreihen bilden auch die Grundlage, auf welcher die Affekte studiert
werden müssen. Während aber über den äusseren Reiz vieles bekannt ist, ist
dies Uber den gefühlserregenden Prozess der Hirnrinde nicht der Fall.
Die Theorie, nach der die Vorstellungen und Empfindungen im Gehirn
an und für sich affektlos sind und sämtliche Affekte nur sekundären Erregungen
entspringen, ist ebenso wenig haltbar als die auf Darwinistischer Grund¬
lage beruhende Bilanztheorie des Gehirns. Ueberwiegen die Einnahmen des
Gehirns, so soll Lust, überwiegen die Ausgaben, so soll Unlust vorhanden sein.
Diese Theorie lässt uns indes über den gefühlserregenden Prozess völlig im
Dunkeln und wird durch die Beobachtung nicht bestätigt; bei Erschöpfungs-
psychosen, bei denen doch sicher eine Unterbilanz vorhanden ist, kommen ab¬
norm heitere Zustände vor. Ziehen selbst weist darauf hin, dass alle Ge-
fühlsvorgäuge und Affekte auf Erregungen der Hirnrinde beruhen und stets
mit Vorstellungen und Empfindungen verknüpft sind. Demnach sind die Affekte
keine selbständigen Aeusserungen des Seelenorgans, sondern der gefühlserregende
nnd der die Vorstellungen erzeugende Prozess stehen zu einander in Beziehungen.
Um diese Beziehungen zu einander zu erforschen, bat man einerseits die Re¬
aktionszeit nach Hervorrufen positiver und negativer Affekte bestimmt uni ge¬
funden, dass positive Affekte den Vorstellnngsablauf beschleunigen, negative
verlangsamen. Anderseits aber liess sich auch feststellen, dass ein Zusammen¬
hang zwischen dem Grade der Erregbarkeit der Hirnrinde und den Affekten
nicht nachweisbar war, so dass Ziehen zu dem Schlüsse kommt, dass die Ver¬
änderung der Entladungsbereitschaft das wesentliche Moment für das Zustande¬
kommen der Affekte bildet. Die Entladungsbereitschaft bei positiven (Lust)
Affekten ist erhöht, bei negativen (Unlust) herabgesetzt. Inwieweit diese Vor¬
gänge mit der Beschaffenheit der Hirnzellen Zusammenhängen, müsse erst noch
festgestellt werden..
In der zweiten allgemeinen Sitzung am Freitag, den 25. Sep¬
tember, sprach zuerst Prof. Dr. N. Griesbach- Mühlhausen über den „Stand
der Schulhygiene“. Aus einer sehr umfassenden Nachfrage hat Redner reiches
Material gesammelt, das sich im Rahme • eines kurzen Referates nicht ausführ¬
lich wiedergeben lässt. Er fordert Anstellung von Schulärzten an allen Scbnlen,
auoh an. den höheren, und hält es für möglich, dass ein Schularzt 1200—2000
Kinder überwachen kann, ohne dass dadurch die nötigen saebgemässen Unter¬
suchungen leiden. Er weist ferner auf den Zweck nnd den Nutzen der Schul¬
ärzte nicht nur für die Schule, sondern auch für die Allgemeinheit hin. Bei
der Hygiene des Unterrichts fordert G. wesentliche Herabsetzung der Anforde¬
rungen, namentlich in den höheren Anstalten, durch Verminderung des Lehr-
770
Ans Versammlungen und Vereinen.
stoffee; er weint an Beispielen besonders ans Frankreich nach, dass dies sehr
wohl mBglieh ist; sa seinen Forderungen gehört n. a. die Abschaffung der
Abitorientenprüfung and eine bessere Einteilung des Schuljahres.
Zum Schluss hielt sodann Geh. Bat Prof. Dr. y. B e h r i n g, Exz. (Marburg)
seinen Vortrag „Ueber Tuberkulosebekämpfung“. ▼. Behring geht von
seinen Untersuchungen am Bindrieh ans und stellt fest, dass in allen gro s sere n
Bindriehbeständen fast sämtliche ältere Tiere auf Tuberkulose reagieren. Diese
Tatsache wurde durch die Untersuchung mehrerer Tausdend Binder erwiesen
und ist auch andernorts bestätigt worden. Dabei hat sich ausserdem heraus¬
gestellt, dass einzelne Viehrassen der Infektion nicht so ausgesetzt sind als
andere. So berechnet s. B. r. Behring, dass das Vogelsburger Bind noch
ror etwa 12 Jahren in der Hauptsache tuberkulosefrei war und dass der
Prozentsatz an Tuberkulose erkrankter Tiere bei derselben Basse noch heute
um das vielfache geringer ist, als bei den andern, in Hessen einheimischen
Bassen. Voraussichtlich aber würde dies günstige Verhältnis bereits in zehn
Jahren verschwunden sein, falls nicht Vorkehrungen getroffen würden, hier Ein¬
halt zu tun.
Das bisher geübte Bangsohe Verfahren der Tuberkulosetilgung beim
Bindvieh ist indes sehr umständlich und kostspielig; es lässt sieh auch nur
auf grosseren Gütern durchführen. Es bedeutet demnach das v. Behring an¬
gegebene Schutzimpfangsverfahren in jeder Hinsicht einen bedeutenden Fort¬
schritt. Die einschlägigen Versuche wurden zunächst in der Provinz und dem
Grossherzogtum Hessen, später auch ausserhalb derselben angestellt; ea int
durch dieselben vor allem die Unschädlichkeit des Verfahrens nachge wiesen
worden. Die ganze Arbeit wurde anfangs durch v. Behring und seinen Assi¬
stenten (B 0 m e r) allein ausgeführt und der Impfstoff unentgeltlich abgegeben,
indes ist das beim jetzigen Umfang nicht mehr möglich und v. Behring hat
den Vertrieb des Impfstoffes der Firma Dr. Siebert und Dr. Ziegenbeiu
in Marburg übertragen. Nachdem v. Behring noch gegen Neufeld mit
seiner Arbeit aus dem Kochschen Institut: „Ueber Immunisierung gegen
Tuberkulose“ wegen der Priorität polemisiert hat, stellt er die Uebereiu-
stimmung in den Besaiteten der Versuche von Koch und seinen eigenen lest
und kommt zu dem Schlosse, dass „die Ausrottung der Bindertuber-
kulose nur noch eine Frage der gewissenhaften und technisch
einwandsfreien Ausführung der Schutzimpfungen“ sei.
Die Studien über die Frage, ob ein Schutz nur dann erreieht werde,
wenn der Organismus ähnlich wie bei den Pocken mit einem typischen Bat-
zündungsprozess reagiert hat, sowie über die Frage der Immunitätsvererbung
seien noch nicht beendet. Anscheinend aber werde die letztere nicht von der
Mutter auf das Kalb direkt vererbt, wie aus den Versuchen an einer hoch-
immunisierten Kuh hervorgeht, sondern das Kalb erwerbe die Immunität ent
durch die Milch der Matter. Ob nun auf diesem Wege sich eine Immunmilch
erzeugen lasse, ob und wie deren Gestalt an Scbutzstoffen gesteigert und
ob eine solche Milch zur Tuberkulosebekämpfung beim Menschen verwertet
werden kOnne, sei bis jetzt noch nicht mit Sicherheit zu sagen, indes hegt
v. Behring die begründete Hoffnung,dass auf diese Weise ein Mitte
gefunden werde, welches alle bisherigen im Kampfe gegen
Tuberkulose hinter sioh lasse. Vorsichtige Versuche in diesem 8iane
seien bereits im Gange, doch sei die Abgabe solcher Milch an andere einst¬
weilen noch unmöglich.
Darauf wendet sioh der Redner zu einer Besprechung der Grundlagen,
auf denen sein Verfahren aufgebaut ist. Er geht zuerst auf die Frage ein,
welche Beziehungen zwischen den TuberkelbaziUen, die vom Menschen und vom
Binde stammen, bestehen, und kommt anf Grund der vorliegenden Tatsache*
zu dem Resultat, dass beide Erreger „artgleioh“ (im Darwinschen Sinne)
seien und nur durch das längere Verweilen im Menschen bezw. Tierkörpen
die im Experiment nachweisbaren funktionellen Unterschiede bezüglich der
Virulenz erworben haben, Unterschiede, die sich jedenfalls nach v. Beh¬
rings Ansicht duroh Züchtungsversuche wieder verwischen lassen würden.
Dabei soheint nach den bisherigen Beobachtungen schon jetzt festzustehen, dam
die Taberkelbazillen des Bindes virulenter auch für den Menschen sind als dis
des Menschen.
Aas Versammlungen and Vereinen.
771
Bedner erwähnt alsdann die ungeheure Verbreitung der Tuberkulose
beim Menschen, besonders in dichtbevölkerten Besirken, Uber deren Umfang
man erst seit der Entdeckung des Tuberkelbacillns durch Ko eh nnd des Tm
berkalins einen Ueberblick habe. N&geli (Zürich) fand, dass simtliche
Leichen von Personen, welche nach dem 80. Lebensjahre starben, Zeichen von
Tuberkulose erkennen liessen, während sich solche fanden bei Verstorbenen im
Alter
▼on 18—80 Jahren in 96 */ 0 der Fälle,
. 14-18 „ ,60 •/. , ,
, 6—14 , , 88 1 /* # /o ,
1—6
und Leichen von Kindern unter 1 Jahr deutliche Erkrankungen vermissen
liessen.
Die Zahlen werden völlig bestätigt durch die Tuberkuliniqjektionen am
Lebenden. Diese Verbreitung der Tuberkulose aber lässt nach v. Behring
die Möglichkeit der Ausrottung durch Absperrungsmassnahmen in dichtbe¬
völkerten Bezirken ganz illusorisch erscheinen. Ebenso sei von den bisherigen
Mitteln zur Schwindsuohtsbekämpfnng nicht allzuviel zu halten; die Heilstätten
sollten als Heimstätten für hustende Phthisiker — also als Qnarantäneorte —
benutzt werden.
Glücklicherweise deckt sich indes der Begriff der tuberkulösen Infektion
nicht mit dem der tuberkulösen Sehwindsucht. Bei der Frage nach der Ent¬
stehung der letzteren behauptet v. Behring zunächst, dass bis jetzt nirgends
einwandsfrei bewiesen sei, dass bei einem ausgewachsenen Menschen jemals
Lungenschwindsucht in Folge einer unter gewöhnlichen Verhältnissen ver¬
kommenden Infektion mit Bazillen entstanden sei. Er begründet diesen Satz
damit, dass bei der Verbreitung der Tuberkulose ob niemals von der Hand zu
weisen sei, dass in denjenigen Fällen, in welchen die Infektion anscheinend später
auftritt, nicht doch schon ein tuberkulöser Herd vorhanden war, der nnr durch
irgend welche anderen Einflüsse in floride Phthise Uberging. Er will damit
keineswegs die Infektion Erwachsener leugnen, sondern er behauptet nur, diese
führe nicht zur typischen Lungenschwindsucht. Wenn durch Erwachsene von
tuberkelbasillenhaltigem Staube oder Tröpfchen eine Lungenschwindsucht ent¬
steht, so sei diese Infektion stets nur eine „additioneile“ gegenüber der bereits im
Kindesalter erfolgten. Nach v. Behrings tierexperimentellen Untersuchungen
entstehen die für menschliche Lungenschwindsucht charakteristischen Gewebs¬
veränderungen stets erst durch eine „weitgehende und lang dauernde Um¬
stimmung der vitalen Apparate des Gesamtorganismus —* also durch eine
Art „Dyskrasie“. Nach seinen Beobachtungen an Ziegen, die er zunächst
mässig immunisiert nnd denen er alsdann starkes Virus in die Blutbahn
spritzte, wodurch dann typische Lungenschwindsucht entstand, sei die Gewebs¬
zerstörung bei der menschlichen Lungentuberkulose der Ausdruck für die In¬
fektion bei einem Individuum, das durch eine frühere Tuberkuloseinfektion
weniger widerstandsfähig geworden sei; die spätere Infektion könne dann auf
eine Inhalation znrüokgeführt oder als eine Art Antoinfektion besw. Metastase
aufgefasst werden. Jedenfalls sei der Hauptwert auf die im frühen Alter
erworbene Taberkuloseinfektion zu legen.
Bezüglich der Vererbu ng der Tuberkulose ist er der Ansicht, dass weder
eine congenitale, noch prägenitale, d. h. elterliche oder weitersurückliegende
Vererbung, sondern nur die postgenitale in Betracht kommen d. h., dass in
den Familien, in welohen Schwindsucht anscheinend erblich ist, die Infektion
erst nach der Geburt erfolgt und zwar sei „die Säuglingsmilch die
Hauptquelle für die Entstehung der Schwindsuoht“. Wenn
auch in der Begel dem 8äugling nur gekochte Miloh verabreicht werde, und
wenn auoh die Mutter- und Ammenmiloh sehr keimarm seien, so sei der Grund
für obige Behauptung in der Tatsache zu suchen, dass dem Säuglingsdarme
die Schutzvorrichtungen fehlen, welche beim Erwachsenen das Eindringen von
Krankheitserregern in die Gewebssäfte verhindern. Als Beleg hierfür führt er
an, dass genuine Eiweisskörper im Darme Erwachsener erst in Peptone ver¬
wandelt und als solche in die Gewebssäfte ttbergeführt werden, während sie
im Darm des Säuglings durchgelassen werden und als solche im Blute er¬
scheinen, s. B. die in Diphtherie- und Tetanusautotoxin als genuines Eiweiss
772
Besprechungen.
enthaltenen Heilkörper. In derselben Weise verhalten sieh anch die Bakterien,
nnd experimentell konnte der Beweis erbracht werden, dass nicht nnr diese,
sondern auch davon giftige Stoffwechselprodnkte den Säuglingsdarm ungehindert
passieren, während dies beim Darm des Erwachsenen nicht der Fall ist. Der
erstere entbehrt nämlich zum Unterschied gegen den letzteren eine zusammen¬
hängende Epitheldecke, auch sind die fermentabsondernden Drüsenschläuche im
Säuglingsdarm noch wenig entwickelt; deshalb hält v. Behring nach seinen
Untersuchungen daran fest, dass die Entstehung der Lungentuberkulose beim
Menschen einer intestinalen Infektion in sehr jungen Lebensjahren ihren Ur¬
sprung verdankt, und zwar sei die Quelle der intestinalen Infektion die Säug¬
lingsmilch.
Hieraus aber ergeben sich im übrigen eine Anzahl Gesichtspunkte,
welche bei der Bekämpfung der Tuberkulose zu berttcksichtigen seien. Vor
allen Dingen mttsse die Ernährung der Säuglinge mit tuberkelbazillenfreier
Milch, die Absonderung der Kinder von hustenden Geschwistern gefordert
werden. Dabei müssten die Säuglinge und Kinder besonders dann vor der
Infektion mit Tuberkelbazillen geschützt werden, wenn, wie z. B. bei den akuten
Exanthemen der Darm seiner schützenden Decke beraubt wird. Bei temporären
Exarbationen tuberkulöser Prozesse sei deshalb auch auf die Ernährung ein
ganz besonderes Gewicht zu legen; wahrscheinlich sei ein Teil der Erfolge
in den Lungenheilstätten auf diese Massnahmen zurückzuführen.
v. Behrings Bestrebungen in bezug auf die Tuberkulosebekämpfung
gehen darauf hinaus, den Menschen in frühem Alter, ähnlich wie bei der
Impfung gegen Pocken, immun gegen Tuberkulose zu machen, wodurch alle
Lunge&heil- und Heimstätten überflüssig werden würden und eine Ausrottung
der Tuberkulose möglich sei. Dr. M e d e r - Cassel.
(Fortsetzung folgt.)
Besprechungen.
gammlang äxxtUoher Obergutachten. Aas den „ Amtlichen Naobrichten
des Reichs - Versichernngsamts“; 1897—1902. I. Band der Buchausgabe.
Berlin 1903. Verlag von A. Ascher & C. Quartformat. 200 Seiten.
Durch Abdruck euer Anzahl der in den „Amtlichen Nachrichten des
Reichs-Versicherungsamts“ seit dem Jahre 1897 veröffentlichten Obergutachten
in dieser Zeitschrift haben die Leser den grossen Wert derselben für die ärst-
liehe Sachverständigentätigkeit kennen nnd schätzen gelernt. Die jetzt vor¬
liegende Bachausgabe, die 60 solcher Obergutachten enthält, wird daher sicher¬
lich vielen willkommen sein; denn sie betreffen gerade die wichtigsten und
vielfach auch die strittigsten Fragen auf dem Gebiete der versicherungsrecht-
liehen Medizin. Rpd.
Dr. B. v. Krafft-Ebing, weiland K. K. Hofrat und o. o. Professor der
Psychiatrie u. Nervenkrankheiten in Wien: Lehrbuch der Psychiatrie.
Auf klinischer Grundlage für Aerzte und Studierende. 7. vermehrte und
verbesserte Auflage. Stuttgart 1908. Verlag von Ferd. Enke. Gr. 8°;
664 8. Preis:
Wohl wenige Autoren haben eine so reiche litterarische Tätigkeit auf
ihrem Spezialgebiete entfaltet und so viel Anerkennung in den weitesten
Kreisen gefunden, wie der leider vor noch nicht Jahresfrist viel zu früh ans
dem Leben geschiedene Verfasser. Die vorliegende Ausgabe ist gleichsam sein
Schwanengesang gewesen; er hat sie noch kurz vor seinem Tode drnckfertig
der Verlagsbuchhandlung eingesandt, und mit Wehmut wird sie von seinen
vielen Freunden in die Hand genommen werden, die in ihn mit Recht den
Meister auf psychiatrischem Gebiete sehen. Aus allen Kapiteln leuchten uns
die grossen Vorzüge seiner Darstellungsgabe hervor: klare nnd verständliche
Sprache, übersichtliche Ordnung des wissenschaftlichen Materials unter Hervor¬
hebung alles dessen, was das überaus schwierige Gebiet der Psychiatrie mehr
oder weniger als gesicherten Bestand anfweist, sowie unter Vermeidung von
theoretischen Erörterungen und Hypothesen, die gerade hier einen fruchtbaren
Besprechungen.
773
Boden finden nnd nur zu leicht znr Verwirrung führen. Auch das stark subjektive
Gepräge, die das Lehrbuch an sich trägt, kann Beinen Wert ffir den Leser nur
erhöhen; denn es trägt nioht zum kleinsten Teil dasn bei, dass die Ausführungen
des Verfassers, insbesondere auch die dargebotenen, aus langjähriger, reicher
Erfahrung geschöpften Krankheitsbilder in so scharfer nnd überzeugender
Weise hervortreten.
Die Einteilung und Bearbeitung des Stoffes ist in der neuen Auflage
dieselbe geblieben wie in den früheren, den Erweiterungen des psychiatrischen
Wissens jedoch bei den einzelnen Abschnitten überall Rechnung getragen, so
dass sich das Lehrbuch sicherlich in seiner neuen Gestalt recht viele neue
Freunde erwerben wird. _ Rpd.
Dr. A. Gramer, o. ö. Professor für Psychiatrie nnd Nervenheilkunde in
Göttingen: Gerichtliche Psychiatrie. Ein Leitfaden für Mediziner nnd
Juristen. Dritte umgearbeitete und vermehrte Auflage. Jena 1908. Verlag
von G. Fischer. Gr. 8°. 396 S. Preis: 7 Mark.
Die grossen Vorzüge des Crame rächen Leitfadens sind bereits bei dem
Erscheinen der früheren Auflagen in dieser Zeitschrift hervorgehoben worden;
sie haben jedenfalls dazu beigetragen, dass die zweite Auflage ebenso wie die
erste in verhältnismässig kurzer Zeit vergriffen gewesen ist, der beste Beweis
für die grosse Brauchbarkeit nnd ausserordentliche Beliebtheit des Werkes.
In der jetzt vorliegenden Auflage hat sich der Verfasser bemüht, den Inhalt
des Leitfadens zu erweitern, ohne dessen Umfang wesentlich zu vermehren;
gegenüber der Reichhaltigkeit des zu berücksichtigenden Materials, das be¬
sonders seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches ungemein ange-
schwollen ist, ist es jedoch nicht zu verwundern, wenn trotzdem der Umfang
des Buches um fast 100 Seiten angenommen hat. Gleichwohl hat es seinen
kompendiösen Charakter bewahrt und kann in seinem jetzigen Gewände nur
noch mehr den Anspruch auf Vollständigkeit und Berücksichtigung aller ein¬
schlägigen Gesichtspunkte machen, als in den früheren Auflagen. Den beteilig¬
ten Kreisen wird es besonders willkommen sein, dass die Vermehrung des
Leitfadens namentlich dem allgemeinen Teil nnd hier wieder denjenigen Ab¬
schnitten zu gute gekommen ist, die Bich mit den Beziehungen der Geistes¬
kranken zur Straf- und Zivilgesetzgebung sowie mit der ärztlichen 8achver-
ständigentätigkeit beschäftigen. Die betreffenden Abschnitte haben mehr oder
weniger eine vollständige Umarbeitung erfahren, bei der die neuere Recht¬
schreibung entsprechend berücksichtigt ist. Aber auch der zweite, spezielle
Teil hat mannigfache Aendernng und Bereicherung erhalten, namentlich gilt
dies betreffs der Abschnitte über die Formen der Paranoia, über Epilepsie nnd
Iutoxikationspsychosen, speziell infolge von Alkohol. So sind denn zu den
alten Vorzügen des Werkes viele neue hinzngekommen, zu denen auch derjenige
gehört, dass durchgängig der Zeugnisfähigkeit und den Grenzzuständen eine
besondere Aufmerksamkeit gewidmet ist. Wir können demnach das Lehrbuch
— denn ein solches ist es in der vollsten Bedeutung des Wortes, wenn der
Verfasser auoh die bescheidene Bezeichnung „Leitfaden" beibehalten hat —
nur wiederum aufs wärmste empfehlen. Rpd.
Dr. Iwan Blooh: Beiträge nur Aetiologle der Psychopathie
sexuelle. 2 Teile. Dresden 1903. Verlag von H. R. Dorn.
Mit vorliegendem Werke übergibt Verf. eine interessante und lesens¬
werte Studie über den Ursprung der verschiedenen Verirrungen des mensch¬
lichen Geschlechtstriebes. Nicht allein als Mediziner und Medizinbistoriker
geht er an seine Untersuchungen heran, er betrachtet die mannigfaltigen
Aberrationen auch mit dem „freieren und weiteren Blicke des Anthropologen
und Etheologen“. Der Begriff „Psychopathie sexual is“ ist für ihn nur der
Sammelname der sexuellen Anomalien ohne damit zugleich das psychopathische
ausdrücken zu wollen. So erscheinen ihm denn auch die vielen geschlecht¬
lichen Missgriffe zum grössten Teil als eine physiologische, allgemein mensch¬
liche Erscheinung und zum wenigsten als der Ausfluss krankhafter Degeneration.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen gibt Verf. zunächst eine Ueber-
sieht über die verschiedenen ätiologischen Momente der sexuellen Psychopathie.
774
Besprechungen.
Klima, Basse, Nationalität spielen in der Genesis jener Verirrungen eine Bolle.
Ebenso werden Lebensalter, Geschlecht, soziale Verhältnisse, Zivilisation, Be-
ligion, die verschiedensten individuellen Faktoren in ihren Beziehungen zu dem
Auftreten nnd der Verbreitung sexueller Anomalien eingehend betrachtet. Im
Einzelnen mnss hier auf die betreffenden Stellen des Werkes selbst verwiesen
werden. Nicht Überall wird man den Ansichten des Verfassers völlig beipflichten;
gar oft sind seine Schlüsse doch zu gesucht und zu weit herangezogen. Immerhin
aber bietet dieser Teil des Werkes des Interessanten recht viel und besonders
für die forensische Beurteilung dieser Auswüchse des menschlichen Geschlechts-
triebea nicht zu unterschätzende Gesichtspunkte.
Diese angeführten allgemeinen ätiologiBohen Faktoren in der Genesis
geschlechtlicher Anomalien bilden die Grundlage für eine spezielle Aetiologie
der Psychopathie sexualis.
Zunächst betrachtet Verfasser die spezielle Aetiologie der gleich¬
geschlechtlichen (griechischen, sokratisohen, lesbischen) Liebe oder der Homo¬
sexualität bezw. des Uranismus nnd der Tribadie.
Die Homosexualität ist nach den Untersuchungen Bloche keineswegs
so ausserordentlich verbreitet, wie zumeist gerade von den mit dieser Anomalie
Behafteten behauptet wird. Im Gegenteil nur einen ganz verschwindenden
Bruchteil der Bevölkerung bilden die Homosexuellen. Dabei ist die Anomalie
selbst nur in seltenen Fällen angeboren; zumeist handelt es sich um frühe
Verführung. Wir dürfen annehmen, dass die ersten Eindrücke und Beein¬
flussungen der vita sexualis von eingreifendster Bedeutung für die spätere
Gestaltung sein können. Gerade in der Kindheit empfangene Eindrücke, die
das Gebiet der vita sexualis betreffen, bleiben öfter fest haften, beeinflussen die
späteren sexuellen Begungen und imponieren dann als ursprüngliche, angeborene.
Des weiteren spielen für die Entstehung der H. alle jene Ursachen eine wich¬
tige Bolle, welohe eine unbezwingbare Abneigung gegen das Weib begünstigen,
als da sind eigene Hässlichkeit, Furcht vor venerischen Leiden etc. Dann aber
spielt, wie überhaupt bei den sexuellen Verirrungen, so auch beim Zustande¬
kommen der Homosexualität der „Reizhunger“, das Verlangen nach Variationen
eine grosse Bolle. In diesem Teile der Untersuchungen weicht Verfasser viel¬
fach von dem eigentlichen Thema ab. Er kommt zu Wiederholungen und zur
Besprechung von Dingen, die mit der speziellen Antiologie der H. nur sehr
lose Zusammenhängen.
Den Schluss des ersten Teiles bildet die Prophylaxe derH., die Möglich¬
keit sexueller Abstinenz; Verfasser empfiehlt eine Umänderung des § 175
St. G. B., ohne aber einen festen Vorschlag selbst zu machen.
Der umfangreichere zweite Teil des Werkes ist der speziellen Aetiologie der
sadistisch - masochistischen Erscheinungen und der komplizierteren GescUeohts-
verirrungen gewidmet. Die Betrachtungen sind hier in gleicher Weise durch¬
geführt wie im 1. Teil nnd lassen sich in Kürze schlecht zusammenfassen.
Im Ganzen muss „der Versuch“ des Verf. als gelungen bezeichnet werden,
und muss man wohl den Worten Prof. Eulenburgs in der mitgegebenen
Vorrede beipflichten, dass durch die Studie des Verf. die Frage nach dem Ur¬
sprung, der Physiogenese und Psychogenese der mannigfaltigen Formen geschlecht¬
licher Anomalien ihrer Lösung um ein grosses Stück näher gerückt wird.
Dr. Bump -Osnabrück.
Dr. Wehm er, Beg.- u. Med .-Bat in Berlin: Enzyklopädisches Haad-
buoh der 8ohulhyglene. Unter Mitarbeit von F. W. Büsing, Professor
bei der technischen Hochschule in Charlottenburg-Berlin und Prof. Dr. ph.
Krollick sowie vieler anderer hervorragender Fachmänner. I. Abt. mit
184 Abbildungen. Leipzig u. Wien 1903. Verlag von A. Pichlers Wittwe
& Sohn. Gr. 8°; 400 S. Preis: 10 Mark.
Enzyklopädische Handbücher erfreuen sieh bekanntlich in den beteiligten
Kreisen einer grossen Beliebtheit, da sie eine schnelle Informierung ermög¬
lichen, besonders wenn die einzelnen Artikel kurz und bündig, dabei aber doch
genügend erschöpfend nnd vor allem zuverlässig in bezug auf ihren Inhalt
abgefasst sind.. Diesen Vorzug besitzt das W eh morsche Hand ueb, von dem
jetzt der erste Teil vorliegt, in vollstem Masse. Es haben sieh hier hervor-
Besprechungen.
775
ragende Mediiinalbeamten, Schulärzte, Pädagogen, Bauhygieniker and sonstige
Fachspesialisten vereinigt, nm zutreffende and abgerundete Darstellungen ans
ihrem Spezialgebiete, soweit sie dasjenige der Schulhygiene berühren, zu bringen,
und der Herausgeber hat durch geschickte Auswahl der Stichworte und Ein¬
teilung des umfangreichen Stoffes dafür gesorgt, dass dieser durch die einzelnen
monographischen Artikel tatsächlich eine möglichst erschöpfende Behandlung
erfahren hat, soweit dies bei dem immerhin beschränkten Baum überhaupt
müglich war. Dabei besitzt das Handbuch den grossen Vorzug, dass es ein
Bild von dem gegenwärtigen Stand der Schulhygiene nicht nur in den deutschen,
sondern auch in den wichtigsten ausserdeutschen Staaten gibt, und dass die
betreffenden Artikel von Persönlichkeiten bearbeitet sind, die inmitten des
praktischen Lebens dieser Staaten als Schulmänner, Aerzte oder Verwaltungs-
beamte stehen und demgemäss das einschlägige Fachgebiet beherrschen. Bei
Ausarbeitung der einzelnen Artikel ist weiterhin sowohl dem pädagogischen
und schulärztlichen, als dem technischen und verwaltungsrechtlichen Stand¬
punkte gleichmässig Rechnung getragen, während mit Recht die rein medi¬
zinischen Fragen, abgesehen von den hauptsächlich für die Schule in Betracht
kommenden Krankheiten, weniger berücksichtigt sind, da ihre eingehende Er¬
örterung über den Rahmen des Handbuches und des Leserkreises, für den das¬
selbe bestimmt ist, hinausgehen würde.
Es würde zu weit führen, auf den Inhalt der einzelnen Arbeiten, denen
stets ein Verzeichnis der betreffenden Litteratur beigegeben ist, hier näher ein-
zugehen; den Referenten haben besonders interessiert die vorzüglichen Dar¬
stellungen über die schulbygienischen Verhältnisse in den einzelnen Kultur-
Staaten, die vielfach durch Grundrisse und Abbildungen von Schulbauten usw.
illustriert sind. Ueberhaupt ist das Werk mit zahlreichen und zum grössten
Teile ganz neuen Originalseichnungen usw. ausgestattet, die zur Erläuterung
des Textes in hohem Masse beitragen und seinen Wert ungemein erhöhen. Die
Verlagsbuchhandlung verdient daher eine besondere Anerkennung! Hoffentlich
findet das Handbuch, dessen zweiter Teil noch in diesem Jahre erscheinen soll,
in den beteiligten Kreisen, zu denen in erster Linie auch die Medizinalbeamten
und Sehulärzte gehören, eine recht weitgehende Verbreitung und wohlwollende
Aufnahme! _ Bpd.
Dm Sanit&tswesen den Preussisohen Staates. I. ln den Jahren
1898, 1899 and 1900; II. Im Jahre 1901. Im Aufträge 8e. Exellens
des Herrn Ministers der usw. Medizinal-Angelegenheiten bearbeitet von der
Medizinal-Abteilung des Ministeriums. Berlin 1908. Verlag von Richard
Schoetz. I. Gr. 8°; 658 Seiten und 199 Seiten Tabellen. Preis 20 Mark;
II. Gr. 8'; 497 Seiten und 117 Seiten Tabellen.Preis: 16 Mark. 1 )
I. Recht schnell ist der vierte Bericht über das Sanitätswesen des Preussi-
sehen Staates dem erst im vorigen Jahre erschienenen dritten Bericht gefolgt,
ein grosser Vorteil, der den Wert des Buches, das dem Leser einen Ueberblick
des auf dem Gebiete des Gesundheitswesens in Preussen Geleisteten liefern soll,
wesentlich erhöht. In der vorliegenden Form und Anordnung ist dieser Bericht
der letzte seiner Art; die Neuorganisation des Medizinalwesens hat nunmehr
zu jährlichen Berichten mit nur kurze Zeit zurückliegendem Material geführt.
Der auf Grund der von den Regierungs- und Medizinalräten für die
Regierungsbezirke erstatteten Generalsanitätsberichte sowie mit Hilfe von
Ministerialakten und der im Königl. statistischen Bureau bearbeiteten Medizinal¬
statistik fertiggestellte Bericht bietet eine Fülle wissenswerten und an An¬
regungen reichen Materials und lässt auch vor Einführung der Medizinalreform
einen bemerkenswerten Fortschritt auf dem Gebiete des Gesundheitswesens
erkennen.
In die Berichtszeit fallen das Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfung
gemeingefährlicher Krankheiten, das Gesetz betreffend die Dienststellung den
Kreisarztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen; hohes Interesse wird
der Leser den Abschnitten über Bekämpfung der Pest, Lepra, Granulöse, der
*) Für die Medizinalbeamten ist der Preis durch Min.-Erl. vom 19. Mai
1903 und 1. Aug. 1908 bei direktem Bezüge von der Verlagsbuchhandlung und
Berufung auf den Erlass auf 13 bezw. bezw. 10 Mark ermässigt.
776
Besprechungen.
Warmkrankheit sowie Uber die ansteckenden Krankheiten überhaupt abge¬
winnen. Ministerialerlasse and Poliseiverordnangen sind im Text wiedergegeben.
Besonders interessant and lehrreich ist in dieser Hinsicht der Abschnitt über
Trinkwasserversorgung, in dem sich anch eine Uebersicht über die zentralen
Was8erversorgang8an8talten des preussischen Staates findet. In dem statistischen
Teil ist bemerkenswert, dass seit 1867 znm ersten Mal die natürliche Bevöl
kerongsvermehrnng geringer als die wirkliche Volkszunahme gewesen ist, was
sich nur durch ein Ueberwiegen der Binwanderong über die Auswanderung
erklären lässt. Ein recht grosses Kapitel ist der Kurpfuscherei gewidmet, das
viele interessante Mitteilungen enthält.
Bine besondere Anerkennung wird der „Zeitschrift für Medizinalbeamte“
und dem „Prenssischen Medizinalbeamtenverein* zuteil.
II. Sehr bald nach der in diesem Jahre erfolgten Veröffentlichung des
8anitttswesens des Preussischen Staates während der Jahre 1898, 1699 und
1900 ist das Gesundheitswesen des Jahres 1901 erschienen. Die Veränderung,
die sich durch den nur den Zeitraum eines Jahres umfassenden Inhalt bemerkbar
macht, ist durch die Neuordnung des Medizinalwesens und das Inkrafttreten
des Gesetzes, betreffend die Dienststellung des Kreisarztes, und die Bildung
von Gesundheitskommissionen bedingt. Die Form entspricht demgemäss dem
in §. 117 D. A. für den Jahresbericht vorgeschriebenen Muster, das auch den
Berichten der Begierungs - Medizinalräte als Grundlage dient.
Der Umstand, dass die Gesundheitsberichte nunmehr alljährlich er¬
scheinen, bedeutet insofern einen Vorteil als das darin enthaltene wertvolle
Material frühzeitiger als bisher in die Oeffentlichkeit gelangt nnd dadurch an
Wert gewinnt. Der vorliegende Band ist trotz der geringeren Berichtszeit
umfangreich genug; er enthält im Verhältnis zu früheren Berichten ein noch
vermehrtes Material. Auch jetzt Bind die Ministerial - Akten, sowie die im
Königlichen statistischen Bureau gefertigte Medizinalstatistik benutzt worden.
Dementsprechend finden wir in der Binleitung die Mitteilungen über Bewegung
der Bevölkerung wieder. Im Abschnitt Gesundheitsverhältnisse, der
einen grossen Baum einnimmt, sind die Ergebnisse der am 15. Oktober 1900
veranstalteten Sammelforsohung Uber Krebs enthalten. Hiernach wird die
Krebsbekämpfung als eine der wichtigsten Aufgaben der öffentlichen Gesund¬
heitspflege erachtet. Hand in Hand mit ihr mnss die Bekämpfung der Kur¬
pfuscherei gehen. Anch die übrigen Mitteilungen über Krankheiten, die
nicht zu den anstockenden gerechnet werden, bieten viel Interessantes.
Die durch die Kreisarztreform erzielten Fortschritte auf dem Ge¬
biete der öffentlichen Gesundheitspflege lässt der Bericht besonders
in den Abschnitten Uber Seuchenbekämpfung, Quarantänewesen nnd Desinfektion
erkennen. Nicht minder anerkennenswert sind die Fortschritte anf dem Ge¬
biete des Wohnungswesens und der Schulhygiene. Besonders her¬
vorgehoben ist die segensreiche Tätigkeit der am 1. April 1901 ins Leben ge¬
tretenen Königlichen Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und
Abwässerbeseitigung in Berlin.
Die Gefängnisse, die früher als Anhang zum neunten Abschnitt be¬
handelt wurden, haben einen selbständigen Abschnitt erhalten, während die
Geschäfte der Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalweeen und der
Provinzial-Medizinal - Kollegien im Anhang zum Abschnitt der beamteten
Aerzte aufgefUhrt sind. Dieser Abschnitt enthält ferner einen Auszog aus
der am 10. Februar 1902 dem Hause der Abgeordneten von dem Herrn Mi¬
nister der Medizinalangelegenheiten vorgelegten Denkschrift. Der Abschnitt
Kurpfuscher ist diesmal nur kurz ausgefallen, stellt aber für das fol¬
gende Jahr eine um so ausführlichere Darstellung in Aussieht, nachdem die
Anzeigepflioht der Kurpfnscher überall eingefübrt ist.
Sehr reich ist das Werk an wertvollen Tabellen, die nicht nur im An¬
hang, sondern auch im Text enthalten sind. Die beteiligten Kreise werden in
ihm nicht nur viel Interessantes und Wissenswertes, sondern auch für ihre
Tätigkeit neue Gesichtspunkte finden, die anregend nnd fördernd weiter wirken
werden. Insbesondere gilt dies für die beamteten Aerzte, die aus dem Werk
manche Direktiven entnehmen können. Dr. Bä über-Düsseldorf.
Besprechungen.
777
Drelnnddreissig'ster Jahresbericht des Königl. Landes-Kedlsinal-
Kolleglumz über das Medlxlnalwesen im Königreich Baohsen
auf das Jahr 190L Leipzig 1902. Verlag von F. C. W. Vogel.
Der bericht zeigt in seiner Einteilung keine Aendernng gegen die
früheren Jahre. Im ersten Abschnitt wird die Zusammensetzung und Tätig¬
keit der ärztlichen und pharmazeutischen Organe der Medizinalverwaltung, ins¬
besondere auch bezüglich der Begutachtung von nen zu erlassenden Gesetzen
und Verordnungen geschildert, der zweite umfasst das öffentliche Gesundheits¬
wesen. Was zunächst die Sterblichkeitsverhältnisse im allgemeinen
anlangt, so ist ihre Ziffer von 22,7% ? im J. 1900 auf 21,2%,, gesunken; am
niedrigsten war sie im Bezirke Oelsnitz und Dresden - Stadt (16,6 resp. 17,8),
am höchsten in Chemnitz 29,0. Dieser Rückgang ist der geringeren Mortalität
durch Lungentuberkulose, entzündliche Krankheiten der Atmnngsorgane, nament¬
lich aber der geringen Mortalität an Atrophie und Lebensschwäche der Kinder
zuzuschreiben, dagegen ist die Statistik durch epidemische Krankheiten ge¬
stiegen. Auch die Zahl der Todesfälle durch Neubildungen hat absolut, wie
relativ zugenommen: 0,95°/ 00 im Vorjahre. Die Selbstmordfälle haben
sich vermehrt, indem die im Vorjahre schon grosse Zahl von 1820 auf 1384 in
die Höhe gegangen ist, darunter 20 Kinder im Alter von 10 bis 15
Jahren. Duroh Verunglückung sind 1244 gegen 1409 i. J. 1900 zu Grunde
gegangen. Die Zahl der Diphtherie-Sterbefälle hat sich um 3,4o/ 0 erhöht,
eine ähnliche Vermehrung zeigt der Scharlach. Die Einbusse der Bevölkerung
durch Typhus beziffert sich, wie 1900, auf 0,06 °/ 00 der Lebenden, auch die
Sterbeziffer ist dieselbe geblieben: 21%: nur in Dresden starben 87%. Die
Mortalität durch Lungentuberkulose hat eine ganz erhebliche Verminderung,
um 9,8%, erfahren, die Relativzahl der von Lebenden an Schwindsucht Ge¬
storbener ist von 1,90 %<, auf 1,68 % 0 gefallen. Wöchnerinnen resp. Gebärende
sind 832 gestorben, darunter an infektiösem Kindbettfieber 310 gegen 214 im
Jahre 1900, Zunahme also: 45 %. Die Zahl der von tollen Hunden Gebissenen
betrug 15 gegen 35 im Vorjahre, von denen sich 14 der Schutzimpfung unter¬
zogen; trotzdem starben 2 von ihnen an Lyssa. Milzbrandfälle kamen 26 —
doppelt so viel wie im Vorjahre — vor, wovon 8 zum Tode führten.
Was die Kontrolle der Nahrungsmittel und Getränke anlangt,
so wurden mit Tuberkulose behaftet gefunden: Rinder 29,38 Kälber 0,54 o/ # ,
Schafe 0,26°/ 0 , Ziegen 2,65%, Schweine 3,78 % der geschlachteten Tiere.
Trichinen wurden bei 79 Schweinen unter 1058075 geschlachteten nacbge-
wiesen. Die Ueberwachung des Handels mit Knr- und Kindermilch bestätigte
aufs Neue die Erfahrung, wie überaus schwer es hält, bei den Landwirten und
Stallpersonal einerseits, und den Händlern anderseits das rechte Verständnis
für Reinlichkeit zu wecken. In Leipzig ist die Zahl der beanstandeten Milch¬
proben von 6,77 % im Vorjahre auf 4,07 % gesunken, während in Chemnitz
24,17% den Anforderungen des sehr milden Reglements nicht entsprachen. In
derselben Stadt hat ferner eine Zusammenstellung der WohnungBverhält-
nisse sehr bedenkliche Zustände insofern ergeben, als 61,4% sämtlicher Woh¬
nungen kein oder nur ein heizbares Zimmer batten, und dass 55,2% aller Be¬
wohner auf derartige kleinste Wohnungen angewiesen sind (Berlin 49,9%,
Leipzig 28,2%).
In dem Kapitel: gewerbliche Gesundheitspflege fällt die grosse
Zahl an Bleierkrankungen von Arbeitern im Gewerbeamte Dresden auf: seit
Anfang Oktober 1901 bis Ende Februar 1902: 109 Fälle. Aus dem Kapitel
Schulgesundheitspflege ist bemerkenswert, dass sich die Präparate des
staubfreien Oels überall bewährt haben. Die Staubverminderung wird in allen
beteiligten Schalen angenehm empfunden. Das Streichen macht sich jährlich
etwa 5 bis 6 mal nötig. Die Lehrer befreunden sich immer mehr mit der
Einrichtung der Schulärzte. Die Zahl der Kurpfuscher ist auch im Be¬
richtsjahre wieder erheblich gestiegen, zu Beginn deB Jahres wurden davon
868, zu Ende desselben 945 gezählt; 676 gehören dem männlichen und 269 dem
weiblichen Geschlechte an. Im Regbez. Bautzen beträgt die Zahl der Aerzte 196,
die der Kurpfuscher 119; im Regbez. Dresden: Aerzte 712, Kurpfuscher 319; im
Regbez. Leipzig: Aerzte 626, Kurpfuscher 148; im Regbez. Chemnitz: Aerzte
250, Kurpfuscher 258; im Regbez. Zwickan: Aerzte 233, Kurpfuscher 101. Von
den Kurpfuschern waren 44 Weber, 30 Barbiere, 27 Kaufleute, 25 Strumpf-
778
Besprechungen.
Wirker, 24 Schuhmacher nsw.; 244’,behandelten Kranke nach der sog. Naturheil-
methode, 125 mit Sympathie, 18 mit Banmsoheidtiamne nsw. Die Zahl der Aente
ist von 1905 auf 1954 gestiegen; sehr stark war die Bewegung im ärztlichen
Personal, indem 250 Aerzte als zugezogen und 188 als verzogen gemeldet worden
sind. Die Zahl der Apotheken hat sich nm 7 vermehrt und beträgt 304.
Revisionen wurden 92 ansgeftthrt; bei 17 war das Ergebnis vorzüglich, bei 87 sehr
gut, bei 26 gnt, bei 9 genügend, bei 3 ungenügend. In den 188 Öffentlichen
Krankenanstalten, welche 8711 Betten enthalten, wurden 57602 Kranke,
und zwar 84228 männlichen und 23274 weiblichen Qeschlechts verpflegt. Die
Mortalität betrug 8,31 ° # gegen 9,16°/ 8 i. J. 1900. Die vier Landes-Heil-
und Pflegeanstalten für Geisteskranke begannen das Berichtsjahr
mit einem Gesamtbestande von 4695 Kranken. Die Verhältniszahl der ulen
Irrenanstalten angeführten Paralytiker beziffert Bich bei den Männern auf
29,1 °/ 0 , bei den Frauen auf 9,3°/© des Zugangs. Von den männlichen Para*
lytikern waren über 41°/ 0 , von den weiblichen 22 ®/ 0 sicher, oder doch mit
grösster Wahrscheinlichkeit syphilitisch gewesen.
Bezüglich der sonstigen Einzelheiten muss auf den ausführlichen und
sehr instruktiven Bericht selbst verwiesen werden.
Dr. Rost-Rudolstadt.
Dr. 8. Borntmeger, Reg.* u. Med.-Rat in Danzig (jetzt in Düsseldorf):
Dl&t-Vorschriften für Gesunde und Kranke jeder Art. Vierte
verbesserte und erweiterte Auflage. Leipzig 1904. Verlag von B. Hartung
& Sohn. In Blockform.
Die im Jahre 1895 zum ersten Male erschienenen Diätvorschriften des
Verfassers haben sich infolge ihrer grossen Brauchbarkeit sehr schnell einge¬
bürgert und sich sowohl für den Arzt, als für die Krankenpflege und
gewissermassen auch für die Offentliohe Gesundheitspflege als praktisches Hilfs*
mittel erwiesen. In der jetst vorliegenden vierten Auflage sind die wissen¬
schaftlichen Fortschritte und neuen Erfahrungen anf diätetischem Gebiete ent¬
sprechend berücksichtigt, aber mit Vorsicht nnd kritissher Sichtung. Einige
Diätzettel Bind fast vollständig amgearbeitet und drei neue, für „Magenerwei¬
terung und Magenerschlaffung“, für „Herzkrankheiten und Kreislaufstörungen",
sowie für „Ernährung während der Schwangerschaft zwecks Erzielung ge¬
sunder, doch leichter und kleiner Sünder“ hinsugefügt. Es steht somit zu er¬
warten, dass sich die Vorschriften das ihnen bisher entgegengebrachte Wohl¬
wollen in vollem Umfange erhalten werden. Rpd.
Prot Dr. Dnnbar, Direktor des hygienischen Institutes in Hamburg: Zur
Ursache und speziellen Heilung des Heu fiebere. Mit 8 Tafeln.
München und Berlin 1903. Druok und Verlag von B. Oldenbourg. 60 S.
Preis: 8 Mk.
Nach einleitenden Bemerkungen über das Vorkommen des Heufiebers
und über die Theorie betreffend den Erreger des Heufiebers schildert Verf. das
Krankheitsbild des Heufiebers nach der Krankengeschichte des Londoner Arztes
Job. Bostock aus dem Jahre 1819. Ein ausführlicherer Teil gibt die Beob¬
achtungen und Forschungen Dunbars in bezug auf den Heufiebererreger
wieder, die dem Verf. dadurch nahegelegt und erleichtert wurden, dass rieh
bei ihm selbst seit dem Jahre 1895 Heufieberanfälle jährlich einstellten. Im
experimentellen Teil werden die Impf- und Verstäubungsversuche mit Roggen-,
Linden- und Rosen - PollenkOrnern an Heufieberpatienten und Kontrollpersonen
eingehend geschildert. Von den höchst interessanten Ergebnissen Bei hier nur
erwähnt, dass die sämtlichen Symptome des Heufiebers als die Folge einer
spezifischen Vergiftung aufzufassen sind; das Heufiebertoxin findet sich nur in
den PollenkOrnern der Gramineen und zwar in den AmylumkOrpern — den
Stärkestäbohen —, die im Tränensekret, Nasenschleim, Speichel oder Blutserum
sieh auflösend Heufieberkranken gegenüber ein ausserordentlich heftig wirkendes
Gift darstellen, während sie andern Personen gegenüber völlig ungiftig sind.
Daraus ist mit unabweisbarer Notwendigheit auf das Vorhandensein einer invi-
duellenHenfieberdisposition zusehliessen,für die Dunbar entsprechend der Tat-
Besprechungen.
779
eache, dass der Henfiebererreger ein lösliches Gift ist and eine chemisch «phy¬
siologisch wirksame Substanz darstellt, eine Reihe von Erklärungsversuchen gibt.
Zar spezifischen Behandlung des Heufiebers suchte Verfasser ein Antitoxin zu
gewinnen; mit demselben hat er bereits auch an Heufieberpatienten Immunisie-
rangs- and Heilversuche angestellt, ohne indes so einem für die Praxis geeig¬
neten spezifischen Heilverfahren gegen das Heufieber gelangt za sein. Immerhin
erscheint die zweifellos recht mähevolle Arbeit Danbars, deren Lektüre
durch einen gründlichen and sachlichen Forschergeist besonders wohltuend be¬
rührt, in praktischer wie wissenschaftlicher Hinsicht gleich beachtenswert. Den
vielen Tausenden von Heufieberkranken wird die sichere Feststellung des Er¬
regers, die Gewissheit, dass dieser Erreger sich im Körper des Kranken nicht
vermehrt and sich durch relativ einfache Massregeln ans unseren Aufenthalts-
rinmen fernhalten lässt, Beruhigung and Erleichterung schaffen. Wissenschaft¬
lich wird die Feststellung, dass die fiussere Anwendung des spezifischen lös¬
lichen Giftes auf Nase and Augen ohne irgend welche ernste Gefahr beliebig
hlafig wiederholt werden kann, den Ausgangspunkt für weitere Forschungen
bieten, am ein Gegengift als Verhütnngs- oder Heilmittel gegen das Heufieber
herzustellen. Aach werden wir jetzt, wie bei kaam einem anderen Leiden, in
stand gesetzt, der Frage über die Grundlagen der individuellen Disposition
naohzuforschen. Dr. Roepke-Lippspringe.
Tagesnachrichten.
Die Eröffnung der Königlichen Akademie in Posen findet am
4. November d. J. statt. Nach dem Vorlesungsverzeichnis werden auf dem
Gebiete der Medizin folgende Vorlesungen usw. gehalten: Prof. Med.-Rat Dr.
Wer nicke: 1. Populäre Vorlesungen über Gesundheitslehre für Herren und
Damen mit Demonstrationen. 2. Bakteriologie für Aerzte. 3. Bakteriologischer
Kursus. 4. Kursus der hygienischen Untersuchungsmethoden für Kreisärzte.
Nach den politischen Tagesblättern beabsichtigt die Regierung ein deut¬
sches Institut Behring nach dem Master des Pariser Instituts Pasteur zu
errichten, das sich den wissenschaftlichen Aufgaben auf dem Gebiete der
Serumforschung in grossem Umfange widmen und vor allen Dingen die Her¬
stellung von Serum aller Art bewirken soll, um dadurch den Preis und die
Anwendung der Sera in der ärztlichen Praxis wesentlich zu verbilligen. Eine
vor Kurzem zwischen dem Ministerial - Direktor Dr. Althoff und Wirkt.
Geh. Rat Prof. Dr. v. Behring in Nordhausen stattgehabte Konferenz soll
hauptsächlich diese Frage zum Gegenstand der Beratung gehabt haben.
Auf eine Eingabe des Preussischen Apothekerkammer-Ausschusses vom
4. April d. J. betreffend Beiträge an den Aerztekammern hat der H. Minister
durch Bescheid vom 30. April d. J. entschieden, dass den Apothekerkammern ein
Umlagerecht nicht zusteht und sie daher einen Zwang bei Erhebung von Bei¬
trägen nicht ausüben können. Desgleichen hat der H. Minister eine Eingabe
betr. Ersatz des Apothekerrats durch den Apothekerkammer-Ansschnss
und anderweitige Organisation bezw. Zusammensetzung der technischen
Kommission für pharmazeutische Angelegenheiten durch Bescheid vom
6. Oktober 1908 dahin beantwortet, „dass er sich nicht veranlasst sehe, eine
Aenderung in der Stellung und Organisation der technischen Kommission für
pharmazeutische Angelegenheiten und des Apothekerrats herbeisuführen."
Der geschäftsfiihrende Ansschuss des Komitees zur Errichtung
eines Denkmals für Rudolf Virehow hat am 82. Geburtstage des Ver¬
storbenen nochmals einen Aufruf mit der Bitte um Beiträge erlassen. Die erste
Aufforderung hat zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen
Kulturstaaten allseitigen Wiederhall gefunden, so dass die Hohe der bisher
verfügbaren Mittel zu der Hoffnung berechtigt, Rudolf Virehow an Offent-
780
Tagesnachrichten.
lieber Strasse Berlins, nabe der Stätte seiner rnhmreichen wissenschaftlichen
Wirksamkeit, ein Standbild errichten zn können. Um eine künstlerisch wert¬
volle Ausführung dieses Standbildes zn sichern, bedarf es aber noch weiterer
Spenden. Mit dem Ausschuss bitten daher auch wir nochmals um Einsendung
von Beiträgen, damit dereinst ein würdiges Denkmal Zeugnis ablegt von der
hohen Wertschätzung, welche die deutsche Nation dem grossen Forscher über
da9 Grab hinaus bewahrt hat!
Beiträge nehmen entgegen: der Schatzmeister, Herr Geheimer Kom¬
merzienrat E. von Mendelssohn-Bartholdy unter der Adresse: Bankhaus
Mendelssohn & Cie., Berlin W., Jägerstr. 49/50, ferner die Buchhandlungen
A. Asher & Co., Berlin W., Unter den Linden 13, A. Hirschwald,
Berlin NW., Unter den Linden 68 und Georg Reimer, Berlin W., Lützow-
strasse 107(108, sowie der Kustos des Langenbeck-Hauses, Herr Meiner,
Berlin N., Ziegelstr. 10/11.
Behufs einer Ehrung Robert Kochs hei Gelegenheit seines sechs-
zigsten Lebensjahres sind zahlreiche Verehrer zu einem Komitee su-
sammengetreten, das jetzt den nachstehenden Aufruf erlässt:
„Am 11. Dezember d. J. vollendet Robert Koch sein sechzigstes
Lebensjahr. Zahlreiche Verehrer des Begründers der modernen Bakteriologie
haben beschlossen, an diesem Tage ihrer freudigen Teilnahme durch eine Ehrung
Kochs Ausdruck zu geben.
In den siebenundzwanzig Jahren, welche verflossen sind, seit Robert
Koch mit seiner Arbeit über die Aetiologie der Milzbrandkrankheit der Wissen¬
schaft neue Bahnen wies, hat er mit genialem Blick und unermüdlicher Energie
an der Erforschung der Infektionskrankheiten gearbeitet und kaum ein Jahr
verstreichen lassen, ohne uns mit einer neuen Entdeckung zu überraschen. Mit
Hilfe sinnreicher Untersuchungsmethoden hat er uns die Erreger zahlreicher
Infektionskrankheiten kennen gelehrt, ihr Wesen, Werden und Vergehen er¬
forscht und die Wege zu ihrer Bekämpfung gezeigt. Auch auf dem Gebiete
der Wasserversorgung und des Desinfektionswesens hat er unter stetem Hin¬
weis auf die Notwendigkeit verständnisvollen Zusammenarbeitens von Wissen¬
schaft und Technik der Öffentlichen Gesundheitspflege hervorragende Dienste
erwiesen.
Trotz eines Menscheualters unermüdlicher Arbeit steht er beute in
jugendlicher Frische unter uns, fähig, noch manches Blatt seinem Ruhmes-
kränze einzufügen.
Das Komitee hat es unternommen, diejenigen, welche sich in der
Verehrung Robert Kochs mit ihnen eins wissen, zur Verwirklichung des
Gedankens einer Ehrung Kochs aufzurufen. Auch an Euere Hochwohlgeboren
ergeht die Bitte, unsere Bemühungen gütigst unterstützen und zur Aufbringung
der erforderlichen Mittel in einer Ihnen geeignet erscheinenden Weise bei¬
tragen zu wollen.
In erster Linie ist ein Ehrengeschenk in Gestalt einer in Marmor oder
Bronze auszuführenden Büste Robert Kochs in Aussicht genommen worden.
Indem wir uns gestatten, eine Postanweisung zur gefälligen Benutzung
beizufügen, bemerken wir, dass das Bankhaus Mendelssohn & Co., Berlin W.,
Jägerstrasse 49/50, sich zur Entgegennahme von Beiträgen bereit erklärt hat.
Es ist beabsichtigt, dem Gefeierten s. Z. ein Verzeichnis der Spender,
ohne Angabe der einzeln gezeichneten Beträge, zu überreichen.
Alle sonstigen Anfragen und Mitteilungen werden an den mitunterseich-
neten Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Kirchner, Berlin W. 64, Wilhelmstrasse 68,
erbeten.“
Wir bitten die Medizinalbeamten, sich recht zahlreich an dieser Ehrung
des aus ihrer Mitte hervorgegaugenen Meisters der Bakteriologie zu be¬
teiligen.
Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmnnd, Reg.- u. Geh. Med .-Rat in Minden i. W.
J. C. O. Braus, Hertogl. Bisch, a. F. 8ah.-L. Hofbachdrackerd In Minden.
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16 , J&fcrg,
1903 .
ffti
Zentralblatt för gerichtliche Medizin and Psjc&iatrie,
fBr Srztüehe Saebfcrstaodigeiitätigkeit iD (JataH- und iafalidititssaebeo, sowie
15r Hygiene, offeotL Saoitätsweseu., Medizinal - ßesetepfamg and feecbtspreebuBg.
Heranagegebeo
'fÖÖ
Dr. OTTO RAPMTOD,
Röj^erangtJ- *nd &*hu MadiEtaab'jU
Verlag von FiselieF’s niediz. Baehhandlg. 1. Kornfeld,
Harsogl. Bayer. Hof- s. ErzhersogL Kammor - BnciifeäÄdlat.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10,
Itmer&te nehmexi dl* VevlagsbaotUaBg böwle *1 lt Aüö onceutOipedHitmeu iU* In¬
an d AiuUrvdes entgegen.
Nr. 22.
Xrachelnt Hm 1 .und 15 . Jeden p J 5 * NöVbr.
Die Beziehungen der Riickenmarksverlefzungen zu den
chronischen HOckentnarkskrankheiten vom gerichtlich- und
versicherungsrechtlich - medizinischen Standpunkte.
Von Piivatdor.oat Dr, P. Stolper, kommisBariacher Kreisarzt in Göttingen.
Nach einem auf der 12, ord. Versäimnlang des Vereins der MeAteihalbeamten
des Reg.-ßez, Bxetdaa am 10. Mai 1909 gehaltenen Vortrag.
Die Verletzungen des Rückenmarks und ihre Beziehungen
zu den chronischen Rückenmarks-ErkrauKuogeo sind in de? Lite¬
ratur der beiden letzten Jahrzehnte sehr viel behandelt worden,
Im Nachstehenden soll besjoders ihre gerichtlich * vefsicberungs-
recbtlich - medizinische Bedeutung berücksichtigt und, gestützt, auf
eine Reibe vöö eigenen Beobaehttingen, ziinächsfe de? gegenwärtige
Stand unserer Kenntnis von den Rückenmarks Verletzungen und
sodann deren Beziehungen zu einzelnen klinisch> typischen Krank-
heitsbüdern mit chronischem Verlauf und mehl lediglich traumati*
scher Aetiologie erörtert werden, >;
Die meisten Rückenmarksverletzungen kommen zu stände
durch schwere Verletzungen des Rückgrats, unter denen die
Wirbelsäulenbrilche (Kompressiönsfrakturen der Wirbelkörper,
Luxationsirakturea, aber auch schwere DuiurimHu j - •
kontingent stellen. Die Folge solch schwerer v ; .
Es ist nicht blvss eine . Ir
Sine Zerrung des töark*jMgBSHL_
eine Violinsette iifcJ.;; . - ^ v->- t
prominierendeu Wj fbtd ode? -
782
Dr. Stolper.
Dies hat man immer schon angenommen; es ist auch neuerdings
durch die Tierversuche von Luxenburger wieder bestätigt
worden. Ja es scheint als ob reine Zerrungseffekte und reine
Kontusionseffekte auch anatomisch sich unterscheiden liessen. Die
Zerrung kommt naturgemäss nur bei den verhältnismässig leich¬
teren Bückenmarksverletzungen zum Ausdruck.
; < 4 Bei totaler Durchquetschung, dem höchsten Grade von kom¬
pletter Querschnittsläsion, ziehen sich die beiden Stümpfe nach
oben und unten im Duralsack zurück, der widerstandsfähig genug
ist, um sich meist unversehrt zu erhalten oder nur partiell einzu-
reissen. Aber klinisch ergibt sich oft auch das Bild totaler Quer¬
schnittsläsion, selbst wenn die Wirbelverschiebung die Kontinuität
des Marks nicht aufhebt, wenn dies nur abgeplattet, leicht ge¬
drückt ist, wenn eine Zerreissung kaum der Mehrzahl der Nerven-
fäden innerhalb des Pialsackes durch die Kontusion zu stände
kommt, schon bei einem Derangement der Leitungsbahnen, wozu
sich alsbald der gesteigerte Binnendruck des Extravasats gesellt,
des Ergusses aus gerissenen Blut- und Lymphgefässen. Es brauchen
keineswegs alle Nervenbahnen wirklich zerrissen sein, und doch
tritt nach solchen Quetschungen sogleich oder nach wenigen Stunden
das Bild der schlaffen Lähmung mit Aufhebung aller Reflexe ein,
eben weil das Extravasat von Blut und Lymphe einen gesteigerten
Binnendruck im Pialsack hervorruft und so auch die etwa noch
erhaltenen Nervenfäden komprimiert, ihre Funktion, wenn auch
nur vorübergehend aufhebt. Das sind die Fälle, bei denen wider
Erwarten nach einigen Wochen die Reflexe, schliesslich das Ge¬
fühl und die motorische Kraft wiederkehren; es sind auch die
Fälle, wo die primäre operative Behandlung der Wirbelfrakturen
ihre Scheinerfolge gezeitigt hat.
Ganz ähnliche Quetschungseffekte, wie wir sie bei Wirbel¬
brüchen und -Verrenkungen sehen, kommen bei den Stichver¬
letzungen vor, bei denen es keineswegs die Regel ist, dass das
stechende Instrument das Mark direkt verletzt. Die Dura spinalis
ist sehr oft nicht durchbohrt, sondern es kommt nur zu einer
Quetschung, nicht zu einer Durchschneidung des Rückenmarks.
Wenn hierbei so überwiegend häufig klinisch ungefähr das Bild
der Brown-S6quardachen Halbseitenläsion (gekreuzte sensible
und motorische Lähmung) zu stände kommt, so liegt das daran,
dass die Stichinstrumente immer nur auf einer Seite der Dorn¬
fortsatzreihe eindringen und, wenn sie nicht genau die eine Mark¬
hälfte durchschneiden oder durchquetschen, der erhaltene Rest der
Bahnen einer Seite durch Extravasat und sekundäres Oedem ausser
Funktion gesetzt wird.
Was nun das histologische Bild der Rückenmarks¬
verletzungen anbetrifft, so bezeichnete man dies früher als
Myelitis transversalis. Die neuere Forschung hat jedoch gelehrt,
dass man es nach Rückenmarksverletzungen mit einer
Myelitis im strengen Sinne, mit einer Entzündung
nicht zu tun hat. Die Zermalmung des Rückenmarks hat
keinen Entzündungsprozess, sondern eine einfache Degene-
Besiehnngen dar Verletzungen des Rttckenmarka za dessen chron. Erenkh. nsw. 783
ration der nervösen Elemente zur Folge, so dass es richtiger
ist, wie Kienböck vorgeschlagen hat, von einer Myelodelese,
oder allenfalls von einer Myelomalazie zn sprechen. Auch wo
keine völlige Kontinuitätstrennung vorhanden, da kommt es zu
Verschiebungen der grauen und weissen Substanz mit mehr oder
weniger Durchblutung des Nervengewebes. Und wenn man nach
Tagen, allenfalls Wochen das Rückenmark zu betrachten Gelegen¬
heit hat, so ist in der Regel eine rote Erweichung vorhanden,
die indess ohne die Kriterien der echten Entzündung der Heilung
zustrebt. Die zertrümmerten Leitungsbahnen sind als gequollene
Markscheidenzylinder ohne Achsenzylinder, die Ganglienzellen als
unförmliche Klumpen erkennbar, die Nerventrümmer liegen als die
auch für die Hirnerweichung so charakteristischen Fettkörn¬
chenkugeln umher. Extravasiertes Blut und die von abge-
flossener Lymphe erfüllten Spalträume vervollständigen das histo¬
logische Bild.
Dass extramedulläre Blutungen selten eine wesentliche Be¬
deutung haben, dass intramedulläre Blutungen zapfenförmig im
Zentrum über die Quetschungsstelle hinaus auch aufwärts sich
ergiessen und so einen höheren Sitz der Markläsion anzeigen, als
die Wirbelfraktur vermuten lässt, will ich nur nebenher erwähnen.
Wir müssen auf die Heilungsprozesse der Myelode¬
lese weiter eingehen, wenn wir die Beziehungen zu den chroni¬
schen Rückenmarks Verletzungen betrachten wollen. Da ist be¬
sonders hervorzuheben, dass die Markverletzungen in der Praxis
überwiegend subkutane Verletzungen sind. Eine bakterielle In¬
fektion des Läsionsherdes ist also eine exorbitante Ausnahme, die
ich unerörtert lassen kann. Es ist darum die Regel, dass wir in
den Rückenmarksverletzungen kein progressives Lei-
een zu sehen haben, sondern so gut wie immer auf eine Besse¬
rung rechnen dürfen. Im Moment der Wirbelsäulenknickung erfolgt
die Zertrümmerung der Nervenbahnen, dann verschlimmert sich
bei teilweiser Querschnittsläsion das Krankheitsbild in den ersten
Tagen allenfalls noch durch Extravasate, aber danach beginnt
auch die Heilung. Und die Heilungstendenz ist bei partiellen
Läsionen eine so grosse, dass sie auch den Optimisten über¬
raschen muss.
Von den Blutgefässen sieht man mikroskopisch in erster
Linie die Regeneration ausgehen; mit ihrer Neubildung hält die
Resorption der Trümmer gleichen Schritt. Es kommt von ihnen
aus zur Bildung von jungem Bindegewebe, von Narbengewebe,
wie wir dies an allen Organen nach Verletzungen sehen. Aber
die Narben des Zentralnervensystems sind ausgezeichnet durch ein
weiteres, eben nur ihm eigentümliches Gewebe, die Glia. Auch
diese Glia wuchert lebhaft und ergänzt besonders in der Nachbar¬
schaft erhaltener Nerven die traumatische Narbe. Aber auch die
Gliawucherung hält sich an die Läsionsstellung, sie wird keine
allgemeine, keine unbegrenzt fortdauernde. Sie bleibt räumlich
und zeitlich beschränkt.
Von praktischer Bedeutung ist nun das Verhalten der
784
Dr. Stolper.
Nervenbahnen, denen doch allein die Leitung der spezifischen
Energie möglich ist, ohne deren Kontinuität in die Muskeln die
Kraft, in die Haut das Gefühl nicht wiederkehren kann. Auch
an ihnen sieht man in den ersten Wochen Regenerationsvorgänge,
aber es bleibt beim Versuch, den Anschluss zu gewinnen. Die
Achsenzylinder wachsen in erhaltenen Markscheiden, oder in An¬
lehnung an Lymphgefässe eine Strecke weit fort, aber sie haben
nicht genug vitale Energie, um das rascher entwickelte Narben¬
gewebe (fibröses und gliöses) zu durchdringen und über weitere
Entfernungen hin den Anschluss an den korrespondierenden Nerven¬
stumpf zu gewinnen. Wir haben es also nicht mit einer so er¬
heblichen Regenerationsfähigkeit zu tun, wie wir sie an den peri¬
pheren Nerven kennen. Nur undurchtrennt gebliebene und ledig¬
lich durch Extravasat funktionsuntüchtig gewordene Nervenfasern
erholen sich in dem Masse, wie die Aufsaugung von Trümmern
und Extravasaten vor sich geht. Zuerst kehren die Reflexe, oft
gesteigert wieder, dann kommt die Sensibilität, oft mit Parästhesien
beginnend, zurück, schliesslich werden auch die Muskeln wieder
motorisch innerviert und ihre Reservekräfte, benachbarte und
funktionell verwandte Muskeln, kommen zu Hilfe.
An einem total durchquetschten Rückenmark findet man also
eine fibrös-gliöse flache Narbe, durch die, wenn die
Quetschung nur eine partielle war, mehr oder weniger wieder
erholte Nervenfasern hinziehen. Verwachsungen der Rücken¬
markshäute unter einander und mit den dislozierten Wirbeln sind
an der Quetschungsstelle eine natürliche Folge.
Die praktische Erfahrung lehrt, dass diese traumati¬
schen Rückenmarksnarben in keiner Weise progre¬
dienten Charakter haben. Es ist kein stichhaltiger Fall in
der ganzen Literatur zu finden, der ein Fortschreiten dieses Ver¬
narbungsprozesses bewiese, oder dass es von der Narbe aus zu
einer das ganze Rückenmark betreffenden Gliose käme oder gar
zu einer Systemerkrankung. Man hat — und ich gehöre selber zu
diesen — Höhlenbildung in den Narben und den diesen benachbarten
Partien des Rückenmarks gefunden. Aber es ist, wie Kienböck
in einer kritischen Arbeit jüngst mit vollem Recht betont, ein
Irrtum, in solchen Fällen von traumatischer Syringomyelie zu
sprechen. Ich komme damit zu der ersten viel erörterten Be¬
ziehung von Markläsion und chronischer Rücken¬
markserkrankung.
Die Syringomyelie im engeren Sinne des Klinikers ist
ein chronisch progredientes Leiden, dem eine über Jahre und
Jahrzehnte fortschreitende krankhafte Gliawucherung mit höhlen¬
artigem Zerfall im Zentrum des Rückenmarks, in dessen Längs¬
richtung fortwachsend, zu Grunde liegt. Niemals aber ist ein
solch fortschreitendes Leiden mit dem Symptomenkomplex der
Syringomyelie (partielle Empfindungslähmung und zwar Erhalten¬
sein der Berührungsempfindung bei Aufhebung der Schmerz- und
Temperaturempfindung, Muskelatrophie, trophische Störungen der
Haut) im Anschluss an erwiesene schwere oder partielle Mark-
Beziehungen der Verletzungen des Rückenmarks in dessen chron. Krankh. nsw. 786
läsion beobachtet worden. Es handelt sich eben nnr um eine
zystische Vernarbung eines traumatischen Destruktionsherdes, und
da folgt den anfänglichen schweren Ausfallserscheinungen, sofern
keine tötliche Verletzung vorliegt, stets Besserung, die auch anhält,
bis schliesslich Stillstand der Symptome eintritt. Eine rein
traumatische Syringomyelie beim Erwachsenen bleibt
also zu erweisen, sie ist aller Erfahrung nach in hohem Masse
unwahrscheinlich.
Eine andere, später zu erörternde Frage ist die, ob ein an
Syringomyelie erkranktes Rückenmark durch eine Gewaltein¬
wirkung zur weiteren Entwickelung des Leidens angeregt werden
kann. Völliges Dunkel herrscht auch noch darüber, inwieweit
Rückenmarkszerrungen intra partum mit der Entstehung der
Syringomyelie Zusammenhängen. Raymond, Schnitze u. a.
haben bei Kindern nach schwerer Geburt kleine Blutungen und
Nekrosen im Halsmark gefunden und zur Syringomyelie in ursäch¬
liche Beziehung gesetzt. Bekannt ist auch die sekundäre De¬
generation bestimmter Fasersysteme als eine Folgeerscheinung
herdweisen Zugrundegehens von Nervensubstanz, auch der trau¬
matischen. Sie besteht im Zugrundegehen aller derjenigen Fasern,
die von ihrem trophischen Zentrum abgeschnitten sind. Es kommt
zu einer makroskopisch sichtbaren Atrophie bestimmter Bezirke
und zwar kaudalwärts (absteigende Degeneration) in den motori¬
schen Pyramidenbahnen, deren trophische Zentren in der Hirn¬
rinde liegen, kranialwärts (aufsteigende Degeneration) vom Läsions¬
herd in den sensiblen hinteren Keilsträngen, deren trophisches
Zentrum in den hinteren Wurzelganglien liegt und in der Klein¬
hirnseitenstrangbahn, für die die Clark eschen Säulen trophisch
funktionieren. Diese sekundäre Degeneration hat aber nur ana¬
tomisches Interesse, indem sie gelegentlich den Schluss machen
lässt: Nach diesem typischen Sitz der Degeneration habe ich
weiter ober- oder unterhalb den Zerstörungsherd zu suchen. Kli¬
nisch macht sie keine Symptome bezw. die gleichen wie die Herd¬
erkrankungen selber.
Es ist in der ganzen Literatur ferner kein Fall bekannt
dass sich nach einer wirklich schweren Markverletzung mit
sofort einsetzenden Muskellähmungen im Laufe der Zeit eine reine
Tabes oder eine multiple Sklerose entwickelt hätte. Ich
weise sehr wohl, dass zahlreiche Arbeiten diesen Zusammenhang
annehmen; aber wenn man die betreffenden Krankengeschichten
sich näher ansieht, so findet man, dass in keiner derselben eine
wirklich ernste Querschnittsläsion einwandsfrei beobachtet oder
beschrieben ist. Von den zahlreichen schweren Verletzungen des
Rückenmarks, die man beschrieben hat, bot keine das Bild einer
Tabes oder einer Herdsklerose dar, auch nicht nach vielen Jahren.
Nicht anders ist es mit der progressiven Muskel¬
atrophie, mit der spastischen Spinalparalyse. Da sind
sogar Fälle beschrieben, von denen man sagen kann, sie sind im
Anschluss an eine erwiesene Markverletzung unter dem Bilde der
einen oder der anderen Erkrankung verlaufen. Aber auch da
786
Dr. Stolper.
fehlt, wie bei der sogenannten traumatischen Syringomyelie, die
chronische Progression des Leidens, wie wiederum Kienböck
für die progressive spinale Muskelatrophie bewiesen hat. Wenn
Erb und Go wer s, Kapazitäten der Neuropathologie, immer wieder
als Stützen der traumatischen Aetiologie der genannten Rücken¬
markssystemerkrankungen zitiert werden, so ist dem entgegen zu
halten, dass die Aeusserungen dieser Autoren viele Jahre zurück¬
liegen und es ihnen gar nicht darauf ankam, zu beweisen, ob
das Trauma von Bedeutung war; unterstützende Fälle, die auch
anatomisch genügend untersucht wären, sind aber seitdem nicht
publiziert worden. Ich betone also nochmals, dass Fälle von
gröberer Markläsion mit gröberer Wirbelsäulenver¬
letzung niemals erwiesenermassen zu einer chroni¬
schen progredienten Rückenmarkserkrankung geführt
haben. Wo ein Zusammenhang behauptet worden ist, da fehlt
die genaue Beobachtung der primären Folgen der Markverletzung,
da sind andere ätiologische Momente nicht mit genügender Sicher¬
heit auszuschliessen.
Die bisher am wenigsten klargestellte und darum am leb¬
haftesten diskutierte Rückenmarksverletzung, die sogenannte
Rückenmarkserschütterung, ist lediglich ein ätiologischer
Begriff, denn ein unanfechtbares klinisches Symptomenbild wird da¬
für niemand geben können. Als uns Erichsen das ebenso merk¬
würdige, wie verwirrend wirkende Symptomenbild der Eisenbahn¬
krankheit schilderte, da dachte jedermann an eine Rückenmarkser¬
schütterung; später verband sich, freilich schon verzagter, dieselbe
Vorstellung mit der traumatischen Neurose. Nachdem dann
Railway spine wie traumatische Neurose in den letzten Jahren
zwischen den Mahlsteinen der Kritik hindurch gegangen sind,
haben wir als Restbestand nur noch die traumatische Hy-
sterie, die traumatische Neurasthenie undHypochon-
drie zurückbehalten. Wir wissen, dass diese Krankheiten mit
dem Rückenmark nichts, aber auch gar nichts zu tun haben;
sie sind in die Psyche, also in das Gehirn zu lokalisieren.
Aber der Begriff Rückenmarkserschütterung ist aus dem Ge¬
dankenkreise der Aerzte noch lange nicht ausgerottet. Es mag
das zum Teil daran liegen, dass auch die pathologischen Ana¬
tomen unter der Ueberschrift „Rückenmarkserschütterung“ man¬
cherlei über Markverletzung berichtet haben. Auf Schmaus
sonst so verdienstliche Arbeiten stützen sich immer wieder
die Verfechter der Commotio medullae, obwohl dieser selbst seine
früheren Ausführungen erheblich eingeschränkt hat. Dem ätio¬
logischen Begriff der Rückenmarkserschütterung Rechnung tragend,
hat er seiner Zeit das Rückgrat von Kanninchen verhämmert —
nach Art der älteren Klopfversuche zur Hervorrufung von Shok —,
indem er mit einem Hammer auf ein dem Rücken der Tiere an¬
liegendes Brett so lange schlug, bis diese Paresen und Paralysen
bekamen. Diese Versuchsanwendung aber entspricht
doch ganz und gar nicht den in der Praxis vorkommen¬
den Fällen von Marjk Verletzung, wo ein Mensch ans der Höhe
Beziehungen der Verletzungen des Rückenmarks zu denen ehron.Krsnkh.uw. 787
herab stürzt, einen einzelnen Schlag gegen den Rücken bekommt nnd
dergl. mehr. Man hat früher des öfteren Nekrosen nnd Blutungen
im Mark gefunden, ohne dass an der Wirbelsäule eine Verletzungs¬
spur erkennbar gewesen wäre. In solchen Fällen glaubte man
einen Erschtttterungseffekt annehmen zu müssen. Nun wissen wir
aber, dass dies Quetschungseffekte bei starker Distorsion der Wirbel
waren, und dass es nach Ablauf einiger Wochen ganz unmöglich
sein kann, Residuen einer Wirbelverletznng noch nachzuweisen.
Ich selbst habe einen tötlich ausgehenden Fall von Halsmark¬
quetschung bei zweifellos einfacher Distorsion beobachtet, seziert
und beschrieben. Es war sicher eine Contusio medullae durch
Ueberbeugung der Wirbelsäule, keine Commotio. Schmaus selbst
gibt jetzt zu, „das8 die wenigen bisher beschriebenen Fälle von
reiner Rttckenmarkserschtttterung nicht mehr ganz so überzeugend
sind, als es früher schien“. Trotzdem kann er die Hypothese einer
„molekulären Nervenalteration“ noch nicht ganz aufgeben; er denkt
sich ebenso wie Luxenburger, dass es zu Bewegungen im
Liquor cerebrospinalis kommt, bei denen die Nervenfasern wellen¬
förmig bewegt, gedehnt, an umschriebenen Stellen ausgebuchtet
werden. Ich kann mir einen solchen Erschütterungseffekt nicht
vorstellen; denn der Rückenmarksstrang ist mit Venenplexus und
Fettgewebe so wohl umpolstert, in einem Fadenwerk (Lig. dentd-
culatum) so subtil aufgehängt, und der Liquor cerebrospinalis
fliesst dazwischen in so seichtem Strom — wie soll es da zu
Wellen von zerstörender Kraft kommen P
HF F Und wäre eine Erschütterungsschädigung des Marks im
engsten Sinne auch wirklich theoretisch denkbar, die Praxis, mit
der wir es zu tun haben, kennt in Wirklichkeit die Commotio
spinalis nicht. Der Begriff muss entschieden aus der kli¬
nischen Diagnose ausgemerzt werden; denn man richtet mit
ihm nur Unheil an. Obwohl man doch bisher immer nur eine leichte
Markschädigung damit bezeichnen wollte, so wirkt das Wort auf den
Verletzten selber doch überaus ernst, und dem Arzt, dem späteren
Begutachter, vermag es gar keinen Anhalt zu geben, da, wie ich
schon sagte, weder ein präzises klinisches Bild, noch eine wohl
lokalisierte und wohl charakterisierte Markläsion darunter ver¬
standen werden kann.
Luxenburgers Arbeit liefert interessante experimentelle
Ergebnisse für die einschlägigen Fragen. Er hat sowohl die
Quetschung wie die Zerrung studiert und bei geringgradiger
Quetschung auch traumatische Degeneration grauer und weisser
Substanz gefunden ohne oder fast ohne Blutung, ohne Verschiebung
der grauen Substanz und klinisch mit nur unbedeutenden Paresen;
solch leichteste Degeneration ist also kein ausschliessliches Charak¬
teristikum der Commotio. Eine völlige Absage an die Rücken¬
markserschütterung aber wagt er noch nicht. Soviel geht aus
seinen Studien indes hervor, dass sich ihr Gebiet auch für ihn
mehr und mehr einengt. Wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass
man die intramedullären Blutungen nicht überschätzen solle, dass
es solche ohne Nervendegeneration nicht gäbe, dass die Nerven-
788
Dr. Stolper.
fasern eben viel lädierbarer seien als die Blutgefässe, so ist dem
wohl znznstimmen, doch bleiben für die makroskopische Beurteilung
die Blutungen sehr wichtige Hinweise auf die Verletzung, und
wenn sie erheblicheren Umfang annehmen, sind sie auch ihrerseits
direkt schädigend.
Zu der Frage, ob es eine Rückenmarkserschütterung gibt
oder nicht, muss man Stellung nehmen, sonst lässt sich über die
Bedeutung des Traumas für die chronischen Rückenmarkskrank-
heiten Klarheit überhaupt nicht gewinnen. Ich persönlich be¬
streite ihr Vorkommen, weil ich an recht vielen Frisch verletzten
einen Symptomenkomplex niemals, auch bei besonders darauf ge¬
richteter Aufmerksamkeit niemals gesehen habe, dem ich eine über
das ganze Rückenmark herdweis verbreitete „molekulare Alte¬
ration“ der Nervenfasern hätte zu Grunde legen können oder
müssen. Wo ich Grund hatte, spinale Läsionen anzunehmen, da
waren sie immer wohl lokalisiert, niemals diffus verbreitet, nie¬
mals multipel. Und wenn, wie ich oben ausführte, grobe
Quetschungen, Durchschneidungen des Rückenmarks dauernd pro¬
grediente Systemerkrankungen nicht hervorrufen, wie soll man
sich da vorstellen, dass die leichten, minimalen Markläsionen,
die man als Erschütterungseffekte supponiert, Tabes oder multiple
Herdsklerose oder Syringomyelie hervorrufen sollten?
Von traumatischer Entstehung einer Krankheit kann man
nur bei einem sicher gesunden Individuum reden. Ein anderes
ist es, ob ein manifest oder latent krankes Individuum eine Er¬
krankung durch Gewalteinwirkung bekommt. Dass bei einem
latent syphilitischen, oder einem durch Alkoholismus, oder sonst
irgendwie disponierten Menschen ein Trauma gegen die Wirbel¬
säule als auslösendes oder verschlimmerndes Moment für eine
noch nicht manifeste Tabes oder Sklerose in Betracht gezogen
werden muss, ist selbstverständlich. Aber auch da bleibt es noch
mehr als zweifelhaft, ob eine direkte Beziehung zwischen dem
Trauma und dem Fortschreiten einer bis dahin latenten, beginnen¬
den Rückenmarkssystemerkrankung besteht. Ist es nicht min¬
destens ebenso naheliegend daran zu denken, dass das Kranken¬
lager mit seinen Folgen, das plötzliche Herausreissen aus der
gewohnten Tätigkeit, der aufgezwungene Bewegungsmangel und
andere mittelbare Momente die Krankheitssymptome steigern und
manifest werden lassen, nicht blos dem Arzt, sondern auch dem
Patienten, der vordem gar nicht Zeit hatte, über Parästhesien,
über Gelenkunsicherheit nachzudenken, sie zu bemerken.
Doch auf diese Seite wollte ich hier nicht eingehen! Es
kam mir darauf an, der in der Literatur hervortretenden Tendenz
entgegenzutreten, dass man nun alle möglichen spinalen Er¬
krankungen als direkte Folge einer Rückenmarksverletzung ohne
weiteres ansieht und gerade vor einem Kreise von berufenen
Gutachtern erschien mir dies notwendig. Durch die Menge der
Publikationen über diesen Kausalnezus dürfen wir uns nicht im¬
ponieren lassen; sie spricht nur für das Interesse an der Frage,
sie macht das Ergebnis nicht sicherer.
Bestehungen der Verteilungen des Rückenmarks indessen ehron.Krankh.nsw. 789
Ein Interesse aber, klar darin zn sehen, haben wir alle, ein
recht grosses! Denn wenn ein leichter Fall anf den Rücken eine
Rückenmarkserschütterung, weiterhin eine Tabes, eine multiple
Sklerose, ergo Verfall in Siechtum bezw. Lähmung hervorrufen
könnte, welch eine Perspektive? Aber in der forensischen Praxis
kommen dergleichen Erwägungen sehr bemerkenswerter Weise
höchst selten vor. Selbst bei Stichverletzungen des Marks werden
wir uns sehr überlegen müssen, ob wir den Fall des §. 224 h
(Verfall in Lähmung) aussprechen sollen, da gerade bei dieser
die Heilung manchmal eine erstaunliche ist, und die dauernde
Lähmung einzelner Muskelgruppen doch nicht als schwere Ver¬
letzung im Sinne des Strafgesetzbuches anzuseben ist.
Eines interessanten forensischen Falles darf ich kurz Er¬
wähnung tun. Mein früherer Chef, Herr Prof. Wagner-Königs¬
hütte, wurde in dieser Sache als Gutachter in Czenstochau in
Buss.-Polen gehört. Ein Arzt hatte einen anderen denunziert,
dass er eine Verrenkung im Hüftgelenk nicht eingerichtet habe;
der letztere stand wegen Kunstfehlers unter Anklage und ein
Haftpflichtprozess bedrohte seine Existenz Worum bandelte es
sich? Der Patient hatte einen Messerstich in den Rücken be¬
kommen, der das Rückenmark zwischen 1. und 2. Brustwirbel
halbseitig durchtrennt hatte. Es kam während des Krankenlagers
zn einer hochgradigen Atrophie der Hüft- und Beinmuskulatur
und zu einer Einwärtsrollung des Beines, die den Denunzianten
eine Luxation irrtümlich annehmen liess! —
Aber viel häufiger verlangt die versicherungsrechtliche
Praxis, die öffentliche wie die private, eine gutachtliche Aeusse-
rung über den Zusammenhang von chronischen Rückenmarkskrank¬
heiten mit mehr oder weniger sicheren Rückenmarks- oder Wirbel¬
säulenverletzungen. Nun sind zwar gerade die staatlichen Unfall¬
versicherungsorgane nach dem wohlwollenden Grundzuge, der durch
alle sozialen Gesetze geht, erfreulicherweise immer in dubio pro
reo. Aber wir dürfen es doch nicht dahinkommen lassen, dass
aus 100 Gutachten, welche zu einem für den Versicherten
günstigen Schlüsse gelangen, der falsche Schluss gezogen wird,
es sei nun auch wissenschaftlich der Beweis erbracht für einen
Kausalnexus vieler Fälle von Tabes und anderen Systemer¬
krankungen mit Rückenmarksverletzung!
Bekanntlich sind auch periphere Traumen, Arm-, Bein¬
quetschungen als anslösendes Moment für chronische Spinal¬
leiden nicht selten angesprochen worden; einer strengen Kritik
halten auch diese Fälle samt und sonders nicht stand. Auf sie
einzugehen, ist heute nicht meine Sache. Es ist der Zug der Zeit,
das Trauma, welches allerdings ehedem in seiner Bedeutung für
das Kranksein gründlich unterschätzt war, als ätiologisches Moment
mehr in den Vordergrund zu stellen. Das darf aber nicht kritik¬
los geschehen; die forschende Medizin hat vielmehr alle Veran¬
lassung, durch die Betonung des Möglichen sich nicht von der
streng wissenschaftlichen Feststellung des Tatsächlichen abbringen
zu lassen.
790
Dr. Voigt.
Literatur:
Thorburn: Contribution to the surgeryof the spinaleerd. London 1889.
Kocher: Die Verletsnngen der Wirbelsäule in Mitteilungen ans den
Grensgebieten der Medisin and Chirurgie; 1897.
Wagner-Stolper: Die Verletzungen der Wirbelsäule und des Rücken¬
marks. Stuttgart 1898.
Schmaus: Pathologische Anatomie des Rückenmarks. Wiesbaden 1901.
Kien bück: Die sogen, traumatische Syringomyelie. Jahrbuch für
Psychiatrie; XXI, 1902.
Derselbe: Progressive spinale Muskelatrophie nach Trauma. Monatsheft
für Unfallheilkunde; 1902.
Lnxenburger: Experimente über Rückenmarks-Verletzungen. Wies¬
baden 1903.
Cerebro8pinalmeningiti8 oder Vergiftung?
Von Dr. Voigt, prakt. Arzt in Holzwickede, staatsärztlich approbiert.
Nachstehend möchte ich 5 Fälle von epidemischer Genick¬
starre veröffentlichen, die mir von mehr als einem Gesichtspunkte
aus das allgemeinere Interesse zu verdienen scheinen. In den
Besitz des tatsächlichen Materials bin ich teils durch meine eigene
Wissenschaft als behandelnder Arzt gelangt, teils ist mir dasselbe
von dem zuständigen Kreisarzt, Herrn Medizinalrat Dr. Schulte
in Hörde, in liebenswürdigster Weise zum Zwecke der Veröffent¬
lichung in der Zeitschrift für Medizinalbeamte zur Verfügung ge¬
stellt worden;, ich gestatte mir, ihm hierfür auch an dieser Stelle
den besten Dank auszusprechen.
Krankheit 8 verlauf:
Am 27. Februar d. J. erkrankten in dem Nachbarort S. bei Gelegenheit
des Schweinesohlachteos nachmittags gegen 8 Uhr die 6 jährige Tochter Alwine,
gegen 4 Uhr die 6 jährige Tochter Ida des Bergmanns G. mit Halsschmerzen
und Abgesohlagenbeit; bald gesellte sich Erbrechen hinzu. Als der nooh in
der Nacht benachrichtigte Arzt Dr. Sch. vormittags 10 Ubr ankam, war
Alwine G. bereits tot; sie war nach Angabe der Eltern 7 1 /» Uhr vormittags
unter Krämpfen gestorben (nach 16 1 /* ständiger Krankheitsdauer). Dr. Sch.
stellte Folgendes feBt:
Ausser der am 27. Februar erkrankten Ida klagten jetst auch die 11 jährige
Elisabeth und die 3jährige Elfriede über Halsschmerzen; sie hatten beide heftiges
Erbrechen. Nur, wie hier schon besonders hervorgehoben werden soll, die
9jährige Martha, welche am Vormittag des Schweineschlachtens in der Schule
gewesen war, sowie der einjährige Säugling waren frei von Krankheitser-
scheinnngen. Die Kinder hatten alle ebenso wie die Erwachsenen von dem frisch-
geschlachteten Schweinefleisch gegessen. Rachenuntersuchung ergab bei allen
Kindern negativen Befund. Elisabeth hatte 39° Temperatur, die übrigen
Kinder waren fieberlos. Dr. Sch. nahm an, dass es sich um beginnendes
Seharlaehfieber handele, eine Krankheit welche derzeit vereinzelt in S. auftrat
Befand am 28. Februar, abends 7 1 /» Uhr: Die erkrankten Kinder zeigten
grosse Unruhe, warfen sich auf ihrem Lager hin und her, schrieen häufig laut
auf. Sehr auffallend war bei allen die blasse Gesichtsfarbe. Petechien oder
Hautaus8chläge, Herpesbläschen waren nicht vorhanden. Der Stuhlgang war
angehalten oder nicht häufiger als sonst. Im besonderen fand sieb: Elisabeth:
Temperatur 39,2, Pals beschleunigt; sie war besinnlich und klagte über Hals¬
schmerzen. Bei passiven Bewegungen des Kopfes nach vorn glaubte Dr. 8cb.
einen gewissen Widerstand zu fühlen. Bei den übrigen Kindern war ein
Widerstand der Halsmuskulatur nicht nachzuweisen, um so weniger als die sehr
unruhigen Kinder sioh zu wehren and der Untersuchung zu entziehen sachten.
— Ida verdrehte die Augen, Temperatur nicht gesteigert. — Elfriede war
zyanotisch. Pals sehr rasoh, klein, kaum zu zählen, Temperatur nicht gesteigert;
sie verdrehte die Augen, knirschte mit den Zähnen. Das helle Aufschreien
Cerebrospinalmeningitis oder Vergiftung.
791
und Zähneknirschen wurden yon dem behandelndem Amt für meningitisehe
Erscheinungen gehalten, doch fiberwog bei ihm der Verdacht auf Vergiftung.
1. März: Auf Veranlassung des Dr. Sch. untersuchte ich gemeinschaftlich
mit ihm die erkrankten Kinder. Befund 10 1 /» Uhr vormittags: Elisabeth war
unbesinnlich, stürmische Herztätigkeit, Temperatur 37,2, die Pupillen reagierten
auf Lichteinfall nicht. Kniescheibenreflexe herabgesetzt. Steifigkeit der Hals-
wirbels&ule. Das Erbrechen hatte aufgehört. — Ida lag apathisch, von Zeit zu
Zeit laut aufscbreiend, in ihrem Bett; die Augen waren nach oben gerichtet, so
dass die Regenbogenhaut von dem oberen Lid verdeckt wurde. Puls beschleunigt.
— Elfriede: Zyanose stark ausgesprochen, Puls kaum zu fühlen. Das Gesicht
zeigte ganz auffallende Blässe. — Fritz war seit heute Morgen an Erbrechen
erkrankt (er war schon am Tage vorher seinen Eltern hinfällig erschienen);
er lag blass und schlaff in den Armen der Mutter. Die gestern Abend
beobachtete Unruhe der Kinder war einer grossen Hinfälligkeit gewichen; sie
machten alle den Eindruck sehr schwer Erkrankter. Nackensteifigkeit war ausser
bei Elisabeth bei keinem Kind mit Sicherheit nachznweisen.
Auf mein Schreiben an den Kreisarzt, des Inhalts, dass wir annähmen,
die 6 Kinder des Bergmanns G. seien an epidemischer Genickstarre erkrankt,
dass wir jedoch die Möglichkeit einer Vergiftung nicht auszusohliessen ver¬
möchten, traf dieser schon nach wenigen Stunden zur Feststellung des Befundes
im Hause der Erkrankten ein. Während seiner Anwesenheit starb bereits das
zweite Kind, Elfriede (nach 31 */* ständiger Krankheitsdauer). Bei den übrigen
Kindern hatte sich der Befund kaum geändert; bei Elisabeth machte sich jetzt
allerdings eine rechtsseitige Faoialisparese bemerkbar; ihre Pupillen reagierten
wieder auf Liohteinfall. — Die drei noch lebenden Kinder wurden sofort dem
Krankenhaus zu Hörde zugefflhrt.
Bei der am näehsten Morgen ausgeftthrten Desinfektion wurden die Betten
der Kinder verbrannt, die Wände mit Kalkmilch gestrichen; die Desinfektion
der Räume selbst erfolgte durch Formalindämpfe. Die Leichen der beiden ver¬
storbenen Kinder wurden in mit Sublimatlösung getränkte Tficher geschlagen
und bereits am 2 März beerdigt.
Am 2. März starb Ida im Krankenhause (nach dreitägiger Krankheits-
daner). — Ueber die weitere Krankbeitsgescbichte der beiden noch am Leben
befindlichen Kinder will ich nur noch berichten, dass bei der 11jährigen
Elisabeth am 3. März, also am 4. Krankbeitstage, eine ausgesprochene Nacken¬
starre festznstellen war. Das Kind war am 17. März soweit bergestellt, dass
es sich ausserhalb des Bettes aufbalten konnte; die Facialisparese war ge-
schwunden, das freundliche und intelligent aussehende Kind ist aber taub
geworden. Bei dem 1jährigen Fritz ist es zu einer ausgebildeten Nacken¬
starre Überhaupt nicht gekommen. Am 7. März fieberte er noch stark, die
Prognose ist zweifelhaft.')
Zar Sicherung der Diagnose wurde am 4 . März die Ob¬
duktion der Leiche der am 2. März verstorbenen Ida von Herrn
Medizinalrat Dr. Schulte und mir vorgenommen; ich lasse deren
Ergebnis auszugsweise folgen:
2. Verwesungserscbeinungen sind wenig ausgesprochen. Leiohenstarre
ist in Armen, Beinen und Kiefermuskeln stark ausgesprochen.
6. Hals leicht beweglich.
7. Flecken oder sonstige Veränderungen auf der Haut nicht wahrnehmbar.
8. Die Innenfläche der abgezogenen Kopfbedeckungen ist verwaschen
graurot, die Gefässe mässig gefüllt.
9. Das Schädeldach ist aussen und innen glatt und grauweiss. Zwischen¬
substanz ziemlich rot und unverändert.
10. Die harte Hirnhaut ist aussen grauweiss, sie ffihlt sieh prall an.
Die Innenfläche glatt und glänzend. Gefässe mässig gefüllt.
11. Die weiche Hirnhaut ist zart durchscheinend, die Blutadern (Venen)
ziemlich stark gefflllt. An den Venen entlang ist die weiche Hirnhaut grau-
gelblich, wie von Eiter durchtränkt, verfärbt. Es werden mehrere Stücke hier¬
von in ein sterilisiertes Reagensgläschen getan.
0 Das Kind ist Anfang Mai an allgemeiner Atrophie gestorben.
792
Dr. Voigt.
12. Der Lingsblntleiter enthält einige speckige Gerinnsel.
13. Im Sohftdelgrande finden sich 5 ccm granweiszer, dünner, wässeriger
Flüssigkeit.
14. Die Gef&sse der weichen Hirnhaut sind an der Aussenfläohe Qherall
stark ansgespritst, die weiche Hirnhaut lässt sich nicht leicht ahsieben. In
der Forche «wischen den Halbkogeln des kleinen Gehirns ist die weiche Hirn¬
haut graogelblich verfärbt und durch eine eitrige Flüssigkeit durchsetzt. 8tücke
hiervon werden in ein sterilisiertes Glasgefäss getan.
15. Das Grosshirn ist aof dem Durchschnitt feucht, granrot, siemlieh
derb und zeigt zahlreiche Blotpunkte.
16. An der oberen Gefässplatte beider Seitenhöhlen, die im übrigen wenig
graue, wässerige Flüssigkeit enthalten, befindet sich eine fast erbsengrosse
Stelle, die mit eitriger Flüssigkeit durchsetzt ist. Eine herausgeschnittene
Stelle wird in ein sterilisiertes Glasgefäss getan.
17. Der Seh- und Streifenhügel nnd das kleine Gehirn sind ziemlich derb,
grauwei88 und zeigen eine mässige Anzahl Blotpunkte.
18. Die grossen Blntleiter sind stark gefüllt mit dunklem, flüssigem Blnt.
19. Es wird der Rüekgratskanal vorschriftsmäasig geöffnet. Die harte
Bückenmarkshaut ist aussen und innen grauweiss; der Kanal enthält zwischen
harter uni weicher Bückenmarkshaut eine ziemlich grosse Menge trüber,
wässeriger Flüssigkeit.
20. Die weiche Bückenmarkshaut zeigt über dem Lendenahscbnitt anf
eine Länge von 10 cm eine ziemlich starke Durchsetzung von gelber, eitriger
Masse. Es wird dieses Stück des Bückenmarks mit welcher Haut in ein
sterilisiertes Reagensglas getan.
21. Das Rückenmark zeigt keine besonderen Veränderungen.
26. Die Milz ist 8:4:2 1 /» cm. gross, fühlt sich ziemlich derb an nnd
entleert auf dem Darchsohnitt eine mässige Menge Blnt.
28. Die Harnblase ist stark gefüllt mit trübem Harn; Schleimhaut glatt
und grauweiss.
Die Obduktion bat als Todesursache eine eitrige Entzündung
der weichen Häute des Hirns und Rückenmarks ergeben.
Durch die im hygienischen Institut in Gelsenkirchen vorge¬
nommene bakteriologische Untersuchung wurde aus den
aufbewahrten Leichenteilen der Diplococcus intracellularis menin-
gitidis (Weichseibaum) ohne irgend welche andere bakterielle
Beimischung nachgewiesen. *)
Fassen wir den Verlauf noch einmal kurz zusammen. Nach
dem Genuss frischgeschlachteten Schweinefleisches erkrankten
innerhalb 3—18 Stunden 4 Kinder, welche nach Angabe der Eltern
sich von der ersten Kindheit an der besten Gesundheit erfreut und
keinerlei krankhafte Anlagen von ihren Eltern überkommen haben,
an Erbrechen, Halsschmerzen und allgemeiner Mattigkeit. Nur
das neunjährige Kind, welches zur Zeit des Schweineschlachtens
ausserhalb der elterlichen Wohnung sich befand, bleibt auffälliger¬
weise völlig frei von krankhaften Symptomen. Nachträglich er¬
krankt der Säugling. Selbst bei Infektionskrankheiten mit
kürzester Inkubationsdauer ist eine Erkrankung von 4 Kindern
innerhalb 15 Stunden als etwas ganz Aussergewöhnliches zu be¬
zeichnen. Ein solches fast gleichzeitiges Erkranken von 4 Kindern
unter Erscheinungen wie Erbrechen, allgemeine Mattigkeit, auf¬
fallend blasse Gesichtsfarbe, beschleunigter, kleiner Puls bei
Fehlen einer Temperatursteigerung, wird unter allen Umständen
den Verdacht einer Vergiftung hervorrofen müssen. Diese Aehn-
*) Nur im Präparat, nicht kulturell.
Cerebrospinalmeningitis oder Vergiftung.
793
lichkeit mit einer Vergiftung war bedingt durch den eigenartigen
Verlauf, den die Erkrankung nahm; wir hatten es mit der von
Hirsch als Meningitis cerebrospinalis siderans, von den Franzosen
als Möningite foudroyante bezeichneten Krankheitsform zu tun.
Hirsch schliesst seine Darstellung dieser Modifikation der Me¬
ningitis c. mit den Worten: ... ein Krankheitsverlauf, von dem
Saunders mit Recht sagt: they perish as if destroyed by the
action of a virulent poison.
Das Hauptsymptom, welches der Krankheit den Namen ge¬
geben hat und auch erst die Diagnose sichert, die Nackenstarre,
trat bei 8 unserer Erkrankten überhaupt nicht, bei Fritz nur als
Steifigkeit des Nackens, bei Elisabeth erst am 4. Tage in aus¬
gesprochener Weise auf. Zur Erklärung dieses aufiallenden Ver¬
haltens verweise ich auf Levy (cit. bei Hirsch), welcher an¬
gibt, dass bei Möningite foudroyante die Nackenstarre nicht mit
Sicherheit zu konstatieren ist.
Etwas Aehnliches gilt von der Temperatur; Hirsch sagt,
dass die hyperakuten Fälle, in denen die Kranken sogleich nach
Beginn des Leidens kollabieren, ohne wesentliche Temperatur¬
steigerungen verlaufen.
Schliesslich sei noch auf die auffallende Blässe des Gesichtes
hingewiesen, ein Symptom, das von Ziemssen, Hirsch u. a.
besonders erwähnt wird. Es imponiert um so mehr, da man das¬
selbe, wie Corbin sagt, am wenigsten bei einer solchen Krank¬
heitsform erwarten durfte (cit. bei Hirsch).
Die Diagnose war aber auch dadurch erschwert, dass seit
15 Jahren — seit Bestehen des Kreises — ein Fall von epide¬
mischer Genickstarre im Kreise amtlich nicht bekannt geworden
ist. Ueberhaupt ist Westfalen im allgemeinen von der Krankheit
verschont geblieben. Nach dem Bericht des Medizinalministeriums
sind z. B. im Jahre 1900 von den 127 in Preussen amtlich be¬
kannt gewordenen Fällen von Genickstarre nur 3 in Westfalen,
und zwar im Reg.-Bez. Minden, vorgekommen.
Es ist bisher auch nicht möglicn gewesen, die Quelle der
Erkrankung ausfindig zu machen. Die Familienmitglieder haben
S. nicht verlassen; der Fleischer, welcher das Schwein schlachtete,
wohnt in der Nähe; in seiner Familie ist ein Erkrankungsfall
nicht vorgekommen. Ich habe aber in Erfahrung gebracht, dass
gerade am 27. Februar, weil tags zuvor Lohntag der Berg¬
leute gewesen war, eine Anzahl teils bekannter, teils unbekannter
Handelsleute (Hausierer) in der Wohnung gewesen sind.
Mir erscheint dieser Umstand der grössten Beachtung wert zu sein.
Die sonstigen Vorbedingungen für das Zustandekommen der
Infektion: Ueberfüllung der Wohnung und Mangel an Reinlich¬
keit trafen durchaus zu. Dem Mann mit seiner aus 8 Köpfen
bestehenden Familie stand als Wohnraum ein Zimmer von circa
25 cbm zur Verfügung. Als Schlafraum dienten für 4 Kinder eine
einfenstrige Kammer mit schräger Wand von ca. 25 cbm, für die
Eltern und die zwei kleinsten Kinder ein Zimmer von 31 cbm.
Die wenig kräftige Mutter war bei der grossen Zahl ihrer kleinen
794 Dr. Voigt: Cerebrospinalmeningitis oder Vergiftung.
Kinder nicht im stände, ihren Haushalt in sauberem Zustande zu
erhalten.
Das Haus selbst ist ein sogenanntes Einwohnerhaus, welches
ausser von der Familie GL von einer zweiten Bergmannsfamilie
bewohnt wird. Es liegt zusammen mit einem zweiten Einwohner¬
haus etwas isoliert; die Entfernung bis zu den nächsten Häusern
beträgt über 200 m. In seiner freien Lage an dem allmählich
abfallenden Nordabhang des von Osten nach Westen verlaufenden
Höhenzuges ist es einer reichlichen Durchlüftung ausgesetzt.
Nach dem oben Geschilderten kann ein derartiger Er¬
krankungsfall leicht zur Annahme einer Vergiftung l ) und event. zur
einem gerichtlichen Einschreiten führen. Dieses würde sicher er¬
folgt sein, wenn es sich nur um die drei zuerst und am schwersten
erkrankten Kinder gehandelt hätte. Allerdings würde die Ob¬
duktion Aufklärung gebracht haben; denn selbst bei Fällen,
welche innerhalb des ersten Tages tötlich verlaufen, ist, wenn
auch makroskopisch noch keine seröse Durchtränkung der weichen
Hirnhaut zu erkennen sein sollte (Hirsch), mikroskopisch doch
stets in der Umgebung der Pia mater Anhäufung von Rundzellen,
welchen extravasierte rote Blutkörperchen beigemischt sind, nach¬
zuweisen. Von besonderer Bedeutung wird aber ausserdem stets
der bakteriologische Nachweis sein, sei es, dass steril entnommene
Leichenteile als Ausgangsmaterial dienen — ein Verfahren,
welches in unserem Falle zu positivem Resultate führte — sei
es, dass die durch Quincke-Punktion gewonnene Cerebrospinal¬
flüssigkeit zur Anlegung von Kulturen verwendet wird. Es soll
hier nicht unerwähnt bleiben, dass im Jahre 1899, in welchem
in Preussen 112 amtlich als epidemische Genickstarre festgestellte
Fälle vorkamen, nur 7 mal die bakteriologische Untersuchung aus¬
geführt wurde; sie ergab in 5 Fällen den Meningococcus
Weichselbaum, in 1 Fall den Diplococcus Fränkel, einmal
verlief sie ergebnislos.
Hirsch und andere Autoren geben an, dass Fälle von
Möningite foudroyante vorzugsweise häufig im Anfang von Epi¬
demien beobachtet werden. Da bisher keine neuen Erkrankungs¬
fälle mehr vorgekommen sind, so wird hoffentlich dieser Erfahrungs¬
satz keine Bestätigung finden und unsere Gegend dank der
sanitätspolizeilichen Massregeln weiterhin von der mörderischen
Krankheit verschont bleiben.
Benutzte Literatur:
v. Ziemssen: Meningitis oerebro-spinalis epidemica.
Hirsch: Die Meningitis cerebro -spinalis epidemica.
Hirsch: Berioht Uber die im Beg.-Bes. Dannig während des Winten
und Frühlings 1865 herrschend gewesene Epidemie von Meningitis cerebro¬
spinalis.
‘) In dem in Nr. 8 (1908) der Beilage zu dieser Zeitschrift veröffent¬
lichten Bunderlass Aber das Vorkommen der epidemischen Genickstarre im
Jahre 1901 werden 2 Falle erwähnt, in welchen der behandelnde Arzt die Dia¬
gnose Fleischvergiftung stellte.
Dr. Prölls: Strafbare Ueberschreitung des Züchtigungsrechtes der Lehrer. 795
Strafbare Ueberschreitung des Züchtigungsrechtes
der Lehrer.
Von Dr. Prölss, praktischer Arst in Scheessei, staatsärztlich approbiert.
Die Grenze des obengenannten Hechtes scharf zu präzisieren,
bot folgender Anlass Gelegenheit:
Am 29. Mai 1902 hatte der Lehrer L. das 6 Jahr alte Mädchen F. in
der Schale wegen „Nichtwissens“ gezüchtigt. Nach übereinstimmenden Zengen*
ansB&gen hatte er mit dem sehr festen Griffelkasten die F. gegen linken Arm
und Brost geschlagen, dann den Kasten fest auf den linken Arm anfgedrtickt
und das nun vor Schmerz klagende nnd noch immer „nichtswissende“ Kind an
der Brost angefasst and mit dem Kopf gegen die Schulbank geschlagen.
Da eine Einigung an dem höhnischen nnd gioben Auftreten des Lehrers
scheiterte, so batte der Vater des Kindes Strafantrag gestellt nnd am Tage
darauf das Kind ärztlich untersuchen lassen.
Die ärztliche Untersuchung hatte an den oben genannten Stellen reich¬
liche Blutergüsse festgestellt, welche rot nnd lila durch die Haut schimmerten;
ferner eben dort Abschürfungen der Oberhaut. An Kopf nnd linkem Arm
seichte Blatauflagerungen, die fest eingetrocknet waren nnd nur geringste Aus-
dehung batten, am rechten Arm eine starke WeichteilanBchwellnng.
Die ärztliche Behandlung bestanden in Umschlägen mit geeigneten Medi¬
kamenten und Einhängung des rechten Armes in eine Mitelia 14 Tage lang.
Eine auf elterlichen Wansch am 28. September vorgenommene Unter¬
suchung ergab bei sonstigem Wohlbefinden: Eine Drüse am rechten Oberarm
von Pflaamenkerngrösse nnd Schmerzhaftigkeit bei Druck. Aehnliche Drüsen
waren nicht am linken Oberarm, wohl aber am Halse.
Am 30. September wurden mir bei einer Vernehmung folgende
Fragen vorgelegt: Erstens, ob die Gesundheit der F. durch die
Züchtigung jetzt noch geschädigt sei; zweitens, ob eine solche
Schädigung noch zu erwarten wäreP
Beide Anfragen verneinte ich; jedoch sprach ich mich dahin
ans, dass in Ansehung des Alters und Geschlechtes der F., in
Ansehung der Folgezustände die Züchtigung eine übertriebene
gewesen sei; auch sei die Art der Züchtigung unberechtigt, denn
zur Züchtigung sei den Lehrern der Bücken vorgeschrieben.
Diese Bemerkungen hatten aber nicht genügt, denn am
24. Oktober erhielt ich vom ersten Staatsanwalt die Aufforderung
zur Auskunft auf folgende Frage:
„Ist durch die Züchtigung die Gesundheit des gezüchtigten
Schulmädchens beschädigt gewesen oder auch nur gefährdet ge¬
wesen P“
Hierüber wurde ein Gutachten eiugefordert und dazu folgen¬
des beigefügt: „Es handele sich darum, ob eine Ueberschreitung
des Züchtigungsrechtes vorgekommen sei in der Weise, dass ge¬
mäss §. 223 des Strafgesetzbuchs eine Gesundheitsschädigung ein¬
getreten sei. Dahingegen käme nicht in Frage, ob die Art der
Züchtigung berechtigt gewesen sei; diese Art der Züchtigung
vorzuschreiben und dahingehende Uebergriffe zu ahnden sei Sache
der Schulbehörden.“
Bei Aufstellung des Gutachtens leiteten mich nun folgende
Erwägungen.
Der §. 223 des Strafgesetzbuches lautet:
„Wer vorsätzlich einen Andern körperlich misshandelt oder an der Ge¬
sundheit schädigt wird wegen Körperverletsung mit nsw. bestraft.“
796 Dr. Prölss: Strafbare Uebereehreitang des ZttchtigUDgarechtes der Lehrer.
Der im vorliegenden Falle zweifellos vorliegende Bestand
des körperlichen Misshandelns scheidet nun aber von der Straf¬
barkeit aus; denn es ist dem Lehrer gegenüber dem Schüler das
Züchtigungsrecht eingeräumt. Wenn es zu dem Begriff des
körperlichen Misshandelns gehört, dass es das Wohlbefinden des
Misshandelten stört, dann ist eigentlich jede Schulzüchtigung eine,
dem Lehrer aber erlaubte, Misshandlung; der Zweck der Schul¬
züchtigung ist eben die Störung des Wohlbefindens. Um diesen
Zweck zu erreichen, darf die Schulzüchtigung sogar Spuren
zurücklassen, denn das ist unter Umständen nicht zu vermeiden,
wenn sie wirksam sein soll.
Strafbar wird die dem Lehrer eingeräumte Schulzüchtigung
erst, wenn der zweite Passus des §. 223 des Strafgesetzbuches,
die „Schädigung an der Gesundheit“, eintritt, oder wie die Notiz
des Staatsanwaltes lautet: „sie die Gesundheit der Gezüchtigten
beschädigt oder auch nur gefährdet hat.“
Dieser Begriff lässt immerhin dem subjektiven Ermessen des
Gutachters einen gewissen Spielraum; denn dieser kann die Grenze
der Gesundheitsbeschädigung verschieden ziehen. Vom Standpunkt
des Psychiaters in bezug auf die Entstehung einer traumatischen
Neurose kann er eine Gesundheitsgefährdung schon annehmen bei
jeder schmerzerregenden Tracht Prügel; vom Standpunkt des
Anatomen kann er schon die Striemen als Gesundheitsverletzung
ansehen; denn ihnen entsprechen Blutaustritte, und diese sind nicht
normal. Das Missbehagen, dass ein gezüchtigter Knabe noch
1—2 Tage beim Sitzen empfindet, kann der Kliniker als Gesund¬
heitsstörung bezeichnen. Aber diese Grenzziehung würde eben
juristisch nicht haltbar sein, denn derartige Folgen der Schul¬
züchtigung sind unvermeidlich, soll die Züchtigung Erfolg haben.
Die Ausübung der Züchtigung mit den genannten Folgen ist dem
Lehrer eingeräumt. Erst stärkere Beschädigungen der Gesundheit
bedingen eine Strafbarkeit im Sinne des §. 223.
In vorliegendem Falle sind zwei Tatsachen geeignet, auf
eine solche Gesundheitsschädigung schliessen zu lassen: Die eine,
dass das Kind 14 Tage ärztlich behandelt wird, dass es die Schule
versäumt, dass es den Arm im Tuche tragen muss; die andere,
dass noch fast Vs Jahr später eine vergrösserte, schmerzende Drüse
an der Stelle der schwersten Züchtigung deutlich zu fühlen ist.
Nun möchte ich die letzte Tatsache allein nicht als belastend
heranziehen, denn das Kind hatte auch am Hals vergrösserte Drüsen.
Es ist nicht zu beweisen, dass sich die Drüse am Arm durch die
Züchtigung allein vergrössert hat; sie kann ebenso wie die Hals¬
drüsen von Skrophulose bedingt sein. Auffällig ist ihr Bestehen
allerdings.
Die erste Tatsache ist aber jedenfalls eine solche, wie sie
nicht unter die unvermeidlichen Folgen der Schulzüchtigung zu
rechnen ist. Denn wir pflegen eben nicht zu beobachten, dass die
gezüchtigten Kinder den Arzt aufsuchen, dass sie die betroffenen
Körperteile verbunden tragen, die Schule aussetzen; das Bild der
Schule wäre dann das eines Lazaretts.
Ans Versammlungen und Vereinen. 797
Ganz zweifellos sind diese Folgen zu vermeiden. Sie lassen
sich vermeiden, wenn der betreffende Lehrer mit Bedacht seine
Schläge abmisst and dazu nicht jeden handgreiflichen Gegenstand
wählt. Sie werden noch leichter vermieden, wenn der Lehrer
nnr an den Körperstellen züchtigt, an denen es ihm durch Schul¬
statut gestattet ist, also nicht am Arm, an der Brust, an dem
Kopf, sondern auf dem Rücken; dann kann es auch nicht schaden,
wenn einmal, was menschlich zu erklären und zu entschuldigen
ist, nicht die ruhige Erwägung über Kräftezustand, Alter und
Geschlecht des Kindes, sondern Unwille und Zorn die Schwere
der Züchtigung abmisst.
Unter diesen Erwägungen musste das Gutachten schliesslich
dahin ausfallen, dass durch am 29. Mai 1902 erhaltene Schul¬
züchtigung die Gesundheit der F. 14 Tage lang geschädigt und
gefährdet gewesen ist.
Infolgedessen wurde gegen den Lehrer L. das Verfahren wegen
Vergehens gegen §. 223 aufgenommen. In der Hauptverhandlung
stellten die Zeugenangaben die voranstehenden Tatsachen evident
fest; ausserdem wurden noch vielfache Klagen über brutales Be¬
nehmen in anderen Fällen laut. L. selber leugnete den ganzen
Vorgang rundweg ab und benahm sich auch vor dem Gerichtshof
äusserst auffahrend und reizbar. Er wurde mit einer erheb¬
lichen Geldstrafe bestraft.
Aut Versammlungen und Vereinen.
Bericht über die 28. Versammlung
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege
in Dresden am 16.—19. September 1903.
Zweiter Sitznngstag; Donnerstag, den 17. September.
1. Die gesundheitliche Ueberwachnng des Verkehrs mit Milch.
Der Referent, Prof. Dr. D a n b a r - Hamburg, hatte seinen interessanten Aus*
IQhmngen s. T. das Ergebnis sehr eingehender, für das Jahr 1901 ange-
stellter Ermittelungen Ober Verkauf, Herkunft, Menge und Verkehrswert der
Milch in 60 deutschen Städten, sowie Ober den Milchtransport auf den deutschen
Bahnen zu Grunde gelegt und diese Ergebnisse in graphischen Darstellungen
veranschaulicht. Er betonte, dass die Milchversorgung su den allerwichtigsten
Aufgaben der Öffentlichen Gesundheitspflege gehöre; denn von den zwei Millionen
Kindern, die alljährlich in Deutschland geboren werden, gehen nicht weniger
als 160000 infolge nicht ausreichender Ernährung zu Grunde, also alljährlich
fast die dreifache Zahl der Opfer, welche die letzten drei Kriege zusammen-
genommen Deutschland an Menschenleben gekostet haben. Die Ursache davon
ist hauptsächlich darin zu suchen, dass die Sitte des Selbststillens immer mehr
abgenommen hat, und an ihre Stelle die kOnstliche Ernährung mit Milch ge¬
treten ist, die bekanntlich sehr leicht der Zersetzung unterliegt. Die Schwierig¬
keiten, gesunde Milch zu einem angemessenen, billigen Preise su beschaffen,
sind nicht so gross, wie von vielen Seiten angenommen wird. 8ie lassen sieh
durch ein zielbewusstes Vorgehen der städtischen Behörden, durch entsprechende
Einwirkung auf die Milchprodusenten und die mit Molkereien verbundenen Milch-
Verwertungs-Genossenschaften, durch Besserung der Transportverhältnisse mehr
oder weniger beseitigen. In erster Linie sind strengere Massregeln in bezug
auf die Ueberwachnng der Milohproduktionsstellen erforderlich.
Zu verlangen ist peinliche Sauberkeit der Ställe, des Milchviehs, des Melkpersonals
und der Melkgefässe. Dadurch wird die Haltbarkeit und infolgedessen auch
der hygienische wie der Ökonomische Wert der Mileh wesentlich gesteigert.
798
Ans Versammlungen and Vereinen.
Als weitere Mittel snr Verlängerung der E<barkeitsdauer und snr Herab-
setsang der Bakterienbildung kommen Zentrifugierung and Abkühlung in
Betracht. Auf diese Weise wird es gelingen, auch weiter entfernt liegende
Gebiete für die Milchversorgung heranzuziehen. Das jetzige Verfahren der
Milchkontrolle schützt nur gegen eine Herabsetzung des Nährwertes und
gegen die Verwertung von schädlichen Konservierungsmitteln. Mit Bückeicbt
auf die Ernährung der Säuglinge sind aber nach Ansicht deB Beferenten
nicht minder wichtig Bestimmungen in bezug auf das Alter der Milch bei
der Ablieferung und in bezug auf den Zersetzungsgrad. Durch schärfere poli¬
zeiliche Vorschriften, wozu auch eine strengere Kontrolle des Zwischenhandels
gebürt, wird allerdings der Preis der Milch erhöht, da sie die Produktionskosten
vermehren; deshalb müssen die Gemeinden und private Vereine helfend ein-
greifen, um dem unbemittelten oder wenig bemitttelten Teile der Bevölkerung
die Milch zu billigerem Preise sn beschaffen.
Referent hatte seine Ausführungen in die nachstehenden Leitsätze
zusammengefasst:
„1. Die derzeitigen städtischen Milchversorgnngsverhältnisse genügen
nicht den hygienisoherseits zu stellenden Anforderungen.
2. Aus der Tatsaohe allein schon, dass im Deutschen Beiche jährlich
etwa 150000 künstlich ernährte Säuglinge an dem Genüsse verdorbener Milch
sterben, geht hervor, dass die Sanierung der Milchversorgungsverbältnisse eine
Aufgabe darstellt, die au Bedeutung keiner anderen Aufgabe der Stldte-
hygiene nachsteht.
3. Bei dem hohen Entwicklungsstände der milchwirtschaftlichen Technik
liegt die Möglichkeit vor, zur Versorgung der Städte mit einer, allen gesund¬
heitlichen Anforderungen genügenden, insbesondere auch für die Kinder¬
ernährung geeigneten Milch zu demselben Preise, der zur Zeit für die Markt-
milch bezahlt wird.
4. Dass diese Möglichkeit unbenutzt bleibt, liegt begründet in der auf
Unkenntnis beruhenden Gleichgültigkeit der städtischen Konsumenten und in
der Tatsache, dass die städtischen Behörden noch keinen genügenden Einfluss
auf die Milchproduktions- und Transportverhältnisse besitzen.
5. Die übliche Ueberwachung des Milchverkehrs ist ungenügend. Die
Untersuchung von Milchproben, welche aus dem Verkehr entnommen werden,
hat zwar den Nutzen, dass durch sie einer erheblichen Herabsetzung des Nähr¬
wertes der Milch und namentlich auch einer Anwendung von Konservierungs¬
mitteln erfolgreich entgegengetreten werden kann. Für die Beurteilung der
Milch hat solche Untersuchung im übrigen aber nur den Wert, den die Unter¬
suchung einer eingelieferten Brunnenwasserprobe haben konnte. Diese aber
würde kein Hygieniker als ausreichende Grundlage anerkennen für die Beur¬
teilung etwaiger Gesundheitsschädlichkeit des Brunnens, aus welchem die Probe
stammte. Ebensowenig gibt uns die chemische, bezw. bakteriologische Unter*
suohnng der aus dem Verkehr entnommenen Milchprobe einen genügenden Auf¬
schluss über etwaige, am Prodnktionsorte der Milch vorliegende Infektions¬
gefahr.
6. Die Schwierigkeiten, welche einer einheitlichen Ueberwachung der
S ausen Produktions-, Transport- und Verkehrsverhältnisse der für den städtischen
Konsum bestimmten Milch entgegenstehen, sind auf reichsgesetzlichem Wege
zu beseitigen.
7. Diese Ueberwachung würde sich regeln lassen durch Einsetzen von
Kommissionen, in welche Mitglieder der Regierung, der Landwirtschaft»
kammern, sowie auch Vertreter der Städte sn entsenden wären. Den Kom¬
missionen müssten ein Landwirt, ein Tierarzt und ein Arzt angeboren. Sie
hätten den zuständigen Aufsichtsbehörden bei Lizenzerteilungen für den Milok-
handel als beratende Instanz zur Seite zu stehen.
8. Bis zur Erledigung der unter 6 nnd 7 beseichneten Aufgaben sollten
die städtischen Behörden es sich zur Pflicht machen, dafür zu sorgen, dass
wenigstens für sämtliche künstlich zu ernährenden Säuglinge eine gesundheit¬
lich eiawandsfreie Milch zum heutigen Preise der Marktmilch zur Ver¬
fügung steht.*
In der sloh anschliessenden, sehr lebhaften Diskussion betont Dr.
Schlossmann-Dreeden, dass das Selbststillen der Frauen in den Vordergrund
Ans Versammlungen nnd Vereinen.
799
aller Massnahmen gestellt werden müsse. Glücklicherweise mache sich in
dieser Hinsicht sowohl in Deutschland, wie in Frankreich eine Besserung be¬
merkbar. Erwünscht wäre bei der nächsten Volkssählung die Beantwortung
der Frage bei allen Kindern unter einem Jahr, ob diese an der Brust oder
künstlich aufgesogen sind. Man würde auf diese Weise su einer wertvollen
Statistik kommen. Kindermilch su demselben Preise hersustellen wie gewöhn¬
liche Marktmilch, hält Bedner (für .unmöglich. Im übrigen stehe man heute
nioht mehr auf dem Standpunkt, dass die Trockenftttterung das beste sei,
sondern gehe wieder sur natürlichen Ernährungsweise der Milchkühe über.
Eine reichsgesetsliche Regelung des Milchverkehrs sei ebensowenig wie eine
landesgesetzliche bei den grossen Verschiedenheiten der einseinen Bezirke durch¬
führbar und wünschenswert. Wenn das Publikum der Milchfrage ein grösseres
Verständnis entgegenbringe und vor allem erst gute Milch erkennen und
deren Wert schätzen lerne, dann würden sich die Verhältnisse auch ohne gesetz¬
liche Vorschriften bessern; denn jedes Land habe die Milch, die es verdiene 1
Prof. Dr. Baginsky-Berlin verweist auf den ausserordentlichen Wider¬
stand der Milchprodusenten und Milchhändler gegen alle Vorschriften, welche
die Reinhaltung des Milchviehes, sowie grösste Reinlichkeit beim Melken und
insbesondere bei dem Melkpersonal verlangen. Seines Erachtens muss die Milch¬
kontrolle in den Stall, an den Ort der Produktion verlegt werden. Eine Her¬
stellung der Kindermiloh zu demselben Preise wie die Marktmilch hält auch
er für unmöglich. Mit Gesetzen lasse sich auf diesem Gebiete wenig erreichen;
wirksamer sei das Einsetzen der Privattätigkeit, die in Amerika bereits in
ganz vollendeter Weise organisiert und zu einer erheblichen Besserung der
Verhältnisse geführt habe.
Prof. Dr. Fi sc her-Kiel erwähnt eine Beobachtung über Erkrankungen
duroh Milch von perlsüchtigen Kühen. Dr. Meinert-Dresden bestreitet,
dass die künstliche Ernährung mit Milch die Hauptursache der Säug¬
lingssterblichkeit im Hochsommer sei; hierfür kämen noch andere Momente,
besonders ungünstige Wohnungsverhältnisse mindestens ebenso in Betracht.
Nach seiner Ansicht habe das Sozhl et verfahren zur Vermehrung der Rachitis
beigetragen, eine Ansicht, der von anderer Seite entgegengetreten wird.
San.-Rat Dr. Altschul-Prag stimmt dem Vorredner insofern bei, dass
auch er den ungünstigen Wohnungsverhältnissen eine erhebliche Schuld bei der
grossen Säuglingssterblichkeit beimisst. Er fordert deshalb eine andere Sta¬
tistik auf einheitlicher Basis. — Prof. Dr. Pe tr us chky- Danzig berichtet über
die in der Danziger Untersuchungsanstalt festgestellten Milchnntersuchungs-
ergebnisse. Danach sind während des Hochsommers Millionen von Strepto¬
kokken in 1 cbcm Milch gefunden, mehr als im Kloakenwasser; diese abzu-
töten, bedürfe es ausserordentlicher Hitzegrade. Stadtrat Pütt er-Halle teilt
mit, dass in Halle durch Gewährung eines städtischen Zuschusses und mit Unter¬
stützung des Frauenvereins gute Säuglingsmilch um 2 Pf. pro Liter unter
dem gewöhnlichen Marktpreis an Unbemittelte und wenig Bemittelte abge¬
geben werde. Abgabestellen sind in sämtlichen Stadtteilen (Apotheken) ein¬
gerichtet.
Nachdem Prof. Dr. Erismann-Zürich noch über einen Fall von er¬
höhter Säuglingssterblichkeit infolge von Maul- und Klauenseuche der Milch¬
kühe berichtet hat, bemerkt Bezirksarzt Dr. Pött er-Chemnitz, dass dort sehr
gute Erfolge durch die den Hebammen auf erlegte Pflicht, bei den Müttern anf
das Stillen hinzuwirken, erzielt seien. Das Vermögen zum Stillen habe nicht
abgenommen, sondern die Ursachen des Rückganges seien in Bequemlichkeit,
zum Teile auch in der Eitelkeit der Männer zu suchen, die glauben, dass durch
das Stillen die Schönheit der Frauen beeinträchtigt werde. Stadtrat Tiessen-
Königsberg i./Pr. tritt für eine strengere Kontrolle der ländlichen Produktions¬
stellen ein; diese müsse aber von dem Regierungspräsidenten ausgehen, denn
die Städte hätten in dieser Hinsicht keine Macbthabe. Nützlich erscheinen
Belehrungen für die Mütter bei der Anmeldung der Geburten. — Der Vertreter
des Verbandes Deutscher Milchhändler, J. Luley-Berlin, bedauert, dass der
Produzent sich heute leider noch oft über die Behandlung der Milch nicht klar
sei. Nach Berlin werden z. B. grössere Mengen Milch kuhwarm auf den Trans¬
port gebracht. Die Frage der Futtermittel für Kühe, dereu Milch zur Ernäh¬
rung von Säuglingen dienen soll, sei noch nioht gelöst. Kindermilch zu dem
800
Aas Versammlungen und Vereinen
gleiohem Preise so liefern, wie Marktmilch, sei ausgeschlossen. In Berlin habe
man aber auf genossenschaftlichem Wege den Versuch gemacht, eine einwand¬
freie Milch billig an die ärmere Bevölkerung (80 Pfg. pro Liter) absngeben.
Im Schlusswort weiBt Prof. Dr. Dunbar die von den einselneu Bednern gegen
seine Ausführungen gemachten Einwendungen zurück und hält seine Vorschläge
aufrecht. Br erwähnt, dass auch in Hamburg gate Milch für 15 Pfg. pro Liter
abgegeben wird.
n. Reinigung des Trinkwassers durch Onon.
Der Referent, Geb. Reg.-Rat Dr. Oh lmüll er-Berlin, der sich seit Jahren
in seiner amtlichen Stellung gerade mit der Wirkungsweise der verschiedenen
Wasserreinigungsmethoden beschäftigt und die Einwirkung des Ozons auf Bak¬
terien, namentlich auf die Erreger des Typhus, der Cholera und Ruhr eingehend
untersucht hat, erkennt den grossen Wert der Sandfiltration für die Beschaffung
einwandfreien Trinkwassers an, hebt aber hervor, dass das Oson die Zahl der
krankheitserregenden Bakterien nicht nur auf ein Minimum, wie die Sandfilter es
tun, sondern sogar auf Null su vermindern vermag. Aus diesem Grunde müsste
in vielen Fällen der Reinigung des Trinkwassers durch Ozon den Vorzug ge¬
geben werden. Auf Grund eigener Versuche erläutert Referent, wie bei der
Anlage von Ozonwasserwerken in den einzelnen Fällen ausserordentlich ver¬
schiedenartige Verhältnisse (Oxydationsgrad, Menge der organischen Sub¬
stanz, Eisenoxydulgehalt, Huminsubstanzen, Schwebebestandteile) event). unter
Zaziehung von sogenannten Schnellfiltern berücksichtigt werden müssten, und
wies auf die beiden bisher ausgeführten Ozonwasserwerke in Wiesbaden und
Paderborn hin. Durch diese beiden Anlagen seien die mehr wissenschaftlichen
Untersuchungen des Reichsgesnndheitsamts und die entsprechenden Versuche
des Koch sehen Instituts auch in der Praxis als richtig bestätigt worden: es
habe sich ausserdem die volle Möglichkeit, einen sicheren Betrieb hersustellen,
ergeben. Ausser diesen von Siemens und Halske erbauten Ozonwasser¬
werken erwähnte Referent auch die Bemühungen und Arbeiten französischer
und holländischer Fachmänner auf diesem Gebiete, die, wenn sie auch nicht su
praktischen Anlagen, so doch auch zu einer Bestätigung der zuerst von un¬
serem Reichsgesundheitsamt konstatierten Tatsache geführt hätten, dass das
Oson tatsächlich alle krankheitserregenden Bakterien im Wasser mit Sicherheit
su toten vermag. Die Kosten des Verfahrens kommen, abgesehen von den¬
jenigen für die elektrische Kraftbeschaffung auf 0,71—1,0 Pf. pro Kubikmeter ’);
auch zur Enteisenung des Wassers ist das Ozon brauchbar, aber seine Anwendung
kostspieliger als bei anderen Verfahren.
Die von dem Referenten aufgestellten Schlusssätze lauten:
„1. Das Ozon wirkt auf Bakterien im Wasser, auch auf Sporen von
solchen, vernichtend unter gewissen Bedingungen.
2. Krankheitserreger, wie die der Cholera, des Typhus und der Ruhr,
unterliegen im allgemeinen rascher der Ozonwirkung als die Wasserbakterien.
3. Die keimtötende Wirkung des Ozons ist von der Menge und Beschaffen¬
heit der im Wasser befindlichen leblosen, oxydablen Stoffe, den organischen
und anorganischen, abhängig; weniger kommt die Hohe der Keimzahl in Be¬
tracht. Diese Eigenschaften sind bei der Auswahl eines Wassers, dessen
Reinigung durch Ozon beabsichtigt wird, besonders su berücksichtigen.
4. Siohtbare Schwimmstofie müssen vor der Ozoneinwirkung durch eine
Schnellfiltration von dem Wasser abgeschieden werden, teils aus ästhetischen
Rüoksichten, teils weil die von diesen eingesehlossenen Bakterien der Ozon-
Wirkung schwerer zugänglich sind.
5. Der KonzentrationsgTad der ozonisierten Luft, d. h. deren Gehalt an
Oson, ist nach der Menge der oxydablen Stoffe des Wassers su bemessen.
6. Eine zuverlässige Wirkung des Ozons tritt nur dann ein, wenn eine
innige Berührung des Osons mit dem Wasser gewährleistet ist.
7. Entsprechend der VergrOsserung der Einwirkungsoberfläche und der
dadurch erzielten feineren Verteilung des Wassers daselbst kann nach Um-
‘) In Paderborn betragen sie bis jetzt, die Verzinsung und Amortisation
des Anlagekapitals eiageeehloesen, über 8 Pf. für den Kubikmeter. Die Kosten
für die Betriebskraft (Gas- und elektrischer Motor) sollen hier allerdings auf-
'■»llend hoch sein. Referent.
Au Versammlungen and Vereinen. 801
ständen (Menge der ozjdeblen Stoffe des Weesen) die Osonkonzentrntion Ter¬
miniert werden.
8. Des gelieferte Oson wird bei der Wasservereinignng nur mm gerin¬
geren Teil verbraucht. Die Zirknletion der osonisierten Loft im Apperete ist
daher vorteilhaft; nur ist für Nachschub frischer Lnft za sorgen, am die Oson*
konsentretion eaf bestimmter Hohe za halten.
9. Vor der Planung einer Osonwaaserreinignngsanlage sind die in Frage
kommenden Eigenschaften des Wessen festaasteilen; das Ergebnis entscheidet
Uber die Zweckmässigkeit der Anlage and bestimmt die Art der technischen
Einrichtung derselben.
10. Jede fertiggestellte Anlage ist, bevor sie dem Betriebe fibergeben
wird, einer Prüfung bezüglich ihrer bakteriologischen, physikalischen and
chemischen Wirksamkeit za unterziehen. Diese ist bei eintretenden Ver¬
änderungen der Beschaffenheit des za reinigenden Wassers, beispielsweise bei
Vermehrung des Eisengehaltes oder bei zunehmender Verunreinigung, nach
Bedarf zu wiederholen.*
An der Diskussion beteiligten sieh nur wenige Vereinsmitglieder.
Geh. Med.-Bat Dr. Löffler-Greifswald hftlt ebenfalls das Ozonisierungsver-
fahren fflr sehr wertvoll, namentlich, wenn Oberflichenwasser für Wasserver¬
sorgung benutzt wird; jedenfalls mfisse aber die Konzentration nach dem Grade
der Verunreinigung bemessen werden. Auf eine Anfrage des Prof. Dr. Heyer-
Dessau, ob ozonisiertes Wasser Metalle nicht angreife, erwidert Referent, dau
nach seinen Versuchen Metalle nicht angegriffen werden. Er bebt dabei her¬
vor, dass Grandwasser Metallen gegenüber keineswegs so harmlos sei, wie viel¬
fach angenommen werde; allerdings gehöre die Mitwirkung von Sauerstoff und
Kohlensfture dazu, um eine angreifende Wirkung anf Metalle ausuflben.
(Schluss folgt.) Bpd.
Bericht über die 75. Versammlung Deutscher Natur¬
forscher nnd Aerzte in Kassel vom 80.—£0. Septbr. 1003.
(Fortsetzung.)
ft. Gemeinschaftliche Sltnung der medizinischen Hauptgruppe.
In der am Donnerstag, den 24. September abgehaltenen gemein¬
schaftlichen Sitzung der medizinischen Haoptgrnppe sprach zunächst Prof.
Dr. Jensen-Breslau Ober „die physiologischen Wirkungen des Lichtes'*.
Er führte aus, dass bei den Untersuchungen Aber die Wirkungen der Licht¬
strahlen die Wärmestrahlen ausgeschlossen werden mfissen, und dass beim
Menschen und den höheren Tieren zwischen der Wirkung anf das Auge und
die Haut — denn diese Organe kommen beide in Frage — unterschieden
werden muss. Auf beide Organe wirkt intensives Licht schädigend, während
mlssige Bestrahlung einen anregenden Einfluss ausftbt; bei der Haut speziell
findet eine Anregung des Stoffwechsels statt, die sich vielleicht durch die
Nerven auch zentral fortpflanzt. Fflr das Leben ist Licht nicht unbedingt
nötig, da es einerseits Tiere gibt, die andauernd im Dunkeln leben, und
andere, die durch ihren Pelz vor Belichtung der Haut vollkommen geschätzt
sind. Aehnliche Verhältnisse bieten beim Menschen Blinde und die dichte
Kleidung. Indes ist der Vorteil einer mässigen Beleuchtung doch nicht zu
unterschätzen. Die Wirkung des Lichtes auf die Umgebung des Menschen
ist noch weit bedeutungsvoller. Die grflnen Blätter können ohne Licht nicht
leben, ohne Pflanzen wieder nicht Tiere und Menschen. Ferner gehört der
Einfluss des Lichtes auf Bakterien hierher; endlioh übt die Erhellung unserer
Umgebung auf die geistige Tätigkeit des Menschen einen sehr wesentlichen
Einfluss aus.
2. Hierauf hielt Prof. Dr. Ri oder-München einen Vortrag über die
bisherigen Erfolge der Lichttherapie. Er gedenkt zunächst der Sonne als
natürlichster, intensivster und billigster Lichtquelle. 8ie wird zu Sonnen-
und Lichtluftbädern benutzt; bei den letzteren spielen allerdings die Wärme¬
strahlen die Hauptrolle. Sonnenbäder regen die Zirkulations- und Sekretions¬
vorgänge in der Haut an. Durch die Hyperaemie der Hast aber tritt eine
802
Ans Versammlungen und Vereinen.
Entlastung der inneren Organe ein, und durch die SchweiBsabsonderung werden
schädliche Stoffe entfernt.
Von den künstlichen Lichtarten wird am meisten das elektrische Licht
benutst. Bei den Glühlichtbädern handelt es sich wie bei den Sonnenlicht-
bädern zum grossen Teil nm die Wirkung strahlender Wärme; sie sind
Schwitzbäder, welche von vielen Menschen besser als andere Schwitzbäder ver¬
tragen werden. Die elektrischen Glühlichtbäder sind als Vorbengungsmittel
und bei denjenigen Erkrankungen der inneren Organe angezeigt, bei denen
eine reichliche Sohweissabsonderung erwünscht ist, während für lokale Behand¬
lung die Heissluftbäder ihrer intensiveren Wirkung halber vorzuziehen sind.
Das Bogenlicht ist in unkonzentrierter Form, auch mit Glüblicht kombiniert,
nicht zu verwerten, in konzentrierter hat es sich dagegen nach Beseitigung
des grössten Teils der Wärmestrahlen bei der Behandlung der Hautkrankheiten
glänzend bewährt und sich als den andern Methoden weit überlegen erwiesen.
Konzentriertes Bogenlicht ruft einen in die Tiefe fortschreitenden entzündlichen
Prozess in der Haut hervor, welcher diese für die Lebensbedingungen der
Parasiten untauglich macht. Dabei ist das kosmetische Resultat ein hervor¬
ragend gutes. Das Finsenscbe Institut in Kopenhagen besitzt die voll¬
kommensten derartigen Einrichtungen. Meist wird weisses Licht angewendet,
doch wird auch farbiges benutzt. So hat man Geisteskranke in farbig be¬
leuchteten Zimmern untergebraoht und gute Erfolge gehabt, ebenso wie
bekannt ist, dass rotes Licht auf den Verlauf und die Narbenbildung von
günstigem Einfluss ist. Den Erfolgen von blauem Licht steht Redner skeptisch
gegenüber.
Sehr günstige Resultate haben in der Hand geübter und sachverständiger
Therapeuten die Bestrahlungen mit Böntgenstrahlen zu verzeichnen. Diese
Strahlen wirken noch weit intensiver als Bogenlicht; deshalb ist bei ihnen
aber auch eine genaue und vorsichtige Dosierung besonders nötig. Bogenlicht
und R&ntgenstrahlen bewirken bei geringer Intensität Anregungen des Haar¬
wuchses, bei starker Intensität Vernichtung. Daneben ist ihr glänzender
Erfolg bei Behandlung namentlich parasitärer Hauterkrankungen bekannt
(Favus, Sykosis, Herpes tonsurans, Alopecie und vor allem Lupus); sogar bei
Hautkrebsen und tiefersitzenden Neubildungen werden durch Röntgenbehand¬
lung Rückbildungen erzielt.
Zum Schluss empfiehlt der Redner Einrichtung von Lupusheilstätten zur
Lichtbehandlung.
3. Prof. Dr. Macfadyan-London wies in seinem Vortrage Aber das
Vorkommen und den Nachweis von intrazellulären Toxinen darauf hin,
dass die biologischen Untersuchungen uns zur Erforschung der Grundlagen
aller Erscheinungen und deren innerer Vorgänge hinfübren. Die Zellenlehre
ist die Grundlage aller biologischen Forschung; deshalb ist das unmittel¬
bare Studium der Zelle heute sehr in den Vordergrund gerückt. Zum Ver¬
ständnis der inneren Vorgänge in den Zellen war es notwendig, die Zellen
losgelöst von äusseren Einflüssen zu gewinnen. Der beste Weg hierzu ist die
Methode, die Zellen mechanisch zu zertrümmern und das Plasma nnter Bedin¬
gungen zu gewinnen, die ihm am wenigsten schaden. Das Verfahren wurde
von Bnehner zuerst beim Studium dieser Vorgänge bei der Hefezelle an¬
gewendet.
Verfasser hat nun durch flüssige Luft diese mechanische Gewinnung des
Plasma zu Stndienzwecken sehr gut erreicht, und zwar nicht nur für Körper-,
sondern auch für die Bakterienzellen. Auf diese Weise konnte mit Ersparnis
von Material und Zeit der Zellsaft von Bakterien gewonnen und untersucht
werden. Bei Typhus z. B. enthielt der Zellsaft zweifellos ein Toxin, dem
Meerschweinchen bei intraperitonealer Einverleibung in 3-6—12 Stunden
erlagen. Auch bei den pyogenen Kokken Hessen sich intrazelluläre Toxine
nachweisen. Bei der Prüfung der Frage, ob sich die gewonnenen Zellsäfte
zur Immunisierung eignen, wurde festgestellt, dass auf diese Weise behandelte
Affen nicht nur gegen virulente Typhusbazillen, sondern auch gegen deren
intrazelluläres Toxin geschützt werden konnten. Ausserdem konnte noch eine
Heilwirkung beobachtet werden. Demnach wirkt das durch BakterienzelWft
gewonnene Serum nicht nur antitoxisch, sondern auch bakterizid. Endlich
stellte sioh heraus, dass es auf die eben beschriebene Weise möglich ist, eine
Ana Versammlungen und Vereinen.
803
Daher Produktion von antitoxischen Substanzen im Blute de« Versuchstieres
hervonurufeu. Zugleich sei noch erwähnt, dass die Bakterienaells&fto sehr
schnell reaorbieit werden« ein ü tu stund, der für die Behandlung mancher Kr-
ktAttkaogea tou Wichtigkeit sein dürfte.
3, Abteilung für gerichtlich* Medlfii».
f, Oeber ftkate Kupfervergiftong. Der Vortragende, IreiBMsl
Dx. 3d bkffer-Bingen, wies sanäebst darauf hin, dass die Gefahres der
Akuten Kttpfemrgjftnng für Erwachsene sehr Überschätzt werde», und dass in
der LUiefataf häufig Fälle als solche beschrieben sind, »eiche einer Kritik
nicht at&nd halten. Die angeblichen Kapfervergiftoügen, die des öfteren
nach Gebrauch von KnpfergeKsBen beobachtet sind, finden wohl ihre Br"
kläroag richtiger in and<sren« namentlich in Ptouialuvergiftncges. Es sind denn
auch sowohl Ökonomische, wie kriminelle Enpferverglftttngea in Deutschland in
der leisten Zeit nnr sehrf «eite® boBchrisbea wordeii.
Im Anschlussan einen selhstboob&chteten. Bali von kriminelle? Kupfer-
Vergiftung; bei einem drei Tage alten Kinde bespricht der Vortragende sodann
den patbpiogisch-uoitom'isnhea Befand and den Nachweis des Kupfers bei akuter
Knpfervergtflnng, Pathologisch-anatomisch fand sich Ite vorliegenden Falle:
blÄnlicber, tütssfarbeoer Belag von Zange und Zahnfleisch, Ikterus, Blutungen
in der Muskulatur, ancb des Herzens. massenhafte Blutnngen in beiden Longen,
so dass der Durchschnitt gesprenkelt aassah; auch auf der Zwerchfellkuppe,
in dar ThymUs und auf der geschwollenen MsgenaahJeimfcaui zahlreiche
Blntnugen; am Dünn- and Dtakdarm schwere hlmörrha^BOhe Entzündung,
im Coecatn ein markstnekgroasos, zirkol&fes, scharf räudiges, bis in die Snbmncosa
reichendes Geschwür mit woUartigem Btnd cpd ÖKchenbnfttn Blntnngen in der
Umgebung; zahlreiche Binlnngen m den Ntarsn bei fettiger Degeneration,
ebensolche tu der Leber— ...
Chemisch liess sich in Stücken Von Leber and Darm Köpfer nachweisen,
Mikroskopisch; hoebgradige Verfettung', »tat Niere und Lehar, fettige
Degeneration dos Hers- and ScUl'treomnskols, so dass die Queratreifung grössten*
teils sn Grunde gegangen war, und di* Körne nur.'schwer jra färben waren
Ferner die oben erwähnte» Blutung«®, in welch«» sich ebenso wie in
den Gofässö« ein feinkörniger, brauner bis sebwarsef Niederschlag: fond. Der*
selbe lag io den Gefäsgeft wie in den Harnkanälchen as der Wand. .
Boi Besprechung de« Fiüle» hob der Vortragende die Üebeveinstiminöiig k
der Kapfervergjftnng mit der der ajBdera SahwemetftJle hervor. Da das
Kupfer in seinen EUVetssrnbindaatfen; 4. b v ib flier matallorgauiscfcen Fora
mit den gewöhnlichen Beagentien nicht naebweisbar ist, m fehlt noch eine
mikrochemische Reaktion. Toi Blut ist es ule Knpferbäitol <Eobert) an die
roten Blutkörperchen gebunden and führt als BIatgift su Kapillaribr&mbOsen
und infolgedessen zu Blotuogefl. Der roähroekopiscb siebthw-e braune Nieder¬
schlag ist wahrscheinlich als Knptersi'edernoblug *« deuten. SoituoQ, ging
Redner noch Auf den Iktdraa und die Haemogiobfntms bei XujKeryergvftnng
ein. Die Leber speichert das vom Darm »ufgenommeoe Kupfer auf und des¬
halb gelingt in ihr nach so leicht der Kupfernzcbirnis; im übrigen wird das
Köpfer auch wieder auf die Darmsohleinibaat ausgeschieden. Die hochgradige
fettige Degeneration der Muskulatur wnrde vor SchffJferbei ahoter Knpfev-
vergiftonK noch nicht bösobrieben.
2. Lehre von den Bfichverietznn gen des Kücken mark« in geriebt-
Heb - medizinischer Beziehung, Dr. Strauch. Assistent am Institut für
Staatsarpneikonde io Börlin, beschreib«, die vom ; ; <- > ; v
Waffe beim Stoss von vorn und hinten nehmen k*an, cud «ciri *»f di* auf¬
fallende Tatsache hin, das* bei diesen Versuchen di* prosnso ,<.v
Stich von vorn so auffallend selten vertatst wertv •
ans, dass bei Stichen tön vorn bfe in den WtTbclh?*o.-
1. nicht einmal die RückenmaiteMnte verletzt ,•.< • •«:**;
2. wenn diese verletzt sind, doch das Rttcksnma i
3. beide verlest werden köases,
4. die Hfcnfcb verletzt, das Mark nnverletzt und d'.<} ubsm
fasern derselben Seite,
5. bei dooselbeo Verhältnissen die austretenden Wnr«wWrw*5
gesetzten Seite getroffen werden können.
804
Ans Versammlungen und Vereinen.
Ferner ist es möglieb, dass bei Halsstiehen von vorn, indem die Waffe
an der Vorderseite der Wirbelsäule entlang gleitet, der atutretende Nerv der
entgegengesetzten Seite lädiert sein kann. Bei Stichen von hinten in der
Brustwirbelgegend können äussere Wnnde nnd Bücken marksläeion anf entgegen¬
gesetzter Seite liegen. Der Grnnd hierfür ist in den ostalen Verhältnissen den
Stichkanals nnd in der Möglichkeit zn suchen, dass sich die Mednlla bei
Stichen am ihre Längsachse im Bückenmarkskanal drehen kann.
Bs erhellt daraus, dass man ans der äusseren Wnnde keinen Schluss
anf die Richtung des Stichkanals ziehen kann. Der Vortragende weist sum
Schlösse noch anf die Schwierigkeit hin, die Qaerfortsätse der Halswirbelsänle
durch Abtasten sn bestimmen, nnd anf den häufig vorkommenden abnormen
Verlauf der A. vertebralis.
Ans der Diskussion ist hervoranheben, dassDr. Stolper• Göttingen
anf die Verwendung der ROntgenphotographie als diagnostisches Hilfs¬
mittel aufmerksam macht; das betreffende Wirbelsänlensegment muss dann
aber in verschiedenen Richtungen durchleuchtet werden. Die ROntgenphoto¬
graphie sollte überhaupt bei Wirbelsäulensektionen, z. B. bei alten oder frischen
Frakturen, immer der Sektion vorangehen, da man durch sie ein ausserordent¬
lich klares Bild über Verschiebungen und Verengerungen des Wirbelkanals, Aus¬
dehnung der Kallusbildung erhält. Jedenfalls empfiehlt es sich, das in Betracht
kommende Segment in FormaiinlOsung aur nachträglichen photographischen
Aufnahme zur asservieren. Interessant sei die vom Vortragenden mitgeteilte
Tatsache, dass ein StichinBtrument den ganzen Wirbelkanal durchqueren kann,
ohne das Hark selbst zu verletzen. Am Lebenden werden sich aber in
einem solchen Falle doch Symptome einer Markverletzung geltend machen, die
in Lähmungserscheinungen zum Ausdruck kommen. Stolper weist sodann,
nachdem er noch einen forensisch interessanten Fall von Halswirbelbruch durch
einen Kurpfuscher bei gewaltsamer Beseitigung eines Caput otstipum erwähnt
hat, darauf hin, dass der das Rückenmark umgebende Raum, der von dem
Arachnoidalraum und einem mächtigen Venenpolster ausgefflilt wird, ein über¬
raschend grosser sei und sich daraus erkläre, dass auch bei starken Wirbel¬
verschiebungen eine Markverletzung ausbleiben oder nur sehr gering sein kann.
Daraus gehe auch hervor, dass eine Rückenmarkserschütternng nicht leicht
denkbar sei, ja zu den Unmöglichkeiten gehöre. Die Diagnose Bückenmarks-
erachtttterung solle man daher vermeiden (s. übrigens den in der heutigen
Nummer veröffentlichten Vortrag des Dr. Stolper; S. 781).
2. Dr. Stolper, Privatdosent und komm. Kreisarzt in Göttingen:
„Zwei Fälle von geheilter Kehlkopffraktur“. Dazu Demonstration von
drei anatomischen Präparaten. (Autoreferat). Im ersten Fall schnitt sich ein
Melancholiker den Kehlkopf im Bereich des Ligam. conic. durch, fuhr dann mit
dem Finger in die Wunde und riss sich dem Kehlkopf auf, so dass der Schild¬
knorpel genau in der Mitte, der Ringknorpel an der linken Seite gesprengt
war. Die Hautwunde verlief horizontal über dem Kehlkopf. Tracheotomie-
Naht der adaptierten beiden Hälften des Schildknorpels, Heilung mit guter
Stimmbildung. Die Beobachtung lehrte, dass ein Mensch mit so zerstörtem
Kehlkopf 1. noch eine gut wahrnehmbare, helle Stimme haben
und deutlioh sprechen kann, 2. dass die Atmung so wenig be¬
einträchtigt, der Blutverlust so gering sein kann,“ dass der
Verletzte noch grosse Strecken surückzulegen vermag, zwei
Tatsachen, die bei der Bntsoheidung, ob Mord oder Selbstmord vorliegt, von
Bedeutung sind.
Der in Rede stehende Selbstmörder batte überdies Sohnittwunden an den
Beugeseiten der Finger der rechten Hand, die ihm beim Bntwinden des Messers
beigebracht waren. Auch der Krankenwärter hatte dabei Fingerverletaungen
erlitten.
Im zweiten Fall war ein jugendlicher Bursche im Streit mit einem
anderen gewürgt und niedergeworfen worden. Neben dem Zeichen der Gehirn¬
erschütterung bestand hochgradige Atemnot bald stärkeren, bald geringeren
Grades, die, als der Verletzte zum Bewusstsein kam, hochgradige Unruhe
hervorrief. Inspiratorisch vermochte er mit einigen Worten auf das
Würgen hinsuweisen. Nun bemerkte man, dass die Atmung leichter wurde,
wenn man den Kehlkopf von den Seiten her susammendrüekte. Aber auf die
Aua Versammlung«!! and Vereinen.
806
Däner liess sieh das nicht darehftthren. Es wurde auch hier die Tracheotomie
nötig. Heilung in hllrsester Frist; die Art dieser Verletsung ist nicht auf-
! geklärt, ohne Zweifel aber handelte es sich nm eine Zusammenbangstrennung
m knorpligen Ring des Kehlkopfs durch Würgen oder Stoss und swar bei
einem 16 jihrigen Indiridnnm.
Man wird also nicht an dem alten Lebrbnchsatse festbalten können, dass
Kehlkopfbrüche nur bei Alteren Personen Vorkommen. Dem widersprechen
aueh einige der demonstrierten 8 anatomischen Prkparate, an die Redner
einige Bemerknngen anschliesst, wie vorsichtig man bei der Obduktion den
Kehlkopf behandeln müsse, nm nioht Frakturen in erzeugen. Freilich würden
Oedem und snbmnköse Blutungen, seltener die Art der Sehleimhautwunden,
einem Kundigen die Entscheidung, ob intravital oder postmortal, an die
Hand geben.
3. Dr. Weygandt-Würsburg: „Ueber die psychiatrische Begut¬
achtung in Zivilsachen, lediglich auf Grund der Akten 1 . Vortragender
neigt, dass die Regel, sich als Sachverstindiger erst ein Urteil nach der Unter¬
suchung des Rubrikaten su bilden, eine wichtige Ausnahme erleide, wenn es
sich um Vertrags- und Testamentsanfechtungen post mortem handele.
Als Fortschritt des Bürgerlichen Gesetsbuches in dieser Hinsicht be-
seiehnet und erläutert er an Beispielen die Vereinheitlichung des Rechtes,
sumal sich angesichts der Seltenheit der Fälle eine Tradition wie bei der
Entmündigung nicht ausbilden konnte, ferner die Tatsache, dass die §§ 104
und 106 die Annahme einer partiellen Geisteskrankheit ansschliessen und die
lucida Intervalle wegfallen. Endlich sind die neuen Bestimmungen nicht so
weitgehend wie manche frühere, bei denen schon der Nachweis einer blossen
Beeinflussung beim Vertragssehluss nur Anfechtung genügte.
Dr. Meder-Cassel.
(Schluss folgt)
Bericht Aber die Xlll. Sitzung des Vereins der Medizinal-
Beamten des Begierungsbeslrks Gumbinnen zu Tilsit
am MO. und Al. Juni 1903.
Die diesjährige Sitzung fand in Tilsit statt und war mit einem genuss¬
reichen Ausflug nach Ober-Eysseln verbunden, an dem ebenso wie bei ver¬
schiedenen Besichtigungen — Cellulose- und Papierfabrik in Tilsit, städtisches
Wasserwerk auf dem Engelsberge bei Tilsit — auch die Damen der anwesenden
Vereinsmitglieder teilnahmen. Erschienen waren: Der Vorsitzende Reg.- und
Med.-Rat Dr. Doepner-Gumbinnen, die Kreisärzte: DrDr. Behrendt-Tilsit,
Bredsohneider-Angerburg, Cohn-Heydekrug, Csygan-Goldap, Forst¬
reuter-Heinrichswalde, Herrendoerfer-Ragnit, Heyer-Loetsen, Krause-
Sensburg, PI och-Gumbinnen, Poddey-Darkebmen, Schawaller-Pillkallen,
Schulz - Stallupönen, Vossius-Marggrabowa und Wollermann-Johannis-
bürg, die Kreisassistenzärzte DrDr. Boehuke-Bialla, Franz-Kaukehmen
und Lemke -Proetken, sowie als Gäste die kreisärztlioh geprüften DrDr. Ban-
disch -Tilsit, De ckner-Stallupönen, K a 111 u h n - Angerburg, Marcuse-
Tilsit und V angehr-Tilsit.
Der Vorsitzende gedenkt zunächst mit bewegten Worten der in der
Zwischenzeit verstorbenen Kollegen Kreisarzt Dr. Dubois-Johannisburg und
Kreisarzt und Medizinalrat Dr. Ra et zell, Hilfsarbeiter bei der Königlichen
Regierung zu Gumbinnen. Die Anwesenden erheben sieh zu Ehren der Ver¬
storbenen von ihren Sitzen.
L Med.-Rat Dr. V o s s i u s - Marggrabowa spricht hierauf über Selbstmord
im kindlichen Lebensalter. Er berichtet über einen Fall aus seiner Praxis.
Ein 8jähriger Knabe, Sohn eines Rentengutsbesitzers, batte sich erhängt. Der
körperlich gesunde Knabe litt seit seinem ersten Lebenmahre an Krämpfen, die
allmählich seltener aufgetreten waren; geistige Defekte hatte er bisher nicht ge¬
zeigt. Die Mutter soll dem Trünke ergeben gewesen sein, eine Schwester hatte
ihrem Leben ebenfalls durch Erhängen ein Ende gemacht. Dieses hatte der
Knabe gehört und hin und wieder geäuraert, er würde es auch einmal versuchen.
Als 2 seiner Geschwister starben, sagte er: „Die Geschwister sind schon im
Himmel, und wir müssen uns auf der Erde berumtreiben. Es kommt einmal
806
Au Versammlungen und Vereinen.
du grosse Wasser and wir ertrinken. Dm beste ist, man nimmt sieh das
Leben, dann braneht man nicht zu ertrinken. Sr wolle nach dem Himmel
gehen and mit den Engeln spielen." In letzter Zeit war er auch auf den
Kirchhof gegangen and hatte dort laut den Namen seiner verstorbenen Brüder
gerufen. Ohne eine äussere Veranlassung, wie harte Strafe oder dergl., kam
er am Todestage zu seiner 11 Jahre alten Schwester und fragte sie, ob sie
sterben wolle. Als sie dieses verneinte, sagte er: „Ich mochte gern sterben;
Buch wird das Wasser nehmen and wir werden alle auferstehn.“ Am Nach¬
mittage, nachdem er für seine Kaninchen Klee geschnitten hatte, wurde er von
seiner Schwester im Stall auf dem Kaninohenbehälter knieend, erhängt gefunden.
Nach Anführung einer Statistik von Morselli über die Frequenz der
Selbstmorde der Individuen unter 16 Jahren, verglichen mit den nächsten
Altersklassen von 16—20 Jahren bei den verschiedenen Völkern, sowie Uber die
Ursachen des kindlichen Selbstmordes, bespricht Referent unter Hinweis auf
die grosse Zahl in der Rubrik, „unbekannte Ursache", die durch Geisteskrank¬
heit bedingten Selbstmorde jugendlicher Personen. Fälle von akuter Paranote,
zirkulärem und moralischem Irresein, Idiotie, Hysterie und Hypochondrie, sowie
zahlreiche Fälle von Melancholie geboren hierher. Häuslicher Kummer sei
nicht selten eine Ursache zur Melancholie, indem derselbe zunächst eine Prl-
disposition and bei Fortwirkung die SeelenstOrung selbst hervorbringt. Die
Farcht vor dem Examen und der Nichtversetzung, unwürdige Behandlung,
sowie unglückliche Liebe wirkten bei angekränkelten nervOsen Kindern bis
zum Selbstmord. Meist seien solche Kinder erblioh belastet, und spiele bei
dieser Belastung der Alkoholismus der Eltern eine Hauptrolle. Die Tatsache
der Vererbung der Geisteskrankheiten, sowie die direkte Erblichkeit des Selbst¬
mordes seien bekannt. Unter den Ursachen des Selbstmordes führt Vor¬
tragender ausserdem das moderne Gesellschaftsleben an, welches erhöhte An¬
sprüche an die Menschheit im allgemeinen und auch besonders an die Kinder
stellt, die diesen häufig nicht gewachsen sind. Der Kampf ums Dasein, an dem
jetzt schon häufig die Kinder teilnehmen, die mangelnde Erziehung, bei der
die Entfaltung des Gemüts- und des Gefühlslebens auf Kosten des Denkver¬
mögens des Kindes leidet und oft versäumt wird, in das kindliche Hers den
8inn wahrhafter Religiosität, echter Menschenliebe und Gerechtigkeit zu
pflanzen, sowie die Genusssucht tragen viel dazu bei, die Widerstandsfähigkeit
der Kinder herabzusetzen.
Die amtlichen Ermittelungen haben zwar festgestellt, dass die Schule
nur ausnahmsweise Schuld an dem Selbstmord der Zöglinge trägt, doch treten
die Folgen der Ueberbürdnng gerade bei Kindern mit geringer Leistungsfähige
keit und nervOser Disposition auf. Dazu komme in der Schule der Einfluss
willensstarker Kinder, welche schwächere Charaktere auf den Weg des Lasters
und der Verbrechen drängen, und endlich der Nachahmungstrieb, der ebenso
wie bei Erwachsenen häufig auch bei Kindern zu geistigen Erkrankungen,
aber auch zum Selbstmord führt.
In der Diskussion weist Czygan auf den Einflass des Alkoholismus
hin und führt eine Statistik an, nach der 90°/o sämtlicher Imbezillen von trunk¬
süchtigen Eltern stammen. Der Vorsitzende bestätigt zwar den schädigenden
Einflass des Alkoholismus der Eltern, wendet sich aber gegen die Art, in der
ein Teil der Statistiken aufgestellt werde.
II. Kreisarzt Dr. Ploch referiert über die amtliche Tätigkeit des
Kreisarztes bei der Schutzpockenimpfung. Referent hält sich bei der
Besprechung des Stoffes eng an den Abschnitt XXIII, §§ 86—89 der Dienstan¬
weisung für die Kreisärzte, und erwähnt zunäohst mit Rücksicht auf die
Anstellung der Impfärzte und Abgrenzung der Impfbezirke
(§ 86), dass der Kreisarzt nur selten in die Lage kommen dürfte, anf Er¬
fordern der betreffenden Behörde sich gutachtlich über die Qualifikation eines
als Impfarzt anzustellenden Arztes zu äussern, sollte es aber geschehen, so
wird er sich begnügen müssen, darauf hinzuweisen, dass bei einem Arzte, der
sich im Besitz einer in den Reichslandcn erteilten Approbation befindet, die
Befähigung zur Ausübung der Impfung und Leitung des Impfgeschäftes vor¬
ausgesetzt werden müsste. Keinesfalls wird der beamtete Arzt sieh aber etwa
in zweifelhaften Fällen durch eine Art von Prüfung über die Befähigung des
Impfarstes Kenntnis zu verschaffen suchen dürfen.
Ana Versammlungen and Vereinen.
807
Betreffs der Abgrensang der Impfbesirke wird der Kreisarzt in
seinem Gutachten der Behörde gegenüber die Ansicht su vertreten haben, dass
eine grossere Zahl von kleinen Bezirken am besten zn vermeiden ist, da mit
der Zahl der Impfärzte zweifellos die Schwierigkeit des Impfgeschftftes wächst,
seine Beaufsichtigung erschwert nnd das Einheitliche in der Impfong gestOit
wird. För einen Kreis mit ca. 40000 Seelen werden 2 Bezirke mit je 1 Impf-
arst vollständig genügen, nnd für kleinere Kreise nur 1 Impfarzt zn em¬
pfehlen sein.
Die Beaufsichtigung der Impfärzte (§87 und Min.-Erl. vom
28. Februar 1900, Abs. 8) ist jetzt durch den Min. * Erlass vom 26. Jnli 1902
dahin geregelt, dass diese den Kreisärzten, auch wenn sie als Öffentliche Impf¬
ärzte tätig sind, in den übrigen Impfbezirken ihres Kreises zusteht, und sie
auch unbedenklich ausserhalb ihres Kreises in Stellvertretung des Regierungs-
und Medizinalrates damit betraut werden können. Der Kreisarzt bat dem¬
nach alle Impf bezirke seines Kreises, die nicht von ihm selbst besorgt sind,
zu revidieren; es genügt aber, wenn von ibm in jedem Impfbezirk nur ein
Impftermin mit der dazu geböi enden Nachschau besucht wird. Der Kreis¬
arzt soll aber nach § 87, Abs. 3 nicht nur den Öffentlichen, sondern auch nach
Bedürfnis den Öffentlich ausgeschriebenen privatärztlicben Impf- und Nach¬
schauterminen beiwohnen, entsprechend dem Abs. 8, Nr. 6 des Min. • Erlasses
vom 28. Februar 1900.
Referent bespricht nunmehr eingebend die Punkte, worauf der Kreisarzt
bei den Revisionen der Impf- und Naobschautermine zu achten hat (§ 87,
Abs. 3 der Dienstanweisung). Zunäohst wird der Kreisarzt darauf achten
müssen, ob der Impfarzt, bevor er zur Impfang schreitet, dem Gesundheitszu¬
stände der Impflinge eine genügende Beachtung widmet, die begleitenden An¬
gehörigen Uber den Gesundheitszustand der Impflinge befragt nnd im Falle
einer schweren akuten oder chronischen, die Ernährung stark beeinträchtigenden
oder die Säfte verändernden Krankheit von der Impfung Abstand nimmt, sowie
ob die Angehörigen der Impflinge gedruckte Verhaltungsvorschriften er¬
halten haben.
Bei der Impftechnik ist su kontrollieren, ob der Impfarzt vor Beginn
des Impfaktes seine Hände und Arme desinfiziert, ob zur Impfung eines jeden
Impflings nur Instrumente benutzt werden, die durch trockene oder feuchte
Hitze (AnsglUhen oder Auskochen) oder durch Alkoholbehandlung keimfrei ge¬
macht sind. Am besten eignen sich hierzu die Platiniridinm - Messer, die in
einer Spiritus - Stichflamme ausgeglüht werden, und von denen 3—4 mindestens
zur Hand sein müssen, damit die Messer gut erkalten können und eine schnellere
Ausführung der Impfung ermöglicht werden kann. Die Lymphe ist vor Staub
zu schützen und kann, wenn das Instrument keimfrei ist, unmittelbar aus der
Glastube entnommen werden. Einmaliges Einstreichen der Lymphe in die
durch Anspannen der Haut klaffend gemachten Wunden ist im allgemeinen
ausreichend. Es soll durch diese Verordnung offenbar eine Verringerung der
Gefahr des Hineingelangens von Infektionskeimen angestrebt werden. Da aber
gesagt ist „im allgemeinen ausreichend“, wird nichts dagegen einzuwenden
sein, wenn der Arzt mehrmals die Lymphe einstreicht. Schädigungen sind
davon wohl niemals bemerkt worden. Selbstverständlich darf aber der Arst
nicht, wie Referent beobachtet hat, mit dem Impfinstrument in die Tube oder
das 8chälehen hineinfahren, nachdem er schon 1—2 8chnitte gemacht hat, und
ihm die auf dem Instrument befindliche Lymphe nicht genügend erscheint, ohne
dieses von neuem sterilisiert zu haben.
Der Impfarzt soll die Bescheinigung auf Erfolg nur ausstellen,
wenn er selbst die Wirkung festgestellt hat; er darf demnach den Impfschein
nicht ausstellen und anshändigen, wenn er nur auf Angaben der Angehörigen
hinsichtlich der Impfwirkung angewiesen ist. Er würde sieb, sollten die An¬
gaben der Angehörigen auf Unwahrheit beruhen — solche Fälle sind schon
vorgekommen — einer Urkundenfälschung schuldig gemacht haben und auch
nach §. 17 des R. I. G. wegen Fahrlässigkeit mit Geldstrafe bis zu 500 Mark,
oder mit Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft werden können. Es ist daher
nOtig, dass der Kreisarzt bei seinen Revisionen besonders auf diesen Punkt
achtet und die Impfärzte hierüber aufklärt. Es wird auch nach §. 10 des
B. I. G. die Ausstellung des Impfscheines vom Impfarzt verweigert werden
808
Ans Versammlungen and Vereinen.
müssen, wenn von den Angehörigen des Impflings anf dem Termine selbst
eine Bescheinigung des Hansarstes vorgelegt wird, dass so nnd so viele
Pastein bei dem Impfling entwickelt sind. Dagegen hat der Impfarst nach einem
Bescheid des Medizinalministers der Verpflichtung der Öffentlichen Impfärste sor
Ausfertigung der Impfscheine in den Nachsohanterminen Genüge geleistet dnreh
das Vollziehen der Namensunterschrift und die Kenntlichmachung der Eigen¬
schaft als Impfarzt, während im übrigen die Impfscheine von der Schreibhilfe
ausgestellt werden.
Betreffs der Listenführung hat sich der Kreisarzt zu überzeugen, ob
die Listen gemäsB § 7 d. B. I. G. ordnungsmässig von den Behörden und den
Vorstehern der betreffenden Lehranstalten geführt, d. b. ob alle nach § 1, Ziff. 1
und g 1, Ziff. 2 des B. I. G. zur Impfung gelangenden Kinder eingetragen
sind, uni ob die Impfärzte in den Listen vermerkt haben, ob die Impfung mit
oder ohne Erfolg vollzogen, oder ob und wesshalb sie ganz oder vorläufig unter¬
blieben ist. Auch auf die Anwesenheit eines Beauftragten der Ortspolizei-
behörde bezw. eines Lehrers ist zu achten; sehr erwünscht ist das Erscheinen
der beteiligten Gemeindevorsteher, damit diese erforderlichenfalls Uber ver¬
zogene und gestorbene Impflinge dem Impfarzte Aufschluss geben können.
Hinsichtlich des Impf lokals muss ausreichende Grösse, gehörige Bele¬
gung, gute Lüftung und womöglich auch eine Trennung des Warteraumes vom
Operationszimmer, bei kühler Witterung Heizung verlangt werden. Kranken¬
häuser dürfen zu Impflokalen nicht benutzt werden, Schulräume sind rechtzeitig
nass zu reinigen und zu lüften; die Bänke müssen beiseite gestellt werden. Eine
Ueberfüllung des Impflokals ist nach dem Min.-Erlass vom 81. März 1897
anzunehmen, wenn bei Erstimpfungen die Zahl 60, bei Wiederimpflingen die
Zahl 80 überschritten wird. Es ist dabei jedoch nicht ausgeschlossen, dam
mehrere Impftermine an demselben Tage und in demselben Impflokale mit an¬
gemessenen zeitlichen Zwischenräumen angesetst werden. Diese Zwischen¬
räume werden grosser, bis auf 2 Stunden zu bemessen sein, je kleiner das
Impflokal ist, und umgekehrt. Diese Vorschriften haben bei den Impfirsten,
weil ihnen dadurch eine bedeutende Mehrarbeit erwächst, keine freundliche
Aufnahme gefunden; es wird deshalb vielfach noch gegen sie verstossen.
Die Beinheit der Tierlymphe wird der Kreisarzt nur mit dem Auge
prüfen können. Als rein und unverdächtig kann diejenige Lymphe gelten,
welche ein gleichmässiges, opaleszierendes Aussehen hat, nicht von Eiterborken
oder Blutstreifen durchsetzt ist und der Konsistenz nach nicht zu dick- oder
dünnflüssig ist. Ueber den Bezug der Lymphe soll der Impfarst ein Buch
führen, dasselbe auf den Impfterminen stets bei sich führen und auf Verlangen
dem revidierenden Medizinalbeamten vorseigen. Ein solches Buch wird aber
meist nicht geführt, weil den Impfärsten die gesetzliche Verpflichtung hierzu
gar nicht bekannt ist.
Nachdem Beferent noch erwähnt bat, dass der Kreisarzt über seine
Beobachtungen an den Revisionstenninen etwaige Misstände usw. an den Re¬
gierungspräsidenten zu berichten habe, bespricht er die in beeng auf die
(Jeberwachung des Handels mit Lymphe zu beachtenden Gesichtspunkte
(Min.-Erlass vom 28. Februar 1900). Für den Kreisarzt kommt hauptsäch¬
lich der Handel mit Impfstoff in den Apotheken in Betracht; Gelegenheit
zu dessen Kontrolle geben die jährlich aussuführenden Apotheken-Muste¬
rungen. Zu fordern ist: Aufbewahrung der Lymphe an einem kühlen Orte
und vor Licht geschützt; Abgabe nur in der von der Anstalt gelieferten Ver¬
packung; Bezug aus staatlichen Landes- oder unter staatlicher Aufsicht
stehenden Anstalten; Beschaffenheit der Lymphe, nicht älter als 8 Monate;
Führung eines vonchrifttmässigen Buches über den Empfang und die Abgabe
der Lymphe.
Hinsichtlich der Impfsohädigungen (§88 der Dienstanweisung) hat
der Kreisarst, sobald Mitteilungen über eine solehe zu seiner Kenntnis gelangen,
sofort alle zur Aufklärung des 8achverhalts gebotenen oder zweckdienlich er¬
scheinenden Massnahmen in die Wege zu leiten und geeignetenfalls durch per¬
sönliche Ermittelungen möglichst zu unterstützen (Min.-Erlass vom 22. Mai
1896 und 28. Februar 19001. Zeigen sich irgendwo Schädigungen nach er¬
folgter Impfang, so sind diese fast immer als aocldentelle Wandkrankbeiten
aufsufassen. Ergibt sich die Unrichtigkeit verbreiteter Nachrichten' über Impf-
Aua Versammlungen und Vereinen.
809
sehidigungen, so ist erforderlichenfalls eine Öffentliche Richtigstellung so rer*
anlassen, um irrtümliche Auffassungen in der Bevölkerung su beseitigen. Mit
Recht betont Referent, dass gelegentliohenfaiis auch die Impfftrste vielfach
J ewOhnliohe. Hautentsflndungen, welche infolge ausnahmsweise starker Wirkung
er Ljmphe oder hochgradiger Empfindlichkeit des Impflings um die Impf¬
pusteln aufsutreten pflegen, als Rotlauf, und dadurch der Verbreitung unsu-
treffender Mitteilungen ttber Impfbeschidigungen Vorschub leisten. Der Kreis-
ant soll deshalb darauf hinwirken, dass diese Beseichnung nur auf Erkrankungen
an echter Wundrose (Erysipel) angewandt wird.
Zum Schluss beklagt Referent die Mangelhaftigkeit und Ungenauigkeit der
von den Impfirsten su erstattenden Imp f berichte, wodurch die Anfertigung des
Hauptimpfberichts (§ 89) sehr erschwert werde. Hier wird der Kreisarst ver¬
langen müssen, dass die Behörden von den Impfirsten, welche sie angestellt
haben, auch in der Berichterstattung genaue Pflichterfüllung fordern und ihnen
ein Muster gemiss des Runderlasees vom 26. Juli 1888 einhindigen lassen, mit
dem Ersuchen, sieh genau an die einseinen Fragen der Reihe nach su halten
und dieselben sorgfiltig und, wo dies aus den Fragen sich ergibt, sahlenmlssig
su beantworten.
Will der Kreisarst den Aufgaben in besag auf die Beaufsichtigung des
Lnpfgesohifts vollkommen gerecht werden, so ist es jedenfalls nOtig, dass er
die einschligigen Gesetse, Erlasse und Verordnungen beherrscht. Diese als
Impfarst strengstens befolgt, damit er den Impfirsten gegenüber unantastbar
und sogleich als Vorbild dasteht
In der Diskussion wendet sich Forstreuter gegen die Ausführungen
des Referenten, nach denen der Kreisarst über die Beobachtungen auf den
Revisionsterminen an den Herrn Regierungsprisidenten einen Bericht einsu-
reichen habe. Derselbe sei nicht vorgeschrieben und wire seiner Auffassung
naeh auch nur su erstatten, wenn grobe Misstinde su rügen sind, oder der
betreffende Impfarst sich mit den Aussetsungen des Kreisarstes nicht einver¬
standen erküre.
Der Vor Bitsende bemerkt, dass die Verfügung des Königlichen Re¬
gierungsprisidenten su Gumbinnen vom 5. September 1902, I M. 4629, dahin
aufsufassen ist, dass die Kreisirste berechtigt sind, in allen Impf-Besirken
des Kreises je einen Impf- und einen Nachscbautermin su revidieren. Bei den
Wiederimpflingen genüge sur Bescheinigung des Erfolges die Feststellung eines
Blischens, resp. eines KnOtchens.
IIL Dr. Cohn-Heydekrug legt die von der gewühlten Kommission auf-
gestellte Tabelle für Granuloseambulatorien vor. Dieselbe wird dem Re¬
gierungs- und Medisinalrat sur event. Einführung übergeben.
IV. Dr. Behrendt -Tilsit bespricht alsdann das am nichsten Tage sur
Besichtigung gelangende Wasserwerk Tilsit. Naoh einer eingehenden Be¬
schreibung desselben begründet er seine an ein Wasserwerk su stellende Forde¬
rungen in folgendem Schluss - ReaumO:
1. Kommunaler Bau und Betrieb des Werkes.
2. Die Versorgung durch Grundwasser ist unter allen Umstünden ansu-
streben. Die Enteisenungsfrage ist für grosse nnd kleinere Betriebe gelöst.
8. Die Wasserentnahmestelle soll in stehendem Wasser sich befinden.
4. Vorfilter sind durchaus notwendig um gröbere nnd feinere Verun¬
reinigungen von den Filtern fernsnhalten und die Filter linger aktionsfihig
su erhalten. Empfohlen werden die sylindrisehen Quarssandälter, System
Reisert-KOln.
5. Die Filter sind frostfrei ansulegen. Ihre Winde und Boden sind
undurohlissig hersustellen.
6. Die Filterfliche ist genügend gross hersustellen.
7. Um Drucksohwankungen su vermeiden, ist die Kontinnitit des Be¬
triebes su verlangen.
8. Der Reinwasserbrunnen ist in genügender Grosse hersustellen.
9. Regulierkammern sur Ablesung und Regelung des Druckes und der
Filtrationsgeschwindigkeit sind hersustellen.
10. Für grösste Dichtheit des Stadtrohmetses ist 8oige su tragen.
11. Die Aussehaltung der Filter und des Hoehreservoirs, um bei Feuers-
810 Besprechungen.
gefahr Roh wasser in die Stadt so pumpen, ist unpraktisoh and nicht nn
empfehlen.
V. Kleinere Mitteilungen. Der Vorsitsende verliest darauf eine
Entscheidung der Oberrechnnngskammer vom 15. April 1902, N. B. 497, Aber
Berechnung der Entfernung der Hin* und Rückreise, die gemäss Erlass
des Herrn Ministers der Öffentlichen Arbeiten vom 80. März 1885 (Eisenbahn-
Verordnungsblatt S. 80), bezw. Erlass des Finansministers vom 22. November
1898, TI 11931 anordnet, dass die für den Anspruch auf Gewährung von
Reisekosten massgebende Wegstrecke der Hinreise auch der Berechnung
der Reisekosten für die Rückreise su Grunde zu legen ist.
Zweitens spricht der Vorsitzende über die neue Poliseiverorduung, betr.
den Verkauf der Arzneimittel ausserhalb der Apotheken vom
5. Mai 1908 (8.167) und die hierzu von dem Königlichen RegierungsprKsidenten
zu Gumbinnen am 28. Juni 1903, I M. a. 1729, an die Verwaltungsbehörden
und die Medisinalbeamten erlassene Anweisung.
Drittens macht er Mitteilung von der Absicht, die Anzeigepflieht für
Blennorrhoea neonatorum im neaen Seuohengesetz einzuführen, sowie
das Credö’sche Verfahren obligatorisch su machen.
Endlioh bespricht derselbe die in Aussicht stehende Reform des Heb¬
ammenwesens. Dr. Forstreuter-Heinriohswalde.
Besprechungen.
Dr. Tenholt, Reg. und Med.-Rat a. D., Oberarzt des Allgemeinen Knappschafts-
Vereins in Bochum: Die Untersuchung auf Anohylontomiaeis, mit
besonderer Berücksichtigung der wurmbehafteten Bergleute. Verlag und
Druck von Wilhelm Stumpf in Bochum. Preis 1 U.
Die Arbeit, eine kleine Broschüre, ist einem Bedürfnisse entsprungen,
indem der Verfasser Gelegenheit batte, zu beobachten, wie häufig, selbst von Fach*
leuten, bei der Handhabung des Mikroskops die Ancbylostomen-Eier mit anderen
Entozoen-Eiern verwechselt werden. Ein besonderer Wert ist dem Werkchen
durch die Beifdgung von zwei Tafeln mit Abbildungen von eigenhändigen, nach
dem natürlichen mikroskopischen Bilde angefertigten Zeichnungen des Verfassers
verliehen worden. Es sind zum Vergleiche einerseits die Eier und Larven von
Anchylostomiasis, anderseits die von anderen Entozoen “und ein freies Ge¬
schlechtsleben führenden Rhabditiden gegenüber gestellt.
Dr. Wiese.
Dr. Gustav Vogel* Würzburg: Leitfaden der Geburtshilfe für prak¬
tische Aerste und Studierende. Stuttgart 1902. Verlag von Ferd.
Enke.
Wenn auch an Lehrbüohern der Geburtshilfe kein Mangel ist, so fehlte
es bisher doch an einen für den Praktiker geeigneten kurzen Leitfaden, in welchem
lediglich die Bedürfnisse der praktischen Geburtshilfe berücksichtigt sind. In
dieser Beziehung füllt das vorliegende Werk diese Lücke vollkommen aus.
In leicht fasslicher Form werden die Hauptlehren der Geburtskunde und prak¬
tischen, einschliesslich operativen Geburtshilfe vorgetragen; dadurch, dass die
Therapie in besonderem Masse berücksichtigt ist, stempelt sich das Buch von
selbst su einem vortrefflichen Grundriss der praktischen Ge¬
burtshilfe. Jeglicher theoretischer Ballast ist geschickt vermieden worden,
dafür aber die praktisch therapeutische Seite um so eingehender besprochen.
Die Anordnung des Lehrstoffes weicht zwar von derjenigen der be¬
kannten Lehrbücher etwas ab, doch tut dies dem Werte des Ganzen insofern
keinen Abbruch, als das Buch in erster Linie für den fertigen Arzt gedaeht
ist. Physiologie und Pathologie werden im Zusammenhang vorgetragen,
während sie in den meisten Büchern beide scharf von einander getrennt sind,
doch ist diese Trennung zwar für den Anfänger, also den Lernenden sehr
nützlich, für den fertigen Arzt aber durchaus nicht notwendig. Die Anord¬
nung erscheint also für den Zweck, den der Verfasser beabsichtigt, vollkommen
berechtigt, ja für den fertigen Azt gewinnt infolgedessen durch den stetigen
Vergleich der physiologischen und pathologischen Vorgänge die Lektüre des
Tagesnachrichten.
811
Boches gerade an Intereese. In 4 grossen Hauptabschnitten werden so Physio¬
logie nnd Pathologie der Schwangerschalt, der Qebnrt and des Wochenbettes
einschliesslich Physiologie and Difttetik nnd auch Pathologie des Neugeborenen
abgehandelt; mit einer ausführlich gehaltenen Operationslehre findet das Buch
einen wertvollen Abschluss. Ausserordentlich brauchbar sind die in beeng auf
die symptomatische wie operative Therapie allenthalben gegebenen praktischen
Winke des auch in der ausserklinischen Geburtshilfe offenbar sehr erfahrenen
Verfassers.
Der illustrative Teil ist im Vergleich zn dem Umfang von 396 Seiten
mit 216 Figuren sehr reichlich berücksichtigt! Unter den Illustrationen finden
sich eine grosse Ansahl von Originalabbildungen nach Prüparaten der Würz¬
burger Frauenklinik, so dass man nicht, wie meist üblich, allbekannte Bilder
im neuen Gewände sieht. Sehr zweckmässig erscheint es dem Beferenten, dass
auch diejenigen Technizismen, welche in manchen Lehrbüchern nur im Texte
geschildert werden, für den Praktiker auch im Bilde vorgeführt werden, so die
Metreuryse, Dammnaht, Uterustamponade; ganz besonders bervorzuheben ist
dabei die bildliche Darstellung der Verkleinerungsoperationen (Perforation des
vorangehenden wie nachfolgenden Kopfes, Kranioklasie, Dekapitation), also der¬
jenigen Operationen, vor welchen der Praktiker meist eine, vielfach nicht be¬
rechtigte Scheu hat.
Wenn auch die praktische Seite besonders bevorzugt wurde, so ist doch die
wissenschaftliche, wie durch die zahlreichen Literaturnachweise aus der neuesten
geburtshilflichen Literatur hervorgeht, dabei nicht zu kurz gekommen. Der
Zweck, dem Praktiker die Geburtshilfe in leicht fasslicher Form, jedoch nicht
nach Art der kurzen, (für den Studierenden schädlichen) Kompendien zusammen¬
zufassen, ist in diesem Werke dem Verfasser vollkommen gelungen. Das Werk
kann jedem Arzte aufs beste empfohlen werden, zumal der Preis bei der
guten Ausstattung und dem reichen Inhalt ein verhültnissmlssig niedriger ist.
Dr. Waith er-Giessen.
Prof. Dr. Sellhelni-Freiburg i. Br.: Leitfaden für geburtehülflloh-
gyzr&kologisohe Untersuchung. 2. Auflage. Fteiburg n. Leipzig 1903.
Verlag von Speyer & Kärrner.
Speziell für die Ausbildung der Studierenden gedacht ist der vorliegende
Leitfaden, welcher seit Jahresfrist schon die zweite Auflage erlebt hat. Er
soll dem angehenden Mediziner den Gang der geburtshülflicben nnd gynfiko-
logischen Untersuchung skizzieren, wie er im allgemeinen geübt werden soll.
8. hat dazu die in der Hegarsehen Klinik gelehrten Grundsätze der Unter¬
suchung als Grundlage benutzt, und mit Beoht! Wer jemals Gelegenheit
gehabt hat, die exakte Untersuchung unter Altmeister Hegar zu üben, wird
dem Verfasser nur dankbar sein. Bei der neuen Auflage, welche durch einige
klare, halbschematische Figuren erläutert wird, ist die geburtshttl fliehe Dia¬
gnose und die Untersuchung des knöchernen Beckens genauer als in der ersten
berücksichtigt nnd auch die gynäkologische Untersuchung beigefügt. Das
Werkohen besitzt nicht nur für Studierende der Freiburger Schule, sondern anoh
anderer Schulen grossen Wert nnd verdient meines Erachtens auch in
A erste kreisen weitere Verbreitung, da es in vielen Dingen reichlich Anre¬
gung zur Genauigkeit in der Disgnosenstellung bei geburtshülflicben und
gynäkologischen Fällen dem Arzte bietet. Wir können auch dieses Werkchen
aufs beste empfehlen! Dr. Walt her-Giessen.
Tagesnachrichten.
Ueber den Stand der Warmkrankheit im Oberbergamtsdistrikt Dort¬
mund wird im Staatsanzeiger wie folgt berichtet:
Die Stichprobenuntersuchung von 20 Prozent der unterirdischen Beleg¬
schaft ist beendet. Unter Zuziehung früherer Untersucbungsergebnisse hat sich
die folgende Sachlage feststellen lassen: Die Zahl der Wurmkranken ein¬
schliesslich der Wurmbehafteten betrug im zweiten Vierteljahr des Jahres, in
Prozenten der unterirdischen Belegschaft ausgedrüokt, im Bergrevier Hamm 8,7,
Dortmund I 1,6, Dortmund II 3,1, Dortmund HI 20,0, Ost - Recklinghausen 10,0,
West-Reeklinghausen 2,8, Witten 4,0, Hattingen 6,2, Süd-Bochum 9,8, Nord-
812
Tagesnachriohten.
Bochum 22,0, Herne 18,6, Gelsenkirchen 4,9, Wattenscheid 16,0, Ost-Essen 1,4.
West-Essen 2,3, 8ttd- Essen 14,8, Werden 16,0, Oberhansen 6,7, im Durch¬
schnitt 9,09. Die so ermittelte Zahl der Wnrmkranhen ist mittlerweile dnrch
die dagegen getroffenen Massnahmen gemindert worden. Es lässt sieh dies an
denjenigen 37 Schacbtanlagen erweisen, welche die Durchmusterung zwei oder
mehrmals vorgenommeu haben. Auf diesen 37 Schachtanlagen waren zuerst
7768 Wurmkranke, später nur 4019 vorhanden. Die Untersuchungen von Fa¬
milienmitgliedern wurmkranker Bergleute sind negativ ausgefallen.
Betreffs des gerichtlichen Verfahrens bei Anklagen wegen Ärzt¬
licher Kunstfehler hat der Österreichische Justizminister vor
kurzem allen Oberstaatsanwaltschaften folgende Verfügung zu gehen lassen:
„In Straff&Uen, in welchen es sich um Fesstellung eines von einem Arzte be¬
gangenen Kunstfehlers handelt, wird es sich in der Kegel empfehlen, die Ein¬
holung eines Fakultätsgutachtens zu veranlassen, sofern nicht den begutachten¬
den Qerichtsärzten eine anerkannte Autorität auf dem betreffenden Gebiete
der Heilkunde zukommt, und der Fall nach der Sachlage zu keinen Zweifeln
Anlass gibt. Es empfiehlt sich ferner, in solchen Fällen schon im Vorverfahren
die Frage des Verschuldens volkommen klarzustellen, um nicht den beschul¬
digten Arzt im Falle eines durch Freispruch endenden Hauptverfahrens in
seinem Ansehen schwer zu schädigen und den ärztlichen Stand einer ungerecht¬
fertigten Kritik in der Öffentlichen Meinung auszuseten.“ Die COlner Zeitung
sagt hierzu sehr richtig: „Es kann nur dringend befürwortet werden, bei uns
in ähnlicher Weise zu verfahren und so zu verboten, dass eine gerichtliche
Verhandlung wegen ärztlichen Kunstfeblers in ihren weiteren unbeabsichtigten
Folgen zur Vernichtung einer ganzen bürgerlichen Existens führt. Denn bei
den Imponderabilien, die hei der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe fOr das Pu-
blikum in die Wagschale fallen,unterliegt es gar keinem Zweifel, dass das alte
„semper aliquid haeret“ nirgends so zur traurigen Wahrheit wird, wie in Pro¬
zessen gegen Aerzte wegen angeblicher Verfehlung im Berufe.*
Im Ni oder Österreichischen Landtage haben kürzlich verschiedene
Interpellationen wegen angeblichen Missbrauefas der Vivisection und wegen
unberechtigte Versuche an Lebenden zu lebhaften Debatten und zu
sohweren Beschuldigungen gegen die medizinische Wissenschaft überhaupt, ins¬
besondere aber gegen die Wiener Aerzteschaft und die dortige medizinische
Fakoltät Veranlassung gegeben. In der Sitzung vom 3. d. Mts. wurden diese
Beschuldigungen von dem Statthalter energisch zurttckgewiesen und betont,
dass sowohl die Regierung, wie die Koryphäen der Wissenschaft jeden Missbrauch
auf diesem Gebiete verurteilten. Von den vorgebrachten Fällen seien aber
nur zwei in Wiener Krankenanstalten vorgekommen und sofort Gegenstand zur
Bemedur geworden. Die andern Fälle hätten sich auswärts ereignet und
reichten auf zwanzig und mehr Jahre zurück. Betreffs der Anwendung neuer,
nicht genügend erprobter Heilmittel in den K. K. Krankenanstalten seien ge¬
naue Vorschriften gegeben; über jeden zur amtlichen Kenntnis kommenden Rdl
eines Missbrauches würden sofort pfiiohtgemäss Ermittelungen angestellt. Die
Aufsichtsbehörde würde unentwegt das Ziel verfolgen, dass die Wiener Kranken¬
anstalten wahre Humanitätsanstalten bleiben; sie habe nur den einen Wunsch,
dass der Wiener medizinischen Schule auch fernerhin der grosse Ruf, den sie
im In- und Auslande geniesse, erhalten werde, und die Wiener medizinische
Fakultät wie der dortige ganze Aerztestand in Zukunft die gleiche segens¬
reiche Tätigkeit zum Heile der Menschheit entfalten mOge, wie bisher I
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EIN NATURSCHATZ VON WELTRUF. IWL'Ü, ZUVERLÄSS'G
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Gmaer lEesselbr turnen, Kaiser bntrmen, Viktoriabrunne a.
Schwalb acher Stahl- ttad. Weinbrunneu.
•*u haben in allen Apotheken n. Mineralwasserhaudlangen sawfti durch die betr.
Königlichen Bade- u. Brunnen 'Verwaltungen.
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Zur postmortalen Ausstossung des Fötus.
Gerichtsärztlicher Beitrag.
Von Dr. M. Preyer, Medizinalrat and Kreisarzt za Stettin.
Mit der Veröffentlichung des nachstehenden gerichtlichen
Falles soll nicht in eine Erörterung der Frage eingetreten werden,
durch welche austreibenden Kräfte die spontane Geburt nach dem
Tode der Mutter zu stände kommt, da als entschieden ange¬
nommen werden darf, dass es die Fäulnisgase, und nicht etwa
postmortale Wehen sind, welche die Ausstossung der Frucht be¬
wirken. Vielmehr soll der vorliegende Fall einen Beitrag zu der
Frage liefern, in welcher Lage die Frucht zur Aus¬
stossung gelangt. Muss sie bei Kopflage mit dem Kopfe, bei
Steisslage mit dem Steiss voran ausgestossen werden, oder gibt
es noch andere Möglichkeiten?
In der Epikrise zu dem Fall von Bl ei sch: „Ein Fall von
Sarggeburt“, heisst es: 1 )
„Demgemäss müssen die Kindesleiche, die Nabelschnur and die N&ch-
geburtsteile in ihrer ganzen Vollständigkeit unverletzt and in angestörtem
gegenseitigen Zusammenhänge, sowie in einer Lagerung bei der
mütterlichen Leiche vorgefnnden werden, welche der aas dem
Befände an der Kindesleiche (Kopfgesohwalst, Kopfform etc.)
za rekonstruierenden Kindeslage in der Gebart entspricht/
Im Gegensätze hierzu beschreibt Gottschalk*) einen Fall,
in welchem die Kopfgeschwulst des Kindes erkennen liess, dass
der Kopf bei der Geburt Vorgelegen hatte, das postmortal ausge-
*) Vierteljahresechr. f. ger. Medizin, 8. Folge, 8. Band (1892), S. 61.
*) Eine Sarggebart. Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 1892, 8. 487.
814
Dr. Freyer.
stossene Kind aber mit dem Kopfe an und zum Teil unter
der hervorgestülpten Gebärmutter, die Füsse nach
dem unteren Sargende zu gelagert, vorgefunden wurde.
Er stellt sich dabei vor, „dass der entwickelte Kopf auf irgend
ein Hindernis im Sarge (mütterlicher Schenkel, Holzspan oder
dergl.) stösst, in der Nähe der mütterlichen Geschlechtsteile fest¬
gehalten wird und sodann die Beine durch den unmittelbar nach¬
dringenden Fundus uteri inversi weiter nach unten vorgeschoben
worden“, und folgert daraus, dass, wenn auch die Lage des Kopfes
nach den Füssen der Mutter zu auf eine erfolgte Kopfgeburt
immerhin hinweisen mag, ihm anderseits die umgekehrte Lagerung
nicht ohne weiteres den Schluss zuzulassen scheine, dass die Ge¬
burt nicht mit vorangehendem Kopfe stattgefunden habe.
In meinem Falle nun wurde das Kind in der Form der
gedoppelten Frucht nach dem Vorgänge der Selbstentwicke¬
lung vorgefunden, während Hebamme und Arzt kurz vor dem
Tode der Mutter eine bereits tiefstehende Steis Blage festge¬
stellt hatten. Es war hier die Frage zu entscheiden, ob trotz
Steisslage das Kind in der genannten Form postmortal ausge-
stossen sein konnte, oder ob nicht statt der Steisslage eine
Schulterlage und somit ein Irrtum in der Diagnose bestanden hat ?
Der Fall war kurz folgender:
▲lg die Hebamme morgens gegen l j*2 Uhr an der Kreissenden kam,
stellte sie zunächst eine Längste fest, ohne zu erkennen, ob Kopf* oder
Steisslage, da noch keine Erweiterung des Muttermundes eingetreten war.
Leben war an dem Kinde nicht zu bemerken. An dem Ende der Schwanger¬
schaft sollten noch etwa 14 Tage fehlen. Die Frau fieberte, mass 39° C., aus
der Scheide floss ein sehr reichlicher, übelriechender Ausfluss. Die Frau hatte
am Nachmittage zuvor Schüttelfrost gehabt und machte einen sehr kranken
Eindruck. Wehen waren nicht vorhanden, sie traten erst am Nachmittage
gegen 4 Uhr ein und förderten bis 7 Uhr den Steiss so tief herab, dass beim
Auseinanderfalten der Schamteile ein 60 Pfennig- bis 2 Markstück grosser Teil
der einen Hinterbacke des Kindes Bichtbar wurde. Der Bücken des Kindes lag
nach vorn, der SteisB stand im queren Durchmesser. Hierauf hörten die Wehen
allmählich auf. Gegen 9 Uhr traf der Arst ein. Auch er stellte eine Steiss-
lage fest, sah aber wegen der Wehenschwäche zunächst von einem operativen
Eingriff ab. Das Fieber bestand fort. Gegen 11 Uhr trat grössere Unruhe
bei der Kreissenden ein, es folgte Lufnot, die Unruhe nahm zu und gegen
3 Uhr früh trat der Tod ein.
Die Frau, welche die Leiche einsargte, hat hierbei keinen Austritt des
Kindes bemerkt.
Da seitens der Angehörigen späterhin der Hebamme und dem Arzte die
Schuld an dem Tode der Frau beigemessen wurde, so fand 36 Tage nach dem
Tode die Wiederausgrabung der Leiche und deren gerichtliche Obduktion
statt. Dieselbe ergab, dass das Kind, noch durch die Nabelschnur mit der in
den Geschlechtsteilen befindlichen Nachgeburt verbunden, zwischen den Beinen
der Leiche und dicht vor den Geschlechtsteilen derselben lag. Die Füsse des
Kindes nebst Steiss waren den Geschlechtsteilen der Leiche zugekehrt, das
rechte Bein nach oben und dem linken Schenkel der Leiche, das linke Bein
nach unten und dem rechten Bein der Leiche angewandt. Kopf, Hals und
oberer Brustteil der Frucht waren nach vorn übergeklappt
und fest an denBauch und Beokenteil der Frucht angedrückt,
so dass der Kopf ebenfalls den Geschlechtsteilen der Leiche zugekehrt war,
während die rechte Schulter nebst Arm nach oben Bähen und nach dem Fuss¬
en de der Leiche gerichtet waren. Die rechte Schulter nebst dem angrenzenden
1 rustteil sowie linke Schulter, linker Oberarm und oberer Bückenteil hatten
Zur postmortalen Ansstossnng des Fötos.
815
eine schmutzig grüne, die ttbrigen Klndtsteile eine verwaschen rötliche Farbe.
Der Schädel war vollkommen platt zusammeogedrückt nnd in die Unterbanoh-
nnd Beckengegend des Kindes gewissermaesen hineingepresst.
Die aaseinandergefaltete Fracht hatte eine Länge von nngeflhr 46 cm,
die Kopfmasae waren wegen der langaasgezogenen and plattgedrüokten Form
deB Kopfes nicht festzostellen, erschienen aber keineswegs angewöhnlich. Die
Beckenmasse der Leiche waren ebenfalls die üblichen. Verletzungen an Gebär¬
matter oder Damm waren nicht vorhanden.
Ich will gleich bemerken, dass als Todesursache akute Sepsis
infolge von Zersetzung des Fruchtwassers der vorzeitig abge¬
storbenen Frucht mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen war.
Dass nun die Frucht in der Form der Gedoppelung, wie sie
bei der Obduktion gefunden wurde, auch ausgestossen worden ist,
muss hier nicht nur aus der Vorgefundenen Lage, sondern auch
aus dem Umstande gefolgert werden, dass die von den Geschlechts¬
teilen der Leiche am meisten entfernt und nach dem Fussende
derselben hin gelegenen Kindsteile, nämlich der ganze Schulter-
gürtel nebst den angrenzenden oberen Teilen von Brust und
Bücken, eine schmutzig grüne, die übrigen Teile der Frucht eine
verwaschene rötliche Farbe darboten. Die grünverfärbten Teile
müssen eben der äusseren Luft länger ausgesetzt gewesen, daher
bei der Ausstossung vorangegangen sein.
Wollte man demnach annehmen, dass die bei der postmortalen
Ausstossung vorangegangeneu Teile auch in vivo Vorgelegen haben
müssen, so würde zu folgern sein, dass nicht eine Steisslage, wie
von Hebamme und Arzt angenommen, sondern eine Schulterlage
bestanden habe.
Indessen muss die Möglichkeit zugestanden werden, dass
das Kind trotz Steisslage postmortal in der Vorgefundenen
Form der Selbstentwickelung aus dem Mutterleibe ausgestossen
werden konnte. Es ist denkbar, dass die Fäulnisgase zuerst
den im oberen Teil der Gebärmutter gelegenen Kopf des
Kindes nach unten und gegen dessen Leib, alsdann die Schul¬
tern nach unten und in das mütterliche Becken hineingepresst
haben, wobei der Steiss des Kindes aus dem Becken heraus und
mehr nach hinten und oben gedrängt worden ist, so dass auf
diese Weise ein Positionswechsel vollzogen wurde, bei welchem
die Schultern in den Beckeneingang zu liegen kamen und
die Ausstossung der Frucht mit den Schultern voran erfolgen
konnte.
Begünstigt konnte dieser Vorgang wohl noch durch die ver¬
hältnismässige Kleinheit der nicht ausgetragenen Frucht bei nor¬
malen mütterlichen Beckenverhältnissen werden.
Die Stärke der treibenden Kraft der Fäulnisgase ist be¬
kanntlich eine sehr bedeutende. Sie hat sich in dem vorliegenden
Falle ganz besonders in der gewaltigen Zusammenpressung des
Körpers des Kindes, besonders des Kopfes desselben, zu erkennen
gegeben.
816
Dr. Heidenhain: Eindesmord.
Kindesmord?
Von Kreisarzt Med.-Rat Dr. Heidenhain in Stolp.
Die unverehelichte K. fand ihr kräftiges, vor zwei Tagen
geborenes Kind in der dritten Nacht beim Erwachen tot vor. Die
Obduktion hatte folgendes Resultat:
Die äussere Besichtigung ergab nichts abnormes, abgesehen von zwei
Eccbymosen in die Conjnnctiva bnlbi.
Bei der inneren Untersuchung fand sich die linke Lunge gänzlich
zurückgezogen, während die rechte ziemlich gut ausgedehnt war. Letztere hatte
eine? hellrotblaue Farbe mit ausgebreiteter grauer Marmorierung; sie fühlte
sich knisternd an und zeigte auf den Durchschnitten bei leichtem Druck reich¬
liche Mengen schaumiger, hellroter Flüssigkeit. Die linke Lunge war blaurot
und nur im oberen vorderen Abschnitt mit grauer Marmorierung; sie itthlte
sich derb an und zeigte auf den Durchschnitten reichlich dunkelblutige Flüssig¬
keit. Auf dem ganzen Lungenfell waren zahllose Eccbymosen von Mobnkorn-
grösse bis zur Grösse eines mittelgroßen Stecknadelknopfs.
Das Herz bot nach dem Inhalt seiner Kammern und Vorkammern die
Zeichen der Erstickung dar.
Am Kopfe fand sich äusserlich auf der linken Seite eine mittelgrosse
Kopfgeschwulst. Nachdem die weichen Kopfbedeckungen zurttckgeschlagen waren,
zeigte sich links von der Pfeilnaht eine blasige, fluktuierende Geschwulst
vom Periost bedeckt und mit rundlicher Bads von 3>/2 : 2 cm; beim Einschneiden
entleerte sich eine Menge dunklen flüssigen Blutes (ca. 16—20 cm). Die ganzen
inneren Flächen der hinteren weichen Kopfbedeckungen waren dunkelrot ver¬
färbt und blutig durohtränkt, ebenso die ganze Knochenhaut, nach deren Zurück¬
klappen rechts von der Pfeilnaht eine Auflagerung von dunklem, geronnenem
Blut in der Ausdehnung eines Zweimarkstücks und ca. 0,6 cm stark festgesellt
wurde.
Nach Entfernung des geronnenen Blutes trat eine KnochengewebB-
trennung zu Tage, welche rechtwinklig von der Pfeilnaht ( ] /s cm hinter der
Pfeilnaht) zum Seitenwandbeinhöcker verlief und unterhalb dieses, den Böcker
intakt lassend, sich bis zum Schläfenbein erstreckte. Es war also eine feine
lange Spalte des Schädeldachs, welche vom Höcker des Seitenwand¬
beins unterbrochen wurde; der Spalt war sehr fein, seine Bänder scheinbar scharf
und glatt, doch bei näherem Zusehen ganz fein rissig und blutig imbibiert.
Nachdem nun das ganze Schädeldach und die Dura mater mittelst
einer Soheere durchschnitten und vom Gehirn abgehoben war, fand sich die
Dura mater völlig unversehrt und nur ein wenig nach innen — gleichsam als
sehr flache Blase — dem Knochcnspalt des Schädels entsprechend, abge¬
hoben; drückte man auf diese dünne Blase, so entleerte sieb durch den Knochen-
spalt etwas dunkles, dickflüssiges Blut nach aussen.
Nach Schluss der Obduktion gab ich das Gutachten dahin ab:
1. Das Kind ist an Erstickung gestorben.
2. Zeichen äusserer Gewalteinwirkung, wodurch der Tod hätte veran¬
lasst werden können, sind nicht vorhanden.
3. Der Vorgefundene Schädelbruoh ist offenbar durch die Einwirkung des
schweren Geburtsaktes hervorgerufen. Die durch den Schädelbruch veranlasste
Blutung konnte, da die harte Hirnhaut erhalten war, nicht durch Einwirkung
auf das Gehirn eine Lähmung der Atmungs- resp. Zirkulationsorgane bewirken.
Das Kind war fraglos an der Seite der schlafenden Mutter
erstickt durch das auf dasselbe fallende schwere Ueberbett oder
dadurch, dass der Arm der schlafenden Mutter die Brust des
Kindes zusammengedrückt hat. Die Gehirnblutung oder vielmehr
die Blutung zwischen Knochen und harter Hirnhaut hat mit der
Erstickung nichts zu tun.
Df. Danges: Zar Verhütung ansteckender Krankheiten.
817
Zur Verhütung ansteckender Krankheiten.
Von Dr. Düngen, Horn i. L.
So wichtig und wertvoll die Anzeigepflicht bei ansteckenden
Krankheiten nach dem zur Zeit üblichen Verfahren auch ist, so
könnte ihr Erfolg doch nach gewisser Richtung hin noch unter¬
stützt werden. Bei den genannten Krankheiten handelt es sich
durchweg um Erkrankungen, die durch ein Inkubationsstadium
eingeleitet werden, so dass bei der Unbestimmtheit der anfäng¬
lichen Erscheinungen im Beginne der Erkrankung eine sichere
Diagnose auch dem kundigen Arzte oft unmöglich ist. Was aber
die möglichst schnelle und sichere Erkennung für Therapie und
Prophylaxe bedeutet, braucht nicht erörtert zu werden. Erschwert
wird diese noch durch den Umstand, dass häufig bei epidemischen
Krankheiten einzelne Fälle überhaupt nicht zur ausgesprochenen
Entwickelung kommen, ohne darum doch für die Uebertragbarkeit
unwichtiger zu werden. Hier lässt sich meist nur dann eine
richtige Diagnose stellen, hier wird nicht selten die Vermutung
auf die betreffende Krankheit erst dann gelenkt, wenn ausge¬
sprochene Fälle derselben Erkrankung in dem betreffenden Orte
oder dessen nächster Umgebung bekannt geworden sind. Wenn
daher solche Fälle den in diesem Orte in der Regel praktizirenden
Aerzten möglichst schnell zur Kenntnis gebracht würden, so
würden diese zweifellos bei verdächtigen Erkrankungen weit eher
als sonst zu einer frühzeitigen und richtigen Diagnose kommen.
Es wäre dazu nur erforderlich, dass die Behörde, bei der die An¬
zeigen über ansteckende Krankheiten einlaufen, den übrigen für
den betreffenden Ort in Betracht kommenden Aerzten wenigstens
von jedem ersten Falle einer bestimmten Infektionskrankheit Mit¬
teilung machten; in grossen Städten würden sich diese Mitteilungen
auf die in dem betreffenden Bezirk, in dem die Krankheit zum
Ausbruch gekommen ist, wohnenden Aerzte beschränken können.
Bei weiterhin auftretenden Erkrankungsfällen würden Mitteilungen
von Zeit zu Zeit — etwa wöchentlich — über die Zahl der Er¬
krankungen usw. genügen.
Präventiv-Impfungen bei Diphtherie.
Von Dr. Cnrtius, Kreisaraistensarat in SohweU.
Die Heilserumtherapie bei Diphtherie hat sich im raschen
Siegeslauf über die ganze zivilisierte Welt verbreitet und die Zahl
der Todesfälle, die früher mehr als die Hälfte der an Tuberkulose
Verstorbenen betrug, wesentlich eingeschränkt. Gleichwohl starben
auch nach der Einführung des Heilserums im Durchschnitt der
5 Jahre von 1895—1899 in Preussen jährlich noch immer 21957
Personen an Diphtherie. Diese Zahl zeigt freilich eine fortlaufend
fallende Tendenz — im Jahre 1901 starben nur noch 16809 Per¬
sonen an Diphtherie —, ist aber, z. B. mit der Typhussterblichkeit
verglichen, noch immer etwas mehr als 8 mal so gross.
Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, dass die Diph-
818
Dr. Cortina.
therie noch bedeutend weniger Opfer fordern würde, wenn die
Heilserumtherapie nicht bei den erkrankten Kindern allein zur
Anwendung gelangte, sondern auch bei allen denjenigen, die sich
der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt haben. Hält es doch
y. Behring (1) sogar fiir möglich, durch eine planmässig durch-
geführte Schutzimpfung an bedrohten Orten zu erreichen, dass die
Diphtherie aufhört, eine Krankheit mit hohen Morbiditäts- und
Mortalitätsziffern zu sein. Diese Ansicht kann ich keineswegs, wie
das von anderer Seite geschehen ist, als illusorisch bezeichnen,
wenn nach den Forderungen v. Behrings die Serumtherapie „in
jedem Falle alsbald nach dem Erkennen der ersten Symptome
beginnt und zwar nicht erst nach der Sicherung der bakteriologischen
Diagnose, sondern schon nach der Feststellung der klinischen
Wahrscheinlichkeitsdiagnose, und die mit einem bakteriologisch
diagnostizierten Diphtheriefall in Berührung gekommenen jugend¬
lichen Individuen prophylaktisch immunisiert werden".
Wenngleich der ausserordentliche Erfolg der Immunisierung
von den klinischen Lehrern der medizinischen Disziplin genügend
betont wird und in der gesamten Fachpresse die günstigste Be¬
urteilung erfährt, so hat sie doch zum grossen Schaden der Be¬
völkerung noch keinen allgemeinen Eingang in die Praxis ge¬
funden. Die Gründe für diese bedauerliche Tatsache sind ja zum
Teil recht ersichtlich. Einmal und wohl hauptsächlich ist der hohe
Preis des Serums schuld daran, dann aber kommen auch gewisse
andere Faktoren in Frage. Warum geht man bei der Pocken¬
impfung so energisch vor, warum verfolgt man die Granulöse
bei den Heerespflichtigen mit einem Aufwand von Mühe und
Arbeit, der nicht im Verhältnis zu den Erfolgen steht, warum
geht man der Typhuserkrankung so energisch zu Leibe und
hat BO000 Mark für Versuche in der Bekämpfung des Typhus
dem Institut für Infektionskrankheiten ausgesetzt und beabsichtigt
in dem neu zu erlassenden Seuchengesetz die Anzeigepflicht auch
auf typhusverdächtige Fälle auszudehnen P Nun, des Rätsels
Lösung scheint mir einfach; alle diese Erkrankungen bedrohen
unter gewissen Umständen den Bestand der Armee, sind, was
Pocken und Typhus anbetrifft, Seuchen, die in Kriegszeiten ge¬
waltige Opfer gefordert haben, wie die Geschichte des Napoleoni-
schen Feldzuges gegen Russland, und die Erfahrungen im Kriege
von 70/71 zur Genüge beweisen. Selbstverständlich muss der
Staat alles tun, um sein Heer schlagfertig zu erhalten und hier
müssen Opfer gebracht werden. Deshalb bin ich überzeugt, wenn
neben den Abertausenden von Kindern plötzlich die grossen Söhne
des Mars in ihren Garnisonen oder auf den Manövern von der
Diphtherie ergriffen und dahingerafft würden, wie es zuweilen
jetzt bei Typhus der Fall gewesen ist, dann gäbe es bald eine
Präventivimpfung in allen Diphtherieorten.
Leider wenden noch viele Aerzte die prophylaktischen
Impfungen überhaupt nicht an, oder betreiben ihre Durchführung
nicht mit 5 der nötigen Energie. Wenn es Aerzte gibt, die die
Behandlung einer Diphtherie ablehnen, sobald eine Serumein-
Pr&Tentiv - Impfungen bei Diphtherie.
819
spritzung nicht gestattet wird, so kann ich mir deren Standpunkt
erklären, wenn auch nicht rechtfertigen. Für konsequent würde
ich es da halten, wenn ein Arzt, der seine Hilfe von der Annahme
bestimmter therapeutischer Bedingungen bei seinen Klienten ab¬
hängig macht, gleichzeitig auch die Forderung stellte, dass er
das kranke Kind nur dann impfe, wenn er auch die gesunden
immunisieren dürfe. In der Regel macht es keine Schwierigkeit,
wenn man in ruhiger und überzeugender Weise die Vorteile der
Schutzimpfung den Angehörigen klarlegt, ihre Einwilligung hierzu
zu erhalten, besonders wenn der Beschaffung des Serums keine
pekuniären Schwierigkeiten entgegenstehen. Bedauerlicher Weise
ist dies aber oft der Fall. Auch ich machte in dieser Beziehung
ganz traurige Erfahrungen bei einer Diphtherieepidemie in einem
Städtchen von 2700 Einwohnern, in dem vom 23. August bis
Ende Dezember v. J. 64 Diphtherieerkrankungen mit 13 Todes¬
fällen zur polizeilichen Anmeldung gelangten. In einzelnen Familien
schleppte sich die Diphtherie wochenlang hin und erkrankten nach
einander 3, 4 selbst 5 Geschwister. Erst durch kostenlose Her¬
gabe des Serums wurde es bei der ärmeren Bevölkerung ermög¬
licht, die Weiter Verbreitung der Krankheit im Schosse der Familie
fast völlig zu verhüten und gleichzeitig die Seuche einzuschränken.
Namentlich ist aber die Schutzimpfung geboten, sobald in
geschlossenen Anstalten, Instituten und Gefängnissen u. s. w.
Diphtheriefälle auftreten. So konnte Guinon (2) durch Präven¬
tivimpfungen in einer Heilanstalt für Idioten und Epileptiker von
145 Kindern eine Epidemie unterdrücken, bei der bereits ein Todes¬
fall und in 2 Tagen 12 Neuerkrankungen aufgetreten waren.
Nach der Schutzimpfung kamen nur 4 neue Fälle vor, die jedoch
so gutartig verliefen, dass der Belag innerhalb 24 Stunden von
selbst verschwand.
Dass die Anzahl der Kinder, welche durch Immunisierung
voraussichtlich jährlich gerettet werden könnten, eine ganz erheb¬
liche sein muss, geht daraus hervor, dass die Diphtherie gewöhn¬
lich mehrere Kinder in der Familie ergreift und noch immer eine
durchschnittliche Mortalität von über 13 % aufweist. Um dies an
einem Beispiele zu beweisen, führe ich eine Veröffentlichung von
Netter (3) an, der zum Vergleiche 491 Kinder in Familien, in
denen ein Diphtheriefall vorlag, nicht geimpft hatte. 87 unter
ihnen wurden krank, davon 38 schwer, und 18 starben. Wenn
auch unter diesen 491 Kindern trotz der Impfung ein gewisser,
nicht näher bestimmbarer Prozentsatz erkrankt wäre, so hätten
doch nach den allgemeinen Erfahrungen bei den Präventivimpfungen
die 18 Todesfälle und die 38 schweren Erkrankungen vermieden
werden können. Zuverlässige Angaben darüber zu machen, in
wieviel Prozent die Immunisierung tatsächlich Erfolg hat, ist nicht
möglich. Nur so viel kann bestimmt gesagt werden, dass die
Schutzimpfung keine absolute Immunität bedingt, die bedeutende
Mehrzahl von Erkrankungen innerhalb der ersten 24 Stunden auf¬
treten, mithin ein Inkubationsstadium schon vorlag, die Ansteckungen
um so seltener auftreten, je früher die Immunisierung erfolgt, je
820
Dr. Cortina.
grössere Antitoxinmengen benutzt und je sorgfältiger alle Isolie-
rungsmassregeln eingehalten werden.
Nach Netters (4) Statistik acquirierten unter 32484 Kindern,
die prophylaktisch mitten in Diphtherieherden geimpft wurden, 192
= 6 auf 1000 die Krankheit. Diese Zahl ist entschieden zu
niedrig gegriffen, denn es erkrankten zweifellos bedeutend mehr
Kinder trotz der Immunisierung, wenn man nur die absolut sicheren
Beobachtungen in der Litteratur mitrechnet und berücksichtigt,
dass ohne Frage auch in vielen Fällen immunisiert wurde, in
denen es sich gar nicht um Diphtherie gehandelt hat. Es ist ja
eine bekannte Tatsache, dass viele Aerzte die Diagnose Diphtherie
stellen, sobald sie nur einen Belag auf den Mandeln sehen.
Die niedrigste Zahl, die für eine Ansteckung trotz Immuni¬
sierung angenommen werden kann, ist annähernd 3 %; dieser Prozent¬
satz spielt jedoch deshalb keine so grosse Rolle, weil nach allen
Beobachtungen, wie oben angegeben, schwere und tödliche Fälle
überhaupt vermieden werden. Wenn nun Netter (4) nicht zu
übertreiben glaubt, dass die Ansteckung bei Kindern, die mit
Diphtheriekranken in Berührung gekommen sind, wahrscheinlich
in 10% erfolgt, so darf man diese Prozentzahl nicht allein be¬
rücksichtigen, wenn man sich eine ungefähre Vorstellung davon
machen will, wie ausserordentlich die Diphtherie - Morbidität und
-Mortalität eingeschränkt wird, wenn die Immunisierung zur Ein¬
führung gelangte. Denn durch das fast vollständige Fortfallen
von Neuerkrankungen innerhalb der Familie ist die Gelegenheit
zur Weiterverbreitung der Erkrankung doch ausserordentlich ein¬
geschränkt. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob sich ein Diph¬
theriefall in durchschnittlich 4—6 Tagen innerhalb einer Familie
erledigt, oder ob nacheinander eine ganze Anzahl von Kindern
erkranken und die Krankheit sich wochenlang durch die Familie
schleppt. Die bereits genesenen Kinder und ihre Pfleger sind
dann viel längere Zeit die Verbreiter des Infektionsstoffes, und die
Isolierung kann nicht mehr genügend durchgeführt werden, zumal
mit der Länge der Zeit Gleichgiltigkeit und Unachtsamkeit gegen
alle Vorsichtsmassregeln eintritt.
Die Immunisierung erübrigt, um dies hier gleich zu betonen,
in keiner Weise die üblichen Schutzmassregeln bei Diphtherie,
zumal auch Erkrankungen bei den Geimpften Vorkommen und die
geimpften Erkrankten und Rekonvaleszenten die Infektionen genau
ebenso vermitteln können, wie die Nichtgeimpften. Wohl aber
vermindert sie durch die geringe Zahl der Infizierten die Schwierig¬
keit sowohl bezüglich der Isolierung, als der Desinfektion und
gestaltet deren Durchführung leichter und wirksamer. Ist es aber
bereits zu einer grossen Verbreitung der Krankheit, gekommen,
dann werden freilich die Schutzmassregeln häufig ohne Erfolg sein.
Dass die Schutzimpfung allein im Stande ist, die Ausbreitung
und die Gefahren der Diphtherie zu verhindern, wenn man in der
oben erwähnten Weise v. Behrings (1) vorgeht, gab ich be¬
reits zu. Allein eine Verallgemeinerung der Immunisierung, die
an bedrohten Orten nach v. Behring selbst in diphtheriefreier
Präventiv - Impfungen bei Diphtherie.
821
Umgebung: eine Impfung versieht, ähnlich wie man in pockenfreier
Umgebung die Schutzimpfung austtthrt, halte ich für undurchführ¬
bar, zumal der Impfschutz nur 3—4 Wochen vorhält, viele Eltern
die Impfung ihrer Kinder nicht gestatten und sich die Armenver¬
bände wegen der ganz erheblichen Kosten gegen die Immuni¬
sierung auflehnen würden. Für diese allgemeinen Schutzimpfungen
in diphtheriefreier Umgebung sieht v. Behring allerdings ein
billiges (40 Pfennige), sehr hochwertiges Trockenantitoxin von
100 A. E. vor.
Die wichtige Tätigkeit, die der Kreisarzt bei der Verhütung
und Bekämpfung gemeingefährlicher und sonst übertragbarer Krank¬
heiten ausüben kann, wird bei der Diphtherie meist durch den
bisher üblichen Gang der Requisition lahm gelegt und anderseits
nicht genügend ausgenützt. Es ist wohl nicht zu viel gesagt,
dass häufig der Kreisarzt an Ort und Stelle erscheint, wenn be¬
reits andere Kinder in der Familie erkrankt sind. Ein möglichst
baldiges Erscheinen des beamteten Arztes wäre aber bei einer
Krankheit, die so rasch in der Familie um sich greifen kann,
zumal die Inkubationsdauer doch nur bis auf 2 Tage sich zu er¬
strecken braucht, geboten. Es müsste aber auch dem Kreisarzt
namentlich für die ländlichen Bezirke stets Heilserum zu Präven¬
tivimpfungen in den verseuchten Familien zur Verfügung gestellt
werden. Wie oft würde es auf diese Weise gelingen, eine Epi¬
demie im Keime zu ersticken, sehr viel Kinder am Leben zu er¬
halten nnd das Verständnis für die ausserordentliche Wirksamkeit
und Zweckmässigkeit der Schutzimpfungen in weiteste Kreise zu
tragen. Der Plan v. Behrings, der sogar unentgeltlich seine
Trockenantitoxinpräparate den Kreisärzten zur Verfügung stellen
will zur Feststellung der Unschädlichkeit und des Nutzens der
prophylaktischen Antitoxininjektionen, müsste in der von mir vor¬
geschlagenen Weise und dauernd ausgeführt werden.
Grade hierdurch würde sich dem Kreisarzt ein Wirkungsfeld
eröffnen, auf dem er für das allgemeine Wohl in augenschein¬
lichster Weise erfolgreich sorgen und gleichzeitig auch dem
Publikum das Verständnis dafür beibringen kann, dass man der
Ansteckungsfähigkeit einer Krankheit nicht hilflos gegenüber steht.
Freilich ist nach dem Entwurf eines Ausführungsgesetzes zu
dem Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher
Krankheiten, vom 30. Juni 1900 im §. 6, Abs. 3 eine Ermittelung
der ersten Fälle von Diphtherie nur für erforderlich erachtet, falls
sie nicht von einem Arzte angezeigt sind. Aus den angeführten
Gründen möchte ich aber mit dem Referenten über diesen Artikel
in der Nr. 4 dieser Zeitschrift der Ansicht sein, dass die Auf¬
nahme der Diphtherie unter die im §. 6, Abschn. 1 genannten
Krankheiten, bei denen stets eine amtsärztliche Ermittelung vor¬
gesehen ist, dringend empfehlen. Ebenso kann ich mich bezüglich
der Kennzeichnung der Diphtheriehäuser durch Tafeln zur Ab¬
haltung fremder Personen nur der Ansicht des Referenten an-
schliessen, zumal in der Begründung des Entwurfs ausdrücklich
erklärt wird: Wie an den Gebrauchsgegenständen, so haften die
822
Dr. Cortina.
Krankheitskeime auch in der Wohnung des Kranken. Dies ist
besonders bei Diphtherie u. s. w. der Fall.
Wie spielt sich aber häufig eine kleine Diphtherieepidemie
auf dem Lande ab? In dieser oder jener Familie stirbt ein Kind
ganz plötzlich. Wird ein Arzt gerufen, so erscheint dieser häufig-
bei dem Kranken, ohne sich über die Art des Leidens vorher
orientieren zu können. Die Impfung unterbleibt deshalb; ein noch¬
maliger Besuch wird aber wegen der damit verbundenen Kosten
nicht ausgefiihrt, wohl aber die Erkrankung vorschriftsmässig
gemeldet. Nach einiger Zeit erscheint der Kreisarzt und stellt
ebenfalls Diphtherie fest. Immunisiert wird aber nicht und die
Ansteckung geht ihren Lauf. Ich bin wenigstens auf dem Lande
noch nicht dazu gekommen, Schutzimpfungen auszuffihren und
glaube auch, dass die meisten Kreisärzte noch nicht viel Präven-
tivimpfungen bei Gelegenheit ihrer Requisitionen ausgeführt haben.
In manchen Kreisen steht zwar den beamteten Aerzten für Schutz¬
impfungen Heilserum zur freien Verfügung und werden bei Ge¬
legenheit des Ermittelungsverfahrens von ihnen auch Präventiv¬
impfungen vorgenommen. Im grossen und ganzen werden sich
aber die Vorgänge so abspielen, wie ich sie geschildert habe.
Ich will hierbei in keiner Weise die sonstigen kreisärztlichen
Anordnungen unterschätzen, oder gar bemängeln, denn dazu hätte
ich die allergeringste Ursache, wohl aber will ich hier Dinge er¬
örtern, die ich für verbesserungsfähig und bedürftig halte. Die
mündlichen und schriftlichen sanitätspolizeilichen Anordnungen
werden meist in ganz unzulänglicher Weise befolgt, da das Ver¬
ständnis, das die grosse Masse des Volkes für Ansteckungsgefahr
und ihre Verhütung besitzt, erstaunlich gering ist. Es liegt das
freilich oft daran, dass die Leute meist nicht an Ansteckung
glauben, sondern in dieser Beziehung einen fatalistischen Stand¬
punkt teils aus Bequemlichkeit, teils aus Mangel an Bildung und
Ueberlegung haben. Daher erwächst den Behörden die Pflicht,
wenn ein so einfaches und wirksames Schutzmittel gegen das Um¬
sichgreifen der Diphtherie vorhanden ist, dieses nach Möglichkeit
zur Anwendung zu bringen. Das Umgehen der auf viel Schwierig¬
keiten stossenden und oft unausführbaren Desinfektion der Woh¬
nungen auf dem Lande ist auch bei der Durchführung der Schutz¬
impfungen weniger bedenklich, da die Zahl der Erkrankungsfälle
innerhalb der Familie eingeschränkt wird. Ich persönlich kann
mir auch von dem Erfolg der Desinfektion einer ländlichen Arbeiter¬
wohnung nicht viel versprechen; sie ist ausserdem durch die üblichen
Formalin-Desinfektionsapparate im Winter bisweilen nicht aus¬
führbar, sobald ein provisorischer Unterkunftsraum für die Familie
nicht beschafft werden kann.
Ueber die Anzahl A. E., welche zur Immunisierung genügen,
herrschen geteilte Ansichten, v. Behring (1') hat „die jetzt
übliche Immunisierungsdosis von 250 A. E. empfohlen, weil die¬
selbe auch noch im Inkubationsstadium wirksam sein sollte, was
gefordert werden musste wegen der bisher fast ausschliesslich
angewendeten Serumtherapie in Familien, Krankenhäusern, Schulen
Präventiv-Impfungen bei Diphtherie.
823
u. s. w. mit konstatierten Diphtheriefällen, von welchen möglicher
Weise die zu schützenden Individuen schon infiziert waren.“
Baginski (5) sagt in dieser Beziehung: „Die von uns zumeist
angewandte Immunisierungsdosis ist je nach dem Alter und der
Grösse der Kinder 200—300 A. E.; nur selten überstiegen wir
diese Gabe und sind in der Regel sehr gut damit ausgekommen.“
Französische Aerzte wenden vielfach 500 A. E. an, desgleichen
englische. In den Fragebogen zur Sammelforschung „über die
Anwendung des Diphtherieserums zu Immunisierungszwecken“ von
Prof. Löffler ist in dem Muster zur Beantwortung der Fragen
die zur Verwendung gelangende Menge auf 600 A. E. angegeben.
Ich benutzte anfänglich 200 A. E. von dem 250fachen Serum; da
sich aber bei 17 Immunisierungen 3 Erkrankungen nach 2, 8 und
15 Tagen einstellten, gewann ich den Eindruck, dass 200 A. E.
nicht genügen. Ich halte es deshalb für richtig, bedeutend mehr
A. E. einzuspritzen, und möchte als Mindestmenge 500 A. E. an-
raten, selbst bei kleinen Kindern. Ein Schaden wird dadurch
nicht hervorgerufen und kommen Hautausschläge, falls diese Be¬
fürchtung Aerzte zu Einspritzungen mit geringen Antitoxinmengen
bewegen seilte, bei kleinen Dosen ebenfalls vor. Da nun nach
den Marx sehen (6) Versuchen Immunisierungs- und Heileffekt
dem Gehalt an I. E. proportional ist, handelt man jedenfalls
rationeller, wenn man höhere Dosen anwendet. Bei grösseren
Kindern würde ich sogar 1000 A. E. einspritzen, wenn die Geld¬
frage keine Rolle spielt. Zweckmässig ist es nun, wenn man
500 I. E. benutzt, ein hochwertiges Serum zu nehmen, da hierbei
— Menge lg — eine kleine Spritze benutzt werden kann.
Die Technik der Schutzimpfung schliesst sich in ihrer Aus¬
führung genau derjenigen bei Heilzwecken an. Sie ist dadurch
viel einfacher, dass man sie, wie eine Morphiumeinspritzung eigent¬
lich an jeder Körperstelle ausführen kann, da man mit einer ge¬
ringen Flüssigkeitsmenge zu tun hat. Während ich sämtlichen
Kindern in der betreffenden Familie die Brust frei machen liess,
öffnete ich die Serumfläschchen und desinfizierte die Spritze mit
Alkohol; so immunisierte ich einmal nacheinander 6 Kinder in
einer Familie, mit dem grössten beginnend, um den kleineren die
Geringfügigkeit des Eingriffs vor Augen zu führen. Will man
den Kindern so gnt wie jeden Schmerz bei der Immuneinspritzung
ersparen, so benutzt man zweckmässig, wie schon angedeutet,
eine Morphiumspritze.
Es ist sehr bedauerlich, dass ein derartiges, wirksames,
lebensrettendes Mittel nur für einen so hohen Preis dem Publikum
zugänglich gemacht wird. Wie schwer fällt es einem Arbeiter,
oder einem wenig bemittelten Handwerker neben den sonstigen
Kosten für Arzt und Apotheke die Ausgabe für das Serum zu
bestreiten. Sind nun gar mehr Kinder erkrankt, so bedeutet das
für ihn oft die Hingabe seiner ganzen Ersparnisse. Hier müsste
Wandel geschaffen werden, wo es gilt vielen tausenden Kindern
das Leben zu erhalten. Wie erstaunlich billig hiergegen das
Lorenzsche Rotlaufserum ist, mag man daraus bemessen, dass
824 Dr. Ccrtuu: Priveativ • Impfungen bei Diphtherie.
die pro 10 kg Körpergewicht benutzte Dosis (1 g) nur 6 Pfennig
kostet.
Die Frage, weshalb man nicht eine billigere Abgabe des
Serums ermöglicht, mag ich nicht erörtern, will aber darauf hin-
weisen, dass z. B. in Russland das übrigens viel zweckmässiger
und handlicher verpackte Serum bedeutend billiger ist, als bei uns
(1,5 Rubel pro 1000 A. E.), und dass das Wiener serotherapeuti¬
sche Institut auf Grund eines Erlasses des Ministers des Innern
ab 1. Januar 1903 die Preise aller Sorten Diphtherieheilserum um
ca. 40% ermässigt hat.
Aus Gründen der Einfachheit und Sparsamkeit empfiehlt es
sich, wenn man mehrere Kinder immunisiert und durch die Ver¬
hältnisse gezwungen, nur kleine Antitoxinmengen von 200—300 A.E.
anwenden kann, eine Flasche mit 1000 A. E. zu benutzen und die
einzuspritzende Menge nach den Gradstrichen der Spritze zu ver¬
teilen. Der Vorteil besteht auch darin, dass der Eingriff viel
schneller vor sich geht und den Kindern für weniger Geld mehr
Serum eingespritzt wird.
Eine andere Frage ist nun die, woher der Kreisarzt und die
anderen Aerzte das Serum zu den Präventivimpfungen für die
ärmere Bevölkerung unentgeltlich erhalten soll. Ich glaube die
meisten Kreise werden, wenn sich die hier in Frage kommenden
Persönlichkeiten erst über die ausserordentlichen Vorteile der
Schutzimpfungen klar geworden sind, für das Land die erforder¬
lichen Mittel bereitstellen, zumal in manchen Fällen die Kosten
für Verwendung des Heilserums von den in Frage kommenden
bemittelten Ortsarmenverbänden wieder eingezogen werden können.
In Städten müssten die Magistrate, vaterländische und lokale
Frauenvereine dieser Sache näher treten und den Aerzten Serum
zu Immuni8ierung8zwecken zur freien Verfügung stellen.
Um anderseits das Verständnis für die Vorteile der Schutz¬
impfung in die grosse Masse des Publikums eindringen zu lassen,
müsste ganz planmässig unter Anwendung aller nur irgendwie
zweckdienlichen Mittel vorgegangen werden. Hierzu rechne ich
wiederholte Vorträge und Diskussionen in Aerztevereinen, um zu¬
nächst die Vermittler des Verfahrens zu gewinnen, Artikel in
Kreisblättern, Kalendern und in den populär medizinisch gehaltenen
Zeitschriften, Vorträge in geeigneten Vereinen und auf den Volks¬
schullehrerkonferenzen. Nichts wird der Sache dienlicher sein, als
ein billiger Preis des Serums. Das ist das A und Q der Frage;
an dem Kostenpunkt scheitern aber manchmal noch ganz andere
Dinge.
Literaturverzeichnis.
1. v. Behring: Die experimentelle Begründung der antitoxischen
Diphtherin-Therapie. 6. Vorlesung aus: Die deutsche Klinik am Eingang des
20. Jahrhunderts.
2. G ui non: Sociätä de Pädiatrie, Sitzung vom 11. Juni 1901, nach Re¬
ferat der Münchener med. Wochenschrift; 1901, Nr. 20.
8. Netter: Sem. mädic.; 1902, S. 39. Hygion. Rundschau; 1902.
4. Netter: Soeiätä de Pädiatrie, Sitzung vom 11. Juni 1901. Münchener
'henschrift 1901.
Dr. Hagemann: Ein Staubsehutz fttr den Lymphebehtlter bei Impfungen. 826
5. Baginski: Ueber Diphtherie und diphtheritisehen Croup. 1. Vor¬
lesung aus: Die deutsche Klinik am Eingang des 20. Jahrhunderts.
6. Marz: Experimentelle Untersuchungen über die Beziehung zwischen
dem Gehalt an Immunit&tseinheiten und dem schlitzenden und heilenden Wert
des Diphtherieheilserums. Zeitschrift fOr Hygiene- und Infektionskrankheiten:
1901, Bd. 38, 8. H. _
Ein Staubschutz für den Lymphebehälter bei Impfungen.
Von Kreisassistenzarzt Dr. Hagemann in Münster.
Die Bestimmung, dass „der Lymphevorrat während der
Impfung durch Bedecken vor Verunreinigung zu schützen“ sei,
hat die Erfindung und Empfehlung verschiedener Apparate ge¬
zeitigt; dieselben sind durchweg sinnreich konstruiert und erfüllen
zumeist ihren Zweck, — mit dem einen Nachteil jedoch, dass dies
unter Verwendung eines ziemlich umständlichen und komplizierten
Mechanismus geschieht.
Dies veranlasste mich, für meinen eigenen Gebrauch bei den
öffentlichen Impfungen eine kleine, ganz einfache Vorrichtung zu
benutzen, welche nach meinen Angaben von einem hiesigen
Mechaniker hergestellt ist. Da sich dieselbe praktisch bewährt
hat, stehe ich nicht an, sie der Begutachtung der Kollegen vor¬
zulegen.
Wesentlich ist offenbar für die praktische Brauchbarkeit eines
solchen Instrumentes, — wie ich früher bereits 1 ) hervorgehoben
habe, — dass sich der Deckel mit grösster Leichtigkeit auf die
Berührung eines disponiblen Fingers, — etwa des kleinen oder
Ringfingers, — der gleichzeitig das Impfinesser führenden rechten
Hand öffnet und schUesst, während die linke Hand zur Fixierung
des Kinderarmes fortdauernd verfügbar bleibt. Dies lässt sich
mit folgender Vorrichtung erreichen:
Das (Original-) Lymphröhrchen wird eingesetzt in einen
breiten Kork, in welchen mit dem Korkbohrer (oder einem ähn¬
lichen Instrument) ein zylinderisches Lager gebohrt ist. Dicht
daneben steht eine kräftige Nadel, an welcher oben mittelst eines
Charniers ein zierlicher, krugdeckelartiger Mechanismus ange¬
bracht ist. Die ganze Deckelnadel wiegt l 1 /, g, sie ist matt
bronziert, deshalb ohne Rostgefahr sterilisierbar, solide, funktio¬
niert spielend leicht und doch ganz sicher.
*) Diese Zeitschrift; 1902, Nr. 11.
826
Aas Versammlungen and Vereintet.
Das Instrumentengeschäft von H. Middendorff, Spieker¬
hof Nr. 21/22, Münster i. W., liefert die Nadel zum Preise von
60 Pfennig. _
Bericht Aber die Verhandlungen der Versammlung
der Medininalbeamten des Beg.-Bec. Llegnits vom S5. April
1903
nebst einem Nachtrag über die auf den Arzneimittel- und Gifthandel
bezügliche Regierongsverfttgungen.
ln der letzten vom H. Regierungspräsidenten snm 6. November 1902
einberuf enen Versammlung der Medizinal beamten war der Beschluss gefasst
worden, alljährlich eine zweite, nicht offizielle Versammlung abzuhalten, die
näohste im Frühjahr 1903 (s. diese Zeitschrift Nr. 1, 1908, 8. 27).
Za dieser für Nachmittag 1 Uhr im Regierungsgebäude unter Vorsitz
des Regierungs- u. Medizinalrats anberaumten Versammlung waren mit Aus¬
nahme des dienstlich verhinderten Kreisarztes Med.-Rats Dr. B r a u n - Görlitz
sämtliche Kreisärzte, der Kreisassistenzarzt zu Carolath, sowie von den ein¬
geladenen staatsärztlich geprüften praktischen Aerzten des Bezirks Dr. G uer tler-
Sagan, Dr. Neetzke-Landeshat, Dr. Kle we-Naumburg a.jQ., Dr. Talke-
Rothenburg O./L. und Dr. Scholz-Görlitz erschienen.
Der Vorsitzende teilte nach der Begrttssung der Anwesenden mit, dass
der H. Regierungspräsident durch dringende Geschäfte am Erscheinen verhin¬
dert sei.
I. Erster Beratungsgegenstand war das schon einmal von der Tages¬
ordnung (5. Nor. 1902) abgesetste Referat über das Reichsgesetz, betreffend
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900
nebst Ausführungsbestimmungen.
Der Referent, Kreisarzt Med.-Rat Dr. Leder-Lauban macht zum
Gegenstand seiner Ausführungen die allgemeinen Bestimmungen des kurz¬
weg als Reichsseuchengesetz bezeichneten Gesetzes. Er schickt voraus, dass
nach dessen Inkrafttreten folgende Anordnungen ergangen seien:
1. Die Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 4. Juli 1900, enthaltend
Ein- und Durchfahrbeschränkungen von Waren und Gebrauchsgegenständen zur
Abwehr von Cholera- und Pestgefahr. 2. Die vorläufigen Ausführungsbe-
stim m u n g e n zum Gesetz vom SO. Jnni 1900, Bekanntmachung des Reichskanz¬
lers vom 6. Oktober 1900. 3. Die bei der Bekämpfung der Pest zu beach¬
tenden Grundsätze, Schreiben des Reichskanzlers vom 25. Oktober 1900 an
die Bundesregierungen. 4. Die Bekanntmachung des Reichskanzlers vom
22. Juli 1902, betr. die wechselseitige Benachrichtigung der Militär- und Zivil-
behürden über das Auftreten übertragbarer Krankheiten. — Seitens des Bundes¬
rats sind die vorgenannten Vorschriften zu einer „Anweisung zur Be¬
kämpfung der Pest“ verarbeitet worden. Höheren Ortes ist zur Durch¬
führung dieser Anweisung in dem Min.-Erlass vom 26. November 1902 — M.
Nr. 13369 — das Nötige verfügt worden, aufgenommen in die Regierungsver-
ffigung vom 4. März 1903 — Pa. 283 —.
Beferent geht nunmehr auf das Reiohsseuchengesetz selbst ein und be¬
spricht nach einem Ausblick auf den dem preussisohen Abgeordnetenhause vor¬
gelegten Entwurf eines Ausführungsgesetses zum Reichsseuchengesetz a) die
Anzeigepflioht, b) das Ermittelung»verfahren, d) die Entschädigungsvorschriftea,
jedoch greift er hierbei nur das Wichtigste heraus.
a. Hinsichtlich der Anzeigepflicht, die nach seinen Erfahrungei
im allgemeinen noch sehr ungleichmässig ausgeübt wird, ist er der Ueberseu-
gong, dass sie hauptsächlich auf den Schultern der Aerzte ruhen werde; er
wünscht zur Erleichterung und Vereinfachung gleichmässige Meldeformulare
bei Portofreiheit und zwar sowohl für die sechs im Reichsgesetz genannten,
als für die auf Grund der Laudesgesetzgebung anzeigepflichtigen Krankheiten.
b. Bei der Ermittelung der Krankheit verlangen die ersten Fälle
umgehende Erhebungen an Ort und Stelle durch den Kreisarzt auch ohne vor-
ansgegangene Benachrichtigung seitens der Polizeibehörde; bei den später auf¬
tretenden Fällen habe der Kreisarzt nur im Einverständnis mit der unteren
Atu Versammlungen und Vereinen.
827
Verwaltungsbehörde (Landrat) au handeln, doeh sei ihm dureh das Gesets aus*
reichende Vollmacht sur Vornahme der su den Ermittelungen erforderlichen
Untersuchungen gegeben. Betreffs der endgültigen Feststellung des ersten
Pestfalles seien nach § 14 der Anweisung sur Bekämpfung der Pest besonders
Pest - Sachverständige vorgesehen. Im Übrigen sei der Kreisarst bei Gefahr
im Verzage schon vor dem Einschreiten der Polizeibehörde zur Anordnung der
erforderlichen Massregeln berechtigt; der Ortsvorsteher habe diese zunächst zur
Ausführung zu bringen.
c. Die Sohutzmassregeln zur Verhütung der Weiterverbreitung der
Krankheiten erstrecken sich hauptsächlich auf die Beobachtung und Absonderung
kranker und krankheitsverdächtiger Personen, die Bäumung von Wohnungen, die
Desinfektion und die saohgemässe Aufbewahrung der Leichen. Besonderer
Wert müsse auf die Absonderung im Bahmen der gegebenen Vorschriften gelegt
und diese energisch durobgeführt werden; zu diesem Zweck sei es in erster
Linie erforderlich, dass überall ausreichende „Un terkunf tsräum e“ zur Auf*
nähme Kranker zur Verfügung stehen.
In breiterem Umfange hehandelt Beferent die Desinfektion. Er
stellt fest, dass es, namentlich auf dem platten Lande, an geschulten Desin¬
fektoren mangelt. Als solche will er nicht Leute wie Totengräber, Barbiere,
Fleischbeschauer u. dergl., welche das Desinfektionsgeschäft nur nebenbei er¬
ledigen, herangesogen wissen, vielmehr sollten die Desinfektoren in Fach¬
schulen aasgebildet und geprüft sein; sie sollten gleichsam die Stellung eines
vollamtlichen Gesundheitsbeamten einnehmen, dem die Ausführung
der Anordnungen des Kreisarztes obliegt und der gleichseitig für die Beinhal¬
tung der Wohnstätten und ihrer Umgebung, der Höfe, Brunnen, Aborte usw.
zu sorgen habe. Hierfür soll ihnen ein bestimmtes Jahreseinkommen, nicht
unter 1500 Mark, gewährleistet werden; dieses wäre seitens des Kreises auf-
zubringen.
Zur Verhütung des Aussteller von Ansteckung vermittelnden Leichen
und ihrer rechtzeitigen Entfernung aus den Sterbehäusern sind in jeder Ge¬
meinde Bäume sur Unterbringung bereitzustellen, eventuell für Leichen¬
hallen, — wenn auch in einfachster Form — zu sorgen.
d. Die Zahlung von Entschädigungen für entgangenen Arbeits¬
verdienst, ebenso für die durch die Desinfektion hervorgernfene Beschädigung
von Gegenständen usw. sei den Provinzial verbänden aufzuerlegen, da eine
Belastung der Gemeinden oder Kreise durch diese Ausgaben nicht angängig
ist. Die landesrechtliche Begelung der Entschädigungsfrage bedürfe in dieser
Hinsicht einer Aenderung, insoweit ortspolizeiliche Interessen in Betracht
kommen.
Die allgemeinen Vorschriften des Beiohsseuchengesetzes verlangten
im §. 86 Ueberwachung der Wasserversorgungsanlagen und der Fort-
sohaffung der Abfallstoffe; diese habe nichtnur zu Zeiten einer herrschenden
Seuche, sondern fortlaufend zu erfolgen, da bei einem Seuchenausbruch die zur
Ausführung von Verbesserungen nötige Zeit fehlen dürfte. Es sei in die Hand
der Kreisärzte gegeben, hier zum Schutze gegen übertragbare Krankheiten
durch entsprechende Auträge jederzeit die Beseitigung gesundheitsgefährlicher
Misstände herbeizuführen. Hierzu sei aber die Kenntnis der Landesgesetze
(g 86, Abs. 8 a. a. 0.) unerlässlich. —
Der Korreferent, Kreisarzt Med.-Bat Dr. Horn-Löwenberg bespricht die
Ausführungsbestimmungenzum Beichsseuohengesetz,wie sie in der Bekannt¬
machung des Beichskanzlers vom 6. Oktober 1900, betreffend die Bekämpfung
der Pest enthalten sind, jedoch in ihrer Verallgemeinerung auch die übrigen
im Seuohengesetz namhaft gemachten Krankheiten. Es wird hierbei hervor¬
gehoben, dass der den gleichen Gegenstand — Ausführangsbestimmungon zum
Beichsseuchengesetz — betr. Mio.-Erlass vom 12. Juli 1901 — M. Nr. 11576
— (s. B.-Verf. vom 8. August 1901) infolge der vom Bnndesrat erlassenen
Anweisung zur Bekämpfung der Pest für aufgehoben gilt.
Hinsichtlich der Beobachtung krankheitsverdächtiger, aus verseuchten
Orten kommender Personen hält Korreferent eine schleunige Benachrichtigung
der Behörden im Nachbarkreise für notwendig; beispielsweise sei es bei Cholera
oder Typhns von Wichtigkeit zu wissen, ob die Krankheit ihre Ursache in
einer Verschleppung oder in örtlichen Verhältnissen habe, um einerseits nutzlose
828 Aas Versammlungen and Vereinen.
Anordnangen za vermeiden, anderseits der Lage der Sache nach notwendige
Massregeln (z. B. bei der Verbreitung des Krankheitskeims durch fliessende
Gewässer) nicht za unterlassen; er regt za diesen Zweck die Mitteilang von
Krankheitsherden im Regierungs-Amtsblatt an.
Einer Absonderung werde in ländlichen Verhältnissen wirksam am
besten dadurch Rechnung getragen, dass man die Kranken unter Entfernung der
Gesunden in ihrer Wohnung belässt, sobald ausreichende Bedingungen fttr die
Absonderung (Einfamilienhäuser, genügendes Pflegepersonal) gegeben sind; in
grösseren Gehöften oder in Massenwohnhäusern dagegen sei die Ueberführung
schon der ersten Fälle in ein Krankenhaus unerlässlich. Da jedoch die Kranken*
häuser der kleinen Städte, um welche es sich vorzugsweise handle, oft zn klein
und fttr den Zweck der Isolierung unzweokmässig eingerichtet sind, wird
empfohlen, neben dem Krankenhause eine Baracke aufzustellen; letztere
dürfe indessen wegen der Benutzung im Winter nicht zu leicht gebaut sein.
Bei der Desinfektion fällt die Hauptaufgabe der fortlaufenden
Reinigung während der Krankheit zu, da es leichter ist, die Krankheits-
keime abzufassen und zu vernichten, solange sie sich nicht bereits nach allen
Richtungen zerstreut haben; dann werde sich auch die Schluss'Desinfektion,
die besonders in ländlichen Verhältnissen mit grossen Schwierigkeiten ver-
knöpft ist, um so einfacher gestalten. Ausserdem solle während der Krankheit
das geeignete Personal (Berafspflegerin) vorhanden sein, und sei eine Kontrolle
der Desinfektion durch den behandelnden Arzt mindestens wünschenswert.
Erforderlich sei eine Belehrung über die Vornahme der Desinfektion durch
gedruckte Verhaltungsvorschriften, wodurch auch mehr Einheitlichkeit in
das Verfahren gebracht werde. Wie die Verhältnisse jetzt lägen, würden von den
behandelnden Aerzten die Desinfektionsmittel vorgeschrieben, jeder Arzt habe
aber seine besondere Methode and eigene Mittel; hierdurch werde die Aus*
ftthrung der Desinfektion ausserordentlich erschwert und der Erfolg leicht ver*
eitelt. Was die Ueberwachung der sanitätspolizeilicben Vorschriften durch den
behandelnden Arzt anlangt, so hält ihn nach § 17 des noch geltenden Regulativs
vom 8. August 1885 Referent hieran fttr die in diesem benannten Krankheiten
gesetzlich verpflichtet.
Schliesslich sei der Vertilgung von Ratten und Mäusen,
namentlich mit Rücksicht auf ihre Gemeingefährlichkeit bei der Pest, beson¬
dere Aufmerksamkeit zu schenken, and nicht nur bei drohender Pestgefahr,
sondern jeder Zeit mit Vertilgungsmatsregeln vorzugehen. Das Geschäft sei
am besten sachverständigen Leuten (Kammerjägern) zu übertragen. —
Die Diskussion über beide Vorträge eröffnet der Vorsitzende mit
der Bemerkung, dass von den Referenten teilweise über den Rahmen des auf
der Tagesordnung stehenden Gegenstandes durch Erörterung von auf die
Landesgesetzgebung bezüglichen Fragen hinausgegangen sei. Es werde sich
nicht ganz vermeiden lassen, in der nunmehr folgenden Besprechung auch diese
Fragen zu streifen; es empfehle sich jedoch, sich tunlichst an das Thema
— das Reichs seuchengesetz — zu halten. Bezüglich der von Dr. Leder ge¬
wünschten Meldekarten weist er darauf hin, dass solche durch die Anweisung
zar Bekämpfung der Pest in Anlage 4 als Zählkarten für einen Pestfall bereite
vorgesohrieben und dass durch den Min.-Erl. vom 26. November 1902 bezw. die
Regiernngsverfttgung vom 4. März 1908 — Pa. XV/VI 228 — die Benutzung
dieser Karten nach handschriftlicher Abänderung des Vordrucks auch bei den
anderen im Reiohsseuchengesetz namhaft gemachten Krankheiten verbindlich
gemacht sei. Diese Karten hätten den Aufdruck portopflichtige Dienstsache.
Ferner macht er anlässlich eines Einselfalles von Pocken darauf aufmerksam,
dass bei den in Rede stehenden Krankheiten und nicht bloss bei der Pest die
Ortspoliseibehorde zur telegraphischen Berichterstattung und zur Einreichung
der wöchentlichen Nachweisungen an den Herrn Regierungspräsidenten gemäss
des § 13 gen. Anweisung und der Regierungs* Verfügung vom 4. März 1908
— Pa. 223 — verpflichtet ist, und ersucht die Herren Kreisärzte, diese Vor*
sehrift gegebenenfalls in Erinnerung zu bringen. Betreffs der z. Zeit sonst
noch anzeigepflichtigen Krankheiten, wie Unterleibstyphus, Soharlachfleber
u. dergl. müsse es zunächst, d. h. bis zum Erlass des preussischen Ausftthrungs-
gesetzes, bei den bisherigen Meldeformularen und Portofreiheit bietenden Brief*
söhligen sein Bewenden haben. Bezüglich der vom Korreferenten an ge-
Atu Versammlungen und Vereinen. 829
führten Pflicht der Ueberwachnng der Desinlektionsyorsohriiten durch den
behandelnden Arzt, sei feBtzuh<en, dass das Reicbsseuchengesetz jetzt für
Cholera und Pocken massgebend ist, der § 17 des preussischen Regulativs vom
8. Angast 1835 also für diese beiden Krankheiten nicht mehr verbindlich sein
kann. Nnr Zuwiderhandlungen gegen die behördlichen Vorschriften seien anch
hier — gemäss § 46 des Beichsgesetzes — strafbar.
Betreffs der Absondernng, der Desinfektionen und der Assanierung der
Ortschaften bringt Kreisarzt Dr. Meyen-Moskau einige Wünsche bezüglich
der Badeorte zur Sprache, die sich bei den heutigen Verkehrsverhältnissen
ebenso im Weltverkehr befinden, wie die Seehäfen und andere Eingangspunkte
ausländischer Seuchen, und deren Betrieb durch das Auftreten der ansteckenden
Krankheiten völlig lahm gelegt werden könne. Zunächst müsse eine voll¬
kommene Absonderungsmöglichkeit vorhanden sein, welcher am besten durch
eine nicht zu kleine, den Witterangsverhältnissen trotzende feste Baracke
Bechnung getragen werde.
Zur gründlichen Desinfektion von verseuchten Gegenständen sei ein
Dampfdesinfektionsapparat unerlässlich, lür die Baumdesinfektion halte er die
mechaniscne Beinigung durch Desinfektoren für das wirksamste Verfahren.
Als besonders hierfür geeignete Persönlichkeiten bringt Meyen die Lazaret-
gehülfen (Sanitäts-Unteroffiziere) der Beserve und Landwehr, bezw. geübte
Krankenwärter in Vorschlag.
Als letztes Erfordernis zur Abwehr der Seuchen stellt er die bestmög¬
liche Assanierung der Badeorte durch Schaffung zentraler Wasserversorgungs-
Anlagen, Kanalisations- und Beinigungs-Einrichtungen von Abwässern, am
besten nach dem Sch weder sehen System, auf.
Hinsichtlich der Isolierbaracken äussert sich Kreisarzt Dr. Stein¬
berg - Hirschberg dahin, dass diese für an Pest und Cholera Erkrankte in Bade¬
orten weniger in Frage kommen dürften, weil letztere beim Auftreten solcher
Krankheiten von den Badegästen verlassen werden, auch die beschränkten Räum¬
lichkeiten einer Baracke für die Aufnahme der einzelnen Kategorien (Er¬
krankte, Krankheits verdächtige, Ansteckungsverdächtige) sich als unzureichend
erweisen würden. In Betracht kämen hier lediglich die landläufigen ansteckenden
Krankheiten, wie Diphtherie, Scharlach, Masern, Unterleibstyphus; zur Unter¬
bringung solcher Kranker sei die Bereithaltung einiger, eine vollkommene
Absonderung ermöglichender Logierhäuser seitens der Badeverwaltung zweck¬
mässig.
Den Vorschlag des Korreferenten Horn: Die Bekanntmachung epidemisch
auf tretender Krankheiten durch das Regierungs-Amtsblatt erfolgen zu lassen,
will Kreisarzt Geh. Med.-Bat Dr. KO hier-Landeshut durch eine Verfügung
ersetzt wissen, nach der die Kreisärzte zu gegenseitiger Mitteilung ver¬
pflichtet werden, wogegen der Referent Leder um Uebermittelung der Mon-
tagskarten seitens der Behörde an die interessierten Medizinalbeamten bittet.
Auf Vorschlag von Kreisarzt Dr. Scholtz-Goldberg treffen die versammelten
Kreisärzte, um Weitläufigkeiten zu vermeiden, dahin eine Vereinbarung, das
Auftreten wichtigerer ansteckender Krankheiten fortab gegenseitig sich nach¬
barlich kurzer Hand mitzuteilen.
Die im Anschluss an die Vorträge aufgestellten Leitsätze werden in
folgender Fassung angenommen:
1. Für die Unterbringung von Kranken bezw. von krankheits- oder
anBteckungsverdächtigen Personen sind tunlichst allerorts „Unterkunfts¬
häuser “ bereit zu stellen. Für kleinere Krankenhäuser, in denen Abson¬
derungsräume fehlen, empfiehlt sich die Aufstellung von Baracken.
2. Die Einführung der obligatorischen Leichenschan ist nach wie vor,
jedenfalls aber die allgemeine Einrichtung von Leichenhallen auf den
Kirchhöfen anzustreben.
3. Es empfiehlt sieb, die Desinfektoren als vollamtliche Gesundheits¬
unterbeamte anzustellen, welche auch andere im Interesse der öffentlichen
Gesundheitspflege liegenden Geschäfte übernehmen und die Ausführung der
gesundheitlichen Anordnungen überwachen.
4. Der Desinfektion während der Krankheit ist grossere Sorgfalt zu-
zuwenden als bisher.
5. Eine regelmässige gesundheitliche Ueberwachung der
880
AtU Versammlungen fand Vereine!.
Brunnen, Wasserllnfe, Aborte und sonstiger Bedürfnisanstalten durch
die Kreisärzte und Ortspolizeibehörden ist wünschenswert.
II. Die neue Polizeiverordnung, betreffend den Verkehr mit Arznei¬
mitteln ausserhalb der Apotheken vom 14. April 1908 und die „An¬
weisung“ für die Aufsicht über die Drogen-, Material-, Farben- und
ähnlichen Handlungen (Ministerial-Erlass vom 22. Dezember 1902, M. Nr. 6687).
Der Belerent Kreisarzt Dr.Feige-Hoyerswerda gab zunächst kurz den
Inhalt der Polizei Verordnung und der ministeriellen Anweisung an; die wesent¬
lichsten Aenderongen gegen die Anweisung vom 1. Februar 1894 bestehen in
der Forderang der Aufstellung eines Besichtigungsplanes durch den Kreisarzt,
der Einreichung eines Lagepianes der Geschäftsräume seitens des Geschäfts¬
inhabers, in den genauen Vorschriften über die Bezeichnung der Behältnisse
und hber deren Aufstellung in den Geschäftsräumen.
Da jedoch selbstverständlich Einzelheiten in der ministeriellen Anweisung
fehlen, so ist fttr die einzelnen Bezirke eine Ergänzung der Anweisung
erforderlich. Als Vorbild kann die VerfOgung des Herrn Regierungs¬
präsidenten in Trier vom 11. Hai 1898 dienen.
Zanäohst ist eine Aufzählung der Waren-Kategorien nötig, welche nach
der Reichs-Gewerbe-Ordnung die Anzeige des Geschäftsbetriebes nötig machen,
da sonst viele Handlangen diese Anmeldung unterlassen würden und daher
nicht besichtigt werden könnten. Auf Grund der Anzeigen der Händler solle
der Landrat ein Verzeichnis der Handlangen aufstellen lassen und dies dem
Kreisarzt Übermitteln. Vorher seien die §§ 36 und 148 der Gewerbeordnung
öffentlich bekannt zu machen. Das Verzeichnis sei alljährlich zu ergänzen.
Zar Ausführung von Beschlagnahmen bei Gefahr im Verzüge müsse der
Vertreter der Ortspolizeibehörde bei den Besichtigungen zugleich Hülfsbeamter
der Staatsanwaltschaft sein; 1 ) hierzu gehörten nicht Polizei-Sergeanten und
Gendarmen, wohl aber Bürgermeister, Polizeiinspektor, Polizeikommissar, Amta-
vorsteher. Wenn die Zuziehung des Kreisarztes, soweit tunlich, za erfolgen
hat, so ist der Ausdruck: „soweit tunlich“ so aufzafassen, dass die Zuziehung
nur bei Verbinderang, Erkrankung oder Anwesenheit des Kreisarztes au unter¬
bleiben hat, nicht aber wegen zu hoher Kosten. Um diese nicht zu hoch an-
sohwellen zu fassen, sollten die Besichtigungen tunlichst auf Rundreisen oder
bei gelegentlicher Anwesenheit vorgenommen werden; die Kosten seien beim
Landrat zu liquidieren und von diesem gleichmässig zu verteilen, weil hier¬
durch am besten Klagen über zu hohe Liquidationen sowie Streitigkeiten ver¬
hindert werden.
Falls der Kreisarzt ausnahmsweise an einer Besichtigung nicht teil¬
genommen habe, sei ihm die Verhandlung darüber znr Stellung von Anträgen
sofort zu übermitteln; die verhängten Strafen seien ihm zur Aufstellung der
Nach Weisungen für den Jahresbericht am Jahresschluss bekannt zu geben.
Zur Aufstellung des Besiohtigungsplanes habe die Ortspolizeibehörde
spätestens bis zum 1. Oktober jeden Jahres die erforderlichen Anträge beim
Kreisarzt zu stellen.
Hat die Besichtigung einer Handlung bereits durch einen Vertreter der
oberen Verwaltungsbehörde etwa gelegentlich einer Apothekenbesichtigung
stattgefunden, so könne die alljährliche Besichtigung durch den Kreisarst bezw.
Apotheken unterbleiben. Nachbesichtigungen könnten meist durch die Ortspolizei-
behörde allein vorgenommen werden, ohne Zuziehung eines Sachverständigen.
Schliesslich wünschte der Vortragende, dass die Konzessionsbehörden von
Aufsichtswegen ersucht werden, die Prüfung von Gifthändlern durch den Kreis¬
arzt gemäss § 66 der Dienstanweisung in jedem Falle vornehmen zu lassen,
da zum Teil dieser Paragraph so ausgelegt würde, dass nur dann die Prüfung
stattzufinden habe, falls die Konzessionsbehörde es für erfotderlich erachtet.
In seinem Korreferat beschränkt sich Kreisarzt Dr. Meyen-Huskan
auf die Besprechung der vom Referenten aufgestellten Leitsätze. Er hält die
genaue Aufzählung der Waren, welche die Anzeige der Eröffnung des Gewerbe¬
betriebes nach § 35, Abs. 6 der Gewerbeordnung nötig machen, nioht für er¬
forderlich, wünscht dagegen, dass von jedem, der Drogen usw. feilhalten wolle,
ein Verzeichnis der von ihm gehaltenen Mittel dem Landrat einzureiehen sei,
welcher dies nach Mitteilung an den Kreisarst öffentlich bekannt gebe.
') 8. § 98 der Str.-Pr.-O.
Au Versammlungen and Vereinen.
881
Bei dem öffentlichen Hinweis auf den g 86 der Gewerbeordnung seien
auch die im § 148 vorgesehenen Strafen in Erinnerung sn bringen, ebenso sei
die Möglichkeit der Untersagung, falls durch die Handhabung des Gewerbe¬
betriebes Leben und Gesundheit gefährdet werde, bekannt tu geben.
Hinsichtlich der Personen, welche an der Besichtigung teilnehmen, soll
in erster Linie der Kreisarst berücksichtigt werden, eher könne der Apotheker
iehlen; namentlich bei Drogenscbrankrevisionen lehre die Erfahrung, dass
durch den Medizinalbeamten fast regelmässig mehr Zuwiderhandlungen fest¬
gestellt werden, als durch Apotheker. Der Kostenfrage wegen empfiehlt es
sich, solche Besichtigungen gelegentlich oder auf Bnndreisen vorzunebmen.
Nicht erforderlich sei eine Prüfung derjenigen Personen, welche die
Genehmigung zum Gifthandel nachsuchen, vor Erteilung derselben.
In der Diskussion macht der Vorsitzende hinsichtlich der Besichti¬
gung allein durch den Kreisarzt geltend, dass dies dem Wortlaut des
Ministerial-ErlaBses widerspreche, welcher die Besichtigung in erster Linie dem
Apotheker übertrage; es liege jedoch in der Hand des Kreisarztes, durch Ver¬
einbarung mit der Orts-Polizeibehörde seine Zuziehung su bewirken.
Desgleichen hält er nach gemachten Erfahrungen die Prüfung der Kon¬
zessionsanwärter zum Handel mit Giften durch den Kreisarzt für notwendig.
Geh. Med.-Bat Dr. Köhler richtet sich gegen den Vorschlag, dass die
Gebühren für die Besichtigungen durch den Landrat auf die Verpflichteten gleich-
mässig zu verteilen und einzuziehen seien, den er für undurchführbar hält.
Der Vorsitzende bemerkt, dass im Beg.-Bez. Trier sich dieses Ver¬
fahren bewährt habe; die Landräte hätten sich nie geweigert, die Liquidationen
der Medizinalbeamten in ihrem BOreau in der vom Bef. vorgeschlagenen Weise
auf die Zahlungspflichtigen Verbände zu verrechnen, demgemäss einziehen zu
lassen und die Beträge im Ganzen an den betr. Kreisarzt abzuführen. Diese
Art der Einziehung habe viele Vorteile. Er hoffe, das Gleiche auch im Bezirk
Liegnitz durohzuführen.
Med.-Bat Dr. C ö s t e r - Bunslau hebt hervor, dass die Verhandlungen über
die ohne den Kreisarzt vorgenommenen Besichtigungen sowie über die etwa
verhängten Strafen ihm nicht erst am Jahresschluss, sondern mit BUcksicht
auf die eintretende Verjährung spätestens innerhalb 14 Tagen nach erfolgter
Besichtigung bekannt zu geben sind.
Nachdem Kreisarzt Meyen die von ihm ausgearbeiteten Muster eines
„Verzeichnisses“ der betreffenden Handlangen, sowie einer „Niederschrift“
über das Ergebnis der Besichtigung der Versammlung vorgelegt hat, nimmt
diese die von den beiden Beferenten vorgeschlagenen Leitsätze in folgender
Fassung an:
1. Es ist mittelst öffentlicher Bekanntmachung eine Aufzählung der¬
jenigen Kategorien von Waren — z. B. Kräuter, Salze usw. — zu bewirken,
welohe die Anzeige der Eröffnung des Gewerbebetriebes nach § 85, Absatz 6
der Gewerbeordnung und zwar mit rückwirkender Kraft nötig machen.
2. Es ist durch den Landrat nach vorhergegangener Bekanntmachung
der gesetzlichen Bestimmungen ein Verzeichnis der zu besichtigenden Hand¬
langen aufzustellen und dem Kreisarzt mitzuteilen. Das Verzeichnis ist all¬
jährlich zu ergänzen. In zweifelhaften Fällen ist der Kreisarzt zu hören.
8. Der Kreisarzt hat tunlichst an sämtlichen Besichtigungen teilsu-
nehmen; bei Besichtigung von Drogenschränken ist die Gegenwart des Apo¬
thekers entbehrlich.
4. An den Besichtigungen hat ein Vertreter der Orts-Polizeibehörde, der
zugleich Hülfsbeamter der Staatsanwaltschaft ist, teilzunehmen.
6. Die Verhandlungen (Niederschriften) über die etwa ohne den Kreisarst
voigenommenen Besichtigungen sind dem Kreisarzt baldtunlichst, die etwa
verhängten Strafen am Jahresschlüsse bekannt su geben.
6. Die Besichtigungen auf dem Lande sind möglichst auf Bundreisen
oder bei gelegentlicher Anwesenheit des Kreisarztes vorzunehmen.
7. Die Gebühren für die vorstehend gen. Besichtigungen sind durch den
Landrat auf diejenigen, welche die Kosten zu tragen haben, gleiohmissig su
verteilen und einzuziehen.
8. Die Konsessionsbehörden sind su ersuchen, gemäss § 66 der Dienst¬
anweisung für die Kreisärzte in jedem Falle diejenigen Personen, welche die
832
Au Versammlungen and Vereinen.
Genehmigung zam Gifthandel noehsachen, vor Brteilang der Genehmigung
durch den Kreisarzt prüfen zn lassen. —
Zam Schiass macht der Vorsitzende einige geschäftliche Mit¬
teilungen, die hauptsächlich die formale Seite der Berichterstattung n. ä.
betreffen, so die Gebührenverseichnisse, die Gesehen-Vermerke der Kreisärzte
auf den Berichten der Landräte, die Formulare C and D für die Besichtigung
der Privat-Irrenanstalten, die richtige Ausfüllung der Formalere IV (Drogen-
handlangsbeBichtigangen) im Jahresbericht, die Notwendigkeit, sich bei Begut¬
achtung von gewerblichen Anlagen nicht anf das technische Gebiet an
begeben n. a.
Nach Schluss der Sitzung — 4'/« Uhr — fand ein gemeinschaft¬
liches Essen in den Räumen der Ressourcen - Gesellschaft statt.
Nachtrag;.
Die zn Punkt II der Tagesordnung beschlossenen Leitsätze haben in¬
zwischen in einer Reg.-Verffignng vom 21. Juli 1903 1 ) — Pa. VI 3117 — betr.
Revision der Drogenhandlangen, Aasdraok gefunden. Es ist darin bemerkt,
dass au Ziffer 2 der im Min.-Erl. vom 22. Dezember 1902 enthaltenen An¬
weisung hervorgehe, dass „von der Zuziehung des Kreisarztes nur bei dienst¬
licher oder anderweitiger Behinderung Abstand genommen werden könne*.
Nachdem die Erledigung der Besichtigungen durch Rundreisen oder bei gelegent¬
licher Anwesenheit des Kreisarztes empfohlen ist, heisst es weiter: „Bei der
Ausführung von Rundreisen wird es Sache des Kreisarztes sein, die Zuziehung
entfernter wohnender Apotheker, zur Vermeidung zn hoher Reisekosten, tun¬
lichst zn vermeiden. Sollte aber die Zuziehung eines Apothekers auf Schwierig¬
keiten stossen, so wird deshalb die jährliche Besichtigung nicht unterbleiben
dürfen, sondern von dem Kreisarzt mit der Ortepolizeibehörde allein anszn-
führen sein.* Des weiteren wird ausgeführt, dass, wenn mit den nach dem Min.-
Erl. vom 17. April 1903 durch den Kreisarzt zn revidierenden Gift warenhandlnngen
gleichzeitig Arzneiwarenhandlangen von unerheblicher Ausdehnung verbunden
seien, es keinem Bedenken unterliege, wenn in solchen Fällen von der Zu¬
ziehung eines zweiten Sachverständigen (Apothekers) Abstand genommen werde.
Das Gleiche gelte ans Ersparnisrücksichten von der Besichtigung von länd¬
lichen Drogensohränken.
Die neuen Verzeichnisse der in jedem Kreis ermittelten Drogen-,
Materialwaren-, Farben- and ähnlichen Handlangen sollen zum 15. September
d. J. in den Händen der Kreisärzte sein.
In einem für den ganzen Reg.-Bes. erlassenen „Master* der an Ort und
Stelle über die Besichtigung aufzunehmenden „Niederschrift* sind die in der
Reg.-Polizei-Verordnung, betr. den Verkehr mit Arzneimitteln ausserhalb der
Apotheken vom 14. April 1903 enthaltenen GrundzUge sämtlich berücksichtigt.
Sie ist trotzdem so kurz als möglioh gefasst.
In dem an die Kreisärzte gerichteten Abschnitt dieser Verfügung werden
jene ersucht, bei der Ueberwachnng der gesetzlichen Bestimmungen über den
gen. Arznei- und Giftwarenhandel auch anf die gegebenen Verhältnisse, nament¬
lich anf die finanziellen Mittel der Zahlungspflichtigen Rücksicht zn nehmen nsw.
Bei Rundreisen sei in der Regel ein voller Arbeitstag anfzuwenden. —
In einer weiteren Reg.-Verf. vom 4. August d. J.*) — Pa. VI/XV 3898 —
ist die in dem Leitsatz 8 ausgesprochene Forderung betr. die Prüfung der¬
jenigen Personen, welohe die Genehmigung zum Handel mit Giften naebsnehea,
berücksichtigt; in ihr wird auch Anweisung zur Erledigung der Bedürfnisfrage
l ) Siehe Beilage zn dieser Nummer, 8. 292.
*) Ibidem, S. 296.
Aas Versammlungen and Vereinen. 833
mittelst Angabe der Zahl and der Namen der sa genehmigenden Gifte
erteilt. —
Sbhliesslich sind die LandrKte in einer dritten Verfügung Tom 4. Aagnst
d. J. 1 ) — Pa. VI/XV 3897 — im Anschluss an die erstgenannte vom 21. Jali d. J.
darauf aufmerksam gemacht worden, dass in fast allen St&dten and grosseren
Städten und grosseren Dörfern Eanflente und Krämer einen schwanghaften
Handel mit allerlei, nach der Kais. Verordnung vom 22. Oktober 1901 ver¬
botenen zusammengesetzten Arzneimitteln treiben; das Gleiche geschehe durch
Hausierer im Umherziehen, so mit Hamburger Pflaster, Hiengfong-Essenz,
Mentholin, Harzer Gebirgsthee u. ▼. a. Es wird angeordnet, die Aufmerksam¬
keit der OrtspolizeibehOrden auf diese Geschäfte, auch wenn der Arzneimittel-
handel nicht angemeldet worden sei, ebenso die der Gensdarmen auf genannten
Arzneimittel vertrieb durch Krämer und Hausierer hinsulenken und die Herbei¬
führung der sofortigen Beschlagnahme der verbotenen Arzneimittel durch die
OrtspolizeibehOrden gefordert. —
Die vorstehenden Massnahmen sollen dazu dienen, die viel¬
fachen Uebervorteilungen der leichtgläubigen Bevölkerung einzuschränken,
Gesundheitsbenaohteiligungen vorsubeugen, auch den in ihrer Lebensfähigkeit
durch den verbotwidrigen Verkauf von Arzneien oft schwer geschädigten
Apothekenbesitzern auf dem platten Lande und in den kleineren Städten
Schutz zu gewähren, anderseits die Errichtung neuer Apotheken in Fällen
des Bedürfnisses sum Nutzen der Bevölkerung zu erleichtern.
S c h m i d t - Liegnitz.
Bericht Aber die 28. Versammlung
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege
in Dresden am 16.—19. September 1903.
(Schluss.)
Zweiter Sitzungstag; Freitag, den 18. September.
Den einzigen Verhandlungsgegenst&nd des letzten Sitzungstages bildete
Die Bauordnung im Dienste der öffentlichen Gesundheitspflege.
Die von den beiden Referenten aufgestellten Leitsätze hatten fol¬
genden Wortlaut:
„1. Bedeutung der gesundheitlichen Forderungen.
Bei allen Bauten sind die Anforderungen der öffentlichen Gesundheits¬
pflege, deren Wichtigkeit namentlich auch in sozialer Hinsicht anzuerkennen
ist, in erster Reihe mit zu berücksichtigen.
Diese Anforderungen sind teils zwingender Natur, teils bezeichnen sie
nur das Wünschenswerte. Auch sind viele derselben dem Grade nach abhängig
von den Verhältnissen des Ortes and des Ortsteiles, sowie von dem Umstande,
ob es sich um rein ländliche und landwirtschaftliche oder um städtische, stadt¬
ähnliche und industrielle Verhältnisse, ferner ob es sich um Eigenwobnhluser
oder Mietgebäude, wichtige oder minder wichtige Gebäudeteile bandelt. Länd¬
liche und landwirtschaftliche Bauten sollen hier ausser Betracht bleiben.
Zwingende Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege gehen den
wirtschaftlichen Interessen der Grundbesitzer und Bsuherren, sowie den Be¬
strebungen auf Erhaltung alter und sogenannter volkstümlicher Bauweisen vor.
Zwischen diesen Interessen und Bestrebungen einerseits und den bloss wünschens¬
werten gesundheitlichen Anforderungen anderseits muss ein billiger Ausgleich
gesucht werden.
2. Stadtbauplan.
Schon bei Feststellung des Stadtbauplans ist auf die gesundheitlichen
Ansprüche Bedacht zu nehmen, namentlich mit Bezug auf Wasserversorgung
und Entwässerung, auf solohe Strassenrichtungen und Blockbildungen, die eine
*) Siehe Beilage zu dieser Nummer, S. 296.
834
Aus Versammlungen und Vereinen.
ausreichende Besonnung, Erhellung und Lttftung sicherstellen, sowie auf die
ausreichende Anlage Ton freien Plätzen und Öffentlichen Pflanzungen, nament¬
lich Spiel- und Erholungsplätzen. •
Fflr die Ausführung des Stadtbauplans ist die gesetzliche Regelung der
Grundstücksumlegungen und die Erweiterung der Enteignnngsbefngnisse, inso¬
weit sie jetzt noch anf die für Strassen nnd PIStze bestimmten Flüchen be¬
schränkt ist, insbesondere hinsichtlich der Enteignung unbebauter Bestparzellen
und gesundheitswidriger Baulichkeiten, anzustreben.
Auch ist es in der Begel erforderlich, dass die Gemeinden sich die eigene
Herstellnng der Strassen, Kanäle (Schleusen) und Wasserleitungen — unter
Umständen für Bechnnng der Grundbesitzer — Vorbehalten.
3. Zulässigkeit der Bebauung.
Darch die Bauordnung sind zunächst die Voraussetzungen der Bebauungs-
ffthigkeit der Grundstücke zu bestimmen. Dabei ist im Öffentlichen Gesund¬
heitsinteresse fe8tsustellen, dass kein Grundstück bebaut werden darf, solange
nicht gesorgt ist:
a) für geeignete Entwässerung durch Kanalisation oder andere unbedenkliche
Einrichtungen;
b) für Versorgung mit ausreichendem und gutem Trinkwasser mittels Wasser¬
leitung oder bedenkenfreier Brunnen;
c) für die Beseitigung von Ablagerungen faulender und fänlnisfähiger Stoffe;
d) für Regelung der Grenzen, soweit dieselbe zur Erzielung einer zweck¬
mässigen Grundstücksform nOtig ist;
e) endlich, im Uebersohwemmnngsgebiet, für Regelung oder Eindeichung des
Wasserlanfs oder Aufhühung der Strassen und des Baugrundes über die
Hochwasserlinie.
Die Anforderungen unter a, b und c sind zwingende; diejenigen unter
d und e sind dringend wünschenswert.
4. Anforderungen, die dem Grade nach veränderlich sind.
Da die Luft-, Licht und Besonnnngsverhältnisse von grösster Wichtig¬
keit für die Öffentliche Gesundheit sind, da ferner die dauernde Anhäufung
vieler Menschen auf beschränktem Raum in gesundheitlichem Interesse ver¬
mieden werden muss, so ist die Bauweise derart festzusetzen, dass
a) die Gebäudehohe in angemessenem Verhältnis steht sowohl zur Strassen-
breite, als zu den Gebäudeabständen auf den Grundstücken;
b) die Hinterlandhebauung behufs Gewinnung ausreichender HOfe nnd Gärten
überhaupt beschränkt wird;
c) gewerbliche Betriebe, welche durch Lärm, Staub, Rauch oder Aus¬
dünstungen gesundheitsschädigend oder belästigend wirken, von den Wohn¬
stätten tunlichst ferngehalten werden;
d) zwischen geschlossener Bauart einerseits und halboffener oder offener
Bauart anderseits, soweit letztere nicht ausschliesslich in Frage kommt,
abgewechselt,
e) die Zahl der übereinander liegenden Wohngesohosse beschränkt,
f) auch die Zahl der Wohnungen in den einzelnen Geschossen begrenzt wird;
g) endlich auch Licht und Luft im Innern der Gebäude überall ausreichend
gesichert ist.
Die vorgenannten gesundheitlichen Anforderungen sind ihrem Grade nach
bedingt durch die Verschiedenheit der Bodenwerte, der Ortslagen, der Wohn-
weisen und der Gebäudeteile. Sie sind deshalb in der Regel abzustufen
nach Ortsteilen, Gebäudegattungen und Raumgattungen.
6. Die Abstufung nach Ortsteilen
bezieht sich auf die Anforderungen 4a bis f, und zwar ist:
Zu a. ein solches Verhältnis zwisohen Gebäudehohe nnd 8trassenbreite,
beaw. Gebäudeabstand anzustreben, dass allen zum dauernden Aufenthalt von
Menschen bestimmten Räumen das Himmelslicht unter einem Winkel von
45 Grad zugeführt wird. Ausserdem empfiehlt ob sich, die zulässige Maximal¬
hohe der Gebäude staffelweise zu beschränken (z. B. von 20 m bis 12 m, ge¬
messen bis zur Traufkante des Dachgesimses).
Zn b. Die Freilassung des Hinterlandes kann herbeigeführt werden durch
Verbot von Hinterwnhnungen, d. h. soloher Wohnungen, die nur von den hinteren
Grundstücksteilen Luft und Licht beziehen, ferner durch Festsetzung rück¬
wärtiger Baultnien, endlich durch Vorschriften über die Mindestbreite und
Aut Versammlungen und Vereinen.
835
Mindestfläche der Höfe. Die Hindesfcfl&ehe wird entweder absolut oder im Ver¬
hältnis snr Grösse des Baugrundstücks oder anf beide Arten bemessen; anoh
kann sie von der Zahl der Wohnungen abhängig gemacht werden.
‘""'Za e. Es ist wünschenswert, gewerbliche Betriebe der angegebenen Art
▼on Wohnvierteln anssnschliessen. Dagegen empfiehlt es sieh, sie in anderen
Ortsteilen durch entsprechende Einrichtungen, namentlich für Verkehr und
Wasserableitung, au begünstigen.
Zu d. Luft, Licht und Sonnenstrahlen werden den Gebäuden am besten
gewährleistet dnrch die offene Banart; ihrer allgemeinen Verbreitung stehen
jedoch wirtschaftliche Nachteile geschäftlicher nnd baulicher Art entgegen.
Für Geschäftsstrassen nnd städtische Arbeiterwohnhänser muss deshalb auf die
offene Banweise in der Regel versiebtet werden. Unter Milderung der er¬
wähnten Nachteile werden die Vorstlge des offenen Banens grösstenteils bei-
bebalten dnrch Anordnung der halboffenen Bauweise oder des sogenannten
Gruppenbaues, wobei nicht alle Häuser frei stehen, sondern geschlossene Reihen
mit Lücken abweohseln. Besondere Empfehlung, auch für Arbeiterwohnhänser,
verdient diejenige halboffene Bauweise, bei welcher swei Langseiten eines
Blocks geschlossen bebaut werden, während die Querseiten in der Sonnenrich¬
tung offen bleiben.
Zu e. Die Höchstsahl der Wohngesohosse pflegt in Grossstädten abge-
stuft zu werden von 5 bis 2 (so beispielsweise in Mönchen und in Berlin mit
Vororten) oder von 4 bis 2 (so z. B. in Köln und Düsseldorf). In minder
grossen Städten empfiehlt es sich, die Höchstsahl der Wohngesohosse auf 3 und
2 festzusetsen.
Zu f. Die Zahl der Wohnungen in demselben Geschoss kann staffelweise
eingeschränkt werden auf etwa vier bis zwei Wohnungen oder bis auf eine
Wohnung. Die Zulassung von mehr als swei Wohnungen in demselben Ge¬
schoss ist davon abhängig zu machen, dass jede Wohnung für sieh ausreichend
durchlüftet werden kann.
6. Die Abstufung nach Gebäudegattungen
kann besonders sich erstrecken auf die zulässige Zahl der Wohngesohosse, auf
die Mindesthöhe derselben, sowie auf die Breiten der Treppen und Flure (4, e
und g). Als Gebäudegattnogen kommen namentlich in Frage grosse Mietbäuser
einerseits, sowie kleine Miethäuser und Einfamilienhäuser anderseits. Wo die
Grenze zwischen grossen und kleinen Miethäusern liegt, ist nach den Verhält¬
nissen des Ortes zu bestimmen.
Zu 4 c. Behufs Begünstigung des Baues kleiner Häuser und Einfamilien¬
häuser ist es zu empfehlen, för diese in den verschiedenen Ortsteilen ein Ge¬
schoss mehr zu gestatten als för das grosse Haus.
Zu 4 g. Während in grossen Häusern die geringste lichte Stoekwerks-
höhe (mit Ausnahme von Keller- und Dachgeschoss) in der Regel 8 m betragen
soll, kann sie beim kleinen Hause und besonders beim Binfamilienhause —
wegen der minder dichten Bewohnung — in den oberen Geschossen bis auf
2,85 m ermässigt werden.
Ebenso bann beim kleinen Hause und Binfamilienhause die Breite der
Treppen und Flure bis anf 1 m und weniger eingeschränkt werden.
7. Die Abstufung nach Raumgattungen
besieht sich insbesondere auf solche Räume, welche zum dauernden, und
solche, die nur zum vorübergehenden Aufenthalt von Menschen dienen,
ausserdem auf Räume im Keller- und im Dachgeschoss (4 g).
«) Während för dauernd zu benutzende Räume (Wohn-, 8chlaf- und
Arbeitsräume, auoh Köchen, Wirtssimmer und Verkaufsläden) die örtlich abge-
stuften Anforderungen zu 4 a nnd b unbedingt gelten, empfiehlt es sich, behufs
Erleichterung der Grundrissbildung und der besseren wirtschaftlichen Boden-
ausnntsung zu gestatten, dass vorübergehend benutzte Räume (wie Treppen,
Flnre, Speisekammern und andere Vorratsräume, Waschküchen, Badezimmer
und Aborte) ihre Luft und ihr Liebt auch von kleineren Höfen, sogenannten
Liehthöfen, unter geringerem Liohtwinkel beziehen. Auoh die Flächengrösse
solcher Hilfsböfe ist zur Höhe der sie umfassenden Wände in ein angemessenes,
minder strenges Verhältnis zu setzen.
P) Dauernd benutzte Räume bedürfen eines bestimmten Mindestver¬
hältnisses der lichtgebenden Fensteriläche zur Bodenfläche oder Raumgrösse;
836
Ans Versammlungen and Vereinen.
als gutes Mindestverhältnis ist 1 qm Fensterfläche auf 8 qm Bodenillehe oder
25 cbm Rauminhalt zu betrachten. Für vorübergehend benutzte Räume,
die auch durch blosses Oberlicht erhellt werden können, bedarf es einer solchen
Feststellung nur bezüglich der Aborte, deren Fenster zudem unmittelbar an
Aussenwänden oder Lichthöfen liegen müssen.
Y) Empfehlenswert ist die Vorschrift eines geringsten Gesamtinhaltes der
zum dauernden Aufenthalt bestimmten Räume einer Familienwohnung von mehr
äls 2 Personen (z. B. 50 cbm); ebenso die Vorschrift eines Mindestinhalts für
Schlafräume der Dienstboten (Mädchenkammem), z. B. 15 cbm für die Person.
8) Kellerräume für den dauernden Aufenthalt müssen besonderen gesund¬
heitlichen Anforderungen in Bezug auf die Abhaltung von Feuchtigkeit, die
lichte Höhe und die Höhe der Decke über dem Erdreich entsprechen. Die Be¬
nutzung von Kellerräumen zu Wohn- und Arbeitszwecken, sowie zu offenen
Geschäftsläden ist tunlichst zu beseitigen, und dort, wo sie noch nicht besteht,
zu verhindern. Ganze Wohnungen im Kellergeschoss sind jedenfalls nur aus¬
nahmsweise, beispielsweise für die Familie des Hausmeisters, zu gestatten,
aber nicht ausschliesslich nach Norden.
s> Dachräume für den dauernden Aufenthalt sind durch geeignete Bauart
gegen Hitze nnd Kälte und gegen raschen Temperaturwechsel zu schützen.
Sie sind nur zulässig unmittelbar über dem obersten Vollgeschoss, nicht über
dem Kehlgebälk. Ihre lichte Höhe darf wegen der begünstigten Licht- und
Luftversorgung bis auf etwa 2,50 m (bei ungleicher Höhe im Durchschnitt zu
messen) eingeschränkt werden.
8. Anforderungen allgemeiner Art.
a) Znr Verhütung des Aufsteigens von Bodenfeuchtigkeit
sind bei allen Gebäuden geeignete Massregeln (Unterkellerung, Isolierschichten)
zu fordern.
b) Zur Aufhöhung von Bauplätzen nnd besonders zum Aus¬
füllen der Zwisohenböden darf nur eine vollständig trockene, mit
faulenden oder fäulnisfähigen, wie überhaupt organischen Stoffen nicht ver¬
mischte Masse verwendet werden.
c) Mit Bezug auf die Aborte ist ausser guten Lüftungseinrichtungen
und den sonstigen, im Gesnndheitsinteresse erforderlichen Vorkehrungen nament¬
lich auch zu verlangen, dam mindestens für je 2 Wohnungen, in neuen Stadt¬
teilen aber unbedingt für jede Familienwohnung, ferner allgemein für jede
grössere Werkstatt und jeden grösseren Kaufladen ein Abort herzqstellen ist.
Sobald das Kanalsystem darauf eingerichtet ist, sind Aborte mit Wasser¬
spülung nicht nur zu gestatten, sondern vorznschreiben.
d) Schliesslich sind gesundheitliche Anforderungen zu stellen:
wegen der Hauskanalisation, deren Einrichtung, Lüftung und Prüfung;
wegen der Gasleitungen, deren Anlage und Prüfung;
hinsichtlich der Einrichtung der Stallungen nnd deren Abtrennung von den
Wohnräumen;
hinsichtlich der Abort- und Müllgruben;
bezüglich der Brunnen und ihres Abstandes von den vorgenannten Gruben;
wegen Verbotes der Sieker-, Senk- nnd Versetzgruben.
9. Anwendbarkeit auf bestehende Zustände.
Die Bauordnung muss geeignete Handhaben bieten, auch bei schon be¬
stehenden Bauwerken auf die Beseitigung gesundheitswidriger Zu¬
stände zu dringen und derartige Verfügnngen sowohl dem widerstrebenden,
als auch dem unvermögenden Eigentümer gegenüber wirksam durohzusetsen.
10. Arbeiterschutz.
Um die Gesundheit der Bauarbeiter zu schützen, bestehen gegenwärtig
im deutschen Reiche wohl überall Bauordnungsvorschriften oder sonstige Poli-
zeiverordnungen. Es gilt jedoch deren Durchführung durch geeignete Mass¬
nahmen zu sichern.
11. Bauaufsioht nnd Abnahmen.
Um namentlich auch die Erfüllung der gesundheitlichen Anforderungen
sicherzustellen, ist in der Regel jeder Bau von einer polizeilichen Genehmigung
abhängig zu machen nnd während der Ausführung einer häufigen Besichtigung
zu unterziehen. Besondere Revisionen sind zweckmässig an bestimmte Ab-
Atu Versammlungen und Vereinen.
837
schnitte der Bauvollendnng (Revision der Kanal- and Gasleitungen, Rohban¬
abnahme, Gebrauchsabnahme) anzuschliessen.
Die Festsetsnng sogenannter Trockenfristen zwischen der Vollendung
des Rohbaues, der Aufbringung des Patzes und der Ingebrauchnahme des
Hauses hängt von den örtlichen Verhältnissen ab, insbesondere von Lage,
Jahreszeit, Witterung und Bauart.
12. Beteiligung der Aerzte.
Die Beteiligung der Aerzte bedarf einer Erweiterung. Die Medizinal-
beamten sind Ober Bebauungspläne, Bananzeigen und Gesuche um Ausnahme-
bewilligung von Bauvorschriften zu hören, sobald gesundheitliche Fragen be¬
rührt werden, unter derselben Voraussetzung auch zu Revisionen zuzuzieben.
Von besonderem Wert sind regelmässige Besprechungen der Medizinalbeamten
mit den Vertretern der Banpolizeibehörde und anderen Bausachverständigen.
Wo mehrgliedrige Baupolizei-Kommissionen bestehen, soll auch ein Arzt
zu den Mitgliedern zählen.“
Der erste Referent, Geh. Reg.-Rat Dr. Rumpelt-Dresden, der die
Besprechung der Leitsätze 1—3 und 9—12 übernommen hatte, beleuchtete das
Thema hauptsächlich vom allgemeinen rechtlichen und verwaltungsrechtlichen
Standpunkte aus. Einleitend machte er auf den grundsätzlichen Unterschied
zwischen dem römischen und germanischen Eigentnmsbegriff aufmerksam
und hob hervor, dass schon in den ersten Bauordnungen, die in Deutschland
bereits im 13. Jahrhundert erlassen sind, Eigentumsbeschränkungen zu Gunsten
der Allgemeinheit vorgesehen sind, wie denn überhaupt die Bauordnungen
nichts anderes als die gesetzliche Festlegung der Beschränkungen anf dem Ge¬
biete des Bebauungswesens darstollen. Früher habe man bei diesen Be¬
schränkungen nur auf Feuersicherheit und Standfestigkeit Rücksicht genommen;
den wiederholten Anregungen des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheits¬
pflege sei es nicht zum kleinsten Teil zu verdanken, dass in den neueren Bau¬
ordnungen auch den gesundheitlichen Anforderungen Rechnung getragen werde.
Auf die Berücksichtigung dieser Anforderungen sei aber in sozialpolitischer
Hinsicht der grösste Wert zu legen; denn es müsse ebensowenig erlaubt sein,
ungesunde Wohnungen herzustellen und anf den Markt zu bringen, wie ver¬
dorbene Nahrungsmittel feilzubalten und zu verkaufen. Wenn die Wohnungs¬
frage auch im Grunde eine Geldfrage sei, so verschulden doch sehr häufig
mangelhaftes Verständnis, althergebrachter Schlendrian, sowie Trägheit bei
Bauherrn und Baumeister das Ausserachtlassen der gesundheitlichen Anforde¬
rangen. Der Baumeister müsse diese mit den ökonomischen in Einklang
bringen und hierbei stets an dem Grundsatz festbalten, dass in Bezug auf
Haus- und Städtebau nur das schön sei, was zweckmässig sei, und zweckmässig
wiederum nur das, was der Gesundheit zuträglioh sei. Bei Aufstellung von
Bebauungsplänen sei es notwendig, tunlichst zu individualisieren und die
einzelnen Ortsteile den sozialen Verhältnissen ihrer Bewohner ansnpassen. Um
dies durchzuführen, bedürfe es allerdings einer Erweiterung des Enteignungs¬
rechtes, wozu in Preussen bereits durch die Lex Adikes der Weg ungebahnt
sei. Eine der schwierigsten Fragen sei auch die gesetzliche Regelung der
Bebauungsfähigkeit eines Grundstücks, sowie die Anwendung zeit-
gemässer baupolizeilicher Bestimmungen auf bestehende Gebäude. Man müsse
solohen Gebäuden gegenüber zwar mit grosser Schonung Vorgehen, aber anderseits
müsse vom gesundheitlichen Standpunkte aus unbedingt ein Eingreifen zulässig
sein, wenn es sich um die Beseitigung gesundheitswidriger Zustände handelt.
Nachdem Referent dann noch anf die Notwendigkeit, von Vorschriften zum
Schutz der Bauarbeiter gegen Berufskrankheiten, sowie auf die
Bestellung von Baukontrolleuren, um die Durchführung dieser Vor¬
schriften sicherzustellen, hingewiesen hatte, erörtert er eingehend die in bezug
auf die Bauanfsicht (Roh-und Gebrauchsabnahme, Trockenfristen usw.) zu
stellenden Forderungen und kommt dann auf die Notwendigkeit einer ausge¬
dehnteren Heranziehung der Medizinalbearaten und der Aerzte
bei der Handhabung der Baupolizei zu sprechen. In den meisten Bundesstaaten
sei eine solche Mitwirkung entweder gar nicht, oder nur im geringen Masse
vorgesehen; eine Ausnahme davon mache nur das Königreich Sachsen, wo die
Besirksärzte bei Prüfung und Begutachtung von Bebauungsplänen, bei Er¬
teilung von Dispensen usw. als Sachverständige mitwirken. Znm Schluss er-
838
Au Versammlungen and Vereinen.
klärt der Referent anter grossem Beifall der Versammlung, die Uebertragung
der Baupolizei auf die städtischen Selbstverwaltungen sei ebenso wünschens¬
wert, als durchführbar. In Sachsen habe man hiermit recht günstige Er¬
fahrungen gemacht.
Der Korreferent, Geh. Baurat Stübben-Cöln, dessen Ausführungen
sich hauptsächlich auf die Leitsätze 4—8 und auf die banteohnische Seite der
hier in Betracht kommenden Fragen beziehen, betont zunächst, dass sich der
deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege stets auf den praktischen
Standpunkt gestellt nnd sich deshalb auch gehütet habe, etwas Unmögliches
su verlangen. Gerade auf dem Gebiete des Bauwesens müsse man mit den
wirklichen vorhandenen Verhältnissen rechnen nnd dabei dievolks- nnd privat¬
wirtschaftlichen berücksichtigen. Die grossen Vorzüge des im Westen von Deutsch¬
land, in England, Belgien, Holland und Nordfrankreicb üblichen Eigenhanses
seien unbestritten; sein Vorherrschen lasse stets auf günstige wirtschaftliche Ver¬
hältnisse, auf Vermehrung des Kleinbesitzes scbliessen. Aber auch das Miethaus
künnte den gesundheitlichen Forderungen entsprechen, man müsse nnr mit allen
Mitteln dahin streben, dass ans dem Miethaus kein Massenhaus wird nnd dass der
sog. Mietskasernenbau, das Produkt der von Nordosten eingedrungenen Boden¬
spekulation, immer mehr verschwindet. Eine Grenze zwischen Mietshaus und
Mietskaserne sei allerdings schwer zn ziehen; das allsudichte Neben- und Ueber-
einanderwohnen müsse aber vermieden und dnrch abgestufte Bauord¬
nungen darauf hingewirkt werden, dass besonders in neu aufgeschlossenen
Bauterrains in der Umgebung grösserer Städte der Bau von Mietskasernen
unmöglich gemacht werde. Referent bespricht hierauf ausführlich die Anfor¬
derungen in bezug auf die Luft- nnd Licht Versorgung der Woh¬
nungen, die im wesentlichen von der zulässigen Gebäudehöhe, Strassen-
breite, Hof grösse usw. abhängen; er erörtert daun die Vorzüge der offenen
und halboffenen Bauweise, die ein dichtes Zusammendrängen der Be¬
völkerung verhindere und sich auch für städtische Arbeiterwohnnngen eigne.
Allerdings würden dadurch die Kosten für Wasserleitung, Kanalisation,
Beleuchtung sowie für Verwaltung gesteigert, diese Mehrkosten aber dnrch
den besseren Gesundheitszustand der Bevölkerung mehr als aufgewogen. Nach¬
dem Referent die hygienischen Forderungen an Wohn-, Schlaf- nnd Neben¬
räumen je nach ihrer Lage, Benutzungsart usw. besprochen nnd hierbei auf die
Notwendigkeit, Kellerwohnungen in neueren Stadtvierteln überhaupt zu
verbieten, hingewiesen hatte, erklärt auch er die Mitwirkungvon Anraten
und Medizinalbeamten, namentlich in den Baukommissionen als beraten¬
des Organ für erforderlich.
Diskussion.
Oberbaurat Prof. Dr. Bau meist er-Karlsruhe weist darauf hin, dass die
viel vertretene Ansicht, wonach der Bau von Mietskasernen behufs Beschaffung
billiger Arbeiterwohnungen notwendig sei, nicht als zutreffend anerkannt
werden könne; denn der Wohnungspreis sei wesentlich abhängig vom Boden¬
preise und dieser werde durch den Mietkasernenbau gesteigert. Er ver¬
misst den bisher noch nicht von den Hygienikern gebrachten statistischen
Nachweis über den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Baudichtig¬
keit, Einfluss der Höhe, Höhenlage der Wohnung, Höhe der Zimmer usw.;
ein solcher sei aber gerade für die su erlassenden Bauvorschriften erforderlich.
Bauordnungen müssten nicht nnr gegen den Bau schlechter Gebäude nnd gegen
die Entstehung von Missständen in vorhandenen Gebäuden schützen, sondern
auch die Erhaltung bestehender unter Zustände sicherstellen, z. B. die Fern-
haltung von Mietskasernen in Villenvororten usw. Bezirksarzt Med.-Rat Dr.
Hes 8 e- Dresden macht auf die Schwierigkeit einer Bestimmung für Trocken-
fristen sowie auf sonstige Schwierigkeiten in bezug auf die Banaufsicht auf¬
merksam und verlangt eine Vorschrift, dass das zur Auffüllnng zu verwendende
Material nicht hygroskopisch sein dürfe. Oberbürgermeister Schneider-Magde¬
burg bemerkt, dass das sog. wilde Bauen in der Umaregend der Städte doch
ausnahmsweise zngelassen werden könne, wenn eine Schädigung der hygienischen
Forderungen dadurch nicht zn befürchten stehe und anderseits die Erbauung
von Arbeiterwohnungen auf diese Weise erleichtert werde. In den alten
Stadtteilen dürften ausserdem an die Hauseigentümer nioht die gleichen
Forderangen wie in den neuen gestellt werden; ebenso sei eine snhematisehe
Ans Versammlungen und Vereinen.
839
Bestimmung von Troekenfinten unzweckmässig. Prof. Dt. Nussbaum-
Hannover stimmt dieser Ansicht bei und hebt im übrigen gegenüber den
Ausführungen des sweiten Referenten die Vorsüge der geschlossenen Bauweise
hervor. Nachdem sodann noch einige Redner — Baupoliseidirektor Ols-
hauaen und Oberingenieur Vermehren-Hamburg, San.-Rat Dr. Alt-
sohul-Prag, Legationsrat Gerstmeyer-Berlin auf Grund ihrer eigenen Er-
fahrungon und unter Bezugnahme auf Örtliche Verhältnisse sich zu den Aus¬
führungen der Referenten teils suBtimmend geäussert, teils einige Bedenken
erhoben hatten, wies Med.-Rat Dr. Reinoke-Hamburg noch darauf hin, dass
die vom Oberbaurat Baumeister geforderte Statistik der Gesundheitsver-
hültnisse schwer zu beschaffen und ausserdem nicht als massgebender Faktor
ansusehen sei. In seinem Sohlnsswort betonte Geb. Baurat Stübben gegen¬
über den Ausführungen von Prof. Nnssbaum nochmals die hygienischen Vor¬
züge der offenen oder halboffenen Bauweise; die ausnahmsweise Zulassung der
sog. wilden Bebaunng bei Anlage von Arbeiterkolonien hllt er ebenso wie der
erste Referent, Geh. Reg.-Rat Rumpelt, für bedenklich. Letzterer ist in
besng auf den Erlass einer Reichsbanordnung wenig optimistisch; für das
Königreich Sachsen liege in dieser Hinsicht auch kein Bedürfnis vor, da dieses
im Besitz eines recht brauchbaren Baugesetzes sei. Rpd.
Bin Gang durch die diesjährige Deutsche Städte-Aus¬
stellung lu Dresden.
An Ausstellungen ist in den letzten Jahren ebensowenig Mangel gewesen
wie an Kongressen und Versammlungen; ja man kann, wenn man aufmerksam
beobachtet, sieh nicht des Gedankens erwehren, dass hierin eine gewisse Ueber-
Sättigung eingetreten ist. Was haben wir aber auch für Ausstellungen erlebt!
Von den kleinen Provinzial- bis zn den Weltausstellungen, von den wenig
umfangreichen, für eine gewisse Gruppe von Fachleuten bestimmten angefangen,
bis zn den grossen Industrie- nnd Gewerbeausstellungen sind sie auf jedem
Gebiete und in jeder Schattiernng veranstaltet worden. Sie kamen teils all¬
jährlich, teils in bestimmten Zeiträumen, andere regellos, aus irgend einem
Anlass von Interessentengruppen angeregt. Bis auf die vorjährige Düsseldorfer
Ausstellung hatte die grosse Mehrzahl mit Kassensehwierigkeiten «u kämpfen,
ein Umstand, der allein znm Beweise dafür genügt, dass das allgemeine Interesse
für Ausstellungen im grossen nnd ganzen abgeschwächt ist. So sah man die
für diesen Sommer angekündigte Städte - Ausstellung in Dresden mit gewissem
Bangen herankommen; die ungewöhnlich hohen Besnchssiffern und der Erfolg
der ersten Monate zeigten jedoch recht deutlich, dass man es bei dieser Ver¬
anstaltung nicht mit einem jener Dutzendmacbwerke zu tun hatte, welche
kommen nnd wieder verschwinden, ohne tiefere Spuren zu hinterlassen.
Die günstigen Nachrichten, die in den Tageszeitungen über die Aus¬
stellung zn finden waren, veranlassten mich, auf der Rückkehr von meiner
diesjährigen Erholungsreise die Städte-Anestellung zu besuchen, nnd ich kann
voranBschicken, dass ich von dem daselbst Gebotenen vollauf befriedigt war.
Sicherlich werden mit mir viele Kollegen Gelegenheit genommen haben, das
schätzenswerte Material zn studieren; für diejenigen, denen dies nicht möglioh
war, möchte ich in kurzen Zügen schildern, was bei einem Gange durch die
Ausstellung ganz besonders geeignet war, das Interesse des Arztes nnd Medizinal-
beamten wachznrnfen.
Zuerst lasse ich einige allgemeine Bemerkungen folgen:
Die Ausstellung gliederte sich in zwei grosse Teile, a) in die eigentliche
Ausstellung der Städte, an welcher ca. 180 Städte beteiligt waren, b) in die
Ausstellung Gewerbetreibender, die von ca. 400 Industriellen beschickt war.
Letztere zerfiel in zwei Teile: 1. Maschinenwesen, Technik nnd sonstige
Industrie; 2. Ausstellung rauch- und rnssverhütender Feuerungsanlagen (An¬
lagen nnd Einrichtungen zur Verminderung der Rauch- nnd Rnssplage in den
Städten). Hieran reihte sich eine Anzahl von Sonder-Ausstellungen: 1. städtische
und von den Städten konzessionierte Gas- und Wassorwerke; 2. städtische
und von den Städten konzessionierte Elektrizitätswerke; 3. deutsche Sicher¬
heitspolizei; 4. Samariterwesen; 5. Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung;
6. Arbeitsnachweis; 7. Gewerbegerichte; 8. Feuerbestattung; 9. Dresdener
840
Ans Versammlungen and Vereinen.
Gartenbaufirmen. Die Ausstellungsobjekte waren in dem Industriepalast an der
Stilbei - Allee, welcher su diesem Zwecke umgebaut war, und in dem daran-
stossenden parkähnlichen Garten untergebraoht. Die Aufstellung war in adieu
ihren Teilen Übersichtlich und zweckdienlich und entbehrte, wie wir zu unserer
Genugtuung konnten, all des nebensächlichen Beiwerks, welches anderen Aus¬
stellungen sehr oft ihren ursprünglichen Charakter nahm. Bin gut redigierter
Katalog erleichterte die Auffindung.
Naturgemäss nahm die eigentliche Ausstellung der Städte selbst unser
erhöhtes Interesse in Anspruch. Die grossen Gemeinden bähen teils freiwillig,
teils durch die Gesetzgebung gezwungen, einen grossen Teil der allgemeinen
Fürsorge auf ihre Schultern genommen. Was hierin von den grossen Städten
im Laufe der letzten Jahrzehnte geleistet worden ist, findet seinen Ausdruck
in den ersten 6 Abteilungen der Ausstellung, auf die wir nunmehr näher ein»
gehen wollen.
In Aht. 1 war alles das ausgestellt, was duroh die Fürsorge der Ge¬
meinden für die Besserung der Verkehrsverhältnisse geschehen ist.
Bs waren darunter begriffen: Bau und Entwässerung der Strassen, Brüeken
und Häfen, einschliesslich des gesamten Tiefbau- und Vermessungswesens, die
Strassenbahnen usw. Hiervon interessieren den Arzt am meisten die Ent¬
wässerungsanlagen. Gerade auf dem Gebiete der Kanalisation ist ja
für die Assanierung der Städte vielfach Mustergültiges geschaffen worden.
Wir fanden Uebersichts- und Sonderpläne von ganzen Anlagen und einzelnen
Kanaluetzen der verschiedensten Art, Modelle von Sammelbrunnen und Strassen-
gnllys bis zur Einrichtung eines Rieselfeldes (Berlin). Zeichnungen, Situations¬
pläne, Kostenanschläge und Bntwürfe von den verschiedensten Arten der
Kanalisation gaben ein lehrreiches Bild, wie wir es selten in so umfassender
Weise zu sehen bekommen.
Die Abt. 2 enthielt Ausstellungsobjekte von Stadterweiterungen,
Baupolizei und Wohnungswesen. Besonders zahlreich waren Pläne
und Abbildungen von Arbeiterwohnhäusern, welche letzteren teils von gemein¬
nützigen Gesellschaften und Stiftungen, teils von Städten (Güttingen, Münster)
und grossen Industriefirmen (Krupp) errichtet waren. Etwas spärlicher fanden
wir die Resultate der Wohnungsbeanfsichtigung ausgestellt; von Essen waren
graphische Darstellungen über die Tätigkeit der Wohnungsinspektion in den
Jahren 1900/1901. von Stuttgart, ein Band ausgelegt: „Das Stuttgarter Woh¬
nungsamt, seine Einrichtung und 6ein Betrieb“.
Unter Uebergehnng der Abt. 8: „Fürsorge der Gemeinden für
üffentliche Kunst“ kommen wir nnnmehr zu dem speziell hygienischen
und sanitätspolizeilichen Teile der Ausstellung, nämlich Abt. 4: „Fürsorge
der Gemeinden für die Gesundheit und allgemeine Wohlfahrt.
Man kann sehr wohl behaupten, dass hier kaum ein Teil der Öffentlichen Ge¬
sundheitspflege unberücksichtigt geblieben war; die Städte haben zu zeigen
versucht, wie sie für ihre Einwohner von der Gehurt bis zum Grabe zu sorgen
bemüht sind.
Die Sorge um die Erhaltung und Förderung des öffentlichen Volkswohls
findet ihren Ausdruck in erster Reihe in allgemeinen Einrichtungen und An¬
lagen im weiteren Sinne. Hieran gehören öffentliche Gartenanlagen, Prome¬
naden and Plätze, besonders Spielplätze, von denen eine grosse Anzahl von
Plänen des Studiums wert erscheinen. In dieselbe Kategorie gehören öffent¬
liche Badeanstalten aller Arten (Brause-, Schwimm-, Schulbäder), öffent¬
liche Bedürfnisanstalten nnd Begräbnisplätze. Die Stadt Gera
batte Zeichnungen eines Mädchenheims ansgestellt, dessen Baukosten 220000
Mark betragen: es enthält im Kellergeschoss Badeanstalten für Männer und
Frauen, im Erdgeschoss eine Volksküche, im ersten Stock das Mädcbenheim
(Zimmer zur längeren Vermietung an alleinstehende weibliche Personen), im
zweiten Stock eine Mädohenherberge nnd eine Mädehenbildnngsanstalt.
Weit zahlreicher waren diejenigen Einrichtungen zur Ansohauung ge¬
bracht, welche gesundheitsschädliche Einflüsse fernhalten bezw. beseitigen
sollen. Ganz mustergültig war die Ausstellung der Stadt Dresden, betreffend
die Reinigung nnd Sprengung der Strassen. Wiesbaden hatte die
Anlage einer Kehriehtverbrennungsanstalt ausgestellt; ebenso hatte
Hamburg Zeichnung und Beschreibung der Verhrennungsanstalt für
Aas Tenuulng« ui Vereinen.
841
Abfallstoffe Im Modell aaageetellt. Die Anstalt, deren Baukosten 510000
Mark betragen, ist rar Vernichtung ton Haasnnrat und sonstigen Abfalistoflen
bestimmt, was in hygienisch einwandfreier Wehe geschieht. Ebenso ein¬
gehend war das Kapitel dee öffentlichen Desinfektions Wesens be¬
handelt. Es waren Pläne and Photographien Ton Anstalten, Kleidnngs- and
Ausrüstungsstücke Ton Desinfektion! beamten, die Ter schieden aten Arten Ton
Apparaten, Dienstiastrnktionen, Polixeiterordnnngen, Gebührenoi dnungen asw.
ausgestellt. Aach Pläne and Photographien Ton PleischzersetzuDgsaubtalten
(Chemnitz) waren sa finden.
Dem wichtigsten Kapitel in der öffentlichen Gesundheitspflege, nämlich
der Verhütung and Bekämpfung Ton Volkskrankheiten, war
ein eigener PaTilloa gewidmet. Diese Sonderansstelinng, wie man sie wohl
eigenartiger and reichhaltiger noch nirgends gesehen bat, war Ton Kommerzien¬
rat K. A. Lingner in Dresden Teranstaltet; die wissenschaftliche Leitung
hatte Dr. med. L. Lange in Dresden übernommen. Es war hier nnseres
Wissens sum ersten Male der Versuch unternommen worden, die breite Masse
.des Volkes mit dem heutigen Stande der Wissenschaft bekannt zu machen,
soweit sie sich mit der Bekämpfung der Infektionskrankheiten beschäftigt.
Dass dieser Versuch sum grossen Teil gelungen ist, beweist die grome Besucbs-
siffer, die der PaTilloa stets aalzuweisen hatte; leider war es nicht snr Heraus¬
gabe eines eigenen Katalogs gekommen, wie es anfangs beabsichtigt war. Die
Anordnung der Ausstellungsobjekte in der 400 qm grossen Balle war so über¬
sichtlich wie möglich, ln der Mitte des PaTiiionB standen auf Tischen 80
Mikroskope reihenweise aafgestelit. Sie waren mit einer Glashülle so umgeben,
dass nur die Mikrometer schraube Tom Publikum berührt werden konnte. Es
waren an dem gut beleuchteten Mikroskopen teils frische, teils gefärbte Prä¬
parate der Terschiedeastea Mikroorganismen anlgestellt. Ob gerade hierdurch
sich der Laie ein Bild Ton dem Aussehen der Infektionserreger bat machen
können, muss ich allerdings bezweifeln, besonders wss die Präparate im
hängenden Tropfen anbetrifft. Ich fand die Präparate oft genug nicht ein¬
gestellt, du man die Mikrometersehranbe zu weit gedreht hatte. Es kamen
ferner zur Demonstration Reinkulturen Ton Mikroorganismen pathogener
and nicht pathogener Art, welche das Wachstum der kleinsten Lebewesen in
ihrer Verschiedenheit deutlich zeigten. Besonders waren die zahlreichen wohl-
gelungenen Präparate aus dem Paste urschen Institut in Paris sehr instrnktiT
and mustergültig. Endlich war auch noch in Tergrösserten Wachsabbildungen
das Wachstum der Bazillen Tor Augen geführt, nach die Einwirkung des
Sonnenlichts auf Bakterien Ter anschaulicht. Durch zahlreiche Tabellen, Bilder
und Bücher waren in anschaulicher Weise die Fortschritte auf dem Gebiete
der Bekämpfung der Infektioaakraakheiten dargestellt. Ganz besonderes Auf¬
sehen erregten Wachsmodelle, welche die Symptome der hauptsächlichsten
Volkskrankheiten (syphilitische Uleera, Lepra, Pocken, Windpocken, Masern,
Seharlaeh, Granulöse, Entwickelung tou Diptheriememhranen, Tuberkulose,
Hautkrankheiten durch Ansteckung in Frisierstaben) Tersnscbaulicbten. Für
zartbesaitete Gemüter waren übrigens einige derselben mit MullTorhängen Ter-
htlllt. Die Bilder des Ne iss er sehen grossen Atlasses für Hautkrankheiten
waren, mit einem 8tereoekop Teraehea, aafgestelit. Das Kapitel der Impfung
war mit ganz besonderer Aafmerksamkeit behandelt worden: Die gesamte
Technik mit allen einzelnen Apparaten and Instrumenten, die Entwickelnng
der Pusteln in Wachs m odellen wird« gezeigt und zugleich in Bildern Tor-
gefflhrt, welche Terheereadea Wirkungen die jetzt kaum noch Ton Aerzten
gekannten Pocken ehemals Terarsaektea. Der Erreger der Malaria, seine Ent¬
wickelung and Wanderung Ton der Mücke auf den Menschen, and der Malaria-
schütz wurde ia Bild and Präparaten Torgeführt. Die Krankheiten and die
Sterblichkeit der Säuglinge in den gromen Städten, sowie ihre Ursachen und
Bekämpfung gelangte zahlenmissig and durch Modelle snr Darstellung; nor¬
male und pathologische Stahlginge waren ia Wachs naebgebildet. Die Aus¬
führung der Desinfektion wurde durch die dazu notwendigen Apparate ron
der einfachen Räu c h erung bis za den kompliziertesten Vorkehrungen Teraa-
schaulicht. Fügen wir dann noch hinzu, dam Schriften rerteilt worden, welche
auf die Bekämpfung to* Volkakrankkeiten Bezog hatten, s. B. das Schema
der Tuberkulose - Einrichtungen too Panawits, die Bekämpfung der
iüs Versammlungen tmd Vereinen.
m
Schwindsucht in den Wohnungen von Pitter und die preisgekrönte 8ehriit
von Knopf „Die Tuberkulose als Volkskrankheit und deren Bekämpfung“, so
haben wir annähernd den Inhalt des überaus reichhaltigen Materials angeführt.
Es wäre nur in wünschen, dass die hier ansgestreute Saat auf fruchtbaren
Boden fallen und die Kenntnis von dem Wesen unserer hauptsächlichsten
Infektionskrankheiten sich immer mehr in breiteren Volksschichten einbürgern
mOge. Die Verbreitung solchen Wissens führt dem Arst und dem praktischen
Hygieniker bereitwillige Mitkämpfer su, anderseits hillt sie auch indirekt das
Kurpfuschertum bekämpfen.
Viel geringeren Baum nahm das Kapitel der Nahrungsfürsorge
für sich ein. Wir bemerkten Pläne und Modelle Ton Schlacht* und ViehhOfen,
Anlagen Yon Kühlhäusern und Markthallen. Einige Untersuchungsämter und
Laboratorien hatten Berichte und wissenschaftliche Arbeiten, Drucksachen usw.
ausgestellt (Breslau, Dresden). Weniger berücksichtigt war die Nahrnngs-
mitteikontrolle; u. a. hatte die Stadt Worms eine Denkschrift und graphische
Darstellungen geliefert.
Gruppe D war der „Darstellung Yon Hilfe in Not“ [gewidmet.
Den Arzt fesselte hiervon am meisten die in einem eigens hierzu hergerichteten
Pavillon veranstaltete Sonderausstellung des Samariterwesens. In derselben
Halle war auch eine Sanitätswache (Abt. des Dresdener Vereins) untergebraeht.
Das Samariter- und Bettungswesen, das sich an die Namen von Esmareh
und Bergmann knüpft, ist gerade in den letzten Jahren in Deutschland au
einer bedeutenden Höhe gelangt. Es gehören zur Zeit zu dem deutsch«!
Samariterbunde über 40 staatliche Behörden und Stadtverwaltungen, 76 Ver¬
eine. Berufsgenossenschaiten, Feuerwehrverbände usw. Das Bettungswesen
beruht auf der Erwägung, dass für plötzlich Erkrankte oder Verletste ebenso
wichtig wie die erste Hülfeleitung die Fürsorge für den Transport sowie für
geeignete Unterbringung ist. Man konnte bei der Ausstellung Ü Abteilungen
unterscheiden: 1. Samariter-Untericht; 2. Samaritertätigkeit in Sanitätswachen
und Verbandstationen und 3. Transportwesen. Ausserdem konnte man ein Bild
von der Organisation und der Ausbreitung des Samariterwesens in Deutsch¬
land gewinnen. Nach der von Prof. Dr. Meyer entworfenen Karte bestehen
in 76 Prozent aller Städte mit mehr als 10000 Einwohnern solche Einrich¬
tungen. Sie sind am dichtesten über Süd-, Mittel- und Westdeutschland ver¬
breitet. Mustergültig sind die Einrichtungen in Berlin zu nennen, wo das
Samariterwesen vertreten ist durch die BettungsgesellBchaft, die Unfallstationen
und die Sanitätswaohen. Ein sorgfältig ausgeführtes Modell der Zentrale der
Bettungsgesellschaft, das wir auf der Ausstellung bewunderten, gab ein an¬
schauliches Bild von dem umfangreichen Wirken dieser Zentrale. Der Samariter¬
verein in Kiel hatte eine grosse Menge von Unterrichtsmaterial ausgestellt;
Lehr-, Uebungs- und Verbandkästen waren in grosser Anzahl und mannigfaltigster
Ausführung vertreten. Photographien, Grundrisse und Modelle veranschau¬
lichten die Tätigkeit verschiedener Samaritervereine. Interessant war ein
naturgetreues Modell der Bettungsstation am Müggelsee, welche von den
Wassersportvereinen von Berlin und Umgegend errichtet worden war. Von
dem Samariterverein in Dresden waren nach Angabe des Generalarztes Dr.
Bühlemann tragbare Kasten bezw. Schränkchen für erste Hülfe in Ferien¬
kolonien und Schulen aufgestellt. Es scheint mir jedoch etwas zu weit ge¬
gangen, wenn in dem Schränkchen für Sohulen Choleratropfen, Zahntinktnr
und Hustentropfen enthalten sind. Der sächsische Landes-Samariterverband
hatte in einem Schrank die verschiedenartigsten Artikel zur Krankenpflege
ausgestellt. Der Schrank soll auf dem Lande bei Pfarrern, Lehrern oder
Gemeindevorständen als Entleihdepot aufgestellt werden. So segensreich eine
solche Einrichtung wirken kann, so gibt sie doch su manchen Bedenken Anlass,
weil sehr leicht auch Schaden damit angerichtet werden kann. Einmal besteht
bei ungenügender Beinigung die Gefahr der Uebertragung ansteckender Krank¬
heiten, anderseits sind auch Gegenstände in dem Depot vorhanden, welche
man Laien nicht in die Hände geben darf. — Dass auch dem Transportwesen
bei einer so umfassenden und erschöpfenden Ausstellung des 8amariterwesens
genügende Beachtung geschenkt wurde, versteht sich eigentlich von selbst.
Der Verband der Feuerbestattungsvereine deutscher Sprache
(zur Zeit 49) hatte ebenfalls eine Kollektivausstellung in einer besonderen
Atu Versammlungen and Vereinen.
848
Belle veranstaltet, zo welcher 15 Vereine Gegenatinde gesendet betten. Mo¬
delle von Kremetorien, Fenerbestettnngseppereten and Urnen waren sn sehen,
ebenso Glasbehälter mit Aechenresten einer menschlichen Leiche. Von dem
Verein gelangte eine kleine Aufklärungsschrift snr Verteilung. Städtischer-
seits hatte man in dem Bahmen der übrigen Ansstellnng Pline nnd Zeich¬
nungen Ton Friedhöfen nnd Leichenhallen ansgestellt.
Wir kommen nnnmehr anm Schulwesen. Entsprechend der hohen
Entwickelung desselben in den grossen Städten war auch reichhaltiges Material
nur Ausstellung geliefert. Graphische Darstellungen und tabellarische Ueber-
sichten wechselten mit statistischen und Verwaltungsberichteu ab. Von Schul-
bauten (Volks-, Mittel- nnd höhere Schulen) waren Modelle, Entwürfe, Pline
und Photographien ausgestellt; beigegeben waren Kostenanschläge über Bau
und innere Einrichtung. Eine der grössten Schulen hat Würsburg aufsuweisen:
das Volksschulhaus für 39 Klassen au je 60 Kindern ist massiv von Stein und
Eisen ausgeführt. Sämtliche Schulräume gruppieren sich um einen nach der
Strasse offenen Hof; die Baukosten betrugen 620000 Mark. Ergänzt wurde
dieser Teil der Ausstellung in trefflicher Weise durch die von zwei Firmen
errichteten transportablen und zerlegbaren Schulpavillons. Die deutsche
Barackenbaugeseilschaft in Köln und die durch die Fabrikation der bekannten
Doeckerschen Baracken sich hervortuende Akt.-Ges. Christoph & Un-
maok aus Niesky hatten je einen Pavillon mit allen notwendigen Ausrüstungen
errichtet, welche allen Anforderungen der Neuzeit entsprachen. Was die
spezielle Sohulgesundheitspflege betrifft, so haben wir auch auf der Ausstellung
wahrnehmen können, dass wir uns damit erst in den ersten Anfängen befinden.
Die Einrichtung der Schulärzte ist noch zu jung, so dass man grösseres
Material noch nicht hat erwarten können. Breslau, Darmstadt und Dresden
hatten die Ergebnisse der bisherigen Erfahrungen gesandt; auf die städtische
Schulzahnklinik in Strassburg, die erste in Deutschland, sei noch besonders
hingewiesen.
„Armenpflege, Krankenpflege, Wohl tätigkeitsanst alten,
Wohltätigkeitsstiftungen“ betitelte sich die Abteilung VI. Hierzu
gehören und waren ausgestellt folgende, in das ärztliche Gebiet einschlagende
Gegenstände: Fürsorge für Waisen und Ziehkinder, Siechen- und Armenhäuser,
städtisches Obdach, Altersversorgungsanstalten und Bürgerhospitale. Ganz
besonders reichhaltig war natürlich die Abteilung lür geschlossene Kranken¬
pflege ausgefallen. Ausser den Bauplänen und Entwürfen von grossen Kranken¬
häusern waren auch manche hoohbedeutende Mittel zur Krankenpflege und
Krankenerziehung zu finden. So hatte die Idiotenanstalt in Dalldorl folgendes
ausgestellt: Formentafeln zur Bildung des Formensinns, Nähapparate für
Schwachbegabte Kinder, Zahlenbilder zur Darstellung des Zahlenkreises von
1—10, Vokalbilder für spraehkranke Kinder und einen Glaskasten mit abnormen
Kieferbildungen, wichtig für den Unterricht sprachkranker Kinder.
Hiermit hätten wir einen Ueberblick über die Ausstellungsobjekte der
deutschen Stätte, soweit sie zu ärztlicher Kunst und hygienischem Wissen
Beziehung haben, gegeben; in der U ebersicht sind die wichtigsten Gegen¬
stände berührt worden, selbstverständlich macht das von uns gelieferte Material
keinen Anspruch darauf, erschöpfend zu sein. Es wäre jedoch undankbar, wenn
wir nicht der grossen Mühe gedenken wollten, welche bewährte Firmen auf
den Aufbau der Industrie-Abteilung verwendet haben. Bei dem beschränkten
Baum, der uns zu Gebote steht, müssen wir uns damit begnügen, nur einige
hygienisch wichtige Gegenstände aulzuzäblen. Heizungs- und Beleuchtungs¬
anlagen, Kanalisation und Wassergewinnung nahmen den grössten Platz ein,
ebenso waren 8trassenreinigung, Müllabfuhr und Pflasterung berücksichtigt.
In grosser Menge waren auch Ausrüstungsgegenstände für 8chulen, Kranken¬
häuser, Desinfektions- und Badeanstalten vorhanden.
Die Ausstellung lieferte ein getreues Bild davon, was die Städte auf
dem Gebiete der allgemeinen Fürsorge geleistet haben. Der grösste Teil
dessen, was insbesondere auf sozialem Gebiete geschehen ist, hat sich im
Laufe der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts abgespielt; vor 50 Jahren
wäre eine solche Ausstellung unmöglich gewesen. Wie der Verlauf des ersten
auf der Ausstellung abgehaltenen Deutschen Städtetages beweist, soll mit dem
Ausbau des einmal begonnenen Werkes fortgefahren werden. Stets haben die
844
Aas Versammlungen and Vereinen.
Verwaltungen der Gemeinden bei ihren gemeinntttsigen Bestrebungen eifrige
Mitarbeiter in den Aerzten and Gesundheitsbeamten gefunden; auch in Zokonft
wird es sicherlich so sein und der Brfolg der gemeinsamen Arbeit nicht
aasbleiben, Dr. Israel- Fischhausen.
Bericht Aber die 75. Versammlung Deutscher Natur¬
forscher und Aerzte in Kassel vom tO.-Jiö. Heptbr. 1905.
(Fortsetzung.)
IY. Abteilung für Hygiene.
1. Tuberkulöse und nichttuberkulöse Erkrankungen der Atmungs¬
organe in Preuanen seit 1875. Kreisassistenzarzt Dr. A so her-Königsberg
i. Pr. wies an Kurven nach, dass in Prenssen seit jener Zeit ein ziemlich
stetiger Abstieg der Kurve fttr die Tuberkulose der Atmongsorgane erfolgt
ist. Während die Kurve fttr die Sterblichkeit an nicbttaberkulösen Erkran¬
kungen der Atmungsorgane sich bis zum Jahre 1899 ziemlich anf einer kon¬
stanten Höhe gehalten hat, kreuzen sich im Jahre 1890 die beiden Kurven
and zwar so, dass die der tu berkalösen dauernd weiter fällt, während die der
nicht tuberkulösen in den Jahren 1891—98 und 1899—1901 (Influenzajahren)
einen starken Anstieg zeigt nnd im übrigen dauernd ttber der tuberkulösen
sich hält. Aus den Tabellen geht weiter hervor, dass in den ersten fttnf Be¬
richtsjahren (1875—1879) und in den letzten fünf (1897—1901) die Gesamt-
aterblicbkeit an Erkrankungen der Atmongsorgane — nämlich 50 auf 1000 Le¬
bende — dieselbe ist.
Bezeichnet man die tuberkulösen Erkrankungen der Atmungsorgane mit
T, die nicht tuberkulösen mit ET, so ergibt sich aus einer weiteren Tabelle,
dass die Sterblichkeit an T und NT fttr die einzelnen Lebensalter ermittelt,
im Alter von 0—15 Jahren eine Zunahme erfahren hat, die am so grösser ist,
je jttnger die Altersklasse, so dass diese beim Säugling 107 % bei männlichen,
110°/« bei weiblichen beträgt. Vom 15.—70. Lebensjahre nimmt die Sterblich¬
keit ab und naoh dem 70. wieder zu. Aus den weiteren Tabellen kann man
schliesBen, dass T dauernd abnimmt, während NT in einzelnen Jahresklassen
ganz enorm zugenommen hat. Im Säuglingsalter beträgt diese Zunahme 186 °/ 0
bei männlichen, 144% bei weiblichen Individuen, im 1.—2. Lebensjahre 182
bezw. 124 % and im 8. 100 bezw. 105 %, ebenso in den höchsten Altersklassen
125 bezw. 130% and 167 bezw. 222%. Diese ganz ausserordentliche Zunahme
von NT ist auf die Zunahme der akuten Lungenerkrankungen zurttckiuftthren,
und zwar nicht erst seit den Influenzajahren; sie erklärt jedenfalls z. T. auch
die Abnahme von T -f- NT in den mittleren und etwaB höheren Altersklassen
insofern, als die im jüngeren Alter eingegangenen Individuen die Zahl der
Disponierten im späteren Alter vermindert.
Bei Betrachtung noch weiterer Tabellen geht fraglos insoweit ein Zu¬
sammenhang zwischen T nnd NT hervor, dass T in allen Altersklassen in zu¬
nehmendem Masse gegen NT zurttckbleibt; auch lässt sich nachweisen, dass
die geringste Sterblichkeit an T im schulpflichtigen Alter besteht, was jeden¬
falls auf die grösste Widerstandskraft gerade in dieser Zeit zurttckzuftthren ist.
2. Kriterien nnd Kontrolle der Heilung bei Lungentuberkulose.
Der Vortragende, Prof. Dr. Petraschky-Danzig, definiert die Heilung als
„einen dauernden Zustand der Wiederherstellung, in welchem Rückfälle der
gleichen Krankheit nicht mehr zu befttrchten sind.“ Es dürfen deshalb die
Erreger der Tuberkulose nicht blos eingekapselt, sondern sie müssen abgetötet
oder ausgestosBen sein.
Die sichersten Kriterien der Heilung erhält man durch Untersuchungen
des Auswurfs und die Tuberkulinprobe. Fällt diese Probe positiv aus, so
ist der Beweis erbraoht, dass eine Ausheilung noch nicht erfolgt ist; fällt sie
negativ aus, so muss sie zur Sicherung in mehrmonatlichen Pausen wieder¬
holt werden.
P. hat in Danzig mit der Landes versicheren geaast alt folgendes Ver¬
fahren eingeftthrt:
1) Fällt die Tuberkulinprobe bei Entlassung aus der Heilstätte negativ
aus, so wird sie nach 8—6 Monaten wiederholt.
Ans Versammlungen nnd Vereinen.
845
2) Besteht bei der Entlassung kein Answarf, so wird die Tuberkulin-
probe gemacht; fällt sie positiv ans, so erfolgt Nachbehandlung mit TubtikuJiu.
8) Die aus der Tuberkulinbehandlnng Entlassenen werden nach 8—4
Monaten erneut geprüft und eventuell wieder geradeso behandelt.
Alle Geheilten werden in jedem Jahre der Sicherheit halber noch zwei-
mal nachuntersucht.
Bei diesem Verfahren heilen nach zweijähriger Beobachtung 80°/ o aller
Fälle ans und zwar von schweren Fällen etwa 50*/o, von leichteren 100 °/ 0
dauernd. Der Redner empfiehlt die Schaffung zentraler Untersuchungastellen,
wie sie ausser Danzig noch in Stettin und Breslau bestehen.
8 . Prof. Dr. Bonhof f-Marburg: Ueber die Identität des Löffler
zehen Mäusetyphusbacillus mit dem Paratyphusbacillus des Typus B.
Der Löftlersche Mäusetyphusbacillus ist seither als unschädlich angesehen
worden, besonders, nachdem in Thessalien einige griechische Herren denselben,
ohne Schaden an ihrer Gesundheit zu nehmen, genossen batten; indes lässt
die Aehnlicbkeit dieses Bacillus mit dem Paratyphusbacillus die Sache in
anderem Lichte erscheinen. Bon hoff geht auf eine genaue Vergleichung
der beiden Bazillen ein und findet, dass sie nicht nur morphologisch, kulturell
und im Tierexperiment, sondern auch bei der Prüfung der Immunsera im
Agglutination»- und Pfeiffer sehen Versuche völlig übereinstimmen. B on h o f f
steht deshalb nicht an, beide Bazillen für identisch zu erklären und fordert
eine Abänderung der Gebrauchsanweisung, wie sie offiziell bei der Verabfol¬
gung der Kulturen des Mäusetyphusbacillus mitgegeben werden. Am besten
wäre der Handel mit Reinkulturen ganz zu untersagen.
4. Dr. Bechhold-Frankfurt a. M.: Die Agglutination der Bakte¬
rien, eia physikalisch - chemisches Phänomen. Bordet hat naohgewiesen,
dass agglutininbeladene Bakterien (mit spezifischem Immunserum behandelte
Typhus- und Diphtheriebakterien und Staphylokokken) in destilliertem Wasser
nicht agglutinieren, sondern dass dazu die Gegenwart von Salzen nötig ist.
Bechhold hat nun im Verein mit Neisser und Friedemann festgestellt,
dass Anelektrolyte wie Alkohol und Rohrzucker keine Agglutination hervor-
rufen, und dass für Elektrolyte ein bestimmter Schwellenwert besteht, unter
welchem ebenfalls keine Agglutination erfolgt. Dieser Schwellenwert ist ab¬
hängig von dem Katjone des betreffenden Salzes. Bei Salzen mit einwertigen
Katjonen (Na Gl, NaJ usw.) wirkt dasselbe von * 1 * 0 , bei zweiwertigen (BaCl*,
Ca CI* usw.) bereits bei */*<x> Aeqaivalent, bei dreiwertigen wahrscheinlich in
noch grösserer Verdünnung. Säuren wirken besonders intensiv (schon bei V 1000
Aequivalent); Alkalien sind ganz ohne Einfluss.
Wenn sich auch durch die Beobachtungen manche Aehnliohkeiten mit
einer Suspension — Bordet hatte auf Kaolin hingewiesen — ergeben, so
findet man aber doch Unterschiede, namentlich im Verhalten bei der Einwir¬
kung des elektrischen Stromes.
6. Dr. Neisser-Frankfurt a. M.: Ueber neue, bisher latent ge¬
bliebene Präzipitine. Bisher wurden alle Präzipitinereaktionen in salzhal¬
tigen Lösungen vorgenommen. Ausser den hierbei entstehenden Präzipitinen
gibt es indes noch andere, welche erst dann anftreten, wenn die zur Reaktion
benutzten Sera durch Dyalyse salzfrei gemacht sind. Auch diese Reaktionen
sind spezifisch; die so entstandenen Präzipitine zeigten Bich durch ihr schnelles
und intensives Auftreten, sowie dnreh ihre leichte Löslichkeit in geringen
Salz-, Säure- und Alkalimengen aus. In den untersuchten Fällen trat die Re¬
aktion im dialysierten Serum noch auf bei einer Verdünnung, bei der sie beim
nicht dialysierten Serum nicht mehr auftrat. Praktisch wichtig kann diese
letztere Tatsache werden, wenn es sich um Präzipitinereaktionen auf Bak¬
terienfiltrate handelt.
6. Gemeindeörtliche Einrichtungen auf dem Gebiete der Gesund¬
heitspflege. Oberbürgermeister a. D. am Ende gibt in seinem Vortrage
ohne wesentlich neue Gesichtspunkte aufzustellen, einen Ueberblick über die
Anforderungen bezw. Leistungen, welche eine moderne Stadt auf dem Gebiete
der Gesundheitspflege heutzutage zu stellen hat. Der Vortrag eignet sich indes
schon um des Umfangs willen nicht zum Referat.
7. Ueber Zahnheilkunde als Volhshyglene. Dr. Sickinger-Brünn
führt erschreckende Zahlen über die Verbreitung von Zahnkrankheiten an,
namentlich beim Militär, im Schalen and im Armenhäusern; er wtzsekt drin¬
gend die Mitairknor der Hygiene aof diesem Gebiete.
8. Steigerung der Mtlchsekretiou bei stillemdea Müttern. Dr.
Zloeisti-Berlin weist daran! hin, dass die Milch einer Tierspesies niemals
einen rollen Ersatz für die einer anderen bilden k5nne and fordert das Znrttek-
führen der Pranen mm Säugegescbäft. Die Sterblichkeit der Flaackenki der
and die verminderte Widerstandsfähigkeit der nicht gestillten Menschen fordern
hier Massregeln. Er verlangt deshalb die Belebrang des Publikums, staatliche
Unterstützung von stillenden Frauen der arbeitenden Bevölkerung and Stei¬
gerung der Fähigkeit des Stillens der Mütter, falls ein Nachlassen eintritt. Diene
Steigerung sei wie beim Tier mOglieh; er empfiehlt zu dieeem Zweck LaktagoL
9. Demonstration einen neuen Desinfektion»- and Inhalatiomn-
apparates nnd die bisherigen Versuche mit demselben, Dr. Stöcker-
Oberwesel beschreibt einen Apparat, bei welchem mittelst eines rotierenden
konischen Körpers die Flüssigkeit aof einen rotierenden Bing gehoben und
von diesem durch die Zentrifugalkraft verteilt wird. Feinste and gleichmimige
Verteilung der Tröpfchen, leichte Handhabung, Anwendung ohne Feuersgefmhr,
bisher goto Besaitete bei Desinfektions- nnd Inhalatiensversachen scheinen den
Apparat cur Nachprüfung zu empfehlen.
10. Messung nnd Abwehr von Luftstaub nebst Demonstration
eines Sprengapparates für Tarn- nnd Exerzierhallen. Kraukenhlnoer
nsw Dr. Stieb- Leipzig beschreibt nnd demonstriert ebenfalls seinen Apparat,
der vermittelst Velozipedes die Verteilung hervorruft.
Dr. Med er-Cassel.
(Schloss folgt.
Besprechungen.
Prof. Dr. XL Hartlg - München: Der echte Hansechwanun and andere
das Bauholz zerstörende Pilze. Zweite Anflage, bearbeitet von Prot.
Frb. Dr. v. Tnbenf in München. Mit 33 s. T. farbigen Abbildungen.
Berlin 1903. Verlag von Jnl. Springer. Preis: 4 Mark.
Im vorliegenden Werke, welches keine Erweiterung der nrsprünglieh
Hartigschen monographischen Bearbeitung des echten Hausechwammes nnd
der von diesem Pilze veranlassten Zersetzung des Bauholzes darstellt, sind vom
Verfasser anch für den hinsngefügten Teil über anderweitige Erkrankungen
von Bauhols die Hartigschen Origin&lnntersuchungen sn Grande gelegt.
Aach der sonstigen einschlägigen Literatur wird sowohl im Text, als besonders
eingangs der Arbeit eingehend gedacht.
Der Inhalt des Buches gibt uns eine anschauliche, anch für Laien ver¬
ständlich geschriebene Beschreibung des echten HansscbwammeB, des Moralins
lacrymans. Das erste Kapitel ist der Verbreitung des Pilzes gewidmet. Tu¬
ben f nimmt insbesondere an, dass die Verbreitung des Pilzes in der Begel
von Hans sn Hans erfolge, da die bisherigen Untersuchungen kein Beweis¬
material dafür ergeben hätten, dass die Infektion des Bauholzes mit Haus¬
schwamm schon im Walde erfolge. Angestellte Knltnrversnebe haben es sogar
wahrscheinlich gemacht, das« der Hanssohwamm im lebenden Holze der stehenden
Bäume nicht vorkommt. Bezüglich der Holzart ist der Hansschwamm nicht
wählerisch. Das Nadelholz ist nnr deshalb den Zerstörungen am meisten auf¬
gesetzt, da dasselbe zu den Haushanten im wesentlichen verwendet wird.
Die Zusammensetzung und die Entwickelung des Moralins lacrymans
haben eine klare, deutliche und umfassende Besprechung gefunden. Veran¬
schaulicht wird der Text gerade dieses Kapitels durch übersichtliche Ab¬
bildungen. Im allgemeinen sind die Abbildungen mehr oder weniger schemati¬
siert worden; jedoch hat die Deutlichkeit darunter nieht gelitten; vielmekr
trägt anch hier die zweckmässig angebrachte Schematisierung zur Erleichte¬
rung des 8tndinms wesentlich bei.
Nach einer gründlichen Besprechung der Lebensbedingnngem und dar
r mg des Hansscbwammes geht Verfasser näher auf die Einwirkung des
Besprechungen.
847
Pilses auf das Holz ein, wobei mit Recht Gewieht auf die physikalischen
wahrnehmbaren Veränderungen des Holses gelegt ist.
Eine etwaa stiefmütterliche Behandlung hat das Kapitel „das hygienische
Verhalten des Hausschwammes“ erfahren.
Die Vorbeugungsm&ssregeln zur Verhütung der Entstehung des Schwammes
sind übersichtlich zusammengestellt und enthalten alles Erwähnenswerte. Zur
Vertilgung des Pilses werden auf Grund eigener Versuche als Imprägniernngs-
resp. Konservierungsmittel das Kreosotöl und das Karbolineum empfohlen.
Einer kurzen Besprechung werden sodann noch einige andere Holzpilse
unterzogen, besonders der Polyparus vaporarius, die Trockenfäule und die
Rotstreifigkeit des Holzes vor allem vom ätiologischen Standpunkte aus beleuchtet.
Dr. Engels-Posen.
Dr. B. Gottsoh&lk, Kreisarzt in Rathenow: Grundriss der gerichtlichen
Medizin. 2. vermehrte und verbesserte Aufl. Leipzig 1908. Verlag von
Thieme. 878 S. Preis: 5,50 Hk.
Dem Referenten war es ein Genuss, das schön ausgestattete, herrliche
Werk in einem Zuge durchsniesen. In knapper, klarer Weise sind die wesent¬
lichen medisinischen Erfahrungen und die einschlägigen gesetztl. Bestimmungen
und Entscheidungen, unter Berücksichtigung der neuesten, dargestellt. Die
Zufögung des Kapitels über Unfallgesetze und die Weglassung der gerichtlichen
Psychiatrie dürfte nicht genügend motiviert sein. In der 3. Auflage, die dem
aufs beste zu empfehlenden Buche sicher beschieden ist, müsste einiges ergänzt
werden; z. B. X-Strahlen, Kenntlichmachung von durch Fäulniss veränderten
Leichen, Versicherungswesen, event. Invalidität. Ein sorgsames Register er¬
höht die Brauchbarkeit des Buches. Dr. Kornfeld-Gleiwits.
Dr. F. Peterson und Dr. W. 8. Haines: Textbuch der gerichtlichen
Medizin und Toxikologie. Philadelphia und London 1908. Preis: 20 Mk.
Bislang erschienen ist der I. Teil (715 S.) dieses Sammelwerks, von in¬
struktiven Abbildungen begleitet, unter Anführung zahlreicher amerikanischer
Kriminalfälle, und, wohltuender Weise, ohne andere Anmerkungen als die
Quellen der Zitate und Urteile. Ein besonderes Kapitel behandelt die Lebens¬
versicherung sehr ansfürlich, ferner die Sprachstörungen, die Zeiohen der De¬
generation, die Eisenbahnverletzungen. Eine ansförlicbere Besprechung bleibt
bis nach dem Erscheinen des II. Teils Vorbehalten. Dr. Kornfeld -Gleiwits.
Dr. L Löwsnfsld: Sexualleben und Nervenleiden. Die nervösen
Störungen sexuellen Ursprünge nebst einem Anbange Ober
Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie. Dritte
bedeutend vermehrte Auflage. Wiesbaden 1908. Verlag von Bergmann.
Gr. 8*, 326 S. Preis: 6 Mark.
Vorgänge im sexuellen Leben werden häufig Ursache von Störungen im
Nervensystem; bereits von altersher hat sich daher die Aufmerksamkeit des Arztes
auf die nervösen Leiden gerichtet, welche durch geschlechtliche Tätigkeit oder
Zustände der Geschlechtsorgane hervorgerufen werden. In der Neuzeit, in
welcher die Lebensverhältnisse und die angeborene Prostitution das Nerven¬
system bei einer grossen Anzahl von Menschen für Reize jeder Art empfäng¬
licher machen, drängt sich der Zusammenhang vieler nervöser Erkrankungen
mit Vorgängen und Zuständen in der Geschlechtsspbäre in überzeugenderer
Weise auf, als wohl je früher. Das vorliegende Buch des bekannten Münchener
Nervenarztes, das in wenigen Jahren es zur dritten Auflage gebracht bat,
erörtert diejenigen Verhältnisse des geschlechtlichen Lebens und diejenigen
pathologischen Veränderungen der Genitalorgane, welche am häufigsten zu
Störungen im Nervenbereiche führen, deren pathologischer Einfluss somit das
Interesse des Arztes am meisten in Anspruch nimmt. Der Sexualtrieb und
die Pubertätaentwickelung, die nervösen Störungen in der Pubertät und in der
Menstruation, im natürlichen und künstlichen Klimakterium, die sexuelle Ah-
848
Tagesnachrichten.
stinens bei beiden Geschlechtern, sowie die geschlechtlichen Bxsesse, die Onanie
und der Präventivverkehr werden nacheinander eingehend besprochen.
Weitere Kapitel behandeln den Einfluss sexualen Verkehrs auf bestehende
Nervenkrankheiten und Erkrankungen der Sexnplorgane als Ursache von Nerven¬
krankheiten, dann kommen theoretische Erörterungen Aber die Freud'sehe
Theorie und eigene Untersuchungen des Verfassers Uber die sexuelle Aetiologie
neurotischer Augatzustände. Das Thema: Anomalien des Geschlechtstriebes,
wird eingehend behandelt; ein therapeutisches Kapitel macht den Schluss.
Viele eigene Krankengeschichten illustrieren die Auseinandersetzungen des
Verfassers; Literaturverzeichnis und Sachregister beschliessen das instruktive
Buch. Dr. L e w a 1 d - Obernigk.
Tagesnachrichten.
Auszeichnung. Dem Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Schmidt in Frank¬
furt a. M., der vor kurzem Se. Majestät den Kaiser wegen eines Stimm*
lippen-Polypens mit bestem Erfolg operiert hat, ist aus Anlass dieser Operation
der Charakter als Wirklicher Geheimer Bat mit dem Prädikat
Exzellenz verliehen worden. Es fet dies jetzt die dritte derartige hohe
Auszeichnung, die in den letzten drei Jahren Aerzten zu teil geworden ist.
Die auf Vorschlag des Kaiserlichen Gesundheitsamtes vom Beiohskanzler
veranlasste Umfrage bei den einzelnen Bundesregierungen betreffs Einführung
einer Reichsarzneitaxe scheint im allgemeinen Zustimmung gefanden zu
haben, so dass jetzt im Beichsgesundheitsamt die Vorarbeiten und Beratungen
fflr die Ausarbeitung eines Entwurfs begonnen haben.
Die Internationale Sanitätskonferenz in Paris hat ihre Sitzungen
beendet, nachdem sie die Schlussantrfige der Kommission Aber die internationalen
Sanitätsrate in Konstantinopel und Alexandrien, Aber die im Persischen Gol
zu treffenden Maseregeln sowie Aber Schaffung eines internationalen Sanitäts
dienstes genehmigt hat.
In Württemberg ist durch VerfAgung des Ministers des Innern
vom 4. November 1903 jetzt auch der Verkehr mit Geheimmitteln dem
Beschluss des Bundesrats vom 28. Mai d. J. gemäss geregelt unter gleichzeitiger
Aufhebung der frAheren Verfügungen Aber die Ankündigung von Geheimmitteln.
Gleichzeitig ist aber durch Verfügung von demselben Tage die öffentliche An¬
kündigung des Audiphon Bernard und der Voltamittel, die in dem
Verzeichnis des Bundesrats auffallender Weise nicht aufgefAhrt sind, von neuem
verboten; Württemberg ist somit der erste Bundesstaat, der Aber die Vor¬
schriften des Bundesrats hinausgegangen ist.
Mitteilung'.
Der heutigen Nummer der Zeitschrift ist der Bericht der zweiten
Hauptversammlung des Deutschen Medlzinalbeamten • Vereins als besondere
Beilage beigefAgt.
Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereins.
Im Auftr.: Dr. Bapmund, Vorsitzender,
Ref.- u. Geh. Med.-R*t In Minden.
Verantwortl. Redakteur: Dr. Bapmund, Reg.-u.Geh.Med.-Bat in Minden i. W.
J. C. 0. Brau, Henofl. Blieb. «. F, Seh.-L. Hofbnehdrackerel ln Minden.
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Mil M .) MHK^ir
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T)ampäßiisf, Bi-soheiiair
IMVÄ^iaw^ ß^ic%w#üüg'*i^r dej *g|£
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16. Jahrg.
Zeitschrift
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MEDIZINALBEAMTE.
Zentralblatt fiir gerichtlieh« Medizin nad Psychiatrie,
für arztliehe Sachrerstindigeiitatigkeit in Unfall- and InTiliditätesaehen, sowie
fir Hygiene, Sfentl Saaititswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Herausgegeben
▼OB
Dr. OTTO RAPMUND,
Regforanffl- and Geh. Madiilnalrat 1b Mlndtn.
Verlag von Fischer’s mediz. Buehhandlg., E Kornfeld,
Honogl. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler.
Berlin W. 35, Lützowstr. 10.
Inserate nehmen die YerUgthandlung sowie alle Annoncenexpeditionen des In-
nnd Aaslandes entgegen.
Nr. 24.
Kr»ehelat am 1. ud 15. Jedem Komata
15. Dezbr.
Strafbare Anpreisung eines Hsiiverfahrens.
Von Dr. jur. Biberfeld - Berlin.
Gegen den Angeklagten, der sich gewerbsmässig mit der
Kurpfuscherei befasst, wird eine strafbare Verfehlung gegen § 4 des
Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs auf Grund
folgenden Sachverhalts vorgebracht. Er hat Zeituugsankflndigungen
veröffentlicht, in denen er dem Pnbliknm seine „Spezialbe¬
handlung“ anempfiehlt nnd hieran folgenden Zusatz gefügt:
„Auswärts brieflich mit gleichem Erfolge.“ Schon die Straf¬
kammer des Landgerichts hatte die Verurteilung des Angeklagten
ansgesprochen, weü sie in dieser Ankündigung die Behauptung fand,
der Angeklagte verfüge über besondere Erfahrung und Kenntnisse,
vermöge deren er den Kranken eine Behandlung angedeihen zu
lassen vermöge, die diese von anderer Seite nicht erfahren
könnten. Besonders sei in der soeben im Wortlaute hervorgehobenen
Wendung jener Annonce die Znsichernng zn finden, dass die Heil¬
methode des Angeklagten regelmässig zum Erfolge führe, nnd dass
wiederum dieser Erfolg auch bei brieflicher Behandlnng ereicht
werden könne. Die Beweisaufnahme selbst aber hatte ergeben,
dass alles das, was der Angeklagte anf solche Weise in tatsäch¬
licher Beziehung sich nachgerühmt hatte, der Wirklichkeit nicht
entsprach. Die Revision behauptet nun, die Auslegung der in
Rede stehenden Ankündigungen dnrch den Vorderrichter sei eine
unzutreffende; ausserdem verlange das Gesetz, dass die wahrheits¬
widrigen Angaben tatsächlichen Inhalts den Anschein „eines be¬
sonders günstigen Angebots“ vorznrnfen geeignet seien, dass es
850 D r. Biberfeld: Strafbare Anpreisung eines Heil Verfahrens«
aber an diesem Momente hier gerade fehle. Angesichts dessen
nämlich, dass in dem Annoncenteile von Tageszeitungen so viele
approbierte Aerzte and Kurpfuscher ihre Dienste dem Publikum
anbieten, wobei jeder sich seiner Erfahrungen und seiner Erfolge
rühmt, kann man keiner einzelnen solchen Empfehlung nachsagen,
dass sie ein „besonders günstiges Angebot“ darstelle. Um diese
Eigenschaft zu besitzen, müsse noch viel mehr gesagt werden,
als er, der Angeklagte, tatsächlich gesagt habe; höchstens könne
man in seiner Annonce ein ebenso günstiges Angebot finden, wie
in den andern, aber keine über diese letztere hinausragende. In
beiden Beziehungen jedoch hat das Reichsgericht in seinem
Erkenntnisse vom 5. Januar 1908 (Aktenzeichen D. 5125/02 I)
den Revisionsangriff für verfehlt erachtet.
„Der Revision des Angeklagten war der Erfolg in versagen. Die An*
griffe in der Bevisionsbegrttndang richten sich vorsugsweise gegen die Aus¬
legung, welche der Richter der in Frage stehenden Annonce gegeben hat;
die Auslegung gehört aber dem dem Rechtsmittel der Revision verschlossenen
Gebiete der Beweiswttrdigung an und kann deshalb einer Nachprüfung ihrer
Richtigkeit durch das Revisionsgericht nicht untenogen werden. Im Wege
der Auslegung ist der Vorderrichter su der Feststellung gelangt: der Schluss-
sats: „Auswärts brieflich mit gleichem Erfolge“ enthalte das Versprechen nicht
nur eines Besserangs-, sondern eines Heilungserfolges, also die unwahre Behaup¬
tung, das Heilverfahren des Angeklagten gewährleiste auch bei brieflicher Be¬
handlung regelmässig einen BeBserungs- und Heilungserfolg, weiter aber auch die
unwahre Behauptung, dass er solche Erfolge und swar wirkliche, nicht bloss
Zufallserfolge in anderen Fällen schon gehabt habe. Weiter legt der Vorder¬
richter das Eingangswort: „Spezialbekandlung“ dahin ans, der Angeklagte
stelle sich damit wahrheitswidrig als „Spezialisten“ hin, als einen Hann, der
eine besondere Ausbildung und Erfahrung in der Behandlung dieser bestimmten
Krankeiten habe und deshalb Erfolg zu versprechen in der Lage sei. Wenn
der Vorderrichter auf Grund dieser Auslegung der Annonce su der Annahme
gelangte, der Angeklagte habe unwahre Angaben tatsächlicher Art gemacht,
so ist das nicht rechtsirrtümlich. Das Gesetz gestattet, wie die Motive (S. 10)
ersehen lassen, die lobende Beurteilung eigener Leistungen, selbst wenn sie
Uebertreibungeu enthalten, trifft die Reklame aber dann, wenn sie zur Vor¬
spiegelung unwahrer Tatsachen konkreter, ihrer Beschaffenheit nach beweis¬
barer Hergänge oder Zustände greift. Entsch. XXX, S. 411, Goldt, Archiv
XLVIII 860.) Den Gegensatz zu solchen Behauptungen tatsächlicher Natur
bilden rein gutaohtliche Aeusserungen, Angaben, auch übertreibende, die nur
in einer lobenden Beurteilung der Leistungen bestehen, mag auch das Urteil
objektiv nicht berechtigt sein. Geht die Anpreisung jedoch über die Fest¬
stellung einer rein persönlichen subjektiven Anschauung und Belobigung hinaus,
was insbesondere u. a. dann der Fall ist, wenn in demselben anf Geschehenes,
Vorhandenes ausdrücklich oder dem Sinne nach Bezug genommen wird, so liegt
hierin eine tatsächliche Behauptung (Bachem und Roeren, N. 2 zu g. 1 S.19;
3. Aufl.). Was speziell die Befähigung zu gewerblichen Leistungen von ge¬
wisser Beschaffenheit anlangt, so kann die unrichtige Behauptung soloher Fähig¬
keit insbesondere dann als im Sinne unrichtiger Angaben tatsächlicher Art
aufgestellt erachtet werden, wenn z. B. vorausgegangene Ausbildung, Besits
gewisser Mittel, Anwendung eines gewissen Verfahrens, der in anderen Fällen
erzielte Erfolg vorgespiegelt werden. Auch innere Tatsachen können ebenso
wie im Falle des § 268 St. G. B. in dieser Form unwahr behauptet werden,
so z. B. wenn durch das Erbieten zu Heildiensten der Anschein eines in Wirk¬
lichkeit nicht vorhandenen Glaubens an die eigene Fähigkeit des Täters oder
an den Erfolg Beiner Dienste hervorgerufen wird. Von den vorentwickelten
Grundsätzen ausgehend, erscheint die Annahme des Vorderrichters: „das in dem
Erfolgversprechen hier zugleich liegende Sichrühmen früherer Erfolge im Zu¬
sammenhänge mit der Beseiohnung, der Spezialist greife über die blosse Kund¬
gebung subjektiver Ansobauung auf das Gebiet tatsächlicher Behauptungen
Dr. Biberfeld: Grundsätze für die zeitweise Entziehung der Approbation. 861
hinttber“ nicht reehtsirrtttmlich. Dass die fragliohen Angaben objektiv unwahr
and geeignet waren, das Pnbliknm irrezofUhren, ist im angefochtenen Urteile
einwandsfrei festgestellt. Aach die Feststellung des subjektiven Tatbestandes
begegnet keinen Bedenken. Da es sich bei dem „besonders günstigen Angebot“
keineswegs nm ein besonders hohes Maas von Vorteilen handeln muss, das An«
gebot als ein besonders günstiges vielmehr auch schon dann anzusehen ist,
wenn es sich den Angeboten im allgemeinen gegenüber als günstiger darstellt,
konnte der Vorderrichter ohne Reohtsirrtnm in dem Sicherbieten an erfolg«
reioher brieflicher Behandlung, welche den Patienten den bei sog. diskreten
Leiden häufig beschämenden und unangenehmen persönlichen Verkehr mit dem
Arzte erspare, ein besonders günstiges Angebot erblicken. Ob der Anschein
ein falscher war, ist gleichgültig. Der Angeklagte hat nach den weiteren
Feststellungen des Vorderrichten in der Absicht gehandelt, den Anschein he«
sonders günstigen Angebots hervorzurufen, war sich der Unwahrheit seiner
Angaben bewusst und ebenso des Umstandes, dass seine öffentlich gemachten
Angaben nur Irreführung des Publikums geeignet seien. Mehr ist zur An¬
wendung des §. 4 auch in subjektiver Richtung nicht erforderlich.“
Grundsätze für die zeitweise Entziehung der Approbation.
Von Dr. jur. Biberfeld «Berlin.
Die Gewerbeordnung geht in §. 53, Abs. 1 von dem Stand¬
punkte aus, dass die Approbation, die einem Arzte erteilt wird,
grundsätzlich unentziehbar sein soll. Sie kann definitiv nur dann
von der Behörde zurückgenommen werden, wenn sich herausstellt,
dass die Nachweise, die zu ihrer Erteilung geführt haben, un¬
richtige waren, z. B. wenn dem Gesuche um die Approbation ge¬
fälschte Zeugnisse beigefügt gewesen wären und dergl. mehr.
Dieses ist jedoch der einzige Fall, in welchem ein Arzt der Appro¬
bation überhaupt definitiv verlustig gehen kann; das Gesetz kennt
nebenher nur die Möglichkeit eines zeitweiligen Verlustes dieser
staatlichen Anerkennung und Genehmigung; aber auch er ist wieder¬
um nur in einem einzigen Falle zulässig, nämlich, „wenn dem
Inhaber der Approbation die bürgerlichen Ehrenrechte aber¬
kannt sind“.
Um die Anwendung dieses Satzes handelte es sich in einem
sehr beachtenswerten Falle, den das preussische Oberverwaltungs¬
gericht durch Erkenntnis vom 20. Oktober 1902 erledigt hat.
Gegen den Angeklagten war von der Behörde das Verfahren auf
Entziehung der Approbation für die Dauer von fünf Jahren ein¬
geleitet worden, d. h. für solange, als ihm durch rechtskräftiges
Gerichtserkenntnis die bürgerlichen Ehrenrechte im Zusammen¬
hänge mit einer Verurteilung zu längerer Freiheitsstrafe aber¬
kannt worden waren. In diesem Erkenntnisse war festgestellt
worden, dass der Angeklagte unter dem Deckmantel der Approbation
die denkbar grösste Charlanterie getrieben, schablonenmässig, rein
nach dem Schema auswärtige Kranke, die er nie gesehen, behandelt
hatte, dass er ihnen Medikamente übersandte oder persönlich ver¬
abreichte, von denen er überzeugt sein musste, dass ihnen nicht
die mindeste Heilkraft innewohne, ja, dass er die Personen, die
bei ihm Hilfe suchten, von Angestellten, die keinerlei ent¬
sprechende Vorbildung besassen, behandeln und mit Medikamenten
versehen Hess. Auf Grund dessen ist er wegen Betruges nicht
nur mit längerer Freiheitsstrafe belegt worden, sondern es sind
ihm ancb die bürgerlichen Ehrenrechte für die Däner von fünf Jahren
aberkannt. Im Yerwaltnngsstreitverfahren behauptete der Ange¬
klagte non, dass jenes Gerichtserkenntnis zu Unrecht ergangen
sei, dass die tatsächlichen Feststellungen keine genügenden ge¬
wesen, und dass die rechtliche Beurteilung, die der Richter ihnen
habe angedeihen lassen, eine abwegige sei. Er beantragt deshalb,
dass der Verwaltungsrichter auch seinerseits selbständig in eine
Prüfung der Sachlage eintrete. Das Oberverwaltungsgericht hat
dies jedoch von vornherein rundweg abgelehnt und zwar mit
folgender Begründung:
„Der g. 53, Abs. 1 G. 0. setzt fttr die Zurücknahme der Approbation
lediglich die Tatsache der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte voraas.
Damit ist sam Ausdrucke gebracht, dass dem Verwaltungsriohter eine Prüfung
der Frage, ob diese Anerkennung su Recht oder zu Unrecht erfolgt sei, nicht
sustehe. Daher ist der Verwaltungsrichter an die tats&chlichen Feststellungen
des Strafurteils, auf Grund dessen die Aberkennung der Ehrenrechte stattge-
funden hat, gebunden.“
In dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts wird dann weiter
ausgeführt,
„dass, wenn durch eine rechtskräftige Entscheidung ein Angeklagter
der bürgerlichen Ehrenrechte für eine gewisse Zeit verlustig erklärt ist, der
Verwaltungsriohter die Tatsache, auf Grund deren dieser Ausspruch erfolgte,
ohne Weiteres als wahr hinznnehmen hat. Hat daher der Strafrichter fest-
gestellt, dass ein Arzt sich in der bezeichneten Weise strafwürdig gemacht
habe, weil er diese oder jene Handlung begangen habe, so steht es dem Ver¬
waltungsrichter nur noch frei, su prüfen, ob dieses Verhalten vereinbar sei mit
der Ausübung der ärztlichen Praxis oder nicht. Hier kann nun die Antwort
auf eine solche Frage durchaus nicht zweifelhaft sein; denn gerade in Aus¬
übung seines Berufes hat sich der Angeklagte die schweren Verfehlungen zu¬
schulden kommen lassen, deretwegen er verurteilt worden ist. Es muss daher
wegen Unwürdigkeit des Angeklagten in mehrfacher Beziehung geboten er¬
scheinen, auf die vom Gesetze gestattete Dauer die Approbation als Arzt
zurückzunehmen.“
Die höchste Instanz hat sich dabei zugleich zn dem Grund¬
sätze bekannt, dass die Entziehung der Approbation im Falle der
Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte die Regel bilden muss,
so dass nur ausnahmsweise dem Verurteilten für die Zeit während
welcher jene Nebenstrafe wirkt, die Ausübung seines Berufes als
Arzt gestattet werden darf.
Induziertes Irresein.
Von Kreisarzt Dr. Feige in Hoyerswerda.
A. P. in H., zur Zeit 28 Jahre alt, ist in D. als Tochter
eines Tischlermeisters geboren. Ihr Vater war Trinker und hat
sich erhängt; die Mutter starb eines natürlichen Todes. Von den
Verwandten soll ein Bruder des Vaters ein Sonderling gewesen
sein. Auch der Grossvater väterlicherseits hat zeitweise stark
getrunken und ist in diesem Zustande ertrunken.
Im Alter von 8 Jahren zog sie mit den Eltern nach H.; ein
Jahr darauf erhängte sich der Vater. A. P. blieb bei der Stief¬
mutter, bis diese starb; im Alter von 16 Jahren kam sie zu einer
Induzierte« Irreeein.
858
Tante nach E., wo sie 6 Jahre blieb. Daranf zogen beide, als
der Mann der Tante, der Bruder des Vaters von A. P., starb,
nach H., wo sie eine Kleinkinderschule gründeten. Im Alter von
24 Jahren ging A. P. nach Dresden, nm Zeichnen zu lernen, blieb
dort aber nur ein Vierteljahr; dann ging sie in das Sanatorium
von Dr. F. in M., nm die Krankenpflege zu lernen, doch gab sie
auch dies nach 6 Monaten auf. Seitdem lebte sie ununter¬
brochen in H.
Schon vor mehreren Jahren wurde davon gesprochen, dass
A. P. an einen hiesigen unverheirateten Herrn Liebesbriefe ge¬
schrieben habe, die dieser in keiner Weise veranlasst oder beachtet
hatte, doch gab niemand etwas auf dies Gerücht. Da wurde ich
Anfang April d. J. von der Polizei aufgefordert, die A. P. zwecks
Aufnahme in eine Anstalt auf ihren Geisteszustand zu untersuchen,
da sie an Verfolgungswahn erkrankt zu sein scheine.
Bei der Unterraiäang erzählte eie, im 9. Jahre ihres Lebens sei ihr
Vater, ein Tischlermeister, den sie „Stiefvater* nennt, ebenso wie ihre richtige
Matter „Stiefmutter*, gestorben. Man habe ihr gesagt, er habe sich erhängt,
doeh habe man ihr ein 10 cm langes dünnes Ftdchen als Brhängnngsstrick
geneigt. Da dies nerreissen musste, wenn sich ihr „Stiefvater daran anfge-
hlngt hätte, so glanbt sie nicht, dass er sich erhängt habe; es hätten ihm viel¬
mehr böse Menschen nachgestellt and ihn umgebraoht. Als sie gann klein war,
sei sie bereits einmal sersägt worden, anoh sei ein Mann mit einem langen
Messer na ihr gekommen, als sie im Bette lag; weiter wisse eie davon nichts.
In ihrer Jagend sei sie viel bei Graf A. in Mnskan gewesen (Wahn); es gäbe
xwei Moskaus, eins liege in Bassland, wo sie in ihrer frühesten Jagend ge¬
wesen sei (Wahn), da ihre Grossmntter die erste Königin von Polen sei.
Deren Sohn sei als Papst nach Rom berufen worden. Blue Tante, die de
immer „Tante Jäniehen“ genannt habe, sei Königin von Rumänien usw. usw.
(Za beachten ist hier die Bntstehang des Wahngebildes aus der Wortähnlich¬
keit.) Bin Mann, den sie für ihren Vater hält, sei einst in B. (Wohnsits ihres
Onkels) so ihrem Onkel gekommen, habe mit diesem gesprochen and ihr einen
goldenen Ring gegeben, den sie noch trägt. Diesem Mann seien vom Kaiser
99 Güter zngesprochen worden. Ob ihre „Stiefmutter noch lebe, wisse de
nicht; sie habe sie einmal in Chemnits wiedergesehen. Als de einst in D. an
ihrer Ausbildung im Marthaheim gowesen sei, habe eine Frau, die wahrscheinlich
ihre Mutter war, aus dem Königlichen Schloss sum Fenster herausgesehen und
sie nach ihrem Namen gefragt; de wisse nicht mehr, ob diese Frau oder de
selbst nmgefallen sei, jedenfalls sei sie selbst weggebraeht worden.
Diese Sachen erzählt sie an zwei verschiedenen Tagen ganz
gleichmässig; sie hat sich demnach ein völlig feststehendes Wahn¬
gebilde aufgebaut. Bei ihren Erzählungen kommt sie vom Hun¬
dertsten ins Tausendste, sie bleibt nie bei der Sache. Eingehender
über einen bestimmten Gegenstand befragt, erklärt sie, sie wisse
das nicht genau. Sic hat keinerlei Krankheitsbewusstsein, wun¬
dert sich auch nicht über ihre Umgebung (Zelle im Kreiskranken¬
haus). In der Nacht lärmt und singt sie. Alle ihre Erzählungen
trägt sie mit der ernsteten Miene vor. In den letzten Tagen vor
der Aufnahme in das Kreiskrankenhaus fürchtete sie sich, nach
Hause zu gehen, da ihr überall Männer auflauerten.
Um Genaueres über den Fall zu hören, besuchte ich am
nächsten Tage die Tante der A. P., mit der diese seit 7 Jahren
zusammen gelebt hatte. Beide Frauen waren wenig ausgegangen,
lebten sehr zurückgezogen und hatten wenig Verkehr. Die Tante,
die nur die Frau des Onkels, also keine Blutsverwandte der A. P.
854
Dr. Feige: Iuiuziertos Irresein.
ist, erzählte bereitwilligst folgendes, indem sie mit keinem Wort
ihrer Verwondernng über die Unterbringung ihrer Nichte im
Kr&nkenh&use Ausdruck gab :
Sie sei 1849 geboren; ihr H&nn, ein Buchdrucker, sei vor 7 Jahren an
Harnverhaltung gestorben. A. P. sei, wie sie bis vor kursem geglaubt habe,
die eheliche Tochter ihres Schwagers gewesen. Ihr Schwager sei ermordet
worden, man habe ihn swar angeblich im Walde erhSngt aufgefunden, doch
habe man als Erhängungawerkzeng ein dflnnes F&dcben gezeigt, nnd das sei
doch nicht möglich, da daB Fädchen hätte zerreissen müssen. Gleichzeitig mit
dem Tode des Schwagers habe man ein Messer gefunden, doch wisse sie nicht,
ob im Walde neben der Leiche, oder in seiner Wohnnng. A. P. sollte als
Kind von 9 Jahren einmal ermordet werden, der Mörder habe sich über sie
gebeugt mit einem grossen Messer in der Hand. Bs hätte zwar geheissen,
das wäre ihr Vater gewesen, aber das wäre bestimmt nioht wahr. Auf diese
Anschuldigung sei der Vater von A. P. im Kopfe wirr geworden, doch sei da*
bei mit Spiritismus gearbeitet worden, um ihn unschädlich zu machen. Sie
kann nioht sagen, wie der Vorgang sei, aber etwas sei nicht in Btchtigkeit.
Ihr Schwager habe kurz vor seinem Tode Geld für seine Tochter zur Erziehung
erwartet; dies sei nioht angekommen und scheine gestohlen worden zu sein.
Ihre Nichte sei schon von Kind an betrogen worden; in D. sei ihr als Kind
einst eine Kommode weggekommen, die eine grosse Bolle spiele, da sich darin
Wäsche mit den Zeichen ihrer hohen Geburt befunden nabe. Unbekannte
hätten aus der Kommode etwas — was, wisse sie nioht — ins Feuer geworfen
und zerrissen. Dass einst in B. zu ihrem Mann ein Unbekannter, der der
Vater von A. P. sein solle, gekommen sei, habe sie erst später erfahren. Dieser
Unbekannte habe ibre Nichte mitnehmen wollen, um sie in ein Pensionat zu
bringen. Sie habe daB später erst nach und nach von ihrer Nichte erfahren,
ihr Mann habe ihr, wie erwähnt, damals nichts davon gesagt. Nur einmal
habe er sie gefragt: „Was sagst Du, wenn A. plötzlich fortkommen würde?*
In D. habe ihre Nichte */ 4 J&hr lang das Zeichnen gelernt, doch sei es ihr
schlecht bekommen, sie habe über die Augen geklagt; sie sei ein freies Genie
und habe sich in D. nicht in Kleinigkeiten einzwängen lassen wollen. 8ie selbst
sei auch in letzter Zeit ganz verwirrt im Kopf, es sei ihr alles so verdreht
Seit einiger Zeit gehe etwas mit Aengstlichkeit hier herum: so habe
sie eine Schlange gebissen, sie sei gezwickt worden und dergleichen. Was das
nur sein könne? Böse Gedanken habe sie nie gehabt, auch könnten es doch
diese allein nicht sein. Mit einem Male sei allerlei Schreckhaftes mit ihrer
Nichte vorgekommen, das hänge auch mit Spiritismus zusammen, mit dem
die Menschen Unfug trieben. Das sei ihr schon zum zweiten Male so passiert,
vor einigen Jahren sei es grade so wie jetzt gewesen. Vor einigen Tagen
habe ihre Nichte abends beim Lesen plötzlich anfgessehrien: „Komm raus,
nimm das Geld mit.* Bs sei der Schein von einem Totengerippe mit der
Laterne in der Hand plötzlich erschienen, dies war schon das zweite Mal.
Darauf sei sie mit ihrer Nichte zum Fenster herausgesprnngen und sei nach
dem Bathaus gegangen. Dort sei der Nachtwächter mit einer Laterne ge*
kommen, und da habe sich zum zweiten Male das Totengerippe gezeigt. Seit¬
dem sei überall ein Geklopfe und „Gemache*, es sei fortwährend etwas los,
was sie in Unruhe erhalte. In ihrer Jngend sollte auch sie selbst einmal nur
Königin Olga von Württemberg, die ja eine Bussin sei (!), gebracht werden,
die damals ein Kind gesucht habe; Genaueres wisse sie darüber nicht.
Es sind also hier zwei Frauen vorhanden, die seit 7 Jahren
fast ganz abgeschlossen von der Welt leben und fast ausschliess¬
lich aufeinander angewiesen sind. Die jüngere, die von einem
Trinker abstammt, erkrankt allmählich — denn der Anfang geht
viele Jahre zurück — mit Verfolgungs* und Grössenideen, die sich
zu einem festen Wahngebilde vervollständigen. Bei dem engen
Verkehr der beiden Frauen nimmt schliesslich die ältere die
Hirngespinste der jüngeren, die ihr fortwährend vorgetragen
werden, an und macht sie zu den ihrigen; denn sie gibt selbst
Dr. Ohlemann: Ueber Intoxikationsamblyopien ubw. 855
zu, dass sie all die Erzählungen nur von ihrer Nichte gehört habe.
Trotz der Abenteuerlichkeit dieser Erzählungen, in die sich auch
viel greifbar Unwahres mischt, wie der Aufenthalt bei Graf A.,
der Aufenthalt in Russland u. s. w. — dies erklärte Frau P. selbst
als „Phantasien“ ihrer Nichte — hält sie dieselben doch für wahr
und ist fest von der Richtigkeit derselben überzeugt. Ja, sie
macht die Ideen ihrer Nichte schliesslich so sehr zu ihren eigenen,
dass auch bei ihr selbst Grössenideen auftauchen, wie die Er¬
zählung von der Königin Olga beweist.
Die Form der Erkrankung ist bei A. P. als chronische Pa¬
ranoia zu bezeichnen, bei der eine Besserung oder Heilung
wohl nicht zu erwarten steht. Wie sich die Erkrankung
bei der Tante entwickeln wird, bleibt abzuwarten; möglicherweise
kehrt ihr Geist durch die Entfernung von ihrer Nichte zur Norm
zurück, doch ist bei der festen Einwurzelung der Wahngebilde
wenig Wahrscheinlichkeit hierfür vorhanden.
lieber Intoxikationsamblyopien von sanitätspolizeilichem
Standpunkte.
Von San.-Bat Dr. Ohlemann in Wiesbaden.
Durch die Entwickelung der Industrien im allgemeinen, der
chemischen Industrie im besonderen und daran anschliessend der
modernen Therapie hat das Gebiet der Intoxikationsamblyopien
eine solche Erweiterung erfahren, dass es für den beamteten Arzt
kaum noch zu übersehen ist, wenn er die Fachliteratur zu Rate
ziehen will. Da aber gerade vom beamteten Arzte womöglich
noch mehr verlangt wird als vom Spezialisten, nämlich die erste
Diagnose und Prognose, und bekanntlich nichts so schwierig ist
als eine Frühdiagnose, so dürfte es angemessen sein, die Fort¬
schritte auch auf diesem Gebiete in der Literatur der Neuzeit zu
verfolgen. Wie sehr dieselbe angewachsen ist, das ersieht man
aus den Bearbeitungen von Eversbusch 1 ) und Uhthoff*), so¬
wie aus einer grossen Reihe ausländischer Arbeiten auf diesem
Gebiete; kaum ist ein Werk abgeschlossen, so finden sich schon
wieder neue Gesichtspunkte.
Pathogenese. Fasst man kurz zusammen, was die Hand¬
bücher über die Intoxikationsamblyopien sagen, so finden wir in
erster Linie und nur kurz genannt die Tabak-Alkohol-Amblyopie,
dann die Blei- und Chinin - Amblyopien, denen sich die durch Filix
mas anschliessen. Seltener sind die durch grosse Dosen Salizyl¬
säure, durch Karbolsäure, durch Schwefelkohlenstoff bei der Vulkani¬
sation des Gummi bedingten Amblyopien. Weit artenreicher sind
die Amblyopien in der chemischen Industrie und infolge von Medika¬
menten. Hierher gehören die Störungen des Sehvermögens durch
Osmium- und Cyanwasserstoffdämpfe, — auf letztere werde ich
später beim Furfurol zurückkommen —, dann durch grosse Dosen von
‘) Handbuch der Therapie von Pensoldt & Stintsing; Jena 1895.
*) Graefe & Saemiaeh; Leipzig 1901.
866
Dt. Ohlemann.
Antipyrin, Azetanilid, Arsen, Bromkalium, Koffein, Ergotin, Kreosot,
Naphthole, selbst Natrium salicylicum, Opium, Eserin, Pilokarpin,
Secale cornutum, Strychnin, Sulfonal, Trional, Petronal, Urethan.
Durch Hydrazethinsalbe wurden selbst Netzhautblutungen be¬
obachtet. Dann sind zu nennen: Silber, Quecksilber, Chlor¬
schwefel; von pflanzlichen Stoffen: der Gebrauch von Strammonium-
blfttter bei Asthma, Haschisch, exzessives Teetrinken; endlich
Organpräparate wie Thyreoidin.
Die verschiedenen Arten der Bleiintoxikation mögen hier
als bekannt übergangen werden. Weniger gekannt sind indess
die Sehstörungen bei der Anilin- und Nitrobenzol- (künstliches
Bittermandelöl) Intoxikation und bei der Roburitfabrikation. Eine
weitere sehr wichtige Gruppe von Amblyopien ist die der Intoxi¬
kation durch Toxalbumine und Ptomaine. Dahin gehören die Fälle
von SehstörQngen — meist auch noch verbunden und daran
kenntlich mit Mydriasis — durch verdorbene Nahrungsmittel, so
durch Wurst und Käse, durch Pilze, Fische, Fleisch, Miess¬
muscheln, Pasteten u. a., die daher auch meist akuter Natur sind.
In neuerer Zeit sind im Auslande vielfach auch Amblyopien
und selbst völlige Erblindung durch Methylalkohol, Holzgeist,
beobachtet worden, nicht allein durch Trinken, sondern auch bei
seinem Gebrauche im Malergewerbe durch Verdunsten.
Für Deutschland hat diese Wahrnehmung noch kein aktuelles
Interesse, da der Methylalkohol noch zu teuer ist. Sollte die
Industrie des Auslandes jedoch den Holzgeist massenhafter pro¬
duzieren und exportieren, so könnte er derart billig werden, dass
sich sein Gebrauch im Gewerbebetriebe, namentlich bei der Be¬
reitung von Farbe mit Schellak zum Lackieren, lohnte, und dann
könnten allerdings auch bei uns Methylalkohol-Amblyopien Vor¬
kommen. Derselbe ist auch unter dem Namen Columbia Spirits
in Nordamerika im Handel.
Uhthoff 1 ) unterscheidet im allgemeinen alle die genannten
Arten von Amblyopien als exogene Intoxikationen im Gegensatz
zu den sog. Autointoxikationen durch innere Erkrankungen und
gruppierte sie nach folgenden Gesichtspunkten: Die erste Gruppe
umfasst die Fälle von Intoxikations - Amblyopien, die den Charakter
tragen der retrobulbaeren Neuritis mit zentralem Skotom und
intaktem periphereren Gesichtsfeld. Der Krankheits¬
verlauf bleibt meist partiell und beschränkt sich auf einzelne
Nervenbündel namentlich der papillo-makularen Region. Die
atrophische Verfärbung bleibt begrenzt auf die temporale Hälfte.
Veränderungen pathologischer Art an den Gefässen der Netzhaut
sind selten, auch perineuritische Veränderungen fehlen.
Zu dieser Gruppe gehören die Tabak -Alkohol- Intoxikationen,
dann die durch Schwefelkohlenstoff, Arsen, Jodoform, Strammonium,
Haschisch, ferner als Autointoxikation Diabetus mellitus.
Die zweite Gruppe von Intoxikationen enthält die Chinin-Am¬
blyopien und Amaurosen, die durch Salizylsäure, Filix mas, Granat-
’) XIII. Internationaler Kongreaa der Hedinin an Paria 1900.
Uebor Iatoxikatioasamblyopien tob sanitltepolizeiUehem Standpunkt. 867
wnrzel. Die pathologisch > anatomischen Veränderungen bestehen
in Verengerung der Blutgefässe, Veränderungen in den Gefäes-
wandungen, in Ischaemie und nachfolgender Nekrose im Kapillar¬
gebiet, sowie in toxischer Wirkung aut die Nervensubstanz selbst.
Das Gesichtsfeld zeigt sich hier verengt.
Die dritte Gruppe, die Bleiintoxikation, nimmt einen mittleren
Platz ein. Man findet am Opticus entzündliche Erscheinungen
und auch an den Gefässen.
Zur vierten Gruppe gehören die Intoxikations-Amblyopien
durch Anilin, Nitrobenzol, künstliches Bittermandelöl und Schlangen¬
gift. Sie sind nicht typisch und noch nicht genügend studiert.
Als fünfte Gruppe kann man nennen: Autointoxikationen in¬
folge ungenügender Elimination von Krankheitsprodukten bei ge¬
wissen Erkrankungen, wie bei der Addisonschen Krankheit, bei
Erkrankungen der Schilddrüse. Auch diese beiden Gruppen zeigen
ebenso wie bei Infektionskrankheiten mit Amblyopie wie Influenza,
Rheumatismus, Syphilis ein gemischtes Krankheitsbild mit Bezug
auf das Gesichtsfeld. Bei allen Gruppen besteht mehr oder
weniger das Bild der Sehnervenatrophie, doch lässt sich aus dem
pathologisch-anatomischen Befunde allein nicht die Diagnose her¬
leiten. Man kann nicht sagen, dass toxische Amblyopie überall
primär in Form von Entartung der Ganglienzellen der Netzhaut
mit aufsteigender Atrophie der Opticusfasem verläuft.
Experimentell ist auf diesem Gebiete sehr viel gearbeitet,
speziell über Chinin - Erblindung von B i r c h - Hirschfeld, Holden,
Drualt 1 ), die diesen Hergang der Degeneration der Ganglien¬
zellen der Netzhaut und der Opticusfasem sekundär nachwiesen,
doch ist hier nicht der Ort, auf die mikroskopischen Verhältnisse
weiter einzugehen.
In letzter Zeit hat man ausser diesen Gruppen noch In¬
toxikations-Amblyopien anderer Art beobachtet; so berichtete
Br ose*) über Sehstörungen infolge von Dynamitdämpfen; ophthal¬
moskopisch fanden sich blasser Opticus, verengte Arterien, erweiterte
Venen. Hay 8 ) fand, dass Dinitrobenzol (wird mutmasslich Ni¬
trobenzol, künstliches Bittermandelöl sein) durch die Haut der
Arbeiter resorbiert wurde, Dunbar Roy 4 ), dass schweflige Säure,
in geringem Masse der Luft beigemengt, Neuroretinitis verursachen
könne; dasselbe fanden andere bei Nitroglyzeringasen.
Den toxischen Einfluss des Leuchtgases auf das Sehvermögen
hat Purtscher 8 ) untersucht. Als Symptome fand er äussere
partielle Ophthalmoplegie; denn neben Mydriasis kam auch Miosis
vor, vielleicht noch im Stadium der Reizung, herabgesetztes zen¬
trales Sehen, Verengerung der Netzhautarterien und temporale
weissüche Verfärbung des Opticus, ausserdem in anderen Fällen
laterale Hemianopsie. Dasselbe berichtet Friedenwald.
*) Reoherchea anr la Pathogenie de L’Amaurose Qoinine; Pari« 1900.
*) Archive! of Oftalmology 1899.
*) The Lanoet: 81. Anglist 1901.
4 ) The Ophthalmio Record; 1902, pag. 214.
*) Zentnublatt fttr prakt. Augenheilkunde; Angast 1900.
868
Dr. Oklemaon.
Jodoform-Amblyopie mit retrobnlbaerer Neuritis und zen-
tr&lem Skotom nach Behandlung ausgedehnter Brandwunden mit
Jodoform sah Brose 1 ) und de Vries*) nach Injektion von 49,0 gr
Jodoform in einem Zeitraum von 4 Monaten bei Spondylitis
tuberculosa.
Ueber Amblyopie nach exzessivem Teetrinken berichtete 1900
Wallace Henry*) in London.
Differenzialdiagnose. Die Diagnose auf diesem Gebiete
ist mitunter eine schwierige. Ausser den Recherchen nach einer
äusseren Ursache hat man auch an die Allgemeinerkrankungen zu
denken, in deren Verlaufe Amblyopien aufzutreten pflegen; dann
kommen in Betracht die eigentlichen Augenerkrankungen und in
letzter Linie auch noch Simulation und Aggravation.
Auch von diesem Standpunkte würde es von Nutzen für den
Begutachter sein, das ganze Gebiet der Amblyopien genau zu
kennen; denn nichts führt besonders in der Unfallpraxis so leicht
zu einer Annahme von Simulation als der Mangel einer genauen
Diagnose.
Es ist zu erinnern und hervorzuheben, dass bei Herz- und
Nierenerkrankungen Amblyopien Vorkommen, selbstverstftndlich bei
Erkrankungen des Gehirns, wie progressive Paralyse, dann bei
Tabes, bei denen aber zentrale Skotome und Gesichtsfeldeinen¬
gungen fehlen, ferner auch bei allgemeinen Störungen des Nerven¬
systems, wie bei Hysterie, chronischer Anämie, Krankheiten der
Genitalorgane bei Frauen, nach Trauma, Blitzschlag, der aller¬
dings auch ein Trauma ist, besonders aber nach grösseren Blut¬
verlusten.
Bei den Infektionskrankheiten sind Scharlach und Syphilis
die häufigste Ursache; hier ist die Schwachsichtigkeit infolge von
Neuritis häufig einseitig. Weiter kann Amblyopie, namentlich die
einseitige, auch angeboren sein; solche Fälle von Amblyopie und
auch sogenannte Amblyopien aus Nichtgebrauch sind leicht an
begleitenden Abnormitäten erkenntlich, wie Schielen, Iris-Kolo¬
bomen, Nystagmus. Endlich wurde über ganz vereinzelte Fälle
von Amblyopie reflektorischer Art berichtet: vom Nervus supra-
orbitalis aus, den Zahnnerven, bei Helminthiasis, bei Kontusionen
der Nachbarschaft des Auges.
Die Prognose ist, abgesehen von Extensität und Intensität
der Intoxikation, von der Pathogenese abhängig. So gilt die Pro¬
gnose bei der Tabak-Alkoholamblyopie nicht für absolut schlecht,
namentlich wenn die Ursache beseitigt werden kann. Dagegen
sehr schlecht ist die Prognose bei der Methylalkohol-Amblyopie.
Ebenfalls als ungünstig gilt die Prognose bei Amblyopien nach
längerem Gebrauch der Thyreodinpräparate. Coppez in Brüssel
machte darauf aufmerksam, weil das Mittel häufig gegen Fett¬
leibigkeit gebraucht wird. Diese Amblyopie verläuft unter dem
‘) Arohivea of Ophthalmology; 1900.
*) Archirei d’ Ophthalmokgta; 1901, S. 66.
*) Ophthalmie Barlaw; 1900.
üeber Intoxikationsanabiyopien vom sanitätspolUeilichem Standpunkte. 869
Bilde der retrobulbären Neuritis. Die Erkrankten zeigten das Bild
der Tabak-Alkohol-Amblyopie und zentrales Skotom. Dieser Zu¬
sammenhang ist leicht möglich, da das Mittel oft ohne ärztliche
Kontrolle genommen wird.
Tabak-Alkohol-Amblyopie.
Die Tabak-Alkohol-Amblyopie bedarf ausführlicherer Er¬
wähnung, allein schon deshalb, weil ihre Trennung auf Schwierig¬
keit beruht. Es gibt wohl charakterisierte isolierte Alkohol-Am¬
blyopien, ebenso auch Tabak-Amblyopien, meist jedoch sind beide
Ursachen gleichzeitig vorhanden. Selten treten sie vor dem
35. Lebensjahre auf. Nach einer Statistik von Adler 1 ) waren
unter 100 Kranken der Art nur 4, die nicht rauchten, in 12°/o
der Fälle rauchten die Patienten, tranken aber nicht. Ueber die
Art der Getränke fand sich keine Angabe. Der Lebensstellung
nach waren die meisten Patienten Wirte, Hoteliers und deren
Bedienstete, dann kamen Maurer, Fuhrleute und einige wenige
andere. Uhthoff*) fand unter 827 Fällen von Amblyopie dieser
Art 41 reine Tabakintoxikationen, der Best von 286 Fällen waren
zur Hälfte reine Alkoholiker und beide gemischte. Es steht aber
das eine fest, dass Amblyopien häufiger Vorkommen bei nicht
reinen Getränken. Dieser Umstand führte zu Untersuchungen über
die Art der unreinen Beimischungen der Getränke. Naturgemäss
fiel der Verdacht auf den Fuselgehalt und damit auf die einzelnen
Bestandteile der Fuselöle der einzelnen Getränke. Windisch # )
fand in einem Kilo Kartoffelfuselöl 588,8 Amylalkohol, 208,5 Iso-
butylalkohol, 58,1 Propylalkohol, 116,0 Wasser, geringe Mengen
Fettsäuren und 0,04 Furfurol, ferner in einem Kilo Kornfaselöl
798,5 Amylalkohol, 157 Isobutylalkohol, 39,9 Propylalkohol, ge¬
ringe Mengen Fettsäuren und 0,2 Furfurol mit Heptylalkohol.
Seil 4 ) gibt nach einer Analyse von Morin an in 100 Liter
Kognak: 508,0 Aethylalkohol, 190 Amylalkohol, 27,0 Pro¬
pylalkohol und 2,19 g Furfurol. Es stellte sich ferner heraus,
dass in den schlechteren Kognaksorten der grössere Prozentsatz
Furfurol sich fand, dass es in den besseren Sorten mit der
Zeit verschwand und denselben daher zur Verbesserung des Aro¬
mas sogar Furfurol wieder zugesetzt wurde. Furfurol gibt näm¬
lich dem Kognak das Aroma; es gleicht darin dem Nikotin,
das ebenfalls nicht blos Alkaloid ist, sondern auch die flüchtigen
Bestandteile enthält, die dem Tabak das Aroma verleihen. Aber
auch die toxische Eigenschaft teilt es mit dem Nikotin, wenn auch
nicht in dem Masse. Furfurol (Furol, Furanaldehyd, Fukusol,
Methylfurol) ist ein Zersetzungsprodukt der Eiweisskörper, zuerst
. dargestellt aus der Destillation der Kleie, aus Seetang und aus
Pentosen (Zuckerkörpern) mit verdünnter Schwefelsäure; es ist eine
farblose, aromatische in der Luft leicht bräunende, flüchtige Flüssig-
*) Wiener med. Wochenschrift; 1898, 48.
*) XIL internationaler Kongress in Paris; 1900.
*) Arbeiten ans dem Kaiseniohen Gesnndheitsamte; 1898. VIII. Bd.
*) Ebenda: Ueber Bnm, Kognak and Arak; 1890, VI. Ba.
860
Dr. Ohlemann.
keit von bittermandelartigem Geruch. Rudolf Cohn 1 ) in Königs¬
berg fand nun, dass 0,1 Furfurol Fröschen injiziert, schon nach
kurzer Zeit vollständige motorische Lähmung herbeiführte, 0,2
Kaninchen injiziert, Krämpfe und Lähmung; wiederholte Injektionen
führten zu tätlichem Ausgang; grössere Hunde vertrugen freilich
noch 6—9 g. Das Auftreten von Zucker im Harn nach den
Furfurolinjektionen, die elektrische Reizbarkeit der Muskeln nach
dem Tode der Versuchstiere führten Cohn zu der Ansicht, dass
das Furfurol auf die Ganglienzellen des Bodens der 4. Hirnhöhle
einwirkt. Es ist dies aber auch die Nähe des Thalamus opticus.
Da nun in den schlechteren Sorten Kognak der grösste Gehalt an
Furfurol vorhanden ist, so sprach Verfasser 8 ) den Gedanken aus,
dass bei jahrelangem Genuss von solchem Kognak schliesslich ein
toxischer Einfluss auf das Zentrum des Sehorgans stattfinden
könne. Läge die Ursache am Aethylalkohol, dann müsste die
Alkohol-Amblyopie häufiger sein. In der Praxis ist auf diesen
Punkt bis jetzt noch wenig geachtet worden, jedenfalls beBteht
ein Missverhältnis zwischen der Zahl der vorkommenden Fälle
von Delirium tremens und den Alkohol-Amblyopieen.
Furfurol hat insofern etwas Aehnlichkeit mit dem Nikotin,
als es den aromatischen Bestandteil im Genussmittel ausmacht.
Seine aromatischen Stoffe sind noch nicht völlig bekannt,
ihnen schreibt man aber auch toxische Eigenschaften zu. So
wirkt z. B. ein alter Rheinwein mit etwas geringerem Alkohol¬
gehalt intensiver, er geht mehr ins Blut, ist feuriger, hinterlässt
schwerere Nachwirkungen als ein jüngerer Rheinwein derselben
Sorte trotz etwas höherem Alkoholgehalt. Aehnlich liegt es beim
Tabak. Obwohl Pfälzer Tabak etwas mehr Nikotin enthält als
Kubatabak, wirkt dieser doch intensiver. Die Ursache liegt
darin, dass er mehr aromatische Bestandteile enthält, die an das
Nikotin gebunden sind 8 ). Auch kann Furfurol noch zur Blausäure¬
gruppe gerechnet werden, und es ist bekannt, wie gross allein
schon der Unterschied zwischen der Toxicität der wasserhaltigen
und wasserfreien Blausäure ist; ebenso teilt Furfurol mit der Blau¬
säure die Eigenschaft der Flüchtigkeit. Alles dies sind Gründe,
den Kognakkonsum und das Furfurol etwas mehr zu beachten,
zumal das Liter Kognak schon zu dem Preise von weniger als
1 Mark verkauft wird. Dazu kommt, dass die billigeren Kognak¬
sorten nur von dem ärmeren Teile der Bevölkerung konsumiert
’) Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie; Leipsig 1898.
*) Wochenschrift für Therapie and Hygiene dea Auges; 1902.
•) Es dürfte die Tatsache auch von Interesse sein, dass selbst der Zi¬
garrenrauch Blaushure enthllt. Nach Habermanns Untersuchungen stellte
sieh heraus, dass im Zigarrenrauch in der Hegel nachweisbare Spuren von
flüchtigen Cyan-Verbindungen, wie Cyan* Ammonium vorhanden sind, undswar
soll die Menge von 0,0098 Blausäure im Bauche von 100 gr. d. h. ea. 20—25 Zi¬
garren nachsuweisen sein. Die Quelle der Blausäure ist nicht das Nikotin,
wie schon früher angegeben, sondern es sind organische Stickstoffverbindusgea
anderer Art, Abkömmlinge von Biweisskürpern. (Zeitschrift für physiologische
Chemie, Band 87, Heft 1; Berliner Klinische Wochenschrift Nr. 15, 1908.)
Üeber Intoxikationaambljropiea toa «aaitttspoliaeiliohem Stu^ttkto. 861
werden, dieser aber erfahr ungsgemäss das grossere Kontingent an
Alkohol-Amblyopie liefert.
Die Prüfung auf Forfhrol ist sehr leicht zn bewerkstelligen,
nach Lehmann 1 ) qualitativ dadurch, dass über dem erhitzten
Destillationsrückstand eines Branntweins ein mit Anilinsulfat ge¬
tränktes Filtrierpapierstreifchen rot gefärbt wird.
Die weiteren Prüfungen auf Furfurol finden sich in Nr. 9
der Wochenschrift für Therapie und Hygiene des Auges, 1902,
zusammengestellt.
Die Methylalkohol-Amblyopie ist bis jetzt nur in
Nordamerika beobachtet, meist infolge Genusses scharfer alkoholi¬
scher Getränke, wie Jamaica Ginger oder Essence of peppermint
oder Bay-Rum, aber auch durch Verdunstung im Malergewerbe.
Die Amblyopie entwickelt sich rascher als beim Aethylalkohol
und ist dauernd, v. Schweinitz 3 ) berichtet über folgenden
Fall: Ein Maler hatte den im Handel eingeführten Columbiaspiritus,
der etwa 95 °/ 0 Methylalkohol enthält, ähnlich wie Terpentin zum
Anstreichen unter Zusatz von Schellack benutzt. Nach einiger
Zeit stellte sich plötzlich Erblindung ein, die anfangs zwar wieder
zurückging, später jedoch dauernd wurde. Als Vorboten waren
Nebelsehen abends beim Aufhören mit der Arbeit aufgetreten und
Verdunkelungen im Gesichtsfelde. Unter Berücksichtigung aller
begleitenden Umstände war an einem kausalen Zusammenhang
nicht zu zweifeln.
Amblyopien durch den Genuss methylalkoholischer Getränke
sind schon sehr häufig beobachtet. Die infolgedessen von Rymo-
witsch in St. Petersburg, Birch-Hirschfeld 8 ) in Leipzig,
Hilden 4 ) u. a. angestellten Untersuchungen mit Kontroltieren
ergaben fettige Degeneration der Ganglienzellen, Hypertrophie
von Nervenfibrillen, Vakuolenbildung in den Zellen, Schrumpfung
der Zellenkeme und schliesslich Zerstörung des Zellkörpers. Die
Veränderungen in den Sehnerven treten dann sekundär auf.
Etwas anders liegen die pathologisch-anatomischen Verhält¬
nisse bei der Aethyl -Alkohol-Amblyopie, doch sind darin die An¬
sichten noch verschieden. Nuel meint, dass das zentrale Skotom
nicht primär verursacht sei durch eine Neuritis des makularen
Bündels, sondern nur durch Degeneration der Ganglienzellen der
macula lutea, und dass die Veränderungen im Sehnerven sekun¬
därer Art seien. Diese Auffassung wird vonUhthoff bestritten,
der das Umgekehrte annimmt, hauptsächlich, weil eine primäre
Affektion der macula lutea die Regelmässigkeit des zentralen
Skotoms nicht erklären kann; die klinischen Erscheinungen stimmen
überhaupt am besten überein mit denen einer partiellen, in¬
terstitiellen, retrobulbären Neuritis. Auch die Tatsache,
dass die Symptome und Veränderungen verschwinden, das Sehver¬
mögen sich bessert, wäre nicht zu verstehen mit der Annahme
') Methoden der praktischen Hygiene; Bergmann, Wiesbaden 1901.
*) The Ophthalmie Becord, 1901.
*) Archiv für Ophthalmologie, 1901.
*) Archive« of Ophthalmology, 1899.
862
Dr. Klose.
einer einfachen Atrophie. Birch-Hirschfeld fand experimen¬
tell die Hauptveränderungen im Innern der Zellenkerne der
Ganglienzellen der Netzhaut und hält ebenfalls die Veränderungen
im Opticus fttr sekundär.
Die Intoxikations - Amblyopien durch methylalkoholhaltige Ge¬
tränke, soweit sie beobachtet wurden, waren meist mehr oder
weniger akute, ihre Diagnose daher nicht schwer; eine Prophylaxe
würde demnach keine Schwierigkeit bieten. Anders liegt ob bei
den Fällen von Intoxikations-Amblyopien, die bei uns infolge
äthylalkoholischer Getränke Vorkommen. Hier handelt es sich nur
um chronische Fälle, um meist jahrelangen Genuss stärkerer alko¬
holischer Getränke, deren Provenienz man noch keine Beachtung
geschenkt hat
Da wir in dem Furfurol ein nicht unerheblich wirkendes
Gift kennen gelernt haben, so dürfte es vielleicht zeitgemäss sein,
den Getränken, die es am meisten enthalten, namentlich den
billigeren Sorten Kognaks, sanitätspolizeilich einige Aufmerksam¬
keit zu schenken.
Man kann einwenden, dass Hunden 6, ja 9 g ohne Schaden
experimentell beigebracht wurden, allein bei leerem Magen waren
die giftig wirkenden Dosen erheblich kleiner, und dann kommt es
beim Menschen ja auch auf gewohnheitsgemässem, jahrelangem
Konsum an, der ebenfalls nicht selten in nüchternem Zustand
erfolgt. _
Ein interessanter Fall von Bleivergiftung.
Von Kreisarzt Med.-Bat Dr. Klose-Oppeln.
Der nachfolgend mitgeteilte Fall von Bleivergiftung er¬
scheint mir der Veröffentlichung wert, da das Krankheitsbild ein
so ungewöhnliches war, dass die zuerst behandelnden Aerzte die
Kranldieit nicht erkannten, und auch im Krankenhaus, in welchem
Patient starb, Fleischvergiftung als vorliegend angenommen wurde.
Die Schwierigkeit der Diagnose bestand hauptsächlich darin,
dass die Möglichkeit einer Bleivergiftung mangels jeder Gelegen¬
heit hierzu ausgeschlossen zu sein schien, die Kolikerscheinungen
in den Hintergrund traten und es sich um die seltenere Form
der Encephalopathia saturnina handelte, bei der auffallender Weise
auch die Augenmuskeln beteiligt waren.
Den 10. April 1903 ersuchte mich der Häusler Johann K.
aus Gr. K. ihm ein Attest zur Erlangung eines Leichenpasses
für seinen den 9. April er. hier verstorbenen Bruder auszufertigen.
Der vorgelegte ärztliche Todesschein besagte, dass Konstantin K.
infolge einer Fleischvergiftung im Hospital gestorben sei. Mit
Rücksicht auf diesen Vermerk bescheinigte ich zwar, dass der
Transport der Leiche gesundheitspolizeilich unbedenklich sei, doch
die Erteilung des Leichenpasses abhängig zu machen sei von der
Erlaubnis der Königl. Staatsanwaltschaft.
Der Königl. Staaatsanwalt ordnete die Sektion der Leiche
an, welche den 11. April er. stattfand und zu der gleichzeitig der
behandelnde Arzt geladen wurde.
Sin interessanter fall tob Bleivergiftung.
863
Wichtiger als der objektive Leichenbefund für die erste
Begutachtung des Falles waren die Mitteilungen des Arztes und
der Angehörigen des Verstorbenen. Danach war K. vor der Auf¬
nahme ins Krankenhaus von 2 Aerzten behandelt worden. Welche
Diagnose die Herren geteilt hatten, erfuhr ich nicht. Der Arzt,
welcher K. bis zu seinem Tode behandelt hatte, gab folgende
Krankengeschichte wörtlich zu Protokoll:
„Der Verstorbene ist am 6. April in das Hospital anfgenommen worden.
Br war noch im stände Angaben an machen, aber sehr schwach. Er ffihrte
selbst seine Erkrankung auf am 1. April genossenes verdorbenes Fleisch zurück.
Am 2. April habe er erst Beschwerden gespürt und zwar sei ihm bei der Feld*
arbeit Übel geworden; er sei sehr schwach geworden und habe nicht mehr gut
sehen können. Bei der Aufnahme in das Krankenhaus und schon vorher be¬
standen sehr bedeutende Schlingbeschwerden, derart, dass der Erkrankte feste
Nahrung überhaupt nicht nu sich nehmen konnte. Auch die fltUaige Nahrung
nahm er nicht auf; sie lief meist durch die Nase wieder heraus, worüber
er schon bei der Aufnahme ins Krankenhaus klagte. Ausserdem stellten sich
Sehbeschwerden ein in der Weise, dass der Erkrankte ausser stände war,
die gesenkten Augenlider zu heben; die Augäpfel konnte er gar nicht nach
oben und unten, nach den Seiten nur ttusserst wenig bewegen.
Bei der Aufnahme hatte der Erkrankte erzählt, er habe mit seiner Frau
und Kindern am 1. April Schweinefleisch gegessen, das nicht mehr gut ge¬
wesen sei. Er hat sehr viel gegessen, weil er fürchtete, dass das Fleisch ganz
verderben würde, seine Frau und Kinder weniger. Diese seien auch nicht
erkrankt. Alles dieses bestätigte auch die Ehefran des Erkrankten, als sie ihren
Hann einmal besuchte.
Der Tod erfolgte sehr rasch und unvermutet ohne besondere Begleit¬
erscheinungen.
Ich bemerke noch, dass ausser den Sehbeschwerden anoh direkte Seh-
Störungen eintraten. Der Verstorbene konnte nicht mehr lesen, klagte über
Doppelsehen und konnte ihm vorgehaltene einzelne Finger nur bis auf 2 m
Entfernung unterscheiden. Diese Erscheinungen deuten auf eine Lähmung der
Augennerven infolge von Giftwirkung hin.“
Der Leichenbefund bot nach keiner Richtung einen An¬
halt. Selbst das Zahnfleisch zeigte kein auf Bleivergiftung deuten¬
des Aussehen; die Verwesung war sehr weit vorgeschritten, die
Schleimhaut des Magens so weich und matsch, dass hier nur eine
recht vorsichtige Beurteilung erlaubt war. Es blieb somit nnr
die Krankengeschichte und das zu erwartende Resultat der chemi¬
schen Untersuchung.
Der vorliegende Fall, bei dem der Patient selbst als Ursache
seiner Erkrankung den reichlichen Qenuss von bereits verdorbenem
rohen Schweinefleisch angegeben hatte und die behandelnden Aerzte
aus dem post hoc ein propter hoc gemacht hatten, zeigt nun so
recht deutlich, wie falsch es ist, jede nach Genuss von Fleisch
oder Fleischwaren auftretende Erkrankung als Fleischvergiftung
hinzustellen. Es sollte m. E. darauf mehr geachtet werden, dass
das Krankheitsbild der Fleischvergiftung eng begrenzt ist auf die
Erscheinungen, welche die Entwickelung der Bacillus enteritidis
hervorruft.
Bereits bei der Sektion erklärte ich dem Richter, dass hier
eine Metall-, wahrscheinlich Bleivergiftung vorläge. Diese Er¬
klärung war die Veranlassung, dass mir der Auftrag zu teil wurde,
bei der chemischen Untersuchung mitzuwirken, welchem Aufträge
ich indes hinreichend Rechnung getragen zu haben glaubte, nach-
864
Dr. Räuber.
dem ich dem Vorsteher des städtischen Untersuchungsamtes die
Mitteilung hatte zugehen lassen, „er möchte seine Untersuchung
vor allen Dingen auf das Vorhandensein von Blei ausdehnen*.
Die chemische Untersuchung ergab folgenden Befund:
Antimon, Zinn, Arsen, Chrom, Zink waren nicht vorhanden, da¬
gegen sowohl im Harn, Leber und Gehirn Spuren von Blei. Der
chemische Sachverständige überliess es zwar dem Ermessen der
ärztlichen Sachverständigen zu beurteilen, ob die geringen Mengen
Blei (Spuren) in ursächlichem Zusammenhänge mit dem Tode des
E. gestanden haben können, fügte jedoch noch hinzu:
„Das Auffiaden des Bleies in den Leiehenteilen findet Tlelleieht seine
Erklärung darin, dass die genossenen Speisen in einem irdenen Tof gekocht
worden waren, dessen Qlasnr stark bleihaltig gewesen ist. Bleihaltige Glasuren
sind hier öfter beobachtet worden.“
Bei dem Erfordern der weiteren Gutachten nahm ich zwar
keinen Anstand, ohne Weiteres eine Bleivergiftung als vorliegend
zu erklären, doch vermochte ich der Frage des Staatsanwalts,
woher sie komme, nicht zu genügen, zumal die Angehörigen des
Verstorbenen, gelegentlich der Anwesenheit beim Sektionstemün,
mir gegenüber jede Beschäftigung des Verstorbenen mit Blei in
Abrede gestellt hatten. So blieb mir nichts übrig, als auf Möglich¬
keiten hinzudeuten, ähnlich wie der Chemiker, allerdings mit der
Betonung, dass immerhin eine so ungünstig verlaufende Bleiver¬
giftung schwer erklärbar bleibe.
Die Königl. Staatsanwaltschaft ging infolgedessen weiter und
veranlasste eine nähere Ermittelung der Verhältnisse im E.schen
Hause durch den Amtsvorsteher. Diese Ermittelungen brachten
die überraschende Aufklärung, dass E. sich zeitweise mit Löt¬
arbeiten beschäftigt und gerade in der letzten der Erankheit vor¬
angegangenen Woche eine Reihe von Sachen, z. B. Petroleum¬
kannen usw. gelötet und hierzu Blei benutzt habe.
Nun war die Sache nicht mehr rätselhaft und meines Er¬
achtens der Ring des Beweises geschlossen!
Wenn man bedenkt, wie wenig derartige Leute auf Reini¬
gung der Hände geben, wie diese fleissig ohne Vermittelung von
Gabel beim Essen mitbenutzt werden, so kann man sich nur über
das verhältnismässig seltene Auftreten von Vergiftungen wundern.
Ob den erwähnten Vergiftungserscheinungen überhaupt Eolik
vorangegangen, ist mir nicht bekannt geworden; im Rrankenhause
war sie jedenfalls nicht mehr beobachtet. Nicht selten ist die auch
hier aufgetretene Amaurosis saturnina, seltener schon die Lähmung
der Schlingmuskeln und noch seltener die Beteiligung des Ocu-
lomotorius. Diese Beteiligung ist bereits in der Erankengeschichte
hervorgehoben; hinzufügen will ich noch, dass der Richter, welcher
zwei Tage vor dem Tode das Testament aufnahm, mir erzählte,
E. habe die Augen nicht öffnen können und, um das Testament
auch zu unterschreiben, das obere Augenlid mit dem Finger in die
Höhe gezogen.
Eia Beitrag zam epidemischen Auftreten von Herpes tonBarans. 865
Ein Beitrag zum epidemischen Auftreten von Herpes
tonsurans.
Von Medizinalrat Dr. Räuber in Düsseldorf.
In Nr. 19, Jahrg. 1903, dieser Zeitschrift hat Ban dt die
Aufmerksamkeit auf ein epidemisches Auftreten von Herpes ton¬
surans gelenkt, das, wie er sagt, verhältnismässig selten beobachtet
wird. Wenn dies auch im allgemeinen zugegeben werden muss,
so sind doch in neuerer Zeit mehrfach kleinere Epidemien dieser
Art beobachtet worden, so dass es angezeigt erscheinen dürfte,
einige weitere Mitteilungen hier folgen zu lassen. Besonders die
in Schulen auftretenden Epidemien von Trichophytie dürften ge¬
eignet sein, das Interesse der Medizinalbeamten und Schulärzte in
Anspruch zu nehmen, zumal Herpes tonsurans von allen Der¬
matomykosen am leichtesten übertragbar ist.
In Mirxheim, Er. Meisenheim, Eeg.-Bez. Koblenz, kam im
Jahre 1898 bei 21 Schülern (davon 20 im Juni) eine derartige
Epidemie vor, bei der eine Uebertragung in der Schule angenom¬
men wurde (s. das Sanitätswesen des Preussischen Staates, 1898,
1899 und 1900, Seite 263).
Im Jahre 1899 erkrankten 6 Schülerinnen einer Privat-
raittel8cimle in Barmen nacheinander an Herpes tonsurans. Die
Erkrankung ging von der Tochter eines Landwirts aus, welche
Gelegenheit gehabt hatte, sich bei von der Krankheit befallenen
Kühen zu infizieren. Weitere Ausbreitung der Krankheit unter
den Schulkindern wurde dadurch verhütet, dass die erkrankten
Kinder von der Schule ausgeschlossen wurden.
Eine grössere Epidemie von Trichophytie unter den Kindern
zweier benachbarten Schulen kam 1901 in M.-Gladbach vor. Es
wurde festgestellt, dass die Erkrankung von einem Kinde ausging,
das mit seinen Eltern aus Amerika, mit kurzem Zwischenaufenthalt
in England, eingewandert war. Zunächst erkrankten zwei, im
Laufe mehrerer Wochen sodann über 20 Kinder, denen noch weitere
folgten. Im ganzen wurden 31 Knaben und 8 Mädchen von der
Krankheit betroffen, ausserdem einige noch nicht schulpflichtige
oder der Schule entwachsene Personen, Angehörige erkrankter
Schulkinder. Eine Uebertragung von Tieren wurde in keinem
Falle ermittelt; ob das zuerst erkrankte Kind die Pilzkrankheit
vom Tier erworben hatte, mag dahingestellt sein.
Die Verbreitung unter den Schulkindern erfolgte innerhalb
der Familie selbst und zwar bei solchen Kindern, Knaben und
Mädchen, bei denen vom Vater oder der Mutter die Haare mit
derselben Scheere geschnitten wurden. Aeltere Mädchen, deren
Haare nicht mehr geschnitten wurden, blieben innerhalb derselben
Familie verschont. Der Sitz der Krankheit war meistens die
Mitte des behaarten Kopfes, seltener der Nacken; an anderen
Körperstellen als am Kopfe wurde die Erkrankung nicht beobachtet.
Durch den mikroskopischen Nachweis des Trichophyton tonsurans
wurde die Diagnose gesichert.
Infolge der nicht unbedeutenden Ausbreitung der Krankheit
863 Dr. B&aber: Bia Beitrag zum epidemischen Auftreten von Herpes tonsurans.
unter den Schulkindern, besonders denen der katholischen Volks¬
schule, musste letztere vom 17. Juli bis 12. September geschlossen
werden. Die Wiedereröffnung derselben erfolgte erst nach gründ¬
licher Reinigung und Desinfektion mit Formalin, wobei nur solche
Schulkinder zugelassen wurden, bei denen die Gefahr der An¬
steckung nach ärztlicher Bescheinigung als beseitigt anzusehen war.
Die erkrankten Kinder wurden einer streng überwachten
ärztlichen Behandlung unterworfen und möglichst isoliert. Die
Behandlung war eine sehr verschiedene; in schweren Fällen be¬
stand sie in Epilation der erkrankten Haare, Waschungen, Ein¬
reibungen mit Tinct. Jodi, Acid. carbol, Hydrat, chlorat. ana,
Anthrarobin, Sublimatsalben u. a. Den Eltern der erkrankten
Kinder wurden seitens der Polizei Verhaltungsmassregeln nach¬
stehenden Wortlauts eingehändigt:
„Laut einer mir vorliegenden Auzeige ist in Ihrer Familie die Kopfnaar-
krankheit — Trichophytie — ausgebrochen. Da diese Krankheit ansteckend
und leicht übertragbar ist, so werden Ihnen behufs Bekämpfung dieser Krank¬
heit auf Grund des § 10 A. L. B. II, 17 und des § 6 des Gesetzes über die
Polizei Verwaltung vom 11. März 1850 und der §§ 132 und 133 des Gesetzes
über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 die Innehaltnng der
nachstehend aufgeführten polizeilichen Vorschriften zur strengsten Pflicht
gemacht:
1. Die erkrankte Person muss von anderen getrennt gehalten werden,
insbesondere ist das Zusammenschlafen der erkrankten Person mit anderen
streng untersagt, auch darf die Bettwäsche des Kranken nicht ohne vorgängige
gründliche Wäsche von anderen benutzt werden.
Falls Kinder in Frage kommen, so darf das erkrankte Kind mit anderen
nicht spielen. Auch ist bis zur Wiederherstellung der Schul- und Kirchen¬
besuch untersagt.
2. Die zur Kopfpflege der erkrankten Person benutzten Kämme, Haar¬
bürsten, Scheeren, Handtücher pp. dürfen von anderen Personen nicht benutzt,
müssen getrennt aufbewahrt und nach jedem Gebrauch gründlich gereinigt
bezw. gewaschen werden.
8. Das Kopfhaar der erkrankten Person muss entweder gänzlich abrasiert
oder doch ganz kurz geschnitten und während der Dauer der Krankheit in
diesem Zustande erhalten werden.
4. Die abrasierten oder abgeschnittenen Haare müssen sorgfältig ge¬
sammelt und sofort verbrannt werden.
6. Die erkrankte Person muss bis zur völligen Wiederherstellung stete
in Behandlung eines Arztes gegeben werden.
6. Bine weitere Verbreitung der Krankheit innerhalb Ihrer Familie ist
sofort nach hier anzuzeigen.
7. Ueber die strenge Innehaltung der vorstehenden Vorschriften ist
diesseits Kontrolle angeordnet; dem sich als solchen legitimierenden städtischen
Kontrolbeamten ist jederzeit bereitwilligst Auskunft über den Stand der Krank¬
heit und die getroffenen Massregeln zu geben.
Wegen jeder Zuwiderhandlung gegen eine der vorstehenden Be¬
stimmungen drohe ich Ihnen hiermit eine Geldstrafe von sehn Hark, an deren
Stelle im UnvermOgensfalle entsprechende Haftstrafe tritt, ausdrücklich an.“
Ausserdem gab die Trichophytie Veranlassung zum Erlass
einer Polizei-Verordnung betreffend die Ausübung des Frisier-,
Barbier- und Haarschneide-Gewerbes, durch welche eine Reinigung
der benutzten Geräte nach jedesmaligem Gebrauch durch Ab¬
waschen mit Seifenlauge, Ausschluss von Personen, die an einer
Haar- oder Hautkrankheit des Kopfes leiden, sowie besondere
Reinigung durch Auskochen von Gegenständen, die ausserhalb der
Aus Versammlungen und Vereinen.
867
Geschäftsstuben bei Bedienung solcher Personen verwendet sind,
angeordnet wurde.
Die Heilung nahm lange Zeit in Anspruch. Am 21. September
1901 waren von den 31 Knaben und 8 Mädchen erst 13 Knaben
und 3 Mädchen geheilt, am 26. Februar 1902 weitere 12 Knaben
und 4 Mädchen, und erst am 19. Juni 1902 waren sämtliche
Kinder wieder hergestellt, obwohl seit dem 20. August 1901 neue
Erkrankungen nicht aufgetreten waren.
Bedenkt man, dass in der geschilderten Epidemie diese
parasitäre Haut- und Haarkrankheit von Juni 1901 bis Juni 1902,
also ein Jahr, zu ihrer Heilung beansprucht hatte, obwohl fast
alle Fälle spezialärztlich behandelt wurden, und dass die Ueber-
tragung von Kind zu Kind leicht erfolgt, so erscheint es notwendig,
dieser Krankheit unter den Schulkindern eine erhöhte Aufmerk¬
samkeit zu schenken und bei den Revisionen der Schulen durch
Schulärzte und Kreisärzte auf sie besonders zu achten.
Wenn auch Epidemien von Trichophytie unter Schulkindern
nicht allzu häufig auftreten, so ist die Gefahr einer Ausbreitung
bei Nichtbeachtung der ersten Fälle eine grosse, die Krankheit
selbst aber ein um so unbequemerer Feind, als die Ausrottung wegen
ihrer Hartnäckigkeit nur nach längerer sorgfältiger Behandlung
möglich ist.
Aus Versammlungen und Vereinen.
Bericht aber die 75. Versammlung deutscher Natur¬
forscher und Aerzte in Cassel vom SO.—SO. Septbr. 1903.
Abteilung für Hygiene,
(Schluss.)
11. Dr. Pani man n-Cisael sprach Ober die Klärschlammverwer-
tnngsanlage der Stadt Cassel. Die für alle grösseren Städte so brennende
Frage der Beseitigung bezw. Verwertung des Klärschlammes scheint hier in
Cassel ihrer Lösung einen wesentlichen Schritt näher gekommen zu sein. In
mehrjährigen Versuchen sind unter Paulmanns Leitung nach dem Degener-
schen Verfahren die Klärschlammmassen zunächst in einer von der Firma Beck
& Henkel hier geschaffenen Privatanlage geprüft worden und haben zu dem
sehr befriedigenden Resultate geführt, dass das Verfahren nicht nnr die ent¬
stehenden Kosten deckt, sondern sogar einen nieht unerheblichen Ueberschusa
erzielt. Die Schlammmassen werden, nachdem sie anf einen Lampenfänger
gepumpt and von gröberen Veranreinigangen befreit sind, in grossen eisernen
Behältern gesammelt. Dass in diesen sich abscheidende Wasser wird mit
Hähnen abgelassen; der Schlamm wird in einem weiteren Kessel, wohin er ab-
länft, mit Schwefelsäure gemischt nnd in Montejns gepresst. In diesen wird
die Hasse erwärmt, um die Eiweissstoffe zum Qerinnen zu bringen und sodann
in Filterpressen gedrückt. Die so gewonnenen Presskuchen werden zerkleinert,
getrocknet nnd in den Eztraktionsapparat gebracht, während das Abwasser
dnrch eine Kalkgrube znr Kläranlage znrückgeleitet wird. In dem Extrak-
tioasippirat wird das Fett mit Benzin extrahiert nnd dnrch ein weiteres Ver¬
fahren vom Fäkalgernch befreit, sowie dnrch verschiedene Manipulationen völlig
gereinigt, während der Bückstand getrocknet nnd als Düngemittel in den
Handel gebracht wird.
Wie schon erwähnt, ist bei geeigneter Maschinenanlage — auch hierüber
sind die Versuche jetzt vorläufig abgeschlossen — das Verfahren durchaus ren¬
tabel, was Panimann zahlenmäs a ig nachweist. Zugleich ist es anoh hygie¬
nisch einwandsfrei, da dnrch die Hi SO« nnd das Erhitzen alle Krankheltskeime
vernichtet werden. Die Stadt Cassel steht deshalb nunmehr im Begriff, dai
Verfahren für ihre Kläranlage dnrohznfflhren.
868
Aas Versammlungen and Vereinen.
12. Ueber Dysenterie in den Tropen. Der Vortragende, Dr. Buge-
Kiel, bespricht zunächst die Aetiologie der Bahr und geht auf die Meinungs¬
verschiedenheiten, die hier noch herrschen, ein. Bs ist vor allem zwischen
Amöben- und B&zillendysenterie zu unterscheiden. Beide Formen kommen auch
in den Tropen vor. Der Streit ttber die Bedeutung der Amöben in der Aetio¬
logie der Dysenterie erledigt sich dahin, dass im Darm harmlose Amöben neben
einer Art Vorkommen, welche für Tiere (Katzen) pathogen sind. Diese letz¬
teren infizieren, wenn sie lebend eingebracht werden, das Tier und töten es
unter dysenterischen Brscheinungen. Diese Amöbe ist als die Ursache einer
ganz bestimmten, auch in den Tropen vorkommenden Dysonterie anzusehen.
Weniger klar liegen die Verhältnisse bei der Bazillenruhr. Während die Buhr
in unsern Breiten durch den Kruse-Sbigasehen Bacillus hervorgerufen wird,
fehlen genauere ätiologische Untersuchungen über die Bacillenruhr in den ver¬
schiedenen Tropengegenden. Ob überhaupt die Bohr der Tropen einen ein¬
heitlichen Erreger zur Ursache hat, ist bisher nicht festzustellen, da neben
dem von F1 exner auf den Philippinen gefundenen, dem Kruse-Shigasehen
sehr ähnlichen Bacillus noch eine Anzahl von Pseudodysenter iebazulen ge¬
funden sind.
Ausser in der Aetiologie unterscheiden sich die beiden in den Tropen
vorkommenden Buhrarten noch: a) epidemiologisch, indem die Bazillenruhr
meist epidemisch, die Amöbenrubr endemisch vorkommt; b) klinisch, indem
die Bazillenruhr als akute Erkrankung, die Amöbenrnhr mehr chronisch ver¬
läuft und sich auch häufig mit Leberabzessen kompliziert. Pathologisch¬
anatomisch charakterisiert sich die Bazillenruhr als ein diphthcritischer Pro¬
zess, der sich flächenhaft ausbreitet und die einzelnen Schichten der Darm-
wand zerstört. Bei der Amöbenrubr dagegen wandern die Amöben durch die
Drttsen in die Submucosa, sammeln sich dort an, bilden Entsündungs- und
Eiterherde, die in den Darm durchbrechen und zu den bekannten Geschwttrs-
bildungen mit unterminierten Bändern ffihreD.
Dass die Amöbenrnhr sich häufiger mit Leberabzessen kompliziert, wäh¬
rend diese bei der Bazillenruhr in der Begel fehlen, wurde schon erwähnt.
Zwar ist der Zusammenhang von Leberabszess und Dysenterie ganz geleugnet
worden, indes hat Bog er durch seine Untersuchungen festgestellt, dass in
einer ganzen Beihe von Leberabszessen, wenn auch nicht im Eiter, so doch in
der Abszesswand die Amöbe gefunden ward; derselbe Autor konnte aus
alten Sektionsprotokollen feststellen, dass es sich in 72,6 °/ 0 der Fälle von
Leberabszess um die für Amöbendysenterie charakteristischen Veränderungen
im Darm gehandelt hat. Auch die Verteilung der Leberabszesse Aber das
ganze Jahr spricht fflr einen Zusammenhang mit der Amöbenruhr, da die
Bazillenruhr ihren Höhepunkt während und nach der Begenzeit erreicht.
Buchanan hat ferner durch Agglutinationsversuche festgeBtellt, dass die in
den indischen Gefängnissen herrschende Buhr eine Bazillenruhr ist; trotzdem
wird bei den tausenden dort vorkommenden Buhrfällen kaum jemals ein Leber-
abssess beobachtet. Die Entstehung der Abszesse denkt man sich nach
Boger so, dass die Amöben in der Flexura hepatica direkt in die Leber ein¬
wandern, was bei der Neigung dieser Bahrart zur Perforation sehr wohl
denkbar ist.
Was die Verbreitungsweise der Buhr anlangt, so spielt anscheinend das
Wasser keine grosse Bolle fflr dieselbe, obwohl die Möglichkeit dieser Ueber-
tragnng vorliegt. Nach Pfuhl hält sich nämlich der Buhrbacillus tagelang
im Wasser, und Verfasser selbst führt einen Fall an, in welchem dieser Weg
der Infektion klar vor Augen tritt. Der Annahme, dass das Wasser bei der
Entstehung der Buhr keine Bolle spielt, steht die Tatsache entgegen, dass in
den Tropen nach Anlage guter Wasserleitungen die Bnhrfälle wesentlich znrflck-
gegangen sind. Da nicht anzunehmen ist, dass sich die Bazillen in den Tropen
anders verhalten als bei uns, zumal Pfuhl nachgewiesen hat, dass sie in höher
temperiertem Wasser leichter zu gründe gehen, und da ferner festgestellt ist,
dais in den indischen Gefängnissen trotz guter Wasserversorgung die Buhrfälle,
die dort naohgewiesenermassen auf Bazillen beruhen, sich nicht vermindert
haben, so muss man annehmen, dass das Wasser in den Tropen fflr die Ver¬
breitung der Amöbenruhr eine Bolle gespielt bat, und dass diese Buhrart und
damit die Buhr Überhaupt durch Anlegang von Wasserleitungen abgenommen bat.
Atu Versammlungen and Vereinen.
869
Eine mehr fttr die Tropen wichtige Verbreitangeweiee der Bazillenruhr
scheint die durch Staubstürme und Fliegen in Bein, wie eine Anuhl Beobach¬
tangen lehren.
Ueber die eigentlichen Uebertragungswege der Amöbenrahr ist nichts
Sicheres bekannt, es seheint nnr Tatsache sa sein, dass die Amöbe ausserhalb
des Körpers ein sehr hinfälliges Oebilde und sehr viel weniger widerstands¬
fähig ist, als der Bahrbacillas. In dieser vegetativen Form wird also die
Amöbe nar selten snr Infektion fahren, während sie in der Danerform
(Zysten), in der sie gegen Ende der Krankheit entleert wird, widerstands¬
fähiger ist and daher auch eher eine Infektion hervorrnft. Da die Infektion
stets per os erfolgt, nnd da bei der Amöbenrahr nar die Stahle infektiös sind,
welche Daaerformen enthalten, so wird die Amöbenrahr in gewissen Stadien
stärker infektiös sein als in anderen, and so erklärt sich aaoh ihr endemischer
Charakter.
18. Prophylaxe and Behandlung des Schwarswaeserflebers. Pro!
Dr. PIehn-Berlin geht von der bekannten Beobachtang aas, dass bei tropischer
Malaria nach dem Gebrauche von Chinin leicht mehr weniger schwer verlaufendes
Schwarzwasserfieber entsteht, und dass diese Anfälle noch sehr spät, selbst wenn
der Patient die Tropen längst verlassen hat, entstehen können. Für die Ent-
stehang des Schwarzwasserfiebers kommen nach PI ehn zwei Momente in Be¬
tracht : Prädisposition nnd Gelegenheitsursachen. Der Grund der Disposition
ist in einer Sohwäche der blutbildenden Organe zu suchen, wie sie bei verschiedenen
Menschen in verschiedenem Grade zu finden ist. Sie wird durch längere Dauer
einer Malariaiofektion geschaffen bezw. erhöht, auch wenn die Fieberanfälle
selbst gar nicht schwere sind. Ein zweijähriger Aufenthalt in einer Gegend, in
welcher die Malaria bösartig anftritt, steigert s. B. diese Disposition derart,
dass selbst bei einer Entfernung von einem halben Jahre aus der Gegend sich
die blutbildenden Organe noch nicht erholt haben. Als Gelegenheitsursache
ist in erster Linie der Gebrauch des Chinins za nennen, aber auch Erkäl¬
tungen, Transporte asw. können einen Anfall von Schwarzwasserfieber
hervorrnfen.
Das sicherste Mittel gegen Schwarzwasserfieber besteht in einer richtigen
Behandlung der ersten Malariaanfälle mit Chinin. In dieser Zeit sind die blut¬
bildenden Organe noch nicht geschädigt, daher wird alsdann auch das Chinin
sehr gut vertragen. Da Chinin aber auch das einzige Mittel ist, welches die
Malaria völlig zum Erlöschen bringt, so muss es selbst bei solchen Patienten
angewendet werden, welche bereits an Schwa r* Wasserfieber anfällen gelitten
haben. Im ttbrigen versteht sich eine kräftigende Behandlung des ganzen Kör¬
pers von selbst.
Die Cbininprophylaxe ist demnach das wesentliche bei der Verhtttong
des Scbwarzwasserfiebers und zu diesem Zweck sind kleine und wiederholt ge¬
gebene Chinindosen zweckmässiger als grosse und selten gegebene. Ueber den
einzelnen Malariafall kommt man allerdings nicht ohne einen vollen Gramm
Chinin hinaus.
14. Ueber Blutparasiten der Kolonisten und ihrer Haustiere in
tropischen Gegenden. Dr. Martini-Berlin stellt als gemeinsames Charak¬
teristikum fttr die durch Protozöen veranlassten Erkrankungen in den Tropen
die Tatsache fest, dass in allen Fällen ein Schwund der roten Blutkörperchen
eintritt.
Die wichtigste und bekannteste dieser Erkrankungen beim Menschen ist
Malaria, welche durch Anopheles abertragen wird. Prophylaktisch kommen
fttr dieselbe in Betracht 1) Schutz des Menschen gegen Stiche von Anopheles
(Netze — Celli in Italien); 2) Ausrottung der Fliegen bezw. deren Brutplätze
(Robb in Ismailia) nnd 8) prophylakii-che Chiningaben (B. Kooh). Während
den beiden ersten Mitteln ihre Bedeutung nicht abgesprochen worden soll, so
sind sie doch nicht allgemein durchführbar, vi lmebr ist der Hauptwert auf
eine Chiuinbebandlung zu legen. Am besten wird Chinin, hydrochloric. prophy¬
laktisch jeden 8. bis 9., nach anderen jeden 5. Tag in Grammdosen genommen
Zugleich müssen auch alle mit Malaria Behafteten, was eventuell durch Blut-
uutersuchungen festzustellen ist, mit Chiningaben behandelt werden. Selbst-
roden 1 müssen alle in Tropengegenden gesandte Leute auf ihre Chiniofestigkeit
geprüft werden.
870
Ans Versammlungen and Vereinen.
Eine weitere ProtozOenkrankheit ist die Trypanosomenkrankbeit.
Sie verliaft mit unregelmässigen Fieberanfällen, Erythemen, geringen Oedemen,
Muskelschwäche, Blutarmut und Kurzatmigkeit; man weis« noch nicht
sicher, wie die Uebertragung auf den Menschen stattfindet. Man hat in Uganda
bei 70% der schlafkranken Neger, die stets der Krankheit erliegen, in der
Cerebrospinalflüssgkeit Trypanosomen gefunden. Am Kongo, wo die Schlaf¬
krankheit hauptsächlich vorkommt, sind Trypanosomen bisher noch nicht nach¬
gewiesen, doch Bind sie wahrscheinlich auch hier die Ursache.
Durch Trypanosomen ist auch die Tsetse der Haustiere, welche eben¬
falls fast stets tödlich verläuft, hervorgerufen. Die?e Krankheit kommt nament¬
lich da vor, wo auch die Schlafkrankheit der Neger sich fiudet, und für sie
hat Bruce in der Tsetsefliege die Uebertrfigerin gefnnden. Tsetse ist auf
alle Haustiere übertragbar und verläuft bei Pferd, Esel und Hund fast Btets
tödlich, bei Bind, Ziege und Scbaf kommen noch Genesungen vor, bei Zebra
uud Schwein sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Martini
demonstriert die Erreger und beschreibt alsdann das Bild dieser Krankheit
Sie verläuft mit Fieber vom Typus des Rückfallfiebers. Die Tiere werden matt
und blutarm, der Gang wird kreuzlahm; sie lassen den Kopf hängen, es treten
Oedeme der Hinterbeine, des Bauches und Manien auf; bei erhaltener
Fresslust erfolgt rasch der Tod. Auf der Höhe des Fiebers Bind die Parasiten
am sahlreichsten in den peripheren Venen nachweisbar (Obrvene), wo sie vor
dem Tode iu grosser Mrnge su finden sind. Mittel gegen die Krankheit fehlen.
Koch hat den Erreger durch graue Ratten durchgesüchtet und swei Rinder
infiziert, die genasen und dann immun waren.
In dieselbe Kategorie gehören und ebenfalls durch Trypanosomen her¬
vorgerufen sind, die Surra in Indien, das Mal de cad eras Südamerikas und
die Beschälseuche des südlichen Europas; indes fehlt hier der Uebortra-
gangsmodas noch gänzlich. Jedenfalls finden sich aber zwischen der Tsetse und
4en drei letzten Erkrankungen deutliche Unterschiede. Endlich gehört noch
die Gaiziekte der Rinder Transvaals hierher, bei der eich ein grosserer, dem
Rattentrypanosoma ähnlicher Erreger findet.
Auch das in gemässigten Zonen schon vorkommende Texasfieber
wird durch Protozoen, die in den roten Blutkörperchen als birnfOimige Para¬
siten (Pirosomen) nachweisbar sind, bervorgernfen. Zecken sind hier die
die Ueberträger. Bei der Erkrankung treten ebenfalls Fieberanfälle neben
Blutarmut und Blutharnen auf. Viele Tiere gehen daran zu gründe und zwar
speziell erwachsene. Werden junge Tiere infiziert, so kommen sie in
der Regel durch und behalten die Parasiten als Symbioten ohne Erscheinungen
von Kranksein bei sieb. Rückfälle kommen nur nach grossen Anstrengungen,
n. B. längeren Transporten vor. Theobald Smith hat deshalb junge Kälber
infisiert, ebenso wie Kolle in Argentinien; ein Heilmittel aber fehlt.
Zur selben Gattung von Erregern gehören das von Koch 1897 in Ost-
afrika entdeckte Piroplasma canis nnd das von Koch und Danyszl898
beschriebene Piroplasma equi. Beide Krankheiten harren indes noch der
näheren Erforschung.
Hierher gehört auch noch das im tropischen Afrika vorkommende
Küstenfieber, das ähnliche Erscheinungen wie Texasfieber (blutiger
Nasenausflass und Atemnot) macht und ähnliche Parasiten zeigt. Dabei kommen
neben bimförmigen Parasiten bei einzelnen Tieren auch bazillenartige Gebilde
in den roten Blutkörperchen vor. Koch hat indes nachgewiesen, daes das
Küstenfieber kein Texasfieber ist. Ein Mittel fehlt auch hier.
Wie man sieht, steht der Mensch bezüglich dieser Krankeiten in den
Tropen immer noch günstiger als die Haustiere, auf welche er angewiesen ist.
Zam Schluss sprach Dr. Sander- Berlin Uber die praktischen Schluss¬
folgerungen aus den neuesten Trypanosomenforschungen.
Nach Sander ist die Aetiologie der Tsetsekrankheit nur in deren afri¬
kanischer Form vollkommen bekannt. Bei der sogenannten Nagana hat näm¬
lich Br nee das krankmachende Trypanosoma und dessen Zwischenwirt,
eine Tsetsefliege (Glossina morsit&cs) entdeckt und genau beschrieben,
während bei der Surra und dem Mal de caderas genauere Untersuchungen,
namentlich über die Wege der Uebertragung noch ausstehen. Ferner ist er¬
wiesen, dass die Tiere, welche von einer natürlichen Infektion nicht so ohne
Ans Versammlungen and Vereinen.
871
Weiteres befallen werden, bei künstlicher stets erkranken and meist erliegen,
so dass man mit einiger Wahrscheinlichkeit behaupten kann, dass keines der
landlebenden Säugetiere vor der Infektion gesohtltst ist. Endlich hat Bich
geseigt, dass wir für die Krankheit weder Vorbengnngsmittel, noch Heilmittel
haben, allerdings scheint Menschensernm nach L ave ran und Mesnil bei
kleinen Versuchstieren in einzelnen Fällen Heilung bewirkt zu haben. Uebri-
gens hat das Serum durchseuchter Tiere einen abtötenden Einfluss auf daB die
betreffende Krankheit erregende Trypanosoma, aber nur auf dieses, nicht wie
Menschensernm auf alle. Anscheinend iat es auch möglich, durch wiederholte
Passage des Erregers durch andere Tiere als Wiederkäuer die Infektiosität
der Erreger für letztere ahzuschwächen. Weiter ist festgestellt, dass da, wo
die Seuche herrscht, auch der Mensch befallen werden kann (Schlafkrankheit
der Neger), allerdings scheinen die Weissen verschont su bleiben. Endlich
hat man im Blute vor dem Auftreten der Parasiten noch eigentümliche Ge¬
bilde beobachtet, welche im Zusammenhang mit den Parasiten stehen sollen
und bei deren Auftreten verschwinden.
Was die Uebertragung anlangt, so ist nur bei der Nagana eine Tsetse
als Zwischen wert nach ge wiesen, doch ist es fraglich, ob nicht noch andere
existieren; jedenfalls fehlt ein solcher für den Menschen noch ganz. Sander
weist alsdann noch darauf hin, dass es nicht angängig erscheint, wie bisher
anzunehmen, dass die Uebertragung durch die Fliege in rein mechanischer
Weise erfolge, sondern nach seinen und den Beobachtungen anderer Autoren
scheint es, dass der Erreger sich erst in einer anderen Form in der Tsetse
entwickelt und so übertragen erst im Tiere die Weiterentwicklung zum Try¬
panosoma erfährt.
Für die Bekämpfung der Nagana hält Sander an seinem schon früher
verfochtenen Vorschlag, die Tsetse auszorotten, fest, zamal dies Verfahren bei
der eigentümlichen lokalen Verbreitung der Tsetse sehr wohl durchführbar
erscheint. Weiter hält Sander zum Stadium dieser mörderischen Seuche
Untersuchungen an Ort and Stelle dringend nötig und fordert dafür die Hülfe
der Regierung durch Entsendung einer besonderen Kommission, zumal die
Krankheit, abgesehen von dem Verluste, der durch dieselbe in den Kolonien
erwächst, jeden Tag eingesohleppt werden kann.
Zum Schluss wurde von der Sektion ein Beschluss gefasst, in diesem
Sinne den Herrn Reichskanzler za bitten, Mittel für eingehende Untersuchungen
an Ort und Stelle bereit zu stellen.
Aus den
übrigen Abteilungen
ist noch hervorzuheben, dass in der Abteilung für Dermatologie und
Syphilis Dr. Joseph und Dr. Piorkowsky (Berlin), sowie Dr. Pfeiffer
(Wien) über den Syphilisbacillns vortrugen. Während die beiden enteren
Uber ihre bekannten Untersuchungen in dieser Frage berichteten, wurde ihnen
von Pfeiffer naebgewieeen, dass ihre Bazillen für Lues nicht spezifisch
seien, dass es sich vielmehr anscheinend um Pseudodiphtheriebazillen Bandele.
— Pfeiffer hatte Kulturen von Joseph und Piorkowsky direkt bezogen
und Impfversuche mit denselben angestellt.
In der Abteilung für Neurologie und Pathologie sprach Prof. Dr.
Aschaffenburg-Halle über den Strafvollzug an Geisteskranken and
kam zu dem Schlosse, dass der unheilbare Geisteskranke niemals Objekt der
Strafrechtspflege sein könne; er halte daher auch den Vorschlag für verfehlt,
unheilbar geisteskranke Verbrecher dauernd in gesonderten Stationen der
Zuchthäuser unterzubringen. Derartige Kranke gehörten in die Irrenanstalten.
Ferner hebt er hervor, dass § 493 insofern einen Misstand herbeifübre, als dem
Geisteskranken zwar der nnverschnldete Aufenthalt in der Anstalt ungerechnet
werde, nicht aber die Zeit, die er nach Erklärung der Strafvollzugsunffthigkeit
dort zubringe. Dadurch bekomme der Staatsanwalt das Recht, bei der Entlassung
mitzuentscheiden und eventuell nach der Genesung den Wiederantritt der Strafe
zu fordern, während über die Entlassung der Arzt allein entscheiden könne and
beim Wiedereintritt jedenfalls vorher gehört werden müsse.
Dr. M e d e r • Cassel.
872
Kleinere Mitteilungen nnd Referate am Zeitschriften.
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
A. Gerichtliche Medisin nnd Psychiatrie.
Ein Fall von Arsenikmord. Von Prof. Rad. Robert-Rostock. Aerzt-
liche Sachverständigen • Zeitung; 1903, Nr. 18.
Der klinische Verlauf, soweit er beobachtet wurde, glich dem Bilde der
gastrointestinalen Form, doch wich er in beeng auf die Zeitdauer bis snm Tode
von diesem Bilde ab nnd ähnelte mehr der paralytischen Form, da nnr 7—8
Stunden nötig waren, nm den tödlichen Kollaps herbeiznführen. Robert
kennt keinen gastrointestinalen Fall, der so schnell verlaufen ist. Das im
Magen gefundene Arsenik war gelb nnd war Schwefelarsen, welcher als Bealgar
(As« Sa) nnd Auripigment (AsaS*) in der Natur mineralisch vorkommt. Die
Umwandlung der arsenigen Säure in ihr Sulfid muss auf Leicbenfäulnis beruhen.
Den Nachweis des Arseniks in der Leiche mit Penicillium brevicaule
hält Robert für eine der segensreichsten Neuerungen der gerichtlichen Medi¬
zin. Diese Methode ist von jedem Arzte leicht auszuffihren, sie bietet die
grosse Annehmlichkeit, auch ohne chemische Reindarstellnug in Extrakten aus
Leichenteilen und in Darmhontentis lediglich nach Sterilisierung durch ge¬
höriges Aufkoohen direkt das Arsen nachzuweisen. Nicht einmal ein regulärer
Brfite8chrank ist dabei erforderlich, sondern im Notfälle genügt auch ein warmes
Zimmer. Da die Reinkulturen von Penicillium brevicaule durch jede Apotheke
käuflich bezogen werden können und sich bei luftdichtem Verschluss sehr lange
lebend halten, ist jeder Arzt selbst auf dem Lande in der angenehmen Lage,
selbst ganz kleine Mengen irgend einer verdächtigen Substanz (Nahrungsmittel,
Erbrochenes etc.) binnen 24 Stunden auf Arsenik voruntersuchen zu können.
Entwickelt sich in der Kultur Knoblauchgeruob, so soll nach dem Verfasser der
Arzt berechtigt, ja verpflichtet sein, der Behörde Anzeige zu machen und ge¬
richtliche Untersuchung zu beantragen. Robert steht ferner auf dem Stand¬
punkt, dass bei zweifelhaften Spuren von Arsenik der Chemiker vor Gericht
kein Recht hat, die Anwesenheit von Arsenik zu vertreten, wenn diese so
scharfe Probe negativ ausgefallen Bei. Dr. Troeger-Neidenbnrg.
Findet sich Arsen in allen Geweben des tierischen Haushaltes?
Von Armand Gautier. Comptes rendus de la soc. de biol.; 1908, S. 1076.
Nach den Ergebnissen weiterer Untersuchungen des Verfassers — über
die frQheren ist an dieser Stelle, 1903, S. 665, bereits berichtet — findet sich,
berechnet auf 100 g frischer Substanz, an Arsen in Rindfleisch 0,0006 mg; in
Stierhoden 0,0012 mg, im Gelben vom Hühnerei 0 0004 mg, in Milch 0,0008 mg.
Der Autor hält daran fest, dass Haare, Federn, Hörner, Nägel, Gl. thyrroidca,
Thymus, Gehirn, Knochen, Milch und Menstrualblut Arsen enthalten. Die Eli¬
mination findet beim Weibe auf letztgenanntem Wege, beim Manne durch die
Hautabschuppung nnd den Verlust der Haare statt. Zu diesen Organen
kommen nach den neuesten Untersuchungen des Verfassers und von G. Ber-
trand noch hinzu das Muskelfleisch und das Eigelb. Im Blute liess sich
Arsen bisher nicht nachweisen. Gegenüber den deutschen Autoren, die nur
widersprechende Resultate erhielten, hält Verfasser an der Richtigkeit seiner
Angaben fest und erwähnt, dass dieselben ausser von G. Bertränd-Paris
auch von Lepierre in Oporto, Pagel in Nanoy, Imbert in Montpellier be¬
stätigt worden seien. Dr. Mayer-Simmern.
Azetonvergiftung nach Anlegung eines Zelluloid-Mnllverbanden.
Von Dr. Cossmann, Oberarzt des Krankenhauses zu Duisburg a. Rh. Münchener
med. Wochenschrift; 1903, Nr. 36.
Exogene Vergiftungen mit Azeton gehören zu den grössten Seltenheiten.
Bei einem 12 jährigen Knaben wurde ein Gehverband in der Form eines
Zelluloid - Mullverbandes (einer Auflösung von Zelluloid in Azeton) ange¬
legt; etwa 6—8 Stunden darnach sind bedrohliche Erscheinungen beobachtet
worden (Unruhe des Knaben, starkes Brennen an den Beiuen, tiefes Koma,
weite nicht reagierende Papillen, kaum fühlbarer Puls, kalte Hände und Füsse,
ab und zu eintretende tiefe geräuschvolle Atemzüge). Sämtliche Vergiftungs¬
erscheinungen verschwanden unter geeigneter Behandlung bis zum nächsten
Tage wieder.
Kleinere Mitteilungen and Beiernte ms Zeitschriften.
878
Die Angestellte Untersuchung ergeh mit Toller Sicherheit eine Vergiftong
durch Aceton.
Vielleicht hat die Art der Anlegung des Verbandes einige 8chuld, indem
derselbe nicht, wie gewöhnlich, mittelbar anf Gipsmodell, sondern nnmittelbar
auf den KOrper des Kindes (allerdings Ober Trikotstoff nnd einem dicken Bing
plastischen Pilses am Becken) angelegt war. Wahrscheinlich sind aber für
die Vergiftung noch andere unbekannte ätiologische Faktoren mitverantwort-
lieh zu machen.
Verfasser glaubt, dass die Vergiftung anf dem Wege der Besorption
durch die Haut nnd nicht durch Einatmung zu stände gekommen ist; er hält
gegenüber den neueren Arbeiten über die Ungiftigkeit des Azetons die Mit*
teUnng dieses Palles für sehr angezeigt, da er den zweifellos seltenen Fall
einer AzetonTergiftung durch äussere Einwirkung des Azetons auf den KOrper
darsutun geeignet ist. _ Dr. Waibel-Kempten.
Aspirin-Nebenwirkung. Von Dr. Winckelmann, Arzt in Darm¬
stadt. Münchener med. Wochenschrift; 1908, Nr. 42.
Verfasser fügt den bereits veröffentlichten Fällen von Nebenwirkungen
des Aspirins (s. Bef. in Nr. 20, 1903, 8. 734 dieser Zeitschrift) einen weiteren
▼on ihm beobachteten Fall hinzu:
Ein mittelkTäftiger Mann von 28 Jahren erhielt wegen Angina tonsillaris
abends 6 Uhr und 8*/* Uhr je 1 g Aspirin, worauf die Temperatur von
89,5 anf 38,2 fiel. Gegen Mittag des nächsten Tages bemerkte Verfasser
an den Streckseiten beider Ellenbogen, an den Vorder- nnd Innenseiten der
Kniegelenke nnd an den oberen nnd medialen Flächen der Fnssgelenke ein
Exanthem von leicht erhabenen, roten, bis linsengrossen Fleckchen, welche an
den Innenseiten der Kniegelenke so dicht standen, dass sie einen handgrossen
roten Fleck bildeten, während sie an den übrigen Stellen mit 2 bis 5 mm
Zwisohenraum angeordnet waren. Der Ansschlag jnckte etwas, Pols und At¬
mung waren ruhiger als am Tage vorher, der Urin war und blieb ohne Eiweies.
Aspirin erhielt der Knabe nicht mehr nnd das Exanthem verschwand in den näch¬
sten 36 8tunden. An beiden Ellbogen trat geringe Abschilferung der Haut ein.
Verwendet wurde das reine (Original-) Aspirin. Dr. Waibel-Kempten.
Tod einer Traeheotomierten durch Erhängen. Von Dr. Bertels¬
mann. Vierteljahrsschrift für gerichtl. Medizin u. Offentl. Sanitätswesen;
1908, HI. F., XXVI. Bd., 2. Heft, 8. 251.
Der hier mitgeteilte Fall ist sehr ähnlich dem bekannten, von Beine-
both veröffentlichten Fall. Eine wogen Larynxkarzinoms tracheotomierte Fran
erhängt sich so, dass die Schlinge oberhalb der Luft zufflhrenden Kanüle lag.
Die Lnftzufnbr wurde also nicht unterbrochen, trotzdem muss das Bewusstsein
momentan geschwunden sein, da sich nirgends Spuren eines qualvollen Todes
an der Leiche fanden. Die Erklärung hierfür wird dnreh die Kompression der
Karotiden gegeben. _ Dr. Ziemke-Halle a. 8.
Zur Frage der Spätapoplexie. Ein Gutachten. Von Prof. Dr.
0. Israel. Ibidem; 8. 242.
Verf. beleuchtet an der Hand eines von ihm für eine Lebensverslcberunge-
gesellschaft erstatteten Gutachtens den von Bollinger aufgestellten Begriff
der 8pätapoplexie. Er vergleicht die Befunde, welche Dur et seiner Zeit
experimentell an Tieren hervorrief, mit den Beobachtungen Bollingers am
Menschen und findet, dass diese sich nur zum Teil mit den Tierexperimenten
decken, daher für die Beweisführung einer traumatischen Spätapopiexie nicht
za verwenden sind. In den Fällen, in welchen der Tod erst beträchtlich später
nach der Verletzung eintritt, ist die Zeit, welche bis zum Eintritt der Blutung
vergeht, notwendig, um die zum Zustandekommen der Blutung erforderliche,
begrenzte Hirncrweichung, welche die Gefässe schädigt, hervorznbringen. In
einer relativ kurzen Zeit, z. B. in 2 Stunden, kann eine Erweichung nicht zu
stände kommen. Man darf daher in solchen Fällen nicht eine Spätapoplexie,
sondern muss eine spontane Hirnblutung annebinen.
Dr. Ziemke-Halle a. S.
874
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
Ueber Nebennierenblutungen bei Neugeborenen. Von Besirksarst
Dr. DOrner in Adelsheim.
Verf. hat sich mit den Nebennlerenblntnngen bei Neugeborenen beschäf¬
tigt. Unter den innerhalb der letzten 10 Jahre in der Dresdener Frauenklinik
znr Sektion gekommenen Nengeborenen fand er 8 mal Blutungen in den Neben¬
nieren. Für ihr Zustandekommen scheint die Ursache sowohl in den Neben¬
nieren selbst, wie in den Geburtsvorgfingen zu liegen. Von gerichtsärstlichem
Interesse sind diese Blutungen schon deswegen, weil sie den Tod durch Ver¬
blutung in die Bauchhöhle zur Folge haben können. Wichtig ist ferner ihr
Vorkommen bei asphyktischen Neugeborenen auch ohne längere traumatische
Einwirkungen während des Geburtsvorganges. Hier wird die Annahme eines
natürlichen Erstickungstodes infolge der Geburt durch daB Vorhandensein der
Nebennierenblutungen unterstützt, eine Erstickung durch äussere Einwirkungen
aber unwahrscheinlich. Dr. Ziemke-Halle a. S.
Lungenfäulnis und Schwimmprobe. Von Prof. Dr. Le ub ns oh er.
Ibidem; S. 263.
Nach Untersuchungen, welche Verf. an Tieren und an 14 neugeborenen
Kindern angestellt hat, glaubt er, den von Bor das und Descoust aufge¬
stellten Satz bestätigen zu können, dass Schwimmfähigkeit der Lungen die
Btattgehabte Atmung des Kindes beweise. In Lungen, die nicht geatmet
haben, tritt nur ausnahmsweise und höchstens eine geringe Fäulnisgasent¬
wicklung auf. Jede irgendwie reichlichere Gasentwicklung in faulenden Lungen
weist auf ein vorheriges Eindringen von Luft in die Lungen, sei es durch
Atmung oder durch Wiederbelebungsversuche.
Dr. Ziemke-Halle a. S.
Jodoformgazerest in der Vagina einer Wöchnerin. Von Dr. Pilf
in Alsleben a. S. Ibidem; S. 266.
Ein Arzt tamponierte bei einer heftigen Blutung nach der Geburt die
Gebnrtswege mit Jodoformgaze. Die Blutung stand und die Wöchnerin fühlte
sich andauernd wohl, obwohl sich nach einigen Tagen sehr übelriechender
Ausflass einstellte. Obwohl der Arzt zweimal, am 10. und am 23. Tage des¬
wegen um Bat gefragt warde, untersuchte er die inneren Gebnrtswege nicht,
sondern begnügte sich zu erklären, da kein Fieber vorhanden, sei der Ausflass
ohne Bedeutung. Wegen des geradezu pestilenzartigen Geruches wurde der
Verf. zugezogen, und fand in dem hinteren Scheidengewölbe einen mit fauligem
Blut und Eiter durchsetzten Jodoformgazestreifen. Verf. erörtert die Frage,
was wohl geschehen wäre, wenn die Wöchnerin an puerperaler Infektion er¬
krankt und gestorben wäre. Zweifellos hätte der Arzt fahrlässig gehandelt,
da er eine innere Untersuchung zur Erforschung der Ursache des Geruches
auch nicht vornahm, als er zum zweitenmal zu Bat gezogen wurde, gleichwohl
aber den Ausfluss und Geruch für bedeutungslos erklärte.
_ Dr. Ziemke «Halle a. 8.
Experimentelle Studien zur Pathogenese akuter Psychosen. Nach
einem aaf der Jahressitzung des deutschen Vereins für Psychiatrie am 22. April
1903 in Jena gehaltenen Vortrage. Von Privatdozent Dr. Hans Berger in
Jena. Berliner klin. Wochenschr.; Nr. 30, 1903.
Die Annahme, dass die akuten Psychosen auf eine Toxämie, auf im Blut
kreisende und von irgend einem in den Kreislauf gelangende Toxine znrückzn-
führen seien, suchte Verfasser experimentell nachzuweisen. Er entnahm meh¬
reren akaten Psychosen Bmt und spritzte es sich subkutan in den Arm. Nach
einer solchen Injektion von einer Dementia praecox stellte sich Schwindel und
später heftige Angst ein, nach einer anderen von einer an vollentwickelter
Dementia praecox leidenden Patientin herrührenden Injektion stellte sich nach
einer Vicrtelstinde heftiges Sausen im Kopf und Erschwerung der geistigen
Vorgänge ein, nach 3 Standen ein heftiger Schwindelanfall mit Flimmerskotom,
Nachts Kopfschmerzen, später Kolikanfälle, Schmerzen im Hinterkopf und
8 Tage anhaltendes Krankheitsgefühl. Nun experimentierte Verfasser an
Tiereu, indem er sich Cytotoxine herstellte. Einer Ziege wurde Hundegehirn-
substanz injiziert und mit diesem Serum an Händen subkutane Injektionen ge-
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
87B
macht. Es trat nun eine deutliche Degeneration der Riesenpyramidensellen
und eine Einwanderung zahlreicher Kerne in die degenerierten Ganglienzellen
der Grosshirnrinde ein. Nach 14 Tagen waren die pathologischen Veränderungen
nicht mehr sichtbar. Nach fortgesetzter Behandlung mit diesem neutozischen
Serum zeigte Bich ein hochgradiger Zellschwund in der Hirnrinde und ein
Hydrocephalus internus, der an die Befunde der Dementia paraiytica erinnerte.
Aehnliche Befunde, wie hier experimentell erzeugt wurden, finden sich bei
akuten Psychosen; die Annahme von Toxinen bat somit eine wesentliche Stütze
erhalten. Die Versuche sollen fortgesetzt werden.
Dr. Räuber'Düsseldorf.
Hysterische Selbstbeschädigung unter dem Bilde der multiplen
neurotischen Hautgangrän. Von Prof. Dr. Bett mann. Ans der Heidel¬
berger med. Klinik (Direktor Geheimrat Erb). Münchener med. Wochenschr.;
Nr. 40, 1903.
Das Auftreten multipler Hautgangrän bei hysterischen Individuen ist
nicht allzu selten; man kann dabei an tropbische Störungen oder an Selbst-
beschädignng, reine Artefaktbildung denken. In den meisten Fällen wird man
bei hysterischen Individuen gut daran tun, den Verdacht der Selbstbescbädi-
gung hartnäckig weiter zu verfolgen. Die Existenz einer neurotischen Spontan¬
gangrän ist aber mit der Feststellung jener Simulation keineswegs geleugnet;
ja eB ergibt sich sogar, dass in Fällen offenkundiger Selbstbescbädigung das
Missverhältnis zwischen der geringen Intensität des Eingriffs und der Schwere
seiner Folgen zum mindesten die Annahme einer besonderen nervÜBen Prädis¬
position nahe legen kann.
Verfasser führt nun einen Fall von Selbstbescbädigung durch Lysol
bei einer 21jährigen Tagelöhnerstochter an, bei welcher seit ca. 2 Jahren in
zahlreichen unregelmässigen Nachschüben und meistens an den Extremitäten
Geschwüre auftraten mit oberflächlicher Nekrose der Haut in der Form von
teils rundlichen, teils irregulär begrenzten, harten, derben, leder- oder per¬
gamentähnlichen Plaques, welche nicht Uber TalergrOsse, bräunlich gefärbt,
unempfindlich, mit der Nadel kaum durchstechbar waren und vollkommen fest
und unablösbar auf der Unterlage hafteten.
Später eine demarkierende Entzündung, die zur Abhebnog des Schorfes
und zur Bildung eines meist oberflächlichen Geschwürs führte. Stets war die
linke Körperhälfte mehr bevorzugt; der Rumpf blieb verschont.
Da arteriosklerotische Veränderungen und eine organische Nervenkrank¬
heit auszuschliessen waren, konnte die Diagnose nur zwischen der Annahme
einer neurotischen Spontan?augrän bei einer Hysterischen oder einer hysterischen
Selbstbescbädigung schwanken.
Trotz Leuguens wurde allmählich der Verdacht auf Selbstbescbädigung
immer stärker, und schliesslich kam man mit Hilfe der beobachteten hysterischen
Erscheinungen und der objektiven Anamnese darauf, dass die Person Lysolum
purum, zu dem sie „nach Belieben“ Wasser zusetzte, auf die Haut brachte
und damit die Geschwüre erzeugte.
Verfasser stellte hierauf Versuche an sich an und fand, dass reines Lysol,
auf eine umschriebene Hautpartie aufgepinselt, nach einige Sekunden langer
Einwirkung sehr wohl imstande ist, einen oberflächlichen Schorf hervorzurofen.
Ueberraschend war nun die Tatsache, dass bei der Patientin auch geringe
Konzentrationen einer Lysollösnng (von 16— 20°/o) einen intensiven Effekt
hatten (zuerst Rötung, daun Blasenbildung, dann Schorf usw.). Das Interessante
an diesem Falle war einmal der Nachweis der Selbstbescbädigung und dann
der Nachweis, dass die Reaktion der Haut in einem quantitativen MisverhältniB
za der Stärke des Eingriffs stand, eine Feststellung, die sich aus mehreren
anderen Fällen offenkundiger hysterischer Selbstbeschädigungen mehr oder
minder auffällig ergab. Es spielten hier abnorme tropbische Beeinflussungen
der Haut mit herein.
In praktischer Hinsicht drängt sich die Lehre von selbst auf, dass man
gerade hysterischen Individuen gegenüber in der Verordnung differenter Sub¬
stanzen nicht vorsichtig genug sein kann. Dr. Waibei-Kempten.
876
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Zur forensisch-psychiatrischen Beurteilung spiritistischer Medien.
Von Dr. R. Henneberg, Privatdozent und Assistent der psychiatrischen und
Nerrenklinik der Königlichen Charitö (Prof. Jolly). Archiv für Psychiatrie;
37. Band, 3. Heft.
H. teilt seine Beobachtungen und Gutachten über das viel genannte
Blamenmedium Anna Rothe mit. Er bezeichnet sie als gemindert zurech¬
nungsfähig ; ihre medinmistischen Leistungen stehen im engsten Zusammenhang
mit den bei ihr nachgewiesenen Störungen auf psychisch-nervösem Gebiete
(Hysterie).
Es wird ausgeftthrt, dass „bewusste betrügerische Handlungen nicht
selten von psychisch abnormen und geisteskranken Individuen begangen werden.*
. . . . „Die Neigung, durch anscheinend wunderbare Handlungen sich Geltung
und Beachtung zu verschaffen, entspringt der krankhaften psychischen Kon¬
stitution der Hysterischen“, solche finden int Spiritismus daher am leichtesten
ein Feld der Betätigung. — H. hat im Anschluss an diese Ausführung ein sehr
interessantes Material znsammengestellt Uber die Beziehungen, die zwischen
Geistesstörung, Spiritismus und bewusstem Betrug bestehen.
Dr. Pollitz-Münster.
Welche besonderen Einrichtungen sind bei der Anstal tsbehand-
lnng der Epileptischen erforderlich. Von Dr. H. Stakemann in Roten¬
burg (Hannover). Allgem. Zeitschrift fttr Psychiatrie; 60. Bd., 6. H.
Verfasser bat seine Erfahrungen in einer Reihe Sätze zusammengefasst,
aus denen hier nur einige wiedergegeben Beien. Die Epileptiker sollen nicht
mit frisch erkrankten Geisteskranken zusammengebracht werden, es sind daher
spezielle Epileptikeranstalten, wie sie in einzelnen Provinzen bereits bestehen,
zu schaffen. In diesen können ausnahmsweise auch andere Geisteskranke Auf¬
nahme finden; dieses empfiehlt sieb nicht nur im Interesse der Kranken,
sondern auch in demjenigen der Aerzte, deren Ausbildung sonst zu einseitig
wird. Epileptische Idioten gehören ebenfalls in die Epileptikeranstalten,
die besondere Massnahmen zu treffen haben, um die Eiranken vor Vn-
glocksfällen und Verletzungen zu bewahren. Unter der Voraussetzung einer
sachgemässen psychiatrischen Leitung und entsprechender baulicher Einrich¬
tungen sind auch Privatanstalten fttr Epileptiker als geeignet vorzusehen. Die
Krankenpflegerfrage wird gerade bei diesen Kranken viele Schwierigkeiten
machen. Dr. Pollitz-Mttnster.
Das belgische Irrenwesen, speziell die Familienpflege. Mitteilungen
vom internationalen Kongress für Irrenfflrsorge zu Antwerpen. Von Direktor
Dr. Gock-Landsberg a. W. Allgemeine Zeitsckrift für Psychiatrie; 1903,
60. Bd., 4. H., S. 646 und ff.
Der Vortragende benutzte die Gelegenheit seiner Teilnahme an dem
oben genannten Kongress, sich eirgebender mit der viel gerühmten Familien¬
pflege in Belgien zu beschäftigen. Das Ergebnis ist ein wenig günstiges und
es wäre sehr wünschenswert, wenn dieBo ruhigen nnd objektiv kritischen Aus¬
führungen des Verfassers besonders von den nicht ärztlichen Kreisen gelesen
würden, die an der Irrenfürsorge beteiligt sind. Wir Bind in den letzten
Jahren so oft auf die Familienpflege in Gheel als Muster nnd Vorbild hinge¬
wiesen worden, dass es an der Zeit ist, auch andere nicht einseitig begeisterte
Stimmen zu hören. Der Verfasser zeigt, dass das belgische Irrenwesen noch
überaus mangelhaft organisiert und dass die Fatrilienpflege in erster Linie ein
„Notbehelf“ für das Fehlen geeigneter Anstalten ist, deren Belgien nur drei
insgesamt besitzt. Bei der weiteren Ausgestaltung des belgischen Irrenwesens
spielten aber mancherlei politisch-religiöse Fragen eine viel wichtigere Rolle,
als solche der freien Behandlung. Der Verfasser hat recht viel Bedenkliches
goeehen, mangelnde ärztliche Pflege und klinische Beobachtung — für 1900
Kranke sind nur oin Direktor nnd 4 Assistenten angestellt —, geringe Rein¬
lichkeit und schlechte Versorgung unreinlicher Kranker. Ebenso Hessen die
hygienischen Massnahmen recht viel zu wünschen übrig, besonders solche zur
Bekämpfung der Tuberkulose. Nicht viel besser scheint eB mit den Irrenan¬
stalten und Kliniken zu stehen, die meist nach sehr veralteten Prinzipien ge-
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
877
baat and geleitet werden. In der Krankenpflege spielen Zwangsmassregeln,
wie Zellenbehandlung and Zwangshandschuho eine hervorragende Rolle.
Bemerkenswert ist schliesslich noch die Mitteilung des Verfassers, dass
die Kranken in der Familienpflege, nach einigen von ihm veranstalteten Proben,
mit ihrer „freien Internierung“ genau so unzufrieden waren, wie Anstalts¬
kranke entsprechender Krankheitsformen. Dass die Familienpflege unter Um¬
ständen eine billigere Verpflegungsform darstellt, ist zuzugeben; eine Aus¬
dehnung dieser Art Irrenfflrsorge in dem breiten Masse, wie sie in Belgien
besteht, erscheint jedoch in keiner Weise wünschenswert.
Dr. P o 11 i t z - Münster.
Zar Revision des Deutschen Strafgesetzbuchs. Von Direktor
Dr. Q er lach in Königslutter. Allgem. Zeitsch. für Psychiatrie; 65. Bd., 5. H.
Zu den Forderungen, die die besonders von v. Liszt vertretene neuere
Strafrechtslehre aufstellt, gehört neben der Aunahme einer verminderten Zu¬
rechnungsfähigkeit auch die gesetzliche Bestimmung, dass der Richter die
Ueberweisung eines gemeingefährlichen Geisteskranken in eine Irrenanstalt in
dem freispreebenden Urteil oder im Binstellungsbeschlass verfugen kann. Ver¬
fasser zeigt nun an einer Reihe drastischer Beispiele, wie bei den jetzigen
gesetzlichen Verhältnissen die Ueberweisung derartiger Kranken seitens der
Verwaltungsbehörden, die von der Staatsanwaltschaft in Kenntnis gesetzt
werden, gehaudhabt wird und wie viel Schwierigkeiten und Unsicherheit be¬
stehen. Aber auch bei einer Reform des Strafgesetzes im Sinne Liszts würde
nach Ansicht des Verfassers die Entscheidung über die Gemeingefährlichkeit,
die dem Richter zugewiesen wird, mancherlei Schwierigkeiten machen. Ganz
besondere Bedenken erweckt dabei der Umstand, dass die öffentlichen Heilan¬
stalten damit wieder zu Gefängnis- oder Internierungsanstalten degradiert nnd
bei der Bevölkerung kompromittiert würden. In dieser Hinsicht dürfte jedoch
m. B. ein Aasweg za Anden sein, durch Ueberweisung solcher Kranken an die
Gefängnisirrenabteilangen. Jedenfalls würde eine solche Refoim, wie ich
glaube, dem Rechtsbewnsstsein des Volkes wohl entsprechen.
Dr. Pollitz-Münster.
B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- and Invaliditäts-
saohen.
Unfallheilkunde nnd Neuropathologie in ihren Wechselbe¬
ziehungen. Antritts Verlesung von Dr. Paul Schuster, Privatdozent für
Neuropathologie an der Universität Berlin. Berliner klinische Wochenschrift;
1903, Nr. 28.
Darch die Unfallgesetzgebung ist wie anf sozialem Gebiete, so auch auf
dem Gebiete der ärztlichen Tätigkeit eine Umwälzung erfolgt. Bs entstand
eine neue ärztliche Speziallehre, die Unfallheilkunde mit besonderer Inanspruch¬
nahme der Nervenheilkunde. Die Beziehungen der Nervenheilkunde zur Un¬
fallheilkunde sind Wechselbeziehungen geworden derart, dass jetzt beide Dis¬
ziplinen durch gegenseitiges Geben und Empfangen Bereicherung ans der
J emeinsamen Tätigkeit erfahren haben. Die Vorteile, die die Unfallheilkunde
arch die Neurologie empfängt, sind offenkundige, insbesondere bei der Gruppe
der traumatischen funktionellen Krankheitszustände. Fast in jedem Fall einer
Unfallkrankheit steckt ein Stückchen „Neurose“. Aber auch die Neurologie
hat durah die Unfallheilkunde eine Bereicherung und Vertiefung ihrer Symp¬
tomatologie und Pathologie erfahren. Bs seien hier erwähnt die gründlicher
ausgebildete Untersuchung der Sensibilität, di8 Gesichtsfeldbestimmnng, die
Zitterzustände, die Gewohnheitslähmungen, die Kontraktuien gewisser Rücken-
muskoln, die pseudospatistisebe Parese mit Tumor, gewisse Formen der Wirbel¬
säulenverkrümmung usw. Am meisten Vorteil für sich hat die Nenrologie aus
der Bearbeitung der funktionellen Unfallkrankheiten gezogen. Beträchtlich hat
die Kenntnis von dem Weseu der Hysterie angenommen. Büdlich ist der medi¬
zinisch - pädagogische Wert der Unfallheilkunde hervorzuheben, der mit der
Abfassung der Unfallgatachten verbunden ist and in klarem diagnostischen
nnd prognostischen Denken heranbildet.
Dr. Räuber-Düsseldorf.
878
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
Epilepsie and Hysterie vom Standpunkt der Invalidenversiche¬
rung. Von Dr. W. S t e in p e 1 - Breslan. Aerztliche Sachverständigen - Zeitung;
1903, Nr. 17.
Der Arzt darf Epilepsie nur diagnostizieren, wenn er sich persönlich von
einem typischen Anfall überzeugt bat; im anderen Falle ist die Diagnose in
saspenso za lassen and am besten Aufnahme in ein Krankenhaus za beantragen.
Verfasser erörtert dann ausführlich die klinischen Unterschiede des epileptischen
and hysterischen Anfalles. Dieselben haben sofort in der folgenden Nummer
derselben Zeitschrift von Dr. Raecke in Frankfurt a. M. Widerspruch er¬
fahren. Wenn Stempel absolate Lichtstarre der Papillen während eines epi¬
leptischen Anfalles stets beobachtet hat, im Gegensätze zum hysterischen Anfall,
bei welchem sie stets anf Lichteinfall reagieren sollen, so widerspricht Raecke
diesen Angaben und sagt, dass beim epileptischen Anfalle das Verhalten der
Papillen variiere, and dass im hysterischen Anfalle Lichtstarre vorhanden sein
könne and zwar während des tonischen Stadiums infolge eines peripheren
Iriskrampfes. Aach gegen weitere Angaben Stempels erhebt Raecke Wider¬
sprach, doch würden die Anführungen derselben den Rahmen eines Referates
überschreiten.
Epileptisch and hysterisch Kranke, welche täglich oder mindestens alle
3—4 Tage einen Krampfanfall haben, sind nach dem Verfasser arbeitsunfähig
und zwar erstere dauernd im Sinne des Gesetzes, letztere dagegen nicht
dauernd, da es meist jagendliche, im übrigen vollkommen rüstige and gesunde
Personen sind, bei denen eine Besserung bezw. Heilung za erwarten ist. Diese
sind daher in Genesungsheime der Versicherungsanstalten aufsunehmen. Be¬
findet sich der Patient im Klimakterium, so ist nnr von Zeit za Zeit eine Nach¬
untersuchung erforderlich, ein Heilverfahren dagegen nicht einzuleiten.
Bei Epileptikern, welche nur selten Anfälle und von geringer Intensität
haben, ist zunächst eine längere Beobachtung im Krankenhause erforderlich
and zwar müssen hier die Kranken nach ihrer Befähigung and ihrem Stande
beschäftigt werden. Zeigt sich hierbei, dass der Kranke nach einem Anfall
noch mehrere Tage leidend and matt ist, so ist anch in solchen Fällen danerndc
Arbeitsunfähigkeit anznnehmen; fühlt dagegen der Krsnke am Tage nach dem
Anfall sich wieder wohl, so liegt Invalidität im Sinne des Gesetzes nicht vor.
Ein Heilverfahren bei diesen Kranken ist in Schlesien anscheinend mit leid¬
lichem Erfolge in der WeiBe durcbgeführt worden, dass den Kranken von der
Versicherungsanstalt Bromsalze uater ärztlicher Kontrolle verabreicht werden.
Bei loichten und mittelschweren Hysterieformen und sonst arbeitsfähigem
Körporzustand besteht keine Invalidität im Sinne des Gesetzes und ist eino
andauernde Beschäftigung in passender Form das geeignetste Heilmittel. Darch
Aufnahme in ein Genesungsheim kann zuweilen das Auftreten schwerer hyste¬
rischer Erscheinungen verhütet werden. Dr. Troeger-Neidenborg.
Zar Kenntnis der nach Trauma entstandenen AortenfnsnfAsiens.
Vou Dr. Strappler in München. Münchener medizinische Wochenschrift;
1903, Nr. 28.
Dass eine den Körper treffende and speziell aaf den Brustkorb ein¬
wirkende Gewalt am intakten Endokard Einrisse hervorrafen könne, erscheint
nunmehr hinlänglich erwies, n.
Solche eindeutige, ganz reine Fälle von darch Trauma entstandenen
Herzfehlern, in welchen an sicher vorher intakten Klappen Einrisse hervor-
gerafen wurden, Bind allerdings nicht häufig. Wohl für die grössere Zahl der
Fälle trifft es za, dass daroh s^hon bestehende chronische Endooarditis oder bei
universeller oder auf die Aortenklappen lokalisierter Atheromatose die Klappen
zam Einriss durch das Trauma prädisponiert waren.
Nicht za vergessen ist die alte klinische Erfahrung, dass anch darch die
traamatmch hervorgerafene Insuffizienz einer primär gesunden Klappe, sekun¬
däre Arteriosklerose and sogar regaläre Stenose der Semilnnarklappen ent¬
stehen kann.
Verfasser berichtet non Uber einen von ihm nntersnohten and begut¬
achteten Fall, welcher einen 47jährigen Kätscher betraf, der darch Anprall
eines Trambahnwagens an dem Coupö, worauf er als Kätscher sasa, nasser
einem Vorderarmbrach eine sehr heftige Prellang der Brost and des Rüokena
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
879
erlitt, so dass er vom Bocksitse rücklings gegen das feste Wagendach ge*
schlendert wurde.
Nach Mitteilung der Krankheitsgeschichte and des Statas praesens gibt
Verfasser folgende Zusammenfassung: Patient leidet also nach dem Ergebnis
der Organautersucbung an Insuffizienz der Aorta. Im Zusammenhänge damit
stebeu die zeitweise, aber chronisch auftretenden stenokardUchen and kardial-
gischen Beschwerden. Differentialdiagnostisch ist zu bemerken, dass akute
Eadocarditis post trauma and deren Resilaen ausgeschlossen werden können
(Fieber etc.), dass ferner kongenitale gefensterte Aortenklappen nicht in Be*
tracht kommen können (beim Militär and sonst be3ohwerdefrei^; weiter sei
darauf hingewiesen, dass fttr chronische darch Infektionskrankheiten bedingte
Eadoiarditis kein ätiologisches Moment vorhanden ist; auch waren keine dies¬
bezüglichen Beschwerden vor dem Unfälle vorhanden gewesen.
Dass es sich am eine primäre prämature, am Endokard lokalisierte Athe-
romatose handelt, erscheint weniger wahrscheinlich, in erster Linie wegen der
gegebenen Blutdrackverhftltnisse, ferner wegen des Mangels an hereditärer
Belastung.
Es mass also mit Notwendigkeit gefolgert werden, dass Patient an einer
sog. traumatisohen Erkrankung der Aortaklappen: Aorteninsuffizienz mit ihren
Konsequenzen (mässiger Hypertrophie des linken Ventrikels) leidet. Denn
zwischen dem im Febraar 1902 erlittenen Unfall and der daran sich an¬
schliessenden Veränderung am Herzen besteht ein anzweifelhafter kausaler
Zusammenhang.
Znm Schlüsse bemerkt Verfasser noch, dass die Lautheit eines Klappen-
geräasches absolut nichts Charakteristisches fttr traumatischen Klappenfehler
darbietet. Verfasser meint sogar, dass es zweifellos Fälle von traumatischer
Aorteninsuffizienz gibt, bei denen nur sehr schwer und nur ein unbedeutendes
Geräusch oder bei einmaliger Aaskoltation vorübergehend überhaupt kein
diastolisches Aortengeräasch gehört wird. Dr. aibei-Kempten.
Ueber die Bedeutung der Aphakie nach Altersstar fttr die Er¬
werbsfähigkeit. Von Dr. F. Kauf f mann-Ulm. Aorztliche Sachverständigen*
Zeitung; 1903, Nr. 18.
Verfasser stellt folgende Sätze auf:
1. Der Operierte verfttgt nicht Aber ein unbehindertes, deutliches Sehen,
wie es fttr die werktätige Lohnarbeit erforderlich ist.
2. Er kann die Entfernungen und die Lago der Gegenstände nicht sicher
und Bohnell erkennen; es fehlt ihm daher die nötige Umsicht, er ist unsicher
und für viele Arbeiten — auch bei guter Sehschärfe — unbrauchbar.
8. Der Operierte muss zu jeder Arbeit eine Brille tragen, was beschwer¬
lich und für manche Arbeiten hinderlioh ist; der Brillenträger erscheint
oft minderwertig und weniger konkurrenzfähig.
4. Der Operierte muss fortgesetzte Vorsicht walten lassen, was die Arbeit
verlangsamt und verteuert und ihn weniger tüchtig macht
5. Das Erlernen früher nicht geübter Arbeiten ist ihm erschwert, um
so mehr als das binokulare Sehen oft fehlt und die Anpassungs- und Lern¬
fähigkeit durch das Alter verringert zu sein pflegt. — In bekannten altge¬
wohnten Verhältnissen und Berufszweigen und bei gleichmässig sich abwickeln¬
den Beschäftigungen wird der Operierte noch am meisten leisten können.
Dr. Troeger-Neidenburg.
Ursächlicher Zusammenhang zwischen Betriebsunfall and Tod
ist als vorliegend zu erachten. Schwefelwasserstoffgasvergiftung.
Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamtes vom
1. Juli 1908.
Die Tatsache, dass der verstorbene Steiger R. am 2. und 8. Januar 1901
in der Grube Mont-Cenis Schwefelwasserstoffgase eingeatmet hat, ist schon
vom Schiedsgericht anerkannt; auch das R. V. A. hat an dieser Tatsache keinen
Zweifel. Hierin kann, da es sich um ein zeitlich bestimmtes, in einen verhält¬
nismässig kurzen Zeitraum eingeschlossenes Ereignis handelt, ein Betriebsunfall
im Sinne des Unfallversioherungsgesetzes gesehen werden. Audi den ursäeh-
880
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitsohrilten.
liehen Zusammenhang zwischen Unfall and Tod hat das R. V. A. für er¬
wiesen erachtet. Ueber die Natur des Leidens, an dem R. am 8. Januar 1901
erkrankt nnd am 6. Januar 1901 gestorben ist, gehen die Gutachten der Sach¬
verständigen allerdings auseinander. Während Dr. B. das Leiden zuerst als
Folge einer Gasvergiftung ansah, hat er nach der Obduktion der Leiche in
Uebereinstimmung mit dem Medizinalrat Dr. T. die Ursache des Leidens in
einer Herz- und Nierenerkrankung gesehen, an der R. schon vorher gelitten
habe, und dieser Auffassung bat sich auch Prof. Dr. L. mit den Aerzten des
Krankenhauses Bergmannsheil angeschlossen. Prof. Dr. F. hat dagegen in
seinem Gutachten vom 13. Mai 1903 das erste Urteil des Dr. B. für besser be¬
gründet erklärt; er ist der Ansicht, dass die Krankheitserscheinungen, die B.
gezeigt hat, nicht als Folge einer durch die Nierenkrankheit verursaohten
Harnvergiftung (Urämie), sondern als Folge der Schwefelwasserstoffgasver¬
giftung gedeutet werden müssen, und dass daB Herz- und Nierenleiden nurin-
sofern zu dem tödlichen Ausgang mitgewirkt haben könne, als die Wider¬
standskraft des Körpers dadurch geschwächt gewesen sei. Das R. V. A. hat
sich, obwohl es die Bedenken in der Sache nicht verkennt, dem Urteile des
Prof. Dr. F. angeschlossen, da er durch seine klinischen Erfahrungen auf dem
Gebiete der inneren Medizin zur Beurteilung solcher Fälle besonders berufen ist.
Die Ausführungen seines Gutachtens sind für das R. V. A. um so mehr über¬
zeugend gewesen, als sich bei R. vor dem 2/3. Januar 1901 keine Zeichen eines
schweren inneren Leidens gezeigt hatten. Er hat nach der Lohnnachweisung
ständig gearbeitet, ist nach der Auskunft der Krankenkasse seit dem 1. Januar
1895 niemals krank gewesen und hat sich nach der Bescheinigung des Berg¬
assessors T., unter dem er bis zum Sommer 1900 stand, als ein ungewöhnlich
tüchtiger und tätiger Mann erwiesen. Die Einsilbigkeit und die tiefliegenden
Augen, die dem Inspektor St. in der letzten Zeit der Beschäftigung an R.
aufgefallen sind, können nicht als Zeichen eines Fortschritts der Nierenkrank¬
heit gedeutet werden, da sie nach der Bescheinigung des Bergassessors T. stets
vorhanden waren. Unter diesen Umständen hat der plötzliche Zusammenbruch
R.s etwas sehr Auffallendes und ist, wie Prof. Dr. F. erklärt, mit den Er¬
fahrungen über den gewöhnlichen Verlauf solcher chronischen Nierenleiden
(Nierenschrumpfung, Brightsche Krankheit) nicht vereinbar. Anderseits sind
freilich au Jh nicht alle Krankheitserscheinungen festgestellt, die mit Sicherheit
auf eine Gasvergiftung schliessen lassen würden, insbesondere ist nicht erwiesen,
dass R. sich erbrochen hat oder überhaupt starken Brechreiz gehabt hat. In¬
dessen kann hierauf kein entscheidendes Gewicht gelegt werden, um so weniger
als die ärztliche Kenntnis über die Krankheitserscheinungen der seltenen
SchwefelwasseratoffgasVergiftung noch keine unbedingt sichere ist. Das Ge¬
samtbild des Falls spricht für die Ansicht, dass die Einatmung der Gase,
wenn auoh nicht die einzige, so doch eine wesentlich mitwirkende Ursache des
Leidens und Todes geworden ist. Kompass; Nr. 20.
Grad der Erwerbsverminderung bei glattem Verlust des linken
Mittelfingers. Rekurs-Entscheidung des Reiohs-Versicherungs-
amtes vom 8. Juli 1908.
Es bleibt demnach nur der glatte Verlust des linken Mittelfingers als
Unfallfolge zu entschädigen. Erwägt man ferner, dass seit dem Unfall vom
14. September 1901 bereits längere Zeit verflossen ist, die dem Kläger reich¬
lich Gelegenheit zur Anpassung und Gewöhnung an den veränderten Zustand
seiner verletzten Hand gegeben hat, so erscheint, auch wenn man die Be¬
schwerden des Klägers, wenigstens zum Teil, für begründet ansehen will, die
auch sonst für dergleichen Verletzungen gewährte Rente von 10 Prozent ange¬
messen und ausreichend. Wenn der Kläger zur Zeit noch einen diesen Pro¬
zentsatz übersteigenden Lobnausfall haben sollte, so ist dieser auf andere Um¬
stände als auf die Unfallfolgen zurücksuführen. Kompass; Nr. 20.
Eine Veränderung der Verhältnisse im Sinne des §. 47, Abs. 1 des
Invalidenversicherungsgesetnes kann nur im Falle einer Aendernng
des geistigen oder körperlichen Zustandes des Rentenempfängers an¬
genommen werden. Unter Umständen liegt eine solehe Aendernng in
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
881
der Gewöhnung an einen krankhaften Zustand oder in dem Erwerbe
neuer Fertigkeiten. Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versiche-
rungB&mts vom 18. Januar 1908. Amtliche Nachrichten des Reich s-
Versicheruugsamts; 1903, Nr. 10.
Das letztere Gesets geht nun aber bei der Bestimmung der Grenze der
ErwerbBfähigkeit im zweiten Satze des Abs. 4 im § 6 auf die einzelnen in der
Person des Versicherten in Frage kommenden Umstände näher ein, als das
frühere Gesetz in seiner entsprechenden Bestimmung; es erwähnt nämlich die
Kräfte und Fähigkeiten des Rentensuchers, seine Ausbildung und seinen bis¬
herigen Beruf; diese Umstände werden deshalb auch bei der Prüfung, ob ein
Rentenempfänger infolge einer Veränderung der Verhältnisse seine Erwerbs¬
fähigkeit wieder erlangt bat, in Betracht gezogen werden müssen. Somit wird
es von Bedeutung sein, ob er es gelernt hat, von seinen Gliedern einen anderen
Gebrauch zu machen, oder ob ihm das Fehlen eines Gliedes weniger empfind¬
lich geworden ist; in dieser Richtung wird unter Umständen der Erwerb einer
neuen Fertigkeit l ) einen Schluss gestatten. Immer wird aber eine Veränderung
der geistigen oder körperlichen Verhältnisse gefordert werden müssen; äussere
Umstände, welche die Möglichkeit der Verwertung der Arbeitskraft bedingen,
können dagegen die Anwendung des § 47, Abs. 1 nicht rechtfertigen. Nach
der Natur der Sache wird, wenn aus der Gewöhnung an den krankhaften Zu¬
stand oder aus dem Erwerb einer neuen Fertigkeit eine Veränderung der Ver¬
hältnisse gefolgert werden soll, eine gewisse Dauer der zum Beweise derselben
herangezogenen Umstände vorausgesetzt werden müssen, damit nicht eine viel¬
leicht nur vorübergehende günstige Arbeitsgelegenheit, deren Benutzung durch
den Rentenempfänger durchaus in der Absicht des Gesetzgebers liegt, jenem
schädlich wird. Ueberhaupt könnte eine zu scharfe Anwendung des Gesetzes
in der fraglichen Richtung die Versicherten davon abhalten, auf die Verwertung
und Verbesserung der ihnen verbliebenen Arbeitskraft bedacht zu sein, was in
sozialer Rücksicht nur zu beklagen wäre.
Hiernach hat aber das Schiedsgericht die Anwendbarkeit des § 47, Abs. 1
nicht in allen, vom Gesetze sugelassenen Beziehungen geprüft; die angefochtene
Entscheidung unterlag deshalb der Aufhebung.
Die Pflicht zur Gewährung der zur Sicherung des Erfolges des
Heilverfahrens und zur Erleichterung der Folgen der Verletzung er¬
forderlichen Hilfsmittel schliesst auch die Pflicht zu deren Instandhal¬
tung und Erneuerung in sich. Bescheid des Reiohs-Versicherungs¬
amts vom 14. Mai 1908.
Wie die Verhandlungen in dem Kommissionsberichte zu §. 8 a des Re¬
gierungsentwurfs, jetzt §.9 des Gewerbe-Unfallrersicherungsgesetses ergeben,
ging man davon aus, dass die Pflicht zar Gewährung der zur Sicherung des
Erfolges des Heilverfahrens und zur Erleichterung der Folgen der Verletzung
erforderlichen Hilfsmittel (Krücken, Stützapparate und dergleichen) auch die
Pflicht zur Instandhaltung und Erneuerung in sich schliesse, vorausgesetzt,
dass nicht eine schuldhafte (mutwillige oder fahrlässige) Zerstörung oder Be¬
schädigung vorliege.
Ferner ist auch hier die Frage erörtert worden, ob die Berufsgenossen¬
schaften der Liefernngs- oder Erneuerungspflicht in der Weise nachkommen
könnten, dass sie eine entsprechend höhere Rente bewilligten. Diese Frage
ist verneint.
C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches
Sanitätsweseu:
Ueber eine von einem atypischen Collbacillus veranlasst« typhus¬
ähnliche Hausepidemie hydrischen Ursprunges. Von a. o. Professor
V. 8ion, Direktor des Laboratiums, und Professor W. Negel, Primärarzt.
*) Im vorliegenden Falle hatte der wegen Verlust des linken Vorder¬
armes als Invalide anerkannte Rentenempfänger den Beruf eines Trichinen-
sohauers ergriffen.
882
Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften.
Ans dem hygienischen Laboratorinm an der Universität zu Jassy. Zentralbl. f.
Bakt., Parasitenkunde u. Infektionskrankheiten; XXXII. Bd., Nr. 7,
Sion und Negel fanden während einer in Jassy und Umgegend mit
ganz besonderer Heftigkeit grassierenden Typhusepidemie im Blute eines
Patienten, und nach dom Tode desselben auch in den verschiedensten Organen
der Leiche einen Bacillus, welcher iu seinen kulturellen und biologischen Eigen¬
schaften in der Mitte zwischen dem Bac. typhi Eberth und dem Bact. coli
steht. Denselben Bacillus fanden sie auch in dem Blute von 4 anderen Patienten,
welche mit dem ersteren zusammen gewohnt hatten, und wie jener unter
dem Bilde eines Abdominaltyphus erkrankt waren, sowie in dem Schmutze,
welcher an den Wänden eines höchst primitiven Schachtbrunnen klebte, der in
unmittelbarer Nähe der Viehställe auf dem Hofe des betreffenden Grundstückes
sich befand, auf welchem die Erkrankungen vorgekommen waren.
Der neue Parasit ist ein Kurzstäbchen von der Grösse und Gestalt des
Typhusbacillus, er ist gut beweglich und trägt an beiden Enden Geissein.
Gelatine verflüssigt er nicht; er wächst auf ihr gewöhnlich etwas langsamer
als der Typhusbacillus, bildet aber auf ihr blattartige Kolonien, die sich nur
schwer von Typhuskolonien unterscheiden lassen. Traubenzucker wird durch
den Bacillus schwach vergohren, sodass sich längs des Impfstiches nach
24ständigem Wachsthum in Agar-Stichkulturen nur 2 — 3 hirsekorngrosse
Bläschen finden. Milchzucker zersetzt er nicht, dagegen ein wenig Mannit.
Er bildet kein Indol. Milch koaguliert er nicht, dagegen wird mit ihm geimpfte
Milch nach mehreren Tagen gleichmässig sahneartig eingedickt; ihre Reaktion
ist dabei alkalisch. In Piorkowskischer Harngelatine wuchs der Bacillus
wie der Typhnsbacillus. Oberflächliche Kolonien breiteten Bich hier in ganz
feiner Schicht häutchenartig, kleine stumpfe Fortsätze seitlich aussendend ans;
diese Häutchen erschienen bei schwacher mikroskopischer Vergrösserung fein
parallel gestrichelt. Auf Kartoffelscheiben bildet er einen feinen trockenen,
pergamentartigen Ueberzug von gelbbrauner bis grauer Färbung. Petruschky-
sche Lakmusmolke wird alkalisch. Rotberger scher Neutralrotagar wird
mehr oder weniger aufgehellt und fluoreszent, während nach Ramond mit
saurem Fuchsin versetzter Agar eine leicht rosa Tönung in der Umgebung
einer Kolonie des Epidemiebacillus annimmt. Das Sernm der Kranken
agglutinierte sowohl alle 6 Stämme, wie auch je einen Typhus- und Coli-
Stamm, die zum Vergleich dienten, noch in der Verdünnung 1 : 60. Ver¬
fasser ziehen hieraus mit Recht den Schluss, dass es nicht gerechtfertigt ist,
ans dem Umstande, dass das Blut eines Patienten einen TyphuBStamm bis zur
Verdünnung 1:60 agglutiniert, den Schluss zu ziehen, dass der Patient an
Typhus leidet. ImmunBera, welche die Verfasser durch Impfung von Kaninchen
mit ihrem Epidemiebacillus herstellten, agglutinierten jeden dieser Stämme in
ganz gleichmässiger Weise bis zur Verdünnung 1 :4000, den Typhusstamm
jedoch nur bis 1:600 deutlich und den Coli-Stamm bis 1: 1000 schwach. Um¬
gekehrt beeinflusste ein in gleicher Weise hergestelltes Typhusimmunserum von
gleichem Titer die Epidemiebazillen nur biB zur Verdünnung 1:100 deutlich,
ein analoges Coli-Immnnseram dieselben Bakterien bis zur Verdünnung 1:1000
sohwach.
Mit dem Schottmülle rechen Paratyphus - Bacillus ist dieses neue
Bacterium nicht identisch. Dr. Lentz-Berlin.
Zur Epidemiologie des Typhus abdominalis. Von Prof. Dr. Tavel,
Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten in Bern. (Mit 1 Figur).
Ibidem, XXXIII. Bd., H. 8.
Im Städtchen Olten in der Schweiz herrschte im Herbst 1900 eine Typhus¬
epidemie; dieselbe war duroh eine Verunreinigung der Wasserleitung mit
den Dejektionen Typhuskranker verursacht worden. Während die Epidemie
im Orte bald erlosch, erkrankten in einem einzigen Hause noch bis in den
April 1901 hinein nach und nach mehrere Bewohner. Bei allen diesen Er¬
krankten konnte der Genuss unabgekochten Leitungswassers nachgewiesen
werden, während die wenigen Hausbewohner, welche gesund blieben, systematisch
nur abgekochtes Wassers tranken. Da das Haus neu und nach modernen
hygienischen Grundsätzen erbaut war, im übrigen bei der Pflege der Kranken
peinlichste Sorgfalt herrschte, so konnte nur die Wasserleitung Schuld an
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeischriften.
888
diesen sporadischen Fällen tragen. In der Tat konnte nach hier die Uraaehe
für die Erkrankungen in diesem Hanse einwandsfrei nacbgewiesen werden.
Der Hanptstrang der Wasserleitung Ton Olten endigt nftmiieh in einiger
Entfernung von dem betreffenden Hause blind. 50 om vom Ende der Leitung
entfernt zweigt sich die 40 mm weite Nebenleitung nach dem Hause, in dem
die letzten Typhusfälle vorkamen, ab. Die Untersuchung des in dem blinden
Endstück der Hauptleitung stagnierenden Wassers, welche von Tavel am
30. April vorgenommen wurde, ergab nun einwandsfrei die Anwesenheit von
Typhuskeimen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass aus diesem Endstück
der Wasserleitung der Infektionstoff immer von neuem in die Nebenleitung
hineingespült wurde und so die Typbusfälle in dem betreffenden Hause vor*
ursachte. Anderseits ist dieses Vorkommnis aber ein Beweis dafür, wie lange
sich Typhusbazillen im Wasser lebeus- und infektionsfähig erhalten können.
Dr. Lenti-Berlin.
Ueber die Lebensdauer von Typhusbazillen, die im Stuhle ent¬
leert wurden. Von Prof. E. Levy und Dr. Heinrich Kayser. Aus dem
hygienischen Institate der Universität Strassburg; Ibidem, XXXIII. Bd., H. 7.
Levy und Kayser konnten an einem Falle nach weisen, dass der
Typhusbacillus sich unter natürlichen Verhältnissen recht lange lebensfähig
erhalten kann. Ein Herr war anfangs September 1901 an Typhus erkrankt.
Bis zum 13. September gelangten seine Fäkalien undesinfiziert in die Abort¬
grabe; erst dann wurde ein Arzt su Bäte gezogen, der die Desinfektion der
Dejektionen des Patienten veranlasste. Jene Abortgrube wurde 5 Monate
später, am 5. Februar 1902 zum Düngen eines Gartens benutzt. Weitere
15 Tage später entnahmen Levy und Kayser eine Probe der so gedüngten
Gartenerde und untersuchten sie auf Typhusbazillen. Das Resultat war ein
einwandsfrei positives. Die Typhusbazillen waren also während 5 Monaten in
der Abortgrabe und 15 Tagen in der Gartenerde lebensfähig geblieben.
Dieses Resultat mahnt zur grössten Vorsicht bei der Verwendung mensch¬
licher Fäkalien zur Düngang eines Bodens, in welchem geniessbare Pflanzen
wachsen sollen, solange der Verdacht besteht, dass den Fäkalien nichtdesin-
fizierte Dejektionen von Typhuskranken beigemengt sind; denn einerseits können
durch Knollengewächse (Radieschen, Rüben usw.), anderseits durch die
Stiele und Blätter der Pflanzen, welche, wie Wurtz und Bourges nach¬
gewiesen haben, beim Wachsen der Pflanzen pathogene Keime emportragen
können, die Typhusbazillen aus dem Boden wieder auf den Menschen über¬
tragen werden. _ Dr. Lenti-Berlin.
Experimentelle Untersuchungen über die Ausscheidung der
Typhusagglutinine. Versuche an Meerschweinchen. Von C. Stäubli,
cand. med. (Aus dem hygienischen Institute der Universität Zürich). Ibidem;
XXXIII. Bd., 5. H.
Stäubli wies nach, dass die Agglutinine bei mit Typhusbazillen hoch
immunisierten Tieren weder in den Haren, noch in die Galle, die Tränenflüssig¬
keit, den Speichel oder das Fruchtwasser übergehen. Dagegen fand er sie in
ausserordentlich hoher Konzentration in der Milch der betreffenden Tiere
derart, dass nicht selten der Agglutinationswert der Milch den des Serums
desselben Tieres erheblich überstieg. Dieses verschiedene Verhalten der Körper¬
sekrete entspricht ihrem verschiedenen Gehalte an Eiweiss. Stäubli zieht
aus dem Befunde von Agglutininen in der Milch den Schluss, dass mit der
Milch dem Säugling nicht nur die für den Aufbau seines Körpers notwendigen
Stoffe, sondern auch die für ihn im Kampfe gegen die Infektionserreger zweck¬
mässigen Schutzstoffe zageführt werden, dass daher auch von diesem Gesichts¬
punkte aus die natürliche Ernährung des Säuglings mit Muttermilch der
künstlichen Ernährung, bei welcher durch das Kochen der MUch etwa in ihr
enthaltene Schutzstoffe zerstört werden, vorzuziehen ist.
Dr. Lentz-Berlin.
Ueber die Ankylostomagefahr in Kohlengruben. Von Dr. I b e r e r,
sen. u. jun., Werksärzten der österr.-nngar. Staatsbahn.
Die Verfasser sind durch jahrelange fortgesetzte Beobachtungen r
884
Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften.
Untersuchungen su Schlussfolgerungen über das Wesen der Ankylostomafrage
gekommen, welohe von denen, die auf Laboratorien nnd Kliniken geboren
werden, oder sich auf einmalige flüchtige Beobachtung einzelner, aus dem Zu¬
sammenhänge mit der Grube gerissene F&Ue beziehen, sehr abweichend sind.
Diese Folgerungen lassen sich in folgendem zusammenfassen:
1. Das Vorkommen von Ankylostoma duodenale ist viel mehr verbreitet,
als man bis jetzt ahnen konnte, ln der Donau • Theiss - Niederung (im alten
Dazien der Römer) dürfte der Wurm vielleicht unter der Landbevölkerung
sogar endemisch sein. Leute aus Serbien und Bulgarien, welche nie in Gruben,
auch „über Tag“ nicht, nie auf Ziegelfeldern gearbeitet hatten, beherbergen
den Grubenwurm. Viele Rekruten — frühere Bergleute — rücken znr drei¬
jährigen Dienstzeit ein, dienen mit ihren Ankylostomen ohne alle Beschwerden
anstandslos ihre Dienstzeit ab und kehren wohlgenährt und blühenden Aus¬
sehens mit Ankylostoma wieder hierher zurück (deutschen Militärzten zur
Nachprüfung empfohlen!).
2. Bergleute können auch ohne Ankylostoma blasses, krankhaftes Aus¬
sehen zeigen, auoh blutarm sein.
3. Selbst bei grösserer Anzahl beherbergter Ankylostomen müssen deren
Besitzer weder stärker blass, sichtbar blutarm, geschweige denn arbeitsunfähig,
wurmkrank oder an Ankylostomiasis leidend sein.
4. Bereits sichtbar blutarm gewordene, wurmkranke Bergleute können
unter Umständen sich erholen, trotzdem an ihren beherbergten Ankylostomen
nichts geschah.
5. Selbst nach jahrelangem Bewirten von Ankylostomen sehen einzelne
blühend gesund aus, sind wohlgenährt, dick und fett.
6. Von unseren Grubenfahrenden beherbergten seinerzeit 94 Frorent den
Grubenwurm; krank, blutarm und zeitweilig dienstunfähig waren nur 2&°/ 0 .
Trotzdem noch so an 50 °/ 0 den Grubenwurm besitzen, sind heute alle unsere
Ziechen einwandsfrei gesund, von einer Wurmkrankheit ist keine Spur mehr.
7. Die Ansteckung vermittelt die inzystierte Larve, die Weiter Verbrei¬
tung besorgt der eigentliche Grubenverkehr. Fehlen von luftdicbtschliessenden
eisernen Abortkübeln und Vorhandensein von Spritzwasser dürften nur eine
untergeordnete Rolle zukommen.
8. Epidemisches Auftreten der Wurmkrankheit in einer Zeche setzt vor¬
aus, dass in derselben noch andere hygienisch schädlich einwirkende Zustände
vorhanden sind.
Eine Zeche, auf welcher 1) ausser einer gewissen Wärme (20—80 bezw.
40° C.) t 2) auch die nötige Feuchtigkeit und 3) ausserdem noch andere hygie¬
nische ungesunde Verhältnisse und Zustände dauernd auf die Arbeiter ein¬
wirken, durch welche dieselben in ihrer Gesundheit fortwährend geschädigt
und für die Aufnahme der Ankylostomalarve gleichsam vorbereitet werden
(Wärme und Feuchtigkeit allein verursacht dies nicht), ist für eine gemein-
gefährliche Brutstätte ansusehen; es wird diese bald verseucht werden.
Bezüglich der Schutzmassregeln sahliessen sich die Verfasser der Ten-
holtschen Anffassnng an, welche hauptsächlich in der Ausseracbtlassung
der leichteren Fälle („Wurmbehafteten“) und in der Fürsorge der schwer Er¬
krankten („Wurmkranken“) gipfelt. Dr. Waibel-Kempten.
*
A propoz de Tortdopathia palustre zur un caz de trophonevrose
ossiflante des extrdmitds ehe« un paludden. VonTroussaint. Archives
de mddicine experimentale et d’anatomie patbolog. 1903, Nr. 1, S. 30.
Verfasser berichtet über eine eigenartige, im Gefolge von Malaria auf¬
tretende und mit Knochenneubildung an den Diaphysen der Extremitäten-
knochen einhergehende Erkrankung des peripheren Nervensystems, die er als
Trophoneurose toxischen Ursprungs auffasst. Der mitgeteilte Fall betrifft
einen Soldaten, bei dem kurze Zeit nach einer auf Madagaskar akquirierten
Malaria quotidiana gleichzeitig mit Motilitäts- und Sensibilitätsetörungen das
Auftreten von symmetrischen schmerzhaften Anschwellungen an den Handpba-
langen der Finger beider Hände und an den Fersen beobachtet wurde, die etwas
Aehnlichkeit mit Frostbeulen hatten. Sie erwiesen sich bei Röntgenstrahlen¬
beleuchtung bedingt daroh ausgedehnte Knochenneubildung an den Diapbysen
Kleiner« MitteilojEgeu and Referat« tu Zeitschriften. 885
der HaudphaUngen der Finger and es der basalen Fläche beider Calcanel. Di«
Gelenke «raren dabei ganz intakt. Der Patient wurde als vollständig invalid«
begutachtet. Dr, Ri s e1- Leipvig,
Eotatebungsnreache der Pustula maligna. Von Dr. Hölscher.
Archiv für klinische Chirurgie. 69. Baud, 1. u. 2. Heft,
In 7 Fällen zeigt Hölscher, dass nach bei miizbrandverdfichtiger
Yyrgsachicflte nicht alle Hauterkrankungen, die anatomisch und klinisch den
Charakter der MUsbrandpustol habe», Milzbrandinfekticnen sind, sondern dass
die unter Umständen einer anderen Infektion, wahrscheinlich der mit den so
ausserordentlich vielseitigen Staphylokokken, ihre Entstehung verdanken.
H. sieht, nicht eio, weshalb eine durch einen Stapbylococcas verursachte Pustula
maligna, wenn sie klinisch den Eindruck von Milzbrand macht, eicht dieselben
Vorsioh tem asaregeln und Verbt)tnngsvorschriIteu nötig machen soll, wie- «ine
echte MiiaV.randpastel. Er empfiehlt den Namen „Pustula maligna 4 als Sammel¬
namen für alle mÜzhrandartigeu Hantaffektionen anzuwenden und ln jedem
Einzel (alle stj spezialisieren, welcher Art die Paetnla tnalfgUÄ Iht, ob sie eine
MiUbraufUttfektioo darsteUt, oder oh sie anderen Infektionaerregern ihre Ent¬
stehung verdankt. Dr, Hans F 1 eilt*-Halle »|8.
Beitrag zgr Pathologie des Baiautidium (Parainaeciflni) coli.
Von W. Kilmenkov Zieglers Beiträge zur pathologischen Anatomie etc.;
B<L XXXin, H. 1 t». 2, 5t 281,
Unter SugruBiiolegiU5g einer eigenen, wie gewöhnlich unter den Symp¬
tomen. schwerer fiatsritie veriaafeaen Beobachtung fön Baiantldiaiß coli beim
Huttwbea beriehiet . Verfasser eingehend 11 her die Biologie dieses beim Schwein
sehr häufigen und für den Wirt auecbäcSiicböB, beim Menschen dagegen »nt
saltonen, aber gefährlichen Parasiten, das durch die Infektion, die häufig bei
berafhebej BeDShruflg; mH Schweinen erfolgt, bervurgeruffroe ErankbeUsbild
{schwere Diarrhoen) und. die dadurch bedingten pathologisch-anatomischen
Veränderungen. : Letztere bestehen hauptsächlich iu mehr oder weniger aus¬
gedehnten entzündlichen, nekrotisierenden und ulzerösen Prozessen im Darm,
besonders im Ctdon. .
Mikroskopisch lassen Bich dabei die Bakntidien In allen Schichten der
Darmiyand n&chweiaen, mitunter auch in Blut- und Lymphgefäßen, so dass es
auch zu weitere? eaibbllsoher Verschleppung der Parasiten (in Leber and Lange)
kommen kau», wo sie Abszesse betvorrufen. Dr. Bise 1 -Leipzig.
The etiology of the summer diarrheas of iufants. A prelimiaary
report fcy 0. W Öiml, University of Pensylvaula and V, fl. Bassett,
jofrae Ht’pkia« Öniversity, (From the Laborntory of the Thomas Wilson,
SauiUrtotn and the Bockefell er Institute of Medical Roseareb.}. Zentralb).
fflr Bakteriologie, Parasitenkuade o. Iofoktionakrackheiten; XXXüLBd., H, i.
Bel 42 E'iodern > . welch« an Sommerdiarrhoe litien, Uiillerten die Ver¬
fass« reihen Bacillus, Walcheunie iflf idenlisch mit dem Sh igaschen Dysenterie-
Säcilltw halte«. Sowohl. morphologisch and kulturell, als auch gegenfiber der
agglutioicreudeu Wirkung einiger Sor» verhielt sich der Baoiiins genau wie
diejenigen, welche 8big» in Japan< Pi «st fter Und Sitottg auf den
Philippinen, K-.-fttacin Deutschland and Vedder und Duval io Herdameilks,
atm »ion Stöhlen vöa auhrkrankcu isoliert haben.. Zur Frtifoug der Aggluü-
uat'iousreaktiou verwandten die Verfasser t> dag Serum des Kranken, Von
wolahem der Isolierte Bacillus stammte, 3) Serum vuu anderen Diarrhoekrankeo,
3} Sern ja von D/icatbriökrankon, 4) künsflicheg '
v(3Dio Verfasser fände» .itnusofbe» paoilln« aahh Va . -
in . einem Falle auch Meseuterialdrüsen '•$$$
dlarrhoe geatorbaueu Kin iert». Bes gesun Ich n ■ »• • .
oder anloren Krankheiten leideuIen KiBderu! v
mos nicht. . .r.. : - • , *:^IbF
(Se-sMiuci de* r.»n den Verfassern bebau* ■ ■ :
der 3immerdianhue mit dem Shiga- Krasesoren • •
ftefefeui eiutge 'ISwoUei geltend mä hen; I) sviVeji wir sfst*®jr
886
Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften.
Sommerdiarrhoe anftreten au Zeiten nnd an Orten, an denen nicht ein einseiner
Fall von echter Dysenterie beobachtet worden ist, nnd 2) identifizieren die
Verfasser auch die Flexner- nnd Strongschcn Bazillen mit dem Shiga-
K raseschen, Ton denen neuere Untersuchungen gelehrt haben, dass sie sowohl
von den letzteren, wie von einander mit Sicherheit su differenzieren sind).
Dr. Lentz-Berlin.
Die Säuglingssterblichkeit und die Massregeln öffentlich-hygieni¬
scher Art, die zum Zweck ihrer Herabsetzung genommen werden
können. Von Dr. med. Ad. Würz-Strassburg. Vierteljahrsschrift für Öffent¬
liche Gesundheitspflege; Bd. XXXV, H. 2.
Die Frage nach der Bekämpfung der ungeheuer angestiegenen Kinder¬
sterblichkeit steht zur Zeit im Vordergründe des öffentlichen Interesses. Wir
führen deshalb die Schlüsse, die der Verfasser in seinem Aufsatze sieht, aus¬
führlich an; die Begründung der einzelnen Punkte muss im Original nacbge-
lesen werden.
1. Unter den verschiedenen Ursachen für die Höhe der Kindersterblich¬
keit im ersten Lebensjahre gibt es vor allem zwei, Armut und Bevölkerungs¬
zusammensetzung, die aber durch Massnahmen öffentlich-hygienischer Art nicht
zu beeinflussen sind.
2. Dagegen ist die öffentliche Hygiene im Stande, diese Mortalität her¬
abzusetzen durch die Sorge für gesunde Wohnungen und einwandsfreies Trink¬
end Verbrauchswasser.
3. Eine Verminderung der Zahl der Frühgeburten und der an Lebens¬
schwäche zu Grunde gehenden Kinder wird zu erreichen sein durch Ueber-
wachung der Prostitution, die Bereitstellung öffentlicher Mittel zur unentgelt¬
lichen Behandlung Geschlechtskranker und die Gewährung von Krankengeldern
an diese; endlich durch
4. gesetzliche Einführung einer obligatorischen Ruhezeit von zwei
Monaten vor der Entbindung und einen Monat nach der Entbindung für die
industriell beschäftigten schwangeren Frauen.
Eine geordnete und sachgemässe Pflege der Säuglinge in gesunden und
kranken Tagen wird gewährleistet durch Organisation
5. des Haltekinder wesens,
6. Errichtung von Krippen und
7. Säaglingsspitälern.
Der Schwerpunkt aller Massregeln liegt aber vor allem in der .Rege¬
lung der Ernährungsfrage:
8. Die bisherigen Methoden der Milohbereitung gingen von falschen Vor¬
aussetzungen aus, konnten daher keinen der angewandten Mühe entsprechenden
Erfolg haben.
9. Die Hauptsache ist eine peinlichst durchgeführte Stallhygiene. Diese
ist nur durch allgemeine Einführung von Kindermilchregulativen, wenn möglich
durch einheitliche Regelang der ganzen Sache von Reichswegen durchzusetzen.
10. Wenn nötig, haben die Stadtverwaltungen selbst die Produktion,
immer aber den Vertrieb von Kindermilch za übernehmen, um auch den
Armen eine einwandsfreie Kindermilch zukommen zu lassen.
Eine gründliche Ausbildung der Aerztc in der Kinderheilkunde wird
diese befähigen, mehr und mehr den wirklichen kausalen Zusammenhang der
bei der S&aglingssterblichkeit in Betracht kommenden Faktoren zu ergründen.
Auf diese Weise wird die Allgemeinheit immer mehr aufgeklärt werden, und
Staat und Gemeinde werden überall freudige und opferwillige Unterstützung
finden bei der Durchführung der oben skizzierten hygienischen Massregeln zur
Herabsetzung der Säuglingssterblichkeit. Dr. Glogowski*Görlitz.
Die amtsärztliche Beurteilung der Fleischvergiftung (Botulismus!.
Von Dr. Lochte, Prosektor am Hafenkrankenhanse zu Hamburg. Viertel¬
jahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege; Bd. XXXV, H. 2.
Die Kenntnis von dem Wesen der Wnrst- wie der Fleischvergiftung ist
für den beamteten Arzt im Hinblick auf das Nahrungsmittelgesetz und den
§. 367,3 des Strafgesetzbuches von besonderer Wichtigkeit; denn ihm liegt es
Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften.
887
ob, vorkommenden Falles die Erkrankungen auf ihre wahre Ursache zurückzu¬
führen. Der Aufsatz bespricht
1. die Vergiftungen durch Wurstgift (Botulismus),
2. die Vergiftungen durch den Genuss faulen Fleisches,
3. die Vergiftungen durch den Genuss des Fleisches kranker Tiere.
Nicht berücksichtigt sind die Fälle, in denen das Fleisch durch Milz¬
brand, Taberkulose, Botz, Trichinose der Schlachttiere giftige Eigenschaften
erlangte, ferner die, in denen es sich um medikamentöse Intoxikation oder
Giftwirkung des Fleisches nach Genuss giftiger Pflanzen dorch die Tiere
handelte, sowie drittens von denjenigen, in denen durch KonserveBalze, durch
Blei, Arsen usw. aus den Kochgeschirren und durch anderweitige Mineral- und
Pflanzengifte die Giftigkeit des Fleisches bedingt wurde.
Die Hauptergebnisse seines umfangreichen Aufsatzes fasst Autor
in folgenden Sätzen zusammen:
1. Die Giftigkeit von Fleisch- und Wnrstwaren bei anaerober Zersetzung
derselben beruht auf Anwesenheit eines Toxalbumins, das durch den Bacillus
botulinus in ihm gebildet wird.
2. Die Giftigkeit faulen Fleisches (d. h. bei aerober Zersetzung) beruht
auf der Bildung von Ptomaine, vielleicht auch Albumosen, auf der Bildung toxi¬
scher Stoffwechselprodukte der Fäulniserreger und event. infektiöser Wirkung
der letzteren. Faules Fleisch ist nicht Btets gesundheitsschädlich.
3. Die Giftigkeit des Fleisches septico- pyämisch kranker Tiere beruht
auf der Giftigkeit der Stoffweohselprodukte der Bakterien und infektiöser
Wirkung der letzteren.
4. Die Giftigkeit des Fleisches verrät sich nicht stets durch abnormes
Aussehen, besonderen Geruch und Geschmack des Fleisches.
5. Das typische Bild des Botulismus ist für den Gerichtsarzt leicht zu
erkennen. Es kann nicht unterschieden werden von gewissen Formen der Fisch¬
vergiftung, Austern- und Pilzvergiftung.
6. Die Krankheitserscheinungen nach Genuss faulen Fleisches zeichnen
sich häufig durch eine Kombination von Magen - Darmstörungen mit nervösen
Störungen — meist der Pupille — aus.
7. Die Vergiftungen durch Fleisch kranker Tiere verlaufen häufig nnter
cholera- oder typhusähnlichem Bilde.
8. Der grobe anatomische Obduktionsbefund bei der Wurstvergiftung
ist ein negativer.
9. Der Obduktionsbefund bei Vergiftung durch den Genuss faulen
Fleisches oder durch Fleisch kranker Tiere zeigt eine mehr oder minder schwere
Gastroenteritis oder ein typhusähnliches Bild.
10. Das Vorliegen einer Wurstvergiftung wird durch den Befund des
Bacillus botulismus in der Leiche und in den asservierten Floischteilen erwiesen.
11. Der Nachweis von Ptomainen in der Leiche kann zum Nachweise
einer Fleisch- oder Wurstvergiftung nichts nützen. Der Nachweis derselben
in Fleisch- oder Wnrstwaren hat nur dann Wert, wenn ein Fortschreiten der
Zersetzung nach der Beschlagnahme verhindert war.
12. Der Befand des Proteus in der Leiche ist für den Nachweis einer
Fleischvergiftung ohne Belang. Für Fleisch Vergiftung spricht der gleichseitige
Befand des Proteus vulgaris in grosser Menge in den Ausleerungen deB Er¬
krankten und in den asservierten Fleischwaren; wurden die Ausleerungen nicht
untersucht, so müsste der Nachweis erbracht werden, dass der in den Fleisch-
waren enthaltene Proteas Giftwirkang besass.
13. Die Erreger von Fleiscbvcrgiftnngon sind koliähnliche Stäbchen, die
in vielen Epidemien stark toxische, der Siedehitze widerstehende StoffwechBel-
produkte lieferten und sich pathogen für Tiere erwiesen.
14. Die Scrumdiagnostik gestattet nach Dur harn und N ob eie und
Fischer den Nachweis der abgelaufenen Fleischvergiftung durch die aggluti¬
nierende Eigenschaft des Serums auf die Bazillen der Enteritidisgruppe.
15. Wurstvergiftungen treten meist als Gruppenerkrankungen, Ver¬
giftungen durch faules Fleisch oder Fleisch kranker Tiere als Massen-
erkrankungen auf.
16. Einzelerkrankungen schränken den Verdacht einer Fleischvergiftung
erheblich ein.
888
Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften.
17. Hört die Epidemie mit der Beschlagnahme des Fleisches auf, so ist
dies ein Umstand, der für Fleischvergiftung spricht.
18. Tiererkrankungen sind bei Massenerkrankongen geeignet, den Ver¬
dacht einer gesundheitsschädlichen Beschaffenheit des Fleisches an stützen.
__ Dr. Glogowski-Görlits.
Untersochnngen über die sogenannte „rohe Karbolsäure 1 ' mit
besonderer Berücksichtigung ihrer Verwendung nur Desinfektion von
Eisen bahn viehtran Sportwagen. Von Dr. Carl Fischer nnd F. Koske,
Hfllfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt. Arbeiten ans dem Kaiserlichen
Gesondheitsamte; XIX. Bd., Schlussheft.
Das Gesamtergebnis der Arbeit lfisst sich in folgender Weise zusammen-
fassen: Die im Handel befindlichen verschiedenen Handelsmarken von „Bob-
kresol“ — Cresolum crudum des Arzneibuches — sind von wechselnder che¬
mischer Zusammensetzung; die Desinfektionswirkung der einzelnen Bohkresole
nnd der aus ihnen bereiteten Präparate ist infolgedessen nicht gleicbmässig.
Zar Ausführung von groben Desinfektionen und als Ersatz der zur Desinfektion
von Eisenbahn-Viebtransportwagen vorgeschriebenen &°/o Lösung von Acidnm
carbolicum depur. empfiehlt sich am meisten die 8 °/ 0 wässerige Lösung einer
ans 1 Volumen Bohkresol und */* Volumen roher Schwefelsäure bereiteten
Mischung, da dieselbe in den in Betracht kommenden Konzentrationen leicht
im Wasser löslich ist, ferner eine höhere desinfizierende Wirkung ausübt nnd
dabei bedeutend niedriger im Preise steht, wie die vergleichsweise geprüften
Präparate. _ Dr. Bost-Bndolstadt.
Der Bericht über die Verwaltung der Landes-Versichernngsan-
stalt Schleswig-Holstein für das Jahr 1900 (X. Jahrg., Kiel 1901, Verlag
der Nord- Ostsee -Zeitung; Gr. 4', 75 S.) ist dadurch besonders interessant,
weil ihm eine Uebersicht über das Heilverfahren seit Bestehen des Ge¬
setzes, betr. die InvaliditätB- und Altersversicherung, (jetzt Invalidenversicbe-
rungsgesetzes) vom 1. Januar 1891 bis Ende 1900 beigefügt ist.
Darnach betrug in dem genannten 10jährigen Zeitraum die Gesamtzahl
der Behandelten 2869, darunter 823 an Tuberkulöse und 1646 an anderen Krank¬
heiten leidende Personen; von den Tuberkulosen sind 688 = 77,5°/ 0 mit nnd
185 = 22,5 °/ 0 ohne Erfolg behandelt, von den anderen Kranken 75 bzw. 25 °/o,
von der Gesamtzahl 76 bezw. 24°/o.
Betreffs der besonders wichtigen Frage des Dauererfolges wird für die
in den Jahren 1897—1900 behandelten Tuberkulösen angegeben, dass 102 von
565 erwerbsunfähig geworden (mit einer Ausgabe von 806 Mark pro Kopf),
während die übrigen 468 (mit einer Aufwendung von 369 Mark pro Kopf) bis
zum 1. Oktober 1901 noch nicht Bentenempfänger geworden waren, wobei es
aber nicht feststebt, wie viele von diesen noch Erwerbsfähigen aus Wohlwollen
oder auf Grund besonderer günstiger Umstände mehr als */* des ortsüblichen
Lohnes verdienen; zadem erscheint auch die verflossene Zeit noch nicht ge¬
nügend zur Beurteilung des Nutzens der Heilbehandlung. Da aber die Zäl
der Fehlerfolge trotz der Auswahl seitens der Aerzte in den letzten 4 Jahren
nur ganz unwesentlich abgenommen hat, werden unabweislich Aerzte und Ver¬
waltungsbehörden den g. 18 des Gesetzes noch mehr als bisher beachten und
eine noch strengere Auswahl als bisher treffen müssen.
Für die Erkenntnis der Wichtigkeit eines früh einsetsenden Heilver¬
fahrens spricht es, dass in den letzten 3 Jahren eine starke Zunahme des
jüngsten versioherungspflichtigen Alters von 16—20 Jahren zu konstatieren
war, eine Erfahrung, die sich im Laufe der Zeit auch in den Heilergebnissen
bemerkbar machen wird. Im Laufe des Jahres 1900 gelangte das Heilverfahren
bei 641 Personen zum Abschluss. Von diesen litten an Tuberkulose der Lungen
219 = 84°/o, an Tuberkulose anderer Organe 12, an nicht tuberkulösen Lungen-
erkrankungen 68, an chronischen Gelenk- und Muskelrheumatismus 49, an den
Folgen von Verletzungen der Knochen und Gelenken 47.
Von den 219 tuberkulösen Kranken gehörten die meisten, 117 männliche
und 7 weibliche Personen, der Industrie an. 88 von diesen 219 Kranken
wurden örtlich und allgemein, 98 nur allgemein gebessert, während 48 ganz
erfolglos behandelt wurden.
feeipreckungeh.
889
Das Heilverfahren für die sonstigen Kranken hatte das Ergebnis, dass
von 442 Personen 869 = 86% gebessert; während es bei 68 = 16% ohne
Erfolg war.
Bei 4 Trinkern musste ein vollständiger Misserfolg konstatiert werden,
so dass die L. V. A. in Znknnft bei Anträgen auf Uebernahme des Heilver¬
fahrens bei Trinkern leider sieh snmeist wird ablehnend verhalten müssen.
Die Kosten für das Heilverfahren haben im Jahre 1900 166416 Mark
nnd 244 Mark pro Kopf betragen. 0.
Besprechungen.
F. Ahlfeld, Geh. Med.-Rat nnd Professor in Marburg: Lehrbuch der
Geburtshilfe. Zur wissenschaftlichen nnd praktischen Ausbildung für
Aerste and Studierende. Dritte umgearbeitete Auflage. Mit 462 Abbildungen
und 17 KurBivtafeln im Text. Leipsig 1903. Verlag von Fr. W. Grnnow.
Gr. 8°. Preis: 9 Mark.
Die ausserordentlichen Vorsüge des Ahlfeidsehen Lehrbuches sind
bereits bei Besprechung der früheren Auflagen von dem Referenten hervor¬
gehoben. Es stellt nicht, nur wie so manche andere derartige Lehrbücher,
eine fleissige und geschickte Zusammenstellung des einschlägigen Materials
dar, sondern es bringt die Lebenserfahrungen eines Mannes, der 30 Jahre bin
durch mit Lust und Liebe seinem Fache ungetan gewesen ist. Daher auch
der durchaus subjektive Charakter des Buches, der in der jetzt vorliegenden
neuen Auflage noch mehr als in der früheren hervortritt nnd wesentlich daxu
beiträgt, das Inteiresse des Lesers von der ersten bis zur letzten Seite in
hohem Masse zu fesseln.
Dass Verfasser die neuen Forschungen nnd Untersnchnngsergebnisse
auf dem Gebiete der wissenschaftlichen nnd praktischen Geburtshilfe berück¬
sichtigt hat, war nicht anders zn erwarten; er hat es aber vorzüglich ver¬
standen, hierbei mit kritischer Hand das Korn von der Spreu zu sichten, eine
bei der grossen Unsumme von literarischen Erzeugnissen sicherlich nicht
leichte Arbeit. Die Einteilung des Stoffes ist unverändert geblieben, aber viele
Abschnitte sind umgearbeitet und erweitert, desgleichen sind die Ergebnisse
einer grossen Zahl Sonderarbeiten ans der unter der Leitung des Verfassers
stehenden Marbnrger Entbindungsanstalt an passender Stelle eingefügt. Dies
gilt namentlich von den die Medisinalbeamten besonders interessierenden Kapitel
Uber Verhütung des Kindbettfiebers, über die Lehre von der Selbstinfektion,
puerperale Wundinfektionen usw.
Infolge der nicht zu vermeidenden Vermehrung des Umfanges (nm
7 Druckbogen), sowie infolge der nicht minder grossen Vermehrnng der Ab¬
bildungen hat sich zwar eine geringe Erhühnng des Preises (anf 9 Mark) nicht
vermeiden lassen; derselbe muss aber gleichwohl als ein verhältnismässig
niedriger bezeichnet werden. Rpd.
Ernst Sohnltxo - Andernach: Wichtige Entscheidungen auf dem Ge¬
biete der gerichtlichen Peyohiatrle. (Aus der juristischen Fachliteratur
des Jahres 1901, zweite Folge aus der Literatur des Jahres 1902. Verlag
von Carl Mar hold-Halle a. S. 1908. 2 Hefte. Preis je 1 Mark.
Die beiden Hefte enthalten eine ganze Reihe Gerichtsentscheidungen
der höheren Gerichte ohne jeden Kommentar; ihre Kenntnis wird dem Gerichts-
erst sehr zu statten kommen, denn er ersieht aus diesen Entscheidungen, wie
die Gerichte die Gesetze, bei denen der Arzt als Berater hinzugesogen wird,
auffassen und wie sie die ärztliohen Gutachten verwerten. Eine Reihe Ent¬
scheidungen sind von grösster Wichtigkeit, z. B. (Heft 1. Seite 16) kann ein
Geisteskranker, auch wenn er erheblich krank ist, geschäftsfähig sein; bei der
Aufhebung einer Entmündigung kommt nur der gegenwärtige Zustand des
Entmündigten in Frage, d. h. ob die Voraussetzungen snr Entmündigung noch
vorliegen, eine Besserung des Zustandes ist nicht notwendig. Von grossem
Interesse sind mehrere Entscheidungen zum f 1669 (Bheseheidung). So vor-
890
Tagesnachriohten.
langt eine OberlandeegeriebtBentaeheidnng nicht den Nachweis des „geistigen
Todes“, sondern nur, dass der kranke Ehegatte nicht mehr imstande ist, an
„dem Lebens- nnd Gedankenkreis“ des andern teiltunehmen. Eine andere
Entscheidung verlangt dagegen einen Zustand, in dem der Kranke die Scheidung
nicht mehr empfindet und nur mehr von einer „animalischen“ Fortexistenz
gesprochen werden kann. Sehr nahe steht dieser Auffassung die eines andern
Oberlandesgerichtes, das direkt einen Zustand „völliger Verblödung“ fordert
H. I, Seite 29). Diesen extremen Anschauungen steht eine Reichsgerichts-
entscheidung gegenüber, in der ausgefflhrt wird, dass die geistige Gemeinschaft
„offenbar eine höhere Gemeinschaft, als das blosse Zusammenleben der Eheleute
bedeute, nämlich eine solche, bei der diese zu gemeinsamem Denken und Fühlen
befähigt sind.“ Zu § 51 des St. G. B. ist eine Entscheidung von Bedeutung,
in der ausgeftthrt wird, dass es nicht ausreiche, dass eine Störung der Geistes-
tätigkeit zur Zeit einer Tat nicht nachweisbar, sondern dass eine solche völlig
ausgeschlossen sei. Das Gericht muss die uneingeschränkte Ueberseugung
von dem Nichtvorhandensein des Strafausschliessungsgrundes haben (H. I, Seite 5).
Auch eine neuere Definition des Begriffes Siechtum — § 224 — findet sich
Seite 10, die gegebenen Falles Berücksichtigung vordient. Schliesslich möchte
ich nicht unerwähnt lassen, dass ein Teil der hier zusammengestellten Gerichts¬
entscheidungen bereits in der Beilage sn dieser Zeitschrift wiedergegeben sind.
Dr. Pollitz-Münster.
Tagesnachrichteii.
Am 11. d. Mts. hat der Begründer nnd Meister der bakteriologischen
Wissenschaft, Robert Koch, fern von der Heimat (in Britisch Südafrika) seinen
60. Geburtstag gefeiert, zu dessen Feier ihm bekanntlich eine ausser¬
ordentliche Ehrung zugedacht war, die nunmehr bis zu seiner Rückkehr ver¬
schoben ist. Mögen dem grossen Forscher nnd Meister, der durch seine grund¬
legenden Arbeiten über die Krankheitserreger nicht nur für die öffentliche
Gesundheitspflege, insbesondere für den Kampf gegen die ansteckenden
Krankheiten, sondern auch für die Heilkunde ganz neue Bahnen geschaffen
und sieh unsterbliche Verdienste um die medizinische Wissenschaft, wie
kaum ein Arzt zuvor, erworben hat, noch recht viele Jahre in ungetrübter
körperlicher wie geistiger Frische vergönnt sein zum Segen der ganzen Mensch¬
heit, die in ihm mit dankerfülltem Herzen ihren grössten Wohltäter erblickt,
und zur Freude seiner zahllosen Schüler, Freunde und Verehrer, die ihm ihre
wärmsten Glückwünsche zu seinem 60. Geburtstage darbringen!
Atu dem Raiohstage. Nach einer Mitteilung deB Reichskanzlers
hat der Bundesrat am 28. November beschlossen, von der Neuregelung der
Bedingungen für die Fleischeinfuhr für die Zeit nach dem 31. Dezember
1903 bis auf weiteres Abstand zu nehmen, da das Schlachtvieh- und Fleisch-
beschaugesets vom 3. Juni 1900 in seinem gesamten Umfange erst am 1. April
1903 in Kraft getreten sei, was namentlich von den Vorschriften des §12 über
die Fleisoheinfuhr gelte, und hinreichende Erfahrungen, die als Grundlage für
die Neuordnung der Angelegenheit dienen könnten, noch nicht gemaoht werden
konnten.
Unter den vielen Initiativanträgen, die im Reichstage eingebracht
sind, befindet sich auch ein ans der Mitte der nationalliberalen Partei, des
Rentrums und der freisinnigen Vereinigung gestellter Antrag, durch den der
Zeichskanzler ersucht werden soll, eine ans amtlichen Vertretern des Reiches
und einzelner Bundesstaaten, aus Mitgliedern des Reichstages und anderen in
der Wissenschaft und der Praxis der Wohnungsfrage erfahrenen Männern be¬
stehende Kommission zur Aufstellung eines einheitlichen Programms für
Lösung der Wohnungsfrage einzuberufen. Insbesondere soll diese ihr
Augenmerk auf die Heranziehung privater, namentlich aber auch staatlicher
und kommunaler Mittel für den Kleinwohnungsbau, sowie auf die Festsetzung
bau- und wohnungspolizeilicher Vorschriften behufs Beschaffung gesunder und
billiger Wohnungen für die minderbemittelten Volksklassen richten. Gleich-
Tagesnachrichten.
891
zeitig wird in dem Antrag um eine Untersnehong dnroh das Kaiserliche statisti¬
sche Amt, Abteilang für Arbeiterstatistik, Uber die bei Stadterweiterungen
vielfach hervorgetretenen Uebelstände der übermässigen Bodenpreise, des Ban¬
schwindels asw., Uber die Organisation, die Leistungsfähigkeit and die tatsäch¬
lichen Leistungen der privaten Bautätigkeit gegenüber dem anf diese Bau¬
tätigkeit angewiesenen Wohnungsbedürfoisse usw. gebeten.
Entgegen den früheren Nachrichten soll nun doch dem preussisohen
Landtage eine die Kreistierärzte betreffende Vorlage sngehen, um diesen
die Pensionsberechtigung zu verleihen und ihre Dienstbezüge unter Aufhebung
des Gesetzes vom 9. März 1872 anderweitig zu regeln. Auch sollen ihre Ge¬
hälter durch den Staatshaushaltsetat erhöht werden. Die Ordnung ihrer Rang-
Verhältnisse, von der auch die Hohe der Reisegebühren abhängt, bleibt der
Königlichen Entschliessung Vorbehalten.
Unter dem 12. Oktober besw. 11. November d. J. sind vom
Reichskanzler bezw. vom preussisohen Staatsministerium Aus¬
führungsbestimmungen zu aen Vorschriften über die Tagegelder und
Reisekosten der Staatsbeamten erlassen, die am 1. Januar 1904 in Kraft
treten. Dieselben werden in der Beilage su Nr. 1 des nächsten Jahrganges mit
Erläuterungen versehen zum Abdruck gebracht werden.
Am 5. d. Mts. hat wiederum im preussisohen Abgeordnetenbause in Berlin
unter dem Vorsitze des Handelsministers eine Konferenz über die Bekämp¬
fung der Wurmkrankheit stattgefunden, an der ausser Vertretern der be¬
teiligten Ministerien, Bergbehörden und des Allgemeinen Knappscbaftsvereins
in Bochum auch der Knappschaftsoberarzt Med.-Rat Dr. Tenholt, Prof.
Dr. LObker, sowie verschiedene Knappschaftsärzte teilgenommen haben.
In Preussen ist jetzt von Seiten des Kultusministers eine Unter¬
suchung sämtlicher höheren Schulen in Bezug auf ihre gesundheits-
mässige Einrichtung dnroh Sachverständige angeordnet.
Ueber die Teilnahme der Kreisärzte an den Kreislehrerkonfe¬
renzen bringt das „Zentralbl. für d. gea Unterrichtsverwalt, in Preussen*
eine Mitteilung, woraus hervorgeht, dass sich diese als sehr zweckmässig er¬
wiesen hat. Nach übereinstimmenden Berichten der Kreischulinspektoren im
Reg.-Bez. Köln hat sich s. B. eine in dieser Hinsicht getroffene Anordnung der
dortigen Regierung durchaus bewährt. Die Kreisärzte haben die Gelegenheit
benutzt, in den Lehrerkonferenzen Vorträge über Gesundheitspflege, Nahrungs¬
mittellehre, Bekämpfung der Trunksucht und der Tuberkulose u. a. m. zu halten.
Das hat, wie festgestellt wird, .eine allseitige Belehrung und Anregung der
Lehrpersonen in Bezug auf die Gesundheitspflege zur Folge gehabt*.
Im Königreich Sachsen ist der zweiten Kammer der Entwurf eines
Gesetzes über die Organisation des ärztlichen Standes, durch welches das
bisherige Gesetz vom 28. März 1896 ersetzt werden soll, vorgelegt worden und
zwar fast genau in der Fassung, in der er von der diesjährigen Plenarver¬
sammlung des Landes-Medizinalkollegiums angenommen ist. 1 ) Die erste Be¬
ratung über den Entwurf hat bereits am 26. v. Mts. stattgefunden. Abgesehen
von einigen Spezialklagen und Spezialwünschen, sprachen sich die meisten
Redner im allgemeinen zustimmend su dem Gesetzentwurf aus, der sohliesslieh
einstimmig an die Gesetzgebungsdeputation verwiesen wurde.
Der Entwurf einer Aerzteordnung für daa Grossherzogtum
Baden 1 ) ist in der am 12. November d. J. stattgehabten Konferenz, an der
*) 8iehe Nr. 2 der Zeitschrift, S. 80.
*) Siehe Nr. 13 der Zeitschrift, S. 504.
892
l'agesnachrichtefa.
ausser Begierungsvertretern and den Mitgliedern des ärztlichen Landesaas*
schusses die bevollmächtigten Aerzte der 12 ärztlichen Standesvereine teilge*
nommen haben, einer endgiltigen Beratung unterzogen und soll in der besehlos*
senen Fassung den Landständen in der diesjährigen Sitzung vorgelegt werden.
Ueber den Inhalt der am 3. d. Mts. von der internationalen Sanitäts¬
konferenz in Paris abgeschlossenen und Unterzeichneten Sanitätskonvention,
in der die bisherigen Konventionen von Venedig, Dresden und Paris in einen Text
zusammengefasst und unter Berücksichtigung der Interessen des Handels so¬
wohl als der Fortschritte der Wissenschaft zeitgemäss umgestaltet sind, wird
folgendes gemeldet: Titel 1 enthält Vorschriften, die sogleich beim Auftreten
der Pes t zu beobachten sind, und Abwehrmassregeln gegen das verseuchte Gebiet,
Unter die Desinfektionsmassnahmen ist die Vernichtung der Batten auf¬
genommen. Titel 2 bringt Bestimmungen, welche vornehmlich das BoteMeer,
den Suezkanal und den Persischen Qolf angehen. Titel 3 stellt Vor¬
schriften bezüglich der Wallfahrten nach Mekka auf. Titel 4 besagt,
dass die Begierungen, welche die Konvention unterzeichnet haben, Überein¬
kommen, bei der Türkei dahin vorstellig zu werden, dass diese den ge¬
troffenen Vereinbarungen über das Gesundheitswesen beitrete
da die Vorsohläge der Konferenz sonst unwirksam bleiben. Die Konvention
ist von 20 Begierungen, also um 8 mehr, als bei der letzten Konferenz, unter¬
zeichnet. Ferner wurde im Prinzip die Errichtung eines internationalen
Sanitätsamtes beschlossen, dessen Sitz in Park sein soll.
Der nächstjährige Aerztetag soll in Bostook am 24. und 25. Juni
1904 abgehalten werden. Den Hauptgegenstand der Tagesordnung
wird der Bericht über die Lage des kassenärztlichen Standes
in Deutschland und über die Entwickelung der Selbsthilfe seit
dem Aerztetage in Königsberg bilden.
Der 25. Baineologenkongrees wird vom 3. bis 8. März 1904 in
Aachen stattfinden.
Der 21. Kongress für innere Medizin findet vom 18. bis 21. April
1904 in Leipzig statt. Am ersten Sitzungstage, Montag, den 18. April 1904,
werden Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Marchand-Leipzig und Prof. Dr. Bom¬
be rg-Marburg: Ueber die Arteriosklerose referieren. Die ganze Übrige Zeit
ist den Einseivorträgen und Demonstrationen gewidmet. Anmeldungen von
Vorträgen und Demonstrationen nimmt der ständige 8ekretär des Kongresses,
Herr Geh. San.-Bat Dr. Emil Pfeiffer, Wiesbaden, Parkstr. 13, entgegen.
In Berlin hat der Verein der freigewählten Kassenärzte
die erste ärztliche Fttrsorgestelle für Tuberkulöse in Deutschland nach
dem Master der belgisch - französischen Dispensaires antituberculeux errichtet
und am 8. d. M. eröffnet.
Im Herbst 1904 soll ein allgemeiner Deutscher Wohnungskongress
voranasiohlich in Frankfurt a. M. stattfinden. Der Anstoss dazu geht von dem
Verein „Beiohswohnungsgesetz“, dem Sozialen Museum, dem Institut für Ge¬
meinwohl und dem Verein für Förderung des Arbeiterwohnnngswesens und ver¬
wandter Bestrebungen, die sämtlich ihren Sitz in Frankfurt a. M. haben. Alle
Anfragen und Anmeldungen betreffs des Kongresses sind an die Geschäfts¬
stelle des Vereins „Beiohswohnungsgesetz“ in Frankfurt a. M., Brönnergasse 14,
zu richten.
Verantwort!. Bedakteur: Dr. Bapmund, Beg.-u.Geh.Med.-Bat in Minden L W.
J. 0. 0. Broms, Hsnofl. SIseh. o. V, S*k.*L. Hofbothdrooktrsl ftm Mlndso.
UNIVERSITY OF MICHIGAN*
3 9015 06232 4937