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Full text of "Zeitschrift Für Medizinal Beamte 16.1903"

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ZEITSCHRIFT 

für 

MEDIZIN AL-BE AMTE. 


Zentralblatt for gerichtliche Medizin und Psychiatrie, 
für ärztliche Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬ 
sachen, sowie für Hygiene, öffentliches Sanitätswesen, Medizinal- 
Gesetzgebung and Rechtsprechung. 

Heraasgegeben 

von 


Dp. Otto Rapmund 

Reg.- und Geheimer Medizinalrat in Minden. 


XVI. Jahrgang. 1003. 



Berlin W. 35. 

FISCHER’S MEDIZIN. BUCHHANDLUNG. 
H. KORNFELD. 

Hersofl. Bayer. Hof- and ErshersofL Kammer - Buohhändler. 







Inhalt. 


I. Original - Mitteilungen. 

A. Gerichtliche ■•4Mn. 

Seite. 

Ueber eine Verletzung dar äusseren Geschlechtsteile bei einem sieben¬ 
jährigen Mädchen. 0r. Georgii.. 1 

Ueber die gerichtsärstliche Begutachtung des Schwachsinns in Straf¬ 
sachen. Dr. Neidhardt . 4 

Kopfrerletsang. Falsche Behandlung durch Kurpfuscher. Tod durch 

Hirnabssesse und Gehirnhautentstkndung. Dr. Kornfeld ... 53 

Ueber Vergiftungserscheinungen, hervorgerufen durch den Sprengstoff 

Boburit. Dr. Bump. 57 

Ueber die Verwertbarkeit individueller Blutdifferenaen fttr die forensische 

Praxis. Dr. Karl Landsteiner und Dr. Max Bichter. . . 85 

Bin Fall von Thymustod. Dr. Karl Dohrn .121 

Fall von Leichensorstftckelong und -Verbrennung. Dr. Hoffmann 125 
Praktische Anleitung sur gerichtsärztlicben Blutuntersuchung vermittelst 
der biologischen Methode. Dr. Uhlenhuth und Prof. Dr. 


Drei Fälle von Vergiftung mit Knollenblätterschwamm (Amanita phal- 

loides). Dr. Moers .412 

Bin sweiter Todesfall in der Chloroform-Narkose. Dr. H. Hoffmann 417 
Zar Kenntnis der Verletsangen durch Fiobert - Schusswaffen. Dr. Carl 

Beckert .505 

Bin deutsches gerichtsärstliches Leichenöffnungsverfahren. Dr. 


Bekämpfung der Kurpfuscherei auf gerichtlichem und polizeilichem Wege. 

Dr. Keferstein .585 

Zar Frage der Honoraransprdche der Speaial&rste. Dr. Morits . . . 690 

Achttägiges Leben nach Stars von der Hohe mit Schädelbasisbruch und 

Lungenruptur. (Betriebsunfall.) Dr. Morits Mayer .717 

Ueber Fischvergiftung. Dr. Seydel .760 

Die Basiehungen der Backenmarksverletsungen su den chronischen 
Blickenmarkskrankheiten vom gerichtlich- und versicherungs- 
roohtlioh-medisinischen Standpunkte. Dr. P. Stolper .... 781 

Cerebrospinalmeningitis oder Vergiftung ? Dr. Voigt .790 

Strafbare Ueberschreitung des Züchtigungsrechtes der Lehrer. Dr. PrOlss 795 

Zur postmortalen Ausstossung des Fötus. Dr. M. Freyer .818 

KiadesmordF Dr. Heidenhain .816 

Indnsiertes Irresein. Dr. Feige.862 


















IV 


Inhalt. 


B. Hygiene and öffentliches Sanitätswesen. 

Ueber die Ausführung von Desinfektionen in ländlichen Kreisen. Dr. 

Nobler . 15 

Die Post als Vermittlerin bei der Weiter Verbreitung von Krankheiten. 

Dr. Gisycki . 58 

Kresolseifenflaschen für Hebammen. Dr. Schmidt . 61 

Die Milohkontrolle in kleinen Städten. Dr. Straube . 90 

Zwang««-Wiederimpfung bei Pockenepidemien. Dr. Litterski . . . 97 

Karbolgangrän durch Karbol wassernmschlag. Dr. Borne ick . . . . 124 

Die Mitwirkung der Medizinalbeamten auf dem Gebiete der Gewerbe¬ 
hygiene, namentlich mit Rücksicht aaf den Gesandheitsscbntz der 
Arbeiter gegen Tuberkulose und andere Krankheiten. Dr. Klose 127 
Entwurf eines Ausführungsgesetzes zu dem Reichsgesetz, betreffend die 
Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900 

Herausgeber .132 

Zur Beseitigung und Desinfektion des Sputums. Dr. 0. Roepke . . 192 

Die erste Beratung des Preussischen Abgeordnetenhauses über die Ge¬ 
setzentwürfe betr. die Gebühren der Medizinalbeamten u. das preuss. 
Ausführungsgesetz zu dem ReichBseuchengesetz. Herausgeber 204 

Die Krebserkrankungen des Dorfes Plötzkau von 1868 bis 1902. topo¬ 
graphisch dargestellt. Dr. Pilf . . . 242 

Wochenbettfleber und Fieber im Wochenbett. Verhalten der Hebamme 

dabei. Dr. P. Banmm .261 

Erkrankungen der Arbeiter in der P.'sohen Asphaltpappe-Fabrik. Ein . 

Beitrag zu den Gewerbekrankheiten. Dr. Rump .271 

Ueber geschwefelte amerikanische Obstfrüchte. Dr. Rump .272 

Anchylostomiasis im rheinisch - westfälischen Kohlenrevier; Ursache und 

Bekämpfung. Dr. Tenholt .297 

Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. Dr. Fielitz 805 

Ein Beitrag zur Anzeigepflicht bei Infektionskrankheiten und zur Kur¬ 
pfuschereifrage. Dr. Coester .814 

Zur Frage des Verkaufes von Karbolwasser ausserhalb der Apotheken. 

Dr. Kühn .319 

Wochenbettfleber nnd Fieber im Wochenbett. Dr. Coester . . . . 333 

Zur Karbol wasserfrage. Dr. Rome ick .336 

Kurze Mitteilung über eine neue Form der Bleivergiftung. Dr. Schrakamp 837 
Die Post als Vermittlerin bei der Weiterverbreitang von Krankheiten. 

Dr. Rieh. Müller .337 

Die Tätigkeit der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher bei der Be¬ 
kämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. Dr. Dütschke 371 
Bemerkungen zu dem Aufsatze des Kreisarztes u. Med.-Rats Dr. Fielitz 
in Halle a. S.: „Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in 
Landkreisen“ in Nr.5 dieser Zeitschrift, S. 805 ff. Dr. Springfeld 333 
Kohlenoxydbildung durch Kohlenteilchen an eisernen Oefen. Dr. B ach m an n 384 

Ueber Ortsbesichtigungen und deren zweckmässige Ausführung in mittleren 

und grosseren Städten. Dr. Schaefer .405 

Desinfektoren und Gesundheitsaufseher in Landkreisen. Dr. Fielitz . 441 

Massenerkrankungen nach Genuss von gehacktem Pferdefleisch, beobachtet 

in Düsseldorf im Jahre 1901. Dr. F. C. Th. Schmidt . . . . 473 

Ueber die Notwendigkeit einer strengeren Handhabung der Nahrungs- 

mittelkontrolle (exkl. Milch). Dr. Solbrig .478 

Die praktische Verwertung der Widalsohen Blutprobe. Dr. Eyff. • 514 

Ein Beitrag zur Widalschen Probe. Dr. N au werk .518 

Beitrag zur Verbreitung des Krebses. Dr. 8tauss . . 591 

Manganvergiftungen in Braunsteinmühlen nnd gesundheitspolizeiliche 

Massregeln zu ihrer Verhütung. Dr. Friedei .614 

Zur Desinfektion der Hebammen. Dr. H. Kornfeld .618 

Entgegnung auf den Aufsatz des Herrn Med.-Rats Dr. Coester 
„Wochenbettfleber und Fieber im Wochenbett" in Nr. 9 dieser 

Zeitschrift. Dr. Banmm .619 

Bemerkungen zu der vorstehenden Erklärung. Dr. Coester .... 621 

aoq iwhiiatiii« nnd ihre Rntatehuiursursachen. Dr. Schlegtendal . 641 
























Inhalt. 


V 


Regelung des Desinfektionswesens im Kreise und Absonderungsverfahren 

Dr. Bomeiok .649 

Ueber eine Epidemie von Herpes tonsurans. Dr. G. Ban dt . . . . 685 

Beitrag zur Bekämpfung der Tuberkulose. Dr. Staues.749 

Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus durch Flusswasser. 

Dr. Schmidt.753 

Zur Verhütung ansteckender Krankheiten. Dr. Dünges.817 

Prftventiv• Impfungen bei Diphtherie. Dr. Curtius. 817 

Bin Staubschutz für den Lymphebebttlter bei Impfungen. Dr. Hagemann 825 
Strafbare Anpreisung eines Heilverfahrens. Dr. Biberfeld . . . . 849 

Grundsätze für die zeitweise Entziehung der Approbation. Dr. Biberfeld 851 
Ueber Intoxikationsamblyopien von sanitätspolizeilichem Standpunkte. 


Dr. Ohlemann.•.855 

Bin interessanter Fall von Bleivergiftung. Dr. Klose.862 

Ein Beitrag zum epidemischen Auftreten von Herpes tonsurans. Dr. 

Bäuber.865 


U. Berichte aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die Verhandlungen der Versammlung der Medizinalbeamten 
des Beg.-Bez. Liegnits vom 5. November 1902 (Berichterstatter: 

Dr. Schmidt). 

Kurzer Bericht über die Teilnahme an den Berliner Fort* 


bildungskursen. Dr. Steinberg u. Dr. Braun ... 21 

Geschäftliche Angelegenheiten. Dr. Schmidt. 23 

Die Kindersterblichkeit im Beg.-Bez. Liegbitz. Dr. Leske . 24 

Verteilung einer Statistik der verkrüppelten Kinder in der 

Provinz Schlesien im Jahre 1901/1902 . 26 

Bericht über die II. dienstliche Versammlung der Medizinalbeamten des 
Beg.*Bez. Marienwerder in Graudens am 16. Oktober 1902 
(Berichterstatter: Dr. Kasten). 

Eröffnung der Versammlung. Dr. v. Hake . 99 

Ueber Ortsbesiohtigungen im Zusammenhang mit den gleich¬ 
zeitig ausznführenden Schulbesichtigungen. Dr. Hasse . 99 

Ueber die Verhütung und Bekämpfung gemeingefährlicher oder 


sonst übertragbarer Krankheiten. Dr. St eg er . . . . 103 

Bericht über die Versammlung der Medizinalbeamten des Beg.-Bez. 
Gumbinnen in Insterburg am 13. Oktober 1902 (Bericht¬ 
erstatter: Dr. Forstreuter). 


Eröffnung der Versammlung. Dr. Doepner .246 

Verhütung und Bekämpfung gemeingefährlicher oder sonst 

übertragbarer Krankheiten. Dr. Schawaller . . . . 246 

Bekämpfung der Cholera. Dr. Baetzel .248 

Einfache, physikalische, chemische, mikroskopische und bak¬ 
teriologische Untersuchungen des Kreisarztes. Dr. K r a u s e 248 

Ueberwacbung des Arzneimittelverkehrs nnd des Handels mit 
Giften und Geheimmitteln ausserhalb der Apotheken. 

Dr. Cohn. .248 

Begräbniswesen. Dr. Herrendörfer .249 

Fürsorge für Geisteskranke in- und ausserhalb der Irren¬ 
anstalten. Dr. Stumm .250 

Wohnungshygiene. Dr. Schulz.250 


Bericht über den ersten Kongress der Deutschen Gesellschaft 
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in 
Frankfurt a. M. am 9. und 10. März 1903. 

Die strafrechtliche und zivilrechtliche Bedeutung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten. Oberlandesgerichtsrat Schmölder 320 
Wie können die Aerzte durch Belehrung der Gesunden und 
Kranken der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten 

steuern? Dr. Neubörger .321 

Das Wohnungselend der Gressstädte und seine Beziehungen 
zur Verbreitung der Geschlechtskrankheiten und zur 
PrnaHtntlnn Dr Pf*iff*r n. Dr. TC amnff mever 




















VI 


Inhalt. 


Nach welcher Richtung lat eine Reform der heutigen Regle« 
mentierung der Proetltntion möglich? Dr. Neisser . . P22 

Bericht über die 17. Versammlung der Medizinalbeamten dea Reg.-Ber. 
Merseburg za Halle a. S. am 29. November 1902 (Bericht¬ 
eratatter: Dr. Schneider). 

Eröffnung der Veraammlong and Referat Ober die seit der 
letzten Veraamminng erlassenen Verordnungen und Ver¬ 
fügungen. Dr. Penkert .323 

Ueber Desinfektion. Dr. Hermann .324 

Konferenz der Mediziualbeamten des Reg.-Bez. C o b 1 e n z am 10. De¬ 
zember 1902 im Sitzungssaal der Königlichen Regierung zu 
Coblenz (Berichterstatter: Dr. Baizar). 

Eröffnung der Versammlung. Dr. Finger .339 

lieber die Wasserversorgung im linksrheinischen Teile dea 

Reg.-Bez. Coblenz. Dr. Lembke .339 

Zur Regelung der Desinfektion. Dr. Kirchgässer . . . 341 

Verschiedenes. Dr. Finger .344 

Bericht Ober die 14. ordentliche Versammlung des mecklenburgischen 
Medizinalbeamtenvereina am 27. November 1902, nach¬ 
mittags 2 1 /* Uhr, in Rostock, Rostocker Hof (Berichterstatter: 

Dr. Viereck). 

Vortrag Ober Trachom. Dr. Peters .344 

Ordnung und Vervollstftndigung der Kreisphysikatsakten. Dr. 

Malert . 344 

Geschäftsbericht. Vorstandswahl.345 

Ueber eine tödliche Herzatichverletzung. Dr. Wilhelmi. . 315 

Demonstration eines Menschenscbädels. Dr. Lesenberg. . 345 

Medininalbeamten-Konferenz am 16. Dezember 1902 in Magde¬ 
burg (Berichterstatter: Dr. Strassner). 

Eröffnung der Versammlung. Dr. Hirsch .385 

Wie sind Ortsbesichtigungen anszufflhrenP Dr. Moritz . . 380 

Ueber die bisherigen Erfahrungen bei den kreisärztlicben 

Schulbesichtigungen. Dr. Kluge .388 

Einführung der Anzeigepflicht fflr tuberkulöse Erkrankungen 
und obligatorische Desinfektion aller Räume, welche von 

Tuberkulösen bewohnt waren. Dr. Kühn .390 

Amtliche Versammlung der beamteten Aerzte des Reg.-Bez. Cöln am 
11. Dezember 1902, vormittags IV j* Uhr, im grossen Sitzungs¬ 
saale der KOnigl. Regierung zu COln (Berichterstatter: Dr. Meder). 

Eröffnung der Versammlung.421 

Ueber Ortsbesichtigungen. Dr. Wirsch .421 

Ueber die Besichtigung von Wasserleitungen. Dr. Schneider 422 
Ueberwaohung des Haltekinderwesens. Dr. Krautwig . . 424 

Eine Massenvergiftung mit Pilzen (Amanita pballoides). Dr. MOr s 426 

Bericht Ober die amtliche Versammlung der Medizinalbeamten des 
Reg.-Bez. Minden am 29. November 1902 im Sitzungssaal der 
Königlichen Regierung (Berichterstatter: Dr. Rapmund). 

Eröffnung der Versammlung.443 

Die Tätigkeit der Medizinal beamten auf dem Gebiete der 

Schulhygiene. Dr. Schlüter . 443 

Bekämpfung des Unterleibstyphus und der Ruhr mit beson¬ 
derer Berücksichtigung der durch den Ministerialerlass 
vom 25. September 1902 mitgeteilten Entwürfe zu einer 
gemeinverständlichen Belehrung über diese beiden Krank¬ 
heiten und zu Ratschlägen für Aerzte betreffs der zu 
beobachtenden Vorsichtsmassregeln. Dr. Sndhölter u. 

Dr. Rheinen .'.448 

Berioht Ober die 57. Konferenz der Medizinalbeamten des Reg.-Bez. 
Düsseldorf in Düsseldorf am 14. Juni 1902 (Berichterstatter: 

Dr. Hofacker). 

Eröffnung der Versammlung. Dr. Meyhoefer . . ■ 452 

Besprechung von Fragen auB der amtsärztlichen Praxis . . . 452 





















Inhalt. VII 


Düsseldorf in Düsseldorf am 12. Dezember 1902 (Bericht- 
ent&tter: Dr. Hofacker). 

Eröffnung der Versammlung. 453 

TJeber die desinfizierende Wirkung des Formaldehyds. Dr. 

Czablewski . . 453 

Schalsehlies8nng bei Angenkrankheiten. Dr. Meyhoefer 453 

Ueber die bei den Ortsbesichtignngen gemachten Erfahrungen. 

Dr. Carp u. Dr. WoltemaB .454 

Bericht über die II. Jahresyersammlung des Wfirttembergischen 
M edizinalbeam te »Vereins am 26. April 1908 in Stuttgart. 

Geschäftsbericht. Dr. Köstlin .455 

Kassenbericht. Dr. Cless .454 

Bericht über den XIV. internationalen medizinischen Kon¬ 
gress zu Madrid yom 23.—30. April 1903 (Berichterstatter: 

Dr. Strassmann). 

Bericht Ober die Reise nach Madrid.487 

Ueber den geriehtsftrztlichen Senat in Ungarn. Dr. Schichter 490 
Die Notwendigkeit der Einrichtung staatlicher Anstalten für 

Idioten bezw. Imbezille. Dr. Courjon .490 

Die Organisation der gerichtlichen Medizin in Deutschland 
mit Demonstration yon Abbildungen bemerkenswerter Be* 
fände. Dr. Strassmann .491 

Bericht über die dienstliche Versammlung der Medizinalbeamten des 
Beg.-Bez. Osnabrück in Osnabrflck am 23. Oktober 1903 
(Berichterstatter: Dr. Bitter). 

Eröffnung der Versammlung. 520 

Ländliche Krankenpflege. Dr. Heilmann .520 

Die Wartefrauen-Frage. Dr. Rissmann .522 

Beliebt über die Versammlung der Medizinalbeamten der Provinz 
Schleswig-Holstein in NeumOnster am 19. April 1908 
(Berichterstatter: Dr. Rohwedder). 

Erläuterung der Verfügungen, welche seit der vorjährigen 

Versammlung erlassen sind. Dr. Bertheau .524 

Erbittung der Abschriften der von den Hebammen auege- 

füllten Fragebögen. Dr. Bockendahl .524 

Bemängelung der von verschiedenen Firmen bezogenen Dienst¬ 
formulare. Dr. Asmussen .524 

Die zwischen Aerztekammer und Provinzialvorstand der land¬ 
wirtschaftlichen Bernfsgenossenschaft vereinbarten Attest- 

formulare und Gebührensätze. Dr. Horn .524 

Gründung einer zwangsmässigen Unterstützungskasse für die 

Aerzte des Bezirks. Dr. Horn .524 

Die Bekämpfung des Typhus. Dr. Fischer .524 

Kleine Pocken - Epidemie in Altona. Dr. Schröder . . . 525 

Verhandlung der Medico-legal society of New-York am 
17. Dezember 1902 (Berichterstatter: Dr. Mayer). 

Deutsche Ansichten über Geisteskrankheit vom juristischen 

Standpunkte. Dr. Kornfeld .526 

Ueber die Abschaffung deB Coroner. Dr. Purdy .526 

Ueber Aenderungen im Gesetze über Pflichten und Amt des 

Coroners. Dr. Smith .526 

Bericht über die 18. Versammlung der Medizinalbeamten des Reg.-Bez. 
Merseburg zu Merseburg am 19. Mai 1903j(Berichterstatter: 

Dr. Schneider). 

Die seit der letzten Versammlung ergangenen Verfügungen 

und Verordnungen. Dr. Penk er t . . . ..657 

Mitteilungen über die Grundlagen einer beabsichtigten Ver- 

sichen» gskasse für Hebammen. Dr. Fielitz . . . . 557 

Reinigungsverfahren städtischer Abwässer. Dr. Schneider 557 

























VIII 


Inhalt. 


Bericht Aber die offizielle Versammlung der Medizinalbeamten des Beg.- 
Bez. 8 tade am 12. Noyember 1902 im Kreishause zu Geeste¬ 
münde (Berichterstatter: Dr. Nesemann). 

Eröffnung der Versammlung.. 

Welche sanitätspolizeilichen Massnahmen sind zulässig oder 
geboten, falls die Cholera im Beg.-Bes. Stade auftritt oder 

denselben bedroht P Dr. Ocker . 593 

üeber die Bestimmungen der §§ 74 (Wasserversorgung) und 
76 (Beinhaltung der Wasserläufe) der Dienstanweisung für 
die Kreisärzte unter Berücksichtigung der besonderen Ver- 
hältnisse des Begierungsbezirks Stade. Dr. Gaehde . . 696 

Versammlung der Medizinalbeamten des Beg.-Bes. Magdeburg in 
Magdeburg am 26. April 1903 (Berichterstatter: Dr. Strassner). 

Eröffnung der Versammlung. Dr. Hirsch .622 

Ueber gerichtsärztliche Sachyerständigentätigkeit des Kreis¬ 
arztes vor dem Amtsgericht in Strafsachen. Dr. Keferstein 623 

üeber Manganvergiftung. Dr. Friedei .624 

Verbesserungsvorschläge für ein neues Hebammenlebrbucb. 

Dr. Schade .624 

Die Schularztfrage für ländliche Gemeinden. Dr. Kluge . 626 

Anfrage wegen einer in Aussicht gestellten Desinfektions- 

oranung. Dr. Herme .626 

Mitteilung betreffs Granulöse. Dr. Herme .626 

Bericht über die Hamburger allgemeine Ausstellung für 
hygienische Milch Versorgung unter besonderer Berück¬ 
sichtigung der die Medizinalbeamten interessierenden Fragen. 

Berichterstatter: Dr. Wolff . . . ;.703 

Bericht über die 28. Versammlung des Deutschen Vereins für 
Offentliohe Gesundheitspflege in Dresden am 16.—19. 
September 1903 (Berichterstatter: Dr. Bapmund). 

Eröffnung der Versammlung.764 

Nach welchen Bichtungen bedürfen unsere derzeitigen Mass¬ 
nahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose der Ergänzung P 

Dr. Gaffky .765 

Hygienische Einrichtungen der Gasthäuser und Scbankstfttten. 

Dr. Bornträger .767 

Die gesundheitliche Ueberwachung des Verkehrs mit Milch. 

Dr. Dunbar .797 

Beinigung des Trinkwassers durch Ozon. Dr. Ohlmüller . 800 

Die Bauordnung im Dienste der Öffentlichen Gesundheitspflege. 

Dr. Bumpelt n. Baurat Stübben .833 

Bericht über die 75. Versammlung Deutscher Naturforscher 
und Aerzte in Kassel vom 20.—26. September 1908 (Bericht¬ 
erstatter: Dr. Meder). 

Allgemeine Sitzungen. 

Einfluss der Naturwissenschaften auf die Weltanschauung. 

Dr. Ladenburg .769 

Physiologische Psychologie der Gefühle und Affekte. Dr. 

Ziehen .769 

Ueber den Stand der Schulhygiene. Dr. Griesbach . . . 769 
Ueber Tuberkulosebekämpfung. Dr. v. Behring . . . . 770 
Ueber die physiologischen Wirkungen des LichteB. Dr. J e n s e n 801 
Ueber die bisherigen Erfolge der Licbttberapie. Dr. Bieder 801 
Ueber das Vorkommen und den Nachweis von intrazellulären 

Toxinen. Dr. Macfadyan.802 

Abteilung für gerichtliche Medizin. 

Ueber akute Kupfervergiftung. Dr. Schäffer .803 

Lehre von den Stichverletzungen des Bückenmarks in gericht¬ 
lich - medizinischer Beziehung. Dr. Strauch .803 

Zwei Fälle von geheilter Kehlkopffraktur. Dr. Stolper . . 804 

Ueber die psychiatrische Begutachtung in Zivilsachen, ledig¬ 
lich auf Grund der Akten. Dr. Weygandt.805 
























Inhalt 


IX 


8eite. 

Abteilung für Hygiene. 

Tuberkulose und akhttuberfculOee Erkrankungen der Atmungs- 

orgaae in Preussen Beit 1876. Dr. Ascher.844 

Kriterien und Kontrolle der Heilung bei Lungentuberkulose. 

Dr. Petruschky.844 

Ueber die Identitit des Löfflersehen Mäusetyphusbacillns mit 

dem Paratyphnsbacillus des Typus B. Dr. Bonhoff . . 845 

Die Agglutination der Bakterien, ein physikalisch - chemisches 

Phänomen. Dr. Beohhold.845 

Ueber neue, bisher latent gebliebene Prisipitine. Dr. Neisser 845 

GemeindeOrtliche Einrichtungen auf dem Gebiete der Gesund* 

heitspflege. Oberbürgermeister a. D. am Ende . . . . 845 
Ueber Zahnbeilkunde als Volkshygiene. Dr. Sickin ge r . . 845 
Steigerung der Milchsekretion bei stillenden Müttern. Dr. 

Zloeisti.846 

Demonstration eines neuen Desinfektions- und Inbalations- 
apparates und die bisherigen Versuche mit demselben. 

Dr. Stöcker.846 

Messung und Abwehr Ton Luftstaub nebst Demonstration 
eines Sprengapparatee für Turn- und Exersierhallen, 

Krankenhäuser usw. Dr. Stieb.816 

Ueber die KlärschlammTerwertungsanlage der Stadt Cassel. 

Dr. Paul mann.867 

Ueber Dysenterie in den Tropen. Dr. Buge.868 

Prophylaxe und Behandlung des Schwarswasserfieben. Dr. 

Plehn.869 

Ueber Blutparasiten der Kolonisten und ihrer Haustiere in 

tropischen Gegenden. Dr. Martini.869 

Aus anderen Abteilungen: 

Ueber den Syphilisbacillus. Dr. Joseph, Dr. Piorkowsky 

u. Dr. Pfeiffer.870 

Ueber den Strafvollzug an Geisteskranken. Dr. Aschaffen¬ 
burg .870 

Bericht über die XIII. Sitsung des Vereins der Medisinalbeamten des 
Reg.-Bes. Gumbinnen nu Tilsit am 20. und 21. Juni 1908 
(Berichterstatter: Dr. Forstreuter). 

Ueber Selbstmord im kindlichen Lebensalter. Dr. Vossius. 805 
Ueber die amtliche Tätigkeit des Kreisarstes bei der Schntx- 

pockenimpfung. Dr. Ploch.806 

Vorlegung einer aufgestellten Tabelle fÜrGranuloseambulatorien. 

Dr. Cohn.809 

Das Wasserwerk Tilsit. Dr. Behrendt .809 

Kleinere Mitteilungen. Dr. Doepner.810 

Bericht über die Verhandlungen der Versammlung der Medisinalbeamten 
des Reg.-Bes. Liegnits vom 26. April 1903 (Berichterstatter: 

Dr. Schmidt). 

Beiohsgesets, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher 
Krankheiten vom 30. Juni 1900 nebst Ausführungsbestim- 

mengen. Dr. Leder n. Dr. Horn.826 

Poliseirerordnung, betreffend den Verkehr mit Arsneimitteln 
ausserhalb der Apotheken vom 14. April 1903 nnd die An¬ 
weisung für die Aufsicht über die Drogen-, Material-, 
Farben- und ähnlichen Handlungen. Dr. Feige und 

Dr. Meyen.830 

Geschäftliche Mitteilungen.832 


Ein Gang durch die diesjährige Deutsche Städte-Ausstellung 
in Dresden. 

Berichterstatter: Dr. Israel.839 

























Inhalt. 


A nhan g. 

Omiteil«*.. Bef f «**$*« r die XX' Hft**tref«atamlaBg 

d»a Fr«ftsai#chÄfi Medicinalhe atdIbo-V fcteins. 
ErtJffaaog der VeraaaimJnftg 

OeschBftH- und KaaaeoherteU . ' 

Pf»kti«ch« Erfahrungen bwßglich der Dienstanweisung der kreist 
&r*te, insbesondere betreffs OmbeatehiigaBgon (Hefereatea; Kreis- 
a«t Hed.-Ra* r>r. Schäfer-Fraskfhrta./O. and Xteiearat Med-' 
Rat Or. Herr mann. Bitterfeld) . . . . . 

Oebar die forensisch« BenrteHnög der EpUensIe. (Utimtt; öüricht«- 
arzt Dr. NeidhardUAlt««!«} , . . . . ; . 

Bericht der Xnssenwisoren, VerstäödMMkhi^i^o;'^; '■■ji 
Das Verhalten der DiphthsriesterblieblteH Via Halle .»./&' »äter dem 
Sinflnss der Wohnnngmteaicfebtiüß nnd der Eeiiseninibeibtodhine 
aehst DeuDenstmtiott (Referent: Krasarat Heb. Med.-Bat Dr. 

Bisel-Halle u.l S.) . . , . . , , 

Anhang: Jahresberichte (Berichterstatter: Kreb*t*t Med. • Hat Dr. 
Sch&fer .Frankfurt a./0) . . . 

Offl*taller Bericht hher di* «weite Haoptv»rsanun 1 nng 

de s D «a. t e c h e n M e d i» i n a 1 b e a m t e c * V e r «i o s. 

Ertfenng der Veraiunminng ... 

Geschäft®- and Kaasenberlcht 

Beichagesfjfaiicbe Brgelnng des Irrcnweaena. Beferenton; Landearat 
Vnretar-DlbBftldörf •./■:. \.'V. • 

Oeb, Med.-Raf Dr. Weber.SaflneßsteiD ..... 

Reg.- ii. Med. »Rat Dr. Basak-Köln . . . ... 

Vorstandswahl 

Bericht der Kaasenroutsorea •-y VlV . . . *'vy v- , . . 

Verhütung der yerb|^itai^ ; »Butebhender Krankheit««* darob die 
Suhnien, B«f*t«»tent.. •«. D; Prof. Dr/'T/äde n-Bremen 

Heg,* n. Med.-Rat Prof.. jßy; Lenbascfaar-MeUimgeTj. . \ 

Beitrage »nt pathpl<^Nb^}rvAäitoii)'ie.' der akutes KehlwosydTer-' 
cifttmg. Eefereiit: Kwbarst Dr., Scbäffe. r* Bingen «. Bh. l 

Die Photographie im Dienste dor gerichtlichen Mediais. Beferentea; 

Prof. Dr, 8trasanv&nn-Barün l 

Br, Arthur Schal c-Berlin •. .. 1 

Anlage ... .1 

Mitglieilervenseichiiis . i 


«eit«. 


III. Kleiner© Mitteilungen und Referate aus 
2eits<?l)-riften u. s. w, 1 j 
A. öertohtitohe Mbdialn ßnd PayehUtrto. 

U«v \t-(l Vflr Hark-iif.. .Di . X K &$$;$;£ 

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V ateia (Waihel)... &*>&. 


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Kar Kasabtik 
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■ 



Inhalt. 


XI 


Zwei FUle tob Stramonium-Vergiftung. Dr. Kn aut (Bftnber) ... 875 

Verblutung im Anschluss an die Geburt. Beitrag rar Aetiologie der 
Poatpartamblntnngen und partielle Kontraktionen des schwangeren 
Uterus, Myom Vortäuschen d. Prof. Dr. Ahlfeld (Walther) . . 276 

Zur Frage der Uterusrnptur in frQheren Monaten der Schwangerschaft. 

Dr. Kober (Walther).276 

Bin Fall von Strafverfolgung gegen einen Arst wegen Unterlassung 

einer Dammnaht. Dr. Zweifel (Walther).277 

Eine tödliche Verletzung des hinteren ScheidengewOlbes sub coitu. Dr. 

Karl Btths (Hoffmann).277 

Zwei Fälle von Fremdkörpern des Uterus. Dr. To ff (Waibel) . . . 278 

Fremdkörper im Mastd&rm. Dr. Scherenberg (Waibel).279 


Endzflndlicher Bauchdeckentumor, hervorgerufen durch einen aus dem 

Darm durchgebrochenen Fremdkörper. Dr. Wagner (Waibel) . 279 

Gutachten Ober eine Untersuchung, betr. Identifizierung anfgefundener 

halb verbrannter Knochen. Dr. C. Strauch (Ziemke) .... 345 

Die Blutdichte als Zeichen des Ertrinkungstodes. Dr. Placseok 


(Ziemke) . 345 

Ueber Gefrierpunktsbestimmungen von Leichenflüssigkeiten und deren 
Verwertung rar Bestimmung des Zeitpunktes des eingetretenen 

Todes. Dr. Bevenstorf (Ziemke).346 

Beiderseitige Ophthalmologie interna, hervorgerufen durch Bxtractum 

Secalis cornuti. Dr. Schneider (Waibel).346 

Zwei Fälle schwerer Otitis medica acuta durch Scbneeberger. Dr. 

Sehroeder (Waibel).346 

Intoxikationspsychose nach Injektion von Jodoform in die Blase. Dr. 

Sohworin (Hoffmann).347 

Hypnose vor Gericht. Dr. Job. Longard (Ziemke).847 

Die Psychosen der Landstreicher. Karl Willm an ns (S. Kalischer) . 347 

Krankhafte Eigenbeziehung und Beachtungswahn. Prof. Dr. A. Cr am er 

(Lew&ld).348 

Entwickelungsjahre und Gesetzgebung. Prof. Dr. A. Cr am er (Lewald) 349 

Die SeelenstOrungen auf arteriosklerotischer Grundlage. Dr. Alzheimer 

(Pollitz).349 

Die chirurgischen Erscheinungen der genuinen Epilepsie. Prof. Hermann 

Fischer (Kornfeld).350 

Ueber Ziele und Erfolge der Familienpflege Geisteskranker, nebst Vor¬ 
schlägen fttr eine Abänderung des bisher in Berlin angewendeten 

Systems. Dr. Nawratzki (Pollitz).350 

Becherches experimentales sur la pathogenie de la mort par brfilare. 

E. Stockis (Schrakamp).455 

Ein besonders bemerkenswerter Fall von Kohlenoxydgasvergiftung. Prof. 

Dr. Kurt Wolf (Waibel).456 

Die ersten Phasen der Kohlenoxydvergiftnng. Definition des Vergif- 

tnngskoefAsienten. Nestor Gr6hant (Mayer).457 

Die Extraktion von Kohlenoxyd aus dem geronnenen Blute. M. Nioloux 

(Mayer).457 

Zwei Fälle tödlicher Kohlenoxydvergiftungen. Analyse der Blutgase. 

Lacassagne, E. Martin und M. Nieloux (Mayer) .... 457 

Ueber Salmiakgeistvergiftung. Dr. Beckzch (Waibel).458 

Selbstmord dnrch Chloroform-Inhalation. Dr. Hoffmann (Autoreferat) 460 
Ueber Ohreiterungen vom gerichtsärztlichen Standpunkte. Dr. Troeger 

(Bump)...460 

ZwOlf Vorträge, referiert von Dr. Hof f mann-Berlin: 

Feststellung des Todes und der Todesursache. Prof. Dr. 0. Israel. 463 

Saohverständigentätigkeit und Technik, des Gerichtsarztes. Prof. Dr. 

Strassmann.463 


Gesundheitszustand in zivilrechtlicher und strafrechtlicher Beziehung. 

Prof. Dr. 3trassmann .463 

Traumatische Todesarten. Dr. O. Puppe .463 

Tod dureh gewaltsame Erstickung u. abnorme Temperatur. Dr. G. Puppe 4b 
Ueber die Beurteilung von Vergiftungen. Prof. Dr. Oskar Liebreich 


























XII 


Inhalt. 


Ueber Fortpflanzungsfähigkeit, Schwangerschaft nnd Geburt. Prof. Dr. 

(Hahausen. 

Krimineller Abort und Kindesmord. Dr. Siegm. Gottschalk. . . 

Die Zurechnungsfähigkeit. Prof. Dr. Mendel . 

Die Geisteskrankheiten in zivilrechtlicher Hinsicht. Prof. Dr.Moeli . 
Perverser Sexualtrieb and Sittlichkeitsverbrechen. Prof. Dr. Jolly . 
Ueber Epilepsie and Hysterie in forensieher Beziehung. Prof. Dr. M. 

KOppen . 

Ueber hysterische Dämmerzustände u. das Symptom des „Vorbeiredens". 

Prof. A. Westphal (Kalischer). 

Probleme auf dem Gebiete der Homosexualität. Dr. Näcke (Pollitz) . 

Lysolvergiftung. Dr. Fritz Hammer (Waibel). 

Lokale Wirkungen der Chromsäure. Ein Fall von akuter Chromsäure¬ 
vergiftung. Dr. Robert Rössle (Risel). 

Vergiftung mit Kalibichromat. Dr. Franz Berka (Waibel) .... 
Lokalisation und Elimination der metallischen Gifte bei den gewerblichen 
Vergiftungen — Ueber das Vorkommen von Blei im Organismus 
—Lokalisation des Bleies im Organismus der Bleikranken. G. Meil- 

16re (Mayer). 

Vergleichende Wirkung des Jods und der Jodsalse auf die Lunge. Marcel 

Labbe und L6on Lortat-Jaoob (Mayer).. 

Versuohe Uber die Dauer des Aufenthalts von Flüssigkeiten im Magen. 

G. Leven (Mayer). 

Funktionsprflfungen bei akuten Mittelohrentslindungen. Dr. Friedrich 

W a n n e r (Rudloff).-. 

Anatomische Besonderheiten des kindlichen Gehörorganes. Dr. G. Br fl hl 

(Rudloff). 

Sektionsergebnis eines Falles von angeborenem Herzfehler. Dr. A. Gut¬ 
kind (Waibel). 

Hermaphroditismus verus. W. Simon (Risel). 

Einwirkung der Kastration auf die Entwickelung des Skelettes. Prof. 

Antonin Poncet (Mayer).. 

Zusammenhang zwischen männlichen Geschlechtsdrüsen und Skelett¬ 
entwickelung. P. E. Launois und P. Roy (Mayer) .... 
Ueber psychische Storungen nach Schädelverletzungen. Dr. Viedenz 

(Pollitz). 

Ueber das Gansersche Symptom mit Berflcksichtigung seiner foren¬ 
sischen Bedeutung. Dr. Lflck (Pollitz). 

Beitrag zur Lehre von der Melancholie. Dr. A. Schott (Pollitz) . . 
Zur Frage der Dementia praecox. Dr. Max Jahrmärker (Pollitz) 
Die Grenzen der geistigen Gesundheit. Prof. Dr. Hoche (Pollitz) . . 
Die Exhibitionisten vor dem Strafrichter. Dr. G. Burgl (Pollitz) . . 

Ueber einige Fälle von Simulation. Dr. Bolte (Pollitz). 

Blausäure, ein Verbrennungsprodukt des Celluloids. Prof. Dr. Ko ekel 

(Ziemke)._ • • 

Uebertritt und Wirkung des Phosphors auf menschliche und tierische 

Frflchte. Dr. Wassmuth (Ziemke). 

Normaler ArBengehalt der Tiere und normales Vorkommen nnd Herkunft 
des Arsens bei Tieren und Pflanzen. Armand Gautier (Mayer) 
Resultate der Kryoskopie bei Ertrunkenen. Dr. Revenstorf (Ziemke) 
Ueber den Nachweis von Blutkörperchen mittelst Chinin. Dr. Marx 

(Ziemke). 

Die elastischen Fasern in der fötalen Lunge und in der Lunge des Neu 

geborenen. Prof. Ottolenghi (Ziemke). 

Plötzlicher Tod im elektrischen Bade. Dr. v. Brunn . 

Verletzungen der Gebärmutter. Dr. Osterloh (Waibel) .... 
Ueber einen forensisch interessanten Fall von Manie. Dr. KOlpin 

(Pollitz). 

Die einfache demente Form der Dementia praecox (Dementia Simplex' 

Otto Diem (Pollitz).. 

Ueber die Detlnierung nicht entmündigter Geisteskranker in Irrenanstalten 
Dr. LOwenthal (Pollitz). 


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Inhalt. 


XIII 


Seite. 

Zar Frage der sogenannten freiwilligen Pensionäre. Dr. Boedeker 

' (Pollits).669 

Jahresbericht des Hilfsvereins fttr Geisteskranke im Königreich Sachsen 

für das Jahr 1902. Dr. Weber (Bpd.).670 

Kohlenoxyd vergiftnng. Verschwinden des Gases aas dem Blnte. L. Garnier 

(Mayer).733 

VergiftangBerscheinangen nach Aspirin. Dr. Franke (Waibel) . . . 734 
Vier Fälle von innerer Lysolvergiftang. Dr. Liepelt (Räaber) . . . 736 

Sin Fall von Lysolvergiftang. Dr. Schwärs (Glogowski).735 

Nochmals Shock and der Shooktod, speziell nach Kontusionen des 

Bauches. Dr. P. Seliger (Glogowski).735 

Fragliche Todesursache im Säuglingsalter. (Tod darch Thymasdrttsen- 

hyperplasie?). Prof. Dr. Leabascher (Waibel).766 

Ueber Todesursachen bei Neugeborenen and gleich nach der Geburt mit 

Bhcksicht auf ihre forensische Bedeutung. M. Hof meier (Waibel) 736 

Fett, Glykogen und Zellent&tigkeit der Leber des Neugeborenen. L. Nat- 

lan-La'rrier (Mayer).738 

Ueber den Mechanismus des Todes infolge von Lufteintritt in die Venen. 

Embolien der Koronargefässe. Tb. A. Francois-Franck (Mayer) 738 
Der Nachweis individueller Blutdifferenzen. Dr. Wolfgang Weiohardt 

(Autoref.).739 

Ueber Röntgenstrahlen in gerichtlich •medizinischer Beziehung. Dr. 

Troeger (Rump).739 

Ueber angeborenen Mangel der Schlüsselbeine. Dr. Gross (Waibel) 739 

Haftpflicht des Arztes bei fahrlässiger Ausstellung eines Zeugnisses (Mayer) 740 
Ueber Störungen des Erwachens. Prof. Dr. H. Pfister (Räuber) . . 740 

Ueber akute transitorische Aphasie. Dr. Max Rothmann (Räuber) . 741 

T&Ueber Psychosen unter dem Bilde der reinen primären Inkohärenz. Dr. 

■ L. W. Weber (Waibel).741 

VZur Kasuistik der familiären amaurotischen Idiotie. Dr. Gessn er (Waibel) 742 
Die Beschäftigungsneurose der Telegraphisten. E. Cronbach (Pollits) 742 
Bin Fall von Arsenikmord. Prof. Dr. Rud. Kob er t (Tröger). . . . 872 

Findet sich Arsen in allen Geweben des tierischen Haushaltes? Armand 

Gautier (Mayer).872 

Anetonvergiftung nach Anlegung eines Zelluloid - Mullverbandes. Dr. 

C os am an n.(Waibel).872 

Aspirin-Nebenwirkung. Dr. Winckelmann (Waibel).873 

Tod einer Tracheotomierten durch Erhängen. Dr. Bertelsmann 

(Ziemke).878 

Zur Frage der Spätapoplexie. Prof. Dr. Israel (Ziemke).878 

Ueber Nebennierenblutungen bei Neugeborenen. Dr. Dörner (Ziemke) 874 

Lungenfäulnis und Schwimmprobe. Dr. Leubuscher (Ziemke) . . . 874 
Jodoformgazerest in der Vagina einer Wöchnerin. Dr. Pilf (Ziemke) . 874 

Experimentelle Studien zur Pathogenose akuter Psychosen. Dr. Hans 

Berger (Räuber).874 

Hysterische Selbstbeschädigung unter dem Bilde der multiplen neu¬ 
rotischen Hautgangrän. Prof. Dr. Bettmann (Waibel) . . . 875 

Zu forensisch - psychiatrischen Beurteilung spiritistischer Medien. Dr. R. 

Henneberg (Pollitz).876 

Welche besonderen Einrichtungen sind bei der Anstaltsbehandlung der 

Epileptiker erforderlich. Dr. H. Stakemann (Pollits).876 

Das belgische Irrenwesen, speziell die Familienpflege (Pollitz) .... 876 

Zu Revision des deutschen Strafgesetzbuchs. Dr. Ger lach (Pollits) . 877 


B. Sachverständigen - Tätigkeit ln Unfall- and Invalldltätssaohen. 

A. Gutachten und Referate. 

Zum Nachweis der Simulation bei Hysterischen und Unfallsaohen. Hofrat 

Dr. v. Hoesslin (Waibel). 33 

Zusammenhang zwischen Betriebsunfall (Fall auf den Hinterkopf aus 
einer Höhe von l 1 /* m) und einer organischen Erkrankung des 
Kleinhirns und der diesem unmittelbar benachbarten Teile des 
























XIV 


Inhalt 


zentralen Nervensystems, nicht aber lediglich ein funktionelles 
Nervenleiden (insbesondere eine Hysterie). Obergutachten. Dr. 

Cassirer u. Prof. Dr. Oppenheim . 

Die Unfallverletzungen des Gehörorganes ond die prozentuale Abschätzung 
der durch sie herbeigeftthrten Binbusse an Erwerbsfähigkeit im 
Sinne des Unfallversicberungsgesetzes. Dr. Röpke (Rudloff). . 
Ursächlicher Zusammenhang zwischen einem tödlich verlaufenen Magen¬ 
krebs und einem Betriebsunfall (Schlag von einer zurflckachnellen- 
den Brechstange gegen den Magen). Obergutachten. Prof. Dr. 

Bwald . 

Ueber die Begutachtung der UnterleibsbrQche. Prof. Sultan (Waibel) 
Bin Fall von traumatischer Hysterie, durch einen nicht entschädigungs¬ 
pflichtigen Unfall hervorgerufen und unter psychischer Behandlung 
rasch in Heilung übergehend. Dr. Traugott (Waibel) . . . 
Dar funktionelle Plattfuss mit besonderer Berücksichtigung seines Ent¬ 
stehens durch Traumen. Dr. Her hold (Fielits jun.) . . . . 
Entstehung einer primären Herzerweiterung durch eine ungewöhnlich 
grosse, plötzlich eingetretene Muskelanstrengung bei dem Heben 
eines schweren Baumstamms. Obergntachten. Dr. Frohmann 
Unfallheilkunde und Neuropathologie in ihren Wechselbeziehungen. Dr. 

Paul Schuster (Räuber).*. 

Zur Kenntnis der nach Trauma entstandenen Aorteninsuffizienz. Dr. 

Struppler (Waibel). 

Epilepsie und Hysterie vom Standpunkt der Invalidenversicherung. Dr. 

W. Stempel (Tröger). 

Ueber die Bedeutung der Aphakie für die Erwerbsfähigkeit. Dr. F. 
Kauffmann (Tröger). 


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B. Entscheidungen ln Unfall- und Invaldltätssachen.') 

1902. 17. April: Maoht eine LaudesversioherungBanstalt gegen eine Kran¬ 
kenkasse eine Forderung auf Grund des Abs. 3 § 18 
des Invalidenversicherungsgesetzes geltend, so hat 
der Verwaltungsrichter zu prüfen, ob die Erkrankung 
des Versicherten derartig war, dass die Anstalt das 
Heilverfahren zu übernehmen befugt war. Eine gegen 
die klare Sachlage verstossende tatsächliche Wür¬ 
digung eines ärztlichen Gutachtens seitens des Rich¬ 
ters stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar 


(Preues. Oberverwaltungsgericht). 65 

30. Sept.: Entziehung der Rente wegen Angewöhnung bei Verlust 

des linken Ringfingers. 64 

2. Okt.: Unfall und Leistenbruoh. Kein ursächlicher Zusammen¬ 
hang .352 

10. „ : Tod durch Herzschlag infolge grosser Hitze beim Ar¬ 
beiten am Ziegelofen. Betriebsunfall anerkannt . . 353 

10. „ : Lungenaffektion und Herzvergrössernng infolge von Ver- 
sohüttung. Grad der ErwerbBverminderung. Der 
Erhöhungsantrag des Klägers war unbegründet . . 354 


„ 20. „ : Ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Betriebsunfall 

und dem die Erwerbsunfähigkeit bedingenden Leiden 
(Hysterie) verneint, weil dasselbe lediglich durch die 
Bemühungen um Durchsetzung des vermeintlichen, 
aber unberechtigten Anspruchs zur Entwicklung ge¬ 
langt ist, während der Unfall selbst als wesentliches 
Moment für die Entstehung des Leidens ausscheidet 355 
„ 28. „ : Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Krankenveraicherungs- 

gesetzes (Badischer Verwaltungsgerichtahof) ... 67 


') Wo kein besonderer Vermerk gemaoht ist, sind die nachstehenden 
Entscheidungen solche des Reichsversicherungsamts. 












Inhalt. 


XV 


1902. 30. 0kt.: Zar Gewährung der sogenannten Hfllfloeenrente liegt 

bei euer Abquetschung der rechten Hand mit Aus¬ 
nahme des Daumens, sowie des Zeige-, Mittel- und 
Bingfingers der linken Hand kein ausreichender 

Anlass vor.356 

. 29. Nor.: Grad der Erwerbsverminderung bei traumatischem 

Plattfass.355 

„ 5. Dez.: Ursächlicher Zusammenhang zwischen Tod und Unfall 

(Urteil des Reichsgerichts).672 

1903. 10. Jan.: Eine nennenswerte Beschränkung der Arbeite- and Er¬ 

werbsfähigkeit wird durch den Verlast der beiden 
Endglieder des linken Zeigefingers nicht mehr ver¬ 
ursacht .468 

„12. „ : Die Annahme teilweiser Erwerbsunfähigkeit vor dem 

Unfälle ist bei geringfügigem Emphysem nicht zu- 
läsBig (§ 13 des Unfallversicherungsgesetses für 


Land- und Forstwirtschaft vom 30. Jani 1900) . . 468 

„13. „ : Eine Veränderung der Verhältnisse im Sinne des § 47 

Abs. 1 des Invalidenversicherungsgesetzes kann nur 
im Falle einer Aenderung des geistigen oder körper¬ 
lichen Zastandes des Rentenempfängers angenommen 
werden. Unter Umständen liegt eine solche Aende- 
rang in der Gewöhnung an einen krankhaften Zu¬ 
stand oder in dem Erwerbe neuer Fertigkeiten . . 880 

„28. „ : Entschädigung der Unfallfolgen bei chronischen Leiden 467 

„ 24. Febr.: Geringe Winkelstellung der Brachenden nach Bruch 

des Unterschenkels bedingt an sich keine Erwerbs- 

rerminderung.673 

„27. „ : Berücksichtigung des bisherigen Berufs bei Beurteilung 

des Grades der Erwerbsunfähigkeit eines Verletzten 673 
„ 14. Mal: Die Pflicht zur Gewährung der zur Sicherung des Er¬ 

folges des Heilverfahrens und zur Erleichterung der 
Folgen der Verletzung erforderlichen Hilfsmittel 
sohfiesst auch die Pflicht zu deren Instandhaltung und 
Erneuerung in sich (Bescheid des Reiohs-Versiche- 


rangsamts).881 

15. „ : Eine messbare Beeinträchtigung im wirtschaftlichen 

Leben liegt bei Verletzung des Nagelgliedes des 

linken Mittelfingers nicht vor.674 

5. Juni: Lungenentzündung infolge von Erkältung. Betriebs¬ 
anfall anerkannt.672 

SO. „ : Anhörnog des behandelnden Arztes ist nicht nur für 

das Bescheidsverfahren, sondern auch für die Rechts- 

mittolinstanzen vorgeschrieben.674 

1. Juli: Ursächlicher Zusammenhang zwischen Betriebsunfall und 
Tod ist als vorliegend zu erachten. Sehwefelwasser- 

stoflgasvergiftung.879 

3. „ : Grad der Erwerbsvermindernng bei glattem Verlast 

des linken Mittelfingers.880 


0. Bakteriologie, Infektionskrankheiten, Hygiene and öffentliches 


Sani t&tswesen 1 ). 

Ueber Öen bakteriologischen Befand bei einer Dysenterieepidemie in Süd¬ 
steiermark. Dr. Paul Theodor Müller (Lents). 38 

Zur Frage der Widerstandsfähigkeit der Sbiga-Kruseschen Ruhr- 

bazillen gegen Winterfrost Dr. Georg Schmidt (Lents) ... 88 

Beitrow zur Differenzierung von Typhös-, Coli- und Ruhrbazillen. Dr. 

Martin Klopstook (Räuber). 88 


’) Die Namen der Referenten sind in Klammen beigefügt. 
















XVI 


Inhalt. 


üeber die Differensierang der Ruhrbazillen mittelst der Agglutination. 

Dr. C. Martini (Lents). 

Vergleichende kulturelle Untersuchungen über die Rohrbazillen nebst 
einigen Bemerknngen über den Lakmusfarbstoff. Dr. 0. Lents 

(Lentz). 

Die in Ostpreussen heimische Rühr, eine AmObendysenterie. Prof. Dr. 

Jaeger (Lents). 

Bemerkungen zu Jaegers „die im Osten einheimische Ruhr, eine 

Amöbendysenterie“. Dr. K. Shiga (Lentz). 

Erwiderung auf die Bemerkungen Shigas über meine AmObenbefunde bei 
der in Ostpreussen herrschenden Ruhr. Prof. Dr. Jaeger (Lentz) 
Verlauf und Ursache einer Hospitaldiptherieepidemie. Dr. Fritz Cuno 

(Bttsiug). 

Das Bad als Infektionsquelle. Dr. Winternits (Rpd.). 

Kohlenoxyd Vergiftung in einer Schule. Dr. Majer (Rpd.). 

Die Bedeutung der tuberkulösen Belastung für die Entstehung von Ohren« 
krankheiten bei Kindern. Prof. Dr. Ost mann (Waibel) . . . 
Ueber die Notwendigkeit, die untere Grenze des schulpflichtigen Alters 

heraufzusetzen. Dr. Arthur Newsholme (Mayer). 

Zar Beurteilung der Borsäure und des Borax als Fleischkonservierungs- 

mittel. Dr. Boehm (Waibel). 

Die staatsärztliche Prüfung in England (The diplom in pubic health). 

(Mayer). 

Ueber das Wesen der Bakterienvirulenz nach Untersuchungen an Cholera¬ 
vibrionen. Pro! Dr. R. Pfeiffer und Dr. E. Friedberger 

(R&uber). 

Beiträge zur Agglutination des Pestbacillus. Dr. Adal&r Anjesky 

(Räuber). 

Ueber die Gefahr der Tetanusinfektion bei subkutaner Anwendung der 
Gelatine su therapeutischen Zwecken und ihre Vermeidung. Dr. 

Paul Krause (Räuber). 

Ueber ein neues Verfahren der Schutzimpfung gegen Milzbrand. Dr. 

G. Sobernheim (Räuber). 

Inhalationsmilzbrand durch Verarbeitung von ausländischen Drogen. Dr. 

Risel (Rpd.). 

Ueber die Bedingungen des Eindringens der Bakterien der Inspirations- 

luft in die Lungen. Dr. Ludwig Paul (Martini). 

Kann in Inhalatorien bei richtigem Betriebe eine grossere Menge der 
zerstäubten Flüssigkeit in die Lunge gelangen. Prof. Dr. Em¬ 
merich (Waibel). 

Zur Prophylaxe des Keuchhustens. Dr. Stamm (Waibel). 

Das Verhalten einer Diptherieepidemie in einem Genossenschaftsmolkerei¬ 
bezirke. Dr. Fritz PrOlss (Glogowski). 

Zur Aetiologie des Recurrenstyphus. Dr. Justin Karlinski (Lentz) . 
Upon a spizial methol for the detection of the typhoid bacillus in the 

blood. By Aldo Castellani (Lentz). 

Beitrag zar kulturellen Typhusdiagnose. Dr. Friedr. Krause (Lentz) 
Zur Pathogenese des Typhus abdominalis. Dr. H. Schottmüller 

(Waibel). 

Die Verbreitung des Typhus durch Milch. Dr. Rem bold (Schlechtendal) 
Die Sammelmolkerein als Typhusverbreiter. Dr. R. B e h 1 a (Schlechtendal) 
Fleischvergiftung und Typhus. Prof. R. Levy und Dr. Erwin Jacobs¬ 
tal (Lentz).. 

Eine Endemie von Paratyphus. F. M. G. de Feyfers (Waibel). . • 
Ueber eine unter dem Bilde des Typhus verlaufende, durch einen be¬ 
sonderen Erreger bedingte Epidemie. Dr. H. Conradi (Büsing) 
Ernährung und Trinkwasserversorgung im Felde. Prof. Dr. Martin 

Kirchner (Roepke). 

Das Schumburgsohe Verfahren der Trinkwasserreinigung mittelst Brom. 

Dr. Engels (Lents). 

Ueber die Bedeutung der Zerkleinerung und des Kochens der Speisen 
für die Verdauung. Prof. Dr. K. B. Lehmann (Lents). . . . 


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Inhalt 


XVII 


(Jeher 4ie Wirkung des Einlegens von Fleisch in verschiedene Salze. 

Dr. phil. Kuschel (Lentz).252 

Bakterielles Verhalten der Milch bei Boraxansatz. Dr. Albreoht n. 

P. F. Richter (Lentz).252 

Chemische Untersuchung eines neaen im Handel befindlichen Dauer* 
wnratsalzes „Barolin“ and eines „ Dauer wurstgewürzes*. Dr. Adolf 

Günther (Rost).263 

Ucber den Missbrauch der Borsäure. Dr. Wilhelm Dosquet (Räuber) . 253 

Ueber die Wirkung der Borsäure und des Borax. Prof. Dr. 0. Lieb¬ 
reich (Hildebrandt).253 

Die Verwendung der Borsäure in der inneren Medizin. Dr. G. Merkel 

(Waibel).254 

Borsäure als Konservierungsmittel. Dr. E. Rost (Rpd.).255 

Die Differentialdiagnose der verschiedenen in-die Groppe der Bakterien 
und der hämorrhagischen Septicämie gehörigen Mikroorganismen 
mit Hille der spezifischen Seramreaktion. (0. V o g e s (Lentz) . 280 
Der Pestbacillas im Organismus der Flohe. Dr. Giuseppe Zirolia . . 280 
Der Widerstand des Inflaenzabacillos gegen physische und chemische 

Mittel. Dr. Raffaele 0 n o r a t o (Lentz).280 

Eine kurze Zusammenfassung der Resultate einer Untersuchung (vom 
Januar 1899 bis August 1901) betreffend die Pathogenesis des 
akuten Rheumatismus. F. John P o y n t o n und A. P a i n e (Lentz) 280 

Ueber die Lebensbedingungen des Taberkuloseerregers in der Salzbutter. 

Dr. Alfred Petersson (Lentz).281 

Ueber die tuberkelbazillenähnlichen Stäbchen und die Bazillen des 

Smegmas. Dr. A. Weber (Rost). .281 

Versuche über FUtterungstuberkulose bei Rindern und Kälbern. Prof. 

Dr. Max Schottelius (Waibel).282 

Ueber einige Zeit* und Streitfragen aus dem Gebiete der Tuberkulose. 

Prof. Dr. J. Orth (Räuber).283 

Uebertragung der Tuberkulose des Menschen auf das Rind. Dr. Johannes 

Fi big er (Räuber).284 

Ueber die Bedeutung der Zigarren und besonders der Stummel derselben 
im Hinblick auf die Verbreitung der Tuberkulose. Dr. Luigi 

Peserico (Lentz).285 

Die Auswahl der Kranken für die Lungenheilstätten und die frühzeitige 
Erkennung der Lungentuberkulose in der ärztlichen Praxis. Dr. 

Kurt Brandenburg (Rump).285 

Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. Dr. Max Schot¬ 
tel ius (Lentz).256 

Ueber die Widerstandsfähigkeit der Pestbazillen gegen die Winterkälte 

in Tokyo. Dr. C. Toyama (Lentz).. . 857 

Ueber das Verhalten des Lyssavirus im Zentralnervensystem empfänglicher, 
natürlich immuner und imunisierter Tiere. Dr. Kraus, Dr. E. 

Keller und Dr. P. Clairmont (Martini).357 

Ueber einen Fall von Ausbruch der Tollwut, sieben Monate nach der 
Pasteurschen Schutzimpfung. Prof. Dr. Theodor Kaaparek 

und Dr. Kail Tenner (Räuber) . ..359 

Zar Einheit der Streptokokken. Dr. Fritz Meyer (Räuber) .... 359 

Untersuchungen über Streptokokken* uni Antistreptokokken. Dr. Hans 

Dr. Hans Aronson (Räuber).360 

Ueber Antistreptokokkenserum bei Scharlach. Adolf Baginsky (Räuber) 360 

Bin Fall von Gonokokken• Pneumonie. Dr. Bressel (Waibel) . . . 361 

Ueber Meningokokkensepticämie. Dr. H. Salomon (Räuber) .... 361 

Neue Erfolge des Cancroin beim Krebs der Lunge, des Kehlkopfes, der 
Speiseröhre, des Magens und der Brustdrüse. Prof. Dr. A. Adam* 

kiewicz (Räuber).. . ..862 

Eine Krebsstatistik vom pathalogisch* anatomischen Standpunkt. Dr. 

W. Rieohelmann (Räuber).86? 

Ueberaicht über die Verbreitung der Krebskrankheit am Ende des 19. Jahr¬ 
hunderts in einigen ausserdeutschen Gebieten. Dr. Bahts 
(Bost).. 

























XVIII 


Inhalt. 


Die kombinierte Wirkung chemischer Desinfektionsmittel nnd heisser 

Wasserdampfe. Keisakn Eoknbo (Lentz).364 

Bin Beitrag zur Frage der Anwendung des Formaldehydgases zur Des¬ 
infektion. 0. V o g e s (Lentz).364 

Untersuchungen ttber die bakterizide Wirkung des Aetbylalkohols. Dr. 

J. Weigl (Lents) . . . . ..364 

Ueber die bakterizide Wirkung der Seifen. Dr. D&niel E o n r a d i (Lentz) 364 

Untersuchungen ttber die vermutete Absorptionsgefahr bei Verwendung l 

des Quecksilbers za Desinfektionen mit Eorrosiv-Sublimat. Dr. 

B. Bertacelli (Martini).365 

Vergleichende Versuche ttber die Infektionskraft älterer und neuerer 

Quecksilber- und Phenolpräpavate. Dr. Fritz Hammer (Waibel) 366 
Untersuchungen ttber die keimtodende und entwickelungshemmende Wir¬ 
kung des Lysoforms. Dr. Otto Seidewitz (Lents).366 

Brginsungsblatt 3 und 8 zum preussischen Hebammenlehrbuch. Prof. 

Dr. Ahlfeld (Walther).366 

Bin weiterer Beitrag zum mikroskpischen Nachweis vom Bindringen des 
Alkohols in die Haut bei der Heisswatser-Alkoholdesinfektion. 

Dr. Fett (Walther).366 

Beitrag zum bakteriologischen Nachweis von Trinkwasserverunreinigungen 
anlässlich infektiöser Erkrankungen. Dr. Mensburger u. Dr. 

Bambousek (Lentz).367 

Ueber die Verunreinigung des städtischen Hafens und des Flusses Aker- 
selven durch die Abwässer der Stadt Christiania. Dr. Axel Holst, 

Dr. Magnus Geirsvold und Sigval Schmidt-Nielsen (Lentz) 367 
Versuche mit Nachbehandlung der Frankfurter Abwässer in Oxydations¬ 
filtern. Prof. Dr. Freund und H. Uhlfelder (Glogowski) . . 368 

Studien Ober krankheitserregende Protozoen. Plasmodium vivax (Grassi < 

und Filetti), der Erreger des Tertianfiebers beim Menschen. Fritz 

Schandinn (Bost).393 

Ueber die Bekämpfung der Malaria. William Max Gregor (Ohlemann) 395 

Die gesundheitlichen Gefahren der Prostitution und deren Bekämpfung. 

Prof. Dr. Lesser .395 

Ueber Urethritis gonorrhoica bei Bindern männlichen Geschlechtes. Dr. 

Fischer (Waibel).396 

Schutzmassregeln gegen die Augeneiterung der Neugeborenen und gegen i 

die Ansteckung durch dieselbe. Dr. L. Wolffberg (Boepke) . 397 

Entstehung und Verhütung der Blindheit. Dr. Ludwig H i r s c h (Ohlemann) 897 
Eindenchutzgesetsgebung nnd Arzt. Dr. Paul Schenk (Hoffmann) 398 

Ueber die Eunst, gesund und glttcklich zu leben und Erankheiten zu ver- 

httten. Prof. Dr. P. E. Pehl (Boepke).398 

Ueber einige Fehler bei Ventilationsanlagen. Prof. Dr. Eurt Wolf (Wolff) 398 
Ueber die Anforderungen, welohe vom gesundheitlichen Standpunkte aus 
an ein Öffentliches Schlachthaus zu stellen sind. Dr. G. Feld- 

mann (Glogowski).399 

Das Abdeckereiwesen und seine Begelung. Dr. Boretius (Glogowski) 402 
Ueber die Untersuchung des Pockenerregers. Zur Erforschung der Im- I 

munität durch Vaccination. Dr. Ealsnke Tanaka (Lentz) 426 

Beiträge zur Eenntnis der Nebenpocken im Verlaufe der Vaccination, 

sowie der postvaccinalen Exantheme. Dr. Groth (Waibel) . . 427 

Ueber eine Conjunktivitis- Schulepidemie nebst einigen allgemeinen Be¬ 
merkungen ttber ärztliohe Anordnungen bei Schulepidemien. Dr. 

Zia (Waibel).429 

Die LOsung der Schularztfrage auf dem Lande. Dr. Heinrich Berger 

(Glogowski).431 

Das Bedürfnis nach Schulärzten fttr die höheren Lehranstalten. E. Boiler 

(8chrakamp).431 

Die Beaufsichtigung der Schulen und das neue englische Unterrichtsgesetz. 

Dr. H. Meredith Bichards (Mayer).432 

Schule und Bttckgratsverkrttmmungen. W. Schaltess (Schrakamp) 432 

Tuberkulosebekämpfung und 8chule. Dr. Windheuser (Schrakamp) . 483 

NervOse Schulkinder. Dr. B. Landau (Schrakamp).483 





















Inhalt. 


XIX 


Belte. 


Bin Beitrag zur Frage nach den Ursachen der Minderbegabung von 

Schalkindern. Dr. Wegen er (Glogowski).438 

Ueber die Gefährlichkeit der Schaltinte. Dr. B. Heymann (Glogowaki) 488 
Zar Lösang der Schaltafelfrage. Dr. 0. Lange (Glogowaki) .... 484 

Die Hygiene der Sohnlbank. Dr. Hans Sack (Saessmann).485 

Bin* Bemerkung Ober die Verwendung stanbbindender Fassbodenöle in 

Schulräamen. Prof. Dr. Rflhl (Glogowaki).436 

Zar Bekämpufnng des Typhös. Dr. P. Mose hold (Glogowaki) . . . 491 

Die Bekämpfaag des Typhus in Paris. Dr. Bienstook (Wolf) . . . 481 

Eine explosionsartige Typhasepidemie, verursacht daroh einen mangel¬ 
haft aalgeführten Röhrenbrunnen. Dr. Bachmann and Dr. A. 

K a 11 e i n (Wolft).492 

Zar Abwasserreinigung in Oxydationskörpern mit kontinuierlichem Be¬ 
triebe. Prof. Dr. Dun bar (Wolff).498 


Grundsätze für die biologische Beurteilung des Wassers nach seiner 

Flora und Fauna. Dr. R. Eolkwits u. Dr. M. Marsson (Beck) 494 
Beitrag sur Kenntnis der Reinigungseffekte in den Filtern beim biolo¬ 
gischen Abwässerreinigungs verfahren. Dr. Emmerling (Beck) 496 
Untersuchung über die Bestandteile der Schwimmschicht und ihr En£ 
stehen auf den Abwässern in den Faulbassins biologischer An¬ 
lagen. Dr Emmerling (Beek).495 

Beitrag sur Kenntnis des sog. biologischen Verfahrens, insbesondere der 
bei der Herstellung in dem Betriebe biologischer Abwässerreini- 
gungsanlagen su beobachtenden allgemeinen Gesichtspunkte (Beck) 496 
Zar Frage der Müllbeseitigung mit spezieller Berücksichtigung der land¬ 
wirtschaftlichen Verwertung. Dr. Thiesing (Beck) .... 497 

Ueber die Verarbeitung der Rückstände aus der Schmutswasser-Reini¬ 
gungsanlage der Stadt Kassel. Stadtbaumeister Höpfner und 


Dr. Paulmann (Beck).498 

Bin Bürette mit automatischer Einstellung des Nullpunktes und Ent¬ 
leerung durch direktes Zarttckfliessen der nicht verbrauchten 

Titrier (Bissigkeit. Dr. Zehn (Beck).499 

Ueber Fortschritte auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege 
in England in den letsten 25 Jahren — und in den nächsten. 

Dr. J. Spothis woode Gameron (Mayer).499 

Die Sterbefälle im Deutschen Reiche während des Jahres 1899 unter der 
Gesamtbevölkerung und unter den Bewohnern der Grossstädte 

(Raths).601 

Bewegung der Bevölkerung im Deutschen Reiche während des Jahres 

1901 602 

Die Blutserumtherapie bei der Dysenterie. Prof. Dr. Kruse (Rpd.) 626 

Ueber Fütterongstuberkulose. Prof. Dr. v. Hanse mann (Ränber). . 628 

Fätterungstuberkulose in einer Abdeckerei. Dr. Köhler (Schrakamp) 628 


Beitrag sum Studium der Rinder- und menschlichen Tuberkulose. Dr. 

Angelo Cipollina (Räuber).629 

Zur Kritik der Taberkulosefrage. Dr. Schottelius (Riesel) . . . 629 

Der Kampf gegen die Taberkulose als Volkskrankheit. Dr. Julius 

Kats (Räuber).629 

Tuberkulosebekämpfung. E. v. Behring (Räuber).680 

Tobercalosis and the Sanatorium. Prof. Dr. JohnLowman (Kornfeld) 631 

Ueber Abtötung von Tuberkelbasillen in erhitzter Milch. Dr. Rull- 

mann (Waibel).631 

Für und wieder die Auseigepflioht bei Tuberkulose. Dr. Alfred Hillier 

(Mayer).631 

Beitrag sur Kenntnis der Tuberkuloseverbreitung in Baden. Dr. 

W. Hoffmann (Roepke).632 

Das Auftreten der Taberkulose in Zigarrenfabriken. Prof. Dr. Brauer 

(Roepke).638 

Ueber die Septumperforation der Chromarbeiter. Dr. Bamberger 

(Waibel) . :.. • • • 6 8B 

Die Glasuren unserer irdenen Geschirre vom Standpunkte der Hygiene. 

Prot Dr. K. B. Lehmann (WbliE).™ 























XX 


Inhalt. 


In welchen Fällen schreibt das Hebammenlehrbach das Hlnsnsiehen des 

Arztes vorP Dr. Dahlmann (Sohrakamp) ..637 

Eine bösartige Scharlachepidemie. Dr. Günther (Waibel).675 

Die Pookenepidemie in Strassbarg im Frlibjabr 1908. C. Belin 


vom Jahre-1901, nebst Anhang, betreffend die Pookenerkrankungen 


AUl U MU1V* JLVVV* A/i* Al. U i V i U .. \J I Vt 

Verurteilung einer Distriktsbehörde wegen Fahrlässigkeit bei Errichtung 

und Betrieb eines Pocken-Nothospitals. (Mayer).677 

Uober- die Dauer des Krankenhausaufenthaltes infektiös Erkrankter und 

ttber Heimkehrfälle (Beturn cases). Dr. W. A. Bond (Meyer) . 678 

Zur Kenntnis der Arteigenheit der verschiedenen Eiweiskörper der Milch. 

Arthur Schlossmann und Ernst Moro (Waibel):.678 

Kann in dem Zusatz von sohwefligsaurem Natrium zu gehacktem Bind* 
fleisch eine Fälschung »blickt werden. Dr. A. Kraus und Dr. 

H. Schmidt (Waibel).679 

Unser Hebammen wesen und die Beformpläne. B. S. Schulze (Bio* 

kusewski).679 

Die Lebensdauer der Pestbazillen in Kadavern und im Kote von Pest* 

ratten. Dr. Albert Maassen (Bost).743 

Die Pest in Odessa. Dr. J. Wernitz (Bäuber).744 

Ueber die im Institute für Infektionskrankheiten erfolgte Ansteckung 

mit Pest. W. Dönits (Bäuber).744 

Der Berliner Pestfall in seiner epidemiologischen Bedeutung. Prof. Dr. 

F. Plehn (Bäuber).745 

Der PeBtbacillus und das Pcstserum. Dr. Erich Martini (Bäuber) . . 746 

Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte (Beferiert von Bost): 

XIV. Gutachten ttber die Einleitung der Abwässer Dresdens in die 

Elbe. Prof. Dr. Gärtner und Prof. Dr. Bubner.747 

Beitrag zur Untersuchung der Erdfarben auf Arsen. Dr. Carl Fischer 747 
Ueber eine von einem atypischen Colibacillus veranlasst« typhusfthnliche 
Hansepidemie bydrischen Ursprunges. Prof. V. Sion und Prof. 

Negel (Lenti).881 

Zur Epidemiologie des Typhus abdominalis. Prof. Dr. Tavel (Lentz). 881 

Ueber die Lebensdauer von Typhusbazillen, die im Stuhle entleert werden. 

Prof. Dr. E. Levy u. Dr. Heinr. Kayser (Lentz).882 

Experimentelle Untersuchungen ttber die Ausscheidung der Typhusaggluti- 

nine. Versuche an Meerschweinchen. C. Stäubli (Lentz) . . 882 

Ueber die Ankylostoma^efahr in Kohlengruben. Dr. I b e r e r (Glogowski) 883 
A propos de l’ortöpathie paluetre snr un oas de trophonövrose ossifiante 

des extrömitds chez an paludöen. Troussaint (Bisei) . . . 883 

Entstehungsursaohe der Pustula maligna. Dr. Hölscher (Fielitz) . . 8 s -3 

Beiträge zur Pathologie des Balantidium (Paramaecium) coli. W. Kli- 

menko (Bisei).883 

The etiology of tbe summer diarrheas of infants. C. W. Duval und 

V. H. Basset (Lentz). 885 ( 

Die Säuglingssterblichkeit und die Massregeln öffentlich‘hygienischer 
Art, die zum Zweck ihrer Herabsetzung genommen werden können 

Dr. Ad. Wttrz (Glogowski).886 

Die amtsärztliche Beurteilung der Fleischvergiftung (Botulismus). Dr. 

Lochte (Glogowski).886 

Untersuchungen ttber die sogenannte „rohe Karbolsäure* mit besonderer 
Berücksichtigung ihrer Verwendung zur Desinfektion von Eisen- 
bahnviehtransportwagen. Dr. Carl Fisoher und F. Koske 

(Bost).888 

Bericht ttber die Verwaltung der Landesversieherungsanstalt Schleswig- 

Holstein für das Jahr 1900 . 888 
























Inhalt. 


XXI 


8e!te. 

ITT. Besprechungen. 1 ) 

Ahlfeld, Geh. Med.-Rgt Prof. Dr. F.: Lehrbuch oer Geburtshilfe . . 889 
Bardeleben, Dr. 0. t.: Handbuch der Anatomie des Menschen (Rpd.) 586 

Banr, Dr. A.: Das kranke Schnlkind (Räuber).697 

Besold, Prof. Dr. Friedr.: Die Taubstummheit auf Grund obrenärzt- 

licher Beobachtungen (Rudloff).469 

Biehele, Dr. Max: Die chemischen Prosesse und stöchiometrischen 
Berechnungen bei den Prüfungen und Wertbestimmungen der im 
Araeibuche für das Deutsche Reich (IV. Ausgabe) anfgenom- 

menen Arzneimittel (Weise).224 

Bloch, Dr. Iwan: Beiträge sur Aetiologie der' Psychopathie sexualis 

(Rump).778 

Boltenstern, Dr. Die Vergiftungen (Hoffmann).828 

Bonhoeffer, Dr. K.: Die akuten Geisteskrankheiten der Gewohnheits¬ 
trinker (Pollits). 73 

Borntraeger, Dr. S.: Diät-Vorschriften für Gesunde und Kranke 

jeder Art (Rpd.).778 

Bumm, Prof. Dr.: Grundriss zum Studium der Geburtshülfe (Walther) 178 
Burgerstein, Dr. Leo und Netolltzky, Dr. Aug.: Handbuch der 

Schulhygiene (Rump).864 

Buttenberg, siehe Farnsteiner. 

Cramer, Prof. Dr. A.: Gerichtliche Psychiatrie (Rpd.).773 

Dämmer, Dr. 0.: Handbuch der Arbeiterwohlfahrt (Rpd.)-.586 

Deutsch, Dr. A. und Feistmantel, Dr. C.: Die Impfstoffe und 
Sera. Grundriss der ätiologischen Prophylaxe und Therapie der 

Infektionskrankheiten (Weicbardt). 682 

Deutscher Hebammen-Kalender 1908 (Blokusewski) .... 49 

DOlger, Dr. Robert: Die Mittelohr-Eiterungen (Rudloff).603 

Dürck, Dr. H.: Atlas und Grundriss der allgemeinen pathologischen 

Histologie (Rpd.).486 

Dunbar, Prof. Dr.: Zur Ursache und speziellen Heilung des Heu¬ 
fiebers (Roepke).778 

Bbstein, Prof. Dr. W.: Dorf- und Stadthygiene (Sieyeking) .... 582 

Bllis, Dr. Havelock: Geschlechtstrieb und Schamgefühl (Lewald) . . 530 

Bsehle, Dr.: Das Arbeitsanatorinm (Schrakamp).567 

▼. Bsmarch, Prof. Dr. E.: Hygienisches Tagebuch für Medizinal- und 

Verwaltungsbeamte, Aerzte, Techniker und Schulmänner (Rpd.) . 538 

Baienburg, Prof. Dr. A.: Sadismus und Masochismus (Lewald) . . 528 

Farnsteiner, Dr. R., Buttenberg, Dr. P., und Rom, Dr. 0.: 

Leitfaden für die ohemische Untersuchung von Abwässer (Engels) 681 
Feistmantel, siehe Deutsch. 

Flesch, Prof. Dr. med. Max und Westheimer, Dr. jur. Ludwig: 

Geschlechtskrankheiten und Rechtsschutz (Blokusewski) .... 581 

Flügge, Prof. Dr. Carl: Grundriss der Hygiene für Studierende und 

praktische Aerzte, Medizinal- und Verwaltnngsbeamte (Rump) 47 

Frieboer, Dr. Walther: Beiträge zur Kenntnis der Guajakpräparate 

(Hoffmann). .680 

Gottschalk, Dr. R.: Grundriss der gerichtlichen Medizin (Kornfeld) 847 
Granier, Dr. R.: Lehrbuch für Heilgehilfen und Masseure (Rpd.) . . 535 

Haines, siehe Peterson. 

Hartig, Prof. Dr. R: Der echte Haussohwamm u. andere das Bauholz 

zerstörende Pilze, herausgegeben von Prof. Dr. Tubeuf (Engels) 846 
Hang, Prof. Dr. med. R.: Hygiene des Obres im gesunden und kranken 

Zustande (Rudloff).503 

Hocke, Dr.: Arst und Hebamme (Blokusewski).566 

Holtz, Dr. H.: Die Fürsorge für die Reinhaltung der Gewässer (Rpd.) 583 
Jahresbericht, XXXIII., des Königl. Landes-Medizinal¬ 
kollegiums Uber das Medizinalwesen im Königreich 
8achsen auf das Jahr 1901 (Rost).777 


’) Die Namen der Referenten sind in Klammern beigefügt. 





















XXII 


Inhalt 


Kahane, Dr. Max: Therapie der Erkrankungen den Respirations- and 

Zirkul&tionsapparates (Boepke) . 869 

Klein, Dr. Joseph: Elemente der forensiseh-chemischen Ansmittelang 

der Gifte (Hoffm&nn). 287 

Kobert, Prof. Dr.: üeber die Schwierigkeiten bei der Aaslese der 
Krankheiten für die VolkslungenbeUstätten and Aber den Modas 

der Aufnahme in dieselben (Boepke).286 

-Lehrbuch der Intoxikationen (Hoffm&nn).827 

-Compendium der praktischen Toxikologie snm Gebrauche für 

Aerste, Studierende and Medisinalbeamte (Hoffmann).680 

Korn, siche Farnsteiner. 

v. Krafft-Ebing, Prof. Dr. B.: Lehrbuch der Psychiatrie (Bpd.) 772 
Karella, Dr. Hans: Zurechnungsfähigkeit und Kriminalanthropologie 

(Lewald).681 

Lang, Prof. Dr. Eduard: Lehrbuch der Hautkrankheiten (Boepke) . . 76 

Lebbin, Dr. Georg: Das Weingesets (Bpd.).666 

-und Baum, Dr. Georg: Das Fleisohbeschaugesets (Bpd.) . . . 567 

Lehmanns mediiinisohe Handatlanten. Seiffer, Dr. W.: 

Atlas und Grundriss der allgemeinen Diagnostik und Therapie 
der Nervenkrankheiten. — Dflrek, Dr. H.: Atlas und Grundriss 

der allgemeinen pathologischen Histologie (Bpd.).486 

Lesser, Prof. Dr.: Stereoskopischer Gerichtsärztlicher Atlas (Bpd.). . 228 

LOwenfeld, Dr. L.: Sexualleben und Nervenleiden. Die nervösen 
Störungen sexuellen Ursprungs nebst einem Anhänge Ober Prophy¬ 
laxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie (Lewald). . 847 

Mann, Dr.: Leitfaden Ober die Pflege der Wöchnerin und des Säug¬ 
lings (Bpd.).287 

Mendel, Dr. E.: Leitfaden der Psychiatrie (Bump). 74 

Migula, Dr. W.: Compendium der bakteriologischen Wasserunter- 
suohung nebst vollständiger Uebersicht der Trinkwasserbakterien 

(Boepke). 224 

Mugdan, Dr. 0.: Kommentar für Aerste snm Gewerbe• Unf&llver- 
richerungsgesetse nebst dem Gesetse betr. die Unfallversicherungs- 
gesetse vom 80. Juni 1900 (Bpd.).628 


Netterer, Dr.: Kurze Darstellung des preussisohen Gesetzes, betreffend 
die ärztlichen Ehrengerichte, das Umlagerecht und die Kassen 
der Aerztek&mmern vom 26. November 1899 (Boepke) .... 896 

Netolitski, siehe Burgerstein. 

Obergutachten ärztliche in Uafallsachen, Sammlung (Bpd.) . . . 772 

Ohlemann, Dr. M.: Die neueren Augenheilmittel fQr Aerste und 

Studierende (Boepke).403 

Pollatsohek, Dr. Aniold: Die therapeutischen Leistungen des Jahres 

1901 (Boepke). 76 

Peters, Hermann: Der Arzt und die Heilkunst in der deutschen Ver¬ 
gangenheit (Pilf).027 

Peterson, Dr. F. und Haines, Dr. W. 8.: Textbuch der. gericht¬ 
lichen Medizin und Toxikologie (Kornfeld).847 

Prausnitz, Prof. Dr.: Physiologische und sozial - hygienische Studien 

Ober Säuglings-Ernährung u. Säuglings-Sterblichkeit (Hirschbrucb) 531 
Rapmund, Dr. 0.: Kalender fQr Medizinalbeamte (Fielitz) . . 46, 890 

Bosinski, Dr. Bernard: Die Syphilis in der Schwangerschaft 

(Blokusewski).531 

Both, Dr. B.: Die Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Land in 

gesundheitlicher Beziehung und die Sanierung des Landes (Bpd.) 533 

Rubner, Prof. Dr. M.: Lehrbuch der Hygiene (Bpd.).534 

Sanitätswesen des Preussisohen Staates. L In den Jahren 

1898, 1899 und 1900; II. im Jahre 1901 (Räuber).774 

Schmidt, Jobs., und Weiss, Fr.: Die Bakterien (Boepke) .... 224 

Schnitze, Ernst: Wichtige Entscheidungen auf dem Gebiete der Psy¬ 
chiatrie (Pollitz). # .889 

Sohuster, Dr. Paul: Die psychischen Storungen bei Hirntumoren. 

Klinische und statistische Betrachtungen (Pollitz). 48 
























Inhalt. 


XXIII 


Sommer, Dt. Robert: Diagnostik der Geisteskrankheiten für praktische 

Aente und Studierende (Pollita). 

Ssiffer, Dr. W.: Atlas und Grundriss der allgemeinen Diagnostik und 

Therapie der Nervenkrankheiten (Bpd.). 

Seilkeim, Prof. Dr.: Leitfaden für gebortshülflich-gynäkologische 

Untersuchung (Walther). 

Teaholt, Dr.: Die Untersuchung auf Anchylostomiasis (Wiese). . . 
Ttbeuf, siehe Hartig. 

Vogel, Dr. M.: Die erste Hülfe bei Unfällen mit besonderer Berück* 
■ichtigung der Unfälle im Bergbau und in den verwandten Be¬ 
trieben (Dietrich). 

Vogel, Dr. Gustav: Leitfaden der Geburtshülfe für praktische Aerste 

und Studierende (Walther). 

Wehmer, Dr.: Bnsyklopädisches Handbuch der Schulhygiene (Bpd.) . 
Weiss, siehe Schmidt. 

Westheimer, siehe Flesch. 

Ziehen, Prof. Dr. Th.: Psychiatrie (Pollits). 


Saite. 

47 

436 

811 

810 

46 

810 

774 

721 


V. Tagesnaohricliten. 

Zuaamentritt des Bayerischen erweiterten Obermedisinalaussohusses 49 
Uekertragung der Vornahme bakteriologischer Untersuchungen an die 

Universitäten München, Würzburg und Erlangen ....... 49 

Krrichtung einer Akademie für praktische Medizin in Frankfurt a. M. . 50 

8ehulärzte in Meiningen. 50 

Todetlall (Hofrat Prof. Dr. v. Krafft-Ebing) . 50 

Verordnung betr. das Selbstdispensieren der homöopathischen Aerste sowie 
die Errichtung und den Betrieb homöopatischer Apotheken und 

Dispensatorien in Hessen. 50 

Haushaltsetat des Deutschen Beiches für 1903 . 76, 117 

Plenarversammlung des Kgl. Sächs. Landes-Medisinalkollegiums 80,372,437,891 
Vorlegung eines Gesetzentwürfe betr. Abänderung der Aerzteordnung 

und Bildung eines ärztlichen Ehrengerichts in Hamburg ... 81 

Hingabe einer Denkschrift des Gesohäftsausschusses des deutschen Aerzte- 

vereinsbundes an den Bundesrat, betr. nas Beichsversicherungsgesetz 82 

Deutscher Aerztetag.82, 504, 714, 892 

UL internationaler Kongress gegen den Alkoholismus ....... 82 

Neue preussische Arzneitaxe für 1903 . 83 

Verbot der öffentlichen Ankündigung von Heilmethoden und Heilmittel 

in Bremen. 83 

Annahme des Antrages betr. Erlass eines Verbotes der öffentlichen An¬ 
preisung von Heilmitteln oder Heilmethoden in der Sitzung des 

Badischen ärztlichen Landesausschusses. 84 

Pest. 84, 472, 716 

Cholera. 84 

Das preussische Medizinalwesen in dem Staatshaushaltsetat 1908/1904 . 111 

Ans dem prenssischen Abgeordnetenhause: 

Antrag auf Zulassung der fakultativen Feuerbestattung. . . 116, 831 
Gewährung des vollen Stimmrechtes der bei den Begierungen be¬ 
schäftigten technischen Bäte. 118 

Erlass eines prenssischen Schlachtviehversicherungsgesetses . . 116 

Bekämpfung des Alkoholismus.118 

Kurpfnscherprozess Nardenkötter 225 

Kreisärzte als Sachverständige in Entmündigungssachen .... 225 

WurmkTankheit .226 

Beratung des Medizinaletats.259 

Ansführungegesetz zum Beichsseucbengesetz 80, 269, 295, 403, 747 
Errichtung eines Lehrstuhls für gerichtliche Medizin an der Uni¬ 
versität in Bonn.. • • • • 269 

Errichtung einer medizinischen Fakultät an der Universität in 

Münster L .. 269 



























XXIV 


Inhalt. 


Abtrennung der Medizinal Verwaltung vom Kultusministerium und 
Ueberweisung an das Ministerium des Innern . . . 289 

Frauenfrage. 289 

Stellung und amtliehe Tätigkeit des Kreisarztes ’ . 289 

Anfrage betreffs Auflösung oder Reform der veralteten Hinrichtung 

der Provinzial-Medizinalkollegien. 290 

Unterstützung der auf Wartegeld gestellten Medizinalbeämten 290 

Bestimmungen über die ärztlichen Ehrengerichte. 291 370 

Erörterung über das durch die medizinische Prüfungsordnung ’ 

eingeführte praktische Jahr. 291 

Bestimmungen über die Beschaffenheit der Arzneigefässe '. 292 

Apothekenkonzessionswesen. 292 

Kurpfuscherfrage.. 1 226, 292 

Reform des Hebammen- und Förderung des Krankenpflegerwesens ' 292 
Versuchsanstalt für Wasserversorgung und Abwässerbescitigung. 293 

Neubau des hygienischen Instituts in Pobou .293 

Erforschung und Bekämpfung der Ruhr und Bekämpfung der 

Granulöse.295 

Zur Frage der obligatorischen Leichenschau ....... 295 

Errichtung von Kurhospitälern und von Genesungsheimen für 

Eisenbahnbeamte .. 

Wohnungsfürsorge und Wohnungsgesetz. 370 

Gesetzentwurf, betr. die Gebühren der Medizinalbeamten . . 184, 403 
Anstellung von Schulärzten in den Städten und auf dem Lande . 404 

Zugang der Novelle zum Krankenversicherungsgesetz an den Bundesrat 121 

Versammlung des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege . . 120, 180, 333 
Kongress der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten .. 120 260 

Aus dem Regierungsbezirk Liegnitz. 120 

Aus dem Reichstage: 

Bemängelung der von den Landesversicherungsanstalten gebauten 

Krankenanstalten.224 

Schlechte Bezahlung der Krankenpfleger. * 225 257 

Schutz der Arbeiter in den Gerbereien gegen Milzbrand und Be¬ 
kämpfung der Wurmkrankheit. 225, 267 

Ueber Borsäureverbot, öffentliche Untersuchungsanstalten und ein¬ 
heitliche Kontrole des Verkehrs mit Nahrungs- u. Genussmitteln 225 

Geheimmittelfrage.226 

Novelle zum Krankenversicherungegesetz. . . 225, 257, 288’ 371, 403 

Denkschrift über die Tuberkulose und deren Behandlung ... 224 

Reichsgesetzlicho Regelung des Verkehrs mit Arznei- und Geheim¬ 
mitteln .288 

Verbot medizinischer Eingriffe bei Menschen zu anderen als Heil¬ 
zwecken .288 

Reiohsgesetzliche Regelung des Irrenwesens und Aenderung des 

Entmündigungsverfahrens.288 

Gesetzentwurf, betr. Zündwaaren. 371, 403 

Neuregelung der Bedingungen für die Fleischeinfabr.890 

Lösung der Wohnungsfrage.891 

Typhus- und Ruhr-Merkblatt.226 


Zur Kurpfuscherfrage. 226, 714 

Annahme des Entwurfs eines neuen Medisinalgesetses in Braunschweig 226 

Anstellung eines städtischen Amtsarztes in München.226 

Vorlegung eines Gesetzentwurfs über die Errichtung und den Betrieb 

von Apotheken im Landesaussohuss von Elsass-Lothringen . . . 226 

Ausserordentlicher Aerztetag. 226, 259 

Gesetzentwurf, betr. Errichtung einer gemeinschaftlichen Thüringischen 
Aerztekammer und ärztlichen Ehrengeriehtshofs für dio Thürin¬ 
gischen Staaten.226 

Verkauf einer ärsliohen Praxis.227 

Allgemeine Ausstellung für hygienische Milchversorgung in Hamburg 

1903 . 227. 382 
































Inhalt. 


XXV 


80! to* 

XIV. Internationaler medisinisober Kongress in Madrid. 287, 404 

Ausgebroohene Steine and lebende Frösche.228 


Penooalien (Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bob. K 0 0 b) 82,60,470,688,890, (Geh. 


Med.-Bat Prof. Dr. Flügge. Prof. Dr. Danbar and Geb. Beg.- 
Bat Dr. Ohlmfiller) 832, (Geh. San.-Bat Dr. WaHiebs) 408, 

(Dr. Pool Stolper) 636, (Prof. Dr. ▼. Behring) 688, (Geh. 
8an.-Bat Dr. Alex Spie es) 715, (Geh. Med.-Bat Prof. Dr. 8chmidt) 888 

Sitsnngoprotokolle der Bayerischen Aerztekammer.260 

Annahme eines Gesetzentwurfs zar Brrichtang einer Aerntekammer and 

eines Ehrengerichts für Aerzte in Lübeck.260 

Versammlung der Vereinigung Deutscher Hebammenlehrer.260 

Schaffung einer einheitlichen Arzneitaxe für das ganze Deutsche Beich 260,848 
Umfrage betreffs des Selbstdispensierrechts der Homöopathen .... 296 

Gründung eines eigenen Hauses des Zentralkomitees für das ärztliohe 

Fortbildungswesen ..29<> 

IL allgemeiner Deutscher Krankenkassenkongress.296 

75. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte 

296, 471, 668, 714 

Konferenz betr. die zur Bekämpfung der Wurmkrankheit notwendigen 

Massnahmen. .829, 891 

Jahresversammlung des Württembergischen Medizinalbeamtenvereins 881 

Einrichtung eines Sanatoriums für unbemittelte Nervenkranke des Mit¬ 
telstandes und der unteren Stinde bei Göttingen.831 

Kurpfuscherfrage im Württembergischen Landtage.871 

Jahresversammlung des Vereins Deutscher Irrenärzte.371 

XL internationaler Kongress für Hygiene und Demographie .... 871 

Internationaler Kongress gegen den Alkoholismus.372 

Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder . . . 872, 715 
Bereiterklftrung der Vereinigung der Deutschen medizinischen Fachpresse 

betreffs Gutachten über Kurpfuscher-Inserate.372 

XII. Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter-Woblfahrtseinrichtungen. 404 

Vervollständigung der Universität Münster durch allmähliche Errich¬ 
tung einer medizinischen Fakultät.404 

Bescheid des Ministers auf eine Eingabe der Berliner Drogisten-Innung 

betr. den Verkehr mit Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken . 404 


Rundschreiben des Reichskanzlers in bezug auf Massnahmen gegen die 

Kurpfuscherei.487 

47. Sitzung des Landesausschusses der Württ. ärztl. Landesvereine . . 488 

Erörterungen über die Einführung einer allgemeinen 8cblachtviehver- 

sieherung im ganzen Beicbe im Anhaitischen Landtage .... 488 

Errichtung einer Tollwutklinik in Breslau. 488 

Sitzung des engeren Rates des internationalen Zentralbureans zur Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose in Paris.488 

Jahresversammlung des Deutschen Zentralkomitees für Lungenheilstätten 438 
IV. Jahresversammlung des allgemeinen Deutschen Vereins für Schul- 

gesundheitspffege.488 

VI. Kongress des Vereins für Volks- und Jngendspiele.489 

Generalversammlung des Deutschen Vereins für Volksbygiene . . . 439, 688 
Einschleppung von Typhusbasillen nach England aus Südafrika. . . . 448 
Pestfall in Berlin. 470, 509 


Warnung vor den Ankanf von typhusverdäohtigen wollenen Decken aus 

England.471 

Uebergabe des fertiggestellten Laboratoriums für Krebsforschung in Berlin 471 

8itzung des preussisehen Apothekerrats.471 

Versammlung der deutschen Landesgroppe der internationalen krimi¬ 
nalistischen Vereinigung.471 

Deutsche Städteausstellung in Dresden . 471 

Zyklus des Berliner Dozenten • Vereins für ärztliche Ferienkurse . . . 472 

Entwurf einer Novelle zum Gesetz betr. die ärztlichen Ehrengerichte . . 504 

Entwurf einer Aerzteordnung des Grossherzogtums Baden. 504 , 892 

VL Deutscher Samaritertag.£04 

Zur Bekämpfung des Typhus. 686 





























XXVI 


Inhalt. 


Forderung der Brrichtung eine« homöopathischen Lebntnhliin Württemberg 686 

Regelang des Verkehrs mit Geheimmitteln in Prenssen.567 

Bekanntmachung betr. Ausübung der Heilkande darch Karpfaseher im 

Königreich Sachsen. 568 

Zeitschrift fftr Krebsforschung.568 

Iuslebenrufen internationaler Kongresse für Schulhygiene. 598, 686 

Preisaassehreiben der Deatsehen Gesellschaft für Sehnlhygiene.... 598 

Verteilnng von RatscblKgen für Aenste bei Typhös and Rohr .... 638 

Uebernahme des hygienisch-bakteriologischen Laboratorinms in Stral- 

snnd darch die Medisinalverwaltang.689 

Unentgeltliche Abgabe von Rohrheilsernm.639 

IIL internationaler Taberknlosekongress.689 

82. Hauptversammlung des Deutschen Apothekervereins.689 

Wasserversorgung und Typhus in der Stadt Metx.682 

Neues Irrengesets.683 

Akademie für praktische Medisin in Düsseldorf.683 

Verein der Medisinalbeamten des Hersogtums Brannschweig.688 

Beabsichtigte Reform des Apothekenweeens. 684, 715 

XX. Hauptversammlung des Preussischen Medisinalbeamten-Vereins. . 718 

Zweite Hauptversammlung des Deutschen Medisinalbeamten-Vereins 71 

Uatersuchungskmter für ansteckende Krankheiten in Baden.714 

Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten durch Krankenkassen . . . 714 

Binführung einer staatlich anerkannten Standesvertretung der Tierkrste 

und Reform der Dienststellung der Kreistierärste.716, 891 

Vorlegung der Ausführungsbestimmungen su dem Reichs •Seuchengesets 747 

Internationale Sanitätskonferens in Paris. 748, 848, 892 

Errichtung von Untersuchungslmtern seitens der Städte.748 

Zahl der vor ihrem Tode nicht ärstlicb behandelten Gestorbenen in Bayern 

Eröffnung der Königlichen Akademie in Posen.779 

Beabsiohtigung der Errichtung eines deatsehen Instituts Behring nach 

Pasteurschem Master.779 

Beiträge su den Apothekerkammern und Brsats des Apothekerrats durch 

den Apothekerkammerans8chuss.779 

Brrichtungeines Denkmals für Rudolf Virehow.779 

Komitee bebnfs einer Ehrung Robert Kochs.780 

Stand der Warmkrankheit im Oberbergamtsdistrikt Dortmund . . . 811 

Gerichtliches Verfahren bei Anklagen wegen ärstlioher Kunstfehler in 

Oesterreieh.812 

Interpellation wegen angeblichen Missbrauche der Vivisektion im nieder- 


Verfügnng betr. des Verkehrs mit Geheimmitteln in Württemberg . . 848 

Ausführungsbestimmungen su den Vorschriften über Tagegelder nnd 

Reisekosten der Staatsbeamten.891 

Untersuchung sämtlicher höherer Schulen in besag auf ihre gesundbeit- 


Teilnahme der Kreisärste an den Kreislehrerkonferensen.891 

26. Balneologenkongress.892 

21. Kongress für innere Medisin.892 

Aerstliche Fürsorgestelle für Tuberkulose in Deutschland.8'.)2 

Allgemeiner Deutscher Wohnungskongress.892 


Verschiedenes. 

Nachruf. 

Deutscher Medisinalbeamten-Verein. 

Prenssiscber Medisinalbeamten-Verein .... 

Sprechsaal. 

Berichtigungen . . •. 


. 52 

51. 332, 439, 600, 640 
51, 332, 439, 699, 640 

. 228, 748 

.... 51, 84, 688 


> f— 1 f 






































Sach "Register. 


Abdeckereiwesen and seine Regelung 
402* 

Abgeordnetenhaus, preassisches, ans 
demselben 116, 204, 226, 269, 289, 
870. 

Abort, krimineller, nnd Kindsmord 464. 

Abeoaderungsverfahren 649. 

Abwksser, Beinignng 298, 867, 496, 
biologisches Verfahren 498, 496,747, 
(in Dresden), 867 (in Christiania), 
ehemische Untersuchung 691. 

Aenrtekammer, thüringische, Bildung 
einer solchen 262; bayerische, deren 
Sitiuogsberichte 260; in Lübeck 260; 
Beitrlge tu Aerstekammern 779. 

Aersteordnung in Hamburg 81, in 
Sachsen 80,891; in Baden 604,892. 

Aerstetag, deutscher, in Köln 82, 604, 
714; ausserordentlicher zu Berlin 
226, 269, für 1904 in Rostock 892. 

Aenterereinsbund, deutscher, Ge* 
schäftsaussehuss desselben 82. 

Aetiologie der Psychopathie 798. 

Aethylalkohol, Untersuchung über 
dessen bakterizide Wirkung 864. 

Agglutination des Bakterien, ein pby- 
sik&l-chemiscbes Phänomen 846. 

Akademie, in Posen 714, für praktische 
Medisin in Frankfurt a. M. 60, in 
Düsseldorf 688. 

Alkoholismus, IX. internationaler Eon* 
giess gegen denselben 269, 872, 
dessen Beklmpfung 294. 

Amanita phalloides 412, 426. 

Amblyopien, Intoxikations-, von sani¬ 
tätspolizeilichem Standpunkte 866. 

Amtsarzt, städtischer, in Münehen 226. 

Anatomie des Menschen, Handbuch 
derselben 636. 

Anatomische Sonderheiten des kind* 
liehen Gehörorgans 662. 

An k ü ndigung , öffentliche, von Heil¬ 


methoden, Heilmittel usw.. Verbot 
derselben in Bremen 88, in Baden 84. 

Ankylostomiasis im rheinisch - west¬ 
fälischen Kohlenrevier, Ursache und 
Bekämpfnng 297, 810; über deren 
Gefahr in Kohlengruben 888. 

Antistreptokokkensernm bei Scharlach 
860. 

Anzeigepflicht bei Tuberkulose 890,681. 

Aorteninsuffizienz, Kenntnis der nach 
Trauma entstandenen 878. 

Aphakie nach Altersstar, Bedeutung 
für die Srwerb8fähigkeit 878. 

Aphasie, akute transitorische 741. 

Apotheken, Neuerrichtung und Betrieb 
derselben, Gesetz darüber in Eisass- 
Lothringen 226, Konzessionswesen 
292, Reform desselben 684. 

Apothekerverein, deutscher, Versamm¬ 
lung in München 260, 689. 

Approbation, zeitweise Entziehung, 
Grundsätze dafür 861. 

Arbeiterkrankheiten 271. 

Arbeiterwoblfahrt8einrichtungen, XII. 
Konferenz der Zentralstelle dafür 
404, Handbuch derselben 684. 

Arbeitersanatorium 667. 

Arsen, Untersuchung der Erdfarben 
darauf 747, in Geweben des tierischen 
Haushaltes 872. 

Arsengehalt der Tiere 666. 

Arsenikmord 872. 

Arzneigefässe, deren Beschaffenheit 
292 

Arzneimittel, deren Prüfung und Wert¬ 
bestimmung 224, Verkehr damit 
ausserhalb der Apotheken 248, 404, 

Arzneitaxe für 1908, preussische 
88, einheitliche für das Deutsche 
Reich 260. _ . 

Arzt, dessen Anhörung In den Rechts- 
slttelinstanzen der Unfall versiehe 



XXVIII 


Sach -Begister. 


rang 674; als Sachverständiger vor 
Gericht 27; Ant and Heilkunst in 
der deutschen Vergangenheit 627; 
Zuziehung des Amtes durch Heb¬ 
ammen 566, 637. 

Aspirin, dessen Nebenwirkung 873. 
AtJas, gerichtsärztlicher, stereosko¬ 
pischer 223, der allgemeinen Dia¬ 
gnostik 436. 

Augenciterung der Neugeborenen, 
Schutzm assregeln dagegen 397. 
Augenheilmittel, neuere 403. 
Ausffihrangsgeaetz, preussisches, zum 
Beiobsseuoheogesetz 204, 259, 826. 
Ausstellung, Hamburger, allgemeine, 
fdr hygienische Milchversorgung 207, 
703 

Auszeichnung 683. 

Azetonvergiftung, nach Anlegung eines 
Zelluloid-Mullverbandes 872. 

Bad, als Infektionsquelle 42. 

Bakterien 224, deren Virulenz 66. 
Bakteriologie 568. 

Bakteriologische Untersnchungsftmter 
in Bayern 49. 

Bauchdeckontumor, entzündlicher 279. 
Bauordnung im Dienste der Öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege 838. 
Bazillen des Smegma 281. 
Beachtungswahn und Eigenbeziehung 
348. 

Begräbniswesen 249. 

Begutachtung, psychiatrische in Zivil¬ 
sachen, lediglich auf Grand der 
Akten 805. 

Bergbau, erste Hfllfe bei Unfällen in 
demselben, 46. 

Beschäftignngsneuroee der Tele¬ 
graphistinnen 742. 

Betriebsunfall und tOtliche Verletzung 
672, und organische Erkrankung des 
Kleinhirns 34, und Magenkrebs 63, 
und Hysterie 355, 466, und Leisten- 
brach 352, und Tod, ursächlicher Zu¬ 
sammenhang 879. 

Biologische Beurteilung des Wassers 
nach seiner Flora und Fauna 494. 
Biologisches Verfahren, insbesondere 
die bei der Herstellung desselben zu 
beobachtenden Gesichtspunkte 496; 
siehe auch Abwässer. 

Blausäure, ein Verbrennungsprodnkt 
des Zelluloids 664. 

Blei im Organismus 560. 

Bleivergiftung, eine neue Art der¬ 
selben 337, interessanter Fall von 
862. 

Blindheit, deren Entstehung und Ver¬ 
hütung 397. 

Blutdifferensen, individuelle, deren 
Verwertbarkeit für die forensische 
Praxis 85. 


Blutgase, deren Analyse 457. 
Blutparasiten der Kolonisten und ihrer 
Haustiere in tropischen Gegenden 

869. 

Blutseramtherapie bei der Dysenterie 
626. 

Blutuntersuchung, gerichtsärztliche, 
vermittelst der biologischen Methode, 
praktische Anleitung dazu 185, 229. 
Borolin 253. 

Borsäure und Borax, als Fleieohkon- 
servierungsmittel 44, deren Miss¬ 
brauch 253, 254, 255. 

Braunsohweig, Herzogtum, Verein der 
Medisinalbeamten daselbst 683. 

Cancroin, Erfolge desselben beim 
Krebs 362. 

Cerebrospinalmenigitis oder Vergiftung 
790» 

Chinin, Verwendung zum Nachweis 
von Blutkörperchen 665. 

Cholera, deren Bekämpfung 248, Naoh- 
riohten darüber 84. 

Choleravibrionen, über das Wesen der 
Bakterienvirulenz 66. 

Chromsäure, lokale Wirkung derselben, 
akute Vergiftung 669, Septumper¬ 
foration bei Arbeitern infolge der¬ 
selben 635. 

Chloroform, Selbstmord durch 460. 
Chloroformnarkose, Tod in dieser 417. 
Colibazillen, deren Differenzierung von 
Bohrbazillen 38. 

Conjunctivitis, Schulepidemie 429. 
Coroner, dessen Abschaffung 526. 

Dämmerzustände, hysterische 465. 
Dammnaht, deren Unterlassung, Be¬ 
strafung eines Arztes deshalb 277. 
Darmbakterien, deren Bedeutung für 
die Ernährung 856. 

Dauerwurstsals und Dauerwurstge- 
würz 253. 

Decken, wollen e,typhusverdächtige 470. 
Dementia praecox 664, 668. 
Demographie, internationaler Kongress 
dafür 371. 

Desinfektion, in ländlichen Kreisen 
15, 649, deren Begelung 841, kom¬ 
binierte Mittel derselben 864, der 
Hebammen 618, durch ältere und 
neuere Quecksilber- und Phenol¬ 
präparate 866, und Inhalation, ein 
neuer Apparat dafür 846. 
Desinfektoren, deren Tätigkeit bei der 
Bekämpfung ansteckender Krank¬ 
heiten in Landkreisen 6,878,441,689. 
Detenierung nicht entmündigter Gei¬ 
steskranker in Irrenanstalten 669. 
Diätvorschriften für Gesunde und 
Kranke jeder Art 778. 



Sach - Register. 


XXIX 


Diagiostik, allgemeine, Atlas und 
Grundriss dafür 436. 

Diplooerteilang 832. 

Diphtherieepidemie im Hospitale 41, 
durch Genoeseoschaftsmolkemen 72, 
deren Mortalität in Halle a. S. 
(offiz. Preass. Bericht) 70. 

Dispensaires antitnbercnlenx in Berlin 
892. 

Dispensierrecht homöopathischer Aerzte 
in Hessen 51. 

Drogenhandlangen, deren Beaufsichti¬ 
gung 830. 

Dysenterieepidemie in Sttdsteiermark, 
bakteriologischer Befund dabei 88. 

Ehrengericht, ärztliches, in Lübeck 
260, in Preassen 291, Gesetz darüber 
in Preassen 369, 870, 604. 

Eigenbeziehung, krankhafte, und Be- 
achtungswahn 348. 

Eiweisskörper, deren Arteigenheit 678. 

Elektrisches Bad, Tod darin 666. 

Entwicklungslehre und Gesetzgebung 

349. 

Epilepsie, genuine, die chirurgischen 
Erscheinungen dabei 350, deren fo¬ 
rensische Beurteilung (offiz. Preuss. 
Bericht) 53, und Hysterie vom Stand¬ 
punkt der Invalidenversicherung 879. 

Epileptische, deren Anstaltsbehand¬ 
lung, besondere Einrichtungen dafür 
876. 

Ernährung im Pelde 261. 

Erstickungstod, gewaltsamer, durch 
abnorme Temperatur 463, Blutdichte 
als Zeichen dafür 345. 

Erwerbsfähigkeit im Sinne des Kran¬ 
kenversicherungsgesetzes 66, keine 
Minderung derselben durch Verlust 
des Endgliedes des Zeigefingers 468, 
Berücksichtigung des bisherigen Be¬ 
rufs des Verletzten bei ihrer Beur¬ 
teilung 673. 

Erwerbsverminderung, Grad derselben 
354, 315, 673, 880. 

Exantheme, postvaccinale 427. 

Exhibitionisten vor dem Strafrichter 
565. 

Familienpflege der Geisteskranken 

350. 

Fasern, elastische, in der fötalen Lunge 
und in der Lunge der Neugeborenen 
666 . 

Fanlbassins bilogischer Anlagen 496. 

Fett, Glykogen, und Zellentfttiskeit 
der Leber der Neugeborenen 738. 

Fischer, Fall 29. 

Fischvergiftung 760. 

Fleisch, die Wirkung des Einlegens 
desselben in verschiedene Salze 252. 

Fleischeinfuhr 890, 


Fleischschaugesets 567, Ausfübrungs- 
bestimmun gen dazu 403. 

Fleischvergiftung und Typbus 102; 
amtsärztliche Beurteilung 886. 

Flüssigkeiten, die Dauer des Aufent¬ 
halts derselben im Magen 561. 

Flassverunreinignng,Gutachten darüber 
747. 

Foetus, postmortale Ausstossung 813. 

Formaldehydgate zu Desinfektions- 
zwecken 364. 

Fortbildungskurse für Medizinalbeamte 
in Berlin 21. 

Fortbildungswesen, ärztliches, Zentral¬ 
komitee dafür 296. 

Fortpflanzungsfähigkeit, Schwanger¬ 
schaft und Geburt 464. 

Freispruch oder Sonderhaft SO. 

Fremdkörper des Uterus 278, 279. 

Fütterungstuberknlose 628. 

Fussbodenöle in der Schule 485. 


GanzerscheB Symptom in forensischer 
Beziehung 568. 

Gase im Blute, deren Verschwinden 738 

Gebärmutter-Verletzung 666, Kontrak 
tionen der schwangeren 276, Fremd¬ 
körper 278, 279. 

Gebühren der Medizinalbeamten, Ge¬ 
setzentwurf 184, 204. 

Geburt, Verblutung dabei 276. 

Geburtshülfe, Grundriss derselben 178, 
Lehrbuch 889. 

Geheimmittel, ausserhalb der Apo¬ 
theken 248, 507. 

Gehörorgan, Verletzung durch Unfall, 
Erwerbsbeeinträchtigung dadurch62. 

Geisteskranke, Fürsorge für dieselben 
in und ausserhalb der Irrenanstalten 
250, Familienpflege 350, über Straf¬ 
vollzug an denselben 871; Detenie- 
rung nicht entmündigter in Irren¬ 
anstalten 669. 

Geisteskrankheit vom juristischen 
Standpunkte 526, in zivilrechtlicher 
Hinsicht 465, Diagnostik derselben 
47, akate, der Gewohnheitstrinker73, 
die Anwendung der Isolierung dabei 
871, Geisteskrankheit und Sektierer¬ 
tum 32. 

Gemeindeörtliche Einrichtungen auf 
dem Gebiete der Gesundheitspflege 
845. 

Genesungsheime, deren Errichtung 71. 

Genossenschaftsmolkerei, als Ursache 
von Diphtheriepidemien 72. 

Gerichtliche Medizin, auf der Natur- 
forscherversammlnng 568, Grundriss 
derselben 847, die Photographie im 
Dienste derselben (offiz. Deutscher^ 
Bericht) 189. 

Gerichtliche Psychiatrie 773. 



XXX 


Sach-Register. 


Gerichtsärstliches Leichenöffnungsver¬ 
fahren, deotsehes 537, 569, 601,655, 
729 . 

Gerichtsärztlicher stereoskopischer At¬ 
las 223. 

Geschlechtsdrüsen, männliche, nnd 
Skelettentwicklong 563. 

Geschirre, s. Glasuren. 

GeBohlechtskr&nkeiten, nnd Rechts¬ 
schatz 680, deren Bekämpfung 714; 
deutsche Gesellschaft sur Bekäm¬ 
pfung derselben, I. Kongress dafür 
120, 260, 320. 

Geschlechtsteile, äussere, Verletsung 
bei einem 7 jährigen Mädchen 1. 

Geschlechtstrieb und Schamgefühl 528. 

Gesetzgebung und Entwickelangsjahre 
849. 

Gestorbene, ohne ärztliche Behandlung, 
Zahl derselben in Bayern und Baden 
748. 

Gesundheit, geistige, deren Grenze 565. 

Gesundheitsamt, Kaiserliches, Haus¬ 
haltungsetat desselben 1903 76. 

Gesnndheitsaufseher und Desinfektoren, 
deren Tätigkeit bei ansteckenden 
Krankheiten in den Landkreisen 873, 
441. 

Gesundheitspflege, Offentliehe, Deut¬ 
scher Verein für dieselbe 120, 184, 
764, 797, 888, in England, Fort¬ 
schritte auf dem Gebiete derselben 
in den letzten 25 Jahren 499. 

Gesundheitszustand in zivil- und straf¬ 
rechtlicher Beziehung 403. 

Gewässer, deren Reinhaltung 500. 

Gewerbehygiene, die Mitwirkung der 
Medizinal beamten 127. 

Gewerbekrankheiten 271. 

Gewohnheitstrinker, deren akute Gei¬ 
steskrankheiten 78. 

Gifte, Elemente der forensischen und 
chemischen Ausmittelung dafür 287, 
metallische, Lokalisation und Eli¬ 
mination derselben bei gewerblichen 
Vergiftungen 560, Handel damit, 
ausserhalb der Apotheken 248; me¬ 
tallische bei gewerblichen Vergif¬ 
tungen 560. 

Glasur irdener Geschirre vom Stand¬ 
punkte der Hygiene 686. 

Gonokokkenpneumonie 861. 

Granulöse, deren Bekämpfang 294, Am¬ 
bulatorien 809. 

Guajakpräparate 680. 


Haftpflicht des Arztes bei fahrlässiger 
Ausstellung eineB Zeugnisses 740. 
Haltekinder, deren Ueberwachung 424. 
Handatlas, Lehmanns medizinische 486. 
Hauptversammlung des preussischen 
Medizinal beamtenvereins in Halle 


a. 8. 718, des deutschen in Leipzig 
718 und Berichte. 

Hausepidemie, typhusähnliche, durch 
atypischen Colibacilius veranlasste 
881. 

Hausschwamm und andere das Bauholz 
zerstörende Pilze 846. 

Hautkrankheiten, Lehrbuch derselben 
75. 

Hebammen, deren Verhalten bei Wo¬ 
chenbettfieber 261, Versicherungs- 
kasse für diese 657, Kalender, deut¬ 
scher für diese 1903 49. 

Hebammenlehrbucb, Ergänzungsblatt 
886, 848, ein neues, Verbesserungs- 
Vorschläge dafür 524, Vorschrift be¬ 
treffs Zuziehung des Arztes 566,687. 

Hebammenlehrer, deutsche, deren Ver¬ 
einigung 260. 

Hebammenwesen, dessen Reform 292, 
676. 

Heilgehülfen und Masseure, Lehrbuch 
für diese 585. 

Heilkunst und Arzt in der Vergangen¬ 
heit 527. 

Heilmittel, erforderliche, die Pflicht zur 
Gewährung solcher zur Sicherung des 
Heilverfahrens usw. scbliesst anch 
die Pflicht zur Instandhaltung und 
Erneuerung in sich 881. 

Heilverfahren, dessen Uebernahme 
durch die Landesversicherungsan- 
stalten 65, strafbare Anpreisung 879. 

Heimkehrf&lle 678. 

HeisswasseralkoholdeBinfektion 366. 

Hermaphroditismus verus 562. 

Herpes tonsurans, Epidemie 686, Bei¬ 
trag zum epidemischen Auftreten 
865. 

Herzerweiterung, primäre, Entstehung 
derselben daroh Muskelanstrengung 

670. 

Herzfehler, angeborener, 8ektionser- 
gebnis dabei 662. 

Herzschlag, od dadurch 858. 

HerzvergrOsserung infolge von Ver- 
Bchüttung 854. 

Heufieber, dessen Heilung 788. 

Hirntumoren, psychische Störung bei 
denselben 48. 

Histologisch- pathologischer Atlas 436. 

HomOopathen, deren Selbstdispensier- 
recht in Hessen 296. 

HomOopathiBcher Lehrstuhl, Errichtung 
desselben 536. 

Homosexualität, Probleme auf dem Ge¬ 
biete derselben 466. 

Honoraransprüche der Spezialärzte 690. 

Hilflosenrente, deren Gewähiung 856. 

Hygiene, Grundriss derselben 47, 533, 
X. internationaler Kongres dafür 871, 
der Schulbank 488, der Ohren 508, 
von Dorf und Stadt 582, Taschen- 



Saeh-Register. 


XXXI 


buch dafür 588, Abt. für Hygiene 
auf der Naturforsoherversammlung 
568, 844, 870. 

Hypnose, vor Gericht 347. 

Hysterie and Unfall 354, traumatische 
466. 

Jahresbericht des Hiifsvereins für 
Geisteskranke im Königreich Sach¬ 
sen 670, der Kreisärzte (offiz. preass. 
Bericht) 74, XXX. des Königl. Lan- 
lesmedizinalkollegiums in Sachsen 
1901 777. 

Idiotie, f&miliere amaurotische, Ka- 
•nistik 742. 

Impfstoffe und Sera 682. 

Infektionskrankheiten, ein Beitrag snr 
Anseigepflicbt 314, Grundriss der 
aetiologischen Prophylaxe und The¬ 
rapie derselben 682; s. auch Krank¬ 
heiten. 

Infiuenzabazillen, deren Widerstand 
gegen physikalische uni chemische 
Mittel 280. 

Inhalationsmilzbrand durch Verarbeiten 
ausländischer Drogen 68. 

Inhalatorien, kann in solchen bei rich¬ 
tigem Betriebe eine grössere Menge 
der zerstäubten Flüssigkeiten in die 
Lunge gelangen 71. 

Iaspirationsluft, über die Bedingungen 
des Bindringens der Bakterien der¬ 
selben in die Lunge 69. 

Institut, hygienisches in Posen, Neu¬ 
bau desselben 293, Behring 279. 

Internationale Sanitätskonferenz in 
Paris 748, 848, 892. 

Intoxikationen, Lehrbuch dafür 327, 
Psychosen bei Jodoforminjektion in 
die Blase 347. 

Jod- und Jodsalse, deren Wirkuhg auf 
die Langen 560. 

Irresein, indaziertes 852. 

Irreaürzte, deutscher Verein derselben 
871. 

Irrengesetz, neues 683. 

Irrenwesen, reichsgesetzliche Regelung 
desselben (offiz. deutscher Bericht) 8, 
belgisches 876. 

Isolierung, bei Geisteskranken 371. 

Kalender für Medizinalbeamte 46. 

Kalibichromatvergiftung 659. 

Karbolgangrän durch Karbolwasser- 
amsclag 124. 

Karbolsäure, sog. rohe, ihre Verwen¬ 
dung zur Desinfektion yon Eisen¬ 
bahnviehtransportwagen 888. 

Karbolwasser, der Verkehr desselben 
ausserhalb der Apotheken 819, 836. 

Kastrationsein Wirkung auf das Skelett 
578. 

Kehlkopffraktur, geheilte 804. 


Keuchhusten, zur Prophylaxe desselben 
72. 

Kinderschutzgesetzgebung und Arzt 
398. 

Kindersterblichkeit im Bezirk Liegnitz 
24. 

Kindesmord 816. 

Klftrschlammanlage der Stadt Kassel 
867. 

Klauenseuche, s. Maulseuche. 

Kleinhirn, organische Erkrankungen 
desselben und Betriebsunfall 34. 

Knochen, balbverbrannte, Identifizie¬ 
rung derselben 845. 

Koch, Robert, Ehrung desselben 780, 
890. 

Kochen der Speisen, dessen Bedeutung 
für die Verdauung 252. 

Kohlenoxydbildung durch Kohlenteil- 
oben an eisernen Oefen 334. 

Kohlenoxydvergiftung, in einer Schule 
42, 456, 457, 783, (offiz. deutscher 
Bericht) 182. 

Kongress, medizinischer, XIV. inter¬ 
nationaler in Madrid 227, 404, 487, 
internationaler für Volksbygiene in 
Brüssel 683, für Schulhygiene 598, 
684, baineologischer 892, für innere 
Medizin 892, deutscher Wohnungs¬ 
kongress 892. 

Koronargeffese, Embolie derselben 788. 

Krankenhausaufenthalt, Dauer dersel¬ 
ben bei infektiös Erkrankten 678. 

Krankenkassengesetznovelle 870, 403. 

Krankenkassen, deutsche, Kongress 
derselben 296. 

Krankenpflege, ländliche 620. 

Krankenpflegewesen, dessen Förderung 

292. 

Krankenversicherungsgesetz, Novelle 
zu demselben 120, 256, 259. 

Kiankheiten, ansteckende, deren Ver¬ 
breitung durch die Post 58, Ver¬ 
hütung derselben in den Schulen 
(offiz. deutscher Bericht) 98, gemein¬ 
gefährliche und sonst übertragbare, 
deren Verhütung und Bekämpfung 
103, 246, 826, deren Bekämpfung 
in Landkreisen 805, 374; s. auch 
Infektionskrankheiten. 

Krankheitsverhütung und die Kunst, 
glücklich zu leben 398. 

Krankheits- und Sterblichkeiisstatistik 
des Kaiserlichen Gesundheitsamtes77. 

Krebs, dessen Verbreitung 362, 591, 
Erfolge des Cancroin bei demselben 
362, dessen Auftreten im Dorfe 
Ploetzkau 242. 

Krebsforschung, Laboratorien dafür470, 
Zeitschrift dafür 567, 

Kreisarzt, dessen Zuziehung als Sach¬ 
verständiger in Entmündigungs- 
s nahen 225, einfache physikalisch r 



XXX 


Sach* Register. 

Gerichtslrztlicbss Leiohenöffouugsver* *• S. 7IS, derdeotschöß in Leipzig 
fahren, deutsches 537, 669, 60t, 655, 713 und Berichte. 

722. Hausepidemie, ijphtisäh'nliche, durch 

GeriebtsAfztlicbcr stereoskopischer At* atypischen CoLbaf.üias veraoiastie 

Us 223. I 881. 

Geschlechtsdrüsen, inänjiHr.hü, und Haoeacb wamrn und aaüore das Bunhuh: 

Skeletleatwieklufig: 563. zerstörende Pilze 846. 

Geschirre, 8. Glasuren. Hautkrankheiten, Lehrbuch derselbe» v.a.’' 

Geaoblechtakraaköiteo, und Hechts* 76. 

schätz 530, deren Bekämpfung 714; , Hobamnieu» deren Verhalten hei Wo- 
deutsch« Gesellschaft zeit BeMac» ehenbettfieber 281, Ver&icheruogs- 

pinag derselben, I. Kongress dafür hasse für diese 557, Kalender, deal« 

120, 260, 320. schar für diese 1303 49. 

Geschlechtsteile, äussere, Verletzung Hebammealehrbucb, Ergünzungsblatt 
bei einem 7 jährigen MMehen 1. ' 836, 848, eia neues, Verbeaserungs 

GcschleebtHrieb and Schamgefühl 628. Vorschläge dafür 524, Vorschrift be- 
Gesetzgebung und Eutwiokelangajabra trefls Zuziehung des Arztes 666,637.. 

349. Hebammealuhrer, deutsche, deren Ver- 

Geatorbene, ohee üreGichc Behandlung, oinigaag 260. 

Zahl derselben in Bayern and Baden Hebammenwbsen, dessen Reform 292, 

748. i 676. 

Geuundheit, geistige, deren Grenze 565. [ HeUgehÜlfeii und Masseure, Lehrbuch 
Gesundheitsamt, Kaiserliches, Haus- ’ för dieae oSB. 

haittutgsetat desselben 1903 76. fieilkunst und A?*t ia der Vergangen- 
GesandheitHattfseherundDdsinfektoren, heit 627. 

deren Tätigkeit bai anstcekeodeo HmitoiUeljetforderijch^dfe PflicJit zur 
Krankheiten ln den Landkreisen 873, Gewährung solcher *o*Sicherung de» 

441. .. Hetiverfahtens narr, schliesst anch 

GeBundhcitspÖftge, iJffentiiohe, Deut* die Pflicht zur taetanähaitung und 

scher Verein für dieselbe 120* 184, Erneuerung in «ich 881. 

764, 797, 838, in England, Fort* Heilverfahren, dessen UebetDahm* 
schritte auf dem Gebiete derselben durch die 

in deu letalen 25 Jahren 499. stalten 65, strafbare Anptt-isnng 879. 

Gesund heitBzastand in zivil* und straf* Heimkehrf&ile 676, 
rechtlicher Beziehung 403. Heise waeseraUcoholdeeinfcktiöo M6. 

Gewässer, deren Reinhaltung 600. Hermaphroditismus vems 562. 
Gewerbafcygiene, die Mitwirkung der Herpea tonsurans, Epidemie 686, Bei* 
Mtidizmaiheamten 137. trag zum epidemischen Auftreten 

Gewerbekrankheiten 271. 866. 

Gewohnheitstrinker, deren akute Gei- Herzerweiterung, primäre, Batst «kling 
atoekrankbeiten 78. derselben daroh Maskelanstrecgaog 

Gifte, Elemente der iüfrezMeche» und 670. 

chemischen AuamitteJung dafür 287, Herzfehler, angebcreiter, SekGonztr- 
meraUiaobe, Lokalisation und Elt* gebnia datai 562. 
minatiou derselben hei gewerblichen Herascblag, ‘. ad dadarch 858. 

Vergütungen 560, Handel damit, Ber*sefgrö*seruag infolge von Ver- 
ausserhalb der Apotnekea 2*8; me- sebttttung 864. 

taUisohe bei gewe/hii'.'hea Vergif* Heh^Ahur, SeBsen Heilung 788. 
tangea 680. Hirntumor«», iwychifcchs Störung bei ' 

Glasur irdene» Oeschiiro vom Stand* desselben 48. 

punkte der Hygiene 636. Histologisch* pathologischer Atlas 

Gon&kokk«öpu«amöuie 361, Homöopathen, deren Selbstdispondiei 1 * K’r? 

Granulöse, deren Bekämpfung 294, Am- recht in Besse» 29fl. V 

balatorlen 809 . Homöopathischer Lehrstuhl, Errichtung 

Guajakprlparate 680. desselben 586, f-.> '$■■$ .f . 

Homosexualität, Probleme, an f dem öe* 

v. v ; .-' hiet« derselbe» -• v ;: 

Haftpflicht des Atzten hei fahrlässiger 
Ausstellung eines Zeugnisses 740. Hilfl« ’*, ; 

Hallekiuder, deren Ueherwachueg 424. Bygfco«, Grfüidj'i««. ■}. 

Handatlas, Lehmanns »wüziniaclie 486 | X. ■ ■ •, Ate? ' v *“tir 

Hauptversammlung des prenssiachon | der4 Bll, 
Medlääielbtiantenvendwi’ 1® HaU« ‘ yw. Xtett vn.t ,8t«/ 









lach dsfcjr 58S, Abt- fflr Hygri*** 
Mf <Jer Kurt rtaraahe nremmaiuK 

•:*&•*%8?o, .• 1 

Sy»5«, rot (SeTtebt 34“. 

Sjsttfie aa : i ; Bafali ;3&ii traomatiiciit 


Aarsfjbee. 58 $;'■■-& sa» £»*kfc- 
‘jiJtet- ': •. ,;Vv 

M«4SAb*£iÜfcB r d«n« WUtrfli &i 
e*?w pbyaikalata« a&4 sien^as» 
Mittel 3S0. 

laialitionsmilibnurd siuti T—•tn.ti’iax 
u*iä4is«ßct ftrtsjen öl 
Uutaones, käse in »frk&et he nst 
tat® Betriebe et«? gttetese Xtssgi 
äs jenstiabten ? itavtghisia 3 ^ 
Lesfe gelange» "i. 
ii^inüonsluft, über 4it fctkem^a 
4** Rindringcna der R«kt 2 öa »«. 
tilfeo in die Lange 69. 

Isnilit, hygienische« in Fesen. 

bin desselben 298, Behring 2 ?t 
Internationale S&nitätskonfere» 3 
Paris 748, 848, 892. 
i<tto 3 ik*t tunen, Löhrbach daföt $£■[ 
Psychosen bei .JodolörmiBieits,« * 

* ■■ EU*« 34& cj < v : . v•; •: • J 

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toaegwUt-, »ehe? 688 • . _ 

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CT&j|j.cißee. 876. 

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IbtS&iM» 1 fau Ssi'Är 













XXXII 


Sach* Register. 


mikroskopische and bakteriologische 
Untersuchungen desselben 248, die 
Stellung and amtliche TStigkcit des¬ 
selben 289, Teilnahme an Lehrer¬ 
konferenzen 891. 

Kreisarztgesetz, dessen Wirkung auf 
das ärztliche Vereinsleben 128. 

Kreisphysikatsakten, Aber deren Ord¬ 
nung nnd Vervollständigung 344. 

Kreistierärzte, Reform ihrer Stellnng 
716, 891. 

Kresolseifenflaschen fflr Hebammen 61. 

Kriminalanthropologie nnd Zurech¬ 
nungsfähigkeit 681. 

Kriminalistische Vereinigung, inter¬ 
nationale Versammlnng derselben 471. 

Kryoakopie bei Erkrankungen 665. 

Kunstfehler, ärztliche 812. 

Kupferaalzvergiftung 275. 

Kupfervergiftung 803. 

Kurhospitäler seitens der Eisenbahn¬ 
verwaltung 370. 

Kurpfuscher, falsche Behandlung durch 
diese 53. 

Kurpfuscherei 225, 226, 292, 314, 371, 
872, 437, 438, 568, 583, 714. 

Laboratorium, hygienisch - bakterio¬ 
logisches 638. 

Lakmusfarbstoff 89. 

Landesaussohuss, ärztlicher in Baden 
84. 

LandesmedisinalkoUegium im König¬ 
reich Sachsen 80, 872. 

Landes • V ersioherungsanstalt Schles¬ 
wig-Holstein, Bericht aber deren 
Verwaltung fär das Jahr 1900 888. 

Landtag, preussischer, aus demselben 
225, 403. 

Leber der Neugeborenen, Zellentätig¬ 
keit derselben usw. 838. 

Lehrbuch, fttr Heilgehttlfen und Mas¬ 
seure 535, der Psychiatrie 801; fttr 
Geburtshülfe 889. 

Leiohenflilssigkeiten, deren Gefrier- 
punktsbestimmungen 846. 

Leiehenöffnungsverfahren, geriohtsärzt- 
liches 537, 569, 601, 655, 691, 722. 

Leichenpass 748. 

Leichenschau, obligatorische 295. 

Leiehenzerstttcklung und Verbrennung 
125. 

Leistenbruch und Unfall 852. 

Leitfaden für die chemische Unter¬ 
suchung von Abwässern 681, der 
Geburtshilfe 810, für geburtshilfliche 
gynäkologische Untersuchungen 811. 

Liohttherapie, deren Erfolge 801. 

Lieht, dessen physiologische Wirkung 
801. 

Lufteintiitt in die Venen, der Mecha¬ 
nismus des Todes Infolge eines solchen I 
788. 


Luftstaub, Messung und Abwehr des¬ 
selben 846. 

Lungen, fötale und solche Neugeborener 
666 . 

Lungeninfektion infolge von Verschüt¬ 
tung 355. 

Lungenentzündung infolge von Er¬ 
kältung 672. 

Luugenfäulni8 nnd Schwimmprobe 874. 

Lungenheilstätten, deutsches Zentral¬ 
komitee dafür 438. 

Lungentuberkulose, Heilung derselben 
844. 

Lysoform, dessen keimtötende Wirkung 

366. 

Lysolvergiftung 558, 735. 

Lyssavirus, dessen Verhalten im 
Zentralnervensystem empfänglicher, 
immuner und immunisierter Tiere 

367. 

Magenkrebs und Unfall 63. 

Malaria, deren Bekämpfung 393. 

Manganvergiftung und Braunsteinmüh¬ 
len 614, 624. 

Manie 668. 

Massenerkrankungen nach Genuss von 
Pferdefleisch 473. 

Massenvergiftung durch Pilze 426. 

Mastdarm, Fremdkörper darin 279. 

Mäusetyphusbacillus Löffler, dessen 
Identität mit Paratyphusbazillen 845. 

Maul- und Klauenseuche, Untersuchun¬ 
gen darüber 294. 

Medien, spiritistische, zur forensisch- 
psychiatrischen Beurteilung 876. 

Medizin, gerichtliche, Errichtung eines 
Lehrstuhles dafür in Bonn 259, Or¬ 
ganisation derselben in Deutschland 
490. 

Medizinalabteilung, deren Abtrennung 
vom Kultusministerium 289. 

Medizinalbeamten, Versammlung der¬ 
selben im Bez. Liegnitz 21, 826, 
Marienwerder 98, Gumbinnen 245, 
805, Merseburg 323, 556, Coblenz 
338, Magdeburg 385, 622, Minden 
443, Düsseldorf 451, Württemberg 
455, Osnabrück 520, Schiewig-Hol¬ 
stein 524, Stade 593, deren Gebühren 
370, 403, Unterstützung der auf 
Wartegeld gestellten 290, deutscher, 
Verein derselben 51 und Bericht Über 
Versammlung, mecklemburgischer 
844, preussischer 51 und Bericht 
über Versammlung. 

Medizinalgesets, braunschweigisches 
226. 

Medizinalwesen, das preussische im 
Staatsbaushaitsetat 1903 111. 

Medizinische Fakultät, deren Errich¬ 
tung in Münster 259. 

Medico-legal soclety in New-York 526. 



Sach-Register. 


XXXIII 


Melancholie 664. 

Meaiigokokkensepticämie 361. 

Metallische Gifte bei ge werbliehen 
Vergiftungen 560. 

Mikh, Verkehr damit, dessen gesund¬ 
heitliche Ueberw&chnng 797, die 
Verbreitung des Typhus durch die¬ 
selbe 107, Aber deren bakterielles 
Verhalten bei Boraxzusatz 262. 

Milehbygiene 332. 

Milehiontrolie in kleinen Städten 90. 

Milchsekretion, Steigerung bei_ stillen¬ 
den Uttttern 846. 

Mikhvenorgung, hygienische, Ausstel¬ 
lung daiOr in Hamburg 227, 708. 

Milzbrand, Schutzimpfung dagegen 68, 
Uebertragnng durch Inhalation beim 
Verarbeiten ausländischer Drogen 68. 

Mittelohr, s. Ohr. 

Molkerei, Diphtherieepidemie in deren 
Bereich 72, als Typhusverbreiter 108. 

Mord an Therese Pucher 29. 

Morphiumrergiftung im frühesten Ein¬ 
desalter 27. 

MUlbeseitigungsfrage 497. 

Münster, Universität daselbst, Errich¬ 
tung einer m edizinischen F aknltät299. 


Nachweis individueller Blutdifferen- 
sen 739. 

Nagelglied des linken Mittelfingers, 
keine Erwerbsfähigkcitsverainde- 
rang 674. 

Nahrungsmittelkontrolle, Notwendig¬ 
keit einer strengen Handhabung der¬ 
selben 418. 

Natrium, schwefligsaures, Zusats zu 
gehacktem Fleisch 679. 

Naturforscher- und Aersteversammlung 
in Kassel 296, 471, 668, 714, 769, 
801, 844, 867. 

Naturwissenschaften, deren Einfluss 
auf die Weltanschauung 769. 

Neugeborene, deren Lungen 665, Zell- 
tiiigkeit der Leber Neugeborener 
788, Nebennierenblutungen bei den¬ 
selben 874. 

Obergutachten, ärztliche, Sammlung 
derselben 772. 

Qbermadisinnlswswfthnss in Bayern 49. 

Obstfrflchte amerikanische, geschwe¬ 
felte 272. 

Ohreiterung in gerichtlich medizini- 
niseher Beziehung 460; Mittelohr- 
eiterung u. Entzündung 603, 661; 
durch Schnupftabak 346. 

Ohrenerkrankungen bei Kindern 48. 

Ophthalmologie interna, beiderseitige 
durch Extraetum Seoul, coruu.846. 

Ortsbesichtigungen 99, 386, 804 (offiz. 
nreuss. Bericht! 8. 


Otitis media, s. Ohr. 

Ozon, Reinigung des Trinkwassers da¬ 
mit 800. 

Paranoia chronica querulatoria 32. 

Paratyphus, Endemie 109, 110. 

Pensionäre, freiwillige 669. 

Pest, deren Ausbreitung in Indien 472, 
in Odessa 744, in Berlin 479, 604, 
746. 

Pestbazillen, deren Widerstandsfähig¬ 
keit gegen die Winterkälte in Tokio 
367, deren Lebensdauer in Kadavern 
und Kote der Pestratten 742, in den 
Flöhen 280, deren Agglutination 67. 

Pestnachrichten 84. 

Pestserum 746. 

Pferdefleisch, Massenerkrankungen da¬ 
durch 473. 

Phosphor, dessen Uebertritt und Wir¬ 
kung auf menschlicne und tierische 
Früchte 664. 

Phosphorztindwaren, Gesetz darüber 
370, 403. 

Physiologie, der Gefühle u. Affekte 769. 

Pilze, Massenvergiftungen 426. 

Plasmodium vivax, der Erreger des 
Tertianfiebers beim Menschen 898. 

Plattfuss 467. 

Pocken, Todesfallstatistik im Deutschen 
Reich 1908, Erkrankungen 1900 676, 
Nothospitäler dafür, Verurteilung 
einer DistrikBbehörde wegen Fahr¬ 
lässigkeit bei Errichtung und Be¬ 
trieb desselben 677, Epidemie 526, 
in Strassburg 675, Zwangswiederim¬ 
pfungen bei solchen Epidemien 97, 
Untersuchungen über den Erregerder 
Pocken 426. 

Posen, Eröffnung der Akademie da¬ 
selbst 779. 

Post, als Vermittlerin der Weiterver- 
breitung von ansteckenden Krank¬ 
heiten 53, 337. 

Präventivimpfung bei Diphtherie 817. 

Präzipitine, neue, bisher latent geblie¬ 
bene 846. 

Praxis, ärztliche, deren Verkauf 227, 
amtsärztliche, Besprechungen dar¬ 
über 462. 

Protistution, deren gesundheitliche Ge¬ 
fahren und Bekämpfung 895. 

Protozoen, krankheitserregende, Stu¬ 
dien darüber 393. 

Prüfung, staatsärztliche in England 45. 

Prüfungsordnung, medizinische, Ein¬ 
führung des praktischen Jahres 291. 

Psychiatrie 712, Leitfaden derselben 
74, gerichtliche 778, Lehrbuch der¬ 
selben 772; Sammlung gerichtlicher 
Entscheidungen 889. 

Psychische Störungen und Schädel¬ 
verletzunsen 568. 



XXXIV 


Saab-Register. 


Psychopathie, deren Aetiologie 702. 

Psychopathischer Aberglaube 81. 

Psychosen, der Landstreicher 347, unter 
dem Bilde der reinen primären 
Inkohärens 741, akute, experimen¬ 
telle Studien sur Pathogenese der¬ 
selben 874. 

Pnstula maligna, Uber deren Eutste- 
hungsursaohe 886. 

Recurrens, febris 104. 

Reform des Apothekenwesens 715, der 
Stellung der Kreistier&rste 716,892. 

Reichsarsneitaxe 848. 

Reichshausbaltsetat 1903, aus dem¬ 
selben 117. 

Reiohsseuchengesets, die Ausführungs- 
bestimmungen für dasselbe 295, 870, 
403, 747. 

Reichstag, aus demselben 224, 256, 
288, 370, 403, 891. 

Reinigungseffekte in den Filtern beim 
biologischen Abwässerreinigungsver- 
fahren 495. 

Reinigungsverfahren städtischer Ab¬ 
wässer 557; s. auoh Abwässer. 

Reisekosten der Staatsbeamten, Neu¬ 
regelung im Deutschen Reich und 
Preussen 891. 

Rentenempfänger, Veränderung der 
Verhältnisse im Falle einer Aende- 
rang des geistigen oder körperlichen 
Zustandes 880. 

Rheumatismus, akuter 280. 

Ringfioger, linker, Verlust desselben, 
Rentenentsiehung wegen Angewöh¬ 
nung 64. 

Roburit, Vergiftung dadurch 67. 

Röntgenstrahlen in gerichtlich -medi- 
ninischer Besiehung 789. 

Rückgrats Verkrümmung in der Schule 
482. 

Rttckenmarksverletsungen, deren Be¬ 
siehung su den chronischen Rttcken- 
markskrankheiten 781, 782. 

Ruhr, deren Erforschung und Be¬ 
kämpfung 10, 294, 497, in Ost- 
prenssen, eine Amöbendysenterie 41, 
Merkblatt dafür 226. 

Ruhrbasillen, Shiga-Krusesche, über 
deren Widerstandsfähigkeit gegen 
Winterfrost 88, Beitrag su deren 
Differenzierung von Coli- und Typhus- 
basillen 88, 89. 

Ruhrheilserum 688. 

Sachverständigentätigkeit des Ge- 
richtsarstes 468, des Kreisarztes vor 
dem Amtsgericht 628. 

Sadismus und Masochismus 628. 

Säuglingspflege, Leitfaden dafür 287. 

Säuglingsernäkrung und Sterblichkeit 
581, Massregeln öffentlich - hygie¬ 


nischer Art sum Zweck ihrer Herab- 
setsung 886. 

Salmiakvergiftung 458. 

Samaritertag, 6. deutscher 504. 

Sammelmolkereien als Typhus verbreiter 
106. 

Sanitätskonferens, internationale in 
Paris 748, 848, 892. 

Sanitätswesen des preussischen Staaten 
775. 

Schamgefühl und Geschlechtstrieb 528. 

Scharlach, Antistreptokokkenseram360; 
Epidemie, bösartige 675. 

Soheidenge wölbe, hinteres, tötliche 
Verletzung desselben 277. 

Schlachthaus, öffentliches, Anforderun¬ 
gen vom gesundheitlichen Stand¬ 
punkte 399. 

Seblachtviehversicherung 488. T 

Schlüsselbeine, angeborener Mangel 

789. 

Sehmutswasserreinigungsanlage in 
Kassel, über die Verarbeitung der 
Rückstände in derselben 498. 

Schularatfiage 81, Lösung derselben 
auf dem Lande 431. 

Schulärzte, deren Anstellung 403, Be¬ 
dürfnis danach bei den höheren 
Lehranstalten 431. 

SchulbeBichtigungen 99, 888. 

Schule und Rückgratsverkrümmung 
482, Taberkuloeenbekämpfung darin 
438, deren Beaufsichtigung und das 
neue englische Unterrichtsgesets 482; 
hygienische Ueberwaohung der höhe¬ 
ren Schulen 891. 

Scbulepidemien 429. 

Schnlgesundheitspflege, Deutscher Ver¬ 
ein für dieselbe 439. 

Schulhygiene, internationaler Kongress 
für dieselbe 598, 684, Handbuch 
dafür 584, 774. 

Schulkinder, kranke 687, nervöse und 
minderbegabte 488. 

Schulpflichtiges Alter, über die Not¬ 
wendigkeit, die untere Grenze des¬ 
selben heraufznsetsen 48. 

Schultafelfrage 484. 

Schultinte, deren Schädlichkeit 488. 

Schutspockenimpfüng, amtliche Tätig¬ 
keit des Kreisarstes dabei 806. 

Schwachsinn, die gerichtsärstlicbe Be¬ 
gutachtung desselben in Strafsachen 4. 

Schwangerschaft, zur Frage der Uterus- 
raptur in frühen Monaten derselben 
276. 

Schwarzwasserfieber, Prophylaxe und 
Behandlung desselben 869. 

Sehwimmaohicht, deren Bestandteile 
auf den Abwässern in den Faul¬ 
bassins biologischer Anlagen 496. 

Seelenstörungen auf arteriosklerotischer 
Grundlage 349. 



Sach-Register. 


XXXV 


Saite, bakterizide Wirkung 364. 

Sektierertum and Geistesstörung 42. 

Selbstbesehädigung, hysterische, unter 
den Bilde der multiplen neurotischen 
Hutgangrän 875. 

Seltatuord im kindliehen Lebensalter 
805. 

Septieimie, hämorrhagische, die Diffe- 
reatialdiagnoee der verschiedenen 
hierzu gehörigen Mikroorganismen 

280. 

Sep tu Perforation der Chromarbeiter 
685. 

Sescheugeeetz, preussisches 80. 

Sexualleben und Nervenleiden 847. 

Sexualtrieb, perverser, und Sittlich¬ 
keitsverbrechen 465. 

Shok und Shoktod, insbesondere nach 
Koutnsionen den Bauches 785. 

8walation 566, bei hysterischen und 
Uufallkranken 33. 

SsMgmabasillen 281. 

Sommerdiarrhoe, Ober deren Aetiologie 
885. 

Sonderheft oder Freispruch 30. 

Spltapoplexie. nur Frage derselben 873. 

Sprechsaal 228, 748. 

8prengapparat für Tarn- und Exerzier¬ 
hallen 846. 

Sputum, Beseitigung und Desinfektion 
desselben 192. 

8taatsirztliche Prüfung in England 45. 

Stldteausstellnng in Dresden 471, 889. 

Standesvertretnng der Tierirute 716. 

3taubschnts für Lymphbehftlter bei 
Impfnugen 825. 

Strafgeeetibnch, deutsches, zur Revi¬ 
sion desselben 877. 

Sterbefllle im Deutschen Reich 501. 

StiehverletsuDg des Rückenmarks in 
gerichtlich-medizinischer Beziehung 
803. 

Störungen, nerröse, sexuellen Ursprungs 
847, des Erwachens 740. 

ätnnoniam Vergiftung 275. 

Strastokokken, zur Einheit derselben 

359, 360. 

Sturz von der HOhe mit Scbädelbasis- 
hrueh und Lungenruptur 717. 

Sublimatdesinfektion 365. 

Syphiliibacillas 871. 

ftgegelder, s. Reisekosten. 

Taubstummheit auf Grand obren- 
Irztlicher Beobachtang 269. 

Technik des Gerichtsarztes 463. 

Telegraphistinnen, Besohäftigongsnea- 
rose bei diesen 742. 

Tertianfieber beim Menschen, dessen 
Krankheitserreger 898. 

Tetanus infektion bei Gelatineein- 

epritznngen 67. 

Tbsnnis der Nervenkrankheiten. Atlas 


and Grundriss 436, der Erkrankungen 
des Respirations- und Zirknlations- 
apparates 369. 

Tbymnstod 121, 736. 

Tilsit, Wasserwerk daselbst 809. 

Tod einer Traoheotomierten durch Er¬ 
hängen 873. 

Todesursache und Feststellung des 
Todes 463, bei Neugeborenen 786. 

Tollwut, 7 Monate naeh der Schatz- 
impfnng 359. 

Tollwntklinik in Bresl&n 438. 

Toxikologie, Kompendium 680. 

Toxine, intrazelluläre 802. 

Trachom 344. 

Tranmati8cbo Todesarten 463. 

Trinkwasserbakterien, Uebersicht über 
dieselben 224. 

Trinkwasserrelnignng mittels des 
Schumburgsehen Verfahrens 252, mit 
Ozon 800. 

Trinkwasserversorgung im Felde 251. 

Trinkwasserverunreinigung, deren bak¬ 
terieller Nachweis anlässlich infek¬ 
tiöser Erkrankungen 367. 

Tropenbygiene 568. 

Tryp&nosomenforschnngen, praktische 
Schlussfolgerungen 870. 

Tnberkelbasillen, AbtOtnng in erhitzter 
Milch 631. 

Taberkelbszillenähnliche Stäbchen 281. 

Tuberkulöse Belastung and Ohren¬ 
krankheiten bei Kindern 43. 

Tuberkulöse und nichttuberkulöse Er¬ 
krankungen der Atmnngsorgane in 
Prenssen 844; ärztliche Fürsorge- 
steile in Berlin 892. 

Tuberkulose, Anzeigepflicht 390, 631; 
Fütterungsversuche bei Bindern u. 
Kälbern 282, Uebertragung vom Men¬ 
schen auf das Bind 284, Verbreitung 
derselben im Hinblick auf Zigarren 
und Stummel 285, als Volkskrank¬ 
beit 629, internationaler Kongress 
dafür 639, deren Erreger in der 
Salzbutter 281. 

Typhus, Bekämpfung desselben 79,448, 
491, kulturelle Diagnose 105, Patho¬ 
genese 105, Verbreitung durch Milch 
107, nnd|Fleisch Vergiftung 109, dnreh 
Sammelmolkereien 108, Merkblatt 
dafür 226, 536, Epidemien 492, 641, 
in Mets 682, Ratschläge für den 
Arst bei Typnns 448, 638, Verbrei¬ 
tung durch Flosswasser 753, typhus¬ 
ähnliche Erkrankungen 110; zur 
Epidemiologie des Typhös 882. 

Typhnsagglntinine, experimentelle Un¬ 
tersuchung über deren Ausschei¬ 
dung 883. 

Typhnsbasillen, deren Unterscheidung 
von Ruhrbasillen 38, Feststellung 
im Blnt 104. naeh England durch 



XXXVI 


Sach-Register. 


Wolldecken eingeschleppt 489; aber 
ihre Lebensdauer 888. 

Unfall, siehe Betriebsunfall. 

Bnfallfolgen, hei ohronischen Leiden467. 
Unfall Verletzung des Gehörorgans 62. 
Unfallversicherungsgesets, fttr Land¬ 
end Forstwirtschaft 468, Kommentar 
fttr Aerzte dann 528. 
Unterleibsbrüehe 351. 
Unterleibstyphus, siehe Typhus. 
Unterrioht8gesets, neues, englisches 
482. 

Untersuchungen aber Maul- und Klauen¬ 
seuche 294. 

Untersuohung8&mter 714, 748. 
Urethritis gonorrhoica bei Knaben 396. 
Uterus, s. Gebärmutter. 

V&ccination, nur Erforschung der 
Immunität durch dieselbe 426. 
Ventilationsanlagen 899. 

Verblutung im Anschluss an die Ge¬ 
burt 276. 

Verbrennung, Tod durch dieselbe 455. 
Vereinsleben, ärstl., die Wirkung des 
Kreisarstgesetses auf dasselbe 120. 
Vergiftung, nach Aspirin 734, durch 
Knpfersalze 275, durch Stramonium 
275, mit Knollenblätterschwamm 328, 
412, 464. 

Verkehr mit Araneimitteln ausserhalb 
der Apotheken 839, mit Geheim¬ 
mitteln 848. 

Verletzung durch Flobert-Schusswaffen 

505. 

Versicherungskasse fttr Hebammen 557. 
Versuche, ärztliche, an Lebenden 812. 
Versuchsanstalt fttr Wasserversorgung 

298. 

Vidalsche Blutprobe 514, 518. 
Virchowdenkmal 779. 

Vivisektion, Missbrauch 812. 


Volksbäder, deutsche Gesellschaft dafür 

872, 598, 716. 

Volkshygiene, deutscher Verein dafür 

439. 

Volks-Heilstätten, die Schwierigkeit 
der Auslese fttr dieselben 286. 
Volksspiele und Jugendspiele, 6. Kon¬ 
gress dafür 489. 

Vorbeireden, Symptom desselben 465. 

Wasserleitungen, deren Besichtigung 

422. 

Wasseruntersuehung, bakteriologische, 
Kompendium 224. 

Wasserversorgung, Versuchsanstalt da¬ 
für 293, im linksrheinischen Teile 
des Bezirks Coblenz 889, 596. 
Wasserwerk Tilsit 809. 
Wartefrauenfrage 522. 
Wechselbeziehungen, zwischen Stadt 
und Land in bezug auf ansteckende 
Krankheiten 533. 

Woohenbettfiebcr, Verhalten der Heb¬ 
amme 261, 363, 619. 

Wöchnerin, Jodoformgaserest in der 
Vagina 874. 

WOchnerinnenpflege, Leitfaden daf. 287. 
Wohnungsfttrsorge 870, 890. 
Wohnungsgesets 870. 
Wohnungsbygiene 350. 

Wurmkrankheit, Bekämpfung 257, 329, 
811, 891. 

Zahnheilkunde als Volksbygiene 845. 
Zeitschrift ftlr Krebsforschung 568. 
Zerkleinerung der Speisen, deren Be¬ 
deutung fttr die Verdauung 252. 
Zttchtigungsrecht der Lehrer, Ueber- 
achreitung desselben 795. 
Zurechnungsfähigkeit* 464, und Krimi¬ 
nalanthropologie 681. 
Zwangswiederimpfungen bei Pocken¬ 
epidemien 97. 



N amen ^ Verzeichnis. 


Adikes 260. 

Adankiewitz 362. 

Ahlfeld 276, 366, 889. 
Altacht 252. 

Alaheimer 349. 

Althoff 470, 779. 

Altaehnl 767, 799. 
Aniehel 29. 

Aijesky 67. 

Arontoa 360. 

Aachtffenbnrg 871 (B. Pr. 

M.) 67, (B. D. M.) 77. 
Ai eher 844. 

Anrassen 524. 

Baehraaan 384. 

Bagiasky 360, 799. 

Baba 421. 

Baiser 344. 

Balz 622. 

Baaberger 635. 
Bardeleben 535. 

Baraekow 620. 

Baaaet 885. 

Baaer 637. 

Baam 567. 

Baameiater 838. 

Baamm 261, 619. 

Becher 322. 

Beehold 845. 

Beek 322. 438. 

Beekert 505. 

Behla 108. 

Behring, tos, 630, 683, 
770, 779, 818. 

Behrendt 809. 

Belin 675. 

Berger 431, 626, 874. 
Berka 559. 

BertaeeUi 865. 
Bertelsmann 873. 

Berthens 524. 


Battmann 874. 

Beti 871. 

Benmer 185, 229. 

Bentler 765. 

Begold 469. 

Bichela 224. 

Biberfeld 849, 851. 
Blaschko 395. 

Bloch 773. 

Bockendahl 524. 

Boehm 44. 

Bödiker 669. 

Böhlendorf 291. 
Bötticher, yon, 557. 

Bolte 566. 

Boltenatern 428. 

Bonhöfer 73. 

Bonhof 845. 

Bont 678. 

Bornetins 402. 
Borntrlger 331, 767, 778, 
(B. D. M.) 124. 

Braun 23, 25. 
Brandenburger 285. 
Brauer 638. 

Bressel 361. 

Brtthl 562. 

Bnehholz 871. 

Bülow, von, 714. 

Bnmrn 178, 748. 

Bnntt 686. 

Bnrgerstein 634. 

Bargel 565. 

Battenberg 681. 

Cassierer 34. 

Castellani 164. 

Chon 248, 809. 

Cipolüna 629. 

Clairmont 857. 

Coester 814, 333,621,821. 
Coler, yon, 282. 


Conradi 110. 

Cossmann 872. 

Cramer 381, 348, 349, 
371, 773. 

Creite 683. 

Cronbay 742. 

Cano, Fritz 41. 

Cartius 817. 

Czygnn 247, 249, 806. 
Czablewski 453. 

Dahlmann 637. 

Dämmer 584. 

Darideohn 715. 

Delbrück (Bremen) 82,372 
Deutsch 682. 

Diem (Otto) 668. 

Dippe (B. Pr. M.) 7, 69. 
Dittrich 713, (B. D. M.) 2. 
Doegner 246, 248, 249. 
Dönits 744. 

Dörner 874. 

Dohrn 121. 

Dombois 344. 

Douglas, Graf 292, 293, 
294. 

Doequet-Mannose 253. 
Drigalski, y. 110. 

Düng es 817. 

Dttrck 436. 

Dütechke 378. 

Dogge 345. 

Dunbar 381, 332, 595, 
779, 797. 

Dural 885. 

Ebstein 532. 

Eckels 292. 

Eikhoff 421. 

Ekart 291. 

Ellis 528. 

Emmerich 71. 


‘) B. Pr. M.: bedeutet Berieht über die Hauptversammlung des Preus- 
üsehea Medizinalbeamtenrereins; B. D. M.: Bericht über die Hauptrersamm- 
liag des Deutsehen Xedizinalbeamtenvereins. 



XXIV 


Inhalt, 


Abtrennung der Medisisnl Verwaltung *eui KuituBministcrfu» na<1 

Öebetwdroor ft« d»? Mtcfeiarlttm de« lßncrn 289 

FfawBirffÄge •«.. .,. v . . .. 289 

Steüntig ttnd &ajiHe-be TStigkeH de» Kretee.T*t** : ... . $89 

Aaiiasaog oder Reform der rer*!loten Einrichtung 


der PröTiiB8i*i-MoiHeia4ihe{)<fgien , .^ _ __ 

Uaterstflieang der auf WRrtegeW cceteßtim Jdedi$n«IWbarten 29Ö":’; 

BeetitntaaogöB tlber die tr»Uicii6tt Ehreog«l#ii^ 291,070 

Erörterung aber du* durch die ®st5rrfnipd)«> P*ü(ucg**fdnujBjj 

ciugrfttkrte praktische Jahr ~ 291 

Besümmangeu flheir die BeBch*ltenh^t der AriiiuigeiSs«e . i 292 
Apotbekeukfluresajoa« wesen v'-- "i ... 292 

Kttrpfnsdierfrage ..22(5 292 

Reform de» Heb»»»«»' asd FCrd*rttag de» Kreckenpflcg-erwceeDB 292 
Verettcheanftldti fdr Waseerfetsorgnög und Afa#rftM,etbj<rcHigßug . 

Ketthau des hygienischen. insiUuts in Rosen . . . .... . 

Erforschung und Bekämpfung 1 der Hahi' Bud BeklMpfong dfcr 


298 


* " 




29b 

29b 


ppii&^JJR I.| __I 

Zur Frag© der obligatorischen Leichenschau '% 

Errichtung von ÄMbespMfors nud m 'Häneeuagabehnes fflr 

EmmbaSmbewste . . . . . . 370 

WobnBUg&Jöfsergc und WobnaugsgjjsH* „ . / .. . . 37Q 

Qeeeteeotwurf, butr, di« OehHbrett der MedlrinnJbnsiBten . . 1*4. Krf 
Anafotinng von RehuUmnu I« den SUdtcr» und sof dem Lende . 404 

2üug*ng der Nor eile sa® Erenkeov^rfkborfiijjgsgieeelE an den Bondfemt 12 i 

VeMemniJuBg dw Vereine fttr uileotHche 06^öudheiispflege . .120, IH>, 
Kongress der Öenteehen «3ö«eliarfj*Xt *nr Bekämpfung der öescbfocbfo' i 
krankbeites .... ... ... , 1*2«), ÖOÖ 

Au« dem RegieTuhgsbesirk Liegr.it*. . 190 

Aue dom Reichstage: 

Bemängelung dar tob deu LaBdesveraieherungBiMtalteiß gebauten 

Krankeoaufttailen . ........ 224 

Schlechte BeeahJung der Krankenpfleger ...... . . 22C>, 857 

Höhnt* der Arbeiter in dsc Gerbereien gegen llilnbrand und Be- 

kfmpfang der Wormkrankheii . . . . . . . 225, 2f>7 

lieber Borsknrererlmt, öfttMilliche Hnteraucbongaahst-alien und ein¬ 
heitlich« Kontrole dea Verkehrs mit. NabrougB- «. Geuusamiucitj 226 
GebeluiujHteJfrnge . . . . . 22b 

Novell* »um KjriukeBVftrstcberMngisgesets. . 225, '2ft7, 288, 371, 403 

öenisrfirfft fib»r di©'fttberkuloae naij deren BehMdinug »■ ■ 221 

Relcb«ge»ets!iehe Regelung de« Verkehrs toit Artuei- und öfhein^ 

mittein . . . . , . . . ... . . ‘-'SK 

Verbot »«disiniseber Eingriffe bei Menschen *u anderen *ie H«Ü* 

»wecken .. .288 

Belchageseiaiiche Regeiung des Irren wesen« und AendoniDg des 

EntmanAigtingBrerfahrcns. 288 

GeseUent'imrf, betr Zü-ndwnnren ....... . s|?i, 403 

Neörsgdiiiig der Bedingungen für die Fleiscbeinfubr . . 

Lösung Akt Wohnungsfrage . * - . . *•.•', . 6 

Typhus- und Ruhr »Merkblatt ... 


Zur Karpfuacherfragti . 


891 

j : j|fV-?. 226 

. 226 f . .7l4 


Annahme dee Entwurfs eines ueneu tfedfeinaigehetne* iü ßrauBgchnr#g 22C 



^<öt@r .fsmeiaBehnftUnnwa ThÖ.f ii>ieificheu 
■ ’ 2 nnd Sr^iifehn'ü iitiengerlchtshrefs fflr din Thörin- 


w 


-JfpU&t iva 

; : Milehrsrncrgung in Eand.erg 






Inhalt. 


XXV 


Seite. 

XIV. internationaler medizinischer Kongrees in Madrid. 227, 404 

Angebrochene Steine and lebende FrOsche.228 

Personalien (Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bob. K o e h) 82, 60,470,638,890, (Geh. 
Med.-Rat Prof. Dr. Flügge. Prof. Dr. Danbar and Geb. Reg.- 
Bat Dr. Ohlmüller) 332, (Geh. San.-Rat Dr. Wallichs) 403, 

(Dr. Paal Stolper) 536, (Prof. Dr. v. Behring) 683, (Geh. 
8an.-Rat Dr. Alex Spie es) 715, (Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 8chmidt) 838 


Sitsusgsprotokolle der Bayerischen Aerztekammer.260 

Annahme eines Gesetzentwurfs zur Errichtung einer Aerztekammer and 

eines Ehrengerichts für Aerzte in Lübeck.260 

Venzmmlang der Vereinigang Deutscher Hebammenlehrer.260 


Sebaffang einer einheitlichen Arzneitaxe fBr das ganze Deutsche Reich 260,848 
Umfrage betreffs des Selbstdispensierrechts der Homöopathen .... 296 

Gründung eines eigenen Haases des Zentralkomitees für das ärztliche 

Fortbildnngswesen ..29o 

II. allgemeiner Deutscher Krankenkassenkongress.296 

75. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte 

296, 471, 568, 714 

Konferenz betr. die zur Bekämpfung der Wurmkrankheit notwendigen 

Massnahmen. . 329, 891 

Jahresversammlung des Wflrttembergischen Medizinalbeamtenvereins 331 

Biarichtung eines Sanatoriums für unbemittelte Nervenkranke des Mit¬ 
telstandes und der unteren Stände bei Göttingen.331 

Knrpfnscherfrage im Württembergiechen Landtage.371 

Jahresversammlung des Vereins Deutscher Irrenärzte.371 

XL internationaler Kongress für Hygiene und Demographie .... 871 

Isternationaler Kongress gegen den Alkoholismus.372 

Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder . . . 872, 715 
Bereiterklärung der Vereinigang der Deutschen medizinischen Fachpresse 

betreffs Gutachten über Kurpfuscher-Inserate.372 

XII. Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen. 404 
Vervollständigung der Universität Münster durch allmähliche Errich¬ 
tung einer medizinischen Fakultät.404 

Bescheid des Ministers auf eine Eingabe der Berliner Drogisten-Innung 

betr. den Verkehr mit Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken . 404 

Randschreiben des Reichskanzlers in bezug auf Massnahmen gegen die 

Kurpfuscherei.437 

47. 8itzung des Landesausschusses der Wttrtt. ärztl. Landesvereine . . 438 

Erörterungen über die Einführung einer allgemeinen Schlachtviehver¬ 
sicherung im ganzen Reiche im Anhaitischen Landtage .... 438 

Errichtung einer Tollwutklinik in Breslau.* 488 

8itznng des engeren Rates des internationalen Zentralbureans zur Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose in Paris. .438 

Jahresversammlung des Deutschen Zentralkomitees für Lungenheilstätten 438 
IV. Jahresversammlung des allgemeinen Deutschen Vereins für Schul¬ 
gesundheitspflege . 438 

VI. Kongress des Vereins für Volks- und Jagendspiele.439 

Generalversammlung des Deutschen Vereins für Volksbygiene . . . 439, 683 
Einschleppung von Typhusbasillen nach England aus Südafrika. . . . 443 
Pestfall in Berlin. 470, 509 


Warnung vor den Ankauf von typhusverdäohtigen wollenen Decken aus 

England. .471 

Uebergabe des fertiggestellten Laboratoriums für Krebsforschung in Berlin 471 

Sitzung des preussischen Apothekerrats. 471 

Versammlung der deutschen Landesgrnppe der internationalen krimi¬ 
nalistischen Vereinigung.471 

Deutsche Städteauestellung in Dresden . 471 

Zyklus des Berliner Dozenten - Vereins für ärztliche Ferienkurse . . . 472 

Eatwurf einer Novelle zum Gesetz betr. die ärztlichen Ehrengerichte . . 504 

Bat warf einer Aerzteordnung des Grossherzogtums Baden. 504, 892 

VL Deutscher Samaritertag. ^ 

Zu Bekämpfung des Typhus. 5c 



























XXVI 


Inhalt. 


B,kMI tS&BL Kür*?. 4 ? HaUk ”“ de f-*. * 

Zeitschrift für Krebsforschung. j?5§ 

Iuslebenrufen internationaler Kongresse für Schulhygiene ‘ 598 SK 

Preisausschreiben der Deutschen Gesellschaft für Schulhygiene' ’ 59s 

Verteilung von Ratschlägen für Aerzte bei Typhus un d Ruhr . . 638 

Uebernahme des hygienisch- bakteriologischen Laboratoriums in Stral¬ 
sund durch die Medizinal Verwaltung. «oq 

Unentgeltliche Abgabe von Ruhrheilserum ... 689 

HI. internationaler Taberkulosekongress . . . 63g 

82. Hauptversammlung des Deutschen Apothekervereins.639 

Wasserversorgung und Typhus in der Stadt Metz . . 682 

Neues Irrengesetz. g|o 

Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf . 683 

Verein der Mcdizinalbe&mteii des Herzogtums Braunscbweicr. fjfiß 

Bea bsichtigte Reform des Apothekenwesens. 684 715 

p. Hauptversammlung des Preussischen Medizinalbeamten-Vereins'. . ’ 713 
Zweite Hauptversammlung des Deutschen Medizinalbeamten-Vereins . 71 

Untersuchungsämter für ansteckende Krankheiten in Baden .... 714 

Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten durch Krankenkassen . 714 

Einführung einer staatlich anerkannten Standesvertretung der Tierärzte 

und Reform der Dienststellung der Kreistierärzte.716, 891 

voriegung der Äusführungsbestimmungen zu dem Reichs * Seuchengesetz 747 

Internationale Sanitätskonferenz in Paris. 748 848 892 

Errichtung von Untersuchungsämtern seitens der Städte . ...!.’ 748 
Zahl der ?or ihrem Tode nicht ärztlich behandelten Qestorbenen in Bayern 

Eröffnung der Königlichen Akademie in Posen. 779 

Beabsichtigung der Errichtung eines deutschen Instituts Behring nach 

Pas teil rachem Muster.779 

Beiträge zu den Apothekerkammern und Ersatz des Apothekerrats durch 

den Apothekerkammerausschnss.779 

Errichtungeines Denkmals für Rudolf Virchow . 779 

Komitee bebnfs einer Ehrung Robert Kochs . 780 

Stand der Wnrmkrankheit im Oberbergamtsdistrikt Dortmund ... 811 

Gerichtliches Verfahren bei Anklagen wegen ärztlicher Knnstfehler in 

Oesterreieh.812 

Interpellation wegen angeblichen Missbrauche der Vivisektion im nieder¬ 
österreichischen Landtage.812 

Verfügung betr. des Verkehrs mit Geheimmitteln in Württemberg . . 848 

Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften über Tagegelder und 

Reisekosten der Staatsbeamten.891 

Untersuchung sämtlicher höherer Schulen in bezug auf ihre gesundheit¬ 
liche Einrichtung.891 

Teilnahme der Kreisärzte an den Kreislehrerkonferenzen.891 

25. Baineologenkongress.892 

21. Kongress für innere Medizin.892 

Aerztliche Fürsorgestelle für Tuberkulöse in Deutschland.892 

Allgemeiner Deutscher Wohnungskongress.892 


Yerschiedenes. 


Nachruf. 52 

Deutscher Medizinalbeamten • Verein. 51. 332, 439, 600, 640 

Prenssiscber Medizinalbeamten -Verein. 51, 332, 439, 599, 640 

Sprechsaal. 228, 748 

Berichtigungen . . . 51, 84, 638 


1 f**» l i 

































Sach ^Register. 


Abdeekereiweaen and seine Regelung 
403 » 

Abgeordnetenhaus, preußisches, ans 
demselben 116, 204, 226, 269, 289, 
370. 

Abort, krimineller, and Kindsmord 464. 

Absonderungsverfahren 649. 

Abwlsser, Reinigung 293, 867, 496, 
biologisches Verfahren 493, 496,747, 
(in Dresden), 867 (in Christiania), 
ehemische Untersuchung 691. 

Aentekammer, thüringische, Bildung 
einer solchen 262; bayerische, deren 
Sitzungsberichte 260; in Lübeck 260; 
Beitrüge in Aerztekammern 779. 

Aerzteordnung in Hamborg 81, in 
Sachsen 80, 891; in Baden 604,892. 

Aentetag, deutscher, in Köln 82, 604, 
714; ausserordentlicher za Berlin 
226, 269, für 1904 in Rostock 892. 

Aersterereinsband, deutscher, Ge- 
schüftsaasschasa desselben 82. 

Aetiologie der Psychopathie 798. 

Aethylaikohol, Untersuchung Uber 
dessen bakterizide Wirkung 364. 

Agglutination des Bakterien, ein phy- 
aUcal-chemisches Ph&nomen 846. 

Akademie, in Posen 714, für praktische 
Medizin in Frankfurt a. M. 60, in 
Düsseldorf 683. 

Alkoholismus, IX. internationaler Kon* 
gross gegen denselben 269, 872, 
dessen Bekümpfung 294. 

Amanita phalloides 412, 426. 

Amblyopien, Intoxikations-, von sati- 
titspolizeilichem Standpunkte 866. 

Amtsarzt, stkdtischer, in München 226. 

Anatomie des Menschen, Handbuch 
derselben 686. 

Anatomische Sonderheiten des kind* 
liehen QehOrorgans 662. 

Ankündigung, Öffentliche, von Heil¬ 


methoden, Heilmittel usw., Verbot 
derselben in Bremen 88, in Baden 84. 

Ankylostomiasis im rheinisch - west* 
filiscben Kohlenrevier, Ursache und 
Bekümpfung 297, 810; über deren 
Gefahr in Kohlengruben 888. 

Antistreptokokkenserum bei Scharlach 
860. 

Anzeigepflicht bei Tuberkulose 890,631. 

Aorteninsuffizienz, Kenntnis der nach 
Trauma entstandenen 878. 

Aphakie nach Altersstar, Bedeutung 
für die Erwerbsf&higkeit 878. 

Aphasie, akute transitorische 741. 

Apotheken, Neuerrichtung und Betrieb 
derselben, Gesetz darüber in Elsass- 
Lotbringen 226, Konzeesionswesen 
292, Reform desselben 684. 

Apothekerverein, deutscher, Versamm¬ 
lung in München 260, 689. 

Approbation, zeitweise Entziehung, 
Grundsätze dafür 861. 

Arbeiterkrankheiten 271. 

Arbeiter woblfahrtseinriohtungen, XII. 
Konferenz der Zentralstelle dafür 
404, Handbuch derselben 684. 

Arbeitersanatorium 667. 

Arsen, Untersuchung der Erdfarben 
darauf 747, in Geweben des tierischen 
Haushaltes 872. 

Arsengehalt der Tiere 666. 

Arsenikmord 872. 

Arzneigef&sse, deren Beschaffenheit 
292. 

Arzneimittel, deren Prüfung und Wert¬ 
bestimmung 224, Verkehr damit 
ausserhalb der Apotheken 248, 404, 

Arsneitaxe für 1908, preuasische 
88, einheitliche für das Deutsche 
Reich 260. 

Arzt, dessen Anhörung in den Rechts 
mittelinstanzen der Unfailvenich 



xxvrn 


Sach - Register. 


rang 674; als Sachverständiger vor 
Gericht 27; Arat and Heilkunst in 
der deutschen Vergangenheit 527; 
Zasiehnng des Arstes durch Heb¬ 
ammen 566, 697. 

Aspirin, dessen Nebenwirkung 873. 

Atlas, gerichtsärztlicher, stereosko¬ 
pischer 223, der allgemeinen Dia¬ 
gnostik 496. 

Augeneiterung der Neugeborenen, 
Schntzmassregeln dagegen 897. 

Angenheilmittel, neuere 403. 

Ausführungsgesetz, prenssisches, sum 
Reicbssencheogesetz 204, 269, 826. 

Ausstellung, Hamburger, allgemeine, 
fdr^hygienische Milchversorgung 207, 

Auszeichnung 688. 

Azetonvergiftung, nach Anlegung eines 
Zelluloid-Mullverbandes 872. 

Bad, als Infektionsquelle 42. 

Bakterien 224, deren Virulenz 66. 

Bakteriologie 568. 

Bakteriologische Untersuchungsftmter 
in Bayern 49. 

Bauchdeckontumor, entzündlicher 279. 

Bauordnung im Dienste der Öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege 888. 

Bazillen des Smegma 281. 

Beachtungswahn und Eigenbeziehung 
848. 

Begräbniswesen 249. 

Begutachtung, psychiatrische in Zivil¬ 
sachen, lediglich auf Grund der 
Akten 805. 

Bergbau, erste Hülfe bei Unfällen in 
demselben, 46. 

Beschftftignngsneurose der Tele¬ 
graphistinnen 742. 

Betriebsunfall und tütliche Verletzung 
672, und organische Erkrankung des 
Kleinhirns 84, und Magenkrebs 68, 
und Hysterie 355, 466, nnd Leisten¬ 
bruch 352, und Tod, ursächlicher Zu¬ 
sammenhang 879. 

Biologische Beurteilung des Wassers 
nach seiner Flora nnd Fauna 494. 

Biologisches Verfahren, insbesondere 
die bei der Herstellung desselben za 
beobachtenden Gesichtspunkte 496; 
siehe auch Abwässer. 

Blausäure, ein Verbrennungsprodukt 
des Zelluloids 664. 

Blei im Organismus 560. 

Bleivergiftung, eine neue Art der¬ 
selben 837, interessanter Fall von 
862. 

Blindheit, deren Entstehung und Ver¬ 
hütung 397. 

Blutdifferenzen, individuelle, deren 
Verwertbarkeit für die forensische 
Praxis 85. 


Blutgase, deren Analyse 457. 

Blutparasiten der Kolonisten und ihrer 
Haustiere in tropischen Gegenden 
869. 

Blntserumtherapie bei der Dysenterie 
626. 

Blaton tersuchnng, gerichteärztliche, 
vermittelst der biologischen Methode, 
praktische Anleitung dazu 185, 229. 

Borolin 253. 

Borsäure und Borax, als Fleischkon¬ 
servierungsmittel 44, deren Miss¬ 
brauch 253, 254, 255. 

Braunsohweig, Herzogtum, Verein der 
Medisinalbeamten daselbst 683. 

Gancroln, Erfolge desselben beim 
Krebs 862. 

Cerebrospinalmenigitis oder Vergiftung 
790. 

Chinin, Verwendung zum Nachweis 
von Blutkörperchen 665. 

Cholera, deren Bekämpfung 248, Nach¬ 
richten darüber 84. 

Choleravibrionen, über das Wesen der 
Bakterienvirulenz 66. 

Chromsäure, lokale Wirkung derselben, 
akute Vergiftung 559, Septumper¬ 
foration bei Arbeitern infolge der¬ 
selben 685. 

Chloroform, Selbstmord durch 460. 

Chloroformnarkose, Tod in dieser 417. 

Colibazillen, deren Differenzierung von 
Rnhrbazillen 88. 

Conjunctivitis, Schulepidemie 429. 

Coroner, dessen Abschaffung 526. 

Dämmerzustände, hysterische 465. 

Dammnaht, deren Unterlassung, Be¬ 
strafung eines Arztes deshalb 277. 

Darmbakterien, deren Bedeutung für 
die Ernährung 856. 

Dauerwurstsalz und Danerwurstge- 
würz 258. 

Decken, wollene, typbusverdächtige 470. 

Dementia praecox 564, 668. 

Demographie, internationaler Kongress 
dafür 371. 

Desinfektion, in ländlichen Kreisen 
15, 649, deren Regelung 841, kom¬ 
binierte Mittel derselben 864, der 
Hebammen 618, durch ältere und 
neuero Quecksilber- und Phenol¬ 
präparate 866, und Inhalation, ein 
neuer Apparat dafür 846. 

Desinfektoren, deren Tätigkeit bei der 
Bekämpfung ansteckender Krank¬ 
heiten in Landkreisen 6,878,441,689. 

Detenierung nicht entmündigter Gei¬ 
steskranker in Irrenanstalten 669. 

Diätvorschriften für Gesunde und 
Krtuike jeder Art 778. 




Sach • Register. 


XXIX 


Diagnostik, allgemeine, Atlas and 
Grundriss dafür 436. 

Diplomerteilung 332. 
Diphtherieepidemie im Hospitale 41, 
durch OenosseDschaftsmolkereien 72, 
deren Mortalität in Halle a. S. 
(offiz. Preuse. Bericht) 70. 
Dijpensairea antitnbercnlenx in Berlin 
892. 

Dispensierrecht homöopathischer Aerzte 
in Hessen 51. 

Drogenhandlangen, deren Beaufsichti¬ 
gung 830. 

Dysenterieepidemie in Südateiermark, 
bakteriologischer Befand dabei 38. 

Ehrengericht, amtliches, in Lübeck 
260, in Preassen 291, Gesetz darüber 
'in Preassen 369, 370, 504. 
Eigenbeziehung, krankhafte, and Be- 
aohtungsw&hn 348. 

Biweisskörper, deren Arteigenheit 678. 
Elektrisches Bad, Tod darin 666. 
Eutwieklangsjahre and Gesetzgebung 

349. 

Epilepsie, genuine, die chirurgischen 
Erscheinungen dabei 350, deren fo¬ 
rensische Beurteilung (offiz. Prenss. 
Bericht) 53, and Hysterie vom Stand¬ 
punkt der Invalidenversicherung 879. 
Epileptische, deren Anstaltsbehand- 
lnng, besondere Einrichtungen dafür 
876. 

Ernährung im Felde 251. 
Erstickungstod, gewaltsamer, durch 
abnorme Temperatur 463, Blutdichte 
als Zeichen dafür 345. 
Brwerbsfähigkeit im Sinne des Kran- 
kenversicherungsgesetzes 66, keine 
Hinderung derselben durch Verlust 
des Endgliedes des Zeigefingers 468, 
Berücksichtigung des bisherigen Be¬ 
rufs des Verletzten bei ihrer Beur¬ 
teilung 673. 

Erwerbsverminderung, Grad derselben 
354, 315, 673, 880. 

Exantheme, postvaccinale 427. 
Exhibitionisten vor dem Strafrichter 
565. 

Familienpflege der Geisteskranken 

350. 

Fasern, elastische, in der fötalen Lunge 
und in der Lunge der Neugeborenen 
666 . 

Faulb&ssins bilogischer Anlagen 496. 
Fett, Glykogen, und Zellentätigkeit 
der Leber der Neugeborenen 738. 
Fischer, Fall 29. 

Fisehvergiftnng 760. 

Fleisch, die Wirkung des Einlegens 
desselben in verschiedene Salze 252. 
Fleiseheinfohr 890, 


Fleischscbangesets 567, Ausführungs¬ 
bestimmungen dasn 403. 

Fleischvergiftung und Typhus 102; 
amtsärztliche Beurteilung 886. 

Flüssigkeiten, die Dauer des Aufent¬ 
halts derselben im Magen 561. 

Flussverunreinignug,Gutachten darüber 

Foetus, postmortale Ausstossung 813. 

Formaldehydgate zu Desinfekt ions¬ 
zwecken 364. 

Fortbildungskurse für Medizinalbeamte 
in Berlin 21. 

Fortbildungswesen, ärztliches, Zentral¬ 
komitee dafür 296. 

Fortpflanzungsfähigkeit, Schwanger¬ 
schaft nnd Gebnrt 464. 

Freisprach oder Sonderhaft SO. 

Fremdkörper des Uterus 278, 279. 

Fütternngstuberkulose 628. 

Fussbodenöle in der Schule 485. 


Gansersches Symptom in forensischer 
Beziehung 568. 

Gase im Blote, deren Verschwinden 733 

Gebärmutter-Verletzung 666, Kontrak ■ 
tionen der schwangeren 276, Fremd¬ 
körper 278, 279. 

Gebühren der Medizinalbeamten, Ge¬ 
setzentwurf 184, 204. 

Geburt, Verblutung dabei 276. 

Geburtshülfe, Grundriss derselben 178, 
Lehrbuch 889. 

Geheimmittel, ausserhalb der Apo¬ 
theken 248, 507. 

Gehörorgan, Verletzung durch Unfall, 
Erwerbsbeeinträchtignng dadurch 62. 

Geisteskranke, Fürsorge für dieselben 
in and ausserhalb der Irrenanstalten 
250, Familienpflege 350, über Straf¬ 
vollzug an denselben 871; Detenie- 
rung nicht entmündigter in Irren¬ 
anstalten 669. 

Geisteskrankheit vom juristischen 
Standpunkte 526, in zivilrechtlicher 
Hinsicht 465, Diagnostik derselben 
47, akate, der Gewohnheitstrinker 78, 
die Anwendung der Isolierung dabei 
371, Geisteskrankheit nnd Sektierer¬ 
tum 32. 

Gemeindeörtliche Einrichtungen auf 
dem Gebiete der Gesundheitspflege 
845. 

Genesungsheime, deren Errichtung 71. 

Genossenschaftsmolkerei, als Ursache 
von Diphtheriepidemien 72. 

Gerichtliche Medizin, auf der Natnr- 
forscherversammlnng 568, Grundriss 
derselben 847, die Photographie im 
Dienste derselben (offiz. Deutscher 
Bericht) 189. 

Gerichtliche Psychiatrie 773. 




XXX 


S&ch-Register. 


Gerichtsärstliches Leichenflffnungaver- 
fähren, deutsches 687, 669, 601, 666, 
799 . 

Gerichtsärztlicher stereoskopischer At¬ 
las 998. 

Geschlechtsdrüsen, männliche, nnd 
Skelettentwicklung 668. 

Geschirre, s. Glasuren. 

Gescfalechtskrankeiten, und Recbts- 
schutz 630, deren Bekämpfung 714; 
deutsche Gesellschaft cur Bekäm¬ 
pfung derselben, I. Kongress dafür 
190, 960, 390. 

Geschlechtsteile, äussere, Verletsung 
bei einem 7 jährigen Mädchen 1. 

Geschlechtstrieb und Schamgefühl 698. 

Gesetzgebung und Entwickelungajahre 
849. 

Gestorbene, ohne ärztliche Behandlung, 
Zahl derselben in Bayern und Baden 
748. 

Gesundheit, geistige, deren Grenze 666. 

Gesundheitsamt, Kaiserliches, Haus¬ 
haltungsetat desselben 1903 76. 

Gesundheitsaufseher und Desinfektoren, 
deren Tätigkeit bei ansteckenden 
Krankheiten in den Landkreisen 878, 
441. 

Gesundheitspflege, öffentliche, Deut¬ 
scher Verein für dieselbe 190, 184, 
764, 797, 883, in England, Fort¬ 
schritte auf dem Gebiete derselben 
in den letzten 96 Jahren 499. 

Gesundheitszustand in zivil- und straf¬ 
rechtlicher Beziehung 403. 

Gewässer, deren Reinhaltung 600. 

Gewerbehygiene, die Mitwirkung der 
Medizinal beamten 197. 

Gewerbekrankheiten 971. 

Gewohnheitstrinker, deren akute Gei¬ 
steskrankheiten 78. 

Gifte, Elemente der forensischen und 
chemischen Ausmittelung dafür 987, 
metallische, Lokalisation und Eli¬ 
mination derselben bei gewerblichen 
Vergiftungen 660, Handel damit, 
ausserhalb der Apotheken 948; me¬ 
tallische bei gewerblichen Vergif¬ 
tungen 660. 

Glasur irdener Geschirre vom Stand¬ 
punkte der Hygiene 686. 

Gonokokkenpneumonie 861. 

Granulöse, deren Bekämpfung 994, Am¬ 
bulatorien 809. 

Guajakpräparate 680. 


Haftpflieht des Arztes bei fahrlässiger 
Ausstellung eines Zeugnisses 740. 
Haltekinder, deren Ueberwachung 494. 
Handatlas, Lehmanns medizinische 486. 
Hauptversammlnng des preussisohen 
Medizinal beamten vereine in Halle 
Y 


a. 8. 718, des deutschen in Leipzig 
718 und Berichte. 

Hausepidemie, typhusähnliche, durch 
atypischen Colibaciilus veranlasste 
881. 

Haueschwamm und andere das Bauholz 
zerstörende Pilse 846. 

Hautkrankheiten, Lehrbuch derselben 
76. 

Hebammen, deren Verhalten bei Wo¬ 
chenbettfieber 961, Versicherungs- 
kasse für diese 667, Kalender, deut¬ 
scher für diese 1903 49. 

Hebammenlehrbuch, Ergänzungsblatt 
336, 348, ein neues, Verbesserungs- 
Vorschläge dafür 694, Vorschrift be¬ 
treffs Zuziehung des Arztes 666,687. 

Hebammenlehrer, deutsche, deren Ver¬ 
einigung 960. 

Hebammenwesen, dessen Reform 999, 
676. 

Heilgehülfen und Masseure, Lehrbuch 
für diese 686. 

Heilkunst und Arzt in der Vergangen¬ 
heit 697. 


Heilmittel, erforderliche, die Pflicht zur 
Gewährung solcher zur Sicherung des 
Heilverfahrens usw. schlisset auch 
die Pflicht zur Instandhaltung und 
Erneuerung in sich 881. 

Heilverfahren, dessen Uebernahme 
durch die Landes Versicherungsan¬ 
stalten 66, strafbare Anpreisung 879. 

Heimkehrfälle 678. 

Heisswasseralkoholdesinfektion 366. 

Hermaphroditismus verus 668. 

Herpes tonsurans, Epidemie 686, Bei¬ 
trag zum epidemischen Auftreten 
866 . 


Herzerweiterung, primäre, Entstehung 
derselben durch Muskelanst% m gung 

670. 


Herzfehler, angeborener, Sektionser- 
gebnis dabei 669. 

Herzschlag, J od dadurch 868. 

Herzvergrösseruog infolge von Ver¬ 
schüttung 864. 

Heufieber, dessen Heilung 788. 

Hirntumoren, psychische 8törung bei 
denselben 48. 

Histologisch- pathologischer Atlas 436. 

Homöopathen, deren Selbstdispensier¬ 
recht in Hessen 896. 

Homöopathischer Lehrstuhl, Errichtung 
desselben 636. 

Homosexualität, Probleme auf dem Ge¬ 
biete derselben 466. 

Honoraransprüche der Spezialärzte 690. 

Hilflosenrente, deren Gewähiung 866. 

Hygiene, Grundriss derselben 47, 683, 
X. internationaler Kongrea dafür 871, 
der Schulbank 483, der Obren 608, 
von Dorf und Stadt 688, Taschen- 



Sach-Register. 


XXXI 


buch dafür 588, Abt. für Hygiene 
auf der Naturforscher Versammlung 
568, 844, 870. 

Hypnose, vor Gericht 847. 

Hysterie and Unfall 354, traumatische 
466. 

Jahresbericht des Hilfsvereins für 
Geisteskranke im Königreich Sach¬ 
ten 670, der Kreisärzte (offiz. preues. 
Bericht) 74, XXX. des Königl. Lan- 
desmedizinalkollegiums in Sachsen 
1901 777. 

Idiotie, familiere amaurotische, Ka¬ 
suistik 742. 

Impfstoffe and Sera 682. 
Infektionskrankheiten, ein Beitrag zur 
äuzeigepflieht 314, Grundriss der 
aetiologischen Prophylaxe und The¬ 
rapie derselben 682; s. auch Krank¬ 
heiten. 

Iafluensabaaillen, deren Widerstand 
gegen physikalische und chemische 
Mittel 280. 

Inhalationsmilzbrand durch Verarbeiten 
ausländischer Drogen 68. 
Inhalatorien, kann in solchen bei rich¬ 
tigem Betriebe eine grössere Menge 
der zerstäubten Flüssigkeiten in die 
Lunge gelangen 71. 

Inspirationsluft, über die Bedingungen 
des Eindringens der Bakterien der¬ 
selben in die Lunge 69. 

Institut, hygienisches in Posen, Neu¬ 
bau desselben 293, Behring 279. 
Internationale Sanitätskonferenz in 
Paris 748, 848, 892. 

Intoxikationen, Lehrbuch dafür 327, 
Psychosen bei Jodoforminjektion in 
die Blase 347. 

Jod- und Jodsalze, deren Wirkung auf 
die Lungen 560. 

Irresein, indoziertes 852. 

Irrenärzte, deutscher Verein derselben 
371. 

Irrengesetz, neues 683. 

Irren wesen, reichsgesetzliche Regelung 
desselben (offiz. deutscher Bericht) 8, 
belgisches 876. 

Isolierung, bei Geisteskranken 371. 

Kalender für Medizinal beamte 46. 
Kalibichromatvergiftung 559. 
Karboigangrän durch Karbol waBser- 
umsclag 124. 

Karbolsäure, sog. rohe, ihre Verwen¬ 
dung zur Desinfektion von Eisen¬ 
bahnviehtransportwagen 888. 
Karbolwasser, der Verkehr desselben 
ausserhalb der Apotheken 819, 336. 
Kastrationseinwirkung auf das Skelett 
578. 

Kehlkopffraktur, geheilte 804. 


Keuchhusten, zur Prophylaxe desselben 
72. 

Kinderschutzgesetzgebung und Arzt 
898. 

Kindersterblichkeit im Bezirk Liegnitz 
24. 

Kindesmord 816. 

Klärschlammanlage der Stadt Kassel 
867. 

Klauenseuche, s. Maulseuche. 

Kleinhirn, organische Erkrankungen 
desselben und Betriebsunfall 34. 

Knochen, balbverbrannte, Identifizie¬ 
rung derselben 845. 

Koch, Robert, Ehrung desselben 780, 
890. 

Kochen der Speisen, dessen Bedeutung 
für die Verdauung 252. 

Kohlenoxydbildung durch Kohlenteil- 
ohen an eisernen Oefen 334. 

Kohlenoxydvergiftung, in einer Schule 
42, 456, 457, 788, (offiz. deutscher 
Bericht) 182. 

Kongress, medizinischer, XIV. inter¬ 
nationaler in Madrid 227, 404, 487, 
internationaler für Volksbygiene in 
Brüssel 683, für Schulhygiene 598, 
684, baineologischer 892, für innere 
Medizin 892, deutscher Wohnungs- 
kongress 892. 

Koronargefäese, Embolie derselben 738. 

Krankenhausaufenthalt, Dauer dersel¬ 
ben bei infektiös Erkrankten 678. 

Krankenkassengesetznovelle 370, 403. 

Krankenkassen, deutsche, Kongress 
derselben 296. 

Krankenpflege, ländliche 520. 

Krankenpflegewesen, dessen Förderung 
292. 

Krankenversicherungsgesets, Novelle 
zu demselben 120, 256, 259. 

Ktankheiten, ansteckende, deren Ver¬ 
breitung durch die Post 58, Ver¬ 
hütung derselben in den Schulen 
(offiz. deutscher Bericht) 98, gemein¬ 
gefährliche und Bonst übertragbare, 
deren Verhütung und Bekämpfung 
103, 246, 826, deren Bekämpfung 
in Landkreisen 805, 874; s. auch 
Infektionskrankheiten. 

Krankheitsverhütung und die Kunst, 
glücklich zu leben 398. 

Krankheits- und Sterblichkeitsstatistik 
des Kaiserlichen Gesundheitsamtes 77. 

Krebs, dessen Verbreitung 362, 591, 
Erfolge des üancroin bei demselben 
362, dessen Auftreten im Dorfe 
Ploetzkau 242. 

Krebsforschung, Laboratorien dafür470, 
Zeitschrift dafür 567, 

Kreisarzt, dessen Zuziehung als Sach¬ 
verständiger in Entmündigungs¬ 
sachen 225, einfache physikalische 



XXXII 


Sach-Register. 


mikroskopische and bakteriologische I 
Untersuchungen desselben 248, die 
Stellung und amtliche Tätigkeit des¬ 
selben 289, Teilnahme an Lehrer¬ 
konferenzen 891. 

Kreisarztgesetz, dessen Wirkung auf 
das ärztliche Vereinsleben 128. 

Kreisphyaikatsakten, über deren Ord¬ 
nung nnd Vervollständigung 844. 

Kreistierärzte, Reform ihrer Stellang 
716, 891. 

Kresolseifenflaschen für Hebammen 61. 

Kriminalanthropologie and Zarech- 
nangsfähigkeit 681. 

Kriminalistische Vereinigung, inter¬ 
nationale Versammlung derselben 471. 

Kryoskopie bei Erkranknngen 665. 

Kunstfehler, ärztliche 812. 

Knpfersalzvergiftnng 275. 

Kupfervergiftung 803. 

Knrhospitäler seitens der Eisenbahn- 
Verwaltung 370. 

Karpfascher, falsche Behandlung durch 
diese 53. 

Kurpfuscherei 225, 226, 292, 314, 371, 
372, 437, 438, 568, 688, 714. 

Laboratorium, hygienisch - bakterio¬ 
logisches 688. 

Lakmusfarbstofl 89. 

Landesaassohuss, ärztlicher in Baden 
84. 

Landesmedisinalkollegium im König¬ 
reich Sachsen 80, 872. 

Landes - Versicherungsanstalt Schles¬ 

wig-Holstein, Bericht über deren 
Verwaltung für das Jahr 1900 888. 

Landtag, preussischer, aus demselben 
225, 403. 

Leber der Neugeborenen, Zellentätig¬ 
keit derselben usw. 838. 

Lehrbuch, für Heilgehülfen nnd Mas¬ 
seure 635, der Psychiatrie 801; für 
Geburtshülfe 889. 

Leichenflüssigkeiten, deren Gefrier- 
pnnktsbestimmungen 346. 

Leiohenöffnangsverfahren,gerichtaärzt- 
liohes 537, 569, 60 t, 655, 691, 722. 

Leiohenpass 748. 

Leichenschau, obligatorische 295. 

Leiehenzerstücklung und Verbrennung 
125. 

Leistenbrach und Unfall 352. 

Leitfaden für die chemische Unter¬ 
suchung von Abwässern 681, der 
Geburtshilfe 810, für geburtshilfliche 
gynäkologische Untersuchungen 811. 

Lichttherapie, deren Erfolge 801. 

Licht, dessen physiologische Wirkung 
801. 

Lnfteintiitt in die Venen, der Mecha¬ 
nismus des Todes Infolge eines solchen 
788. 


Luftstaub, Messung und Abwehr des¬ 
selben 846. 

Luogen, fötale und solche Neugeborener 

666 . 

Lungeninfektion infolge von Verschüt¬ 
tung 855. 

Lungenentzündung infolge von Er¬ 
kältung 672. 

Laugenfäulnis und Schwimmprobe 874. 

Lungenheilstätten, deutsches Zentral¬ 
komitee dafür 438. 

Lungentuberkulose, Heilung derselben 
844. 

Lysoform, dessen keimtötende Wirkung 

866 . 

Lysolvergiftung 558, 735. 

Lyssavirus, dessen Verhalten im 
Zentralnervensystem empfänglicher, 
immuner und immunisierter Tiere 
357. 

Magenkrebs und Unfall 63. 

Malaria, deren Bekämpfang 393. 

Manganvergiftung und Braunateinmüh- 
len 614, 624. 

Manie 668. 

Massenerkrankungen nach Genuss von 
Pferdefleisch 473. 

Masaenvergiftung durch Pilze 426. 

Mastdarm, Fremdkörper darin 279. 

Mäusetyphusbacillus Löffler, dessen 
Identität mit Paratyphusbazillen 845. 

Maul- und Klauenseuche, Untersuchun¬ 
gen darüber 294. 

Medien, spiritistische, zur forensisch- 
psychiatrischen Beurteilung 876. 

Medizin, gerichtliche, Errichtung eines 
Lehrstuhles dafür in Bonn 259, Or¬ 
ganisation derselben in Deutschland 
490. 

Medizinalabteilnng, deren Abtrennung 
vom Kultusministerium 289. 

Medizinalbeamten, Versammlung der¬ 
selben im £ez. Liegnitz 21, 826, 
Marienwerder 98, Gumbinnen 245, 
805, Merseburg 323, 556, Coblenz 
338, Magdeburg 385, 622, Minden 
443, Düsseldorf 451, Württemberg 
455, Osnabrück 520, Schiewig-Hol¬ 
stein 524, Stade 593, deren Gebühren 
370, 403, Unterstützung der auf 
Wartegeld gestellten 290, deutscher, 
Verein derselben 51 und Bericht über 
Versammlung, mecklemburgischer 
344, preussischer 51 und Bericht 
über Versammlung. 

Medizinalgesets, braunschweigisches 
226. 

Medizinal wesen, das preussische im 
Staatshaushaitsetat 1903 111. 

Medizinische Fakultät, deren Errich- 

I tung in Münster 259. 

1 Medico - legal society ln New-York 526. 



Saab* Register. 


XXX UI 


Melancholie 664. 

Meniugokokkensepticäime 361. 

Metallische Gifte bei gewerblichen 
Vergiftungen &60. 

Milch, Verkehr damit, dessen gesund* 
heitliche Ueberwachnng 797, die 
Verbreitung den Typhus durch die¬ 
selbe 107, tlber deren bakterielles 
Vathalten bei Bürareuaal» 262. 

MÜehbygieue 332. 

Miichhouiruite in kleinen Städten 90. 

Miiclsseisretiön, Steiger flog bei stillen- 
den Muttern 346 

Huecroreorgoug, hygienische, Ausstel¬ 
lung dafür tu Ham barg 227, 703. 

Milzbrand, SchuUimpfucg dagegen 68, 
ütbenragoag durch lahalatiOD beim 
Vwar beite» ausländischer Drogen 68. 

Mittelohx, s. Öhr. 

Melkern, EHphtheiieepidemie in deren 
Bereich 72, als Typhusrerhreitcr JOS. 

Msrd an Therese Pu. c her 29. 

Morphin iejV ergiftung im frühesten Ein- 
deealter 27, 

Mflübceeitigungsfrage 497. 

Munster, Universität daselbst, Errioh- 
tung einer medizinischen Fakultät 299. 

Nachwelt individueller Blutdifleren- 
tea 739. . 

Xagelgtied des linken Mittelfingers, 
keine Erwerbsfäbigkcitsverminde- 
rang 67«, 

KabrungsmUtelkcmtrolle, Notwendig¬ 
keit einer strengen Handhabung der¬ 
selben 418. 

Natrium. Bcbwefligsaures, Zusatz tu 
gehacktem Pieisch 679. 

Naturforscher- and Aeratevereammlutig 
in &uml 296, 471, &68, 7.14, 769, 
801, 844, 867. 

Naturvdsseoscbaften, deren Einfluss 
auf die "Weltanschauung 769. 

Neugeborene, deren Lungen 665, ZelJ- 
tltigkeit der Leber Neugeborener 
739, NebeuniereBblntungeu bei den¬ 
selben $74. 


m 






Otitis media, s. Ohr. 

Ozon, Reinigung dne Trinkwassers da¬ 
mit 800, 

Paranoia chronica quernlatoria 32. 

Paratyphus, Endemie 109, 110. 

Pensionäre, freiwillige 669. 

Pest, deren Ausbreitung in Indien 472, 
in Odessa 744, in Berlin 479, ö(n' 
745. 

Pestbaaüleo, deren Widerstandsfähig¬ 
keit gegen die Winterkälte in Tokio 
857, deren Lebensdauer in K ad&T&rn 
und Kote der Pestmren 742, in den 
Flöhen 280, deren Agglutination 67. 

Pestnacbricliten 84 

Peetaernm 746, 

Pferdefleisch, Hafisenerkrankungeu da¬ 
durch 473. 8 

Phosphor, dessen Ueber tritt und Wir¬ 
kung auf menachücnu und tierische 
Früchte 664. 

PbospborstUidwaren, Gewetz darüber 
370, 408. 

Physiologie, der Gefühle u. Affekt« 769. 

Pilze, Maasen Vergiftung en 426. 

Plasmodium vivas, der Erreger das 
Tertianfiebers heim Menschen 393. 

Plattfuß« 467. 

Pocken, TqdesfaUst&YiAtik im Deutschen 
Reich 1908, Erkrankungen 1900 S76, 
Nothospitäler dafür» Vernrtetittug 
einer iiiatrjksbehörde wegen Fkhr- 
iässigfeelt bet Erfiehmug und 
trieb desselben 677, Epidemie 525, 
in Strassburg 675, Zwangswiedeji« - 
pfuRgCH bei solchen Epidemien 97, 
Untersuchungen über den Erreger der 
426. 


■K 


Obergutacfatan, ärztliche, Saatmlurig 
derselben 772. 

Ouermadiftinaiausachuai in Bayern 49. 
Obstfrttehte amerikanische, geschwe- 
Idle 372. 

IMlpll in >> r ; entlieh inedizini- 
r.is?htfr 460; Ifittelobr- 

Ketsftudung 608, 661; 


fMi 


bei Kindern 48. 
interna, beiderseitige 
jfeiiaet«» 3eoal. cor du. 643. ! 
ru #, 3R6, 804 foffl*. ‘ 


ÖaAiai;'- Mw4efet'»': H 


Posen, Eröffnung der Akademie da- 
selbst 779, 

Post, als Vermittlerin der Wcitervcr- 
breituag Ton ansteckenden Krank¬ 
heiten 63, 337. 

PräTentiTlmpfang bei Diphtherie 817. 

Präzipitine, neue, bisher latent geblie¬ 
bene 845. 

Präzis, ärstiiebe, deren Verkauf 227, 
amtsärztliche, Besprechungen dar¬ 
über 4&2. 

Protistution, daran gesundheitliche Ge¬ 
fahren und Bekämpfung 895. 

Protozoen, krankheitserregende, Stu¬ 
dien darüber 398. 

Prüfung, »taateärztli&be in England 46. 

Prüfungsordnung, medizinische, Ein¬ 
führung des praktischen Jahres 291. 

Psychiatrie 712, Leitfaden derselben 
74 v gerichtliche 773, Lehrbuch der- 
seihen 772; Sammlung gerichtlicher 
Entscheidungen 889. 

Psychische Störungen und Schädel- 










XXXIV 


Sach-Register. 


Psychopathie, deren Aetiologie 702. 

Psychopathischer Aberglaube 81. 

Psychosen, der Landstreicher 347, nntar 
dem Bilde der reinen primirea 
Inkohärens 741, ahnte, experimen¬ 
telle Stadien zur Pathogenese der¬ 
selben 874. 

Pnstula maligna, Uber deren Eatete- 
hnngsnrsaehe 886. 

Recnrrenn, febris 104. 

Beform des Apothekenwesens 715, der 
8tellong der Kreistierärste 716,892. 

Reichsarsneitaxe 848. 

Reichshanshaltsetat 1903, ans dem¬ 
selben 117. 

Reiohsseuehengesets, die Ausfübrungs- 
bestimmnngen für dasselbe 295, 370, 
403, 747. 

Reichstag, ans demselben 224, 266, 
288, 370, 403, 891. 

Reinigongseffekte in den Filtern beim 
biologischen Abwlsserreinignngsrer- 
fahren 495. 

Reinigungsverfahren städtischer Ab¬ 
wässer 557; s. anch Abwässer. 

Reisekosten der Staatsbeamten, Neu¬ 
regelung im Deutschen Reieh und 
Preussen b91. 

Rentenempfänger, Veränderung der 
Verhältnisse im Falle einer Aende- 
rung des geistigen oder körperlichen 
Zustandes 880. 

Rhenmatismus, akuter 280. 

Ringfinger, linker, Verlust desselben, 
Rentenentziehung wegen Angewöh¬ 
nung 64. 

Robnrit, Vergiftung dadurch 67. 

Röntgenstrahlen in gerichtlich - medi¬ 
zinischer Beziehung 789. 

Rückgratverkrümmung in der Schule 

432. 

Rllckenmarksverletzungen, deren Be¬ 
ziehung zu den ohroniacben Rücken- 
markskrankheiten 781, 782. 

Ruhr, deren Erforschung und Be¬ 
kämpfung 10, 294, 497, in Ost- 
preassen, eine Amöbendysenterie 41, 
Merkblatt dafür 226. 

Ruhrbazillen, Shiga-Krusesche, über 
deren Widerstandsfähigkeit gegen 
Winterfrost 88, Beitrag zu deren 
Differenzierung von Coli- und Typhus- 
basillen 88, 89. 

Ruhrheilserum 688. 

Sachvorständigont&tlgkeit des Oe- 
riohtsarztes 463, des Kreisarztes vor 
dem Amtsgericht 623. 

Sadismus und Masochismus 528. 

Säuglingspflege, Leitfaden dafür 287. 

Säuglingsernährung und Sterblichkeit 
631, Massregeln Öffentlich-hygie¬ 


nischer Art znm Zweck ihrer Herab¬ 
setzung 886. 

Salmiakvergiftang 458. 

Samaritertag, 6. deutscher 504. 

Sammelmolkereien als Typhusverbr eitcr 
106. 

Sanitätakonfereaz, internationale in 
Paris 748, 848, 892. 

Saaitätswesen des preussiaehen Staates 

775. 

Schamgefühl und Geschlechtstrieb 528. 

Scharlach, Antistreptokokkeasenua360; 
Epidemie, böeartige 675. 

Scheidengewölbe, hinteres, tötlicbe 
Verletzung desselben 277. 

Schlachthaus, Öffentliches, Anforderun¬ 
gen vom gesundheitlichen Stand¬ 
punkte 399. 

Sch lach tviehrersichernng 438. T 

Schlüsselbeine, angeborener Mangel 

739. 

Schmutswass «Reinigungsanlage in 
Kassel, über die Verarbeitung' der 
Rückstände in derselben 498. 

Schularztfiage 81, Lösung derselben 
auf dem Lande 431. 

Schulärzte, deren Anstellung 403, Be¬ 
dürfnis danach bei den höheren 
Lehranstalten 431. 

Schulbesichtigungen 99, 388. 

8chule und Bückgratsverkrümmung 

432, Tuberkuloeenbekämpfung darin 

433, deren Beaufsichtigung und das 
neue englische Unterrichtsgesets 432; 
hygienische Ueberwachung der höhe¬ 
ren Schulen 891. 

Schulepidemien 429. 

Schulgesundheitspflege, Deutscher Ver¬ 
ein für dieselbe 439. 

Schulhygiene, internationaler Kongress 
für dieselbe 598, 684, Handbuch 
dafür 534, 774. 

Schulkinder, kranke 687, nervOee und 
minderbegabte 488. 

Schulpflichtiges Alter, über die Not¬ 
wendigkeit, die untere Grenze des¬ 
selben heraufzusetzen 43. 

Schultafelfrage 484. 

Schultinte, deren Schädlichkeit 488. 

Schutzpockenimpfung, amtliche Tätig¬ 
keit des Kreisarztes dabei 806. 

Schwachsinn, die gerichtsärstliche Be¬ 
gutachtung desselben in Strafsachen 4. 

Schwangerschaft, zur Frage der Uterus¬ 
ruptur in frühen Monaten derselben 
276. 

Sohwarzwasserfieber, Prophylaxe und 
Behandlung desselben 869. 

Schwimmschicht, deren Bestandteile 
auf den Abwässern in den Faul¬ 
bassins biologischer Anlagen 496. 

8eelen8t0rungen auf arteriosklerotischer 
Grundlage 349. 



Sach-Register. 


XXXV 


Seifen, bakterizide Wirkung 364. 

Sektierertum und Geistesstörung 42. 

SelbstbeeehidigUBg« hysterische, unter 
dem Bilde der mnltiplen neurotischen 
Hautgangrän 875. 

Selbstmord im kindlichen Lebensalter 
805. 

Septieämie, hämorrhagische, die Diffe- 
rentialdiagnose der verschiedenen 
hierzu gehörigen Mikroorganismen 
280. 

Septum Perforation der Chromarbeiter 
635. 

Seuehengesets, preussisehes 80. 

Sexualleben und Nervenleiden 847. 

Sexualtrieb, perverser, und Sittlich- 
keitsverbrechen 465. 

Shok und Shoktod, insbesondere nach 
Kontusionen des Bauches 785. 

Simulation 566, bei hysterischen und 
Unfallkranken 33. 

Smegmabasillen 281. 

Sommerdiarrhoe, über deren Aetiologie 
885. 

Sonderheft oder Freispruch 30. 

Spitapoplexie. sur Frage derselben 873. 

Sprachsaal 228, 748. 

Sprengapparat für Turn- und Exerzier¬ 
hallen 846. 

Sputum, Beseitigung und Desinfektion 
desselben 192. 

Staatsirztliche Prüfung in England 45. 

Stldteausstellung in Dresden 471,889. 

Standesvertretung der Tierärzte 716. 

Staubschutz für Lymphbehülter bei 
Impfungen 825. 

Strafgesetnbucb, deutsches, zur Revi¬ 
sion desselben 877. 

Sterbeftlle im Deutschen Reich 501. 

Stichverletsung des Rückenmarks in 
gerichtlich-medizinischer Beziehung 
803. 

Storungen, ner»Öse, sexuellen Ursprungs 
847, des Erwachens 740. 

8tramoniumvergiftung 275. 

Streetokokken, sur Einheit derselben 

359, 360. 

Starz von der Hohe mit Scbädelbasis- 
brueh und Lungenmptur 717. 

Sablimatdesinfektion 365. 

Syphilisbaeillus 871. 

Tagegelder, s. Reisekosten. 

Taubstummheit auf Grund ohren- 
Irztlicher Beobachtung 269. 

Technik des Gerichtsarztea 463. 

Telegraphistinnen, Beschäftigungsneu- 
rose bei diesen 742. 

Tertianfieber beim Menschen, dessen 
Krankheitserreger 898. 

Tetanusinfektion bei Gelatineein¬ 
spritsungen 67. 

Tharanie der Nervenkrankheiten. Atlas 


und Grundriss 486, der Erkrankungen 
des Respirations- und Zirkulations¬ 
apparates 369. 

Tbymustod 121, 736. 

Tilsit, Wasserwerk daselbst 809. 

Tod einer Tracheotomierten durch Er¬ 
hängen 873. 

Todesursache und Feststellung des 
Todes 463, bei Neugeborenen 736. 

Tollwut, 7 Monate nach der Schutz¬ 
impfung 359. 

Tollwutklinik in Breslau 488. 

Toxikologie, Kompendium 680. 

Toxine, intrazelluläre 802. 

Traohom 344. 

Traumatiscbo Todesarten 463. 

Trinkwasserbakterien, Uebersicht über 
dieselben 224. 

Trinkwasserreinigung mittels des 
Schumbnrgsehen Verfahrens 252, mit 
Ozon 800. 

Trinkwasserversorgung im Felde 251. 

Trinkwasserverunreinigung, deren bak¬ 
terieller Nachweis anlässlich infek¬ 
tiöser Erkrankungen 867. 

Tropenbygiene 568. 

Trypanosomenforschungen, praktische 
Schlussfolgerungen 870. 

Tuberkelbazillen, AbtOtung in erhitzter 
Milch 631. 

Tuberkelbazillenähnliche Stäbchen 281. 

Tuberkulöse Belastung und Ohren¬ 
krankheiten bei Kindern 48. 

Tuberkulöse und nichttuberkulöse Er¬ 
krankungen der Atmungsorgane in 
Preussen 844; ärztliche Fürsorge¬ 
stelle in Berlin 892. 

Tuberkulose, Anzeigepflicht 390, 631; 
Fütterung?» vor suche bei Rindern u. 
Kälbern 282, Uebertragung vom Men¬ 
schen auf das Rind 284, Verbreitung 
derselben im Hinblick auf Zigarren 
und Stummel 285, als Volkskrank- 
beit 629, internationaler Kongress 
dafür 639, deren Erreger in der 
Salsbutter 281. 

Typhus, Bekämpfung desselben 79,448, 
491, kulturelle Diagnose 106, Patho¬ 
genese 105, Verbreitung durch Milch 
107, nndTleischvergif tun g 109, durch 
Sammelmolkereien 108, Merkblatt 
dafür 226, 536, Epidemien 492, 641, 
in Metz 682, Ratschläge für den 
Arst bei Typhus 448, 638, Verbrei¬ 
tung durch Flusswasser 753, typhus¬ 
ähnliche Erkrankungen 110; zur 
Epidemiologie des Typhus 882. 

Typnusagglutinine, experimentelle Un¬ 
tersuchung über deren Ausschei¬ 
dung 883. 

Typhusbasillen, deren Unterscheidung 
von Ruhrbasillen 38, Feststellung 
im Blnt 104. nach England durch 



XXXVI 


Sach-Register. 


Wolldecken eingesehleppt 489; Uber 
ihre Lebensdener 888. 

Unfall, siehe Betriebsunfall. 
Unfallfolgen, bei chronischen Leiden467. 
Unfallverletsang des Gehörorgans 62. 
Unfallveraicherungsgesetz, für Land¬ 
end Forstwirtschaft 468, Kommentar 
für Aente dasu 528. 
Unterleibsbrüehe 351. 
Unterleibstyphus, siehe Typhus. 
Unterriohtsgesets, neues, englisches 
482. 

Untersuchungen Uber Maul- und Klauen¬ 
seuche 294. 

Untersuohungsämter 714, 748. 
Urethritis gonorrhoica bei Knaben 396. 
Uterus, s. Gebärmutter. 

Vacoination, sur Erforschung der 
Immunität duroh dieselbe 426. 
Ventilationsanlagen 899. 

Verblutung im Anschluss an die Ge¬ 
burt 276. 

Verbrennung, Tod durch dieselbe 455. 
Vereinsleben, ärstl., die Wirkung des 
Kreisarstgesetses auf dasselbe 120. 
Vergiftung, nach Aspirin 734, durch 
Knpfersalse 275, durch Stramonium 
275, mit Knollenblätterschwamm 328, 
412, 464. 

Verkehr mit Arsneimitteln ausserhalb 
der Apotheken 839, mit Geheim¬ 
mitteln 848. 

Verletsung durch Flobert-Schusswaffen 

505. 

Versicherungskasse für Hebammen 557. 
Versuche, ärstüche, an Lebenden 812. 
Versuchsanstalt für Wasserversorgung 

298. 

Vidalsche Blutprobe 514, 518. 
Virohowdenkmal 779. 

Virisektion, Missbrauch 812. 


Volksbäder, deutsche Gesellschaft dafür 

872, 598, 716. 

Volkshygiene, deutscher Verein dafür 

439. 

Volks-Heilstätten, die Schwierigkeit 
der Auslese für dieselben 286. 

Volksspiele und Jugendspiele, 6. Kon¬ 
gress dafür 439. 

Vorbeireden, Symptom desselben 465. 

Wasserleitungen, deren Besichtigung 
422. 

Wasseruntersuchung, bakteriologische, 
Kompendium 224. 

Wasserversorgung, Versuchsanstalt da¬ 
für 293, im linksrheinischen Teile 
des Bezirks Coblens 839, 596. 

Wasserwerk Tilsit 809. 

Wartefrauenfrage 522. 

Wechselbeziehungen, zwischen Stadt 
und Land in bezug auf ansteckende 
Krankheiten 533. 

Woehenbettfieber, Verhalten der Heb¬ 
amme 261, 363, 619. 

Wüchnerin, Jodoformgaserest in der 
Vagina 874. 

WOchnerinnenpflege, Leitfaden daf. 287. 

Wohnungsfürsorge 870, 890. 

Wohnungsgesets 370. 

Wohnungsbygiene 350. 

Wurmkrankheit, Bekämpfung 257, 329, 
811, 891. 

Zahnhellknnde als Volkshygiene 845. 

Zeitsebrift für Krebsforschung 568. 

Zerkleinerung der Speisen, deren Be¬ 
deutung für die Verdauung 252. 

Züchtigungsrecht der Lehrer, Ueber- 
schreitung desselben 795. 

Zurechnungsfähigkeit’ 464, und Krimi¬ 
nalanthropologie 681. 

Zwangswiederimpfungen bei Pocken¬ 
epidemien 97. 



N amen ^Verzeichnis. 


Adikes 260. 

Adamkiewitz 362. 

Aklfeld 276, 366, 889. 
Albreeht 252. 

AUheimer 349. 

Allboff 470, 779. 

Altseknl 767, 799. 
Anscbel 29. 

Aijecky 67. 

Aroiuoa 360. 

Asehsffenbnrg 871 (B. Pr. 

M.) 67, (B. D. M.) 77. 
Aaeher 844. 

Anlassen 524. 

Baehmann 884. 

Bsginsky 360, 799. 

BtUn 421. 

Baiser 344. 

Bala 622. 

Bamberger 635. 

Bsideleben 535. 

Banekow 620. 

Bauet 885. 

Bauer 637. 

Baum 567. 

Baumeister 838. 

Baum 261, 619. 

Bacher 322. 

Beekold 845. 

Beck 322. 488. 

Becken 506. 

BakU 108. 

Behring, tob, 630, 683, 
770, 779, 818. 

Bekreadt 809. 

B6U 676. 

Berger 431, 626, 874. 
Berka 569. 

Bettaeelli 866. 

BerteUmum 873. 

Berthe« 524. 


Bettmann 874. 

Bets 371. 

Beniner 185, 229. 

Beutler 765. 

Begold 469. 

Bichele 224. 

Biberfeld 849, 851. 
Bl&achko 895. 

Bloch 773. 

Bockend&hl 524. 

Boehm 44. 

BOdiker 669. 

Bohlendorf 291. 

BOtticher, yon, 567. 

Boite 566. 

Boltenatern 428. 

BonhOfer 73. 

Bonhof 845. 

Bont 678. 

Bornetins 402. 
Borntriger 331, 767, 778, 
(B. D. M.) 124. 

Braun 23, 25. 
Brandenburger 285. 
Brauer 633. 

Bressel 361. 

BrBhl 562. 

Bachholz 371. 

Bttlow, tod, 714. 

Bamm 178, 748. 

Bantt 686. 

Bargentein 634. 

Bargel 566. 

Battenberg 681. 

Cnmieror 34. 

Castellani 164. 

Chon 248, 809. 

Cipollina 629. 

Clairmont 357. 

Coeeter 814, 383,621,821. 
Coler, yon, 282. 


Conradi 110. 

Cossmann 872. 

Gramer 331, 348, 349, 
j 371, 773. 
j Creite 683. 

■ Cronbay 742. 

! Cnno, Fritz 41. 

| Cartias 817. 

Czygan 247, 249, 806. 

I Czablewski 453. 

Dahlmann 637. 

Dämmer 584. 

Dayidsohn 715. 

Delbrttckt Bremen) 82,372 
Deutsch 682. 

Diem (Otto) 668. 

Dippe (B. Pr. M.) 7, 69. 
Dittrich 713, (B. D. M.) 2. 
Doegner 246, 248, 249. 
DOnitz 744. 

DOrner 874. 

Dohrn 121. 

Dombois 344. 

Donglas, Graf 292, 293, 
294. 

Doeqnet - Manasse 253. 
Drigalski, v. 110. 

Dfinges 817. 

Dtlrck 436. 

Dtttechke 378. 

Dogge 345. 

Danbar 331, 332, 595, 
779, 797. 

Daral 885. 

Ebstein 532. 

Eckels 292. 

Eikhoff 421. 

Ekart 291. 

EUis 528. 

Emmerich 71. 


0 B. Pr. M.: bedentet Bericht über die HaaptTcrsammlnng des Preus- 
■•ehea MedizinalbeamtenTereins; B. D. M.: Bericht Ober die HaaptTonamm« 
'•»t dos Deatschen MedizinalbeamtenTereins. 



XXXVIII 


Namen • Verzeichnis. 


am Ende 845. 

Engels 252. 

Engelbreoht (B. D. U.)13i. 
Brismann 799. 

Ernst 370. 

Esehle 567. 

Esmarch 533,767. 
Enlenbnrg 528. 

Ewald 68. 

Farnsteiner 681. 

Feige 830, 852. 

Feigell 446. 

Feistmantel 682. 
Feldmann 399. 

Fett 366. 

Feyfers 109. 

Fibiger 284. 

Fickert (B. D. M.) 129. 
Fielits 305,328, 326. 441, 
557, (B. Pr. M.) 5,6,9. 
Fink 421. 

Fischer 350, 896. 

Fischer, Karl 747, 888. 
Fischer (Kiel) 524, 799. 
Flesch 530. 

Flinser (B. D. M.) 5. 
Flügge, C. 47, 382. 
Förster 206, 292, 870. 
Forstrenter 247, 248,249, 
809. 

Francois-Franck 738. 
Fränkel 328,326,381,567. 
Franke 784. 

Frennd 868. 

Freyer 814. 

Frieboer 680. 

Friedberg 289. 
Friedberger 66. 

Friedei 614, 624. 

Fries (B. D. M.) 76. 
Frbhmann 670. 

Gärtner 747. 

Gaffky 748, 765. 

Gatnp 206. 

Gantier 666, 872. 
Geirsrald 867. 

Georgii 1. 

Oerlach 877. 

Gessner 742. 

Gizycki, ▼. 58. 

Gock 876. 

Goets 252. 

Gottsohalk 464, 847. 
Granier 535, 738. 

Gregor, Max 393. 
GregoroTius 445. 

Grthant 457. 

Griesbach 769. 

Gröben 748. 

Gross, Hans 31. 

Groth 427. 


Grünler 718 (B. Pr. M.) 2. 
Gatknecht (B. Pr. M.) 46. 

Häbler (B. Pr. M.) 44. 
Hagemann 825. 

Hahn 206. 

Hainer 847. 

Hake, ▼. 99. 

Hammer'366, 558. 
Hansemann 362, 628. 
Hasse 99. 

Hanoh 327. 

Hayemann 345. 

Hegel 247. 

Heidenhain 816. 

Heising 295. 

Henneberg 876. 

Hermann 824, 327. 

Herms 388, 626. 
Herrendörfer 249. 
Hermann^ B. Pr. M.) 18. 
Herhold 467. 

Hertsch (B. D. M.) 130. 
Hesse 838. 

Heyer 801. 

Heymann 433. 

Hilbeck 258. 

HiUier 631. 

Hirsoh 397. 

Hirschfeld 25. 

Hoche 565, 566, 594, (R. 

Pr.M.) 45, (B. D. M.) 127. 
Höchst 344. 

Hölscher 885. 

Hoesslin, v. 33. 

Hövel 338, 341. 

Hoffmann (Berlin) 125, 
417, 460. 

Hoffmann, W. 632. 
Hofmann 219. 

Hofmeier 786. 

Hohenlohe • Langenbarg 

682. 

Hölder 369. 

Holst 367, 533. 

Holthoff 888. 

Horn 524, 827. 

Jacobnthal 109. 

! Jaeger 40, 41. 

! Jahrmlrker 564. 
j Janert 388. 
i Johannen 767. 
i Jolly 466. 

Joseph 871. 

I Jürgens 110. 

I Iberer 888. 
j Iderhoff 215. 
i Inner 289. 

Israel 468, 873. 

Kälble 676. 

Kampfmeyer 322. 


Kant 387. 

Kansow 52. 

Karlinski 104. 

Kasparek 359. 

Kats 629. 

Katsenstein 27. 
Kaoffmann 879. 

Kaysor, H. 109, 883. 
Kaferstein 585, 622. 
Keller 357. 

Kindler 293, 370. 
KirchgKsser 341. 

Kirchner 251, 260, 293, 
767. 

Kirsch 290. 

Klein 287, 888. 

Kleine 82. 

Klimenko 885. 

Klopstock, Martin 38. 
Klose 127, 862. 

Klage 388, 450, 625. 
Knaat 276. 

Kober 276. 

Kobsch 289. 

Kobert 286, 327, 680,872. 
Koch, Robert 82,252,260, 
470, 638, 780, 889. 
Kockel 664. 

Koehler 25,628, 831, 829. 
Kölscher 289. 

Köppe 344. 

Köppen 465. 

Köstlin 454. 

Kokabo, Keisska 364. 
Konradi 364. 

Kopsch 289. 

Kornfeld 53. 

Korn-Radelsdorf 216,681. 
Kornalewsky (B. Pr. M.) 7. 
Korosskiewics* 276. 

Koske 888. 

Krafft-Ebing, v. 50, 772. 
Kraus, 367, 679. 

Kraose, Paul 67,288,250. 
Krause, Friedrich 105. 
Kraatwig 424. 

Kriege 454. 

Krollick 774. 

Kruse 626, 639. 

Kühn 319. 

Kühner, A. 27. 

Kanse 765. 

Karella 681. 

| Kuschel 252. 

Labbe 560. 

[ Ladenbarg 714, 769, 

| Landsteiner, Karl 85. 

' Lang, Eduard 75. 

I Lange 434, 841. 

! Laagerhans 217, 291,370. 

Lannois 568. 

I Lebbin 566. 



Namen - Verzeichnis. 


XXXIX 


Lehmann 252, 636. 
Lekwald 767. 

Leabke 839, 341. 

Lem 765. 

Lata 39. 

Leumann 288. 

Lemberg 345. 

Lake 24. 

Lemer, A., 223, 323,395. 
Lenbnscher 736, 874, (B. 

D. M.) 113. 

Leven 561. 

Lery, E. 109, 883. 

Leyden 470. 
liebreich 253,' 464. 

Liepelt 735. 

Lmgei 841. 

Litterski 97. 

Lochte 886. 

Llbker 892. 

Loefiler 366. 

Löwenfeld 847. 

Llwenthal 669. 

Longard 347. 

Lortet-J&cob 560. 
Lowmann 631. 

Lick 563. 

LBpke 445. 

Lnley 799. 

Lympins 388. 

Maannen 281. 

Maefadyan 802. 

Maeken«en 447. 

Majer 42. 

Mein 287. 

Martens 209, 212/290. 
Martini, C. 39. 

Martini, Brich 746, 869. 
Marz 665. 

Mayer 259. 

Mayer, Moritz 619, 717, 
Meder 421. 

Meülfere 560. 

Meiaert 799. 

Meadel, B. 74, 464. 
Meubnrger 367. 

Merkel 264. 

Merklin 371. 

Meyen 26, 826. 830. 

Meyer, Fritz 369. 

Meyer, Felix 252. 

Migsia, W. 224. 
Mittensweig 371. 

Modi 466. 

Moeller 258. 

Moen 412, 421. 

Moritz 386. 

Moro 678. 

MUler (Gras) 38. 

Miller, Biebard 887. 

Miller (Abgeord net er )288, 
289. 


Mngdan 528. 

Mnlert 344. 

Näcke 466. 

Nardenkötter 225, 292. 
Nation-Lanier 738. 
Nanwerk 518. 

Nawratzki 350. 

Nebler 15. 

Negel 881. 

Neidhardt 4, (B. Pr. M.) 

53, (B. D. M.) 156. 
Neiaser 260,822,714,845. 
Netolitzky 534. 

Nenield 82. 

Neweholme 43. 

Nickel (B. D. M.) 155. 
Nocht 748. 

Nttnninghoff 450. 
Nnaebanm 839. 

Ocker 593. 

Oebbecke (B. D. M.) 89, 
128. 

0hiemann 403, 855. 
Ohlmttller 331, 382, 800. 
Ohlshatuen 464, 839. 

Ohrt 283. 

Onorato 280. 

Oppenheim 34. 

Ostmann 43. 

Paine 281. 

Pannwitz 438. 

Pappritn, Fräulein 323. 
Paal, Ladwig 69. 

Panli (Bremen) 82. 
Panimann 867. 

Penkert 323. 

Peeerico 286. 

Peters 344, 527. 

Peternon 847. 

Petrnschky 767, 799, 844. 
Pettenkofer 252. 
Petterson 281. 

Pfeiffer, B. 66. 

Pfeiffer (Königsberg) 322. 
Pfeiffer (Wien) 871. 
Pfister, Hermann 32, 740. 
Pilf 242, 874. 

Piorkowsky 871. 

Placxeck 345, 539, 570, 
601, 655, 691, 721. 
Plehn 745, 869. 

Ploch 806. 

Podbielsky, ▼. 716. 
Pötter 799. 

Poncet 563. 

Ponfick 714. 

Ponadowsky-Webner, Gr. 

▼on 82, 224, 256, 372, 
471. 

Poynton 281. 


Pranssnitz 531. 

Prölss 72, 595, 795. 
Plltter 799. 

Poppe 463, 717. 

Pnrdy 526. 

Quentin 522. 

Raetxel 248. 

Bfiuber 865. 

Bambonsek 367. 

Bapmnnd 46, 132, 445, 
(B. Pr. M.) 1, 5, 6, 51, 
52, 69, 73, (B. D. M.) 1, 
4, 7, 75, 84, 86, 88,123, 
131, 132,139, 155,156. 
Beokzch 458. 

Beincke 595, 839. 

Beinsch 332. 

Beiswitz 596. 

Bembold 107. 

Bevenstorf 346, 665. 
Rheinen 449. 

Biehards 431. 

Biohter, Max 85. 

Bichter, P. F. 
Bieehelmann 362. 
fiiedel (B. D. M.) 128.. 
Bieder 801. 

Bisei 68, 327, (B. Pr. M.) 

70, (B. D. M.) 88, 180. 
Binsmann 522. . 

Bitter 597. 

Boesing 30. 

Boepke 62, 162. 

Boesicke 288. 

Bössle 559. 

BoUer 481. 

Bomeik 124, 336, 649. 
Bosinsky 581. 

Bost 255. 

Both 538. 

Bothmann 741. 

Boy 563. 

Bubner 584, 747. 

Bohl 485. 

Bnge 868. 

BnUmann 631. 

Bnmpel 831, 837, 839. 
Bnsack 421, (B. D. M-) 
56, 86. 

Bnss 277. 

Sachse 258. 

Salomon 861. 

Sander 871, (B. D. M.) 80. 
Sarismy, von, 208, 217, 
293. 

Schade 624. 

Scbaefer (Frankfurt a. 0.) 

405, (B. Pr. M.) 8, 85. 
Schiffer (Bingen) 808, 
(B. D. M.)f82. 



XL 


Sehaper 896. 

Sohaadonn 898. 
Schavaller 246. 

Schenk, Pani 898. 
Scherenberg 279. 
Sehilling 26. 
Sehlegdenial 641. 
Schlossmann 678, 798. 
Schlttter 443. 

Schmidt (Liegnitz) 21,28, 
27, 61, 

Schmidt, H. 679. 

Schmidt (Erfurt) 767. 
Schmidt (Elbing) 763. 
Schmidt, Georg (Berlin, 
Tempelhof) 38. 
Schmidt, Moritz 848. 
Sohmidt, Job. 224. 
Schmidt (Nielsen) 867. 
Schmidtmann 98,247,248, 
248, 293, 368, 713, (B. 
Pr. M) 2. 

Schmölder 820. 

Schneider 846, 422. 

Soholz 829. 

Schott 564. 

Sehottelius 282, 356, 629. 
Schottmttller 105. 
Schrakamp 337, (B. D. M.) 

89, 123. 

Schreiber 446. 

Schröder 346, 625. 

Schulz 247, 249, 250, (B. 

D. M.) 150. 

Schulze, Hans 32. 
Sohulten 432. 

Schnitze 679. 

Sehuster, Paul 48, 877. 
Schwerin 847. 
Seberr-Thoss,T. 24,25,26. 
Seiffer 436. 

Seidel 760. 

Selberg 704. 

Seliger 785. 

Seilheim 810. 

Seydewitz 366. 

SMga 41. 

Siokinger 845. 

Siefen 29. 

Siereking (B. D. M.) 180. 
Simon 662. 

Smith 626. 


Namen • Verzeichnis. 


Sobernheim, G. 68. 
Sommer 47. 

Spieas 715, 765. 

! Springfeld 383. 

St&ubli 888. 

Stakemann 876. 

Stamm 72. 

Stanke 718. 

Staues 749. 

Steger 103. 

Steinberg 21, 929 (B. Pr. 

M.) 48. 

Stempel 878. 

8tieh 846. 

Stockis 455. 

StOcker 846. 

Stolper 536, 781, 804. 
Strassmann 403 (B. D. M.) 
139. 

Stranch 845, 808. 
Struppler 878. 

Stnbben 763, 838. 

Stndt, Ezz. 205, 207, 209, 
259, 289. 

Stflbben 331. 

Stnmm 250. 

Snck 402. 

SndbOlter 447. 

Snltan 851. 

Tanaka, Kaisuka 426. 
332 

Tenholt 267,297,810,892. 
Tenner 859. 

Terpitz, y. 713 (B.Pr.M.) 3. 
Thilow 889. 

Thomson 871. 

Tjaden (B. D. M.) 89, 131, 
Ti essen 799. 

Timann 841. 

Toff 278. 

Toldt 845. 

Toyama 857. 

Trangott 466. 

Trimborn 288. 

Troeger 460, 739. 
Tronssaiat 884. 

Tnbenf 846. 

Uhlenhnth 185, 229. 
Uhlfelder 868. 

Unger 425. 


Viedens 568. 

Virchow 779.' 

Vogel, Gnstay 810. 
Vogel, M. 46. 

Voges 280, 364. 

Voigt 332, 790. 

Vollmer 841. 

Vorster (B. D. M.) 8, 85. 
Voesins 805. 

Wagner 289. 
Wallenborn 289. 

Waliichs 403. 

Wanner 861. 

Wassmnth 664. 

Weber (Sonnenstein) 670, 
(B. D. M.) 87, 84. 
Weber, A. 741. 

Weber 281. 

Wegener 433. 

Wehmer 774. 

Weige 864. 

Weiss, Fr. 224. 
Weichardt 789. 
Weizäcker 586. 

Wernicke 779, 714. 
Wernitz 744. 

Westheimnr 530. 
Westpbal 464. 

Weygandt 805. 

Wiedner (B. Pr. M.) 50,69. 
Wilhelmi 345. 

Wilmanns 847. 

Windeis 715. 

Windhänser 483. 

Winkel, y. 49. 

Winkel 714. 

Winkelmann 872. 
Winkler 293. 

Winternits 42. 

Wirseh 420. 

Wolf, Kurt 899, 456, 767. 
Wolfberg 897. 

Wflrz 886. 

Zedlits - Trtttachler, 
Graf 260. 

Zia 429. 

Ziehen 712, 769. 

Zirolia 280. 

Zlocisti 846. 

Zweifel 277. 


























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———— 

i 1 • 






Zentralblitt (ir geriebtMe Medizinlind Psychiatrie, 
fir ärztliche Saehverständigenthätigkeit io Unfall- und InvaliditatMaehea, sowie 
Rr Hygiene, SffeotL Siuitätewesen, Medizioal-Gesetzgebung oo4 Rechtsprechung 

Heranegegeben 

Ton 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Reglenugi- and Geb. Mediainalraib in Minden. 

Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

laaernte nehmen die Verlagehand Inn g eowie alle Annoeeneoipediklenea dee I»- 
nnd Auslände« entgegen« 











2 


Dr. Georgii. 


ist, die vorgelegte Frage in positivem Sinn zu beantworten, ob 
nämlich zu einer bestimmten Zeit an einem angeblich gemiss- 
brauchten Mädchen unzüchtige Handlungen oder Kohabitations- 
versuche vorgenommen wurden oder nicht, selbst wenn nach der 
sonstigen Lage des Falles der vollkommen negative Befund 
keineswegs etwa vorgekommene Manipulationen zu Gunsten des 
Beschuldigten ausschliesst. 

Die Litteratur ist arm an Mittheilungen, welche den 
klinischen Verlauf derartiger Verletzungen an den Geschlechts¬ 
teilen kleinerer Mädchen gerade von Anbeginn der Einwirkung 
des Traumas an bis zur völligen Ausheilung genauer schildern. 
Es dürfte daher gerechtfertigt sein, einen Fall hier bekannt zu 
geben, der zwar in Folge seiner Aetiologie nicht Gegenstand 
einer gerichtlich - medizinischen Untersuchung wurde, der aber 
grosse Aehnlichkeit mit gerichtlichen Fällen zeigt und den aus¬ 
nahmsweisen Vortheil bietet, dass vom ersten Moment der Ver¬ 
letzung an die Erscheinungen an den Geschlechtsteilen des frag¬ 
lichen siebenjährigen Mädchens, die Begleitsymptome, die Heilungs¬ 
vorgänge und die für eine etwaige gerichtsärztliche Untersuchung 
und Begutachtung wichtigen Veränderungen in den einzelnen 
Stadien des Heilverlaufs wochenlang genau beobachtet werden 
konnte. Aus letzterem Interesse wurde auch von den Eltern 
die Erlaubniss erbeten, dass das Kind, so oft als es thunlich 
erschien, also weit über die eigentliche, notwendige ärztliche 
Behandlungsdauer hinaus, untersucht werden durfte. 

Der Fall ist folgender: 

Am 10. Oktober 1902, Nachmittage um */»8 Uhr, eiligst wegen starker 
Blutung auB den Geschlechtstheilen zu der 7jährigen etwas skrofulös-anaemischen 
F. K. gerafen, konnte ich folgendes erheben nnd feststellen: die Kleine wollte 
etwa um 1 Uhr nach dem Mittagessen vor dem Hause ihrer Eltern über eine 
niedrige, etwa 30 cm hohe Holzbank ohne Lehne springen, blieb mit der einen 
Fussspitze hängen und fiel rittlings der Länge nach über die gegenüberliegende 
stumpfe Kante des Sitzbretts. Dabei hatte sie so heftige 3chmerzen, dass auf 
ihr Geschrei hin die in der Nähe weilende Mutter sofort herbeilief, um zu 
sehen, was passirt sei; sie konnte nun wahrnehmen, dass das Hemdchen des 
Kindes stark mit frischem Blut besudelt war und bekam dann einen grossen 
Sehrecken, als sie bei näherem Zusehen bemerkte, dass das Blut aus den Ge- 
schlechtstheilen kam; sie wischte oberflächlich die Gerinnsel mit kaltem Wasser 
ab und legte das Kind ins Bett. Um V*3 Uhr meldete dasselbe, dass es wieder 
stark blute, worauf ich hergerufen wurde. 

Der Befund war folgender: Im Bett befand sioh im Leintuch ein teller- 
grosser Blutfleck, noch feucht; das Hemd war vorn unten ausgedehnt nass 
blutig; die Innenseiten der Oberschenkel bis herab zu den Knien zeigten theils 
angeklebtes Blut, theils Spuren von nicht Bauber weggewischtem Blut. 

Die dicht bei einander liegenden Labia majora waren mit frischem Blut 
beschmiert und entsprechend der Rima mit einem federkieldicken Blutgerinnsel 
leioht verklebt, ferner Blutgerinnsel zwischen den Beinen der Baphe entlang 
bis zum Anus. Nach Wegwischen des Blutes an der EpidermiB der grossen 
Labien und der weiteren Umgebung nicht die geringste Spur einer Verletzung 
(Erosion, Krätzer und dergl.) zu sehen. Nach vorsichtigem Auseinanderfalten 
der grossen Labien war der kleine Raum zwischen Foramen hymenaeum und 
Clitoris mit wenig frischem flüssigem Blut angefüllt; die beiden medialen 
(unteren) Falten der kleinen Labien waren blutig sugillirt und ziemlich stark 
gedunsen; der Hymen war unverletzt, halbmondförmig und nur sein oberer 
Band einschliesslich dem Orificium externum urethrae wenig geschwollen und 
blutig unterlaufen; in dem zum Klaffen gebrachten Introitus vaginae war kein 



Heber eine Yerletxnng der äusseren Geschlechtsteile eines 7jähr. Mädchens. 8 

Blut, von dn bis mm Frenulum gleichfalls keine Veränderung; ebenso Clitoris 
selber sammt Praeputium nicht in Mitleidenschaft gesogen. Nach Abspfilen 
mit gekochtem Salzwasser trat ans der Schleimhant des Yestibnlam vaginae 
sofort eine relativ heftige parenchymatöse Blutung auf, die sich aus kleinen 
unregelmftssig gerinderten Bisschen ergoss. Es wurde mit einem schmalen 
Jodoformgazestreifen die ganze sugillirte Gegend tamponirt; die Oberschenkel 
wurden mit einem Tuch zusammengebunden. 

Am 12. Oktober wurde ich Mittags um 12 Uhr gerufen, weil das Kind 
seit dem Unfall, also seit ca. 48 Stunden, auch nach Wegnahme der Jodoform* 
gase, keinen Urin lassen konnte und nun heftig Uber Drang und Schmerz zu 
klagen hatte. Das Gehen war erschwert, vorsichtig, stark gebückt. Die 
Blase stand hoch und reichte fast bis zum Nabel; die Urethralöffnung war ge* 
walztet, dunkelroth und mit einem dunklen Blutgerinnsel verklebt, nach dessen 
Entfernung das Kind im Sitzen Uber dem Nachtgeschirr auf energisches Zu¬ 
reden spontan viel Urin schmerzlos entleeren konnte. Die Blutung stand. 

Am 17. Oktober zeigten beide grosse Labien, etwa einen Vs cm breit 
von der Bima aus, eine leichtbräunliche Verfärbung, herrührend von einge¬ 
trocknetem Sekret der Yulva, das schwach blutig tingirt war. Dieses Sekret 
war im übrigen hell, klar, fadensiehend. Die kleinen Labien und der Urethral¬ 
wulst dunkelroth und stark succulent; daneben reichliches Sebum zwischen den 
Labien; keine Beschwerden im Gehen, keine subjektiven Beizempfindungen 
entzündlicher Natur. Beinhaltung, Bleiwasser. 

28. Oktober. Immer noch übermässig schleimige Sekretion von klarer 
Beschaffenheit und dunkelrothes Aussehen der kleinen Labien. 

31. Oktober. Feinste Oberhautabschuppung wie bei Masern an den 
grossen Labien im Bereich des oben beschriebenen V* cm breiten bräunlich 
verfärbten Saums; dunkelrothe Farbe des oberen Theils der (medialen) 
Nymphen. Schleimsekretion verringert. 

6. November. Die gedunsene Beschaffenheit der kleinen Labien und der 
Urethralöffnung vollständig zurüokgegangen; die dunkelrothe Färbung der 
Schleimhaut besteht noch; geringe Succulenz, jedoch stärker als normal. 

12. November. Yiel Sebum; sonst Befund unverändert. Beinhaltung. 

24. November. Die Schleimhaut zwischen Clitoris und Introitus noch 
etwas dunkler gefärbt, als die der nicht mitverletzten Fossa navicularis, welche 
die für Kinder gewöhnliche rosarothe Farbe zeigt. 

Yom 12. Oktober an war die Kleine vollkommen besohwerdefrei; sie 
konnte gehen und springen wie sie wollte ohne jeglichen Klagen. 

Klinisch betrachtet, handelte es sich nm eine heftige Quetschung 
des ganzen Scheidenvorhofs mit mehrfachen kleinsten, theils ober¬ 
flächlichen, theils tiefergehenden Gewebstrennungen, welche wieder¬ 
holte für ein Kind verhältnissmässig recht bedeutende Butungen 
aus den kavernösen Venengeflechten der einzelnen Vorhofsgebilde 
verursachten. Dazu trat wohl in Folge der stark gequetschten 
Schleimhautpartien eine leichte katarrhalische Entzündung, welche 
im Verein mit der für Kinder ungewöhnlich verzögerten Rück¬ 
bildung und Erholung der Quetschwunden — vielleicht trug hierzu 
die skrofulöse Disposition des Mädchens das Ihrige bei — wohl 
der Grund für die so lange Zeit fortbestehenden objektiv nach¬ 
weisbaren Veränderungen an den kleinen Labien etc. war, die 
auch jetzt noch nicht vollständig zur Norm (rosarote Farbe) zu- 
rückgeführt sind. 

Unter Beobachtung möglichster Beinhaltung der Theile und 
unter geeigneter Behandlung mit Bleiwasserumschlägen blieb es 
bei der katarrhalischen Entzündung, ohne dass das Sekret mit 
der Zeit eine purulente Beschaffenheit annahm und ohne dass die 
Vagina im weiteren Verlauf infizirt wurde. 

Ueber eine ähnliche zufällige Verletzung bei kleineren 



4 


Dt. Noidhardi. 


Mädchen wie die geschilderte konnte ich in der mir zur Ver¬ 
fügung stehenden Litteratur [Casper-Liman and Hofmann 
(gerichtliche Medizin), Henoch (Kinderkrankheiten), Tillmanns 
(Ohirtigie) and Schröder (Gynäkologie)] keinen gleichen Fall 
finden, wohl der beete Beweis für die grosse Seltenheit solch zu¬ 
fälliger Genitaltraumen im Kindesalter. 

Bei Erwachsenen sind derartige an sich scheinbar unbedeu¬ 
tende Gewebsbeschädigungen häufiger und wegen ihrer lebens¬ 
gefährlichen Blutungen namentlich in der Geburtshilfe unter dem 
Namen der Klapproth’schen Bisse äusserst gefürchtet. 

In forensischer Hinsicht hätte der Fall am meisten Aehn- 
lichkeit mit einer durch recht brutales Vorgehen bewerkstelligten 
Betastung jener Theile mit dem Finger, was bei der ungemeinen 
Zartheit und leichten Zerreisslichkeit der kindlichen Gewebe wohl 
denselben Effekt erzielt hätte; es fehlten jedoch die für gerichtliche 
Fälle unter Umständen so wichtigen Erosionen und Krätzer an 
den Labien, was erentuell dffferentialdiagnostisch von Werth 
sein kann. 

Wie sehr übrigens auch im Publikum bei solchen rein zu¬ 
fälligen Verletzungen der Gesehlechtstbeile sich der Verdacht sofort 
auf ein Sittlichkeitsattentat lenkt, beweist der Umstand, dass die 
Mutter des Kindes Anfangs gar nicht an die beschriebene Ent¬ 
stehung der Verletzung glauben wollte, sondern der festen Ueber- 
zeugung war, dass so etwas nur durch Vornahme unzüchtiger, 
gewalttätiger Berührungen entstehen könne. Allein die beson¬ 
deren, genau untersuchten Umstände des Falles schlossen mit 
Sicherheit jegliche strafbare Handlung von dritter Seite aus; ein 
Glück für den, auf den sich auch nur ein entfernter Verdacht der 
Thäterschaft gelenkt hätte. 


Üfibar die gerichtsärztliche Begutachtung des Schwach¬ 
sinns in Strafsachen. 

Von Qeriohtsarit Dr. Neidhardt-Altona. 

Eine übergeordnete und zugleich präzise und brauchbare 
Definition des Schwaohsinnsbegriff zu geben, die den Mediziner 
und Juristen gleichmässig befriedigt, ist unmöglich, und zwar des¬ 
wegen, weil der Mediziner als Kliniker oder Pathologe vom natur¬ 
wissenschaftlichen Standpunkt aus urtheilt, während der Jurist 
gezwungen ist, den Begriff unter den verschiedenen Gesichts¬ 
winkeln der bestehenden Gesetzesvorschriften zu fassen. 

Die mit dem üblichen medizinischen Schwachsinnsbegriff 
überhaupt nicht zu identifizirende „Geistesschwäche“ des Bürger¬ 
lichen Gesetzbuchs hat die Bedingung zu erfüllen, dass der Be¬ 
troffene ausser Stande sein muss, „seine Angelegenheiten zu be¬ 
sorgen“, während für den allerdings unausgesprochenen, aber in 
der Praxis täglich zur Anwendung gelangenden strafrechtlichen 
ftehwachsinnsbegriff (§. 51 Str.-G.-B.) der Ausschluss der Willens- 
4 heit das unerlässliche Kriterium bildet. 



lieber die geriehtaintliehe Begutachtung des 8ehweohaiaBs ia 8traisMhen. 6 

Der gerichtsärztliohe Sachverständige hat eich in der Er¬ 
füllung seiner Aufgabe, den bestehenden Gesetzesvor- 
sehriften in Verbindung mit dem Richter zur Geltung 
zo verhelfen, dem juristischen Standpunkt anzupassen. 

Wenn sich trotz einer solchen Gemeinschaftlichkeit des 
Standpunktes gleichwohl in der Praxis häufig genug noch Meinungs¬ 
verschiedenheiten nicht nur zwischen Richtern und Sachverständi¬ 
gen, sondern auch unter den Sachverständigen selbst bezüglich 
der Auffassung des Einzelfalles ergeben, so kann diese Erscheinung 
nur ihre Erklärung finden in der Schwierigkeit der Abgrenzung 
des Schwachsinnsbegriffs nach oben und unten durch allgemein 
verständliche, praktisch werthbare Kriterien, d. h. in der Schwierig- 
beit der Diagnose überhaupt. 

Die nachstehenden Ausführungen haben sich den Versuch 
zur Aufgabe gemacht, den strafrechtlichen Schwachsinnsbegriff in 
einer für den Strafrichter annehmbaren Umgrenzung zu entwickeln 
und zum Verständniss zu bringen. 

Die Hauptvorbedingnng hierfür ist, dass der in foro demon- 
strirende Gutachter die aufgefundenen Defekte der affektiven 
und psychomotorischen Seite des Seelenlebens des Exploranden 
zunächst vollständig bei Seite lässt und den Schwachsinnsfell ganz 
einseitig unter dem Gesichtswinkel der intellektuellen 
Störungen behandelt; denn wenn auch die Störungen im Gebiet 
der verstandesmässigen Leistungen keineswegs den Begriff des 
Schwachsinns decken und jedenfalls für die kriminelle Entgleisung 
des betreffenden Individuums nicht immer die ausschlaggebende 
Ursache gewesen sind, so ist doch ihr Vorhandensein die Conditio 
sine qua non für den Nachweis des exkulpirenden Schwachsinns. 

Man geht dabei am besten von dem Gedanken aus, das 
sich bezüglich ihres Intellekts die Menschheit in vier Gruppen 
eintheilen lässt, nämlich die Hoch veranlagten, die mässig Begab¬ 
ten, die Schwachsinnigen und die Idioten. Zu der ersten Gruppe 
gehören, wenn man weiter theilen will, was unter Umständen, 
zum Beispiel für die Abzweigung der Degenerirten (der Minder- 
werthigenj, von Werth sein kann, die Genies, die klugen Menschen 
und die normalen Durchschnittsköpfe, zur zweiten Gruppe die 
minder Begabten und die Beschränkten. Eine Theilung innerhalb 
der dritten und vierten Gruppe hat keinen praktischen Werth. 

Mit den Beschränkten schneidet die Gesundheit 
ab, bei den Schwachsinnigen beginnen die krank¬ 
haften Störungen der Geistesthätigkeit. Zwischen 
beiden steht der §. 51 Str.-Ges.-B. 

Anatomisch gedacht unterscheiden sich diese vier Gruppen 
durch die Höhe der Anzahl der vorhandenen Ganglienzellen in 
der Hirnrinde und durch die Mannigfaltigkeit der Assoziations- 
fesera derselben, die Anzahl ihrer Anastomosen, ihrer Verbindungen 
unter einander; je weniger Ganglienzellen vorhanden sind, und je 
weniger mannigfelltig die Verbindung derselben unter einander 
ist, desto tiefer steigt das Individuum auf der Stufenleiter des 
Intellekts hinab. Die erste und zweite Gruppe unterscheidet sich 



6 


Dr. Neidhardt. 


wesentlich dadurch, dass bei annähernd gleichem Reichthum an 
Vorstellungsdepöts (Ganglienzellen) die Mässigbegabten dürftigere 
und ungenügendere Verbindungen (Assoziationsfasern) dieser De- 
pöts unter einander besitzen, als die Normalbegabten; sie können 
gewissermassen häufig nur auf Umwegen an die einzelnen Vor¬ 
stellungen heran und haben daher, wie man sagt, „langsame 
Leitung“. 

Von den Mässigbegabten unterscheiden sich die Schwach¬ 
sinnigen — ich spreche natürlich stets von erwachsenen Individuen — 
der Hauptsache nach durch ihre Armuth an Ganglienzellen; sie 
haben nur wenig Vorstellungsdepöts, ihr Vorstellungsinhalt ist 
dürftig und unzureichend. Die Idioten, die übrigens forensisch 
keine Schwierigkeiten machen, haben noch weniger Ganglienzellen 
und dieselben ausserdem auch noch schlecht verbunden. 

Der klinische Unterschied besteht, abgesehen von der von 
oben nach unten allmählich abnehmenden Reizbarkeit- und Re¬ 
aktionsfähigkeit des psychischen Organs überhaupt, der Haupt¬ 
sache nach in der grösseren oder geringeren Fähigkeit, den Vor¬ 
stellungsinhalt zu ordnen und zu gruppiren. 

Der Hochbegabte verarbeitet seine Wahrnehmungen rasch 
zu Vorstellungen und bringt jede einzelne Vorstellung — grob 
mechanisch gedacht — sofort an den richtigen Platz, in die 
richtige Rubrik. Eine Anzahl gleichwerthiger Vorstellungen schliesst 
er zusammen und registrirt sie gemeinsam unter die Begriffe; die 
Begriffe selbst werden in die Schubläden der Urtheile eingeordnet, 
und diese sind wieder nach Lehrsätzen, allgemeinen Wahrheiten, 
höheren Gesichtspunkten u. s. w. eingetheilt, die schliesslich, wenig¬ 
stens zum Theil, nach ethischen Vorstellungen;und Empfindungen 
gruppirt werden. 

Das Ganze aber wird zusammengefasst von dem Bewusst¬ 
sein, dass mit jeder Instanz, sowohl mit den übergeordneten 
Instanzen, als auch mit jeder Einzelvorstellung in direkter 
Verbindung steht, und im Stande ist, einerseits jede Vorstellung, 
die es zur Vorbereitung eines Entschlusses oder sonstwie gebraucht, 
willkürlich und momentan seinem ruhenden Vorstellungs¬ 
schatz zu entnehmen und an richtiger Stelle zu verwenden, 
anderseits alle, aus der Tiefe des unbewussten Seelenlebens auf¬ 
steigenden und andrängenden Vorstellungen und Vorstellungs¬ 
gruppen willkürlich zurückhalten oder nach natürlichen lo¬ 
gischen Gesetzen geordnet durchzulassen. 

Der „Normalbegabte thut sich also leicht“. Erarbeitet 
zunächst deduktiv. Tritt eine neue Vorstellung an ihn heran, so 
durchläuft diese mit Blitzesschnelle alle Instanzen, bis sie an das 
richtige Fach gelangt; trifft sie hier nur auf Gegenvorstellungen, 
so wird das Fach noch einmal durchmustert, und lässt sich die 
Vorstellung weder hier, noch in einem Nebenfach unterbringen, so 
wird ein neuer Begriff gebildet; — eine Erschütterung der ge- 
sammten Registratur durch eine oder mehrere neue Vorstellungen 
ist jedoch nicht möglich; dazu ist der ganze Wohnungsbau der 
Vorstellungen zu gross, zu weit und zu hoch. 



Ueber di« gerichto&Tztliehe Begutachtung des Schwachsinns in Strafsachen. 7 


Der Normalbegabte arbeitet aber anch induktiv. Steht er 
vor einem Entschluss, der von der Aussenwelt gefordert wird, so 
öffnet er die Schleusen seines unbewussten Seelenlebens, und jetzt 
ergiesst sich ein Strom von früher versenkten oder auch assoziativ 
entstandenen Vorstellungen, befruchtend, anregend, belebend und 
zugleich wohl geordnet durch die vorhandene Registratur — sit 
venia verbo — in den Vordergrund des Bewusstseins, dergestalt, 
dass es ihm leicht wird, aus der Fülle des Vorstellungsmaterials 
das herauszunehmen, was er gebraucht. 

Anders bei den Minderbegabten und Beschränkten. 
Auch diese haben ihren Besitz an Vorstellungen wohl geordnet 
zu Allgemeinvorstellungen, Begriffen, Urtheilen und Lehrsätzen. 
Auch die Gewinnung gewisser übergeordneter Gesichtspunkte 
und allgemeiner Wahrheiten macht ihnen in der gleich- 
mässigen Thätigkeit des täglichen Lebens und in engem 
Wirkungskreis keine erheblichen Schwierigkeiten; sie verbrennen 
sich zwar öfter die Finger wie die Hochbegabten; aber schliess¬ 
lich sammeln sie sich doch eine ganze Reihe von Erfahrungs¬ 
sätzen, die sie in der Ruhe als ausreichende Direktiven verwenden 
können. Gleichwohl ist ihre Vorstellungsregistratur nicht in voll¬ 
ständiger Ordnung; mancher Begriff und manches Urtheil liegt 
an falscher Stelle; auch ist die Eintheilung nach allgemein 
gültigen übergeordneten Standpunkten nicht durch¬ 
geführt; zugleich fliesst die Quelle der Vorstellungen und 
Gegenvorstellungen aus ihrem unbewussten Seelenleben nur dürftig. 
Kommt daher etwas Plötzliches, Unvorhergesehenes an sie heran, 
das zu rascher Entscheidung drängt, so können sie sich nicht 
schnell fassen, sich nicht besinnen, nicht den richtigen Standpunkt 
gewinnen; sie werden vielmehr verwirrt und unruhig und handeln 
schliesslich ohne die richtige und ausreichende Ueberlegung. In 
srafrechtlicher Beziehung finden die Beschränkten allerdings 
meistens einen starken Rückhalt an ihren gewöhnlich gut funk¬ 
tionierenden moralischen Hemmungen; vor zivilrechtlichem Schaden 
werden sie durch diese Stütze ihrer Ueberlegung nicht bewahrt. 
Der Beschränkte wird also im Allgemeinen — in der Ruhe stets 
— zivilrechtlich handlungsfähig und strafrechtlich verantwortlich 
sein. Er ist im Stande, eine Schuld auf sich zu laden, 
weil er wider besseres Wissen und Gewissen handeln 
kann. Er ist noch selbstständig sozial brauchbar. 

Der Intellekt des Schwachsinnigen hört mit der 
Begriffsbildung auf; seine Urteilsfähigkeit wird auch in der 
Ruhe schon unzulänglich. Wohl kann er Wahrnehmungen 
machen und die Wahrnehmungen zu Vorstellungen umlegen, auch 
noch aus Vorstellungen Allgemeinvorstellungen und einfache Be¬ 
griffe bilden, die freie Verwendung aber der Begriffe zu selbst¬ 
ständigen Urtheilen ist ihm nur noch mehr für die einfach¬ 
sten Sachen möglich, zu allgemeinen Wahrheiten ringt er 
sich nicht mehr durch, theils weil es ihm an zureichenden Vor¬ 
stellungen überhaupt fehlt, v theils wegen der ungenügenden Ver¬ 
bindungen dieser Vorstellungen untereinander. Beim Schwach- 



8 


Dt. Nei4fa*rdt. 


sinnigen geht die logische Ordnung des Vorstellungsdepftte bedenklich 
in die Brüche; er reiht die neu aufgenommenen Vorstellungen neben 
einander und nicht mehr oder wenigstens unzulänglich unter ein¬ 
ander ein, weil er die übergeordneten Oedankenreihen nicht mehr 
finden kann. Sein unbewusstes Seelenleben ist steril oder jeden¬ 
falls sehr dürftig und deswegen kann er auch die entsprechenden 
Gegenvorstellungen nicht finden; es versagt also seine „in¬ 
tellektuelle Hemmung* und deshalb ist die Freiheit 
seiner Willensbestimmung ausgeschlossen. Ist doch 
der Wille im Grunde genommen nichts anderes als eine ein¬ 
zige, aus dem Assoziationsprozess gewonnene Vorstellung von 
besonderer Klarheit und Betonung, die ihrerseits wieder 
Vorstellungen erzeugt. 

Der Assoziationsprozess ist aber der Kampf zwischen den 
zur Handlung drängenden und den die Unterlassung derselben 
fordernden Vorstellungen und Gefühle. Der Wille stellt den Sieg 
der einen Partei dar und wird als etwas Entscheidendes empfunden. 
Den Anstoss zum Assoziationsprozess giebt ein Beiz, der sich 
zusammensetzt aus einer auslösenden Vorstellung — (einer äusseren 
Sinneswahrnehmung oder einer inneren Denkvorstellung) — und 
dem sie begleitenden Gefühl oder Trieb (Motiv). Der intellek¬ 
tuelle Theil des zwischen diesem primären Beiz und der schliess¬ 
lich resultirenden, die Handlung auslösenden Bewegung liegenden 
Assoziationsprozesses, die Erwägung des Pro und Contra, ist 
die Ueberlegung. 

Bei dem Schwachsinnigen versagt dieser Assoziationsprozess, 
weil der Unterbau fehlt, die geordnete Begistratur und das auf 
das Zustandekommen der Gegenvorstellungen befruchtend ein- 
witkende unbewusste Seelenleben. Der Schwachsinnige ist also 
zu einer geordneten ausreichenden Ueberlegung nicht 
im Stande und deshalb urtheilsunfähig. 

Der Idiot kann auch keine einfachen Begriffe mehr bilden, 
bei ihm wird alles mehr und mehr instinktiv. 

Der Richtigkeit dieses Gedankenganges wird sich der ver¬ 
ständige Richter nicht verschliessen können und es wird jezt nur 
darauf ankommen, den zur Beurtheilung stehenden Fall 
an rechter Stelle einzureihen. 

Zu dem Zweck thut man gut, zunächst differential- 
diagnostisch den Nachweis zu bringen, dass der Untersuchte nicht 
zu den Beschränkten gehört, weil er bislang selbstständig 
sozial unbrauchbar war. Die soziale Brauchbarkeit 
des Beschränkten ist der fundamentale Unterschied 
gegenüber dem Schwachsinnigen. 

Dieser Nachweis ist durch die Anamnese zu beschaffen« 
Man wird sich daher die Mühe nicht verdriessen lassen müssen, 
eine sehr genaue Anamnese aufzunehmen und zwar durch schrift¬ 
liche Erkundigungen bei dem Lehrer, Pastor, Dienstherrn, Orts- 
versteher, den Verwandten, Bekannten u. s. j w. des Betreffenden 
oder noch besser durch persönliche Erkundigungen und 



Ueber di« gorfahtstntliehe BegutMhtung des SohwaebsiuBs in 8tiafsMhen. 9 

«ine zu dem Zweck zu unternehmende kleine Reise nicht scheuen 
müssen. Ergiebt sich dabei, dass Explorand bislang im Stande 
war, sich in selbstständiger Arbeit seinen regelmässigen 
Lebensunterhalt zu verdienen, so ist er sicher nicht Schwach¬ 
sinn nig; denn die selbstständige soziale Brauchbarkeit setzt 
voraus ein unverkümmertes unbewusstes Seelenleben und eine zu¬ 
längliche Urteilsfähigkeit. Das unbewusste Seelenleben übt, wie 
ich schon angedeutet habe, einen weitaus grösseren Einfluss auf 
die geistige Individualität und soziale Brauchbarkeit des Menschen 
aus, wie man annimmt; aus ihm steigen die befruchtenden Ideen 
und die treibenden Impulse auf; wo es verkümmert ist, da setzt 
die soziale Unbrauchbarkeit ein. Dieselbe erfährt eine 
Verschärfung, wenn auch die Urtheilsfähigkeit, d. h. also 
die Fähigkeit, den vorhandenen Vorstellungsinhalt äusseren und 
inneren Vorgängen, Dingen, Personen und Geschehnissen gegen¬ 
über so zu ordnen, dass die Beurteilung dieser Vorgänge, wenig¬ 
stens im Sinne des Erwerbes, möglich ist, unzulänglich wird. 
Die klinischen Aequivalente dieser beiden grundlegenden Faktoren 
der sozialen Brauchbarkeit sind als Produkt eines ungestörten 
Assoziationsvorganges der eigene Wille und als Resultat der 
begrifflichen Ordnung der assoziativ gewonnenen Vorstellungen — 
das eigene Urtheil — und weil diese beiden Hauptkompo¬ 
nenten der Vollsinnigkeit — der eigene Wille und die 
eigene Meinung — dem Schwachsinnigen fehlen, so ist er selbst¬ 
ständig sozial unbrauchbar, d. h. er ist geschäftlich unfähig, 
zu kombiniren oder zu produziren; es fehlt ihm an inneren Im¬ 
pulsen, an Streben, an Spontaneität und Initiative, an der Ver- 
werthungsfähigkeit etwaiger rudimentärer intellektueller Impulse, 
an Intelligenz überhaupt. Er schiebt nicht, sondern er muss ge¬ 
schoben werden; er ist daher auch nicht zum Herrn geboren und 
kann es, wenn er als solcher geboren ist, nicht bleiben, er kann 
nur Knecht sein; seine sozialen Wege weisen stets nach unten; 
sich selbst überlassen, endet er mit zwingender Noth- 
wendigkeit in Nothund Elend. 

Der anamnestische Nachweis einer nicht vorget&uschten 
selbstständigen sozialen Brauchbankeit schliesst also den Schwach¬ 
sinn sicher aus. Umgekehrt ist dieser Satz jedoch nicht richtig. 
Wer sich als selbstständig sozial unbrauchbar erweist, braucht 
nicht jedesmal schwachsinnig zu sein, er kann auch charakterlos 
und alkoholverkommen sein oder zu den zuweilen einseitig hoch- 
begabten, intelligenten Degenerirten, den psychopathigen Minder- 
werthigen gehören. Die intelligenten Degenerirten unterstehen 
keineswegs generell dem Schutz des §. 51, wenn sie auch häufig 
genug partiell unzurechnungsfähig sind. 

Mit dem Nachweis der selbstständigen sozialen Brauchbar¬ 
keit kann sich also der Gutachter, wenn sie ihm einwandfrei ge¬ 
lingt, begnügen, nicht aber mit dem Nachweis der selbstständigen 
sozialen Unbrauchbarkeit. Ausserdem hat die Diagnose per exclu- 
sionem etwas Negatives: der Richter ist Positivist; er will nicht 
allein wissen, warum der Explorand nicht vollsinnig oder nich* 



10 


Dr. Neidhardt. 


beschränkt ist, sondern auch, aus welchem Grunde gerade 
Schwachsinn vorliegt. Deshalb muss der Gutachter des 
weiteren auf die Organisation des Schwachsinnigen eingehen 
und dessen Armuth an Ganglienzellen und die Dürftig¬ 
keit ihrer assoziativen Verbindungen wahrscheinlich 
machen. Dies geschieht zunächst wieder anamnestisch durch 
den Hinweis auf die verlangsamte geistige Entwickelung des 
Schwachsinnigen, deren Erscheinungen ja allgemein bekannt sind, 
anf seine Ungelehrigkeit in der Schule, in der Bibelstunde, in der 
Lehre u. s. w., im Status praesens durch Hervorheben der 
etwa vorhandenen körperlichen Entwickelungshemmungen, Inner¬ 
vationsstörungen und Degenerationszeichen (falls es sich um einen 
schwachsinnigen Degenerirten handelt, was sehr häufig der Fall 
ist), sowie insbesondere durch Hinweis auf den Umstand, dass der 
Schwachsinnige, abgesehen von den Dressurresultaten der Schule, 
der Lehr- und Militärzeit, bislang nicht im Stande gewesen ist, 
selbstständig etwas hinzuznlernen, seinen Gesichts¬ 
kreis zu erweitern, Neues in sich aufzunehmen. 

Die körperlichen Entwickelnngshemmungen und 
Innervationsstörungen haben natürlich nur insoweit Werth, als sie 
den Ansdruck eines mangelhaft organisirten Gehirns bilden; ins¬ 
besondere gilt dies also znm Beispiel von halbseitigen oder ander¬ 
weitigen trophischen Störungen und von paretischen Erscheinungen 
im Gebiete der Gehiranerven. Da die Degenerationszeichen ge- 
wissermassen periphere Signale zentraler Ernährungs¬ 
störungen sind, so trägt ihre Feststellung dazu bei, den Richter 
aufzuklären und zu überzeugen, insofern sie ihm als sinnlich wahr¬ 
nehmbare Projektionen von Verkümmerungsprozessen 
in den somatischen Abschnitten des Zentralorgans den Schluss 
auf das muthmas8liche Vorhandensein ähnlicher Störungen in den 
psychischen Hirnzentren plausibel erscheinen lassen. 

Der Nachweis, dass der Schwachsinnige in seinem späteren 
Leben selbstständig nichts hinzugelernt hat, wird am besten 
durch seine Unorientirtheit über allgemeine bürgerliche Ver¬ 
hältnisse erbracht, durch 77 die Enge seines Gesichtskreises 
— und das Fehlen allgemeiner Interessen. Dieser Nach¬ 
weis deckt sich keineswegs mit einer Gedächtnissprüfung im 
landläufigen Sinn. 

Das Gedächtniss ist die Summe der Erinnerungsbilder von 
einmal Gemerktem, setzt sich also aus der Merkfähigkeit und Er¬ 
innerungsfähigkeit zusammen. Die einfache Erinnerungsfähigkeit, 
d. h. also die Produktion von einmal Gemerktem, ist bei dem 
Schwachsinnigen keineswegs gestört, weil er sich das, was er 
überhaupt gemerkt hat, in der Regel gründlich einprägt, und kein 
Grund vorhanden ist zu der Annahme, dass dieselben Bahnen, auf 
denen die Erinnerungsbilder in das Gedächtniss hineingetragen 
sind, rückläufig nicht benutzbar sein sollten. Von eigentlicher 
Gedächtnissschwäche im Sinne einer ungenügenden Er¬ 
innerungsfähigkeit kann also bei einem Schwachsinnigen (logischer 
Weise) für gewöhnlich nicht die Rede sein. Und doch prüft der 



Deber die geriohtaftrstliehe Begutachtnng des Schwachsinns in Strafsachen. 11 

Richter, der sich zum Beispiel in Entmttndigungsterminen kühn 
an die Diagnose des Schwachsinns heranwagt, jedesmal fast aus¬ 
schliesslich die Erinnerungsfähigkeit, indem er nach Daten, Zahlen 
oder nach Geboten, Bibelsprüchen, grammatikalischen Hegeln and 
dergleichen fragt, am dann fast ebenso regelmässig za dem Schluss 
za kommen, dass der Explorand ein ausgezeichnetes Gedächtniss 
habe. Er übersieht dabei, dass das einfache Wiedererinnern von 
Gemerktem keineswegs den Begriff des menschlichen Gedächtnisses 
deckt. Das einfache Wiedererinnem von einmal Gemerktem, d. h. 
ein mechanisches Gedächtniss findet sich auch bei den 
Thieren. Das mechanische Gedächtniss ist um so besser, je mehr 
vorher gepankt, je mehr Dressur vorausgegangen ist. Die Fest¬ 
stellung eines guten Gedächtnisses in diesem Sinne beweist also 
höchstens, dass der Explorand eine gute Schulbildung genossen 
hat, dass Eltern und Lehrer sich keine Mühe haben verdriessen 
lassen. Will man auf das Gedächtniss eines Schwachsinnigen 
überhaupt Gewicht legen, so muss man den Umfang, die Kontinuität 
und die Erweiterungsfähigkelt, das Hekonstruktionsvermögen und 
die logische Ordnung seines Gedächtnisses prüfen und da wird 
man sehr bald erhebliche Abweichungen von dem normalen Durch- 
schnittsgedächtniss feststellen können, weil die zweite Gedächtniss- 
komponente, die Merkfahigkeit, beim Schwachsinnigen regelmässig 
Schaden gelitten hat. 

Die geschädigte Merkfähigkeit ist zugleich die Erklärung 
für die Dürftigkeit seines Vorstellungsinhaltes überhaupt, für 
die Frage nach dem Umfang seines Gesichtskreises und dem 
Fehlen allgemeiner Interessen. Eine normale Merkfähigkeit, d. h. 
also die Fähigkeit, etwas zu merken und sich etwas zu 
merken, setzt — abgesehen von gesunden Sinnesorganen und ge¬ 
sunden Sinnesleitungsbahnen — voraus einmal die Fähigkeit, 
Wahrnehmungen in Vorstellungen umzulegen und diese Vor¬ 
stellungen in den dafür vorhandenen differentiirungsfähigen Gang¬ 
lienzellen festzuhalten, und zum andern eine stete Aufmerksam¬ 
keit, d. h. ein fortgesetztes Verknüpfthalten entsprechender 
Abschnitte seines Vorstellungsinhalts mit den Vorgängen der 
Aussenwelt (Interessirtheit). 

Dem Schwachsinnigen gebricht es vor allem an dieser Auf¬ 
merksamkeit. Schon als Kind hat er für nichts oder doch für 
weniges Interesse, weil die Vorgänge der Aussenwelt in seinem, 
in Folge der Mangelhaftigkeit der Organisation seines Gehirns 
von vornherein dürftigen Seelenleben keinen Widerhall finden; 
während der Schul-, Lehr- und Militärzeit erfährt seine Aufmerk¬ 
samkeit allerdings eine gewisse Schärfung, der fremde Wille 
giebt seinem lose geknöpften Vorstellungsinhalte eine bestimmte 
Richtung, wie der Magnet den kleinsten Theilen eines Eisen¬ 
stabes, und während der Dauer dieser fremdgewollten Aufmerk¬ 
samkeit nimmt er eine Reihe von Vorstellungen auf, die er, soweit 
sie einigermassen verbreiteten Boden vorfinden, auch festhält: 
ausserhalb dieses Zwangs Verhältnisses aber merkt er und merkt 
er sich spontan nur wenig; er merkt zum Beispiel vor allem 



12 


Dr. Neidhardt. 


nicht, dass seine Kameraden ihn necken, hänseln und aufeiehen, 
solange er keine Unlustgefühle empfindet, und kümmert sich nur 
um das, was ihm keine Unbequemlichkeiten verursacht. So er¬ 
klärt es sich, dass er späterhin, sich selbst überlassen, nichts 
Wesentliches mehr hinzulernt und ungefähr auf dem Standpunkt 
seiner Lehrjahre stehen bleibt. 

Daher ist der Explorand, der sich über allgemeine bürger¬ 
liche Verhältnisse im Wesentlichen orientirt zeigt, der 
einen Einblick in die Ordnung unseres Staatslebens hat, sicher 
nicht schwachsinnig. Umgekehrt aber hat auch dieser Satz 
keine Richtigkeit. Wer sich in dieser Beziehung nicht allgemein 
orientirt zeigt in seinen erwachsenen Jahren, braucht noch lange 
nicht schwachsinnig zu sein; man stösst bei der Aufnahme des 
positiven Wissens auch bei im übrigen vollsinnigen Menschen oft 
genug auf erschreckende Lücken. Deswegen soll man mit der 
Verwendung des Symptoms der Dürftigkeit des Vorstellungsinhalts 
für die Schwachsinnsdiagnose recht vorsichtig sein. Wichtiger 
als das Wissen selbst ist der Nachweis der Unfähigkeit des 
Exploranden, sich solches zu erwerben. 

Wo energische Bildungsversuche nachweislich vorausgegangen 
sind, mag an der Hand des gegenwärtigen Wissenstandes der 
Hinweis auf das Scheitern dieser Versuche genügen; in allen an¬ 
dern Fällen ist es die Pflicht des Gutachters, das zweite Symp¬ 
tom des Schwachsinns, die Unzulänglichkeit der assoziativen 
Verbindung der vorhandenen Vorstellungen beweislich 
zu unterlegen. Dies geschieht — abgesehen von dem Hinweis 
auf seine soziale Unbrauchbarkeit — zum Zwecke der Demonstra¬ 
tion am besten dadurch, dass man den Exploranden rechnen lässt 
oder ihn veranlasst, eine Schilderung zu geben. 

Was zunächst die Fähigkeit der rechnerischen Ver¬ 
knüpfung einfachster Zahlenvorstellungen angeht, so scheitert die 
Mehrzahl der Schwachsinnigen am Subtrahiren und Dividiren, 
während ihnen das Addiren und Multipliziren geläufig bleibt; zu¬ 
gleich bleibt die Unfähigkeit, längere Aufgaben, wie zum Beispiel 
3 -f- 9 + 7 -j- 18 + 18 — 13 = P zu lösen, einen Beleg für 
die herabgesetzte Merkfähigkeit des Kranken. Der Beschränkte 
wird in der Regel im Stande sein, eine solche einfache Aufgabe 
im Kopf zu rechnen. 

Aehnlich verhält es sich mit den Schilderungen. Wer 
im Stande ist, in beredten Worten fliessend eine lebhafte, in sich 
geschlossene Schilderung seiner Streit- und Strafsache zu geben, 
mag anderweitig geisteskrank sein, schwachsinnig aber ist 
er sicher nicht. Dem Schwachsinnigen fliessen in den meisten 
Fällen die Worte nicht zu; er braucht eine gewisse Zeit, um von 
einer Vorstellung auf die andere zu kommen; ihm fehlen die un¬ 
vermittelten Uebergänge zwischen den einzelnen Gedankenreihen; 
er ist träge und denkt träge, aber er bringt, wenn auch um¬ 
ständlich oder umschweifig, schliesslich doch — im Gegensatz 
zum Idioten — eine einfache Schilderung zu Wege. Spontan 
schildert der Schwachsinnige jedoch nie, höchstens unter Alkohol; 



Uebcr die geriehttftritliche Begntachtnag de* Schwachsinne in Strafeachen. 13 


lieber lässt er sich fragen und durch Fragen seinen schwer¬ 
fälligen Vorstellungsablauf dirigiren. 

Etwas anders verhält sich der erst in späteren Jahren 
erworbeneSchwachsinn, der nicht ein psychisches Stillstehen, 
wie der angeborene Schwachsinn, sondern ein seelisches Zurück¬ 
gehen bedeutet, insofern der ehemals gesund und vollzählig 
gewesene Ganglienzellenbestand gewissermassen schwundartig an 
Umfang und innerem Zusammenhang eingebüsst hat. Dabei bleibt 
solchen Schwachsinnigen aus der Zeit ihres gesunden oder jeden¬ 
falls r&stigeren Geisteslebens zunächst noch eine Menge assoziativ 
gut verbundenen Vorstellungs- und Gedächtnissmaterials erhalten, 
dass sie häufig in demonstrativer und grosssprecherischer Weise 
wie ein gerettetes Prunkstück zur Schau tragen, und das wie 
eine alte Säule aus der Pracht und Herrlichkeit des ehemaligen 
Geistesreichthums noch achtunggebietend in die Zeit des geistigen 
Niederganges hineinragt. Solche Kranke werden also mit ihrem 
durchlöcherten psychischen Organ und den stehengebliebenen 
Intelligenzinseln dem Beobachter ein eigenartiges Gemisch 
von normaler Intelligenz und Blödsinn bieten, aber je nach dem 
Sitz der Angriffspunkte der Grundkrankheit und ihrem Stadium unter 
Umständen sehr wohl im Stande sein können, geläufig zu rechnen und 
eine lebhafte Schilderung zu geben. Wird die Situation nicht 
ohne Weiteres durch die Art der Grundkrankheit erhellt, so kann 
die Frühdiagnose des späterworbenen Schwachsinns 
auf grosse Schwierigkeiten stossen — ich denke z. B. an die zum 
Blödsinn führenden Uebergangsformen des Schwachsinns nach 
multipler Sklerose, Bulbärparalyse u. s. w. Die Zerfahrenheit, 
Vergesslichkeit, Zerstreutheit u. s. w. des Kranken fällt auf, aber 
der Nachweis psychischer Elementarstörungen gelingt bei dem 
hochkomplizirten Mechanismus des psychischen Organs sobald 
noch nicht. In allen diesen Fällen müssen wir uns wieder an 
den äusseren Effekt, die soziale Insuffizienz halten — und 
zwar ist die beginnende soziale Insuffizienz — wie sie z. B. im 
Zur&ckgehen des Geschäfts, in der mangelhaften Buchführung 
u. s. w. zum Ansdruck kommt, ein weitaus feineres Beagenz 
auf den erworbenen Spätschwachsinn, als die nicht 
eingetretene soziale Brauchbarkeit auf den angeborenen Früh¬ 
schwachsinn. 

Das sicherste und stets vorhandene Symptom des Schwach¬ 
sinns bleibt die Unzulänglichkeit der Urtheilsfähigkeit. 
Das Urtheil ist das Ergebniss des Vergleichs der Beziehungen 
der Dinge n. s. w. zu einander und zu der eigenen Person. Wer 
die Dinge n. s. w. subjektiv und objektiv richtig ein¬ 
schätzt, ist urtheilsfähig und sozial brauchbar. 

Die Urtheilsbildung setzt demnach die Fähigkeit voraus, 
aus einer hinreichenden Anzahl vorhandener, unter einander wohl 
verbundener Begriffe das Gemeinsame herauszufinden; sie be¬ 
ruht also im Wesentlichen auf der Fähigkeit zu abstrahiren, und 
diese Fähigkeit des Abstrahirens fehlt dem Schwach¬ 
sinnigen. Es geht ihm mit der Urtheilsbildung gerade wie 



14 Dr. Neidhardt: Ueber die gerichteftrstliche Begutachtung u. s. w. 


mit dem Rechnen; er kann addiren und multipliziren, aber divi- 
diren und subtrahiren kann er nicht; ebenso ist er wohl im Stande, 
synthetisch aus Allgemeinvorstellungen Begriffe aufzubauen, 
aber rückwärtsdenken, abstrahiren und definiren kann er 
nicht. Er kennt das „wer“ und „was“, aber nicht das „weil“ 
und „warum“. 

Er kennt z. B. einen Tisch, Stuhl und Schrank, aber er 
kann nicht sagen, was ein Tisch, Stuhl oder Schrank ist. Er 
kennt einen Fichtenbaum, eine Bose und Petersilie, aber er kann 
nicht sagen, was eine Pflanze ist. Allerdings muBS man mit der 
Feststellung der Unfähigkeit zu definiren für die Verwendung der 
Schwachsinnsdiagnose etwas vorsichtig sein; denn man wird finden, 
dass häufig auch vollsinnige Menschen in derartigen kleinen all¬ 
gemeinen Denkoperationen sehr ungewandt sind. Sicherer ist es, 
die Feststellung der Unfähigkeit zu abstrahiren und sich be¬ 
treffs der Unzulänglichkeit der Urtheilsbildung auf den Inter¬ 
essenkreis des Exploranten zu beschränken. Man wird also 
z. B. einen Landbewohner nach dem Nutzen und Zweck der ein¬ 
zelnen landwirtschaftlichen Arbeiten, nach dem Werth und der 
Güte der benachbarten Betriebe u. s. w. fragen müssen, um ein 
sicheres Urtheil über dessen Urtheilsunzulässigkeit, seinem Mangel 
an höherem Orientirungsvermögen zu gewinnen; — mit dem 
schwachsinnigen Kaufmann wird man sich über geschäftliche 
Sachen unterhalten müssen, um ihn auf Urtheilsmängel festnageln 
zu können. In Zivilsachen wird vielfach der Streitgegenstand 
selbst, die von einem Mangel an jeglichem Ueberblick zeugende 
Uebernahme einer ganz faulen Bürgschaft, die Blödsinnigkeit 
eines abgeschlossenen Geschäftes, das fortgesetzte Uebervortheilt- 
und Hineingelegtwerden des Betreffenden u. a. mehr, genügendes 
Material zum Nachweis der Urtheilsunzulänglichkeit abgeben. In 
Strafsachen thut der Sachverständige gut, die Straftat selbst 
thunlichst ausserhalb der Diskussion zu lassen; er wird vielmehr 
nach analogen Vorgängen, nach ähnlichen Handlungen und 
Aeus8erungen suchen, die über den Mangel an Uebersicht und 
Einsicht des Beschuldigten keinen Zweifel lassen. Auch die 
automatische Wiederholung immer desselben Tricks, die bei den 
einzelnen Strafthaten bekundete Unbedachtsamkeit, Unbesorgtheit, 
Harmlosigkeit, die leichte Bestimmbarkeit durch augenblickliche 
Eingebung oder durch andere wird sich für den Nachweis des 
Mangels an Kritik verwerthen lassen. 

Jedenfalls ist die Feststellung der Urtheilsunzuläng¬ 
lichkeit die Hauptaufgabe des {Sachverständigen bei der 
Diagnose des intellektuellen Schwachsinns. 

Trotz Erfüllung dieser Hauptaufgabe darf der Sachver¬ 
ständige nicht vergessen, dass die Grundlage jedes psychiatrischen 
Gutachtens die Erkenntnis der Gesammtpersönlichkeit 
ist. Die wissenschaftliche Diagnose ist erst dann vollständig, 
wenn zu den reinen Intellegenzstörungen, — die natürlich nie¬ 
mals isolirt dastehen —, auch die gemüthliche und psycho¬ 
motorische Seite des Seelenlebens des Exploranden stimmt, 



Di. Nebler: Heber die Anaffihnu>g ton Desinfektionen in lftndJ. Kreisen. 15 

wenn sich zu der gesammten psychischen Persönlichkeit auch die 
körperliche Erscheinungsweise in Einklang bringen lässt, 
und schliesslich das ganze gegenwärtige Bild durch das Vor¬ 
leben als eine Probe auf das Exempel gedeckt wird. Durch 
eine solche, in sich geschlossene Diagnose wird zugleich am besten 
dem Einwand der Anfechtbarkeit des Gutachtens auf Grund der 
Verwendung unbeeidigter Zeugenaussagen begegnet. 

Die Abgrenzung des Schwachsinns gegenüber der 
Idiotie, dem Blödsinn, ist für die strafrechtliche Praxis belanglos. 
Es ist aber wichtig, die Unterschiede zu kennen, weil unter Ver¬ 
wechslung der Begriffe des Schwachsinns und Blödsinns zuweilen 
der Einwand gemacht wird, dass der Explorand gar nicht schwach¬ 
sinnig sei, da er sehr wohl im Stande sei, Wahrnehmungen 
zu machen. Demgegenüber ist festzustellen, dass das Aufhören 
der Fähigkeit, Wahrnehmungen zu machen und zu Vorstellungen 
und Begriffen zu verarbeiten keineswegs ein Schwachsinnszeichen 
darstellt, sondern in das Gebiet des Blödsinns gehört, und dass 
die Schwachsinnsdiagnose von diesem Sypmptom nicht abhängig 
gemacht werden kann. Im Uebrigen ist das wesentlichste Unter¬ 
scheidungsmerkmal wieder die soziale Brauchbarkeit. Der Schwach¬ 
sinnige kann in unselbstständiger, dienender Stellung 
und unter fremdem Willen mit einiger Anleitung noch sehr 
wohl seinen Unterhalt verdienen, der Idiot ist absolut abhängig 
von der öffentlichen Fürsorge. 

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass der Sachver¬ 
ständige mit dem vorstehend umgrenzten Begriff des interlek- 
tuellen Schwachsinns im Allgemeinen — wie ich hier und 
da schon angedeutet habe — auch in Zivilsachen auskommen 
wird, zum Beispiel bei der Feststellung der Geschäftsunfähigkeit 
eines Individuums (§. 104 B.-G.-B.). 

Dagegen darf er sich für berechtigt halten, die Geistes¬ 
schwäche des §. 6 B.-G.-B. als Erforderniss der Entmündigungs¬ 
möglichkeit unter Umständen erheblich weiter zu fassen. 
Eine medizinische Definition dieses aus rein juristischen Bedürf¬ 
nissen herausgewachsenen, ganz generellen Schwachsinns- 
Begriffes zur Deckung der Unfähigkeit eines Individuums seine 
Angelegenheiten zu ordnen, lässt sich überhaupt nicht geben. 


Ueber die Ausführung von Desinfektionen in ländlichen 

Kreisen. 

Von Kreisarzt Dr. Ne bl er in Nimptseh i/Schles. 

Bei der Lektüre eines Aufsatzes „Die Aufgaben der Des¬ 
infektion und ihre Durchführung" von Geh. Ober-Med-Bath Prof. 
Dr. Kirchner (Aerztl. Sachverständigen - Zeitung Nr. 17) und 
einer sehr ausführlichen instruktiven Arbeit des Direktors des 
bakteriologischen Laboratoriums zu Cöln, Dr. Czaplewski, über 
Entwicklung und Ausführung der Desinfektionen in Cöln, ver¬ 
öffentlicht in der „Deutschen Praxis“, kam mir der Gedanke, es 



16 


Dr. Nobler. 


möchte nicht uninteressant sein, zu berichten, wie auch in länd¬ 
lichen Kreisen, denen keine bedeutenden Mittel zur Verfügung 
stehen, Desinfektionen ausgefühlt werden können. Dass dieses 
Thema augenblicklich im Vordergründe der Diskussion steht, be¬ 
weist eine Anzahl von Artikeln über diesen Gegenstand in den 
letzten Heften dieser Zeitschrift, beweisen auch zahlreiche schrift¬ 
liche Anfragen aus den verschiedensten Theilen des Reiches, 
welche Auskunft erbitten über die praktische Durchführung der 
Desinfektionen im diesseitigen Kreise, und wie sie sich bewährt habe. 

Der Kreis Nimptsch zählt bei einer Grösse von 375,86 qkm 
29,257 Einwohner; er besitzt ausser der Stadt Nimptsch mit 
2199 Einwohnern nur noch eine grössere Anzahl ziemlich zer¬ 
streut liegender Dörfer von durchaus ländlichem Charakter. Auf 
Anregung und unter Mitwirkung des damaligen Kreisphysikus 
Dr. Kef erst ein wurde nach 2 jährigen Vorbereitungen am 16. De¬ 
zember 1899, fast zu gleicher Zeit mit der Desinfektionsordnung 
der Stadt Breslau — diese datirt vom 11. Dezember 1899 — 
ein Reglement erlassen, publizirt im Nimptscher Kreisblatt Nr. 7 
vom 14. Februar 1900. Der Inhalt ist kurz folgender: 

Im Kreise Nimptsch wird die erforderliche Anzahl Kreisdesinfektoren 
angestellt. Sie siud von dem Kreisphysikus aasgebildet and werden von der 
OrtBpolizeibehörde, wo der Kreisdesinfektor seinen Wohnsitz hat, vereidigt. 
Jeder Desinfektor steht unter der Aufsicht des Kreisarztes and hat dessen 
Anordnungen laut der ihm bei der Vereidigung zugestellten Dienstanweisung 
genau zu befolgen. 

Die Desinfektion ist für jeden einzelnen Fall von der zostlndigen Orts¬ 
polizeibehörde im Aufträge des Landraths anzuordnen and zwar auf Antrag 
des Kreisphysikus. Fflr eine Desinfektion erhält der Desinfektor ans Kreis¬ 
mitteln 8 M. Die Auslagen für Desinfektionsmittel sind besonders zu Bänden 
des Kreisphysikus in Rechnung zu stellen. Die Kosten der Desinfektion werden 
durch den Kreis von den bemittelten Haushaltungen wieder eingezogen. Aach 
von Privatärzten können die Desinfektoren herangezogen werden; die Kosten 
dieser Desinfektionen sind jedoch von den betreffenden Hanshaltnngsvorständen 
direkt zu entrichten, in gleichem Betrage von 8 M. 

Sind Desinfektionen im Dampfdesinfektionsapparate, der sich in der 
Kreisstadt befindet, nothwendig, so erhält der Desinfektor, falls er den Trans¬ 
port begleitet, für die erste Stunde 1 M., für jede folgende 50 Pf. 

Die Kündigung hat für den Kreis, wie für den Desinfektor vierteljährlich 
an dem Vierteljabrstermin zu geschehen. Der Desinfektor erhält ein äusseres, 
vom Kreise zu beschaffendes Abzeichen. 

Bei Widerstand der Betheiligten, deren Wohnung, Sachen etc. auf An¬ 
trag des Kreisphysikus zu desinfiziren sind, hat der Desinfektor sich an die 
Ortspolizeibehörde zu wenden. Beschwerden Aber den Desinfektor gehen an 
den Kreisphysikus und den Landrath. 

Die Desinfektion ist unbedingt erforderlich bei Erkrankungen oder 
Sterbefällen an asiatischer Cholera, Pocken, Typhus und Diphtherie; bei 
anderen ansteckenden Krankheiten, z. B. bösartigem Scharlach, Tuberkulose eto. 
nach dem Ermessen des Landraths im Einvernehmen mit dem Kreisphysikus. 

Oegen Widerstand resp. Uebertretung sind Geldstrafen bis zu 80 M. 
festgesetzt. 

Diesem Reglement ist eine sehr ausführliche Dienstanweisung beigefägt, 
welche sich genau der „Instruktion und Tabelle zur Ausftlhnung der Breslauer 
Desinfektionsmethode nach Prof. C. Flügge“ anlehnt. 

Wie hat sich nun diese Einrichtung in praxi gestaltet 
and in den 3 Jahren ihres Bestehens bewährt? 

An 4 Kursustagen wurden die 7 zu Kreisdesinfektoren 



lieber die Ausführung von Desinfektionen in ländlichen Kreisen. 17 


ge wei detem Männer: Gememdediener, Krankenwärter, Todten- 
grftber, kleine Handwerker theoretisch nnd praktisch unterwiesen, 
nachher geprüft und vereidigt. Diese Kandidaten waren 
aemüeh gleichmässig aus über den Kreis vertheilten Ortschaften ent¬ 
nommen; für ihre Versäumniss der Auslagen — manche wohnten 
95 Kilometer weit — bekamen sie Reisekosten und Tagegelder. 
Meines Erachtens ist es weniger wichtig, den Kandidaten ein¬ 
gehende Kettntniss über Natur und Verbreitung der Infektions¬ 
krankheiten beizubringen; dazu ist im Allgemeinen das geistige 
Niveau der Leute zu niedrig und ihre Vorbildung doch zu mangel¬ 
haft, um ihnen ein klares Verständniss dieser subtilen, ihrem 
Ideenkreise so fernstehenden Dinge beizubringen. Mehr Werth 
muss bei diesem Kursus auf die Gewissenhaftigkeit in der Aus¬ 
führung und auf den Drill gelegt werden. Wie es verfehlt wäre, 
den gemeinen Soldaten in die Gesetze der Taktik und den Zweck 
dieser oder jener Uebung einzuführen, es vielmehr genügt, wenn 
er an seinen Platz gestellt pünktlich und präzise dem Kommando 
und de** Instruktion entsprechend seinen Dienst versieht, so soll 
es mit dem Desinfektor sein. Der Kreisarzt giebt ihm genaue 
Anweisung, wie er in diesem oder jenem Falle desinfiziren soll, 
was er zu scheuern, zu verbrennen, auf Leinen aufzuhängen hat 
o. s. w. u. 8. w.; Sache des Desinfektors ist es dann, diese An¬ 
ordnungen strikte zu erfüllen, seinen Apparat und dessen Bedienung 
genau zu kennen. 

Der Kreis hat drei Formalindesinfektionsappar8te 
von Schwarzlose Sühne-Berlin (Breslauer Methode) angeschafft 
und sie 3 Desinfektoren, gleichmässig Über den Kreis vertbeflt, 
anvertrant. Diese desinfiziren bei schwereren oder besonders 
infektiösen Erkrankungen mit Formalin, während bei leichteren 
Affektionen von ihnen nnd den 4 übrigen Desinfektoren je nach 
Vorschrift mit Chlorkalk desinflzirt, mit Lysol, Schmierseife, 
Sbda u. s. vr. gescheuert, die Möbel abgerieben, werthlose Sachen 
verbrannt werden n. s. w. Die nothwendigen Apparate: Formalin- 
und Ammeniakentwickler, sowie die übrigen Utensilien: Anzüge, 
Schüsseln, Eimer, Leinen, Wattezylinder, Hammer, Messer, Kitt, 
Papier u. s. w. sind in einer festen Kiste verpackt. Da diese 
exklusive der Desinfektionsmittel nur 25 Kilogramm wiegt, lässt 
sie sich bequem in einem Handwagen nach den benachbarten 
Dörfern transportiren, wofür dem Desinfektor natürlich eine Extra¬ 
vergütung von 1—2 M. je nach der Weite des Weges gewährt wird. 

Es darf nicht verhehlt werden, dass gerade die Formalm- 
deefafektion an die Pflichttreue des Desinfektors grosse Ansprüche 
stellt. Erstens ist es für den im Ganzen doch ungebildeten Mann 
nieht immer leicht, die für den Knbikraum des za desinfizirenden 
Zimmers nöthige Menge der Stoffe ausznreehnen, wenn dies 
neb in dankenswerther Weise durch die Tabelle, welche jedem 
Desinfektor übergeben wird, ansserordentlich erleichtert ist, 
da in dieser je nach der Höhe, Längs nnd Breite des Raumes 
die genaue Menge Formalin, Ammoniak, Wasser und Spiritus an¬ 
gegeben ist. 



18 


Df. Nobler. 


Weit schwieriger ist aber zweitens eine gewissenhafte Abdich¬ 
tung nud gründliche Zustopfung aller Eitzen und Löcher, und doch 
ist dies absolut nothwendig, wenn anders man eine wirksame Desni- 
fektion ausführen will. Drittens ist die lange Dauer der nothwen- 
digen Formalinentwicklung eine schwere Geduldsprobe für den Des¬ 
infektor, besonders wenn die Desinfektion nicht an seinem Wohn¬ 
orte vorgenommen werden soll; in letzterem Falle kann er nach 
Aufstellung des Apparates entweder nach Hause oder seinen Ge¬ 
schäften nachgehen, um nach 7 oder bei doppelter Formalinmenge 
nach 3 } /i Stunden wieder zu erscheinen und die Ammoniakent¬ 
wicklung zu beginnen. In einem fremden Dorfe ist jedoch die 
Gefahr nicht zu unterschätzen, dass dem Desinfektor die Zeit zu 
lang wird, er deswegen die Desinfektion vorher abbricht und so 
deren Wirkung illusorisch macht; diese Gefahr wird um so grösser, 
wenn er weiss, dass der Kreisarzt weit entfernt ist und ihn nicht 
kontrolliren kann. Um dem vorzubeugen, habe ich mich zumeist 
mit Erfolg bemüht, den Amtsvorsteher oder den Gendarm dafür 
zu interessiren, damit sie sich etwas darum kümmern und dem 
Desinfektor bemerklich machen, dass sie über die nothwendige Zeit 
der Formalinentwicklung genau orientirt seien. Schon das Gefühl, 
dass gewissenhafte Kontroleure sein Thun beobachten, wird bei 
dem Desinfektor die Versuchung, den Prozess vorzeitig abzu¬ 
brechen, im Keime ersticken. 

Von grosser Wichtigkeit scheint mir eine Desinfektions - 
schule, wie solche bereits in Breslau besteht, besonders für die 
intelligenteren, bereits etwas erfahreneren Desinfektoren, denen 
man schon etwas mehr Verständniss über das Wesen der Infek¬ 
tionsträger und die Wirkung der Desinfektion Zutrauen kann. 
Da dem Kreise durch die Theilnahme an diesen Kursen nur die 
Unterhaltungskosten und die Examengebühr erwachsen, stiess 
mein Vorschlag, zunächst einen Desinfektor nach Breslau zu 
senden, auf keinen Widerstand; ich beabsichtige, wenn möglich, 
in den nächsten Jahren auch die beiden anderen, mit Formalin¬ 
apparaten ausgerüsteten Desinfektoren einen solchen Kursus durch¬ 
machen zu lassen. 

Betreffs Anordnung der Desinfektion hat sich die Bestim¬ 
mung des Reglements, dass die Desinfektion „in jedem einzelnen 
Falle von der zuständigen Ortspolizeibehörde im Aufträge des 

Landraths und auf Antrag des Kreisphysikus“ anzuordnen ist, 

in der Praxis etwas geändert. Um möglichst schnell nach 
Erlöschen der Seuche oder Entfernung des Kranken aus der 

Wohnung — sei es, dass er einem Krankenhause zugeführt 
oder gestorben ist — die Desinfektion vornehmen zu können, er- 
theilt der Kreisarzt im generellen Aufträge des Landraths dem 
Desinfektor den Auftrag, mit der Massgabe, dass derselbe bei 
dem behandelnden Arzte sich erkundige, wann die Desinfektion 
baldmöglichst erfolgen könne. Bisher haben mich die Aerzte darin 
bereitwilligst unterstützt; auch die Amtsvorsteher, denen 

natürlich die Desinfektion gemeldet wird, sind über die Ver¬ 
minderung des Schreibwerks nicht unzufrieden, zumal ihnen ohne¬ 
dem noch ein genügendes Quantum bleibt. 



Ueber die Ausführung tos Desinfektionen in ländlichen Kreisen. 19 


Was die Kosten anlangt, so hat sich die Einrichtung, dass 
die Desinfektoren vom Kreise bezahlt werden, ausserordentlich be¬ 
währt. Erfahrungsgeinäss ist kein Haushaltungsvorstand darüber 
erfreut, wenn der Desinfektor erscheint und für viele Stunden das 
gewöhnlich schwer entbehrliche Zimmer mit Beschlag belegt. Soll 
er nun sofort dem Manne zahlen, so wird der Unmuth noch wachsen, 
und der Desinfektor eher Widerstand als Unterstützung finden, 
zumal ja der Haushaltungsvorstand nicht Auftraggeber und selten 
so einsichtig' ist, um den Zweck und Segen der Desinfektion zu 
verstehen. Anderseits ist es nicht mehr als billig, dass dem 
Desinfektor der Lohn für seine immerhin mühevolle Arbeit garan- 
tirt wird, unabhängig davon, ob die Familie, in der er desinfizirt, 
arm oder reich ist, und dass er, der ja zumeist mittellos ist und von 
der Hand in den Mund lebt, auch bald für seine Leistung honorirt 
wird. Es fordert die Berufsfreudigkeit und den Eifer ungemein, 
wenn der Desinfektor sich sagt, dass seine Bemühungen und Aus¬ 
lagen sofort baar vergütet werden. Dadurch ist der Gefahr, dass 
bei etwaigen Vakanzen der Nachwuchs fehlen könnte, einiger- 
lnassen begegnet. 

Diese Kosten werden von wohlhabenden Familien wieder 
eingezogen. Mir ist nicht unbekannt, dass eine gesetzliche Ver¬ 
pflichtung eigentlich nicht besteht, ja, dass das Oberverwaltungs¬ 
gericht in seiner Entscheidung vom 10. Juli 1900 (Bd. XXXVIII 
8. 6 u. f.) sich dagegen ausgesprochen hat. Auch erscheint es 
mir durchaus gerechtfertigt, dass nicht der Haushaltungsvorstand, 
sondern die Allgemeinheit die Kosten trägt; denn die Familie, in 
der eine Seuche geherrscht hat, war während der Krankheit oft und 
lange genug der Gefahr einer Ansteckung ausgesetzt, und, blieb 
sie verschont, so hat sie es ihrer Immunität oder ihrer Vorsicht 
nnd Achtsamkeit zu danken; für sie erscheint die Schluss¬ 
desinfektion im Allgemeinen entbehrlich. Diese hat vielmehr den 
Zweck, die Umgebung, die Besucher, diejenigen, welche später 
das Zimmer betreten oder bewohnen, diejenigen, welche die Betten, 
Kleider, Möbel, Spielsachen etc. berühren oder benutzen werden, 
zu schützen; mit einem Wort: die Schlussdesinfektion ist 
eine allgemein sanitäre Massregel und sollte dement¬ 
sprechend auch von der Allgemeinheit getragen werden. 
Immerhin hat sich der Modus, dass die Wohlhabenden die Un¬ 
kosten nachträglich bezahlen, recht bewährt; denn diese sind zu¬ 
meist einsichtig genug und dankbar für diese Einrichtung; sie 
zahlen diese kleine Summe auch gern, während dadurch der Etat 
des Kreises doch etwas entlastet wird. Es wird mit grosser 
Nachsicht nnd Milde verfahren, und sobald die Vermögenslage 
des Betreffenden oder sonstige widrige Umstände ein Erlassen 
der Summe rechtfertigen, dieselbe auf den Kreis übernommen. Im 
Durchschnitt wird noch nicht die Hälfte der Desinfektionen von 
den Betreffenden zurückerstattet. 

Die Desinfektionsmittel: Chlorkalk, Salzsäure, Schmier¬ 
seife, Soda, Lysol etc. kaufen sich die Desinfektoren selbst, während 
Form&lin und Ammoniak ihnen vom Kreisarzt geliefert werden. 



20 Dr. Nebler: lieber die Aasfohrong von Desinfektionen in kaä). kreisen. 

damit diese die vorschriftsmässige Güte und Stärke haben. Auch 
Sublimat nnd Karbol wird ihnen direkt vom Kreisarzt mit der 
entsprechend genauen Anweisung übermittelt. Selbstredend werden 
diese gefährlichen Desinfizientien auf das Nothwendigste be¬ 
schränkt. Die Auslagen werden sofort zurttckerstattet. 

Bis jetzt ftmktionirt dieser Apparat ganz zufriedenstellend; 
nur selten sind Klagen eingelaufen, welche sich durch mündliche 
Vorhaltungen und Besprechungen abstellen liessen. Auch die Be¬ 
völkerung sieht mehr und mehr den Nutzen, die Bequemlichkeit 
und die relative Billigkeit dieser Desinfektionsart ein, denn ein öfteres 
Wetssen, Neutapezieren der Bäume etc. war viel theurer, lästiger 
und unwirksamer. Alles aber hängt davon ab, dass man 
über einen Stamm guter, gewissenhafter Desinfek¬ 
toren verfügt, und dies wieder wird man nur er¬ 
reichen, wenn die Bezahlung eine prompte und den 
ortsüblichen Verhältnissen entsprechend gute ist. 
Der Vorschlag des Herrn Ob.-Med.-Rath Dr. Kirchner, Krfeis- 
desfnfsktoren mit 1500 Mk. Gehalt anzusteüett, ist wohl nur in 
grossen, reichen Kommunen durchführbar. In den ländlichen 
Kreisen wird es sich empfehlen, der weiteren Entfernungen wegen 
eine grössere Anzahl von Desinfektoren anzustellen, und sie pro 
Leistung zu honoriren, nach dem Erfhhrungssatze, dass die meisten 
Arbeiter ihre Pflicht besser und freudiger erfüllen, wenn sie für 
jede Einzelverrichtung entlohnt werden. 

Die besten Vorschläge scheitern oft an der Kosten- 
frage. Es ist daher vielleicht von Interesse, einige diesbezüg¬ 
liche Daten zn geben, umsomehr, als es den Medizinalbeamten 
allenthalben zur Pflicht gemacht wird, in ihren Bezirken für die 
Einführung eines geregelten Desinfektionswesens einzutreten. Um 
nun die von den Verwaltungsbehörden erhobenen Bedenken be¬ 
treffend der Kostenfrage zu widerlegen, möchte ich zum Schluss 
noch die dem diesseitigen Kreise während der 9 Jahre entstande¬ 
nen Kosten speziflziren. Sie setzten sich zusammen aus den Aus- 
rüStungs- Und den Erhaltungskosten. 

A. Aasrastungskosten. 

1. Anschaffung von 8 Förm&lkapparatem.208,60 *4? 

Araefat .................. 7,80 „ 

2 Sonstig* CtoMÜitRfür die 7 Desinfektoren.216,60 „ 

8. Tagegelder and Reisekosten für die 4 Kanastege 4 24,80 99,20 „ 

läämma 6 24,60 T& 

B. Er haltufigskosten. 



For- 

maite 

OL : 

Ammo* 

niak 

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Spi¬ 

ritus 

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kalk 

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säure 

je 

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zylinder 

je 

Porto 

' Je 

Sepa¬ 

ratem 

je 

Sa. 

je 

1900 


1 1 

ES 

Eim 

gga 

| 1,20 

\ - 

2,10 


86,2» 

190l| 

64,60 

1 1*881 

1 6,26 | 

1 M*| 

2,96 | 

1,86 1 

1 24» 

1 8 JO j 

— | 

109,98 

19Q9| 

63,60 | 

i 9,60 | 

' 6,- 1 

6,60 | 

8,2» | 

1,96 | 

8,88 

ajö i 

9 | 

8*40 

1 

136,O&j 

34,83114,261 

16,66 | 

6,20 | 

ö,- 

| MO 

8,66| 

8*90 | 

281,58 


Hierin sind sabbelte») beioeae Mittel Jttlmn.Iteeltetfbltoge.TMcbfa, 
Buchsen, Masssttbe, H&auner, Zange, Nagel, Watteaylinder,, Eiteer, ScMaseln, 
Packpapier, Gummi, Wäscheleinen, Zerstäuber mit Geblase. 














Am Versammlungen ud Vereinen. 


21 


An die Desinfektoren werde gezahlt für Desinfektionen: 
1900: 36 M,, 1901: 242 M., 1902: 161 M. Summa 439 M., wo- 
Ton etwa 2 00 M. von den Wohlhabenden eingezogen wurden. 
Unter gleichen Verhältnissen würden also 500 M. zur ersten Aus¬ 
rüstung und 800 M. jährlich in den Etat eingesetzt genügen, 
selbst wenn man auf die Einziehung von den Haushaltungsvor- 
ständen verzichten wollte. 

Eine vom Herrn Minister angeordnete unvermuthete Revision 
im Oktober ergab das erfreuliche Resultat, dass trotz Sjähriger 
Benutzung, von einigen Kleinigkeiten abgesehen, Alles in bestem 
Zustande war. 

Dass die Schlussdesinfektion des Desinfektors nur die letzte 
sanitäre Anordnung des Medizinalbeamten ist, dass seine Haupt¬ 
aufgabe viel eher beginnt, nämlich von dem Moment, wo er 
Kenntnis3 von dem Auftreten einer infektiösen Krankheit in seinem 
Kreise erhält, bedarf nicht erst der Erwähnung. Sobald ein 
Feuer signalmirt wird, mit die Feuerwehr herbei, um den Herd 
einzu dämmen und von dem ergriffenen Gebäude zu retten, was 
möglich ist; zuletzt erfolgt ein allgemeines Ablöschen, wo die 
ganze Brandstätte gereinigt und jeder glimmende Funke ge¬ 
löscht wird. So auch eilt der Medizinalbeamte, aus eigener Ini¬ 
tiative oder wenn ihm der Auftrag wird, eine Senche festzustellen, 
in das ergriffene Haus, am die Umgebung des Kranken, seine 
Familie and seine Pfleger za schützen. Ist die Krankheit er¬ 
loschen, so erfolgt die Schlossdeainfektion, das allgemeine Ab¬ 
löschen. Sie ist die letzte, aber lange nicht die unbedeutendste An¬ 
ordnung ; denn von ihrer mehr oder minder sorgfältigen Ausführung 
hängt es ab, ob nicht in längerer oder kürzerer Zeit von dem 
anscheinend ausgelöschten Herde eine Funke wieder aufflammt, 
der einen neuen Brand entfachen kann. Daher möglichst voll¬ 
kommene Scfalussdesiufektien und möglichst tüchtige, geübte und 
gewissenhafte Desinfektoren! 


Aut Versammlungen und Vereinen. 

Bericht Über die Verhandlungen der Versammlung der 
Hedizlnalbeamten des Regierungsbezirks Oegjucz 
vom 5. November 1902. 

Zu dar vom Herrn Regierungspräsidenten so Nachmittag 1 Uhr oster 
den Vorsitz des Regierung»- and Geheimen Medisinalraths Dr. Schmidt an- 
hemwmtea Versammlung waren sämmtliche 17 Kreisärzte, der Kreisaasistenzarst 
za Carolstb, sowie von den 12 mitgeladenen staatsärztlich geprüften prakti¬ 
schen letzten des Bezirks, Dr. Neetske-Laadsbat, Dr. Talks-Retbenbnqg 
0./L., Dr. K 1 ewe-Nanmbosg a./Q., Dr. K. Scholz-Görlitz erschienen. 

L Kaiser Bericht über die Thcümtm na den Berliner Vovt- 
MUnagnkuraea. Referenten: Kreisarzt Dr. Steinberg-Birsekbergnnd Kak* 
amt Med.-Batk Dr. Brsun-GörKts. 

Kioiiaert Sr. Stein he rg-Bknehherg b ori a ht et unter Serag nehme anf 
dm Referat des Kreisarztes Dr. Meder-Küin in Nr. 16 der Zeitschrift für 
Medizinalbeamte 1902 Uber den 1. Fortbildangskttrsns für Medizi eeibcamte 
iaMaid. J. and a wor enent Uber Wasserversorgung. Besonders hervor- 
phohm irnrden die Fortschritte in der Trinkwaeserstarihsirang denk das 
Ozonisirnngs verfahren. Lille und Paderborn arbeiten bereits mit Oeon, 



22 


Aas Venammlangeo and Vereinen. 


ebenso ist in Wiesbaden eine solche Anlsge vollendet. Die Kosten richten sich 
nach dem Bakteriengehalt des Rohwassers. Siemens & Halske berechnen 
sie aaf */* Pfg. für den Kubikmeter, auf 5 Pfg. für den Kubikmeter einschl. 
Aulagekosten, während sich z. Z. in Berlin 1 cbm Wasser anf 16 Pfg., in Char¬ 
lottenburg auf 20—21 Pfg. stellt. — Das Wormser Filterplattenverfahren kann 
gegen die Sandfiltration nicht aufkommen (Risse, schwere Reinigung). Aehn- 
iicnes gilt von den Berkefeldfiltern. Der Hygieniker muss bei jeder Filtration 
eine Regulirkammer fordern, die eine Messung der Filtrirgeschwindigkeit ge¬ 
stattet. Die Keimzahl 100 als zulässiges Maximum für filtrirtes Obeiflächen- 
wasser gilt nur für stark verunreinigtes Flusswasser und vollends nicht für 
Grundwasser. Doppelte Filtration nach Goetze, d. h. Einschaltung eines 
zweiten Filters nach Passiren des ersten, bewährt sich in Bremen durch längere 
Haltbarkeit der Filter. — Die sog. „organischen Stoffe“ der Tiefbrunnen Wässer 
sind harmlose Huminsäuren. 

Referent bespricht hierauf die Desinfektionsapparate. Die jetzt 
gebräuchlichen lassen den Dampf entweder a) von unten nach oben oder b) von 
oben nach unten eindringen. Bei a) darf mit dem Dampf keino Luft ent¬ 
strömen, anderseits muss die Luft aus den eingestellten Sachen durch den 
Dampf völlig aasgetrieben werden; — das ist bei ‘/io - */* Atmosphären Ueber- 
druok nur bei Temperaturen von 100—105° C. möglich. Der Dampf muss 
ferner bei a) aus feinen Oeffnungen ausströmen, weil sonst neben dem aus¬ 
strömenden Dampf an den Rändern der Oeffnungen Luft nach unten in den 
Apparat eindringt. Schliesslich muss der Dampf gesättigt sein; daher darf 
neben dem Manometer ein Thermometer nicht fehlen. Bei 2 Atm. Druck ist 
der Dampf nur bis zur Temperatur von 140° C. gesättigt und würde bei 200° C. 
geradezu wirkungslos sein. Aus demselben Grande muss Ueberhitzung des 
Dampfes in unmittelbarer Nachbarschaft der Rippenkörper vermieden werden. 
Testobjekte sollen deshalb nicht nur in die Mitte, sondern auch an die Ober¬ 
fläche der zu desinfizirenden Wäscheballen etc. gelegt werden. 

Als bestes Mittel zur Prüfung der Luftheizungskaloriferen auf 
Dichtigkeit wird Einheizen mit Schwefelblumen empfohlen. 

Bei der Besprechung des KreiBarztgesetzes wurde als erstrebens- 
werthes Ziel hingestellt, der Kreisarzt möge in den Augen des Publikums mehr 
das Ansehen eines Beratbers geniessen, als das eines polizeilichen Aufsehers. 
Die Reinhaltung der Gewässer gemäss der in dem Min.-Erlass vom 
20. Februar 1901 aufgestellten Grundsätze müsse mit allen Kräften angestrebt 
werden. 

Die gelegentliche Besichtigung (Musterung) der Apotheken be¬ 
zwecke, Einblick in den Geschäftsbetrieb zu erhalten. Daher sei die Erledi¬ 
gung etwaiger Monita zu überwachen, das Giftbuoh einzusehen, die Sauberkeit 
der Gefässe und Tüeher, sowie die Ordnung in den Schüben zu prüfen, die 
Innehaltung der Arzneitaxe und Einführung der neueren Nomenklatur (Pyra- 
zolone etc.) zu beachten. Mit Strenge sei auch darauf zu halten, dass Lehr¬ 
linge nicht ausgenutzt werden, sondern etwas Gründliches lernen; §. 53 der 
Dienstanweisung verdiene vollste Beachtung. 

Beim Besuche des Nahrungsmitteluntersuohungsamts erregte 
besonderes Interesse, dass 32 °/ 0 der geheimen Butterankäafe za Beanstandungen 
führten, 15°/o der gekauften Butterproben aus reiner Margarine bestanden. 
Im Hackfleisch wurde 0,1—1,2°/„ Präservesalz gefunden. 

Bezüglich des Krankenhauswesens wurden verschiedene Missstände 
erörtert. Auch in bestehenden Anstalten dürfe eine Ueberlegung nicht statt¬ 
finden: 25 cbm p. Kopf müssten mindestens gewährt werden. Rettungs¬ 
wachen seien, weil Krankenanstalten, jährlich zu besichtigen. Auch die, im 
übrigen eine Ausnahmestellung geniessenden Johanniter-Krankenhäuser 
haben dem Kreisarzt die statistischen Uebersichten (Fragebogen, Zählkarten) 
einzusenden. Der Kreisarzt habe auch die in Provinzialanstalten be¬ 
findlichen Apotheken zu mustern, die Anstalten selbst aber nur auf Requisition 
seitens der Oberpräsidenten zu besichtigen. Polikliniken gehören zu den 
Krankenanstalten im Sinne des §. 30 R. G. 0. 

Es bestehen wenig Aussichten, die Invaliditätsvenioherung für Heb¬ 
ammen obligatorisch zu machen, bezügliche Schritte bleiben den Kreisen und 
Gemeinden überlassen. 



Aas Versammlungen and Vereinen. 


28 


Die im Kreise der Theilnehmer des FortbUdangskarsas laut gewordenen 
Verbesserungsvorschläge sind: 

1. Umgestaltung des Stundenplanes, sweoks Vermeidung der Beise vom In* 
stitut für Infektionskransheiten sur Irrenanstalt Hersberge; 

2. Brleiohterung des Verständnisses und Zeitersparnis durch Drucklegung 
der gegebenen Vorschriften and Uebersichten; 

3. Mehr Besichtigungen; 

4. Allgemeine Einführung von Besprechungen. 

. Ansätze sur Verwirklichung der Wünsohe 2 and 4 erfreuten sich all¬ 
gemeinen Beifalls. Die BinfOhrang der Karse wurde allseitig als eine dankens¬ 
werte, bei der Falle der dem Kreisarst obliegenden Amtsgeschäfte geradeso 
notwendige, regelmässig su wiederholende Einrichtung begrünst. 

Korref. Med.-B. Dr. Braun- Görlitz, Theilnehmer am 2. Fortbildungs¬ 
kurses, schliesst sich den Ausführungen des Bef. namentlich in Anerkennung 
der Reichhaltigkeit des gebotenen Stoffes an, wünscht aber dringend, dass 
künftig die theoretischen Vorträge eingeschränkt und dafür mehr Gelegenheit 
in praktischen Arbeiten gegeben werde. 

Anschliessend hieran teilt der Vorsitzende mit, dass auch gelegent¬ 
lich der Konferenz der Regierungs- und Medisinalräte zu Berlin am 26. und 
27. Augustd. J. betreffs der Fortbildungskurse mehrfach Wünsche naoh einer 
besseren Verteilung des Lehrstoffes und einer mehr praktischen Ausbildung 
der Medisinalbeamten für die nach §. 37 der Dienstanweisung den Kreisärzten 
obliegenden Untersuchungen geäussert worden seien; su diesen seien auch die 
Anfangsgründe der Bakteriologie zu rechnen, Ansetzen von Kulturen u. dgl. m. 
Hinsichtlich der vom Referenten berührten Apothekenmusterungen durch die 
Kreisärzte ersucht er, durch eingehende Prüfung der Lehrlinge sich von deren 
Kenntnissen zu vergewissern, die, wie er an einem Binzelfall erläutert, häufig 
ungemein mangelhaft seien; wo das Brgebniss unbefriedigend sei, seien die 
Lehrherrn auf ihre Pflichten hinznweisen. Des Weiteren macht er auf die 
Bestimmungen über die Herstellung der Arzneitabletten, welche Mittel der 
Tabelle B. und C. des Arzneibuchs enthalten, mittelst der durch die Betriebs¬ 
ordnung neu eingeführten Tablettenmaschine aufmerksam, gegen die häufig 
aoeh veratossen werde (Stypticin, Morphin u. a. von Wellcome, Linkenheil). 
Bezüglich der Desinfektoren theilt er mit, dass ein Brlass über deren 
AusbUdung in 6 tägigen Kursen an Desinfektorenschulen in Aussicht stehe. 

II. Geschäftliche Angelegenheiten. Der Vorsitzende bespricht 
zunächst die Berichte über die Schulbesichtigungen; für jede einzelne 
Sehule sei ein besonderer Begleitbericbt erforderlich. Br verweist hinsichtlich 
der formalen Seite auf die Reg.-Verf. vom 15. Oktober d. J., d. h. genaue Unter¬ 
scheidung zwischen nothwendigen und wünsohenswerthen Verbesserungen, Bin- 
reiehang an die Schulabtheilung durch die Hand a) des Kreissohulinspektors 
b) des Landraths. 

Bezüglich der Unterschriften erwähnt er die Öfters beobachtete 
Unleserlichkeit der Namenszüge und macht auf die Nothwendigkeit einer deut¬ 
lichen Schrift in den amtlichen Schriftstücken aufmerksam. 

Des Ferneren sei es mehrfach vorgekommen, dass nrsohriftliche Ver¬ 
fügungen g. B. nicht zurückgegeben seien, was im Interesse geordneter Akten¬ 
führung nothwendig sei. 

In den vierteljährlichen Gebühr en-Verzeichnissen sei es hin und 
wieder nicht ohne Weiteres ersichtlich, ob eine Verrichtung gebührenpflichtig 
"ei; es sei deshalb in zweifelhaften Fällen eine Begründung unter „Bemer¬ 
kungen* anzugeben. 

Bei der Prüfung der Entwürfe für Begräbnissordnungen seien 
mehrfach die Bestimmungen des Min.-Erl. vom 20. Januar 1892, M. Nr. 9127, 
sieht genügend beachtet worden; so bezüglich des „Grundplanes“, aus dem die 
Verkeilung der Gräber, der Wege, der Plätze für Erwachsene und Kinder er¬ 
sichtlich sei, oder der Bestimmungen betreib der Begisterführung u. dgl. m. 
Eine Verfügung mit einem Master für den Bntwurf von Begräbniss-Ord¬ 
nungen werde demnächst ergehen. 

Mit Bezug auf die vierteljährlichen Gesundheitsberichte (Zeitungs¬ 
berichte) wird der Wunsch ausgesprochen, sich in gedrängter Kürze und 
übersichtlich auf die Gegenstände 1. Allgemeiner Gesundheitszustand, 2. Sterb- 



u 


Am Versammlungen «»4 Vereine*. 


liahhak, 8. vcrherasehcnder Kr anfcheitscharaktor, 4. varherzseh on de Iniektione* 
krankheiten, hier mit Zahlenangaben und Benennung des Orten, w* eie epi- 
demisoh aaftreten, na beschränken, denen zutreffenden Falles 5. besondere Vor¬ 
kommnisse anzosoklieseen wären. 

Ueber die Abfassang der Jahresberichte werde die Bestimmung ge¬ 
troffen werden, dass die 14 Abschnitte in je einem Heft bearbeitet and durch 
raadständige Bezeichnung der einzelnen Abteilungen and Untembtbeilttngen 
eine grössere Uebersichtlichkeit erzielt werde. Nar die wichtigsten Ereignisse 
der Berichtszeit seien za bringen, kurze Darstellung dringend geboten. Als 
Friert fit die Bmrefohnng des Jahresberichts werde der 1. März j. J. festgesetzt 
werden. — 

An der nunmehr erfolgenden Berathang des folgenden Gegenstandes der 
Tagesordnung: 

UI. Die Kindersterblichkeit ins Regierungsbezirk Liegnit*, nimmt 
der Herr Regierungspräsident Freiherr von Beb err-These theil. Er begrünst 
die ihm vielfach persönlich noch uubekannten Mitglieder der Versammlung und 
bittet nm die Unterstützung der Kreisärzte auch auf solchen Gebieten, die 
zwar über den Rahmen, welche die Dienstanweisung umschliesst, hinansgehen, 
jedoch eine Förderung im allgemeinen Interesse wünschenswert!! machen. Er 
knüpft hieran die Zusicherung seiner thatkräftigen Unterstützung bei allen 
dahingehenden Bestrebungen. 

Hierauf hält Kreisarzt Dr. Leske-Liegnitz seinen Vertrag: 

Aus der Preußischen Stastitfk, Heft 166 and 171 ergiebt sich, dass der 
Reg.-Bes. Lieguitz sowohl bezüglich der allgemeinea Sterbeziffer, wie der 
Sterblichkeit des 1. Lebensjahres eine recht ungünstige 8telle einnimmt. 
Während nämlich für die Jahre 1887—1901 die allgemeine Sterbeziffer im 
preussiseben 8taat 21,6 # /oo beträgt, ist sie im Reg.-Bez. Liegnits 25,1 °/ M . 

Zur Beurtheilnng der Kindersterblichkeit muss das Verhlltniss 1) der 
im 1. Lebensjahr Gestorbenen zur Zahl der überhaupt Gestorbenen, 2) der hm 
1. Lebensjahr Gestorbenen zur Zahl der Lebendgeborenen, 8) der Todtgeborenen 
zur Zahl der Lebendgeborenen herangezogen werden. Es ergiebt sich auch hier, 
dass der Reg.-Bez. Liegnitz eine ziemlich ungünstige Stelle einnimmt, wie aas 
mehreren anfgestellten and ausreichend vervielfältigten Tabellen zu entnehme* 
war. Ebenso wurden die entsprechenden Verhältnisse für die einzelnen Kreise 
des Regierungsbezirks in einer Tabelle susammengesteUt, aas der sieb ergab, 
dass die Gebirgskreise Hirecbberg and Landeshut die höchste! Sterbeziffern 
im Allgemeinen, wie für das 1. Lebensjahr anfweisen. 

Nach einer Uebersicht über die hauptsächlichen Todesursachen des 
1. Lebensjahres, wobei anf die Unsicherheit der den Standesämtern gemachten 
Angaben wegen Fehlens einer allgemeinen ärztlichen Leichenschau hingewiesen 
wurde, ging Referent zunächst anf die allgemein angenommenen Ursachen 
für die hohe Kindersterblichkeit ein: Allgemeine Aranth, mangelhafte 
Wohnnngsverhältnisse, Unverstand, auch eine gewisse Gleichgültigkeit der 
Eltern bei hoher Kinderzahl nnd schlechte Ernährung. 

Jede dieser Ursariten wurde daun erörtert unter gleichtzeitiger Anführung 
der Wege, welche sich zu ihrer Bekämpfung bieten. 

In Frage kommt die Einführung von Hanshaltangsnnterrleht, 
der Erlass von Poliseiverordnnngen über den Verkehr mit Milch, die Ver¬ 
keilung gedruckter Anweisungen über die Pflege der Kinder nnd Ihre 
künstliche Ernährung seitens der Standesämter. Hingewiesen wurde auch 
auf den günstigen Einfluss, den man mit der Zeit von den Ortsbesichtignngen 
bezw. Gesondheitskommissionen bezüglich der Wohnnngsverhältnisse zu 
erwarten berechtigt ist. 

Im Weiteren führt Referent ans, dass aber ein wirksamer Erfolg nnr von 
einer durchgreifenden Neuro ge lang der gesummten, vornehmlich der öffent¬ 
lichen Kinderpflege za erwarten ist, wobei besonders anf die mustergültige 
Organisation der Stadt Halle a. S. hingewiesen wurde. An der Spitze steint 
dort «in Ziehkinderarzt, unter dessen Leitnng nnd Aofsicht besoldete 
Pflegerinnen thätig sind, welche die Kinder in bestimmten Zwischenräumen 
amfunhsn «ad diejenigen, bei welchen sich Krankkei t seno h einnngen bemerkbar 



Ans Versammlungen und Vereinen. 


25 


■neben, h die Wocbensprechstunde des Ziehkinderarztes bestellen, wo dann 
Im Erforderliche angeordnet wird. *) 

ttie gesetzliche Unterlage zu der Einffihrung dieser Beaufsichtigung 
Uttet Art. 78, §. 4 des preussischen Ausffihrungsgesetres zum B. G. B. 

Für eheliche Kinder, die weder der Armenverwaltung zur Last fallen, 
aoeh unter Polizeiaufsicht stehen, kommen ehrenamtlich thätigePflege- 
rinnen in Frage, die in der Wohnung der Eltern mit Einverständnis oderauf 
Wunsch Berathung und Unterstützung mannigfacher Art zu Tbeil werden lassen. 

Weitere Massnahmen sind die unentgeltliche Verabfolgung von 
Sieh, die Errichtung von Krankenküchen oder Suppenanstalten, Ausbildung 
und Anstellung von Wochenpflegerinnen, Beschaffung der sog. „Margarethen* 
spenden* 1 oder Ihnlicher Einrichtungen zur Krankenpflege, g. F. auch die Er* 
Achtung von Kinderbewahranstalten unter Leitung von in der Kinderpflege 
ungebildeten Pflegerinnen. 

Um eine Herabsetzung der Kindersterblichkeit im ganzen Regierungs- 
benirk an erzielen, empfahl Referent die Neuregelung der Kinderfür- 
sorge in einheitlicherWeise über den ganzen Bezirk auszudehnen 
and zu dem Zweck, im Anschluss an die Zweigvereine des Vaterländischen 
Franenvereins, einen Verein in’s Leben zu rufen, der seinen Hauptsitz in Lieg¬ 
nits hüben und möglichst in jedem Kreise und in jeder Stadt Zweigvereine 
bilden muss. 

Nach den in der Stadt Halle a. S. gemachten Erfahrungen ist man zu der 
Hoffnung berechtigt, auf diesem Wege mit der Zeit eine Herabsetzung der 
Kindersterblichkeit zu erreichen. 

Zum Schluss hatte Beferent eine Anzahl von Leitsätzen aufgestellt, die 
mit einigen Abänderungen und Ergänzungen angenommen wurden. (Weiteres 
hierüber folgt unten.) 

Die an den Vortrag und die anfgestellten Leitsätze sich knüpfende De¬ 
batte eröffnete der Herr Regierungspräsident, indem er zunächst seine Be¬ 
friedigung darüber aussprach, dass ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt 
wurde, das besonders geeignet sei, seine im Anfänge geäusserten Anschauungen 
über die Mitwirkung der Medizinalheamten zu erläutern. Der Umstand, dass 
die Kindersterblichkeit im Beg.-Bez. Liegnitz gross sei, sei unbestritten und 
lenke die Aufmerksamkeit auf ein Gebiet, auf dem die Privatwohlthätigkeit 
erfolgreich wirken könne, nämlich auf das der Krippen, des Haltekinder¬ 
wesens, sowie der Wöchnerinnenpflege; hier erschliesse sich den 
Vaterländischen Frauenvereinen ein weites Feld für ihre Liebesthätigkeit, das 
sieh nicht nur auf die 8tädte, sondern auch auf ländliche Verhältnisse erstrecken 
müsse. Diese Bestrebungen zu fördern und zu unterstützen, sei auch eine der 
in seiner Ansprache erwähnten Aufgaben der Medizinalbeamten. 

Geh. Med.-Rath Dr. Köhl er-Landeshut stellt fest, dass in dem Vor¬ 
trage Alles enthalten sei, was über Kindersterblichkeit und die Mittel zu ihrer 
Verminderung gesagt werden könne; er ist nicht im Zweifel darüber, dass beim 
Erlass von Verfügungen nach den in den Leitsätzen angedeuteten Richtungen 
hin eich eine Abnahme der Sterblichkeit erzielen lassen wird; nur ergeben sich 
mancherlei Schwierigkeiten für die Durchführung auf dem Lande. Als eine 
erwähnt er, dass in den Arbeiterfamilien der Industriebezirke nach kaum be¬ 
endetem Wochenbett die Säuglinge in Pflege gegeben werden; der hierfür ge¬ 
zahlte Entgelt sei sehr gering, deshalb die Pflege mangelhaft, was wiederum 
die Widerstandskraft der Kleinen sehr herabsetze. 

Kreisarzt Dr. Hirschfeld-Glogau bestätigt diese Erfahrungen und 
hält es für zweckmässig, die Oberpräsidialverordnung, betreffend das Halten 
von Pflegekindern, vom 10. Februar 1881 (Amtsbl. S. 60) dabin zu erweitern, 
dass die Polizeibehörden verpflichtet werden, jeden Todesfall bei Haltekindern 
lern Kreisarzt mitzutheilen, damit dieser sich überzeugen könne, ob etwa eine 
Vernachlässigung vorliege. 

Med.-Rath Dr. Braun-Görlitz weist darauf hin, dass in Görlitz die 


*) Näheres siehe bei Stadtrath Pütter-Halle a. S.: 1. „Das Ziehkinder- 
wesen*, Leipzig 1902 ; 2. „Die Beaufsichtigung der Zieh- und Pflegekinder 
durch besoldete Pflegerinnen in der Stadt Halle a. S.* „Jugendfürsorge*, 
fl. Jalug, fl. 3—6 und 11. Berlin 1901. 



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Aas Versammlungen and Vereinen 


Ziebmtttter verpflichtet seien, dem beamteten Arzt auch jede Erkrankung 
ihrer Pfleglinge anzuzeigen; er wUnscht diese Gepflogenheit verallgemeinert. 

Kreisarzt Med.-Rath Dr. Leder-Lauban macht auf die im Vortrage 
erwähnte grosse Anzahl der Todtgebunen aufmerksam und hält' eine Er¬ 
mittelung des ursächlichen Zusammenhanges dieser auffallenden Erscheinung fttr 
zweckmässig. 

Dem gegenüber weist der Herr Regierungspräsident auf den Um¬ 
stand als muthmassliche Ursache hin, dass die Frauen häufig bis zum letzten 
Augenblick ihrer Schwangerschaft auf Arbeit gehen und dadurch die Aussichten 
für Lebendgeburten herabgedrllckt wflrden. 

Hinsichtlich des Vortrages des Kreisarztes Dr. Leske spricht der Herr 
Regierungspräsident den Wunsch aus, dass er, um ihn den Landräthen, 
Magistraten, Fabrikvorständen etc. zugänglich zu machen, in Druck gelegt 
werde unter Anfügung der benutzten Litteratur und der aufgestellten Leitsätze, 
zu deren Besprechung nunmehr geschritten wird. 

An letzterer betheiligten sich der Herr Regierungspräsident, der 
Vorsitzende, der Referent und die Kreisärzte Dr. Schilling, Dr. Brann 
und Dr. Meyen. Zur Erörterung kamen die Fragen, ob die Familienpflege 
der Anstaltspflege und die Unterbringung auf dem Lande derjenigen in Städten 
vorzuziehen sei, ferner, ob die Ausbildung und Beaufsichtigung der Kinder¬ 
pflegerinnen nur einem Arzte oder auch anderen Vertrauenspersonen zu über¬ 
tragen sei. 

Demnächst erfolgte die Annahme der vom Referenten aufgestellten vier 
Leitsätze in nachstehender Fassung: 

„I. Eine erfolgreiche Bekämpfung der hohen Kindersterblichkeit im Reg.- 
Bezirk Liegnitz ist nur von einer einheitlichen Neuregelung der Kinderfürsorge, 
vornehmlich der öffentlichen, zu erwarten. 

II. Die Unterbringung der Kinder in Familien bei sorgfältiger Auswahl 
der Pflegemütter verdient den Vorzug vor der Anstaltspflege. 

III. Die Ausbildung aller nicht in geeigneten Anstalten vorgebildeten 
Kinderpflegerinnen ist einem Arzt zu übertragen. 

Die Beaufsichtigung der Kinderpflegerinnen ist ebenfalls in erster Reihe 
einem Arzt, im Uebrigen einer Vertrauensperson zu übertragen, unbeschadet 
der Vorschriften des §. 98 der Dienstanweisung fttr die Kreisärzte. 

IV. Ausserdem kommen in Frage: 

1. Die Regelung des Handels mit Milch im Wege der Polizeiverordnung. 

2. Die unentgeltliche Verabfolgung geeigneter Milch an Säuglinge, 

3. Die Ausbildung und Anstellung von Wochenpflegerinnen und Anschaffung 
der sogenannten Margarethenspenden oder ähnlicher Einrichtungen zur 
Krankenpflege. 

4. Die Förderung des Haushaltungsunterrichts in Verbindung mit der Abgabe 
von Kost an Wöchnerinnen und deren Angehörige. 

5. Die Errichtung von Kinderbewahranstalten, Krippen und dergl. unter 
Leitung ausgebildeter Krippenpflegerinnen." 

In einem letzten Leitsatz wünscht der Herr Regierungspräsident 
die Zentralisirung aller die Kinderpflege betreffenden Bestrebungen betont zu 
sehen und schlägt als Mittelpunkt den Vaterländischen Frauenverein vor. Die 
dem Vortragenden überlassene Fassung des zur allgemeinen Besprechung nicht 
mehr gelangenden Leitsatzes wird von ihm folgendermassen ausgedrückt: 

V. „Es ist wünschenswert^ dass die Zweigvereine des Vaterländischen 
Frauen Vereins der Kinderfttrsorge ihr reges Interesse zuwenden." 

Im Anschluss an den Vortrag gelangte eine Statistik der verkrüppelten 
Kinder in der Provinz Schlesien im Jahre 1901/1902 nebst den Aufnahme¬ 
bedingungen des schlesischen Krüppolheims zu Rothenburg O.-L. zur Vertheilung, 
wobei der Herr Regierungspräsident unter Hinweis auf die grosse Zahl 
der Krüppel in Schlesien seine Ueberzeugung zum Ausdruck brachte, dass viele 
darch eine rechtzeitige Unterbringung in eine entsprechende Anstedt noch ge¬ 
heilt und gebessert werden könnten and dass durch Anregung der privaten 
Wohlthätigkeit, z. B. bei Familienfeiern, Geburt eines Stammhalters etc. diese 
Bestrebungen wirksam unterstützt werden sollten. 

Das ausserdem noch auf die Tagesordnung gestellte Referat über das 
Reichsseuchengesetz vom 30. Juni 1900, betreffend die Bekämpfung 



Kleinere Mittheilungen and Referate aas Zeitschriften. 


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ansteckender Krankheiten musste wegen der vorgeschrittenen Zeit für eine 
spätere Berathang verschoben werden. 

Aaf die Anregung des Herrn Vorsitsenden betreffs einer jährlich 
absahaltenden s weiten, nicht offi siel len Versammlung wird allseitig der 
Wunsch in erkennen gegeben, eine solche stattfinden sa lassen and für die nächste 
Zsoammenkonft das Frühjahr 1903 bestimmt. Nachdem der Herr Vorsitzende dem 
Herrn Regierungspräsidenten den Dank der Versammlung für sein Erscheinen 
nnd die rege Antheilnahme an den Verhandlungen ausgesprochen hat, wird die 
Sitzung um 4 1 /, Uhr geschlossen. 

Es folgte ein Festmahl im Rautenkranz unter zahlreichster Betheiligung. 

_ Schmidt-Liegnitz. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin und Psyohiatrie. 

Der Arat vor Gericht. Von Dr. A. Kühner, Geriohtsarst a, D. 
Deutsehe Medizinal-Zeitung; 1902. Nr. 71—76, 79—81, 84—87 und 90. 

In einer Reihe von Aufsätzen behandelt der Verfasser verschiedene 
Kapitel aus der gerichtlichen Medizin. Die lebendige Schilderang nnd der 
flotte 8til machen die Abhandlangen za einer angenehmen Lektüre, die man 
nicht ohne Nutzen aus der Hand legen wird; treffende Beispiele aus der 
eigenen Erfahrung und ans der Litteratur — vornehmlich der englischen — 
tragen zum Verständnis» und zur Belehrung bei. 

Die Haupt - Abschnite sind ttberschrieben: Der gewaltsame Tod und die 
Untersuchung von Leichen, — Feststellung der Persönlichkeit, — Streitige 
geschlechtliche Verhältnisse, — Schwangerschaft; Geburt; Kindesmord, — 
Selbstmord, — Gewaltsame Todesarten, — Psychische Insalte. 

Gerade das letzte Kapitel ist nicht am uninteressantesten. Es handelt 
davon, dass allmählich wirkende, lang andauernde Gemüthsbewegungen ge¬ 
wisse Gesundheitsbeschädigungen verursachen und heftige plötzliche psychische 
Einwirkungen sogar den Tod herbeiführen können. 

Za den Gesundheitsbeschädigangen gehören u. A. die Wirkungen des 
Schreckes, _ der z. B. in einem Falle eine Blutung hervorrnfen und in einem 
anderen eine solche stillen kann, und weiter die Fälle, in denen mächtige 
seelische Erschütterungen die Betroffenen in einem völlig traumhaften Zustand 
versetzen („Starr vor Schreck“). 

Bei den Todesfällen in Folge heftiger Gemttthsbewegung, Angst u. s. w. 
fessselt uns am meisten die Schilderung solcher Vorkommnisse, wo Patienten 
shokartig beim Beginn einer Operation, bei der ersten Berührung, vor 
der Narkose u. s. w. plötzlich gestorben sind. 

Dass allmählich wirkende seelische Einflüsse deprimirender Art 
aioht nur die Ursache von Nerven - Erkrankungen, sondern auch von 
somatischen Beschwerden mit organischer Grundlage sein können, betont Ver¬ 
fasser am Schluss besonders nnd empfiehlt, diese hochwichtigen seelischen Be¬ 
ziehungen bei der Krebsforschung und bei der Aetiologie .der Tuberkulose 
nicht zu übersehen. _ (Dr. Hoff mann-Elberfeld. 

Ein Fall von Morphiumvergiftung im frühesten Kindesalter. Von 
Dr. Katzenstein in München. Münchener med. Wochenschrift; Nr. 44, 1902. 

In Anbetracht der Seltenheit von Morphinmvergiftnngen im frühesten 
Kindesalter theilt Verfasser einen solchen schweren Fall mit, welcher ein 
24 Tage altes Kind betraf, das von der Wärterin ca. 7 mgr Morphium in 
Pulverform verabreicht bekam und nach 26 Stunden so gut wie ganz frei von 
jeglichen Symptomen der Morphiumvergiftung war. 

Bei seiner Anknnft fand Verfasser das Kind in einem eklamptisehen 
Anfall; die Athmung war sehr erschwert, das Kind hochgradig zyanotisch. 
Die Pupillen waren klein, jedoch nicht übermässig verengt. Pnpillar- und 
Kornealreflex waren erloschen. Obwohl Verfasser sofort an Vergiftung mit 
einem Narcoticum dachte, gelang es ihm erst später, seinen Verdacht bestätigt zu 
erhalten. Die Krampfanfälle wiederholten sich Anfangs in Pausen von einer 
halben und später von einer ganzen Stunde, so dass innerhalb 17 Standen 
20 Anfälle auftraten. Die Pupillen verengten sich später bis zur Stecknadel- 



28 Kleinere Mittheilungen und Referate ans Zeitschriften. 

bnopfgröese. In den zwischen den Anfällen liegenden Pansen lag das Kind 
bewusstlos auf seinem Bettchen; dabei beobachtete man beständige Zachungen 
und zitternde Bewegungen an den Lippen- und Gesichtsmuskeln; Puls war 
klein aber deutlich fühlbar, Athmung verlangsamt. 

Im Anfalle selbst sah man zuerst eine allmählich stärker werdende 
Blaufärbung der Fingernägel and der Lippen, verzögerte und verflachte 
Athmung, hierauf Tetanus am ganzen Körper und zu gleicher Zeit mit diesem 
vollständiges Aufbören der Athmung, während das Herz zunächst ruhig nnd 
gleichmässig fortschlug. Nach ca. 15 bis 30 Sekunden löste sich der Tetanns, 
es trat vollständige Erschlaffung der Muskeln ein und der Zustand war genau 
so, wie man ihn bei neugeborenen aspbyktischen Kindern beobachten kann. 

Die Dauer der Anfälle war verschieden und betrug 16—85 Minuten, der 
längste Anfall dauerte 40 Minuten. Die Anfälle gingen vorüber, indem das 
Kind vereinzelte Athens süge machte, welche allmählich sich vertieften nnd 
vermehrten. 

Der Urin war eiweisshaltig und wurde erst nach ca. 6 Wochen eiweiss¬ 
frei. Da vor der Vergiftung zu einer Urinuntersuchung keine Veranlassung 
bestand, lässt sich nicht feststellen, ob die Vergiftung das Auftreten des AL 
bumens verursacht hat. 

Am 3. Tage hatte das Kind noch eine vorübergehende Temperatur¬ 
erhöhung von 40,5 in ano, welche am Abend auf 88,5 herunterging (vielleicht ln Folge 
der subkutanen Bluteinspritzung). Am 4. Tage machte das Kind einen voll¬ 
ständig gesunden und frischen Eindruck. 

Verfasser behandelte das Kind hauptsächlich mit künstlicher Athmung, 
warmen Bädern, kalten Uebergiessungen, Mastdarmeinläufen, Einpackungen, 
Abreibungen mit heissen Tüchern, Eintauoben in heisses Wasser, subkutanen 
Kochsalzeinspritzungen, Kalomelpulvern, Verabreichung von schwarzem Thee, 
Kaffee, Cognak etc. 

Den günstigen Ausgang dieser Vergiftung schreibt Verfasser der künst¬ 
lichen Athmung nnd Massage des Herzens zu. Wurde die Manage des Brust¬ 
korbes in den Anfällen nicht konstant fortgesetzt oder auch nur auf Sekunden 
unterbrochen, so liessen die Herztöne an Kraft nach und die Herzschläge 
folgten in immer grösser werdenden Intervallen. Verfasser übte innerhalb 
14 Stunden mindestens 6 bis 7 Stunden die Massage des Brustkorbes. Von 
besonderem Interesse erscheinen dem Verfasser die beschriebenen klonischen 
und tonischen Krämpfe. 

In Folge narkotischer Vergiftung treten nach Angabe der Lehrbücher 
der Toxikologie und der Arzneimittellehre derartige Krämpfe regelmässig bei 
niederen Thieren, z. B. Fröschen auf. Bei Menschen sind sie nur dem frühesten 
Kindesalter eigentümlich. 

Nach Soltmann besitzt das Gehirn des Neugeborenen, schon gegen¬ 
über dem des älteren Säuglings, auf Grund seiner rückständigen anatomischen 
Beschaffenheit (Fehlen der strengen Trennung zwischen weisser and grauer 
Substanz, vielfaches Fehlen der Markscheide um die Acbsensylinder, mangel¬ 
hafte Entwicklung der Pyramidenbündel etc.) an und für sich eine erhöhte 
Beflexdisposition. Auf Grund dieser verschiedenen physiologischen Entwick¬ 
lungen reagirt der Neugeborene auf Opium, wie ein niederes Rttckenmarkswesen. 

So konnte Verfasser in Folge der grcssen Jugend des Kindes die delitäre 
Wirkung des Morphiums auf die Zellen der Grosshirnrinde und der Medulla 
oblongata nebeneinander beobachten. Bei älteren Säuglingen und Erwachsenen 
fällt die bisher zu Krämpfen führende Wirkung des Morphiums in Folge der 
zahlreichen Reflexhemmungsvorrichtungen gewöhnlich fort. 

Während bei Erwachsenen der Toleranz gegen Morphium verschieden 
ist, zeigt sich die Intoleranz gegen Morphium bei Kindern im Verbältniss zu 
ihrem Gewichte und ihrer Jugend ganz unverhältnissmässig gross. Nach 
Tappeiner kann bei Säuglingen schon ein Tropfen Opiumtinktur oder 
0,001 gr Morphium lebensgefährliche Vergiftungen hervorrufen. Dr. Edlefsen 
theilt einen Fall mit, welcher einem Arzte verhängnisBVoll wurde, wobei ein 
7 Monate altes Kind pro Körpergewicht 1,045 mg Morphin innerhalb eines Zeit¬ 
raumes von mehreren Stunden bekam und daran zu Grunde ging. 

Im vorliegenden Falle, bei dem die Toleranz der grösseren Jugend 
wegen entsprechend kleiner als im vorhergehenden Falle angenommen wurden 
muss, erhielt der Patient auf einmal 2 mg Morphin pro Kilo Körpergewicht. 



Kleinere ttittheilungen and Referate aas Zeitschriften. Ö9 

Der eelten schwere Verlauf der Vergiftung, in Folge deren das Kind einmal 
40 Minuten, mehrere Male rund 30 Minuten vollständig ohne eigene Athmnng 
war, und das Hers Öfter seine Thätigkeit einstellen drohte, beweist, dass 
die Gabe von 2 mg Morphin pro Kilo Körpergewicht des kind¬ 
lichen Körpers als im Allgemeinen letal gelten muss. 

_ Dr. Waibel-Kempten. 


Der Mord an Therese Pacher. Von Alfred Amsehl, k. k. Staats- 
anwalt im Gras. Archivfür Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik; 1902; 
& Bd., 3. und 4. H. 

Der Fall ist gerichtsärztlieh lehrreich wegen des Befundes der mikro¬ 
skopischen Untersuchung von Haaren und der Deutung dieses Befundes. Die 
72jährige Pfandvermittlerin Tb. P. in Gras wurde eines Tages in ihrer Woh¬ 
nung todt mit weitgehenden Zertrümmerungen der Schädelknochen aufgefunden; 
in ihren Händen klebten swischen den Fingern drei Haare. Die Öffentliche 
Meinung heseiobnete sofort den Sohn der P. als den Thäter, der auch alsbald 
verhaftet wurde. Es worden nun die drei in den Händen der Ermordeten ge¬ 
fundenen Haare, sowie Kopf- und Barthaare des Sohnes Mikroskopikern nur 
Untersuchung Obergeben, welche zunächst feststellten, dass die betreffenden drei 
Haare menschliche Haare und swar Barthaare waren. Zur weiteren Ver¬ 
gleichung wurden sämmtliche Haare Ober verschiedene, in weisses Papier ein- 
geuchaittaae längliehe LOcher geklebt, so dass dieselben abwechselnd gegen einen 
hinter den Löchern liegenden weissen oder schwarsen Grund betrachtet and 
verglichen weiden konnten. Dabei fielen die Farbennüancen, welche die drei 
Haare darboten, vollständig zusammen mit bestimmten FarbennOancen, die auch 
in der Reih« der Kopf- and Barthaare des Sohnes vertreten waren. Ausser 
dieser allgemeinen Uebereinstimmung trat an den helleren braunen Barthaaren 
des Verdächtigen noch eine besondere Erscheinung hervor. Die Haare zeigten 
aämlieh der Länge nach abschnittweise hellere and dunklere Strecken, ein Be¬ 
fund, dar an meusehliohen Haaren nicht zu den häufigen geboren soll. Dieselbe 
Bmehetamig fand sich nun auch an zwei Haaren ans den Händen der Leiehe. 
Die Vertbailnag der helleren and dunkleren Abschnitte an diesen Haaren 
stimmte endlich mit der Vertheilang solcher Abschnitte an den donneren Bart¬ 
haaren des Verdächtigten noch besser Oberein, als mit den an den dickeren 
Barthaaren. Dieser Befand, so sagten die Untersuchet, lässt, die Annahme, 
daea die drei Haare aus den Händen der Leiche von jenem Bart, dem die 
Urigen Haare entnommen sind, herrtthren, als dnroh viele Gründe unterstOtst 
erscheinen. Vorsichtiger Weise fügten aber die Gutachter hinzu: entschieden 
musa hervorgehoben werden, dass im vorliegenden Falle ebenso wenig wie in 
■aderen ähnlichen Fällen auf Grand der Vergleiohang der Haare mit absoluter 
Siekerbeit ein Schluss auf die Identität gezogen werden darf. Der Verdächtige 
kennte in einwandsfreier Weise den Alibibeweis erbringen und wurde deshalb 
wieder ans der Haft entlassen. Bei den weiteren Nachforschungen lenkte eich 
4« Verdacht auf einen gewissen M. Die Haare desselben wurden nun ebenfalls 
mit den bei der Leiche gefundenen verglichen. Der Gerichtsarzt gab an: Die 
Barthaare des M. stimmen mit jenen in den Händen der P. gefundenen gar 
rieht Oberein. Andere Sachverständige — aber nicht diejenigen, welche die 
Haare des jungen P. begutachtet batten — kamen zu dem Ergebnisse, dass 
eilige Haare M.’s vollkommen mit den Haaren ans der Leicbenband in Form, 
Dicke, Beschaffenheit and Farbe Qbereinstimmten: Gleichgeartete schwarze 
waren sehr viele vorhanden, nnd die dunkelbraunen, sowie lichtbraunen Hessen 
Im Schuft abschnittweise hellere nnd dunklere Strecken hier erkennen. Es sei 
daher ganz gut möglich, dass die in den Händen der Ermordeten gefundenen 
Husre von H. herstammen! Dr. Bost-Rudolstadt. 


Der FaH Fischer. Mitgetheilt vom Ersten Staatsanwalt Siefert in 
Wrina*. Archiv für Kriminal- Anthropologieund Kriminalistik. 1902, 9. Bend, 
2. nnd 3. Heft. 

S. giebt eine aktenmissige Darstellung des Falles F., der wohl noeh in 
Aller Gedächtniss ist. F., Student in Berlin, ein erblich belasteter, von jeher 
rin whr jähzor niger, leicht verletzter, fibernanpt zu gewaltsamen Vorgängen 
geneigter, dabei zerstreuter und in sich versunkener, 23 Jahre alter Man 1 ' 



80 Kleinere Mittheilnngen and Beiernte aas Zeitsahrilten. 

hatte in den Osterferien 1901 in seiner Vaterstadt Eisenach mit Hartha 
Arnberg, Tochter einer Todtenlraa, ein Liebesverhältniss angefangen and wieder¬ 
holt die Absicht ge&assert, dieses soviel tief anter ihm stehende Mädchen später 
so heirathen. Nach Berlin znrückgekehrt, erhält er eine anonyme Denun- 
siation, die ihm die Untreue der Geliebten schildert. Diese Denunziation ver¬ 
setzt ihn in eine furchtbare Erregung und dabei taucht zum ersten Male in 
ihm der Gedanke auf, das Mädchen zu tödten. Bei seiner Abreise in die 
Pfingrtferien bittet er seine Wirthin, den ihrem Manne gehörigen Revolver 
mitnehmen za dürfen, ln Eisenach angekommen, verkehrt er täglich 
mit der M. Am Mittwoch nach Pfingsten kauft er sich einen Revolver nebst 
Munition und veranlasst die M. zu einem Spaziergange ausserhalb der Stadt. 
Während desselben lässt er die M. unter einem Vorwände etwas vorausgehen 
und ladet während dieser Zeit, ohne dass die M. es merkt, den Revolver mit 
6 Patronen. Er holt das Mädchen wieder ein, nimmt es im Laufe der weiteren 
Unterhaltung in seinen linken Arm, so dass ihr Kopf an seiner Schulter lehnt, 
zieht den Revolver aus der Tasche und schiesst die M. in die linke Schläfe. 
Da sie nicht sofort todt ist, schiesst er nochmals nach ihrem Kopfe. Er blieb 
drei Stunden bei der Leiche, die er mit Blumen schmückte, lief dann planlos 
umher und stellte sich nach Eintritt der Dunkelheit selbst der Polizei. Das 
Schwurgericht in Gotha verurtheilte den F. wegen Todtschlags, indem es die 
Zurechnungsfähigkeit bejaht. Das Reichsgericht hob das Urtheil auf und ver¬ 
wies die Sache an das Schwurgericht Weimar. In der Weimarer Haupt¬ 
verhandlung standen sich die Gutachten der beiden psychiatrischen Sach¬ 
verständigen — Binswanger aus Jena und Ganser aus Dresden — gegen¬ 
über. B. bezeichnet die Zurechnungsfähigkeit F.’s nur als gemindert. Die 
zweifellos vorhanden gewesene geistige Störung habe eine völlige Ausschliessung 
der freien Willensbestimmung nicht zur Folge gehabt; es sei nicht jede Vor¬ 
stellung gegen die Ausführung der Handlung beseitigt gewesen. Höher zu 
bezeichnen seien die wirksam gebliebenen Urtheile allerdings nicht. G. trat 
für völlige Unzurechnungsfähigkeit F.’s bei der That ein. F. habe mit ge¬ 
bundener Marschroute unter dem Gefühle des Zwanges gehandelt; die Idee, die 
Handlung nicht aussuführen, sei ihm gar nicht gekommen; er habe nicht de- 
librirt, dumpf und brütend habe er nur den einen dominirenden Gedanken ge¬ 
habt: Da musst das Mädchen tödten. Er habe nicht die geistige Möglichkeit 
gehabt, zu überlegen und Gegenvorstellungen zur Geltung kommen zu lassen. 
Der krankhafte Affekt habe sich bis zur Ausführung der That gesteigert; 
Ueberlegung bezüglich der Ausführung sei auch da nicht vollständig aufge¬ 
hoben, wo eine ausgesprochene Geisteskrankheit vorhanden sei. Nach der That 
sei ein Zustand der Bewusstlosigkeit, eine offenkundige Geistesstörung ein¬ 
getreten, bis dieser dann später ein Zustand der Ruhe und Erleichterung gefolgt sei. 
Diesem Gutachten trat der Staatsanwalt bei und empfahl den Geschworenen, 
das Nichtschuldig aaszusprechen. In seiner sog. Rechtsbelebrung hielt es der 
Schwurgerichtsvorsitzende für nothwendig, die Geschworenen vor Sentimentalität 
za warnen und aufzufordern, als Männer an ihre Aufgabe heranzutreten. Die 
Geschworenen spraohen F. des Todtschlags unter Annahme mildernder Um¬ 
stände schuldig, und der Gerichtshof verurtheilte ihn zur höchsten Strafe. 

Dr. Rost-Rudolstadt. 


Freisprach oder Sonderheft? Von Dr. med. Boesing-Hambarg. 
Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik; 1902 ; 9. Bd., 4. H. 

R. beklagt es, dass der Gerichtsarzt in nicht seltenen Fällen ein Indi¬ 
viduum als nicht straffähig erklären muss, welches anderseits in der Irrenan¬ 
stalt, selbst wenn es zur Zeit der Verhandlung zur Ueberführung in dieselbe 
geeignet ist, dort nicht für länger, oder gar dauernd festgehalten werden kann. 
Br theilt diese Individuen in zwei Kategorien, in solche, die zum ersten Male 
mit dem Gerichte in Konflikt kommen, und solche, die bereits vorbestraft 
sind. Diese Letzteren unterzubringen, sei ganz besonders schwierig, da die 
meisten Irrenanstalten Abneigung haben, derartige Elemente, die den Ruf der 
Anstalt schwer sn schädigen geeignet sind, aufzunehmen. Unter den bisher 
noch Unbestraften aber giebt es eine grosse Anzahl, die als zwar zurechnungs¬ 
fähig nach dem Wortlaut des Gesetzes, aber als nicht strafvollzugsfähig bei 
den heutigen Verhältnissen angesehen werden müssen. Es ist das grosse Heer 



Kleinere Mittheilungen and Bef erste am Zeitschriften 


81 


derer, die im Bürgerlichen Gesetzbuch eine besondere Stellung eingeräumt er« 
hielten durch die Einführung des Begriffes „Geistesschwäche*. Solche Menschen 
stad nach B. unter der Disziplin des Gefängnisses im höchsten Grade der Ge¬ 
fahr geistiger Erkrankung und durch das herrschende System der Disziplinar¬ 
strafen auch der körperlichen Schädigung ausgesetzt. Anderseits ist es auch 
absolat unmöglich, solche Individuen einer Irrenanstalt zu überweisen, da sie 
ja noch gar nicht geisteskrank sind, und nur auf die Möglichkeit bin, dass sie 
dermaleinst geistig erkranken könnten, oder gar nur in Berücksichtigung des 
Umstandes, dass sie bei ihrer Minderwertigkeit ja bald wieder Delikte be¬ 
gehen konnten, ist es nicht angängig, dieselben Zeitlebens einzusperrcn. Eine 
besondere Berücksichtigeng verdienen nacb B. ferner diejenigen Gestörten, die 
■an im Allgemeinen den Epileptikern znrechnet, d. h. nicht diejenigen Epilep¬ 
tiker, die unter gehäuften Krampfanfällen rasch der Verblödung entgegen gehen, 
sondern diejenigen, welche nur sehr selten Krampfanfälle, oder an Stelle der¬ 
selben, dem Laien oft gar nicht auffallende Storungen des Bewusstseins zeigen. 
Diesen reiben sich diejenigen an, welche mit einem abnormen Triebleben be¬ 
haftet sind. Für alle diese Individuen würde es nach B. human sein, wenn es 
eine Möglichkeit gäbe, dieselben zwar gerichtlich zu vemrtbeilen, aber die 
3trafe gesondert an ihnen zu vollziehen. Es würden dann nicht nur die Irren¬ 
anstalten entlastet, sondern auch die Gesellschaft recht lange von diesen 
sozialen Schädlingen befreit werden können, ohne ihnen ein unnOtbiges Maas 
von (Jnbill zusufügen und ohne die Ordnung der Strafanstalten durch diese un- 
diasiplinarbaren Elemente zu stören. B. denkt hierbei an Anstalten, welche 
etwa nach dem Prinzip der „Landwirtschaftlichen Kolonien* der Irrenanstalten 
einturichten und unter ärztlicher Leitung zu stellen wären. Auch unter den 
bestehenden Verhältnissen ist nach B. nach dieser Bichtung Etwas zu erreichen, 
wenn man die Verwaltungen der grösseren Gefängnisse anwiese, für diese 
Kategorie der Verurteilten besondere Bäume mit einem speziellen Beglement 
bereit zu stellen. Dr. Bost-Budolstadt. 


Psychopethischer Aberglaube. Von Hans Gross. Archiv für Kri¬ 
minal-Anthropologie und Kriminalistik; 1902 ; 9. Bd., 4. H. 

Amgehend von den verschiedenen Mordthaten am der neueren Zeit, 
welche sämmtlioh das Gleichartige zeigen, dass sich eines der gewöhn¬ 
lichen Motive zu einem Morde bei ihnen nicht feststellen liess, und dass 
bei allen Kleider oder KOrpertheilen des Opfers in auffallender und nicht 
weiter zu erklärender Weise herumgelegt oder fortgetragen wurden, erOrtert 
Gr. die Frage, ob bei diesen rätselhaften Vorgängen nicht etwa eine der so 
häufigen psychopathischen Aeusserungen des Aberglaubens im Spiele sei. Nach 
Gr. sind abergläubische Vorstellungen, auch der krassesten und gefährlichsten 
Art, im Volke noch viel mehr verbreitet, als in der Begel angenommen wird. 
Dass mau fliegen kann, wenn man das Blut unschuldiger Kinder trinkt, dass 
man Schätze findet, wenn man einem Andern unter gewissen Zauberformeln 
den Hals absebneidet u. s. w.; — diese und tausend andere grauenhafte Aber¬ 
glauben sollen noch überall bestehen und erschreckend oft den Gegenstand von 
Gerichtsverhandlungen bilden. Aber unter normalen Verhältnissen ziehen die 
Leute doch nicht die letzten Konsequenzen am derartigen abergläubischen 
Meinungen und schrecken von der Verwerthung derselben zurück, wenn bei 
derselben strafrechtliche Grenzen überschritten werden müssen. Erst dann 
begeht nach Gr. Jemand solche abergläubische Thaten, „wenn die dagegen 
sprechenden ethischen Hemmungsvorstellungen den äusserlichen Verhältnissen 
unterliegen, oder innerlich geschwächt wurden*, wenn also die äusseren Um¬ 
stände swingend werden (z. B. drückendste Armuth und Noth), oder wenn 
psyehopathisebe Zmtände die ethisohen Gegenvorstellungen vollkommen ge¬ 
schwächt haben. „In diesen Fällen verschwinden so zu sagen die Bedenken 
gegen verbrecherisches Vorgehen, die Vorstellungen von der Wichtigkeit der 
abergläubischen Handlung werden überwerthig, und so wird diese begangen.* 
Dies ist nach Gr. die einzige Erklärung für eine lange Beibe sog. „entsetz- 
Keher* Verbrechen, die sich beim normalen Empfinden nicht erklären lassen. 
Was nun die angeführten sechs Morde anlangt, so war es nur möglich, über 
einen einzigen Thäter etwas Genaueres zu ermitteln und dabei festsustellen, 



&2 Kleinere Mittheilungen and Referate aus Zeitschriften. 

dass er ein psychopathisch veranlagtes Individuum war und mindesten» in einer 
Richtung unter dem Einfluss eines Aberglaubens gehandelt habe, des Aber¬ 
glaubens nämlich: dass man ungestraft Jemanden etwas Uebles anthun kann, 
wenn man ein Stück seines Kleides bei sich trägt. Da er aber auch aooh 
weiter in sonst vollkommen unerklärlicher Weise vorgegangen ist, indem er 
die Kleider des Opfers ringsherum ausgebreitet hat, so kann nach alter Er¬ 
fahrung, wie Gr. sagt, zum Mindesten angenommen werden, dass auch dieser 
zweite, mit der ersten, zweifellos auf Aberglauben beruhenden Handlung zu¬ 
sammenhängende Vorgang ebenfalls auf abergläubische Motive zurückgefükrt 
werden darf. Hierdurch kommt Gr. zu folgender Endannahme: „wenn wir 
sagen können, dass eine Reihe von Mordthaten untereinander auffallende Aehn- 
lichkeit besitzt, und dass bei Allen ein unklares Moment (Herumlegen von 
Kleidern oder Körpertheilen des Opfers) wahrzunehmen ist, und wenn wir 
wenigstens bei einem dieser Fälle sagen dürfen, dass sich dieser Vorgang durch 
Überwerthig gewordenen Aberglaubens eines psychopathischen Individuums er¬ 
klären liesse, so ist die Vermuthung gestattet, dass sich auch die übrigen 
Mordthaten auf ähnliche Momente zurückführen lassen.“ Welcher Art dieser 
Aberglauben ist, was damit erreicht werden soll, und welche Verbreitung dieser 
Aberglaube besitzt — dies Alles wissen wir nicht. Gr. will hiermit die An¬ 
regung für weitere Forschungen zur Feststellung eines besonderen Verbreoher- 
typus gegeben haben. Gelingt es, nachsuweisen, dass eine grosse Reihe aller¬ 
schwerster Verbrechen nur durch Aberglauben veranlasst wird, dann ist nach 
Gr. höchste Zeit, einmal ernsthaft darnach zu fragen, welchen Einfluss Aber¬ 
glauben auf die Zurechnung hat, d. h. ob eine auf Aberglauben beruhende 
Ueberzeugung als entschuldigender Irrthum aufzufassen ist. 

Dr. Bost-Rudolstadt. 


Sektirerthum und Geistesstörung. Von Dr.Hans Schulze, Assistenz¬ 
arzt an der Landes - Irrenanstalt Sorau N.-L. Allgemeine Zeitschrift für 
Psychiatrie; 59. Bd., 5. H. 

In dem vortrefflich analysirten Falle theilte Sch. die Gesohichte einer 
Bauernfamilie mit, die seit langen Jahren von allen Gemeindegliedern getrennt 
lebend, in einen krankhaften ekstatisch-religiösen Zustand gerieth unter dem 
Einfluss aszetischer Uebungen und religiöser Wahnvorstellungen. Es ist von 
Interesse, dass diese religiöse Bewegung innerhalb der Familie von einem 
schwachsinnigen Bauernburschen ausging, der unter dem Eindruck von Pseudo¬ 
halluzinationen gänzlich von religiösen Ideen beherrscht war, die sich nach und 
nach bis zur wahnhaften Auffassung einer besonderen göttlichen Mission 
steigerten. Die Folge der langen aszetischen Uebungen, an die sich schliesslich 
energische Versuche des Ezoroismus anschlossen, war der Tod zweier beteiligter 
Frauen, die aller Wahrscheinlichkeit nach an Kollapsdelirien zu Grunde ge¬ 
gangen waren. _ Dr. Pollits-Mttnster. 


Ucker Paranoia chronica querulatoria. Von Prof. Dr. Hermann 
Pfister, erstem Assistenzarzt der psychiatrischen Klinik Freiburg i. B. All¬ 
gemeine Zeitschrift für Psychiatrie; 59. Bd., 5. H. 

Verfasser ergänzt die bereits recht reichliche Literatur über Qaerulanten- 
wahn durch einen eingehend beobachteten Fall, in dem die Entmündigung be¬ 
antragt war. Pf. gelangt zu folgenden Erwägungen: W. kann zwar einfache 
Dinge sehr wohl überlegen, übersieht die Verhältnisse des Lebens nach vielen 
Richtungen hin gut, kann auch die Thätigkeit und Leistungen eines Agenten 
(seines Berufes) nach Beinern theoretischen Wissen sehr wohl erfüllen, auf Er¬ 
werb oft mit Erfolg ausgehen.Aber damit ist er noch nicht voll int 

Stande, seine Angelegenheiten im Sinne des §. 6 des & G. B. zu besorgen. 
Wenn man unter Angelegenheiten nicht einzig und allein die eigenen 
Vermögensangelegenheiten versteht, sondern „die Gesammtkeit der Beziehungen 
eines Menschen za seiner Familie, seinem Vermögen und der Gesellschaft, so 
gilt dies nicht für einen Menschen, dessen Denken und Handeln durch Wahn¬ 
vorstellungen vollkommen beherrscht ist.“ Der Kranke ist daher wegen Geistes¬ 
schwäche nicht im Stande, seine Angelegenheiten zu besorgen. 

Dr. Pollitz-Münster. 




Kleinere Mittheilungen und Referate ans Zeitschriften. 


33 


B. Sachverständigen thätigkeit in Unfall- nnd Invaliditäts- 

sachen. 

Znm Nachweis der Simulation bei Hysterischen nnd Unfall- 
kranken. Von Hofrath Dr. v. Hoesslin, dirigirendem Arzt der Kuranstalt 
in Nenwittelsbach bei München. Münchener mediz. Wochenschr.; 1902, Nr. 87. 

Verfasser l&ngnet ebensowenig, dass bei einer bestehenden Hysterie nach 
einem Unfall, sei er mit einer Verletzung oder auch nur mit einem grossen 
Schreck verbanden, eine Aggravation eintreten oder ans einer latenten Hysterie 
iveh ein Trauma eine paroxysmale werden kann, wie dass bei einem Gesunden 
nach einem Trauma, besonders wenn es mit einer Commotio cerebri einhergeht, 
sich eine schwere Neurose entwickeln kann. Anderseits ist aber Verfasser 
ebenso überzeugt, dass sehr viele der sog. traumatischen Neurosen lediglich als 
Produkte der Uebertreibung und Simulation anzusehen sind. Diese Heber- 
traibung ist besonders dann sehr wahrscheinlich, wenn die angegebenen Folgen 
ia gar keinem Verhftltniss zu dem erlittenen Unfall stehen und mit dem Unfall 
weder eine schwere Verletzung, noch ein grosser psychischer Schreck ver¬ 
banden war. 

Für den Nachweis der Simulation giebt die Untersuchung des Gesichts¬ 
feldes sehr wichtige Anhaltspunkte, besonders wenn ein röhrenförmiges Ge¬ 
sichtsfeld (Greef) besteht. Verfasser hftlt das röhrenförmige Gesichtsfeld unter 
allen Umständen für simulirt, d. h. eher charakteristisch für die Simulation 
als für die Hysterie. Ebenso lüsst sich ein anderes Symptom, die vom Ver¬ 
fasser Vorjahren genannte paradoxeKontraktionderAntagonisten 
für den Nachweis der Simulation sehr häufig verwerthen. Die Prüfung wird in 
folgender Weise vorgenommen: Man verlangt die Ausführung einer bestimmten 
Bewegung, z. B. Bewegung im Ellbogengelenk und Annäherung der Hand an das 
Gesicht; dabei erschwert man durch eine entsprechende Widerstandsbewegung 
diese Bewegung, indem der Untersuchende den Ellbogen deB Untersuchten auf seiner 
linken Hand ruhen lässt und durch Druck seiner rechten Handfläche gegen die 
Volarfläche des Handgelenks des Untersuchten der Flexion im Ellbogengelenk 
catgegenarbeitet. Der den Bewegungen des Untersuchten entgegenzusetzende 
Widerstand wird nach der Kraftleistung des Letzteren bemessen. Je kräftiger 
der Untersuchte die Bewegung ausführt, um so stärker kann der Widerstand sein 
ud umgekehrt. Durch den Widerstand soll die Bewegung nicht unmöglich, 
senden nur erschwert und verlangsamt werden. In dem Augenblicke, in 
welchem der Untersucher seinen Widerstand plötzlich aufgiebt, schnellt der 
Vor de ra rm wie eine schnellende Feder in der Richtung der intendirten Be¬ 
wegung, im gegebenen Falle also gegen das Gesicht des Untersuchten. Genau 
das gleiche Verhalten beobachten wir ceteris paribns bei allen anderen Be¬ 
wegungen. Mit dem plötzlichen AufhOren des Widerstandes 
schnellt das Glied immer in der Richtung der intendirten 
Bewegung. Dies Verhalten beobachten wir bei allen Gesunden, ferner bei 
allen durch organische Erkrankungen bedingten Lähmungen, soweit es 
rieh nicht um absolute Paralysen, sondern um Paresen handelt. Je bedeutender 
die Parese ist, einen um so geringeren Widerstand dürfen wir anwenden. 

Verfasser hat seit Jahren hei jeder anatomisch begründeten Parese nie 
rine Ausnahme in dem geschilderten Verhalten gefunden, es müssten denn 
schmerzhafte Gelenkerkrankungen vorliegen, welche den Kranken veranlassen, 
eine beabsichtigte Bewegung durch gleichzeitige Kontraktion der Antagonisten 
willkürlich reflektorisch zu hemmen. Ganz anders ist das Verhalten bei simu- 
Hrton und den sog. funktionellen oder hysterischen Lähmungen. Lässt man 
derartige Kranke eine Bewegung mit der scheinbar paretischen Extremität 
susführen, so fühlt man sofort, dass gar kein energischer Versuch gemacht 
wird, den Widerstand, den man der Bewegung entgegensetzt, zu überwinden; 
wird wirklich ein gewisser Kraftaufwand geleistet, dann geschieht es nicht 
■it denjenigen Muskeln, welche die verlangte Bewegung ausführen müssten, 
sondern es werden gleichzeitig die Antagonisten kontrahirt, 
so dass die Muskeln gegenseitig ihre Wirkung aufheben oder es werden über¬ 
haupt alle Muskeln der Extremität gleichzeitig gespannt, so dass es zu keinem 
BewegungsafTekt kommt, ln Folge dessen schnellt non das unter- 
siebte Glied beim plötzlichen AufhOren des Widerstandes 
zieht in die Richtung der verlangten Bewegung, weil eine 



84 


Klda«N Mitteilungen ud Referate au Zeitschriften. 


Intention, das Glied in diese Bichtung an bringen, Oberhaupt nicht gemacht 
wurde. Diese Kranken wollen den üntersucher überzeugen, dass Bie eben nicht 
die Kraft haben, die von ihnen verlangte Bewegung auszuftthren und sie kon- 
trahiren zu diesem Zwecke Muskeln, welche ein Zustandekommen der ver¬ 
langten Bewegung direkt verhindern. 

Verfasser hält die sog. hysterischen Lähmungen ebenso simulirt, wie 
verschiedene andere Krankheitserscheinungen bei diesen hysterischen Personen 
(Fieber, notorische Krampfanfälle, Bespirationskrämpfe etc.); er hält diese Si¬ 
mulation und Uebertreibung bei den Hysterischen nur für ein Symptom der 
Allgemeinerkrankung, der psychischen Veränderung, der abnormen Charakter¬ 
anlage. Findet man daher neben einer ausgesprochenen hysterischen Veran¬ 
lagung eine oder mehrere Erscheinungen, die wir fttr simulirt oder übertrieben 
halten, so wird man diese Simulation ebenso unter die Symptome der Hysterie 
rechnen und den Kranken nicht wie einen Simulanten, sondern wie einen 
Hysterischen behandeln. Ebenso wird man sich bei Begutachtung eines der¬ 
artigen Hysterischen dahin aussprechen, dass der Kranke zwar übertreibt und 
die oder jene Symptome simulirt, dass aber diese Simulation nur eine Theil- 
ersoheinung der Grundkrankheit, der Hysterie, sei. Man wird vielleicht auch 
darauf hinweisen, dass bei Hysterischen, die keine Bentenansprüche machen, 
ebenfalls genau die gleichen Uebertreibungen und Simulationen Vorkommen. 
Werden dagegen bei Unfallhranken ausser den beiden erwähnten Simnlations- 
zeichen (röhrenförmiges Gesichtsfeld und paradoxe Kontraktion der Antago¬ 
nisten) keine anderen Anhaltspunkte fttr Hysterie festgestellt, so muss man 
sioh hüten, aus den als übertrieben und simulirt erkannten Erscheinungen eine 
Unfallneurose konstruiren zu wollen. 

Verfasser nimmt bei Unfallkranken nur dann eine Depression nach Unfall 
an, wenn diese Kranken dabei keine Symptome bieten, welche als simulirt er¬ 
kannt werden; der wirkliche Hypochonder giebt seine krankhaften Sensationen 
an, er simulirt aber keine Krankheitsersoheinungen etc. Zum Schlüsse werden 
noch einige Beispiele angeführt, in welcher Weise das Symptom der paradoxen 
Kontraktion der Antagonisten für hysterische resp. simulirte Lähmungen und 
anderseits das Fehlen dieses Symtoms für organische Storungen sich ver- 
werthen lässt. _ Dr. Waibel-Kempten. 


Zusammenhang zwischen Betriebsunfall (Fall auf den Hinterkopf 
aus einer Höhe von 1 */» m) und einer organischen Erkrankung des 
Kleinhirns und der diesem unmittelbar benachbarten Theile des zen¬ 
tralen Nervensystems, nicht aber lediglich ein funktionelles Nerven¬ 
leiden (insbesondere eine Hysterie). Obergutachten, auf Veranlassung 
des Beichsversicherungsamts erstattet unter dem 9. April 1901 von Dr. 
Cassirer, L Assistenten an der Poliklinik des Professors Dr. Oppen¬ 
heim in Berlin und von Prof. Dr. Oppenheim. 

Der 48jährige Patient erlitt nach seinen eigenen Angaben, die im 
Wesentlichen der aktenmässigen Darstellung entsprechen, am 24. September 1900 
einen Unfall dadurch, dass er durch Umkippen eines Brettes von einer l 1 /» m 
hohen Büstung herabfiel und mit dem Hinterkopf auf den Boden aufschlug. 
Er war einen Augenblick lang wie benommen, setzte sich eine kurze Weile 
hin und konnte dann bald wieder weiter arbeiten. Am Hinterkopfe war eine 
Beule entstanden, die er selbst sich mit kühlen Umschlägen behandelte. Am 
27. September 1900 wandte er sich an Herrn Dr. L., dem er über Schmerz¬ 
haftigkeit der linken Hinterkopfseite bei Druck und bei Bewegungen klagte. 
Ein objektiver Befund konnte von Herrn Dr. L. nicht erhoben werden. 0. 
arbeitete weiter bis zum 6. Oktober 1900, an welchem Tage er von Herrn 
Dr. L. wegen einer Bronchitis diffusa und Lungenemphysem für erwerbsunfähig 
erklärt wurde. Am 29. Oktober 1900 erklärt ihn dieser Arzt für arbeitsfähig 
(Blatt 14 der Bernfsgenossenschaftsakten). 0. versuchte aber nicht zu arbeiten, 
wandte sich vielmehr an einen anderen Arzt, Herrn Dr. St., dann am 26. No¬ 
vember wiederum an Herrn Dr. L., dem er über Kopfschmerzen und Schwindel 
klagte; er wurde auf Bath dieses Arztes am 4. Dezember in die Nervenab- 
theUung der Königlichen Charitä aufgenommen, wo er bis zum 14. Januar 1901 
blieb. Auch hier bestanden seine Klagen in fortwährendem Schwindelgefühl 
Und Hinterkopfsehmerzen. Bei der ärztlichen Untersuchung wurde hier die 



Kleinere Mittheilungen and Referate atu Zeitschriften. 85 

Uaaäeherheit des Gehens and Stehens festgestellt, ausserdem eine übermässige 
Erregbarkeit der Hersaktion, and eine allgemeine Schlaffheit and Depression. 
Dareh die Behandlung (Galvanisation des Kopfes, leichte Abreibungen) wurde 
eine gewisse Besserung erzielt (Blatt 8 der Schiedsgerichtsakten). Doch konnte 
0. nach seiner Entlassung seinen Angaben zufolge ebenso wenig irgend etwas 
arbeiten, wie Torher. In der Folgezeit ist er dann noch verschiedentlich ärzt- 
liek untersucht und begutachtet worden. Die Klagen des Untersuchten be¬ 
wegten sich immer in derselben Richtung; der objektive Befund beschrftnkte 
ach auf Feststellung der starken Unsicherheit beim Gehen und Stehen und die 
Sehwiche der Hersaktion. Nur in dem Gutachten von Herrn Dr. R. ist noch 
eine Ungleichheit der Papillen bemerkt, „die rechte ist weiter und reagirt 
träger als die linke*. Von diesem Untersucher wurde eine Blutung unter das 
9ehftdeldach angenommen. In der Nervenklinik der Charitö, in welcher der 
Patient sich nun Zwecke der Begutachtung vom 29. Juni bis 11. Juli 1901 
wiederum aufhielt, ergab die Untersuchung durch Herrn Privatdozent Dr. S. 
dasselbe Resultat wie beim ersten Aufenthalte, nur war die Unsicherheit noch 
stärker geworden, und es hatte sich ein Zittern der Hftnde eingestellt. Der 
üshlaf war mangelhaft, bei Ablenkung der Aufmerksamkeit wurde ein Nachlass 
des Schwankens beobachtet. Objektive Symptome anderer Art wurden nicht 
hstgesteUt. Die Diagnose wurde auf Neurasthenie gestellt. Die Klagen des 
0. selbst, die er bei seinen jetzigen Untersuchungen äUBsert, decken sich im 
Grossen und Ganzen mit den von ihm froheren Untersuchern gegenüber ange¬ 
gebenen. Er leide an einem dauernden Schwindel, so dass er immer wie ein 
Betrunkener gehe, der Schwindel habe in letzter Zeit noch weiter zugenommen, 
» dass er allein Oberhaupt nicht mehr auszugehen wage; auch in seiner Woh- 
mng bewege er sich so unsicher, dass er h&nfig, wie seine ihn stets be¬ 
gleitende Frau bestätigt, die Gegenstände umreisse. Auf der Strasse sei er 
aekon wiederholt vor Schwindel umgefallen und habe sich dabei geschlagen. 
Zeitweise trete auch Uebelkeit ein, niemals Erbrechen. Der Schwindel komme 
besonders, wenn er den Kopf nach vorne oder hinten bringe, er mOsse ihn 
daher immer steif halten. Weiterhin habe er heftige Schmerzen im Kopfe, 
besonders im Hinterkopfe. Beim Schlafen könne er nur auf der rechten Seite 
des Gesichts liegen und müsse sich dabei auch noch auf ein Wattekissen auf- 
legen, weil er sonst den Druck nicht aushalte. Der Schlaf sei immer sehr 
schlecht; allmählich habe sich auch ein Zittern am ganzen Körper eingestellt, 
m sei schreckhaft und empfindlich gegen Geräusche geworden. Ueber Angst¬ 
gefühl habe er nicht zu klagen. Im Anfänge habe er Sausen auf dem linken 
Oise gehabt, jetzt nicht mehr. 

Weiter klagt 0. dann noch Ober ein heftiges DurstgefOhl, das ihn zwingt, 
sehr häufig und auch ziemlich grosse Quantitäten zu trinken (nach Angaben 
der Frau Ober 8 Liter täjglich), ferner Ober eine Störung des Sehens, indem bei 
längerem Hinsehen auf eine Stelle regenbogenförmige Ringe vor seinen Angen 
anftreten. 

Ueber vorausgegangene Krankheiten berichtet er nur, dass er vor einigen 
Jahren an einer Ischias gelitten habe. In der Jugend sei er wegen einer an¬ 
geborenen Hasenscharte operirt worden. Er sei zwar immer ein schwächlicher 
Mensch gewesen, habe aber doch seine volle Arbeit leisten können. Ueber- 
aässiger Alkoholismus und syphilitische Infektion werden geleugnet. Vier 
Kinder sind früh gestorben, lebende Kinder hat der Patient nicht. 

Die Untersuchung ergiebt: 0. ist ein ziemlich grosser, hagerer Mann 
tob blasser Gesichtsfarbe und ziemlich schlechtem allgemeinen Ernährungszu¬ 
stände. Nase und Oberlippe sind durch Hasenschartenbildung entstellt. Der 
Gesichtsausdruck des Untersuchten ist stets ein deprimirter. Beständig sind 
beiderseits die Stirnmuskeln stark angespannt, wodurch auf der Stirn tiefe 
Qierfalten entstehen. Bei der Untersuchung fällt zuerst die Unsicherheit des 
Gehens und Stehens auf. Der Patient geht mit Unterstatzung eines Stockes 
breitbeinig, unsicher, mit grossen Schwankungen und gelegentlich unter wirk¬ 
lichem Schleudern der Beine. Die Unsicherheit nimmt zu, wenn 0. ohne Stock 
geht. Beim Stehen mit offenen Augen stützt er sich, indem er sich vornOber 
sögt, fest auf den Stock und stellt die Fasse breit auseinander. Auch dabei 
schwankt er schon. Das nimmt zu, wenn der Patient die Beine näher anein¬ 
ander bringen will, oder wenn er die Augei schliesst. Die geschilderten 



Kleinere liittheilungen und Referate ans Sieitschri&efl. 


36 

Störungen des Gehens nnd des Stehens sind völlig konstant, es gelingt nicht, 
sie dnreh Ablenkung der Aufmerksamkeit in irgend einer Weise an modifiziren, 
ebenso wenig anf suggestivem Wege. Ich bin dem Patienten, ohne dass er 
mich sehen konnte, auf der 8trasse gefolgt und habe mich überzeugen können, 
dass auch dabei die Unsicherheit des Ganges unverändert blieb. Besonders 
charakteristisch war sein Benehmen beim Uebergang über die Strasse und beim 
Binsteigen in die Droschke, das sehr vorsichtig und mühsam geschah. Beim 
Gehen und Stehen macht sich noch die weitere Erscheinung hemerklich, dass 
der Kranke seinen Kopf dauernd in einer bestimmten (Vertikal*) Stellung fixirte. 
Die Aufforderung, sich nach vorn- oder hintenüber zu beugen, führt er nur 
sehr unvollkommen aus, weil der Sohwindel dabei angeblich zu stark wird. 
Beim Liegen legt er die Hand unter den Hinterkopf. Als BrklSrung dafür, 
dass er beim Gehen sich immer stark nach vorn neigt, und den Stock dabei 
dementsprechend immer weit vorsetzt, giebt er an, dass er die Neigung habe, 
nach hinten zu fallen, nnd dass er dieser Neigung auf die geschilderte Weise 
entgegenwirke. 

Beim Sitzen schwankt der Rumpf nur anbedeutend hin und her. In 
der Rückenlage besteht in den Beinen keine Bewegungsunsicherheit. Die Be¬ 
wegungen der Arme sind ebenfalls frei von einer solchen. 

Am Kopfe ist eine Narbe nicht zu fühlen; die Hinterhauptsschuppe ist 
auf Druck {angeblich empfindlich; ein Einfluss auf den Puls lässt sich dabei 
nicht feststellen. Die Papillen sind gleich, mittelweit, reaglren prompt auf 
Lichteinfall und Konvergenz. Die Augenbewegungen sind frei, der Augenhinter¬ 
grund ist normal, das Gesichtsfeld zeigt normale Grenzen. Die Zunge wird 
gerade herausgestreckt, die Gesiehtsmnskulatur weist keinen Bewegungsausfall 
auf. Die Kraft der Arme und Beine entspricht der Norm, in den ansgestreckten 
Händen und bisweilen auch in den Beinen macht sich ein rasches Zittern be¬ 
merkbar. Die Empfindungsfähigheit für Gefühlsreize ist nirgends am Körper 
gestört, die Sehnenphänomene sind an Armen nnd Beinen von gewöhnlicher 
Stärke, der Reflex beim Bestreichen der Fnsssohle erfolgt links dnreh Beugen 
der grossen Zehe, rechts kommt es dabei überhaupt nicht zu einer deutlichen 
Zehenbewegung. 

Der Puls beträgt in der Ruhe etwa 80 Schläge in der Minute, beim 
Versuche des Patienten, sich zu bücken oder den Kopf nach hinten zu beugen, 
ändert sich die Pulsfrequenz nicht, dagegen tritt regelmässig eine sehr erheb¬ 
liche Erhöhung derselben ein, wenn 0. einen Stuhl oder einen ähnlichen etwas 
schwereren Gegenstand ein- bis zweimal durch das Zimmer trägt. Die Puls¬ 
zahl steigt dann bis auf 144, während der Pnls beim Gesunden auf diese Weise 
höchstens um 8 bis 12 Schläge erhöht wird. Die Herztöne sind leise, aber 
rein, die Herzdämpfnng ist nicht verbreitert. Die Erregbarkeit der Gefäss- 
nerven für meohanisshe Reize ist unbedeutend erhöht. — Der Urin ist frei von 
Eiweiss und Zucker. Die inneren Organe weisen keine krankhaften Verhält¬ 
nisse auf. 

Die von mir ansgeftthrte Untersuchung hat also als Hauptsymptom eine 
sehr erhebliche Störung des Gehens und Stehens ergeben. Diese 
Störung der Bewegungsfähigkeit (Ataxie) muss als Ausdruck 
eines materiellen organischen Hirnleidens angesehen werden. 

Es kann zwar eine funktionelle Erkrankung des Nerven¬ 
systems, insbesondere die Hysterie, zu einer Bewegungsstörung führen, 
die in manchen Punkten dem hier vorhandenen Bilde ähnelt (sogenannte hysterische 
Ataxie); aber dass es sich um eine solche hier nicht handelt, dafür lässt sich 
eine von Merkmalen anftthren. Es wnrde hervorgehoben, dass die 

Störung eine vollkommen konstante ist; sie blieb bestehen, auch wenn sich der 
Patient ganz unbeobachtet glaubte, sie war weder durch Ablenkung der Auf¬ 
merksamkeit, noch dnreh irgendwelche psychische Beeinflussung zu beseitigen 
oder auch nur za modifiziren; sie erwies sich somit als unabhängig von irgend 
welchen Vorstellungen des Individuums, während diese Abhängigkeit von Vor¬ 
stellungen gerade bei der hysterischen Ataxie wie bei anderen hysterischen 
Symptomen meist nachweisbar ist. Die Ataxie hat dabei im vorliegenden Falle, 
wenn sie auch sehr hochgradig ist, nichts Uebertriebenes und Gemachtes an 
sieh, sie wechselt in ihrer Stärke nicht, sondern es besteht bei allen Unter¬ 
suchungen eine Gleichmässigkeit der Störung, was ebenfalls gegen die Auf¬ 
fassung des Symptoms als eines hysterischen spricht. Im gleichen Sinne ist 



Kleinere Mittheilungen and Befer&te aas Zeitschriften. 


87 


zu Terwerthen die Art and Weise, wie der Patient seine subjektiven Be¬ 
schwerden schildert and mit den angeführten Störungen in Einklang bringt. 
Daau kommt, dass ausgesprochene sonstige hysterische Symptome fehlen. Die 
oben angeführten allgemeinen nervOsen Symptome (schlechter Schlaf, leichte 
Erregbarkeit u. s. w.) können sehr wohl als Folgen des bestehenden schweren 
Nervenleidens angesehen werden. 

Anf Grand dieser Erwägungen kommen wir sa der Ueberseagnng, dass 
es sieh am ein funktionelles Nervenleiden, insbesondere am eine 
Hysterie, bei 0. nicht handeln kann. Für diese Auffassung ergeben sich 
ater auch noch weitere Gründe. Die Bewegungsstörung hat sieh mit einer 
Reihe anderer Krankheitsseichen kombinirt, und gerade diese Kombination 
spricht für die organische Notar des Leidens und weist uns auch auf eine 
bestimmte Stelle des neutralen Nervensystems als Sits des Leidens hin. Za 
diesen Erscheinungen gehört in erster Reihe das gesteigerte Durstgefühl and 
die dementsprechend gesteigerte Aufnahme von Flüssigkeiten, die allerdings 
nor aas den Angaben des Kranken und seiner Frau geschlossen werden kann. 
Für diese Auffassung spricht die Erscheinung, dass der Patient den Kopf beim 
Gehen dauernd in einer bestimmten Stellung fixirt hält, dass er bei Lage- 
veränderangen einen brüsken Stellungswechsel der Kopfhaltung vermeidet, s. B. 
beim Sichniederlegen den Kopf durch die untergeschobene Hand stfitst. Diese 
Fixirang des Kopfes hat darin ihren Grund, dass sich bei Aenderung der Kopf¬ 
haltung, die sich dem Patienten erfahren gsgemäsa als die günstigste erwiesen 
hat, die Beschwerden steigern, namentlich das Schwindelgefübl nnd die Un¬ 
sicherheit sunehmen. 

Des Ferneren ist in diesem Zusammenhänge noch sn bemerken, dass 
Anfangs bei dem Kranken auf der linken Seite starkes Ohrensausen bestanden hat. 

Die genannte Kombination von Krankheitserscheinungen weist ans auf 
das Kleingehirn und die diesem unmittelbar benachbarten 
Theile des zentralen Nervensystems (vierte Gehirnkammer, Ver- 
biadangen des Kleingehirns mit dem verlängerten Mark) als Sitz der Affektion. 
Erfahrungsgernftss entwickeln sich nun nach Verletzungen des Schädels and 
namentlich des Hinterkopfes in den genannten Gebilden kürzere oder längere 
Zeit nach dem Unfälle nicht selten Veränderungen, die eine verschiedene 
anatomische Grundlage haben können. Es kann sich nm mehrfache Blutungen 
ia die 8ubstanz dieser Hirntheile bandeln, nnd es kann sich dann um die 
kleinen Blutherde herum eine allmählich fortschreitende Erweichung entwickeln. 
Es kann auch eine grossere Blutung eintreten, die eventuell in eine schon 
variier vorhandene, vielleicht angeborene Zyste hinein stattfindet. An eine 
solche Entstehungsart konnte man im vorliegenden Falle deswegen denken, 
weil wir bei dem Patienten auch an einer anderen Stelle des Körpers das 
Vorhandensein einer angeborenen Entwickelungsanomalie (in Form der Hasen¬ 
scharte) vor uns sehen. Eine ganz sichere Diagnose über die Art des zu 
Grande liegenden anatomischen Prozesses lässt sich aber im vorliegenden Falle 
licht stellen. 

Da 0. bis zum Zeitpunkte seines Unfalls völlig arbeitsfähig gewesen ist 
■ad erst seither alle die seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigenden Symptome 
anf ge treten sind, so ist es absolut geboten, einen Zusammenhang 
des jetzt bestehenden Leidens mit dem am 24. September 1900 
stattgehabten Unfall ansunehmen, zumal, wie schon betont wurde, 
die Art des Unfalls wohl geeignet erscheint, einen Krankheitszustand wie den 
vorliegenden hervorzurufen. 

Als ein Symptom, das für die Beurtheilang der Arbeitsfähigkeit des 
Kranken von besonderer Bedeutung ist, muss noch die abnorm starke Beein- 
flaeeberkeit des Pulses durch körperliche Thltigkeit erwähnt werden. 

Ich nehme an, dass die Brwerbsfähigkeit des 0. durch die Folgen des 
Unfalls, den er am 24. September 1900 erlitten hat, auf 10 Prozent der vollen 
ErwerbafKUgkeit herabgesetzt ist. 0. ist nur noch im Stande, sitzend leichte 
Arbeit zu verrichten. Dieser hohe Grad von Beschränkung der Erwerbsfähig- 
kalt hat rieh wahrscheinlich ent allmählich in den letzten Monaten eingestellt, 
Dean sowohl nach den Angaben des Patienten, als nach den vorliegenden ärzt¬ 
lich» Aeusserungen seheint es, als ob die BewegungstOrang erst nach nnd nach 
den jetat vorhandenen hohen Grad erreicht hat, doch ist es nicht möglich, einen 
koatuuntea Zeitpunkt dafür anzugeben. 



38 


Elmare Mitheilungen und Referats aus Zeitschriften. 

Die Beurtheilung, welche das Leiden des Klägers in dexa vorstehenden 
Obeigntachten gefunden hat, in Verbindung mit der daselbst getroffenen 
Sobätsung der Es^erbailihigfedf. und dem Sind rucke, den der Vertatst» per- 
sönlibh auf da» Keknt^gmtht machte, aind för dieses bestimmend geweses. 
statt der von ikti Vorinöfaitiea för ausreichend srachtetea Thsilrente von 
66*;* Present die Vollrente zu gewähren. 

0, Bakteriologie, Infektiunskraakheiten, Hygieoe und 
ö.f lautliches Saaltä tswesen. 

lieber den bakteriologischen Befand bei einer Dysenterie» 
epidemie in Sftdsteiermnrk. Von Br. Paul Theodor Möller, Aaaisteoten 
am Institute. Aas dem hygienischen Institute der Universität Grat. Zentral- 
hlatt für Bakteriologie, ParaaHenkunde and Infektionskrankheiten; I. Abtb., 

1902, 81. Band, Nr. 12, 

Möller hat Vier Fälle ans einer l,n Südsteiermatk anfgatretenen Rohr* 
epidemie untersucht und in den Detektionen von dreien derselben einen Bacillus 
isolirt, dessen Identität mit dem .-'Kt »aersehen Dysentetiabacillos er durch die 
verschiedensten Zttobtangsmethoden und die Agglutination mit dem Seria von 
Kaninchen feststellen konnte, die gegen Bac. Kruse sowie erneu seiner Stämme 
immunisirt waren, „ Dr« Le o t z - Berlin. 

Zur Frage der 'Widerstandsfähigkeit der Sbig» - gjrnee'ÄcbeD 
Ruhrhazilleu gegen Winterfrost Von Oberarzt Dr« Georg Schmidt, 

Aus der baMbrioli^isehen Station des Garaieonlamretke Berlin • Tempelhoff. 

Ibidem. 

Es &£ eine immer wieder zu machende Beobachtung, dass eine Rnhr- 
epidestiö zu Beginn derwatmea Jahreszeit dort wieder atiftrtu, wo‘gegen 
Ende des Vorjahres die letzten Ruhrfälle beobachtet sind. Diese Erscheinung 
kann «wei lirsacbea haben« Einmal können leichte, unbemerkt gebliebene, so¬ 
wie chronische Erkrankungen die Natjerkrankungen veranlassen oder die Rtihr- 
erreger können in irgend einer Weise ausserhalb des menschlichen Körpers 
überwintern, und so im folgenden Jahr« neue Krfcranknngeu veranlassen,. 

Dm die letztere Möglichkeit cu prüfen, hat Schmidt in der Annahme, 
dass der S h lg a ‘ eebe Baeiüas der Erreger der (nicht-tropischen) Bahr sei, 
von einer.frischen ßubrbftaUle»*BouiHö»kttttar mehrere Oösea in je eine Garten* 
erdepföfm, die mit Stuhl und Drin vermengt war, auf Kartoffelaokeiben, in 
Leitung«’*- Und sterilieirteB W&sser, KaffeeAOfguii» 1 KaffflemUchattfgüss, Kaffee- 
zackeraalgos«, Kftfföcmilt&suckeraniguss übertragen und je eine RaihA dieser 
Proben zusammen mit jo einer frisch angelegten Agar« Und BouiUonkalttir dee« 
selben Baciüaa Wibread zweier Wintenuonate Im Freien und bei Zimmer* 
temperatur auf bewahrt. 

Ana der nicht gao* Waren Schilderung der ITntersachuagsresult&ter geht 
hervor, das ia den Medien,: j.» denen noch andere Bakterien ausser den Rühr* 
bazilleu eathaltea waren, diu leUteren schnell Über wuchert wurden uud zu 
Grunde gingen; dass sie aiöh dagegen in deh Reinkulturen sowohl bei Zimmer* 
lemperatar, nl» auch in der Wteterkäll» 2 Monate lang i&bens- und entwiche, 
lungafShig erhalten hatten. Dr. Leuts*Berlin. 

Beitrag zue ’Di&ereiurirtt&gr von Typhaa-, Coli* und Rahrb&ziUen. I 

, Aus dem Institut für utedis. Diagnostik hi Berlin, Von Dr. Martin Elop* 
stock. Bert- klia. Wochenschrift; Nr- 34, 1902. 

Zwecks Dlößrenzirung der genannten Bazillen tritt Verfasser Iftr deu 
Ban»! ekow'scheu Nutrosa* Nährboden ein. Es sind 2 mit Lakmustinktur 
gefärbte Nährboden erforderlich. Der eine besteht aus Nutrase (Utah Eascjn* 
natriam), Milchzucker äs I.G, Na CI 0,5, Aq dest, ad 100,0. dar «weite enthält 
an Stelle von Milchzucker Traubenzucker. Typhi»* Und RuhrbaciDns lleeso» 
den Mlshzacker eatbaHeaden Nährboden unverändert, während öaet eoü Säure 
bildete, ln dem Traubenzucker enthaltenden Nährboden bewirkten Bari. typhi 
und Baofc. coli Säumbildung und Geriunung, letzterer jedbbh eofcuelter als ; 

eraterer, RuhrbaalUau böwirkten nur Säurebildung. Auch eine Kombination t 

van Milch aal Traubetszack« in der Barsiek’ow’Bhhbu Nährdäsaigkeit er* 




Heisere Mittheilungen and Referate aas Zeitschriften. 


8 » 


wies nah sar DüFerensirang der Bokterien&rten gut, ebenso wie die Anwendung 
dar Nährboden im GährungskOlbchen. Die 8 mit TraabenzaekerlOsnng be¬ 
spickten GährungskOlbchen boten noch 36 stttndigem Aufenthalt im Brutschrank 
folgendes Bild: RuhrkOlbchen: Säurebildung, TyphuskOlbchen: Säurebildung 
und Gerinnung, Colikölbchen: Säurebildung, Gerinnung und Gasbildung. 

_ Dr. Räuber-Düsseldorf. 

Ueber die Differenzirung der Ruhrbonillen mittels der Agglu¬ 
tination. Von Morinestabsant Dr. C. Martini und Kreisassistenzarst 
Dr. 0. Lents, kommandirt zum Institut für Infektionskrankheiten. 

Vergleichende kulturelle Untersuchungen über die Ruhrbasillen 
nebst einigen Bemerkungen über den Launusfarbstoff. Von Kreis- 
ssristensarat Dr. 0. Lentz. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrank¬ 
heiten; 1902, Bd. 41, Heft 3. 

Bisher gingen die Ansichten über die Identität der an verschiedenen 
Stellen gefundenen, als Erreger der Ruhr angesprochenen Bazillen sehr aus¬ 
einander. Während Shiga und Flexner die von ihnen und Kruse ge- 
fsndenen Bazillen für identisch hielten, sieht Kruse in dem seinen eine 
besondere, wenn aueh den Shiga-Flexner’schen nahe verwandte Spezies. 
Auch eine aus Pfuhl, Schmiedioke, Sohüder und Lents bestehende 
Kommission war noch zu keinem endgiltigen Resultat gelangt. 

Die Verfasser sahen bei ihren Versuchen, die sie zunächst mit dem 
Serum von Rohr-Rekonvaleszenten Vornahmen, dass durch dieses auch Stäb¬ 
ehen, welche zwar aus dem Darm Ruhrkranker stammten, aber von den 
Shiga- und Kruse'sehen Bazillen mit Leichtigkeit sowohl morphologisch, als 
auch kulturell zu trennen waren, ebenso stark agglutinirt wurden wie die 
8täbchen, welche bei der DOberitzer Epidemie von v. Drigalski, Pfuhl und 
Sehmiedieke gefunden waren. Die einzige Möglichkeit, die Frage einwands¬ 
frei zu lOsen, schien daher in der Beschaffung eines hochwerthig agglutinirenden 
künstlichen Serums zu beruhen, welches durch Immunisirung geeigneter Thiere 
gewonnen war. 

Die Immnsirung kleinerer Thiere, Kaninchen und Meerschweinehen, 
seheiterte an der hohen Giftigkeit der Ruhrbazillen. Es wurde deshalb eine 
Ziege in Versuch genommen und mit dem Stamm Shiga behandelt. Es ge¬ 
lang, den Agglutinationswerth des Serums dieser Ziege bis auf den Titer 
1:500 zu bringen. Mit diesem Serum untersuchten die Verfasser nun eine 
Reihe von 22 Stämmen verschiedenster Herkunft, die sämmtlich durch das 
Serum Ruhrkranker agglutinirt worden waren. Kulturell und morphologisch 
waren die meisten dieser Stämme von den Shiga-Kruae-Flexner’achen 
Stäbchen nicht zu unterscheiden. Dagegen wurden nur 10 von ihnen durch das 
Serum der Ziege bis mindestens 1:400 agglutinirt, während die sämmtlichen 
anderen nur noch in den Sernmverdünnungen 1:10, 1:25 oder 1: 50 schwache 
Agglutination zeigten. Zu der ersten Gruppe gehörten Bazillen, welche in 
Deutschland (Westfalen [Kruse] und DOberitz), Steiermark, China, Japan und 
Nordamerika gefunden waren; in der zweiten Gruppe befanden sich über¬ 
raschender Weise die bisher für identisch mit dem Shiga’sehen Bacillus ge¬ 
haltenen Stämme Flexner und Strong, welche auf den Philippinen 
gefunden waren. 

Mittels des Stammes Flexner hatten die Verfasser ein Kaninchen im- 
munisirt; das Serum des letzteren agglutinirte 2 Philippinenstämmo Flexner 
bis zur Verdünnung 1: 4000, dagegen den Stamm Strong nur bis 1:50 und 
Stämme der ersten Gruppe nur bis 1:25. 

Die Verfasser halten es daher für erwiesen, dass die Stämme der Gruppe I 
unter einander identisch sind, die Stämme Flexner und Strong dagegen 
sowohl von jenen, wie auch unter einander artverschieden sind. — 

Lentz suchte das oben gefundene Resultat auch auf kulturellem 
Wege zu bestätigen. Der Stamm Strong hatte bereits in der Bouillon in¬ 
sofern ein anderes Verhalten gegenüber den echten Ruhrbazillen und dem 
Stamm Flexner gezeigt, als er die Bouillon klar liess und einen dicken 
Bodensatz bildete, während die anderen Stämme die Bouillon gleichmässig 
trübten. Im Uebrigen war kein Unterschied in dem kulturellen Verhalten 
herv or g e treten. L. untersuchte nun [das Verhalten der in Frage stehenden 



40 Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften. 

Bakterien gegenttber Tenehiedenen Znckerarten and Alkoholen, die er in Ver¬ 
bindung mit Lskmuslösung dem gewöhnlichen Fleisobwasser - Popton - Agar 
znfBgte. Dabei fand er, dass die Stimme, welche durch das Ziegen- 
Immnnsernm in gleicher Weise beeinflusst worden waren, und der Stamm 
S t r o n g im Oberflächen - Ausstrich auf Maltose - Lackmus - Agarplatten wuchsen, 
ohne den Agar sichtlich su verändern. Der Stamm Flexner dagegen hatte 
den L&kmusfarbBtoff des Agars durch Säurebildung geröthet. Den Stamm 
Strong von den echten Ruhrbazillen zu trennen, gelang schliesslich in Stich- 
kulturen von Mannit - Lakmus&g&r. Diesen Letzteren liessen nur die 10 durch, 
das Ziegen -Immunserum agglutinirten Bazillen völlig unverändert, alle an¬ 
deren untersuchten Stimme dagegen veränderten den Agar. Die Stimme 
Flexner und Strong liessen ihn leuchtend roth erscheinen. 

Durch diese biochemischen Reaktionen wird somit das durch die Agglu¬ 
tination erzielte Resultat bestätigt, nämlich, dass die von dem Immunserum 
in gleicher Weise stark beeinflussten Stämme auch kulturell Bich vollständig 
gleich verhalten, dass dagegen sich die Stämme Flexner und Strong von 
den echten Ruhrbazillen wie auch von einander durch ihr verschiedenes Ver¬ 
halten der Maltose und dem Mannit gegenüber trennen lassen. 

Die meisten der untersuchten Bazillen hatten in den Lakmus-Agar- 
ROhrchen in der Tiefe der Agarsäule den Lakmusfarbstoff reduzirt; der Agar 
erschien hier hell. Wurde eine solche Agarsäule der Luft ausgesetzt, so nahm 
ihr entfärbter Theil schnell die Farbennüance an, die der obere Teil zeigte, 
ein Beweis dafür, dass die Lenkobase des Lakmusfarbstoffs ein sehr labiler 
KOrper ist, und dass die Bakterien bei anaerobem Wachsthum (in der Tiefe 
des Agars) ebenso stark Säure bezw. Alkali bilden, wie unter aeroben Be¬ 
dingungen (in den oberen Schichten des Agars). Dr. Lentz-Berlin. 

Die in Ostpreussen heimische Ruhr eine Amöbendysenterie. Von 
Oberstabsarzt Prof? Dr. Jaeger in Königsberg i. Pr. Mit 8 Tafeln. Zentral¬ 
blatt für Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infektionskrankheiten: 1902 81. Bd„ 
Nr. 12. 

Nach der preussischen Sterblichkeitsstatistik ist die Ruhr in den preußi¬ 
schen Regierungsbezirken erheblich stärker verbreitet, als in den rheinisch- 
westfälischen Bezirken. 

Jaeger unterscheidet: 

1. die tropische Ruhr, bei der Koch, Kartulis, Kruse und Pasquale 
AmOben fanden, 

2. die japanische Ruhr, als deren Brreger man den Bac. dysenteriae Shiga 
ansieht, 

8. die rheinische Ruhr, deren Brreger von Kruse beschrieben, dem Bac. 
Shiga sehr ähnlich ist. 

LOsch hat schon 1878 in St. Petersburg in einem Falle von chronischer 
Dysenterie AmOben gefunden. 

Jaeger selbst fand in Königsberg in 86 Fällen, welche 2 Ruhrepidemien 
aus den Jahren 1900 und 1901 angehörten, ausnahmslos Amöben. 

Zur Untersuchung verwandte Jaeger den frischen, noch warmen Stuhl; 
er brachte eine Schleimflocke unter ein Deckglas, dessen eine Kante er auf 
einen kleinen Wachstropfen auflegte, um eine Quetschung des Präparates zu 
vermeiden. Er konnte so die AmOben mit ihren rundlichen, stets byalinen 
Fortsetzen mit Sicherheit von den in amöboider Bewegung befindlichen Leukozyten 
mit mehr spitzen, stets gekörnten Fortsätzen unterscheiden. 

Zrr Färbung brachte er nach Doflein’s Vorschrift das noch feuchte 
Deckglaspräparat Dir 10 Min. in die Fixationsflüssigkeit (1 proz. Sublimatlösung 
100 ccm Alcohol absol. 50 ccm + 6 Tropfen Eisessig), dann für 2 Min. in 
70 proz. Alkohol, dem einige Tropfen Jodjodkaliumlösung bis zur schwachen 
Gelbfärbung zugesetzt wurden; darauf färbte er in Hämatoxilin Grenaoher 
10 Min., wusch bis zur Blaufärbung in Wasser und färbte in l # /«0 Eosin 
1—2 Min. nach. Die Kerne der AmOben waren dann stets rotb, die der 
Leukozyten und Bindegewebszellen stets blau gefärbt. Auch in Schnitten waren 
diese Unterschiede deutlich. 

Die Veränderungen im Darm stellten sich in den Fällen, die zur Sektion 
kamen, als ein fast völliger Verlust der Schleimhaut des Dickdarms dar. Die 



Kleinere Mittheilongen and Referate ans Zeitschriften. 


41 


Sahnen» lag frei an Tage. Mikroskopisch zeigten sich starke, zellige Infil¬ 
trationen, die in die Oewebeepalten eindrangen and als massenhafte Amöben- 
i—lniigan erkannt werden. 

Die Uebertragong der Amöben anf Katzen gelang J a e g e r bei 3 yon 4 
VswnchiUitoca. In den Entleerungen zeigten sich im blutigen Schleim zahl- 
frishe Amöben. Ein Thier ging rin; in seinem Dickdarm, dessen ganze Schleim- 
baat injizirt war, fanden sich zwei kleine Geschwüre. In Schnitten dieses 
Bunas fanden sich indessen bisher keine Amöben. 

Jaegar misst den yon ihm gefundenen Amöben ätiologische Bedeutung 
bei und will die Bezeichnung tropische Rohr für diese Form der Dysenterie 
gestrichen wissen, da dieser Name für eine Krankheit, die sowohl in südlichen, 
wie in nördlichen Breiten vorkommt, seiner Ansieht nach keine Berechtigung 
mehr hat. Dr. Lents-Berlin. 


Bemerkungen zu Jäger’« „Die im Osten einheimische Ruhr, eine 
Asaöheadysenterie. u Von Dr. K. Shiga ans Japan. Zentralblatt für Bak¬ 
teriologie, Parasitonkunde nad Infektionskrankheiten; I. Abtb., 1902,32. Bd.,Nr. 5. 

8kiga giebt als Unterscheidnngsmerkmale zwischen der Amoeba coli 
und der Amoeba dysenteriae an: 1. die bedeutende Grösse der letzteren, welche 
3—5 Mal so gross ist wie die erstere; 2. die ausserordentlich lebhafte Beweg¬ 
lichkeit der letzteren gegenüber der Trägheit der ersteren und 8. die Zahl der 
im 8tuhl vorhandenen Exemplare, welche bei der Dysenterie-Amöbe gewöhnlich 
sehr gross, bei der Amoeba coli ausserordentlich gering ist. 

Da Jäger die yon ihm gefundenen Amöben (siebe das vorstehende Be¬ 
tont) ab verhältnissmftssig trüge beweglich schildert, bezweifelt Shiga, dass 
Jiger die echten Dysenterie-Amöben gefunden hat. Dass derselbe den 
8kiga-Krnse’sehen Dysenteriebacillus in den Dejektionen der von ihm unter¬ 
suchten Djsenteriekranken niemals fand, ist Shiga nicht auffallend; denn auch 
ihm gelang es oft bei leichten Füllen nicht oder doch erst nach mehrfach 
wiederholten Untersuchungen, den Bacillus festzustellen. Dr. Lentz-Berlin. 


Erwiderung auf die Bemerkungen Shiga’s über meine Amöben- 
befinde bei der iu Ostpreussea herrschenden Ruhr. Von Prof. H. J ft g e r 
in Königsberg. Ibidem; Heft 12. 

J. bleibt gegenüber der Behauptung Shiga’s, dass es sieh bei seinen 
Amöbenbefanden nm Amoeba eoli gehandelt habe, dabei, dass er echte Rnhr- 
amöben gesehen und beschrieben habe. Er identifizirt dieselben mit den in 
Aegypten bei Ruhrkranken gefundenen Amöben, die er als besondere Spezies 
isn ostasiatisehen gegenüberstellt. Als Belege für die Richtigkeit seiner An¬ 
tritt führt er die Urtheile der hervorragendsten Amöbenkenner, Braun, Lühe, 
8ehandian und Robert Koeh an, welche seine Prftparate gesehen und sieh 
dahin ausgesprochen haben, dass sie solchen von ägyptischen Ruhrf&llen voll¬ 
kommen glichen. _ Dr. Lontz-Berlin. 


Verlauf und Ursache einer Hospitaldiphtherieepidemie. Von Dr. 
Fritz Cuno. Deutsche med. Wochenschrift; 1902, Nr. 43. 

Verfasser berichtet über eine interessante Diphtberiebausepidemie im 
Chris t’sehen Kinderhospital in Frankfurt a. M., welche 16 Fülle von Februar 
bis Jaul 1902 umfasst. Klinisch charakterisirtcn sich 11 Fülle als Bachen¬ 
diphtherie, während 5 Fülle eiterigen Nasenfluss darboten. Da jeder pnrnlente 
Ausfluss aus der Nase sofort auf Diphtheriebazillen untersucht wurde, wurde 
es ermöglicht, auch diese Fülle als Diphtherie zu erkennen. Trotzdem nach 
Ausbraeh der Krankheit die betreffenden Sftle sofort gesperrt, die dipbtberie- 
kranken Kinder auf die Diphtherieabtheilnng verlegt nnd die gesunden Kinder 
koHrt wurden, ungeachtet auch der eingeleiteten Desinfektion nnd Einstellung 
von Neuaufnahmen, dauerte die Epidemie fort. Die Entstehung derselben blieb 
im Unklaren, bis die Untersuchung des Rachensekrets der Spitalskinder, 
8ekweotern und Aerate die Aetiologie anfklärte, indem bei einer Schwester, 
doren Rachen das Bild der chronischen Pharyngitis zeigte, Diphtheriebazillen 
■angewiesen wurden. Es ergab sieb, dass das Auftreten der Diph¬ 
therie auf den einzelnen Sälen mit dem Dienstgang dieser 
8ehwester seitlieh und örtlich korrespondirte. Sie wurde auf 



42 


Kleinere Mittheilungen und Referate ans Zeitschriften. 


der Diphtherieabtheilung isolirt, mit Heilserum iojisirt und nach 10 Tagen 
bei negativem bakteriologischen Befände in’s Mutterhaus entlassen. 

Nach dem lotsten der 16 Diphtheriefttlle worden bei einer anderen 
Schwester, die an chronischer Laryngitis litt, ebenfalls Diphtheriebasillen nach- 
gewiesen. Da bei ihr frühere Untersuchungen anf solche negativ gewesen 
waren, so nimmt Verfasser an, dass sie ebenso, wie die diphtheriekranken 
Kinder von der ersten Schwester infizirt war. 

Diese Hausepidemie bildet wiederum einen sehr lehrreichen Beitrag für 
die Möglichkeit der Verbreitung der Diphtherie und seigt, dass auch scheinbar 
gesunde bezw. an chronischen Bachenaffektionen erkrankte Individuen Trlger 
aer Basillen sein und damit sur Entstehung von Epidemien Anlass geben 
können (Referent). _ Dr. Btt sing-Bremen. 

Das Bad als Infektionsquelle. Von Dr. Winternits in Tübingen. 
Therapeutische Monatshefte; XVI. Jahrg., September 1902. 

Verfasser bat die Untersucbnngsergebnisse von Sticher und 8troga- 
noff, wonach beim Baden von Schwangeren und Kreissenden das Badewasser 
in die Scheide eindringen und hierdurch eine Infektionsquelle geschaffen werden 
soll, einer Nachprüfung durch eingehende Untersuchungen unterworfen und ist 
dabei zu folgendem Ergebniss gekommen: 

1. „Ein Eindringen des Badewassers in die Scheide konnte nioht nach¬ 
gewiesen werden. 

2. Da beim Baden sehr viele Keime vom KOrper abgegeben werden und 
in’s Badewasser gelangen, so ist es rathsam, nur solche Wannen zu benutzen, 
die gut gereinigt und desinfizirt werden kOnnen. 

8. Ein Bad soll nur ein Mal, auoh für dieselbe Kreissende benutzt werden. 

4. Nach jedem Bade sollen, besonders vor der inneren Untersuchung, die 
Kusseren Genitalien desinfizirt werden. 

5. Werden diese Vorsiohtsmassregeln innegehalten, so ist das Bad nicht 

als Infektionsquelle zu fürchten. _ Rpd. 

Kohlenoxydvergiftung in einer Schule. Von Med.-Rath Majer, 
Oberamtsarzt in Heilbronn. Mediz. Korrespondenzblatt des Wttrtt. ärztlichen 
Landesvereins; 1902, Nr. 43. 

In der Schale zu G. (Württemberg) waren am 13. April v. J. eine Anzahl 
Kinder und die Lehrerin während des Unterrichts erkrankt. Nach dem Bericht 
der letzteren hatte um 8 Uhr Morgens der Unterricht in dem geheizten Schul¬ 
zimmer begonnen; eine halbe Stunde später hatte ein Knabe angefangen, zu 
schwanken und sich zu drehen; bald darauf wurde es einem zweiten Knaben 
schlecht und kurz darauf fühlte sich die Lehrerin selbst ganz schwach. Sie 
ist dann sehr bald und verhältmässig plötzlich, ohnmächtig geworden und mit 
10—12 inzwischen ebenfalls erkrankten Kindern von den zu Hülfe gekommenen 
Personen auf dem Boden liegend gefunden, während sich die übrigen Kinder 
schreiend und weinend aus der Scbule geflüchtet haben. Nachdem die Kranken 
in’s Freie getragen sind, haben sich einige alsbald wieder erholt, andere erst 
nach längerer Zeit; die schwerer Erkrankten — 8 an der Zahl — sind in ärzt¬ 
liche Behandlung genommen und nach 24 Stunden wieder gesund und munter 
gewesen, so dass der Unfall glücklicherweise ohne weitere schlimme Folgen 
vorübergegangen ist. Es handelte sich bei den Erkrankten zweifellos um 
eine Kohlenoxydvergiftung, deren Ursache in einer mangelhaften Verbindung 
des Ofens mit dem Ofenrohre zu suchen war. Der Ofen, ein sogenannter Mantel¬ 
ofen, zeigte nach Entfernung des Mantels einen ganz bedeutenden Defekt in 
der Wand des sogenannten inneren Mantels, also des eigentlichen Ofens. En 
war hier das Blech auf beiden Seiten durchgebrannt, so dass beiderseits eine 
grosse Oeffnung entstanden war. Der Defekt in dem inneren Mantel war 
wahrscheinlich allmählich entstanden; so lange nun die Verbindung des Ofens 
mit dem Ofenrohr noch gut und demzufolge der Zug gegen das Kamin ziemlich 
stark war, wurden die Gase in’s Kamin fortgerissen; nachdem aber die Ver¬ 
bindung des Ofens mit dem Ofenrohr gelockert war, hürte dieser Zug gegen 
das Kamin auf, die Kohle im Ofen verbrannte nnr langsam, so dass sich statt 
Kohlensäure Kohlenoxyd bildete, das durch die Defekte im inneren Mantel in 
den Raum zwischen äusseren und inneren Mantel gelangte, hier emporstieg und 



Kleinere Mittheitungca und Betonte ms Zeitschriften. 


43 


sieh der Luft des Sehulztmmers beimengte. Interessent wer euch der Umstand, 
dass sieh die Lehrerin and die ohnmächtig gewordenen Kinder nicht in der 
Nähe des Ofens, sondern in der diesem gegenüber gelegenen Beke des Zimmers 
befanden. Des giftige Ges ist daher vom Ofen an die Decke emporgestiegen, 
hat seinen Weg der Decke entlang genommen and ist dann an der dem Ofen 
entgegengesetzten Wand des Zimmers herabgesunken. BpdL 


Die Bedeutung der taberknl3sen Belastung für die Entstehung 
von Ohrenkrankheiten bei Kindern. Von Prof. Ostmann in Marburg aL 
MAachener med. Wochenschrift; 1902, Nr. 20. 

Verfasser hat durch Untersuchung sämmtlieher Volksschulkinder des 
Kreises Marburg auf Krankheiten des Gehörganges ein hinreichend grosses 
Material zur Prüfung der Frage gewonnen, ob besw. wie weit der tuberkulösen 
Belastung eine Bedeutung für die Entstehung von Ohrenkrankheiten bei Kindern 
sakommt. 

Es wurden bei den Schuluntersuchungen 7687 Kinder im Alter von 6 bis 
13 Jahren untersucht und von diesen 2141 = 28,4 °/ 0 ohrenkrank befunden. 

Verfasser beschränkte dann später im Interesse sicherer Erhebungsreeul- 
täte seine Untersuchungen hauptsächlich auf 8 Landgemeinden, von denen 
sämmtüche Kinder, normalhOrende, wie schwerhörige nach ihrer Familienzuge- 
kOrigkeit gmppirt und für jede der Familien feetgestellt wurde, ob tuberkulöse 
Belastung vorlag oder nicht. 

Hierbei wurden im Ganzen 676 Bänder vom 5. bis 13. Lebensjahre unter¬ 
sucht, von denen 162 = 23,9 % schwerhörig waren, d. h. auf einem oder beiden 
Obren nur auf etwa */, der normalen Entfernung hGrten oder weniger. Diese 
676 Kinder gehörten 385 Familien an, welche Verfasser in 3 Gruppen theilte: 
a. Familien mit normalhOrenden, b. Familien mit normalhOrenden und schwer¬ 
hörigen, c. Familien mit nur schwerhörigen Kindern. Es ergab sich, dass 

1. die tuberkulösen Familien prosentuarisch doppelt so viel sohwerhOrige 
Kinder als die gesunden Familien haben; 

2. unter denjenigen Familien, welche die relativ meisten schwerhörigen 
Kinder haben, sich auch relativ am häufigsten tuberkulöse Belastung der Kinder 
(73,4 # / c ) findet; 

3. unter den tuberkulösen Familien sich bei denjenigen, welche die relativ 
grösste Zahl schwerhöriger Kinder haben, auch relativ am häufigsten die 
schwerste Form der tuberkulösen Belastung des Kindes findet; 

4. die tuberkulöse Belastung die Entstehung von Ohrerkrankungen fördert 
und einen ungünstigen Einfluss auf den Ablauf der entstandenen Ohren¬ 
erkrankung ausübt und swar um so mehr, je schwerer die Belastung ist. 

Bezüglich der geheimnissvollen Fäden, die man zwischen der tuberkulösen 
Belastung der Kinder und ihren Ohrenerkrankungen gezogen zieht, äussert sich 
Verfasser am Schlüsse seiner äusserst interessanten und verdienstvollen Arbeit 
dahin, dass das Bindeglied zwischen der Tuherkulose des nächsten Blutsver¬ 
wandten und den Ohrenerkrankungen der Kinder in erster Linie in der durch 
die tuberkulöse Belastung bedingten erhöhten Vulnerabilität der Nasen- und 
Raehensohleimhaut. einschliesslich des in ihr eingeschlossenen adenoiden Ge¬ 
webes, in zweiter Linie in der geringen Widerstandiskraft des Gesammtorganis- 
mus der Kinder gegen schädigende Einflüsse zu suchen sei. 

Dr. Waibei-Kempten. 


Ueber die Nothwendigkeit, die untere Grenze des schulpflich¬ 
tigen Alters heraufsusetzen. Von Dr. Arthur Newsholme, med. off. of 
healt for Brighton. Public Health; XIV, Juli 1902, 570—583. 

Am Ende des Schuljahres 1900/1901 wurden die Elementarschulen von 
England und Wales von insgesammt ca. 5700000 Schnlkindern besucht. Von 
diesen standen im Alter von 2—3 Jahren 3258, 3—4 Jahren 205744, 4—5 
Jahren 418742, 5—6 Jahren 583167 Kinder. 

Der Autor woist nun darauf hin, dass dieser gar zu frühzeitige Schul¬ 
besuch erziehliche Vortheile nicht bringt, jährlich dem Staate 1 Million Sterling 
unaöthige Kosten verursacht, die körperliche und seelische Entwickelung der 
Kinder schädigt, die Morbidität an Infektionskrankheiten erhöht und die allge¬ 
meine Mortalitätsziffer steigert. 



44 


Kleiner« Mittbeilongen and Befer&te ans Zeitsohrilten. 


Lesen, Schreiben, Beehnen sollte als Unterriehtsgegenstand vor dem 
6. Lebensjahre nnbedingt Wegfällen. Auch die Bescbiftignng mit Nadel nnd 
Gam stellt so höbe Ansprache an Angen nnd Finger, als dass die Kleinen ohne 
jeden Schaden ihr nachkommen konnten. 

Interessant ist, dass in Schottland von allen Schulkindern nur 2,2°/o 
das Alter von 5 Jahren nicht erreicht hatten, wfthrend in England der 
Prozentsatz 10,9 ist. Im Durchschnitt ist die schottische Bevölkerung 
trotzdem weiter voran, besser erzogen, als die englische. Dann kommt aller¬ 
dings auch, dass für die geistige Entwickelung die häuslichen Verhältnisse dort 
gttnstiger zu sein scheinen, als in England. 

Die Luft in den Schulklassen bei den jüngsten Kindern ist bei einer 
SohOlerzahl von 60—70 Kindern trotz aller Laftungsvorrichtungen eine hoch¬ 
gradig verdorbene. Die einfachste Häuslichkeit ist fttr die körperliche Ent¬ 
wickelung der Kleinen günstiger, als solch eine überfüllte Klasse. Kommen nun 
noch Infektionskrankheiten dazu, so ist der Schaden ein gewaltiger. Nach 
der Erfahrung des Autors, als Medizinalbeamten, ist der Schul¬ 
besuch unter 5 Jahren eine wesentliche Ursache dafür, dass Masern, 
Scharlach, Keuchhusten und Diphtherie so sehr rasch und in so verhängnis¬ 
voller Weise epidemische Verbreitung erlangen. 

Möglichst frühes Schüssen der Schale hält Verfasser nach seiner per¬ 
sönlichen Erfahrung für ein unzweifelhaft wirksames Mittel im Kampfe gegen 
die einheimischen Infektionskrankheiten, insbesondere bei Diphtherie. „Aller¬ 
dings kommen auch nach Schluss der Schule die Kinder in den Nachbarhäusern 
und auf der Strasse miteinander in Berührung und es scheint dem gesunden 
Menschenverstand zu widersprechen, eine 8chule zu schliesBen und dabei 
doch einen Verkehr in Haus und Strasse zu gestatten. In der 
Praxis aber zeigt sich der Schulschluss wirksam, und wenn es bei Diphtherie 
nicht gelingt, das epidemische Ausbreiten durch Ausschluss der verdächtigen 
Kinder vom Schulbesuche einzudämmen, so giebt es kein anderes so wirksames 
Mittel, als den Schulschluss. Gesunde und Kranke kommen ausserhalb der 
Schule eben doch nicht in so nahe Berührung, als in derselben, besonders wenn 
sie zu 60 in einer Klasse zusammensitsen. Dasselbe gilt für Scharlach in ge¬ 
ringerem Massstabe, mehr für Masern und Keuchhusten.“ 

Verfasser empfiehlt kleine Kinder-Bewahranstalten, die derart zu 8tande 
kommen sollen, dass sich in einer bestimmten 8trasse die Mütter zusammen- 
thun und abwechselnd die Fürsorge der eigenen und der fremden Kinder 
übernehmen. 

Die zuständigen Orts- und Zentralbehörden sollten aber unter allen Um¬ 
ständen den Schulbesuch der Kinder unter 5 Jahren um jeden Preis verbieten.') 

_ Dr. Mayer-Simmern. 


Zur Beurtheilung der Bors&nre und des Borax als Fleiseh- 
konservirungsmittel. Von Dr. Boehm, Prof, der Pharmakologie in Leipzig. 
Münchener medizinische Wochenschrift; Nr. 49, 1902. 

Verfasser fasst seinen Standpunkt in der Borsäure-Borax-Frage in fol¬ 
genden Sätzen zusammen: 

1. Kann der Zusatz irgend eines fremden Stoffes zu einem unentbehr¬ 
lichen Nahrungsmittel als Konservirungsmittel geduldet werden, so muss dieser 
Stofffür die menschliche Gesundheit zweifellos unschädlich sein. 

2. Borsäure und Borax gehören nicht zu den stark wirkenden Giften, 
doch kann erfahrungsgemäss der länger fortgesetzte medikamentöse Gebrauch 
dieser Stoffe Verdauungsstörungen, Hautausschläge und andere Krankheita- 
symptome zur Folge haben. Vergiftungen mit tödtlichem Ausgang sind in 
mehreren Fällen nach Einspritzung grosserer Mengen Borsäurelösung in 
KOrperhOhlen, einmal auch nach innerlicher Einnahme einer grosseren Bor¬ 
säuredosis vorgekommen. 

3. Wenn gegenüber den Erfahrungen bei der arzneilichen Anwendung 
Gesundheitstorungen nach dem Genüsse borazirter Nahrungsmittel bis jetzt noch 


>) Dem gesundheitlichen Interesse der Kinder entspricht es jedenfalls 
mehr, das sechste Lebensjahr als unterste Grenze des schulpflichtigen Alters 
m bestimmen, wie dies in Deutschland allgemein der Fall ist. 



Kleinere Mittheilunnge und Referate ans Zeitschriften. 46 

■kht bekannt geworden sind, so darf solche Nahrung noch nicht als unschäd¬ 
lich gelten. 

4. Experimente mit Borsäure and Borax an Keuschen and Thieren sind 
sehon wiederholt von verschiedenen Aerzten aasgeführt worden and haben zu- 
nichst die am Krankenbette bei der Anwendung der Borate als Medikamente 
gemachten Erfahrungen bestätigt, dasB kleinere Mengen dieser Stoffe eine 
deutliche Wirkung nicht erkennen, Versuche mit grösseren Dosen hauptsächlich 
■ehr oder weniger tiefe Schädigungen der Verdauungsorgane zur Beobachtung 
kommen Hessen. 

5. Durch neuere Beobachtungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes Uber 
den Einfluss der Borpräparate auf die Ernährung und den Stoffwechsel ist er¬ 
wiesen, dass Borsänre und Borax die Ausnutzung der Nahrungsmittel im Darm¬ 
kanal -verringern und dass länger dauernde Znfahr von Borsäure oder Borax 
mit der Nahrung, ohne den Stickstoffumsatz zu beeinflussen, das Körpetgewicht 
trotz ausreichender Nahrungszufuhr verringert und eine Vermehrung der 
KohleBaftureausscheidung bedingt. 

Die jetzt vorliegenden Versuehsresnltate sind vollkommen ausreichend, 
um einen nachtheiligen Einfluss der Borzufuhr auf die menschliche Ernährung 
daran thnn. 

6. Es ist der Einwand gemacht worden, dass die bei den Stoffwechsel- 
versmehen an Menschen mit Borsäure und Borax verabreichten Mengen dieser 
Stoffe grösser gewesen seien, als sie beim Genüsse borazirter Nahrungsmittel 
in Betraeht zu kommen brauchten. Die in den Nahrungsmitteln faktisch vor¬ 
handenen Mengen dieser Konservirnngsmittel entziehen sich aber im gewöhn¬ 
lichem Leben jeder Kontrole und können nach den Ergebnissen der chemischen 
Untersuchung verschiedener borazirter Fleischwaaren sehr leicht den Betrag 
vom 2—S g pro Tag erreichen. 

7. Das Vorkommen von Borsäure als normaler Fflanzenbestandtheil bat 
nicht die geringste Bedeutung bei der Beurtheilnng der Wirkung dieses Stoffes 
anf den menschlichen Organismus. Man braucht nur an die Entstehung sehr 
starker Gifte fftr den Thierkörper, wie s. B. des Strychnins in der lebenden 
Pftaase, an das Vorkommen von Blansknre, Jod- und Bromverbindungen in 
vielen Pflanzen zu erinnern. _ Dr. Waibei-Kempten. 


Die staatsärztliche Prüfung in England (The diplom in pnbic 
health). Public Health; XIV, 1902, S. 669 und 615. 

Beit dem 3. Juni 1902 sind nene Vorschriften fflr den staatsärztlichen 
Dienst in England in Kraft getreten. 

Zwischen der Approbation als Arzt und der Zulassung zur staats&rzt- 
liehen Prüfung muss mindestens ein Jahr verflossen sein. Der Kandidat hat 
den Nachweis zu liefern, dass er 6 Monate hindurch praktischen Unterricht in 
einem Laboratorium genossen hat, in dem Chemie, Bakteriologie und 
Pathologie der auf den Menschen übertragbaren Thierkrankheiten gelehrt 
werden. Er hat ferner den Nachweis zu führen, dass er 6 Monate hindurch 
Tag für Tag unter der Aufsicht eines Gesundheitsbeamten sich mit 
den besonderen und allgemeinen Dienstpflichten des medical officer of health 
bekannt gemacht hat. 1 ) 

Als Medizinalbeamte, die solche Kandidaten anfnebmen dürfen, dürfen 
nu die Grafachaftsgesnadheitsheamten und jene Distriktsgesnndheitsbeamten 
fanfirei, die voll beamtet sind oder in einem Distrikt — hi England von nicht 
unter 60000, in Schottland and Irland von nicht unter 30000 Einwohner — 
wirken. 

Der Kandidat hat weiterhin in einem Hospital für .ansteckende 
Kranke den Verwaltungsdienst kennen zu Immen; er muss mit den 
Formalitäten der Aufnahme, der Entlassung der Kranken vertrant sein, muss 
den Dienet des Oberarztes kennen und hat den betreffenden Nachweis durch 
eia Zeugniss über einen 3 monatlichen Hospitalbesuch zu führen. 

Die Prüfung dauert 4 Tage. Ein Tag wird zu praktischen Arbeiten 
im Laboratorium verwandt. Dr. Mayer- Simmern. 


*) Vergl. hierzu die Forderung von Reg.- und Med.-Rath Dr. Wodtk<* 
.Der Vorbereitungsdienst des Kreisarztes“. Zeitschrift für Medizinal -Beam 
1902, Seite 42. 



46 


Besprechungen. 


Besprechungen. 

Dr. O. Btpmnnd, Beg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden i. Westf.: Kalender 
für Medizinalbeamte. EL Jahrgang. Berlin 1903. Fischer’« medi¬ 
zinische Bachhandlang (H. Kornfeld). Preis der Aasgabe A. (für die 
preossischen Medizinalbeamten): 3,60 M.; Aasgabe B.: 3 M.. 

Pünktlich vor Jahresschiass ist der U. Jahrgang des Kalenders nur Aus¬ 
gabe gelangt. Er zeigt dieselbe handliche and elegante Form and bringt im 
Allgemeinen den gleichen Inhalt. In der Anordnung des Stoffes hat dagegen 
der Verfasser den ihm geäusserten Wünschen soweit als möglich Rechnung 
getragen. 

Wirkliche Mängel waren schon im I. Jahrgang nicht vorhanden und mit 
den diesjährigen Verbesserungen dürfte der Kalender allen Ansprüchen ge¬ 
nügen, die der Medizinalbeamte an ein Taschenbach überhaupt stellen kann, 
das ihm als Bathgeber bei dienstlichen Verrichtungen jeder Art dienen soll. 

Die einzelnen Abhandlungen sind sorgfältig dnrebgesehen und zum Theil 
ergänzt. So ist im Abschnitt IV. unter I.B. bei den ansteckenden Krankheiten 
die Dauer der Immonität angegeben, sowie unter C. das Reichsgesetz vom 
30. Jnni 1900 eingefügt worden. 

Der Terminkalender ist wesentlich brauchbarer geworden, nachdem 
für jeden Monat 2 ganze Seiten and genügender Baam. für Adressen verfügbar 
gemacht wurde. 

Besonders zweckmässig ist aber eine andere Vertheilang des Inhalts auf 
Kalender and Beiheft. In das letztere sind nämlich alle die Abschnitte anf- 
genommen, deren der Medizinalbeamte nicht überall, sondern meistens nnr im 
Arbeitszimmer bedarf. Dahin gehören Untersuchung menschlicher Se- and Exkrete, 
die bakteriologische Diagnose bei ansteckenden Krankheiten und die Todes- 
arsachen-Statistik; ferner die ärztliche und amtsärztliche Gebührenordnung, sowie 
die hauptsächlichsten Bestimmungen der Arzneitaxe zur Prüfung der Arzneirech- 
nungen und endlich ein Verzeichniss aller für den Medizinalbeamten hauptsäch¬ 
lich in Betracht kommenden Anstalten im Deutschen Beiehe. Ausserdem bringt 
das Beiheft in zuverlässigster Weise die Personalien der Medizinal-Behörden 
und -Beamten im Beicbe und in den Einzelstaaten, 

In den Kalender selbst — und zwar in die für die preossischen Medi¬ 
zinalbeamten bestimmte Ausgabe — wurden dagegen das Kreisarztgesetz, die 
Dienstanweisung für Kreisärzte mit den bei Besichtigungen nöthigen Formu¬ 
laren und schliesslich die Geschäftsanweisung für die Gesundheitskommissionen 
übernommen. 

Vieles ist übersichtlicher geworden, z. B. die Bestimmungen über den 
Verkehr mit Arzneien und Giften, der die Anzeigepflicht behandelnde Abschnitt 
und Anderes mehr. 

Die Mitarbeiter sind dieselben geblieben. 

Die Ausstattung des Kalenders ist tadellos; der Preis ein Verhältnis«- 
mässig niedriger. Am Einband wurde Bleistifthülle und Gummiband ange¬ 
bracht; das Beiheft erhielt einen stärkeren Umschlag. 

Besonderer Empfehlung bedarf der Kalender hiebt; er ist unentbehrlich 
für jeden deutschen Medizinalbeamten. Dr. Fielitz-Halle a. S. 


Dr. M. Vogel, Sanitätsrat in Eisleben: Die erste Hülfe bei Unfällen 
mit besonderer Berücksichtigung der Unfälle lm Bergbau und 
ln den Terurandten Betrieben. Mit 81 Abbildungen im Text. Her¬ 
ausgegeben vom Vorstand, der Knappschafts-Berufsgenossenschaft in Berlin. 
1902. Kl. 8«. 93 Seiten. 

Verfasser hat seit 16 Jahren die Schüler der Bergschule in Eisleben in 
der ersten Hülfe bei Unfällen unterrichtet und dabei naturgemäss auf die 
besonderen Schwierigkeiten bei den Unfällen im Bergbau Rücksicht nehmen 
müssen. Da er fand, dass keines der bis jetzt vorhandenen Samariterbücher 
diesen besonderen Verhältnissen Rechnung trug, suchte er diesem Mangel 
durch das vorliegende Büchlein abzuhelfen. Dasselbe berücksichtigt in enter 
Linie die Hülfeleistungen bei Unglücksfällen unter Erde. Namentlich der 
Transport in den Schächten, welcher bei den niedrigen und engen Gängen 
und Strecken eigenartigen Schwierigkeiten begegnet, ist sorgfältig behandelt 



Besprechungen. 


47 


Die meisten der vorhandenen Leitfaden gehen davon ans, dass ein 
Bettangikuten mit Verbandstoffen und Schienen dem Samariter nicht an Ge¬ 
bote steht. Deshalb wird überall der grösste Werth anf die Improvisations- 
techaik der Verbände gelegt, dagegen die Unterweisung in der Handhabung 
der Rettungskästen und ihres Materials meist nicht eingehender behandelt. 
Asch in dieser Beziehung wird Verfasser dem Bedürfnisse der modernen Ver¬ 
hältnisse gerecht, indem er grössere Aufmerksamkeit dem Anlegen der Verbände 
mit Binden und Schienen widmet, und auf die reichen Mittel der Schachtwerk- 
Hätten, welche bei Improvisation eines Verbandes, besonders auch bei Knochen- 
hrficheo, zu Gebote stehen, hinweist. Zugleich gibt er einen Ueberblick über 
die Erkennung der wichtigsten und häufigsten Knochenbrüche unter Angabe 
das erforderlichen Verbandes. 

Das Büchlein zeichnet sieh, wie die Arbeiten des Verfassers überhaupt, x ) 
darck Klarheit und Knappheit der Sprache, sowie durch Reichhaltigkeit und 
Gründlichkeit der Bearbeitung des Stoffes aus. Es ist in erster Linie für die 
Berggsehulen und Bergwerksbeamten geschrieben. Auch die Knappschaftsärzte 
werden es mit Nutzen lesen und gebrauchen. Den Kreisärzten aber, in deren 
Amtsbezirke Bergwerke oder verwandte Betriebe vorhanden sind, sei es mit 
BAeksicht auf die §§. 21, 93, 94 Abs. 6, 99 und 100 der Dienstanweisung zur 
Beschaffung bestens empfohlen. _ Dr. Dietrich-Berlin. 

Prof . Ihr. Carl Flügge, Geh. Med. - Rath und Direktor des hygienischen 
Instituts der Universität Breslau: Grundriss der Hygiene für 8tu- 
dir ende und praktische Aerzte, Medizinal- und Verwaltnngs- 
beamte. 5. vermehrte und verbesserte Auflage mit 173 Figuren im Text. 
Leipzig 1902. Verleg von Veit & Co. Preis: 14 M. 

Besonderer Werth ist auch in dieser Auflage von dem berühmten Ver¬ 
fasser darauf gelegt worden, die Lehren der Hygiene in streng kritischer Dar¬ 
stellung vorzutragen, und unbewiesenen oder ungeklärten Lehren gegenüber, 
wie die Wirkung chemisch unreiner Luft, die Art der Gesundheitsschädigung 
durch die Wohnung, der Begriff der kräftigen Kost, die Bedeutung des indivi¬ 
duellen Schutzes gegen Infektionskrankheiten, den rein wissenschaftlichen 
Standpunkt zu beobachten. 

Der Grundriss, welcher das ganze Gebiet der wissenschaftlichen und 
praktischen Hygiene unter gleichmäßiger Berücksichtigung der einzelnen Theile 
enthält, ist in dieser neuen Auflage völlig umgearbeitet worden. Einzelne Ab¬ 
schnitte des Buches, so „die Einleitung“, Theile „der Mikroorganismen“, „der 
Wohnung“, der „parasitären Krankeiten“, das Kapitel „Immunität“ sind völlig 
neu geschrieben, ebenso sind zahlreiche Abbildungen neu in den Text ein¬ 
gefügt. Bisher nicht veröffentlichte Resultate eigener Untersuchungen, sowie 
Erfahrungen aus der praktischen hygienischen Thätigkeit des Verfassers sind 
hinzugekommen. Alles ist in möglichster Kürze streng sachlich abgehandelt 
und denjenigen, welcher hygienische Vorlesungen gehört und bakteriologische 
Kurse besucht hat, ist Gelegenheit gegeben, das dort aufgenommene Bild 
zu vervollständigen, abzurunden und vorhandene Lücken auszufüllen. 

Dr. Rump-Reoklinghausen. 

Br. Bobort Sommer, o. Prot an der Universität Giessen: Diagnostik der 
Geisteskrankheiten für praktische Aerzte und Studierende. 
IL umgearbeitete und vermehrte Auflage. Wien und Berlin. 1902. Ver- 
von Urban & Sohwarzenberg. Preis: 10 Mark. 

Unter den neueren Bestrebungen, durch eingehende Analyse psycho¬ 
pathischer Zustände zu tieferer Erkenntniss der Geistesstörungen zu gelangen, 
wie sie in den meist gelesenen Lehrbüchern von Wernicke und Kraepelin 
hervortreten, nehmen die Untersuchungen Sommer’s einen hervorragenden 
Platz ein. Es entspricht nur der Wichtigkeit des Gegenstandes, wenn der 
Verfasser der neuen Anflage seiner früher bereits geschätzten Diagnostik dies¬ 
mal eine umfangreiche allgemeine Diagnostik vorausgeBchickt hat, die reichlich 
ein Drittel des ganzen Buches umfasst. Mit einer gewissen Ausführlichkeit 
wird der Leser in eine Reihe psychophysischer Untersuchungsmethoden einge- 

») Vergl. Z. f. M.; Jahrg, 1897. S. 162. 



48 


Besprechungen. 


weiht, die sieh speziell anf Messung and Begistrirang der Reflexe erstrecken. 
Bei der Erörterung der allgemeinen Krankheitsursachen wendet sich Verfasser 
gegen die vielfach missbräuchliche Anwendung des Begriffes hereditär, dem 
mit Unrecht die Bedeutung eines ungünstigen prognostischen Momentes bei¬ 
gelegt wird, während die Bezeichnung degenerativ nur für Krankheitszustände 
anzuwenden sei, die zu einem dauernden geistigen Schwächezustand führen. 
Die mi8sbräuliche Ansdehnung dieses Begriffes hat zu einer vollkommenen Ver¬ 
wirrung geführt, indem morphologischen Kuriositäten eine übermässige Be¬ 
deutung beigelegt wird. Ganz besonders wendet sich S. gegen die statistische 
Methode auf dem Gebiete der Degenerationslehre und verlangt Einzelbeobach- 
tung statt Massenuntersuchung. Eine höchst lehrreiche Besprechung der Me¬ 
thodik der psychiatrischen Untersuchung bildet den Schluss des allgemeinen 
Theiles; auch hier tritt das Bestreben des Verfassers immer wieder deutlieh 
hervor, die psychischen Phänomen scharf abzugrenzen und den Leser zu klaren 
psychologischen Begriffen zu führen. — In der Gruppirung der Psychosen be¬ 
gnügt sich Verfasser mit einer Theilung in solche mit anatomischen besw. 
chemisch bedingten Veränderungen und ohne solche. Unter letztere begreift 
er 1. Anfälle von Geistesstörungen auf endogener Basis, 2. Störungen, die za 
dauernden Schwächeznstanden führen, degenerative Formen (primärer Schwach¬ 
sinn, originäre Verrücktheit, Paranoia tarda). Eine gesonderte Grnppe bilden 
Katatonie, Melancholie, Manie, halluzinatorische Verwirrtheit, denen sioh ge- 
wissermasser als Uebergang zu den organisch bedingten Psychosen die Epilepsie 
anschliesst. Dass auch diese Gruppirung, wie jede andere, ihre Schwächen hat, 
ist leicht zu erkennen. Die einzelnen Störungen erfahren eine ein gehende und 
originelle Betrachtung, deren Ergebniss der Verfasser am Schloss jeden Ka¬ 
pitels zusammenfasst, die dem Leser es erleichtert, sich wichtige diagnostische 
Sätze einzuprägen. Darchaus beherzigenswert ist, um nur Weniges heraus- 
zugreifen, der Schlusssatz über die Paralyse, das letztere unter jeder Form 
geistiger Störung verlaufen kann; etwas angreifbar erscheint dagegen die Auf¬ 
fassung, die Verfasser pag. 147 Uber den diagnostiteheo Werth des Hereditäts¬ 
nachweises bei Paralytischen äussert. Ganz besonderes Interesse verdienen die 
geistvollen Ausführungen des Verfassers Uber die verschiedenen Schwachsinus¬ 
formen, die durch eine Reihe vortrefflicher Krankheitsgeschichten illnstrirt und 
an der Hand dieser analysirt werden. — Als Paranoia lässt er nur ein eng- 
begrenztes Krankheitsbild der chronisch-progressiven Wahnbildong gelten, 
während er den halluzinatorischen Wahnsinn entschieden von ersterer getrennt 
wissen will. So unterscheidet er zwei Hauptgruppen: die bereits in der Kind¬ 
heit einsetzende originäre Paranoia und eine Paranoia tarda — als reiner Ver¬ 
folgungswahn chronisch verlaufend, oder progressiv in Verwirrtheit übergehend. 
Als Mittelform kann die Dementia paranoides gelten. Dass gegen diese Auf¬ 
fassung mancherlei Einwände berechtigt erscheinen, soll hier nur angedeutet 
werden. 

Zum Schluss sei das S.’sch Buch, dass zu den Besten in der neueren 
psychiatrischen Litteratur gerechnet werden darf, wärmstens empfohlen. 

Dr. Pollits-Münster. 


Br. Pani Bolmeter, Nervenarzt in Berlin-Charlottenburg, Assistent an 
Prof. Mendel’* Poliklinik: Die psychischen Störungen bei Hirn¬ 
tumoren. Klinische und statistische Betrachtungen. Stuttgart 
1902. Verlag von F. Enke. 368 S. Preis: 10 Mark. 

Das vorliegende Werk, das eine nothwendige Ergänzung zu jedem Buche 
der Neurologie and Psychiatrie bildet, hätte kaum des warm empfehlenden 
Vorwortes von Prof. Mendel bedurft. Sch. hat ein gewaltiges Material zer¬ 
streuter Einzelbeobachtungen gesammelt, kritisch verwerthet und damit Dir 
die Diagnostik organischer Hirnleiden ein hüchst werthvolles, bisher ver¬ 
misstes Hülfsmittel geschaffen. Es wird das Verdienst des Sch.’scben Buches 
sein, wenn die psychiatrische Diagnose eingehender auf organische Störungen 
achtet, während der Nenrologe sich stets erinnern wird, dass Hirntumoren in 
überaus zahlreichen Fällen psychische Störungen verschiedenster Art hervor- 
rufen können. 

Das gesammte Material ist nach topographischen Gesichtspunkten grnppirt. 
Bei jeder einzelnen Hirnregion sind die physiologiscnen, experimentellen und 



Tagesnachrichten. 


49 


klinischen Erfahrungen gewürdigt und eine Kasuistik der sicher beobachteten 
Pille angeschlossen. Es geht ans der Zusammenstellung des Verfassers hervor, 
das am häufigsten Tumoren des Kleinhirns, nächst diesen solche des Stirnhirns 
ud der motorischen Region beobachtet werden, unter diesen haben die Stirn- 
kirntnmoren die grösste Zahl von psychotischen Begleitsymptomen, während 
solche bei Tumoren der Zentralgegend wesentlich seltener sind. Auffallend 
häufig finden sich psychische Symptome bei den an sich seltenen Geschwülsten 
der Hypophysis und regelmässig bei Balkengeschwülten. Die Formen geistiger 
Störungen hat der Verfasser in einer Reihe Tabellen zusammengestellt, aus 
denen zn entnehmen ist, dass die verschiedensten psychotischen Bilder beobachtet 
werden, doch scheinen Zustände einfacher Demenz bei allen Tumoren am 
häufigsten zu sein. Der Paralyse gleichende Fälle finden sich verhältnissmässig 
zahlreich hei Stirnhirntumoren, daneben überwiegen Depressionen und manische 
Zustände; auch eine erhöhte Reizbarkeit, ähnlich dem epileptischen Charakter, 
wird häufig bei Tumoren verschiedener Gegenden angegeben, and ist filr keine 
Hirnregion an sich charakteristisch. Verhältnissmässig selten ist das Bild der 
reinen halluzinatorischen Paranoia gefunden worden, auch hier sind die ein* 
seinen Fälle auf die verschiedensten Partien vertheilt. Auffallend häufig sind 
delir&nte Zustände bei Geschwülsten des Occipitalhirns beobachtet. Auf weitere 
interessante Einzelheiten einzugehen, verbietet der Ranm. 

Für Aerzte und Medizinalbeamte, die mit Unfallbegutachtungen n. s. w. 
zu thun haben, wird das Sch.’sche Werk eine werthvolle nnd unentbehrliche 
Ergänzung ihrer Bibliothek bilden. Dr. Pollitz-Münster. 


Deutscher Hebammen-Kalender 1003. Verlag von Elwin Staude, 
Berlin W. Preis inkl. Beilagen nnd Porto: 1,20 M. 

Derselbe erscheint heute znm 15. Male nnd dürfte sich als unentbehr¬ 
licher Rathgeber der Hebammen hinlänglich bewäbrt haben, da in ihm nicht 
nur alles für die Hebammen Wissenwerthe, sondern anch alle von ihr zu 
beachtenden Vorschriften n. s. w. klar und übersichtlich zusammengestellt sind. 

Hervorheben will ich gegen früher: die zeitgemässe Abhandlungen über 
Geschlechtskrankheiten, Krebs und Verhütung von Krankheiten, Gesundheit^ 
Vorschriften für Hebammen, Hebammenkleidnng. 

Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rb. 


Tagesnachrichten. 

Der Bayerische erweiterte Obermedizin&lausschnss ist am 22. De¬ 
zember v. J. zn seiner Jahresversammlung susammengetreten. Zur Verhand¬ 
lung gelangte die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, 
worüber Geheime Rath Prof. Dr. v. Winkel das Referat übernommen hatte. 


Durch Erlass vom 14. November v. J. ist jetzt in Bayern den 
hygienischen Instituten an den Universitäten in München, Würzbnrg nnd Er¬ 
langen die Vornahme bakteriologischer Untersuchungen auf amtlicher 
Veranlassung der zuständigen teilen nnd Behörden Sübertragen. Die Unter¬ 
suchungen sollen insbesondere dienen: a) zur bakteriologischen Diagnose bei zweifel¬ 
haften Krankheits- nnd Todesfällen von Menschen und Thieien bei drohenden 
oder ausgebrochenen Seuchen, b) zur Feststellung der Verunreinigung von Wasser, 
Eis, Erdboden n. s. w. bezw. zur Feststellung des Vorhandenseins bestimmter 
Krankheitserreger in denselben, sowie c) zur Feststellung des Vorhandenseins be¬ 
stimmter Krankheitserreger, giftbildender Bakterien oder von denselben ge¬ 
bildeter Giftstoffe in Nahrungs- und Genussmitteln. Der Bekanntmachung sind 
sehr zweckmässige Vorschriften für die Entnahme, Verpackung und Versendung 
von Proben zur bakteriologischen Untersuchung, sowie ein Gebührentarif bei¬ 
gegeben, der aber leider so hoch bemessen ist, dass sich manche Behörde dadurch 
abhalten lassen wird, Untersuchungen vornehmen za lassen. Die Bekannt¬ 
machung nebst Anlagen wird in der Beilage zur nächsten Nummer abgedruckt 
werden. 



ßO 


Tagetmachtichten. 


In Frankfurt a. M. ist die Errichtung einer Akadeinie für prakti¬ 
sche Medizin beschlossen, die sowohl ittr Weitere Ausbildung der Praktikanten 
der Medisin, also derjenigen Mediziner, die naoh Ablegung der Staatsprüfung 
noch ein praktisches Jahr zu absol Viren haben, als ittr die Fortbildung der 
praktischen Aerzte bestimmt ist. Zn diesem Zwecke soll neben den Bchon be¬ 
stehenden Anstalten (städtische Krankenanstalten, städtische Irren- nnd Ent¬ 
bindungsanstalt n. 8. w. staatliches Institut fttr experimentelle Therapie) noch 
Spezialkliniken, ein hygienisches nnd anatomisches Institut nen eingerichtet 
werden. Der Kostenbetrag von 2‘/ 4 Millibnen ist durch Stiftung gedeckt 


Dar Allgemeine Deutsche Verein fttr SchnlgeSuhdheitS- 
pflege, Sitz in Meiningen, hat sich in einem Handschreiben an die Regie- 
rnngen und Stadtverwaltungen mit dem Ersncheh gewandt, fttr die Anstellang 
von Schalärzten eintreten za wollen. Die Grandzttge der schalärztlichen 
Thätigkeit werden wie folgt znsammengefasst: 1. Begutachtung aller Schalen 
nnd ihrer Einrichtungen, von Zeit za Zeit erfolgende Kontrolle dieser Ein¬ 
richtungen ; 2. Untersachang der nen in die Schale eintretenden Kinder; Wieder¬ 
holang der Untersachang jedenfalls der krank befundenen Kinder inner¬ 
halb gewisser Zwischenräume etc.; 3. Unterstützung nnd Förderung aller mit 
der Schale auch im weiteren Sinne zusammenhängenden hygienischen Bestre¬ 
bungen (Schalbäder, Heilstätten, hygienische Vorträge u. s. w.). 


Todesfall. Am 22. Dezember d. J. ist der in weiten Kreisen be¬ 
kannte Hofrath Prof. Dr. v. Krafft-Eling in der von ihm gegründeten and 
geleiteten Irrenheilanstalt Maria -Grün bei Graz im Alter von 63 Jahren ge¬ 
storben. Der Dahingeschiedene Wnrde im Jahre 1872 als Professor der Psy¬ 
chiatrie nach Strassbarg berafen; 1875 folgte dann seine Berufung in gleicher 
Eigenschaft nach Graz nnd im Jahre 1889 nach Wien, wo er sich nm die Refor- 
mirang der Irrenpflege in den österreichischen Irrenanstalten besondere Verdienste 
erworben hat. Seine Hauptverdienste liegen aber anf dem Gebiete der gerichtlichen 
Psychiatrie; namentlich hat die Kenntniss der psychopathischen Erscheinungen 
des modernen Kulturlebens durch seine hervorragenden Arbeiten eine wesentliche 
Förderang erfahren. Besonders lebhaft ist der Verstorbene in Wort and Schrift 
für eine entsprechende Berücksichtigung der psychischen Momente im Straf¬ 
verfahren eingetreten nnd hat in dieser Hinsicht eine ausserordentliche Thätig¬ 
keit entfaltet. Das bekannteste seiner Werke ist die in zahlreichen Auf¬ 
lagen erschienene „Psychopathie sexnalis“. 


Im Grossherzogthum Hessen ist nnter dem 6. Dezember v. J. eine neue 
Verordnung betreffend das Selbstdispensiren der homöopathischen 
Aerzte sowie die Errichtung nnd den Betrieb homöopathischer Apo¬ 
theken nnd Dispensatorien erlassen. In derselben wird in zweckmässiger 
Weise das den homöopathischen Aerzten bisher allgemein gestattete Selbst- 
znbereiten and Selbstdispensiren homöopathischer Heilmittel vom 1. Januar 1904 
ab nnr anf solche Fälle beschränkt, wo an dem Wohnort des Arztes oder in 
einer Entfernung von 5 Kilometer von demselben eine den gegebenen Vor¬ 
schriften entsprechende homöopathische Apotheke oder ein homöpathisches Dis¬ 
pensatorium sich nicht befindet. Die Erlaubnis dazu wird jedem Arzt — also 
ohne besondere Prüfung — von der Abtheilnng fttr öffentliche Gesundheitspflege 
vom Minister des Innern widerruflich ertheilt. Die Apotheker, welche eine 
homöopathische Apotheke oder ein homöopathisches Dispensatorinm einrichten, 
sind verpflichtet, diejenigen homöopathischen Arzneimittel nnd deren Potenzen 
vorräthig za halten, welche die am gleichen Orte nnd dessen Umgebung an¬ 
sässigen Aerzte za verordnen pflegen. Die homöopathischen Aerzte des Ortes 
sind berechtigt, an der Besichtigung der homöopathischen Apotheken and Dis¬ 
pensatorien dnrch einen Vertreter theilznnehmen. 

Hoffentlich werden in Prenssen recht bald ähnliche, das Dispensirrecht 
der homöopathischen Aerzte einschränkende Bestimmungen getroffen. Während 
hier die sorgfältigste Prüfung der Verhältnisse bei Nenanlage einer Apo¬ 
theke namentlich auch mit Rücksicht anf die Existenzfähigkeit der bestehen¬ 
den Apotheken stattfinden muss, wird den homöopathischen Aerzten ohne 
jede derartige Berücksichtigung das Dispensirrecht eingeräumt, gleich- 



IfcfMBMfcrfokttB. 


51 


Hltig, ob eine Apotheke dabei so Grande geht oder nicht. Welche 
Konsequenzen hieraus erwachsen, zeigt z. B. recht treffend ein Beispiel ata 
dem hiesigen Reg. - Bezirk (Minden): In Delbrück, einem kleinen Land* 
Städtchen im Kreise Paderborn, waren bis vor wenigen Jahren 3 allo¬ 
pathische Aerzte ansässig, ein älterer and zwei jüngere. Von den beiden letzteren 
machte annächst der eine das homöopathische Dispensir - Examen und kam dam 
am die Brian bniss zum Selbstdispensiren ein, die er auch erhielt, da sie ihm 
nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht versagt werden konnte. Der zweite 
jüngere Arzt sah in Folge dessen seine Existenz bedroht and entdeckte eben¬ 
falls sein homöopathisches Hers. Er folgte dem Beispiele seines Kollegen, ae 
Ihn der betreffende Apotheker nunmehr auf die paar Rezepte angewiesen 
tot, die der ältere, nur noch in geringem Masse praktizirende Arzt ver¬ 
ordnet. — Also auf der einen Seite wird die Existenzfähigkeit der Apotheken 
ängstlich gewahrt, nicht selten in einer mit den Interessen der Bevölkerung 
keineswegs immer in Einklang stehender Weise, während auf der anderen Seite 
fieser Schatz vollständig anberücksichtigt bleibt, obwohl seine im öffentlichen 
Interesse durchaus gebotene Wahrung mehr oder weniger die Grundlage and 
den hauptsächlichsten Zweck der prenssischen Gesetzgebung Über die Anlagen 
▼on Apotheken bildet! 

Dass die Benachtheiligung der allopathischen Aerzte durch das Selbst¬ 
dispensirrecht der Homöopathen nicht minder gross ist, als die der Apotheker, 
braucht nicht erst noch hervorgehoben zu werden; in dem vorliegenden Falle 
bat sich der eine Arzt nicht anders zn helfen gewnsst, als dass er ebenfalls 
selbstdispensirender Homöopath geworden ist! 


Heriehtiguiig : Auf S. 862 in Nr. 24, Jahrg. 1902, muss es anf 
Zeile 12 von oben statt „Zentr&lbl. f. Bakteriologie u. s. w.“ heissen: „Archiv 
für Hygiene, Bd. XLH., Heft 2“; und anf Zeile 21 von unten statt „Bd. XLII.“: 
„Bd. XLIIIV 


Deutscher Medizinalbeamten - Verein. 

Die Versendung des offiziellen Beriohtz Aber die diesjährige 

Mete Hauptversammlung ist durch besonderen Umschlag erfolgt. Die 
Mitglieder werden gebeten, den Beitrag pro 1903 unter Benutzung der bei¬ 
gefügten Postanweisung an den Schriftführer und Kassirer des Ver¬ 
eins — Herrn Bezirksarzt Dr. F1 inzer-Plauen i/Vogtlande — einzusenden. 
Minden, den 25. Dezember 1902. 

Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereins. 

Im Aufträge: 

Dr. Rapmund, Vorsitzender, 

Reg.- n. Geh. Med .-Rath in Minden. 

Preußischer Medizinaibeamtenverein. 

_ Die Versendung des offiziellen Berichts Aber die diesjährige 

BZ. Hauptversammlung ist durch besonderen Umschlag erfolgt. Die 
Mitglieder werden gebeten, den Beitrag pro 1903 unter Benutzung der bei¬ 
gefügten Postanweisung an den Schriftführer and Kassirer des Ver¬ 
eins — Herrn Medizinalrath und Kreisarzt Dr. Fielitz in Halle a/S. — 
einzusenden. 

Minden, den 25. Dezember 1902. 

Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins. ' 

Im Aufträge: 

Dr. Rapmnnd, Vorsitzender, 

Reg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden. 

Xlttheilnng : Die Absendnng des vollständigen Inhaitsver- 
leichnisses und Sachregisters für den Jahrgang 1902 wird mit Nr.fi^ 
der Zeitschrift erfolgen. 




Nacliruf. 

Am 29. Dezember 1902 ist der Ehrenvorsitzende des Preussischen 
Medizinalbeamten - Vereins 

Herr Reg.-Kath a. D. und Geh. Mei-Rath Dr. Kanzow 

in Potsdam nach längerem Leiden im Alter von 81 Jahren sanft ent¬ 
schlafen. 

Im Jahre 1821 za Prenzlaa geboren and 1846 in Berlin approbirt, 
war der Entschlafene zunächst Kreispbysikus in Halber Stadt, dann 
Direktor der HebammenlehranBtalt in Magdeburg, seit 1867 Reg.- und 
Medizinalrath in Gumbinnen, sowie gleichzeitig Direktor der dortigen 
HebammenlehranBtalt and bald darauf Reg.- and Medizinalrath in Potsdam, 
wo er länger als 30 Jahre (bis znm 1. Oktober 1898) diese verant¬ 
wortungsvolle Stellung eingenommen hat. — Ausgezeichnet durch reiche 
Kenntnisse und praktische Erfahrungen hat er sich in allen diesen amt¬ 
lichen Stellungen als ein ausserordentlich tüchtiger Medizinalbeamter 
bewährt und sich namentlich um die Entwickelung des Medizinalwesens 
im Regierungsbezirk Potsdam während seiner langjährigen Thätigkeit 
als technischer Leiter desselben grosse Verdienste erworben. — Auch 
wissenschaftlich ist der Verstorbene durch vorzügliche Arbeiten hervor¬ 
getreten ; es möge in dieser Hinsicht nur an die von ihm bewirkte Aus¬ 
arbeitung der dritten Ausgabe des preussischen Hebammenlehrbuches, 
sowie an seine im Jahre 1868 erschienene Studie ttber den exanthe- 
matischen Thyphus im ostpreussischen Regierungsbezirke Gumbinnen 
erinnert werden! 

Am 22. August 1894 war es K a n z o w vergönnt, in seltener körper- 
licherwie geistiger Frische sein 50 jähriges Doktor-Jubiläum zu feiern. 
Die ehrenden Anerkennnngen und Ovationen, die ihm damals namentlich 
von Seiten der Medisinalbeamten, der Aerzte und Apotheker seines Bezirkes 
zu Theil geworden sind, bekundeten die allseitige Verehrung, die sich 
der Verstorbene in so hohem Masse durch seinen reinen und lauteren 
Charakter, durch seine grosse persönliche Liebenswürdigkeit und wohl¬ 
wollende Gesinnung zu erwerben und zu erhalten verstanden hat. 

Mit der Geschichte des Preussischen Medizinalbe¬ 
amten-Vereins ist der Name und die Persönlichkeit des 
Verschiedenen auf’s engste verknüpft. Seit Gründung des 
Vereins im Jahre 1883 hat Kanzow 10 Jahre hindurch nicht nur das 
Amt des Vorsitzenden mit Umsicht und verbindlichem Entgegen¬ 
kommen für jedes Mitglied wahrgenommen, sondern auch den Vereins- 
bestrebnngen das wärmste Interesse, sowie volles Verständnis entgegen¬ 
gebracht und diese nach allen Richtungen hin gefördert. Als er daher 
im Jahre 1893 auf der Hauptversammlung wegen Ueberlastung mit amt¬ 
lichen Geschäften von seiner Wiederwahl Abstand zu nehmen bat, wurde, 
er in dankbarer Verehrung seiner besonderen Verdienste um den Verein 
einstimmigzu dessenEhrenvorsitzenden gewählt. In seltener Jugend¬ 
frische haben wir ihn dann noch wiederholt in den Hauptversammlungen 
des Vereins begrüssen können, bis ihm leider viel zu früh sein körperlicher 
Zustand nicht mehr die Theilnahme an denselben gestattete. Aber bis 
zuletzt ist er ein aufrichtiger, treuer Freund des Vereins geblieben 

In tiefer Trauer stehen wir an seinem Grabe! Ueber das Grah 
hinaus werden wir ihm aber ein unvergängliches Andenken in hohen 
Ehren bewahren! 

Der Vorstand 

des Preussischen Medizinalbeamten-Vereins. 


VerantwortL Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden i. W 

Je Ce C. Bnuu, H. 8. n. F. 8ch.-L. Hof-Buchdrucker«!, Minden. 




































Nadumf. 

Am 29. Dezember 1902 ist der Ehrenvorsitzende des Preassischen 
Medizinalbeamten - Vereins 

Herr Reg.-Rath a. D. und Geh. Med.-Rath Dr. Kanzow 

in Potsdam nach l&ngerem Leiden im Alter von 81 Jahren sanft ent¬ 
schlafen. 

Im Jahre 1821 zu Prenzlau geboren nnd 1845 in Berlin approbirt, 
war der Entschlafene zunächst Kreitphysikus in Ealberstadt, dann 
Direktor der Eebammenlehranstalt in Magdeburg, seit 1867 Reg.- und 
Medizinalrath in Gumbinnen, sowie gleichzeitig Direktor der dortigen 
Eebammenlehranstalt und bald darauf Reg.- und Medizinalrath in Potsdam, 
wo er länger als 80 Jahre (bis zum 1. Oktober 1898) diese verant¬ 
wortungsvolle Stellung eingenommen hat. — Ausgezeichnet durch reiche 
Kenntnisse und praktische Erfahrungen hat er sich in allen diesen amt¬ 
lichen Stellungen als ein ausserordentlich tüchtiger Medizinalbeamter 
bewährt und sich namentlich um die Entwickelung des Medizinalwesens 
im Regierungsbezirk Potsdam während seiner langjährigen Thätigkeit 
als technischer Leiter desselben grosse Verdienste erworben. — Auch 
wissenschaftlich ist der Verstorbene durch vorzügliche Arbeiten hervor¬ 
getreten ; es möge in dieser Einsicht nur au die von ihm bewirkte Aus¬ 
arbeitung der dritten Ausgabe des preussischen Eebammenlehrbuches, 
sowie an seine im Jahre 1868 erschienene Studie über den exanthe- 
matischen Thyphus im ostpreussischen Regierungsbezirke Gumbinnen 
erinnert werden! 

Am 22. August 1894 war es Kanzow vergönnt, in seltener körper- 
licherwie geistiger Frische sein 50jähriges Doktor-Jubiläum zu feiern. 
Die ehrenden Anerkennungen nnd Ovationen, die ihm damals namentlich 
von Seiten der Medizinalbeamten, der Aerzte und Apotheker seines Bezirkes 
zu Theil geworden sind, bekundeten die allseitige Verehrung, die sich 
der Verstorbene in so hohem Masse durch Beinen reinen und lauteren 
Charakter, durch seine grosse persönliche Liebenswürdigkeit und wohl¬ 
wollende Gesinnung zu erwerben und zu erhalten verstanden hat. 

Mit der Geschiohte des Preussischen Medizinalbe- 
amten-Vereins ist der Name und die Persönlichkeit des 
Verschiedenen auf’s engste verknüpft. Seit Gründung des 
Vereins im Jahre 1888 hat Kanzow 10 Jahre hindurch nicht nur das 
Amt des Vorsitzenden mit Umsicht und verbindlichem Entgegen« 
kommen für jedes Mitglied wahrgenommen, sondern auch den Vereins- 
bestrebungen das wärmste Interesse, sowie volles Verständnis entgegen¬ 
gebracht und diese nach allen Richtungen hin gefördert. Als er daher 
im Jahre 1893 auf der Eauptversammlong wegen Ueberlastung mit amt¬ 
lichen Geschäften von seiner Wiederwahl Abstand zu nehmen bat, wurde, 
er in dankbarer Verehrung seiner besonderen Verdienste um den Verein 
einstimmig zu dessenEhrenvorsitzenden gewählt. In seltener Jugend¬ 
frische haben wir ihn dann noch wiederholt in den Eauptversammlnngen 
des Vereins begrüssen können, bis ihm leider viel zu früh sein körperlicher 
Zustand nicht mehr die Theilnahme an denselben gestattete. Aber bis 
zuletzt ist er ein aufrichtiger, treuer Freund des Vereins geblieben 

In tiefer Trauer stehen wir an seinem Grabe! Ueber das Grab 
hinaus werden wir ihm aber ein unvergängliches Andenken in hohen 
Ehren bewahren! 

Der Vorstand 

des Preussischen Medizinalbeamten - Vereins. 


Vorantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden i.W 

J. C. G. Bruns, H. 8. n. P. 8eh«-L. Hof-Buchdruokcrel, Minden. 





tt- Jihrg. 


190B. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zeutralblatt für gerichtliche Medizin ud Psychiatrie, 
fir ärztliche SachverstäudigeHthätigkeit in Unfall* und Invaliditatesachen, sowie 
firljgieae, ofentL Sanititswesen, Medizinal - Gesetzgebung and Rechtsprechung 

Herausgegeben 

▼on 

Dr. OTTO RAPMUND, 

Regierung!- and Geh. Medizinalrath in Minden. 


Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 

Berlin W. 85, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die Verlagahandlnng sowie alle Annoeenexpedltiofcen des In¬ 
end Auslandes entgegen. 


Nr. 


2 . 


Erseheint 


1. und 15* Jeden Monate 


15. Januar. 


Kopfverletzung. Falsche Behandlung durch Kurpfuscher. 
Tod durch Hirnabszesse und Gehirnhautentzündung. 

Von Geh. Med.-Rath Dr. Kornfeld, Gerichtsarzt in Gleiwitz. 

Für die Kenntniss der unheilvollen Folgen des Kurpfuscher- 
thnms sind insbesondere diejenigen Begebnisse werthvoll, in denen 
thatsächlich eine falsche, kunstwidrige Behandlung stattgefunden 
hat, ein ursächlicher Zusammenhang derselben mit dem un¬ 
günstigen Ausgang mehr oder weniger wahrscheinlich ist und doch 
bei der Unmöglichkeit, mit voller Sicherheit die Folgen auf die 
Behandlung zurückzuführen, eine Anklage nicht erhoben bezw. 
eine Verurtheilung nicht erreicht werden kann. 

Ein prägnanter derartiger Fall ist der folgende, welcher 
geeignet sein dürfte, zu zeigen, dass ohne ein Verbot des Kur- 
pfnscherthums das Uebel nicht an der Wnrzel gefasst werden kann. 
Die Erhebung der Anklage musste unterbleiben, da eine fahrlässige 
Gefährdung des Lebens durch fehlerhafte Behandlung im St. G. B. 
nicht bedroht ist. 

Geschichtsersählnng. Der Grubenarbeiter Gk. wurde am 4. Juli 
d. J., Vormittags IO 1 /, Uhr, yon einem Tom Stiele abgebrochenen Körper des 
Groasfäuatels auf den Kopf getroffen; er erlitt eine 2 ( /> cm (1 Zoll) lange, 
stark blutende Wände, welche ihm yon dem Häner Z. ausgewaschen wurde. 
Nachdem er nooh 8—4 Wagen mitgefttllt hatte, erklärte er, wegen Kopf¬ 
schmerzen nicht mehr arbeiten zn können und fuhr ans. Dem Zengen P., dem 
er die Verletzung zeigte, schien dieselbe unbedeutend zn sein; er machte den 
Verletzten jedoch aufmerksam, sich einen Zettel fttr’s Krankenhaus nn holen. 
Nach Anssage des letzteren hat er aber den Unfall wegen Schwäche den Tag 
tber nicht gemeldet, sondern ist auf Anrathen des Aufsehers B. nach Ankleiden 
nn Hanse so dem Barbier G. gegangen, der die Wände für eine Kleinigkeit 






54 Dr. Kornfeld: Kopfverletzung. Falsche Behandlung dnroh 

erklärte, sie mit, seiner Ansicht nach, reiner, in Karbol getauchter Watte 
reinigte nnd ein Pflaster anfklebte, nachdem er die verletste Stelle rasirt hatte. 
Gk. hat den p. G. später noch 9 Mal besucht; jedesmal wurde die Wunde gereinigt 
sowie ein Pflaster aufgelegt und zwar in Zwischenräumen von 2—8 Tagen. 
Bei dem letsten Besuche hat G. den Verletsten aufgefordert, ihn nochmals sn 
besuchen; da sich aber gegen Ende der Woche die Kopfschmerzen steigerten, 
besw. Brennen der Kopfhaut im Bereiche der Wunde auftrat, bat dieser in 
der Nacht vom 25. sum 26. Juli, weil er es vor Schmerzen nicht mehr ans¬ 
halten konnte, das alte Pflaster entfernt; sein Bruder hat ihm dann nach 
Beinigung mit Karbol ein anderes aufgelegt. Während der Behandlung hat 
G. zn Gk. angeblich gesagt: „Er hätte es nöthig“, später aber: „er hätte es 
nicht nöthig, in’s Lazareth zu gehen; denn er (G.) würde es ausheilen.* 1 
Vor dem Verbände soll sich G. jedes Mal die Hände gewaschen haben. 

Am 27. Juli, also 28 Tage nach der Verletzung, liess sich Gk. in’s La¬ 
zareth aufnehmen. Der Anstaltsarzt fand ihn sehr krank, stark fiebernd. Nach 
Entfernung des Pflasters zeigte sich eine 4 : 2 cm grosse, klaffende Scheitel- 
wunde, in deren Tiefe der Knochen bloss lag. An dem Knochen wurde ein 
unregelmässiger, zackiger, haarbreiter Spalt mit leicht eingedrückten Bändern 
festgestellt, auf dem ein Tröpfchen Eiter lag. Nach Aufmeisselung des 
Schädels wurde kein Eiterherd vorgefunden. Die Anheilung des ausgemeissel- 
ten Stückes gelang nicht. Unter zunehmendem Eiterfieber erfolgte der Tod in 
der Nacht vom 8. sum 4. August 

Die am 5. August erfolgte Sektion ergab im Wesentlichen: 

11. Auf dem Schädeldach befindet sich eine rundliche Hautpartie, welche» 
durch einen, nur 4 cm breiten Band hinten mit der übrigen Haut zusammen¬ 
hängt. Dieser Band, welcher die Grundfläche des Hautlappens bildet, ist 4 cm 
breit, der Lappen 5 om lang. Seine Innenfläche ist blutreich, stellenweise ge- 
röthet Der Lappen beginnt etwas nach unten vom Scheitel, erstreckt sich 
nur über die linke Seite des Schädeldachs. 

12. 1 */* cm nach links von der Mittellinie des Schädels und etwa im 
mittleren Theile des Lappens befindet sich eine 2 cm lange, etwas klaffende 
Zusammenhangstrennnng der weichen Schädeldecken mit ziemlich geraden, 
etwas rundlichen, röthlich - grauen Bändern. 

13. Nach Zurückschlagen des Lappens erblickt man eine rundliche, sum 
Tbeil unregelmässig umrandete, 5:5 cm grosseKnochenlflcke, die schräg nach 
innen abgestutzt ist und hier eine rauhe, schmutzig röthliche, sum Theil auch 
grüngelbliche Farbe hat. 

Etwa in der Mitte dieser Knochenlücke sieht man in der harten Hirn¬ 
haut eine etwa 1 */* cm lange, 1 cm breite, unregelmässig eiförmige Zusammen- 
hangstrennung, aus der sion etwas röthlicnes, festes, sowie grünlich erweichtes 
Gewebe herausgedrängt. 

24. An der Stelle Nr. 18 ist der freie Band auch stellenweise zackig 
und lässt stellenweise kleine 8plitter erkennen. 

25. Die harte Hirnhaut der Oberfläche ist gespannt, auf der Aussen* 
fläche trocken, gefässlos; auf der Innenfläche matt, grauweiss. 

26. Die weiohe Hirnbaut der Oberfläche zeigt an der Stelle Nr. 18 
einen 1:1V* cm grossen Biss. Sie ist hier frei von Eiter, aber mit einer 
sohmutzig - bräunlichen Flüssigkeit bedeckt. 

Etwa 5 cm nach vorn von dieser Stelle beginnt eine etwa 8 mm dicke 
8chieht gelben Eiters, welche sich über einen grossen Theil des Scheitel* 
lappens und zum Theil auch des Stimlappens erstreckt. 

Im Ueorigen war die weiche Hirnhaut matt, trocken, ihre kleinen nud 
grossen Gefässe durchweg stark gefüllt. 

80. An der Stelle Nr. 18 befindet sich, entsprechend dem Schlitze der 
Hirnhaut, eine 2 1 /* cm tiefe und l 1 ', cm brei'e Erweichung der Qehirnsubstans, 
die im Innern grau-röthliche, schmutzige Flüssigkeit enthielt und sohmutsig 
grau-grüne Bänder zeigte. 

81. Eine ebenso beschaffene Partie, jedoch nur •/« cm im Durchmesser 
gross, befindet sieh etwas nach unten und innen in der Hirnsubstanz. 

88. Die zarte Gehirnhaut der Grundfläche ist an vielen Stellen mit 
dickflüssigem, gelben Eiter in dünner und etwas dickerer Lage bedeckt. 

86. Das von dem Krankenhausarzt übergebene Knochenstück, welches im 



Kvpfoaeher. Tod durch Hiroabsiene und GehirnhantentBttndnng. 55 

Lasareth durch Operation ans der Stelle Nr. 18 entfernt worden war, hat 
eine 5 cm lange Grundfläche and ca. ebensolchen Durchmesser, eine bis anf 
die geradere Grundfläche rondliche Gestalt, meist abgestntzte, snm Theil auch 
zackige Rinder. Die freien Ränder sind schmntzig*gran, stellenweise rOthlich. 
An! der Anssenfläche bemerkt man eine von der Grundfläche ans ziemlich 
gerade 2 cm weit nach vorn mit einer leiohten winklichen Einbiegung am 
Ende verlaufende Spalte, deren innerer Rand etwas eingedrückt und von dem 
anderen Rande überdeckt ist. 

37. 7 mm vom inneren Rande und 5 mm vom änsseren Rande (des 
8paltes) befindet sich eine von der Grundfläche ansgehende, noch 6 mm Aber 
das Ende des Spaltes hinansreichende, ihn wie ein Oval umgebende Vertiefung. 
Dieselbe ist theils oberflächlich, theils rinnenförmig, hat einen ranhen, grau- 
hlassröthlichen Grand. 

38. Anf der Innenfläche sieht man, entsprechend der Gegend der änsseren 
8palte, eine ebensolche, mit entsprechender Ueberragnng des einen Randes. 
Derselbe setzt sich in eine l 1 /* cm lange nnd */• cm breite und unregelmässige 
Höhle fort, deren Grand die änssere Glasstafel bildet. Der Grand ist höckerig 
Maas - blan - röthlioh. 

Gutachten. Als festgestellt ist zu erachten, dass der 
Verstorbene einen mit Quetschwunden verbundenen, den Knochen 
durchdringenden Bruch des Schädeldachs erlitt, und dass in Folge 
Eindringens von Infektionserregern in das Schädelinnere zwei Ge¬ 
hirnabszesse und eine Entzündung der weichen Hirnhaut erfolgte. 
Letztere ist zweifellos die Ursache des schliesslichen Todes ge¬ 
worden. 

Die Akten ergeben, dass der Barbier G. die Wunde in Be¬ 
handlung nahm, sie für eine leichte erklärte und sie in nicht 
kunstgerechter Weise behandelte; denn Waschen der Hände vor 
dem Verbände genügt nicht, um diese aseptisch zu machen; 
ebensowenig giebt Rasiren und Abwaschen der Wunde mit 
Karbolwasser eine genügende Sicherheit, dass in der Tiefe der 
Wunde etwa eingedrungene Eitererreger vernichtet sind. Das 
Bedecken der Wunde mit einem, jedenfalls nicht aseptischen, 
Pflaster verhindert weiterhin den Abfluss der Wundabsonderungen 
und begünstigt ihre Verbreitung in der Tiefe. Bei Auseinander¬ 
ziehen der Wunde hätte ein Kunstverständiger entweder den Spalt 
in der knöchernen Schädeldecke bemerken müssen, oder durch den 
umschriebenen Schmerz an der Bruchstelle vermuthen können. Bei 
der rauhen, zackigen Oberfläche, namentlich des einen Randes des 
Bruches, ist es sogar höchst wahrscheinlich, dass die oberflächliche 
Splitterung zu fühlen gewesen ist. Ein Kunstverständiger würde 
ferner, auch wenn er, allerdings unzweckmässiger Weise, eine Naht 
angelegt hätte, den Verletzten sorgfältig beobachtet und bei irgend¬ 
wie verdächtigen Symptomen diese entfernt, event. auch alsbald 
die Abmeisselung des Knochens vorgenommen oder veranlasst 
haben. Es kann daher nicht bezweifelt werden, dass die Behand¬ 
lung durch den Barbier G. keine sachgemässe, sondern geeignet 
war, das Leben des Gk. zu gefährden. 

Für die Beurtheilung des vorliegenden Falles ist aber weiter¬ 
hin die Frage zu beantworten, ob der Verstorbene durch eine 
sachgemässe Behandlung hätte gerettet werden können, d. h. ob 
hier unter Berücksichtigung des Grundsatzes: „Alle Wundinfek- 
üonskrankheiten werden sicher durch strengste und baldige 



56 Dr. Kornfeld: Kopfverletzung. Falsche Behandlung durch Kurpfuscher etc. 


antiseptische Wundbehandlung vermieden“, die Infektion vermieden 
werden konnte? Es fragt sich also: Zu welchem Zeitpunkte hat 
die Infektion stattgefunden? Konnte diese ev. noch im Beginne 
mit Erfolg bekämpft werden? Hat die Behandlung des Gk. die¬ 
selbe direkt veranlasst oder begünstigt? 

Ob G. den Verstorbenen, wie von einer Seite angegeben, 
direkt verhindert hat, sachverständige Hülfe in Anspruch zu 
nehmen, bleibt hier ausser Betracht. Dagegen ist es von Wichtig¬ 
keit, zu wissen, wie das Befinden des Gk. im Allgemeinen und 
der Zustand der Wunde insbesondere in der Zeit zwischen der 
Verletzung und dem Auftreten der schweren Symptome einige 
Tage vor der Aufnahme in das Krankenhaus gewesen ist. Der 
Umstand, dass der Verletzte, obgleich die Wunde für eine leichte 
gehalten wurde, für die ein Pflaster genügte, nicht in Arbeit ging*, 
spricht dafür, dass er ernstliche Beschwerden, vielleicht auch, 
(wenigstens ab und zu) Fieber hatte. Bei der Aufnahme in das 
Krankenhaus war die Wunde noch nicht geschlossen nnd der 
Knochen von der Beinhaut in der Tiefe entblösst. Im Uebrigen 
scheint die Wunde nicht geeitert und gut ausgesehen zu haben; 
ebenso ergab das abgemeisselte Knochenstück keine Zeichen einer 
Entzündung, insbesondere der Schwammsubstanz. Auch die harte 
Hirnhaut hat weder bei der Trepanation, noch bei der Sektion 
einen eitrigen Belag gezeigt. Da nun die bei der Obduktion 
gefundene eitrige Entzündung der weichen Hirnhaut in wenigen — 
meist drei Tagen — zum Tode führt, der Verletzte aber schon 
am 29. Juli, also 9 Tage vor dem Tode, schwere Erkrankungs¬ 
erscheinungen darbot, so können diese nicht durch die jedenfalls 
erst im Krankenhause dazu getretene Hirnhautentzündung verur¬ 
sacht sein; ihre Ursache ist vielmehr auf die beiden, bei der 
Sektion gefundenen zwei Gehirnabsesse zurückzuführen, von denen 
der unter Nr. 31 beschriebene schon vor der Hirnhautentzündung 
vorhanden war. Von ihm aus hatte sich, ebenso wie der nach 
der Probepunktion enstandene Abszess, die Hirnhaut infizirt. 
Wenn der Arzt nach Entfernung des Knochenstücks nicht Eiter 
traf, so musste dies daran gelegen haben, dass der Nr. 31 be¬ 
schriebene Herd nicht im Bereich der ausgemeisselten Stelle ge¬ 
legen war und in Folge dessen die gemachten Probestiche ihn 
nicht treffen konnten. 

Die Eitererreger können nun sowohl von der Wunde 
aus direkt nach der Kontinuität, als durch den Lymphstrom, 
durch welchen die äusseren Schädeldecken mit der Schädel¬ 
höhle in unmittelbare Verbindung stehen, in diese gelangt sein. 
Es ist jedoch auch möglich, dass es gleichzeitig mit dem kompli- 
zirten Splitterbruch des Knochens zu einer Quetschung der 
Gehirnsubstanz gekommen ist, durch welche in dieser an der 
erwähnten Stelle ein besonders günstiger Boden für die An¬ 
siedlung von Eitererregern geschaffen wurde. Dass der Ver¬ 
storbene nach dem Unfall noch einige Wagen nachher gefüllt hat, 
beweist nichts hiergegen; denn solche und selbst viel grössere Hirn¬ 
verletzungen können symptomlos verlaufen, wenn sie an Stellen 



Dr. Rump: Vergiftuoguerscbeinungen, hervorgenifen durch Sprengstoff Roburit. 57 


sitzen, welche eine minderwerthige Bedeutung haben oder wenn 
andere, gleichwertige Stellen die Vertretung übernehmen. „Bei 
Gehirnverletzungen sind oft die Gehirn - Zufälle sehr unbedeu¬ 
tend, verschwinden alsbald und machen einem nahezu vollständigen 
Wohlbefinden Platz“ (Hasse, Krkh. d. Nervensyst.). Es lässt sich 
somit die Möglichkeit, dass die Wunde schon innerhalb der Zeit 
zwischen Verletzung und ersten Verband infizirt worden ist, nicht 
bestreiten; für diesen Fall würde es aber mindestens zweifelhaft 
sein, ob der Verletzte auch bei kunstgerechter Behandlung hätte 
gerettet werden können. Desgleichen muss zugegeben werden, 
dass, selbst wenn der Bruch rechtzeitig erkannt, demzufolge 
nach dem jetzigen Standpunkt der Chirurgie der Schädel sofort 
geöffnet worden wäre, diese Operation nicht sicher einen lebens¬ 
rettenden Erfolg gehabt haben würde. 

Endlich muss noch an die Möglichkeit gedacht werden, dass 
die Infektion zwar erst während der Behandlung durch G. stattfand, 
dass aber der Verstorbene oder dessen Umgebung selbst sich mit der 
Wunde zu schaffen gemacht und diese verunreinigt haben. Für 
die Annahme, dass der Verstorbene irgendwo sonst am Körper 
einen Herd besass, von dem aus Eiter in die gequetschte Hirn- 
steile verschleppt werden konnte, hat sich dagegen kein Anhalt 
ergeben. 

Hiernach ergiebt sich, dass die Behandlung durch den Barbier 
geeignet war, das Leben des Gk. zu gefährden, weil sie nicht 
genügte, den Verletzten vor Infektion zu schützen, und weil durch 
sie die sofortige oder wenigstens in der ersten Zeit nothwendige 
Eröffnung des Schädels hintenan gehalten wurde. 

Hat hier aber keine Infektion vor dem ersten Verbände 
stattgefunden, so muss es sogar als höchstwahrscheinlich angesehen 
werden, dass G. durch die Behandlung, also fahrlässiger Weise, 
tatsächlich den Tod verschuldet hat. 

Mit vollständiger Sicherheit lässt sich jedoch der Tod des 
Gk. nicht auf diese Behandlung zurückführen. 


lieber Vergiftungserscheinungen, hervorgerufen durch den 

Sprengstoff Roburit. 

Von Kreisarzt Med. • Rath Dr. Rump in Recklinghausen. 

Bei einigen Schiessmeistern der Zeche G. Bl. traten schwerere 
und leichtere Vergiftungserscheinungen, hervorgerufen durch den 
Sprengstoff Roburit, ein. Die leicht Erkrankten waren taumelig, 
müde, schwach, der Lippensaum war blau. Nach längerem Auf¬ 
enthalt im Freien verschwanden die Erscheinungen. In schweren 
Fällen verliefen dieselben unter dem Bilde des katarrhalischen 
Icterus, die Stühle waren indess nicht entfärbt. Zunge und 
Gaumen zeigten einen gelben Belag; die Leber war angeschwollen, 
druckempfindlich. Auffallend waren die enorme Mattigkeit und 
eine stark blane Färbung der Lippen und des Gesichtes mit 



68 


Dr. y. Gisycki. 


heftigster Athemnoth, Gefühl der Beklemmung auf der Brust 
und sehr beschleunigtem kleinen Pulse. Nach 8—14tfigigem 
Krankenlager waren die Kranken genesen. Die Blutuntersuchung 1 
ergab niemals eine Zersetzung des Blutes. 

Der Sprengstoff Roburit, welcher neuerdings seiner relativen 
Gefahrlosigkeit wegen eine immer grossere Bedeutung gewinnt, 
ist ein Gemenge von chlorhaltigem Dinitrobenzol und Dinitro- 
napthalin mit salpetersaurem Ammoniak. Die Gefährlichkeit liegt 
in der Giftigkeit des Nitrobenzols und seiner eminenten Flüch¬ 
tigkeit. Wie dasselbe zur Wirkung kommt, ist schwer zu sagen, 
wahrscheinlich dadurch, dass die Schiessmeister die Patronen 
rollen, d. h. dieselben durch hin und herreiben zwischen der Hohl¬ 
hand dünner und für die Bohrlöcher passend machen, durch die 
Wärme kann sich hierbei die Paraffinwachshülle der Patronen lösen. 
Weiterhin wird durch Untersuchung des gebrauchten Sprengstoffes 
festzustellen sein, ob verunreinigende Zusätze des Nitrobenzols die 
Hauptgefahr bilden. Diese Körper sind einmal sehr giftig und bei 
gewöhnlichen Temperaturen flüchtig, anderererseits geben sie dem 
Nitrobenzol eine gewisse Festigkeit, wodurch es leichter an den 
Fingern haftet und die Resorption von der Haut aus erleichtert wird. 

Bemerken will ich noch, dass nach Vergiftungen mit Roburit 
Sehnervenatrophie beobachtet worden ist. 


Die Poet als Vermittlerin bei der Weiterverbreitung 

von Krankheiten. 

Von Kreisart Dr. v. Giryckl in Stnhm. 

Auf der Suche nach dem Ursprung und dem Sitz eines hin¬ 
sichtlich der Weiterverbreitung einer übertragbaren Krankheit 
besonders wirksamen Herdes bin ich kürzlich auf eine Fährte 
gestossen, die bisher in Wort und Schrift meines Wissens nicht 
die Würdigung gefunden hat, die sie durchaus verdient. Dieses 
soll folgende Mittheilung beweisen. 

Im Dorfe P. (1037 Einw.) trat Anfangs September v. Js. in 
vereinzelten Fällen Scharlach auf. Woher die Krankheit einge¬ 
schleppt ist, kann dahingestellt bleiben. Sie hatte etwa Mitte 
Oktober den Höhepunkt erreicht; 9 Kinder waren gestorben. 
Dann trat ein Stillstand ein und der wegen Scharlachs im Scbul- 
hause geschlossene Unterricht wurde auf den günstigen Bericht des 
Amtsvorstehers aus den ersten Tagen des November am 17. No¬ 
vember 1902 unter Anordnung gewisser, streng zu beobachtender 
Vorsichtsmassnahmen wieder eröffnet, allerdings mit einer nur 
geringen Schülerzahl. 

Gerade in der Woche, als hinsichtlich der Wiedereröffnung 
der Schule die Erwägungen angestellt und Anordnungen getroffen 
wurden, erfuhr die Krankheit wieder eine plötzliche Zunahme: es 
waren wieder 7 Kinder daran gestorben. Auf den Bericht 
des Amtsvorstehers wurde die Schule nach nur mehrtägigem Unter¬ 
richt sofort wieder geschlossen. Anfangs Dezember zeigte ein 
Gendarm dem Königlichen Landrathsamt an, dass die Scharlach- 



Di* Post als Vermittlerin bei der Weiterbreitang von Krankheiten. 69 

krankheit in P. immer weiter nm sich greife und fast täglich neue 
Opfer fordere. Infolge an mich ergangenen Ersuchens begab ich 
mich am 10. Dezember wieder nach P., um den Stand der Krank¬ 
heit festzustellen und die Ursache der neuen Zunahme der Er¬ 
krankungen zu ermitteln. Es waren nunmehr vom 11. September 
bis 10. Dezember schon 88 Kinder an Scharlach ge¬ 
storben (von 61 bis dahin in diesem Jahre überhaupt — ohne 
Unterschied des Alters — gestorbenen Personen). 

Die angestellten Ermittelungen ergaben, dass die erneute 
Zunahme der Erkrankungen um den 20. November herum zeitlich 
zusammenfiel mit 2 Scharlachtodesfällen in der Familie des 
Chausseeaufsehers und Postverwalters K., in dessen Haushaltung 
auch am 10. Dezember sich noch eine Tochter im Abschuppungs¬ 
stadium (8. Woche) befand und ein schulpflichtiger Sohn scharlach- 
verdächtige Erscheinungen darbot. 

In der Haushaltung des K., in welcher die beiden verstorbe¬ 
nen Kinder schon gegen Mitte November an Scharlach erkrankt 
gewesen sein müssen, war das Postdienstzimmer den beschränkten 
Wohnräumlichkeiten des K. völlig ungetrennt angereiht, und 
konnte von HauBhaltungsangehörigen betreten werden — bei 
meinem Besuche befand sich darin der scharlachverdächtige Knabe 
und erschien auch sofort darin eine weibliche Haushaltungs¬ 
genossin. Während der ganzen, bis dahin mehr als dreiwöchigen 
Dauer der Krankheit waren in dieses Zimmer täglich zweimal die 
Postsachen von der nächstgelegenen Bahnstation eingeliefert. Die 
Ordnung und Verkeilung der Postsachen führte K. selbst aus, 
obwohl er sich, da er Wittwer ist, an der Krankenpflege und den 
Begräbnissvorbereitungen betheiligen musste. Sodann wurden die 
Postsachen täglich zweimal durch 2 Briefträger in das Dorf and 
auf die Abbauten auseinander getragen. 

Geeignetere Verbreitungswege für die Schar¬ 
lachkrankheit konnten kaum geschaffen werden, wenn 
man bedenkt, dass diesen Weg ausser Briefen und Zeitungen auch 
Packete in Umhüllungen aus verschiedensten Stoffen passiren, an 
denen der Infektionsstoff leicht und lange — bedeutend länger als 
das Maserngift 1 ) — haften bleibt. Welch’ eine Fülle von Ver¬ 
breitungswegen eröffnet sich dem nachforschenden Gesundheits¬ 
beamten, wenn man berücksichtigt, wie die Postboten täglich von 
Haus zu Haus gehen und — wissentlich oder unwissentlich — 
jedenfalls unterschiedslos verseuchte und nichtverseuchte Woh¬ 
nungen betreten und so an der Verbreitung des Krankheitserregers 
mitarbeiten. Ein Versuch, mit dem grade im Postzimmer an¬ 
wesenden Briefträger über eine gewisse, von ihm zu beobachtende 
Vorsicht bei Bestellungen in verseuchten Haushaltungen zu ver¬ 
handeln, scheiterte glänzend: „Davon steht nichts in meiner 
Instruktion.“ 

Aber auch die aus einem schwer verseuchten Orte abgehen¬ 
den Briefe und Packete bilden geradezu eine gemeine Gefahr, 


*) Es mar eh; Hygienisches Taschenbuch.'III. Aufl. S. 248. 



60 Dr. v. Gizycki: Dio Post als Vermittlerin bei Weiterrerbreitung v. Krankheiten. 


nicht allein weil sie eine verseuchte Postagentur passiren, son¬ 
dern auch als Sendungen, die aus verseuchten Haushaltungen auf¬ 
geliefert werden. Postbeamte und Empfänger können sich zur 
Zeit absolut nicht schützen vor dem so heimlich sie beschleichen¬ 
den Krankheitserreger. Zweifellos würde mancher, seinem Ur¬ 
sprung nach nicht aufzuklärende erste Fall einer ansteckenden 
Krankheit in einer Postsendung aus verseuchtem Orte oder in 
deren Behandlung durch Beamte aus verseuchten Haushaltungen 
seine Erklärungen finden können. 

Nicht zu unterschätzen ist die Gefahr der Weiterverbreitung 
von Krankheiten durch Briefumschläge. Diese werden sorglos 
weggeworfen, sie bilden oft ein beliebtes Spielzeug für kleine und 
kleinste Kinder. Anstatt sie sofort zu vernichten, geschieht es — 
obwohl dieses Verfahren auch vom ästhetischen Standpunkt aus 
verurtheilt werden muss — nur zu häufig, dass Briefumschläge, 
deren Gummistreif noch bei weitem am häufigsten mit der Zunge 
unmittelbar befeuchtet wird, gewendet und wieder benutzt werden. 
So kommt es, dass ich selbst, der ich die von P. ausgehende Gefahr 
zu erforschen mich bemüht habe, mich vor der Einschleppung der 
Krankheit in mein Haus trotz aller persönlichen Vorkehrungs- 
massregeln kaum zu schützen vermochte. Erhalte ich doch heute 
einen Brief von der Königlichen Kreiskasse zu M. in einem ge¬ 
wendeten, schon einmal benutzten Umschlag; die innere Seite 
desselben trägt das Dienstsiegel des katholischen Pfarramts und 
den Stempel des Postamts zu — P. Wenngleich auch meines 
Wissens im katholischen Pfarrhause zu P. die Scharlachkrankheit 
nicht geherrscht und der Brief auch schon am 9. Oktober 1902 
P. verlassen hatte, so habe ich dem Umschlag doch die verdiente 
desinfizirende Behandlung zu Theil werden lassen und bewahre 
ihn sorgsam bei den Akten über „Scharlach in P.“ auf. 

Es ist nun nicht meine Absicht, in diesen wenigen Zeilen 
die Frage, was geschehen, welche Besserungsvorschläge gemacht 
werden sollen, auch nur in Kürze zu behandeln. Es lag mir nur 
daran, gewisse Verbreitungswege für übertragbare Krankheiten, 
denen ich nachzuspüren Gelegenheit gehabt habe, an geeigneten 
Beispielen zu erörtern, obwohl ich überzeugt bin, dass Kollegen 
ähnliche Beobachtungen gleichfalls gemacht haben werden. 

Die anzuordnenden Massnahmen werden nach den in jedem 
Sonderfall gemachten Feststellungen zu beurtheilen sein und sind 
auch in P. entsprechend getroffen worden. Der Fall drängt aber 
gewisse Fragen von allgemeiner Bedeutung in den Vordergrund, 
vor allen diejenige: lassen sich nicht rechtzeitige Vorkeh¬ 
rungen treffen, damit eine öffentliche Verkehrsanstalt nicht 
wochenlang der Weiter Verbreitung einer Seuche Vorschub leistet 
und grosses Unheil anrichtet? Was heute in P. möglich war, 
kann morgen unter ähnlichen Umständen an vielen anderen Orten 
sich ereignen. Gewiss könnte von der Ortspolizeibehörde verlangt 
werden, dass sie auch aus eigener Ueberzeugung die Gefahr er¬ 
kennt, ehe sie erst vom Kreisarzt darauf aufmerksam gemacht 
wird; im vorliegenden Falle hatte sie sich begnügt mit der 



Dr. Schmidt: Kresolaelfeoflaschen für Hebammen. 


61 


Kennzeichnung des Hauses durch eine entsprechende Aufschrift 
Aber der Haasthür, welche die wenigsten beachten. Eine dienst¬ 
liche Verpflichtung des Beamten, den Ausbruch einer ansteckenden 
Krankheit in seiner Haushaltung umgehend der Vorgesetzten Be¬ 
hörde anzuzeigen, würde jedenfalls sehr viel schleunigere Abhilfe 
geschafft haben. Sollte sich dann der betreffende Beamte eine 
Unterlassung zu Schulden kommen lassen, so wäre er bei der 
Schwere des Falles auch voll zur Verantwortung zu ziehen. 

Das Gleiche würde auch für den Briefträger gelten, wenn 
er anders handelte, als seine „Instruktion“ es ihm vorschreibt. 
Der Briefträger in P. aber erklärte: „Meine Instruktion schreibt 
es mir nicht vor, dass ich in verseuchten Haushaltungen anders 
zu verfahren habe, als in unverseuchten; daher kann ich auf 
andere Anordnungen nicht hören; bei Bestellungen von Post¬ 
anweisungen und dergl. muss ich in die Wohnungen hineingehen.“ 
Es lässt sich m. E. sehr wohl mit dem Postbestelldienst ver¬ 
einigen, wenn die Briefträger angewiesen würden, sich vor ihnen 
bekannten oder als solchen gekennzeichneten verseuchten Haus¬ 
haltungen mehr Zurückhaltung aufzuerlegen und dieselben nur in 
dorchaus nothwendigen Fällen zu betreten, im Uebrigen aber die 
Empfänger zwecks Annahme der Postsendungen grundsätzlich aus 
den Wohnungen oder Krankenzimmern heraustreten zu lassen. 
Ich bin überzeugt, dass sich noch manche andere, den praktischen 
Verhältnissen zu entnehmende Vorbeugungsmassregeln treffen und 
mit dem Postbestelldienst vereinigen Hessen. 

Eine grosse, äusserlich leider nicht erkennbare Gefahr werden 
wohl noch lange Postsendungen aus verseuchten Haushaltungen 
und Ortschaften bleiben, es sei denn, dass eine generelle Kennt¬ 
lichmachung derselben als „aus verseuchtem Orte stam¬ 
mend“ denkbar wäre. Briefumschläge aber müssten stets sofort 
vernichtet (verbrannt) werden; dass speziell Behörden gewendete 
Briefumschläge benutzen, sollte keinesfalls statthaft erscheinen. 


Kre80lseifenflaschen für Hebammen. 

Von Reg.- und Geb. Medizinalrath Dr. Schmidt in Liegnitz. 

Im Regierungsbezirk Liegnitz findet seit zwei Jahren eine Be¬ 
aufsichtigung der Hebammen-Nachprüfungen durch den Regierungs- 
nnd Medizinalrath statt, unabhängig von der durch §. 5 Ziff. 6 der 
aUgemeinen Verfügung vom 6. Aug. 1883 eiugeführten Theilnahme 
der Direktoren der Hebammen-Lehranstalten als Examinatoren an 
diesen Nachprüfungen. Es ergab sich im Laufe der Herbst¬ 
monate, dass die nach dem Ministerialerlasse vom 21. Mai 1902 — 
Ergänzungsblatt 8 zum Hebammen-Lehrbuch — als Desinfektions¬ 
mittel an Stelle des Lysols zugelassene Kresolseifenlösung wohl 
vielfach angeschafft, aber in den Geräthebehältern nicht in den 
vorschrittsmässig bezeichneten Flaschen vorhanden war. Bei 
einem zufälUgen Zusammentreffen mit dem Direktor der Breslauer 
Hebammenlehranstalt Dr. Baumm an einem Nachprüfungstermin 



62 Klitun Mittheüungen and Referate au Zeitschriften. 

wurde daher die Anfertigung' geeigneter Eresolseifenflaschen ver¬ 
abredet und vom Verfasser das Nöthige — nach Einsendung einer 
Zeichnung an die Adlerhtttte zu Penzig, Landkreis Görlitz — 
veranlasst. Diese Flaschen sind jetzt fertiggestelt, werden den 
Kreisärzten durch Verfügung des Herrn Regierungspräsidenten 
zur allgemeinen Einführung empfohlen und werden zugleich durch 
die Provinzial - Hebammenlehranstalt Breslau eingeführt werden. 
Sie sind von handlicher Form, flach, einschliesslich des 4 1 /» cm 
langen Flaschenhalses 15 cm hoch, 5,3 cm breit und nur 3 cm 
tief, aus weissem Glase, sechseckig, drei Flächen glatt, drei mit 
Längsrippen, die seitlichen Ecken abgestumpft, ferner mit der 
vorgeschriebenen Aufschrift: „ Vorsicht! Kresolseife. Nur gehörig 
verdünnt und nur äusserlich zu gebrauchen", in schwarzer Schrift 
auf weissem, viereckigem Schilde und mit Patent-Bügelverschluss 
(Messingdraht, Porzellanstopfen und Gummiring) versehen; Inhalt 
90 ccm. 

Der Verkaufspreis dürfte 75 Pfg. betragen. Die Flaschen 
können zu Fabrikpreisen aus der hiesigen Schloss - Apotheke — 
Inhaber Dr. Jedamski — bezogen werden. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Sachverständigenthätigkeit in Unfall- nnd Invaliditäts- 

Bachen. 

Die Unfallverletsnngen des Gehörorganes nnd die pronentnale 
Abschätzung der durch sie herbeigeführten Binbnsse an Brwerbi- 
fähigkeit im Sinne des Unfallversicherungsgesetzes. Von Dr. Böpke, 
Onrenarzt in Solingen. Verhandlungen der Deutschen Otologisehen Gesellschaft 
auf der elften Versammlung in Trier am 16. und 17. Mai 1902. 

Böpke, dem dieses Thema von der Deutschen Otologisehen Gesellschaft 
wegen seiner eigenen grossen Erfahrung und seiner gründlichen Kenntniss des 
betreffenden Materials gestellt war, bespricht in seinem Vortrage folgende 
Punkte: 

1. Die Häufigkeit der Unfallverletsungen des Gehörorganes. 

2. Die Entstehnngsart der Ohr-Unfall Verletzungen. 

8. Die Folgesustäade, welche nach Unfallverletzangen des Gehörorgans 
eine seitweise oder dauernde völlige oder theilweise Erwerbsunfähigkeit des 
Verletzten im Sinne des Uafallversicherungsgesetses herbeifahren können. 

Bei Paukt 3 werden die Entstellang durch Verlast einer Ohrmuschel, 
die nach Verletzung des äusseren Gehörganges zurückbleibenden Stenosen des 
Gehörganges mit nachfolgender Schwerhörigkeit, die Trommelfell- und Mittel- 
ohrverletsnngen mit ihren Folgezuständen und schliesslich die Verletzungen 
des inneren Ohees erwähnt. 

4. Die prozentuale Abschätzung der durch Unfallverletsungen herbei- 
geführtea Einbusse an E' werbsfäbigkeit. 

Die Folgezastände einer Verletzung des Gehörorgans, welche eine Ent¬ 
schädigung bedingen, sind Herabsetzung oder Verlust des Gehörvermögens, mit 
oder ohne Ohreiterung, Schwindelerscheinungen, subjektive Geräusche, Kopf¬ 
schmerzen, Entstellungen. 

Eine Beschränkung der Erwerbsfähigkeitt tritt bei dem Durohschnitts- 
arbeiter ein, wenn er bei normalem Hörvermögen auf der einen Seite nicht 
mehr im Stando ist, Flüstersprache auf dem anderen Ohre auf 4 Meter Ent¬ 
fernung zu hören. Bei einseitiger hochgradiger Schwerhörigkeit sind 10 */.. 
bei einseitiger Taubheit 20 °/ 0 der Vollrente zu gewähren; die durch Schwindel- 
erscheinäugen bedingte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ist auf 10 °/o. 
ebenso hoch ist die Sohädigung durch subjektive Geräusche einsusohätsen. 

Dr. Ru dl off-Wiesbaden. 



Kleinere Mittheilungen and Beiente ans Zeitsahrilten. 


68 


Ursächlicher Zusammenhang zwischen einem tödtlich verlaufenen 
Magenkrebs und einem Betriebsunfall (Schlag von einer anrück- 
schnellenden Brechstange gegen den Magen). Obergutachten, anf 
Branchen des Reichsversicherungsamts unter dem 27. Mai 1902 erstattet ron 
Geh. Med. - Rath Prof. Dr. B w a 1 d in Berlin. Amtliche Naohriohten des Reichs- 
Versicherongsamts; 1902, Nr. 10. 

Indem ich mich in Besug anf den Hergang des Unlalls auf die Beweis* 
anfnahme Blatt 84 ff. der Akten des Reichs -Vereichernngsamts, in Besug anf 
die Ergebnisse der Leichenöffnung anf Blatt 18 der Sektionsakten besiehe und 
ferner anf das Gutachten Herrn Prof. Dr. A. in B. vom 27. Jnli 1901 (Blatt 8 ff. 
der Schiedsgerichtsakten) verweise, gebe ich mein Gutachten dahin ab: 

L das tOdtliche Leiden (Krebs des Magens mit Uebergreifen anf die Leber 
and Verwachsung mit den Nachbarorganen) ist durch den in Rede stehenden 
Unfall von Anfang September 1900 weder mittelbar, noch nn* 
mittelbar verursacht oder angeregt; 
n. es liegt aber eine geringe Möglichkeit vor, dass der Unfall den Verlauf 
des Leidens nngttnstig beeinflusst hat. 

Begründung. Zu I schliesse ich mich vollständig den Auseinander* 
Betsungen an, welche Prof. Dr. A. auf Blatt 8 ff. der Sohiedsgerichtsakten unter 
dem 27. Juli 1901 angegeben hat. Ich gehe aber insofern über die Schluss* 
folgerangen dieses Vorgataohters hinaus, als ich es „nicht nur für im höchsten 
Grade unwahrscheinlich*, sondern geradeso für sicher ausgeschlossen 
halte, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Tode 
des Sp. besteht. Prof. A. ist offenbar zu der von ihm vertretenen Annahme, 
welche die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges zwar für sehr un¬ 
wahrscheinlich, aber doch nicht für absolut ausgeschlossen erachtet, durch die 
Brwägung gekommen, dass der Unfall, der Schlag einer Brechstange vor die 
Magengegend, mOglioher Weise ein Magengeschwür verursacht habe, ans welchem 
dann später der Magenkrebs zur Entwickelung gekommen sei. Abgesehen da¬ 
von, dass die Entstehung eines Magenkrebses aus einem Magengeschwür zu den 
seltenere j Vorkommnissen gehOrt, bedingt sie nach unseren Erfabrnngen auch 
stets eine längere, über Jahre sich erstreckende Krankheitsdauer. Professor A. 
macht mit Recht darauf aufmerksam, dass die Zeit zwischen Unfall und Tod, 
die etwa 6 bis 7 Monate betrag, hierzu nicht ausreicht. Aber selbst wenn dies 
der Fall wäre, so müssten sich doch bald nach dem Unfall irgend weiche An¬ 
zeichen eines Magengeschwürs gezeigt haben. Hiervon ist aber in den Akten 
nirgends die Rede, vielmehr wird ausdrücklich angegeben, dass Sp. nur wenige 
Tage über Magenbeschwerden klagte, sich nur zwei Tage vorübergehend in 
ärztliche Behandlung begab und seine schwere Arbeit nie unterbrochen hat. 

Ich habe eine nicht unerhebliche Anzahl von Fällen beobachtet, in denen 
sich Krebs auf dem Grunde eines Magengeschwürs entwickelte, stets aber 
fanden sich in der Vorgeschichte des Kranken charakteristische Angaben, welche 
auf ein schon früher vorhanden gewesenes Magengeschwür hinwiesen, wie z. B. 
Bluterbrechen, regelmässig wiederkehrende Scbmersen nach dem Essen und 
Aebnliehes. Hiervon ist jedoch bei Sp. nirgends die Rede. Dass aber ein 
leichter 8chlag gegen den Magen ohne das Mittelglied einer Zerreissung der 
Magenschleimhaut bezw. eines dadurch entstandenen Magengeschwürs eine bös¬ 
artige Nenbildnng zur Folge haben konnte, ist nach unseren bisherigen Kennt¬ 
nissen völlig ausgeschlossen. Diejenigen Fälle, in welchen sich Magenkrebs 
längere oder kürzere Zeit nach einem Trauma gegen die Magenwand ent¬ 
wickelte — ob das Trauma Ursache war oder nicht, bleibe dahingestellt —, 
betrafen immer sehr schwere Verletzungen, wie z. B. den Stoss einer Dpichsel 
vor die Magengegend, die Quetschung zwischen zwei Pnffern von Eisenbahn¬ 
wagen etc. Umgekehrt lehrt uns die tägliche Erfahrung, dass viele Kranke 
erst bei Gelegenheit eines Unfalls auf eine krankhafte Veränderurg ihres 
Organismus aufmerksam werden, die off-nbar schon lange vorher, ohne ihnen 
zum Bewusstsein zu kommen, bestanden hat. So habe ich erst vor einigen 
Tagen die Obduktion eines Mannes vorgenommen, der vor wenigen Wochen bei 
einem Fall aus einem Wagen der elektrischen Bahn heftige Leberscbmerzen 
und eine enorme LebervergrOsserung davongetragen haben wollte. Die Ob¬ 
duktion ergab 'aber.üdass es sich zweifellos um eine ganz alte Lebergeschwulst 
bei einem tuberkulösen Manne handelte, die ganz sicher schon viele Monate 



64 


Kleinere Mittheilungen and Beferate ans Zeitschriften. 


▼or dem fraglichen Unfälle bestanden hatte. Ich halte es auch in dem vor¬ 
liegenden Falle für wahrscheinlich und stimme auch darin Herrn Professor A. 
bei, dass die ersten Anf&nge des Magenkrebses, an dem Sp. gestorben ist, auf 
die Zeit vor dem fraglichen Unfälle znrückgreifen. Denn es kommt häufig vor, 
dass sieh ein solcher Krebs monatelang auf einen sehr geringen Umtang be¬ 
schränkt und keine Symptome macht. Erst bei der Untersuchung der Ge¬ 
schwulst nach dem Tode erkennt man, dass dieselbe älter sein muss, als der 
Zeit entspricht, von der ab der Kranke Ober sein Leiden klagte. Jedenfalls 
ist aber der fragliche Unfall nicht als ursächliches Moment ftkr die Entstehung 
der Neubildung anznseben. 

It. Dass der Unfall auf die bereits vorhandenen Keime der Neubildung 
in dem Sinne ungflnstig eingewirkt hat, dass er dieselbe zu schnellerem Wacbs- 
thum gereizt hat, ist zwar unwahrscheinlich, aber immerhin möglich. Unwahr¬ 
scheinlich, weil sich das gesteigerte Wachsthum früher auch nach aussen, d. b. 
durch die subjektiven Beschwerden des Kranken kenntlich gemacht haben 
würde. Thatsächlich sind aber zwischen dem Unfall und den ersten Er¬ 
scheinungen der tödtlichen Krankheit mehrere Monate verflossen. Doch ist mit 
Rücksicht auf die oben dargelegte Erfahrungstatsache, dass das Wachsthum 
des Krebses gelegentlich eine längere Latenzperiode hat, nicht ausgeschlossen, 
dass eine solche auch hier vorliegt, bezw. dasB dieselbe sich noch länger aus¬ 
gedehnt hätte, wenn nicht durch den Schlag vor die Magengegend die bereits 
vorhandene Geschwulst gereizt und zu beschleunigtem Wachstbum angeregt 
worden wäre. Deshalb lässt sich eine geringe Möglichkeit, dass der Unfall 
den Verlauf des Leidens bei dem Sp. in ungünstiger Weise beeinflusst hat, 
nicht von der Hand weisen. 

Ungeachtet der Ansicht des behandelnden Arztes, dass der Unfall das 
Krebsleiden hervorgerufen, wenigstens aber in seinem Verlaufe wesentlich be¬ 
schleunigt habe,. hat das Rekursgericht auf Grund des vorstehenden Obergut¬ 
achtens nicht nur den unmittelbaren, sondern auch den mittelbaren Zusammen, 
hang zwischen dem Unfall und der Erkrankung verneint, wobei bemerkt worden 
ist, dass die blosse Möglichkeit eines solchen Zusammenhanges zur Begründung 
eines Entschädigungsanspruches nicht aasreiche. Es ist daher der Rekurs der 
Hinterbliebenen des Sp., deren Ansprüche von den Vorinstanzen abgelehnt 
waren, ebenfalls zurückgewiesen worden. 


Entziehung der Rente wegen Angewöhnung bei Verlust des linken 
Ringfingers. Rekursentsoheiduugdes Reichs Versicherungsamts 
vom SO. September 1902. 

Als alleinige Unfalifolge kommt nur der Verlust des linken Ringfingers 
iu Betracht. Das Reichsversicherungsamt ist zu der Ueberseugnng gelangt, 
dass in dem langen Zeiträume von 18 Jahren, die seit dem Unfälle verflossen 
sind, der Beklagte sich so weit an den Verlast seines Fingers gewöhnt bat, 
dass sein Fehlen für ihn nicht mehr die Bedeutung eines wirtschaftlichen 
Schadens hat. Diese Feststellung bedeutet eine wesentliche Veränderung 
gegenüber don Verhältnissen, welche für die in dem Bescheide vom 25. Ja¬ 
nuar 1390 ausgesprochene Bewilligung der Theilrente von 5°/ 0 massgebend 
waren. Denn damals war seit der Exartihulation jenes Fingers erst ein halbes 
Jahr verstrichen, so dass sich der günstige Einfluss der Anpassung und Ge¬ 
wöhnung an die veränderten Verhältnisse der verletzten Hand noch nicht 
geltend machen konnte. Weon damals und auch noch in don darauffolgenden 
Jahren durch den Verlust des Ringfingers die Gebrauchsfähigkeit der linken 
Hand immerhin noch in messbarem Grade beeinträchtigt gewesen sein mag, so 
ist doch ansunebmen, dass es nunmehr dem Beklagten gelungen ist, die fehlende 
Mitwirkung des Ringfingers bei der Handhabung des Arbeitsgerätes daroh 
erhöhte Inanspruchnahme der benachbarten Finger zu ersetzen. Diese An¬ 
nahme erscheint selbst dann berechtigt, wenn dem Beklagten zusngeben ist, 
dass sein Beruf als Holzbildhauer hohe Anforderungen an die Geschicklichkeit 
haUer Hände stellt. 

Das Rekursgericht fand hiernach keinen Anlass, der Auffassung des 
Ngerichts, dass der Beklagte keinen Anspruch mehr auf Fortgewährung 



Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften. 


65 


der ihm bisher wohlwollender Weise belassenen Rente habe, entgegensutreten. 
Dem Rekurse war daher der Erfolg so versagen. 


Macht eine Landesversieherungsanatalt gegen eine Krankenkasse 
eine Forderung auf Grand des Abs. 3 §. 18 des Invalidenversichernngs* 
gesetztes geltend, so bat der Verwaitnngsrichter zu prüfen, ob die 
Erkrankung des Versicherten derartig war, dass die Anstalt das Heil* 
verfahren an übernehmen befngt war. 

Eine gegen die klare Sachlage verstossende tbatsächliche Wür¬ 
digung eines ärztlichen Gntachtens seitens des Richters stellt einen 
wesentlichen Verfahrensmangel dar. Entscheidung des prenssisohen 
Oberv erwaltnngsgeriohts (III. Senats) vom 17. April 1902. 

Die Klägerin hat für das an Rheumatismus erkrankte Mitglied der Be¬ 
klagten, den Former Hermann Z., das Heilverfahren fibernommen und ihn vom 
3. September bis 3. Oktober 1900 in Bad Sch. ärztlich behandeln und verpflegen 
lassen. Da sie der Ansicht ist, dass der Erkrankte vom 3. September ab er¬ 
werbsunfähig im 8inne des Krankenversicherungsgesetzes gewesen sei, so ver¬ 
langte sie die ihr erwachsenen Kosten in Höhe desjenigen Krankengeldes er¬ 
stattet, welches Z. für den gedachten Zeitraum von der Beklagten für sich 
beanspruchen konnte. Die Letztere bestritt die Erwerbsunfähigkeit, weil Z. 
noch dem Gutachten des Kassenarztes ohne Verschlimmerung Beines Zustandes 
habe weiter arbeiten können. 

Der Bezirksausschuss erhob zunächst über den Grad der Erwerbsunfähig¬ 
keit nnd der Erkrankung Beweis und wies Bodann die Klage durch Urtheil 
vom 15. Juni 1901 ab, indem er nach dem Ergebniss der Beweisaufnahme an¬ 
nahm, dass bei Z. als Folge der Krankheit nicht eine Erwerbsunfähigkeit zu 
besorgen gewesen sei, die einen Anspruch auf reichsgesetzliche Invalidenrente 
begründe und deshalb der Klägerin die Befngniss absprach, ein Heilverfahren 
nsuih §. 18 des Invalidenvcrsicherungsgesetzes eintreten zu lassen. Die von der 
Klägerin gegen diese Entscheidung unter der irrthfimlichen Bezeichnung als 
Berufung eingelegte Revision (§. 1 der Verordnung vom 23. August 1890 — 
Gesetz-Sammlung S. 166) ist begründet. 

Die Annahme der Klägerin, dass fflr den von ihr geltend gemachten 
Ersatzanspruch lediglich der Absatz 3 §. 18 des In validen verBichernngsgesetzes 
vom 13. Juli 1899 massgebend sei und dass deshalb der Verwaltungsrichter 
nicht nachzuprfifen habe, ob ein Heilverfahren von der Versicherungsanstalt 
befagt oder unbefugt Übernommen worden sei, geht allerdings fehl. Nach 
Absatz 1 daselbst ist die Versicherungsanstalt zur Anordnung eines Heil¬ 
verfahrens nur dann befugt, wenn ein Versicherter dergestalt erkrankt, dass 
als Folge der Krankheit Erwerbsunfähigkeit zu besorgen ist, welche einen 
Anspruch auf reichsgesetzliche Invalidenrente begründet. Das Vorliegen dieses 
Toatbestandes bildet mithin eine Voraussetzung lür den durch die Vorschriften 
des Absatz 3 eingeführten Erstattungsansprnch. Da»s die Frage, ob diese Vor¬ 
aussetzung gegeben ist, der Nachprüfung des Vorwaltungsrichters unterliegt, 
kann um so weniger bezweifelt werden, als der §. 23 des Invalidenversicherungs- 
gesetzes das Verwaltungsstreitverfahren über die hier in Rede stehenden Ersatz¬ 
ansprüche ohne jegliche Einschränkung eröffnet. 

Dagegen fällt dem Vorderrichter insofern ein wesentlicher Mangel des 
Verfahrens zur Last, als er bei der Würdigung der seiner Entscheidung auch 
zu Grunde liegen len Gutachten des Dr. med. H. vom 21. August 1900 und des 
Dr. med. Sch. vom 25. Mai 1901 gegen die klare Lage der Sache veratossen hat. 

An den Dr. H. war vom Magistrat in W. am 21. August 1901 die Frage 
gestellt worden, „ob Z. dergestalt krank sei, dass als Folge der Krankheit eine 
Erwerbsunfähigkeit zu befürchten sei, welche einen Anspruch auf reiebsgesetz- 
liche Invalidenrente begründe“. Wenn der Sachverständige darauf antwortete, 
„dass der Z. arbeitsfähig sei mit öfteren Unterbrechungen, so dass bei nicht 
völliger Auskurirnng eine Wiederholung des Rheumatismus und damit eine 
Erwerbsunfähigkeit zu befürchten sei“, so konnte der Vorderrichter mit Rück¬ 
sicht auf die voranfgegangeue Frage nicht feststellen, Dr. H. habe nur be¬ 
seheinigt, dass bei Z. Erwerbsunfähigkeit schlechthin zu befürchten sei, nicb* 
aber, dass auch eine solche zu besorgen sei, welche einen Anspruch auf reic 1 



66 


Kleinere Mittheilungen and Befer&te ans Zeitschriften. 


gesetsliche Invalidenrente begründe. Br durfte dies nm so weniger, als Dr. H. 
bereits in dem Atteste vom 16. August 1900 die Frage: „Seit welchem Zeit« 
pnnkte ist die Erwerbsfähigkeit nach Ihrem Ermessen unter 33*/ a 0 /o gesunken?“ 
mit: „seit dem Rheumatismus“ beantwortet hatte. Was ferner das Qntachten 
des Dr. med. Sch. angeht, so bejaht dieser in dessen Eingang das Vorliegen 
der Besorgnias einer Erwerbsunfähigkeit, die einen Anspruch auf reichsgesets- 
liche Invalidenrente begründet, mit den Worten: „loh glanbe diese Frage nn« 
bedenklich mit ja beantworten zu können“. Der Vorderrichter konnte sich 
deshalb mit diesem Gutachten nicht mit dem Satze abfinden: „Insbesondere ist 
der Sachverständige in dem Schlussergebniss seiner Darlegungen nur der 
Ansicht, dass bei Z. eine Erwerbsunfähigkeit, die den Ansprach auf reiche« 
gesetzliche Invalidenrente nach sich zog, „befürchtet werden konnte“, nicht 
etwa „zu besorgen war“. Mit den Worten „befürchtet werden konnte“ hat 
der Sachverständige, wenn man den Eingang seines Gutachtens berücksichtigt, 
doch offenbar sagen wollen: „es war zu besorgen“. Auch ist es nicht zutreffend, 
wenn der Vorderrichter dem Sachverständigen vorwirft, dass er in seinem Gut¬ 
achten zu der vorliegenden Streitfrage in ihren wesentlichen Pankten nur in 
unbestimmten Ausdrücken Stellung genommen habe. 

Hiernach unterliegt die Vorentscheidung der Aufhebung (§. 94 Ziffer 2. 
§. 98 des Landesverwaltangsgeaetzes). Bei der eintretenden freien Beurtheilung 
erscheint die Sache nicht spruchfrei. 

Wenn auch auf Grund des Sch.’sohen Gutachtens sowie mit Rücksicht 
darauf, dass der Dr. med. H. die Besorgniss einer Erwerbsunfähigkeit im Sinne 
des §. 18, Abs. 1 des Invalidenversicherungsgesetzes anfänglich ebenfalls bejaht 
hatte, davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin zur Anordnung des 
Heilverfahrens befugt war, so bedarf das Sachverhältniss doch nach einer an¬ 
deren Richtung hin noch der Aufklärung. Hach dem hiermit in Bezug genom¬ 
menen Endurtheil des erkennenden Senates vom 17. Oktober 1901 ist nämlich 
eine fernere Voraussetzung für den vorliegenden Ersatzanspruch die, dass Z. 
während der Zeit vom 3. September bis 8. Oktober 1900 erwerbsunfähig im 
Sinne des Krankenversicherungsgesetzes war und einen noch nicht erfüllten 
Ansprach auf Krankengeld hatte. Da die beklagte Krankenkasse das Vor¬ 
handensein dieser Voraussetzung mit der Behauptung in Abrede genommen hat, 
dass Z. arbeitsfähig gewesen sei und bis zum Antritt seiner Badereise regel¬ 
mässig gearbeitet habe, so sind noch weitere Ermittelungen über diesen Punkt 
erforderlich. Zu deren Anstellung war die Sache in die Vorinstanz znrück- 
zuweisen. Der Vorderriohter wird bei den ferneren Verhandlungen zu beachten 
haben, dass nach der gleichmässigen Rechtsprechung des Gerichtshofes unter 
der durch Krankheit herbeigeführten Erwerbsunfähigkeit schon die Unmöglich¬ 
keit, der Erwerbsthätigkeit ohne Verschlimmerung der Krankheit nacbgehen 
zu können, zu verstehen ist. _ 


Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Krankenversieherungsgesetzes. 
Urtheil des Badischen Verwaltnngsgeriohtshofes vom 28. Ok¬ 
tober 1902. 

Damit ein Anspruch auf Krankengeld begründet sei, verlangt das Gesetz 
nicht, dass der Versicherte nicht zur geringsten ErwerbBthätigkeit mehr im¬ 
stande sei, sondern es begnügt sich mit der wesentlichen Beschränkung der 
Erwerbsfähigkeit. Theorie und Praxis stimmen darin überein, dass die Er¬ 
werbsunfähigkeit durch unbedeutende Lohnarbeit mit verhältnissmässig geringem 
Ertrag, der im Verhältnis zum Taglohn oder Krankengeld nicht mehr be- 
achtens werth erscheint, nicht ausgeschlossen wird. Die Ansicht, Niemand darf 
Lohn aad Krankengeld für die gleiche Zeit beziehen, ist in dieser Allgemein¬ 
heit eine rechtsirrthümliohe. 


B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitätswesen. 

Ueber das Wesen der Bakterienvirulens naeb Untersuchungen 
an Choleravibrionen. Von Prof. B. Pfeiffer und Dr. E. Friedberger. 
Berlin. Klin. Woohenschr.; Nr. 25, 1902. 



Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften. 


67 


Die Untersuchungen worden vorgenommen mit Cholerakulturen aas dem 
Anfang der nennsiger Jahre. Sie führten so folgenden Schlüssen: 

1. Bei den Choleravibrionen unterscheiden sich virnlente nnd avirnlente 
Stimme dnrch die Ansahi oder durch ein Qr&d der Affinität ihrer haptophoren 
Groppen. Die virulenten Cholerastämme besitzen eine mindestens fünf- bis 
zehnmal grossere Affinität resp. grossere Zahl der haptophoren Groppen als 
die avirnlenten. 

2. Der immnnisirende Effekt durch die Impfnng mit Choleravibrionen 
ist ans dem gleichen Grande abhängig von der Hohe der Virulenz der ver- 
impften Knltnr. Analoge Verhältnisse sind für Typhös- and Pestpasillen voraus- 
so setzen. 

8. Das Wesen der Virulenz bernht demnach für die angeführten Bak¬ 
terienspezies auf ihrem BindongsvermOgen gegenüber den zn ihnen passenden 
Ambozeptoren. 

Inwieweit neben diesem Moment noch andere Faktoren das Wesen 
der Virulenz mitbestimmen nnd inwieweit die gefundenen Thatsachen allgemeine 
Gültigkeit für andere Bakterienspesies haben, bleibt hier unerwähnt. 

Dr. Räuber-Düsseldorf. 


Beiträge zur Agglutination des Pestbacillus. Ans der II. med. 
Universitätsklinik in Budapest (Dir.: Prof. Dr. Karl v. K&tli) and aas dem 
nngar. staatlich bakteriol. Institute (Dir.: Prof. Dr. Hugo Preisz). Von 
Dr. Alad&r Anjeszky, Adjunkt am bakteriol. Institut nnd Dr. Johann Wen- 
hardt, Assistent der Klinik. Berliner klin. Wochenschrift; 1902, Nr. 82. 

Die Agglutination hat eine Bedeutung, wenn nach Genesung eines 
Kranken ein vor kurzer Zeit überstandenes fragliches Leiden festgestellt werden 
soll. Das Blut der von Pest geheilten Menschen soll selbst nach 8 Wochen, 
vielleicht auch noch später, agglutiniren. Es galt festzustellen, ob der Pest- 
baeillus nur das von pestinfizirtem Organismus stammende Blutserum aggluti- 
nirt. Za ihren Versuchen benutzten die Verfasser einen aus Glasgow stammenden 
Pestbaeillns, von dessen 2 tägiger Agarknltnr sie mittelst Bomllon und physio¬ 
logischer Kochsalzlüsuag eine gteichmässige Emulsion herstellten. Das Blut¬ 
serum wurde mittelst einer Pasteur ’sehen Pipette in sterilisirte Eprouvetten 
eiagetrfiufelt und mit einer gleichen Pipette die Emulsion dazu gegeben. In 
den ausgeprägten Fällen der Agglutination bildet sich über dem Bodensatz oft 
ein wolkenartiger, verschwommener Niederschlag, über welchem die Flüssigkeit 
ganz klar wurde. 

Die Besaitete der Untersuchungen sind folgende: Auch das Blutserum 
des gesunden Pferdes kann den Pestbaoillus agglutiniren, aber nur bis zur 
Verdünnung 1:10. Das Pestsernm agglntinirt in grösserer Konzentration als 
1:6 nicht nnr den Pestbaeillns, sondern auch andere Bakterien. Das Blut ge¬ 
sunder und an Tabe'knlose leidender, fiebernder Menschen agglntinirt den Pest- 
haeillns nicht. Nach Immnnisirnng mit Pestsernm erhält manchmal das Blut 
des Menschen den Pestbaeillns agglotinirende Fähigkeit. Das Blutserum ge¬ 
sunder Kaninchen agglntinirt den Pestbaeillns nicht; jedes der mittelst Pest- 
serum immnnisirten Kaninchen agglntinirt aasnah ms weise. Der Urin gesunder 
Menschen agglntinirt den Pestbaoillus nicht, aber nach Injektion des Sernms 
kein es Vorkommen, dass auch der Urin agglntinirt. Das Blutserum der 
Kauinehen agglntinirt nicht selbst nach Haffkinisation den Pestbaeillns. End¬ 
lich haben die Verfasser bewiesen, dass auch der Haffkine’sche Impfstoff zu 
Agglutlnationszwecken verwendbar ist, dass aber die Reaktion mit lebenden 
Pestbaiillen lebhafter ist. _ Dr. Räuber-Düsseldorf. 

Ueber die Gefahr der Tetanusinfektion bei subkutaner An¬ 
wendung der Gelatine zu therapeutischen Zwecken und ihre Ver¬ 
meidung. Ans der Königl. med. Klinik za Breslau (Geheimrath Käst). Von 
Dr. Pani Kr aase, Oberarzt. Berliner klin. Wochenschrift; 1902, Nr. 29. 

Die Schlusssätze lanten: „1. Die beobachteten Tetanusinfektionen nach 
Gelatineinjektionen beruhen aaf einer fehlerhaften, nicht genügenden Sterili¬ 
sation der Gelatine. 2. Durch fraktionirte Sterilisation der Gelatinelösung an 
5 aufeinander folgenden Tagen je '/* Stande im strömenden Dampfe bei 100° C. 



66 Kleinere Mltthellungeu und Referate atu Zeitschriften. 

gesetitlche Invalidenrente begründe. Er darfte dies um so weniger, »b 
bereits iu dein Atteste fura 16. August 1900 die Fragen »Seit weichet;- 
paukte ist dk Kf Wesbifbblgkeit nach Ihrem Ermessen unter 33'/«“Ä ges» 1 
mit: »seit der« Rheumatismus“ leaatwortct hatte. Wae ferner das Hut 
de« OrbmeA Sek eogeht, 8ft bejaht dieser iu dessen Eingang de« Vor -: 
der Bvsorgiiws einer EjwerbennfftMgkeit^ die einen Ansprach *«f reichte 
liebe loVi3ldeare;Btv begründet, mit den Worten: »loh glaob« diese I 
bedenklich mit ja beantworten nü können“. Oer Vorderrichter hont 
deshalb mit diesem Outachten nicht mit dem Satze abfinden: „iaabwu u • 
d«r Saehrentködige in dem Scblassorgebuiss seiner X'aelagnngi 1 ;; 

Ansichlh, dass hei Z. eine ErwerbsBnf&higkeit, die den Äaaprucb ; 
gesetaliofe« Invalidenrente nach sich sog, „befürchtet werden km**,', 
etwa »an besorgen war*. Mit den Worten ,befClrcbt»t werden k 
der S&ehvoratfcndig«, wenn ;mao den Eingang seines Gutachtens her' 
doch offenbar sagen wnllea: »es war «tt besorgen“. Auch ist w niclS 
wenn der Vordem chter dam Saab verständigen verwirft* das« er in 
achten na dar vorliegenden Streitfrage in ihren wesentlichen Pu»;]: 1 
an bostimmteH Aasdröokeu StoilöBg genommen habe. 

Hiernach unterliegt die Vorentscheidung der Aufhebung {£ 

§. 93 des Laodesverwaltttagsgesetzfta}. Bei der cintretenden freien : 
erschatut dl« 3ache nicht spruehtrei, • • '« 

Wenn auch auf öraad d«a 3ch.-sehea Gutachtarcs sowie je’;- 
d&r&nf, dass der Dr. laad. S- dio Basorgnias einer Erwerhsnafähig«.; 
des §, 18, Aba» t des Invilidfittvereicherangsgesetae» anfängUnh eh> 
hatte, davon »angegangen werden kann, dass die Klägerin *ox A 
Heilverfahrens betagt war, so bedarf, das SaahverhiltnisB doch i 
deren Richtung hin noch der Aufklärung. Nach dem hiermit »a 
menen EndartbeÜ dee erkennenden Senates vom 17. Oktober 1? 

»ins fernere Vor&aagetznng für den vorliegenden KrsatnitJsgr ö< 
während der Zeit vom 8. September bla 3» Oktober 1900 er« 

Sinne des Kraufcenvajisicberuögsgeseizes war and einen Sech 
Amprotb auf Krankeagelil hatte. Da die beklagte Kranke* 
haadeosein dieser VoMuseetnong mit der Behnnptüng in Abrede. *' Är 
dass Z. arbeitsfähig gewesen eet and bi« am® Antritt seiner 
märntg gearbeitet habe, so sind noch weitere Ermittelungen 6 
erforderlich. Za deren Anstellung War die Sache ln die Vc 
sawfiissn. Der Vorderrijehter vrird bei döa Inraerea Verhandir • •' 
haben, dass nach der gleich «lässigen Rechtsprechung des G* 
der darob Krankheit herbeigeführinn Erwerbsunfähigkeit sch 
kolt, der Erwerbsthätigkoa ohne Verschlimmerung der Ktn 
su können, an verstehen ist. 


Erwarbst!»fühJgkelt in* Staute des Krankenversi< ‘ . 

Urtbeit des üadisuhen Vnr waltnngsgerlohtehd - .-«um ■ 

tober 1902. 

Damit ein Anspruch auf Krankengeld begründet set «** 

nicht, das« der Versieh«»!« nicht nur- gv-nogst*» Erwerbe i<P* 

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Kleinere Mittheilungen and Referate aas Zeitschriften. 


69 


Ftden zusammenhängende Hilzbrandbazillen nachgewiesen, des* 
gleichen in den Alveolenund Lymphspalten der Langen, während sie in den 
Blutgefässen derselben nur spärlich anzatreffen waren, ebenso wie in den 
übrigen Organen (Leber, Nieren n. s. w.). 

In Besag aaf die Aetfologie dieses Falles ergaben die angestellten 
Ermittelungen nun Folgendes: Gewisse ausländische Drogen werden in rohen 
Thierhäuten verpackt and verschickt. Die erkrankte Fraa hatte mit der Ver¬ 
arbeitung solcher Drogen za schaffen gehabt. Dadurch erscheint die Annahme 
gerechtfertigt, dass snr Verpackung der Drogen die Haut eines an Milz¬ 
brand eingegangenen Thieres benntst worden war, von der Bant aas Mils¬ 
brandkeime aaf die Droge gelangt, bei dem Zerkleinern nnd Reinigen der 
Droge verstäubt and von der Arbeiterin eingeatbmet waren. Es können 
die Milsbrandbasillen auch direkt von der Haat aas in die Laft des Arbeits¬ 
saals gelangt sein. Der Fall weist aaf die Nothwendigkeit hin, dass die 
Massnahmen zum Schatze der Arbeiter gegen Milzbrandgefahr auch aaf die 
Betriebe, wo Drogen verarbeitet werden, auszuduhnen sind. Leicht wird es 
sieht sein, eine Vorbeagang gerade hier herbeizuftthren, da bei den allgemein 
üblichen Desihfektionsverfahren die Drogen unbrauchbar gemacht werden 
dürften. Am besten wird es allerdings sein, wenn seitens des Gross-Drogen¬ 
handels darauf hingewirkt wird, dass zar Verpackung von Drogen keine rohe 
Thierhftnte mehr benutzt werden._ Rpd. 

Ueber die Bedingungen des Eindringens der Bakterien der 
Inspirationslnft in die Langen. Von Dr. Ludwig Paal. Zeitschrift für 
Hygiene and Infektionskrankheiten; 1902, Band 40, Heft 3. 

Da der Keimgehalt der Luft, welcher im Freien zwar ein ziemlich ge¬ 
ringer ist, in bewohnten Rfinmen ein Behr beträchtlicher sein kann (Hesse fand 
in Krankenhäasern bis za 12000, in staubiger Luft sogar bis za 200000 Keime 
im Kubikmeter), so hat die zuverlässige Beantwortung der Frage, ob Bakterien 
durch die Inspirationslnft bis in die feinsten Bronchien nnd Alveolen befördert 
werden können, eine hohe praktische Bedeutung, wenn man bedenkt, dass der 
Mensch darch die Athmang täglich etwa 9 cbm Luft in seine Langen aafnimmt. 
Man sollte zunächst meinen, dass der Keimgehalt der Lungen ein ausserordent¬ 
lich hoher sein müsste, dieser Annahme widerspricht aber meinerseits die kli¬ 
nische Erfahrung, dass die meisten penetrirenden Brnstwnnden aseptisch ver¬ 
heilen, anderseits haben auch viele Forscher wie Mttller, Klipstein, 
Göbell, Barthel u. A. m. experimentell die Lungen kleiner Versnchstbiere 
in einer grossen Zahl von Fällen steril oder nur äusserst wenig keimhaltig ge¬ 
funden ; auch bei grösseren Schlachtthieren waren erhebliche Keimmengen in 
den untersuchten Lungentheilen niemals zu finden. 

Die Sterilität der Lungen oder irgend eines anderen Organs kann nun 
entweder darauf beruhen, dass Oberhaupt keine Bakterien in dasselbe einzu¬ 
dringen vermögen, oder dass dieselben darin sehr rasch abgetödtet oder be¬ 
seitigt werden. Obwohl das häufige Vorkommen der Lungentuberkulose beweist, 
dass die erste dieser beiden Ursachen ffir die Lungen nicht unbedingt statt¬ 
haben kann, so fanden wiederum einzelne Autoren wie Claisse, Thompson 
und He wett einen um so geringeren Keimgehalt in den Lungen, je tieferen 
Thailen des Athmungstraktus sie ihr Uotersuchnngsmaterial entnahmen, woraus 
sie den Schluss ziehen, dass die Mikroorganismen meist in den oberen Theilen 
der Luftwege zarfickgehalten werden. Um diese WidersprQche einer Lösung 
näher zu bringen, hat nun Verfasser im hygienischen Institut der Universität 
Breslau mehrere Reihen höchst interessanter Versuche angestellt, welche nicht 
nur manche bisher offene Frage einer exakt wissenschaftlichen Lösung zugefQhrt 
haben, sondern auch geeignet sind, in mehrfacher Hinsicht die Anregung zu 
weiteren neueren Forschungen zu bieten. 

Sieht man von der Invasion der Bakterien in die Lungen durch den 
Siftestrom ab, so bleibt nur der auf alle Fälle näher liegende und zweifellos 
häufigere Weg ihres Eindringens mit der bis in die feinsten Lungenbläschen 
einströmenden Athmungsluft übrig. Hierbei sind nur zwei Möglichkeiten ins 
Auge zu fassen: erstens, dass die Keime in den Schleim, welcher stets an die 
Wandungen der Luftwege haftet, gelangen nnd mit diesem in die tiefer ge¬ 
legenen Theile des Respirationsorgans hinabfliessen, wie dies z. B. für das Zu- 



70 


Kleinere MittbeUungea and Referate aas Zeitschriften. 


staudekommen der Aspirationspneumanien charakteristisch ist, oder zweitens, 
dass dieselben, ohne mit der Schleimhaut und ihren Sekreten in Berührung an 
kommen, durch den inspirirten Luftstrom bis in die feinsten Luftröhrnähte 
tranBportirt werden. Der erste Weg wird wohl kaum der häufigere sein, zumal 
der Bespirationstraktus in seiner Auskleidung mit Flimmerepithel, dessen 
Flimmerbewegung dem Inspirationsstrom entgegengerichtet ist, ein mächtiges 
Sohntsmittel gegen das tiefere Eindringen fremder Körper besitzt. Dagegen 
verlohnt es sich wohl, den zweiten Modus einmal einer genaueren PrUfung zu 
unterwerfen. Darch die Arbeiten von Büchner, Flügge, Königen u. Au 
ist der Nachweis erbracht, dass Mikroorganismen an ausserordentlich feinen 
8täubchen und Tröpfchen halten, wenn sie sich in der Luft schwebend erhalten 
sollen. Sänger glaubte nun aus seinen Versuchen folgern zu müssen, dass 
zerstäubte Flüssigkeiten nicht weit über die ersten Bronchialverzweigungen 
hinausgelangen. Er leitete eine fein zerstäubte Methylinblaulösung durch ein 
1 cm weites und in seinem Verlaufe in einem Winkel von 110° abgeknicktes 
Glasrohr und bemerkte, dass sich alle Tröpfchen an der Biegungsstelle als 
feiner blauer Nebel niederschlugen; sodann liess er denselben Spray von einer 
Versuchsperson inhaliren und fand bei direkter Beobachtung mit dem Spiegel 
■deren Kehlkopfinneres und die Stimmbänder völlig frei von Tröpfchen der 
Lösung. 

Üa Verfasser eine Fehlerquelle dieser Versuche darin erkannte, dass die 
Lösung nicht fein genug zerstäubt worden war, wiederholte er sie unter An¬ 
wendung eines sog. Büchner’sehen Zerstäubers, mit welchem man im Stande 
ist, äusserst feine Tröpfchen zu. erzeugen, und fand in der That, dass sowohl 
destillirtes Wasser, als auch Salzlösungen, wenn man sie nur in allerfeinste 
Tröpfchen auflöst, zu einem gewissen Prozentsatz durch eine ganze Reihe recht¬ 
winklig abgeknickter Glasröhrchen von 1 cm Durchmesser hindnrehpassirten 
und sich nach einiger Zeit in Tropfenform aut einem vor die Ausströmungs¬ 
öffnung gehaltenen Objektträger ansammelten. Auch der Nachweis, dass die¬ 
selben Verhältnisse bei den enger and mit Schleimhaut überkleidetan Eingangs¬ 
wegen der thierischen Athmungsorgane statthaben, konnte er erbringen, indem 
er Kaninchen tracheotomirte und in beide Trachealenden je eine Kanüle ein¬ 
legte. Die untere Kanüle gestattete dem Thiere das Athmen, während die 
obere die Trachea mit einem Fick er’sehen Glasfilter und einem dahinter ange¬ 
brachten Aspirator in Verbindung setzte. Wurde nun das Thier in einen Glas¬ 
kasten eingesetzt, der mit einem Spray feinster zerstäubter Bouillonaufschwem¬ 
mung 24 bis 48 ständigen Prodigiosuskulturen angefüllt war und der Aspirator 
in Thätigkeit gesetzt, so dass die mit Bakterien erfüllte Luft der Reihe nach 
Nase, Rachenraum, Kehlkopf und Trachea des Versuchstieres, und darauf die 
Kanüle und den Glasfilter durchstreichen musBte, so zeigten sich auf den aus 
dem Glasstaubinhalte des Filters gegossenen Platten schon nach 24 Stunden 
unzählbare Prodigiosuskolonien. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass 
auch bei normaler Athmung feinste Tröpfchen und Stäubchen sammt den an 
ihnen haftenden Keimen die oberen Luftwege durchfliegen und ungehindert in 
die tiefsten Teile der Langen Vordringen können; eine Tbatsache, welche übri¬ 
gens für feinste Stäubchen durch den Befand der Steinhauer- und mit Kohlen¬ 
staub pigmentirten Städter-Lungen schon längst bekannt ist. 

Ueber das Eindringen von Bakterien in die Lungen liegen zwar auch 
schon Arbeiten von Büchner, Hildebrandt, Wyskowitsch und Nen- 
ninger vor, welche mit Milzbrand, Aspergillus fumigatus und anderen Bak¬ 
teriengemischen durchaus positive Resultate ergeben hatten, allein die unter¬ 
suchten Lungentheile waren hierbei den Thieren stets erst nach dem Tode ent¬ 
nommen worden, so dass die Möglichkeit der Aspiration des keimhaltigen Mund- 
und Tracheaischleimes während der vertieften und krampfhaften Einathmungen 
in der Agone nicht ganz ausgeschlossen erscheint. Verfasser wiederholte ans 
diesem Grande dieselben Versuche, aber unter Entnahme der Lungenproben 
neah während des Lebens der Versuchsthiere und unter thunlichster Fernhaltung 
vertiefter Inspirationen, und konnte auf diese Weise in durchaus einwandsfreier 
Weise den Beweis erbringen, dass bei der Einathmung bakterienhaltiger Luft 
unmittelbar nachher die Keime in reichlicher Zahl in den Lungen wiederzu- 
fittden sind. Es lässt sich sogar durch die Zählung der zur Zerstäubung ge¬ 
langten Bakterien unter Berücksichtigung des bekannten Lnftvolumens des 



Kleinere Mittheilungen und Referate mm Zeitaahri&n. 


71 


Glaskastens, in welche die Versuchsthiere eingesetzt wurden, sewie docdi 
WSgung der Lungeutheile und Auszählung der nach den Verwehen entwickel¬ 
ten Plattenkultorea rechnerisch der Bruchtheil der zerstäubten Keime ermitteln, 
welcher bis in die Lungen eingedrungen war. Derselbe war ein Verhältnis»- 
mässig nicht unbeträchtlicher und betrag im Kittel aller Versuche, a«f denn 
Einzelheiten näher einzugehen hier nicht der Ort ist, etwa 4%. Ein Eindringen 
der Bakterien in die Lungen durch den Lymphstrom von den Baohentheilen aus 
war bei diesen Versuchen schon wegen der Kürze der Zeit ausgeschlossen und 
wurde auch durch einen Kontrolversuch, bei welchem die keimhaltige Luft dem 
uacheetomirten Versuchst hier e durch eine Trachealkanflle direkt angeführt 
wurde, als nicht in Betracht kommend nachgewiesen. 

Es taucht nun die weitere Frage auf, wie dieses Resultat mit der höchst 
auffallenden, aber durch vielfache Erfahrungen erhärteten Thatsache in Einklang 
an bringen ist, dass trota des unausgesetzt reichlichen Eindringens von Keimen 
bis in die tiefsten Theile des Athmungskanals die Lungen bei Gesunden meist 
keimfrei gefunden werden. Der Verfasser suchte durch eine weitere Versuchs¬ 
weise auch Ober diesen Pankt Klarheit au schaffen, indem er Kaninchen paar¬ 
weise unter den gleichen Bedingungen in demselben Glaskasten dieselbe bak¬ 
terienhaltige Luft von berechnetem Keimgehalt einathmen liess. Dem einen 
Tkiere wurden dann sogleich in vivo Lungenstttckchen zur Untersuchung ent¬ 
nommen und festgestellt, dass die Zahl der in die Lungen eingedrungenen 
Keime eine verhältnissmässig grosse war, während das andere in Freiheit ge¬ 
setzt und erst nach längerer Pause getödtet und auf den B&kteriengehalt der 
Lungen untersucht wurde. Dabei fanden sich bei einem Thier, welches nach 
1 */ 4 Stunden untersucht wurde, noch */ 10 , nach 2 Stunden ‘/ist nach 6 Stunden 
‘/«m, nach 17 x / t Stunden ‘/»wo* der Anzahl der bei den sogleich untersuchten 
Thiere ermittelten Keime vor. 

Daraus muss man den Schluss ziehen, dass im lebenden Organismus that- 
sächlich eine ungeahnt rasche und massenhafte Beseitigung der in die Lungen 
eingedrungenen Keime stattfindet. Die Frage, ob dieselben mittels des Lymph- 
stromes fort geschafft werden oder in der Lunge selbst der Vernichtung durch 
gewisse bakterizide Stoffe oder darch Phagozytose anheimfallen, harrt noch der 
Aufklärung. Vom Verfasser auch nach dieser Richtung hin angestellte Versuche 
machen indessen das Letztere wahrscheinlich; wenigstens nahm die Zahl von 
inhalirten Subtilisbazillen, welche bekanntlich weit widerstandsfähiger sind als 
Prodigiosnsbakterien, selbst nach 24 Standen nur unbedeutend ab, während 
Prodigiosus bereits nach wenigen Stunden eine sehr beträchtliche Verminderung 
erfahren hatte. _Dr. Martini-Langensalza. 

Kann in Inhalatorien bei wichtigem Betriebe eine grössere Menge 
der zerstäubten Flüssigkeit in die Lnnge gelangen? Von Professor 
Dr. Bmmericb. Ans dem hygienischen Institut zu München. Münchener med. 
Wochenschr.; 1902, S. 1610. 

Verfasser stellte sich vereint mit Dr. Bulling-München di« Aufgabe, 
tu entscheiden, ob beim Athmen im Bnlling'sehen Inhalatorium Flümigkeits* 
trOpfeben in die feineren Broncbialwege gelangen oder nicht. 

Die Versuche worden mittels Borsäure und Kochsais (bei Soolezerstäubug) 
gemacht, im enteren Falle qualitativ, im letzteren Falle quantitativ. 

Im enteren Falle wurde der Nachweis erbracht, dass beim Zerstäuben 
von 2proz. Borsäurelösung im Bölling'sehen Inhalatorium ziemlich beträcht¬ 
liche Mengen der letzteren bei einstttndiger Inhalation in die feineren Bron¬ 
chien und Alveolen der Hnndelnnge gelangen, während die Hönde im Inhalatkmo- 
■aum ruhig an einer Stelle lagen und nur durch die Nase athmeten. Di« Nase 
des Höndes bietet dem Darobgang der Flüsaigkeitströpfahen jedenfalls g ro ssere 
Hindernisse, als die Nase des Menschen; es lksBt sich daher annehmen, dass beim 
Menschen and namentlich beim Athmen darch den Mund noch viel beträcht¬ 
lichere Mengen der serstänbten Flüssigkeit in alle Partien der Luftwege gelangen. 

Die Versnobe mit Soolezeratänbnng berechtigen an dem Schlüsse, dass es 
bei rationellem Betriebe der Inhalatorien sehr wohl möglich ist, nicht anr die 
Nasen-, Rachen-, Kehlkopf- and Bronchialeehleimbaat, senden auch die 
Wandung der feinsten Bronchien and Alveolen mit medikamentösen Lösungen 
so reichlich zu betauen, das* therapeutische Wirkungen erzielt werden können. 



72 


Kleiner« Mitteilungen and Referate an Zeitschriften. 


Dabei nass jedoch unter Berücksichtigung des Slttigungsdeflzits der Luft, 
sowie der durch den Inhnlationsraum geführten Menge der letsteren, die 
Qaantitüt der sa serstlubenden Flüssigkeit jeweils rechnerisch ermittelt und 
für die BUdang feinster, den gansen Inholationsraom dicht erfüllender Flüssig- 
keitströpfohen Sorge getragen werden. Dr. Wai bei -Kempten. 


Zar Prophylaxe des Keuchhustens. Von Dr. Stamm in Hamborg. 
Münchener medis. Wochenschrift; Nr. 89. 1902. 

Als bewiesen muss angenommen werden, dass der expektorirte Schleim 
der keuchhnstenkranken den Infektionskeim birgt and die Uebertragnng des 
Krankheitserregers nioht nur direkt yon Kranken aus, sondern aach vermittelt 
darch Gesunde oder daroh Kleidungsstücke, Spielsachen etc., an welchen der 
Aaswarf haftet, erfolgt bezw. erfolgen kann. 

Gerade mit Keachhustenkranken Kindern wird zu Heilswecken gern 
ein Klima- oder Ortswechsel vorgenommen. 

Die Elsenbahnrerwaltung kann und darf nach den bestehenden Be¬ 
stimmungen, welche der Staatsbahn betreffs Beförderung ansteckender Krank¬ 
heiten bestehen, jeden Fall einer ansteckenden Krankheit, von dem sie Kenntniss 
bekommt, von der Fahrt ausschliessen, wenn nicht eine ganze Wj^enabtheilung 
in vollem Preise (d. h. der 6 bis 8 fachen Fahrpreise) bezahlt wird. Natürlich 
weigert sich fast Jedermann auf dieses Verlangen einsogehen and so fahrt 
das Keuohhnstenkind unangemeldet bei der Eisenbabnverwaltnng in grösserer 
oder kleinerer Gesellschaft nach seinem Bestimmungsorte. Unterwegs treten 
AnfAUe auf, trotz aller Vorsicht der Begleitung ist der Aaswarf nicht gans 
aafznfangen, er beschmutzt Gardinen, Sitze, Teppiche u. s. w. und wird, von 
anderen empfänglichen Wageninsassen eingeathmet, zur Quelle neuer Infektionen. 

Verfasser meint nun, die Beförderung keuchhnstenkranker Kinder 
erfordere, dass das benutzende Koupö leicht za desinfiziren sei, dass also 
Polsterung fehle oder mit abwaschbaren, wasserdichten Stoffen bedeckt sei, 
dass Teppiche nicht benutzt werden oder durch eine leicht desinfizirbare 
Unterlage ersetzt, dass Gardinen und Rmleaux abgenommen werden. 

Von grösster Wichtigkeit aber hält Verfasser eine Verminderung 
der Isolirung«kosten bei solchen Infektionskranken und appelirt an die 
massgebenden Kreise, um bei ihnen erhöhtes Interesse an der Prophylaxe der 
Infektionskrankheiten zu erwecken. Dr. Waibel-Kempten. 


Das Verhalten einer Diphtherieepidemie in einem Genossenscbafts- 
molkereibezirke. Von Dr. Fritz PröIss in Scheesei. Deutsche Vierteljahrs¬ 
schrift für öffentliche Gesundheitspflege; Bd. XXXIV, H. III. 

Ein sehr lesenswerther kleiner Aufsatz, der mehr enthält, als die Ueber- 
schrift andentetl Mit scharfer Logik werden einzelne Fragen der modernen 
genohenlehre kritisch besprochen, and kann man den Ausführungen vorbehaltlos 
snstimmen. Der Verfasser hatte Gelegenheit, eine in sich abgeschlossene 
Diphtherieepidemie in einem Dorfe zu beobachten, das Beine Milch in eine 

{ grössere Molkerei (auch während des Bestehens der Epidemie) 
ieferte, in welche aach andere Ortschaften, die gleichfalls zum Arztbesirk des 
Verfassers gehörten (der zweite Arzt hatte ihm sein Material zur Verfügung 

S estellt), ihre Milch täglich ablieferten und nach erfolgter Verarbeitung die 
[agermiloh in denselben Transportgefässen, die in der Molkerei nicht be¬ 
sonders gereinigt wurden, zurückerbielten. 

Eine Verbreitung der Diphtherie darch den Molkereibetrieb fand nicht 
statt, trotzdem in dem ersten Dorfe von 71 Haushaitangen 81 verseucht, und 
von seinen 888 Bewohnern 47 an Diphtherie erkrankt waren, also 42 resp. 12®/,. 
Verfasser neigt der Ansicht sa, dass die Milch ein sehr guter Nährboden für 
den Löffler'sohen Bacillus sei und glanbt die erwähnte Erscheinung auf den 
akkuraten Betrieb in der Molkerei snrückführen za sollen. Er schlägt vor, 
dess die Medisiaalpolisei den Molkereien schon in gesunden Zeiten ihre Auf¬ 
merksamkeit zuwenden möge und würde vor Allem in ihnen Folgendes zu er¬ 
wirken und sn Üben sein: 

1. Es dürfen nur glattwandige, sauber gehaltene Lieferangsgeft sse ge¬ 
stattet werden. 

2. Die Milch mass schon im Baaemhaashalte gut gekühlt werden. 



Besprechungen. 


78 


8. Die gelieferte Vollmilch and die Magermiloh müssen pastearisirt werden. 

4. Der Zentrifagensobleim muss oft gesammelt and direkt im Kesselfeuer 
vernichtet werden. 

5. Es dürfen nur sterilisirte Gef&sse zur Abgabe von Milch an die 
Käufer benutzt werden. 

Die Sterilisirung der Anlieferungsgefässe wäre nur mit grössten 
Schwierigkeiten in den bäuerlichen Verhältnissen ausführbar und ist nach den 
Erfahrungen des Verfassers bei Diphtherie nicht unbedingt erforderlich. 

Die Aussperrung der Milch aus verseuchten Haushaltungen vom 
Molkereiverkehr lässt sich zwar behördlicher Seite anordnen, diese Anordnung 
wird aber zweifellos umgangen werden, wie Jeder, der die ländlichen Verhält» 
niase aus eigener Anschauung kennt, dem Verfasser zugeben wird. 

Dr. Glogowski-Görlitz. 


Besprechungen. 

l>r. K. Bonhosffer, Privatdozent in Breslau: Die akuten Geisteskrank¬ 
heiten der Gewohnheitstrinker. Eine klinische Stndie. Jena 1902. 
Verlag von H. Fischer. Preis: 5 Mark. 

Der Verfasser, dem wir bereits eine ausgezeichnete Monographie Über 
das Delirium tremens verdanken, hat in dieser neuen Arbeit alle diejenigen 
akuten Psychosen im Zusammenhänge dargestellt, die ihrer Entstehung und 
ihrem Verlaufe nach als alkoholistisohe zu bezeichnen sind. Dabei ist jedoch 
su beachten, dass ganz ähnliche and gleiche Krankheitsbilder auch auf anderer 
ätiologischer Basis entstehen, und dass Symptome der chroaischen Alkohol¬ 
intoxikation sich vielfach den verschiedenartigsten Psychosen beimengen. Den 
Mittelpunkt für das Verständniss dieser besonders in forensischer Hinsicht so 
wichtigen Störungen bildet das Delirium tremens. Von ihm verschieden in 
Symptomen and Verlaaf ist die akute Hallnzinose der Trinker (akuter 
Wahnsinn von anderen Autoren genannt), ihr sohliessen sich die ver¬ 
schiedenen Rauschzustände deliranter und epileptoider Form an. Gewisser- 
masseu als üebergang zu den chronischen alkoholistischen Psychosen 
kann die Korsakow’sohe Psychose (chronisches Delir) bezeichnet werden. 
Geht man von den Symptomen der erstgenannten Krankheit ans, so 
kann man als zusammen fassendes Charakteristicum des ganzen Zustandes die 
totale Verkennung des Bildes der Anssenwelt bei erhaltener Orientirnng über 
die eigene Persönlichkeit bezeichnen. In erster Linie sind es Halluzinationen 
aller Sinnesgebiete, — szenenbafte Halluzinationen — inhaltlich an die Be¬ 
schäftigung und Erlebnisse des Alltagslebens anknüpfend, welche die eigen¬ 
artige Desorientirung des Deliranten hervorrnfen. Meist stehen die optischen 
Störungen voran, im Gegensatz zur akuten Hallnzinose, bei der die aknstisehen 
Halluzinationen vorherrschen. Ein weiteres unterscheidendes Moment ist das 
Fehlen eigentlicher Wabnbildung, in Folge der geringen assoziativen Thätig- 
keit. Es fehlt dem kranken Gehirne die Fähigkeit, die neuen Eindrücke 
mit dem alten Bewusstseinsinhalt zu verbinden. B. betont insbesondere, dass 
Grösieawaha- wie hypochondrische Wahnideen beim Delirinm tremens nicht Vor¬ 
kommen und stets den Verdacht einer andersartigen Störung erwecken müssen. 
Ebenso fehlt ein aasgeprägter Gedächtnissdefekt, wie er für die Korsakow’- 
sehe Psychose besonders charakteristisch ist. Von den weiteren Symptomen 
und za nennen der Affekt — meist ängstlich gefärbt, beim Abklingen dagegen 
eigenartig euphorisch — das charakteristische, oft den ganzen Körper befallende 
Zittern, das am deutlichsten im nüchternen Zastande hervortritt, ferner die biz 
tarn Ende der Krankheit dauernde Schlaflosigkeit. Von körperlichen Symp¬ 
tomen mag die Häufigkeit von Temperaturerhöhungen nnd Albuminurie erwähnt 
werden. Von diesem typischen Delir weichen manche Fälle ab, entweder durch 
Hinzntreten fremdartiger Symptome, die als zerebrale Reiz- nnd Lähmnngs- 
erscheinnngen gedentet werden können oder durch die Schwere des gesamtsten 
Bildes; anderseits finden sich nicht selten Abortivffille, in denen dss Krank¬ 
heitsbild in seinen einzelnen Zügen eben angedentet erscheint. In ätiologisch er 
Hinsicht nimmt B. an, dass durch den dauernden Schnappgenuss Giftstoffe ift 
Körper entstehen, die von den geschwächten Organen nicht mehr ausgeschied 



74 


Besprechungen. 


werden können. Abstinenz • Delirien liest er gelte , während die meisten 
Antoren sie vollkommen geleugnet heben. 

Als sweite Form der akuten Psychosen wird die olyneuritische Psychose 
(Korsako w’sche Psychose) eingehend erörtert. Sie eginnt meist mit einer 
deliranten Phase, nicht selten mit einem stnporOsen Z tand, nach dessen Ver- 
sehwinden deutlich die Symptome der Krankheit hervoreten. Als solche sind 
su nennen der Verlust der Merkffthigkeit, mit dem sich ein Defekt in den Er¬ 
innerungen der jttngeren Vergangenheit (retrograde Amnesie) und der seitlichen 
Sueeession der Ereignisse verbindet. Auf diese Weise können die Erinnerungen 
langer Zeitepochen grOsstentbeils verloren gehen; der Kranke lebt in einer 
wahnhaften Situation, die an lingst zurückliegende Verhältnisse — s. 8. als 
Soldat oder Student — anknflpft. In engem Konnex mit diesen Gedächtnis»* 
Störungen steben die Konfabulationen der Kranken, die vorgebracht werden, 
um die Gedächtnislücken su verdecken, nicht selten jedoch darüber hinaus 
sioh in phantastischen Erzählungen und GrOssenideen änssern. Die Aufmerk¬ 
samkeit ist bei Anspannung derselben gut, fflr die regelmässigen Vorgänge 
jedoch stark herabgesetzt. Dagegen ist der formale Denkvorgang, soweit die 
Defekte nicht in Frage kommen, nicht gestOrt. Auf körperlichem Gebiete 
können Lähmungen verschiedener Art, ebenso tabesähnliche Symptomkomplexe 
beobachtet werden, die einzelne Autoren zur Aufstellung einer Pseudotabes 
alcoholica veranlassten. Als Alkoholparalyse will B. dagegen nur gewisse Defekt- 
sustände nach Ablauf des chronischen Deliriums gelten lassen. Hier finden 
sieh nahlreiche Berührungspunkte mit der progressiven Paralyse, doch zeigt 
ihr Verlauf einen mehr remittirenden Charakter. Im Allgemeinen tritt die 
Krankheit Mitte der 40er Jahre auf, häufig noch später; Frauen erkranken 
nicht selten und ganz besonders schwer. 

Aueh die dritte Form alkoholietiacher Psychose lässt die verwandten 
Züge des Delirium tremens erkennen; wegen des starken Hervortretens 
des halluzinatorischen Symptoms wird sie als akute Hallnsinose, auch 
als halluzinatorischer Wahnsinn oder akute Paranoia der Trinker bezeichnet. 
Im Vordergründe steben hier die massenhaften akustisohen Halluzinationen 
meist bedrohenden oder beschimpfenden Inhaltes; hierher gehört das von 
Cr am er zuerst studirte Symptom des Gedankenlautwerdens. Gesichts¬ 
täuschungen treten vereinzelt auf und sind meist unsinnigen und aben¬ 
teuerlichen Inhaltes (z. B. „Ochsen vor eine Lokomotive gespannt“). Fast 
regelmässig stellen sich Beziebnngs- und Erklärungswahnideen ein, während 
Otüssenideen selten sind. Stets ist der Kranke besonnen und orientirt, doch 
finden sich delirante Phasen. Von grosser Wichtigkeit ist der tiefgehende 
ängstliche Affekt, dessen Rückgang zuerst die Rekonvaleszenz einleitet. Die 
Krankheit dauert meist nicht über 8 Wochen und endet beim ersten Anfall 
regelmässig mit Genesung. In einzelnen Fällen geht jedoch die Krank¬ 
heit, die nach Wer nicke nicht selten ein paranoisches 8tadium durchläuft, 
in einen chronischen Prozess über. 

Sehr lehrreich ist das letzte Kapitel, in welohem die akuten patho¬ 
logischen Rauschzustände abgehandelt werden. Hier findet besonders der 
Geriehtsarst so viel werthvolle Hinweise, dass er die Lektüre des hier ein¬ 
gehender gewürdigten Buches nicht versäumen sollte. 

Dr. Pollitz-Münster. 


Sr. B. Kendel, a. o. Professor an der Universität Berlin: Leitfaden der 
Psychiatrie. Stuttgart 1902. Verlag von Ferdinand Enke. Gr. 8 0 ; 242 S. 

Veranlasst durch die Einfügung der psychiatrischen Klinik unter di* 
Übligen obligatorischen Kliniken und der Aufnahme der Irrenheilkunde unter 
die-Prüfungsgegenstände für Aerzte will Verfasser durch seinen Leitfaden „dem* 
innigen, der die Klinik besucht, die Möglichkeit geben, den dort, demonstrirten 
Ball in das Gesammtgebiet der Psychiatrie einzufügen nud die Lücken, welche 
die Klinik in einer knrs begrenzten Zeit selbstverständlich lassen muss, ans- 
zafüllen“. Das Werkchen zerfällt in einen allgemeinen und einen speziellen Theil. 

In der Einleitung giebt Verfasser, nach kurzer Definition der Geistes¬ 
krankheiten überhaupt in zwar gedrängter, aber doch leicht verständlicher 
Weise eine Uebersicht über die Komponenten normal entwickelter Geistes- 
thätigkeit. Hierdurch kommt er zugleich zu einer Eintheilung der krankhaften 



Besprechungen. 


7B 


Störungen der Geisteathätigkeit, die er zergliedert in die Storungen der Sinnes- 
empfindnngen nnd Sinnes Wahrnehmung, des Denkens, der Reprodnktionkflhigkeit 
und ln die Störungen der jene pbycbischen Vorgänge begleitenden Gefühle. 
Besonders ausführlich werden behandelt die Halluzinationen oder Sinnea- 
tiuschungen und die Wahnvorstellungen. Hieran reibt Verfasser in besonderen 
Abschnitten die Störungen des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins und des 
Handelns. 

Diese Eintheilung, deren Ausführung der 1. Theil des Leidfadens gewidmet 
ist, weieht von der sonst am meisten üblichen Eintheilung - Störungen des 
Gefühls, der Veratandesänsserungen und der Willenstbätigheit — insofern ab, 
ab sie in weitläufiger Weise spezifizirt und damit zugleich etwa zusammen¬ 
gehörige Glieder in abweichender Reihenfolge unterbringt. Doch ist dies für 
das Verständniss von nur geringer Bedeutung. Die Ausführungen selbst sind 
leicht fasslich und übersichtlich. Neben diesen Störungen der Geistesthätigkeit 
behandelt Verfasser in besonderen Kapiteln die Störungen der Sprache, der 
Sehrift und des Gesichtsausdruckes, die Storungen im körperlichen Zustande 
und Anomalien der inneren Organe. Endlich sind auch der allgemeinen Aetio- 
legie, dem Ausbruch, Verlauf, Dauer, Ausgängen sowie der pathologischen 
Anatomie, der Diagnose, Prognose nnd allgemeinen Therapie der Geistes¬ 
krankheiten besondere Abschnitte gewidmet. 

Der spezielle Tbeil umfasst die Beschreibung der einzelnen Geistes¬ 
krankheiten. Auch hier hat Verfasser eine eigene Eintheilung. Die Aus¬ 
führungen selbst sind indess übersichtlich und enthalten in gedrängter Kürze 
alles Wissenswerthe. Auch auf die Differentialdiagnose nimmt Verfasser 
Bedacht. Von einer eingehenden Besprechung der einzelnen Kapitel muss 
hier aus erklärlichen Gründen Abstand genommen werden. 

Zum Schloss. wird in Anlagen noch ausführliche Anleitung zur Unter¬ 
suchung von Geisteskranken, Anfertigung der Krankengeschichten und zur 
Ausstellung der verschiedenen Gutachten über Geisteskranke gegeben. 

Alles in Allem hat Verfasser seinen Zweck voll und ganz erreicht. 
Das Werkchen wird jedem Stndirenden beim Besuche der Klinik ein nützlicher 
Batbgeber sein, ihn znm Studium grosserer Werke anregen und ihm beim 
Examen als übersichtliches Repetitorium willkommen sein. 

Dr. R u m p - Recklinghausen... 


Profi Dr. Eduard Lang -Wien: Lehrbuch der Hautkrankheiten. 

Wiesbaden; 1902. Verlag von J. F. Bergmann. G. 8°; 656 Seiten. 

Preis: 14,60 Mark. 

Der Autor hat seinem weit verbreiteten Lehrbuch der Syphilis das vor¬ 
liegende über Hautkrankheiten nachfolgen lassen in der Ueberzengnng, dass 
das 8tudinm der venerischen Krankheiten und das der Dermatologie ans prak¬ 
tisch-klinischen wie theoretisch - didaktischen Gründen nicht zu trennen sind. 
Das mit 87 guten Abbildungen illustrirte Werk erläutert einleitend die 
Physiologie der Haut sowie die allgemeinen pathologischen, ätiologischen nnd 
therapeutischen Verhältnisse, behandelt dann in knapper Form die Haut¬ 
veränderungen im Gefolge anderer schwerer Affektionen und bei akuten 
Infektionskrankheiten, etwas ausführlicher die akuten Exantheme nnd giebt 
sehliesslich eine erschöpfende Uebersicht nnd glänzende Darstellung der eigent¬ 
lichen Dermatosen. Entsprechend den Anschanungen der Wiener Schule basirt 
L.’s Lehrbuch in allen seinen Kapiteln ausschliesslich anf klinischem Studium; 
dabei findet die pathologische Anatomie überall entsprechende Erwähnung. 
Die wissenschaftlichen Untersuchungsroetboden und die Hülfsmittel der moder¬ 
nen klinischen Forschung sind ausgiebig verwerthet nnd bezüglich der Therapie 
erkennt man anf allen speziellen Gebieten den gereiften Kliniker und erfahre¬ 
nen Mann der Praxis. Die Sprache ist einfach und klar, die Schilderung des 
klinischen Bildes kurz nnd markant; in der Anordnung nnd Behandlung des 
8toffes hebt sich das Wichtige von dem Unwichtigen deutlich ab. Am Schlüsse 
finden sich über 200 nach Art nnd Applikationswoise zusammengestellte 
Ordinationsformeln, auf die im Texte durch Bezeichnung der Nummern ver¬ 
wiesen ist. Dr. Boepke -Lippspringe. 




7« 


Tagesnachrichten. 


Dr. Araold Pollntnohek- Karlsbad: Die therapeutischen Leistungen 
des Jahres 1901. Wiesbaden 1902. Verlag von J. F. Bergmann. Gr.8", 
320 Seiten. Preis: 8 Mark. 

Mit diesem Bande tritt das P.’sche „Jahrbuch für praktische Aerzte“ in 
das dreizehnte Jahr seines Bestehens ein. Wir finden auch diesmal aus der 
im Jahre 1901 erschienenen Litteratur die therapeutischen Fortschritte auf allen 
Gebieten der Medizin sorgfältig zusammengetragen, unter besonderer Bevor* 
zngnng der für das therapeutische Wirken in der allgemeinen Praxis inter- 
essirenden Forsohungsresultate. Uehersichtliohe Inhalts*, Autoren- und Sach- 
Begister ermöglichen dem Praktiker die schnelle Orientirung. 

Dr. Boepke-Lippspringe. 


Tagesnachrichten. 

Ans dem Haushalts-Etat des Deutschen Reiches fttr 1903 interes- 
siren die Leser der Zeitschrift folgende Positionen: Die fortdauernden Aus¬ 
gaben des Gesundheitsamtes sind mit 636420 M. (18260 M. hoher als im 
Vorjahre) eingestellt. An einmaligen Ausgaben finden sich 20000 M. fttr 
Unterstützung der Protozoenforschung der zoologischen Station in Bovigno, 
15000 M. für den V. internationalen Kongress in Berlin fttr angewandte Chemie. 
10,000 M. fttr den internationalen Kongress in Bremen zur Bekämpfung der 
Trunksucht, 10000 M. als erste Bäte fttr ein Höhensanatorium in West-Üsambara, 
80000 M. fttr die Beendigung der Versuche betreffs der Bekämpfungder Malaria 
in Dar-es-Salaam, 600000 M. als zweite Bäte fttr die biologische Abtheilnng fttr 
Forst- und Landwirtschaft im Kaiserlichen Gesundheitsamt; 75000 M. als 
erste Bäte zur Errichtung von Laboratorien des Gesundheitsamts fttr bak¬ 
teriologische Arbeiten und Protozoen • Forschung, 50000 M. als erste Bäte fttr 
eine Krankheits- und Sterblichkeitsstatistik, 150000 M. fttr Bekämpfang des 
Typhas, 15000 M. fttr Tuberkaloseforschung und 4 Millionen fttr Förderung 
der Herstellung geeigneter Kleinwohnungen fttr Arbeiter und gering besoldete 
Beamte. Ueber die fünf zuletzt aufgeftthrten Positionen sind ausführliche 
Denkschriften dem Etat beigefttgt von dem besonders die ersten vier interessiren, 
so dass wir sie nachstehend im Auszuge wiedergeben. 

a. Denkschrift über die Errichtung Ton Laboratorien des 

Gesundheitsamts. 

„Die Anwendung bakteriologischer Untersuchungsmethoden hat mit der 
schnellen Entwicklung der bakteriologischen Wissenschaft eine immer grössere 
praktische Bedeutung gewonnen. Der Kreis der Aufgaben, welche man mit 
Ihrer Hülfe zu lösen hofft, hat sich stetig erweitert. Man kann heute diese 
Methoden nicht mehr entbehren, wenn es sich darum handelt, ttbertragbare 
Krankheiten als solche zu erkennen, sie zu bekämpfen und Mittel zu ihrer 
Heilung zu finden. Es ist leicht verständlich, dass während dieser Entwicklung 
die bakteriologischen Methoden in manchen Beziehungen bedeutende Wand¬ 
lungen erfahren haben. Besonders auf dem Gebiete der Erkennung und der 
Vorbeugung ansteckender Krankheiten sind die Untersuchungsmethoden stetig 
verfeinert und die Anforderungen gewachsen, welche an die Ausbildung der 
Bakteriologen und an die von ihm zu benutzenden Httlfsmittel zu stellen sind. 
Die Einführung serodiagnostischer und serotherapeutischer Methoden brachte 
es z. B. mit sich, dass weit mehr als früher grössere Thiere zu den Versuchen 
herangezogen wurden, deren Benutzung neben dem an und fttr sich höheren 
Werthe der grossen Thiere erheblichere Kosten fttr sweckmässigere Unter¬ 
bringung und fdr Fatter bedingte. Vollends bei der Bekämpfang der Vieh¬ 
seuchen konnte man Erfolge nur dann erwarten, wenn man die Krankheiten 
an denjenigen Thierarten studirte, welche unter natürlichen Verhältnissen von 
ihnen befallen werden, abgesehen davon, dass es bei manchen Krankheiten, 
wie z. B. bei Maul- und Klauenseuche, Lungenseuche und a., Oberhaupt nicht 
gelingt, sie auf kleinere Versuohsthiere zu übertragen.“ 

Es wird dann weiter ausgeftthrt, dass die bakteriologischen Laboratorien 
im Gesundheitsamt und die dazu gehörigen Thierställe den gestellten An¬ 
forderungen ebenso wenig genügen, wie das auf dem Versuchsfelde der biolo¬ 
gischen Abtheilung in Dahlem provisorisch errichtete Seuchengehöft, dass ferner 
die räumliche Trennung dieser beiden Einrichtungen mit grossen Unzu- 



Tagesnachrichten. 


77 


trftehliehkeiten verbunden and für fiele Untersuchungen überhaupt unhaltbar 
«ei. Büdlich «ei es wünschenswert^, dass die ttber menschliche and die Ober 
thierische Iafektionskrankheiten arbeitenden Forscher stets in enger Fühlung 
mit einander bleiben, da oft Fortschritte anf dem Gebiete menschlicher In* 
fektionakrankheiten für die veterinärmedizinischen Versuche verwerthet werden 
können und umgekehrt. Dieser Uebelstand könne nur dadurch beseitigt 
werden, dass die Laboratorien an einer gemeinsamen Arbeitsstätte vereinigt 
würdea, wo hinreichend Raum für zweckentsprechende Unterbringung von 
Veraachsthieren vorhanden sei. Eine Erweiterung des 8enchengehöfts anf dem 
Versuchsfeld in Dahlem durch Vergrößerung des Laboratoriumsgebäudes, Neubau 
von Gefldgelställen, von Ställen für kleinere Versnchsthiere, ferner für Pferde, 
8«hafe and Ziegen, würde den geschilderten Anforderungen bis zu einem ge* 
wissen Grade haben Reehnang tragen können. Preossischerseits sei jedoch 
das für die Ueberlassung der biologischen Abtheilung in Aussicht genommene 
Grundstück mit Rüoksicht auf die geplante Ausgestaltung seiner Umgebung 
als einer Villenkolonie an die Bedingung geknüpft worden, dass Ver¬ 
snobe mit menschlichen und thierischen Krankheitserregern auf jenem Grund¬ 
stücke von einem bestimmten Zeitpnnkt ab nicht mehr angestellt werden 
dürfen. Dagegen habe sich die preußische Regierung bereit gefunden, behufs 
Ermöglichung der Verlegung des Seuchengehöfts ein für diese Zwecke gut 
geeignetes grösseres Gelände unter besonders günstigen Bedingungen dem 
Reiche käufl eh za überlassen. „Dasselbe liegt in dem südwestlichen Ausläufer 
des Dahlemer Gatsbezirks an der Berlin - Potsdmer Chaussee. Es ist nahezu 
4 Hektar gross und ermöglicht daher nicht nur eine räumlich günstige An¬ 
ordnung der verschiedenen Stallungen, Laboratorien uud Dienstwohnungen für 
die gesammte bakteriologische Abtheilang des Gesundheitsamts, sondern ge¬ 
stattet aach, die Gebäude mit einem mit Bäumen bepflanzten S -hatzstreifen 
von 60 m Breite zu umgeben, der jede Möglichkeit der Verbreitung von In¬ 
fektionsstoffen durch Insekten oder dergleichen ausschliesst und der Anlage 
nach aussen einen freundlichen Abschluss giebt. Es ist ferner weniger als 
1 km von dem Vorortsbahnhofe Gross-Lichterfelde-West belegen und kann in 
Folge dessen von dem Scammgrundstücke des Gesundheitsamtes in der Klop- 
stockstrasse verhältnissmässig leicht erreicht werden. Hierauf ist besonderer 
Werth zu legen, weil die Arbeiten in den bakteriologischen Laboratorien viel¬ 
fach die Grundlage und die nothwendige Ergänzung der vom Gesundheitsamt 
abzngebenden Gutachten und anzurathenden Verwaltungsmassregeln bilden. 
Eine ständige Fühlung mit den anderen Abtheilungen des Gesundheitsamts 
ist unerlässlich. Endlich bietet sich auf dem neuen Baugelände eine günstige 
Gelegenheit, der neu hinzugetretenen Protozoen-Forschung, welcher bereits 
wiederholt durch Bereitstellung einmaliger Mittel im Reichshaushaltsetat die 
Wege geebnet wnrden, eine ständige Arbeitsstätte zu verschaffen. Seit die 
Entdeckungen des englischen Arztes Ross neue Gesichtspunkte für die Er¬ 
forschung und Bekämpfung der Malaria lieferten, ist nicht nur auf dem Gebiete 
der Malaria, sondern aach auf verwandten Gebieten eine rege wissenschaftliche 
Thätigkeit seitens des Protozoen-Forschers entfaltet worden. Es ist zn hoffen, 
dass diese Thätigkeit fruchtbringend zunächst für die Erkennung der Ursachen 
von Krankheiten sein wird, bei denen die bakteriologischen Untersuchungen 
*ur Endecknng dos Erregers nicht geführt haben. Um die Protozoen-Forschang 
für die Pathologie der menschlichen and thierischen Infektionskrankheiten 
nutzbringend zn gestalten, ist es erforderlich, dass den betreffenden Forschern 
Gelegenheit gegeben wird, Untersuchungen auch an grösseren Tbieren vorzu¬ 
nehmen. Und zwar müssen für diese Beobachtungen Ställe and Labaratorinm 
möglichst nahe zasammenliegen, da bei den Protozoen die sofortige Unter¬ 
suchung des entnommenen Materials fast noch wichtiger ist, als bei den 
Bakterien. Da somit die Beschaffung besonderer Einrichtungen für diese 
Zwecke dringend wünschenawerth ist, der Protozoen - Forscher aber bei seinen 
Untersachtingen bakteriologische Methoden sowie Rath von medizinischer oder 
vsterinär-medizinischer Seite nicht entbehren kann, so empfiehlt sich eine 
Verbindung des Protozoen-Laboratorinms mit den bakteriologischen Laboratorien 
des Gesundheitsamts." 

b. Denkschrift über Krankheits- und Sterblichkeits - Statistik. 

„Das Fehlen einer Krankheitsstatistik hat sich in mehr als einer Hinsich 



78 


Tagesnaehrlehten. 


als ein empfindlicher Mangel heransgeatellt. Der Bundesrath bedarf in Aun- 
fibnng seiner Vollmacht ans §. 120 e Abs. 3 der Gewerbeordnung der Beant¬ 
wortung der Frage, in weicher Weise die Thätigkeit in den einzelnen gewerb¬ 
lichen Berufen anf die Gesundheit der diesen Berufen Angehörigen einwirkt. 
So sehr sich auch in Fallen, wo es sich um die Anwendbarkeit jener Bestimmung 
handelte, die bisherige Methode, durch besondere Untersuchungen für die ein¬ 
zelnen Berufe die in ihnen übliche Arbeitszeit festzustellen, bewährt hat, so ist 
doch bei jeder einzelnen Untersuchung der unerwünschte Umstand hervor¬ 
getreten, dass es an genügend sicheren Angaben über die in dem betreffenden 
Berufe herrschenden Krankhcits- und Sterblichkeitsverhältnisse fehlte. Durch 
die Ergänzung dieser auch bei anderen Fragen häufig empfundenen Lücke 
mittels einer brauchbaren und zuverlässigen Statistik würde der Weiterführung 
der Arbeiterschutz-Gesetzgebung, insbesondere der weiteren Ausführung des 
§. 120 e a. a. 0., ein wesentlicher Dienst geleistet werden. Eine solche Sta¬ 
tistik würde ferner dem Kaiserlichen Gesundheitsamte bei Gelegenheit erforderter 
Gutachten über die gesundheitlichen Verhältnisse in einzelnen Geweihen, sowie 
auch den Aufsichtsbehörden der Krankenkassen zur Beurtheilnng der bei letzteren 
za Tage tretenden Verhältnisse, den Gewerbeaufsichtsbeamten zur Beurtheilnng 
der Gesundheitsverhältnisse, namentlich der mit eigenen Betriebskrankenkassen 
versehenen grösseren Betriebe, von hohem Nutzen sein. Die Krankenkassen 
selbst erwarten von einer Krankheitsstatistik werthvolle Aufschlüsse, die ihnen 
unmittelbar praktischen Vortheil bringen, so z. B. würde durch sie die Be¬ 
messung der finanziellen Tragweite von Statutenänderungen hinsichtlich der 
Miodestunterstützungsdauer ermöglicht werden. 

Die von dem Kaiserlichen Statistischen Amte seit 1886 jährlich bearbeitete 
Statistik der Krankenversicherung bietet zur Beurtheilnng der Fragen der 
Morbidität und insbesondere der beruflichen Erkrankungen sowie auch der 
beruflichen Sterblichkeit kein verwerthbares Material, weil die dieser Statistik 
zu Grande liegenden Aufstellungen — die von den Krankenkassen anf Grund 
des Bundesrathsbeschlusses vom 16. November 1892 auszufüllenden Nach¬ 
weisungen — diejenigen Angaben nicht enthalten, welche zur Aufmachung 
einer Statistik über die Krankheits- und Todesgefahr in den einzelnen BerufB- 
arten erforderlich sind. Die Schwierigkeiten für die Herstellung einer Krankheits¬ 
statistik und auch insbesondere einer Krankheitsstatistik nach Berufsarten 
liegen vornehmlich darin, dass sich hierzu nur bei einzelnen Krankenkassen 
genügend genaue uni hinreichend umfangreiche Aufzeichnungen vorfinden, und 
dass die Bearbeitung des Materials, um zu wirklich brauchbaren Ergebnissen 
zu gelangen, sehr eingehend, umständlich und darum auch kostspielig sein muss. 
Zur Gewinnung einer allgemeinen Krankheitsstatistik sind die Erkrankungs¬ 
häufigkeit und die Erkrankungsdauer unter Berücksichtigung von Geschlecht 
und Alter nach Krankheitsarten, und zur Gewinnung einer Statistik der beruf¬ 
lichen Krankheiten dieselben Thatsachen nach denselben Unterscheidungs¬ 
merkmalen unter weiterer Berücksichtigung des Berufs auf so breiter Grund¬ 
lage zahlenmässig zu ermitteln, dass man die von der Untersuchung zu 
erwartenden Ergebnisse als für die Verhältnisse des Reichs gültig würde 
ansehen dürfen. 

In den Erhebungen der „Ortskrankenkasse für Leipzig und Umgegend“, 
welche vom Jahre 1887 an benützbar sind und sich auf über 1600000 Mitglieder 
erstrecken, liegt ein Material vor, das zu diesem Zwecke geeignet und 
insbesondere auch so umfänglich ist, dass die Be&rbeitnng desselben auch über 
den Rahmen des engeren Erhebungsbezirkes hinaus Bedeutung beanspruchen 
kann. Auch über die berufliche Sterblichkeit würden aus dem Leipziger Ma¬ 
terial immerhin werthvolle Daten gewonnen werden, da bei der Kasse seit dem 
Jahre 1887 gegon 18000 Todesfälle von Mitgliedern — abgesehen von deren 
Angehörigen — vorgekommen sind. Die Möglichkeit der Bearbeitung ist, unter 
Voraussetzung der Ausführung durch Organe deB Reichs und der Uebernahme 
der Kosten auf dasselbe, durch das Entgegenkommen des Vorstandes der Kasse 
und der ihr Vorgesetzten Behörden gesichert. 

Die technische Ausarbeitung der Statistik würde durch das Kaiserliche 
Statistische Amt unter dem Beirathe des Kaiserlichen Gesundheitsamts, die 
^wissenschaftliche Bearbeitung von beiden Aemtern unter angemessener Theilung 
des Stoffes, aasgeführt werden.“ 



Tagesoachrichten. 


79 


o. Denkschrift betreffs Bekämpfung des Typhus. 

Ji der Bekämpfung ansteckender Krankheiten sind in den letzten beiden 
Jahrzehnten wesentliche Fortschritte gemacht worden. Die Erfolge, welche hei 
der Abwehr der Cholera nach Aasbruch dieser Seache in Hamburg im letzten 
Dezennium des vergangenen Jahrhunderts erzielt wurden, sind in hervorragendem 
Masse dem Umstande zu verdanken, dass die Bekämpfung nach den bewährten, 
von Prof. Bobert Koch auf Grund seiner bakteriologischen Forschungen auf¬ 
gestellten Grundsätze erfolgen konnte. Zur Durchführung der Massnahmen 
gegen die Cholera hat sich damals die sichere Erkennung der Träger des An- 
steckungsstoffes als dringende Nothwendigkeit erwiesen. Nur durch die An¬ 
wendung der bakteriologischen Untersuchungsverfahren liess sich diese Forde¬ 
rang erfüllen, namentlich bei solchen Fällen, in denen die Krankheits- 
•mcheinungen so milde und so vorübergehend auftraten, dass sie allein keinen 
Verdacht auf Cholera erweckt hätten. Solche scheinbar harmlosen Erkrankungen 
hat man aber bei der Cholera als höchst gefährlichen Vermittler für die Ueber- 
tragnng von Mensch zu Mensch, von Ort zu Ort und von Land zu Land kennen 
ud fürchten gelernt 

Aehnlich wie die Cholera verhält sich in dieser Beziehung eine Krank¬ 
heit, welche, wie fast überall,, so auch in Deutschland eine weitere Verbreitung 
besitzt, nämlich der Darmtypbus. Auch bei dieser Krankheit spielt die Ueber- 
tragung von Kranken, namentlich von Leichtkranken, auf Gesunde entweder 
anmittelbar oder durch Vermittelung von infizirtem Wasser, infiziiten Nahrungs¬ 
mitteln und Gebrauchsgegenständen eine wichtige Bolle. Diese Thatsache ist 
der Grund, weshalb der Typhus in manchen Gegenden überhaupt nicht erlischt, 
besonders in ländlichen Bezirken und unter Verhältnissen, wo ein enges Zu¬ 
sammenleben unter gesundheitlich ungünstigen Bedingungen die Begel ist. 
8olche Typhusherde sind aber nicht nur für diejenigen Personen gefährlich, 
welche dort zu leben gezwungen sind, sondern von ihnen aus verbreitet sich 
die Krankheit bei den heutigen Verkehrsverhältnissen leicht nach allen Bich- 
tongen. Ein noch so unbedeutender Typbusherd in einem Dorfe kann der Aus¬ 
gangspunkt für die Verseuchung ganzer Bezirke werden und namentlich dann 
za grossem Unheile führen, wenn zentrale Wasseivcrsorgungsanlagen grösserer 
Gemeinwesen durch ihn gefährdet sind. 

Auch bei der Bekämpfang des Darmtyphus muss daher das Hauptgewicht 
darauf gelegt werden, in einem Bezirke, welcher von Typhus befreit werden 
soll, die Herde kennen zu lernen, von denen aus die Krankheit sich verbreitet. 
Hierzu ist erforderlich, dass jedem einzelnen Typhusfaile nacbgegangen und 
die Quelle aufgedeckt wird, auf welche die Ansteckung zurttckzuführen ist. 
Bin erfolgreiches Vorgehen in dieser Richtung lässt eich jedoch nur erhoffen, 
wenn es gelingt, durch bakteriologische Untersuchungen den Typhuserreger 
nachzuweisen und namentlich im einzelnen Falle festzustellen, ob eine Person 
den Typhusbacillus in ihrem Körper beherbergt und mit ihrer Ausscheidung 
entleert. Denn bei jedem solchen Träger des Krankheitserregers müssen die 
erforderlichen Vorsichtsmassnahmen zur Anwendung gebracht werden, wenn es 
gilt, der Uebertragung von Person zu Person und der Verschleppung durch die 
oben genannten Vermittler vorzubeugen. 

In besorgnisserregender Weise ist der Typhus im Laufe der letzten Jahre 
mehrfach im Beiche aufgetreten. Es darf beispielsweise an die Epidemien in 
Beuthen, Gelsenkirchen und Pforzheim erinnert werden. Auch im Regierungs¬ 
bezirk Trier scheint die Krankheit schon seit einiger Zeit mehrfach festen 
Fass gefasst zu haben. Es ist deshalb dort seitens der Königlich preussischen 
Regierung die Bekämpfang des Typhus nach den oben bezeichnten Gesichts¬ 
punkten unter der Leitung von Prof. Dr. Koch mit besonderem Nachdruck in 
die Wege geleitet worden. Durch Errichtung bakteriologischer Untersuchungs- 
Stationen in Trier und Saarbrücken ist Fürsorge getroffen worden, dass die zu¬ 
verlässige Feststellung von Typbustrftgern durch bakteriologische Unter¬ 
suchungen erfolgen kann. Nach den auf diesen beiden Stationen gemachten 
Brfahrungen hat der Typhus auch in den benachbarten Th eilen der Rhein¬ 
provinz, sowie in den angrenzenden nichtpreussischen Theilen des Reichs be¬ 
reits grossere Verbreitung gefunden. Bei der Feststellung der Ansteckungs- 
quellen der im Regierungsbezirk Trier erkrankten Personen haben sich Ausläufer 
namentlich den Typhusherdes im Saarbrückener Industriebezirke bis nach 



80 


Tagesnachrichten. 


Lothringen, in die baierische Pfalz and in die oldenburgisehe Enklave Birken« 
feld verfolgen lassen. In Folge dessen ist aneh in Mets an die Bildung einer 
Typhasstation her&ngetreten worden. Die anlässlich der militärischen Debnngen 
während der lotsten Jahre gemachten Erfahrungen haben ferner geneigt, dass 
in der Rheinprovinz and deren benachbarten Gebieten Typhusherde bestehen, 
die eine ständige Gefahr für die Trappen bilden. So hat dort erst jüngst ein 
Regiment, dessen Angehörige gesund zur Uebung ansmarschirt waren, bei der 
Rttckkehr den Typhus in die Garnison mitgebracht. 

Es liegt nicht nnr im Landesinteresse der betheiligten Einzelstaaten, 
den Typhns in den betreffenden Gebieten bald möglichst zu unterdrücken. 
Auch das Reichsinteresse ist in hervorragendem Masse bet heiligt. Insbesondere 
kommen die vorerwähnten militärischen Interessen mit in Betracht. Ausserdem 
wird ein wirklicher Erfolg bei den Massnahmen gegen Typbns sich nnr dann 
versprechen lassen, wenn die in Frage kommenden Bundesstaaten und die 
Reichslande nach einheitlichen Gesichtspunkten und in engem Zusammenwirken 
an die Bekämpfung der Krankheit herantreten. Dies hat zur Voraussetzung, 
dass das Reich dabei seine vermittelnde Thätigkeit eintreten lässt. Ins* 
besondere werden das Kaiserliche Gesundheitsamt nnd der Reichs-Gesundbeits- 
rath zur Mitwirkung berufen sein. Bei der Abwehr der Cholera hat sich ein 
solches einheitliches Vorgehen bestens bewährt. Es ist zu hoffen, dass auch 
beim Darmtyphus gemeinsam durchgeffihrte Massnahmen zu dem gewünschten 
Ziele führen werden. 

Die erbetenen Mittel in der Hohe von 160000 M. sollen in erster Linie 
die Bildung dreier Typhusstationen nach dem Vorbilde der ln Trier und Saar¬ 
brücken bereits bestehenden Stationen ermöglichen. Diese drei Stationen sollen 
jedoch grossere Beweglichkeiten erhalten, damit sie je nach Bedarf bald hier, 
bald dort, wo ein Typbusherd festgestellt wird, ihre Thätigkeit eröffnen können. 
Ein Leiter und zwei geschulte Assistensen würden den Stab dieser Stationen 
bilden, deren jede für Einrichtungs- nnd Betriebskosten etwa 40000 M. be¬ 
anspruchen wird. Die übrigen znr Verfügung stehenden Mittel würden für 
besondere, im Reichsinteresse erfolgenden Arbeiten bei den von den Landes¬ 
regierungen eingerichteten Typhusstationen und zur Deckung der sonstigen 
Kosten, vor allen Dingen der Dienstreisen, der wissenschaftlichen Publikationen 
und dergleichen Verwendung zu finden haben. Ein Zusammenarbeiten der ver¬ 
schiedenen Untersuchungsstationen würde durch eine einheitliche Leitung zu 
gewährleisten sein. Im Reichs - Gesundheitsrathe soll ein Unterausschuss für 
Typhus gebildet werden, um eine Zentralstelle zu schaffen, wo die im besonderen 
gegen diese Krankheit zu ergreifenden Massnahmen eingebende Erörterung 
finden und sich namentlich auch Gelegenheit ergiebt, unter Heranziehung der 
bei der unmittelbaren Bekämpfung der einzelnen Typhnsherde verwendeten 
Kräfte jeweils einen Meinungsaustausch zwischen den Sachverständigen aus 
den betheiligten Bundesstaaten eintreten zu lassen.“ 


Die Thronrede, durch welche am 13. d. M. der preussisobe Land¬ 
tag erOffaet ist, enthält den höchst erfreulichen Passus: „Im Interesse der 
Förderung der allgemeinen Volksgesnndheit wird dem Hause alsbald ein 
Gesetzentwurf zugehen, um das Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfung 
gemeingefährlicher Krankheiten, innerhalb des preussischen Staates zur 
Ausführung za bringen.“ Hoffentlich gelangt das Gesetz zur Verabschiedung! 


In der am 16. Dezember 1902 abgehaltenen Plenar-Versammlung 
des Sächsischen Landes-Medizinalkollegiums wurde bei Berathung des 
ersten Gegenstandes der Tagesordnung: Entwurf einer abgeänderten 
ärztlichen Ehrengerichtsordnung entgegen den Bestimmungen des 
Entwurfs beschlossen, dass auch die beamteten Aerzte wählbar zum Ehrenrath 
sein, die juristischen Beisitzer des Ehrenratbes nicht vom Ministerium. sondern 
von jedem Vereinaausschusse sowie die ärztlichen Beisitzer des Ehrengerichts- 
hofea von den Kreisvereinsausschüssen gewählt werden sollen. Ferner wurde für 
§. 12, Abs. 2 betreff« der Zuständigkeit der Ehrengerichte folgende Fassung vor¬ 
geschlagen: „Auf Grund der Standesordnung kann von keinem Arzte verlangt 
werden, dass er zwingende Rechtspfliohten nicht erfüllt oder Organe oder 
Körperschaften des Öffentlichen Rechts den zur Erfüllung ihrer Öffentlich- 



Tagesnachrichten. 


81 


rechtlichen Obliegenheiten erforderlichen Beistand — anch nnter Bedingungen, 
welche der Standesordnung nicht widerspiechen — nicht leiste.“ Die Vor¬ 
schriften aber die Anfechtungsklage (§§. 67—71) worden gestrichen; die Verhand¬ 
lungen vor dem Ehrenrath sollen nicht öffentlich sein; auch wurde die Aufnahme 
eine dem preuasischen Gesetze ähnliche Bestimmung gewünscht, wonach die 
Dienstbehörde eines dem Ehrengerichte nicht unterstehenden Arztes Ton dem 
Ausgang des Ton ihr gegen diesen wegen Verletzung der Standesehre einge¬ 
leiteten Verfahrens das Ehrengericht zu benachrichtigen hat. 

Za Gegenstand 11 der Tagesordnung: Schularzt- und Schulüber- 
bflrdungsfrage wurden folgende Beschlüsse gefasst: 

I. „Die Anstellung hygienisch Torgebildeter Schulärzte für sämmtlicbe 
Unterrichtsanstalten des Landes bildet das Endziel der schulbygieniscben Be¬ 
strebungen; dasselbe ist jedoch zur Zeit aus praktischen Gründen noch nicht 
erreichbar. — Dagegen macht Bich die alsbaldige Durchführung folgender Mass¬ 
nahmen bereits jetzt erforderlich: 

I. „Die Anstellung Ton hygienisch Torgebildeten Schnlärzten ist noth- 
wendig für grosse und mittlere Städte, wünschenswert!! (mindestens ein Scbul- 
arat) für die Schulen in kleineren Orten. 

. 2. Es macht sich eine Beaufsichtigung in schulärztlicher Hinsicht für 
•ämmtliche Privatschulen sowie der höheren Lehranstalten erforderlich. 

3. In den Orten, in denen Schulräzte angestellt sind, ist die Mitwirkung 
eines Schularztes bei den Schnlausschttssen und -Vorständen erfordeilicb. 

4. Es ist auf eine schulhygienische Ausbildung der Aerste auf der 
Universität besonders Gewicht zu legen. 

&. Bei dem Unterricht auf dem Seminar sind die Grundlagen der Hygiene 
bemw. Schulhygiene zu berücksichtigen und zwar thunlichst durch ärztliche 
Vorträge. 

6. In den Angelegenheiten der Schulgesundheitspflege Bind auch die 
Bezirksärzte stärker als bisher heranzozieben. Wo keine Schulärzte angestellt 
sind, soll der Bezirksarzt eintreten und die Schule mindestens jährlich einmal 
revidiren, wobei er auch dem Gesundheitszustand der Schulkinder besondere 
Aufmerksamkeit zuzuwenden hat. 

7. Für die Bevisionen der Schulen durch die Schul- bezw. Bezirksärzte 
sind besondere Fragebogen aufzustellen. 

8. Kein Schularzt darf ohne Instruktion angestellt werden, die Ton der 
Besirksschulinspektion nach Gehör deB Beziiksarztes aufgestellt wird. 

II. Bezüglich der Frage der Ueberbttrdong Ton Schülern und Lehrern 
hat das Kollegium nicht zu der Ansicht gelangen können, dass eine solche bis 
jetzt nachgewiesen ist, wohl aber bat man die Ueberzeugung gewonnen, dass 
bereits von seiten der Schulbehörden den Verhältnissen in dieser Sichtung mit 
Erfolg fortdauernde Aufmerksamkeit geschenkt wird.“ 

Der Antrag: „Königliche Staatsregierang wolle darauf hinwirken, dass 
die laut §. 80 der Gewerbeordnung von den Zentralbehörden zu erlassenden 
Arzneitazen, unter Vermittlung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, für 
alle Bundesstaaten gleichlautend festgestellt werden“ wurde ab¬ 
gelehnt. _ 


In Hamburg hat der Senat der Bürgerschaft unter dem 29. Dezember 
v. J. einen Gesetzentwurf betreffend Abänderung der Aerzte-Ordnung vom 
21. Dezember 1894 und Bildung eines ärztlichen Ehrengerichts vor¬ 
gelegt. Nach dem Entwarf soll zunächst die bisherige Anmeldepflicht der 
Aerzte bei dem Gewerbebarean und die Entrichtung einer Gebühr für den von 
diesem zu ertbeilenden Gewerbe-Anmeldungsschein fortfallen; es bleibt somit 
nur eine Anmeldepflicht bei den Medizinalneamten bestehen. Ausserdem wird 
dem Vorstand das Becht eingeräumt, Geldstrafen bis 300 Mark auch ohne 
ehrengerichtliches Verfahren zu verhängen. Die hauptsächlichste im Gesetz¬ 
entwurf vorgesehene Aeuderung ist die Bildung eines ärztlichen Ehrengerichts, 
für dessen Bestimmungen diejenigen des Displinargesetzes für die nichtricbter- 
lichen Beamten in Hamburg als Grundlage gedient haben. Dieselben ent¬ 
sprechen im Allgemeinen den für die ärztlichen Ehrengerichte in Preussen 
geltenden Vorschriften, nur ist kein Ehrengerichtshof vorgesehen. Das Ehren¬ 
gerieht soll aus einem Vorsitzenden und vier Beisitzern bestehen, der ersteie 



82 


Tageo n aohrichten. 


wird vom Senat gewählt and muss entweder ein lUtglied desselben oder ein 
Syndikat oder ein Senatssekretärsein; von den Aerzten müssen drei den in die 
Matrikel der hambargischen Aerzte angenommenen Aerzten angeboren und von 
der Aerztekammer gewählt werden, der vierte ein vom Senat za wftblendes 
richterliches Mitglied eines ordentlichen Gerichtes sein. Das Ehrengericht 
kann Geldstrafen bis za 3000 Mark verhängen. Es ist nar bei Anwesenheit 
sämmtlicher Mitglieder beschlussfähig; seine Entscheidungen and Beschlüsse 
werden mit absoluter Stimmenmehrheit gefasst, bei einer Verurtheilnng ist 
jedoch eine Mehrheit von 4 B der Stimmen erforderlich. Die von einer Behörde 
Angestellten Aerzte, die dem Disziplinargesetze oder den Vorschriften der 
Disziplinargewalt des Vorstandes einer Behörde unterworfen sind, unterstehen 
dem ärztlioben Ehrengericht ebensowenig wie Militär- nnd Marineärste; sie 
können nach nicht za Mitgliedern desselben gewählt werden. 


Der Geschftftsansschnss des deutschen Aerztevereinsbundes hat 
unter dem 28. Dezember v. J. an den BnndeBrath eine Denkschrift gerichtet, 
worin er am Schloss die Bitte ausspricht, „zur Berathang der Abänderung des 
Krankenkassengesetzes die Znziehong von Vertretern der deutschen 
Aer st esohaft za veranlassen, welche von dieser gewählt werden*. Zur 
Begründung dieser Bitte heisst es in der Denkschrift: 

„Die Umsetzung des Krankenversichernngsgesetzes in dns praktische 
Leben ruht zum grossen Theile auf den Schultern der Aerzte. Ohne Ant 
kann keine Krankenkasse die ihr vom Gesetz anferlegten Pflichten erfüllen. 
Dnrch die Erfahrungen, welche die Aerzte während der 18 Jahre des Bestehens 
des Gesetzes gesammelt haben, sind sie gewiss in der Lage, bei der als noth- 
wendig erkannten Abänderung eines für das gesammte Volkswohl so eminent 
wichtigen Gesetzes praktische Winke nnd Anregungen zu geben. Denn einerseits 
sprechen die Aerzte die Versicherten nicht blos bei ihrer Arbeit, sondern sie 
besuchen sie auch in ihren Wohnnngen, kennen ihre häuslichen Verhältnisse 
nnd verfolgen ihr Familienleben; andererseits stossen sie bei der Behandlung 
der Krankenkassenmitglieder tagtäglich anf Missstände, UnZuträglichkeiten nnd 
anf Gebräuche, die sich — mit dem Geiste des sozialen Gesetzes unvereinbar 
— durch die Art der Kranken, dnrch die Gesetzgebung selbst nnd dnrch die 
Art der Ausführung des Gesetzes heransbildeten. Nicht znletzt sind die AeTzte 
selbst dnrch das Krankenversichernngsgesetz in ihrem Erwerbsleben nnd ihrer 
sozialen Stellung in einer Weise in Mitleidenschaft gezogen, dass es nicht un¬ 
berechtigt erscheint, wenn sie auch ihre Interessen selbst zu vertreten wünschen.“ 


Am 5. d. M. ist Geb. Med.-Rath Prof. Dr. Koch nach Südafrika ab¬ 
gereist, um die dort auftretende verheerende Viehkrankheit sn stndiren, nnd, 
wenn möglich, Mittel sn ihrer Bekämpfang ausfindig za machen. Diese Krank¬ 
heit, die ganz Südafrika von Vieh zn entvölkern droht, ist erst nach Beendi¬ 
gung des Burenkrieges senchenhaft anfgetreten. Sie ist nach Ansicht Koch's 
völlig verschieden von allen bisher bekannten Kinderkrankheiten nnd spottet 
aller Heilmittel. Ihre Erforschung und Bekämpfung bedingen deshalb höchst 
umfangreiche Vorkehrungen an chemischen Httlfsmitteln nnd wissenschaftlichen 
Geräthen aller Art. Koch wird von seinen beiden Assistenten, Stabsarzt 
Dr. Kleine and Dr. Neafeld begleitet; er beabsichtigt, sieh über Beira 
nach der Brutstätte der Seuche im Herzen Rhodesias zn begeben. 


Der diesjährige XXXI. Deutsche Aerztetag wird am 26. und 27. Joni 
in Köln abgehaiten werden. 


Der IX. Internationale Kongress gegen den Alkoholismus wird 
vom 14.—19. April 1903 in Bremen unter dem Ehrenpräsidium des Dr. Graf 
v. Posadowsky-Wehner-Berlin und Dr. Pauli-Bremen stattfinden. 
Das Programm weicht insofern von demjenigen früherer Kongresse ab, als das 
Organisationskomitee — Präsident: Dr. med. Del brück-Bremen — einem 
Wnnsche des Wiener Kongresses entsprechend, grundsätzlich nicht die ganse 
Alkoholfrage, sondern nur einige aasgewählte Kapitel behandeln lässt, über die 
auf Grand von Referaten, zn denen das Komitee anffordert, eingehend diskntirt 
werden soll. Die Tagesordnung ist wie folgt festgestellt: 



Tagesnachrichten. 


85 


1. Vorträge der Eröffnungssitzung? a) Dr. phil. J. Berg mann* Stock¬ 
holm: „Die modern« Kultur and der Kampf gegen den Alkohol." b) Prof. Dr. 
med. Bneppe-Prag: „Körperübungen and Alkoholismas." 

II. Diskassions-Themata: 1. Alkoholismas and Tuberkulose. Referent: 
Dr. med. Legrain-Parts. 

2. Der Alkohol kn Lebensprosees der Rasse. Referent: Dr. med. Alfr. 
PlOtz-Berlin. 

3. Der Alkohol als Genassmittel. Referenten: a) Prof. Dr. med. 
Fraenkel - Halle a. S.: „Was ist der Missbrauch geistiger Getränke?" 
b) Dr. med. A. Forel-Morges: „Der Mensch und die Narkose." 

4. Die Rolle des Alkohols im Budget der Kulturvölker. Referenten: 
a) Dr. polit. K. Helenins-Helsingfors: „Die Rolle des Alkohols im Staats¬ 
haushalt." b) Dr. jur. H. Bloch er-Basel: „Die Rolle des Alkohols im 
Arbeiterhaushalt." 

5. Die Entmündigung wegen Trunksucht. Referenten: a) Prof. Dr. med. 
Cramer-Güttingen, b) Prof. Dr. jur. Endemann-Halle a. 8. 

6. Die Gastbausreferm. Referenten: a) Direktor Peter Fitger- 
Gothenbnrg: „Das Gothenburger System in Skandinavien." b) Joseph Bentley- 
Bradford: „Die alkoholfreien Wirtschaften in England." c) Freib. v. Dier- 
gardt-Mojawola: „Die Gasthausreform in England und in Deutschland." 

7. Alkoholismas und Bier. Referent: unbestimmt. 

8. Vereinsthätigkeit. Referenten: a) Dr. jur. v. Strauss u. Torney, 
Senatspräsident * Berlin: „Grundsätze und Erfahrungen des Deutschen Vereins 
gegen den Missbrauch geistiger Getränke." b) Dr. med. LidstrOm-Upsala: 
„Die Organisation der Abstinenzvereine." 

9. Die Bekämpfung des Alkeholismus auf Seeschiffen. Referent: unbestimmt. 

10. Aufgaben der Frau im Kampfe gegen den Alkoholismus. Referentin: 
The Lady Henry Somerset-Eastnor Castle, Ledbury, London. 

11. Erziehung und Schule im Kampfe gegen den Alkoholismus. Re¬ 
ferenten: a) Anton Don-Rotterdam, b) Charles Wakely-London. c) Mrs. 
Mary Hunt- Boston (U. S. Amerika). 

Anmeldungen zur Theilnahme am Kongress und allgemeine, sowie die 
Presse betreffenden Anfragen sind zu richten an Schriftführer Franziskus 
Hähne 1 -Bremen, Donandstr. 13. Geldsendungen an den Kassirer Cbr. H. 
8uhling-Bremen, II. Schlachtpforte 5. Die Ansstellung betreffende Anfragen 
an Rechtsanwalt Dr. jur. H. Eggers -Bremen, Osterthorstr. 30. Das Kongress¬ 
programm betreffende Anfragen an Dr. med. A. Delbrück-Bremen, Hum- 
boldstrasse 127. 

Mitgliedskarten zum Preise von 5 Mark berechtigen zur Theilnahme an 
den Verhandlungen des Kongresses und zum Bezug des Kongressberichtes. 


Die neue preussische Arzneitaxe für 1903 bringt gegenüber der vor¬ 
jährigen nur insofern eine Aenderung, als die Arbeitspreise für Korn- 
primiren und Sterilisiren eine geringe Erniedrigung erfahren haben. 
Es kostet jetzt das Komprimiren von je einer Tablette durchweg 5 Pfg. (früher 
bei 5 und weniger Stück 10 Pfg.) und das Sterilisiren einer Arzneimischung 
oder eines Arzneigefässes durchweg 30 Pfg. ohne Rücksicht auf die jeweilige 
Menge. Neu aufgenommen sind in die Arzneitaxe 7; bei 110 Arzneimitteln 
ist der Preis erniedrigt (darunter Acidum carbolicnm, Acid. salicylicum, 
Adeps lanae, Aether pro Narkosi, Bals. peruvianum, Castoreum, Cocainum, Coffei¬ 
num, Flor. Chamomillae, Fol. Menth, pip., Liq. Kresoli saponat., Protargolum, 
Besorcinnm, Secale cornutum, Spec. pectoralis, Styrax u. s. w.), bei 81 erhöht, 
darunter alle spiritusbaltige und mit Spiritus hergestellte Arzneimittel (in 
Folge des Fortfalls der Verwendung steuerfreien Spiritus), ferner Adeps suillus, 
Bals. Copaivae, Chloral. formidat; fast alle Extrakte,[Fol. Menth, crisp., Gnaja- 
eetinum, Jodoformium, 01. Jecoria Aselli (um 100 °/ 0 ), Physostigminum, Radix 
Senegae, Santoninum. _ 


Ueber das Verbot der öffentlichen Ankündigung von Heilmethoden 
and Heilmittel ist jetzt auch in Bremen unter dem 23. Dezember 1902 eine 
ähnliche Verordnung wie in den preussischen Regierungsbezirken erlassen. 



84 


Tagesnachriohten 


In der Sltsnug des Badischen ärztlichen Landes • Ausschusses vom 
88. November v. J. wurde der Antrag des ärztlichen Kreisvereins Karlsruhe, 
beim Ministerium nm Erlass eines Verbotes der öffentlichen Anpreisung 
von Heilmitteln oder Heilmethoden vorstellig zu werden, angenommen. 


Die .Pest ist in Odessa völlig e loschen; auch in Aegypten 
scheint dies der Fall zu sein, wenigstens ist in Alexandrien seit der ersten 
Woche des Novembers v. J. keine Pesterkrankung mehr vorgekommen, in 
Port Elisabeth (Kapland) anch nnr ein vereinzelter Fall am 17. November. 

In Indien ist zwar eine Abnahme der Seuche bemerkbar, aber doch 
nicht im starken Masse. Die Zahl der Erkrankungen nnd Todesfälle betrug 
in den Wochen vom 24. Oktober bis 18. Dezember: in der Präsidentschaft 
Bombay 9310 (6679), 8828 (6687), 8710 (6821), 8642 (6711), 8340 ( 6067), 
8632 (6130). 8631 (6544), davon in der Stadt Bombay- 138(124), 127 (121), 
184 (126), 129 (119), 127 (121), 182 (128), 184 (128), in der Hafenstadt 
Karachi während derselben Zeit 10 (7), 17 (16), 16 (11), 18 (9), 12 (11), 
14 (12), 15 (10). In Kalkutta kamen vom 28. September bis 26. Oktto- 
ber 84, vom 26. Oktober bis 1. Dezember 70 Pesttodesfäile vor. 

In Japan sind im Oktober und November nur noch vereinzelte Pest* 
erkrankungen zur amtlichen Kenntnissgelangt; in Queensland vom 26. Sep¬ 
tember bis 17. Oktober 87 (81), in St. Mauritius vom 10. Okt. bis 6. Nov. 
85 (49), in Bio de Janeiro (Brasilien) vom 16. Okt. bis 15. Nov. 58 
Todesfälle an Pest, in Asuncion (Paraguay) in der zweiten Hälfte des 
Oktobeis 12 (6), im November 2 (1) und seitdem keine Erkrankung mehr. 

Die Cholera ist im asiatischen Bussland erloschen; in Japan 
im Erlöschen begriffen. In Nagasaki sind im Oktober nnr noch vereinzelte 
Fälle vorgekommen, in Kobe vom 4. Oktober bis 5. November: 188 (165). Nur 
im nördlichen Theil von Formosa herrscht die Seuche noch in grösserem Um¬ 
fange; die Zahl der Cholera-Erkrankungen und -Todesfälle betrug hier im Sep¬ 
tember 270 (188), im Oktober 114 (78). 

In Korea und zwar in Söul sind vom 19.—29. September bezw. vom 
80.8eptember bis 6. Oktober 1457 bezw. 428 Personen an Cholera erkrankt und 974 
bezw. 849 gestorben. Seitdem hat die Krankheit derartig an Ausbreitung ab¬ 
genommen, dass im Oktober nur noch vereinzelte und seit dem 8. November 
Oberhaupt keine Erkrankungen mehr angemeldet sind. 

Auf den Philippinen hat die Seuche im November eine ausserordent¬ 
liche Abnahme erfahren; denn die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle be¬ 
trug vom 1.—15. Okt.: 16921 (9963), vom 16.—31. Oktober: 18470 (7885)und 
vom 1.-16. Nov. 2753 (1172), davon in Manilla 52 (89;, 35 (28),218 (149). 

In Kalkutta (Indien) sind vom 28. 8eptomber bis 6. Dezember 264 
Personen an der Cholera gestorben. 

In Aegypten ist eine grössere Anzahl von Cholerafällen nur noch in 
Alexandrien beobachtet, während im Übrigen Aegypten die 8eucbe fast 
erloschen ist. Es erkrankten bezw. starben Personen vom 4. November bis 
27. Dezember: 144 (125), 64 (85), 83 (80), 20 (18). 42 (34), 60 (17), 61 (14) 
und 40 (22), davon entfielen um Alexandrien: 87 (18), 15 (18), 12 (9), 13 
(82), 49 (41), 8 (12), 69 (17), 4 (4). 

In Palästina und Syrien (Türkei) hat die Seuche wieder abge¬ 
kommen; die Zahl der Todesfälle betrng hier bis zum 11. November: 1681 
(davon in Tiberias 106. in Qaza 971, in Lydda 277, in Jaffa 13, in anderen 
Orten 164), seitdem sind in den Wochen vom 11. November bis 23. Dezember 
an Cholera gestorben: 333, 138, 198, 84, 80, 48, so dass die Gesammtziffer auf 
2407 gestiegen ist. _ 

Berichtigung: In dem Sonderheft zum Jahrgang 1902 der Zeit¬ 
schrift für Medizinal-Beamte muss es auf Seite 93, Abs. 6, in dem 8atze: 
.die Wochenpflegerinnen sind deshalb so beliebt 8 , heissen: „die 
Pfusch er i n ne n sind deshalb so belicht“. 

Notiz: Der heutigen Nummer int das Inhaltsverzeichnlss 
and das Sachregister der Beilage beigefügt, dasjenige der Hanpt- 
nnmmer wird Nr. 8 beigegeben. _ 

Verantworte Redakteur: Dr. Rapmund, Beg.-n.Geh.Med.-Bath »Minden LW. 

J. C. O. Bront, Henofl. Sieht, n. F. Beh.-L. Hofbnehdrackerel in Minden. 










iv. it) OerliB. 

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Asche . 'ün flMia^p bDfdABt.' ' ; : ,.ur paUiei. An»>.tv«iio ib UiifliUt-;; 

def tfn'.hcisd.t; Ui,F Heiter ßr fäfM ««ob ü^iwrl. Regiörungsräth w Mit¬ 
glied dda önli Äcd^ßs.Ur P**»£ Pr. Rnlinnr «nm »fün¬ 

digen Stfeil^wrUßie« dea£o?«'itzcrj<)&Q den .B^fct^eiondWittnktÜfi«; det pralet 
Arzt Dr. Schic ho ld in Kvttbaa »aa». i» Potedan*. 

^NrtiOr'hen: öefe.Med ,-H« lh Cif. L,ah,d*.Wr*. Kreisam a. D. in Broste® 
i!> " ■ ■ • iuoe ftr ?. 01 an ia l^eaenlAd« (itog,-Betr _4rii«bB*fj} # < Wi< 

Ban.-Rett Dr, Kirchner inFkterbnig,». San.-Bttth z»r. S.sbvrtr f*» .Linz a./kL... 

Dr. Lay da*-in Backe* .(Rcg.-Be*. Frankfurt * ,(' ,< 

- ;x '' v :•;•'• <J*o*«hersc«thtUß H«s»*s 

Gestorben: , 

■ • : ^‘:.;j'-Kdrtfgrotoh Bayern, 

Ret«rorlj#.ß: Rer« frCjH ■»•*.? io. PrayyBg-Wolf dein, 

Stabm«! s. P. Dr. P Hofntffc Pr. B.m rio b -S'o& tffjrx: 

and Stahaarst a. D, Dr. H *1e« k ein Bsgeasbo/e;, Prof. Dr. G e b a n e r m Erlangen. 

Kößtgrrslofe Saohaen, 

Ernannt: Die Privatdozenten Dr. toed. Hoffman«and Dr. med. 
Perthes in Leipzig sa anaserordentlichen Professoren. 

Gestorben: Dr, Bertrand in Olbernhan, Oberstabsarzt Dr. Beyot im 
Woissen Hirsch bei Dresden, Dr, Nenbert in Oetzsch, Stabsarzt a. D. Dr. 
Triest (irtthsr ia Klotzsche bei Dresden) in Davoa-Fl&iz. 

Königreich Württemberg. 

Ansseichnoagen: Veriiehea: Das Ritterkreu* X, Klasse des 
Friedrich * e r d a n a: dem Priratdozentea Dr. H a a s 1 er in Halle a. S. 

Gestorben: ■ Dr. Paul König in Echterdingen, ünter&mtsaret». D. Dr. 

S fctitnt« in Ebingen. 

Chroizherzogthnm 8aohsen - Weimar. 

Gestorben: Generalarzt a. D. Dr. Wenzel in Weimar. 

los anderen deutschen Bundesstaaten. 

Gestorben: Kantonalarzt. Dr. Hoffmann in Waaseinheim. 

Pischer's medizinische Buchhandlung II. Kornfeld 

Berzogl. Bayer. Höf- and Erzherzog!. Kammer - Buchhhoiller. 

_ Berlin W. 85, Lfttnowatraeae 10. _ • 

Erschienen ist: 

Lteferimg VH 

von 

Der beamtete Arzt und ärztliche 
Sachverständige. 

Mit besonderer Berticksichtigui)^ der Deutschen Eeiciis- 
und P) v ettssisfiheü Laüdesge8et%el)üb|j, '-v 

' : .; , •’i; Herftüsgegüh«u vm. \ •.' •' .■ • 

Dr. O. Itu{>»Ö UH< 1 , 

S*g 4 - '««$• OjAi. i. 

bitter Mitarbeit von 

Dr. A. Cinaiar, Pmatdoxutit Br» G. Pnptfe* 

jo. 6 . ProföSÄor der i utvä 

Wiktor der Prt’?tasi«l~ -♦'*>%» Ai 8 >. i■*}?** iha*r*nt Daric*!'' 1 * w- . 

IH Oofcrtn^sb. in Heilut. 

Sukslripiionjfiireii fcis im ErschBNüß ks puz.e.« Werkes: 23 Hart 

1, Band: Die ArztlicliG 3achvomb.n<U^rori *TbHtiviKai:» 

auf dem Gebiete der 

Payohlntrle, der Unfall-^; Iö?«4iüju>,u*- u t.*d l ; ^l>ene- 
feraiehoruzig. Jfe.trWetTiii vvl*u B -*ti ß.H-k#■>■ '• «••■ r, l'nvftt* 
dozent Dr. Pappe and Profi Dr; i'rr»«ci,' 

XL Bund; OeüTentiicheB^' .GnsundheUeweseh and M*>. 
























f 11 Jahrg 


Zeitschrift 


1903. 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt fir gerichtliche Medizin und Psychiatrie, 

Sr ärztliche Saehferstandigenthatigkeit in ünfaD- und Invaiiditätasachen, sowie 
ir Hygiene, öffentL Sanitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung and Rechtspreehing 

Heraasgegeben 

toh 

Dr. OTTO RAPMUND, 

Regierung!- and Geh. Medislnalrath ln Minden. 


Verlag von Fiseher’s mediz. Bnehhandlg., H. Kornfeld, 

Heraogl. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 

Berlin W. 35, Liitzowstr. 10. 

Inierate nehmen die V erlagt handlang sowie alle Annoeenexpedlttonen des In- 
and hallendes entgegen« 


Nr. 3. 


Ertehetnt mm 1. und 15. Jeden Monate 


1. Februar. 


Ueber die Verwerthbarkeit individueller Blutdifferenzen 
für die forensische Praxis. 1 ) 

Von Dr. Karl Landsteiner und Dr. Max Richter. 

(Aas dem pathologisch-anatomischen and dem gerichtlich-medizinischen Institut 

der Wiener Universität.) 

Mannigfache, in der letzten Zeit ausgeführte Untersuchungen 
aber die Eigenschaften thierischer Flüssigkeiten und Zellen haben 
sa dem Ergebnisse geführt, dass sich mit Hülfe gewisser Serum- 
Reaktionen solche Stoffe verhältnissmässig leicht unterscheiden 
lassen, deren differente Natur bis dahin schwer oder gar nicht zu 
erweisen war. Es sei in erster Linie an die in gerichtsärztlicher 
Beziehung wichtige Probe zum Nachweise menschlichen Blutes 
erinnert, die sich aus den Arbeiten von Bordet, Uhlenhuth, 
Wassermann and Schütze u. a. ergeben hat. 

Ein weiterer Schritt in der angedeuteten Eichtnng würde 
es sein, wenn man im Stande wäre, Unterschiede der Be¬ 
schaffenheit des Blutes auch bei verschiedenen Individuen der¬ 
selben Spezies nachznweisen. 

Za diesem Zwecke könnte das Verhalten verwerthbar er¬ 
scheinen, welches vor einiger Zeit bei Versuchen über die Ein¬ 
wirkung menschlichen Serums auf Blutkörperchen anderer Indi¬ 
viduen beobachtet wurde. 


') Auszugsweise vorgetragen von Dr. Richter in der Ahtheilnng für 
letiehtiiehe Medizin der 74. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte 
u Karlsbad 1902. 



8fJ Dr. Laadtteiner oaij D?> Siebter: Ueber die Verwerthb&rkeit 

Einer von uns 1 ) hat darauf aufmerksam gemacht, dass nor¬ 
males menschliches Serum fast regelmässig die Eigenschaft besitzt 
fremde menschliche Blutkörperchen zu aggtetmirem — Ein Zu¬ 
sammenhang dieser Eigenschaft mit besonderen pathologischen 
Zuständen, wie er von einzelnen Autoren (Sbattoek, Grün- 
b&um u. a ) angenommen wurde, scheint nicht zu bestehen. 

Diese physiologische Eigenschaft des menschlichen Serums, 
fremde 8iuÄ*per0ben zu beelnflueaeo, zeigt gewisse auffallende, 
noch nicht erklärte Regelmässigkeiten, deren Art am Beaten aus 
der folgenden Tabelle bervorgekfc, die die Resultate der Ein¬ 
wirkung verschiedener Blutkörperchen umi Sera aufeinander 
wiedergiebt. Zumeist findet man in Bezug auf die beschriebene 
Reaktion drei sich verschieden verhaltende Arten von Blut¬ 
körperchen und Serum. Als positiv wurden nur starke Reak¬ 
tionen angeführt 




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4 bedientet Agglutination 


Aehnliche Zusammenstellungen finden sich bei Landsteiner 
(1. c.) und in ausführlicher und genauer Weise bei v. DeoasteUo 
und Sturii*)' Es zeigt sich mithin, dass Anzahl 
Ritttarten sehr deutlich anterschieden und diflfei*eözirt werden 
könne«, während hei anderen eine Unterscheidung auf: dtesfe Weise 
nicht möglich ißt. 

Die Erscheinung der Agglutination ist im Falle positiver 
Reaktion so auffallend, dass sie eich beim ZusKimnenbringen eines 
Tropfens Serums und eines Tropfens BlntkörpercheDaufsriiwemmuög 
auf einem Objektträger auch mit freiem Auge nach kurzer Zelt 
ohne Schwierigkeit erkennen lässt. 

Wollte man die Erscheinung für die Zwecke der förensischen 
Praxis verwerthen, so war naclizAisehen, ab sie auch mit Prob-e 
angetrockneten und längere Zeit auf bewahrten Blutes gelingt, 

■i Z*nUalbtaH. tdr Bakteriologie 1900, 5. Bßl und Wiener Klio. Wochen¬ 
schrift;lftOl, Kr. 46 . 

*) Müuchen^ madiaiai&cbe Wochenschrift, 19Ü3-. 







individueller Blntdifferensen für die forensische Praxis. 


87 


Die in dieser Beziehung nothwendigen Untersuchungen nahmen 
wir in folgender Weise vor: Wir untersuchten zunächst das Blut 
einer aus 6 Personen bestehenden Gruppe von Männern, indem 
wir auf dünne Blutkörperchenaufschwemmungen derselben (in 
0,8 °/ 0 Kochsalzlösung) das Serum der einzelnen Personen ein¬ 
wirken liesen. Dieses erhielten wir so, dass wir aus der Finger¬ 
beere durch Einstich mehrere Bluttropfen entleerten, in Kapillaren 
auffingen und nach der Gerinnung die Fibrinfäden aus den 
Röhrchen herauszogen. 

Zu einem Tropfen der Blutkörperchenaufschwemmung wurde 
ein kleiner Tropfen Serums mit einer Platinöse zugefugt und die 
Untersuchung im hängenden Tropfen vorgenommen. 

Das Verhalten des Blutes dieser Individuen in Bezug auf 
die Agglutination giebt die folgende Tabelle wieder: 




Blutkörperchen von 



Serom von 

Bi 

Biff 

Meix 

Tom 

May 

Weiss 

ffi . . . . 


— 

+ 

+ 

+ 

— 

Kiff ... . 

+ 

— 

+ 

+ 

+ 

+ 

Meix.... 

+ 

— 

— 

— 

— 

+ 

Tom .... 

+ 

— 

— 

— 

— 

+ 

May .... 

+ 

— 

— 

— 

— 

+ 

Weise . . . 

— 

— 

— 

— 

— 

— 


Von den geprüften Blutseris ist eines (Weiss) überhaupt 
inaktiv (ein selten vorkommender Fall), drei verhalten sich unter¬ 
einander gleich (Meix, Tom, Mey), die Sera Eiff und Ri 
verhalten sich gegenüber den anderen und untereinander ver¬ 
schieden. 

Nachdem dieses Verhalten festgestellt war, wurden Bluts¬ 
tropfen der einzelnen Personen auf Leinwand, Glas, Holz ange¬ 
trocknet und ohne besondere Kautelen im Laboratorium aufbewahrt. 
Nach verschieden langer Zeit wurden die Proben abermals vor- 
genommen und zwar in der Art, dass von den Spuren auf Glas 
and Holz kleine Partikel abgelöst und zu frischen Blutkörperchen¬ 
aufschwemmungen zugesetzt wurden, während bei den Blutspuren 
aufftieinwand kleinste herausgeschnittene Stückchen einem Tropfen 
der Aufschwemmung zugeftigt wurden. Die Beobachtung erfolgte 
im hängenden Tropfen bei Zimmertemperatur und wurde durch 
ca. eine Stunde fortgesetzt. Bei den Leinwandflecken gingen wir 
in der Regel so vor, dass nach etwa 1 U Stunde, wenn das ange¬ 
trocknete fftut im Tropfen der Kochsalzlösung sich gelöst hatte, 
das Deckgläschen gelüftet und die Flüssigkeit aus dem Leinwand¬ 
stückchen durch Druck mit einer ausgeglühten feinen Pinzette 
der am Deckgläschen haftenden Flüssigkeit beigemengt wurde, 
worauf wir das ausgepresste Fleckchen entfernten. Die auf diese 
Weise untersuchten, bis zu einem Monat lang aufbewahrten 
Proben, gaben dasselbe Resultat, wie die Proben mit frischem 
Blutserum. 









88 


Dr. Landsteiner nnd Dr. Siebter: Ueber die Verwerthbarkeit 


Um Kontrolle zn üben, worden die Versuche so ausgeführt, 
dass derjenige, der die Untersuchung yornahm, in Unkenntniss 
der Provenienz der Blutflecke blieb. Trotzdem gelang es fast 
immer, die Identifikation der Blutproben vorzunehmen. Es kam 
dabei kein Irrthum in dem Sinne vor, dass Blutproben, die 
nach der ursprünglichen Reaktion sich hätten identisch ver¬ 
halten sollen, als different angesehen worden wären, wohl aber 
geschah es, wenn auch selten, dass zwischen zwei, der ersten 
Untersuchung zufolge differenten Proben nicht unterschieden 
werden konnte. 

Eine Schwierigkeit besteht darin, dass bei angetrockneten 
Blutspuren die Reaktion in vielen Fällen nicht so ausgesprochen 
ist, wie bei der Reaktion mit frischem Serum. Es ist deshalb 
nöthig, sehr dünne Blutaufschwemmungen zu benützen und auch 
die Entstehung sehr kleiner Häufchen von Blutkörperchen zu 
beachten. Durch Herstellung von Kontrollpräpar&ten bewahrt man 
sich vor Irrthümern bei der Beurtheilung der Bäufchenbildung. 

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Probe gewisse 
Schwierigkeiten bietet und daher eine Einübung unbedingt er¬ 
fordert. Unter dieser Voraussetzung ist es aber in einer Anzahl 
von Fällen möglich, die Provenienz eines angetrockneten Blut¬ 
fleckes von einer bestimmten Person nicht sowohl zu erkennen, 
als vielmehr sicher auszuschliessen. Es ist leicht einzusehen, 
dass einer solchen Konstatirung im konkreten Falle eine Bedeutung 
zukommen kann, hauptsächlich dann, wenn ein Thäter Blutspuren, 
die sich an seiner Kleidung finden, als von seinem eigenen Blute 
herrührend erklären will. 

So wurde z. B. in einem Falle, der vor einigen Jahren hier 
zur Beobachtung kam, seitens des Thäters behauptet, dass 
die an seinen Kleidern gefundenen zahlreichen Blutspuren von 
seinem eigenen Blute herrührten, indem er vorgab, öfters an Nasen¬ 
bluten gelitten zu haben, wobei die Blutbefleckung seiner Kleider 
zu Stande gekommen sein sollte. Es war nach dem damaligen 
Stande unserer Kenntnisse trotz der offenbaren Unwahrheit dieser 
Angaben prinzipiell nicht möglich, die Behauptung zu wider¬ 
legen. Mit der angeführten Probe wäre es unter gewissen Umständen 
gelungen, zu zeigen, dass das angetrocknete Blut nicht mit dem 
Blute des Thäters identisch sein konnte, nämlich dann, wennVine 
Lösung von Partikeln der angetrockneten Flecke eine Auf¬ 
schwemmung von Blutkörperchen des Inkulpaten agglutinirt hätte. 
— Es leuchtet ja ein, und ist durch vielfache Proben sicher ge¬ 
stellt, dass das Serum oder das eingetrocknete Blut eines 
Individuums die Blutkörperchen dieses Individuums nicht ag¬ 
glutinirt. 

Rathsam scheint es, soweit unsere bisherigen Erfahrungen 
reichen, auf das Ausbleiben der Agglutinationsreaktion bei einer 
angetrockneten Blutspur kein Gewicht zu legen da wie erwähnt, 
die Reaktion durch das Eintrocknen des Blutes schwächer wird. 

Würde die Agglutination der geprüften menschlichen Blut¬ 
körperchen durch ein anderes in dem untersuchten Fleck vor- 



individueller Blatdifferensen für die forensische Praxis. 


89 


handenes Agens als Menschenblut, z. B. durch Thierblut hervor¬ 
gebracht worden sein, so wäre dies durch die Präzipitationsreaktion 
oder daran zu erkennen, dass in diesem Falle auch andere mensch¬ 
liche Blutkörperchenarten, die gegen menschliches Serum sich stets 
resistent verhalten (siehe Tabelle), beeinflusst werden würden. 

Ein Hinderniss für die Verwerthung der Reaktion wäre es, 
wenn sie etwa bei ein und demselben Individuum zu verschiede¬ 
nen Zeiten variiren würde. Wir haben in dieser Beziehung Unter¬ 
suchungen angestellt und innerhalb des Zeitraumes von 4 Monaten 
keine Aenderung im Verhalten des Blutes bei 14 untersuchten 
Personen finden können. Eine Konstanz des Verhaltens wird da¬ 
durch wahrscheinlich, dass bei den zahlreichen Untersuchungen 
von Decastello und Sturli sich zwischen den einzelnen Blut¬ 
typen Uebergänge nicht fanden. 1 ) 

Ein ganz gleiches typisches Verhalten zeigten, wie nebenbei 
erwähnt sei, auch die von uns untersuchten Sera eines Japaners 
und eines Negers. — Das Blutserum neugeborener Kinder ist in 
Bezug auf die Agglutination weniger wirksam, als das Serum Er¬ 
wachsener, z. B. auch als das Serum der Mütter. *) 8 ) 

Es ist aus dem Gesagten zu entnehmen, dass die Erkennung 
der Nichtzugehörigkeit eines Blutes zu einem bestimmten Indi¬ 
viduum bis jetzt nur in einzelnen Fällen möglich sein wird. Man 
kann aber erwarten, dass sich zur Lösung der Aufgabe noch 
andere Wege finden werden. So sei darauf hingewiesen, das nach 
einem Vortrage von Uhlen hu th Unterschiede zwischen dem 
Blute von Hähnen und jenem von Hennen bestehen, und dann auf 
die Thatsache, dass in Bezug auf Agglutinat\pns- und ähnliche 
Reaktionen Differenzen zwischen verschiedenen Individuen einer 
Thierart oft zu beobachten sind. 

Es kann sein, dass weitere Untersuchungen ergeben, dass 
verschiedene Individuen bezüglich ihres Blutes sich im Allge¬ 
meinen nicht völlig gleich verhalten, und vielleicht werden Diffe¬ 
renzen in dem Verhalten der Sera gegenüber verschiedenen Bak¬ 
terien oder thierischen Zellen, möglicherweise auch Unterschiede in 
den praezipitabeln Substanzen des Blutes diagnostisch verwerthbar 
sein. — Schon jetzt können Sera mit ausgesprochener Agglutina- 
tionsreaktion auf Typhusbazillen, Bact. coli, Bac. tubercul. etc. 
gelegentlich leicht unterscheidbar sein. 


’) 8iehe »ach: Langer io der Abtheilnng für Kinderheilkunde der 74. 
Versammlung deutscher Naturforscher and Aerzte in Karlsbad 1902. 

*) Halb an; Wiener klin. Wochenschrift. 1900. Landsteiner, 1. c.; 
Salb an and Landsteiner; Münchener medis. Wochenscbr. 1902. Nr. 12. 

*) Es scheint nach einigen Versuchen, dass bei der Isolysinwirkung von 
Menschenseram, die in einzelnen Fällen sporenweise beobachtet werden kann, 
dieselben typischen Unterschiede and Gleichheiten der Blutkörperchen wie in 
Besag aaf die Isoagglatination bestehen. (Bes. der Isoagglatination in der 
is der Milch siehe Wiener klinische Bandsohan; 1902, Nr. 40.) 



90 


Dr. Straube. 


Die Milchkontrolle in kleinen Städten. 

Von Dr. Straube, prakt. Arzt in Rogaaen, staats&rztl. approb. 

Die vielfachen Ziagen über die schlechte Beschaffenheit der 
hiesigen Kuhmilch veranlassten mich im Sommer 1901, eine Reihe 
von Milchuntersuchungen vorzunehmen. Die Milch Versorgung 
der Stadt erfolgt durch eine Molkerei und durch einige Acker- 
wirthe, welche die Milch theils direkt den Käufern in das Haus 
zusenden, theils dieselbe an Zwischenhändler verkaufen. Einige 
Konsumenten holen sich auch die Milch von den Produzenten, 
welche dieselbe in der Küche oder Speisekammer aufbewahren. 
Zu meinen Untersuchungen benutzte ich im wesentlichen den Feser’- 
schen Milchprüfungsapparat (Laktodensimeter von Quevenue, 
Laktoskop von Fes er, Kremometer). Besondere Aufmerksamkeit 
widmete ich dem Schmutzgehalte der Milch. Zur Feststellung 
desselben goss ich 1 Liter von der Milchprobe nach tüchtigem 
Umrühren in ein 1 Liter haltendes Glassgefäss mit gut durchsichtigem 
Boden und liess die Milch Vs Stunde zugedeckt stehen. Der 
Bodensatz, welcher sich in dieser Zeit gebildet hatte, gab den 
Massstab ab für den Grad der Verunreinigung 1 ). Ich bezeichnete 
in meinen Tabellen mit I geringem Bodensatz, mit II mittlerem 
Bodensatz, mit UI sehr starkem Bodensatz. 


Die Untersuchungen ergaben nachstehendes Resultat: 


Nr. 

Spez. Gew. 

Fett¬ 

gehalt 

Schmatz¬ 

gehalt 

Nr. 

Spez. Gew. 

Fett¬ 

gehalt 

Schmatz¬ 

gehalt 

1. 

1034,7 

2V/o 

II 

13. 

1028,5 

3‘/« # /o 

III 

2. 

1026,4 

2*/« „ 

UI 

14. 

1032,4 

4 „ 

II 

3. 

1031,2 

3‘/, , 

I 

15. 

1034,7 

2*/ 4 „ 

III 

4. 

1024,1 

2*/« „ 

in 

16. 

1030,6 

3'/. » 

I 

5. 

1027,0 

B * 

n 

17. 

1031,4 

4 „ 

11 

6. 

1032,0 

3 1 ,, 

n 

18. 

1030,4 

3 */, „ 

II 

7. 

1023,6 

2*/« „ 

n 

19. 

1031,4 

3 1 /» „ 

I 

8. 

1080,6 

B‘/ 4 „ 

ii 

20. 

1030,2 

3*/« n 

II 

9. 

1026,4 

3 „ 

n 

21. 

1031,8 

3'L n 

II 

10. 

1030,6 

3 */,„ 

ii 

22. 

1031,2 

3 */. „ 

II 

11. 

1032,7 

3*/« n 

ii 

23. 

1032,6 

3*/ 4 n 

I 

12. 

1031,4 

3«/4„ 

i 

24. 

1030,6 

3'/. . 

II 


Hieraus ergiebt 

sich, dass 

die : 

Milch Nr. 2 

!, 4, 5, 

7 und 9 


durch Wasserzusatz gefälscht und die Milch Nr. 1 und 15 ent¬ 
rahmt war. Mindestens 29 °/o der untersuchten Milchsorten waren dem¬ 
nach gefälscht! Der Kleinstädter giebt also dem Grossstädter in 
Bezug auf Milchverfälschung kaum etwas nach: Trojanos intra 
muros peccatur et extra! Die gröbsten Fälschungen fanden sich 
bei den von Zwischenhändlern entnommenen Milchproben. Aber 
auch bei sonst hochachtbaren Besitzern wurden Fälschungen fest¬ 
gestellt, die durch anstandslose Entrichtung der seitens der Polizei 
auferlegten Strafe auch eingeräumt wurden. Die innigen Be¬ 
ziehungen, welche anscheinend zur Zeit Schillers zwischen der 
Milch und einer frommer Denkungsart bestanden haben, scheinen 
danach heute stark gelockert zu sein! 

Abgesehen von diesen Fälschungen war die Milch in allen 


V Ostermayr: Die Marktkontrolle der Kuhmilch. 



Die MUehkontrolle in kleinen Städten. 


91 


Fällen mehr oder minder mit Schmutz durchsetzt; in 2^Fällen 
war der Schmutzgehalt ein so immenser, dass sich schon nach 
einigen Minuten eine dicke Bodenschicht in dem Gefässe zeigte. 

Auf Grund dieser Untersuchungsergebnisse wurden ver¬ 
schiedene Milch Sorten auch polizeilich untersucht und 6 Straf¬ 
mandate erlassen, die widerspruchslos bezahlt wurden. Es ent¬ 
stand in Folge dessen eine grosse Aufregung unter den Milch¬ 
händlern und sogar den Kühen schien der Schrecken in die Brust 
gefahren zu sein; denn dass pez. Gewicht auch der nicht mit dem 
polizeilichen Bannstrahl belegten Milch schnellte plötzlich be¬ 
deutend in die Höhe, so dass ich in den nächsten Wochen nicht 
ein einziges Mal ein spez. Gewicht unter 1029 gefunden habe. 
Die vorher schlechteste Milch mit einem spez. Gewicht von 
1023,6 hatte bei der folgenden Untersuchung 1031,0: ein sprechen¬ 
der Beweis für die wohlthätige — leider aber, wie ich mich 
überzeugt habe, vorübergehende — Wirkung der polizeilichen 
MUehkontrolle. 

Der Schmutzgehalt der Müch blieb natürlich trotz der Kon¬ 
trolle unverändert; denn die kleinen Bauern hier in der Um¬ 
gebung der Stadt wissen meist gar nicht, wie die Milch zu be¬ 
handeln ist. Wie ihre Eltern und Ureltern gewirthschaftet 
haben, so wirthschaften sie weiter, und Kinder und Kindeskinder 
werden denselben Pfad weiter wandern. 

Angesichts dieser Thatsachen wird sich wohl jedem die 
Ueberzeugung aufdrängen, dass dies Zustände sind, die eine 
schnelle und energische Abhülfe verlangen. Wenn man bedenkt, 
dass es heute fast als Ausnahme zu bezeichnen ist, wenn der 
Säugling die Brust bekommt, dass vielmehr die KuhmUch seine 
gewöhnliche Nahrung bildet, so kann es nicht wunderbar er¬ 
scheinen, dass eine so ungeheure Menge Säuglinge in jedem Jahre 
stirbt. Welche enorme Volkskraft geht dadurch Jahr aus Jahr 
ein verloren 1 Wieviel Unglück könnte verhütet werden, wenn es 
gelänge, die MUch in dem Zustande zu erhalten, in welchem sie 
aus dem Euter entleert wird! So wie die Verhältnisse gegen¬ 
wärtig liegen, ist dies Problem allerdings unlösbar. Wohl aber 
liegt es heute auch für kleine Städte im Bereiche der Möglich¬ 
keit, grobe Fälschungen und Verunreinigungen der Milch zu 
verhüten. 

Zu dem Zwecke ist eine ständige Milchkontrolle 
unerlässlich. Dieselbe fehlt in kleinen Städten wohl aus¬ 
nahmslos. Der gute Wille scheint zwar hin und wieder früher 
einmal vorhanden gewesen zu sein; hierfür spricht z. B., dass 
ich in einer kleinen Stadt ein Milchuntersuchungsbesteck vor¬ 
fand, welches aber seit der Anschaffung am 9. Februar 1881 
noch nie in Funktion getreten war. Der gegenwärtige Augen¬ 
blick, in welchem das öffentliche Gesundheitswesen einen mäch¬ 
tigen Aufschwung zu nehmen scheint, ist wohl besonders ge¬ 
eignet, dem jetzt in kleinen Städten herrschenden Zustande des 
„laissez aller“ ein Ende zu machen. Man darf nicht in der¬ 
artigen wichtigen Angelegenheiten, wie die Milchkontrolle, sich 



92 


Dr. Straube. 


auf die Initiative der Polizeibehörden verlassen, sondern es muss 
auf diese ein Zwang zu ständiger Kontrolle und regelmässiger 
Berichterstnttung an den Kreisarzt ausgeübt werden. Nur dann 
können wir für die einzelnen Gegenden feste Normen für die Be- 
urtheilung der Milch gewinnen. Eine jede kleine Stadt muss 
einen Polizeibeamten mit der Milchkontrolle beauftragen. Der 
betreffende Polizeibeamte muss eine genaue Anleitung zur Kontrolle 
durch den Kreisarzt erhalten und dieser sich 1—2 Mal im Jahre 
überzeugen, dass die Kontrolle richtig ausgeübt wird. Von dem 
Resultate der Milchuntersuchungen ist dem Kreisärzte alle 3 Mo¬ 
nate Bericht zu erstatten; auf diese Weise erhält er ein sicheres 
Urtheil über die Milchbeschaffenheit seines Kreises. Er kann den 
Polizeibehörden denn auch bestimmte Direktiven geben, welche 
Milch zu beanstanden ist, und ist in der Lage, ein sachverständi¬ 
ges Gutachten vor Gericht abgeben zu können. 

In welcher Weise lässt sich nun in einer kleinen Stadt eine 
regelmässige Milchkontrolle ohne besondere Mühe und Kosten, 
aber trotzdem in ihrer Wirkung sicher durchführen P Diesen drei 
Derivaten, welche die Vorbedingung für die meisten sanitären Mass¬ 
nahmen bilden, dürfte in folgender Weise genügt werden. Zu¬ 
nächst muss der Milchhandel, wie es ja schon in verschiedenen 
Städten der Fall ist, anzeigepflichtig werden, da sonst eine 
Kontrolle der Produktions- und Verkaufstellen nicht möglich ist. 
Die Milchproduzenten und -Händler erhalten bei der Meldung eine 
gedruckte ausführliche Anweisung (Behandlung der Milch bis zu 
ihrem Verkaufe, Bestimmungen darüber, welche Milch vom Verkehr 
auszuschliessen ist etc.) zugleich mit der Mittheilung, dass die 
Milch einer regelmässigen Kontrolle unterzogen werden wird. 
In diese Anweisung wäre auch die Bestimmung aufzunehmen, 
dass die Besitzer von Kühen, deren Milch in den Verkehr ge¬ 
bracht wird, sich jeder Zeit die Besichtigung und Untersuchung 
ihres Viehbestandes durch den beamteten Thierarzt und Kreis¬ 
arzt gefallen lassen müssen. Ebenso, dass der Kreisarzt jederzeit 
freien Zutritt zu den Ställen, Milchkammern und Milchverkaufs¬ 
räumen hat. 1 ) Die Kontrolle der Stallungen u. s. w. der Milch¬ 
produzenten und der Verkaufsstellen der Milchhändler ist eine 
unerlässliche hygienische Forderung. Die regelmässige Kontrolle 
der Milch würde von einem Polizeibeamten in der Weise aus¬ 
zuführen sein, dass jeder Milchhändler vierteljährlich mindestens 
ein Mal kontrollirt wird und das Ergebniss in einem Journal mit 
nachstehendem Schema verzeichnet wird: 


Ä 

Name des 
Milchb&ndlers 

Tag der 
Unter¬ 
suchung 

Beschaffen¬ 
heit der 
Milchgef&sse 

Schmutz- 

gehalt 

der 

Milch 

Spez. 

Gewicht 

Be¬ 

merkungen 









') Siehe Polizeiverordnung des Kgl. Regiernngspr&flidenten in Koblenz vom 
12. Oktober 1901. 










Die MilchkoDtrolle in kleinen Städten. 


93 


Bei der Kontrolle wäre in erster Linie anf Reinlichkeit der 
Qefässe and der Milch zu achten. Der Schmatzgehalt der 
Milch braucht nicht nach der umständlichen Renk’sehen Methode 
festgestellt zu werden, sondern kann in derselben einfachen Weise, 
wie oben angegeben, ausgeführt werden. Ich habe mich durch 
sehr viele Untersuchungen davon überzeugt, dass man über den 
Schmntzgehalt in */» Stunde, in vielen Fällen schon früher, ein 
sicheres Urtheil hat. Diesem Akte der Untersuchung möchte ich 
die grösste Bedeutung zumessen; denn je mehr Schmutz die Milch 
enthält, um so schneller geht sie in Säuerung über (Soxhlet). Da 
die Bakterien in der Milch zumeist den Verunreinigungen ent¬ 
stammen, welche die Milch bei und nach ihrer Entleerung er¬ 
leidet, so wird im Allgemeinen der Schmutzgehalt einen annähern¬ 
den Schluss auf die Bakterienzahl gestatten und als wichtigster 
Ersatz der Feststellung der Bakterienzahl, deren Feststellung bei 
der regelmässigen Milchkontrolle auf unüberwindliche Schwierig¬ 
keiten stösst, angesehen werden können. Wenn einzelne Opti¬ 
misten einwenden: Aber diese Keime werden doch durch das Kochen 
der Milch unschädlich gemacht! so bemerke ich, dass ich auf 
dieses Kochen meine besondere Aufmerksamkeit gerichtet und ge¬ 
funden habe, dass nicht in einem einzigen Falle die Milch 
vorschriftsmässig gekocht wurde; es ist vielmehr allgemeiner 
Brauch, die Milch nur aufzukochen, wodurch bekanntlich die pa¬ 
thogenen Keime nicht getödtet werden. 

Aber auch wenn der Schmutz in der Milch nicht eine so 
deletäre Bedeutung, zumal für den kindlichen Organismus, hätte, so 
sollte doch die durch die Verunreinigung verursachte, Ekel erregende 
Beschaffenheit der Milch genügen, um den Verkauf zu inhibiren. 
Sicherlich würden wir, falls wir den Schmutz, der ja zumeist aus 
Koth von den Kühen besteht, in klarem Wasser schwimmen sähen, 
dasselbe voller Abscheu weggiessen und nicht etwa einem Säug¬ 
ling zu trinken geben. Aber die weisse Unschuldsfarbe der Milch 
verbirgt leider dem Auge den hässlichen Inhalt. 

Die Kontrolle der Milch auf ihren Schmutzgehalt ist zur 
Zeit das einzige Mittel, welches den Milchproduzenten zwingt, 
einige Aufmerksamkeit der Hygiene des Kuhstalles zu widmen. 
Ist die von ihm gelieferte Milch einige Male wegen ihrer Ver¬ 
unreinigung konfiszirt und er in eine emfindliche Strafe genom¬ 
men, so wird seine Indolenz gegenüber den unerlässlichen For¬ 
derungen der Hygiene bezgl. der Milchbehandlung schwinden. 
Er wird anfangen, auf Reinlichkeit der Kühe, der Melkenden, der 
Milchbehälter und des Stalles zu halten, und dafür sorgen, dass 
die Milch bis zum Transport zweckmässig aufbewahrt wird. Das 
sind alles Massnahmen, die nichts kosten und die man mit Fug 
und Recht von jedem Milchproduzenten verlangen muss. Bei der 
Milchkontrolle wird es nicht möglich sein, jede Milch, die auch 
nur den minimalsten Bodensatz zeigt, zu beanstanden; denn es 
ist im Kleinbetriebe kaum möglich, alle diejenigen Einrichtungen 
zu treffen, welche nothwendig sind, um die Milch völlig staubfrei 
zu erhalten. Wohl aber kann die Kontrolle die groben Ver- 



94 


Dr. Straube. 


schmutzungen ahnden, die übrigens sich meist da finden, wo die 
Milch gefälscht ist. 

Die Untersuchung auf Milchverfälschung, welche gegen¬ 
wärtig fast ausschliesslich Gegenstand der polizeilichen Markt¬ 
kontrolle bildet, ist m. E. von geringerer Bedeutung, weil diese 
Fälschungen im Allgemeinen nicht eine so verhängnisvolle Wirknng 
auf den menschlichen Organismus ausüben, wie die Bakterien. 
Allerdings wird man so starke Fälschungen, wie die Milch Nr. 4 und 
Nr. 7, als unbedingt gesundheitsschädlich wegen Mangels an nahr¬ 
haften Stoffen anzusehen haben; denn ein Säugling von 4 Wochen 
würde bei der gewöhnlichen Verdünnung (1 : 3) bei diesem Grade 
der Fälschung auf eine Flasche (150 g) nur etwa l 1 /» Esslöffel 
Milch erhalten. 

Was den Nachweis der Fälschung anbetrifft, so kann na¬ 
türlich bei der Kontrolle in kleinen Städten von einer exakten 
Methode keine Rede sein. Einfachheit des Verfahrens mnss das 
Bestimmende für die einzuschlagende Methode sein, falls man 
etwas erreichen will. Ich habe mich in der That durch mehr als 
100 Untersuchungen überzeugt, dass die Feststellung des spez. 
Gewichts der Milch in den meisten Fällen genügt, um die bei nns 
häufigste Fälschungsart — den Wasserzusatz — nachzuweisen. 
Das spez. Gewicht der Milch ist bekanntlich von verschiedenen 
Momenten abhängig (Beschaffenheit der Rassen, des Futters etc.) 
und soll sich zwischen 1029—1034 bewegen. Ueber die obere 
Grenze herrscht ziemliche Einigkeit. Die untere Grenze dagegen 
wird anch bei unverfälschter Milch mitunter nicht erreicht (Alex. 
Müller, Soxhlet, Martiny, Schatzmann nehmen 1028° an, 
einige Autoren [Stutzer, Ostermayer] 1027°). Die Zahlen 
1027—1029 kann man daher forensisch, wenn man sich auf Fest¬ 
stellung des spez. Gewichtes bei der Untersuchung beschränkt, 
nicht verwerthen. Wohl aber kann man bei einem spez. 
Gewicht unter 1027 mit Bestimmtheit behaupten, 
dass die betreffende Milch gefälscht ist. Wenn wir uns 
also als nächstes Ziel stecken, erst einmal die groben Fälschungen 
zu eliminiren, so können wir dies sicherlich schon einzig und 
allein mit dem Laktodensimeter von Qnevenue erreichen. Ich 
möchte nach meinen Untersuchungen für hiesige Verhältnisse die 
untere Grenze des spez. Gewichts unverfälschter Milch auf 1028,5 
normiren, würde aber empfehlen, eine polizeiliche Beanstandung 
der Milch vorläufig erst bei einem spez. Gewicht unter 1027 ein- 
treten zn lassen. Es würden sich somit für die Kontrolle 3 Milch¬ 
qualitäten ergeben: 

1. Milch mit einem spez. Gewicht von 1029—1034 und un¬ 
bedeutendem Schmutzgehalt. 

2. Milch mit einem spez. Gewicht unter 1027 oder sehr 
starkem Schmutzgehalt. Dieselbe wäre zn konfisziren und der 
Verkäufer in Strafe zn nehmen, Eine weitere genauere Unter- 
snchnng durch eine II. Instanz (chemisches Institut, Untersnchungs- 
amt) ist überflüssig; denn diese Milch ist ohne allen Zweifel durch 
Wasserzusatz gefälscht resp. sehr nachlässig behandelt. 



Die Ifilchkontrolle in kleinen Stidten. 


95 


S. Milch mit einem spez. Gewicht von 1027—1029, oder 
aber 1034, ferner Milch, die einen erheblichen Bodensatz bei der 
Kontrolle ergiebt. Diese Milch wäre als verdächtig zu behandeln; 
sie müsste häufig (etwa alle 8 Tage) untersucht werden und falls 
sie dauernd dieselbe Beschaffenheit zeigt, ev. eine Probe zur ge¬ 
naueren Untersuchung an eine II. Instanz geschickt werden. 
Hierher wäre auch etwa 1—2 Mal im Jahre eine Probe der von 
Molkereien gelieferten Milch, auch wenn sie scheinbar tadellos 
ist, zur chemischen Untersuchung zu senden. Denn ich habe in 
sonst guter Molkereimilch im Hochsommer wiederholt Salizylsäure 
(zur Konservirung der Milch zugesetzt) gefunden, die natürlich 
durch die polizeiliche Kontrolle nicht entdeckt werden kann. 

Wenngleich also, wie hieraus hervorgeht, eine II. Instanz 
kaum ganz entbehrt werden kann, so wird sie doch nur aus¬ 
nahmsweise in Anspruch genommen zu werden brauchen. Es 
erscheint mir eben als wesentliches Erforderniss einer praktisch 
durchführbaren Milchkontrolle in kleinen Städten, dass die Kontrolle 
im Allgemeinen nur durch die lokale Instanz erfolgt und nicht 
etwa erst jede abnorme Milch zur definitiven Untersuchung ver¬ 
sandt werden muss. Die ewige Verpackung und der Versand 
würden für die Stadt eine Last werden, die auf die Dauer kaum 
getragen werden würde. Für viel richtiger halte ich es, sich auf die 
geschilderte, allerdings etwas primitive Milchuntersuchung zu be¬ 
schränken, welche die grob verfälschte und verunreinigte Milch 
mit Sicherheit eliminiren wird und für die Milchhändler einen 
gewissen erzieherischen Werth hinsichtlich der Milchbehandlung 
haben wird. 

Durch die Feststellung des spez. Gewichts kann bekanntlich 
eine Art der Milchfälschung nicht nachgewiesen werden, nämlich 
die durch Entrahmung und entsprechenden Wasserzusatz vorge¬ 
nommene. Das spez. Gewicht kann in diesem Falle sich in den 
normalen Grenzen bewegen. Indessen wird diese Fälschung 
dauernd nur von demjenigen mit Erfolg vorgenommen werden können, 
welcher durch ein Aräometer das spez. Gewicht seiner Milch fest¬ 
stellen kann. Und so weit werden unsere Bauern vorläufig noch 
lange nicht vorgeschritten sein! Wohl aber muss man mit dieser 
Art der Fälschung bei Molkereimilch rechnen, die auch aus diesem 
Grunde hin und wieder einem chemischen Institut oder Unter¬ 
suchungsamte zur genaueren Untersuchung übersandt werden muss. 

Die Prüfung des Fettgehaltes der Milch mittels des 
Fes er’sehen Laktoskops halte ich bei der Kontrolle in kleinen 
Städten für überflüssig. Es macht die Kontrolle umständlicher 
und die Besultate haben doch nur einen sehr beschränkten Werth. 
Ich habe bei meinen Untersuchungen nie einen Fettgehalt unter 
den gesetzlich meist zulässigen 2,7 °/ 0 (Berlin) mittels des 
Laktoskops gefunden, auch bei Milch, die auf Grund ihrer sonsti¬ 
gen Beschaffenheit zweifellos als gefälscht angesehen werden 
musste. Forensisch können überdies die Ergebnisse mittels des 
Fes er’sehen Laktoskops sicherlich nicht verwerthet werden, da 
ihnen keinerlei Beweiskraft zukommt. 



96 


Dr. Straube: Die Milchkontrolle in kleinen Städten. 


Die Bestimmung des Rahmgehaltes der Milch ist für die 
Untersuchung in kleinen Städten ein zu umständliches Verfahren 
und kommt daher nicht in Betracht. 

Die Methode der Milchuntersuchung in kleinen Städten wäre 
also folgende: Der Polizeibeamte besichtigt zunächst die Milch- 
gefässe auf ihre vorschriftsmässige Beschaffenheit (Reinlichkeit, 
ob die Verzinnung schadhaft ist etc.). Hierauf prüft er 
die Farbe, den Geruch und Geschmack der Milch. Dann wird 
eine volle Kanne ausgewählt, die Milch in derselben durch 
starkes Umrühren mittels eines langen Porzellanlöffels in 
wirbelnde Bewegung gesetzt, um eine gleichmässige Vertheilung 
der Milchbestandtheile zu erzielen. Der Inhalt der Kanne giesst 
man hierauf in ein reines leeres Gefäss (Eimer) und beobachtet, 
ob sich auf dem Boden des entleerten Gefässes ein Bodensatz 
findet, der an seiner braunen oder grauen Farbe als Schmutz er¬ 
kannt wird. Hierauf wird 1 Liter der in dem Eimer wieder gut 
durchmischten Milch in ein etwa 1 Liter haltendes reines Glas- 
gefäss mit ebenem gut durchsichtigen Boden gegossen und ruhig 
hingestellt. Man stellt das spez. Gewicht und die Temperatur der 
Milch fest. Hierauf werden die gebrauchten Instrumente gereinigt, 
man hebt das Gefäss mit der Milch vorsichtig in die Höhe und 
beobachtet, ob sich auf dem Boden Schmutzteilchen angesammelt 
haben. Ist die Verureinigung der Milch durch Schmutz einiger- 
massen erheblich, so haben sich schon nach einigen Minuten 
Schmutztheilchen oder ein deutlicher Bodensatz abgeschieden. 
Findet sich noch nichts, so muss bis zu einer halben Stunde ge¬ 
wartet werden. 1 ) 

Wird die Milch wegen zu niedrigen spez. Gewichts seitens 
der Polizei beanstandet, so hat der Lieferant das Recht, die Ent¬ 
nahme einer Stallprobe und nochmalige Untersuchung einer im 
Stalle unter Aufsicht gemolkenen Milch zu verlangen. Die Stall¬ 
probe ist spätestens binnen 2 X 24 Stunden vorzunehmen. Die 
entstehenden Kosten trägt, falls die Stallprobe den Verdacht der 
Milchfälschung bestätigt, der Lieferant, andernfalls die Stadt. 

Wird in dieser einfachen Weise eine regelmässige scharfe 
Kontrolle der Milch ausgeführt, so werden wir dadurch vielleicht 
dem seitens der Hygiene zu erstrebenden Endziele näher kommen, 
dass nämlich die Kleinbetriebe sich allgemein zu Genossenschafts¬ 
betrieben vereinen. Der Verdienst pflegt für die Milchlieferanten 
dann zwar immer etwas geringer zu sein, aber sie sind denn doch 
der lästigen polizeilichen Kontrolle überhoben. Dieser Effekt 
würde am sichersten für eine gute Milch Gewähr leisten; *) denn 
nur im Grossbetriebe kann man denjenigen Anforderungen in 
einigermassen vollkommener Weise gerecht werden, welche an 
eine gute Milch gestellt werden müssen. Anderseits wäre da¬ 
durch die Milchkontrolle natürlich ausserordentlich vereinfacht. 

Hat man nun durch die oben geschilderten einfachen Mass- 


’) Die M&rktkontrolle der Knhmilch. Ostermayer. 1891. 

*) Vergl. 26. Jahres v. d. V. f. öffentL Gesundheitspflege in Boetoek. 



Dr. Litterski: Zwangs* Wiederimpfung bei Pockenepidenien. 97 

nahmen dafür Sorge getragen, dass die Milch bis zum Verkaufe 
in einem unverfälschten und möglichst reinen Zustande bleibt, so 
ist die Aufgabe des Gesundheitsbeamten noch nicht beendet. 
Vielmehr muss das Publikum regelmässig (im Sommer) öffentlich 
hingewiesen werden auf die Gefahren, welche mit dem Genüsse 
schlecht behandelter Milch für den Säugling verbunden sind. Die 
Zeitungen nehmen, wie ich mich überzeugt habe, im Allgemeinen 
gern solche Mittheilungen unentgeltlich auf, in denen zugleich die 
Beschaffung eines billigen MUchkochapparates angerathen werden 
kann. Wir haben in unserer Stadt eine Verkaufsstelle eingerichtet 
für den Flügge’sehen Milchsieder (2 M.), dem eine seitens 
der Polizei gelieferte Anweisung über die Behandlung der Milch 
nach dem Kaufe beigelegt wird. 

Ist so durch regelmässige Kontrolle eine reinliche und un¬ 
verfälschte Beschaffenheit der Milch bis zum Verkaufe und durch 
Belehrung des Pulikums eine zweckmässige Behandlung derselben 
nach dem Kaufe gewährleistet, so wird man die Genugthung 
haben, dass zur Verhütung des deletären Brechdurchfalles der 
Kinder alles geschehen ist, was gegenwärtig in kleinen Städten im 
Bereiche der Möglichkeit liegt. 


Zwangs-Wiederimpfung bet Pockenepidemien. 

Von Ued.-Rath Dr. Litteraki, Kreisarzt in Grottkan. 

Der Herr Kollege Dr. Flatten hat vollständig Recht, wenn 
er, sich stützend auf einen Min.-Erlass vom 16. Juni 1883 in 
Nr. 23 dieser Zeitschrift, Jahrg. 1902, erklärt, dass meine Mass¬ 
nahme bezüglich der Wiederimpfung sämmtlicher Einwohner 
des Dorfes V., soweit diese in den letzten 10 Jahren nicht 
mit Erfolg geimpft waren, rechtlich anfechtbar sei, da beim 
Ausbruch von Pocken nach §. 65 des Regulativs von 1835 
nur die Vaccination, also die Impfung der noch Ungeimpften er¬ 
zwungen werden kann, aber nicht die Wiederimpfung der einmal 
bereits im Leben Geimpften. — Jede Zwangs-Wiederimpfung von 
Angehörigen, Nachbarn etc., gleichgültig, ob die erste Impfung 
20 oder mehr Jahre zurückliegt, würde also rechtlich unzulässig 
sein, sobald die betreffenden Personen ihre Impfung in glaubhafter 
Weise (durch Vorlegung des Impfscheines) nachweisen, denselben 
kann dann nach § 56 des Regulativs die Wiederimpfung nur em¬ 
pfohlen werden. 

Allerdings ist in §. 55 von der Vaccination „noch ansteckungs- 
fähiger Individuen“ die Rede und nicht von der „noch Unge- 
impfter“. Jedoch dürfte wohl nach dem Sinne dieser Para¬ 
graphen und namentlich in Verbindung mit dem Wortlaut des §. 56 
damals „ansteckungsfähig“ gleichbedeutend mit „ungeimpft“ erachtet 
worden sein. Nach unserer jetzigen Auffassung müssen dagegen 
für ansteckungsfähig auch alle geimpften Personen angesehen 
▼erden, sobald ihre Impfung oder Wiederimpfung 5—10 Jahre 
zorückliegt. Von diesem unsern wissenschaftlichen sowie prak- 



98 


Aus Versammlungen und Vereinen. 


tischen Erfahrungen und Anschauungen entsprechenden Stand¬ 
punkte bin ich bei meiner Anordnung ausgegangen. In einem 
eventuellen Streitfälle würde es übrigens noch auf die juristische 
Interpretation des §. 55 ankommen, wenn ich auch befürchte, dass 
diese eher zu Gunsten der ersten, als der zweiten Auffassung 
ausfallen dürfte. Jedenfalls würde ich in einem zweiten Falle 
wieder ebenso wie in dem mitgetheilten verfahren; denn mit 
blossen Empfehlungen ist nach meiner Ansicht überhaupt nichts 
zu schaffen. 

Wie oft ergreift z. B. die Polizei-Verwaltung Massregeln 
und führt sie durch, wenn es sich darum handelt, das Wohl 
der Menschheit zu schützen und vor Gefahren zu bewahren, 
elbst wenn diese Massregeln rechtlich auf recht wackligen 
Füssen stehen. Wenn man sich bei der Bekämpfung der Cholera 
in den Jahren 1892, 1893 und 1894 z. B. in Nackel, die ich selbst 
erlebt, immer ängstlich gefragt hätte, lässt sich die zu verordnende 
Massregel auch gesetzlich aufrecht erhalten oder nicht, dann würde 
die Seuche auch nicht mit so vorzüglichem Erfolge wie damals be¬ 
kämpft sein. Fast alle Regierungspräsidenten in den acht älteren 
Provinzen haben z.B. die Anzeigepflicht bei Diphtherie, Wochenbett¬ 
fieber, Kopfgenickkrampf u. s. w. durch Polizeiverordnung angeordnet, 
trotzdem diese Anordnung nach wiederholten Entscheidungen des 
Kammergerichts gesetzlich unznlässig ist; die Polizeiverordnungen 
werden aber gleichwohl aufrecht erhalten, weil sich die Be¬ 
stimmungen des Regulativs als unzureichend erwiesen haben und 
man sich sagt, dass die Ungesetzlichkeit der im öffentlichen Ge- 
sundheitswohle unbedingt nothwendigen Verordnung den wenigsten 
Leuten bekannt ist. Das Publikum ist jedenfalls in dem Glauben, 
dass beim Ausbruch von Pocken die Polizeibehörden mit Zwangs- 
massregeln auch gegen die Wiedergeimpften Vorgehen können; 
deshalb ist die von mir getroffene Anordung auch nicht auf den 
geringsten Widerstand gestossen. Zweifellos entspricht es auch dem 
Allgemeinwohl mehr, das Publikum durch Anordnung der Zwangs¬ 
impfung in diesem seinen Glauben zu bestärken, als mit ver¬ 
schränkten Armen zuzusehen, wie sich eine der gefährlichsten 
Seuchen weiter verbreitet, und offen zu erklären, wir sind mit 
unserem Latein zu Ende, wir haben wohl ein sicheres Mittel zur 
Eindämmung der Seuche, aber seine Anwendung ist gesetzlich 
nicht ein wandsfrei! 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die II. dienstliche Versammlung 
der Hedizinalbeamten des Reg.-Bes. Marienwerder in 
Graudens am 16. Oktober 1901. 

Anwesend sind: Geb. Ober-Med. -Rath Dr. Schmidtmann- Berlin, 
Reg.- and Med.-Rath Dr. t. Hake-Marienwerder, die Ereisftrste Dr. Dr. 
Heynaoher-Graudenz, Matz-Dt. Krone, Heise-Colin, Wagner-Schwetz, 
Hasse- Plato w, S t e g e r - Tborn, Hopmann-Briesen, Kasten- Marien werder, 
ßanick-Scblochan, Schmid t-Tochel, Schlee-Loeban, P o 81 - Strasburg, 
t. Gizycki-Stnhm, der Kreisassistenzarzt Dr. Koenig-Sehwetz und als 



Aus Versammlungen und Vereinen. 


99 


Oiste die pro pbysioatu geprüften Dr. Dr. Generaloberarst a. D. Kannen» 
berg-Marien werder, Kreispbysikus s. D. Wolff, Oberstabsarst Brix, Ober- 
stabearst a. D. Schondorf, Sander-Grandens, Curtius-Gollub, Gru- 
maeb - Riesenburg. 

Nach kurzer BegrUssung des Herrn Geb. Ober-Med.-Raths Dr. Schmidt- 
aaan, so wie der anderen Medizinalbeamten and Giste durch den Vor¬ 
sitzenden, Beg.-u. Med.-Rath Dr. v. Hake, wies ersterer auf die Wichtigkeit 
derartiger Versammlungen hin, die ein wesentliches Unterstützungsmittel zu 
einer Segens- und erfolgreichen Durchführung des Kreisarztgesetzes seien. Mit 
Geasgthuung und hoher Befriedigung habe auch der Herr Minister Kenntniss 
Ton der regen Theilnahme der betheiligten Beamten, sowohl der Medizinal¬ 
beamten, wie der Verwaltungsbehörden an der Durchführung des Gesetzes 
genommen. 

Kreisarzt Dr. Hasse-Flatow referirt sodann: Ueber Ortsbe¬ 
sichtigungen im Zusammenhang mit den gleichzeitig auszuführenden Sehul- 
beeichtigungen. (§. 69 und §. 94 der Dienstanweisung.) 

Nach kurzer Anführung des Inhalts des §. 69 und der Bemerkung, dass 
nach seinen Erfahrungen eine gelegentliche Ortsbesichtigung schon wegen 
des Umfanges des Gesch&fts nicht möglich sei, geht Referent an der Hand des 
für die Ortsbesiehtigungen Torgeschriebenen Formulars die einzelnen Abschnitte 
desselben durch. 

Im Abschnitt I wünscht er einen kurzen Ueberbliok der Epidemien, die in 
dem Orte öfter aufgetreten sind, sowie auch die Zusammenstellung besonders 
wichtiger Erkrankungen, wie Krebs, Tuberkulose, Unterleibstyphus, auch toü 
Weichselzopf und Windpocken, da hin und wieder auch richtige Focken als 
Windpocken bezeichnet werden. 

Im Abschnitt II stellt er Normen und Mindestmasse für Wohnungen 
ad besonders Sohlafrtume auf; die meist im Argen liegenden Abortanlagen 
sind Tornehtnlich zu prüfen. Leider enthält die Bau - Polizeiverordnung für 
die Prorinz Westpreussen für die Städte und für das platte Land vom 23. Juni 1891 
in Bezug hierauf keine Bestimmungen. Lehmfussböden sollten am besten über¬ 
haupt verboten werden. 

Im Abschnitt IU bei Besprechung der Wasserversorgung und der 
Verunreinigung der Wasserläufe vertritt er die Ansioht, dass die in 
der erwähnten Bau-Polizeiverordnung für die Städte im §. 80 vorgeschriebene 
Entfernung von mindestens 10 Meter zwischen Brunnen und Dungstätte zu 
gering bemessen sei, wenn es sich um Ziehflachbrunnen mit hölzerner Aus¬ 
kleidung handelt; in der gleichen Verordnung für das platte Land sind hier¬ 
über überhaupt keine Bestimmungen enthalten. Neubauten derartiger Brunnen 
müssten von vornherein polizeilich nicht mehr gestattet werden. Des Weiteten 
weist Referent auf die Unsitte des Waschens unsauberer Wäsche in der Nähe 
der Brunnen hin. — Besonderes Augenmerk sei auf die Reinhaltung der Ge¬ 
wisser zu richten und bei schwieriger Beseitigung der Abwässer sollte mehr, 
wie es bisher geschieht, ein Gutachten der Königl. Versuchs- und Prüfnngs- 
aastalt für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung eingebolt werden. 

In dem folgenden Kapitel: Nahrungs- und Genussmittel, sowie 
Gebrauehsgegenstände geht Referent näher auf den Verkehr mit Milch ein. 
In Molkereien ist die Privatwohnung von den Betriebsräumen vollkommen zu 
trennen. Die Milchznfuhr aus verseuchten Haushaltungen ist zu verbieten, die 
gemischte Milch vor der Entrahmung zu pasteurisiren und besonders ist darauf 
so achten, dass die Senkgruben, in welche die Milchabwässer kommen, aus- 
gemauert sind und regelmässig desinflzirt werden, da gerade diese Abwässer 
einen besonders geeigneten Nährboden für Krankheitserreger abgeben. Mit den 
gebräuchlichsten Milcbprüfnngsapparaten muss der Kreisarzt vertraut sein. — 
Anzahl und Ausbildung der Trichinen- und Fleischbeschauer sind nicht aus- 
reichend, zweckmässig seien auf dem Lande die intelligenteren Lehrer mit diesem 
Amt zu betrauen. 

Absohnitt VI: Schulen wurde am Schluss besonders besprochen. 

Ferner klagt Referent über die unzweckmässige Einrichtung der kleinen 
Gefängnisse, besonders auf dem Lande. Auch die staatlichen Gefängnisse 
sind oft unzureichend, namentlich bezüglich des vorgeschriebenen A Luft- nnd 
Lfehtraumes; ausserdem fehle es oft an Krankensellen. 

Die Fürsorge für Kranke und Sieche auf dem Lande sei sehr 



100 


Ans Versammlungen und Vereinen. 


mangelhaft; ee fehle an Unterkunftsräumen and armenärztlieher Behandlung. 
Bei den Ortsbesiohtigungen seien besonders nach die Aufenthaltsräume der in 
Priratpflege befindlichen Geisteskranken, sowie der Haltekinder zu besuchen. 

Die Frage der Volksbäder sei auf dem Lande ganz, in den kleineren 
8t&dten meist vernachlässigt. 

ln Bezug auf das Begräbniss wesen habe er häufig Begräbnisse 
Ordnungen ganz vermisst; Leichenhallen seien nur sehr vereinzelt vorhanden. 

Das Ergebniss seiner Betrachtungen fasBt Referent in folgenden Sätzen 
zusammen: 

„1. Die gelegentliche Vornahme von Orts* und Sohulbesichtigungen 
wird der Gründlichkeit derselben nicht immer förderlich sein. 

2. Es ist im ersten 5jährigen Turnus nicht die Abstellung sämmtlicher 
hygienischer Missstände zu fordern, sondern es ist in den Forderungen Maas 
zu halten, um die Bevölkerung nicht kopfscheu zu machen und bei ihr zu* 
nächst allgemeines hygienisches Interesse zu erwecken. Das meiste Gewicht 
ist zu legen auf Abortanlagen und Brunnenbauten; für die Westpreussisohe 
Bau - Polizei Verordnung sind Zusatsbestimmongen insbesondere bes. Grösse 
und Beleuchtung der Wohnräume, sowie Höhe der Fundamente erforderlich. 
Das Auffangen der flüssigen Abwässer in zementgemauerten Gruben ist au be¬ 
achten und der Neubau von Holzziehbrunnen zu verbieten. 

3. Der Kreisarzt kann durch die Ortspolizeibehörde erhöhte hygienische 
Anforderungen besonders an Miethswohnnngen stellen. 

4. Der Kreisarzt muss mit den Miohprüfungsapparaten, sowie mit dem 
Wolpert’sohen Apparat zur Bestimmung der Kohlensäure vertraut sein. 

5. Bs ist zu erwägen, ob den Lehrern die Trichinenschau zu über¬ 
tragen ist.“ 

Der Korreferent, Kreisarzt Dr. Banick-Schlochau,geht mehr auf die 
städtischen Verhältnisse ein: Die Besichtigungen der Keller- und Giebel¬ 
wohnungen sind gerade in den Städten besonders wichtig; entere werden nicht 
nur durch Wasser, sondern auch durch das Eintreten von Grundlnft oft 
ungesund. — Es sei zweckmässig, bei der Revision von Geschäften mit 
Nahrungsmitteln einen Polizeibeamten zuzuziehen und gewerbliche Betriebe, 
wenn irgend möglich, nur im Beisein des Gewerbebeamten zu besichtigen. — 
Krankenhausbesichtigungen sollten mit den Ortsbesichtigungen Bchon aus Mangel 
an Zeit nicht verbunden werden. 

In der nunmehr eröffneten Diskussion bemerkt der Vorsitzende, das 
es nicht zweckmässig sein dürfte, in die Erörterung der These 6 des Referenten 
einsutreten, ob den Lehrern die Trichinenschau zu übertragen sei. Von 
dem Erlass einer Polizeiverordnung, die die Trichinenschau im Bezirk abändern 
und u. A. auch die regelmässigen Nachprüfungen der Trichinenschauer durch 
die Kreisärzte einfflhren sollte, sei Abstand genommen worden, da diese Materie 
z. Zt. eine gesetzliche Regelung erfahre. 

Ferner sei auch (von den zuständigen Behörden) der Erlass einer neuen 
Bau-Polizeiverordnung schon in Erwägung gezogen. In Ermangelung 
polizeilicher Vorschriften könne nicht allgemein verlangt werden, dass jede 
Jauche- und Abortgrube ausgemanert sein müsse. Zunächst sei, nm den 
dringendsten hygienischen Anforderungen gerecht zu werden, die trotz der so 
ungünstigen pekuniären Lage der meisten Orte des Bezirks durchgefflhrt werden 
müssten, der Erlass einer Brunnenordnung in die Wege geleitet; in dieser 
fänden auch Bestimmungen für die Anlage von Abortgruben und dergleichen 
Aufnahme. Zur Zeit schweben Erhebungen darüber, ob es möglich sei, für 
die beiden angrenzenden Bezirke Bromberg und Marienwerder eine gemeinsame 
Bruunenordnung aufsustellon. Von den den Medizinalbeamten aus der Zeit¬ 
schrift für Medizinalbeamte bekannten Brunnenordnungen des Dr. Schroeder- 
Wollstein ‘und Dr. Finger-Potsdam erscheint dem Vorsitzenden die erstere 
für den hiesigen Bezirk zu weitgehend, die letztere jedoch für nicht aus¬ 
reichend genug. — 

Heynaoher-Graudeus bittet bei Erlass solcher Verordnungen tim 
rückwirkende Kraft derselben; es müssten Minimalforderungen für Brunnen- 
und Bauverhältnisse geschaffen werden. Er vermisst in den Referaten das 
praktische Moment; er hätte weniger theoretische Auslassungen in den Vor¬ 
trägen gewünscht, dafür aber das gerne erfahren, was die Vortragenden nun 
eigentlich bei ihren Ortsbesichtigungen praktisch gethan hätten, wie sie vor- 



Aus Versammlungen und Vereinen. 


101 


fahren wären. Nach seiner Ansieht müsse die Ortspoliseibehörde yollsfthlig 
der Besichtigung beiwohnen; jedes Hans, jeden Abort könne der Kreisarzt 
unmöglich besichtigen, da dies bei der Ausdehnung der hiesigen Ortschaften 
mit ihren vielen Ausbauten nicht möglich sei. Jeder Kreisarzt wisse, was 
aöthig und erforderlich sei, aber was ist praktisch wirklich gethan ? Vor allen 
Dingen müsse auch darauf gedrungen werden, dass jede Arbeiterwohnung 
wenigstens 2 Bäume habe. 

Beferent erwidert, dass die Behörden entsprechend der Dienstanweisung 
ungeladen seien, freilich Bei oft Niemand erschienen. S c h 1 e e - Löbau beklagt 
sieh darüber, dass er nie erfahren habe, was eigentlich auf seine Vorschläge 
tob Seiten der Ortsbehörden erfolge. 

Der Vorsitzende bemerkt dazu, dass nach der Dienstanweisung von den 
sirei aufzunehmenden Verhandlungen, die eine mit den Vorschlägen des Kreis¬ 
arztes versehen, an den Landrath einznsenden ist, und dass diese Verhandlung 
von dem Landrath mit den Mittheilungen über die getroffenen Anordnungen 
später dem Kreisarzt zurückgegeben werden muss. Dieses Exemplar ist vor- 
sehriftsmässig in den Akten aufzubewahren. Ist der Kreisarzt mit den ge¬ 
troffenen Massnahmen nicht zufrieden, so hat er die Sache dem Begierungs- 
präsidenten weiter zu unterbreiten. 

Eine längere Debatte entspinnt sich Uber die Abfassung der Ver¬ 
handlungen an Ort und Stelle. Insbesondere weist H ey n a c h e r darauf hin, 
dass bei dem Mangel an Schreibhülle es nicht möglich sei, zwei Verhandlungen über 
die Ortsbesichtigung und, findet auch noch eine Schulbesichtigung statt, eine dritte 
Verhandlung über diese aufzunehmen; — eine vierte Verhandlungsabschrift von der 
Sehulbesichtigong muss auch noch bei den Akten des Kreisarztes bleiben — nur 
bei letzterer habe man allenfalls SohreibhUlfe. Sei es schon jetzt manchmal bei 
grösseren Ortschaften schwierig, so könnten dann wohl gewöhnlich nicht mehr 
als eine Ortsbesichtigung ausgeführt werden. Kasten schliesst sich gleichfalls 
dieser Auffassung an und meint, dass andernfalls die Oberrechnungskammer 
wohl nicht einverstanden sein werde mit den unvermeidlichen höheren Beise- 
koeten. An der Diskussion betheiligten sich weiter Banick, Post, Wagner, 
ächlee. Letzterer will ent am Ende aller Ortsbesichtigungen dem Land¬ 
rath ein Besumö einreichen, was vom Vorsitzenden für unrichtig und den 
Bestimmungen nicht entsprechend erklärt wird. Schlee empfiehlt dann bezüg¬ 
lich der Verbesserung der Wohnungen der armen Leute, namentlich bei Ge¬ 
legenheit akuter Krankheitsfälle energisch, auch wohl drohend, vorzugehen, um 
die gestellten Forderungen durchzusetzen. — Auf Anfrage erklärt der Vor¬ 
sitzende, dass, obgleich es nicht vorgeschrieben sei, doch bei Besichtigung 
der Gefängnisse der Gefängnissvorsteher benachrichtigt werden müsse. 

Vorsitzender betont weiter, dass nach dem deutlichen Wortlaut der 
Dienstanweisung eine Verhandlung jedes Mal an Ort und Stelle aufgenommen 
und von den Anwesenden sofort unterzeichnet werden müsse. Es sei 
durchaus falsch die Verhandlung nachträglich nach gemachten Notizen zu 
Hause aufsunehmen und sie den Betheiligten zur Unterschrift zuzuschicken. Ob 
es angängig sei naohsulassen, dass die Abschrift an den Landrath erst später 
gemacht werde, darüber habe er nicht zu entscheiden, da auch diese an Ort 
und Stelle durch die Dienstanweisung vorgeschrieben sei. Geh. Ober-Med.-Bath 
Dr. Schmidtmann bemerkt auf eine diesbezügliche Frage: „Er sei nioht 
beauftragt. Erklärungen abzugeben, sondern zuzuhören, und er habe dies mit 
Freuden gethan. Die zur Erörterung stehenden Paragraphen seien einige der 
wichtigsten der Dienstanweisung, denn dem Kreisarzt sei hierdurch Gelegenheit 
gegeben, in der weitgehendsten Weise den Kreis und die Bevölkerung, auch 
die sozialen Verhältnisse kennen zu lernen; bedauern müsse er jedoch, dass ab 
uzd zu ein Ton des Murrens und der Unzufriedenheit durobgeklnngen sei, ge- 
wiesermassen ein Vorwurf, als ob die obere Behörde etwas schlecht und un¬ 
praktisch gemacht habe. Dies sei eine Verkennung. Die Dienstanweisung sei 
für Preussen erlassen, konnte also nicht auf jeden einzelnen Bezirk und Kreis 
besonders Büoksicht nehmen. Sie hat die Grundzüge festgelegt und innerhalb 
dieses Rahmens hat die Ausführung im Einzelnen unter Berücksichtigung der 
örtlichen Verhältnisse sinngemäss zu erfolgen. Br müsse auch gegenüber einer 
Asasserung betonen, dass der Kreisarzt nioht Polizeibeamter sei, sondern vor- 
ühalich der Berather der Behörde und der Bevölkerung auf dem Gebiete des 
ftswnilhsiNirssnni sein solle. Das Masshalten sei sehr dankenswert!! und das 



102 


Aas Versammlungen and Vereinen. 


sei im Referat erfreulicher Weise nun Ausdruck gebracht. Die anfänglichen 
Schwierigkeiten würden mit der Zeit schwinden. Der Ansicht, dass die Ge* 
meinde- and Amtsvorsteher bei den Besichtigungen sagegen sein sollen, kOnne 
er nar beitreten. Bezttglieh der Verhandlungen sei die Aasfüllang and Unter- 
seichnang des einen Formulars an Ort and Stelle unumgänglich nöthig; 
es müsse aber auch Zeit sein, gleich eine Abschrift der Verhandlung an Ort 
und Stelle anzufertigen, wie dies die Dienstanweisung, die sachlich das Richtige 
getroffen habe, vorschreibe. 

Bei der nunmehr folgenden Erörterung des Abschnittes „Schulen* be¬ 
mängelt Referent Hasse nach knrser Erörterung der Bestimmungen der 
Dienstanweisung die häufige Benutzung der Schulräume zur Impfung, zum 
Gottesdienst und zu sonstigen Versammlungen, ferner das Fehlen ausreichender 
Spielplätze, Aborte, Brunnen und dergleichen. Zum Schluss stellt er folgende 
Thesen auf: 

1. Die Schulbesichtigung bleibt der weitaus wichtigste und in ihren ver¬ 
bessernden Folgen wirksamste Theil der Ortsbesichtigung. 

2. Die Schulräume sind nur zu Unterrichtszwecken zu verwenden. 

8. Die Lehrer wohnung muss getrennt von den Sohulräumen sein, mit 
besonderem Eingang. 

4. Die Untersuchung der Schulkinder besteht in der Augenprttfung nach 
Snellen, der Hörprüfang mittelst Flüstersprache, der Prüfung der Rückgrats* 
besehaftenheit und der Untersuchung elender, schwächlicher Kinder mit Auf¬ 
nahme einer kurzen Anamnese. 

Der Vorsitzende eröffnet die Diskussion mit dem Ersuchen, die 
Verhandlungen über Schulbesichtignngen durch den Landratb, wie vorgeschrieben, 
an die Regierung and nicht an den Regierungspräsidenten einzu- 
reichen. Dann erörtert er die Frage nach der Zweckmässigkeit der Anstellung 
von besonderen Schulärzten: diesen liege die gesundheitliche Ueberwachung 
der Schulkinder ob. Es sei zunächst nur in Erwägung gezogen in den beiden 
grösseren Städten des Bezirks, in Graudenz nnd Thorn, diese Sache in An¬ 
regung zu bringen. Die Anstellung von Schulärzten in kleineren Städten und 
besonders auf dem Lande sei nicht gut durchführbar. 

Steger-Thorn fürchtet, dass in grösseren Städten eine Ueberlastung 
der Kreisärzte, falls ihnen dies Amt übertragen werde, eintrete; anderseits 
müsse dem Kreisärzte eine gewisse Oberaufsicht gewahrt bleiben. 

Geh. Ob.-Med.-Rath Dr. Schmidtmann vertritt den Standpunkt, dass 
die Schularzteinrichtung gefördert, nicht gefordert, werden mÜBse. Die 
Bezahlung der Schulärzte ist Sache der Schulgemeinde, nicht des Staates. 

Schlee giebt an, dass bei den Schulbesiohtigungen oft nur der Lehrer 
anwesend sei und ken Mitglied des Schulvorstandes. Der Vorsitzende kann 
dies aus den eingegangenen Protokollen nicht bestätigen. Als Schalvorstand 
komme nicht nur der Ortsschulinspektor, sondern auch jedes andere Gemeinde¬ 
mitglied, welches zum Schulvorstande gehöre, in Frage. Es sei zwar nicht vor- 
gesohrieben, doch wünschenswert!!, dass die Verhandlungen von den anwesenden 
Mitgliedern mit unterschrieben werden. Vorsitzender stellt in Aussicht, dass die 
Schulvorstände nochmals darauf hingewiesen werden sollen, bei den Besichtigungen 
zugegen zu sein. Ferner sei es zweckmässig, in dem Begleitschreiben, das mit 
der Verhandlung einzureiohen ist, der Reihenfolge nach die Missstände kurz 
anzuführen, die sich bei der Besichtigung ergeben haben und zwar in der Reihen¬ 
folge der Dringlichkeit. Bei den zu machenden Vorschlägen sei Vorsicht am Platz, 
namentlich in Bezug auf bauliche Aenderungen; es solle nicht heissen: „Die 
Abort- und Dunggrube muss auszementirt werden*, sondern „die Grube ist nicht 
wasserdicht und muss entsprechend hergestellt werden*. Ob diesem Uebelstande 
durch Aufstellen wasserdichter Tonnen, oder sonst wie abgeholfen wird, ist 
8ache der Regierung. - Die Schulbauvorlagen sind mit einem Prüfungsver¬ 
merk zu versehen und dann dem Kreisbauinspektor zurück- und nioht 
der Regierung weitersureiohen. 

Korreferent Baniok-Schlochau rügt die Unzulänglichkeit der meisten 
Turn- und Spielplätze, sowie der Lehrerwohnungen. Den Spucknäpfen in den 
8chulstuben misst er keinen Werth bei, da sie doch nicht benutzt werden. 

Vorsitzender erklärt, dass den Bestimmungen gemäss, die Spuck¬ 
näpfe vorhanden sein sollen, und dass er dies auch nur für zweckmässig halten 
könne; zu empfehlen sei, dass dieselben mit Wasser, oder noch besser mit einer 



Ana Versammlungen and Vereinen. 


103 


5—10 pro*. Lysollösung gefüllt seien. Diese Spnckn&pfe seien besonders zum 
Gebrauche für den Lehrer, znm&l wenn derselbe an Hasten leide, aafgestellt; 
tob den Sehalkindern selbst werden ja dieselben in Wirklichkeit nicht benntat 
werden können, schon der Störung des Unterrichts wegen. — In jedem Schulranm 
sei ein 1,6 m hoher Oelfarbenanstrich zu erstreben; die Farbe der Wände sei 
möglichst graublau, die der Decke weias gehalten. Die Reinigung der Schul- 
rftame durch Schulkinder sei möglichst zu beseitigen, direkt zu verbieten sei 
es jedoch nicht, da die Ministerialerlasse vom 2. November 1868 und vom 
8. Mai 1885, nach denen die Reinigung durch Schulkinder zulässig ist, noch zu 
Hecht beständen. Weigere sich die Gemeinde für die Kosten, die durch die 
anderweitige Reinigung entstehen, aufzukommen, so sei mit Strenge dafür 
8orga za tragen, dass der Reinigung stets ein nasses Aufwischen vorhergeht. 
Bezüglich der Schulbänke Bei ein neues Modell von der Bauabtheilung der Re¬ 
gierung aasgearbeitet, dessen Beschreibung in der nächsten Zeit den Kreis¬ 
inten zugehen werde. Der Vorsitzende hofft, dass die nach der jetzigen Vor¬ 
lage noch 6 bezw. etwa 7 cm betragende Plusdistanz auf 5 cm herabgesetzt 
wird. Za beachten ist, dass die letzte Bank 0,3 cm mindestens von der 
Wand abstehen und eine Rücklehne haben soll. — Dachrinnen sind bei vor- 
springenden Dächern nicht unbedingt erforderlich. — Als bestes Mittel, Graben 
dicht za machen, wird statt der Auszementirung bei der Ausmauerung die 
Verwendung eines Mörtels aus einer Mischung von Theer und Sand bezeichnet. 
— Bei Brunnen muss eine Abdeckung am besten mit Steinplatten verlangt 
werden. Entlüftungsrohre sind nicht erforderlich, da sie sich leicht verstopfen 
ud keine genügende Sicherheit bieten. — In jedem einzelnen Fall von Neu¬ 
bauten solle darauf gehalten werden, dass die Fensterfläche mindestens '/* der 
Bodenfläche des Zimmers haben; in Nr. 3 des Formulars über die Besichtigungen 
ist statt „G1 asfläche" das Wort „Fensterfläche" zu setzen. — Der These, dass 
die Schmlräame nur zu Unterrichtszwecken zu benutzen seien, stimmt Vor¬ 
sitzender nicht ganz bei. Gerade bei den hiesigen ländliohen Verhältnissen 
lasse es sich oft nicht umgehen, dass die Schulräume namentlich als Impflokal 
Verwendung finden; andere Räume, insbesondere Dorfschenken, wenn dieselben 
überhaupt vorhanden seien, könnten oft nicht in Frage kommen. 

Za These 3 wünscht der Vorsitzende, dass in dem Bericht seitens 
der Kreisärzte, falls es sich am eine neuere Schule handelt, ungefähr du Bau¬ 
jahr angegeben wird, um ersehen zu können, ob die Schule vor dem Ministerial¬ 
erlass vom 15. November 1896, betr. Bau und Einrichtung ländlicher Volks¬ 
schulen, bestanden habe, oder ob sie erst später gebaut sei. — Bezüglich der 
Sehülerkrankheiten weist er besonders auch auf die Granuloseuntersuchungen 
ud auf die strenge Beobachtung der von dem Herrn Minister unter dem 
20. Mai 1893 gegebenen „ Anweisung zur Verhütung der Uebertragang an¬ 
steckender Angenkrankheiten durch die Schule" hin. 

Nach der Diskussion erfahren die Thesen folgende Aenderung: 

1. Die Schulbesichtigang ist ein besonders wichtiger Theil der 
Ortsbesichtignng. 

2. Die Schulräume sind möglichst nar zu Unterrichtszwecken za 
verwenden. 

n. Zn dem zweiten Punkte der Tagesordnung: Geber die Verhütung 
und Bekämpfung gemeingefährlicher oder sonst übertragbarer Krank¬ 
heiten“ referirt Dr. S teger-Thorn. Er erwähnt zunächst die Regelung 
dieser Materie durch die Dienstanweisung; das Regulativ vom 8. August 1886 
sei alt und überlebt; der Erlass eines Seuchengesetzes, das besonders auf die 
am häufigsten vorkommenden ansteckenden Krankheiten Bezug nimmt, sei 
dringend erforderlich, insbesondere sei auch die Anseigepflicht auf „verdächtige* 
Bälle aussudehneu. Sodann befürwortet er die Portofreiheit für die Melde¬ 
karten der praktischen Aerzte; desgleichen muss es als dringend wünschens- 
werth bezeichnet werden, wenn den Gemeinden durch die Feststellung der 
ersten Krankheitsfälle keine Kosten erwachsen, da hierbei doch das staat¬ 
liche Interesse vorwiegend betheiligt sei. Dann geht Referent auf die Be¬ 
sprechung von Cholera, Gelbfieber, Pest im Einzelnen ein. 

Bei der vorgerückten Zeit konnte Referent sich nur kurz über die 
Schutzmassnahmen verbreiten, die er nach Massgabe des §. 84 erläutert. Endlich 
wurde auch das Gebiet der Desinfektion besprochen. 



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Kleinere Mitteilungen und Bef ernte au Zeitschriften. 


Nachdem Korreferent hon snr (Anseigepflicht du Wort genommen, 
wurde der Vortrag abgebrochen und du Thema nochmals auf die Tagesord¬ 
nung der nächsten Versammlung du hiesigen Medizinalbeamtenvereins gesetit. 
Bine solche nicht dienstliche Versammlung wurde vom Vorsitzenden im 
nächsten Frühjahr in Aussicht gestellt. — Mit einem kurzen Schlusswort 
wurde die Versammlung gegen 8*/, Uhr Nachmittags geschlossen. 

Ein gemeinsames Mahl im „Schwarzen Adler" vereinte die Theilnehmer 
noch bis zum spiten Abend. Kasten- Marien werder. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aue Zeitschriften. 

Bakteriologie, Infektionskrankheiten und Öffentliches 

Sanitätswesen. 

Zur Aetiologie des Becurrenstyphus. Von Dr. Justin Karlinski 
in Cajnica, Bosnien. Vorläufige Mittheilung. Zentralblatt' für Bakteriologie, 
Parasitenknnde und Infektionskrankheiten; L Abt., 1902, Bd. 81, Nr. 12. 

Die Kultivirung der Recurrensspirochäten ist bis heute noch nicht ge¬ 
lungen und auch die diesbezüglichen Versuche du Verfassers haben trotz Ver¬ 
wendung zahlreicher verschiedener Nährboden zu keinem Resultat geführt. 
Aus diesem Qrunde blieb bisher auch die Axt und Weise der Oebertragung der 
Krankheit in Dunkel gehüllt. Den eifrigen Bemühungen du Verfassers ist es 
gelungen, diese letztere Frage etwas zu klären. 

Von der Beobachtung ausgehend, dass das Becurrensfieber hauptsächlich 
die ärmere Bevölkerung Bosniens befällt, die in ihren unsauberen Behausungen 
von Ungeziefer fast buchstäblich aufgefressen wird, untersuchte er den Darm¬ 
inhalt von Wanzen, Läusen und Flohen. Er fand bei den beiden letzt- 

K nannten Thiergattungen nie Spirochäten; dagegen beobachtete er, dass die 
ateren sich im Darminhalt der Wanzen in Musen und oft zu Knäueln ver¬ 
schlungen finden und bis zu 80 Tagen beweglich erhalten. Er glaubt nun, dass 
dadurch, dass die Wanzen die Menschen beissen und in der Nähe der Bissstelle 
ihre Fäces deponiren, den in letzteren enthaltenen Spirochäten der Eintritt in 
die Blutbahnen des betreffenden Mensohen ermöglicht ist. 

So erklärt Verfasser auch die Beobachtung, dass bei der leichten Bauart 
der bosnischen Häuser die gebräuchliche Desinfektion, Streichen der Wände 
und Scheuern der FussbOden, nicht im 8tande ist, die Krankheit aus einem 
Hause, in dem einmal ein Fall von Becurrenstyphus vorgekommen ist, zu be¬ 
seitigen, da die Wanzen in ihren Schlupfwinkeln durch die Desinfektionsmittel 
nieht abgetOdtet werden. Nur energische Vertilgung dieser Thiere kann nach 
Ansicht des Verfassers der Weiterverbreitung der Krankheit Einhalt thun. 

Verfasser machte bei seinen Untersuchungen auch die Beobachtung, dass 
bewegliehe Spirochäten im Blute von Leuten, die vor 5—6 Woohen die Krank¬ 
heit überstanden hatten, in 1—2 Stunden ihre Beweglichkeit einbüssten und 
sich streckten (BakterioidieP), während sie sich im Blute von Kranken 4—6 
Tage beweglich erhalten; jene Eigenschaft verliert das Bekonvalenzenten-Blut 
aber schon nach ca. 4—6 Monaten nach dem Ablauf der Krankheit. Dem ent¬ 
spricht auoh das häufige Vorkommen von Neuerkrankungen an Becurrens schon 
nach 4 Monaten. Dr. Lents-Berlin. 


Upon a spinial method for the detection of the typhoid b&cillns 
in the olood. By Aldo Oastellani, M. D., Assistent, Medical Clinic, 
Fiorence. Front the Jenner Institute of Preventive Medicine, London. Ibidem. 

Castellani entnimmt zum Nachweis der Typhnabazillen in dem Blute den 
Patienten mehrere ocm Blut aus der Armvene — und vertheilt dieselben auf 
mehrere (5—6) KOlbohen, die 800 ocm schwachalkalischer Bouillon enthalten. 
Die Kölbchen kommen in den Brutschrank. So konnte er bei 12 von 14 Typhus¬ 
kranken die Bazillen nach weisen, die weiterhin ihr Wachsthum auf den ge¬ 
bräuchlichen Nährboden und die Agglutination als Typhusbasillen kennseich- 
neten. Die Bazillen wuchsen nicht Tn allen Kölbchen, oft nur in 1—2 von 6. 

Er machte bei seinen Untersuchungen die interessante Beobachtung, dass 
die Bazillen, wenn das Blut der Patienten Agglutinationsersoheinungen zeigte, 



KMam Mittheilnngca «ad Brfent« tu Zeitschriften. 


106 


lieht unter gleiehmlssiger Trübung der Bouillon, eondeni in Häufchen (Agglu¬ 
tination?) um Boden der Kölbohen wuchsen, wfthrend die Bouillon darttber 
klar blieb. _ Dr. Lenti-Berlin. 

Beitrag nur kulturellen Typhusdiagnose. Von Dr. Friedr. Krause, 
HUfsaeeistenten am Institute. Aus dem KönigL hygienischen Institut in Posen 
(Direktor: Medisinalrath Professor Dr. Wernieke). Mit 1 Tafel. Archiv 
L Hygiene; Bd. 44, Heft 1. 

Gelegentlich einer Nachprüfung des Weyl’sehen und Piorkowski’- 
ichen Typhusnthrbodens und daran sich ausohliessender weiterer Untersuchungen 
konstruirte Krause einen neuen N&hrboden, auf welchem der Typbus in ganz 
charakteristischer Weise wachsen soll. Dieser Nihrboden wird folgendermassen 
bereitet: 1 Theil gewöhnlichen 8proz. Peptonfleischwasseragars wird mit 2 
Thailen einer 20proz. Peptonfleisohwassergelatine, beide vom Koohsalsgehalt 
0,7—0,8 °/o, gemischt. Sodann wird in der Mischung durch Titration gegen 
Phenolphthalein ein Sfturegrad, welcher 0,27—0,8°/ 9 Milohs&ureazidit&t = 2,97 
bis 3,3*/» Normaliaugendefisit entspricht, hergesteilt. Sodann wird su der 
warmen Lösung 2,5 */» in möglichst wenig Wasser gelösten und flltrirten reinen 
Harnstoffs hinzugesetzt und sogleich, wfthrend der Kolben mit dem fertigen 
Nfthrboden auf dem Wasserbade verbleibt, zu je 10 ecm auf Röhrchen gefüllt. 
Letztere werden sodann noch ein Mal 15 Minuten lang in strömendem Dampf 
sterilisirt. 

Soll der Nfthrboden für den Gebrauch aufgesohmolzen werden, so empfiehlt 
es sieh, um die Zersetzung des Harnstoffes durch Hitze möglichst auf ein Mini¬ 
mum zu beschränken, die Röhrchen für 2—3 Minuten in kochendes Wasser zu 
stellen und dann in Wasser von 45° zu bringen. Sie werden dann in der üb¬ 
lichen Weise mit dem su untersuchenden Material beschickt und zu Platten 
ansgegossen. Wenn hier der Nfthrboden erstarrt ist, kommen die Platten in 
den Brutofen (87*). 

Nach 14—15 Stunden bildet der Typhus bereits Kolonien, die mit blossem 
Auge sichtbar sind. Mit etwa lOOfacher Vergrößerung erkennt man an den 
blassgrau gef&rbten, tiefliegenden Typhuskolonien die charakteristischen Aus- 
Uufer, wie sie Piorkowski für seine Harngelatine auch beschreibt. Dem 
gegenüber sind die tiefliegenden Kolonien des Bacterium coli grösser, dunkel¬ 
braun und von einem wie aus Glassplittern zusammengesetzt erscheinenden 
Hofe umgeben. Die oberflächlichen Kolonien verhalten sich wie auf gewöhn¬ 
licher Gelatine. 

Die tiefen, charakteristisch aussehenden Typhus-Kolonien werden abge- 
stoohen und weiter geprüft besonders mittelst der Agglutination mit einem 
hochwerthigen spezifischen Serum. Letzteres ist besonders nothwendig, da auch 
der Ruhrbacillus in dem Gelatine-Agar das gleiche Wachsthum zeigt wie der 
Typhosbacillus; ausser diesen bildete nur noch ein nach Gram f&rbbares Kurs- 
Stäbchen, das die Gelatine verflüssigt, ein ähnliches Wachsthum in dem Nähr¬ 
boden. Alle anderen untersuchten Bakterien, Kartoffelbacillus, Subtilis, Proteus, 
Zopfii, Milzbrand wachsen gftnslich anders. Bei Reinkulturen von Typhus und 
Coli und Gemischen von solchen konnte ersterer stets mit Sicherheit erkannt 
werden. Der Nfthrboden ist jedoch erst an einem Typhusstubl praktisch erprobt 
worden; auch hier ist die Isolirung prompt gelungen. Die beigefügten Ab¬ 
bildungen von Typhus- und Coli-Kolonien erlftutern die Angaben des Verfassers; 
sie lassen den Unterschied zwischen den beiden Arten sehr deutlich erkennen. 

_ Dr. Lents-Berlin. 

Zur Pathogenese des Typhus abdominalis. Von Dr. H. Schott- 
uüller-Hamburg (Eppendorfer Krankenhaus). Münchener mediz. Wochen¬ 
schrift; Nr. 38, 1902. 

Verfasser fand bei seinen bakteriologischen Blutuntersuchungen von 
Typknskranken in 50 Fftllen des Jahres 1899 40 mal = 80 */», in 69 Fällen 
des Jahres 1900 58 mal = 84 */» und in 101 Fftllen des Jahres 1901/02 84 mal 
— 84°/» der Fälle im Blute der Kranken intra vitam Typhus¬ 
bazillen. 

Die Blutuntersuchungen wurden bei allen Typhuskranken nach der nfther 
beschriebenen Methode in den ersten 12 Stunden nach erfolgter Aufnahme der 
Kranken vorgenommen. 



106 


Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Als Ergebniss der vom Verfasser mitgetheilten Untersuchungsbefunde 
steht für ihn zunächst der hohe diagnostische Werth der Blntnntersnchnng 
aasser allem Zweifel und dürfte derselbe an Zuverlässigkeit von keiner anderen 
Methode (s. B. der Gruber- Widal’schen Seramreaktion) erreicht werden. 
Wir haben darin ein Mittel, in einem sehr hohen Prosentsats der F&lle and 
namentlich in einem sehr frühen Stadium .der Krankheit den Erreger 
derselben innerhalb von ca. 24—80 Standen mit derartiger Sicherheit nachzu- 
weisen, dass eine negatiTe bakteriologische Blntantersnchong bei hocbfiebernden 
and schwerkranken Patienten, bei dem klinische Symptome eine sichere Dia¬ 
gnose nicht stellen lassen, die Annahme eines Typhus so gut wie ausschliesst. 

Es ist ans aber in der Blatplattenknltur nicht nar ein diagnostisches, 
sondern aach ein prognostisches Mittel an die Hand gegeben, insofern eine 
absolut niedrige Keimzahl während der Akme die Anssicht auf Abfall des 
Fiebers bietet, während amgekehrt hohe Zahlen m e i s t ein schweres Krankheits¬ 
bild begleiten. Diese Untersachungsergebnisse sind aach dazu angethan, in 
gewisser Weise unsere Anschauungen über die Pathologie des Typhas za be¬ 
einflussen bezw. za stützen. Bisher meinte man vielfach, dass sich die Typhus* 
bazillen zunächst im Lymphapparat des DarmeB ansiedeln and sich dort der 
Krankheitsprozess zunächst and zur Hauptsache abspielt. Von hier ans finde 
dann eine Weiterbeförderung der Bazillen anf dem Blatwege in andere Organe 
statt. Angesichts der Beobachtungen des Verfassers, welche darthun, dass die 
Bazillen vom ersten Fiebertage ab and während der ganzen Fieberdauer zum 
Theil in recht erheblioher Menge im Blate kreisen, dass insbesondere die Fieber- 
schwankungen von einem Steigen resp. Fallen der Keimmengen im Blate be¬ 
gleitet werden (hohe Zahlen während der Continua, niedrige im amphibolen 
Stadium, Wiederauf treten der Keime bei ephemeren Temperatarsteigerangen etc.), 
in Anbetracht dieser Thatsachen glaubt Verfasser, dass das Krankheitsbild, 
speziell das Fieber bei Typhas dnrah die Anwesenheit der Bazillen im Blot, 
dem für bakterielle Gifte empfindlichsten Organe des Körpers sehr wesentlich 
beeinflusst, wenn nicht beherrscht wird. Dieser Auffassung za Folge sind zum 
Bilde des Typhas die Darmveränderungen nicht unbedingt erforderlich, and 
kann in dieser Affektion nicht der Hanptkrankheitsherd gesehen werden, wozu 
noch kommt, dass die Ausdehnung and Zahl der Darmgeschwüre ganz unab¬ 
hängig ist von der Schwere des Falles. 

Verfasser nimmt also an, dass Typhusbazillen an irgend einer Stelle 
des Magendarmtraktas in die Darmwand eindringen und sich dort in den Lymph- 
gefässen an der Eingangspforte vermehren. Von da aus findet dann eine 
Weiterverbreitang der pathogenen Mikroorganismen in die abführenden grösseren 
Lymphbahnen and die zugehörigen Lymphdrüsen statt. Man kann sich nun 
vorstellen, dass in einzelnen Fällen der Krankheitsprosess in dem bezeichneten 
Gebiete lokalisirt und bald zar Heilnng kommt, genaa so wie eine Strepto- 
kokken-Lymphangitis an äasseren Theilen des Körpers heilen kann, ehe sie zn 
einer Blatinfektion führt Damit wäre eine Erklärung für die Abortivfälle 
des Typhas gegeben. In den meisten Fällen aber schreitet die Krankheit 
fort und für diese dürfte die bisherige lokale Entwicklung des Leidens das 
Stadiam der Inkubation des klinischen Krankl eitsbildea bedeuten. Es erfolgt 
nämlich, wenn die Krankheitsparasiten den schützenden Wall der Mesenterial¬ 
drüsen überwanden haben, eine Infektion des grossen Lymphstammes and, da¬ 
mit des Blates, gerade wie bei septischen Erkrankungen nach Wundinfektion 
von neaem lymphangitischen oder thrombophlebitischen Herd aas eine Ein¬ 
schwemmung von Streptokken in’s Blat eintritt. Mit dem Blatatrom gelangen 
die spezifischen Erreger in die verschiedenen Organe, am dort entweder mehr 
oder weniger charakteristische Erscheinungen hervorzurufen oder nur deponirt 
zu werden. Auf diese Weise sind die Entstehung der Roseolen und Ent¬ 
zündungsherde im Knochenmark, sowie in den Follikulargebilden des Darmes 
(gleichsam als Metastasen) za erklären. 

Die Frage, ob bei Typhaskranken eine Vermehrung der Erreger im Blote 
selbst intra vitam (eine postmortale konnte Verfasser öfters nachweiBen) statt- 
flndet, oder ob nar während der Fieberperiode eine beständige Einschwemmung 
von den Lymphbahnen erfolgt, konnte Verfasser nicht entscheiden; er hält 
das letztere für wahrscheinlicher. Dr. Waibei-Kempten. 



KUatn MHtbeilungeo «ad Referate aas Zeitschriften. 


107 


Die Verbreitung des Typhus durch Milch. Von Oberamtearat Dr. 
Be mb old. Württembergisches Media.- Korrespondeneblatt; 1902, Nr. 89 u. 40. 

Unsere bisherigen Kenntnisse Aber die Bedeutung der Milch und des 
Milehumsatsea für die Verbreitung des Unterleibstyphus erfahren durch den 
▼«stehenden Artikel nach einer bisher unbekannt oder unbeachtet gebliebenen 
Seite eine wesentliche Ergänzung nnd Vervollständigung. Bicken und der 
Referent kannten nur kleinere Milcbwirthschaften und Sammelmölkereien (sei 
es für den Vertrieb von Milch, sei es für die Gewinnung der Butter), und auch 
Löffler und Behla (s. nachstehend) haben nichts darüber gebracht, dass 
noch ein anderer Gewerbebetrieb hierfür in Betracht zu ziehen ist, wie uns 
Bembold nachweist, nämlich die Käserei. Ich weise nicht, ob die Käserei 
auch anderorts eine grössere Bolle spielt, insbesondere ob auch in Norddeutsch¬ 
land; in Süddeutschland kommt sie jedenfalls in Betracht, und es verlohnt ent¬ 
schieden, Bembold’s Erfahrungen und Beobachtungen auch einem weiteren 
Kreise zu vermitteln. 

Bembold hat die Bedeutung dieser Käsereien für den Typhus aus einer 
sehr beweiskräftigen Epidemie kennen gelernt, die in der Gemeinde Arnach im 
Aehthale im Frühjahr 1899 auftrat und bis Ende 1900 anbielt. Von 112 Einwoh¬ 
nern sind 48 Personen erkrankt und 8 gestorben. Der schleppende Verlauf der Epi¬ 
demie hatte Anfangs ihre Bedeutung und ihre Ursache nicht deutlich erkennen 
lassen; es war einige Zeit unmöglich, auf schwankende Vermuthungen hin energische 
und für den Wohlstand und das Einkommen der Dörfler tief einschneidende 
Maasregeln zu beschliessen und durchsuführen; schliesslich schwanden die letzten 
Bedenken, und die verdächtigte Käserei wurde geschlossen. Als damit aber 
die Erkrankungen aufhörten, und jüs so das Experiment die Richtigkeit der 
gehegten Erwägungen bestätigt hatte, lenkte sich die Aufmerksamkeit allgemein 
den Käsereien zu. Und davon sei nach Bembold etwas mitgetheilt: 

Der Verfasser schreibt: »Im Allgäu und in den angrenzenden Bezirken 
des württembergischen Oberlandes hat sich die Landwirtschaft in den letzten 
Jahrzehnten der besser rentirenden Milchwirtschaft zugewandt. In jeder Ge¬ 
meinde wurden eine oder mehrere (je nach Parzellirung) Käsereien eingerichtet, 
teils von einseinen Unternehmern, teils von Genossenschaften. — In diesen 
Käsereien werden Butter und sogen. Backsteinkäse bereitet, die Magermilch 
und das übrigbleibende Käsewasser gehört den Milchlieferanten und wird von 
diesen wieder aus den Käsereien abgeholt und zu Schweinefutter verwendet.* 
Bern bold vermutet, dass ähnliche Verhältnisse mit verhältnissmässigem Klein¬ 
betrieb noch in vielen Gegenden Deutschlands zu finden seien. 

Die Schilderung lässt klar erkennen, dass alle die Punkte, die bisher als 
für die Typhusübertragnng durch Milch richtig festgestellt worden sind, auch 
hier vorhanden sind: Die Milch wird aus mehreren kleinen Einzelbetrieben 
(Höfen, Häusern) zusammengebracht, hier, d. h. im Mittelpunkte der Genossen¬ 
schaft besw. des Einzelunternehmers, gesammelt; die für den jeweiligen Zweck 
(Gewinnung von Butter oder von Käse) gewünschten Bestandteile der Milch 
werden surfiekbehalten, die übrig bleibende Magermilch aber gelangt an die 
MUchlieferanten zurück. Es findet sich bei den Käsereien also dieselbe Mög¬ 
lichkeit wie bei den Molkereien, dass von einem ersten Hause die ganze Milch 
an der Zentrale mit Typhuskeimen durchsetzt wird, so in die Häuser der Ge¬ 
nossen zurückgelangt und hier die Gefahr bietet, neue Typhuserkrankungen zu 
erzeogen, so bald wie sie nicht nur als Viehfutter dient, sondern auch einmal 
ungekocht von Menschen genossen wird. Dass dies auch in Arnach stattge¬ 
funden hat, und wie es Bembold hat nachweisen können, ist Wer nebensächlich. 

Die Aehnlichkeit der bisher beschriebenen Molkerei - Epidemien mit der 
Arnacher Käserei-Epidemie erstreckt sich auch noch darauf, dass nichts davon 
bekannt geworden ist, dass die in der Zentrale gewonnenen Produkte eben¬ 
falls Typhuserkrankungen verursacht hätten. Es ist ja ungemein schwierig, 
wenn nicht unmöglich, den Butter- und Käsesendungen nacbzuspttren, wenn sie 
erst einmal in den Handel gelangt sind und sich nun weit und breit zerstreut 
haben. Anderseits ist es aber auch bemerkenswert):, dass m. W. noch nirgends 
Feststellungen erhoben sind, wonach Typhusfälle, etwa in Gressstädten, auf 
solche Molkerei- und Käserei - Produkte, wie Butter und Käse zurückzuführen 
gewesen seien. Es wäre von Werth, wenn der Frage einmal entschieden nach- 
gegangen würde, ob die Typhusbazillen, wie Bembold vermuthet, bei der 
Zeatrifugirung in der Magermilch bleiben und gar nicht in die spezifisch leich- 



108 


Kleinere MittheUungen und Bahnte ui Zeitsehrilten. 


teren Fett - Ausscheidungen gelangen, oder oh eie in der Butter und im Klee 
untergeben, oder doch unschädlich werden, oder — ob doch eine gewisse Gefahr 
bestehen bleibt. 

Es würde in weit führen, hier noeh auf die Bedenken Rembold’s 
gegen die allgemein zwangsweise einsuführende Pastenrisirung der in derartige 
Muohzentralen gelangenden Uileh einzngehen. Diese Frage ist noeh nicht reif, 
wie es aneh ans den Darlegungen B e h 1 a ’ s in dem Elin. Jabrbnehe hervor¬ 
geht ; sie ist aber in Fluss gebracht und wird insbesondere aneh noch von den 
Technikern eingehend geprüft, insofern als die Beschaffung zuverlässiger, zu¬ 
gleich aber auch einfacher und billig arbeitender Apparate hierbei eine sehr 
wichtige Bolle spielt. 

In einem Punkte unterscheiden sich die Käsereien nach Rembold sehr 
wesentlich von unseren Genossenschafts-Molkereien: sie sind fast durchweg 
ganz ausserordentlich primitiv angelegt und grOsstentheils anscheinend, mit 
Verlaub zu sagen, unaussprechlich unappetitlich, weil unreinlich und übelduftend, 
benachbart mit Düngergruben und räumlich identisch mit Schlafstuben oder 
Viehställen. Dies ist aber ein Kapitel, das nur Örtliches Interesse hat und 
dem zuständigen Medizinalbeamten, sei es in Nord- oder Süddeutschland, ein 
dankbares Gebiet für belehrende und eventuell auoh energisch einscbreitende 
Thätigkeit bietet. 

Das, was mir das wichtigste schien, ist die Erweiterung unserer Kennt¬ 
nisse, die uns Bembold auf dem bedeutungsvollen Gebiete der Typhus Ver¬ 
breitung durch den Milchverkehr gebracht hat. Und dafür wird ihm jeder 
Dank wissen. Dr. Schlechtendal-Aachen. 


Die Sammelmolkereien als Typhusyerbreiter. Von Med.-Rath Dr. 

R. B e h 1 a. Klinisches Jahrbuch; 10. Band. Jena 1902. Verlag von G. F i s ch e r. 

Die an 60 Seiten lange Arbeit B e h 1 a ’ s bedeutet eine erfreuliche Bereiche¬ 
rung der Litteratur dieses in den letzten Jahren so schnell grossgewordenen Son¬ 
dergebietes. Von den 16 Abschnitten schliessen sich einige, wie dies nicht zu 
umgehen war, dem Aufsatze des Referenten im Wesentlichen an. Das besondere 
Verdienst Behla’s beruht dagegen einmal in der Anführung einer recht 
umfangreichen Reihe von Veröffentlichungen nnd Aufsätzen und sodann darin, 
dass er sich eingehend mit der Frage beschäftigt, ob und wie eine Sterilisirung 
bezw. Pastenrisirung der gesammten Vollmilch In den Sammelmolkereien duroh- 
zuführen sei. Dass die Einführung der obligatorischen Pastenrisirung hier 
.ein baldiges dringendes Postulat“ ist, wird jedem klar, der sich mit dieser 
Frage beschäftigt und der verfolgt, wie stets wieder neue Typhusepidemien 
festgestellt werden, die durch Sammelmolkereien entstanden sind; auch Behla 
bringt hierfür einen neuen Beleg, indem er eine von ihm beobachtete Epidemie 
im Gebiete der Dobrilugker Molkerei (Juli bis Dezbr. 1901; 47 Erkrankungen 
in 82 Haushaltungen; 2Ö°/o Mortalität) schildert. Es stehen leider aber viel¬ 
fach nooh technische und wirtschaftliche Bedenken entgegen. Die technischen 
Bedenken beruhen im Wesentlichen darin, dass es noch nicht gewiss ist, ob 
die „im kleinen betreffs AbtOdtung der Keime mit Erfolg nnternommenen Ex¬ 
perimente auch im grossen bei der Gesammtmilch in Molkereien durchführbar 
sind, und ob letzteres geschehen könne, ohne die Qualität der Milchprodukte 
in schädigender Weise zu beeinflussen.“ Es schliessen sich weiter die Fragen 
an: „soll man niedrige Temperaturen länger oder hohe Temperaturen kürzer 
anwenden P Welcher Grad der Erhitzung kann angewendet werden, ohne dass 
die Milch in Farbe, Geruch und Geschmack geschädigt wirdP Bietet die Tem¬ 
peratur von 85° einen Grenzpunkt, über den man nicht hinausgehen kann, 
Uber den man aber auch nicht hinauszugehen brauchtP“ Behla verweist 
dieserhalb theils auf die Untersuchungen Weigmanns (Milchzeitung 1901, 
Nr. 27—28 u. s. w.), theils auf die zur Zeit wohl massgebendste Arbeit von 
Tjaden, Koske nnd Hertel: „Zur Frage der Erhitzung der Milch mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Molkereien“, die vom Minister der Landwirt¬ 
schaft angeregt ist und auf experimentellen Prüfungen des' 1 Kaiserlichen 
Gesundheitsamtes beruht in dessen Veröffentlichungen (Bd. XVTIT, Heft 2, 

S. 219) zum Abdruck gelangte. Nach diesen Forschungen stehen allerdings 
technische Bedenken nicht mehr entgegen. Die Erhitzung anf 90 0 stOsst nach 
Behla aber auoh nicht auf wirtschaftliche Hindernisse, namentlich wenn 



Heiser* WttkeUagn und Betest* ibi Zeitschriften. 


109 


die Milch nach auf 90 0 erhitst und darauf sofort wieder abgekühlt wird. 
Weder Milch, noch Bahm erfahren eine uenneswerthe Geschmacksänderung; die 
Butter ist nach Qualität und Qantitit gut; nur die Eisegewinnung ist er¬ 
sehwert. Es ist aber klar, dass es nicht nur auf die Apparate ankommt, 
sondern auch auf die Art, wie Bie bedient werden n. s. w. Und so gelangt 
Behla im Schlusswort su 15 Schlussfttsen, deren Beachtung und baldige Durch- 
ftkrung allerdings allgemein gewünscht werden muss. 

Leider liegen in der Praxis die Verhältnisse nicht gans so günstig. 
Einmal bedeutet die Anschaffung und Inbetriebhaltung eines guten Pasteuriair- 
separates für manche kleine Molkerei eine so starke Belastung, dass der 
Bestand ernstlich in Frage gestellt wird. Und dann hapert es auch bei guten 
Apparaten noch leicht; so soll es s. B. umöglich sein, Milch, die auf längerem 
Transporte schon leicht angesäuert ist, in den Apparat einsulassen, ohne eine 
allgemeine Gerinnung herbeizuführen. Immerhin dürfen wir uns freuen, dass 
wir dem Ziele der obligatorischen Pasteurisirung beträchtlich näher ge¬ 
kommen sind. Dr. Schleehtendal-Aachen. 


Fleisch vergiften g und Typhus. Von Prof. E. Levy und Dr. Erwin 
Jaeobsthal. Aus dem hygienischen Institut der Universität Strassburg. 
Archiv f. Hvg.; Bd. 44, H. 2. 

Die Verfasser fanden in einem Milsabssess bei einer Kuh, die auf dem 
Behlachthof in Strassburg geschlachtet worden war, Kursstäbehen, die sie so¬ 
wohl durch das Kulturverfabren, als auch durch die Agglutination mit einem 
hochwerthigen künstlichen Typhusserum als echte Typhusbazillen identifisiren 
konnten. Da somit der Nachweis erbracht worden ist, dass der Typhnsbaeillus 
Krankheiten bei unserem Schlachtvieh hervorrufen kann, so halten sich Ver¬ 
fasser zu der Vermuthung berechtigt, dass Erkrankungen von Menschen an 
Fleischvergiftung unter dem Bilde von Typhus abdominalis in Wahrheit echte 
Typhen sind, und dass die bekannten und viel besprochenen Epidemien von 
Fleischvergiftung zu Birmensdorf, Würenlos, Andelfingen und Kloten auf den 
Qeauss von Fleisch solcher Thiere zurttckzuführen sein dürften, die an einer 
Infektion mit echten Typhusbazillen gelitten hatten. Wie die Bazillen in den 
Thierkörper gelangen können, lässt sich heute noch nicht entscheiden; bei 
Ulbern kann nach Ansicht der Verfasser die Nabelwunde die Eintrittspforte 
ftr die Bazillen bieten. 

Auch den sogenannten ParatyphusbasiUen, auf welche Kurth und 
Sehottmüller als Ursache typhusähnlicher Erkrankungen beim Mensehen 
aufmerksam gemacht haben, vindiziren die Verfasser eine ähnliche Bolle bei 
der Entstehung von Fleischvergiftungen. Dr. Lents-Berlin. 


Eine Endemie von Paratyphns. Von F. M. G. de Feyfers, prakt. 
Arzt in Eibergen (Holland) und Dr. med. H. Kayser, I. Assistent am 
hygienischen Institut in Strassburg. Münchener mediz. Wochenschrift; Nr. 41 
ud 42. 1902. 

Bei der hohen Bedeutung, welche die erst kurz aufgerollte Paratyphus- 
frage für den Kliniker, Bakteriologen und Hygieniker hat, können es die 
Verfasser nicht unterlassen, über die klinischen und bakteriologischen Beob¬ 
achtungen und Erscheinungen mehrerer derartiger Krankheitsfälle zu berichten, 
wie sie auch des Weiteren die eventuellen Verbreitungswege in den Kreis der 
Erörterungen ziehen wollen. Zunächst werden die Krankheitsschilderungen 
von 18 Fällen durch de Feyfer's gegeben, welcher sich resummirend dahin 
lassert, dass man es mit einer in Eibergen beobachteten Paratyphusendemie 
m thun habe mit folgendem Charakter- bezw. Symptomenbilde: 

1. ein knrzes Prodromalstadium von 1—4 Tagen mit unregel- 
■Issigen Temperaturateigerungen (nicht höher als 88° C.), Appetitlosigkeit, 
Kopf- Bücken- nnd Gliederschmerzen; 

2. gutartiger Verlauf, kurze Bekonvaleszenz, die Patienten 
werden nicht viel von der Krankheit mitgenommen; 

8. akut-infektiöser Charakter mit leichter Uebertragbarkeit 
uf die Umgebung des Patienten; 

4. typische Temperaturkurve mit theils remittirendem, theiP 
iatermittirendem Fieberstadium und bisweilen kritischem Abfall; 



110 


Kleiner« UttheilufM aed Referate ui Zeitschriften. 


6. die Pulsfrequenz entsprechend der Temperaturhöhe; 

6. am Traetne Intestinalis wird manehmal im Krankheitsbeginn 
Vomitns and Magengarren (Borborygmus) wahrgenommen, dann belegte 
Zange, manchmal Bauchschmerzen, stets ein lleocoecalgeräuseh; Mil« manchmal 
vergrößert, fast immer starker Darehfall (gelb and stark riechend); Urin 
stark saaer, meist eiweissfrei and mit positiver Diazoreaktion and starkem 
Indikangehalt; 

7. das Sensorinm meist frei; 

8. Boseoien in der Hälfte der Falle; 

9. das Blatseram der Patienten in allen daraufhin untersuchten 
Fallen die Par&typhusbazillen des Typhös B agglatinirend; 

10. häufige Komplikation mit Bronchitis; 

11. häufige Angina im Beginn der Erkrankung; 

. 12. leichte Darmblutungen spärlich vorkommend. 

Die Benennung der Krankheit als „Paratyphus“ wurde von Schott* 
mflller erstmals gebraucht, welcher 2 Arten unterschied, die von Brion 
und Kayser als Typhus A und Typhus B beseichnet wurden. (MBnchener 
medis. Wochenschrift; Nr. 15. 1902). 

Es folgen nun genauere Mittheilungen über die bakteriologischen Ver¬ 
hältnisse der Krankheitserreger des Paratyphus, sowie differentialdiagnostisohe 
Erörterungen im Verhältnisse zum Abdominaltyphus, zu der typhösen Form 
der Iufluensa und zu den Catarrhus gastro-intestinalis (mit und ohne Fieber). 
Nachdem noch kurz auf die verschiedenen Infektionskrankheiten durch flüssige 
Milchprodukte, Butter und Trinkwasser hingewiesen und konstatirt wird, dass 
die Paratyphen nicht so selten Vorkommen, indem unter 180 vorher als Typhen 
geltenden Füllen 12 Paratyphen = 6,6 °/ 0 festgestellt wurden, kommen die 
Verfasser zu dem Besaitete, dass im Paratyphus offenbar eine weit¬ 
verbreitete, typhusähnliche, akute Infektionskrankheit 
vorliegt, weiche unter ähnlichen ursächlichen Verhältnissen, 
wie der Typhus, epidemieartig auftreten kann, dass die 
bisher beobachteten Fälle gutartig verliefen, dass ferner der 
Paratyphus hygienisch sanitär wie der Abdominaltyphus be¬ 
handelt werden muss, dass endlich der Schwerpunkt der Dia¬ 
gnose anf die bakteriologische Untersuchung undden Agglu¬ 
tinationsversuch und nicht auf die klinischen Beobachtungen 
allein zu legen sei. _ Dr. W a i b e 1 - Kempten. 


Ueber eine unter dem Bilde des Typhus verlaufende, durch einen 
besonderen Erreger bedingte Epidemie. Von Dr. fl. Conradi, Stabsarzt 
Dr. W. ▼. Drigalski und Stabsarzt Dr. 0. Jürgens. Aus dem Institut 
für Infektionskrankheiten in Berlin. Zeitschrift für Hygiene und Infektions¬ 
krankheiten ; 1902. 

Die Verfasser beschreiben eine Epidemie von typhusähnlichen Erkrankungen 
und den dabei festgestellten Bacillus, der mit dem von Kurth beschriebenen 
Bicillos bremensis febris gastricae identisch ist. Die Krankheitsfälle ereig¬ 
neten sich Anfang 1902 beim zweiten Bataillon des Infanterie - Begimeut Nr. 70 
in Saarbrücken und betrafen 38 Mann desselben. Die bakteriologische Unter¬ 
suchung erstreckte sich auf Urin, Fäces und Boseoien und ergab 28 Mal die 
als „Saarbrückener Stäbchen“ bezeichneten Bazillen. In den verbleibenden 
15 negativen Fällen wurde überhaupt nicht oder ungenügend bezw. nach Ab- 
laaf der Krankheit bakteriologisch untersucht. Typbusbasillen konnten in 
keinem Falle nachgewiesen werden. Die Serumreaktion wurde sowohl auf 
Typhnsbazillen, als auch später auf die isolirten Saarbrückener Stäbchen vor- 
genommon; sie hatte bei ersteren unter 30 Fällen 26 Mal positiven Ausfall 
(1:100), bei letzteren war sie immer positiv (1:100 und höher). Vergleichende 
Untersuchungen, die sodann mit dem aufgefnndenen Bacillus und den von 
Kurth und Schottmüller bei typhusähnlichen Erkrankungen nacbgewiesenen 
angestellt worden, ergaben völlige Uebereinstimmung in morphologischer und 
biologischer Beziehung, dagegen war eine solche nicht vorhanden mit dem von 
Gärtner beschriebenen Bacillus enteritidis, der auf Saarbrückener Immun- 
serum nicht reagirte und auch sonst ein abweichendes Verhalten zeigte. Sehr 
interessant ist, dass auch Typhus -Immunserum den Saarbrückener Bacillus und 



Tagesnaohriehten. 


111 


die als identisch festgestellten Formen agglntinirt nnd zwar noch in Ver* 
Mannng 1: 600, während allerdings Saarbrückener Immnnsernm noch in Ver¬ 
dünnung 1: 9000 Agglutination herbeifübrte. Aehnlicb, nur umgekehrt ist das 
Verhältnis» bei der Einwirkung beider Sera auf Typhus bazillen; ähnlich sind 
auch die Besaitete, wenn statt Immunserams Krankenserum verwendet wird. 
Gesaae tabellarische Uebersichten veranschaulichen die gewonnenen Resultate 
der vielseitigen Untersuchungen. Klinisch verliefen die Fälle nnter Mils¬ 
sehwellung und Boseoien, der Beginn war ziemlich akut, das Fieber mässig 
koch; das sonstige Verhalten des Kranken „dem Status typhosus“ entsprechend, 
aber meist ebenso schnell wie der Anfang, war auch die Wendung zum Besseren. 
Mmmtliche Fälle gingen in Genesung Ober. 

Was die Aetiologie der Kasernen-Epidemie betrifft, so ergab sich, dass 
die technische Möglichkeit einer Verunreinigung der Wasserleitung von einem 
üpülkloset aus vorlag. Näheres darüber wird später veröffentlicht werden. 
Vorgenommene Wasseruntersuchnngen waren negativ, jedoch waren die Aus¬ 
sichten auf positives Resultat nur sehr gering, wegen sofort eingeleiteter Durch¬ 
spülung des verdächtigen Rohrnetzes. 

Die interessante Arbeit ist von Neuem ein Beleg dafür, wie wichtig es 
ist, bei vorhandenem Typhus verdacht sich nicht mit der Serumprobe auf Typhus¬ 
bazillen zu begnügen, auch bei etwaigem positiven Ausfall derselben nicht, 
sondern in allen Fällen auch die Reaktion des Blutes auf die hier wieder als 
Krankheitsursache festgestellten Stäbchen zu prüfen. Dementsprechend werden 
im bakteriologischen Institut zu Bremen bereits seit einem halben Jahre alle 
sur Vornahme der Widal’sehen Reaktion übersandten Blutproben in Bezug 
auf ihr Verhalten sowohl zum Bae. Typhi, als auch zum Bac. Bremens« einer 
Untersuchung unterzogen. _ Dr. Büsing-Bremen. 


Tagesnachrichton. 

Daa preussische Medizinalwesen in dem Staatshaushalts-Etat 
1903/1904. Wie bei der ungünstigen allgemeinen Finanzlage vornusznaehen 
war, bringt der neue Etat verhältnissmässig wenig Aenderungen; gleichwohl 
weist er trotz der durch die Verhältnisse bedingten Sparsamkeit immerhin 
einen Fortschritt auf, ein günstiges Prognostikum für die Zeiten, in denen 
dem Staate wieder mehr Geldmittel zur Verfügung stehen. In der Zentral¬ 
instans ist zunächst die Stelle eines vierten Ministerialdirektors vorge¬ 
sehen; es heisst dazu im Etat: „Die ausserordentliche Entwicklung der preussi- 
sehen Sanitäts- und Medizinalverwaltung hatte es schon seit einiger Zeit erfor¬ 
derlich gemacht, die Leitung der Medizinalabtheilung des Ministeriums, welche 
früher von dem Unterstaatssekretär, später von einem der Medizinaldirektoren 
wahrgeuommen war, einem besonderen Dirigenten zu übertragen, so dass wesent¬ 
lich 4 Abtheilungen gebildet sind: eine für die geistlichen Angelegenheiten, 
zwei für die Unterrichts-Angelegenheiten und eine für die Medizinal-Angelegen* 
beiten. Als im Frühjahr 1902 der Direktor der 2. Unterrichtsabtheilung aus 
dem Ministerium aasschied, erschien es angezeigt, den Dirigenten der Medi- 
sinalabtheilung zum Direktor dieser Abtheilung zu ernennen und unter ander¬ 
weiten Verschiebungen der geistlichen Abtheilung einem Dirigenten zu unter¬ 
stellen. Der grosse Umfang des Ministeriums rechtfertigt aber dauernd die 
Bildung von 4 Abteilungen mit 4 Ministerialdirektoren; es wird deshalb 
Torgeschlagen, die Stelle eines Vortragenden Rathes in die Stelle eines Ministerial¬ 
direktors umzuwandeln, und diesem die geistliche Abteilung zu übertragen.“ 

Im Uebrigen ist die Organisation des Medizinalwescns in der Zentral- 
iastanz ebenso wie in der Provinzialinstanz unverändert geblieben, eine zeit- 
gemässere Reform des Provinzial-Medizinalkollegiums demzufolge 
bis auf Weiteres verschoben. Dagegen lässt Bich aus den inzwischen in der 
Bezirksinstanz bei den Regierungen in Gumbinnen, Potsdam 
and Münster eingerichteten und den zuständigen Regierungs- und Medisinal- 
räthen bereitgestellten bakteriologisch-hygienischen Instituten 
die berechtigte Hoffnung hegen, dass auf diesem Wege fortgefahren wird. Auch 
die Schaffung von neuen Kreisarzt - Assistenten in Hannover, Cassel nnd Trier, 
deren Inhaber nötigenfalls die zuständigen Regierungs- und Medizinal- 
rtthe unterstützen sollen, lässt daraus scbliessen, dass beabsichtigt wird, 



112 


Tufnitflhritbtti 


allmählich m Jedem Sitze der Regierung einen Kreiaernt oder einen Kreisarst- 
Assistenten als Hülfsar beiter des Regierungs- and Medizinalraths vorzusehen; 
sind doch jetzt schon bei 7 Regierungen vollbesoldete Kreisärzte and bei 
12 anderen Kreisarzt-Assistenten angestellt, von denen allerdings die letzteren 
nicht überall ansscblieeslieh dem Begiernngs- and Medizinalrath als Hfllfskraft 
beigeordnet sind. 

Die Zahl der Tollbesoldeten Kreisärzte ist im Etat am 4 (2 in 
Berlin, je 1 in Bixdorf and Magdeburg) vermehrt nnd beträgt jetzt mit den 
Hilfsarbeitern bei den Begiernngen 29 = 5,8 */• der Qesammtzahl; die Zahl 
der Kreisarzt-Assistenten ist anf 36 (-f- 3) gestiegen, diejenige der 
Qeriohtsärzte anf 14 (— 1) gesunken, da sich die gerichtsärztlichen Ge¬ 
schäfte im Stadt- nnd Landkreise Bochum derart gering erwiesen haben, dam 
sich eine besondere Gerichtsarztstelle hier erübrigt. Nach diesen Erfahrungen 
wird man wohl künftighin mit der Schaffung weiterer derartiger Stellen sehr 
vorsichtig an Werke gehen. 

Die Geaammtsnmme der dauernden Ansgaben für das Medi- 
zinalwesen weist gegen das Vorjahr ein Mehr von 215705 M. anf, das aller¬ 
dings fast ausschliesslich anf Rechnung des Charitfe-Krankenbansee (177 902 M.) 
und der Versuchs- nnd Prüfnngsanstalt für die Zwecke der WasserVersorgung 
and Abwässerbeseitigang in Berlin (30620 M.) fällt. 

Die jetzt vorhandene grosse Fürsorge für das Öffentliche Gesundheits¬ 
wesen tritt jedoch ebenso wie im Vorjahre besonders im Extraordinarinm 
hervor, das sich allerdings um 89100 M. niedriger als im Vorjahre stellt, 
aber doch die staatliche Hohe von 997900 M. erreicht (die Kosten für 
die Universitätskliniken nnd Charit^ - Neubauten ansgeschlossen). Besonders 
erfreulich ist es, dass wiederum ein Betrag von 26 000 M. für die Abhaltung von 
dreiwöchigen Fortbildungskursen für 50 Medisinalbeamte in den Etat ein¬ 
gestellt ist, dass jetzt ausser in Benthen auch in Saarbrücken die Errichtung 
einer hygienischen Station vorgesehen nnd der Betrag für praktische 
Versuche zur Bekämpfung des Typhus von 20000 M. anf 80000 M. 
erhöht ist. Ebenso sind für Bekämpfung der Granulöse, Krebsfor¬ 
schung, Untersuchungen der Maul-and Klauenseuche die gleichen 
namhaften Beträge wie im Vorjahre eingestellt; in anerkennenBwertber Weise 
hat sich die Fürsorge auch auf die gerichtsärztlichen Universitäts¬ 
institute erstreokt, die mit den zum Unterricht erforderlichen Instrumenten 
und Apparaten in ausreichender Weise aasgestattet werden sollen. 

Die einzelnen Positionen des Medizinaletats ergeben sich ans der 
nachstehenden Zusammenstellung: 

A. Dauernde Ausgaben. 

1. Besoldung von 38 Mitgliedern (600—1200 M. and 86 
Assessoren (600—1050 M. der Provinzial-Medizinalkollegien 58955,— M. 

2. Besoldung von 36 Begiernngs- und Medizinalräthen mit 
4200—7200 M., nnd von 1 Begiernngs- and Medizinalrath 

mit 1200 M. 207600,— „ *) 

3. Besoldung von 7 vollbesoldeten Kreisärzten als ständige 
Httlfsarbeiter bei den Regierungen in Königsberg, Gumbinnen, 

Potsdam, Breslau, Oppeln, Arnsberg and Düsseldorf (mit 

8600-5700 M.). 38400,— „ *) 

4. Besoldung von 22 vollbesoldeten Kreisärzten (3600—5700M.) 106900,— „ *) 

5. Besoldung von 478 nicht vollbesoldeten Kreisärzten (darunter 


*) Mehr: 8000 M. nach Massgabe des Dienstalters der Begiernngs- and 
Medizinalräthe. 

*) Mehr: 6600 M. nach Massgabe des Dienstalters der Kreisärzte. 

*) Mehr: 16100 M. and zwar 1700 M. nach Massgabe des Dienstalters 
der Kreisärzte nnd 14400 M. für 4 vollbesoldete des Stadtkreises Berlin (2), 
des Stadtkreises Bixdorf (1), des Stadtkreises Magdeburg (1) (je 3600 M. 
Mindestgehalt). Die Mehrforderung wird wie folgt begründet: „Die Verhält¬ 
nisse in Berlin lassen es geboten erscheinen, die Kreisärzte unabhängig von 
ärztlicher Privatpraxis zu stellen. Es sollen deshalb die Kreisarztstellen für 
Berlin nach and nach zu voll besoldeten erhoben werden. Zunächst, ist die 
Umwandlung von 2 nicht vollbesoldeten in vollbesoldete vorgesehen. Da sich 
die Amtsbezirke für die vollbesoldeten gegen die bisherigen Bezirke nicht nn- 





Tagesnachrichten. 


113 


2 künftig in Berlin fortfallend) and 14 nicht rollbesoldeten 
Qerichtsärzten mit mindestens 1800, hüohstens 4200 M., im 
Durchschnitt 2700 M. Gehalt, sowie für sonstige Besol¬ 
dungen . 1822746,— M. 4 ) 

Vermerk: 1. Ersparnisse können in Stellvertretongs- 
kosten verwendet werden. 

2. Bei der Bereehnong des pensionsfähigen Dienstein¬ 
kommens der nicht rollbesoldeten Kreisärzte werden 
die amtsärztlichen Gebühren, welche nach g. 8 des 
Gesetzes, betreffend die Dienststellung des Kreis¬ 
arztes n. s. w., rom 16. 8eptember 1899 nnd den 
dasn erlassenen Ansführongsbestimmnngen von den 
Tollbesoldeten Kreisärzten zur Staatskasse absnführen, 
bezw. nicht mehr ans der Staatskasse sn erheben sind, 
nach ihrem durchschnittlichen Betrage während der 
drei letzten Etatsjahre vor dem Etatsjahre, in welchem 
die Pension festgesetzt wird, mit der Massgabe rar 
Anrechnung gebracht, dass das hiernach der Pension 
sn Grande za legende DienBteinkommen nicht das 
pensionsfähige Diensteinkommen eines vollbesoldeten 
Kreisarztes von gleichem pensionsfähigen Dienstalter 
übersteigen darf. 

6. Wohnnngsgeldrasohüsse. 41460,— „ 6 ) 

7. Zar Remuneration von 86 Kreisarzt-Assistenten (mindestens 
900 M., höchstens 1800 M., im Darehschnitt: 1200 M.), 
sowie von Hfllfsarbeitern im Barean-, Kanzlei- nnd Unter- 
beamtendienst bei den Provinzial-Medizinalkollegien und 
zu Beihülfen für die Wahrnehmung der Obliegenheiten des 

Kreisarztes durch Stadtärste. 65701,— „ ®) 

8- Zu Bureaubedürfnissen der Provinzial-Medisinalkollegien, 
Dienstaufwandsentschädigung für 2 Regierangs- und Medi- 
sinalrüthe in Berlin (je 1200 M.), für Vertretung von Reg.- 
und Medizinalräthen (8000 M.), an Remunerationen für die 
Prüfung der Rezepte und Rechnungen über die für Staats¬ 
anstalten gelieferten Arzneien (8600 M.), zu Entschädigungen 
für Amtsnnkosten für die voilbesoldeten Kreisärzte bis sn 
1000 M., im Durchschnitt 760 M., für die nicht vollbesol- 
deten Kreisärzte und Gerichtsärste bis zu 760 Mark, im 
Darehsehnitt 260 M., sowie an Tagegeldern nnd Reisekosten 
für auswärtige Mitglieder der Provinsial-Medizinalkollegien, 


erbeblich vergrüssern lassen, so ist in Aussicht genommen, 2 demnächst fre 
werdende nicht vollbesoldete Stellen einzuziehen. — Auch in den Stadtkreisen 
Rizdorf nnd Magdeburg ist bei dem grossen Umfange der Dienstgeschäfte 
die Anstellung vollbesoldeter Kreisärzte erforderlich. 4 

4 ) Weniger: 13500 Mark und zwar Darchschnittsbesoldung für 4 nicht 
Tollbesoldete Kreisärzte in Berlin (2), Rizdorf und Magdeburg in Folge Er¬ 
richtung vollbesoldeter Kreisarztstellen daselbst (10800 M.), sowie Durch- 
Khnittsbesoldung für den nicht vollbesoldeten Gerichtsarst in Bochum. Betreffs 
des Fortfalls der Geriohtsarztstelle in Bochum sagt die Begründung: 
»Der Umfang der gerichtsärstlichen Geschäfte im Stadt- und Landkreise Bochum 
izd im Stadtkreise Witten ist, wie die Erfahrung gezeigt hat, derart gering, 
dass diese Geschäfte von dem Kreisärzte des Bezirks mit wahrgenommen werden 
küssen. Die Stelle eines besonderen Gerichtsarztes für diese Kreise soll des¬ 
halb fortfallen. 4 

s ) Mehr: 8120 an Wohnungsgeldrasahttssen für 4 weitere vollbesoldete 
Kreisärzte. 

*) Mehr: 3600 M. Darchschnittsremunerationen für 8 Kreisarzt-Assi¬ 
stenten in den Stadtkreisen Hannover, Trier und Cassel, »da die Geschäfte der 
Kreisärzte in diesen Städten einen derartigen Umfang angenommen haben, dass 
«• aothwendig erscheint, ihnen eine Hüifskraft beizuordnen. Diese Kreisarzt- 
Awistenten sollen nüthigenfalls auch die Regierungs- nnd Medizinalräthe dieser 
Bsrirke unterstützen. 4 






114 


Tagesnachrichten. 


za Tagegeldern, Reisekosten and Entschädigungen für die 
Erstattung schriftlicher Gutachten and Berichte an die 
psychischen Mitglieder der Besnchskommissionen für die 
Beaufsichtigung der Privat-Irrenanstalten .and za Tage¬ 
geldern und Reisekosten für die auswärtigen Mitglieder 

des Beiraths fttr das Apotheken wesen . 164466,— M. 7 ) 

9. Zar Bemanerirang der Mitglieder and Beamten der Kom¬ 
mission fttr die Staatsprüfung der Aerzte, Zahnärzte u. s. w. 179700,— 

10. Zuschuss fttr das Charit^ - Krankenhaus in Berlin .... 627924,86 „ 8 ) 

11. Institut fttr Infektionskrankheiten. 192320,— „ ») 

12. Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt a. M. . 74760,— „ 

13. Zur Unterhaltung einer staatlichen Versuchs- und Prttfanga- 

anstalt fttr die Zweeke der Wasserversorgung und Ab¬ 
wässerbeseitigung . 82060,— „ l0 ) 

14. Hygienisches Institut in Posen. 36062,— „ ") 

16. Zuschüsse fttr einige Krankenanstalten. 6271,47 „ 

16. Zur Vermehrung des httlfsftrztlichen Personals in den Öffent¬ 
lichen Irrenanstalten. 6000,— „ 

17. Fttr das Impfwesen (Remunerirung der Vorsteher und Assi¬ 

stenten und Gewinnung thierischen Impfstoffs u. s. w.) und 
sächlichen Ausgaben. 81820,— „ 

18. Zu Beagentien bei den Apothekenrevisionen ..... 1900,— „ 

19. Zu Unterstützungen fttr aktive Medizinalbeamte (6000 M.) 
und fttr ausgeschiedene Medizinalbeamte (60000 M.), sowie 

fttr Wittwen und Waisen von Medizinalbeamten .... 66000,— „ 

20. Wartegeld für die auf Grund des Kreisarztgesetzes zur 

Verfügung gestellten Medizinalbeamten (künftig wegfallend) 146710,16 „ '*) 

21. Zur Unterstützung fttr die auf Grund des §. 16 des Kreis¬ 
arztgesetzes auf Wartegeld gestellten Medizinalbeamten 

(künftig wegfallend). 60000,— „ 

22. Zu Almosen an körperlich Gebrechliche zur Bfickkehr in die 

Heimath, sowie fttr arme Kranke. 900,— „ 

23. Fttr medizinalpolizeiliehe Zwecke einschliesslich 16000 M. 

zur Bestreitung der Kosten der sanitätspoliseilichenKontrole 
behufs Abwehr der Choleragefahr und 15000 M. fttr das 
Leprakrankenheim im Kreise Memel. 100000,— „ 

24. Verschiedene andere Ausgaben (Zuschuss fttr Arzt auf der 
Kurischen Nehrung, Quarantaineanstalten, Beihttlfe für ärzt¬ 
liche Fortbildungskurse (6000 M.) u. s. w.) . . .... 21666,42 , 

Zusammen 3577687,19 M. 

im Vorjahre 8361982,19 , 

Darnach mehr 215706,— „ 

B. Einmalige nnd ausserordentliche Ansgaben: 
a) 831000 M. (letzte Rate) zum Neubau nebst innerer Ausgestaltung eines 

T ) Mehr: 2000 M. zu Dienstaufwands -Entschädigung fttr 4 vollbesoldete 
Kreisärzte (Differenz zwischen den Durchscbnittssätzen von 260—760 M. von 
je 500 M. = 2000 M.) und weniger in Folge Wegfalls der Gerichtsarztstelle 
in Bochum 260 M., bleibt mehr: 1760 M. 

8 ) Mehr: 177902 M., hauptsächlich zur Verstärkung des sächlichen 
Ausgabefonds, zur Deckung der grosseren wirtschaftlichen Ausgaben n. s. w. 
•) Mehr: 2695 M. 

,0 ) Mehr: 80620 M., darunter 11520 M. fttr sächliche Ausgaben, Tage¬ 
gelder, Fahrkosten u. s. w., sowie 18000 M. fttr 4 wissenschaftliche Mitglieder 
mit dem Anfangsgehalt von je 3600 M. und 900 M. Wohnungsgeldzuschuss. 
Die Begründung sagt hierzu: „Der Geschäftsumfang der am 1. April 1901 in 
Wirksamkeit getretenen Anstalt ist in fortwährender Zunahme begriffen. Im 
Interesse einer gedeihlichen Weiterentwickelung derselben ist die Errichtung 
von 4 etatsmässigen Stellen fttr wissenschaftliche Mitglieder mit einer dem 
Gehalte der vollbesoldeten Kreisärzte entsprechenden Besoldung erforderlich. 
«) Mehr: 160 M. 

**) Weniger: 18716 M. in Folge von Tod oder Wiedereinstellung auf 
Wartegeld gestellter Beamten. 














Tagesnachrichten. 


116 


Geschäftshauses für das Kultusministerium auf dem Grundstücke Behren* 
■trasse 72, auf dem zur Zeit sieh das Dienstgebäude der Medizin alab- 
theilnng befindet. 

b) 2298830 M. (380790 M. mehr als im Vorjahre) für Neu- and Um¬ 
bauten von klinischen Universität eins ti tuten, Ergänzung des 
Inventars derselben, Deckung von Fehlbeträgen u. s. w.; hiervon inter- 
essiren besonders: Neuerrichtung eines hygienischen Instituts in 
Berlin, einer Irrenklinik in Breslau, sowie Versuche im hygieni¬ 
schen Institut su Marburg mit Tuberkulose-Giftprftparaten 
gegen die Binder tuberkulöse. 

e) 1174840 M. zur Ergänzung der inneren Ausstattung des Charitd- 
Krankenhauses, sur Deckung eines Fehlbetrages bei den sächlichen 
Ausgabefonds desselben und für weitere Neubauten der psychiatrischen 
nnd Nervenklinik, des pathologischen Instituts, des Erweiterungsbaues 
der geburtshülflich-gynäkologischen Klinik u. s. w. 

d) 10000 M. zur Beschaffung von Instrumenten und Apparaten 
für den gerichtsärztlichen Unterricht an den Univer¬ 
sitäten. „Zur Bestreitung der Kosten des Unterrichts in der 
gerichtlichen Medizin sollen bei jeder Universität, mit Ausnahme 
von Berlin, wo dieser Unterricht in der hierfür bestimmten Unterrichts¬ 
anstalt für Staatsarzneikunde ertheilt wird, 900 M. bereit gestellt werden. 
Daneben ist in Aussicht genommen, zur Beschaffung von Instrumenten 
and Apparaten für diesen Unterricht einschliesslich Berlin, dessen Institut 
für Staatsarzneikunde einer Aufbesserung seines Instrumentariums bedarf, 
einen Betrag von 18000 M. aufzuwenden. Für 1903 sind hiervon 10000 M. 
erforderlich.* 

e) 10000 M. zu Beihülfen zur Veranstaltung von Forschungen über Ursache 
und Verbreitung der Krebskrankheit. „Die von dem Komitee 
für Krebsforschung in dem abgelaufenen Etatsjahre veranstaltete Sammel¬ 
forschung ist zum vorläufigen Abschluss gebracht und hat über das Vor¬ 
kommen der Krebskrankheit in den einzelnen Theilen der Monarchie den 
wünschenswerthen Aufschluss gegeben. In verschiedenen Bezirken und 
Orten, in denen ein auffallend Läufiges oder geringes Vorkommen von 
Krebställen festgestellt worden ist, soll durch Entsendung junger, wissen¬ 
schaftlich erprobter Aerzte unter Zuziehung von beamteten und nicht 
beamteten Aerzten, sowie der OrtsbehOrdo eine eingehende Nachforschung 
an Ort und Stelle stattfinden. Ausserdem beabsichtigt das Komitee für 
Krebsforschung die Herausgabe eines Zentralblattes für Krebsforschung.* 

f) 40000 M. für die erste medizinische Klinik der Charitö sur 
Erforschung der Krebskrankheit, insbesondere sur Aufstellung 
von Baracken für Krebskranke (zweite Bäte). 

g) 360000 M. zur Bekämpfung der Granulöse. „Die bei der Granulöse 
bekämpfung in der Provinz Ostpreussen bisher erzielten Erfolge berech¬ 
tigen zu der Hoffnung, dass es bei der Foitsetzung des gegenwärtigen 
pUomässigen Vorgehens in absehbarer Zeit gelingen wird, die Seuche 
noch weiter einzuschränken. Es sind deshalb auch für das Etatsjahr 1903 
wiederum 360000 M. eingestellt worden.* 

h) 30000 Mark za praktischen, im Institut für Infektionskrankheiten zu Berlin 
ansustellenden Versuchen in der Bekämpfung desTyphus. „Indem 
Staatshaushalts-Etat für 1902 sind für den bezeichneten Zweck 20000 M. 
bereit gestellt. Die hierauf von der Kommission zur Typhusbekfimpfung 
unter Leitung des Direktors des Instituts iür Infektionskrankheiten an- 
gestellten Untersuchungen haben bereits zu wichtigen Ergebnissen geführt. 
Insbesondere hat sich die in dem genannten Institute ausgearbeitete 
Untersuchungsmethode auf Typhus in der Praxis bewährt. Die Arbeiten 
der Kommission haben sich jedoch mit den obigen Mitteln bislang nur 
auf ein kleines Versuchsfeld erstrecken können, als welches das im Re¬ 
gierungsbezirke Trier belegene Dorf Waldweiler und seine Umgebung 
gedient hat. Demnächst sollen die gemachten Erfahrungen in einem 
stark bevölkerten Industriegebiete nachgeprüft und dabei die angefangenen 
wissenschaftlichen Arbeiten fortgesetzt werden, wozu ein Betrag von 
10000 M. erforderlich ist.* 

i) 14900 M. su baulichen Herstellungen im hygienisohen Institut su 



116 


Tagesnaehrichten. 


Posen, sowie zur Vervollständigung der Einrichtung nnd der Bibliothek 
desselben. 

k) 10000 M. snr Unterhaltung einer hygienischen Station inBenthen 
0.-Schl, (wie im Vorjahre). 

l) 22000 M. zur Unterhaltung einer bakteriologischen Anstalt 
in Saarbrücken. „Das gehäufte Auftreten des Typhus und der Bahr 
in der Rhoinprovinz und namentlich im Reg.-Bezirk Trier hat ein that- 
kräftiges Vorgehen gegen diese Seuchen nothwendig gemacht. Za diesem 
Zwecke ist die Unterhaltung einer bakteriologischen Einrichtung in Saar¬ 
brücken erforderlich gewesen, deren Aufgabe es sein soll, die bakterio¬ 
logische Feststellung zweifelhafter Krankheitsfälle, die Untersuchung und 
Begutachtung von Wasserversorgung»-, Kanalisation»- und ähnlichen An¬ 
lagen auszuführen und überhaupt der Medizinalverwaltung in allen hy¬ 
gienischen Fragen mit Rath und That zur Seite zu stehen.“ 

m) 26000M. zar Abhaltung von Fortbildungskursen für Medisinal- 
beamte. „Es ist beabsichtigt, im Etatsjahr 1903 wieder- Fortbildungs¬ 
kurse über Hygiene, gerichtliche Medizin, Psychiatrie und Staatsarznei- 
kunde für 50 Medizinalbeamte abzuhalten, wie dies im Etatsjahr 1902 

f eschehen ist.“ 

0000 Mark zur Untersuchung der Maul- und Klauenseuche. 
„Die Untersuchungen über die Maul- und Klauenseuche sind auch im 
Etatsjahr 1902 wesentlich gefördert. Dank den Bemühungen der Kom¬ 
mission ist es gelungen, auch grössere Thiere gegen das Krankheits¬ 
gift zu immnnisiren, während dies bei kleineren — Ferkeln, Schafen — 
schon früher erreicht war. Die Schwierigkeit der entgültigen Lösung der 
Immunisirungsfrage, welche noch zu beheben ist, besteht darin, dass nach 
den jetzigen Versnoben die Immunisirung verhältnissmässig kurze Zeit 
Zeit anhält. Es wird dahin zu streben sein, das Verfahren so zu vervoll¬ 
kommne u, dass die Wirkung desselben für längere Zeit gesichert wird. 
Es sind deshalb, wie im Vorjahre, noch einmal 80000 M. in den Etat 
eingestellt worden.“ 


Aus dem Pretuaisohen Abgeordnetenhaus« : Von der frei¬ 
sinnigen Partei ist wiederum ein Antrag auf Zulassung der fakultativen 
Feuerbestattung eingebracht. 

In der Sitzung vom 26. Januar erwiderte der Landforstmeister W e s e n e r 
auf eine Anfrage des Abg. v. Hagen (Zentr.)über die Gewährung des vollen 
Stimmrechtes der bei den Regierungen beschäftigten technischen Räthe, 
speziell der Regierung»- und Forsträthe, dass er der Anregung durch¬ 
aus sympathisch gegenüberstehe; dass aber ausser den Forsträthen auch noch 
die übrigen technischen Räthe Medizinal-, Bau-, Schul-, Gewerbe- 
räthe in Betracht kämen. Es schwebten jedoch z. Z. Verhandlungen zwisohen 
der Forstverwaltung, dem Kultus- und Arbeitsministerium, die hoffentlich zu 
einem befriedigenden Abschluss führen werden. 

Nach einer in derselben Sitzung gegebenen Antwort des Herrn Landwirth- 
schaftsministers steht der Erlass eines preussischen Schlachtviehver- 
sicherungsgesetzes nicht zn erwarten; die Einführung der allgemeinen 
obligatorischen Schlachtviehversicherung sei nur auf reichsgesetzlichem Wege 
möglich. 

Die von beiden Häusern des Landtags angenommenen Anträge des Grafen 
Douglas zur Bekämpfung des Alkoholismus haben nach einer dem Herren¬ 
hause mitgetheilten Uebersieht die Regierung vielfach beschäftigt und bereits 
zu folgenden Entschliessungen geführt: 1) Es sind die Oberpräsidenten 
veranlasst worden, im Polizeiverordnungswege Verbote zu erlassen für die Ver¬ 
abfolgung von Branntwein an Personen unter 16 Jahren, sowie von geistigen 
Getränken an Betrunkene und an die von der Polizeibehörde bezeichneten 
Trunkeabolde. Auch soll, wo dies örtlich angezeigt ist, darauf hingewirkt 
werden, dass durch Polizeiverordnung der Verkauf von Branntwein in den 
frühen Morgenstunden verboten wird unter Festsetzung einer Polizeistunde für 
die Branntwein-Kleinhandlungen und Branntweinschenken, etwa auf 8 Uhr 
Morgens. 2) Ist die Abfassung gemeinverständlicher Schriften über die schäd¬ 
lichen Wirkungen des übertriebenen Alkoholgenusses zu veranlassen. 3) Werden 



Tagesnachrichten. 


117 


Erhebungen ang es teilt Aber die für Trinker bestimmten Heilanstalten. Dagegen 
wird 4) von der Ausstellung bildlicher Darstellungen in Öffentlichen Lokalen 
über die schädlichen Wirkungen des übertriebenen Alkobolgenusses ein Erfolg 
sieht erwartet. 5) Ist an die Volkschulen ein Erlass ergangen, die Jugend 
über die schädlichen Folgen aufzuklären. Den höheren Schulen ist derselbe 
zur Kenntniss und Nachahmung mitgetheilt worden. Ferner sind in den oberen 
Klassen mancher höheren Schulen in Berlin im Jahre 1902 probeweise yon 
lernten Vorträge über allgemein verständliche Fragen gehalten, bei welchen 
namentlich auch die schädlichen Wirkungen des übertriebenen Alkoholgenusses 
zur Darstellung gebracht sind. 6) Mustergültige Einrichtungen zur Verhütung 
de» Alkoholmissbrauches sind vorzugsweise in den zu den Ressorts der Minister 
der Öffentlichen Arbeiten und des Innern gehörigen Betrieben bereits getroffen 
worden. Den kommunalen Betriebsverwaltungen ist die Schaffung muster¬ 
gültiger Einrichtungen zur Vermeidung des Alkoholmissbrauchs empfohlen. 
7) Soll die Angelegenheit einer Aenderung des Strafgesetzbuches bei der 
allgemeinen Revision desselben erneuter Prüfung unterzogen werden. 8) Sind 
die Erwägungen über eine Abänderung der Bestimmungen der Gewerbeordnung 
über die Konzessionspflicht der Wirthe noch nicht zum Abschluss gelangt. 
9) Der Anregung, auf Erlass eines diesbezüglichen Gesetzes hinzuwirken, konnte 
von der Regierung nickt entsprochen werden. 

InEngland ist bekanntlich am 1. Januar d. J. ein neues Trunksucht- 
ge setz in Kraft getreten, nach dem Personen, welche betrunken auf der 
Strasse angetroffen werden, mit Geldstrafe oder Gefängniss bis zu 14 Tagen 
bestraft werden kOnnen. Aus den Berichten, die über die Ausführung des 
Gesetzes bisher von den Zeitungen gebracht sind, geht hervor, dass die Zahl 
der wegen Trunksucht verhafteten Personen eine ausserordentlich grosse ge¬ 
wesen ist und unter ihnen besonders das weibliche Geschlecht vertreten ge¬ 
wesen ist. * _ 

Ans dem Reichshausbalts - Etat 1903/1904 (s. Nr. 2, S. 76) ist noch 
Folgendes nachzutragen: Im Reichsgesundheitsamt sind eine neue Stelle für 
isrtliche Mitglieder, sowie eine neue Abtheilung für Wasserversorgung, Besei¬ 
tigung der Abfallstoffe u.s. w. vorgesehen. In der Begründung datu heisst es: 

„Zwei technische Hülfsarbeiterstellen werden seit dem Jahre 1879/80 von 
Aerzteu bekleidet. Ihre Thätigkeit ist im Wesentlichen der der ärztlichen 
Mitglieder gleichartig. Insbesondere obliegt ihnen die Kontrole der ärztlichen 
Prüfungsakten auf Einhaltung der PrüfungBVorschriften, die Bearbeitung der 
Heilanstaitsstatistik, sowie anderer medizinalstatistischer Arbeiten. Eine dieser 
Stellen ist zur Zeit unbesetzt; sie soll, da eine geeignete ärztliche Kraft für 
diese Arbeiten sich nur gewinnen lässt, wenn die Ernennung znm Mitglied in 
Aussicht gestellt werden kann, in eine Mitgliedstelle umgewandelt werden. Es 
ist deshalb eine weitere Mitgliedstelle in Zugang und bei Titel 2 eine tech- 
niche Hülfsarbeiterstelle in Abgang gebracht. 

Die dem Gesundheitsamt obliegenden Arbeiten auf dem Gebiete der 
Wasserversorgung, der Beseitigung der Abfallstoffe einschliesslich der Fluss- 
Verunreinigung, der Heizung, Lüftung und Beleuchtung etc. haben im Laufe 
der letzten Jahre einen solchen Umfang angenommen, dass dadurch die Bildung 
einer besonderen, nach verschiedenen Richtungen selbstständigen Unterabtheilung 
ianerhalb der naturwissenschaftlichen Versuchs-Abtheilung sich als nothwendig 
erwiesen hat. Die Bedeutung dieser Unterabteilung und ihr Geschäftsumfang 
ist insbesondere dadurch gewachsen, dass ihr die schwierigen und zeitraubenden 
Vorbereitungen für die wichtigen Beratungen und Beschlussfassungen obliegen, 
die der Reichs-Gesundheitsrath auf Beschluss des Bundesraths hinsichtlich der 
ans gesundheits- und veterinärpolizeilichen Rücksichten gebotenen Reinhaltung 
der das Gebiet mehrerer Bundesstaaten berührenden Gewässer vorzunebmen 
hat. Die durch den Umfang der einschlagenden Geschäfte bedingte Selbst¬ 
ständigkeit des Leiters dieser Unterabtheilung in der Anordnung und Aus¬ 
führung experimenteller Arbeiten lässt es im dienstlichen Interesse geboten 
erscheinen, ihm gegenüber den ihm zugewiesenen wissenschaftlichen Hülfs- 
kriften eine gehobene Stellung einzuränmen. Dies sowie der Umfang und die 
Bedeutung der auf ihm ruhenden Geschäfte rechtfertigen die Gewährung einer 
persünlicheu, nicht pensionsfäliigen Zulage von 900 Mark.“ 



118 


Tagesnaohrichten. 


Schliesslich sei noch erwähnt die in der vorhergehenden Nummer durch 
ein Versehen nicht snm Abdrubk gelangte: 

Denkschrift über die im Kaiserlichen Gesundheitsamt in der 
Ausführung begriffenen Untersuchungen und Forschungen über 
menschliche und thlerisohe Tuberkulose sowie Uber die Sammel- 
forsohung betreffs der ln den Lungenheilstätten erzielten Heil¬ 
erfolge. 

„4nf dem Gebiete der experimentellen Tnberknloseforschnng stehen augen¬ 
blicklich zwei Fragen im Vordergründe des Interesses: die Beziehungen zwischen 
der Taberkolose des Mensohen nnd derjenigen der Hausthiere, namentlich der 
Perlsncht der Rinder, seitdem sie von R. Koch auf dem Taberknlosekongress 
in London im Jahre 1901 znm Gegenstand eines Vortrages gemacht worden 
sind; ferner die Angabe des Prof. Dr. v. Behring, dass es ihm gelangen sei, 
Binder daroh Impfang vor Erkrankungen an Tuberkulose za schützen. 

Das Gesundheitsamt ist in eine Bearbeitong der ersten Frage singe* 
treten, nachdem von einer Sachverständigen * Kommission, der auch R. Koch 
angehört, ein Versnchsplan aufgestellt worden ist. Dieser Plan sieht die An¬ 
stellung zahlreicher Versuche an grösseren Versuchstbieren, in erster Linie an 
Rindern, vor. E9 sollen namentlich die Versuche von Koch und Schütz 
wiederholt werden, aus deren Ergebnisse gefolgert wurde, dasB die menschliche 
Tuberkulose auf das Rind nicht übertragbar ist. Eine grosse Reihe von Tuber- 
kelbazillenkulturen, die aus den Gewebsveränderungen bei verschiedenen Formen 
der Tuberkulose des Menschen gezüchtet Bind, boII auf ihre krankmachende 
Wirkung dem Rinde gegenüber geprüft werden. Dadurch wird sich voraus¬ 
sichtlich feststellen lassen, ob die Tuberkelbazillen menschlicher Herkunft für 
das Rind ganz unschädlich sind, oder ob es Ausnahmen von dem von Professor 
Dr. Koch und Professor Dr. Schütz beobachteten Verhalten der menschlichen 
Tuberkelbazillen giebt. 

Stellt es sich heraus, dass zuweilen beim Menschen Tuberkelbazillen ge¬ 
funden werden, welche Rinder krank zu machen vermögen, so wird in jedem 
Fall festzustellen sein, ob die Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass diese Bazillen 
vom Rinde stammen, ob also die Ansteckung des Menschen von einem perl- 
BÜehtigen Rinde ausgegangen iBt. Auf diese Weise würde sieb ermitteln lassen, 
wie häufig bei menschlichen Erkrankungen Tuberkelbazillen gefunden werden, 
welche in ihrem Verhalten mit den Perleuchtbazillen Ubereinstimmen. 

Je nach den Formen der Tuberkulose, bei welchen diese für Rinder 
pathogenen Tuberkelbazillen sich finden, wird sich dann beurtheilen lassen, ob 
der Uebertragung vom Rinde her eine grössere oder geringere Bedeutung für 
die Entstehung und Verbreitung der Tuberkulose unter den Menschen zukommt. 

Daneben sollen Versuche angestellt werden mit Tuberkelbazillen, die aus 
erkrankten Organen von perlsüchtigen Rindern gezüchtet sind, um festznBtellen, 
wie unter den gleichen Versuchsbedingungen sich die Ansteckungskraft der 
Perlsuchtbazillen verhält. 

Die Versuche sind im Frühjahr dieses Jahres in Angriff genommen, 
nachdem die erforderlichen Geldmittel im Reichsbaushalt für daB Rechnungs¬ 
jahr 1902 unter Kapitel 3 Titel 24 der einmaligen Ausgaben des Reiohsamts 
des Innern bewilligt worden waren. Gegenwärtig befinden Bich im Versuch 
etwa 60 Rinder, welche in den Ställen des Seuchengehöfts des Gesundheitsamts 
in Dahlem untergebracht sind. Da jedes Thier etwa 5 Monate lang beobachtet 
werden muss, bevor es getödtet und der Befund aufgenommen werden kann, 
so ist stets eine erhebliche Zahl von Versncbsthieren vorhanden. Wie schwierig 
und zeitraubend die Versuche sind, geht daraus hervor, dass die genaue Fest¬ 
stellung der Eigenschaften einer Tuberkelbazillenkultnr, von dem Augenblicke 
der Gewinnung des Untersuchnngsmaterials an gerechnet, etwa 10—12 Monate 
in Anspruch nimmt. 

Aus diesen Gründen werden die Versuche sich in dem laufenden Rech¬ 
nungsjahre noch nicht zum Abschlüsse bringen lassen, vielmehr den grössten 
TheU des folgenden Jahres noch in Anspruch nehmen. 

Sobald über diese erste der oben erwähnten Fragen genügende Klarheit 
gewonnen und Raum für andere Versuchsthiere in den Dahlemer Ställen vor¬ 
handen sein wird, soll die Frage der Schutzimpfung gegen Perlsuoht in Angriff 
genommen werden. 



Tagesnachrichten. 


119 


Zar ununterbrochenen Fortführung der bezeichneten Untersuchungen, 
deren Ergebnisse für die richtige Auswahl von Massregeln gegen die Tuber* 
kulose des Menschen und der Haastbiere von hervorragender Bedeutung sein 
werden, wird ein Betrag von 65000 Mark für das Rechnungsjahr 1903 für er¬ 
forderlich erachtet“ 

Bei der Bekämpfung der menschlichen Tuberkulose ist in Deutschland 
das Schwergewicht von vornherein auf die Behandlung der Erkrankten in ge¬ 
eigneten Heilanstalten gelegt worden; demgemäss wurden in den letzten Jahren 
zahlreiche Lungenheilstätten unter Aufwendung sehr erheblicher Geldmittel 
errichtet Da es zur Zeit des Beginns der Heilstättenbewegung — um 1896 — 
noch an Erfahrungen über die durch Anstaltsbehandlung zu erzielenden Heiler¬ 
folge fehlte, wurde damals von dem Gesundheitsamt eine Sammelforschung 
über diese Frage eingeleitet. Die Ergebnisse der Forschung sind in mehreren 
Veröffentlichungen des Gesundheitsamts niedergelegt Ein abschliessendes 
Ortheil über den Werth der Heilstättenbehandlung konnte indess bisher nicht 
gewonnen werden; es erweist sich vielmehr als nothwendig, die Sammel- 
foTBchung noch während einiger Zeit weiterzuführen. Um die Bearbeitung des 
seit dem Jahre 1896 eingesammelten, auf gegen 30 000 Zählkarten angelaufenen 
Erhebungsmaterials möglichst eingehend zu gestalten, namentlich auch um 
sicher festzustellen, ob die Erfolge der Behandlung in Lungenheilstätten im 
richtigen Verhältnisse zu den für den Bau der letzteren bisher verwendeten 
beträchtlichen Summen — von mehr als 30 Millionen Mark — stehen oder ob 
minder kostspielige Einrichtungen genügen würden, ist, da hierzu die durch 
anderweitige dienstliche Arbeiten vollauf in Anspruch genommenen Beamten 
des Gesundheitsamts nicht verwendet werden können, die zeitweilige Annahm e 
von Hülfskräften für die Zusammenstellung jenes umfangreichen Zählkarten¬ 
materials nöthig geworden. Die Arbeiten, welche mit Beginn des Rechnungs¬ 
jahres 1902 ihren Anfang genommen haben, werden erBt im Rechnungsjahr 
1903 abgeschlossen werden können. Ihre Ergebnisse sollen veröffentlicht werden. 
Für die Fortführung der beseichneten Arbeiten und die Veröffentlichung ergiebt 
sieh ein Bedarf von 15000 Mark. 

Zur richtigen Abschätzung deB Werthes der Anstaltsbehandlung ist es 
besonders wichtig, über die Dauer der erzielten Heilerfolge Aufschluss zu 
gewinnen. Die Beschaffung eines nach dieser Richtung verwerthbaren zuver¬ 
lässigen UntersuchungBmaterials stösst insofern auf Schwierigkeiten, als die von 
Zeit zu Zeit vorzunehmenden Nachuntersuchungen der früheren Heilstätten- 
pfleglinge nothwendiger Weise von Aerzten auszuführen sind, für deren Ver¬ 
gütung denjenigen Stellen, welche sonst noch ein Interesse an der Feststellung 
der Erfolgsdauer haben, also in erster Linie den Heilstätten Verwaltungen und 
den Landesversioherangsanstalten Mittel entweder gar nicht, oder in nicht aus¬ 
reichendem Masse zur Verfügung stehen. Es erscheint daher billig, den be¬ 
theiligten Stellen für jede ärztliche Nachuntersuchung, deren Ergebnisse dem 
Gesundheitsamt in verwendbarer Form zugängig gemacht werden, einen Kosten- 
«schoss zu gewähren. Derartige Beiträge werden ausserdem für solche Pälle 
«gezeigt sein, wo den Aerzten und ehemaligen Pfleglingen etwaige durch die 
Nachuntersuchung erwachsende besondere Ausgaben für Reisen, Zeitverluste 
und dergleichen ganz oder theilweise zu vergüten sind. Die Ausgaben für die 
Ermöglichung und Förderung solcher Nachuntersuchungen sind auf 10000 Mark 
veranschlagt. 

Die Nachuntersuchungen werden so lange fortzusetzen sein, bis die an 
einem ausreichend grossen Material von Heilstättenpfleglingen ärztlich festge¬ 
stellten Erfolge ein abschliessendes Urtheil über den Werth der Heilstätten- 
bebandlung nach der medizinischen Seite hin ermöglichen. 

Die durch Forschungen auf dem Gebiete der menschlichen und thierischen 
Tuberkulose entstehenden Kosten werden sich demnach im Rechnungsjahr 1903 
auf (65000 + 15000 + 10000) = 90000 Mark belaufen. Ein weiterer Be¬ 
trag von 60000 Mark wird, wie für das Vorjahr, dem Deutschen Zentral-Komitee 
rar Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke zu über¬ 
weisen sein. 

Eine umfassende Denkschrift über das Wesen und die Ausbreitung der 
Tuberkulose, sowie über die Massnahmen zu ihrer Bekämpfung befindet siä im 
Kaiserlichen Gesundheitsamt in der Ausarbeitung.“ 



120 


Tagesnacbriohten. 


Die Novelle snm Krankenversicherungsgesetz ist jetzt dem Bundes¬ 
rath zagegangen. Durch dieselbe soll die Zeit der Krankenunterstfitzung auf 
26 Woeben und ebenso die Untersttttzungsdauer nach einer Entbindung auf 
6 Wochen erhöht werden. Ferner fallen die Vorschriften fort, welche die Ge¬ 
währung einer Erankenuntersttttzung bei Geschlechtskrankheiten s. Z. aus- 
schliessen. Wird diese Vorlage die Zustimmung des Bundesraths und Reichs¬ 
tages finden, so wird hierdurch die Lttcke, welche zwischen dem Ende der 
Eranken- und dem Beginne der Invalidenunterstfitzung bisher lag, ausgefttllt, 
und gleichseitig eine Bestimmung beseitigt, welche in unbegreiflicher Ver¬ 
kennung der öffentlichen Gesundheitspflege und aus überlebten Auffassungen 
heraus den Geschlechtskranken von den Wohlthaten der Erankenuntersttttzung 
auBSchloss. 


Die diesjährige Versammlung des Vereins für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege wird vom 16. bis 19. September in Dresden stattfinden. 


Der erste Kongress der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten wird am 9. und 10. März in Frankfurt a. M. 
stattfinden. Auf der Tagesordnung stehen: 1. „Die Strafbarkeit der Gesund¬ 
heitsgefährdung durch Geschlechtskranke“, Referent: Prof. Dr. v. Liszt, 
Berlin-Charlottenburg. 2. „Die zivilrechtliche Bedeutung der Geschlechts¬ 
krankheiten“, Referent: Prof. Dr. Hellwig-Berlin. 3. „Wie können die 
Aerzte durch Belehrung der Gesunden und Eranken der Verbreitung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten steuern?“, Referent: Dr. med. Neub erg er -Nürnberg. 
4. „Das Wohnungselend und die Prostitution“, Referent: Pbysikus Pf eiff er- 
Hamburg. 5. „Nach welcher Richtung lässt sich die Reglementirung der Pro¬ 
stitution reformiren?“, Referenten: Prof. Dr. Neisser-Breslau und Fräulein 
Papp ritz-Berlin. — Anmeldungen zur Theilnahme nimmt die Geschäftsstelle 
der Gesellschaft, Berlin W., Potsdamerstr. 20 entgegen. 


Aue dem Regierungsbezirk Liegnitz. Die Wirkungen des Erelsarzt- 
gesetzes machen sich auch im Vereinsleben der Aerzte bemerkbar. Im 
Reichsmedizinalkalender — 1903, S. 111 — sind nur 6 Ereisvereine — Landes¬ 
hut, Lauban, Bunzlau, Liegnitz, Görlitz, Hirscbberg (Riesengebirge) — ver¬ 
zeichnet; die Vorsitzenden der Vereine der Ereise Landeshut und Lauban, 
welche letzteren schon längere Zeit bestehen, sind die Ereisärzte Geb. Med.- 
Rath Dr. Eoehler und Med.-Rath Dr. Leder. Vor Jahresfrist bildete sich 
aber auf die Einwirkung des Kreisarztes Dr. Scholz zu Goldberg ein Verein 
der Aerzte der Ereise Goldberg und Schoenau. Neuerdings hat eich dann der 
Ereis Loewenberg dem Ereis-Verein Lauban angeschloBsen; ferner haben sich 
auf Veranlassung der Ereisärzte folgende ärztliche Vereine in den letzten 
Monaten aufgethan: 1. Kreise Rothenburg O.-L. und Hoyerswerda, Vorsitzender 
Kreisarzt Dr. Meyen- Moskau, Schriftführer Kreisarzt Dr. Fei ge-Hoyers¬ 
werda, Beisitzer Dr. Damero w-Muskau; 2. Ereis Glogau, Vorsitzender Kreis¬ 
arzt Dr. Hirschfeld; 3. Ereise Jauer und Bolkenhain, Vorsitzender Kreisarzt 
Med.-Rath Dr. Erdner. 

In die Aerztekammer der Provinz Schlesien wurden im November 
v. J. zwei beamtete Aerzte aus dem Reg.-Bez. Liegnitz neu gewählt: Reg.- 
und Med.-Rath Dr. Schmidt-Liegnitz als Mitglied und Kreiswundarzt z. D. 
San.-Rath Dr. Knopf-Goldberg als Stellvertreter; im Reg.-Bez. Oppeln, wo 
schon seit Jahren ständig der Reg.- und Med.-Rath Kammermitglied war, 
wurden Reg.- und Med.-Rath Dr. Seeman-Oppeln und Kreisarzt Med.-Rath 
Dr. Cimbal-Neisse wieder, Kreisarzt Dr. Traeinski-Zabrze neu gewählt 
(Mitglieder). Beide Regierungsbezirke batten je 8 bezw. 9, zusammen 17 Mit¬ 
glieder und 17 Stellvertreter zu wählen; von diesen 34 Aerzten sied also 6 be¬ 
amtet. Im Reg.-Bez. Breslau, der allein 17 Mitglieder und 17 Stellvertreter 
zu wählen hatte, wurde kein Medizinalbeamter gewählt, dagegen 4 Professoren 
(Partsch, Buchwald, Groenonw, Neisser) und ein Pnvatdozent. 8. 

Verantwort!. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-n. Geh. Med .-Rath in Minden i. W. 

J. C. C. Bruns, Herzogi. Sachs, u. F. Sch.-L, Uofbuchdruckorei ln Minden. 




Den verehrl. Abonnenten der 


Zeitschrift für jtfedizinalbeamte 

diene hiermit zur gefälligen Nachricht, dass sowohl der 

Kalender für Medizinalbeamte 

wie auch das 

Sonderheft der Zeitsehrift 

zur Versendung gelangte und jeder Sendung eine Post¬ 
anweisung mit Rechnung beigefügt war. 

Es ergeht nunmehr an die verehrl. Abonnenten die Bitte, 
wo Kalender oder Sonderheft nicht behalten werden soll, 
das Nichtgewünschte freundl. retournieren, im Falle des Be- 
haltens den Betrag gütigst einsenden zu wollen. 

Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, diene zur 
gefl. Kenntniss, dass das Sonderheft der Zeitschrift nicht 
zum Abonnement gehört und der Preis dafür Mk. 2,— beträgt. 
Der Kalender kostet mit Beiheft (Personalien) Mk. 3,50 für 
die Prenssischen Medizinalbeamten und enthält für diese 
gleichzeitig die Dienstanweisung, Mk. 3,— für die nicht 
preussischen Medizinalbeamten ohne die Dienstanweisung. 

Hochachtungsvollst 

Fischer’s med. Buchhandlung 

fl. Kornfeld 

Henogl. Bayer. Hof- and Erzherzog]. Kammer-Bnehhiodler. 




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Abi» anderen deutschen Euadaaet*? »ea. 






16. Jahr#, 


1903. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 

Zeatnriblitt für gerkhtlieäe Medizin and Psychiatrie, 

Sr intiiehe SaehTerstandigenthätigkeit in Unfall- und Invaliditatosaehen, sowie 
Sr lygieae, offentL Sanitatswesen, Medizinal -Gesetzgebung and Rechtsprechung 

Herausgegeben 

toh 

Dr. OTTO RAPMUND, 

Regierangs- and Geh. Medlnlnalrath in Minden. 

Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Ineeraie nehmen die Ttrlofshandlanf sowie alle Annooenexpeditlonen des In- 
and l.aslendes entgegen. 


4. Brseheint am 1. und 15. Jeden Monate \ 5. Febniftr, 


Ein Fall von Thymustod. 

Von Dr. Karl Dohrn in Lennep. 

Am 27. November 1902 wurde ich zu dem 15 # / 4 jährigen 
Spiimereiarbeiter F. V. geholt, da derselbe angeblich einen Schlag- 
antall erlitten habe. In der Wohnung des V. kurz danach ange¬ 
langt, fand ich denselben bereits als Leiche vor. Das Gesicht 
war blass, die Lippen leicht zyanotisch, die Pupillen mittelweit; 
die Leiche lag auf dem Rücken im Bett, die Arme an den Körper 
angelegt, die Beine gestreckt. 

Von den Angehörigen erfahr ich Folgendes: 

V. war bisher vollständig gesund gewesen. Am 22. November 1902 er¬ 
litt er bei der Arbeit eine leichte Quetschung des linken Unterschenkels, die 
mit einer oberflächlichem, 5 Markstück grossen H&ntabschürfnng am Süsseren 
PoasknOchel verbunden war. Unter Salbenbehandlung war die Verletzung so 
weit geheilt, dass die völlig reaktionslose Wunde mit einem trockenen Schorf 
bedeckt war. 

Am Vormittag des Todestages war V. des Morgens zn‘ seinem be¬ 
handelnden Arzt gegangen und hatte dann im besten Wohlbefinden mit seinem 
Brader um 11 Uhr gefrühstUckt. Plaudernd und pfeifend sass er darauf bei 
•einer Mutter, bis er sich auf deren Aufforderung zum Mittagsschlaf in’s Bett 
legte. Als die Mutter bald darauf in’s Zimmer trat, lachte er sie freudig an, 
worauf sich diese wieder entfernte. Als sie eine Viertelstunde später wieder 
ia’s Zimmer trat, fand sie den Sohn leblos im Bette liegend vor. 

Auf Ersuchen der Bernfsgenossenschaft nahm ich am 29. No¬ 
vember 1902 in Gemeinschaft mit Herrn Kreisarzt Dr. Meyer 
die Leichenöffnung vor, um einen etwaigen Zusammenhang 
zwischen der am 22. November 1902 erlittenen Verletzung und 
dem am 27. November erfolgten plötzlichen Tod festzustellen. 






122 


Dr. Dohrn. 


Aus dem Sektionsprotokoll gebe ich die wichtigsten Angaben 
in Kürze wieder: 

A. Aeussere Besichtigung. 

I. Kräftig gebauter Körper mit spärlichem Fettpolster und kräftiger 
Muskulatur. 

3. Die Haut ist blass. In der Bauohgegend ist sie leicht grünlich ver¬ 
färbt. Die abhängigen Theile sind dunkelroth. 

5. Ausserhalb des linken äusseren Fassknöchels fehlt die Oberhaut in 
Gestalt eines 6,6 cm langen Ovals von 1 cm Breite. Die Umgebung der Wunde 
ist blass, ohne die Zeichen einer Entzündung zu zeigen. Auf Durchschnitte- 
sieht man den Schorf in dem Unterhautzellgewebe scharf abgegrenzt. 

6. Spuren äusserer Verletzung sind nicht sichtbar. 

B. Innere Besichtigung. 

I. Kopfhöhle. 

8. Das Schädeldach ist auffallend dünn. An der Stirn ist die dickste 
Stelle 0,7 cm, an den übrigen Stellen durchschnittlich 0,3 cm dick. Ver¬ 
letzungen des Knochens sind weder am Schädeldach, noch an der Basis wahr¬ 
nehmbar. 

10. Der Längsblutleiter und die Blutleiter am Schädelgrund sind reich¬ 
lich mit dunkelrothem, flüssigem Biut gefüllt. 

II. Die harte Hirnhaut ist wenig verdickt und leicht gespannt. 

14. Die Windungen des Grosshirns sind wenig abgeplattet, die Forchen 
etwas abgeflacht. Die Beschaffenheit der Hirnmasse ist derb. Die Blutpunkte 
zahlreich. 

16. Das Vorderhorn ist wenig erweitert, enthält ca. V» Theelöffel klarer, 
gelblicher Flüssigkeit. 

16. Die Innenhaut der Hirnhöhlen ist glatt spiegelnd, ohne Körnung. 

II. Brust- und Bauchhöhle, 
a. Brusthöhle. 

22. Die Lungen sind leicht gebläht. Das Brustfell nicht verwachsen. 
Im rechten Brustfeliraum ca. 80, im linken 20 ccm blutig gefärbter Flüssigkeit. 

23. Die Thymus ist 11 cm lang, 6,6 cm breit und 2,6 cm dick. 
Die Masse des Gewebes ist graurotb, die Läppchenzeichnung 
deutlich ausgeprägt. 

26. Auf der Vorderfläohe des Herzens ziemlich reichliche Fettauflagerung 

26. Die Grösse des Herzens entspricht der geballten Leichenfaust. Die 
linke Herzkammer ist gewölbt, die rechte etwas eingefallen. Die Herzspitze 
wird von der rechten und linken Kammer gebildet. 

27. Im rechten Vorhof und Kammer wenig dunkelrothes, flüssiges Blut. 
Die Klappen und Innenhaut zart. Die dreizipflige Klappe für drei Finger 
durchgängig. Die Muskulatur derb, rotbbraun, mit deutlicher Zeichnung, nicht 
von Fett durchwachsen, 0,6 cm dick. 

Mikroskopisch ist die Streifang des Muskels deutlich erkennbar. 

28. Im linken Vorhof und Kammer nur wenig flüssiges, dunkelrothes 
Blut. Die Klappen und Innenhaut zart. Die zweizipflige Klappe für zwei 
Finger durchgängig. Die Muskulatur derb, rothbraun, mit guter Zeichnung, 
1,3 cm dick. 

Mikroskopisch ist die Streifung deutlich sichtbar. An vereinzelten Stellen 
sind die Fasern mit vereinzelten, kleinen Körnchen bestäubt. 

29. Die Kransgefässe enthalten nur wenig flüssiges Blut. Die Innen¬ 
wand ist zart. 

30. Die linke Lunge ist leicht gebläht. Das Lungenfell glatt spiegelnd. 
Auf dem Durchschnitt ist die Farbe rothbraun. Der Luftgehalt überall er¬ 
halten. Auf Druck tritt schaumige, wenig reichliche, nicht getrübte Flüssig¬ 
keit hervor. Bronchialschleimhaut blass, ohne Schleim. 

81. Die rechte Lunge bietet im Ganzen denselben Befund wie die linke. 
Jedoch sind auf dem Lungenfell der Vorder- und Unterfläche des Oberlappens, 
sowie auf der Vorderfläche des Unterlappens vereinzelte, kleine Blutaustritte 
sichtbar. In beiden Lungen mikroskopisch keine Fettembolie. 

82. Die Gefässe und die Luftröhrenäste beider Lungen werden mit der 



Sin Fall von Thymnstod. 


123 


Sekeere bis in die feineren Veristelnngen geöffnet, ohne dass Qerinnael benw. 
fremdartiger Inhalt gefunden werden. 

33. Die Bronchialdrüsen sind vereinzelt bis erbsengross. 

36. Die Halsgefftsse sind zart; im Bereich der Thymus namentlich ohne 
Yerlnderangen, nicht znsammengedrttckt. 

b. Bauchhöhle. 

36. Die Miln ist 18 cm lang, 10 cm breit and 4 cm dick. Die Kapsel 
ist glatt, snm Theil gerunzelt. Die Farbe aaf dem Durchschnitt dankelroth. 
Konsistenz weich. Der Blntreichthum mftssig. Die Follikel sind deutlich 
noktbsr. 

37. Einzelne Gekrösedrüsen sind bis 3 cm Durchschnitt vergrOssert, derb 
nit iunkelrothbrauner Farbe. 

38—41. Nieren, Nebennieren, Harnleiter beiderseits ohne pathologischen 
Bsfiad. 

42. Die Harnblase enth&lt 5 ccm trübe, weissliche FlQssigkeit. Die 
8eUeimhaut ist blass, getrübt, gewulstet, mit vereinzelten Blntaustritten. 

Die Flüssigkeit enth&lt wenig Eiweiss. Mikroskopisch: zahlreiche platte 
ud zylindrische Epithelien, vereinzelte EiterkOrper, wenig Bakterien, keine 
Gonokokken. 

45. Die Drüsenhaufen im unteren Dünndarm sind etwas geschwellt. Die 
3ehleimhaut blass. Der Darminhalt flüssig, gallig. 

48. Der Magen ist stark erweitert, enth&lt reichlich Speisehrei. Die 
Schleimhaut ist grau, trübe, gewulstet, verdiokt, enth&lt vereinzelte Blutaus¬ 
tritte im Magengrunde. 

49—50. Leber, Bauchspeicheldrüse ohne pathologischen Befund. 

61. Die Aorta und ihre grosseren Verzweigungen, ebenso auch alle 
•aderen w&hrend der Sektion zur Anschauung kommenden Schlagadern haben 
im Verh&ltniss zu der sonst sehr kräftig gebauten Leiche einen auffallend ge¬ 
ringen Durchschnitt und dünne zarte Wandungen. Ebenso auch die Blutadern. 
Stmmtlicbe Gef&sse enthalten nur flüssiges Blut, keine Gerinnsel. Das Lumen 
der absteigenden Aorta betr&gt 1,4 cm. 

Nach dem angeführten Sektionsbefund handelt es sich in dem 
vorliegenden Fall mit Sicherheit um einen sog. Thymustod. 

Der bei der Sektion gefundene chronische Magen- und Blasen¬ 
katarrh können als Todesursache nicht angeführt werden, zumal 
da sie auch dem für sein Alter sehr kräftig entwickelten Mann 
bisher nie Beschwerden verursacht hatten. Ebenso ergaben sich 
auch aus den sorgfältigen makroskopischen und mikroskopi sehen 
Untersuchungen der übrigen Organe keine Befunde, die den plötz¬ 
lich eingetretenen Tod erklären konnten. Insbesondere waren 
Embolien (Fettembolie) nirgends nachzuweisen. 

Dagegen sprach das Vorhandensein einer grossen persisti- 
renden Thymus, der chronische Milztumor, die Vergrösserung der 
lymphatischen Apparate des Darms, Mesenteriums und der Bron¬ 
chien, die auffallende Enge und Zartheit des Gefässsystems dafür, 
dass es sich in dem vorliegenden Fall um ein Individuum mit 
ausgesprochenem Status thymicus (Paltauf) handelte. 

Die bisher noch nicht geklärte Frage nach der Ursache des 
Todes bei diesen mit Status thymicus behafteten Individuen findet 
auch in diesem Falle keine Lösung. Nach dem Sektionsbefunde 
wäre nur mit Sicherheit auszuschliessen, dass die von einigen 
Autoren angenommene und auch stellenweise beobachtete Todes¬ 
ursache, nämlich Druck der vergrösserten Thymusdrüse auf die 
Gefässe oder die Trachea, hier Vorgelegen habe. Dagegen ist 
eine Wirkung der Thymus auf die naheliegenden Herznerven nicht 
ausgeschlossen. 



124 


Dr. Romeik: Karbolg&ngrän durch Karbolwasseramsohlag. 


Besonders bemerkenswerth ist in dem vorliegenden Fall 
ausser der besonderen Grösse der Thymus und der auffallenden 
Enge und Zartheit der Gefässe noch der Umstand, dass der Tod 
ohne jegliche äussere Einwirkung, als der Verstorbene im Bette 
ruhte, erfolgt ist, während in den bisher veröffentlichten Fällen 
meist äussere Ereignisse (Narkose, Sprung in’s Wasser, operative 
Eingriffe) den plötzlich eintretenden Tod begleiteten. 

Auf Grund des Sektionsergebnisses wurde in dem von der 
Berufsgenossenschaft eingeforderten Gutachten ein Zusammenhang 
zwischen dem Unfall und Tode des V. als nicht bestehend ange¬ 
nommen. 


Karbolgangrän durch Karbolwasserumschlag. 

Von Kreisarzt Dr. Romeick in Mohrnngen. 

Am 27. September v. J. fügte sich der 19jährige Schuh¬ 
machergeselle G. B. von hier eine mässig tiefe Schnittwunde in 
die Beugefläche des Mittelgliedes des rechten vierten Fingers zu 
Er wickelte einen mit Karbolwasser getränkten Leinwandlappen 
herum, behielt diesen Umschlag, ohne die Anfeuchtung zu er¬ 
neuern, nachtüber darauf und erschien am andern Tage 8 Uhr 
Vormittags bei mir zur Behandlung. Die d kleine Schnittwunde sah 
reizlos aus, aber die Umgebung auffällig hart und trocken. Ich 
verordnete Borsalbenverband. In wenigen Tagen verwandelten sich 
die Weichtheile des Mittelgliedes in einen schwarzen Brandschorf, 
der sich unter Eiterung abstiess. Die Heilung des Fingers war 
am 22. November, also nach vollen 8 Wochen beendet. Das 
Fingerglied ist verdünnt, die Beweglichkeit des Fingers durch 
Mitergriffensein der Sehnen sehr vermindert. Das Karbolwasser 
war aus der Apotheke bezogen. Es kann mit Sicherheit ange¬ 
nommen werden, dass, wenn die Kompresse öfter mit Karbol¬ 
wasser nachgefeuchtet bezw. noch am andern Tage auf dem 
Finger draufgeblieben wäre, der ganze Finger gangränös ge¬ 
worden wäre. 

Karbolwasser wird leider vom Volke als Hausmittel bei 
allen blutigen Verletzungen verwendet. Bei Kindern haben Um¬ 
schläge damit schon viele Opfer an Fingern gekostet; der vor¬ 
liegende Fall lehrt, dass auch bei Erwachsenen die Fingerweich- 
theile selbst bei Einwirkung geringer Mengen und bei ge¬ 
ringer Zeitdauer dadurch brandig werden können. Leider darf 
sowohl in den Apotheken als auch ausserhalb der Apotheken 
Karbolwasser als Lösung zu Desinfektionszwecken abgegeben 
werden; nur wenn die Lösung stärker als 8°/ 0 ist, unterliegt 
ihre Abgabe den Bestimmungen über den Verkehr mit Giften. 
So lange die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen unverändert 
bleiben, werden auch ferner Unglücksfälle, wie der mitgetheilte, 
nicht zu den Seltenheiten gehören. 



Dr. Hoffmann: Fall von Leichenzerstttckelung and •Verbrennang. 125 


Fall von Leichenzerstückelung und -Verbrennung. 

Von Dr. Hoffmann, Gerichtsarzt in Elberfeld. 

Am 28. August 19 . . wurde ich von dem hiesigen Unter¬ 
suchungsamte nach H. zu einer „Leichenschau" requirirt. 

Ueber den Befund bei dieser habe ich ungefähr das Nach¬ 
stehende zu Protokoll gegeben: 

In einem Sarge finden sich ca. 20 Stücke „Fleisch“, die kleinsten in der 
Grösse eines Hühnereis, das grösste 27 cm lang, 21 cm breit nnd 9 cm dick. 
Die meisten sind mit Hant bekleidet und haben ganz glatte RSnder. 

Die Oberhant sieht bei einigen schmutzig - weiss ans, bei anderen blau- 
rotb. Einschnitte in diese blan-rothen Stellen, welche theilB streifig, theils 
gleichmässig verwaschen sind, lassen bis tief in die Muskulatur hinein freies 
Blut im Gewebe erkennen. 

Mit Sicherheit werden erkannt: 

1. beide Schaltern, an der linken befindet sich noch das Schalterblatt 
nad das annähernd in der Mitte platt darchtrennte Schlüsselbein, des freie 
Bade erscheint wie blatdnrchtränkt. 

Die Hantfarbe beider Schaltern ist bl&a-roth; freies Blot im Gewebe; 

2. zwei Stücke der vorderen Banchw&nd angehörig, an dem einen noch 
die männlichen Geschlechtsteile, das andere durch Scham haare kenntlich; 
an dem linken Theile ist die Oberhaut blan-roth; freies Blnt im Gewebe; 

3. die brüchige, schwarz-grüne Leber mit gefüllter Gallenblase; 

4. das schmutzig - branne Herz, dessen linke Kammer durch einen von 
oben nach unten verlaufenden, glatten Schnitt eröffnet ist; 

5. der untere Theil des Dünndarms nnd der obere des Dickdarms, beide 
noch zusammenhängend und am Gekröse befindlich; 

6. von sämmtlichen Weichtheilen entblösst die untere Hälfte des linken 
Oberschenkelknochens und die obere des linken Unterschenkelknochens beide 
Schenkel durch die Bänder des Kniegelenks zusammenhängend. 

Die sämmtlichen Theile waren Tags zuvor in einem Garten vergraben 
anfgefunden worden. Es wurde nochmals nachgegraben nnd ausser 6 völlig 
«■kenntlichen, je ungefähr hühnereigrossen, weichen Leichenresten nnd der 
oberen Hälfte des linken Oberschenkelkopfes noch ein 40 cm langer, 10 cm 
breiter und 4 cm dicker Fleischlappen zu Tage gefördert. Die Oberhaut 
dieses Lappens war blau-roth gefärbt, Einschnitte zeigten freies Blut im 
Gewebe in der Dicke von 4—5 mm. 

Das Gutachten konnte natürlich irgend eine bestimmte 
Todesursache nicht feststellen; es schloss: die blaurote Ver¬ 
färbung rührt her von äusseren Einwirkungen (Schlag, Stoss 
Q. s. w.), die den Verstorbenen im Leben getroffen haben, und es 
ist nicht unmöglich, dass sie die Todesursache darstellen. 

Unterdessen durchschwirrte den Ort H. das Gerücht, der 
Gelegenheitsarbeiter F. sei ermordet worden, und S., in dessen 
Garten jene Leichentheile gefunden waren, sei der Thäter. 
S. legte ein Geständniss ab und wiederholte es bei der am 6. Ok¬ 
tober stattgefundenen Schwurgerichtsverhandlung. Danach und 
nach den Zeugenaussagen hat sich der Vorgang so abgespielt: 

Am 24. August 19 . . haben F. nnd S. zusammen Schnaps getrunken. Als 
die 8 jährige Tochter des S. neuen Vorrath holen sollte, begleitete sie F. und 
•oll sie unterwegs unsittlich berührt haben. S. hat die beiden überrascht und 
ist über die That in Wuth gerathen, jedoch kam die „Wuth“ erst zum Aus- 
brach, nach dem die drei in die Wohnung des S. zurückgekehrt waren, und 
P. u. 8. zusammen den neu geholten Branntwein ausgetrnnken hatten. 

8. schlug den F. abwechselnd mit 3 Stöcken und einer Peitsche. Der 
tize Stock wird geschildert als ein eichener Stock von 2 cm Durchmesser, oben 
etwas gesplittert. Nach dem Schlagen hat S. seiner Ehefrau seine Hände 
geaeigt, in denen durch das Schlagen Blasen entstanden waren; die Zahl der 



126 Dr. Hoffmans: Fall von Leichenzerstttckelnng and -Verbrennung. 


Schläge soll nach der eigenen Angabe des S. 20—80 betragen haben; die 
Kleider des F. haben in Folge der Schläge in Fetzen um den Körper gehangen. 

DieBe Prügelszene hat sich in verschiedenen Akten Uber den ganzen 
Vormittag erstreckt, eine Aenssernng hat angeblich gelautet: „ich will Dir 
keine Knochen kaput hauen, aber apfelweich musst Du werden 1“ F., der an¬ 
geblich betranken war, ist zu Boden gestürzt, hat nachher jammernd und 
stöhnend sich hinter das Haus geschleppt, wahrscheinlich hat er hier noch 
weitere Prügel bekommen. Im Laufe des Nachmittags ist F. hier gestorben. 

S. will anfangs die Absicht gehabt haben, den Tod der Polizei zn melden, 
da aber der Bücken des F. so blau und roth ausgesehen habe, so habe er aus 
Angst vor Weiterungen von einer Anzeige Abstand genommen nnd den Leichnam 
verborgen, nm ihn am anderen Tage zn beseitigen. Den Abend hat S. im 
Wirthshans verbracht. Am anderen Morgen schleppte er die Leiche in den 
Keller, loste mit einem grossen Fleischermesser die Weichtheile von den 
Knochen nnd zestüokelte mit einer Axt die Leiche. Zuerst hat er nach seinen 
Angaben den Kopf abgetrennt, dann die Gliedmassen, die Wirbelsäule hat 
er dnrchgehackt, die Weichtheile hierauf vergraben, die Knochen verbrannt. 
Den Kopf z. B. hat er in toto in den glühenden Stubenofen geworfen und ihn 
mit Kohlen bedeckt, und so allmählich Alles bis auf die gefundenen Beste 
durch das Feuer vernichtet, abgesehen von einigen kleinen Stücken, die durch 
Katzen verschleppt worden seien. 

Die Asche des Ofens wurde durchsucht und in ihr noch einige feste 
Beste gefunden, die deutlich die Struktur eines Knochens erkennen Hessen. 

Ausserdem fanden sich in der Asche Knochenreste, die in 3 Punkten 
sicheren Anhalt für die Bestimmungen der naturgemässen Lagerung der 
Knochen gaben. Es wurden erkannt die Hälfte eines verkohlten Gelenkkoptes, 
verschiedene Finger- und Zehen • Knochen und endlich ein kleines, flaches, 
etwas kugelförmig gebogenes Knochenstttok, auf dessen Innenseite eine Gefäss- 
furohe sichtbar war; dieses letztere wurde als ein Best des Schädeldaches 
angesproohen. 

Auf Grund der Beweisaufnahme und des objektiven Be¬ 
fundes habe ich mein Gutachten dahin abgegeben, dass F. in Folge 
der Misshandlungen gestorben sei, dabei sei es gleichgültig, ob 
als letzte Todesursache ein „Nerven-Shock“ oder die zweifellos 
nicht unerhebliche Blutung in die Gewebe anzusehen sei. 

Die Verurtheilung erfolgte wegen Körperverletzung mit 
Todes-Erfolg. 

Nur noch einige Worte über die Persönlichkeit des Thäters 

Ich will vorweg bemerken, dass er in Bezug auf seinen 
Geisteszustand einen derartig günstigen Eindruck machte, dass 
nicht einmal die Vertheidigung ihn als „minderwerthig“ oder dergl. 
hinznstellen versuchte. Geboren am 17. Juli 1871 ist er nach 
seiner Entlassung aus der Schule Kuhhirt, Viehwärter, Arbeiter, 
Pferdeknecht, Schnapsbrenner, Abdeckereigehülfe, Hundezüchter 
in bunter Abwechslung gewesen. Er hat seiner Militärpflicht 
genügt, ist bis jezt nicht vorbestraft gewesen, stammt von ge¬ 
sunden Eltern, hat gesunde Geschwister und gesunde Kinder, ist 
selbst stets gesund gewesen, hat erst in der Zeit, wo er Schnaps¬ 
brenner war, angefangen, Schnaps zu trinken, ist aber kein regel¬ 
mässiger Säufer gewesen und auch nicht oft betrunken gesehen 
worden. 

Trotzdem stand er nicht in gutem Rufe, er galt als arbeits¬ 
scheu, gewaltthätig und war im Verdacht, sich öfters gegen 
fremdes Eigenthum zu vergehen; seine Frau wirkte — so hiess 
es — als puella publica. 



Dr. Klo«: Mitwirkung der Medizinalbeamten a. d. Gebiete der Gewcrbebygiene. 127 


Er machte den Eindruck eines verschlossenen, aber durchaus 
schlauen und „gerissenen“ Menschen. Während der Untersuchungs¬ 
haft habe ich ihn häufig aufgesucht; Spuren abnormer Beschaffen¬ 
heit seines Geisteszustandes sind nicht beobachtet worden. 

Interessant ist dieser Fall sicher insoweit, als hier der 
Thäter seine als Abdeckerei -Gehülfe erworbenen Kenntnisse be¬ 
nutzte. um einen Menschen zu „zerlegen“ und dann kalt und ruhig 
seine That eingestand. Wäre dem Auffinden der Leichenreste 
nicht die Entdeckung des Thäters auf dem Fusse gefolgt, so 
wäre der Kombination Thor und Thür geöffnet gewesen. 


Die Mitwirkung der Medizinalbeamten auf dem Gebiete der 
Gewerbehygiene, namentlich mit Rücksicht auf den Gesund¬ 
heitsschutz der Arbeiter gegen Tuberkulose und andere 

Krankheiten. 

Von Kreisarzt Medizinalrath Dr. Klose in Oppeln. 

Für die preussischen Kreisärzte schreibt §. 92 der Dienst¬ 
anweisung vor: 

„Der Kreisarzt muss aneh den bestehenden Gewerbebetrieben seines 
Bezirke, welche die öffentliche Gesundheit oder die der beschäftigten Arbeiter 
za ssh&digen geeignet sind, oder welche durch ihre festen und flüssigen Ab¬ 
ginge eine Verunreinigung der öffentlichen Wasserlftufe und des Untergrundes 
befürchten lassen, seine Aufmerksamkeit zuwenden und auf die Beseitigung 
vorhandener gesundheitlicher Schädlichkeiten und Belästigungen hinwirken. 

Er hat sich mit den zatsändigen Behörden und Beamten, namentlich den 
Gewerbeinspektoren, in Verbindung zu setzen (vergl. §. 18 d. Anw.) mit diesen 
gemeinschaftlich nach Bedürfnis die Anlagen, insbesondere solche, deren Betrieb 
vorzugsweise Gesundheitsscbädigungen im Gefolge hat (z. B. Phosphor-, Ztind- 
waaren-, Spiegel-, Bleifarben-, Akkumulatoren-, Glühlampen- und chemische 
Fabriken) zu besichtigen und darauf zu achten, dass den hygienischen An¬ 
forderungen überall gebührende Rechnung getragen wird. 

Auch die mit einzelnen Zweigen der Hausindustrie verbundenen Schädlich¬ 
keiten soll der Kreisarzt beachten nnd entsprechende Abhülfemassnahmen 
aaregen.* 

Bei der Neuordnung der Stellung der Medizinalbeamten in 
Preussen erschien dieser Paragraph wohl mit als das schönste 
Geschenk; denn er sicherte denselben doch eine Mitwirkung in 
der Hygiene der gewerblichen Betriebe zu, die sie bereits lange 
&nge8trebt hatten. Der Absatz 2 des Paragraphen, welcher be¬ 
stimmt, dass die Kreisärzte sich mit den Gewerbe-Inspektoren in 
Verbindung zu setzen haben, um gemeinschaftlich mit ihnen zu 
wirken, ist meiner Ansicht nach nicht als eine Einschränkung 
einer gedeihlichen Thätigkeit der Medizinalbeamten anzusehen, 
sondern eher geeignet, die Wirksamkeit ihrer Massregeln zu er¬ 
höhen, Dank der autoritativen Stellung in den Gewerben einschl. 
den häuslichen Betrieben, welche die Gewerbe-Aufsichtsbeamten 
sich im Laufe der Zeit zu gewinnen verstanden haben. Aber 
diese Bestimmung bleibt lediglich eine leere Formel, so lange 
nicht auch die Gewerbe-Inspektoren dort Halt machen, wo die 
Medizin anfängt und sich zunächst hier mit den Medizinalbeamten 
m-Verbindung setzen. 



128 


Dr. Klose. 


Die Befürchtungen, welche an manchen Orten laut wurden, 
dass die Medizinalbeamten im Vollbewusstsein der Machtfülle, die 
ihnen die Dienstanweisung zuerkennt, die gebührenden Grenzen 
überschreiten könnten, sind meines Wissens nirgends oder 
wohl nur sehr vereinzelt in Erfüllung gegangen; ganz be¬ 
sonders sind gewerbliche Betriebe mit solcher Vorsicht und ledig¬ 
lich in rein gesundheitspolizeilichem Interesse besucht worden, 
wenigstens soweit ich informirt bin, dass selbst der empfindlichste 
Gewerbe-Inspektor kaum darüber klagen konnte, es habe ein Ein¬ 
griff in seine Machtsphäre stattgefunden. Keinem Medizinal¬ 
beamten dürfte daher mit Recht der Vorwurf gemacht werden 
können, ein Gebiet betreten zu haben, auf dem er Laie und daher 
inkompetent sei. 

Umgekehrt bin ich nicht in der Lage, auch von den Gewerbe- 
Inspektoren sagen zu können, dass sie sich meines Wissens 
streng in den ihnen gezogenen Grenzen halten und in rein medi¬ 
zinischen Fragen sich erinnern, dass es auch staatliche Gesund¬ 
heitsbeamte gäbe. Hat doch z. B. in meinem Wohnorte ein 
Gewerbe-Inspektor in einem Krankenhause Erkundigungen 
über Gewerbe-Krankheiten eingeholt. Der Besuch des Kranken¬ 
hauses im September vorigen Jahres seitens des Gewerbe- 
Inspektors rief dort solches Befremden hervor, dass der Anstalts- 
arzt sich verpflichtet hielt, mir davon Mittheilung machen zu 
müssen. Es handelte sich hier zweifellos um einen Fall, in dem 
sicher ohne Noth die Beihülfe der Medizinalbeamten bei Seite ge¬ 
schoben wurde und, wie ich weiter glaube behaupten zu können, 
die nothwendigen Massregeln mindestens hier am Orte nicht 
richtig erkannt wurden, obwohl sie auf der Hand lagen. Auf 
die von dem Krankenhausarzt erhaltene Nachricht frag ich bei 
dem von mir hochgeschätzten Gewerbeinspektor an und erhielt in 
der liebenswürdigsten Form bald die nachstehende Auskunft: Den 
ersten Anstoss zu seinen Ermittelungen habe eine Eingabe der 
Zentralkranken- und Sterbekasse der Tapezierer und verwandten 
Berufsgenossen an das Kaiserliche Gesundheitsamt gegeben, in der 
darauf hingewiesen sei, dass 1900 von 2511 Erkrankten der ge¬ 
dachten Berufsarten 252 (10°/ 0 ) an Lungenkrankheiten und 

255 (10,1 °/ 0 ) an Rheumatismus gelitten hätten, und von den 178 
in den Jahren 1896—1900 gestorbenen Kassenmitgliedern 87 
(48,8 °/o) an Lungenleiden gestorben seien. Die Ursache dieser 
ungünstigen Gesundheitsverhältnisse habe der Kassenvorstand theils 
in der Beschäftigung mit stauberzeugenden Arbeiten, theils aber 
auch und zwar ganz besonders in der Beschaffenheit der Werk¬ 
stätten gefunden, von denen eine erhebliche Zahl in einzelnen Orten 
bis zu 25 °/ 0 in Kellerräumen untergebracht sei. Diese Keller¬ 
werkstätten seien zum Theil in Folge ihrer tiefen Lage unter 
dem sie umgebenden Terrain feucht und schlecht ventilirbar, auch 
der Belichtung durch Sonnenstrahlen entrückt. Durch Ministerial¬ 
erlass vom 2. Mai 1902, Verfügung des Regierungspräsidenten vom 
19. Mai 1902, seien die Gewerbeaufsichtsbeamten beauftragt, über 
die Berechtigung dieser Klagen zu berichten. Nach den von dem 



Die Mitwirkung der Mediiinalbeamten auf dem Gebiete der Gewerbehygiene etc. 129 


hiesigen Gewerbeinspektor angestellten Ermittelungen, die sieh 
auch anf Mittheilungen des hierüber gefragten Kassenarztes 
stützten, sollten nun Erkrankungen der gedachten Art, die auf 
die Berulsthätigkeit zurückzuführen wären, bei den Mitgliedern 
der hiesigen Tapezierer- und Sattlerinnung bislang nicht beobachtet 
worden sein; ebensowenig sei die Unterbringung dieser Werk¬ 
stätten in Kellerräumen wahrgenommen worden. 

Obwohl die Mittheilung der Zentralkranken- und Sterbekasse 
nichts Ueberraschendes für mich bot, so versuchte ich doch auch 
die Verhältnisse innerhalb meines Amtsbezirkes festzustellen, so¬ 
weit sich dies als unbeauftragter Gutachter thun liess. Den Be¬ 
such der Werkstätten unterbrach ich allerdings bald, da mir bei 
aller Freundlichkeit stets ein ängstliches Misstrauen entgegen¬ 
gebracht wurde, was unangenehm berührte; auch hatte ich die 
Ueberzeugung, bei diesen Besuchen nicht stets die volle Wahr¬ 
heit zu erfahren. 

Meine Erkundigungen beim Kassenarzt der Stadt ergaben 
ein günstiges Resultat, ebenso die Einsichtsnahme in das Kranken¬ 
register beim Rendanten der Krankenkasse. 

Die Details kann ich übergehen, da nicht die Frage, welche 
die Zentralsterbekasse der Tapezierer angeregt hat, von mir in 
der Hauptsache besprochen werden soll, sondern sie allein in der 
Art ihrer Behandlung mir Gelegenheit bietet, die etwas stief¬ 
mütterliche Stellung der Medizinalbeamten in der Gewerbehygiene 
zu betonen. Es möge jedoch kurz erwähnt sein, dass die Kranken¬ 
kassenmitglieder, nur aus Gesellen und Lehrlingen, hierorts durch¬ 
weg sehr jugendliche Personen, bestehend, sämmtlich gesund 
waren, die Meister mit 1 Lungenkatarrh und 2 Kehlkopfkatarrhen 
9,7 °/o Morbidität an Krankheiten der Respirationsorgane und 
7,0 °/ 0 Rheumatismuskranke aufwiesen, dass schliesslich innerhalb 
15 Jahren 2 Todesfälle an Tuberkulose -vorgekommen waren und 
zwar 1 Meister und eine Meisterstochter, die mitgearbeitet hatte. 
Die Werkstätten waren nicht durchweg einwandsfrei; zwar war nur 
eine Kellerwerkstatt vorhanden, doch mussten 6 weitere Parterre- 
räume als feucht, theilweise dunkel und sonst eng bezeichnet 
werden, soweit ich sie gesehen habe, so dass sie kaum einen 
Vorzug vor den Kellerwohnungen boten. Der Kreisarztbezirk 
Oppeln würde demnach 22,5 °/ 0 Werkstätten mit den gleich un¬ 
günstigen Verhältnissen aufweisen, in denen die Zentralkranken- 
und Sterbekasse die Ursache der hohen Krankheitsziffer ihrer 
Mitglieder an Lungen- und rheumatischen Erkrankungen und die 
hohe Sterblichkeit an Lungenkrankheiten erblickt. 

Die Frage, woher trotzdem hier die günstigeren Morbiditäts- 
und Mortalitäts - Verhältnisse kommen, erscheint mir übrig; denn 
die Zahlen, welche ein so kleiner Bezirk bietet, bei denen ein 
Todesfall oder ein Krankheitsfall bereits 1,5 °/ 0 repräsentiren, sind 
zu gering, um damit Statistik treiben zu können; der kleinste 
Zufall wird nach der einen oder anderen Seite hier falsche Re¬ 
sultate zu Wege bringen müssen. Man darf sich eben nicht durch 
die scheinbar günstige Sachlage in einem Orte täuschen lassen, 



lao 


Dr. Klose. 


sondern die allgemeine Erfahrung ruft uns zu: „consules videant, 
ne quid detrimenti respublica capiat“ und die consules haben 
meines Erachtens hier die Medizinalbeamten zu sein. 

Es besteht zweifellos eine Gefahr, die den Tapezierern droht: 
das ist die Infektion seitens durchseuchter Polster, Sophas etc., 
die zur Umarbeitung denselben übergeben werden. Dieser Ge¬ 
danke gewinnt in hohem Grade an Wahrscheinlichkeit, wenn wir 
die Zahlen uns ansehen, welche die Zentralkranken- und Sterbe¬ 
kasse nennt. Hierbei ist es sofort auffällig, dass die Nachtheile, 
welche der hohen Mortalitätsziffer zu Grunde liegen, sich nur nach 
einer Richtung hin hauptsächlich geltend machen und zwar be¬ 
züglich der Lungenleiden. 48,8 °/ 0 aller Todesfälle bedeutet etwa 
den doppelten Prozentsatz, der im gesammten Deutschland auf 
sämmtliche Todesfälle in Folge Erkrankungen der Respirations¬ 
organe kommt, von denen die kleinere Hälfte etwa auf Rech¬ 
nung der Tuberkulose fällt, wobei noch nicht einmal in Betracht 
gezogen wird, dass es sich hier nur um die Altersklassen nach 
15 Jahren handelt, also das Verhältniss in Wirklichkeit noch un¬ 
günstiger ist. 

Die Lungenleiden, um die es sich bei den Tapezierern und 
Sattlern handelt, dürften wohl überwiegend Tuberkulose betreffen. 
Es muss, wenn diese Annahme zutrifft, woran kaum zu zweifeln 
ist, eine Lücke bestehen in den Schutzmassregeln, welche für die 
Gewerbetreibenden getroffen sind. 

Die Massregeln, soweit sie die Werkstätten in Bezug auf ge¬ 
nügend Licht, Luftinhalt, Luftwechsel bezw. die mechanische Be¬ 
triebsvorrichtungen in Bezug auf Sicherheitsvorkehrungen beim 
Betriebe der Maschinen u. s. w. betreffen, verweise ich gern in 
das Dezernat der Gewerbe-Aufsichtsbeamten, wie es bisher war, 
sie können auch ohne medizininische Kenntnisse ausreichend kon- 
trollirt werden. Schwieriger ist es jedoch schon bei den Vor¬ 
kehrungen, welche den Zweck haben, schädliche Staubeinathmnng 
und Kontaktinfektionen zu verhindern; hier fängt im vorliegenden 
Falle das Dezernat oder wenigstens die Mitwirkung des Medizinal¬ 
beamten an. 

Da, wo der Staub auf dem Arbeitstisch sich entwickelt, mag 
es gelingen, ihn abzufangen, aber, wo es sich um grosse Gegen¬ 
stände, wie Matratzen und Sophas handelt, welche zertrennt und 
aufgepolstert werden sollen, entwickelt sich unvermeidlich ein 
Staub, der nicht ohne Weiteres absaugbar ist, sondern der im 
Gegentheil durch luftige, sagen wir auch zugige Räume, noch mehl* 
in verhängnisvoller Weise umhergejagt wird. Die Athmungs- 
schutzmasken können in diesem Falle vielleicht schützen, aber 
wer wendet sie an? 

Wie würde es ferner in den Tapezierwerkstätten von Seiten 
der Gewerbe-Aufsichtsbeamten zu ermöglichen sein, Vorkehrungen 
zu treffen, um die Kontaktinfektion zur Zeit zu vermeiden? Gesetzt 
den Fall, es gelänge, Anordnungen zu treffen, dass z. B. der Ta¬ 
pezierer jedes Mal, wenn er die Arbeit an infektiösem Material 
nnterbricht, um vielleicht etwas zu essen oder eine andere Arbeit 



Die Mitwirkung der Medixin&lbeamten aui dem Gebiete der Gewerbehjgiene etc. 181 

zu übernehmen oder auch nur, nm sein Taschentuch zn ge¬ 
brauchen u. s. w., seine Hände zu reinigen habe, glaubt dann 
irgend Jemand, dass die Anordnungen gewissenhaft befolgt werden 
würden? 

Es würde hier dieselbe gewissenhafte Desinfektion noth- 
wendig werden, die in jedem bakteriologischen Laboratorium ge¬ 
boten ist, soweit reicht aber die Intelligenz der Handwerker doch 
wohl nicht. Ehe ein Arbeiter zum Gebrauch solcher Mittel frei¬ 
willig bewogen wird — und freiwillige Mitwirkung ist hier nun 
einmal unerlässlich — da muss es sich schon um Unbequemlich¬ 
keiten handeln, die sofort recht unangenehm lästig fallen. Der 
Durchschnitt der Handwerker ist eben nicht intelligent genug, 
am einzusehen, dass der ihm harmlos erscheinende Staub, der in 
der Luft herumwirbelt oder an seinen Händen klebt, todtbringende 
Keime enthalten kann. In einer grossen Zahl von Fällen werden 
aber Matratzen, Sophas, Ruhesessel zur Umarbeitung und neuem 
Ueberziehen fortgegeben, auf denen ein armes Menschenkind die 
letzten müden Lebensmonate, bisweilen auch Jahre zugebracht 
and die Augen geschlossen hat. 

Bei einzelnen Krankheiten, z. B. bei Typhus, Diphtherie, 
ist man nun glücklich soweit, dass die Sachen mehr oder weniger 
wirksam vorher desinfizirt werden; bei Krebs herrscht im Allge¬ 
meinen solcher Abscheu, dass ein grosser Theil der Sachen ver¬ 
nichtet wird; nach Schwindsucht denkt jedoch bis jetzt nur der 
kleinste Theil der Menschen an eine Desinfektion oder gar Ver¬ 
nichtung. Gerade diese Krankheit stellt aber das Hauptkontin- 
gent der jahre- und monatelang siechen Patienten; die durch 
Auswurf und Dejekte die Polsterungen infiziren, deren Staub 
weiterhin den Tapezierern so verhängnisvoll werden kann. 

Vielleicht ist besonders der Umstand, dass in grösseren wohl¬ 
habenderen Orten öfters äusserlich sonst noch gut erhaltene der¬ 
artige Möbel zur Umarbeitung gelangen, als in kleineren unbe¬ 
mittelten Orten, die Ursache, dass in letzteren, wie z. B. hier, die 
Verhältnisse günstiger liegen, als in den grösseren Städten. 

Um der Gefahr, welche von dieser Seite den Tapezierern 
droht, mit Erfolg begegnen zu können, muss man die Werkstätten 
verlassen. Jedenfalls würde es der Sache selbst dienlicher ge¬ 
wesen sein, wenn die Eingabe der Zentral - Krankenkasse der 
Tapezierer vom Reichsgesundheitsamte aus auch den Weg in das 
Kultusministerium gefunden hätte und bei den Ermittelungen auch 
die Mitwirkung der Medizinalbeamten in Anspruch genommen 
wäre. Jedenfalls fehlt es diesen nicht an gutem Willen, auch 
auf dem Gebiete der Gewerbehygiene thätig zu sein und ihre 
Kräfte nach Möglichkeit einzusetzen, um "sich des jetzt noch 
fehlenden Vertrauens zu erwerben. 

Eine gedeihlichere Mitwirkung wie jetzt wäre den Medizinal¬ 
beamten in der Gewerbe-Hygiene schon dann gesichert, wenn 
ihnen das statistische Krankenmaterial aus den einzelnen Kranken¬ 
kassen ihres Amtsbezirks alljährlich zur Verfügung'gestellt würde; 
«s ist dies ein Wunsch, der wohl billig und leicht erreichbar wäre. 



132 Entwarf eines Ausftihrungsgesetzes na dem Reichsgesetz, betr. 

Im vorliegenden Falle handelte es sich aber zweifellos nm 
eine gesundheitliche Gefahr der Tapezierer, welche diesen dnrch 
unzureichende Massregeln der Seuchenbekämpfung droht; sie liegt 
weit ab von dem Gebiet, auf dem der Gewerbe - Aufsichtsbeamte 
sich noch als Sachverständiger fühlen darf. 

Zum Schluss noch eine Bemerkung: Ich weiss sehr wohl, 
dass ich hier nur einen der uns Aerzten bekannten Schleichwege 
berührt habe, deren unzählige die unheilvolle Seuche aufsucht, 
um zur Geissei der Menschheit zu werden, aber diese Wege und 
gleichzeitig sicher eine Reihe anderer, könnten verlegt werden, 
wenn mau endlich dazu käme, die Schwindsucht, in Bezug auf 
Meldepflicht und Desinfektionsmassregeln, unter die schweren 
Infektionskrankheiten zu zählen. Ich stehe in dieser Hinsicht ganz 
auf dem Standpunkt vom Kollegen Helves, dass die Melde¬ 
pflicht der Todesfälle nur eine halbe Massregel und deshalb die 
Meldepflicht sämmtlicher Krankheitsfälle anzustreben ist, aber so 
lange wir das Ganze nicht erreichen können, wäre es schon ein 
Vortheil, die Hälfte zu erlangen. Die Meldepflicht der Tuber¬ 
kulose-Erkrankungen ist eben schwer durchführbar, dagegen 
dürfte diejenige der Todesfälle auf keine Schwierigkeiten stossen; 
soll diese aber auf Genauigkeit Anspruch machen, so müsste sie 
die offizielle Leichenschau zur Voraussetzung haben. 

Als weitere Massregel wäre der Desinfektionszwang 
nach jedem Schwindsuchtstodesfall nothwendig. 

Das Material, welches beweisend für die Nothwendigkeit der 
angedeuteten Massregeln und wahrscheinlich noch mancher anderer 
ist, kann allein gewonnen werden durch Mitarbeit der Medizinal¬ 
beamten auf dem Gebiet der Gewerbehygiene. Das Arbeitsfeld 
ist hinreichend gross, um ohne Eifersüchtelei ein Zusammen¬ 
arbeiten der Gewerbe-Aufsichts- und Medizinalbeamten zu ge¬ 
statten, und die noch zu lösenden Fragen sind so viele und 
mannigfache, dass eine Reihe von Wissenszweigen zu ihrer Be¬ 
wältigung herangezogen werden müssen; unter diesen nimmt aber 
die medizinische Wissenschaft sicher nicht den unansehnlichsten 
Platz ein! _ _ 

Entwurf eines Ausflihrungsgesetzes zu dem Reichsgesetz, 
betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten 

vom 30. Juni 1900 

Der dem preussischen Abgeordnetenhause jetzt vorgelegte 
Entwurf eines Seuchengesetzes hat folgenden Wortlaut: 

Erster Abschnitt. 

Anseigepflioht. 

§. 1. Ausser den in dem §. 1 des Reichsgesetzes aofgeführten Fällen 
der Anseigepflioht — hei Aassatz (Lepra), Cholera (asiatischer), Fleekfieber 
(Flecktyphus), Gelbfieber, Pest fnrieutalische Benlenpest), Pocken (Blattern), — 
ist jede Erkrankung and jeder Todesfall an: 

Diphtherie (Rachenbräune), 

Genickstarre, übertragbarer, 

Kindbettfieber (Wochenbett-, Puerperalfieber), 

Körnerkrankheit (Granulöse, Trachom), 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 19Ö0. 133 

Lungen* und Kehlkopfstuberkulose, die Erkrankung jedoch nur, wenn ein 
an vorgeschrittener Lungen- und Kehlkopfetuberkulose Erkrankter 
seine Wohnung wechselt, 

Rückfallfieber (Febris recurrens), 

Ruhr, Übertragbarer (Dysenterie), 

Seharlach (Scharlachfieber), 

Syphilis, Tripper und Schanker, bei Personen, welche gewerbsmässig Un¬ 
sucht treiben, 

Typhös (Unterleibstyphus), 

Milzbrand, 

Rots, 

Tollwuth (Lyssa), 

Fleisch-, Fisoh- und Wurstvergiftung, 

Trichinose, 

jeder Fall, welcher den Verdacht von Kindbettfieber, Rlickfallfieber, Typhus 
oder Rotz erweckt, 

der für den Aufenthaltsort des Erkrankten oder den Sterbeort zuständigen 
Polizeibehörde unverzüglich anzuzeigen. 

Wechselt der Erkrankte die Wohnung oder den Aufenthaltsort, so ist 
dies unverzüglich bei der Polizeibehörde, bei einem Wechsel des Aufenthalts¬ 
orts auch bei derjenigen des neuen Aufenthaltsorts zur Anzeige zu bringen. 

§. 2. Zur Anzeige sind verpflichtet: 

1. der zugezogene Arzt, 

2. der Haushaltungsvorstand, 

3. jede sonst mit der Behandlung oder Pflege des Erkrankten ' be¬ 
schäftigte Person, 

4. derjenige, in dessen Wohnung oder Behansung der Erkrankungs- oder 
Todesfall sich ereignet hat, 

6. der Leichenschauer. 

Die Verpflichtung der unter Nr. 2 bis 5 genannten Personen tritt nur 
dann ein, wenn ein früher genannter Verpflichteter nicht vorhanden ist. 

Die unter 1 und 3 bezeichnten Personen haben in jedem Falle, in 
welchem sie von Unteroffizieren und Mannschaften des aktiven Heeres zur Be¬ 
handlung von Syphilis, Tripper oder Schanker zugezogen werden, dies dem 
Kommando des betreffenden Truppentheils oder dem bei demselben angestellten 
Obermilitärarzte unverzüglich anzuzeigen. 

§. 3. Für Krankheits- und Todesfälle, welche sich in öffentlichen 
Kranken-, Entbindungs-, Pflege-, Gefangenen und ähnlichen Anstalten ereignen, 
ist der Vorsteher der Anstalt oder die von der zuständigen Stelle damit beauf¬ 
tragte Person ausschliesslich zur Erstattung der Anzeige verpflichtet. 

Auf Schiffen oder Flössen gilt als der zur Erstattung der Anzeige ver¬ 
pflichtete Haushaltungsvorstand der Schiffer oder Flossfübrer oder deren Stell¬ 
vertreter. 

Der Minister der Medizinal angelegenheiten ist ermächtigt, im Einver¬ 
nehmen mit dem Minister für Handel und Gewerbe Bestimmungen darüber zu 
erlassen, an wen bei Krankheits- und Todesfällen, welche auf Schiffen oder 
Flössen Vorkommen, die Anzeige zu erstatten ist. 

§. 4. Die Anzeige kann mündlich oder schriftlich erstattet werden. Die 
Polizeibehörden haben auf Verlangen Meldekarten für schriftliche Anzeigen 
ueatgeltlich zu verabfolgen. 

§. 5. Das Staatsministerium ist ermächtigt, die ln den §§. 1 bis 4 dieses 
Gesetzes enthaltenen Bestimmungen über die Anzeigepflicht für einzelne Theile 
oder den ganzen Umfang der Monarchie auch auf andere übertragbare Krank¬ 
heiten vorübergehend auszudehnen, wenn und so lange dieselben in epidemischer 
Verbreitung auftreten. 

Das Staatsministerium ist ermächtigt, bei der Lungen- und Kehlkopfs- 
teberkulose die Anzeigepflicht über den in dem §. 1 dieses Gesetzes bezeich¬ 
ne ten Umfang zu erweitern, auch wenn die Voraussetzungen des ersten Ab¬ 
satzes nicht vorliegen. 

Zweiter Abschnitt. 

Ermittelung der Krankheit. 

§. 6. Die in den §§. 6 bis 10 des Reiebsgesetzes enthaltenen Be¬ 
stimmungen über die Ermittelung der Krankheit finden entsprechende An- 



134 Entwarf eines Ausführungsgesetzes za dem Reichsgesetz, betr. 

wendang auf Erkrankungen, Verdacht der Erkrankungen und Todesfälle an 
Kindbettfieber, Rttokfalifieber, Typhus und Rotz, sowie auf Erkrankungen und 
Todesf&lle an fibertragbarer Genickstarre, fibertragbarer Ruhr, Milzbrand, Toll- 
wuth, Fleisch-, Fisch- und Wurst Vergiftung und Trichinose. 

Auch kann bei Typhus- oder Rotzverdacht eine Oeffhung der Leiche 
polineilich angeordnet werden, insoweit der beamtete Arst dies zur Feststellung 
der Krankheit ffir erforderlich hält. 

Die ersten Fälle der vorstehend nicht genannten übertragbaren Krank¬ 
heiten (§. 1) hat, falls sie nicht von einem Arzte angezeigt sind, die Ortspoli- 
zeibehfirde ärztlich feststellen zu lassen. 

g. 7. Das Staatsministerium ist ermächtigt, die in dem §. 6, Abs. 1 
dieses Gesetzes bezeichneten Bestimmungen ganz oder theilweise ffir einzelne 
Theile oder den ganzen Umfang der Monarchie auch auf andere als die daselbst 
anfgefährten abertragbaren Krankheiten vorübergehend auszudehnen, wenn und 
so lange dieselben in epidemischer Verbreitung auftreten. 

Dritter Abschnitt. 

Schutzmasaregeln. 

§. 8. Zar Verhütung der Verbreitung der in dem §. 1 dieses Gesetzes 
genannten Krankheiten können für die Dauer der Krankheitsgefahr die Ab¬ 
sperr ongs- und Aufsichtsmassregeln der §§. 12 bis 19 und 21 des Reichsgesetzes 
nach Massgabe der nachstehenden Bestimmungen polizeilich angeordnet werden, 
und zwar bei: 

1. Diphtherie (Rachenbräune): Absonderung kranker Personen(§. 14, 
Abs. 2), Verkehrsbeschränkungen ffir das berufsmässige Pflegepersonal (§. 14, 
Abs. 5), Ueberwaohung der gewerbsmässigen Herstellung, Behandlung und Auf¬ 
bewahrung, sowie des Vertriebes von Gegenständen, weiche geeignet sind, die 
Krankheit zu verbreiten, nebst den zur Verhütung der Verbreitung der Krank¬ 
heit erforderlichen Massregeln (§. 15, Nr. 1 und 2), mit der Massgabe, dass diese 
Anordnungen nur ffir Ortschaften zulässig sind, welche von der Krankheit be¬ 
fallen sind, Fernhaltung von dem Schul- und Unterrichtsbesuche (§. 16), Desin¬ 
fektion (§. 19 Abs. 1 und 3), Vorsichtsmaßregeln bezüglich der Leichen (§. 21); 

2. Ge nickstarre, tthertragbarer: Absonderung kranker Personen (§. 14, 
AbB. 2), Desinfektion (§. 19, Abs. 1 und 3); 

8. Kindbettlieber (Wochenbett-, Puerperalfieber): Verkehrsbe- 
schränkongen ffir Hebammen und Wochenbettpflegerinnen (§. 14, Abs. 6), Des¬ 
infektion (§. 19, Abs. 1 und 3). 

Aerzte, sowie andere die Heilkunde gewerbsmässig betreibende Personen 
haben in jedem Falle, in welchem sie zur Behandlung einer an Kindbettfieber 
Erkrankten zagezogen werden, unverzfiglioh die bei derselben thätige oder 
thitig gewesene Hebamme zu benachrichtigen. 

Hebammen oder Wochenbettpflegerinnen, welche bei einer an Kindbett¬ 
fieber Erkrankten während der Entbindung oder im Wochenbett thätig waren, 
dürfen nicht vor Ablauf von acht Tagen nach Beendigung dieser Thätigkeit 
und vor gründlicher Reinigung und Desinfektion ihres Körpers, ihrer Wäsche, 
Kleidung und Instrumente nach Anweisung des beamteten Arztes eine andere 
Entbindung oder Wochenpflege übernehmen oder eine Schwangere innerlich 
untersuchen. Die Wiederaufnahme der Berufsthätigkeit vor Ablauf der acht¬ 
tägigen Frist ist jedoch zulässig, wenn der beamtete Arzt dies ffir unbedenk¬ 
lich erklärt. 

4. Körnerkrankheit (Granulöse, Trachom): Beobachtung kranker 
und krankheitsverdäohtlger Personen (g. 12), Meldepflicht (g. 13), Desinfektion 
(g. 19, Abs. 1 und 8); 

6. Lungen- und Kehlkopfstuberkulose: Desinfektion (§. 19, 
Abs. 1 und 3); 

6. Rfickf allfieber (Febris recurrens): Beobachtung kranker Personen 
(g. 12), Meldepflicht (§. 13), Absonderung kranker Personen (§. 14, Abs. 2 und 3), 
Kennzeichnung der Wohnungen und Hänser (§. 14, Abs. 4), Verkehrsbeschränkungen 
für das berufsmässige Pflegepersonal (§. 14, Abs. 5), Verbot oder Beschränkung 
der Ansammlung grösserer Menschenmengen (g. 15, Nr. 3), Ueberwachung der 
Schifffahrt (g. 15, Nr. 4 und 5), Fernhaltung von dem Sohul- und Unterrichts- 
besuehe (g. 16), Räumung von Wohnungen und Gebäuden (g. 18), Desinfektion 
(g. 19, Aba 1 und 8); 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom SO. Jnni 1900. 135 


7. Bahr, abertragbarer (Dysenterie): Absonderung kranker Personen 
(§. 14, Abs. 2), Verbot oder Beschränkung der Ansammlung grosserer Menschon- 
■MBgen (§. 15 Nr. 3), Fernhaltung von dem Schul- und Unterrichtsbesuche (§. 16), 
Verbot oder Beschränkung der Benutzung von Wasserversorgungsanlagen u. s. w. 
(§.17), Bäomnng von Wohnungen und Gebäuden (§.18), Desinfektion (§. 19, 
Aba 1 und 3), Vor sich tamassregeln bezüglich der Leichen (§. 21); 

8. Scharlach: wie zu Nr. 1; 

9. Syphilis, Tripper und Schanker, bei Personen, welche ge¬ 
werbsmässig Unsacht treiben; Beobachtung kranker, krankheits- oder an¬ 
steckungsverdächtiger Personen (§. 12), Absonderung kranker Personen (§. 14, 
Absatz SO; 

10. Typhus (Unterleibstyphus): Beobachtung kranker Personen (§. 12), 
Meldepflicht (§. 13), Absonderung kranker Personen (§. 14, Abs. 2 und 8, Satz 1), 
Kennzeichnung der Wohnungen und Häuser (§. 14, Abs. 4), Verkehrsbe- 
Kkränkungen für das berufsmässige Pflegepersonal (§. 14, Abs. 5), Ueberwachung 
iw gewerbsmässigen Herstellung, Behandlung und Aufbewahrung, sowie des 
Vertriebs von Gegenständen, welche geeignet sind, die Krankheiten zu ver¬ 
breiten, nebst den zur Verhütung der Verbreitung der Krankheiten erforder¬ 
liehen Hassregeln (§. 16, Nr. 1 und 2), mit der in Nr. 1 bezeicbneten Hassgabe, 
Vmbot oder Beschränkung der Ansammlung grosserer Menschenmengen (§. 15, 
Nr. 3), Fernhaltung von dem Schul- und Unterrichtsbesuche (§. 16), Verbot oder 
Beschränkung der Benutzung von Wasserversorgungsanlagen u. s. w. (§. 17), 
Btnmung von Wohnungen und Gebäuden (§. 18), Desinfektion (§. 19, Abs. 1 und 
3), Vorsichtemassregeln bezüglich der Leichen (§. 21); 

11. Milzbrand: Ueberwachung der gewerbsmässigen Herstellung, Be¬ 
handlung und Aufbewahrung, sowie des Vertriebs von Gegenständen, welche 
geeignet sind, die Krankheit zu verbreiten, nebst den znr Verhütung der Ver¬ 
breitung der Krankheiten erforderlichen Massregeln (§. 15, Nr. 1 und 2), mit 
der in Nr. 1 bezeichneten Massgabe, Desinfektion (§. 19, Abs. 1 und 8), Vor- 
nehtsmassregeln bezüglich der Leichen (§. 21); 

12. Botz: Beobachtung kranker Personen (§. 12), Absonderung kranker 
Personen (§. 14, Abs. 2 u. 3, Satz 1), Desinfektion (§. 19, Abs. 1 u. 3), Vor- 
üchtsmassregeln bezüglich der Leichen (§. 21). 

13. Tollwuth: Absonderung kranker Personen (§.14, Abs. 2). 

Erkrankungsfälle, in welchen Verdacht von Kindbettfieber (Nr. 3), 

Bück fall lieber (Nr. 6), Typhus (Nr. 10) und Botz (Nr. 12) vorliegt, sind 
bis zur Beseitigung dieses Verdachtes wie die Eirankheit selbst zu behandeln. 

§. 9. Personen, welche an Körnerkrankheit leiden, können, wenn sie 
nicht glaubhaft nachweisen, dass sie sich in ärztlicher oder anderweiter sach- 
gemlmer Behandlung befinden, zu einer solchen zwangsweise angehalten werden. 

Bei Syphilis, Tripper und Schanker kann eine zwangsweise Behandlung 
dw erkrankten Personen, sofern sie gewerbsmässig Unzucht treiben, angeordnet 
werden, wenn dies zur wirksamen Verhütung der Ausbreitung der Krankheit 
erforderlich erscheint. 

§. 10. Die Verkehnbeschränkungen ans den §§. 24 und 25 des Beichs- 
gmetzes Anden auf Körnerkrankheit, Bückfailfieber und Typhus 
nit der Massgabe entsprechende Anwendung, dass das Staatsministerium er¬ 
mächtigt ist, Vorschriften über die zu treffenden Massnahmen zu beschliessen 
ud zu bestimmen, wann und in welchem Umfange dieselben in Vollzug zu 
letzen sind. 

§. 11. Das StaatsminUterium ist ermächtigt, die in den §§. 12 bis 19 
ud 21 des Beichsgesetzes bezeichneten Absperrungs- und Aufsichtsmaseregeln 
Ar einzelne Theile oder den ganzen Umfang der Monarchie über die in dem 
$> 8 dieses Gesetzes bezeichneten Grenzen hinaus in besonderen Ausnahmefällen 
Torfibergehend für zulässig zu erklären oder auch auf andere übertragbare 
Krankheiten auszudehnen, wenn und so lange dieselben in epidemischer Ver¬ 
breitung auftreten. 

Vierter Abschnitt. 

Verfahren und Behörden. 

§. 12. Die in dem Beichsgesetze und in diesem Gesetze den Polizei¬ 
behörden überwiesenen Obliegenheiten werden, soweit dieses Gesetz nicht ein 
toteres bestimmt, von den Ortspolizeibehörden wahrgenommen. Der Landrath 



iBö Entwarf eines Äusfftkrangsgesetzes 2a dem Reichsgesetz, betf. 

ist betagt, die Amtsverrichtangen der Ortspoliseibehörden für den einzelnen 
Fall einer gemeingefährlichen oder sonst Übertragbaren Krankheit an fiber¬ 
nehmen. 

Gegen Anordnungen der Polizeibehörde findet mit Ausschluss der Klage 
im Ver w&itungsstreitverfahren die Beschwerde bei der Vorgesetzten Polizei¬ 
behörde statt. In letzter Instanz entscheidet, im Einvernehmen mit den sonst 
betheiligten Ministern, der Minister der Medizinalangelegenheiten. 

Die Anfechtung der Anordnungen hat keine aufschiebende Wirkung. 

§. 13. Beamtete Aerzte im Sinne des Beichsgesetzes und dieses Gesetzes 
sind die Kreisärzte, die Kreisassistenzärzte, soweit sie mit der Stellvertretung? 
von Kreisärzten beauftragt sind, sowie die mit der Wahrnehmung der kreis- 
ärztlichen Obliegenheiten beauftragten Stadtärzte in Stadtkreisen, die Hafen- 
und Quarantäneärzte in Hafenorten, ausserdem die als Kommissare der Regie¬ 
rungspräsidenten, der Oberpräsidenten oder des Ministers der Medizinalange¬ 
legenheiten an Ort und Stelle entsandten Medizinalbeamten. 

Die Vorschrift des §. 36, Abs. 2 des Reichsgesetzes findet auf die in dem 
§. 1 dieses Gesetzes bezeiohneteu Krankheiten entsprechende Anwendung. 

Fflnfter Abschnitt. 

Entschädigungen. 

§. 14. Es finden entsprechende Anwendung: 

1. die Bestimmungen des §. 28 des Reiehsgesetzes auf Personen, welche 
auf Grund der §§. 8 und 11 dieses Gesetzes als krank oder krankheitsverdächtig 
in der Wahl des Aufenthalts oder der Arbeitsstätte beschränkt oder als krank 
oder krankheitsverdächtig abgesondert sind, 

2. die Bestimmungen der §§. 29 bis 34, Satz 1 des Reichsgesetzes auf 
-diejenigen Fälle, in welchen auf Grund der §§. 8 und 11 dieses Gesetzes die 
Desinfektion oder Vernichtung von Gegenständen polizeilich angeordnet 
worden ist. 

§. 16. Die Festsetzung und Auszahlung der Entschädigungen in den 
Fällen der §§. 28 bis 33 des Reiehsgesetzes und des §. 14 dieses Gesetzes erfolgt 
durch die Ortspolizeibehörde. 

Gegen die Entscheidung steht dem Empfangsberechtigten unter Aus¬ 
schluss des Rechtsweges nur die Beschwerde an die Vorgesetzte Polizeibehörde, 
in Berlin an den Oberpräsidenten zu. Die Entscheidung dieser BeBChwerde- 
instanz ist endgültig. 

§. 16. Die Ermittelung und Feststellung der Entschädigungen aus §. 28 
des Reiehsgesetzes und §. 14 Nr. 1 dieses Gesetzes geschieht von Amts wegen. 

Die Entschädigungen sind nach Ablauf jeder Woche zu zahlen. 

§. 17. Bei Gegenständen, welche auf polizeiliche Anordnung vernichtet 
werden sollen, ist vor der Vernichtung der gemeine Werth durch Sachver¬ 
ständige abzuschätzen. 

§. 18. Sind bei einer polizeilich angeordneten und überwachten Desin¬ 
fektion Gegenstände derart beschädigt worden, dass dieselben zu ihrem be- 
stimmungsmässigen Gebrauch nicht weiter verwendet werden können, so ist 
sowohl der Grad dieser Beschädigung wie der gemeine Werth der Gegenstände 
vor ihrer Rückgabe an den Empfangsberechtigten durch Sachverständige ab- 
zoschätzen. 

§. 19. Bei den Abschätzungen gemäss der §§. 17 und 18 dieses Gesetzes 
sollen die Berechtigten thunlichst gehört werden. 

§. 20. In den Fällen der §§. 17 und 18 dieses Gesetzes bedarf es der 
Abschätzung nicht, wenn feststeht, dass ein Entschädigungsanspruch gesetzlich 
ausgeschlossen ist oder wenn der Berechtigte auf eine Entschädigung ver¬ 
zichtet hat. 

§. 21. Ffir jeden Kreis sollen von dem Kreisausschusse, in Stadtkreisen 
von der Gemeindevertretung, aus den sachverständigen Eingesessenen des Be¬ 
zirks alljährlich diejenigen Personen in der erforderlichen Zahl bezeichnet 
werden, welche für die Dauer des laufenden Jahres zu dem Amte eines Sach¬ 
verständigen zugezogen werden können. 

Aus der Zahl dieser Personen hat die Ortspolizeibehörde die Sachver¬ 
ständigen ffir den einzelnen Schätzungsfall zu ernennen. In besonderen Fällen 
ist dis Polizeibehörde ermächtigt, andere Sachverständige zuzuzieben. 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Tom 80. Jnni 1900. 137 


Die Sachverständigen sind von der Polizeibehörde eidlioh za verpflichten. 
Sie verwalten ihr Amt als Ehrenamt and haben nnr Anspruch auf Ersatz der 
haaren Aaslagen. 

Auf das Amt der Sachverständigen finden die Vorschriften Aber die 
Uebemahme unbesoldeter Aemter in der Verwaltung der Gemeinden und 
Kommunalverbände entsprechende Anwendung. 

§. 22. Personen, bei welchen fflr den einzelnen Fall eine Befangenheit 
ss besorgen ist, dtlrfen za Sachverstftndigen nicht ernannt werden. 

Ausgeschlossen von der Theilnahme an der Schfttsnng ist jeder: 

1. in eigener Sache; 

2. in Sachen seiner Ehefrau, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht; 

3. in Sachen einer Person, mit welcher er in gerader Linie oder im zweiten 
Grade der Seitenlinie verwandt oder verschwägert ist, aach wenn die Ehe, 
durch welche die Sohw&gerschaft begründet ist, nicht mehr besteht 

Personen, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, 
sind unffthig, an einer Schätzung theilzunehmen. 

§. 28. Die Sachverstftndigen haben über die Schfttzung eine von ihnen 
sz unterzeichnende Urkunde aufzunehmen und der Ortspolizeibehörde zur Fest¬ 
setzung der Entschädigung zu übersenden. 

Hat eine ausgeschlossene oder unfähige Person (§. 22, Abs. 2 und 3) an 
der Schfttzung theilgenommen, so ist die Schätzung nichtig und zu wiederholen. 

§. 24. Die Entschädigung für vernichtete oder in Folge der Desinfektion 
beschädigte Gegenstände wird nur auf Antrag gewährt. 

Der Antrag ist bei Vermeidung des Verlustes des Anspruches binnen 
einer Frist von einem Monat bei der OrtBpolizeibehörde, welche die Vernich¬ 
tung oder Desinfektion angeordnet hat, zu stellen. 

Die Frist beginnt bei vernichteten Gegenständen mit der Vernichtung, 
bei Gegenständen, welche der Desinfektion unterworfen sind, mit der Wieder- 
aushftadigung. 

Sechster Abschnitt. 

Kosten. 

g. 25. Die Kosten der amtsärztlichen Feststellung der gemeingefähr¬ 
liehen und derjenigen übertragbaren Krankheiten, auf welche die Bestimmungen 
der §§. 6 bis 10 des Beichsgesetzes für anwendbar erklärt sind (§§. 6 Abs. 1, 7 
dieses Gesetzes), sowie die Kosten, welche durch die Betheiligung des beamteten 
Arztes bei der Anordnung, Leitung und Ueberwachuug der Schutzmassregeln 
gegen diese Krankheiten entstehen, fallen der Staatskasse zur Last. 

§. 26. Die Vorschrift des §. 37 Abs. 3 des Beichsgesetzes findet auf die¬ 
jenigen Fälle, in welchen die daselbst bezeichneten Schutzmassregeln auf Grund 
der Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet werden, entsprechende Anwendung. 

Wem die nach dem Beichsgesetze und nach diesem Gesetze ans öffent¬ 
lichen Mitteln zu bestreitenden Kosten und Entschädigungen einschliesslich der 
den Sachverständigen nach §. 21 dieses Gesetzes zu erstattenden haaren Aus¬ 
lagen und die sonstigen Kosten der Ausführung der Schutzmassregeln zur Last 
Men, bestimmt sich, soweit dieses Gesetz nicht ein anderes vorscbreibt, nach 
den Vorschriften des bestehenden Bechts. 

§. 27. Die Gemeinden haben auf Erfordern der Polizeibehörde diejenigen 
Einrichtungen, welohe zur Bekämpfung der gemeingefährlichen oder sonst über¬ 
tragbaren Krankheiten nothwendig sind, schon in seuchenfreier Zeit zu treffen. 

§. 28. Die Kreisverbände sind verpflichtet, denjenigen Gemeinden des 
Kreises, welche die ihnen zar Last fallenden Kosten aufzubringen unvermögend 
«ad, eine Beihülfe zu gewähren. Auf Beschwerden von Gemeinden gegen Be- 
■ehlüsse der Kreisverbände, ob und in welcher Höhe Beihülfen zu gewähren 
sind, entscheidet endgültig der Bezirksausschuss. 

Einrichtungen der in dem §. 27 bezeichneten Art aus eigenen Mitteln zu 
treffen, sind die Kreisverbände auf Anordnung des Begierungspräsidenten ver¬ 
pflichtet, sofern diese Einrichtungen Bedürfnissen dienen, welche über die 
Grenzen einer einzelnen Gemeinde hinausgehen. 

Siebenter Abschnitt. 

Strafrorschrlften. 

§. 29. Mit Gefängniss bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 
sechshundert Mark wird bestraft: 



138 Entwarf eines Aasführungsgesetzes zu dem Beiehsgesetz, betr. 

1. wer wissentlich bewegliche Gegenstände, für welche aaf Grand der 
§§. 8 and 11 dieses Gesetzes eine Desinfektion polizeilich angeordnet war, vor 
Ausführung der angeordneten Desinfektion in Gebrauch nimmt,, an andere über« 
lasst oder sonst in Verkehr bringt. 

2. wer wissentlich Kleidangsstücke, Leibwäsche, Bettzeug oder sonstige 
bewegliche Gegenstände, welche von Personen, die an Diphtherie, Genickstarre, 
Kindbettfieber, Langen- and Kehlkopfstaberkalose, Bückfalifieber, Bohr, Schar¬ 
lach, TyphoSj Milzbrand and Botz litten, während der Erkrankung gebraucht 
oder bei deren Behandlung and Pflege benutzt worden sind, in Gebrauch nimmt, 
an andere überlässt oder sonst in Verkehr bringt, bevor sie den von dem Mi¬ 
nister der Medizinalangelegenheiten erlassenen Bestimmungen entsprechend des- 
infizirt worden Bind; 

8. wer wissentlich Fahrzeuge oder sonstige Geräthsehaften, welche znr 
Beförderung von Kranken oder Verstorbenen der in Er. 2 bezeicbneten Art 
gedient haben, vor Ausführung der polizeilich angeordneten Desinfektion benntzt 
oder anderen zur Benutzung überlässt. 

§. 30. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft 
wird bestraft: 

1. wer die ihm nach den §§. 1 bis 3 oder nach den anf Grundidee 
§. 5 dieses Gesetzes von dem Staatsministerium erlassenen Vorschriften ob¬ 
liegende Anzeige unterlässt oder länger als vierundzwanzig Stunden, nachdem 
er von der anzuzeigenden Thatsaohe Kenntniss erhalten hat, verzögert. Die 
Strafverfolgung tritt nicht ein, wenn die Anzeige, obwohl nicht von dem zu¬ 
nächst Verpflichteten, doch rechtzeitig gemacht worden ist; 

2. wer bei den in dem §. 6, Abs. 1 dieses Gesetzes aufgeführten Krank¬ 
heiten, sowie in den Fällen des §. 7 dem beamteten Arzte den Zutritt zu dem 
Kranken oder zur Leiche oder die Vornahme der erforderlichen Untersuchungen 
verweigert; 

3. wer bei den übertragbaren Krankheiten, auf welche die Bestimmungen 
des §. 7, Abs. 3 des Beichsgesetzes für anwendbar erklärt worden sind (§§. 6 
Abs. 1, 7 dieses Gesetzes), diesen Bestimmungen zuwider über die daselbst be- 
zeichneten Umstände dem beamteten Arzte oder der zuständigen Behörde die 
Auskunft verweigert oder wissentlich unrichtige Angaben macht; 

4. wer den auf Grand der §§. 8 und 11 dieses Gesetzes in Verbindung 
mit §.13 des Beichsgesetzes über die Meldepflicht erlassenen Anordnungen zu¬ 
widerhandelt. 

§. 31. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft 
wird, sofern nicht nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen eine höhere 
Strafe verwirkt ist, bestraft: 

1. wer bei den in dem §. 6, Abs. 1 dieses Gesetzes bezeicbneten Krank¬ 
heiten, sowie in den Fällen des §. 7 den nach §. 9 des Beichsgesetzes von dem 
beamteten Arzte oder dem Vorsteher der Ortschaft getroffenen vorläufigen An¬ 
ordnungen oder den naoh §. 10 des Beichsgesetzes von der zuständigen Behörde 
erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt; 

2. wer bei den in dem §. 8 dieses Gesetzes aufgeführten Krankheiten, 
sowie in den Fällen des §. 11 den nach §. 12, §. 14, Abs. 6, §§. 15, 17, 19 und 
21 des Beichsgesetzes getroffenen polizeilichen Anordnungen zuwiderhandelt; 

3. wer bei den in dem §. 10 dieses Gesetzes aufgeführten Krankheiten 
den naoh §. 24 des Beichsgesetzes erlassenen Vorschriften zuwiderhandelt; 

4. Aerzte, sowie andere die Heilkunde gewerbsmässig betreibende Per¬ 
sonen, Hebammen oder Wochenbettpflegerinnen, welche den Vorschriften in dem 
§. 8, Nr. 8, Abs. 2 und 3 dieses Gesetzes zuwiderhandeln. 

Achter Abschnitt. 

Sohlnssbeatlmxnangen. 

§. 32. Mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des gegenwärtigen Gesetzes 
werden die zur Zeit bestehenden gesetzlichen Bestimmungen über die Be¬ 
kämpfung ansteckender Krankheiten aufgehoben. 

Insbesondere treten die Vorschriften des Begulativs vom 8. August 1835 
(Gesetz8amml. S. 240), jedoch unbeschadet der Bestimmung des §. 10, Abs. 3 
des Gesetzes, betreffend die Dienststellung des Kreisarztes und die Bildung von 
Gesundheitskommissionen, vom 16. September 1899 (Gesetzsamml. 8.172), über 
die Belassung der Sanitätskommissionen in grösseren Städten, ausser Kraft. 



die Bekämpfung gemeingefähr 1ioher Krankheiten vom 30. Joni 1900. 139 

Unberührt bleiben auch die Vorschriften des §. 55 des Regulativs über 
Zwangs impf angen bei dem Aasbrach einer Pockenepidemie. 

§. 83. Der Zeitpankt des Inkrafttretens des gegenwärtigen Gesetses 
wird darch Königliche Verordnung bestimmt. 

Der Minister der Medizinalangelegenheiten erläsat, and zwar, soweit der 
Geschäftsbereich anderer Minister betheiligt ist, im Einvernehmen mit diesen 
die sar Ausführung des Gesetzes erforderlichen Bestimmungen. 

Begründung. 

Allgemeiner Th eil. 

Das Reichsgesetz, betretend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank¬ 
heiten, vom 80. Joni 1900, hat an der Hand der Erfahrungen der neueren 
Wissenschaft eine einheitliche Regelung der seuchenpolizeilichen Abwehr- und 
Schutmnasaregeln herbeigefdhrt. Es hat sich jedoch nur mit der Bekämpfung 
der Volksseuchen im engeren Sinne und zwar der wichtigsten pandemischen 
Krankheiten — Aussatz, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber, Pest und Pocken — 
befasst und sich in Bezug auf die anderen übertragbaren Krankheiten auf 
einige wenige Bestimmungen von allgemeiner Bedeutung beschränkt (vgl. die 
9§. 5 Abs. 2, 35 Abs. 2, 38, 89 Abs. 3), die eigentliche Bekämpfung dieser 
Krankheiten dagegen, insbesondere die Anordnung der Abwehr- und Unter- 
drückungsmassnahmen, der landesgesetzlichen Regelung Vorbehalten. 

Ferner hat das Reichsgesetz auch für die Bekämpfung der gemein¬ 
gefährlichen Krankheiten eine Reihe von Ausführungsbestimmungen den Landes¬ 
gesetzen überlassen. 

Hiernach erwächst der Landesgesetzgebung eine doppelte Aufgabe: 
einmal, die der landesgesetzlichen Regelung vorbehaltenen Austührungsbestim- 
mungen zur Bekämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten zu erlassen, — 
soweit nach dem Stande der Bchon bestehenden preussischen Gesetzgebung ein 
Bedürfniss hierzu vorliegt und die erforderlichen Massnahmen nicht im Ver¬ 
waltungswege getroffen werden können — und zweitens, die für die Bekämpfung 
der gemeingefährlichen Krankheiten reicbsgesetzlich getroffenen Massnahmen, 
soweit nach Lage der Verhältnisse angezeigt, auch auf die nicht gemein¬ 
gefährlichen (übertragbaren) Krankheiten auszudehnen. 

In ersterer Beiiehung kommt, abgesehen von den in den §§. 5, Abs, 1, 

16, 35 Abs. 3, 37 Abs. 2 des Reichsgesetzes enthaltenen Vorschriften, insbe¬ 
sondere die Regelung der in den §§. 34 und 37 daselbst vorbehaltenen Kosten- 
and Entschädigungsfrage in Betracht. 

Die gesetzliche Regelung der Bekämpfung auch der anderweitigen über¬ 
tragbaren Krankheiten ist für Preussen um so dringender geboten, als die zur 
Zeit für die älteren Provinzen der Monarchie noch gültigen, mit Gesetzeskraft 
Msgestatteten Allerhöchst bestätigten sanitätspolizeilichen 
Vorschriften (Regulativ) bei ansteckenden Krankheiten vom 
8. August 1835 — nicht erschöpfend und für die heutigen Verhältnisse 
aueh zum Theil veraltet sind. In den neuen Provinzen ist die Ordnung der 
Materie im wesentlichen auf Grund des allgemeinen Polizeiverordnungsrechts 
erfolgt, ein Zustand, welcher schon mit Rücksicht auf die bei dieser Regelung 
unvermeidbare Verschiedenheit der Behandlung und wegen des Mangels be¬ 
stimmter, die Zuständigkeit des polizeilichen Einschreitens im Einzelfalle be¬ 
grenzender gesetzlicher Normen ebenfalls als ein befriedigender nicht wird 
erachtet werden können. 

Seit Erlass des für die damalige Zeit mustergültigen Regulativs haben 
rieh die Anschauungen über die Mehrzahl der in demselben eingehend be¬ 
handelten Krankheiten wesentlich geändert. 

Die Krätze, welche man früher für eine Allgemeinkrankheit hielt, 
ist als eine leicht zu verhütende Hautkrankheit erkannt, ebenso sind der bös¬ 
artige Kopfgrind und die Gicht aus der Reihe der Infektionskrankheiten 
usgeschieden, während der Weichselzopf nach den neueren Untersuchungen 
überhaupt keine Krankheit ist. 

Dagegen haben sich Massregeln gegen andere übertragbare Krankheiten, 
welche im Regulativ nicht erwähnt sind, als nothwendig erwiesen. Unter de»-^ 
gemeingefährlichen Krankheiten gilt dies von Aussatz, Gelbfieber uv 
Pest, welche in den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Ti 



140 Entwurf eines Ausführungsgesetzes zu dem Reiehsgesetz, betr. 


keine Bedeutung Ar Preoeaen hatten. Von anderen libertragbaren Krankheiten 
kommen hier insbesondere Diphtherie, lloertragbare Genickstarre, 
Kindbettfieber, Rückfallfieber, Schanker, Tripper and Unter¬ 
leibstyphus in Betracht. Rückfallfieber and Unterleibstyphus wurden früher 
sasammen mit Fleckfieber unter dem Namen Typhus zusammengefasst und erst 
gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts als zwei Ton jenem yeischiedene Krank¬ 
heiten erkannt. Gleichfalls im Regulativ nicht erwähnt sind die erst in den 
sechziger Jahren des rorigen Jahrhunderts näher.erforschte Trichinose und 
die erst auf dem Boden der Bakterienkunde als übertragbare Krankheit er¬ 
kannte Fisch-, Fleisch- und Wurstvergiftung. Auch Über die Natur, 
Entstehung und Verbreitung des Krebses und der Schwindsucht, welche 
im Regulativ eine ganz nebensächliche Behandlung erfahren, haben sich in den 
letzten Jahrzehnten die Anschauungen wesentlich geändert. 

Nicht nur das Wesen der übertragbaren Krankheiten ist seit dem Erlasse 
des Regulativs genauer erforscht worden, auch ihre Entstehung und Verbreitung 
sind besser erkannt und damit ihre Bekämpfung erheblich aussichtsvoller ge¬ 
worden. Die Thatsache, dass die übertragbaren Krankheiten durch bestimmte 
Krankheitsgifte entstehen, welche an dem Kranken, in seinen Ausleerungen, 
an seinen Kleidungs- und Gebrauchsgegenständen und in seiner Umgebung 
haften, war schon früher bekannt; sie führte zu dem Erlass der zum TheU 
noch heute für zweckmässig zu erachtenden Absonderungs- und Desinfektions- 
Vorschriften des Regulativs. Eine richtige Auswahl und zielbewusste An¬ 
wendung dieser Massregeln ist aber erst möglich geworden, seit die Krankheits¬ 
gifte als greifbare und belebte, theils pflanzliche theils thierische Mikroorga¬ 
nismen erkannt worden sind, welche je nach der Art der Krankheit nur in 
dem Körper des Kranken selbst oder auch ausserhalb desselben zu leben und 
sich zu vermehren im Stande sind. Ihre verschiedene Widerstandsfähigkeit 
gegen äussere Einflüsse — Feuchtigkeit, Wärme u. s. w. —, ihr unterschied¬ 
liches Verhalten gegen chemische und physikalische Desinfektionsmittel, der 
höhere oder geringere Grad der Leichtigkeit ihrer Uebertragung, sowie ihre 
differente Giftigkeit für den Menschen und eine Anzahl von fiausthieren u. s. w. 
sind genauer erforscht worden und haben zu der Erkenntniss geführt, dass 
es weder nothwendig, noch auch zweckmässig ist, alle übertragbaren Krank¬ 
heiten in der gleichen Weise und mit denselben Mitteln zu bekämpfen, dass 
vielmehr jede einzelne Krankheit eine ihrem individuellen Charakter ent¬ 
sprechende Sonderbekämpfung erfordert. Diese Art der Iudividualisirung ist 
aber nach den Vorschriften des Regulativs in einer dem heutigen Stande der 
Wissenschaft entsprechenden Weise nicht ausführbar. 

Ueber die Reformbedürftigkeit des Regulativs und darüber, dass seine 
Vorschriften über die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten für die 
heutigen Verhältnisse durchaus unzulänglich sind, besteht keine Meinungs¬ 
verschiedenheit. Der Versuch, den Mängeln des Regulativs durch den Erlass 
entsprechender Polizeiverordnungen abzubelfen, hat sich alB nicht angängig 
erwiesen, da die böchstinstanzlichen Gerichte auf Grund der Annahme, dass 
das Regulativ die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten erschöpfend 
geregelt habe und habe regeln wollen, eine Ergänzung seiner Bestimmungen 
Im Wege des Poliaeiverordnungsrechts für unzulässig erklärt haben. 

Die Neuordnung der Materie und die Ersetzung des Regulativs durch 
eine dem heutigen Stande der medizinischen Wissenschaft entsprechende 
Seuchenordnung kann hiernach nicht länger hintangehalten werden. Die 
Forderung auf Erlass eines neuen Seuchengesetzes wird seit Jahren mit steigender 
Dringlichkeit erhoben und ist auch wiederholt im Landtage, zuletzt im Jahre 
1899 bei Gelegenheit der Verhandlungen über das Kreisarztgesetz, zur Geltung 
gebracht worden. In Bezug auf die gemeingefährlichen Krankheiten hat die 
Forderung durch den Erlass des Reichsseuchengesetzes ihre Erfüllung gefunden; 
in Bezug auf die übrigen übertragbaren Krankheiten steht die Erfüllung noch 
aus — der vorliegende Gesetztentwurf bezweckt, dieselbe herbeizuführen. 

I. Die Krankheiten, auf welche die Vorschriften des vorliegenden 
Gesetzentwurfs sieh erstrecken, sind in dem §. 1 des Entwurfs im Einzelnen 
aufgeführt. 

Körnerkrankheit, Lungentuberkulose, Ruhr, Scharlach, 
Syphilis und Typhus gehören davon zu denjenigen Krankheiten, welche 
bereits in dem Regulativ von 1885 Erwähnung gefunden haben. 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900. 141 


1. Die Körnerkrankheit (Granulöse, Trachom), in dem Regulativ 
(§§. 62—64) als kontagiöse Augenentzündung bezeichnet, verdient auch heute 
noch eine besondere Aufmerksamkeit. Sie herrscht in den rassischen Ostsee* 
Provinzen und in Russisch-Polen, hat sich von dort aus in die preussischen Pro* 
vinzen Ost- und Westpreussen, Pommern, Posen und Schlesien verbreitet, in 
der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in diesen Gegenden festen Fass 
gefasst und neuerdings sich auch bereits nach der Hitte und dem Westen 
der Monarchie ausgedehnt. Russische, polnische und ostpreussische Arbeiter, 
welche in den mittleren und westlichen Provinzen bei der Ernte, in Berg¬ 
werken, bei Erd- und Kanalarbeiten u. s. w. beschäftigt werden, schleppen die 
Körnerkrankheit in steigendem Masse in jene Gegenden ein. Schon haben sich 
in den Provinzen Sachsen, Hannover und Westfalen Herde der Körnerkrankheit 
gebildet, und die Krankheit droht mehr und mehr zu einer Gefahr für die 
ganze Monarchie zu werden. Nach den gemachten Erfahrungen und dem Gut¬ 
achten der Behörden und Sachverständigen wird es nicht möglich sein, der 
Seuche in absehbarer Zeit Herr zu werden, wenn nicht den Behörden gesetz¬ 
liche Handhaben zu einer wirksameren Bekämpfung der Krankheit gegeben 
werden. Die in dem Regulativ enthaltenen Bestimmungen beschränken sich in 
der Hauptsache auf das Militär und schreiben bezüglich der Zivilbevölkerung 
nur vor, dass die Kranken sich der näheren Gemeinschaft mit anderen, ins¬ 
besondere des Besuches öffentlicher Orte, zu enthalten haben. Schon diese 
Bestimmung ist nicht durchführbar, wenn die Krankheit nicht zur Kenntniss 
der Behörden kommt, was ohne Einführung der Anzeigepflicht nur ausnahms¬ 
weise der Fall sein wird. Soll die Bevölkerung in den befallenen Gegenden 
auf die Dauer von der Senche befreit werden, so ist es geboten, die Anzeige- 
Pflicht für die Körnerkrankheit einzuführen und den Polizeibehörden die Be- 
fagniss zu geben, in den verseuchten Gegenden die augenkranken und krank¬ 
heitsverdächtigen Personen untersuchen, beobachten und zur Behandlung heran- 
neben zu lassen. Man wolle sich gegenwärtig halten, dass die Körnerkrank¬ 
heit nicht nur für den einzelnen höchst verderblich ist, indem sie allmählich 
zur Trübung der Hornhaut und dadurch zu ernsten Störungen deB Sehver- 
nögens, nicht selten selbst zur Erblindung führt,, sondern dass sie auch das 
Gemeinwohl empfindlich schädigt und die Ausbildung der Jugend in der Schule, 
die Wehrfähigkeit der militärpflichtigen jungen Leute und die Erwerbsfähigkeit 
der gesummten Bevölkerung ernstlich bedroht. 

Die in dem Gesetzentwürfe vorgesehenen Massnahmen zur Bekämpfung 
der Körnerkrankheit dürften um so unbedenklicher sein, als sie nach der Auf¬ 
fassung des Oberverwaltungsgerichts schon jetzt auf Grand der Bestimmungen 
des Regulativs zulässig sind, ihre Aufführung in dem Entwürfe mithin nur 
die Anerkennung des bestehenden Rechtszustandes zum Ausdrucke bringt. 

2. Die Lungen- und Kehlkopfstuberkulose wird in dem Re* 
gnlativ als Schwindsucht bezeichnet und zusammen mit bösartigem Kopf* 
griad, Krebs und Gicht abgehandelt. Die gegen diese Krankheit nach dem Re* 
gnlativ zulässigen Massnahmen — Reinigung bezw. Vernichtung der Kleidungs* 
stfleke und sonstigen Effekten (§. 90 des Regulativs) — haben eich jedoch als 
raulänglieh erwiesen, weil bei dem Fehlen der Anzeigepflioht die Krankheit 
Iberhaupt nicht zur Kenntniss der Behörden gelangt. 

Die Anschauungen über die Natur der Tuberkulose haben sich in den 
letzten Jahrzehnten von Grund aus geändert. Während man sie früher für 
eine durch Vererbung von den Eltern auf die Kinder sich fortpflanzende Er- 
ilhrangsstörung hielt, ist durch die neueren Untersuchungen festgestellt, dass 
de in der Wucherung und dem Zerfall kleiner Geschwülste besteht, welche 
durch die Ansiedlung und Vermehrung der Tnberkelbazillen hervorgerufen 
weiden. Die Tuberkulose ist nicht ein trauriges Erbtheil der Kinder schwind- 
sflehtiger Eltern, gegen welche sie sich nicht schützen können, sondern eine 
im hohen Grade übertragbare Krankheit, welche Jeden, auch den aus gesunder 
Familie Stammenden befallen kann, die sich aber glücklicherweise auch ver¬ 
hüten und bekämpfen lässt. 

Während früher die Meinung verbreitet war. dass die Schwindsucht ent¬ 
stehe, wenn der im Menschen etwa schlummernde Krankheitskeim durch eine 
Irkiltng, einen kalten Trunk oder dergleichen znr Entwicklung gebraeht 
wwde, ist jetzt erwiesen, dass die Tuberkulose nur dann zur Entstehung ge- 



142 Entwarf eines Ausführungsgesetzes za dem Reiohsgeseetz, betr. 

langt, wenn Taberkelbosillen in den Körper eindringen, and dass dieser Ge¬ 
fahr nicht nur Kinder Ton Schwindsüchtigen, sondern alle, nach die kriftigsten 
Menschen, ansgesetzt sind, wenn sie mit lebenden and ansteckungsfähigen 
Taberkelbazillen in Berührung kommen. Aach ist weiter festgestellt, dass die 
Taberkelbasülen nicht überall verbreitet Bind, sondern sich in lebens- and 
anstecknngsfähigem Zustande nur in der Umgebung von Tuberkniösen oder 
da, wo Tuberkulöse sich eine Zeitlang vorher aufgehalten haben, vorfinden, 
dass sie ausserhalb des Körpers unter dem Einfluss des Lichtes und der Luft 
in verhSltnissmiUsig kurzer Zeit za Grunde gehen oder wenigstens ihre Fähig¬ 
keit, die Krankheit sn übertragen, verlieren. Auch finden sie sich nicht in der 
Umgebung aller Tuberkulöser, sondern nur bei den an Lungen- und Kehlkopfs- 
tuberknloee Erkrankten und auch bei diesen nur dann, wenn sie mit ihrem 
Auswurfe unvorsichtig umgehen. 

Es bedarf in der Begel eines längeren Zeitraumes, ehe die Krankheits¬ 
keime, welche in den Körper eindringen, in demselben zur Entwicklung gelangen. 
Ein weiterer, zuweilen nicht unbeträchtlicher Zeitraum verstreicht, ehe sich deut¬ 
lich nachweisbare Krankheitserscheinungen zeigen. Der Kranke kann unter 
Umständen Monate und selbst Jahre lang sich eines verhältnissmässigen Wohl¬ 
befindens erfreuen und fast ungestört seinem Berufe oder Erwerbe nacbgehen. 
Ernstere Gesundheitsstörungen pflegen erst einsutreten, wenn die Tuberkel¬ 
knoten in der Lunge oder im Kehlkopfe anfangen zu zerfallen. Nunmehr gehen 
die Bazillen in den Auswurf über und werden mit demselben nach aussen ent¬ 
leert. Von diesem Augenblicke ab beginnt der Kranke wegen der Möglichkeit 
der Uebertragung der Bazillen für seine Umgebung gefährlich zu werden. An¬ 
fänglich ist diese Gefahr zwar noch nicht gross, weil die Kranken von selbst 
mit ihrem Auswurfe vorsichtig umgehen, d. b. ihn mittels geeigneter Vorrichtungen 
unschädlich beseitigen. Bei dem chronischen Charakter der Krankheit lassen 
sie jedoch diese Vorsicht mit der Zeit ausser acht. Dass die Gefahr der An¬ 
steckung eine besonders grosse ist, wenn Beschäftigung und BerufBverbält- 
nisse den Kranken mit einer grösseren Anzahl von Menschen in Berührung 
bringen (Geistliche, Lehrer, Kaufleute, Fabrikarbeiter u. dergl.), braucht nicht 
näher dargelegt zu werden. 

Die leichte Uebertragbarkeit der Lungen- und Kehlkopfstuberkulose 
enthält die Erklärung für ihre grosse Verbreitung. Im preussiscben Staate 
starben in den Jahren 1890—1899 durchschnittlich jährlich 74050 Personen, 
d. h. 236,6 von je 100000 der am 1. Januar Lebenden an Tuberkulose. Da 
innerhalb der angeführten zehn Jahre in Preussen überhaupt durchschnittlich 
jährlich 616226 Personen gestorben sind, so ergiebt sieb, dass von je 100 Todes¬ 
fällen nicht weniger als 10,6, also mehr als der zehnte Theil, auf Tnberkulose 
entfallen. Die Verbreitung der Krankheit in den einzelnen Provinzen ist aber 
keine gleiohmässige, ihre Häufigkeit nimmt vielmehr von Osten nach Westen 
zu und ist besonders gross in den engbebauten Städten mit mangelhaften und 
dicht belegten Wohnungen und in Fabrikgegenden. Es giebt ausgedehnte Be¬ 
zirke in der Monarchie, in welchen der siebente, sechste und selbst der fünfte 
Theil sämmtlicher Todesfälle auf Schwindsucht entfällt. 

Allerdings scheint sich bereits eine Abnahme der Krankheit anzubabnen, 
da die Sterblichkeit eine Neigung zum Rückgänge erkennen lässt. Von je 
100000 am 1. Januar Lebenden starben nämlich an Tuberkulose in Preussen 
im Jahre. 


1890: 

281,1 

1894: 

238,9 

1898: 

200,8 

1891: 

267,2 

1895: 

232,6 

1899: 

207,1 

1892: 

260,1 

1896: 

220,7 

1900: 

211,7 

1893: 

249,6 

1897: 

218,1 




Dieses verhältnissmässig günstige Ergebniss wird wesentlich mit durch 
eine verbesserte Lebenshaltung grosser Kreise der Bevölkerung, die gesteigerte 
Fürsorge für die Erhaltung der Gesundheit und ihre Wiederherstellung bei 
eingetretenen Störungen, sowie durch den Fortschritt in der medizinischen 
Wissenschaft und der Ausbildung der Aerzte herbeigeführt sein. Namentlieh 
sind die erreichten Erfolge dadurch sehr gefördert, dass die Bedeutung der 
Lungen- und Kehlkopfstuberkulose als Volkskrankheit in den letzten Jahren 
und zwar zuerst in Deutschland mehr nnd mehr erkannt nnd gewürdigt worden 
ist Es haben sich Komitees zur Bekämpfung der Krankheit gebildet, man hat 



die Bekimpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom SO. Juni 1900. 143 

auf Kongressen die Mittel zu ihrer Eindämmung berathen, and breite Schichten 
der Bevölkerung haben sieh der Taberkolosebekämpfnng mit lebhaftem Interesse 
»geschlossen. Es sind Heil- and Heimstätten fttr Langenkranke begründet 
worden, deren Zahl and Bedeatnng von Jahr sa Jahr steigt Es darf anch 
angenommen werden, dass die fortschreitende Verbreitung der Erkenntniss, 
dass die Gefahr der Ansteckung der Tuberkulose fttr die Umgebung der 
Kranken vornehmlich von dem Verhalten der letzteren abhängig ist, diese nnter 
dem erzieherischen Einflüsse der Aerste mehr and mehr dasa bestimmen wird, 
thualielmt selbst sar Verminderung der Ansteckungsgefahr beizutragen. 

Anderseits ergiebt sich indess aus den oben mitgetheilten, fortdauernd 
noeh ausserordentlich hoch gebliebenen Zahlen der Todesfälle an Tuberkulose, 
insbesondere aas ihrer in den letzten Jahren wieder eingetretenen Steigerang, 
dass das zu erstrebende Ziel, dieser Krankheit ihren verheerenden Charakter 
zu nehmen, noch weit entfernt ist und in absehbarer Zeit nicht wird erreicht 
werden können, wenn nicht die anerkennenswerthen Bestrebungen von Pri¬ 
nten und Vereinen durch staatliche Massregeln in wirksamer Weise unter¬ 
stützt werden. 

Hierbei darf nicht fibersehen werden, dass die Statistik ein volles and 
erschöpfendes Bild von den Opfern, welche die Taberlralose fordert, nicht za 
geben vermag. Die angegebenen Zahlen bezeichnen im Wesentlichen nur die 
Todesf&lle an Lungentuberkulose, während die Todesfälle an Tuber¬ 
kulose der Hirnhäute, der Knochen und Oelenke, der Unterleibsorgane u. s. w. 
darin nicht enthalten sind. Die Zahl der Erkrankungen an Taberknloae 
lässt sich anderseits nicht einmal annäherungsweise festsstellen und ist jeden¬ 
falls viel grosser, als man im Allgemeinen anzunehmen pflegt. Zieht man ferner 
in Betracht, dass es in der Monarchie kaum eine Ortschaft giebt, in welcher 
nicht regelmässig Fälle von Tuberkulose Vorkommen, dass sie sich in manchen 
Familien wie eine Art von Familienleiden eingenistet hat, dann wird man zu¬ 
geben müssen, dass es nicht richtig wäre, auf dem Wege der Gesetzgebung 
Handhaben zur Bekämpfung von Aussatz, Cholera, Pest und anderen gemein¬ 
gefährlichen Krankheiten, deren schädliche Wirkungen doch nur gelegentlich 
und in beschränktem Umfange in die Erscheinung treten, za gewähren, gegen¬ 
über der Taberkulose dagegen, welche beständig und in allen Tbeilen unseres 
Vaterlandes an dem Marke des Volkes zehrt, von gesetzlichen Bekämpfungs- 
massnabmen abzusehen. 

Die Massregeln dürften sich nicht auf Lungentuberkulose beschränken, 
sondern müssen auch die Kehlkopfstuberkulose treffen, weil auch bei dieser 
sehr bald reichliche Mengen ansteckungsfähiger Tuberkelbazillen in den Aus- 
warf übergehen und weil Kehlkopfstuberkulose in der Mehrzahl der Fälle mit 
Tuberkulose der Lungen verbunden ist. 

Auf dem X. internationalen Kongress fttr Hygiene und Demographie zu 
Paris im Jahre 1900 wurde der Beschluss gefasst: „La tuberculose ouverte 
doit figurer parmi les maladies, dont la däclaration est obligatoire.“ Ebenso 
sprach man sich auf dem Tuberkulosekongress in London 1901 fttr die Ein¬ 
führung der Anzeigepflicht fttr die Lungen- und Kehlkopfstuberkulose aus. 

In mehreren Staaten ist man auch bereits mit gesetzlichen Bestimmungen 
Regen die Tuberkulose vorgegangen, wie die der Begründung als Anlage bei¬ 
gegebene Zusammenstelinng ergiebt. 

Die Frage, in welchem Umfange sich die Einführung der Anzeigepflicht 
and die Anwendung von Aufsicht»- und Bekämpfungsmassnahmen gegenttber 
der Lungen- und Kehlkopfstuberkulose empfiehlt, wird in dem besonderen TheU 
der Begründung näher erörtert werden. 

3. Die Buhr tritt alljährlich in verschiedenen Gegenden der Monarchie 
in epidemischer Verbreitung auf und verursacht erhebliche gesundheitliche 
nnd wirthschaftliche Storungen. Da eine allgemeine Anzeigepflicht fttr Buhr 
sur Zeit nicht besteht, so entzieht sich die Zahl der Buhrerkrankungen unserer 
Keantniss; die Zahl der Todesfälle in Prenssen betrug in den Jahren 1890 
bia 1899 durchschnittlich jährlich 1058, entsprechend 3,4 von je 100000 der 
am 1. Jannar Lebenden. Die Krankheit bat in letzter Zeit unverkennbar zu- 
seaommen und insbesondere die Begierungsbezirke Königsberg, Gumbinnen,/^ 
Danzig, Marienwerder, Oppeln, Magdeburg, Merseburg, Arnsberg und Aacher 
leimgesucht. Buhrkranke sind in hohem Grade ansteckend fttr ihre Umgeban 



144 Entwarf eines Ausftthrungsgesetses za dem Reichsgesets, betr. 


weil die als charakteristische Bakterien erkannten Bnhrerreger in den Darm* 
wandnngen sieh ansiedeln, in den zahlreichen dünnen Darmentleerungen massen¬ 
haft nach aussen gelangen, and weil die Kranken bei der Häufigkeit und 
Schmerzhaftigkeit der Entleerungen die gebotene Vorsicht hinsichtlich der un¬ 
schädlichen Beseitigung der letzteren häufig ausser Acht lassen. Die Folge 
davon ist, dass Beschmutzungen der Wäsche und Gerätbe zu Ansteckungen von 
Person su Person, die Verunreinigung von Brunnen oder Wasserleitungen mit 
Bnhrerregern wohl auch zu Maesenerkrankungen führen. 

Der vorliegende Gesetzentwurf hatte, wie das auch das Begulativ gethan, 
dem Umstande Bechnung zu tragen, dass die Bevölkerung mit dem Namen 
„Ruhr“ keine eigentliche Krankheit, sondern eine Beihe von Kranbheitsprozessen 
verschiedener Art bezeichnet. Die schwere Dysenterie der Tropen ist etwas ganz 
anderes und wird auch allem Anscheine nach durch einen anderen Krankheits¬ 
erreger verursacht, als die bei uns einheimische Ruhr, und auch unter dem 
letzteren Namen pflegen selbst die Aerzte sowohl schmerzhafte, aber sonst 
verhältnismässig harmlose Durchfllle, als auch schwere Fülle von blutiger 
Buhr zusammenzufassen, wBhrend nur gegenflber den letzteren ernstere seuchen- 
polizeiliche Massregeln geboten erscheinen. Der vorliegende Gesetzentwurf 
beschränkt daher seine Bestimmungen auf die „übertragbare Bubr“. 

4. Scharlach tritt in Örtlich begrenzten, aber in der Regel ziemlich 
heftigen Epidemien auf und hat häufig sehr ernste Nacbkrankheiten im Gefolge. 
Die Sterblichkeit an dieser Krankheit i*t verhäitnissmässig boch und schwankt 
je nach der Schwere der Epidemie etwa zwischen 10 und SO von 100 Krank¬ 
heitsfällen. In Preussen starben in den Jabren 1890 bis 1899 durchschnittlich 
jährlich 7586 Personen, entsprechend 24,1 von je 100000 Lebenden, an Schar¬ 
lach; die Mehrzahl der Gestorbenen gehört dem Kindesalter bis zum vollendeten 
5. Lebensjahre an. Die Krankheit muss als eine besonders bösartige bezeichnet 
werden, gegen welche Bcuchenpolizeiliche Vorschriften dringend geboten sind. 

5. Die Syphilis ist nach dem Regulativ nicht allgemein, sondern nur 
in den Fällen anzeigepflichtig, „wenn nach Ermessen des Arztes von der Ver¬ 
schweigung der Krankheit nachtheilige Folgen für den Kranken selbst oder 
für das Gemeinwesen zu befürchten sind“ (§. 65 Abs. 1 d. R.). Inwieweit es 
zweckmässig ist, dem Arzte die verantwortungsvolle Entscheidung über diese 
Frage aufzubürden, wird in dem besonderen Tbeil der Begründung erOrtert 
werden. Hier kommt in Frage, ob die Anzeigepflicht für Syphilis beizubehalten, 
and bejahendenfalls, ob sie auf alle oder nur auf gewisse Fälle dieser Krank¬ 
heit, oder endlich, ob sie auch noch auf die beiden anderen Krankheiten, 
welche durch den unreinen Geschlechtsverkehr übertragen werden, nämlich auf 
den Tripper und den Schanker auszudehnen sei. 

Die Verheerungen, welche die übertragbaren Geschlechtskrankheiten in 
der Bevölkerung anrichten, sind überaus traurig und stehen denjenigen, welche 
die Lungen- und Kehlkopfstuberkulose verursacht, kaum nach. Wenn sie auch 
bei weitem nicht so viele Todesfälle berbeiführen, wie diese, so ziehen sie doch 
um so beträchtlichere Schädigungen der Gesundheit, des Vermögens, des Be¬ 
rufes, ja des ganzen Lebens- und Familienglücks nach sich. Während der 
Schanker gut heilbar und verhäitnissmässig harmlos ist, werden Tripper und 
Syphilis von manchen Aerzten für unheilbar gehalten; in allen Fällen bedürfen 
sie monate- und jahrelanger Behandlung, erzeugen immer wieder Rückfälle 
und haben nicht selten Nachkrankheiten im Gefolge, welche die Gesundheit 
des Menschen dauernd untergraben. Todesfälle an Syphilis sind verhältnies- 
mässig selten, ihre Zahl beläuft sich im ganzen preussischen Staate auf durch¬ 
schnittlich 300 im Jahre; um so zahlreicher sind aber die schweren chronischen, 
su langem Siechthum führenden Hirn-, Rückenmarks- und Knochenleiden, 
welche auf eine Ansteckung mit Syphilis zurttckzuführen sind und mancher 
Manneskraft und manchem Familienglüek ein vorzeitiges Ende bereiten. 
Tripper erzeugt zwar nicht unmittelbar Todesfälle, aber überaus zahlreiche 
schwere akute und chronische Nacbkrankheiten, namentlich bei den Frauen, 
von denen manche zu langem Siechthum und zum Tode führen. Erschwerend 
fällt bei diesen beiden Krankheiten ausserdem ins Gewicht, dass sie nicht nur 
diejenigen treffen, welche sich die Ansteckung in unreinem Geschlechtsverkehr 
selbst zuziehen, sondern dass sie oft auf Unschuldige übertragen werden. 
Zahlreich« Minner stecken ihre Ehefrauen mit Syphilis oder Tripper an, die 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 80. Joni 1900. 146 

eie eich toi oder nach der Verheirathong im aneeereheliehen Geschlechtsverkehr 
sagesogen haben. Kinder werden vielfach schon im Matterleibe mit Syphilis 
behaftet nnd gehen, wenn Bie nicht schon im Mntterleibe sterben, bald nach 
der Gebart sa Grande. Und nach die Fälle sind leider nicht vereinzelt, in 
welchen bei der Bntbindnng tripperkranker Frauen das Trippergift in die 
Angen der neugeborenen Kinder eindringt nnd bei diesen eine Augenentsfindung, 
die sogenannte Blennorrhoea neonatorum, erzeugt, welche bei nicht sachgemässer 
Behandlung nnfehlbar su unheilbarer Erblindung fahrt. Ein staatliches Ein¬ 
greifen gegenOber den abertragbaren Geschlechtskrankheiten wird daher von 
sahireichen Sachverständigen mit grösstem Nachdruck gefordert. 

Andere Staaten sind in dieser Beziehung bereits mit Erfolg vorgegangen. 
Am durchgreifendsten ist das Dänische Gesetz aber die gegen die Aus¬ 
breitung der venerischen Krankheiten sn ergreifenden Marsregeln vom 10. April 
1874 mit dem Zusatzgesets vom 1. März 1896, welches sich anf alle drei 
Krankheiten erstreckt, während die Gesetzgebung in Italien sich nur anf 
Syphilis beschränkt. 

Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt den Standpunkt ein, dass er zwar 
alle Geschlechtskrankheiten, nicht aber alle an solchen erkrankte Personen in 
den Bereich seiner Regelung gezogen und es für ausreichend erachtet hat, 
wenn die Polizeibehörden gegenüber denjenigen Personen, welche gewerbsmässig 
die Unzucht betreiben, eine wirksame Handhabe zum Einschreiten erhalten. 

Da der Überwiegend grösste Theil der Uebertragungen von Geschlechts¬ 
krankheiten durch die Prostitution geschieht, so bat man in verschiedenen 
Staaten und zu den verschiedensten Zeiten den Versuch gemacht, die Prosti¬ 
tution gewaltsam za unterdrücken. Die Versuche sind jedoch ausnahmslos 
gescheitert, weil sie zur Folge hatten, dass die offenkundige und kontrollirbare 
sich in die vielgefährlichere heimliche Prostitution verwandelte. Die Gefahren 
der Prostitution lassen sich auf das verhältnissmässig geringste Mass ein¬ 
dämmen, wenn die Prostituirte sorgfältig Überwacht, eventuell behandelt und 
geheilt und so an der Verbreitnng der übertragbaren Geschlechtskrankheiten 
erfolgreich gehindert werden. Um dies zu erreichen, darf man sich nicht, wie 
es im Regulativ geschehen ist, auf die Syphilis beschränken, sondern man muss 
auch den in seinen Anfargsstadien von der Syphilis schwer unterscheidbaren 
8chanker, vor allem den Tripper mit in das Gesetz einbeziehen. 

Wollte man den Mahnungen der Abolitionisten folgen, welche jede Re- 
glementirung der Prostitution verwerfen, so würde eine ungemessene Zunahme 
der Geschlechtskrankheiten die unausbleibliche Folge sein. 

6. Der Typhus (Unterleibstyphus) deckt sieh mit dem Typhus 
des Regulativs. Letzterer umfasst, wie schon erwähnt, den Unterleibstyphus, 
das Rackfallfieber und den exanthematischen Typhus, welch’ letzterer gegen¬ 
wärtig allgemein als Fleekfieber bezeichnet wird nnd eine der gemeingefähr- 
liebsten Krankheiten des Reirhsgesetzes ist. Die Krankheit, welche wir jetzt 
als Typbus bezeichnen, der sogenannte Unterleibstyphus, das gastrisch-nervOse 
Fieber der früheren Zeit, bat eine kaum geringere sanitätspoliseiliche Bedeu¬ 
tung als das Fleckfieber. Zwar ist die Sterblichkeit des Typhus — durch¬ 
schnittlich etwa 10 vom Hundert der Erkrankten — geringer, als diejenige des 
Fleekfiebers, welche je nach der Schwere der Epidemie zwischen etwa 8 und 
60 vom Hundert schwankt. Daffir ist der Typhus aber in Preussen erheblich 
verbreiteter, als das Fleckfieber, welches nur von Zeit zu Zeit, meistens aus 
Bassland, oder Galizien bei uns eingeschleppt wird. Der Typhus kommt in 
allen Theilen der Monarchie vor, er ist in einigen Gegenden endemisch ge¬ 
worden und pflegt in jedem Jahre in den verschiedensten des Landes in Form 
von kleineren oder grosseren Epidemien aufzutreten, welche gelegentlich die 
schwersten Schädigungen weiterer Kreise im Gefolge haben. 

Die Krankheit wird durch Bakterien erzeugt, welche sich in der Schleim¬ 
haut des Dünn- und Dickdarms ansiedeln und mit den dflnnen Darm¬ 
entleerungen und dem Harn des Kranken in grossen Mengen in die Aussenwelt 
gelangen, nicht selten in Brunnen und Wasserleitungen eindringen und die 
Veranlassung su explosionsartig auftretenden, meist sehr ausgedehnten und 
schweren Epidemien geben. Zahlreich sind auch die Beobachtungen von 
Typhusepidemien in den Versorgunsrsgebieten von Sammelmolkereien, die nacb- 
wdaMch dadurch entstehen, dass die Krankheitakeime von einem Gehöfte, auf 



146 Entwarf eines Aasführangsgesetses za dem Reichsgesetz, betr. 

dem ein Erkrankter sieh befindet, in die Milehbestände der Molkerei gelangen 
nnd von dort ans mit der Magermilch in zahlreiche andere OehOfte verschleppt 
werden. 

In Prenssen starben in den Jahren 1890 bis 1899 durchschnittlich jähr¬ 
lich 4971 Personen, entsprechend 15,9 von je 100000 Lebenden, an Typhus. 
Ueber die Zahl der Typhuskranken während des gleichen Zeitraumes können 
in Folge der mangelhaften Erfüllung der Anzeigepflicht genaue Angaben nicht 
gemacht werden; doch kann dieselbe mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit anf 
jährlich etwa 50000 angenommen werden. Nach den Untersuchungen von 
Robert Koch scheint die Krankheit noch viel häufiger zu sein und besonders 
das Kindesalter beimzusuchen, in welchem sie im Allgemeinen milder verläuft 
und daher der Erkennung sich häufig entzieht. Erwägt man aber, dass die 
Krankheit häufig auch das kräftige Lebensalter zwischen dem 15. und 80. 
Jahre befällt, in welchem die Erwerbsfäbigkeit am grössten ist, und bedenkt 
man ferner, dass ein Typhuskranker durchschnittlich vier Wochen krank und 
erheblich länger erwerbsunfähig ist, so erscheint es gerechtfertigt, zur Be¬ 
kämpfung des Typhus, welcher für Prenssen erheblich wichtiger als Cholera 
nnd Pest ist, mit behördlichen Massnahmen vorzugehen. 

II. Von den in dem §. 1 des Gesetzentwurfes aufgeführten, übertrag¬ 
baren Krankheiten sind in dem Regulativ nicht erwähnt: Diphtherie, 
Genickstarre, Kindbettfieber und Rückfallfieber. 

1. Die Diphtherie, unter dem Namen Angina maligna Bcbon im 
Alterthum bekannt, trat in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts 
in epidemischer Verbreitung auf und wurde 1826 von Bretonneau genau 
beschrieben. In Deutschland wurde sie erst nach dem Erlass des Regulativs 
die unter dem Namen „häutige Bräune" bekannte und gefürchtete Kinder¬ 
krankheit. Dies erklärt die sonst unverständliche Tbatsache, dass der Diph¬ 
therie in dem Regulativ keine Erwähnung geschieht. 

Wegen der schweren Gesundheitsstörungen nnd der zahlreichen Todes¬ 
fälle, welche die Krankheit erzeugt, erfordert sie eine besondere Beachtung. 
Im Durchschnitt der 5 Jahre von 1890 bis 1894 starben in Prenssen jährlich 
nicht weniger als 44257 Personen, entsprechend 145,0 von je 100000 am 
1. Januar Lebenden, an Diphtherie, also fast zehnmal so viel, als an Typhus 
und mehr als die Hälfte, wie an Lungentuberkulose. 

Zwar ist dank der Entdeckung des Diphtberieheilserums durch Emil 
v. Behring die Sterblichkeit an Diphtherie in den letzten Jabren in einer 
bis dabin noch niemals beobachteten Weise zurückgegangen. Im Durchschnitt 
der 5 Jahre von 1895 bis 1899 starben nämlich in Prenssen jährlich nnr noch 
21957 Personen, entsprechend 68,1 von je 100000 der am 1. Januar Lebenden, 
an Diphtherie, also weniger als die Hälfte der in der Zeit vor der Anwendung 
des Heilserums der Krankheit zum Opfer Gefallenen. Auch ist zu hoffen, dass 
unter dem Einflüsse des Serums die Sterblichkeit noch weiter zurückgeben 
wird, da von je 100000 Lebenden im Jahre 1890 noch 145,4, im Jabre 1899 
dagegen nur 56,3 Personen an Diphtherie starben. Mit der Typhussterblichkeit 
verglichen, ist die Sterblichkeit an Diphtherie auch jetzt noch eine ausser¬ 
ordentlich grosse. Da die segensreiche Wirkung des Heilserums nnr eintritt, 
wenn es möglichst frühzeitig, womöglich an den beiden ersten Tagen der 
Krankheit, zur Anwendung gelangt, so hat die Diphtherie auch nach der Ent¬ 
deckung des Heilserums ihre Schrecken nicht verloren; es liegt vielmehr alle 
Veranlassung vor, den Gesundheitsbehörden wirksame Waffen zur Verhütung 
und Bekämpfung dieser Seuche in die Hand zu geben, zumal da durch die 
Entdeckung des Diphtheriebacillus die Erkennung der Krankheit an Sicherheit 
gegen'früherTerhebiich gewonnen hat. 

2. Auch die übertragbare Genickstarre, Meningitis cerebrospi¬ 
nalis epidemica, ist erst nach Erlass des Regulativs in der Mitte des vorigen 
Jahrhunderts genauer bekannt geworden, wodurch sich ihre Nichterwähnung 
im Regulativ erklärt. Sie tritt zwar verhältnissmässig selten auf, verläuft 
aber in der Mehrzahl der Fälle in kurzer Zeit tödtlioh und zieht in den Fällen, 
welche in Genesung enden, häufig schwere Naebkrankheiten, selbst Blindheit 
nnd Blödsinn nach sich. In den drei Jahren von 1895 bis 1897 wurden in 
Prenssen 1069 Todesfälle an dieser Krankheit amtlich gemeldet, entsprechend 
1,1 yon je 100000 der am 1. Januar Lebenden, von welchen 720 = 68,7 Prozent 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom SO. Joni 1900. 147 


enter 15 Jahre alt waren. Die Zahl der Erkrankungen steht nicht genau fest, 
doch kommen erfahrungsgemäm anf je 100 Erkrankungen etwa 45 Todesfälle. 
Es bedarf keiner weiteren Ausführung, dass auf eine so ernste Krankheit die 
Vorschriften des Gesetzentwurfs sich mit zu erstrecken haben. 

3. Dass das Kindbett-, Wochenbett- oder Puerperalfieber, 
welches schon von Willis im Jahre 1682 genau beschrieben worden, in dem 
Begulativ nicht erwähnt worden ist, findet seine Erklärung in dem Umstande, 
dass sein Charakter als übertragbare Krankheit erst in den 60er Jahren des 
▼origen Jahrhunderts durch Semmelweiss erkannt worden ist. Während 
diese Krankheit früher, namentlich in den öffentlichen Entbindungsanstalten, 
einen erschreckenden Prozentsatz der Gebärenden dahin raffte, ist die Zahl 
ihrer Opfer seit 40 Jahren erheblich beruntergegangen, seitdem festgestellt ist, 
dass sie zu den sogenannten Wundinfektionskrankheiten gebürt. Sie entsteht 
dadurch, dass in die, in Folge der Entbindung wunden Gescblechtstbeile der 
Wüehnerin durch die unsauberen Hände oder Instrumente yon Geburtshelfern 
oder Hebammen die Erreger der Krankheit eingeführt werden. Daher kommen 
überall da, wo Aerzte und Hebammen es an der erforderlichen Sorgfalt und 
Sauberkeit fehlen lassen oder wo, wie vielfach in den östlichen Provinzen und 
auch sonst auf dem Lande, die Entbindungen nicht durch die geübte Hand 
von Aerzten oder Hebammen, sondern durch Kurpfuscherinnen geleitet werden, 
auch jetzt noch zahlreiche Fälle von Kindbettfieber vor. In den 9 Jahren 1889 
bis 1897 starben in Preussen von je 100000 weiblichen Personen durchschnitt¬ 
lich jährlich 29,2, von je 100 000 Entbundenen aber 392,8 im Kindbett. Wenn 
auch nicht alle Todesfälle im Wochenbett auf Kindbettfieber znrückzufübren 
sind, da in dieser Zeit auch andere Todesursachen, namentlich Blutungen, in 
Wirksamkeit treten, so entfällt doch ein erheblicher Prozentsatz der Todes¬ 
fälle auf diese unheimliche Wundinfektionskrankheit, deren Opfer um so be- 
klagenswerther sind, als es sich dabei meist um junge, kräftige, auf der Höhe 
des Lebens stehende Personen handelt. Wie gross die in Betracht kommenden 
Opfer sind, geht unter anderem daraus hervor, dass in Preussen in den Jahren 
1890 bis 1899 die Zahl der Mütter, welche im Kindbett starben, durchschnitt¬ 
lich jährlich 4414, entsprechend 27,7 von je 100000 der am 1. Januar lebenden 
weiblichen Personen betrug. Allerdings scheint die Sterblichkeit im Kindbett 
in neuerer Zeit erfreulicher Weise etwas abzunehmen. Wenigstens starben in 
Preussen im Kindbett von je 100000 weiblichen Personen im Jahre 


1890 : 31,4 

1894: 

29,0 

1898: 

22,7 

1891: 30,5 

1895: 

25,6 

1899: 

24.3 

1892 : 29,5 

1896: 

24.8 

1900: 

24,0 

1893 : 36,9 

1897: 

22,7 




Dia Zahl dar Todesfälle im Wochenbette wird aber, namentlich in den 
ländlichen Bezirken, noch in höherem Masse vermindert werden können und 
müssen. Im Durchschnitt der Jahre 1890 bis 1894 starben in Preussen von 
je 100000 Entbundenen in den Städten 338, auf dem Lande dagegen 476 im 
Wochenbett. In den Begierungsbezirken im Osten der Monarchie, wo es an 
Aerzten und zuverlässigen Hebammen noch stellenweise fehlt, starben nach 
dem Durchschnitt der drei Jahre 1892 bis 1894 von 100000 Entbundenen 


in dem Bezirk: in den Städten: auf dem Lande: 

Danzig. 37,8 75,1 

Marienwerder . . . 58,4 65,0 

Gumbinnen .... 46,2 63,2 

Köslin. 42J> 60,5 

Bromberg .... 56,3 60,1. 


Die vorstehenden Ziffern sprechen mit hinreichender Deutlichkeit für die 
NothWendigkeit der Einführung sanitätspoliseilicher Massnahmen gegenüber 
dem Kindbettfieber. 

4. Das Bückfallfieber, Febris recurrens, im Jahre 1868 in 
Deutschland zum ersten Mal beobachtet, wurde erst in der Mitte des vorigen 
Jahrhunderts als eine besondere Krankheit erkannt, bis dahin aber von den 
Aerzten mit Fleekfieber, Typhus oder Malaria verwechselt. Gesichert wurde 
seine genaue Erkennung durch die Entdeckung seines Er reg e rs im Jahre 1878. 

TTrsosilors in Bamlnad und Galizien heimisch, wird die Krankheit, w elche 
ausserordentlich leicht übertragbar ist, von Zeit za Zeit durch Vagabunden, 







148 Entwurf eines Ausftthnuigsgesetzes zu dem Beiehsgesetz, betr. 

Wanderarbeiter nnd dergl. bei nns eingeschleppt. Enge und überfüllte Woh¬ 
nungen, elende Herbergen (Pennen), 8chmutz am Körper nnd in der Kleidung 
begünstigen die Uebertr&gung, bei welcher allem Anschein nach stechende In¬ 
sekten, namentlich Wanzen und Flöhe, betheiligt sind. 

In Preussen ist die Krankheit in der letzten Zeit weniger häufig aufge¬ 
treten. In den 6 Jahren von 1889 bis 1894 sind im Ganzen 78 Fälle amtlich 
gemeldet, von welchen 65 im Regierungsbezirk Posen, 11 im Regierungsbezirk 
Marienwerder und je 1 im Regierungsbezirk Oppeln und in Berlin sich ereig¬ 
neten nnd die zumeist in Genesung endigten. 

Trotzdem liegt alle Veranlassung vor, der Krankheit mit seucbenpolizei- 
lichen Massregeln entgegenzutreten, da sie gelegentlioh schwere Epidemien 
herbeiführen und eine Sterblichkeit bis zu 7 vom Hundert der Erkrankten ver¬ 
ursachen kann. 

m. Die auf Menschen übertragbaren Thierkrankheiten, Milzbrand, 
Rotz und Wnth, welche in dem §. 1 des Gesetzentwurfes angeführt sind, 
werden auch schon in dem Regulativ behandelt und bedürfen auch künftig 
einer durchgreifenden sanitätspolizeilichen Bekämpfung. 

1. Milzbrand, Anthrax malignus, kommt bei Rindern und Schafen, 
aber auch bei Schweinen und Pferden vor und wird gelegentlich auch auf 
Menschen übertragen, welche mit den lebenden oder todten Thieren oder mit 
ihren Abfällen in Berührung kommen. Alljährlich wird eine Reihe von Milz- 
branderkrankuugen bei Menschen beobachtet, und zwar entweder als Haut- 
milsbrand, der sogenannte Milzbrandkarbunkel (bei Schlächtern, Abdeckern, 
Gerbern u. s. w.), als Lungenmilz^rand, die sogenannte Hadernkrankheit 
(bei Arbeitern in Wollsortirereien, Rosshaarspinnereien, Lumpensammlereien, 
Papierfabriken u. s. w.), oder als Darmmilzbrand bei Personen, welche 
Fleisch von milzbrandkranken Thieren genossen haben. Anlass zu den Milz¬ 
brandübertragungen giebt das Eindringen der gegen äussere Einflüsse überaus 
widerstandsfähigen Früchte der Milsbrandbazillen, der sogenannten Sporen, in 
kleine Hautverletzungen oder ihre Aufnahme in die Lunge beim Athmen in 
der staubigen Luft in Fabrikräumen, in welchen Rosshaare, Schafwolle, Felle 
u. s. w. der an Milzbrand eingegangenen Thiere verarbeitet werden, oder end¬ 
lich die Einverleibung der Bakterien mit ungenügend gekochtem Fleisch. Auch 
in die Milch von milzbrandkranken Thieren können die Krankheitskeime 
übergehen. 

Bei der grossen Aufmerksamkeit, welche die Veterinärpolizei den Mils- 
brauderkrankungen der Hausthiere zuwendet, tritt die Krankheit beim Menschen 
nicht gerade häufig auf, welcher für sie auch weniger empfänglich ist, als unsere 
Hausthiere. Immerhin sind jedoch in den neun Jahren von 1889 bis 1897 zu¬ 
sammen 428 Erkrankungen an Milzbrand in Preussen vorgekommeo, von welchen 
nicht weniger als 73, also 17,1 vom Hundert, tödtlich endigten. Diese hohe 
Sterblichkeit rechtfertigt es, auch den Milzbrand des Menschen in die Vor¬ 
schriften des Gesetzentwurfs einzubeziehen. 

2. Noch seltener beim Menschen, dafür aber erheblich schwerer in seinem 
Verlaufe, ist der Rotz, Malleus bnmidus, eine Erkrankung, welche besonders 
bei Pferden, Maulthieren, Eseln, Zebras nnd verwandten Thieren vorkommt 
und entweder als eine Lungenkrankheit, eigentlicher Rotz, oder als eine 
Erkrankung der Haut, sogenannter Wurm, verlänft. Menschen erkranken 
verhältnissmäSBig selten an Rotz, und stets sind es solche Personen, welche mit 
den lebenden oder todten Thieren oder deren Abfällen sich beschäftigen, nament¬ 
lich Stallknechte, Rossschlächter, Abdecker; auch sind Ansteckungen von Bak¬ 
teriologen und Dienern beobachtet worden, welche in Laboratorien mit Rots¬ 
bakterien gearbeitet batten. Beim Menschen ist- die meist sehr chronisch 
verlaufende Krankheit überaus schwer und in der Mehrzahl der Fälle tödtlicb. 

In den 9 Jahren von 1889 bis 1397 kamen in Preussen im Ganzen 14 
Erkrankungen zur amtliehen Kenntniss, von welchen 9, also 64,8 vom Hundert, 
tüdtlieh endigten. Unter diesen Opfern befanden sich ausser mehreren Stall¬ 
knechten ein Kreisthierarzt, ein Rossschlächter und ein Sattlerlehrling, weleh’ 
letzterer sieb bei Geschirrreparaturen angesteckt hatte. 

Die Erkrankung entsteht durch das Eindringen von Rotzbazillen in kleine 
Verletzungen und ist um so gefährlicher, als sie auch von Mensch zu Mensch 
übertragbar ist. 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Vom 80. Juni 1900. 149 

3. Die Tollwnth, Lyssa humane, auch Wasserscheu genannt, entsteht 
nach dem Bise wuthkranker Thiere, meist von Hunden, auch Katzen, Bindern 
ud anderen Hausthieren. Die bisher noch unbekannten Erreger dieser Krank¬ 
heit müssen in dem Geifer der wuthkranken Thiere gesucht werden. Die 
Kraikheit pflegt nach den gemachten Beobachtungen bei etwa nur 6 Prozent 
der Gebissenen zum Ausbruch zu kommen, dann aber ausnahmslos tüdtlich zu 
verlaufen. ln der Begel tritt die Krankheit nicht sofort, sondern erst einige 
Wochen, zuweilen auch erst mehrere Monate nach der Bissverletzung in die 
Knekeinung. Besonders gefährlich sind die Bissverletsungen, welche unbekleidete 
Körpert heile, namentlich das Gesicht und die Hände, treffen. 

In Folge der strengen Beaufsichtigung, welcher in Deutschland die 
Hude unterliegen — Hundesteuer, Maulkorbzwang, Hundesperre — ist die 
Wsth unter den Hunden bei uns verhältnissmässig selten. Sie kommt vor¬ 
wiegend in den an Bussland und Oesterreich anstossenden preussischen, säch* 
tischen und bayerischen Grenzbezirken vor. Die Bissverletzungen von Menschen 
iareh wuthkranke Thiere haben in den letzten Jahren in Deutschland eine 
uverkennb&re Zunahme gezeigt. In Preussen kamen von Bissverletzungen 
ur amtlichen Meldung im Jahre 

1891: 78 1895 : 66 1899 : 302 

1892 : 72 1896: 128 1900 : 232. 

1898 : 60 1897: 161 

1893 : 92 1889 : 268 

Von diesen insgesammt 1207 Bissverletzungen haben 37, also 3,1, vom 
Hindert, den Tod an Tollwuth zur Folge gehabt. Dem französischen Bakte¬ 
riologen Louis Pasteur verdanken wir ein Schutzimpfungsverfahren, dessen 
rechtzeitige Anwendung eine fast absolut sichere Verhütung der Tollwuth bei 
des Gebissenen gewährleistet, und das seit der Errichtung einer Tollwuth- 
zbtheilung bei dem Königlichen Institut fUr Infektionskrankheiten in Berlin 
ueh in Preussen in der Mehrzahl der Bissverletzungen von Menschen zur 
izwendung gelangt. Diesem Umstande ist es augenscheinlich zuzusohreiben, 
lass im Jahre 1900 überhaupt kein Todesfall an Tollwuth in Preussen sich 
ereignet hat, während 1899, noch 3, 1898 sogar 9 Todesfälle an dieser Krank¬ 
heit zur Kenntniss der Behörden gelangt sind. 

Diese günstigen Erfolge dürfen aber nicht dazu verleiten, die Aufmerk- 
Mokeit gegenüber der Tollwuth des Menschen ausser Acht zu lassen. Die 
NothWendigkeit der Einführung sanitätspolizeilicher Massnahmen ergiebt sich 
schon allein aus der Thatsache, dass tollwuthkranke Menschen für ihre Um¬ 
gebung in hohem Grade gefährlich werden können. 

IV. Der Gesetzentwurf erstreckt sich noch auf einige Krankheiten, 
welche streng genommen nicht zu den von Mensch auf Mensch übertragbaren 
Krankheiten gehören, aber doch von zu grosser sanitätspolizeilicher Bedeutung 
lind, um hier ganz ausser Acht gelassen werden zu können. Es sind dies die 
Krkrnakungen. welche nach dem Genuss gewisser Nahrungsmittel entstehen, 
die Trichinose und die Fisch-, Fleisch- und Wurstvergiftung. 

1. Die Trichinose ist eine schwere und nicht selten tOdtliche Muskel- 
nkrankung, welche durch das Eindringen eines winzigen Bundwurmes, der von 
Owen im Jahre 1835 entdeckten Trichina spiralis, in den menschlichen 
Körper entsteht und unter Erscheinungen verläuft, welche an diejenigen des 
Typhus erinnern. Die Trichine, deren Bedeutung erst in den sechziger Jahren 
des vorigen Jahrhunderts erkannt worden, ist ein Muskelparasit der Batten 
tad Schweine und gelangt in den Menschen durch den Genuss des Fleisches 
trichinöser 8chweine. Das sicherste Mittel zur Verhütung der Trichinen- 
kraakheit ist die sorgfältige Durchführung der Fleischbeschau, sowie die 
Unterlassung des Genusses von Fleisch in rohem Zustande. Es empfiehlt sieh 
Ueh, den erkrankten Menschen eine sanitätspolizeiliche Beachtung zu schenken, 
weil die Erkrankungafälle die Behörden darauf aufmerksam machen, dass die 
Trishinenschau nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gebandhabt worden ist, 
Ud die Verpflichtung zur Anzeige dieser Fälle daB einzige Mittel ist, um mit 
Sekerheit feetzustellen, ob und wo noch etwa trichinenhaltige Nahrungsmittel 
Urkunden und zu vernichten sind. 

Brwähnt mag noch werden, dass in Preussen in den 20 Jahren vod 



16Ö Bot warf eines Ausführungsgesetzes zudem Reichsgesets, betr. 


1880 bis 1899 im ganzen 286, also dnrchschnittlieh j&hrlioh 13,4 Todesffille an 
Triohinose zur Kenntniss der Behörden gelangt sind. 

2. Die Fisch-, Fleisch- und Wurstvergiftung ist nach den 
neueren Untersuchungen keine einheitliche Krankheit, sondern umfasst zwei 
Krankheitsgruppen. Bei der einen, welche am längsten bekannt ist, entstehen 
Schwindel, Muskellähmungen am Auge, Schlund, Kehlkopf u. s. w. als Folge 
einer Vergiftung mit organischen Stoffen, die unter dem Einfluss von Fänlniss- 
bakterien in verdorbenen Fleischwaaren zur Entstehung gelangt sind. Bei der 
zweiten Oruppe, welche meist mit schweren Durchfällen, Fieber und allgemeiner 
Schwäche und Hinfälligkeit einhergeht, handelt es sich um eine Infektions¬ 
krankheit, welche durch den OenusB frischen Fleisches von notbgeschlachteten 
Thieren entsteht. Bei den KrankheitBprozessen der letzteren Gruppe, meist 
puerperalen Ursprungs, ist es gelungen, eine Beihe wohlcharakterisuter Bak¬ 
terien nachzuweisen, welche bei Thierversuchen sich als höchst verderblich fttr 
die Versuchsthiere erwiesen haben. Der Genuss derartiger Fleischwaaren 
erzeugt in der Regel Massenerkrankungen mit schwerem, häufig tOdtlicbem 
Verlaufe, weshalb alle Veranlassung vorliegt, auch diese Erkrankungen zum 
Gegenstände der behördlichen Fflrsorge zu machen. 

Unter den Krankheiten des Gesetzentwurfs (§. 1) fehlen von den im 
Regulativ behandelten Krankheiten: Masern und Rötheln, Krätze, 
Weichselzopf, bösartiger Kopfgrind, Krebs und Gicht. 

1. Masern und Rötheln treten jahraus jahrein in Form von Epi¬ 
demien auf, welche zwar keine grosse räumliche Ausdehnung haben, aber in 
den befallenen Orten einen grossen Theil der Kinderwelt heimzusuchen pflegen. 
Die Sterblichkeit ist in der Mehrzahl der Epidemien verhältniesmässig gering 
nnd beträgt bei den Masern durchschnittlich kaum 3 vom Hundert der Er¬ 
krankten, während Todesfälle an ROtheln kaum Vorkommen. Die grosse Ver¬ 
breitung der beiden Krankheiten gebt daraus hervor, dass trotz der verhältniBB- 
mässigen Leichtigkeit ihres Verlaufes in Preussen innerhalb der zehn Jahre 
von 1890 bis 1899 durchschnittlich jährlich nicht weniger als 8923 Personen 
oder 28,5 von je 100000 der Bevölkerung an Masern und Rötheln gestorben sind. 
Trotzdem werden Schutzmassregeln gegen diese Krankheiten von der Mehrzahl 
der Sachverständigen nicht für erforderlich gehalten, im Gegentheil giebt es 
zahlreiche hervorragende Aerzte, welche beim Auftreten eines Masern- oder 
ROthelnfalles in einer Familie sämmtliche Kinder der Ansteckung auszusetzen 
rathen, weil erfahrungsgemäss die Krankkeiten im höheren Lebensalter schwerer 
zu verlaufen pflegen als in der Kindheit. Dazu kommt, dass das Regulativ 
bei Masern und ROtheln die Anzeigepflicht nur fflr Aerzte, nnd auch nur dann 
vorschreibt, „wenn besonders bösartige oder besonders zahlreiche Fälle ihnen 
verkommen" (§. 59 deB Regulativs). Von einer derartigen halben Massregel 
ist jedoch eine erfolgreiche Bekämpfung der Krankheiten nicht zu erwarten. 
Da aber anderseits die Einführung der Anzeigepflicht für alle Fälle von Masern 
nnd ROtheln im Verhältniss zu dem davon zu erwartenden Nutzen eine zu 
zu grosse Belästigung der Bevölkerung zur Folge haben würde, so erschien es 
zweckmässiger, von diesen beiden Krankheiten überhaupt im Gesetze ab- 
suseben. 

2. Vor der Entdeckung der Krätzmilbe, welche sich in der Haut des 
Kranken aufhält, jedoch durch verhältnissmässig harmlose Mittel in kurzer 
Zeit abgetödtet werden kann, hielt man die Krätze für ein bedenkliches All- 

S emeinleiden, welches schwere Nachkrankheiten, die sogenannte „psorische 
ijskrasie" im Gefolge haben sollte. Im Regulativ sind unter dem Gesichts¬ 
punkte dieser Auffassung nicht weniger als zehn Paragraphen der Krätze ge¬ 
widmet, während sich nach dem heutigen Stande der Wissenschaft der Erlass 
gesetzlicher Bestimmungen gegenüber dieser Krankheit überhaupt erübrigt. 

8. Dasselbe gilt vom WeichBelzopf, welcher zwar auch heute noch 
in den östlichen Provinzen, namentlich in Posen und Westpreussen, sehr ver¬ 
breitet, aber überhaupt keine Krankheit, sondern in Folge von Unsauberkeit 
entstehende Verfilzung der Haare ist. Ungebildete und abergläubische Per¬ 
sonen erzeugen sich häufig den Weichsclzopf absichtlich in der Annahme, sich 
dadurch vor Erkrankungen bewahren zu können. Gegen diese Unsitte dürften 
weniger Massregeln der Sanitätspolizei, als eine Aufklärung und Belehrung der 
Bevölkerung am Platze sein. 



die Bekämpfung gemeingef&hrlioher Krankheiten vom 80. Juni 1900. 161 

4. Bösartiger Kopfgrind wird gleichfalls im Gesetzentwürfe nicht 
erwähnt. Die Fortschritte der Dermatologie haben ergeben, dass die Sammel¬ 
bezeichnung „bösartiger Kopfgrind* 1 eine Mehrheit selbstständiger Krankheiten 
umfasst, welche rein örtlich verlaufen nnd niemals zu Allgemeinkrankheiten 
ausarten, so dass von einer Bekämpfung derselben mittels behördlicher Mass¬ 
nahmen abgesehen werden kann. Auch der Erlass der Minister der geistlichen 
u. s. w. Angelegenheiten und des Innern, betr. die Verhütung der Uebertragung 
ansteckender Krankheiten durch die Schulen vom 14. Juli 1884 (M. Bl. f. d. i. 
V n S. 198) hat den bösartigen Kopfgrind mit Stillschweigen übergangen. Die 
einzige sanitätspolizeilicle Masaregel, welche sich gegenüber dem Kopfgrind, 
wie bei allen Haarkrankheiten, empfiehlt, ist eine sorgfältige Ueberwachung 
des Barbier-, Friseur- und Perrückenmachergewerbes, deren Durchführung 
jedoch nicht die Form des Gesetzes erfordert. 

Auch die Vorschriften, welche das Begulativ (g. 90) über die Krebs¬ 
krankheit enthält, sind unzureichend und veraltet. Es ist erwogen worden, 
ob es sich nicht empfiehlt, andere wirksame Massregeln gegen die Krebskrank¬ 
heit vorzuschreiben. Mach den Erfahrungen der letzten Jahre ist die Ver¬ 
breitung des Krebses in neuerer Zeit in unverkennbarer Zunahme begriffen. 
Von je 100000 am 1. Januar Lebenden starben im preussischen Staat an Krebs 
im Jahre 

1890 : 43,1 1894 : 52,7 1898 : 57,0 

1891: 45,0 1895 : 53,1 1899 : 60,6 

1892 : 49,7 1896 : 55,3 

1891:61,0 1897 : 56,7 

Es ist zwar die Ansicht geäussert worden, dass die Zunahme des KrebseB nur 
eine scheinbare sei und vorgetäuscht werde durch die Verbesserung der dia- 
gnosistischen Befähigung der Aerzte und die Entwicklung der Chirurgie, 
namentlich der Antisepsis und Asepsis, vermöge deren jetzt mehr Operationen 
vorgenommen würden, als früher. Diese Ansicht erscheint jedoch nicht zu¬ 
treffend; sie wird schon durch die Thatsache des auch ausserhalb Freuesens 
und Deutschlands beobachteten, gleichmässigen Ansteigens der Sterblichkeits¬ 
ziffern widerlegt. Der Gedanke, schon jetzt mit gesetzlichen Mastnahmen gegen 
den Krebs vorzugehen, musste jedoch gegenüber der Erwägung aufgegeben 
werden, dass zurZeit die Matur und das Wesen dieser Krankheit wissenschaft¬ 
lich noch nicht hinreichend geklärt ist, dass insbesondere noch nicht feststebt, 
ob diese Krankheit von Mensch zu Mensch bezw. von Thieren oder Pflanzen 
auf Menschen übertragbar ist, ob sie durch einen belebten Krankheitserreger 
erzeugt wird, auf weichen Wegen derselbe sich verbreitet, ob eine Vererbung 
der Krankheit anzunehmen ist. Erst wenn es der Forschung, die gerade in 
neuerer Zeit sich mit der Angelegenheit lebhaft beschäftigt, gelungen sein 
wird, diese und ähnliche Fragen zu lösen, wird man an eine gesetzliche Fest¬ 
legung von Bekämpfuogsmassregeln des Krebses herantreten können. 

6. Von der Gicht steht schon jetzt mit Sicherheit fest, dass sie nicht 
durch einen belebten Krankheitskeim entsteht und nicht übertragbar ist, so 
Aase nanitätspollzeiliche Massregeln gegenüber dieser Krankheit nicht in Frage 
kommen können. 

VI. Weiterhin hat auoh eine Beihe von übertragbaren Krankheiten von 
theilweise grosser Bedeutung keine Aufnahme in dem Gesetzentwurf gefunden, 
z. B. die Influenza, Malaria, der Keuchhusten, die Maul- und 
Klauenseuche, Schälblasen der Neugeborenen, ans Gründen, die 
einer näheren Darlegung bedürfen. 

1. Die Influenza oder Grippe ist eine fieberhafte Infektionskrankheit, 
welche in epidemischer, häufig pandemischer Verbreitung aufzutreten pflegt, 
seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wiederholt auch in Deutschland beobachtet 
worden ist und gerade in den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, zu 
der Zeit, in welcher das Regulativ erlassen wurde, mehrere schwere Epidemien 
in Deutschland verursacht hat. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts 
kamen grössere Epidemien nicht vor, erst gegen Ende des JahreB 1889 trat 
die Krankheit von Nenem auf und forderte bis in daa Jahr 1897 hinein fast 
ununterbrochen ihre Opfer. Während die Zahl der Erkrankungen eine ausser¬ 
ordentlich grosse war, bei dem verschiedenartigen Verlaufe der Krankheit aber 



152 Entwarf eines Ausführnngsgesetzes 2a dem Heichsgesetz, betr. 


nicht festgestellt werden konnte, ist die Zahl der Todesfälle wenigstens an¬ 
nähernd za ermitteln and verhältnismässig gering gewesen. Es starben an 
Infineon in Prenssen im Jahre 

1889 : 814 1892: 16911 1896 : 6609 

1890 : 9676 1898: 10413 1896 : 3669 

1891: 8050 1894 : 7886 1897 : 6940. 

Zusammen 67 608 Personen. 

Die Krankheit entsteht dturch das Eindringen des Inflnenzabacillns in 
den Körper; sie ist überaus leioht übertragbar, allem Anschein naoh von Person 
in Person vermittelst des beim Räuspern, Husten, Sprechen, Niessen u. s. w. 
verspritzten Schleimtröpfchen der Kranken, in welchen die Bakterien in reich¬ 
licher Menge enthalten sind. Bei ihrem epidemischen Auftreten pflegt sie sich, 
dem Verkehre folgend, mit ausserordentlicher Schnelligkeit von Hans zu Haus, 
von Ort zu Ort zu verbreiten, and ganze Schichten der Bevölkerung zu be¬ 
fallen, während die Sterblichkeit je naoh der Schwere der Epidemie verschieden 
gross, im Verhältniss zu der Zahl der Erkrankungen aber in der Begel nicht 
erheblich ist. Mit Rücksicht hierauf und in der Erwägung, dass die Art und 
Weise, wie im einzelnen Fall die Uebertragung der Krankheit zu Stande 
kommt, wissenschaftlich noch nicht mit hinreichender Bestimmtheit festgestellt 
ist, erscheint es angezeigt, von der Bekämpfung dieser Krankheit im Entwürfe 
zur Zeit noch abzusehen. 

2. Die Malaria, das kalte oder Wechselfieber, ist eine Infektions¬ 
krankheit, welche in den Tropen und in Südenropa sehr schwer verläuft und 
nicht selten zu langem Siecbthum und zum Tode führt, während sie bei uns 
in zwei milderen Formen, der sogenannten Febris tertiana und quartana auf- 
tritt und in der Regel einen leichteren Verlauf nimmt. Sie entsteht durch 
das Eindringen mikroskopischer Thiere, der sogenannten Plasmodien, in die 
rothen Blutkörperchen und wird von dem erkrankten Menschen auf den ge¬ 
sunden nicht direkt, sondern durch Vermittelung bestimmter Mückenarten, der 
Anopheles, übertragen, welohe den Gesunden stechen, nachdem sie einige Zeit 
vorher Blut von einem Kranken in sich aufgenommen haben. Nach den neueren 
Untersuchungen vermehren sich die aus dem Blute des kranken Menschen 
stammenden Plasmodien im Körper der Mücken, sammeln sich in der am 
Grande des Stachels liegenden Giftdrüse an und werden beim Stiche, bevor 
das Thier saugt, in die Haut and den Blutstrom des nächstgestochenen 
Menschen entleert. 

Es erhellt, dass jeder Mensch, welcher die Parasiten in seinem Blut¬ 
strome enthält, die Gesundheit seiner Umgebung gefährdet und dass das 
sicherste Mittel zur Verhütung der Weiterverbreitung der Krankheit die mög¬ 
lichst schnelle und vollkommene Heilung jedes Malariakranken ist. 

Mit Rücksicht darauf jedoch, dass wir in dem Chinin ein sicher wirk¬ 
sames Mittel gegen die Krankheit besitzen, dass die Krankheit in der Mehrzahl 
der Fälle leicht verläuft and gegenwärtig in Prenssen nur in geringer Ver¬ 
breitung vorkommt, hat der vorliegende Gesetzentwurf auch bei dieser Krank¬ 
heit von näheren Bestimmungen Abstand genommen. 

8. Der Keuchhusten ist eine von Krampfhustenanfällen begleitete, 
von Person an Person übertragbare Krankheit, welche in der Regel mehrere 
Monate dauert, das Allgemeinbefinden erheblich stört und unter den Kindern, 
welche für sie besonders empfänglich sind, zahlreiche Todesfälle herbeiführt. 
Sie hat in der Art ihrer Verbreitung grosse Aehnlichkeit mit den Masern und 
verursacht wie diese Epidemien, welche ganze Ortschaften in Mitleidenschaft 
zu ziehen pflegen. Die Zahl der Erkrankungen an Keuchhusten gelangt bei 
dem Mangel einer gesetzlichen Anzeigepflicht nicht zur Kenntniss der Behörden; 
die Zahl der Todesfälle betrug in Prenssen in den Jahren 1890 bis 1899 durch¬ 
schnittlich jährlich 14311, entsprechend 45,6 von je ICO 000 der am 1. Januar 
Lebenden. Für die Kinderwelt ist die Krankheit erheblich gefährlicher, als 
für Erwachsene. Im Jahre 1893 starben an dieser Krankheit in Prenssen von 
je 100000 Lebenden der betreffen Altersklasse im 

1. Lebensjahre . . . 868,6 4. n. 5. Lebensjahr. . 86,1 

2. „ ... 318,2 6. bis 10. „ . . 6,4 

3. „ ... 96,9 11. „15. „ . . 0,7 




die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 80. Juni 1900. 163 


16. 

bis 20. Lebensjahre . . 

0,06 

41. 

bis 60. 

Lebensjahre . 

. 0,1 

21. 

» 26. „ . . 

0,1 

61. 

» 60. 

jp • 

. 0,4 

26. 

»30. 

0,16 

6L 

» 70. 

n • 

. 2,1 

81. 

»40- » 

0,05 






Bis jetst bestehen in Preossen gegenüber dem Kenehbasten nur Vor* 
sehriften für die Sohulen (vergl. Min.-Erl. rom 14. Juli 1884, M.-B1. f. d. i. V., 
8.198). De die Krankheit aber die Kindheit vor dem Beginne des schulpflich¬ 
tigen Alters in fiel höherem Grade gefährdet und da ihre Verbreitung in der¬ 
selben Weise wie bei der Tuberkulose und Influensa, durch das Verspritzen 
Ton 8chleimtr0pfchen beim Husten, Räuspern, Niesen u. s. w. erfolgt, so ist 
erwogen worden, ob es nicht angebracht sei, durch die Einführung der Anzeige* 
and Absonderungspflicht für die kranken Kinder bis zu einem gewissen Lebens¬ 
titer, etwa bis zum 10. Lebensjahre, der Ausbreitung der Krankheit entgegen- 
ntreten. Es ist jedoch aus denselben Gründen, wie bei den Masern, von einem 
Vorgehen in dieser Richtung, wenigstens zur Zeit, Abstand genommen. 

4. Es ist auch davon abgesehen, die Maul- und Klauenseuche, 
welche Rinder, Schafe und Schweine befällt und zu deren Bekämpfung seit 
eia« Reihe von Jahren erhebliche Staatsmittel anfgewendet werden, in den 
Bereich dieses Gesetzes zu ziehen, obgleich es sich um eine Krankheit handelt, 
welche mit der Milch auf den Menschen übertragen werden kann und nicht 
selten bei Säuglingen Entzündungen der Mundschleimhaut verursacht, durch 
welche die Ernährung der Kinder erheblich beeinflusst wird. Entscheidend 
hierbei war, dass die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche im Wesent¬ 
lichen Aufgabe der Veterinärpolisei ist. 

5. Auch die Schälblasen der Neugeborenen sind in dem Gesetz 
Entwürfe nicht berücksichtigt. Mit diesem Namen werden zwei verschiedene 
Krankheiten bezeichnet, einmal eine Erscheinungsform der Syphilis, welche 
nter diese Krankheit fällt, und dann eine verhäknissmäsBg harmlose Haut¬ 
krankheit, gegen welche sich sanitätspolizeiliche Massregeln erübrigen. 

Besonderer TheiL 

Der Gesetzentwurf sohliesst sich in seiner Eintheilung im Wesentlichen 
u die des Reichsgesetzes an und behandelt in acht Abschnitten 1. Anzeige- 
pflicht, 2. Ermittelung der Krankheit, 3. Schutzmassregeln, 4. Verfahren und 
Behörden, 5. Entschädigungen, 6. Kosten, 7. Strafvorschriften, 8. Schlussbe- 
kestimmungen. 

Erster Abschnitt 
Annelgepflioht. 

Die unerlässliche Vorbedingung eines jeden seucbenpoliseilichen Vor¬ 
gehens gegen die übertragbaren Krankheiten ist die Einführung der Anzeige- 
pflieht Nur wenn die Behörden möglichst frühzeitig und zuverlässig erfahren, 
wann und wo die ersten Erkrankungen und Todesfälle einer übertragbaren 
Krankheit vorgekommen, sind sie in der Lage, ihre Entstehungsursachen auf- 
zaklären und wirksame Massnahmen zur Verhütung ihrer Weiterverbreitung 
aazuordnen. Sind erst mehrere Fälle der Krankheit vorgekommen, so ist es 
vielleicht mit Schwierigkeiten verbunden, die Wege, auf welchen die Krankheit 
Eingang gefunden hat, festzustellen; auch sind dann bereits so zahlreiche 
Krankheitskeime in der Bevölkerung ausgestreut, dass ihre Vernichtung und 
die Verhütung des Ausbruchs einer Epidemie zuweilen überhaupt nicht mehr 
•der nur im Aufwand unverhältnissmässig grosser Mühen und Kosten zu er¬ 
reichen ist. Gelingt es dagegen, in Folge rechtzeitiger Anmeldung von dem 
ersten Falle oder den ersten Fällen der Krankheit Kenntniss zu erhalten, so 
ist es den Behörden noch möglich, den glimmenden Funken zu ersticken, et¬ 
waige Uebertragungen der Krankheit unschädlich zu machen und die Bevöl¬ 
kerung vor grosserem Unheil zu bewahren. Dies gilt in erster Linie von den 
direh das Reichsgesetz der Anzeigepflicht unterworfenen „gemeingefährlichen* 
Krankheiten; es trifft aber in mehr oder weniger gleichem Masse auch bei den 
übertragbaren Krankheiten des vorliegenden Gesetzentwurfs zu. 

§. 1. Nach g. 1 des Reichsgesetzes sind Aussatz, Cholera, Fleck¬ 
fieber, Gelbfieber, Pest, Pocken sowie jeder Fall, welcher den Ver¬ 
dacht einer dieser Krankheiten «weckt, anzeigepflichtig. 

Bei den anderen übertragbaren Krankheiten sieht der vorliegende 



154 Entwurf eines Aüsführithgsgesetses in dem fteiohsgesetz, betf. 

Gesetzentwurf die Anzeigepflicht toi: für einige der schon nach dem Regulativ 
anzeigepflichtigen Krankheiten, nämlich für Ruhr, Scharlach, Syphilis, 
Typhus, Milzbrand, Rotz and Tollwut-h, and sodann für einige, 
welohe seit Erlass des Regulativs theils erst aufgetreten, theils genauer er¬ 
forscht worden sind, nämlich für Diphtherie, übertragbare Genick¬ 
starre, Kindbettfieber, KOrnerkrankheit, Lungen- und Kehl- 
kopfstuberkulose, Rückfallfieber, Schanker, Tripper, Fleisch-, 
Fisch- und Wurstvergiftung und Triohinose. 

Abgesehen ist von der Anzeigepflicht bei Krätze, Masern, Rötheln 
und WeiohselzopL 

Das Regulativ schreibt, wie bereits im allgemeinen Theile der Be¬ 
gründung hervorgehoben ist, die Anzeigepflicht bei Masern, Scharia oh 
und ROthein nur für Aerzte, und für diese auch nur dann vor, »wenn be¬ 
sonders bösartige oder besonders zahlreiche Fälle ihnen Vorkommen“ (vergl. 
§. 59 d. R). Der vorliegende Gesetzentwurf weicht von dieser Bestimmung 
nach zwei Richtungen hin ab, indem er für Masern und ROth ein die An¬ 
zeigepflicht überhaupt beseitigt und ferner bei Scharlach mit Rücksicht auf 
die Bösartigkeit dieser Krankheit die Anseigepflicht anf alle Fälle ausdehnt 
und nicht auf Aerzte beschränkt. Von der Beschränkung der Anzeigepflicht 
auf die Aerzte nimmt der Gesetzentwurf grundsätzlich Abstand, um auch in 
denjenigen Fällen, in welchen die Kranken sich nicht von einem Arzte be¬ 
handeln lassen, die Möglichkeit eines behördlichen Einschreitens zu sichern. 

Bei der Ruhr erweitert der Gesetzentwurf gegenüber dem gegen¬ 
wärtigen ReohtszuBtand (vergl. §. 41 d. R.) die Anzeigepflicht, indem er sie 
nicht von einer epidemischen Ausbreitung der Krankheit abhängig macht, 
schränkt sie aber gleichzeitig auf Fälle von „übertragbarer“ Ruhr ein, 
um nioht jeden verdächtigen Sommerdurchfall der Anzeigepflicht zu unter¬ 
werfen. Massgebend ist dabei der Umstand, dass der bakteriologischen 
Forschung in jüngster Zeit die Entdeckung deB Ruhrerregers gelangen ist, so 
dass in Zukunft die Feststellung der unzweifelhaften Ruhrfälle keinen Schwierig¬ 
keiten mehr unterliegen wird. 

Nach §. 1 des Reichsgesetzes sind auch Fälle, welche den Verdacht 
einer gemeingefährlichen Krankheit erwecken, anzeigepflichtig. Bei den Krank¬ 
heiten des vorliegenden Gesetzentwurfes erscheint nur bei Typhus, Rotz, Rück¬ 
fallfieber und Kindbettfieber eine Ausdehnung der Anzeigepflicht auf Verdachts¬ 
fälle erforderlich. 

Wie schon früher auBgeführt ist, erzeugt der Typhus bei uns fast 
jedes Jahr mehr oder weniger heftige Epidemien, welche der Gesundheit und 
dem Vermögen der Bevölkerung schwere Schädigungen zufügen. Bei der ge¬ 
naueren Erforschung dieser Epidemien hat sich nachweisen lassen, dass sie 
ihren Anfang fast stets von leichten Typhusfällen genommen haben, welche 
den Behörden unbekannt geblieben waren, da sie wegen ihrer Leichtigkeit 
nicht als Typhus erkannt bezw. überhaupt nioht angezeigt worden sind. Es 
giebt eine beträchtliche Anzahl von Typhusfällen, die so leicht verlaufen, dass 
die Kranken sich zwar matt und unpässlich fühlen, wohl etwas über Kopf¬ 
schmerz, FrOBteln, Mangel an Appetit und etwas Durchfall klagen, im Uebrigen 
aber fast während der ganzen Dauer der Krankheit ausser Bett bleiben und 
vielfach auch nicht behindert Bind, ihrer gewohnten Beschäftigung nachzugehen. 
Diese sogenannten „ambulanten“ Typhen begünstigen die Verbreitung der Seuche 
in viel höherem Grade, als die schweren Erkrankungen. Die Leiohtkranken, 
sogenannte „Bazillenträger“, welche frei umhergehen, aber auch wie Schwer¬ 
kranke, wenn auch nicht in gleichem Masse, an Durchfällen leiden, können die 
in den Durchfällen und dem Harn enthaltenen Typhusbasillen und damit die 
Gefahr der Ansteckung viel leichter verbreiten, als Kranke, welche an das 
Bett gefesselt, nur mit wenigen Menschen in Berührung kommen. Einschlepp¬ 
ungen von Typhus aus dem Auslände und von Ort zu Ort kommen meistens 
gerade durch solche ambulanten Typhuskranken zu Stande, ganz in derselben 
Weise, wie es bei der Cholera der Fall zu sein pflegt. 

Aber nicht nur solche leichten Fälle entziehen sich der Kenntniss der 
Behörden, sondern nicht selten werden auch ausgesprochene Typhusfälle gar 
nicht oder erst nach mehrwöchiger Dauer zur Anzeige gebracht. Das hat vor¬ 
wiegend seinen Grund darin, dass die für die Typhuserkranknng charakteristischen 



die -Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Vom 80. Jan! 1900. 166 

Erscheinungen nicht gleich im Anfänge deutlich hervortreten, dass sie allmäh¬ 
lich und snksessiv sich entwickeln und einige von ihnen in manehen Pillen 
überhaupt nicht rar Beobachtung gelangen. Vorsichtige Aerste pflegen eine 
Erkrankung erst dann als Typhus su erklären, wenn sie alle Symptome der 
Krankheit beobachtet haben, bis dahin aber, zur Vermeidung etwaiger Beun¬ 
ruhigung des Kranken durch eine vorschnelle Typhusdiagnose, von „gastri¬ 
schem Typhus“ zu sprechen oder der Krankheit gar keinen Namen zu 
gehen. Dies wäre unbedenklich, wenn sie die Krankheit trotzdem als Typhus 
behandelten und von vornherein durch Absonderung des Kranken und Desin¬ 
fektion seiner Wische und Ausleerungen einer Weiterverbreitung der Krank¬ 
heit eatgegentreten würden. Dies wird jedoch meistens unterlassen. 

Die vorstehenden Brwigungeu enthalten eine ausreichende Rechtfertigung 
für die Einfflhrung der Anseigepflicht auch für solche Erkrankungen, welche 
nur den Verdacht des Typhus erwecken. Die Anzeige versetzt die Behörden 
in die Lage, mit Httlfe der beamteten Aerzte sofort die erforderlichen Mass- 
regeln anzuordnen und dadurch manche Epidemie zu verhüten, welche bei der 
gegenwärtigen Lage der Verhältnisse unvermeidlich ist. 

Eine noch grössere Bedeutung hat die Anzeigepflicht für verdächtige 
Fälle von Rots, weil diese Krankheit besonders bösartig und ansteckend und 
ihre sichere Erkennung mit den grössten Schwierigkeiten verbunden ist, so 
dass bei dem langwierigen Verlauf der Erkrankung schon vor ihrer sicheren 
Feststellung zahlreiche Uebertragungen stattfinden können. 

Das Rückfallfieber ist mit Hülfe des Mikroskops leicht zu dia- 
gnostisiren, ohne diese aber erst erkennbar, wenn der erste Anfall der Krank¬ 
heit vorüber und ein zweiter erfolgt ist, was einen Zeitraum von 8—14 Tagen 
erfordern kann. Wird nicht auch der Verdacht der Krankheit anzeigepflichtig 
gemacht, so entzieht sich der Fall der Kenntniss der Behörden, oder 
diese erfahren erst zu einem Zeitpunkte davon, nachdem schon vielleicht zahl¬ 
reiche Uebertragungen der Krankheit stattgefundeu haben. Bei der Meldung 
auch {des Krankheitsverdachts dagegen ist der beamtete Arzt in der Lage, 
durch unverzügliche Vornahme einer mikroskopischen Untersuchung des Blutes 
die Krankheit rechtzeitig als solche festzustellen und die erforderlichen Schutz- 
maasregeln in die Wege zu leiten. 

Der Umstand, dass auch das Kindbettfieber in der ersten Zeit der 
Erkrankung als solches häufig schwer erkennbar ist, lässt es geboten erscheinen, 
auch Erkrankungen, welche den Verdacht dieser Krankheit erwecken, anzeige¬ 
pflichtig zu machen, um rechtzeitig die Handhabe zu einer sicheren und wirk¬ 
samen Bekämpfung dieser für die gebärenden Frauen verhängnisvollen Krank¬ 
heit zu gewinnen. 

Die der Begründung als Anlage 3 beigegebene „Uebersicht über die 
Regelung der Anzeigepflieht der übertragbaren Krankheiten in den einzelnen 
deutschen Bundesstaaten“ ergiebt, dass die in dem §. 1 des Gesetzentwurfes 
aufgeführten Krankheiten schon jetzt in der Mehrzahl der deutschen Bundes¬ 
staaten anzeigepflichtig sind. 

Bei der Lungen- und Kehlkopfstuberkulose hat der Entwurf 
die Anzeigepflicht auf alle Todesfälle und bei Erkrankungen auf diejenigen 
Fälle beschränkt, in welchen ein an vorgeschrittener Tuberkulose Erkrankter 
die Wohnung wechselt. Während die Gesetzgebungen anderer Staaten zum 
Tbeil weitergehende Bestimmungen enthalten und auch solche Erkrankungen 
in die Anzeigepflicht einbeziehen, bei welchen mit Rücksicht auf die Verhält- 
aisM der Kranken, insbesondere die Wohnungsverhältnisse eine Gefährdung 
seiner Umgebung zu befürchten ist, bewegt sich der mehr zurückhaltende 
Standpunkt des Entwurfs im Wesentlichen in der Richtung von Massnahmen, 
walehe in der österreichischen Gesetzgebung zum Schutze gegen die Tuber- 
knlose getroffen sind. 

Wenn die Bestimmungen des Entwurfs die Sanitätspolizei nur in einem 
bescheidenen Masse an dem Kampfe gegen die Tuberkulose betheiligen, so 
wird dabei nieht unberücksichtigt bleiben können, dass die eigenartigen Ver¬ 
hältnisse bei der Tuberkulose, ihr chronischer Verlauf und namentlich ihre 
passe Verbreitung in Bezug auf die Einfflhrung von behördlichen Bekämpfungs- 
■usnahmen zu besonderer Zurückhaltung und zum massvollen Vorgehen 
•ebnen, weshalb es sich empfiehlt, vorläufig nur die dringendsten Fälle »u 



156 Antwort eines AusfÜhrtthgsgesetzes zu dem Beicbsgesetz, betf. 


treffen and die Ausdehnung der Anzeigepflieht auf andere Erkrankungsfälle von 
den Erfahrungen der Zukunft, insbesondere aneh von der weiteren Entwicklung 
der Taberkulosebewegung abhängig zu machen (vergl. aneh f. 5, Abs. 2 
d. Entw.) 

Die Thatsaehe, dass gesunde Menschen, die von Tuberkulösen benntsten 
Wohnungen bezogen haben, hänfig ebenfalls an Tuberkulose erkranken, macht 
die Einführung der Anzeigepflieht für die im Entwarf bezeichneten zwei Fälle 
an einem unerlässlichen Gebot dringender Nothwendigkeit. Bei zahlreichen 
einwandsfreien Untersuchungen sind in dem Staube und an den Wänden von 
Wohnungen, in welchen Lungentuberkulose mit reichlichem Auswnrf sich 
längere Zeit hindurch anfgehalten hatten, Tuberkelbasillen in lebendem and 
ansteckangsfähigem Zustande gefunden worden. Es wäre für Gesunde in hohem 
Grade gefährlich, eine solche Wohnung zu beziehen, ohne sie vorher gründlich 
desinfiziren zu lassen. Mit Becht ist daher in denjenigen Staaten, welche die 
Anzeigepflicht für Tuberkulose eingeführt haben, dieselbe aneh für den Fall 
des Wohnungswechsels vorgesohriebon worden. 

Eine Einschränkung der Anzeigepflicht schlägt der Gesetzentwurf auch 
bei Syphilis, Tripper und Schanker vor. Bei den Geschlechtskrank¬ 
heiten findet die Uebertragung nicht, wie bei der Tuberkulose, durch die frei 
in die Aussenwelt beförderten Krankheitserreger, sondern ausschliesslich durch 
unmittelbare Berührung mit dem Erkrankten oder mit gewissen Gebrancbs- 
gegenständen desselben, am häufigsten durch den ausserehelicben Geschlechts¬ 
verkehr, statt. Es kann daher bei diesen Krankheiten die Anzeigepflicht un¬ 
bedenklich auf solche Personen beschränkt werden, welche den ausserehelicben 
Geschlechtsverkehr zum Gewerbe machen. 

Abgesehen von der Aufzählang der anzeigepflichtigen Krankheiten 
stimmt der §. 1 des Entwurfs in seinem übrigen Inhalte mit dem §. 1 des 
Beichsgesetzes überein. Abweichend ist nur die erweiterte Bestimmung des 
Entwurfes, dass nicht nur der Weohsel des Aufenthaltsorts, sondern auch der 
Wohnungswechsel zur Anzeige zu bringen ist. 

Es erschien zweckmässig, die nach dem Beicbsgesetz anzeigepflichtigen 
„gemeingefährlichen“ Krankheiten im Eingänge des §. 1 mit zu erwähnen, nm 
an dieser Stelle eine für die praktische Handhabung wünschenswerte Zu¬ 
sammenstellung aller Krankheiten zu geben, für welche in Preussen überhaupt 
die gesetzliche Anzeigepflicht besteht. 

g. 2. Das Beicbsgesetz legt die Verpflichtung zur Anzeige in erster 
Linie dem Arzte auf, weil er wegen seiner wissenschaftlichen Kenntnisse 
und seiner Erfahrung am besten im Stande ist, zu erkennen, ob es sich im 
Einzelfalle um eine anzeigepflichtige Krankheit handelt; dann folgen in der 
Verpflichtung zur Anzeige der für das Wohl seiner Angehörigen in erster 
Linie verantwortliche Haushaltungsvorstand, dann jede sonst mit der 
Behandlung oder Pflege des Erkrankten beschäftigte Person, weiter 
für den Fall, dass der Erkrankte allein steht, der Wohnungs- bezw. 
Hausbesitzer nnd endlich der Leichenschauer. Mit Bücksicht auf 
die Vortheile eines gleichmässigen und einheitlichen Verfahrens empfiehlt es 
sich, die in dem Beichsgesetze festgelegte Beihenfolge der zur Anzeige ver¬ 
pflichteten Personen auch für die Krankheiten des vorliegenden Gesetzentwurfs 
als massgebend anzunehmen. 

Die besonderen Verpflichtungen, welche in Absatz 3 den Aerzten nnd 
den sonst mit der Behandlung beschäftigten Personen auferlegt werden, ent¬ 
sprechen dem bestehenden Bechte. Syphilitisch kranke Soldaten müssen von 
den sie etwa behandelnden Zivilärzten nach §. 65, Abs. 3 des Begulativs dem 
Kommandeur des betreffenden Trnppentheils oder dem dabei angestellten 
Oberarzt angezeigt werden. Die Aufrechterhaltung dieser Verpflichtung er¬ 
scheint wünschenswerth. 

§.3. Für öffentliche Kranken-, Gefangenen-und ähnliche 
Anstalten legt das Beicbsgesetz die Anzeigeflicht nicht dem Arzt, sondern 
ausschliesslich dem Vorsteher oder der von der zuständigen Stelle damit 
beauftragten Person auf. Dieser Vorschrift schliesst sich der vorliegende 
Gesetzentwurf auch für die übertragbaren Krankeiten an. 

Ebenso wird die Anzeigepflicht auf Schiffen und Flössen, entsprechend 
den Bestimmungen des Beichsgesetzes, dem Schiffer oder Flocsführer oder deren 
Stellvertreter übertragen. 1 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten rom 80. Juni 1900. 157 

Durch die Bestimmung in Abs. 2 wird die in dem §. 8, Abs. 2 des Beichs- 
gesetses beseiehnete Ermächtigung in Bezog auf die flbertragbaren Krank* 
ketten dem Minister der Medizinalangelegenheiten ertheilt, welcher seine Ent- 
eekliessnngen im Einvernehmen mit dem mitbetheiligten Minister f&r Handel 
ud Gewerbe an treffen bat. 

Der §. 4 des Entwurfs stimmt mit dem §. 4 des Beiohsgesetzes überein. 

Es empfiehlt sieh, die schon jetzt in mehreren Begierungsbezirken üb¬ 
liche anentgeltliebe Verabfolgung gedruckter Meldekarten nach einheitlichem 
Muter dnreh die Ortspoliseibehörden allgemein einznf&hren, am eine gleich¬ 
nissige and erschöpfende Beantwortung der in Betracht kommenden Fragen 
n sichern and sogleich dem Meldepflichtigen die Ausführung der Anzeige 
Möglichst zu erleichtern. 

Nähere Bestimmungen über Inhalt und Form der Meldung, a. B. ob 
offene Karten oder Kartenbriefe an verwenden sind, wird den Ausfuhrengs- 
bestimmangen vorzubehalten sein. 

Nach den in dem allgemeinen Theile der Begründung gemachten Aus- 
Ehrnngen ist die in dem §. 1 des Entwurfs enthaltene Aufzählung der über- 
tngbaren Krankheiten nicht erschöpfend. Es fehlen s. B. Influenza, 
Keuchhusten, Malaria, Masern und Bötheln. 

Es können aber Verhältnisse eintreten, welche die sofortige Einführung 
4er Anzeigepflicht für einzelne Theile oder für den ganzen Umfang der Mon¬ 
archie auch bei anderen, als den in dem §. 1 des Entwurfes genannten über¬ 
tragbaren Krankheiten erforderlich machen, wenn sie nämlich in ungewöhn¬ 
licher Verbreitung oder mit ausserordentlicher Bösartigkeit |auftreten. Um 
flr solche Fälle mit der durch die Verhältnisse gebotenen Beschleunigung|die 
erforderlichen Massregeln treffen können, erscheint es gerchtfertigt, dem Staats- 
ainüterium die Ermächtigung zu ertheilen, unverzüglich die Ausdehnung der 
Anseigepflicht auf solche Krankheiten anzuordnen. Es erscheint dies um so 
«bedenklicher, als für das Beich durch den §. 5 des Beichsgesetzes dem 
Bundesrath die gleiche Befugniss beigelegt worden ist. Die Annahme, dass 
diese reichsgesetzliche Ermächtigung des Bandesraths in Bezog auf die in 
dem vorliegenden Gesetzentwürfe geregelten Krankheiten eine entsprechende 
Isudesgesetzliohe Vorschrift als entbehrlich erscheinen lasse, erscheint nicht 
ntreffend, da die Ausführungen in der Begründung zu dem §. 5 des Beichs- 
gesetses ergeben, dass eine Ausdehnung der Anzeigepflicht von Beicbs wegen 
hauptsächlich nur dann in Frage kommen wird, wenn es sich um ein ausser- 
rewöhnlich bösartiges und weit um sich greifendes Auftreten einer in dem 
Beiehsgesetse nicht genannten übertragbaren Krankheit in mehrere n a'n - 
einander grenzenden Bundesstaaten handelt, während bei einer auf 
•inen Bundesstaat beschränkten Krankheit das Beich keine Veranlassung zum 
Kinschreiten nehmen, sondern das Erforderliche der betreffenden Landesregierung 
therlassen will. 

Die Bestimmung in Abs. 2 bezweckt, auch bei der Lungen- und Kehl- 
kopfstuberkulose eine Ausdehnung der Anzeigepflieht über den in dem §. 1 be- 
SNchneten Umfang zu sichern, falls besondere Verhältnisse eine sanitätspolizei- 
Kehe Ueberwachung weiterer Erkrankungsfälle, als in dem §. 1 vorgesehen ist, 
tls aothwendig erscheinen lassen. 

Zweiter Abschnitt. 

Ermittelung der Krankheit. 

§. 6. Bei der Frage, ob und inwieweit die in den §§. 6 bis 10 des Beichs- 
lesstses enthaltenen Bestimmungen über die Ermittelung der Krankheit auch 
nf andere übertragbare Krankheiten auszudehnen sind, ist es geboten, alle 
4iejeaigen Krankheiten zu treffen, bei deren Charakter zum Zweck einer er¬ 
folgreichen Verhinderung ihrer Ausbreitung gerade die Feststellung der ersten 
Fülle durch den beamteten Arzt unerlässlich ist. 

Es sind daher diejenigen Krankheiten ausgeschieden, welche eine mildere 
Behandlung zulaasen oder bei denen wegen ihrer verhältnissmässig leichten 
Mannbarkeit die Mitwirkung des beamteten Arztes im Allgemeinen als ent- 
ahrlkh angesehen werden kann. Hierhin gehOrn: Diphtherie, Kürner- 
krankheit, Lungen- and Kehlkopfstuberkulose, Scharlaoh, 
Syphilis, Tripper und 8ehanker. 



158 Entwurf eines Ausfflhrungsgesetzes zn dem Beichsgeaetz, betr. 

Dagegen ist ea für erforderlieh erachtet, bei Erkrankungen and Todes* 
iftllen an libertragbarer Genickstarre, Übertragbarer Bnhr, 
Milsbrand, Tollwnth, Fleisch-, Fisch- nnd Wurstvergiftung 
und Trichinose, sowie an Eindbettfieber, Bttokfallfieber, Typhus 
nnd Botz, behnfs schleuniger nnd sicherer Feststellung der Entstehungsur- 
saehen die Ermittelungen an Ort und Stelle durch den beamteten Arzt vor¬ 
nehmen zn lassen. 

Nach §. 6, Abs. 1 nnd 2 des Beichsgesetses findet die Vornahme von Er¬ 
mittelungen durah den beamteten Arzt im Allgemeinen nnr dann statt, wenn 
der erste Ausbrach einer Seuche in einer Ortschaft oder bei Ortschaften mit 
mehr als 10000 Einwohnern in einem räumlich abgegrensten Theile der Ort¬ 
schaft in Frage steht. Nach §. 6, Abs. 3 daselbst ist die hfihere Verwaltungs¬ 
behörde jedoch berechtigt, Ermittelungen auch ttber die weiteren Erankheits- 
nnd Todesfälle eintreten an lassen. Namentlich kann in Gegenden, in welchen 
bestimmte fibertragbare Erankheiten, wie z. B. Typhus, Bohr, einheimisch 
(endemisch) geworden sind, ohne die sorgfältige amtsärztliche Ermittelung 
anoh weiterer Fälle die Ausrottung der Erankheit nicht erhofft werden. Auch 
bei Erankheiten, die vereinzelt aufzutreten pflegen, wie Genickstarre, Eind¬ 
bettfieber, Bflokfallfieber, Milzbrand, Botz und Tollwuth, erscheint es geboten, 
jeden einzelnen Fall amtsärztlich untersuchen zu lassen. 

Bei den gemeingefährlichen Erankheiten schreibt das Beiehsgesetz auch 
in denjenigen Fällen das Ermittelungsverfahren vor, in welchen es sich nm 
den Verdacht der Erkrankung handelt. 

Der vorliegende Gesetzentwurf hält die Ausdehnung des Ermittelungs- 
Verfahrens auf Verdachtsfälle nur bei Eindbettfieber, Bfickfallfieber, 
Typhus und Botz für erforderlich und ausreichend. 

Das Eindbettfieber entsteht, wie in dem allgemeinen Theile der 
Begründung ausgeftthrt ist, durch die Berührung der Geschlechtstheile der 
Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen mit unreinen Fingern oder In¬ 
strumenten seitens derjenigen Personen, welche bei der Entbindung oder 
Wochenbettpflege thätig sind; die Eirankheit ist ausserordentlich leicht über¬ 
tragbar, leider aber nicht ebenso leicht als solche zu erkennen. Hebammen 
oder Wochenbettpflegerinnen, welche eine kindbettkranke WOchnerin in Pflege 
haben, bei welcher die Erankheit noch nicht als solche mit Sicherheit erkannt 
ist, würden ungehindert andere Schwangere untersuchen oder entbinden, andere 
Wöchnerinnen pflegen und die Erankheit auf diese Weise fibertragen können, wenn 
das Gesetz davon abseheu wollte, auch die verdächtigen Fälle von Eindbett¬ 
fieber dem amtsärztlichen Ermittelungsverfahren zu unterwerfen. Die Be¬ 
theiligung des beamteten Arztes erscheint aber auch aus dem Grunde uner¬ 
lässlich, weil ihm die Beaufsichtigung der Hebammen seines Bezirks obliegt, 
und er in erster Linie darfiber vergewissert werden muss, ob Grfinde vorliegen, 
eine Hebamme im gesundheitlichen Interesse vorübergehend ihrer Berufstätig¬ 
keit zu entziehen. 

Ebenso notwendig ist die amtsärztliche Ermittelung hei dem Verdachte 
der Typhuserkrankung. Die Häufigkeit der ambulanten Typhen, die 
Gepflogenheit zahlreicher Aerzte, den Typhus als solchen erst zu bezeichnen 
und anzumelden, wenn seine Erkennung unzweifelhaft ist, d. h. wenn der 
Eranke schon 2 bis 3 Wochen darniederliegt, hat zur Folge, dass jetzt der 
beamtete Arzt und die Sanitätspolizei mit ihren Anordnungen meist zu spät 
kommen und die epidemische Ausbreitung des Typhus nicht mehr verhindert 
werden kann. Nnr wenn der Typhus schon in dem Erankheitsstadium, in 
welchem er als solcher klinisch noch nicht mit Sicherheit zu erkennen ist, dem 
amtsärztlichen Ermittelungsverfahren unterworfen wird, ist der beamtete Arzt 
in der Lage, durch sofortige Feststellung der Entstehungsursache und der 
Verbreitungswege der Erankheit ihrer Weiterverbreitung wirksam zu begegnen. 

Dazu kommt, dass wenn auch der behandelnde Arzt den Typhus als 
solchen klinisch noch nicht mit Sicherheit erkennen kann, andere in bakterio¬ 
logischen Arbeiten gefibtere medizinische Sachverständige dazu bereits wohl 
im Stande sind: durch den Nachweis der Typhusbazillen in den Ausleerungen 
des Franken vermittelst Zflohtnng auf gefärbten Nährboden und durch die 
Feststellung eines eigenthfimliehen Verhaltens des Blutes des Eranken znr 
Kultur von Typhusbakterien, welche in Aufschwemmungen durch den Zusatz 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten rom 80. Juni 1000. 159 


des Mangen Theiles dea Blotes eines Typhuskranken zusammengeballt (agglu- 
tiairt) werden. Derartig wenig seitnabende Untersaehnngen ermöglichen die 
Sicherstellung der Diagnose in 24 Standen nnd können in jedem hygienischen 
•der bakteriologischen Institute nach Einsendung der Untersnchnngsobjekte 
(Stuhlgang, Urin, Blot) ausgeführt werden. 

Auch bei Erkrankungen, welche den Verdacht des Rückfallfiebers 
erwecken, ist die amtsärztliche Ermittelung geboten, weil die sichere Er¬ 
kennung desselben dem in bakteriologischen Arbeiten nicht geübten Arzt erst 
mOglich ist, wenn der erste Rückfall eingetreten ist, also za einer Zeit, wo 
schon sahireiche Ansteckungen erfolgt sein können. 

Die meist chronisch verlaufenden Botserkranknngen des Menschen 
sind ebenfalls als solche schwierig sn erkennen. Mit Rücksicht hierauf er¬ 
scheint es geboten, auch schon den Verdacht einer Rotzerkrankung zum Gegen¬ 
stände der amtsärztlichen Ermittelung so machen. 

Wegen der aasserordentüch leichten Uebertragbarkeit von Rotz ist es 
sum Zweck der sicheren Feststellung der Krankheit in Zweifelsfüllen weiterhin 
uaerlis8licb, beim Verdacht dieser Krankheit in gleicher Weise, wie das Reiehs- 
gesets dies bei Cholera-, Gelbfieber- und Pestverdacht gestattet, der Polizei¬ 
behörde die Befugniss zur Anordnung der Leichenöffnung beizulegen. 

Die gleiche Befugniss legt der Gesetzentwurf bei Typhusverdacht der 
Polizeibehörde bei, weil eine Anzahl von anscheinend ganz leichten Typhus- 
Allen meist in Folge von heftiger Darmentleerung erfahrnngsgemäss tOdtlich 
verläuft, ehe sie als solche erkannt worden sind, nnd ihre Diagnose sowie die 
Anordnung von Schutzmassregeln ohne die Ausführung der Leichenöffnung 
unmöglich ist. 

Der §. 10 des Regulativs legt der Polizeibehörde die Verpflichtung anf, 
nach erhaltener Anzeige die ersten Fälle der anzeigepflichtigen Krankheiten 
unterschiedslos ärztlich untersuchen zu lassen. Nach §. 6 des Reichsgesetzes 
hat bei den gemeingefährlichen und nach §. 6, Abs. 1 dieses Gesetzes bei den 
dort anfgeführten übertragbaren Krankheiten die ärztliche Untersuchung der 
«raten Fälle durch den beamteten Arzt stattzufinden. Für die übrigen über¬ 
tragbaren Krankheiten soll nach der Bestimmung in dem §. 6, Abs. 3 wie 
bisher die Untersuchung durch einen Arzt genügen nnd diese auch nur dann 
erforderlich sein, wenn die Anzeige nicht von einem Arzt erstattet worden ist. 
Diese wenig belästigende Massregel liegt in dem eigensten Interesse der Orts 
poliseibehOraen, weil dadurch die Anordnung von Schutzmassregeln in Fällen 
verhütet wird, welche sich bei der ärztlichen Untersuchung nicht als Fälle der 
angezeigten Krankheit erweisen sollten. 

§. 7. Wenn der §. 5, Abs. 1 des Gesetzentwurfs dem Staateministerium 
die Befugniss beilegt, die Anzeigepflicht auch auf andere, als die in dem §. 1 
aufgeführten übertragbaren Krankheiten auszudehnen, „wenn und so lange die¬ 
selben in epidemischer Verbreitung anftreten“, so erscheint es angemessen, 
dass dem Staatsministerium auch die weitere Ermächtigung ertheilt wird, für 
die von ihm als anzeigepflichtig erklärten Krankheiten vorübergehend auch 
das Ermittelungsverfahren vorzuschreiben. 

Es ist durch den Vorbehalt aber weiterhin die Handhabe gegeben, auch 
für eine der in dem §. 1, aber nicht in dem §. 6 anfgeführten Krankheiten im 
Bedarfsfälle die Möglichkeit einer schleunigen Feststellung und, intensiveren 
Bekämpfung zu sichern. 

Dritter Abschnitt. 

Sohutamassregeln. 

§. 8. Der Umfang, in welchem auf Grund der in den §ft. 12 bis 19 
and 21 des Beiehsgesetzes gegebenen Vollmachten im einzelnen Falle vorzu¬ 
gehen ist, wird nach den Örtlichen Verhältnissen, vor allem aber nach der 
Natur der Krankheit und nach der mehr oder minder bösartigen Form ihres 
Auftretens ein verschiedener sein. Cholera und Pest bedürfen anderer Be- 
kämpfungsmittel, als Flecktyphus und Pocken, Gelbfieber und Aussatz, und 
diese besonders gefürchteten, gemeingefährlichen Krankheiten wieder anderer, 
als die sonstigen übertragbaren Krankheiten, mit welchen es der vorliegende 
Gesetzentwurf zu thun bat. Aufgabe einer umsichtigen Seuchenbekämpfung 
wird es sein müssen, unter den Massregeln, welche nach den Erfahrungen der 
Wissenschaft geeignet sind, die Krankheit zn unterdrücken, diejenige aussr 
wählen und mit dem erforderlichen Nachdruck durchzuführen, welche sich 



160 Entwurf eine« Ausführungsgesetaes za dem Reiohsgesetz, betr. 


und eehnell mm Ziele führen, ohne in der Auferlegung von Opfern nnd Be¬ 
lästigungen für du Publikum du dnreh sachliche Rücksichten unbedingt ge¬ 
botene Maas zu überschreiten. 

Die Massregeln, welche der vorliegende Gesetzentwurf gegenüber den 
übertragbaren Krankheiten vorschlägt, sind zwar im Allgemeinen dieselben, 
welche das Beichsgesetz rar Bekämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten 
für zulässig erklärt. Um jedoch voreiligen, unnOthigen oder zu weitgehenden 
Massregeln vorrabeugen, ist in dem §. 8 des Entwurfs eine Spezialisirung 
dahin gegeben, dass die Massnahmen, welche bei jeder einzelnen der hier in 
Betracht kommenden übertragbaren Krankheiten angeordnet werden können, 
genau und bestimmt bezeichnet sind. Es ist hierbei ausdrücklich darauf hin- 
raweiseo, dass diese Zusammenstellung nicht festzustellen beabsichtigt, was in 

C ' m Falle angewendet werden muss, sondern dass sie das HOchstmass dessen 
ichnet, wu im äussersten Falle angewendet werden darf, und hinter dem 
in vielen Fällen nach Lage der Verhältnisse wird zurückgeblieben werden 
können. Die näheren Einzelheiten in dieser Beziehung müssen den Aus- 
fflhrungsbestimmungen du Gesetzes Vorbehalten bleiben. 

Als Schutzmauregeln, deren Anordnung der Entwurf für zulässig erklärt, 
kommen in Betracht: 

1. die Beobachtung kranker, krankhelte- oder ansteokungs- 
verd&ohtiger Personen (§. 12 du Beichsgesetzu). Als krankheits¬ 
verdächtig sind solche Personen zu betrachten, welche unter Erscheinungen 
erkrankt sind, die den Ausbruch einer übertragbaren Krankheit befürchten 
lassen, als ansteckungsverdächtig solche, bei welchen dergleichen Er¬ 
scheinungen zwar nicht vorliegen, wegen des Verkehrs, in welchem sie mit 
Kranken gestanden haben, jedoch die Besorgnis« gerechtfertigt ist, dass sie 
den Krankheitskeim in sieh anfgenommen haben. 

a) Die Anordnung der Beobachtung kranker, krankheits- oder 
ansteckungsverdächtiger Personen ist nach dem Entwürfe nur zu¬ 
lässig bei Syphilis, Tripper und Schanker. Den Behörden mum das 
Buht verliehen werden, Personen, welche nachweislich aus dem ausser- 
eheliohen Geschlechtsverkehr ein Gewerbe machen, in butimmten Zwischen¬ 
räumen auf ihren Gesundheitszustand amtsärztlich untersuchen zu lassen; ohne 
diese Befugnis würde die Ueberwachung der Prostitution nicht durchführbar 
und die rechtzeitige Behandlung erkrankter Prutitntirter nicht möglich uin. 
Im Uebrigen entspricht die Bestimmnng auch dem geltenden Buhte. 

b) Die Anordnung der Beobachtung kranker und krankheits- 
verdäohtiger Personen ist zulässig: bei KOrnerkrankheit, Rück¬ 
fall fieber, Typhus und Rots (vergl. §. 8, Abs. 1, Nr. 4, 6, 10, 12 und 
Abs. 2). 

Schon das Regulativ schreibt bei kontagiOser Augenentsündung 
eine Beobachtung der wegen dieser Krankheit zur Reserve entlassenen Militär¬ 
personen und der an derselben leidenden Zivilpersonen vor. Die Ausführungen 
in dem allgemeinen Theile der Begründung ergeben, dass die mit staatlichen 
Beihülfen in Angriff genommene planmässige Bekämpfung der KOrnerkrankheit 
sieh in erfolgreicher Weise nicht durchführen lässt, wenn nicht den Behörden 
die Befngniss beigelegt wird, nicht nur die kranken, sondern auch die krank- 
heitsverdäohtigen Personen von Zeit zu Zeit ärztlich untersuchen zu lassen. 
Dies wird unter möglichster Vermeidung zu weit gehender persönlicher Be¬ 
lästigungen in der Weise zu geschehen haben, dass in durchseuchten Bezirken 
die augenkranken und krankheitsverdächtigen Personen, namentlich die Schul¬ 
kinder, polizeilich aufgefordert werden, zu vorher bekannt zu gebenden Öffent¬ 
lichen Terminen sich zur Untersuchung zu stellen und dass die hierbei für 
krank befundenen Personen veranlasst werden, sich einer ärztlichen Behand¬ 
lung zu unterwerfen. Derartige Öffentliche Termine werden insbesondere in 
Besirkon anzuordnen Bein, in welchen die KOrnerkrankheit wegen ihrer grossen 
Verbreitung mit Öffentlichen Mitteln bekämpft wird. Hier sind sie nicht zu 
entbehren und auch in der Bevölkerung bisher nicht als Belästigung empfanden 
worden. Auch bei Arbeitern, welche aus verseuchten Bezirken nach bisher 
unverseuohten ziehen, und bei dem engen Verkehr, welcher sich zwischen ihnen 
und der Bevölkerung so entwickeln pflegt, rar Verbreitung der KOrnerkrank¬ 
heit in hohem Masse beitragen, wird sich die Anwendung der Massregeln als 
zweckmässig empfehlen. 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Tom 90. Joni 1M0. 161 


Dass Personen, welche einen Krstliehen Gesnndheitsschein einsenden oder 
glaubhaft nachweisen, dass sie sieh in ärztlicher Behandlang befinden, von der 
Verpflichtung, vor dem mit der Untersnchnng beauftragten Arzt zu erscheinen, 
befreit werden, braucht kaum hervorgehoben zu werden. 

Bei Büokfallfieber wird die Anordnung der Beobachtung nur bei 
solchen Personen erforderlich sein, welche von auswärts zureisen und sich 
innerhalb einer bestimmten Frist vor ihrer Ankunft in Ortschaften oder Bezirken 
anfgehalten haben, in welchen Rückfallfieber auagebrocben ist; die Beobach* 
taug wird hier ein wirksames Mittel sein, um die Einschleppung der in hohem 
Grade ansteckenden Krankheit mit Sicherheit zu verhüten. 

Bei Typhus und Rotz ist die Nothwendigkeit der Beobachtung der 
Krankheitwerdäcbtigen bereits oben näher begründet worden. 

2. Die Meldepflicht für zareisende Personen (§. 13 des Reichs¬ 
gesetzes) lässt der Entwurf zu bei Körnerkrankheit, Rückfallfieber 
■ad Typhus, um die häufig beobachtete Verschleppung dieser Krankheiten 
durch Wanderarbeiter, Hausirer, Vagabunden u. dergl. hintanzuhalten. Die 
Gefahr der Verbreitung der Körnerkrankheit durch die sogenannten 
8aehsengänger ist um so grösser, als den von auswärts angenommenen Saison¬ 
arbeitern vielfach enge und hygienisch nicht einwandfreie Unterkunftsräume 
angewiesen werden. 

3. Die Absonderung kranker und krankheitsrerdächtiger 
Personen (§. 14, Abs. 2 u. 3 des Reiohsgesetzes) kann angeordnet werden 
bei Rttekfallfieber, Typhus und Rotz; die Absonderung nur der 
kranken Personen bei Diphtherie, Genickstarre, Ruhr, Schar¬ 
lach, Syphilis, Tripper, Schanker und Tollwuth. 

Bei diesen Krankheiten kann die Absonderung der Kranken nicht ent¬ 
behrt werden. Sie ist, da der Kranke der Träger und die Hauptquelle der 
Krankheitskeime ist, eines der wirksamsten Mittel zur Einschränkung und Be¬ 
kämpfung der Krankheit. Sache des beamteten Arztes in Verbindung mit dem 
behandelnden Arzte wird es sein, die Absonderung womöglich in der Behausung 
des Kranken durohsuführen; in Fällen aber, wo dies nach den Verhältnissen 
zieht möglich ist, durch entsprechende Vorstellungen nach Möglichkeit dafür 
zu sorgen, dass der Kranke sich freiwillig in ein geeignetes Krankenhaus über- 
fähren lässt. Dies gilt namentlich von solchen Kranken, welche sich in engen, 
dicht bevölkerten Wohnungen, in öffentlichen Gebäuden, Schnlen, Kasernen, 
Gefängnissen n. s. w. oder in Räumen neben Milch- und Speisewirthschaften 
oder auf Gehöften, welche Milohliefernngen besorgen, befinden, sowie von Per¬ 
sonen, welche kein besonderes Pflegepersonal zur Verfügung haben, sondern 
von ihren zugleich anderweitig in Anspruch genommenen Angehörigen gepflegt 
werden. 

Wenn bei Rückfallfieber, Typhus und Rots neben den Kranken 
such die Absonderung krankheitsverdächtiger Personen vorgesehen ist (§. 8, 
Abs. 2 d. Entw.), ist dies in der leichteren Uebertragbarkeit begründet, welobe 
diesen Krankheiten schon zu einer Zeit eigen ist, wo ihrer sicheren Feststellung 
loch Schwierigkeiten entgegenstehen. 

Bei Milzbrand, welcher für die Absonderung vielleicht noch in Frage 
kommen könnte, erübrigt sich diese Massregel nach dem heutigen Stande der 
Wissenschaft, da die häufigste Form der Krankheit beim Menschen, der Miln- 
brandkarbunkel, auf andere Menschen nicht übertragbar ist, der übertragbare 
Lungen- und Darmmilzbrand aber nur selten vorkommt. 

Es verdient hervorgehoben zu werden, dass die Absonderung der Kranken 
bssw. ihre Ueberführung in ein Krankenhaus in dem Regulativ vom 8. August 
1885 eine viel weitere Anwendung findet, als in dem vorliegenden Entwürfe, 
indem das Regulativ der Polizeibehörde die Befugniss beilegt, bei allen Arten 
8er im Regulativ aufgefübrten ansteckenden Krankheiten unmittelbaren Zwang 
behufs Ueberführung Kranker in eine Heilanstalt anzuwenden. 

4. Die Kenntlichmachung der Wohnungen oder H&user, in 
welchen erkrankte Personen sich befinden (§. 14, Abs. 4 des Reiehsgesetzes), 
war im Regulativ ausser bei Cholera und Pocken, für welche sie auch das 
Keichsgesetz anordnet, bei Typhus, bösartiger ansteckender Ruhr, besonders 
^fertigen Fällen von Maseru, 8charlach und Rötheln, sowie bei Milsbrand und 
Boti vorgeschrieben. Der §. 8 des Entwurfs ist erheblich milder, indem er 



162 Äntwurf eine» Aasführangsgesetzes za dem Beichsgesetz, betf. 

diese Massregel auf Bückf allfieber oadTypbnsbeschränkt. Ungeachtet 
der Schwierigkeiten, mit welchen die erfolgreiche Durchführung der Msssregel 
unter Umständen, s. B. in Qrossstädten, verbanden sein mag, wird doch in 
Ortschaften mit dicht sosammenwohnender Bevölkerung, z. B. in Industrie¬ 
gebieten, von ihrer Anwendnng nicht gänzlich abgesehen werden können. Ihre 
senchenpoliseiliche Bedeutung liegt darin, dass sie durch die Ablenkung des 
Verkehrs von den gekennzeichneten Bäumen die Absonderung der Kranken er¬ 
heblich erleichtert und dadurch zur Verhütung von Krankbeitsübertragungen 
in wirksamer Weise beiträgt. Der in ärmeren Kreisen der Bevölkerung übliche 
Austausch von Wirthschafts- und Oebrauchsgegenständen aller Art, welcher 
die Verbreitung von Krankheiten in hohem Hasse begünstigt, wird durch diese 
Massnahme jedenfalls eingeschränkt. 

6. Yerkehrsbesohränkungen für das berufsmässige Pflege¬ 
personal (§. 16, Abs. 5 des Beichsgesetzes) können nach dem Entwürfe ange¬ 
ordnet werden: bei Diphtherie, Kindbettfieber, Bückfallfieber, 
Scharlach und Typhus, weil gerade bei diesen Krankheiten die Pflege¬ 
personen in besonders häufige und nahe Berührung mit den Absonderungen 
der Kranken und den darin enthaltenen Krankheitskeimen kommen und er- 
fahrung8gemäs8 sehr häufig selbst von der Krankheit ergriffen werden, wenn 
sie an der erforderlichen Vorsicht fehlen lassen. Die Möglichkeit, den Verkehr 
der Pflegepersonen ausserhalb der Wohnungen der Erkrankten einzuBchränken, 
ist daher eine besonders wichtige Schutzmassregel zur Verhütung der Krank- 
heitaverbreitung. 

Die Sonderbestimmnng des §. 8, Nr. 8, Abs. 3, welche den Hebammen 
und Wochenbettpflegerinnen in dem vorgesehenen Falle zeitweise die Ausübung 
der Berufsthätigkeit untersagt, findet in der leichten Uebertragbarkeit und 
Gefährlichkeit des Kindbettfiebers ihre Bechtfertignng und entspricht im 
Wesentlichen den jetzt bestehenden Bestimmungen (vergl. Min.-Erlass vom 
1. April 1899, M. Bl. f. d. i. V. S. 76, $. 69 der Dienstanweisung f. d. Kreis¬ 
ärzte vom 28. März 1901, Min.-Bl. f. Med.-Ang. S. 2). Wegen der Strafvor¬ 
schrift vergl. §. 81, Nr. 4 des Entwurfs. Unter der Voraussetzung, dass der 
beamtete Arzt dies für unbedenklich erklärt, ist die Möglichkeit einer Ver¬ 
kürzung der achttägigen Frist und der früheren Wiederaufnahme der Berufs¬ 
thätigkeit vorgesehen; von dieser im Interesse einer Milderung der mit der 
Berufsunterbrechung verbundenen mannigfachen wirtschaftlichen und persön¬ 
lichen Nachtheile gegebenen Vorschrift wird der beamtete Arzt in der Begel 
Gebrauch machen und die Unbedenklichkeit der früheren Wiederaufnahme der 
Berufsthätigkeit aussprechen können, sobald er sieb davon überzeugt bat, dass 
die Hebamme seiner Anweisung gemäss eine gründliche Beinigong und Desin¬ 
fektion ihres Körpers, ihrer Wäsche, Kleidung und Instrumente vorge¬ 
nommen hat. 

Besondere Anleitungen für die Art und die Dauer der im einzelnen 
Falle dem Pflegepersonal aufsuerlegenden Verkehrsbeschränkungen, sowie, für 
die Beinigungs- nnd Desinfektionsmassregeln vor der Wiederaufhebnng dieser 
Beschränkungen müssen der Ausführung des Gesetzes Vorbehalten bleiben. 

6. Beschränkungen des Gewerbebetriebes (§. 16, Nr. 1 und 2 
des Beichsgesetzes) können erforderlich werden, wenn der Kranke sich in einer 
Wohnung befindet, welche in unmittelbarer Verbindung mit Bäumen steht, in 
denen solche Nahrungsmittel und Gebraucbsgegenstände hergestellt, aufbewahrt, 
oder vertrieben werden, welche die Krankheitskeime leicht aufnebmen und die 
Verbreitung der Krankheit besonders begünstigen. Als hierher gehörige Krank¬ 
heiten kommen in Betracht: die Diphtherie und Scharlach (Vorkost¬ 
handlungen, Molkereien, Milchhandlungen und dergl.1, Typhus (Molkereien, 
Milehhandlungen), Milzbrand (Schlächtereien, Abdeckereien, Gerbereien, Boss¬ 
haarspinnereien, Wollsortirereien, Lumpenhandlangen, Papierfabriken). Gegen¬ 
über dem Beichsgesetse, welches die Beschränkungen der gewerblichen Tbätig- 
keit auch für Ortschaften zulässt, die von einer gemeingefährlichen Krankheit 
nur bedroht sind (§. 16, Abs. 1), hat der Entwurf für die übertragbaren 
Krankheiten eine so weit gehende Vorsicht nicht für erforderlich erachtet nnd 
die Zulassung der Massregeln ausdrücklich auf solche Ortschaften einge¬ 
schränkt, welche von der übertragbaren Krankheit thatsäohlioh bereits be¬ 
fallen sind. 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Knuüüieiteo tob 80. Juni 1800. 168 


Mit dem Zeitpunkte, in welehem der Kranke in ein Krankenbette über¬ 
fährt and die Wohnung wirksam desinfisirt ist, können die Besebrinknngen 
nbedenklich wieder aufgehoben werden. 

7. Des Verbot oder die Beschränkung der Ansammlung 
grosserer Menschenmengen (§. 15, Nr. 8 des Reichsgesetses) kann bei 
Blekfallfieber, Ruhr und Typhus in Frage kommen. Die su Zeiten 
von Epidemien besonders gebotene Vorsicht hinsichtlich der Beschaffenheit der 
Nahrung, des Trinkwassers, der Kleidung und der Wohnung liest sich nur in 
besehrinkter und unsureichender Weise durchführen, wenn eine Ansammlung 
grosserer Menschenmengen auf einem yorhiltnissmisBig engen Raum stattfindet 
(«. B. bei Mirkten, Messen, Öffentlichen Festen, Umstlgen). Die Krankheits¬ 
keime werden bei solchen Gelegenheiten leicht aufgenommen und Ton den heim¬ 
kehrenden Menschenmengen verschleppt, so dass derartige Ansammlungen ge¬ 
fährliche Mittel bilden, der Seuche eine weitere Verbreitung su geben. Diese 
flefhhr tritt bei den beseichneten drei übertragbaren Krankheiten in besonders 
bedenklichem Masse hervor. 

8. Die Fernbaltung vom Schul- und Unterrichtebesuche (§. 16 
des Reichsgesetses) besweckt, gesunde jugendliche Personen aus Behausungen, 
is welchen übertragbare Krankheiten Vorkommen, von dem Schulbesuche aus- 
sasehliessen, weil nachweislich Kinder, selbst wenn sie persönlich für die 
Imkheit unempfänglich sind, doch die Oebertragung der Krankheit auf die 
Ktsehüler vermitteln können. Diese Massregel ist von dem Entwürfe bei 
Diphtherie, Rückfallfieber, Ruhr, Scharlach und Typhus für 
nussig erklärt worden. Die Massregel erstreckt sich nicht nur auf alle Öffent¬ 
lichen und Privatschulen, sondern auf jede Art von Unterricht, mit welchem 
die Ansammlung von Kindern und jungen Leuten verbunden ist. (Vergl. auch 
Begründung su dem g. 16 des Reichsgesetses, Drucksache Nr. 690, S. 88.) 

Das Recht der Schulverwaltung, behufs Verhütung der Verbreitung über¬ 
tragbarer Krankheiten durch die Schulen, ihr geeignet erscheinende Anord- 
uagen su treffen, wird durch die Bestimmung des Entwurfs, welcher es nur 
nit Massnahmen polizeilichen Charakters su thun hat, nicht berührt. (Vgl. 
Kin.-Brlasse vom 14. Juli 1884 und 20. Mai 1898, M. Bl. f. d. i. V. S. 19S, 
Z. Bl. f. d. ges. Unt. V, 1899, S. 372.) 

9. Dan Verbot oder die Beschränkung der Benntmung ge¬ 
wisser der 8enohenTerbreitung förderlicher Einrichtungen (§. 17 
des Beicbsgesetses) soll bei Ruhr und Typhus (Brunnen, Wasserleitungen, 
öffentliche Bade-, Schwimm-, Wasch- und Bedürfnisanstalten) angeordnet 
werden können. Die engen Beziehungen von Ruhr und Typhus sum Wasser 
varden schon oben angedeutet. Die hinfige Verbreitung dieser Krankheiten 
duck Wasserversorgungsanlagen lässt die obrigkeitliche Ueberwachung der¬ 
selben als dringend nothwendig erscheinen. Dies gilt namentlich von Wasser¬ 
leitungen, welche ihr Wasser aus Flüssen, Seen, Teichen oder aus deren 
dckster Nähe entnehmen, wie noch jüngst die grosse Typhusepidemie im Ruhr- 
koklengebiet gezeigt hat. 

10. Die Räumung ron Wohnungen und Gebäuden (§. 18 des 
Bsicbsgesetzes) erklärt der Entwurf für zulässig bei Rückfallfieber, 
Ruhr und Typhus. 

Schlecht geleitete Herbergen, sogenannte „Pennen“, sind die häufigsten 
Brutstätten des Rückfallflebers. Durch die Anhäufung von zahlreichen Menschen 
ia tagen, dunklen, schlecht lüftbaren und unsauberen Wohnungen wird die 
Dckertragung von Ruhr und Typbus von Person auf Person und die Infektion 
r*a Brunnen in hohem Grade begünstigt, sowie eine unschädliche Beseitigung 
Abfallstoffe fast unmöglich gemacht. Die Krankheitskeime nisten sieh 
Mar solchen Verhältnissen in den Wohnungen oder Häusern derart ein, dass 
wm Desinfektion au ihrer Vernichtung nicht ausreicht und man ihrer nur Herr 
v*dea kann, wenn man nach vollständiger Räumung die Desinfektion wieder¬ 
holt Ra ist selbstverständlich, dass diese Massregel nur in den dringendsten 
VlUea und nur bei gleichzeitiger unentgeltlicher Anbietung einer anderweit 
feinsten Unterkunft (vergl. §. 18 des Reichsgesetzes) aur Ausführung ge¬ 
wicht werden kann. 

11. Die Desinfektion (§. 19 des Reiehsgesetses) ist dazu bestimmt, 
w» Krankheitserreger unschädlich su machen. Sie hat nicht nur su erfolgen, 



164 Entwarf eines Ausführungsgesetzes za dem Beiehsgesetz, betr. 

wenn der Kranke genesen oder gestorben ist, sondern ist im Allgemeinen 
während der g&nsen Dauer der Krankheit vorznnehmen, weil die Kranken mit 
ihren Ansleernngen nnonterbrochen anstecknngsffthige Keime nm sieh ver¬ 
breiten. Die Desinfektion ist mit Ausnahme von Syphilis, Tripper, Sohanker, 
Toilwnth, Fisch-, Fleisch* and Wurstvergiftung nnd Trichinose bei keiner der 
übertragbaren Krankheiten zu entbehren. 

Die Rachenbeläge, der Auswurf, die Gurgelwässer, der Nasenschleim 
der an die Diphtherie nnd Scharlach Erkrankten, der Wochenfluss bei 
Kindbettfieber, der eitrige Bindehautschleim bei KGrnerkrankheit, 
die blutigen Stnblgänge bei Ruhr, der Aus warf und zuweilen die Stahl¬ 
entleerungen boi Tuberkulose, der Urin, das Wasch- nnd Badewasser bei 
Typhus, sowie der Auswurf, Nasenschleim und Eiter bei Milzbrand und 
Rotz sind in hohem Grade gefährlich und geeignet, die Krankheit auf die 
Familienangehörigen, Pfleger und Besucher der Kranken zu übertragen. Ebenso 
gefährlich sind die Leib- und Bettwäsche, die Taschentücher, Kleidungsstücke 
nnd GebrauchBgegenst&nde, welche während des Krankenlagers zur Verwendung 
kommen. Namentlich die Wäsche hat schon überaus oft die Krankheitsüber- 
tragung vermittelt. Diese Dinge verdienen eine um so grossere Aufmerksam¬ 
keit, als eine Reihe von Krankheitserregern (z. B. bei Diphtherie, Rohr, 
Typhus, Milzbrand, Tuberkulose) sich ausserhalb des menschlichen KOrpers 
wochen- and selbst monatelang lebensfähig erhalten und die Krankheit hervor- 
rufen können, wenn der Kranke selbst schon länger wieder genesen oder ge¬ 
storben ist. Deshalb wäre es in hohem Grade gefährlich, die Wäsche der 
Kranken undesinfizirt längere Zeit liegen und dann mit der übrigen Haus- 
wäsohe zusammen reinigen zu lassen. Ebenso gefährlich und unverantwortlich 
wäre es, die Wäsche, Betten, Kleidang, Ess-, Trinkgeschirre nnd Gebranchs¬ 
gegenstände von Penonen, welche an einer übertragbaren Krankheit, z. B. an 
Lungen- und Kehlkopftuberkulose, gestorben sind, ohne vorherige wirksame 
Desinfektion an andere zum Gebrauche zu überlassen. 

Wie an den Gebrauchsgegenständen, so haften die Krankheitskeime auch 
in der Wohnung des Kranken. Dies ist besonders bei Diphtherie, Scharlach, 
Rohr und Typbus der Fall. Bei der Tuberkulose macht man häufig die Er¬ 
fahrung, dass in Wohnungen, in welchen Lungen- oder KehlkopftuberkulOse 
mit reichlichem Auswurf sich aufgehalten haben, die nachfolgenden Mietber 
wieder an Tuberkulose erkranken, weil die Tnberkelbazillen sich über Monate 
hinaus in solchen Wohnungen in ansteckungsfähigem Zustande zu halten ver¬ 
mögen. Es genügt hierzu schon ein kürzerer Aufenthalt der Kranken, nament¬ 
lich solcher, die, wie es bei ungebildeten Leuten häufig der Fall ist, die Ge¬ 
wohnheit haben, ihren Auswurf auf den Fussboden oder an die Wände zu 
spucken. Aus diesen Gründen kann die Desinfektion auch bei der Tuberkulose 
nicht entbehrt werden, wenigstens sofern es sich um Fälle handelt, in welchen 
ein Kranker an vorgeschrittener Lungen- oder Kehlkopfstuberkulose stirbt 
oder die Wohnung wechselt. Die Erwägungen, welche dazu geführt haben, 
die Anzeigepflicht bei der Lungen- und Kehlkopfstuberkulose in engen Grenzen 
zu halten, nOthigen auch zu besonderer Vorsicht bei der Frage, welche polizei¬ 
liche Massregel zur Bekämpfung der Taberkulose zuzulassen sind. Der Ent¬ 
warf hat sich darauf beschränkt, die Desinfektion als einzige polizeiliche Mass¬ 
regel für zulässig zu erklären, indem er die Auffassung vertritt, dass sich auch 
hier zur Zeit eine mehr abwartende Stellung empfiehlt und die Einführung 
darüber hinansgehender Massnahmen von den Erfahrungen der Zukunft ab¬ 
hängig zu machen sein wird. 

Die Behörden werden es sich angelegen sein lassen müssen, das Des¬ 
infektionsverfahren so zu gestalten, dass es Sicherheit in der Wirkung mit 
einem thunlichst geringen Masse von Schäden und Belästigungen für das 
Publikum verbindet. Die vom Bundesrath für die gemeingefährlichen Krank¬ 
heiten, in erster Linie für die Pest, erlassenen Desinfektionsvorschriften werden 
bei den für die anderen übertragbaren Krankheiten zu erlassenden Anweisungen 
nieht unberücksichtigt bleiben können. Es wird Aufgabe der Ausfflhrungs- 
bestimmung sein, in den Desinfektionsvorschriften für jede der in Betracht 
kommenden Krankheiten ein der Natur ihrer Erreger entsprechendes Des¬ 
infektionsverfahren anzugeben, welches s. B. bei der KOrnerkrankheit erheblich 
einfacher sein kann, als bei der Diphtherie oder Tuberkulose. Die Gemeinden 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten tom 3Ö. Juni 1900. 166 


and Kreise werden für die Bereithaltnng eines gescholten Desinfektions* 
personale nnd die Bereitstellung wirksamer Desinfektionsmittel sowie zureichen¬ 
der und im leistungsfähigen Zustande su erhaltender Desinfektionsappamte 
8orge su tragen haben (§. 23 des Beichsgesetses). 

12. In Bezug auf die Behandlung der Leichen (§. 21 des Beichs¬ 
gesetses) wird bei Diphtherie, Buhr, Scharlach, Typhus, Mils- 
brand und Botz der Erlass oesonderer Vorsichtsmassregeln von dem Ent¬ 
würfe vorgesehen. Bei diesen Krankheiten haften erfahrungemfissig an- 
■teekongsfähige Krankheitskeime an und in der Umgebung der Leiche, welche 
bei Berührungen der Leiche bei der Einsargung, Ausstellung und Bestattung 
leicht Uebertragungen verursachen können. Das Ausstellen der Leichen in 
offenem Sarge, das Betreten der Sterbehäuser bei den sogenannten „Leichen- 
schmänsen“, das Singen der Schulkinder am Sarge nnd am Grabe, die Leichen¬ 
gefolge sind häufig die Gelegenheitsursache zur epidemischen Verbreitung von 
Krankheiten. Dasselbe gilt von Leichentransporten ans dem Sterbeorte behufs 
Bestattung an einem anderen Orte. Die in Frage kommenden Massregeln be¬ 
treffen hauptsächlich das Waschen der Leichen, das Einsargen, die Besehaffen¬ 
beit der Särge, die Zeit nnd Art der Ueberffihrnng der Leiehe nach der 
Leiehenhalle der Friedhöfe n. s. w. 

13. Die Bestimmung, dass bei Kindbettfieber, Bttekfallfieber, 
Typhus und Botz der Verdachtsfall bis zur Beseitigung des Verdaehtes wie die 
Krankheit selbst su behandeln ist, hat bereits in den früheren Ausführungen ihre 
Begründung gefunden: sie gestattet insbesondere, die Beobachtung nnd Ab- 
londernng auch der krankheitsverdächtigen Personen in gleicher Weise wie bei 
lestgestelltem Typhus, Bttekfallfieber nnd Botz anznordnen. 

Von besonderen Schntzmassregeln gegenüber der Fleisch-, Fisch- nnd 
Wnrstvergif tnng sowie gegenüber der Trichinose hat der Entwurf abgesehen, 
weil zur Beseitigung der ans verdorbenen oder verfälschten Nahrungsmitteln 
hervorgehenden Gesundheitsgefahren die Massnahmen, welche die bestehenden 
Nahrnngsmittelkontrollgesetze — vergL Beichsgesetz, betreffend den Verkehr 
mit Nahrungsmitteln, Genassmitteln nnd Gebranchsgegenständen, vom 14. Mai 
1879 (B. G. Bl. S. 145) nebst Nachträgen — an die Hand geben, für aus¬ 
reichend erachtet werden können. v 

Es wird Aufgabe der beamteten Aerzte sein, sich mit den gegenüber 
den einzelnen gemeingefährlichen nnd sonst übertragbaren Krankheiten gesetz¬ 
lich zulässigen Schntzmassregeln vertrant zu machen nnd in den Sitzungen der 
Gesnndheitskommissionen von Zeit zu Zeit eingehend za besprechen, am im 
einzelnen Falle je nach der Art der Krankheit and den sonst in Betracht 
kommenden Verhältnissen die geeigneten Massregeln bei den zuständigen Be¬ 
hörden in Vorschlag bringen an können. Sie werden es sich angelegen sein 
lassen müssen, bei ihren Vorschlägen anf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung 
mit Umsicht, Bestimmtheit nnd Entschlossenheit vorzngehen, andererseits aber 
Mies an vermeiden, was über das Mass des unbedingt Erforderlichen hinaus- 
gehen nnd den Behörden nnd der Bevölkerung nur Beunruhigung and unnöthige 
Kosten verursachen würde. Durch weises Masshalten in den weniger ernsten 
Fällen werden sie erreichen, in Fällen besonderer Gefahr auch bei der Anord- 
■nag sohärferer Schntzmassregeln williges Entgegenkommen zu finden. 

§. 9. Als einzige, im Beichsgesetz nicht enthaltene Schntzmassregel ist 
bei Körnerkrankheit nnd bei den Geschlechtskrankheiten der Behandlungen 
swang vorgesehen. 

Nach dem Gutachten der Behörden nnd Aerzte der hauptsächlich von 
Körnerkrankheit heimgesuchten Bezirke ist eine planmässige Bekämpfung 
tsd die Ausrottung dieser Senche nicht möglich, wenn die zum Theil sehr 
gleichgültigen Erkrankten nicht von Amts wegen ungehalten werden, sieh be- 
bandeln zu lassen. Der Umstand, dass die Beschwerden nnd Schmerzen, welche 
die Körnerknnkheit erzeugt, verhältnismässig gering sind, bewirkt, dass die 
Kranken im allgemeinen wenig Neigung verspüren, sich in die ohnehin mit 
Opfern an Zeit and Geld verbundene Behandlung eines Arztes zu begeben. 
W«m der Entwurf die Säumnisse der eigenen Entschllessnng durch Einführung 
der obligatorischen Behandlung unschädlich zu machen sucht, so er- 
■kehlt dies als eine Massnahme, die eben sowohl in den vortheihaften Wirk- 
VBfen für den Kranken wie in der Büeksicht auf die Notkwendigkeit der 



166 Entwarf eines AuafÜhrangsgesCtzes sn dem Beichsgesetz, beit. 


Gesundeharltung der Bevölkerung ihre Begründung findet. Des Beeilt, wider 
den Willen des Kranken an dessen Körper Operationen vorzunehmen, wird 
durch den Behandlungszwang nicht begründet. 

Die gleiche Befugniss kann auch gegenüber solchen Personen, welche 
den ausserehelichen Geschlechtsverkehr gewerbsmässig betreiben, nicht ent¬ 
behrt werden; die sittenpolizeiliche Ueberwachung der Prostitution würde ohne 
dieses Mittel eine halbe Massregel bleiben. 

§. 10. Nach §. 24 des Beichsgesetzes ist der Bundesrath ermächtigt, 
zur Verhütung der Einschleppung gemeingefährlicher Krankheiten aus dem 
Auslande Vorschriften über den Erlass von Schutzmassregeln zu be- 
Schlüssen. Solche Massregeln haben sich bis jetzt namentlich zur Abwendung 
von Cholera, Gelbfieber, Pest und Pocken als nothwendig und wirksam erwiesen. 

Der vorliegende Gesetzentwurf will bei Körnerkrankheit, Rück- 
fallfieber und Typhus dem Staatsministerium die gleiche Ermächtigung 
ertheilen. Wenngleich diese drei Krankheiten auch vielfach im Inlande Vor¬ 
kommen, so werden sie doch am häufigsten aus dem Auslande, insbesondere 
ans Polen und Galizien, bei uns eingesohleppt. Dies ist namentlich bei der 
Körnerkrankheit der Fall. Aber auch Bückfallfieber undTyphus- 
epidemien in den Grenzgebieten des Auslandes geben häufig Veranlassung 
zur Entstehung von Epidemien im Inlande. Dieser Gefahr durch geeignete 
Abwehrmassnahmen entgegenzutreten, ist der Zweck der Bestimmung des §. 10. 

Im Hinblick auf die hierbei in Betracht kommenden mannigfachen 
anderweitigen Interessen erschien es zweckmässig, den Erlass der bezüglichen 
Vorschriften dem Staatsministerium vorzubehalten. 

§. 11. Durch die Vorschriften des §. 8 des Gesetzentwurfs werden die 
in den §§. 12 bis 19 und 21 des Beichsgesetzes aufgeführten Sobutzmaes* 
regeln nur mit Auswahl und unter Beschränkung auf die in dem §. 1 des 
Gesetzentwurfs aufgeführten übertragbaren Krankheiten in der näher bezeioh- 
neten Weise für zulässig erklärt. Im Gegensätze zum Reichsgesetze, welches 
die Auswahl unter den allgemein und unterschiedslos für zulässig erklärten 
Schutzmassregeln im Einzelfalle dem Ermessen der Polizeibehörde überlässt, 
werden im Entwürfe die bei jeder Krankheit zulässigen Bekftmpfungsmass- 
nahmen genau bezeichnet und als gesetzliche Schranke für die EntRChliessungen 
der Polizeibehörde über die zu treffenden Anordnungen festgelegt. Man darf 
annehmen, dass die Sanitätspolizei in der Regel mit diesem unbeschränkten 
Mass von Schutzmassregeln auskommen wird. Es empfiehlt sich jedoch, auch 
der Möglichkeit Rechnung zu tragen, dass ausnahmsweise eine Epidemie mit 
solcher Heftigkeit und in solcher Ausdehnung auftritt, dass es, um ihrer Herr 
zu werden, unerlässlich ist, über den Rahmen der in dem §. 8 für die einzelnen 
Krankheiten gegebenen Vollmachten hinauszugehen. Die Ermächtigung hierzu 
ertheilt der §.11 des Entwurfs dem Staatsministerinm. 

Es sind ferner, wie die früheren Ausführungen ergeben, in dem Entwürfe 
mehrere übertragbare Krankheiten, welche bei der Krankenbewegung und 
Sterblichkeit der Bevölkerung eine nicht unwichtige Rolle spielen, nicht er¬ 
wähnt. Die dem Staatsministerinm übertragene Ermächtigung begreift, falls 
solche Krankheiten in ungewöhnlicher Heftigkeit und Verbreitung auf treten 
sollten, zugleich die Befugniss, zur Bekämpfung auch dieser Krankheiten 
die Anwendung der Schutzmassregeln des Reiohsgesetzes für zulässig zu 
erklären. 

Vierter Abschnitt 
Verfahren und Behörden. 

Der §. 12 enthält die Bestimmung, dass die in dem Beichsgesetze und 
diesem Gesetzte den Polizeibehörden überwiesenen Obliegenheiten, soweit nicht 
dieses Gesetz ein anderes bestimmt, von den Ortspolizeibehörden wahrzunehmen 
sind. In gleicher Weise, wie dies in dem §. 2 des Gesetzes, betreffend die 
Ausführung des Beichsgesetzes über die Abwehr und Unterdrückung von Vieh¬ 
seuchen, vom 12. März 1881 (Gesetzsamml. S. 128), für den Fall deB Ausbruchs 
einer Viehseuche vorgesehen, ist dem Landrath die Befagniss eingeräumt, für 
den einzelnen Fall des Ausbruches einer gemeingefährlichen oder sonst über¬ 
tragbaren Krankheit die Amtsverrichtungen der Ortspolizeibehörde zu über- 
nehmen, eine Bestimmung, welche in der Erwägung ihre Begründung findet, 
dass es beim Ausbruch ansteckender Krankheiten in noch höherem Masse, wie 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Vom 30. Juni 190Ö. 16? 


bei Viehseuchen, nothwendig werden kann, die planmlarige und energische 
Durchführung der Abwehr- nnd Unterdrückungsmassregeln in erhöhtem Hasse 
su sichern. 

■In Uebereinstünmnng mit der Vorschrift in dem §. 2 Abs. 2 des Ans- 
führungsgesetzes znm Viebseuohengesetze ist ferner vorgesehen, dass gegen 
Anordnongen der Polizeibehörden nicht die Klage im Verwaltungsstreitverfahren, 
sondern nur die Beschwerde bei der Vorgesetzten Polizeibehörde, in letzter 
Instanz bei dem Minister der Medizinalangelegenheiten stattfindet. Die Be¬ 
stimmung, dass in Fallen, in welchen der Geschäftsbereich anderer Minister 
berührt wird, vor der Entscheidung eine Verständigung mit den betheiligten 
Ministern stattzahnden habe, entspricht den bestehenden Ressortgrundsätzen. 
Der Ausschluss des bestehenden Verwaltungsstreitverfahrens erscheint um des¬ 
willen gerechtfertigt, weil bei der Anfechtung einer polizeilichen Anordnung 
im Verwaltungsstreitverfahren nur die rechtliche Zulässigkeit der Anordnung, 
nicht aber auch deren Zweckmässigkeit oder Nothwendigkeit, auf welche es 
bei den sanitätspolizeilichen Massnahmen vorzugsweise ankommt, einer Nach¬ 
prüfung unterzogen werden kann. 

Nach §. 63 des Gesetzes Ober die allgemeine Landesverwaltung vom 
30. Juli 1883 haben Beschwerden, sofern nicht die Gesetze ein anderes vor¬ 
sehreiben, aufschiebende Wirkung. Da die wirksame Abwehr und Unterdrückung 
der übertragbaren Krankheiten zum grossen Theile von der schnellen und 
energischen Durchführung der Schutzmassregeln abhängt, so erscheint es noth¬ 
wendig, in gleicher Weise, wie bei den gemeingefährlichen Krankheiten, für 
welche der §. 11, Abs. 2 des Reichsgesetzes der Anfechtung die aufschiebende 
Wirkung entzieht, den Beschwerden über polizeilichen Anordnungen die auf- 
schiebende Wirkung zu versagen. 

g. 13. schliesst sich an die Bestimmungen in dem §. 36 des Reichsgesetzes 
an und enthält eine Aufzählung derjenigen Personen, welche in Preussen als 
beamtete Aerzte in Betracht kommen. 

Fünfter Abschnitt. 

Entschädigungen. 

Das Reichsgesetz enthält in den §§. 28—33 Bestimmungen über die 
Leistung von Entschädigungen beim Auftreten gemeingefährlicher Krankheiten 
und unterscheidet dabei persönliche Entschädigungen, welche an Personen, die 
der Invalidenversicherung unterliegen, für die Zeit der Absonderung oder der 
Beschränkung in der Wahl des Aufenthalts oder der Arbeitsstätte zu zahlen 
sind (g. 28), und sachliche Entschädigungen, welche für den Fall, dass bei 
einer polizeilich angeordneten und überwachten Desinfektion Gegenstände be¬ 
schädigt oder vernichtet sind, dem Beschädigten zu leisten sind (gg. 29—33). 
Der g. 34 deB Gesetzes bestimmt weiter, dass die Kosten der Entschädigungen 
aus Öffentlichen Mitteln zu bestreiten sind, und überlässt die näheren Vor¬ 
schriften über die Träger der Entschädigung, die Art der Aufbringung, die 
Anmeldungsfrist und die Ermittelung und Feststellung der Landesgesetzgebung. 

In dem allgemeinen Theile der Begründung ist hervorgehoben, dass ein¬ 
zelne übertragbare Krankheiten ebenso verheerend auftreten können, wie dis 
gemeingefährlichen Krankheiten. Es ist daher gerechtfertigt, dass in allen den 
Fällen, wo nach den Vorschlägen des vorliegenden Gesetzentwurfes bei einer 
übertragbaren Krankheit dieselben Absperr- und Desinfektionsmassregeln zur 
Anwendung gebracht werden können, welche im Reich6gesetse für den Fall 
einer gemeingefährlichen Krankheit vorgesehen sind, auch die gleichen Ent¬ 
schädigungen gewährt werden. Dementsprechend ist in dem 

§. 14 bestimmt, dass und bei welchen übertragbaren Krankheiten bei 
Absperr- und Desinfektionsmassregeln die im Reichsgesetze für den Fall des 
Auftretens gemeingefährlicher Krankheiten vorgesehenen Entschädigungen zu 
leisten sind. 

§. 16 enthält die näheren Bestimmungen über die Festsetzung der in 
den Fällen der §§. 28—33 des Reichsgesetzes und des §. 14 dieses Gesetzes zu 
gewährenden Entschädigungen. Die Festsetzung soll durch die Ortspolizei- 
behOrde erfolgen. Zuständig ist diejenige Polizeibehörde, in deren Bezirke die 
ungeordneten Maasregeln zur thatsächlichen Durchführung gelangt sind, also 
bei Absonderungen und Beschränkungen in der Wahl des Aufenthaltsorts oder 
der Arbeitsstelle diejenige Polizeibehörde, in deren Bezirk der Abgesonderte 



16£ Antwort eines Ausföhrangsgesetzes kn dem Reichsgesets, betr. 

oder in der Wahl seines Aufenthaltsorts oder der Arbeitsstelle Beschränkte 
seinen thatsfichliehen Aufenthalt gehabt bat, bei Desinfektionmassregeln die* 
jenige Polizeibehörde, in deren Bezirk die Desinfektion ansgeffihrt ist. 

Gegen die Festsetzung ist unter Ausschluss des Rechtsweges nur die 
Beschwerde an die Vorgesetzte Polizeibehörde, in Berlin an den Oberpr&sidenten, 
mit der Messgabe zagelassen, dass die Entscheidung der Beschwerdeinstann 
endgültig ist Der Ausschluss des Rechtsweges rechtfertigt sich bezüglich des 
Anspruchs auf die persönliche Entschädigung aus §. 28 des Reichsgesetzes und 
§. 14, Nr. 1 dieses Gesetzes aut Grund der Erwägung, dass über die Voraus- 
setsung, ob die betroffenen Personen der Invalidenversicherung unterliegen, 
der Rechtsweg überhaupt nicht stattfindet, und dass im Falle der Bejahung 
dieser Voraussetzung die Hohe der zu gewährenden Entschädigung aus dem 
Gesetze von selbst sich ergiebt 

Bezüglich der Entschädigung für vernichtete oder bei der Desinfektion 
beschädigte Gegenstände empfiehlt es sich, den Rechtsweg schon aus dem 
Grunde auszuschliessen, weil nach dem Ausführungsgesetse zum Reichsvieh¬ 
seuchengesetze gegen die Festsetzung der Entschädigung für auf polizeiliche 
Anordnung getödtete Thiere die Berufung auf richterliches GehOr ebenfalls 
versagt ist. 

§. 16. Da es sich bei den Personen, welche Anspruch auf die Ent¬ 
schädigung aus §. 28 des Reichsgesetzes und §. 14, Abs. 1 dieses Gesetzes haben, 
in allen Fällen um weniger Bemittelte handelt, ist vorgesehen, dass die Er¬ 
mittelung und Festsetzung der Entschädigungen von Amts wegen zu erfolgen 
hat, und dass die Entschädigung, ebenso wie beim Krankengelde (§. 6, Abs. 3 
des KrankenversicherungsgeBetzes) nach Ablauf jeder Woche zu zahlen ist. 

g. 17. Die Bestimmung hat den Fall im Auge, wenn Gegenstände, von 
welchen anzunehmen ist, dass sie mit Krankheitsstoif behaftet sind, auf polizei¬ 
liche Anordnung zu vernichten sind, weil entweder die Desinfektion nicht aus¬ 
führbar oder im Verhältnisse zum Werthe der Gegenstände zu kostspielig ist. 
Die Entschädigung wird zwar nur auf Antrag gewährt (§. 29 des Reichsgesetzes 
und §.14, Abs. 2 dieses Gesetzes); da aber für die Stellung dieses Antrages 
eine Frist von einem Monate nach der Vernichtung vorgesehen ist (§. 28, Abs. 2 
dieses Gesetzes), so ist es geboten, die Abschätzung des zu ersetzenden ge¬ 
meinen Werthes in allen Fällen vor der Vernichtung vornehmen su lassen. 

Ueber Ausnahmen vergl. g. 20. 

g. 18. Nach g. 29 des Reichsgesetzes ist nicht für jede bei der Desin¬ 
fektion verursachte Beschädigung, sondern nur für eine solohe, wegen welcher 
ein Gegenstand zu seinem bestimmungsmässigen Gebrauche nicht weiter ver¬ 
wendet werden kann, Entschädigung zu gewähren. Dementsprechend ist in 
dem g. 18 bestimmt, dass sowohl der Grad dieser Beschädigung, wie der su 
ersetzende gemeine Werth vor der Rückgabe der Gegenstände durch Sachver¬ 
ständige abzuschätzen ist. 

g. 19. Soweit ausführbar, sollen die Berechtigten zu den Abschätzungs- 
Verhandlungen zagezogen werden and ihnen Gelegenheit gegeben werden, sich 
über die Höhe der zu gewährenden Entschädigung zu äussern. 

Der g. 20 bedarf einer weiteren Erläuterung nicht. 

§. 21. Die Ermittelung der Höhe der zu leistenden Entschädigungen soll 
unter Zuziehung sachverständiger Personen erfolgen. Die hierzu geeigneten 
Personen sollen für jeden Kreis alljährlich durch den Kreisausschuss, in Stadt¬ 
kreisen durch die Gemeindevertretung, in der erforderlichen Zahl bezeichnet 
werden; die gleichen Bestimmungen gelten für die Wahl der Scbiedsmänner 
für die bei Viehseuchen zu leistenden Entschädigungen (g. 18 des Ausführungs- 
gesetzes vom 12. März 1881). 

Aus der Zahl dieser Personen hat die Polizeibehörde die Sachverständigen 
für den einzelnen 8chätzungsfall zu entnehmen. Es kann davon abgesenen 
werden, in dem Getze selbst eine Bestimmung darüber zu treffen, wie viele 
Sachverständige im Einzelfalle zur Schätzung zuzuziehen sind, es wird dies 
vielmehr dem varständigen Ermessen der Polizeibehörde überlassen werden 
können. Anderseits können Fälle Vorkommen, in welchen Gründe besonderer 
Art, persönliche Behinderung, besondere Beschaffenheit der abzuschätzenden 
Gegenstände u. s. w. die Zuziehung der gewählten Sachverständigen unthunllch 
packen oder nicht rathsam erscheinen lassen. Für solche Ausnahmefälle ty 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten Tom 80. Juni 1900. 169 


der Polizeibehörde des Recht beigelegt, des Absehätsungsgesehäft durch endete 
Sachverständige vornehmen zu 1 essen. Die Bestimmung, dass die Sech ver¬ 
ständigen eidlich zu verpflichten sind, stimmt mit der Vorsehrift in dem §. 18, 
Abs. 4 des Ausfahrungsgesetzes vom 12. März 1881 ttberein. 

§. 22. Die Bestimmungen dieses Paragraphen sehliessen sich im Wesent¬ 
lichen den Vorschriften im §. 19 des Ausfahrungsgesetzes vom 12. März 1881 an. 

§. 23. Nach §. 18 des erwähnten Ausfahrungsgesetzes treten zur Ab¬ 
schätzung des Werthes bei Viehschäden zwei Sachverständige und der be¬ 
amtete Kreisthierarst zu einer Kommission zusammen. Von der Bildung einer 
derartigen Kommission musste fflr die Zwecke dieses Gesetzes abgesehen werden, 
weil eine zum Eintritt in dieselbe geeignete sachverständige und beamtete 
Persönlichkeit nicht überall zu finden ist und es nicht angemessen erscheint, 
der Polizeibehörde selbst bei der Abschätzung eine direkte Mitwirkung ein- 
suräumen. Es wird deshalb vorgeschlagen, dass die Sachverständigen über die 
Schätzung eine von ihnen zu unterzeichnende Urkunde aufzunehmen und der 
OrtspolizeibehOrde zur Festsetzung der Entschädigung zu übersenden beben. 
Auf Grund dieser Verhandlungen hat die Polizeibehörde nach pflichtmässigem 
Ermessen die Festsetzung der Entschädigung selbstständig vorsunehmeu. 

Die Vorschrift in Abs. 2 entspricht der Bestimmung in §. 20, Abs. 8 
des Ausfahrungsgesetzes vom 12 März 1881. 

§. 24. Die für vernichtete oder bei der Desinfektion beschädigte Gegen¬ 
stände zu leistende Entschädigung wird, sofern nicht der Anspruch zach den 

t 32 und 33 des Reichsgesetzes ausgeschlossen ist, nur auf Antrag gewährt 
29 a. a. 0.). Zur Venneidung von Weiterungen, welche sioh namentlich 
dann ergeben können, wenn für bloss beschädigte und zurttekgegebene Gegen¬ 
stände erst nach geraumer Zeit eine Entschädigung verlangt wird, empfiehlt 
es sieb, die Frist zur Anbringung des Entschädigungsantrages nicht zu weit 
zu bemessen. Sie ist deshalb auf einen Monat festgesetzt. Die Frist beginnt 
bei vernichteten Gegenständen mit dem Tage der Vernichtung, bei desin- 
fisirten Gegenständen mit dem Tage der Wiederaushändigung. 

Sechster Abschnitt. 

Kosten. 

§. 25. Nach §. 10 des Regulativs vom 8. August 1835 haben die Po¬ 
lizeibehörden die Verpflichtung, auf erhaltene Anzeige die ersten Fälle an¬ 
steckender Krankheiten ärztlich untersuchen zu lassen. Die Kosten der Er¬ 
füllung dieser gesetzlichen Verpflichtung sind von der Gemeinde als Kosten 
der Ortspolizeilasten zu tragen. Die Verpflichtung zur Untersuchung der ersten 
Fälle ansteckender Krankheiten beschränkt »ich auf eine ärztliche Unter¬ 
suchung; die OrtspolizeihOrde ist nicht verbanden, die erste Feststellung durch 
einen beamteten Arzt ausführen zu lassen. Hält der Landrath oder der Re¬ 
gierungspräsident nach der von der OrtspolizeibehOrde bewirkten ersten ärzt¬ 
lichen Feststellung eine amtliche Untersuchung durch den zuständigen Medi- 
sinaibeamten für erforderlich, so waren die hierdurch entstehenden Kosten 
von dem Staate zu tragen. In diesem Zustande ist durch die §§. 6—9 des 
Reichsgeeetses insofern eine Aenderung eingetieten, als die Polizeibehörde auf 
erhaltene Kenntnis« von dem Ausbruche oder dem Verdachte des Auftretens 
einer gemeingefährlichen Krankheit den zuständigen beamteten Arzt zu be¬ 
nachrichtigen hat, welcher verpflichtet ist, unverzüglich an Ort und Stelle 
Ermittelungen über die Art, den Stand und die Ursache der Krankheit vor- 
xunehmen. Diese Bestimmungen sollen nach dem §. 6 des vorliegenden Gesetz¬ 
entwurfes auch bei den dort angegebenen Krankheiten Platz greifen, denn bei 
dem Charakter der in Rede stehenden Krankheiten und der grossen Bedeu¬ 
tung, welche gerade bei diesen der Feststellung der ersten Fälle beizulegen 
Ist, um der Weiterverbreitung der Seuche wirksam und erfolgreich entgegen- 
zutreten, erscheint es in Abweichung von dem §. 10 des Regulativs und unter 
entsprechender Entlastung der Gemeinden geboten, die Ermittelung durch den 
beamteten Arst eintreten zu lassen und dem Staate die hierdurch entstehenden 
Kosten aufzuerlegen. Das Gleiche gilt von den Kosten, welche durch die Be¬ 
theiligung des beamteten Arztes bei der Anordnung, Leitung und Ueber- 
wachung der Schutzmaesregeln gegen diese Krankheiten entstehen. 

{. 26. Die Vorschrift des §. 87, Abs. 3 des Reichsgesetzes, wonach die 
daselbst bezeichneten Kosten aus OffontUohen Mitteln zu bestreiten sind, gilt 



170 Entwarf eines Ausführungsgesetzes za dem Reichsgesetz, betr. 


ueb der Bestimmung in dem Abs. 1 nach bei denjenigen übertragbaren 
Krankh eiten, bei welchen gem&ss den Vorschriften der §§. 8 and 11 dieses 
Entwurfes die Anwendung der in dem §. 37, Abs. 3 des Beichsgesetzes be- 
zeichneten Schutzmassregeln für zulässig erklärt ist. 

In dem zweiten Absätze des §. 26 wird bestimmt, dass die Frage, wem 
die nach dem Reichsgesetze und nach diesem Gesetze ans Öffentlichen Mitteln 
so bestreitenden Kosten and Entschädigungen einschliesslich der den Sach¬ 
verständigen nach §. 21 des Entwurfes zu erstattenden baaren Auslagen, die 
Kosten der ärztlichen Feststellung (§. 6, Abs. 3 d. Entw.) sowie die sonstigen 
Kosten der Ausführung der Schutzmassregeln zur Last fallen, nach den Vor¬ 
schriften des bestehenden Rechtes zu entscheiden ist. Insbesondere soll, soweit 
nicht nach vorstehendem abweichende Vorschriften getroffen sind, auch be¬ 
züglich der aus Öffentlichen Mitteln zu bestreitenden Kosten es bei dem be¬ 
stehenden Recht und den für das gesummte Gebiet der Polizei bisher mass¬ 
gebenden Bestimmungen sein Bewenden behalten, welche zur Entscheidung 
der hier in Betracht kommenden Fragen eine genügende Grundlage geben. 

Während hiernach die auf die Verhütung, Bekämpfung und Beschränkung 
einer Seuche innerhalb einer einzelnen Gemeinde gerichteten Massnahmen Sache 
der Ortspolizei sind und die entstehenden Kosten demjenigen zur Last fallen, 
welcher nach dem geltenden Recht die Kosten der Örtlichen Polizeiverwaltnng 
an tragen hat, sind aus der Staatskasse die Kosten derjenigen Massnahmen zu 
bestreiten, welche vornehmlich zu dem Zwecke getroffen werden, um die Ein¬ 
schleppung einer Seuche aus ausserpreussischen Ländern in das Inland oder 
deren Weiterverbreitung aus einer Gegend des Staatsgebietes in die andere 
zu verhindern. Zu letzteren landespoliseilichen Massnahmen würden unter 
anderen gehören: 

Einrichtungen zur Absperrung der Landesgrenze und zur Verhinderung 
des Eintritts seuchekranker oder verdächtiger Personen, sowie der Einführung 
von Gegenständen, welche mit dem Ansteckungsstoffe behaftet sind oder sein 
kOnnen, aus dem Auslande in das preussische Landesgebiet; 

Veranstaltungen zur Untersuchung und zur Unterbringung der über die 
Landesgrenze eintretenden und zu überwachenden Personen, sowie zur Desin¬ 
fektion ihrer desinfektionspflichtigen Habe und derjenigen Räume, in welchen 
sie untergebracht sind; 

die Bestellung von Aerzten und deren Geholfen, sowie die Beschaffung 
der erforderlichen Desinfektionsmittel zur Durchführung der vorbezeichneten 
Massnahmen; 

die Bestellung von Staatskommissaren, soweit es sich um Preussen allein 
zugehörige Stromgebiete handelt, von Hafenbeamten und von Aerzten nebst 
deren Hülfspersonal zur Durchführung der gesundheitlichen Kontrolle Uber 
8chiffe, Häfen und den Fluss verkehr; 

die Einrichtung und der Betrieb von Quarantäneanstalten in den preussi- 
sehen Seehäfen nebst der etwa nOthigen Herstellung von Verbindungen der 
Quarantäneanstalten mit den Hafenämtern; 

die Bereitstellung der zum Ueberwachungsdienst erforderlichen Dampfer 
und Boote nebst ihren Mannschaften; 

die behördlich angeordneten bakteriologischen Untersuchungen, welche 
von den seitens der Zentralbehörden zu bestimmenden Stellen ausgefübrt 
werden u. s. w. 

§. 27. Für die wirksame Bekämpfung der Weiterverbreitung gemein¬ 
gefährlicher und sonst übertragbarer Krankheiten ist das Vorhandensein von 
Beobachtungs- und Absonderungsräumen, von Unterkunftsstätten für Kranke, 
Desinfektionsapparaten, Beförderungsmittel für Kranke und Verstorbene, von 
Leichenräumen, Beerdigungsplätsen und dergleichen von entscheidender Be¬ 
deutung. Die hierzu erforderlichen Einrichtungen sind in einer Anzahl von 
Gemeinden, namentlich auf dem Lande, nicht vorhanden; ein erheblicher Theil 
dieser Gemeinden ist auch die durch die Beschaffung der Einrichtungen ent¬ 
stehenden Kosten aufzubringen ausser Stande, und auch bei denjenigen Ge¬ 
meinden, welche hierzu für fähig zu erachten sind, wird nicht immer die Ge¬ 
neigtheit vorhanden sein, auf die blosse Möglichkeit eines Seuchenausbruches 
hin, die Einrichtungen schon zur Beuchenfreien Zeit vorrätbig zu halten. Jeden¬ 
falls würde in allen den Gemeinden, in welchen die Einrichtungen fehlen, 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 80. Jnni 1900. 171 


durch die ent beim Seachenansbrnche einsoleitenden Verhandlungen auf Be- 
Khaffang viele kostbare Zeit verloren gehen. Im Hinblick anf diese Verhält¬ 
nisse schreibt der §. 23 des Beichsgesetzes vor, dass die zuständige Landes¬ 
behörde die Gemeinden oder die weiteren Kommunalverbände dazn anhalten 
kann, diejenigen Einrichtungen, welche zur Bekämpfung der gemeingefährlichen 
Krankheiten nothwendig sind, zu treffen. Die gleiche Befngniss wird durch 
das vorliegende Gesetz den Landesbehörden Uber den Bahmen der gemein¬ 
gefährlichen Krankheiten hinaus auch in Bezog anf die Bekämpfung der 
sonstigen abertragbaren Krankheiten beigelegt. 

Die Verpflichtung, die zur Seuchenbekämpfung erforderlichen Einrich¬ 
tungen zu beschallen, trifft in erster Linie die Gemeinden. Die Aufforderungen 
hierzu sind durch die zuständigen Polizeibehörden zu erlassen. 

§. 28. Die Bestimmung dieses Paragraphen trifft Vorsorge fttr den Fall, 
dass Gemeinden der ihnen obliegenden Pflicht zur Kostentragung aus eigenen 
Mitteln za genügen ausser Stande sind. 

In §. 36 des Gesetzes, betreffend die Ausführung des Bundesgesetzes über 
den UnterstützungsWohnsitz, vom 8. März 1871 (Gesetzsamml. S. 130) ist den 
Laadarmenverbänden die Verpflichtung auferlegt, denjenigen ihrem Bezirke 
zugehörigen Ortsarmenverbänden, welche den ihnen obliegenden Verpflichtungen 
zu genügen unvermögend sind, Beihülfen zu gewähren. Beschwerden darüber, 
ob uni in welcher Weise Beihülfen zu gewähren sind, unterliegen der end¬ 
gültigen Beschlassfassung des Provinzialraths (vergl. auch §. 42 des Zuständig¬ 
keitsgesetzes). Nach dem Vorbilde dieser Vorschriften ist in Abs. 1 des §. 28 
die Bestimmung vorgesehen, dasB die Kreise als die nächst höheren Verbände 
berufen und verpflichtet sein sollen, denjenigen Gemeinden des Kreises, welche 
die ihnen bei der Bekämpfung der gemeingefährlichen und übertragbaren Krank¬ 
heiten obliegenden örtlichen Aufgaben aus eigenen Mitteln zu erfüllen unver¬ 
mögend sind, eine Beihülfe zu gewähren. Den Gemeinden sind die Gutsbezirke 
gleichgestellt. Die Beschlussfassung darüber, ob und in welcher Höhe Bei- 
aülteu zu gewähren sind, steht den Kreis verbänden bezw. deren Organen zu; 
auf Beschwerden ist die endgültige Entscheidung dem Bezirksausschuss 
übertragen. 

Die Bestimmung in dem zweiten Absatz gestattet, die Kreise zur Be¬ 
schaffung der Einrichtungen der in dem g. 27 gedachten Art mit Umgehung 
der zunächst verpflichteten Gemeinden in erster Linie heranzuziehen, sofern 
es sich bei diesen Einrichtungen um die Befriedigung von Bedürfnissen han¬ 
delt, welche über die Grenzen einer einzelnen Gemeinde hinausgehen. Diese 
Vorschrift empfiehlt sich umsomehr, als es in zahlreichen Fällen schon im 
Interesse der Beschaffung besserer Einrichtungen und nicht minder auch aus 
Rücksichten der Kostenerersparniss zweckmässiger sein wird, gewisse Einrich¬ 
tungen für alle Gemeinden eines Kreises oder doch für eine grosse Anzahl der¬ 
selben gemeinsam an treffen. 

Siebenter Absohnitt. 

Strafvoreohriften. 

§§. 29 bis 81. Die Strafvorschriften sind den in dem Reichrgesetze ent¬ 
haltenen Strafbestimmungen nachgebildet und bedürfen keiner weiteren Er¬ 
läuterung. Hervorzuheben bleibt nur, dass der gegenwärtige Entwurf in mehreren 
Fällen eine Milderung der vorgesehenen Strafen hat eintreten lassen. 

Achter Abschnitt. 

Sohlassbestimmungen. 

§. 32. Der Umstand, dass das vorliegende Gesetz eine dem heutigen 
Stande der Verhältnisse entsprechende erschöpfende Begelung der Seuchen- 
Bekämpfung enthält, und insbesondere die durch die §§. 5, 7 und 11 gegebene 
Möglichkeit, die Bestimmungen des Gesetzes über die Anzeige, Ermittelung 
uni Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten im Bedarfsfälle auch auf 
lodere Fälle auszadehnen, lassen es unbedenklich erscheinen, die auch im 
Interesse der Herstellung einer klaren Bechtslage wünschenswerte Aufhebung 
oller zur Zeit in den einzelnen Landestheilen bestehenden gesetzlichen Be¬ 
samungen über die Bekämpfang ansteckender Krankheiten, namentlich auch 
des Begulativs vom 8. August 1836, auszuspreehen. Ein grosser Theil der 
Vorschriften des Regulativs hat überdies einen lediglich Instruktionellen 



172 Entwarf eines Aastahrungsgeseties zu dem Beicbzgezetz, betr. 

Charakter, und die Ausführung dee vorliegenden Gesetzes wird Gelegenheit 
bieten, dafür einen geeigneten Ersatz zu gewähren. 

Wegen der Sonderbestimmnngen über die Sanitütskommissionen vergL 
auch §. 16 des Gesetzes, betreffend die Dienststellung des Kreisarztes nnd die 
Bildung tos Gesundheitskommissionen, vom 16. September 1899 (Gesetzsamm¬ 
lung S. 172). 

Die Aufreehterhaltong der durch dae Beiehsimpfgesetz nicht berührten 
und auch durch das Beichsseuchengesetz nioht beseitigten Bestimmungen des 
Begulativs über die Zwangsimpfangen bei dem Aasbrache einer Pockenepidemie 
(§. 66) rechtfertigt sich dnroh die Brwftgang, dass die Impfung erfahrnngs- 
müssig das sicherste Schutzmittel gegen die Pookenerkranknng ist nnd ihre 
nnverzügliohe Vornahme bei allen noch nicht geimpften Personen zur Zeit eines 
Pookenansbraches von unschützbarem Werthe und um so mehr am Platze ist, 
als sie eine Anzahl der sonst nothwendigen Schutzmassregeln, namentlich die 
Beobachtung und Absonderang krankheits- und ansteckangsverdüchtiger Per¬ 
sonen in vielen Füllen entbehrlich machen wird. Ueber Zwangsimpfangen 
vgl. auch $. 18, Abs. 8 des Beichsimpfgesetzes vom 8. April 1874 (B.-G.-B1. 
8. 81), §. 8 des Gesetzes, betreffend die Ausführung des Beichsimpfgesetzes, 
vom 12. April 1876 (Gesetzsamml. 8.191) und Begründung zu §. 46 des Ent¬ 
würfe eines Gesetzes, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank¬ 
heiten, 8. 61 der Drucksache Nr. 960 des Reichstags 1898 (1900). 

§. 83. Zut Erleichterung des Verständnisses und der praktischen Hand¬ 
habung des Gesetzes wird es sich empfehlen, den mit der Ausführung des 
Gesetzes betrauten Behörden ausführliche, das Verfahren bei jeder einzelnen 
Krankheit erschöpfend behandelnde Anweisungen in die Hand zu geben. Auch 
ist in Aussicht genommen, durch gemeinverständliche Belehrungen über das 
Wesen und die Verbreitungsweise der übertragbaren Krankheiten die Laien¬ 
kreise aufzuklären und sie dadurch nioht zur Erfüllung der gesetzlichen An- 
zeigepflicht in Stand zu setzen, sondern auch durch sonstige geeignete An¬ 
regungen und Hinweise auf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung zur Unter¬ 
stützung und wirksamen Mitarbeit heranzuziehen. Um für die Herstellung 
aller dieser Ausführungsarbeiten die erforderliche Zeit zur Verfügung zu haben, 
erscheint es angemessen, die Bestimmung des Zeitpunktes des Inkrafttretens 
des Gesetzes Königlicher Verordnung vorzubehalten. 

Dem vorstehenden Gesetzentwürfe sind ausser der mitge- 
theilten, sehr ausführlichen Begründung noch das Reichsseuchen¬ 
gesetz und das Regulativ vom 8. August 1835, sowie eine Ueber- 
sicht über die Regelung der Anzeigepflicht der übertragbaren 
Krankheiten in den einzelnen deutschen Bundesstaaten und eine 
Zusammenstellung der in ausserpreussischen Staaten in Geltung 
befindlichen Bestimmungen über die Bekämpfung der Tuberkulose 
beigefügt, von deren Abdruck hier wegen Raummangels Abstand 
genommen werden musste. 

Die Nothwendigkeit eines preussischen Landesgesetzes be¬ 
treffs Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten ist bereits 
so oft in Wort und Schrift von den betheiligten Kreisen, insbe¬ 
sondere auch von Seiten der Medizinalbeamten, betont und sowohl 
von den gesetzgebenden Körperschaften, als der Staatsregierung 
anerkannt worden, dass darüber eigentlich kein Wort mehr ver¬ 
loren zu werden braucht. Nach dem Erlass des Reichsseuchen¬ 
gesetzes, das sich nur auf die Bekämpfung der wichtigsten pan- 
demischen Krankheiten erstreckte, trat diese Nothwendigkeit in 
noch erhöhterem Maasse hervor, allseitig wird es daher mit 
Freuden begrüsst werden, dass sich der jetzt vorgelegte Ge¬ 
setzentwurf nicht bloss auf die Ausführung jenes Gesetzes be¬ 
schränkt, sondern vor allem auch eine einheitliche Regelung der 



die Bek&mpfang gemeingefährlicher Krankheiten Tom 80. Juni 1900. 173 

gesetzlichen Maassnahmen zur Abwehr und Unterdrückung der 
übrigen, sogenannten einheimischen übertragbaren Krankheiten 
beabsichtigt, die erfahrungsgemäss alljährlich weit grössere Opfer 
an Menschenleben verlangen, als die im Reichsseuchengesetz ge¬ 
nannten . Den für das Bedtirfhiss einer solchen Regelung in 
dem allgemeinen Theil der Begründung gegebenen Ausführungen 
können 'wir uns in allen Punkten anschliessen; in zutreffender 
Weise wird hier sowohl auf die Unzulänglichkeit der z. Z. in 
dem grössten Theile der Monarchie geltenden, mit den Fortschritten 
der Wissenschaft nicht mehr in Einklang stehenden Bestimmungen 
des Regulativs vom 8. August 1885 und auf die Verschiedenheit 
der einschlägigen Vorschriften in den einzelnen Landestheilen, 
als auf die Unmöglichkeit hingewiesen, diese Bestimmungen in 
rechtsgültiger Weise auf dem Verwaltungswege abzuändern. 
Allen diesen schwer wiegenden Gründen gegenüber darf wohl auf 
die Zustimmung des Landtages mit um so grösserer Bestimmtheit 
gerechnet werden, als die Fassung des Gesetzentwurfes kaum 
zu erheblichen Widersprüchen und Einwänden Veranlassung 
geben dürfte. 

Von mancher Seite, namentlich aus fachmännischen Kreisen, 
wird vielleicht der Entwurf erhoben werden, dass der Gesetzent¬ 
wurf nicht weit genug gehe, dass er — wenigstens zunächst — 
einzelne sehr verbreitete und viele Opfer, namentlich unter den 
Kindern, fordernde Krankheiten, wie Masern und Keuchhusten, 
unberücksichtigt lasse. Wenn wir auch den in der Begründung 
dafür angeführten Gründen nicht beistimmen können, so halten 
wir doch die Nichtberücksichtigung dieser Krankheiten für keinen 
Fehler, sondern für eine weise Beschränkung, durch die das Zu¬ 
standekommen des Gesetzes zweifellos wesentlich gefördert werden 
wird. Ausserdem bietet die in den §§. 5, 7 u. 11 dem Staats- 
mini8terium vorbehaltene Ermächtigung, die im Gesetze vorge¬ 
sehenen Massregeln auch auf andere Krankheiten auszudehnen, 
die Möglichkeit, jene Krankheiten ebenfalls in wirksamer Weise 
zu bekämpfen. Von anderer Seite wird man wiederum die Auf¬ 
nahme der verhältnissmässig selten vorkommenden, auf Menschen 
übertragbaren Thierkrankheiten — Milzbrand, Rotz und 
Tollwuth — sowie der in Folge von Genuss bestimmter Nah¬ 
rungsmittel entstehenden Erkrankungen — Trichinose, Fleisch-, 
Fisch- und Wurstvergiftungen — für überflüssig halten; 
man darf hierbei jedoch nicht vergessen, dass die erstgenannten 
Krankheiten nicht nur sehr gefährlich sind, sondern auch häufiger 
im Inlande beobachtet wurden, als manche der im Reichsseuchen¬ 
gesetz aufgeführten gemeingefährlichen Krankheiten, und dass es 
betreffs der Gesundheitsbeschädigungen durch Nahrungsmittel 
im öffentlichen Interesse liegt, wenn die zuständigen Behörden 
rechtzeitig von ihrem Auftreten Kenntniss erhalten, nicht nur, 
um weiteren Erkrankungen im Einzelfalle vorzubeugen, sondern 
auch um eine wirksame Kontrolle in Bezug auf die Handhabung 
der hiergegen allgemein oder speziell angeordneten Massregeln 
auszuüben. 



174 


Entwarf eines Aasfflhnwgsgesetces sa dem Eeichrgesetn, betr. 


Als ein grosser Vorzug des Gesetzentwurfes ist es ent¬ 
schieden zu betrachten, dass er sich in seiner Einteilung und 
Form im Wesentlichen an das Reichsseuchengesetz anschliesst; 
seine Durchführung und praktische Handhabung wird dadurch 
erheblich erleichtert. Die Bestimmungen über Anzeigepflicht, 
Ermittelungsverfahren, Schufzmassregeln, Verfahren mit Be¬ 
hörden, Entschädigungen und Strafvorschriften sind denjenigen 
des Reichsgesetzes unter Berücksichtigung der besonderen Ver¬ 
hältnisse des Einzelstaates angepasst; sie weichen nur in wenigen 
Punkten von einander ab, und bedingen hier dann meist eine Ver¬ 
besserung. So ist z. B. mit Recht im §. 1, Abs. 2 des Entwurfes 
eine wiederholte Anzeige nicht nur beim Wechsel des Auf¬ 
enthaltsortes, sondern auch beim Wechsel der Wohnung vor¬ 
zusehen; eine solche ist aber unbedingt erforderlich, wenn nicht 
eine Infektionskrankheit in demselben Orte durch den betreffenden 
Kranken immer weiter verschleppt werden soll. Noch mehr dürfte 
sich hier die Bestimmung empfehlen, dass ein derartiger Kranker 
ohne zuvorige polizeiliche Erlaubnis seinen Aufenthaltsort, noch 
seine Wohnung (Logis, Schlafstelle, Obdach u. s. w.) wechseln 
darf, soweit es sich nicht um seine unmittelbare Ueberführung in 
die zunächst gelegene Krankenanstalt handelt; denn nur dann 
ist die Ortspolizeibehörde in der Lage, die bei dem Aufenthalts¬ 
wechsel zu beobachtenden Vorsichtsmassregeln zu treffen, für die 
rechtzeitige Desinfektion der bisherigen Krankenräume zu sorgen 
u. s. w. 

Ein besonders hervorzuhebender Vorzug des Gesetzentwurfes 
ist es weiterhin, dass er nicht nur den neuesten wissenschaftlichen 
Forschungen in Bezug auf die Entstehung, Verbreitung u. s. w. 
der Infektionskrankheiten Rechnung trägt, sondern dass er auch 
die Besonderheiten der einzelnen Krankheiten thunlichst berück¬ 
sichtigt und an dem Grundsatz festhält, „dass die verschiedene 
Widerstandsfähigkeit der Krankheitserreger gegen äussere Ein¬ 
flüsse — Feuchtigkeit, Wärme u. s. w. — ihr unterschiedliches 
Verhalten gegen chemische und physikalische Desinfektionmittel, 
der höhere oder geringere Grad der Leichtigkeit ihrer Uebertragung 
sowie ihre Giftigkeit für den Menschen u. s. w. . . . es weder 
nothwendig, noch auch zweckmässig machen, alle übertragbaren 
Krankheiten in der gleichen Weise und mit denselben Mitteln zu 
bekämpfen, sondern vielmehr jede einzelne Krankheit eine 
ihrem individuellen Charakter entsprechende Sonder¬ 
bekämpfung erfordert“. 

In Bezug auf die Anzeigepflicht (§§. 1—5) wird aller¬ 
dings von mancher Seite eine verschiedenartige Behandlung der 
einzelnen Krankheiten nicht für berechtigt anerkannt, sondern bei 
jeder Krankheit die Anzeige auch bei Krankheitsverdacht ver¬ 
langt werden. Die Berechtigung dieser Forderung lässt sich vom 
medizinischen, wie vom sanitätspolizeilichen Standpunkte aus nicht 
verkennen; denn nur bei ihrer Erfüllung wird es möglich sein, recht¬ 
zeitig die ersten Erkrankungsfälle festzustellen und in wirksamer 
Weise zu bekämpfen; anderseits darf aber nicht die Schwierigkeit 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 80. Juni 1900. 176 

ihrer Durchführung, namentlich bei häufiger vorkommenden Krank¬ 
heiten, wie Diphtherie, Scharlach, Lungentuberkulose unterschätzt 
werden. Deshalb dürfte es nicht unzweckmässig sein, dass der 
Gesetzentwurf die Anzeigepflicht bei Krankheitsverdacht zunächst 
nur auf diejenigen Krankheiten ausgedehnt hat, bei denen, wie 
Kindbettiieber und Typhus, die Diagnose oft längere Zeit 
zweifelhaft sein kann; auch bei Genickstarre ist dies häufig 
der Fall und demgemäss angezeigt, auch bei ihr die Anzeige 
für verdächtige Fälle vorzuschreiben. — Sehr wichtig ist, dass 
jetzt auch jeder Todesfall nach einer der im §. 1 genannten 
Krankheiten anzeigepflichtig sein soll; diese Bestimmung ist um 
so nothwendiger, als in dem grössten Theüe der preussischen Mo¬ 
narchie eine obligatorische Leichenschau nicht besteht und in Folge 
dessen eine der werthvollsten Unterlagen fehlt, um den Charakter, 
Yerlauf u. s. w. einer Epidemie zu beurtheilen. Bei Lungen- 
und Kehlkopfstuberkulose ist die Anzeige eigentlich nur auf 
den Todesfall beschränkt, da eine derartige Erkrankung nur dann 
anzeigepflichtig sein soll, wenn der betreffende Kranke sich im 
vorgeschrittenen Stadium der Krankheit befindet und seine Woh¬ 
nung wechselt. Auch diese beschränkende Bestimmung ist u. E. 
durch die Verhältnisse bedingt; sollte sich in Zukunft die Noth- 
wendigkeit einer Erweiterung erweisen, so giebt § 5, Abs. 2 die 
Handhabedazu. — Die Beschränkung der Anzeigepflicht bei Syphi¬ 
lis, Tripper und Schanker „auf Personen, welche gewerbs¬ 
mässig Unzucht treiben“, entspricht dem auf der vorjährigen Haupt¬ 
versammlung der preussischen Medizinalbeamten gefassten Be¬ 
schlüsse; eine starke Minderheit wünschte allerdings auch hier 
die Ausdehnung „auf die der Prostitution verdächtigen Personen“ 
oder „auf andere Personen, sobald sie eine Gefahr für die All¬ 
gemeinheit besorgen lassen“. Man wird abwarten müssen, ob die 
im Gesetz vorgesehene Bestimmung ausreicht, um im Verein mit 
den anderen, gesetzlich zustehenden Mitteln die Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten wirksam durchzuführen. Die im §. 2 dem 
Arzte u. s. w. auferlegte Anzeigepflicht für die in ihrer Behand¬ 
lung befindlichen geschlechtskranken Unteroffiziere und Mann¬ 
schaften des aktiven Heeres ist nicht neu, sondern war bereits im 
§. 65, Abs. 3 des Regulativs enthalten, nur mit dem Unterschied, 
dass jetzt die Anzeige auch auf Schanker und Tripper ausgedehnt 
ist, während sie bisher nur bei Syphilis vorgeschrieben war. 

Zweckmässig ist an sich die im §. 5 getroffene Bestimmung, 
dass die Vorschriften über die Anzeigepflicht auch auf andere 
fibertragbare Krankheiten ausgedehnt werden können, bedenklich 
dagegen die Einschränkung, dass dies nur der Fall sein soll, 
„wenn und so lange diese Krankheiten in epidemischer 
Verbreitung auftreten“ und dass die Ermächtigung zu 
einer solchen Ausdehnung nur dem Staatsministerium 
zustehen soll. Diese Einschränkung bedeutet eine Verschlechte¬ 
rung gegen den jetzigen Rechtszustand; denn bisher konnte die 
Bekämpfung jeder anderen ansteckenden Krankheit, soweit diese 
nicht im Regulativ berücksichtigt war — also in den neuen 



176 Entwurf einen AnsführungsgesetxeB zu dem Eeicbsgesetz, betr. 


Provinzen unbeschränkt — im Wege des Polizeiverordnuugsrechts 
sowohl vorübergehend, als ein für alle Mal geregelt werden. Jetzt 
soll ausserdem nur das Staatsministerium berechtigt sein, in 
solchen Fällen die erforderlichen Massregeln zu treffen; erwägt 
man jedoch, dass gerade hier ein rasches Eingreifen nothwendig 
nnd jede Verzögerung oft von den nachtheiligsten Folgen begleitet 
ist, dann wird man zugeben, dass jene Ermächtigung, wenigstens 
bei den akut auftretenden anderen ansteckenden Krankheiten, dem 
Regierungspräsidenten zustehen muss, so lange diese epidemisch 
auftreten, dass dem Staatsministerium dagegen dies Recht für 
alle anderen ansteckenden Krankheiten, auch die mehr chroni¬ 
scher Natur, einzuräumen ist, und zwar nicht nur znr vorüber¬ 
gehenden, sondern auch zur dauernden Anordnung der Mass¬ 
nahmen. 

• 

Nach den im §. 6 getroffenen Bestimmungen über die amtsT 
ärztliche Ermittelung der Krankheit wird eine solche be 1 
den ersten Fällen von Diphtherie und Scharlach nicht für er" 
forderlich erachtet, obwohl gerade bei diesen beiden Krankheiten’ 
besonders bei dem oft äusserst bösartigen Scharlach, durch recht¬ 
zeitiges Eingreifen des beamteten Arztes beim ersten Erkrankungs¬ 
fall eine ausgebreitete Epidemie verhütet werden kann. Die Auf¬ 
nahme dieser Krankheiten unter die im §. 6 Abs. 1 genannten 
ist daher dringend zu empfehlen. Ausserdem sollte die bisherige 
Bestimmung, wonach die Ortspolizeibehörde die ersten Er¬ 
krankungsfälle erst ärztlich feststellen lassen muss, auch in 
der im §. 6 Abs. 3 vorgesehenen beschränkten Form — bei nicht 
ärztlich festgestellten Fällen — beseitigt werden. 

Zu §. 7 gilt das vorher zu §. 5 Gesagte. 

In zweckmässiger Weise sind in den §§. 8—11 die erforder¬ 
lichen und nach dem Gesetz zulässigen Schutzmassregeln für 
jede einzelne Krankheit angegeben und mit Rücksicht darauf, 
dass diese Massregeln völlig abhängig sind von den Forschungen 
der Wissenschaft und den praktischen Erfahrungen, in §. 11 die 
Bestimmung getroffen, dass die in den §§. 12—19 und 21 des 
Reichsgesetzes bezeichneten Absperrungs- und Aufsichtsmassregeln 
auch über die in dem §. 8 des Gesetzentwurfs bezeichneten Gren¬ 
zen hinaus oder auf andere übertragbare Krankheiten aus¬ 
gedehnt werden können. Aber auch hierzu soll nur das Staats¬ 
ministerium in besonderen Ausnahmefällen ermächtigt und die 
Anordnung nur vorübergehend zulässig sein, wenn und so lange 
die Krankheiten in epidemischer Verbreitung auftreten. Eine Aen- 
derung dieser Bestimmung im Sinne der zu §. 5 gegebenen Aus¬ 
führungen ist dringend erwünscht. 

Betreffs der bei den einzelnen Krankheiten als nothwendig 
anerkannten Schutzmassregeln dürfte hervorzuheben sein, dass 
eine Kennzeichnung der Häuser eher bei Diphtherie und 
Scharlach als bei Rückfallfieber und Typhus erforderlich 
werden kann, dass sich dagegen bei den beiden zuletzt genannten 
Krankheiten auch die Beobachtung krankheitsverdächtiger Personen 



die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900. 177 

empfiehlt und bei Diphtherie ebenso wei bei Scharlach das Verbot 
oder die Beschränkung der Ansammlung grosser Menschenmengen 
(§. 15 Nr. 3) in Frage kommen kann. Ungeteilten Beifall wird die im 
§. 8 unter Nr. 3 Abs. 2 bei Kindbettfieber vorgesehene Bestim¬ 
mung finden, dass Aerzte u. s. w. in jedem Falle, in welchem sie 
zur Behandlung einer am Kindbettfieber Erkrankten zugezogen 
werden, unverzüglich die bei derselben thätige oder thätig gewe¬ 
senen Hebamme zu benachrichtigen haben; diese Bestimmung be¬ 
steht z. B. seit über 10 Jahren im hiesigen Regierungsbezirke 
und hat sich vorzüglich bewährt. Nicht minder kann man der 
weiteren Vorschrift zustimmen, dass Hebammen und Wochenbett- 
pflegerinnen, die bei einer am Kindbettfieber erkrankten Wöch¬ 
nerin thätig waren, nicht vor Ablauf von 8 Tagen nach Been¬ 
digung dieser Thätigkeit und vor gründlicher Reinigung und 
Desinfektion ihres Körpers, ihrer Wäsche, Kleidung und Instru¬ 
mente eine andere Entbindung oder Wochenpflege übernehmen 
oder eine Schwangere ärztlich untersuchen dürfen. Diese Frist 
ist allerdings etwas lang bemessen, aber da sie jeder Zeit ab¬ 
gekürzt werden kann, wenn der beamtete Arzt dies für unbedenk¬ 
lich erklärt, so kommt sie nur dann zur Anwendung, wenn 
Hebammen oder Wochenbettpflegerinnen sich der Kontrolle des be¬ 
amteten Arztes entziehen, und für diese Fälle ist sie nicht zu lang. 

Mit den übrigen Bestimmungen des Gesetzentwurfs über das 
Verfahren der Behörden (§§. 12 u. 131, die Entschädigun¬ 
gen (§§. 14—24) und Kosten (§§. 25—28) kann man sich nur 
einverstanden erklären; sie bringen z. Th. ganz ausserordentliche 
Verbesserungen im Vergleich zu den bisherigen Bestimmungen, 
insbesondere gilt dies betreffs der Vorschrift im §. 25, dass die 
Kosten der amtsärztlichen Feststellung einer gemeinge¬ 
fährlichen u. s. w. Krankheit, sowie die Kosten, welche durch die 
Betheiligung des beamteten Arztes bei der Anordnung, Leitung 
und Ueberwachung der Schutzmassregeln gegen diese Krankheiten 
entstehen, der Staatskasse zur Last fallen. Nicht minder wichtig 
ist ferner die Vorschrift im §. 27, wonach die Gemeinden auf Er¬ 
fordern der Polizeibehörden schon zu seuchefreien Zeiten diejenigen 
Einrichtungen zu treffen haben, welche zur Bekämpfung der ge¬ 
meingefährlichen oder sonst übertragbaren Krankheiten nothwendig 
sind, und dass die Kreisverbände nach §. 28 unvermögenden Gemein¬ 
den hierzu eine Beihülfe zu gewähren haben, sowie vom Regierungs¬ 
präsidenten verpflichtet werden können, derartige Einrichtungen 
aus eigenen Mitteln zu treffen, wenn diese Bedürfnisse über 
die Grenzen einer einzelnen Gemeinde hinausgehen. Sind damit 
auch nicht alle Forderungen erfüllt, welche die vorjährige Haupt¬ 
versammlung des Preussischen Medizinal-Beamtenvereins in Bezug 
auf die Regelung der Kostenfrage als wünschenswerth bezeichnet 
hat, so ist dies doch annähernd geschehen und vor allem einer 
etwaigen Ueberlastung der Einzelgemeinden vorgebeugt. Gerade 
bei der Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten sollte man 
bestrebt sein, die entstehenden Kosten entsprechend 7 den daraus 
erwachsenden Nutzen mehr auf breitere Schultern, Kreis, Provinz 



178 


Besprechungen. 


und Staat, zu vertheilen; wenn der Gesetzentwurf nach dieser 
Richtung hin im Landtage noch einige Abänderungen erfahren 
sollte, so würde ihm dies nur zum Vortheil gereichen. 

Bei den Straf Vorschriften (§§. 29—31) ist insofern eine 
Milderung gegenüber dem Reichsgesetze eingetreten, als im §. 29 
nur eine Gefängnissstrafe bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe 
von 600 Mark (statt einer Gefängnissstrafe von drei Jahren und 
bei mildernden Umständen Geldstrafe von 1500 Mark), und im 
§. 30 keine Mindeststrafe wie im Reichsgesetz (10 Mark) vor¬ 
gesehen ist. 

Der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes soll durch 
Königliche Verordnung bestimmt werden, um für die Herstellung 
aller erforderlichen Ausführungsarbeiten die erforderliche Zeit zur 
Verfügung zu haben. Zur Erleichterung des Verständnisses und 
der praktischen Handhabung des Gesetzes sollen den mit seiner 
Ausführung betrauten Behörden ausführliche, das Verfahren bei 
jeder einzelnen Krankheit erschöpfend behandelnde Anweisungen 
in die Hand gegeben werden, desgleichen sollen die Laienkreise 
durch gemeinverständliche Belehrungen über das Wesen und die 
Verbreitungsweise der übertragbaren Krankheiten aufgeklärt und 
dadurch nicht nur zur Erfüllung der gesetzlichen Anzeigepflicht 
in Stand gesetzt, sondern auch durch sonstige geeignete Anre¬ 
gungen und Hinweise auf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung 
zur Unterstützung und wirksamen Mitarbeit herangezogen werden. 
Auch dieses Vorgehen kann man nur mit Freuden begrüssen. 

Als s. Z. das Reichsseuchengesetz erlassen wurde, haben 
wir es lebhaft bedauert, dass sich dieses nicht auch auf die ein¬ 
heimischen ansteckenden Krankheiten erstreckte. Durch den jetzt 
vorgelegten Gesetzentwurf wird jener Mangel für Preussen in 
zweckentsprechender Weise abgeholfen werden; er bildet einen 
weiteren ausserordentlichen Fortschritt nicht nur auf dem Gebiete 
der Seuchenbekämpfung, sondern auf dem Gebiete des öffentlichen 
Gesundneitswesen überhaupt, und ist in allen seinen Einzelheiten 
so wohl durchdacht und den praktischen Bedürfnissen, wie den 
wissenschaftlichen Anschauungen angepasst, dass er, abgesehen 
von den vorher besprochenen Punkten, namentlich in den Kreisen 
der Medizinalbeamten allseitige Zustimmung finden wird. Hoffent¬ 
lich wird ihm diese in gleichem Maasse auch seitens der beiden 
Häuser des Landtages zu Theil, so dass er noch in der diesjährigen 
Session zur Verabschiedung gelangt! 


Besprechungen. 

Prof. Dr. Bumm- Halle a. S., Grundriss zum Studium der Geburts¬ 
hülfe. In 28 Vorlesungen und 575 bildlichen Darstellungen. Wiesbaden 
1902. Verlag von J. F. Bergmann. 

Wer die geburtshfllf liehe Litteratur der letzten Jahrzehnte verfolgt hat, 
wird die Beobachtung gemacht haben, dass gerade für die pädagogische Seite 
ausserordentlich viel gethan wurde und dass wir immer über eine Serie aus¬ 
gezeichneter Lehrbücher vertagen, welche in immer wieder erscheinenden 
Auflagen auoh den neuesten Errungenschaften Rechnung tragen; ich brauche 
nur an das klassische (ursprünglich Sehr öd er’sehe) Lehrbuch von Olshausen- 



Besprechungen. 


179 


Veit, das beliebte Runge’sche, dasv. Winkel’scheundZweif el’ sehe sowie 
du vor 3 Jabren erschienene Ahlfeld’sche Lehrbuch zu erinnern. Gerade 
du letztere bat insofern allgemeines Aufsehen erregt, als der Verfasser den 
Anschauungsunterricht durch eine reichliche Anzahl instruktiver Abbildungen 
sehr wesentlich zu fordern suchte. Hit dem Erscheinen des Bumm’sehen 
Werkes ist nun diese Litteratur um ein hOchBt originelles Werk bereichert 
worden, welches durch Ausstattung und den ausserordentlichen reichen Inhalt 
an künstlerisch ansgefübrten (575!) Abbildungen alle bisher erschienenen über* 
trifft und sich hierdurch schon von selbst zu einem Prachtwerk ersten Banges 
stempelt. Bei der pädagogischen Bedeutung des Werkes für den theoretischen 
geburtahfilflichen Unterricht erscheint es gerechtfertigt, dasselbe in Binsicht 
auf Text und bildnerischen Schmuck etwas genauer zu prüfen. 

Der Text ist in Form von Vorlesungen gehalten, welche das ganze 
Gebiet der Physiologie und Pathologie der Schwangerschaft, der Geburt, des 
Wochenbettes völlig erschöpfen und mit einem kurzen Abriss der operativen Geburts¬ 
hilfe ihren Abschluss finden. Weicht das Werk in der Einsicht viel von den 
üblichen Lehrbüchern ab, so erleichtert aber gerade diese Form es dem Leser, 
sich in anregender Weise in das grosse Gebiet der Geburtthülfe einzuarbeiten; 
auch hat es der Verfasser trefflich verstanden, dem Leser mit den neuesten 
Errungenschaften der geburtshülflichen Forschung, welche der Arzt wie der 
Studirende nicht so zu verfolgen im Stande ist, in klarer Form bekannt zu 
machen. Eine gedrängte Uebersicht dürfte den reichen Inhalt des Werkes 
andeuten. 

Der physiologische Theil wird durch einen Rückblick auf die historische 
Entwicklung der Geburtshülfe eingeleitet und umfasst die Vorlesungen 1—18. 
Obwohl der Schwerpunkt hier, wie in den späteren theoretischen Auseinander¬ 
setzungen auf der bildlichen Darstellung liegt, so findet der Leser doch eine 
so vollständige textliche Bearbeitung, dass er neben den bekannten Lehren 
auch über das Neueste sich bequem orientiren kann. Gerade die neuesten Unter¬ 
suchungen über die Einbettung des Eies, welche dem Praktiker nur schwer 
zugänglich sind, werden in klarster Weise vorgetragen und, was gerade hier für 
das Verständnis so wichtig, dorch ausgezeichnete Bilder illustrirt. Verfasser 
hat die jüngsten Veröffentlichungen über die ersten Stadien der Entwicklung 
beim menschlichen Ei, wie Bie von Peters, Graf Speeu. A. vorliegen, 
und welche zum Theil veraltete Anschauungen, wie solche über die Reflexa- 
bildung über Bord werfen, verwertbet (vgl. Fig. 49 und 50) und auch durch 
instruktive eigene Präparate (Fig. 52-56) erläutert. Es reihen sich hieran, 
gleichfalls reich illustrirt, die Abschnitte über Physiologie des Foetus, Ath- 
mung und Ernährung (Vorl. 3 und 4), Haltung und Lage der Frucht (Vorl. 5), 
Veränderungen des KOrpers durch die Schwangerschalt (Vorl. 6) sowie über 
die Diagnose der Schwangerschaft (Vorl. 7) an. Bei der Diagnostik der 
Schwangerschaft hätten die von anderer Seite beobachteten Erscheinungen der 
Pulsation sowie die Veränderungen in der Konsistenz, auf welche Ahlfeld 
aufmerksam machte, vielleicht erwähnt werden dürfen. Mit Vorlesung 8 beginnt 
die Beschreibung der Geburtsvorgänge, speziell der austreibenden Kräfte und 
des Geburtskanals; mit Hecht sind bei der Beschreibung des Beckens die geburts- 
bülflich unwichtigen Beckenebenen nicht beschrieben, um so deutlicher lernen 
wir aber den durch die gesunden Weichtheile in ihrer physiologischen Thätig- 
keit gebildeten Geburtskanal kennen (vgl. Fig. 140—142;, ebenso die Ver- 
Inderlichkeit des Beckenraumes bei verschiedenen Haltungen der Frau. Die 
9. Vorlesung beschäftigt sich mit der Geburt als solcher. Bei der Beschreibung 
des Geburtskanals (S. 171) muss demjenigen, welcher in dieser Beziehung 
bisher der Schröder'sehen Auffassung folgte, auffallen, dass der Verfasser 
den Kontraktionsring mit den inneren Muttermund für identisch ansiebt, also 
der ursprünglich Ban dl’sehen Auffassung sich anschliesst. Bei der Be¬ 
schreibung der Nacbgeburtszeit wird der Duncan’scbe als der häufigere 
gegenüber dem, von mancher Seite als häufiger beschriebenen B. Schaltzeichen 
»gegeben; jedoch sind die Ansichten hierüber doch noch getheilt. In Fig. 16S 
ist treffend der Vorgang der Lösung der Placenta nach Beobachtung an der 
Lebenden, soweit er sich äusserlich verfolgen lässt, dargestellt. Auch über 
die Art der LoslOsnng geben die folgenden mikroskropischen Bilder (Fig. 170—1711^ 
demjenigen, welcher nie Gelegenheit hatte, am Präparat diesen Vorgang zr 
studiren, ein klares Bild hiervon. Die Retraktion des Uterus post partur 



186 


Besprechungen. 


wird dnreh einige instruktive Schnitte durch den Uterus (Fig. 178) erllntert; 
wir sehen hier deutlich, wie lediglich durch die gute Betr&ktion der Muskel¬ 
fasern der Verschluss der Uteropl&centagefässe bewirkt und eine Nachblutung 
hierdurch verhütet wird; eine Thrombose, die man früher als wesentlich be¬ 
schrieb, kommt garnicht in Betracht, sondern findet sieb, wie Fig. 174 dax- 
steilt, nur bei schlecht kontrahirtem Uterus. Nach Verfasser ist Thrombose 
also gleichbedeutend mit. unvollkommener Retraktion der Muscularis und stellt 
somit einen anormalen Zustand dar. Ausgezeichnet ergänzen sich Text and 
Bild im Abschnitt .Geburtsmechanismua“ (Vor). 10). Wir lernen die Ein¬ 
stellung und die Drehungen des Kopfes bei der Hinterhauptlsge und der hier 
vorkommenden Variante, der „hinteren Hinterhauptlage“ (= Rotation des 
Hinterhauptes nach hinten) in Wort und Bild kennen; bezüglich der Ein¬ 
stellung der Kopfes auf den Beckeneingang findet auch die von de Seignenx 
gemachte, vielfach auch anderseits bestätigte Beobachtung Erwähnung, dass 
bei Erstgebärenden mit straffen Bauchdecken der Kopf mitunter in Hinter¬ 
scheitelbeineinstellung auf daB Becken tritt, bei Mehrgebährenden dagegen 
häufiger die Vorderscheitelbeineinstellung sich findet. Die Drehung der kleinen 
Fontanelle nach vorn („zweite Drehung“) wird mit Olshausen von der 
Drehung des Rückens abhängig gemacht. Vorlesung 11 behandelt den „klinischen 
Verlauf der Geburt“; hier dürfte gerade die Frage der Desinfektion, Aber 
welohe in letzter Zeit so viel hin und hergestritten wurde, besonderes prak¬ 
tisches Interesse beanspruchen. 

Mit Recht weist bezüglich der gebnrtshttlfliehen Prophylaxe 
der Verfasser auf die Schwierigkeiten hin, mit welchem der Praktiker 
draussen zu kämpfen hat. Unter den verschiedenen Möglichkeiten der 
Infektion wird die Selbstinfektion als zweifelhaft angesehen, aber nicht 
ganz ausgeschlossen. Zur Vermeidung der Infektion empfiehlt Verfasser in 
erster Linie neben der subjektiven peinlichsten Antisepsis eine gründliche 
Reinigung des Operationsfeldes, wesentlich der äusseren Genitalien; vaginale 
Spülungen sind nach Verfasser unnöthig, es wird aber zugegeben, dass, wenn 
richtig ausgeführt, dieselben nichts schaden, ein Standpunkt, der wohl von 
den Meisten bezüglich der Gebnrtshülfe in praxi vertreten wird. So berechtigt 
die Forderung der strengsten Desinfektion der Hand erscheint, so muss doch 
anderseits zugestanden werden, dass es kein Mittel giebt, welches eine völlig 
sichere Keimfreiheit der Haut herzustellen im Stande wäre (S. 227). „Wer 
von einer Methode behauptet, dass sie stets sichere Keimfreiheit erziele, ver¬ 
spricht mehr als er halten kann“ (ib.). So skeptisch diese Ausführungen be¬ 
züglich der Möglichkeit der subjektiven Desinfektion klingen mögen, so müssen 
sie bezüglich der rauhen Hand der Hebammen zugegeben werden, und dies 
giebt uns mit einen Fingerzeig in der Hebammenfrage bezüglich der Be¬ 
schäftigung und Nebenbeschäftigung der Hebamme. Für die Praxis erscheint 
aber trotzdem nach Verfasser die protahirte Fürbringer’sche Methode als 
die brauchbarste: 10 Minuten warmes Wassers und Seife, 6 Minuten Bürsten in 
70—80 # /o igem Alkohol, dann in 1 '/ M igem Sublimat. (Referent, welcher Jahre 
lang auch nach dieser Methode gearbeitet und nie einen Fall von Infektion 
erlebt hat. möchte diese Methode gegenüber dem neuerdings gebrauchten, un¬ 
sicheren Lysoform sehr empfehlen!) Sehr wichtig erscheint für den vielbe¬ 
schäftigten Praktiker, dass, wenn innerhalb der letzten zweimal 24 Stunden 
Berührung mit Infektionsstoffen stattgefunden hat, Verfasser entweder Abstinenz 
oder Gebrauch von Gummihandschuhen, wie sie, in Gaze verpackt, sich leicht 
trocken sterilisiren lassen, fordert. Das Einfetten des Fingers wird mit Recht 
als überflüssig verworfen. Ein sehr praktisches Verfahren besteht darin, nach 
Art eines Reisekorbes schon vor der Geburt Verbandstoffe, Tücher u. s. w. 
zu sterilisiren und bis zum Gebrauch staubfrei aufzubewahren. Bezüglich der 
Durchführung der Antisepsis am Gebärbette sei der Leser auf die S. 280 ff. 
empfohlenen sehr praktischen Mnssnahmen verwiesen. Fig. 207 illustrirt den 
Dammschntz in anschaulichster Weise, jedoch hätte die linke Hand, welche 
das jähe Dnrchtreten des Kopfes verhüten soll, mit gezeichnet werden können. 
Die Ould-Ohlhansen’sche Modifikation des Dammschutzes dürfte vielleicht 
zweokmässig, um die Hand aseptisch zu lassen, durch die Expression vom 
Hinterdamm nach Ritgen-Löhleinzu ersetzen sein.' Sehr zweckmässig und für 
den Praktiker werthvoll ist die bildliohe Darstellung der Episiotomie, welche auf¬ 
fallender Weise vielen jungen Aerzten nicht bekannt ist (cf. Fig. 212—218), 



Besprechungen. 


181 


tker doch geeignet ist, mitunter dem Einreissen vorzubeugen. Die neuerdings 
▼am M&rtin u. A. empfohlene starke Kürzung der Nabelschnur und Anlegung 
einer Seidenligatur eignen sich, wie Verfasser sagt, nicht für die Praxis. 
Mit Recht legt Verfasser der Besprechung der Nachgeburtsperiode einen ganz 
besonderen Werth bei (ein Qrnndsatz, welcher besonders im Hebammenunter- 
neht beachtet werden sollte; Bef.); denn „von der richtigen Ablösung und 
Klimmirnng der Nachgeburtstheile ist der Verlauf des Wochenbettes ebenso 
sehr abhängig, wie von der Handhabung der Antiseptik.“ Sozusagen als ab¬ 
schreckendes Beispiel lernen wir in der, dem Scanzoni’sehen Lehrbuch ent« 
nommenen Figur (Fig. 217) den schädlichen alten „inneren Hand grill“ kennen 
und im Gegensatz dazu, in den Figuren 219, 220 trefflich dargestellt „den 
iwsoren“ Handgriff, wiederum als Gegenstück zu dem ursprünglich Credö’schen 
(Fig. 218), da ja bei dem äusseren Handgriff die spontane Lösung der Placenta 
«nt abgewartet wird. Das Einzige, was in Bild und Text hier auffällt, ist, dass 
in Figur 219 die eine Hand einen sanften Zug an der Nabelschnur ausübt und 
aneh im Texte (S. 249) dieser Zug als Unterstützung der Entwicklung der 
Plaoenta beschrieben wird. Referent möchte bezweifeln, dass jüngere Aerzte 
immer genau unterscheiden, ob die Placenta noch in utero oder beroits unter¬ 
halb liegt. Für das Verständniss der Involutionsvorgänge im Wochenbett 
(VorL 12) sind die Figuren 222, 225 und 226 z. Tb. nach Präparaten des 
Verfassers gezeichnet, ausserordentlich werthroll. Dem ersten Einsetzen der 
Brustthäthigkeit wird ein gewisser Einfluss auf das Allgemeinbefinden zu¬ 
gestanden (S. 264) und eine, um einige Zehntelgrad stattfindende Erhöhung 
der Temperatur als „Milchfieber“ bezeichnet, dabei aber hervorgehoben, dass 
höheres Fieber stets auf andere Ursachen zurückgeführt werden muss. Als 
Anhang zur Diätetik der Wöchnerin wird zweckmässig die Diätetik des Neu¬ 
geborenen besprochen. Bezüglich der gonorrhoeischen Entzündung der Binde¬ 
haut wünscht Verfasser zur Verhütung die obligatorische Durchführung des 
C red 6’sehen Verfahrens. Auch weist er mit Recht darauf hin, dass auf den 
Nabelverband grössere Sorgfalt gelegt werden solle. Bezüglich der Ernährung 
der Neugeborenen schliesst sich Verfasser den neuesten Anschauungen an, 
welche mit Recht eine relativ geringere Verdünnung der Kuhmilch anstreben, 
so dass nach 4 Monaten dem Kinde bereits unverdünnte Kuhmilch gereicht 
werden dürfte. 

Vorlesung 13, welche die mehrfache Schwangerschaft, auch die Doppel- 
Unbildungen behandelt, bildet somit den Uebergang zur Pathologie der 
Schwangerschaft, welche in den Vorlesungen 14—18 ausführlich beschrieben 
wird. Bei den Lageveränderungen der schwangeren Gebärmutter unterscheidet 
Verfaner mit Recht (im Gegensatz zu anderen Lehrbüchern) die Retroversio 
von Retroflexio Uteri gravidi. Die Möglichkeit der Aufrichtung der Retroflexio, 
welche von jedem erfahrenen Geburtshelfer häufig genug beobachtet ist, wird 
durch Fig. 260 u. a. erläutert; auch die im Ganzen selten beobachtete Retro- 
flexio uteri gravidi partialis (von welcher Ref. zwei ausgesprochene Fälle mit Ein¬ 
klemmung sah), wird in Fig. 262 abgebildet. Jedenfalls erscheint die Erwähnung 
praktisch wichtig, dass die Aufrichtung des retrovertirten graviden Uterus mit¬ 
unter erheblich schwieriger ist. Bei der Differenzialdiagnose dieser Retro- 
deviation hätte vielleicht die Hämatocele retrouterina noch erwähnt werden 
können. Bei der Komplikation der Schwangerschaft mit Myom weist der Ver¬ 
loster darauf hin, dass hier die Gefahren mitunter übertrieben dargestellt 
werden. Fig. 270 veranschaulicht einen Fall, in welchem ein im unteren Uterin- 
aegment sitzendes Myom sich bei der Geburt einkeilen kann. (Ref. sah den 
analogen Fall und konnte das eingekeilte Myom nach Wendong der Frucht 
und AnwendungdesSigemundin’sehen Handgriffes in Narkosereponiren.) Für 
gonorrhoische Katarrhe in der Schwangerschaft empfiehlt Verfasser die 1 °/ 0 ige 
Ichthyollösungen zu Irrigationen, welche jedenfalls mehr Linderung geben, als 
die anderseits empfohlenen Karbolirrigationen. Durch ausgezeichnete Bilder, 
vielfach nach Originalpräparaten des Verfassers, ist der Abschnitt über 
ektopisehe Schwangerschaft (Vorl. 16) erläutert. Der tubare Abort muss auch 
nach Verfasser als der häufigere Ausgang angesehen werden. Bezüglich der 
Missbildungen der Frucht (Vorl. 17) wurde zweckmässig nur dasjenige 
schrieben, was geburtshülflich von Interesse ist. In diesem Zusammenhang 
ladet sich auch die Blasenmole abgehandelt. Bei der Geburt der Blar 
arte ist der Hinweis darauf, dass die spontane Ausstossung durch die We 



182 


Besprechungen. 


besser und sicherer erfolgt, als die geschickteste Hand es vermag, für 
den Praktiker sehr beherzigenawerth, ebenso die sehr berechtigte Warnung 
vor dem Gebrauch von Instramenten für die Ausräumung. Die Fehl¬ 
geburt (Vorl. 18) wird zweckmässig in zwei Abschnitten abgehandelt, als 
uakomplizirte und komplizirte Fehlgeburt. Auch der in praxi so wichtige 
putride und septische Abort wird genau besprochen; bei ersterem dringen 
Fäulnisskeim wobl ein, aber nicht tiefer in das Gewebe, während bei dem 
letzteren Wandkeime tiefer in die Gewebe gelangen; immerhin wird auf die 
Erfahrung hinge wiesen, dass in Folge der geringen Entwicklung der Lymph- 
und ßlatbahnen die Sepsis hier einen milderen Verlauf, als nach Geburten in 
späterer Zeit nimmt. Trotzdem wird mit Recht hervorgehoben, dass der 
Abort nicht als so harmlos hingestellt werden darf, wie es von manchem 
Arzte, besonders aber von Hebammen (und vor Allem den indolenten Frauen 
selbst — Ref.) geschieht. Bei der Ausräumung wird der digitalen vor der instru- 
monteilen der Vorzug gegeben; von Caretten darf höchstens eine stampfe 
grosse, wie Bie in Fig. 827 dargestellt ist, gebraucht werden. Sehr empfehlens- 
werth erscheint es, bei zersetzten Eihautresten eine 50°/ 0 ige Alkoholspülung 
ansusahliesaen. 

In der Pathologie der Gebar t(Vorl,19—26) wird den praktisch wich¬ 
tigen Geburtsstörungen von Seiten der Mutter (Fehlen der Wehenthätigkeit, 
enges Becken, Blatungen), ein breiter Raum gewidmet. Bei der Besprechung der 
Wehenschwäche warnt Verfasser mit Recht vor Secale, welches mitunter Krampf- 
zastfinde des Uteras hervorufen kann. Die falschen Lagen des Kindss werden 
durch wnnder volle Abbildungen so klar besprochen, dass der Leser sich auch 
ohne Phantom in die verschiedenen GeburtsmechaniBmen hineindenken kann; 
sehr treffend stellt Fig. 319 die schwere Geburtskomplikation bei der Stirnlage 
dar. Auch in der Pathologie des engen Beckens ist der Anschauung, besonders 
bei der Diagnose des Beckens reichlich Rechnung getragen; zur Diagnostik 
der Beckenform an der Lebenden ist die beigegebene Tafel (S. 619) ausser¬ 
ordentlich lehrreich, zamal man sich nur allzuleicht an die Betrachtung des 
knöchernen Beckens gewöhnt, gegenüber der Beobachtung an der Lebenden. 
Durch jene Figuren prägen sich aber die verschiedenen Beckentypen am besten 
ein. Das praktisch wichtigste Kapitel der Blutungen während und nach 
der Gebart, Rissblatangen u. s. w. wird damit eingeleitet, dass Verfasser 
darauf hinweist, mit welchen Schwierigkeiten der Arzt, auf sich allein an¬ 
gewiesen, zu kämpfen hat, dass sich aber nur derjenige zu helfen weise, welcher 
mit den Ursachen der Blutungen und den bewährtesten Mitteln zur Bekämpfung 
derselben vertraut ist. Ein Studium dieses Kapitels (Vorl. 26) gerade lässt 
den Leser in dieser Hinsicht auf die Blutungen in keiner Weise im 
Unklaren. Wie sich die Uteruswand bei Verblutung, bes. die Placentastelle 
verhält, ersieht man deutlioh aus der Fig. 466. Für die Entstehung der 
Placenta praevia wird nicht für alle Fälle die Bildung einer Refiexaplacenta 
im Sinne der Hofmeier-Kaltenbaoh’scheu Theorie angenommen, sondern 
auch die Möglichkeit einer tiefen Insertion des Eies in Fig. 473 erläutert. 
Den Praktiker dürfte besonders die Therapie interessiren; zu Beginn der 
Geburt feste Tamponade mit Jodoformgaze, bei weiteren Wehen Wendung anf 
den Fass; dabei ist zu beachten, dass der Kreissenden möglichst Blut zu er¬ 
sparen ist. Mit Erfolg ist vom Verfasser nach den Blasensprung auch die 
Metreuryse verwendet worden. Die Metreuryse, welche auch vom Praktiker 
darchgeführt werden kann, soll den tiefer tretenden Kopt ersetzen, drückt die 
PUceata zar Seite und hat dabei den Vortheil in schonender Weise den Cervix 
für die nachfolgende Extraktion wirksam zu erweitern; die Gefahr des Cervix¬ 
risses ist dabei erheblich geringer als bei der Extraktion im Anschluss an die 
kombinirte Wendang ohne vorhergehende Erweiterung. Dass bei partieller 
Lösung der Placenta nicht immer es sich um die „Verwachsung“ handelt, 
welche ja von vielen Praktikern zu häufig diagnostizirt wird, wird in S. 605 
klar auseinander gesetzt; überhaupt bat der Begriff „Verwachsung“, zu 
dem doch auch das anatomische Substrat der entzüadliohen Stränge an 
der Placenta gehört, von jeher viel zu viel Verwirrung hervorgerufen. 
Viel häufiger scheint doch die unvollkommene Lösung, die ungünstige 
Insertion der Placenta in einer Tabenecke oder am Fundus die Ursache 
der Nachgeburtsblutung zu sein. Fig. 485 ist die Retraktion der Placenta 
bei Striktur des inneren Muttermundes, welche ja nicht von Allen zu- 



Besprechungen. 


188 


gegeben wird, dargestellt. (Bef. sah zwei solcher Fälle mit mehr als 15 ständiger 
Verhaltung, bei welcher die Striktnr wahrscheinlich durch allzngrosse Secale 
gaben hervorgernfen war; -vgl. Zeitschrift für prakt. Aerzte 1898;. Die Gefahr 
der manuellen Lösung wird in wirksamer WeiBe geschildert; nach Bnmm 
beträgt die Mortalität bei dieser Operation noch 10 °/ 0 !, ist also grösser als 
beim Kaiserschnitt! Diese Zahlen sollten Jedem vor Angen schweben, bei der 
Indikationsstellnng zu dieser so gefährlichen Operation, welche wohl Keiner 
indikationslos vornehmen wird. Verfasser empfiehlt hierfür auch den Gebrauch 
der Gummihandschuhe und im Anschluss an die Operation üterus-Alkohol- 
sptllung, welche (wie sich Bef. auch überzeugen konnte) jedenfalls erhebliche 
Vorzüge vor den nicht ungefährlichen antiseptischen Spülungen hat. Fig. 492—493 
wird demjenigen interessiren, welcher die Dührssen’sche Tamponade öfters 
ausgeführt hat; jeder sieht sofort, worauf es bei einer guten Tamponade 
ankommt. Vor der Eisenchloridlösung, welche wohl Niemand mehr verwendet, 
wird nochmals gewarnt. Auch die Inversio nteri, welche glücklicher Weise 
selten noch vorkommt, wird nach einem Originalpräprarat der Hallenser Klinik 
in Fig. 497 dargestellt. Die Blutungen im Puerperium werden im Zusammenhang 
an dieser Stelle besprochen; auch hier wird gegenüber der viel gefährlicheren 
Curettage die digitale Ausräumung in erster Linie empfohlen. 

Ist dieses Kapitel von grossem geburtshülflichem und praktischem Interesse, 
so hat neben dieser die Vorlesung 24, welche die Zerreissung der weichen Ge¬ 
burtswege schildert, dazu noch eine grosse forensische Bedeutung. Bezüglich 
der einfachen Zerreissungen des Dammes und der Scheide wird dem Praktiker 
interessiren, dass Verfasser auf Grund reichlicher Erfahrungen das Cumolkatgut 
als Nähmaterial empfehlen kann; Beferent, welcher seit Einführung des Cumol¬ 
katgut durch Kroenig dasselbe in praxi fast ausschliesslich gebraucht bat, 
kann dies vollkommen bestätigen. Das nicht allzu häufig vorkommende Er¬ 
eigniss des Haematoma vulvae bezw. vaginae wird in Fig. 455 und 456 dar¬ 
gestellt. Für viele, welche diese nicht ungefährliche Verletzung noch nicht 
gesehen haben, ist diese Abbildung doppelt instruktiv. (lief, sah zwei Fälle 
in der Klinik, welche s. Zeit von Löhlein beschrieben wurden, und konsul¬ 
tativ einen Fall, welcher vernachlässigt war und durch putrid-septische In¬ 
fektion nach Durchbruch in die Vagina zum Exitus führte). Die Abbildungen, 
welche sich auf die Uterusruptur beziehen, werden nicht nur den Praktiker, 
sondern auch den Gerichtsarzt interessiren. 

Mit der Besprechung der Eklampsie (Vorl. 26), bei welcher die neuesten 
Erfahrungen bezüglich der Aetiologie, bes. hinsichtlich der Therapie berück¬ 
sichtigt sind, findet die Besprechung der Pathologie der Geburt, ihren Abschluss. 

Von der Pathologie des Wochenbetts (Vorl. 27—28) wird die puer¬ 
perale Infektion am ausführlichsten besprochen, während die anderweitigen Er¬ 
krankungen nur in gedrängter Kürze erwähnt werden. Die Frage der Entstehung 
und Ausbreitung der Infektion muss den Leser umsomehr interessiren, als der 
Verfasser gerade auf diesem Gebiete bahnbrechende wissenschaftliche Arbeiten 
früher veröffentlicht hat;, es sei in dieser Hinsicht gerade auf diesen Abschnitt 
verwiesen, welcher sowohl durch mikroskopisch bakteriologische Abbildungen, 
alz auch typische Fieberkurven instruktiv erläutert ist. Gerade die Verbreitung 
der Mikroben bei der putriden wie der septischen Infektion wird dem Leser 
durch die Fig. 506, 507, 510 und 511 klar vor Augen geführt. Bezüglich der 
Therapie der stattgehabten Infektion, welche ja in vielen Fällen schwerer In¬ 
fektion machtlos ist, interessiren die Bemerkungen über das Antistreptokokken¬ 
serum. Die Erfahrungen sind keineswegs gleich günstige. Mitunter ist bei 
der reinen depticaemie Heilung nach 30—50 gr schon gesehen worden. Jeden¬ 
falls „da üble Nebenwirkungen nicht zu befürchten sind, ist die Serumbehand- 
lang immerhin eines Versuches werth.“ Selbstverständlich muss das Mittel 
so früh als möglich nach stattgehabtem Nachweis der Streptokokken verab¬ 
reicht werden. Sehr wichtig für den Praktiker ist d e Bemerkung, dass das Fieber 
an sich keine besondere Behandlung bedarf; wie oft wird gerade durch anti- 

E 'iche Mittel, abgesehen von der Schwächung des Herzens, das typische 
he Bild, die Temperaturkurve, verwischt! Das operative Eingreifen 
(Totalexstirpation) hat nach B. bis jetzt noch keineswegs glänzende Erfolge 
gezeigt. Verfasser erwähnt schliesslich noch die neuerdings wieder empfohlene 
Unterbindung bezw. Exstirpation der virulenten thrombosirten Venen (V. bypo- 
gastrioa bezw. spermatioa). — Mit der Besprechung der Mastitis wird die Patho- 



184 


TageBnachrichten. 


logie des Wochenbetts abgeschlossen und als Anhang folgt in Vorl. 29 als Ab- 
schloss des gansen Werkes eine gedrängte Uebertücht der gebortshOlflichen 
Operationen, welcher gleichfalls in dankenswerther Weise vorzügliche Abbil- 
dongen der üblichsten Operationen beigegeben sind. 

In dieser tibersichtlichen Besprechung ist der reiche Inhalt des vortreff¬ 
lich geschriebenen Werkes nur Genüge angedeutet. Klar und prisise werden 
in frischem, lebendigem Vortrage die Grundlehren der Geburtskunde und der 
Geburtshtllfe im engeren 8inne erläutert, und der Leser wird hinreichend rar 
eigenen Beobachtung, aber auch zu Litteraturstudien angeregt, obwohl Litte- 
raturangaben sorgfältig vermieden sind. Die kleinen Abweichungen gegen 
eadere Anschauungen, wie sie oben angedeutet sind, rnttssen gegenüber dem 
Werke als Ganzem völlig untergeordnet betrachtet werden. Wir mÜBsen dem 
Verfasser für die Herausgabe des Werkes, welches das Prinzip des Anschauungs¬ 
unterrichts in trefflichster Weise verfolgt, in pädagogischer Hinsicht 
ausserordentlich dankbar sein. Nicht nur die Ausführung der Abbildungen, 
welche der Verfasser in die Hände eines ausgezeichneten Künstlers gelegt 
hat, sondern auch die Auswahl derselben sind ein Beweis dafür, wie ernst er 
es mit dem Unterricht in der Geburtshtllfe nimmt; es ist sozusagen kaum 
eine Frage nicht illustrirt in dem Buchet Wir finden neben einigen wenigea 
schematischen, aber sonst plastisch wirkenden Bildern hauptsächlich vor Allem 
eine grosse Anzahl ausgezeichneter Originalzeichnnngen nach Präparaten der 
Basler wie Hallenser Klinik, aber auch nach Zeichnungen und Entwürfen 
Bumm’s im Anschluss an interessante Geburtsfälle, und nicht etwa, wie so 
vielfach üblich, Bilder, die anderen Werken entlehnt sind. Die Zeichnungen 
sind besonders für den Unterricht in der Geburtshülfe, für Studirende wie 
auoh für Hebammen, von unberechenbarem Vortheil; in dieser Hinsicht mochte 
ich vor Allem dem Studirenden das Werk dringend zum Studium 
empfehlen! Aber auch für den Praktiker, welcher den wissenschaft¬ 
lichen Fragen in der Geburtshülfe meist nur nach Referaten in Zeitschriften 
folgen kann, dürfte das Werk eine anregende, interessante Be¬ 
reicherung in der Bibliothek bilden; stempelt es sich doch durch den 
reichen bildnerischen Schmuck von selbst zu einem geburtshfllflichen 
Atlas von bleibendem Werthe. 

Schliesslich mochte ich das Werk den Herren Kreisärzten empfehlen und 
zwar für einen besonderen Zweck: Bekanntlich haben die Kreisärzte dieHeb- 
ammennacbprttfungen abzuhalten; hier wird manche Frage besprochen und soll 
klaTgestellt werden; Bumm’s Buch füllt hier die seither bestehende Lücke 
vollkommen aus. 

B.’s Werk, für welches die bekannte B erg man n’sche Verlagshandlung 
es an nichts hat fehlen lassen, wird sich jedenfalls in kurzer Zeit viele Freunde 
erwerben und durch die illustrirte Ausstattung auch vorbildlich wirken für 
zukünftig erscheinende Bücher. 

Ich wünsche dem Werke aus vollster Ueberzeugung die weiteste Ver¬ 
breitung. _Dr. Walther-Giessen. 

Tagesnachrichten. 

Der dem preussischen Abgeordnetenhause wieder vorgelegte Entwurf 
eines Gesetzes, betr. die Gebühren der Medizinalbeamten, entspricht 
seinem Wortlaute nach vollständig dem vorjährigen Entwürfe; es kann somit 
auf die dermalige Besprechung derselben (s. Nr. 7 der Zeitschrift, Jabrg. 1902, 
S. 218) Bezug genommen werden. 

Für die diesjährige Jahresversammlung des Deutschen Vereins 
für Öffentliche Gesundheitspflege, die in den Tagen vom 16. bis 19. Sep¬ 
tember in Dresden stattfinden wird, sind folgende Verhandlungs¬ 
gegenstände in Aussicht genommen: 

1. Nach welcher Richtung bedürfen unsere derzeitigen Massnabmen rar 
Bekämpfung der Tuberkulose der Ergänzung? 2. Die gesundheitliche 
Handhabung des Verkehrs mit Milch. 8. Die Bauordnung im Dienste 
der Öffentlichen Gesundheit. 4. Hygienische Einrichtungen der Gasthäuser 
nnd Schankstätten. 5. Reinigung des Trinkwassers dnrch Ozon. 

Verantwortl. Redakteur: Dr. R ap m un d, Reg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden i. W. 




Den verehrl. Abonnenten der 


Zeitschrift für jViediziitalbeamte 

diene hiermit zur gefälligen Nachricht, dass sowohl der 

Kalender für Medizinalbeamte 

wie auch das 

Sonderheft der Zeitschrift 

zur Versendung gelangte und jeder Sendung eine Post¬ 
anweisung mit Rechnung beigeftigt war. 

Es ergeht nunmehr an die verehr!. Abonnenten die Bitte, 
wo Kalender oder Sonderheft nicht behalten werden soll, 
das Nichtgewünschte freundl. retournieren, im Falle des Be- 
haltens den Betrag gütigst einsenden zu wollen. 

Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, diene zur 
gefl. Kenntniss, dass das Sonderheft der Zeitschrift nicht 
zum Abonnement gehört und der Preis dafür Mk. 2,— beträgt. 
Der Kalender kostet mit Beiheft (Personalien) Mk. 3,50 für 
die Prenssischen Medizinalbeamten und enthält für diese 
gleichzeitig die Dienstanweisung, Mk. 3,— für die nicht 
preussischen Medizinalbeamten ohne die Dienstanweisung. 

Hochachtungsvollst 

Fischer’8 med. Buchhandlung 

(I. Kornfeld 

lenogL Bayer. Hof- ud BnhenogL Karner-BiekkiadJer. 





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«ftf&tea si«L* au’iw Vfrii^taftätendh»^ • -:*;Rä<w-.^Yd*|oik. 
jg|5^- ' ■ jE^ Y^tTft^rtea^VdRÄprf-jy^* 














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itnuööi 













18. Jahrg. 


1908. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt fir gerichtliche Medizin ind Psychiatrie, 
fir irzttiehe SachTerstandigenthätigkeit in Unfall- and hYaüditatuachea, sowie 
fir Ijgfrie, offentL Sanitatswesen, Medizinal-tatzgehnng ind Keehtspreehnng 

Herausgegeben 
. von 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Refierangi- and Geh. Medizinahrath in Minden. 


Verlag von Fischer’s mediz. Bnchhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nahmen die VerlafiHandlung sowie alle Annoeenezpeditionen dee In¬ 
end Auslandee entgegen. 


Nr. 5. 


Kreehelnt um 1. ud 15. Jeden Monats 


1. März. 


Aus dem hygienischen und dem gerichteJüratlichen Institute in Greifswald. 

Praktische Anleitung zur gerichtärztlichen Blutunter¬ 
suchung vermittelst der biologischen Methode. 

Von Stabsarzt Dr. Uhlenhuth und Prof. Dr. Beumer 
Wer sich mit der gerichtsärztlichen Untersuchung verdäch¬ 
tiger Blutspuren des öfteren zu beschäftigen hat, der kennt die 
Schwierigkeiten, die sich bei diesen Untersuchungen bieten können, 
vollends, wenn es sich um die Beantwortung der Frage handelt, 
ob die Spur von Menschenblnt herrühre oder nicht. 

Bei der Untersuchung ganz frischer Blutflecken, die dem 
Gerichtsarzt natnrgemäss sehr selten zur Begutachtung vorgelegt 
werden, ist immerhin noch eine gewisse, vorsichtige Benrtheilung 
möglich, wenn sehr zahlreiche Messungen an den in ihren Grössen¬ 
verhältnissen verschiedenen Blutkörperchen vorgenommen werden. 
So gelingt es nach einiger Uebung in den gerichtsärztlichen 
Korsen den älteren Medizin - Studirenden unschwer bei frischem 
Blut die drei zur Bestimmung vorgelegten Blatarten des Menschen, 
des Schweines und des Schafes bezüglich ihrer Herkunft zu be¬ 
stimmen. Viel unsicherer werden die Bestimmungen, wenn es sich 
um Blutsorten handelt, die bezüglich der Grösse ihrer Blutkörperchen 
denen des Menschen sich nähern, wie z. B. die des Kaninchens, 
Hundes, Pferdes n. s. w.; es ereignet sich dann nicht selten, 
dass dieses Blut als möglicherweise vom Menschen herstammend 
bezeichnet wird. Bei gerichtsärztlichen Untersnchnngen hat diese 
Methode immerhin einen gewissen Werth, einen nm so höheren, ^ 
wenn seitens des Angeklagten das an seinen Kleidern n. s. w 


186 


Dr. Uhlenhuth and Dr. Beniner. 


befindliche Blut bezeichnet wird als herstammend von einem Thier, 
dessen Blutkörperchen erheblich kleiner sind, wie die des Menschen, 
so z. B. wenn der Angeklagte behauptet, das Blut sei Schaf¬ 
oder Ziegenblut. 

In Uebereinstimmung mit allen Fachgenossen halten wir es 
aber bei den häufigsten Untersuchungsobjekten, den älteren Blut¬ 
flecken, für unmöglich, auf diesem Wege zu einer sicheren 
Diagnose bezüglich der Herkunft des Blutes zu gelangen. Wie 
oft ist schon wegen der Vergänglichkeit der Blutkörperchen die 
Frage auf mikroskopischem Wege nicht zu lösen, ob überhaupt 
ein Blutfleck vorliegt. In einzelnen Fällen gelingt es, bei der 
Anwendung der bekannten Zusatzflüssigkeiten in den'bräunlichen 
Schollen eine gleichmässige Zusammensetzung, eine gleichmässige 
Struktur zu erkennen. An den Bändern dieser sich nach und nach 
mehr auf hellenden Schollen kann es dann auch gelingen, einzelne 
Körperchen losgelöst von der Scholle zu sehen und so die Zu¬ 
sammensetzung des Ganzen aus Blutkörperchen festzulegen. Ob 
diese Blutkörperchen aber vom Menschen oder Thier herstammen, 
diese Frage lässt sich auf dem Wege der Grössenmessungen nicht 
mehr entscheiden, denn es ist nicht möglich, den Grad der er¬ 
littenen Schrumpfung und den der Aufquellung durch die Lösungs¬ 
mittel sicher zu berechnen; handelt es sich doch hier um Ver¬ 
schiedenheiten in der Grösse der Blutkörperchen, die nur wenige 
Mikromillimeter betragen. 

Bis vor kurzem war es bei älteren Blutflecken gerichts¬ 
ärztlich nicht möglich, die am meisten interessirende Frage „ob 
Menschen-, ob Thierblut vorliege“ mit Sicherheit zu entscheiden. 

Nun veröffentlichte Uhlenhuth im Winter 1900 bis 
1901 eine neue forensische Methode zur Unterscheidung 
von Menschen- und Thierblut auf Grund der Lehre von den 
Präzipitinen, die in zahlreichen gerichtlichen Fällen bereits An¬ 
wendung gefunden und in dem jeweiligen gerichtlichen Ver¬ 
fahren zur Aufklärung desselben sehr werthvolle Dienste geleistet 
hat. 1 ) Seit dem Bekanntwerden dieser Methode, die bald darauf 
durch die unabhängig von Uhlenhuth ausgeführten Unter¬ 
suchungen von Wassermann und Schütze*) sowie von Stern 8 ) 
bestätigt wurde, ist die Zahl der einschlägigen Arbeiten eine 


*) loh halt« es, da in der Litteratnr noch ab and za Zweifel über die 
Priorität bestehen, für nothwendig, noch einmal ausdrücklich darauf hin- 
znweisen, dass meine forensische Methode zar Unterscheidung der verschiedenen 
Blatarten bereits im Prinzip in meiner Arbeit „Neuer Beitrag znm spezifischen 
Nachweis von Biereiweiss auf biologischem Wege* (Deutsche mediz. Wochen¬ 
schrift 1900, Nr. 45; 15. November) sowie in meinem diesbezüglichen Vortrag 
im Qreifswalder mediz. Verein am 1. Dezember 1900 (Referat, s. Münchener 
mediz. Wochenschrift 1901, Nr. 8) festgelegt and ausführlich in meinem Auf¬ 
satz pablizirt ist, welcher in der Deutschen medizinischen Wochenschrift 1901, 
Nr. 6 (7. Februar) unter dem Titel: „Eine Methode zur Unterscheidung 
der verschiedenen Blatarten, insbesondere znm differentialdiagnostischen 
Nachweis von Mensohenbiat* erschienen ist. Uhlenhuth. 

*) Berliner klin. W tehenschrift 1901, Nr. 7 (18. Febraar) (nach einem 
Vortrag am 8. Febraar 1901 in der physiologischen Gesellschaft in Berlin.) 

*) Deutsche mediz. Wochenschrift 1901, Nr. 9 (98. Febraar). 



Praktische Anleitung rar gerichtsUratliohen Blutnnterraehnng n. b. w. 187 


sehr umfangreiche geworden. Alle diese Arbeiten erkennen den 
Werth der Methode für die gerichtsärztliche Praxis an und geben 
auf Grand ihrer charakteristischen Reaktion za, dass hier ein 
sicheres Unterscheidungsmittel zwischen Thier- und Menschenblut 
gegeben sei. 

Nun sind in letzter Zeit verschiedene Mittheilungen er¬ 
schienen, welche den Werth der Methode zwar in gleicher Weise 
anerkennen, aber doch auf einzelne Fehlerquellen hinweisen, die 
möglicherweise zu Irrthumern führen können; Fehlerquellen, die 
wesentlich in dem Begriff der heterologen Trübungen, d. h. 
Trübungen, die auch in andern als den zur Vorbehandlung der Kanin¬ 
chen benutzten Blutlösungen auftreten sollen, ihren Ausdruck finden. 
Wir haben aus den Arbeiten aller dieser Autoren ersehen, dass 
von einheitlichen Gesichtspunkten aus nicht gearbeitet worden 
ist, vor allen Dingen auch nicht mit jenen Kautelen, die wir 
im Interesse der Methode für nothwendig erachten und dass von 
allen diesen Forschem die Methode in verschiedener Weise aus¬ 
geführt worden ist. Wir selbst sind gewohnt, diese biologische 
Methode nach ganz bestimmten Prinzipien auszuführen, und wir 
gestehen, dass das, was die genannten Autoren als Fehlerquellen 
bezw. heterologe Trübungen bezeichnen, bei der Art und Weise, 
wie wir arbeiten, uns nicht zu Gesicht gekommen ist. Zudem 
erscheint es uns dringend nothwendig, dass bei einer noch so 
jungen Methode und bei dem schwer wiegenden Entscheid, den 
dieselbe im gerichtlichen Verfahren im Gefolge hat, zunächst nur 
nach bestimmten Gesichtspunkten, die bereits als bewährt fest¬ 
gestellt sind, gearbeitet wird. In Folge dieser Erwägungen 
halten wir uns für verpflichtet, die Art und Weise, wie wir den 
Blutnachweis in gerichtsärztlichen Fällen zu erbringen pflegen, 
nochmals 4 ) in allen Einzelheiten klarzulegen und in einzelnen 
Aufsätzen dieser Zeitschrift den Fachgenossen mitzutheilen. 

Wir beginnen mit der Frage: „Wie wird Antiserum 
gewonnen“? 

Das Thier, welches uns das Antiserum liefert, ist das 
Kaninchen. Bei der Kleinheit des Thieres ist die zu gewinnende 
Sernmmenge eine geringe; doch hat dieses Thier anderseits den 
Vortheil, dass es zur Vorbehandlung geringerer Blutmengen bedarf, 
wie grössere Thiere, was bei der bisweilen schwierigen Be¬ 
schaffung von Menschenblut in’s Gewicht fällt. Die Versuche, 
Ziegen und Schafe für die Gewinnung von Antiserum zu benutzen, 
führten bisher zu keinem befriedigenden Resultat; diese Thiere 
9owie auch ein von uns verwendeter Hund lieferten trotz lange 
Zeit fortgesetzter Behandlung nur ein schwach wirksames 
Antiserum, sodass uns das Kaninchen bis jetzt als das geeignetste 

4 ) 8iehe die Ar beites von Uhlenhuth: Deutsche mediz. Wochenschrift 
1901, Nr. 17 u. 30 osd Referat Uber den Vortrag imJGreifswalder medii. Verein, 
2. Mira 1901 (s. Münchener mediz. Wochenschr. 1901, Nr. 14); Archiv filr Krimi¬ 
nalanthropologie and Kriminalistik, Hai 1901 n. 1902, Bi. X; Verhandlungen 
des naturWissenschaft]■ Vereins, ra Greifswald 1901 (5. Juni); Deutsche medis. 
Wochenschrift, 1909, Nr. 97 n. 38. 



188 


Dr. Uhlenhnth and Dr. Beniner. 


Versuchsthier erscheint. Da ein grosses, kräftiges Kaninchen 
etwa 40,0—50,0 ccm Serum liefert, so ist das in Anbetracht 
der geringen Menge Antiserum, die man für die Ausffthrung der 
Reaktion braucht, doch ein ganz erhebliches Qnantum, mit dem man 
zahlreiche forensische Blutuntersuchungen erledigen kann. Auch 
verschiedene andere Gründe sprechen noch für die Verwendung 
des Kaninchens, so beispielsweise der Kostenpunkt, der bei der 
grösseren Anzahl von Versuchsthieren, die man aus noch zu er¬ 
örternden Gründen zur Serumerzeugung stets braucht, Berück¬ 
sichtigung verdient. 

Da mit Hülfe der Reaktion Blut nachgewiesen werden soll, 
so erschien es von vornherein am rationellsten, möglichst das 
ganze Blut mit seinen sämmtlichen Bestandteilen zur Vor¬ 
behandlung der Kaninchen zu benutzen. Es wurde daher anfangs 
von Uhlenhuth überhaupt nur defibrinirtes Blut angewandt 
und vorgeschlagen. Nun war von Nolf 6 ) die Thatsache fest¬ 
gestellt, dass die spezifisch wirkenden Präzipitine nur durch das 
eingespritzte Serum, nicht aber durch Blutkörperchen erzeugt 
werden. Nach diesen Versuchen wären also die korpuskulären 
Elemente des Blutes für die Einspritzung völlig werthlos. Ander¬ 
seits ist es jedoch Leblanc 6 ) gelungen, durch Einspritzung von 
Blutkörperchen ein spezifisch wirkendes Antihämoglobin-Serum zu 
erzeugen. Wenn wir uns nun auch eines abschliessenden Urtheils, 
ob Blut oder Serum vorzuziehen ist, zur Zeit noch enthalten 
wollen, so viel steht jedenfalls fest, dass wir bei der Vorbehand¬ 
lung der Kaninchen mit dem einen oder anderen Material wahr¬ 
nehmbare Unterschiede bezüglich der Wirkung des Antiserums 
nicht beobachten konnten. Wir haben uns daher in letzter Zeit 
häufiger der Serumeinspritzungen bedient; nur, wenn uns 
wenig Blut zur Verfügung stand, haben wir zur völligen Aus¬ 
nutzung des Materials das ganze Blut in Anwendung gezogen. 
Das Serum hat vor dem defibrinirten Blut manche Vorzüge. Die 
Gewinnung ist einfacher, da die lästige Prozedur des Defibrinirens 
fortfällt, was beim menschlichen Blut, wenn es langsam fliesst, 
wegen der eintretenden Gerinnung ohne weitere Zusätze überhaupt 
kaum möglich ist; die Schwierigkeit des Defibrinirens zeigt sich 
auch ganz besonders bei dem sehr schnell gerinnenden Vogelblut. 
Abgesehen von der einfachen Gewinnung ist auch die Konser- 
virung grösserer Mengen als Vorrath für weitere Einspritzungen 
von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da man Serum — 
nicht aber das Blut — durch Berkefeld’sehe Filter filtriren 
und auf diese Weise völlig steril erhalten kann. Ist Serum 
aber unter Beachtung aller Kautelen steril entnommen, so hält es 
sich auch ohne Filtration lange Zeit; die absolute Klarheit des¬ 
selben bietet dann ziemlich sichere Garantie für die Sterilität. 
Auch ist die intravenöse Einspritzung von Serum weniger ge¬ 
fährlich als die von Blut wegen der nach letzterem auftretenden 
Hämolysinbildung (Bordet). Exsudat oder Ascitesflüssigkeit ist 

•) Autln de 1’IoatUst Pasteur, 1900. 

*) La Cellale, t. XVIÜ 2 et fatctaüe, 31, Hai 1901. 



. Praktische Anleitung zur gerichtiärstlichen Blntontersocbtwg n. p . w. 189 

»egen ihrer geringen Wirksamkeit für die Vorbehandlung der Ka¬ 
ninchen nach Möglichkeit za vermeiden. 

Die Gewinnung des Menschen- and Thierblates 
erfolgt unter gewissen Vorsichtsmassregeln: 

Die Technik der Blutentnahme, wie sie in der hiesigen Univenitftts- 
Frauenklinik T ) geübt wird, ist folgende: Sobald der Kopi des Kindes im 
finachneiden ist, werden unter dem Steiss bis zum Knie der Kreissenden 
sterile Tflcher ausgebreitet Das Neugeborene wird auf diesen, nachdem die 
Binde des Geburtshelfers mit ausgekochten Gummihandschuhen versehen sind, 
abgenabelt und das plazentare finde der Nabelschnur komprimirt Nachdem 
dar obere Band eines grossen sterilen Zylinderglases in der Flamme abgeglüht 
ist, wird die Nabelschnur vorsichtig hineingehftngt und durch Druck auf den 
Uterus das in der Placenta befindliche Blut möglichst hervorgepresst. Nachdem 
auch das in der Nabelschnur noch befindliche Blut ausgedrückt ist, wird das 
Glas mit abgesengtem Wattebausch verschlossen. Von jeder Geburt gewinnt 
■an auf diese Weise 20,0—80,0 ccm Blut. 

Eine weitere, sehr zweckmässige Gewinnung des Blutes ist die mit dem 
Heurtelonp’schen Schröpfapparat, wie er bei Augenkranken in der Schläfen- 
gegend angesetzt wird. Man gewinnt mit demselben ca. 15,0 com Blut. Die 
beste Ausbeute liefert der Aderlass; auch die Punktion der Vene ist eine gute 
und bequeme Art der Blutgewinnung. 

Auf die Gewinnung von Blut, wie sie unter den Verhältnissen der Geburt 
oder bei sonstigen therapeutischen Eingriffen stattfindet, wird man also haupt¬ 
sächlich angewiesen sein; denn Gesunde finden sich erfahrnngsgemäss nur selten 
bereit, sieh Blut abziehen zu lassen. Ueber die Verwendung von Leichenblut 
(Ziemke) für die Vorbehandlung der Thiere stehen uns praktische Erfah- 
nagen nicht zu Gebote, doch wird man sioh desselben, falls man es steril ge¬ 
winnen kann, mit Vortheil bedienen können. 

Die beste Methode für die Gewinnung von Blut der grösseren Thiere 
ist das Einstechen eines sterilen Troicarts in die Vena jugularis, nach¬ 
dem diese durch einen unterhalb der Einstiohstelle um den Hals gelegten 
8trick nur Anschwellung gebracht ist; doch kann man auch sehr leicht bei 
der Schlachtung der Thiere steriles Blut gewinnen. Wir fangen das 
Nut, nachdem man das erste hat abfliessen lassen, unter Beachtung aseptischer 
Kantelen in grossen 600 ccm haltenden Zylinderglasen etwa 6,0 cm Durchmesser 
betragenden sterilisirten Glaszylindern auf. Nach dem Absetsenlassen des 
Serums wird dieses mit grossen 50 ccm haltenden sterilisirten Glaspipetten 
abgehoben und in sterile Beagensgläschen eingefüllt, welche dann im Eis- 
idbrank aufgehoben werden. Man erhält auf diese Weise 200—800 ocm Serum 
welches Quantum für eine grosse Anzahl von Einspritzungen ausreicht. Hat 
die Blutentnahme nicht völlig steril erfolgen können, so wird das Serum durch 
Berkefeld’sohe Filter filtrit. Bei Hühnern und Tauben, Gänsen u. s. w. 
schneidet man zweckmässig eine Flügelarterie an, nachdem man die Federn 
beseitigt und die Haut mit Alkohol und Aether gründlich gereinigt hat. Man 
lässt dann das Blut in ein steriles Gefäss einfliessen. Will man Blut zur Ein¬ 
spritzung verwenden, so defibrinirt man dasselbe durch Schütteln unmittelbar 
aaeh dem Auffangen in 200 ccm enthaltenden sterilen Erlenmeyer’schen 
Kolben, in welchen man vorher Glasperlen oder ausgegltthten Eisendraht ein¬ 
gebracht hat. 

Nachdem man das Material zur Einspritzung gesammelt hat, 
wird mit der Vorbehandlung der Thiere begonnen. Da entsteht 
non die Frage: „Wie soll man einspritzen, subkutan, 
intraperitoneal oder intravenös?“ 

Alle 3 Arten der Einspritzung sind versucht worden, von 
den einen ist die subkutane, von anderen die intraperitoneale 

? ) Für die gütige Ueberlassung von Menschenblut verfehlen wir nioht, 
auch au dieser 8telle Herrn Prof. Martin sowie Herrn Dr. Dützmann 
unsern ergebensten Dank auszusprechen. 



190 


Dr. Uhleahnth und Dr. B«u«»r. 


oder auch die intravenöse Methode bevorzugt. Ueber die sub¬ 
kutane Methode der Einspritzungen stehen uns Erfahrungen 
nicht zu Gebote, doch scheint sie nach den Angaben der 
Autoren nicht wirksamer wie die übrigen zu sein. Wir haben 
uns bis vor kurzem fast ausschliesslich der intraperitonealen 
Methode bedient. Neuerdings wurde nun von Verschiedenen die 
intravenöse Methode der Einspritzung als ganz besonders 
wirksam hervorgehoben; man behauptete, dass man auf diese 
Weise am schnellsten ein hochwirksames Antiserum erzeugen 
könne. Wir haben nun diese Angaben an einer grossen Anzahl 
von Kaninchen nachgeprüft. Es wurden zur vergleichsweisen 
Prüfung der intravenösen und intraperitonealen Methode Kaninchen 
von demselben Alter, derselben Rasse, ja, wenn möglich, von dem¬ 
selben Wurf und Geschlecht genommen. Die Thiere erhielten 
alle dieselben Dosen von 2, 3, 4, 5 bis 10 ccm steigend, bald täglich, 
bald in Intervallen von 3, 4, 5 und 6 Tagen. Diese Kaninchen 
lieferten nun bald nach der Injektion von im Ganzen 15 ccm 
Serum ein sehr hochwerthiges Antiserum, bald lieferten sie erst 
nach 60 ccm, bald nach 120 ccm, bald überhaupt nicht und zwar 
lieferten bald die intravenös- bald die intraperitoneal behandelten 
bessere Sera. 

• Es war in diesen ad hoc an etwa 30 Kaninchen ange- 
stellten Versuchen nicht der geringste Vortheil der intra¬ 
venösen Methode bezüglich der Gewinnung eines hoch- 
werthigen Antiserums festzustellen. Es ist also, soweit wir 
bis jetzt urtheilen können, allein die Individualität des 
Thieres, welche bei der Gewinnung hochwerthiger Sera von 
ausschlaggebender Bedeutung ist; eine wenig erfreuliche That- 
sache, die ja auch bei den anderen Immunisirungsverfahren, wie 
z. B. bei der Gewinnung des Diphtherieserums eine grosse Rolle 
spielt. Es ist sehr bemerkenswerth, dass häufig selbst nach 
monatelang fortgesetzter Behandlung mit grossen Dosen (20 bis 
40 ccm pro dosi, im Ganzen 500 ccm intraperitoneal) überhaupt 
keine Präzipitinblildung beobachtet wurde. Manche Thiere lieferten 
nach wenigen Einspritzungen schwach wirksame Sera. Beim 
Versuch, diese Sera durch weitere auch intravenöse Behandlung 
mit den gleichen oder auch grösseren Dosen höher zu treiben, 
haben wir bisweilen einen totalen Rückgang und völligen Schwund 
der Präzipitine beobachtet, trotzdem die Thiere gesund und kräftig 
waren und an Gewicht Zunahmen. In solchen Fällen kann man 
an ein Erlahmen des Rezeptorenapparates denken. In einzelnen 
Fällen haben wir daher, nachdem die Thiere ca. 200 ccm Serum 
bekommen und keine Spur von Präzipitinen geliefert hatten, die¬ 
selben 4 Wochen ohne Einspritzung sitzen lassen und dann die 
Injektionen wieder aufgenommen. In einigen Fällen haben wir 
auf diese Weise nach 2 Einspritzungen von ca. 10 ccm wirksame 
Sera erhalten; das ist eine recht interessante und bemerkens- 
werthe Erscheinung. Genau dieselben individuellen Verhältnisse 
haben Uhlenhuth und Rostoski bei Versuchen zur Ge¬ 
winnung anderer präzipitirender Sera (Milch, Hühnereiweiss, Ei¬ 
dotter, Sperma u. s. w.) beobachtet. 



Praktische Anleitung rar gerichtcärztlicben Blntontcnocbnng n. s. w. 191 


Als Modus für die Injektionen empfehlen vir nach 
unserer Erfahrung für die intraperitoneale alle 4—5 Tage 10 
bis 20 ccm Serum oder defibrinirtes Blut, für die intravenöse In¬ 
jektion 5—10 ccm. 

Die intraperitoneale Injektion wird in folgender Weise vor- 
genommen: Ein Oehilfe umfasst mit seiner linken Hand die beiden Hinterbeine 
des Kaninchens, halt dieselben nach oben, wahrend die rechte Hand beide Vorder¬ 
beine umfasst und sie nach abwärts halt, sodass der Kopf des Thieres senkrecht 
■ach unten sieht. Auf diese Weise wird erreicht, das die Gedärme möglichst 
in die obere Hälfte der BanohhOhle hineinfallen. Die Baachfläche des senkrecht 
gehaltenen Thieres wird demjenigen, der die Injektion ansftthrt, ragewandt. 
Dieser wählt als Stelle der Einspritrang die Unterbauchgegend, entfernt dort 
▼ermittelst einer Scheere die Haare, schneidet mit ausgeglObter Scheere die 
rar Falte erhobene Oberhaut durch, sodass an einer etwa erbsengrossen Stelle 
die Muskulatur freiliegt. Mit einer stumpfen Kanüle wird nunmehr die 
Baachwand vorsichtig dnrchstossen, die Spritse anfgesetst und die Injektions¬ 
masse eingespritxt. Nach heraussiehen der Nadel wird die kleine Wände mit 
Kollodium-Wattebausch verschlossen. 

Die intravenöse Einspritrang erfolgt in bekannter Weise durch Ein¬ 
führung der Kanüle in die Ohrvene, wobei ra beachten ist, dass keine Loft in 
die Vene hineingelangt. Nach Heraussiehen der Kanüle wird die etwa anf- 
tretende Blutung gestillt durch Kompression mit dem Fingernagel besw. durch 
etwas angedrückte Watte. Hin und wieder ist die Nachblutung so erheblich, 
dass eine Umsteohung des Gefftsses nothwendig ist. W&hrend nach der intra¬ 
peritonealen Injektion Krankheitserscheinungen fast ginslich fehlen, sieht 
man nach der intravenösen Binspritsung Zeichen, die anf ein mehr oder minder 
schweres Kranksein hindeuten. Am häufigsten sind schwere Dyspnoe vorhanden, 
lähmungsartige Schwäche, Darchfälle und unwillkürliches Entleeren von Urin. 
Unter diesen Erscheinungen können je nach der Herkunft des Serams die 
Thiere sofort oder nach einigen Standen verenden. Im wesentlichen hängt 
dieses Krankheitsbild besw. der Tod ab von der hämolytischen Wirkung des 
Blutserums und in dieser Besiehung ist am wenigsten gefährlich Pferd und 
Baelserum; die übrigen Serumarten sind von eingreifender Wirkung und daher 
vorsichtiger zu verwenden. Luftembolie muss natürlich aufs sorgfältigste ver¬ 
mieden werden. (S. auch Uhlenhuth, zur Kenntniss der giftigen Eigenschaften 
des Blutserums, Zeitschrift für Hygiene 1897, Bd.26, sowie Uhlenhuth und 
Moxter: Ueber Veränderungen der Gangliensellen bei experimenteller Ver¬ 
giftung mit Binder nnd Menschenblutserum. Fortschritte der Medizin, Bd. 
XVL, 1898, Nr. lü). 

Es ist nothwendig, mit jeder Blntart 5—6 Thiere gleich¬ 
zeitig zu behandeln. 

So kommt es, dass die Gewinnung der Sera die Geduld ganz 
erheblich in Anspruch nimmt, denn ans den erörterten Gründen 
kann man bisweilen recht viele Thiere noch so sorgsam vorbe¬ 
handeln, ohne ein brauchbares Serum zu gewinnen. Daraus er¬ 
klären sich auch zum Theil die äusserst zahlreichen, an das 
hygienische Institut gerichteten Nachfragen nach Serum. 

Um nun festzustellen, wann die Kaninchen ein für die Praxis 
brauchbares Serum liefern, ist es nothwendig, in gewissen Inter¬ 
vallen das Blut dieser Thiere auf seinen Prfizipitingehalt zu 
untersuchen. Wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, tritt dieser 
Zeitpunkt bei den einen früher, bei den anderen später oder gar- 
nicht ein. Es ist zweckmässig, von der dritten Injektion an eine 
Probeblutentnahme vorzunehmen, und zwar muss diese in dem 
Augenblick stattfinden, in welchem der Thierkörper auf dem Höhe¬ 
punkt der Präzipitinbildung steht. Dieser ist 5—6 Tage nach der 
letzten Einspritzung erreicht; nach 8—14 Tagen zeigt sich das 



192 


Dr. Roepke. 


Serum noch wirksam, um dann allmählich seine Wirksamkeit total 
bu verlieren, was nach etwa 4 Wochen erreicht ist. 

Die Blutentnahme wird an der Ohrvene vorgenommen. Das Ohr 
des Kaninchens wird am Grunde der Ohrwurzel mit einem in heisses 
Wasser getauchten Wattebausch bedeckt, um eine Hyperämie zu er¬ 
zeugen ; dasselbe erreicht man auch dadurch, dass das Ohr mit der 
Scheere leicht geklopft wird. Sind die Venen stärker gefüllt, so 
wird die Oberhaut an einer kleinen Stelle eingeschnitten, und die 
Vene tritt stark hervor. Dieselbe wird eingeschnitten, und das her- 
ausfliessende Blut in kurzem, sterilen Reagensglase in 5 ccm Menge 
anigefangen. Nachdem durch die Gerinnung des Blutes das Serum 
sich abgeschieden, wird dasselbe — meist in einer Menge von 
l*—2 ocm abgegossen — und zentrifugirt. Giebt das Serum eine 
Reaktion (auf welche wir später des ausführlicheren eingehen) 
die sofort oder nach wenigen Minuten in farblosen, aus ein¬ 
getrocknetem Blut in Kochsalzlösung hergestellten homologen 
Blutlösungen in unzweideutiger Weise eintritt, so kann das Anti- 
serum als praktisch brauchbar angesehen werden. Das Thier 
wird nun geschlachtet. Es wird tief chloroformirt, dann auf ein 
Brett gespannt, die Brust- und Bauchfläche mit Alkohol abge¬ 
rieben — um die Verunreinigung des Blutes durch Haare zu 
vermeiden —, durch einen Längsschnitt die Weichtheile von der 
Brustseite nach beiden Seiten getrennt, und die vordere 
Brustwand entfernt. Bei den letzten schwachen Schlägen des 
Herzens trennt ein grosser Schnitt die Herzkammern, das Thier 
entblutet in die Brusthöhlen, während dessen schnell die Lungen 
entfernt und das Blut mit einer Pipette mit unterer weiter Oeff- 
nung aufgesogen und in einen Messzylinder gefüllt wird. Durch¬ 
gehende werden 70—80 ccm Blut gewonnen, die bei einer Tempe¬ 
ratur von etwa 10—15° C. 24 Stunden stehen bleiben, um dann 
$0—40 ccm Serum zu liefern. Das Serum wird abgegossen und 
in Reagensgläser gegeben. 

(Fortsetsung folgt.) 


Zur Beseitigung und Desinfektion des Sputums. 

V«a Dr. O. Roepke, Chefant am „Auguste Viktoria Stift“, Heilstätte II, 

Lippspriuge. 

Die im Band IV., Heft 2 der Zeitschrift für Tuberkulose und 
Heüstättenwesen erschienenen „neuen Beiträge zur Frage der 
Sputumbeseitigung und chemisch - physikalischen Sputumdesin¬ 
fektion“ von Dr. Thom-Hohenhonnef veranlassen mich, sogleich 
•ach Kenntnissnahme derselben zu der gleichen Frage das Wort 
wn nehmen. Thom ist die Abtödtung des Tuberkelbacillus im 
Sputtun mittels „alkalischer Solutol- resp. Kresollösungen“ bei 
24 ständiger Einwirkungsdauer derselben gelungen. „So erhalte 
ich, schreibt Th. am Schluss, eine desinflzirende Lösung, über 
deren genaue Zusammensetzung ich augenblicklich kein be¬ 
stimmtes Rezept veröffentliche, da ich mir vor der festen 
Fixvraag desselben noch weitere Prüfungen und Verhandlungen 



Zar Beseitigung nnd Desinfektion des Spntnms. 


198 


mit chemischen Fabriken Vorbehalten muss. Jedenfalls sind die 
Resultate, die mir meine bisherigen Impfversuche an Meerschwein¬ 
ehen ergaben, durchaus befriedigende.“ Auch Verfasser arbeitet 
seit Jahresfrist an einem Verfahren, das tuberkulöse Sputum 
durch mehrstündiges Einwirkenlassen chemischer 
Substanzen zu desinfiziren. Gleich Thom bin ich auch zu 
befriedigenden Laboratorium-Resultaten gelangt, die in letzter 
Zeit bereits im Heilstättenbetriebe probirt und den Verhältnissen 
des praktischen Lebens angepasst werden. In wenigen Monaten 
hoffe ich ganz am Ziele zu sein. Indess scheint mir schon heute 
eine Mittheilung über meine bisherigen Versuche nothwendig. Ich 
habe nämlich in meinem experimentellen Vorgehen ein ganz ana¬ 
loges Verfahren wie Th. gewählt und möchte mir darum mit den 
folgenden Ausführungen das Anspruchsrecht darauf wahren, dass 
ich gleichzeitig und unabhängig von Thom die obige Frage 
bearbeitet und — zunächst im Lahoratorium — erfolgreich ge¬ 
löst habe. — 

Der erste Anstoss für meine späteren Untersuchungen war 
bereits im Herbst 1901 gegeben, als die Frage der Sputumver¬ 
nichtung für die hiesigen Heilstätten akut wurde. Ein sehr ein¬ 
faches und zuverlässiges Verfahren der Sputumbeseitigung, das 
Verbrennen des gesammelten Auswurfs in der Dampf¬ 
kesselfeuerung, konnte wegen Mangels einer so grossen 
Feuerung nicht zur Anwendung kommen. Der vom Herausgeber 
dieser Zeitschrift als ärztlichem Berather des hiesigen Heilstätten¬ 
vereins angeregteSpeiflaschen-Reinigung durch strömen¬ 
den Wasserdampf oder durch die Siedehitze stand die 
Kostspieligkeit und Umständlichkeit entgegen, die durch die völ¬ 
lige räumliche Trennung der beiden hiesigen Heilstätten noch 
wesentlich gesteigert wurde. Mir persönlich widerstrebte aber vor 
allen Dingen die durch das Erfahren bedingte absolute Vernach¬ 
lässigung des so überaus wichtigen erzieherischen Momentes, wie 
der Kraute sein Sputum gefahrlos für sich und andere selbst zu 
behandeln und zu beseitigen hat. Das muss der Lungenkranke 
unter allen Umständen in der Heilstätte lernen und täglich üben, 

■ so dass es ihm zu einer, wenn auch nicht lieben, so doch keines¬ 
wegs abstossenden Gewohnheit wird, andernfalls ist alle päda¬ 
gogische Liebesmüh der Heilstätten, prophylaktisch im Kampfe 
gegen die Tuberkulose zu wirken, ganz vergeblich. Wer soll 
oder wird denn unseren Lungenkranken nach der Entlassung die 
benutzten Spuckutensilien zur Desinfektion abnehmen und sauber 
wieder in die Hand drücken? Und es hat doch nur */ 4 , höchstens 
% der Patienten durch die Heilstättenbehandlung den Auswurf 
verloren, s / 4 bezw. */ 3 der Entlassenen sollen die Taschenspuck¬ 
fläschchen weiter gebrauchen! 

Wir griffen schliesslich auf das ältere Verfahren zurück, 
das Sputum zu sammeln und auf dem kürzesten Wege 
durch die Klosets der Kloake zuzuführen. Zu diesem 
Zweck wurden auf meinen Vorschlag in den 4 Klosetvorräumen 
jeder Heilstätte Einrichtungen getroffen, die den Kranken das 



194 


Dt. Roopk«. 


Entleeren des Spntnms aas den Spackbechem und Taschenspuck¬ 
flaschen und die Reinigung derselben in bequemer, ästhetisch ein¬ 
wandsfreier Weise ermöglichen. Jeden Morgen, noch bevor die 
Patienten aufzustehen pflegen, wird dann von dem Desinfektor 
(gleichzeitig Heizer) der Heilstätte das am vorhergehenden Tage 
gesammelte Sputum aus dem Sammelbassin direkt in das Kloset 
entleert und letzteres tüchtig nachgespült, eine Prozedur, die bei 
dem nur wenige Meter betragenden Transport innerhalb desselben 
Raumes und der mit beweglich aufklappbaren Sitzen versehenen 
Klosetanlage im Augenblick geschehen ist und eine Verstreuung 
von infektiösem Material so gut wie sicher ausschliesst. Als 
Flüssigkeit zum Aus- und Durchspülen der Spuckutensilien wurde 
bisher eine l°/oo^ e Sublimatlösung benutzt, und zwar lediglich 
aus dem Grunde, um die Wirkung etwaiger Fäulnisserreger in 
den Fläschchen hintanzuhalten; in die als Sputum-Sammelbassins 
dienenden Porzellan - Standgefässe, welche mit zwei bequem und 
sicher anzufassenden runden Porzellangriffen versehen sind, kam 
eine starke Sodalösung (s. die nebenstehende Zeichnung). 

Die freie Verfügung der Kranken über eine stark giftig 
wirkende Sublimatlösung kann bedenklich erscheinen; thatsächlich 
ist aber bei dem Naturell der grenzenlos optimistischen Lungen¬ 
kranken im Allgemeinen und bei der Psyche unserer freiwillig in 
die Heilstätte eingetretenen Patienten im Besonderen ein Miss¬ 
brauch kaum zu erwarten. Anders liegen die Verhältnisse aller¬ 
dings ausserhalb der geschlossenen Anstalt. Begründeter ist der 
zweite Einwand, dass durch die Sublimatsodalösung trotz viel- 
stündigen Einwirkens die Tuberkelbazillen im geballten Sputum 
nicht abgetödtet werden, dass dieselben vielmehr — nach den Fest¬ 
stellungen von Musehold — auch in den Abwässern noch eine 
Anzahl von Monaten hindurch trotz aller Schädlichkeiten infektions¬ 
tüchtig bleiben. Letzteres Bedenke^ hat indess bei den örtlichen 
Boden- und Lageverhältnissen der hiesigen Heilstätten und ihrer 
Abwässer- und Fäkalien-Ableitung, die 300 m von den Anstalts¬ 
gebäuden entfernt mitten im Walde 1,50 m tief unter Terrain 
endigt, keine praktische Bedeutung. Immerhin ist aber unsere 
Sputumvernichtungsanlage bisher eben wegen der Giftigkeit des 
Sublimats und der erhalten bleibenden Infektiosität des Sputums 
keine ideale gewesen, so tadellos sich auch ihre Benutzung 
durch die Kranken bewährte, so ansprechend und sauber sie stets 
aussah, und so sehr sie auch den Forderungen der Disziplin für 
die Anstalt und der Erziehung für’s Leben entsprach. 

Diese Umstände, die der Herausgeber der Zeitschrift und der 
frühere Chefarzt der Heilstätte, Dr. v. Scheibner, bestätigen 
können, veranlassten mich schon vor Jahresfrist, sobald Labora¬ 
torium und Meerschweinchenställe hergestellt waren, experimentell 
nach einem Desinfiziens zu forschen, welches die Tuberkelbazillen 
im Sputum innerhalb einer bestimmten Zeit sicher abtödtet. Ge¬ 
lang es, ein derartig wirkendes, im Gegensatz zum Sublimat]un¬ 
gefährliches, ferner geruchfreies bezw. angenehm riechendes und 
billiges Präparat zu finden, so wurde unsere Elinrichtung zur 




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186 


Dr. Uhlenhuth and Dr. Beniner. 


befindliche Blnt bezeichnet wird als herstammend von einem Thier, 
dessen Blutkörperchen erheblich kleiner sind, wie die des Menschen, 
so z. B. wenn der Angeklagte behauptet, das Blut sei Schaf¬ 
oder Ziegenblut. 

In Uebereinstimmung mit allen Fachgenossen halten wir es 
aber bei den häufigsten Untersuchungsobjekten, den älteren Blut¬ 
flecken, für unmöglich, auf diesem Wege zu einer sicheren 
Diagnose bezüglich der Herkunft des Blutes zu gelangen. Wie 
oft ist schon wegen der Vergänglichkeit der Blutkörperchen die 
Frage auf mikroskopischem Wege nicht zu lösen, ob überhaupt 
ein Blutfleck vorliegt. In einzelnen Fällen gelingt es, bei der 
Anwendung der bekannten Zusatzflüssigkeiten in den* bräunlichen 
Schollen eine gleichmässige Zusammensetzung, eine gleichmässige 
Struktur zu erkennen. An den Bändern dieser sich nach und nach 
mehr auf hellenden Schollen kann es dann auch gelingen, einzelne 
Körperchen losgelöst von der Scholle zu sehen und so die Zu¬ 
sammensetzung des Ganzen aus Blutkörperchen festzulegen. Ob 
diese Blutkörperchen aber vom Menschen oder Thier herstammen, 
diese Frage lässt sich auf dem Wege der Grössenmessungen nicht 
mehr entscheiden, denn es ist nicht möglich, den Grad der er¬ 
littenen Schrumpfung und den der Aufquellung durch die Lösungs¬ 
mittel sicher zu berechnen; handelt es sich doch hier um Ver¬ 
schiedenheiten in der Grösse der Blutkörperchen, die nur wenige 
Mikromillimeter betragen. 

Bis vor kurzem war es bei älteren Blutflecken gerichts¬ 
ärztlich nicht möglich, die am meisten interessirende Frage „ob 
Menschen-, ob Thierblut vorliege“ mit Sicherheit zu entscheiden. 

Nun veröffentlichte Uhlenhuth im Winter 1900 bis 
1901 eine neue forensische Methode zur Unterscheidung 
von Menschen- und Thierblut auf Grund der Lehre von den 
Präzipitinen, die in zahlreichen gerichtlichen Fällen bereits An¬ 
wendung gefunden und in dem jeweiligen gerichtlichen Ver¬ 
fahren zur Aufklärung desselben sehr werthvolle Dienste geleistet 
hat. 1 ) Seit dem Bekanntwerden dieser Methode, die bald darauf 
durch die unabhängig von Uhlenhuth ausgeführten Unter¬ 
suchungen von Wassermann und Schütze 1 ) sowie von Stern 9 ) 
bestätigt wurde, ist die Zahl der einschlägigen Arbeiten eine 


*) Ich halte es, da in der Litteratnr noch ab and zu Zweifel Aber die 
Prioritit bestehen, für notbwendig, noch einmal ausdrücklich darauf hin- 
suweisen, dass meine forensische Methode zur Unterscheidung der verschiedenen 
Blatarten bereits im Prinsip in meiner Arbeit „Neuer Beitrag sum spezifischen 
Nachweis von Biereiweiss auf biologischem Wege* (Deutsche medis. Wochen¬ 
schrift 1900, Nr. 45; 15. November) sowie in meinem diesbesllglichen Vortrag 
im Oreifswalder medis. Verein am 1. Desember 1900 (Referat, s. Münchener 
medis. Wochenschrift 1901, Nr. 8) festgelegt und ausführlich in meinem Auf- 
oats publisirt ist, welcher in der Deutschen medizinischen Wochenschrift 1901, 
Nr. 6 (7. Februar) unter dem Titel: „Eine Methode sur Unterscheidung 
der verschiedenen Blatarten, insbesondere sum differentialdiagnostischeu 
Nachweis von Meusohenblut* erschienen ist. Uhlenhuth. 

*) Berliner kliu. W tohenschrift 1901, Nr. 7 (18. Febraar) (nach einem 
Vortrag am 8. Febraar 1901 in der physiologischen Gesellschaft in Berlin.) 

*) Deutsohe medis. Wochenschrift 1901, Nr. 9 (98. Februar). 



Praktische Anleitung rar geriohtsärztliehen Blntonterraehnng u. s. w. 187 


sehr umfangreiche geworden. Alle diese Arbeiten erkennen den 
Werth, der Methode für die gerichtsärztliche Praxis an und geben 
auf Grand ihrer charakteristischen Reaktion zu, dass hier ein 
sicheres Unterscheidnngsmittel zwischen Thier- und Menschenblut 
gegeben sei. 

Nun sind in letzter Zeit verschiedene Mittheilungen er¬ 
schienen, welche den Werth der Methode zwar in gleicher Weise 
anerkennen, aber doch auf einzelne Fehlerquellen hinweisen, die 
möglicher Weise zu Irrthttmern führen können; Fehlerquellen, die 
wesentlich in dem Begriff der heterologen Trübungen, d. h. 
Trübungen, die auch in andern als den zur Vorbehandlung der Kanin¬ 
chen benutzten Blutlösungen auftreten sollen, ihren Ausdruck finden. 
Wir haben aus den Arbeiten aller dieser Autoren ersehen, dass 
von einheitlichen Gesichtspunkten aus nicht gearbeitet worden 
ist, vor allen Dingen auch nicht mit jenen Kautelen, die wir 
im Interesse der Methode für nothwendig erachten und dass von 
allen diesen Forschern die Methode in verschiedener Weise aus¬ 
geführt worden ist. Wir selbst sind gewohnt, diese biologische 
Methode nach ganz bestimmten Prinzipien auszuführen, und wir 
gestehen, dass das, was die genannten Autoren als Fehlerquellen 
bezw. heterologe Trübungen bezeichnen, bei der Art und Weise, 
wie wir arbeiten, uns nicht zu Gesicht gekommen ist. Zudem 
erscheint es uns dringend nothwendig, dass bei einer noch so 
jungen Methode und bei dem schwer wiegenden Entscheid, den 
dieselbe im gerichtlichen Verfahren im Gefolge hat, zunächst nur 
nach bestimmten Gesichtspunkten, die bereits als bewährt fest¬ 
gestellt sind, gearbeitet wird. In Folge dieser Erwägungen 
halten wir uns für verpflichtet, die Art und Weise, wie wir den 
Blutnachweis in gerichtsärztlichen Fällen zu erbringen pflegen, 
nochmals 4 ) in allen Einzelheiten klarzulegen und in einzelnen 
Aufsätzen dieser Zeitschrift den Fachgenossen mitzutheilen. 

Wir beginnen mit der Frage: »Wie wird Antiserum 
gewonnen“? 

Das Thier, welches uns das Antiserum liefert, ist das 
Kaninchen. Bei der Kleinheit des Thieres ist die zu gewinnende 
Serummenge eine geringe; doch hat dieses Thier anderseits den 
Vortheil, dass es zur Vorbehandlung geringerer Blutmengen bedarf, 
wie grössere Thiere, was bei der bisweilen schwierigen Be¬ 
schaffung von Menschenblut in’s Gewicht fällt. Die Versuche, 
Ziegen und Schafe für die Gewinnung von Antiserum zu benutzen, 
führten bisher zu keinem befriedigenden Resultat; diese Thiere 
sowie auch ein von uns verwendeter Hund lieferten trotz lange 
Zeit fortgesetzter Behandlung nur ein schwach wirksames 
Antiserum, sodass uns das Kaninchen bis jetzt als das geeignetste 

4 ) 8iehe die Arbeite» von Uhlenhuth: Deutsche medir. Wochenschrift 
1901, Nr. 17 ». 30 &»d Referat über den Vortrag im}Greifswalder medis. Verein, 
2. N4rs 1901 (e. Münchener medis. Wochensohr. 1901, Nr. 14); Archiv für Krimi¬ 
nalanthropologie and Kriminalistik, Mai 1901 n. 1902, Bd. X; Verhandlungen 
des natarwisaensehaftl. Vereins, an Greifswald 1901 (5. Juni); Deutsche medis. 
Wochenschrift, 1909, Nr. 37 n. 38. 



188 


Dr. Uhlenhnth and Dr. Beniner. 


Versuchsthier erscheint. Da ein grosses, kräftiges Kaninchen 
etwa 40,0—50,0 ccm Serum liefert, so ist das in Anbetracht 
der geringen Menge Antiserum, die man für die Ausführung der 
Reaktion braucht, doch ein ganz erhebliches Quantum, mit dem man 
zahlreiche forensische Blutuntersuchungen erledigen kann. Auch 
verschiedene andere Gründe sprechen noch für die Verwendung 1 
des Kaninchens, so beispielsweise der Kostenpunkt, der bei der 
grosseren Anzahl von Versuchstieren, die man aus noch zu er¬ 
örternden Gründen zur Serumerzeugung stets braucht, Berück¬ 
sichtigung verdient. 

Da mit Hülfe der Reaktion Blut nachgewiesen werden soll, 
so erschien es von vornherein am rationellsten, möglichst das 
ganze Blut mit seinen sämmtlichen Bestandteilen zur Vor¬ 
behandlung der Kaninchen zu benutzen. Es wurde daher anfangs 
von Uhlenhuth überhaupt nur defibrinirtes Blut angewandt 
und vorgeschlagen. Nun war von Nolf 6 ) die Thatsache fest¬ 
gestellt, dass die spezifisch wirkenden Präzipitine nur durch das 
eingespritzte Serum, nicht aber durch Blutkörperchen erzeugt 
werden. Nach diesen Versuchen wären also die korpuskulären 
Elemente des Blutes für die Einspritzung völlig werthlos. Ander¬ 
seits ist es jedoch Leblanc 6 ) gelungen, durch Einspritzung von 
Blutkörperchen ein spezifisch wirkendes Antihämoglobin-Serum zu 
erzeugen. Wenn wir uns nun auch eines abschliessenden Urtheils, 
ob Blut oder Serum vorzuziehen ist, zur Zeit noch enthalten 
wollen, so viel steht jedenfalls fest, dass wir bei der Vorbehand¬ 
lung der Kaninchen mit dem einen oder anderen Material wahr¬ 
nehmbare Unterschiede bezüglich der Wirkung des Antiserums 
nicht beobachten konnten. Wir haben uns daher in letzter Zeit 
häufiger der Serumeinspritzungen bedient; nur, wenn uns 
wenig Blut zur Verfügung stand, haben wir zur völligen Aus¬ 
nutzung des Materials das ganze Blut in Anwendung gezogen. 
Das Serum hat vor dem defibrinirten Blut manche Vorzüge. Die 
Gewinnung ist einfacher, da die lästige Prozedur des Defibrinirens 
fortfällt, was beim menschlichen Blut, wenn es langsam fliesst, 
wegen der eintretenden Gerinnung ohne weitere Zusätze überhaupt 
kaum möglich ist; die Schwierigkeit des Defibrinirens zeigt sich 
auch ganz besonders bei dem sehr schnell gerinnenden Vogelblut. 
Abgesehen von der einfachen Gewinnung ist auch die Konser- 
virung grösserer Mengen als Vorrath für weitere Einspritzungen 
von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da man Serum — 
nicht aber das Blut — durch Berkefeld’sche Filter filtriren 
und auf diese Weise völlig steril erhalten kann. Ist Serum 
aber unter Beachtung aller Kautelen steril entnommen, so hält es 
sich auch ohne Filtration lange Zeit; die absolute Klarheit des¬ 
selben bietet dann ziemlich sichere Garantie für die Sterilität. 
Auch ist die intravenöse Einspritzung von Serum weniger ge¬ 
fährlich als die von Blut wegen der nach letzterem auftretenden 
Hämolysinbildung (Bordet). Exsudat oder Ascitesflüssigkeit ist 


') Annika de l’Inatitat Peatear, 1900. 

') Le Cellale, t XVTTI 2 et fesdeele, 81, Mei 1901. 



. Praktische Anleitung rar gerichtiirztlichen Blutuntersncbnng n. s. w. 180 

wegen ihrer geringen Wirksamkeit für die Vorbehandlung der Ka¬ 
ninchen nach Möglichkeit za vermeiden. 

Die Gewinnang des Menschen- und Thierblates 
erfolgt unter gewissen Vorsichtsmassregeln: 

Die Technik der Blutentnahme, wie sie in der hiesigen Universitäts- 
Fmnenkliaik T ) geübt wird, ist folgende: 8obsld der Kopl des Kindes im 
finaehneiden ist, werden unter dem Steiss bis zum Knie der Kreissenden 
sterile Tücher aasgebreitet Des Neugeborene wird auf diesen, nachdem die 
Hände des Geburtshelfers mit ausgekochten Gummihandschuhen versehen sind, 
ahgennbelt und das plasentare Ende der Nabelschnur komprimirt Nachdem 
der obere Band eines grossen sterilen Zylinderglases in der Flamme abgeglüht 
ist, wird die Nabelschnur vorsichtig hineingehingt und durch Druok aul den 
Uterus das in der Placenta befindliche Blut möglichst hervorgepresst. Nachdem 
auch das in der Nabelschnur noch befindliche Blut ausgedrückt ist, wird das 
Glas mit abgesengtem Wattebausch verschlossen. Von jeder Geburt gewinnt 
■an auf diese Weise 20,0—80,0 ccm Blut. 

Eine weitere, sehr zweckmässige Gewinnung des Blutes ist die mit dem 
Heurteloup’schen Schröpfapparat, wie er bei Augenkranken in der Schläfen- 
gegend angesetzt wird. Man gewinnt mit demselben ca. 15,0 ccm Blut. Die 
beste Ausbeute liefert der Aderlass; auch die Punktion der Vene ist eine gute 
und bequeme Art der Blutgewinnung. 

Auf die Gewinnung von Blut, wie sie unter den Verhältnissen der Geburt 
oder bei sonstigen therapeutischen Eingriffen stattfindet, wird man also haupt¬ 
sächlich angewiesen sein; denn Gesunde finden sich erfahrungsgemäss nur selten 
bereit, sich Blut absiehen zu lassen. Ueber die Verwendung von Leichenblut 
(Ziemke) für die Vorbehandlung der Thiere stehen uns praktische Erfah¬ 
rungen nicht zu Gebote, doch wird man sioh desselben, falls man es steril ge¬ 
winnen kann, mit Vortheil bedienen können. 

Die beste Methode für die Gewinnung von Blut der grösseren Thiere 
ist das Einstechen eines sterilen Troicarts in die Vena jugularis, nach¬ 
dem diese durch einen unterhalb der Einstichstelle um den Hals gelegten 
Strick zur Anschwellung gebracht ist; doch kann man auch sehr leicht hei 
der Schlachtung der Thiere steriles Blut gewinnen. Wir fangen das 
Blut, nachdem man das erste hat abfliessen lassen, unter Beachtung aseptischer 
Kautelen in grossen 600 ccm haltenden Zylinderglasen etwa 6,0 cm Durchmesser 
betragenden sterilisirten Glaszylindern auf. Nach dem Absetzenlassen des 
Serums wird dieses mit grossen 50 com haltenden sterilisirten Glaspipetten 
abgehoben und in sterile Beagensgläschen eingefüllt, welche dann im Eis¬ 
sehrank aufgehoben werden. Man erhält auf diese Weise 200—800 ocm Serum 
welches Quantum für eine grosse Anzahl von Einspritzungen ausreicht. Hat 
die Blutentnahme nicht völlig steril erfolgen können, so wird das Serum durch 
Berkefeld’sohe Filter filtrit. Bei Hühnern und Tauben, Gänsen u. s. w. 
schneidet man zweckmässig eine Flügelarterie an, nachdem man die Federn 
beseitigt und die Haut mit Alkohol und Aether gründlich gereinigt hat. Man 
lässt dann das Blut in ein steriles Gefäss einfliessen. Will man Blut zur Ein¬ 
spritzung verwenden, so defibrinirt man dasselbe durch Schütteln unmittelbar 
nach dem Auffangen in 200 com enthaltenden sterilen Erlenmeyer’aehen 
Kolben, in welchen man vorher Glasperlen oder ausgeglühten Eisendraht ein¬ 
gebracht hat. 

Nachdem man das Material zur Einspritzung gesammelt hat, 
wird mit der Vorbehandlung der Thiere begonnen. Da entsteht 
nun die Frage: „Wie soll man einspritzen, subkutan, 
intraperitoneal oder intravenös?“ 

Alle 3 Arten der Einspritzung sind versucht worden, von 
den einen ist die subkutane, von anderen die intraperitoneale 

7 ) Für die gütige Üeberlassnng von Menschenblut verfehlen wir nicht, 
such na dieser Stelle Herrn Prof. Martin sowie Herrn Dr. Dtttzmann 
unsera ergebensten Dank auszuspreehen. 



190 


Dr. Ublenhnth and Dr. Beoacr. 


oder auch die intravenöse Methode bevorzugt. Ueber die sub¬ 
kutane Methode der Einspritzungen stehen uns Erfahrungen 
nicht zu Gebote, doch scheint sie nach den Angaben der 
Autoren nicht wirksamer wie die übrigen zu sein. Wir haben 
uns bis vor kurzem fast ausschliesslich der intraperitonealen 
Methode bedient. Neuerdings wurde nun von Verschiedenen die 
intravenöse Methode der Einspritzung als ganz besonders 
wirksam hervorgehoben; man behauptete, dass man auf diese 
Weise am schnellsten ein hochwirksames Antiserum erzeugen 
könne. Wir haben nun diese Angaben an einer grossen Anzahl 
von Kaninchen nachgeprüft. Es wurden zur vergleichsweisen 
Prüfling der intravenösen und intraperitonealen Methode Kaninchen 
von demselben Alter, derselben Rasse, ja, wenn möglich, von dem¬ 
selben Wurf und Geschlecht genommen. Die Thiere erhielten 
alle dieselben Dosen von 2, 3, 4, 5 bis 10 ccm steigend, bald täglich, 
bald in Intervallen von 3, 4, 5 und 6 Tagen. Diese Kaninchen 
lieferten nun bald nach der Injektion von im Ganzen 15 ccm 
Serum ein sehr hochwerthiges Antiserum, bald lieferten sie erst 
nach 60 ccm, bald nach 120 ccm, bald überhaupt nicht und zwar 
lieferten bald die intravenös- bald die intraperitoneal behandelten 
bessere Sera. 

• Es war in diesen ad hoc an etwa 30 Kaninchen ange- 
stellten Versuchen nicht der geringste Vortheil der intra¬ 
venösen Methode bezüglich der Gewinnung eines hoch- 
werthigen Antiserums festzustellen. Es ist also, soweit wir 
bis jetzt urtheilen können, allein die Individualität des 
Thieres, welche bei der Gewinnung hochwerthiger Sera von 
ausschlaggebender Bedeutung ist; eine wenig erfreuliche That- 
sache, die ja auch bei den anderen Immunisirungsverfahren, wie 
z. B. bei der Gewinnung des Diphtherieserums eine grosse Rolle 
spielt. Es ist sehr bemerkenswerth, dass häufig selbst nach 
monatelang fortgesetzter Behandlung mit grossen Dosen (20 bis 
40 ccm pro dosi, im Ganzen 500 ccm intraperitoneal) überhaupt 
keine Präzipitinblildung beobachtet wurde. Manche Thiere lieferten 
nach wenigen Einspritzungen schwach wirksame Sera. Beim 
Versuch, diese Sera durch weitere auch intravenöse Behandlung 
mit den gleichen oder auch grösseren Dosen höher zu treiben, 
haben wir bisweilen einen totalen Rückgang und völligen Schwund 
der Präzipitine beobachtet, trotzdem die Thiere gesund und kräftig 
waren und an Gewicht Zunahmen. In solchen Fällen kann man 
an ein Erlahmen des Rezeptorenapparates denken. In einzelnen 
Fällen haben wir daher, nachdem die Thiere ca. 200 ccm Serum 
bekommen und keine Spur von Präzipitinen geliefert hatten, die¬ 
selben 4 Wochen ohne Einspritzung sitzen lassen und dann die 
Injektionen wieder aufgenommen. In einigen Fällen haben wir 
auf diese Weise nach 2 Einspritzungen von ca. 10 ccm wirksame 
Sera erhalten; das ist eine recht interessante und bemerkens- 
werthe Erscheinung. Genau dieselben individuellen Verhältnisse 
haben Uhlenhuth und Rostoski bei Versuchen zur Ge¬ 
winnung anderer präzipitirender Sera (Milch, Hühnereiweiss, Ei¬ 
dotter, Sperma u. s. w.) beobachtet. 



Praktische Anleitung snr gerichtsintlieben Blutuntcrzuchung n. a. w. 191 

Als Modus für die Injektionen empfehlen wir nach 
unserer Erfahrung für die intraperitoneale alle 4—5 Tage 10 
bis 20 ccm Serum oder defibrinirtes Blut, für die intravenöse In¬ 
jektion 5—10 ccm. 

Die intraperitoneale Injektion wird in folgender Weise vor- 
genommen: Ein Gehilfe amfasst mit seiner linken Hand die beiden Hinterbeine 
de* Kaninchens, hält dieselben nach oben, während die rechte Hand beide Vorder¬ 
beine umfasst und sie nach abwärts hält, sodass der Kopf des Thieres senkrecht 
nach unten sieht. Auf diese Weise wird erreicht, das die Gedärme möglichst 
in die obere Hälfte der Bauchhöhle hineinfallen. Die Bauchfläche des senkrecht 
gehaltenen Thieres wird demjenigen, der die Injektion ausftthrt, zugewandt. 
Dieser wählt als Stelle der Einspritzung die Unterbaucbgegend, entfernt dort 
Termittelst einer 3cheere die Haare, schneidet mit ausgeglflhter Scheere die 
tu Falte erhobene Oberhaut durch, sodass an einer etwa erbsengroesen Stelle 
die Muskulatur freiliegt. Mit einer stumpfen Kanflle wird nunmehr die 
Bauchwand vorsichtig dorchstossen, die Spritze aufgesetzt und die Injektiona- 
maase eingespritst. Nach heraussiehen der Nadel wird die kleine Wunde mit 
Kollodium- Wattebausch verschlossen. 

Die intravenöse Einspritzung erfolgt in bekannter Weise durch Ein¬ 
führung der Kanflle in die Ohrvene, wobei zu beachten ist, dass keine Luft in 
die Vene hineingelangt. Nach Heraussiehen der Kanflle wird die etwa anf- 
tretende Blutung gestillt durch Kompression mit dem Fingernagel bezw. duroh 
etwas angedrttckte Watte. Hin und wieder ist die Nachblutung so erheblich, 
dass eine Umstechung des Gefässes nothwendig ist. Während nach der intra¬ 
peritonealen Injektion Krankheitserscheinungen fast gänzlich fehlen, sieht 
man nach der intravenösen Einspritzung Zeichen, die auf ein mehr oder minder 
schweres Kranksein hindeuten. Am häufigsten sind schwere Dyspnoe vorhanden, 
lähmungsartige Schwäche, Durchfälle und unwillkttrliches Entleeren von Urin. 
Unter diesen Erscheinungen können je nach der Herkunft des Serums die 
Thiere sofort oder nach einigen Stunden verenden. Im wesentlichen hängt 
dieses Krankheitsbild bezw. der Tod ab von der hämolytischen Wirkung des 
Blutserums und in dieser Beziehung ist am wenigsten gefährlich Pferd und 
Bselserum; die flbrigen Serumarten sind von eingreifender Wirkung und daher 
vorsichtiger zu verwenden. Luftembolie muss natürlich auf’s sorgfältigste ver¬ 
mieden werden. (S. auch Uhlenhuth, zur Kenntniss der giftigen Eigenschaften 
des Blutserums, Zeitschrift fflr Hygiene 1897, Bd.26, sowie Uhlenhuth und 
Moxter: Ueber Veränderungen der Ganglienzellen bei experimenteller Ver¬ 
giftung mit Rinder und Menschenblutserum. Fortschritte der Medizin, Bd. 
XVL, 1898, Nr. lü). 

Es ist nothwendig, mit jeder Blntart 5—6 Thiere gleich¬ 
zeitig zu behandeln. 

So kommt es, dass die Gewinnung der Sera die Geduld ganz 
erheblich in Anspruch nimmt, denn aus den erörterten Gründen 
kann man bisweilen recht viele Thiere noch so sorgsam vorbe¬ 
handeln, ohne ein brauchbares Serum zu gewinnen. Daraus er¬ 
klären sich auch zum Theil die äusserst zahlreichen, an das 
hygienische Institut gerichteten Nachfragen nach Serum. 

Um nun festzustellen, wann die Kaninchen ein fflr die Praxis 
brauchbares Serum liefern, ist es nothwendig, in gewissen Inter¬ 
vallen das Blut dieser Thiere auf seinen Präzipitingehalt zu 
untersuchen. Wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, tritt dieser 
Zeitpunkt bei den einen früher, bei den anderen später oder g&r- 
nicht ein. Es ist zweckmässig, von der dritten Injektion an eine 
Probeblutentnahme vorzunehmen, und zwar musB diese in dem 
Augenblick stattflnden, in welchem der Thierkörper auf dem Höhe¬ 
punkt der Präzipitinbildung steht. Dieser ist 5—6 Tage nach der 
letzten Einspritzung erreicht; nach 8—14 Tagen zeigt sich das 



194 


Dr. Roepk«. 


Entleeren des Sputums aus den Spuckbecheru und Taschenspuck¬ 
flaschen und die Reinigung derselben in bequemer, ästhetisch ein¬ 
wandsfreier Weise ermöglichen. Jeden Morgen, noch bevor die 
Patienten aufzustehen pflegen, wird dann von dem Desinfektor 
(gleichzeitig Heizer) der Heilstätte das am vorhergehenden Tage 
gesammelte Sputum aus dem Sammelbassin direkt in das Eloset 
entleert und letzteres tüchtig nachgespült, eine Prozedur, die bei 
dem nur wenige Meter betragenden Transport innerhalb desselben 
Raumes und der mit beweglich aufklappbaren Sitzen versehenen 
Klosetanlage im Augenblick geschehen ist und eine Verstreuung 
von infektiösem Material so gut wie sicher ausschliesst. Als 
Flüssigkeit zum Aus- und Durchspfllen der Spuckutensilien wurde 
bisher eine l°/ooiff e Sublimatlösung benutzt, und zwar lediglich 
aus dem Grunde, um die Wirkung etwaiger Fäulnisserreger in 
den Fläschchen hintanzuhalten; in die als Sputum-Sammelbassins 
dienenden Porzellan-Standgefässe, welche mit zwei bequem und 
sicher anzufassenden runden Porzellangriffen versehen sind, kam 
eine starke Sodalösung (s. die nebenstehende Zeichnung). 

Die freie Verfügung der Kranken über eine stark giftig 
wirkende Sublimatlösung kann bedenklich erscheinen; thatsächlich 
ist aber bei dem Naturell der grenzenlos optimistischen Lungen¬ 
kranken im Allgemeinen und bei der Psyche unserer freiwillig in 
die Heilstätte eingetretenen Patienten im Besonderen ein Miss¬ 
brauch kaum zu erwarten. Anders liegen die Verhältnisse aller¬ 
dings ausserhalb der geschlossenen Anstalt. Begründeter ist der 
zweite Einwand, dass durch die Sublimatsodalösung trotz viel- 
stündigen Einwirkens die Tuberkelbazillen im geballten Sputum 
nicht abgetödtet werden, dass dieselben vielmehr — nach den Fest¬ 
stellungen von Musehold — auch in den Abwässern noch eine 
Anzahl von Monaten hindurch trotz aller Schädlichkeiten infektions¬ 
tüchtig bleiben. Letzteres Bedenke^ hat indess bei den örtlichen 
Boden- und Lageverhältnissen der hiesigen Heilstätten und ihrer 
Abwässer- und Fäkalien-Ableitung, die 300 m von den Anstalts¬ 
gebäuden entfernt mitten im Walde 1,50 m tief unter Terrain 
endigt, keine praktische Bedeutung. Immerhin ist aber unsere 
Sputumvernichtungsanlage bisher eben wegen der Giftigkeit des 
Sublimats und der erhalten bleibenden Infektiosität des Sputums 
keine ideale gewesen, so tadellos sich auch ihre Benutzung 
durch die Kranken bewährte, so ansprechend und sauber sie stets 
aussah, und so sehr sie auch den Forderungen der Disziplin für 
die Anstalt und der Erziehung fttr’s Leben entsprach. 

Diese Umstände, die der Herausgeber der Zeitschrift und der 
frühere Chefarzt der Heilstätte, Dr. v. Scheibner, bestätigen 
können, veranlassten mich schon vor Jahresfrist, sobald Labora¬ 
torium und Meerschweinchenställe hergestellt waren, experimentell 
nach einem Desinfiziens zu forschen, welches die Tuberkelbazillen 
im Sputum innerhalb einer bestimmten Zeit sicher abtödtet. Ge¬ 
lang es, ein derartig wirkendes, im Gegensatz zum Sublimat)un¬ 
gefährliches, ferner geruchfreies bezw. angenehm riechendes und 
billiges Präparat zu finden, so wurde unsere Einrichtung zur 



Zar BaMitigaag ui Deatafaktioa dea Spatam«. 





























































196 


Dr. Roepk«. 


Sfmtambeseitigiing vom sanitätspolizeilichen wie hygienischen 
Standpunkte aas für alle Verhftltniss bequem und praktisch 
durchführbar. Ein derartiges Desinfektionsmittel würde sich ferner 
zar Füllung der Flur- und Zimmerspacknäpfe und aller sonstigen 
zur Sputum&ufnahme bestimmten Gerfithe eignen, denn dadurch 
wäre nicht nur die Reinigung dieser Utensilien für das Personal 
gefahrlos gestaltet, sondern anch die Entleerung des desinfizirten 
Inhalts in die Abortgruben, selbst in die Ausgussbecken für die 
Allgemeinheit durchaus unbedenklich. 

In meiner Absicht wurde ich durch die Beobachtung bestärkt, 
dass die Nachahmung unserer Anlage seitens einiger grösserer Kur¬ 
pensionen des Bades Lippspringe von den Kurgästen mit Freuden 
anigenommen und gern und bereitwilligst benutzt wurde. Als 
Spülflüssigkeit diente hier eine starke Sodalösung, das gesammlte 
Sputum wurde in den Abort geschüttet. Dass in den Senkgruben 
die Tuberkelbazillen unter der Einwirkung von Fäulnissorganismen 
bald überwuchert und autgezehrt werden, kann wohl keinem Zweifel 
unterliegen, zumal es sich bei der immerhin beschränkten Anzahl 
toh Kranken in solchen Pensionen nicht um so grosse Mengen 
von Lungenauswurf handelt wie etwa in den Heilstätten. Eine 
weitere, sicher konstatirte Folge jener Einrichtung war, dass die 
Patienten, die bisher in das Taschentuch oder achtlos auf den 
Boden gespuckt hatten, ihre Spuckfläschchen jetzt aus dem Ver¬ 
steck hervorholten und benutzten, nachdem ihnen eine günstige 
Gelegenheit zur Reinigung der Spuckgefässe geboten war. Diese 
Thatsache ist sehr bezeichnend und entspricht ganz den täglichen 
Heilstättenerfahrungen: Die weitaus meisten Lungenkranken, ab¬ 
gesehen von ganz indolenten und jeglichen Sinnes und Gefühles 
für Reinlichkeit baren Individuen, werden schon aus Eigenliebe 
und Selbsterhaltungstrieb in der Behandlung ihres Auswurfs vor¬ 
sichtig und sorgsam. Wenn wir leider noch viel zu häufig im 
Freien und unter Dach auf achtlos ausgeworfene Sputa stossen, 
so liegt das m. E. eigentlich weniger an den Kranken selbst, als 
an äusseren Einflüssen, vor Allem an dem Vorurtheil des 
Publikums — des gesunden noch viel mehr als des kranken — 
gegen den Gebrauch der Spuckflasche und an der 
mangelnden Gelegenheit zu ihrer Entleerung und 
Reinigung. Wir wollen uns nicht verhehlen, dass wir im 
Kampfe gegen die Tuberkulose als Volkskrankheit gegen Wind- 
mühlenflügel kämpfen, so lange die Allgemeinheit in übertriebener, 
geradezu verletzender Scheu jeden die Spuckflasche benutzenden 
Mitmenschen meidet und isolirt. Die Beobachtung, dass Lehre¬ 
rinnen, Gymnasiasten, Studenten und die in geschlossenen Räumen 
sich bestätigenden besseren Stände so auffallend viel häufi¬ 
ger zu der Tuberkulose der Lunge noch eine solche des Darmes 
hinzubekommen, als Arbeiter, Handwerker und die im Freien be¬ 
schäftigten Leute, ist mir ein Beweis für die traurigen Folgen 
jenes Verhaltens: Letztere spucken überall aus, wo sie gerade 
•feehen und gehen, entere schlucken den Auswurf krampfhaft 
'runter, weil in ihren Gesellschaftskreisen eine übelverstandene 



Zu Beseitigung ud Desinfektion des Spntams. 


197 


Aesthetik über varnunftgemässe Hygiene trinmphirt und auch den 
diskretesten Gebrauch der Spuckflasche verpönt und mit Aechtung 
bestraft. In den weitesten Volkskreisen findet man auch heute 
noch nichts dabei, wenn Jemand rechts und links um sich spuckt, 
wenn er nur nicht das gefürchtete blaue Fläschchen aus der 
Tasche zieht. Und selbst diejenigen, die durch solchen Unver¬ 
stand unbeeinflusst, die Spuckflasche bei der Arbeit und auf Reisen 
benutzen wollten, wo finden sie ausserhalb ihres Hauses die Ge¬ 
legenheit, die Flasche zu entleeren nnd sauber zu machen? Darum 
ist es nicht minder wichtig, überall dort, wo viele Menschen Zu¬ 
sammenleben, Zusammenkommen und passiren — in Fabriken und 
Werkstätten, Mieths- und Geschäftshäusern, Hotels und Wirth- 
achaften, Bahnhöfen und Zügen, Amts- und Verwaltungsgebäuden, 
Schulen und Krankenhäusern —, überall Vorrichtungen zu 
treffen, die leicht erreichbar und bequem benutzbar 
die Entleerung und Reinigung der Taschenspuck¬ 
flaschen ermöglichen. Das eine Moment fördert und bedingt 
das andere, beide aber sollten als die gegen die mächtigste Quelle 
der Schwindsucht gerichteten und darum aussichtsvollsten prophy¬ 
laktischen Massnahmen mehr als bisher in den Vordergrund prak¬ 
tischer Tuberkulosebekämpfung treten! 

Inwieweit das Reichsgesetz, betr. die Bekämpfung gemein¬ 
gefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900 gestatten wird, 
durch sanitätspolizeiliche Verordnungen das Ausspucken auf 
Strassen, in öffentlichen Gebäuden, in Strassenbahnwagen etc. bei 
Strafandrohung zu untersagen, hängt von den Ausführungs¬ 
bestimmungen zu diesem Gesetze ab. Doch glaube ich nicht, dass 
in Deutschland für die grossen Städte und Industriezentren, die 
bekanntlich das grösste Kontingent an Phthisikern stellen, Spuck¬ 
verbote durchführbar sind, wie es in Amerika anscheinend mit 
grossem Erfolge bereits geschehen ist. Gerade an diesen Orten 
Hessen sich aber von Seiten der Kommune innerhalb der auf 
freien Plätzen, an Promenaden und in Anlagen bereits bestehenden 
Pissoirs und Bedürfhissanstalten ohne grossen Kostenaufwand 
Sputumbe8eitigungs - Einrichtungen installiren. Wieviel Sputa 
würden hier ungesehen aus der Spuckflasche verschwinden, die 
jetzt auf offener Strasse anekeln, zertreten und an Stiefeln 
und Kleidern mit ins Haus und in die Wohnung getragen werden— 
wahrscheinlich zum grössten Schaden, als beste Infektionsquelle 
für die am Boden spielenden Kleinen. 

Vor Allem ist es dringend nothwendig und auch gesetzlich 
zulässig, die Assanirung der Sommerfrischen und Kur¬ 
orte nach dieser Richtung hin von Polizei wegen zu verlangen. 
Ich will es mir versagen, auf meine vorjährigen Lippspringer Be¬ 
obachtungen in puncto Sputumbeseitigung zurückzugreifen, ver¬ 
weise aber auf die neulichen Verhandlungen in der Versammlung 
der Medizinalbeamten des Regierungsbezirks Hildesheim (konf- 
Bericht in der Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1902, Nr. 24). 
Peccatur intra muros et extra muros! Die hier von den Referenten 
gemachten Vorschläge zur Abwehr der Gefahr, welche der freie 



198 


Dr. Roepke. 


und unbeaufsichtigte Verkehr von Lungenkranken in den Gast¬ 
höfen und Privathäusern der Harzknrorte für die öffentliche Ge¬ 
sundheit verursacht, müssen als durchführbar auch für alle anderen 
Sommerfrischen und Kurorte, als dringend nothwendig für die 
Lungenkurorte anerkannt werden, ln letzteren strömen ja gerade 
während der Hauptsaison ausser dem grossen Heer der Tuber¬ 
kulösen eine Menge Bronchitiker, Bronchiektatiker, Emphyse- 
matiker und Asthmatiker mit anomalen, widerstandsschwachen, für 
die Tuberkulose-Infektion disponirten Athmungsorganen zusammen. 
Diese müssen geschützt werden, und dies geschieht keineswegs 
ausreichend durch die wenig geschmackvolle Aufstellung von 
einigen Spucktöpfen längs der Kurpromenaden, an der sich eine 
auf den eigenen Geldbeutel allzu sehr bedachte Kurverwaltung 
gern und meist genügen lässt. Die Lungentoilette wird von den 
Kranken auch schon auf dem Zimmer gemacht oder auf dem Wege 
7,um Brunnen vollendet, nicht erst auf der Promenade. Darum 
gehören in die Kurhäuser, Hotels, Pensionate, Hospize 
und Heime ausser Flur- und Zimmerspucknäpfen, auch noch 
Handspuckbecher und in die Taschen der Kranken die 
Spuckfläschchen. Darum tritt aber auch hier wieder als ein 
weiteres, ganz besonders gerechtfertigtes Postulat, die Schaffung 
von Sputumbeseitigungs-Einrichtungen innerhalb der 
einzelnen Häuser hervor. Und es bedarf wohl keiner weiteren 
Begründung, dass für diese Verhältnisse und Zwecke eigentlich 
nur eine ähnliche Einrichtung wie die oben skizzirte 
und die Desinfektion mittels Chemikalien in Frage 
kommen kann. 

Damit komme ich zu dem zweiten Theil des Themas, zu 
meinen experimentellen Untersuchungen, die sich auf die 
Prüfung folgender Chemikalien tuberkulösem Sputum gegenüber 
erstrecken: 1. Sublimat; 2. Bazillol (Franz Sand er-Hamburg); 
3. Chinosol (Franz Fritzsche-Hamburg); 4. Lysoform (cf. 5.); 
5. Karbollysoform (Lysoform-Gesellschaft, Berlin SW.); 6. Flüssige 
Formalinseife mit 10% und 25% Formalin-Schering (Theodor 
Hahn-Schwedt a. 0.) 

Was die Anordnung der einzelnen Versuche betrifft, 
so habe ich in allen Fällen das chemische Präparat in gewöhn¬ 
lichem Leitungswasser gelöst und volle 8 Stunden ohne Umrühten 
auf eitriges, charakteristisch geballtes, tuberkulöses Sputum ein¬ 
wirken lassen. Ich bemass die Einwirkungsdauer auf 8 Stunden, 
weil ich mir sagte, dass die Kranken nach 10 Uhr Abends 
schlafen zu gehen und vor 6 Uhr Morgens nicht aufzustehen 
pflegen, und somit das ungestörte Verbleiben des Sputums in der 
Flüssigkeit mindestens 8 Stunden betragen müsse. Auf 50 ccm 
desinfizirender Lösung wählte ich 2—3 von verschiedenen Patienten 
stammende Sputumballen, deren zahlreiche Tuberkelbazillen durch 
gleichzeitige Kontrolversuche als hoch virulent nachgewiesen 
wurden. Nach der Einwirkungszeit wurde das Sputum nachein¬ 
ander in 5 Gläschen mit sterilem Salzwasser gewaschen, um die 
anhaftende und eingezogene Desinfektionsflüseigkeit zu entfernen. 



Zu Beseitigung und Desinfektion dee Spntnma. 199 

Die schliesslich übrig bleibenden Sputumtheile wurden denn in 
sterili8irter physiologischer Kochsalzlösung möglichst vollständig 
aufgelöst and in annähernd gleicher Dosis (*/* ccm) meist anf je 
zwei Meerschweinchen intraperitoneal verimpft. In der zur In¬ 
jektion verwandten Aufschwemmung Hessen sich stets Tuberkel¬ 
bazillen nachweisen. Die Versuchsthiere wurden, falls sie nicht 
schon früher starben, nach ca. 7—10 Wochen getödtet. 

Zur besseren Uebersicht sind sämmtliche Versuche in drei 
Tabellen eingetragen. Aus Tabelle I ergiebt sich, dass alle 
Versuchsthiere mit Ausnahme der Nummern 12, 14, 17, 18 u. 19 
bei der Sektion mehr oder weniger vorgeschrittene Tuberkulosen 
zeigten. Nr. 14 und 19 starben schon 8 bezw. 6 Tage nach der 
Injektion; die zum Tode führenden Beizerscheinungen in der 
Bauchhöhle scheinen mir durch das Formalin bedingt, das dem 
Sputum auch nach dem Waschen noch anhaftete und durch den 
Geruch zu erkennen war. — Nr. 12 starb im Anschluss an einen 
Partus; Nr. 18 hatte bei der Sektion eine Pneumonie mit Leber¬ 
und Milzschwellungen, doch war in beiden Fällen — 65 bezw. 71 
Tage nach der Impfung — keine Tuberkulose zu konstatiren, 
auch hatten Gewichtsabnahmen nicht stattgefunden. Beide Fälle 
waren mit Sputum injizirt, auf welches eine 5 % ige Lysoform- 
lösung eingewirkt hatte. Dass dieselbe aber den Tuberkelbacillus 
im Sputum auch noch nicht sicher abtödtet, beweist Fall 13 mit 
seiner beginnenden Tuberkulose. In dem Falle 17 schliesslich, 
in welchem ein vorher mit 3 % igem Karbollysoform behandeltes 
Sputum verwendet war, deuten Fettschwund, Gewichtsabnahme 
und Drftsenschwellungen auf Tuberkulose hin, wenn auch zweifellose 
tuberkulöse Veränderungen an den inneren Organen nicht beob¬ 
achtet worden sind; die zur mikroskopischen Untersuchung her¬ 
ausgeschnittenen Drüsen sind aus Versehen leider beseitigt worden. 
Nr. 1, 2, 3 bestätigen die Beobachtungen von Fischer, Schill 
und anderen Autoren über die Unbrauchbarkeit des Sublimats 
schlechtweg, d. h. in neutraler wässeriger Lösung, zur Sputum¬ 
desinfektion. Nach meinen Versuchen steigert sich sogar mit 
der Konzentration der zur Desinfektion angewandten Lösung die 
Schwere der Infektion beim Versuchsthiere. Dies beruht offenbar 
darauf, dass die stärkere Sublimatlösung beim Zusammentreffen 
mit dem eiweissreichen Auswurf um so mehr umlösliches Queck- 
silberalbuminat bildet, welches wie ein fester Wall die inneren 
Sputumbestandtheile vor der Abtödtung schützt. Ein ähnliches 
Verhalten zeigte das Sputum bei der Behandlung mit Chinosol 
(Nr. 6 und 7); durch dasselbe wurden ebenfalls die einzelnen 
Ballen und Klümpchen in ihrer Formation nur noch fester und 
abgeschlossener. Demzufolge trat auch hier bei den Versuchs- 
thieren schon im Verlaufe der 4. Woche eine äusserst schwere 
Tuberkulose auf. 

Diese Eigentümlichkeit der Chinosollösung musste auffallen 
gegenüber der Wirkung des Bazillol, Lysoform und Karbollysoform, 
die das Sputum im Allgemeinen dünnflüssiger machten. Es 
lag nahe, hieraus auch den Grund für das verschiedene Des- 



200 


Dr. Boepke. 


infektionsvermögen der Lösungen herzuleiten, da unter sonst 
gleichen Verhältnissen selbstverständlich dasjenige Mittel am 
ehesten und intensivsten bakterientödtend wirken muss, welches 
mit den Krankheitserregern am innigsten in Berührung kommt. 
Im Gegensätze zum Chinosol hatten auch die prozentualiter gleich 
starken Lösungen des Bacillol, Lysoform und Karbollysoform eine 
zweifellos entwicklungshemmende — antiseptische — Wirkung 
auf die im Sputum eingeschlossenen Krankheitserreger: während 
die Thiere Nr. 6 und 7 (Chinosol) ebenso wie die Kontrollthiere 
gewöhnlich schon in der 3. bis 4. Woche an hochgradiger Tuber¬ 
kulose zu Grunde gingen, lebten die übrigen Versuchsthiere 
(Bazillol, Lysoform, Karbollysoform) 7—10 Wochen und länger, ehe 
sie der Infektion erlagen. Aus der schwach sauren Reaktion 
der Chinosollösung und der deutlich alkalischen Reaktion 
der Bazillol-, Lysoform- und Karbollysoform-Lösungen schloss ich 
weiter, dass Chemikalien mutatis mutandis um so ge¬ 
eigneter zur Sputumdesinfektion sein müssten, je al¬ 
kalischer sie sind, je mehr sie vermöge der Alkaleszens das 
Sputum für die Einwirkung ihrer desinfizirenden Kräfte lösen 
und zugänglicher machen. Der Augenschein bestätigte die Schluss¬ 
folgerung: jegliches Sputum wurde durch Zusatz von reiner Kali¬ 
lauge zusehends, längstens in einer Stunde vollständig verflüssigt; 
durch Kalilauge in 10- und 20facher Verdünnung wurde es in 
wenigen Stunden gelöst und selbst durch eine Lösung von 1 Kali¬ 
lauge auf 100 Wasser wandelte es sich innerhalb 8 Stunden zu 
einer zähen, leicht sulzigen Aufschwemmung um, die dem Aussehen 
nach gar nicht mehr an Sputum erinnerte. Auf der anderen 
Seite war zu beobachten, dass selbst in einer eben sauer rea- 
girenden Lösung die Sputumballen schrumpften und derber 
wurden, ohne dass trotz tagelangen Stehenlassens — auch nur 
ein Schleimpartikelchen sich dem umgebenden flüssigen Medium 
mittheilte. 



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ei 

Desinfektionsmittel. 

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0 

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Sektionsbefund. 


1 . 

1902 

24. HI. 

Sublimat 1 0 / 00 

2. 

1» 

» 3 # /o 0 

3 . 

V 

, 5°/^ 

4 . 

5. V. 

BasUlol l°/ 0 

5. 

1 b 

desgl. 

6 . 

B 

Chinosol 1 °/„ 

7. 

B 

desgl. 

8. 

b 

Lysoform l°/o 

9 . 

B 

desgl. 

10. 

17.VII. 

Lysoform 3 •/„ 

11. 

' B 

desgl. 

12. 1 

! 

B | 

Lysoform 5 # / 0 

13. 

B | 

desgl. 


Tabelle I. 
1902 ! 

23. IV.| 

14. IV. 

10. VI. 

25. VI. 

3. ml 
1. VI.! 

27. V.' 


1. VII.. 


1902 


30 
21 
17 
51 
59 
27 
22 
73 
57 
65 
65 

20. IX. 65 


|i7.vn. 

I20. IX. 

20. IX. 


66 (20. IX. 


Tuberkulose. 

Tuberkulose. 

Schwere Tuberkulose. 

Tuberkulose. 

Tuberkulose. 

| Schwere Tuberkulose. 

Tuberkulose. 

Tuberkulose. 

\ Beginnende Tnber- 
/ kulose. 

Partus. Keine Tuber¬ 
kulose. 

Beginnende Tuber¬ 
kulose. 






Zur Besoitigoag und Deaiafektion dea Sputum». 


201 


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Tabelle II. •• ■ 'Vv'--..- '•-. 

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äß,-; & IX, | Lift- Kalii cauatici & »/,- j : 4. Dt. t j 

23. i „ ! äöSgl ; 4. IX. i ! 

.32. K- • Lift. Kaili cauatici «%'(:4 iS. I 11 

23. JX >i j£ X dsigt. ::^.-m-CTX. !Xyi f$p 

Tabelk Hl, 

j Lyaotorni&ectu n. 

21. ;10, Xi.; Kal. caost. veo. Crom 
; I aal 100 ccm Waas«* 

25.X »: «ißagl. 

IvarbollyHOtcrttt 3 u. 

38 . 1 :' «■ ■ ; Lift. Kal. -caoat. *«i. $ 

: . ; auf 100 Wasser 

2?XX , ••-X-S'XX desgl. 

;' . : J : Sublimat 0,2 u. Lift. 

'X'vXKftl cȟM. 3 auf 
100 Waaaer 


Akute PeritOnius. 


X Ti fjai.'XJf. Nornml 

;V:d -« 


X 72 21; Xt| NöMflal (gtrarida). 

; • 

■\ 72 Kt I ÄOrtnal (whar pattu»). 


72 21. XI.: Normal. 
72 21. XI.! Normal. 


2y. „ i desgl 

Lyapfc^ai 1 a. Kal 
30. 24. Xl.f caüsfc *an. 1 auf 
100 Waauer 

IpB^I . 

33. : , 

34. : n 
36. 


72 ]21. IX.: Normal. 

-o }a°T INicht« sichere«. öe>- 
; .y ä v' ••; tr*. A - j wichtsabnahme. 


, -Ls Y1 . ., f 1 Blutung in’a Abdomen 

deagl. Sr». -U. 1 10. X. | (g Ia vjda). 

EarbollyBOfofß« l o. | ; 

Liq. Kal. eansi. vfin. 1 -i 53 18. £ ! Normal, 

auf 100 Wasser : ! 


ättblimat 0,1 0 . Lift. . ,f ; X ; 

Kal. caast- i aut I 53 

100 WaSHfit - : i 

" X‘ ■;.-; demgl- ■ t 


1Ä , i KeineTnberkalose. Ge- 
m i lb £ wiebtaatillstaucl. 


! 1908 iLyeofora I a. Lfei. Kal, 
36,1 20, t { c&OBt. ?en. 4 auf 


■:.. I 


- . 's .j .*, K.«rboWy«ofonn 1 a. 
Hfei:- „ y? Lift. Kal. eaost. ▼«». 8 
ani 100 Wasser 
39.; V/ X : desgl. 

j Sablimat 0,1 n. Lift. 
40.1 -, Kal. eaoat. 3 an! 

100 Wasaer 

41. , desgl. 


10G Wasser 


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16. I. i Noriäit... 

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.1903 

n. n. 

V Leben 
sämmtiicb 
ÖüBb. 

(21 Tage.) 


So 16. I; i NormaJ. ' ■ 

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' .vX V •; •- •.{■■>■ i;‘"yy: 


Sämmtliobe Thiere 
Täiml anscheinend töI- 
lig geanod und haben 
an Kürpetgewicbten- 
genonuneiL. 








Dr. Roepke. 


202 


Durch diese einfachen Versuche wurde wissenschaftlich 
erklärt, was bereits in der Praxis rein empirisch angewandt war: 
schon seit Jahren wusste man bei der Dampfdesinfektion das 
Dünnflüssigwerden des Sputums durch Zusatz von Soda zu 
fördern, und wir selbst hatten ja in den hiesigen Heilstätten 
gleich von Anfang an auf den Rath des Herausgebers dieser Zeit¬ 
schrift eine starke Sodalösung in die Sputum-Sammelbassins ge¬ 
schüttet, hier wie dort unbewusst und unbekümmert um den oben 
geklärten Zusammenhang. Neu ist also in meinen weiteren Unter¬ 
suchungen nur der Gedanke, die zur Sputumdesinfektion 
als unbedingt nothwendig erkannte Alkaleszens in 
genügender Konzentration zu schaffen und in das 
desinfizirende Medium hinein zu verlegen. 

Tabelle II verzeichnet — der Vollständigkeit halber — 
4 missglückte Versuche mit Sputum, welches vor der Injektion 
einer 8 stündigen Einwirkung von Kalilauge (5 :100 und 2 : 100 
Wasser) ausgesetzt war. Es war ausserordentlich schwierig, die 
verflüssigten, leicht gleitenden Sputumreste zu waschen, so dass 
wohl die tödtlichen akuten Peritonitiden auf die mitverimpfte Kali¬ 
lauge zurückzuführen sind. 

Das war im September v. J. Bevor ich an weitere Thier¬ 
versuche heranging, suchte ich festzustellen, in welcher al¬ 
kalischen Konzentration die einzelnen chemischen Präparate 
am schnellsten und gründlichsten ein massiges, kopiöses, geballtes 
Sputum lösten. Dabei wurde indess von Bazillol, Chinosol und der 
Formalinseife Abstand genommen. Ersteres schien wegen seines 
auch in schwacher Lösung noch unangenehmen Kresolgeruches zur 
Aus- und Darchspülung der Spuckutensilien nicht geeignet. Das 
Cbinosol wurde durch Kalilauge ausserordentlich stark trübe, fast 
käsig (ausgefälltes Oxychinolin) und dadurch gleichzeitig in seiner 
desinflzirenden Wirkung herabgesetzt. Die neutrale, flüssige 
Formalinseife verlangte einen stärkeren Kalilaugezusatz als Lyso- 
form und Karbollysoform, ohne bezüglich des verflüssigenden Effektes 
diesen gleichzukommen. Ich beschränkte mich daher auf die 
Prüfung des Lysoform, Karbollysoform und Sublimat 
und stellte zunächst fest, dass 1—5 % iges Lysoform, 1—3 % iges 
Karbollysoform un i 1—2°/ ?0 iges Sublimat, jedes bei gleichzeitigem 
Gehalt von 1—5 ccm Kalilauge auf 100 ccm Lösung, auf jeg¬ 
liches Sputum verflüssigend wirkten, und zwar je nach 
Beschaffenheit der Sputumballen schneller oder langsamer, meist 
schon in 1—4 Stunden bei ruhigem Stehenlassen. 

Ueber die im Anschluss hieran vorgenommenen Thierversuche 
berichtet Tabelle III. Die Nummern 24—29 beweisen im Gegen¬ 
satz zu den vorhergegangenen Versuchsreihen, dass Lysoform, 
Karbollysoform und Sublimat wohl im Stande sind, 
die Tuberkelbazillen im Sputum abzutödten, wenn 
durch das betr. alkalische Desinfiziens gleichzeitig die physi¬ 
kalischen Verhältnisse der Sputa günstiger für ihre Einwirkung 
gestaltet werden. Durch die folgenden Versuche 30—35 sollten 
die gleichen Chemikalien auf die unteren Grenzwerthe ihres Ab- 



Zur Beseitigung und Desinfektion des Sputums. 


303 


tödtungsvermögens hin geprüft werden. Sublimat (Nr. 34 u. 35) ist 
auch in 1 °/ (K iger, leicht alkalischer Lösung wirkungsvoll, während 68 
beim 1 ®/o tigen Lysoform (durch Nr. 30) und Karbollysoform (durch 
Nr. 38) zum wenigsten zweifelhaft bleibt, ob ihr bakterizider Einfluss 
auf tuberkulöses Sputum noch ausreichend ist. Die unsichere Wirkung 
konnte auch darauf beruhen, dass durch die schwache Alkaleszens 
der Lösung das Dünnflüssigwerden der Sputumballen sich ver¬ 
zögerte und dadurch die Einwirkungszeit der eigentlichen Deinfi- 
zientien eine zu kurze war. Zu diesem Zwecke stellte ich eine grosse 
Anzahl von Beobachtungen darüber an, bei welchem Kalilauge- 
Zusatz das 1 % ige Lysoform, 1 % ige Karbollysoform und 1 °/ 00 ige 
Sublimat am schnellsten das Sputum auf lösten. Es ergaben sich 
folgende Werthe für die einzelnen Präparate: Lysoform 1 -f- 
Kalilauge l ) 4 auf 100 Wasser, Karbollysoform 1 -f- Kalilauge*) 3 
auf 100 Wasser und Sublimat 0,1 -(- Kalilauge *) 3 auf 100 Wasser. 
Diesem Ergebniss entsprechend wurden die Versuche 36—41 an¬ 
gestellt. Heute, 3 Wochen nach der Impfung, hat es den An¬ 
schein, als ob so vorbehandeltes tuberkulöses Sputum 
seine Virulenz für Meerschweinchen eingebüsst hat, 
d. h. thatsächlich desinfizirt ist. 

Fassen wir das Resultat der Untersuchungen zu¬ 
sammen, so unterliegt es keinem Zweifel, dass — ganz 
allgemein ausgedrückt — Lysoform, Karbollysoform und 
Sublimat in stark alkalischer wässriger Lösung ab- 
tödtende Eigenschaften tuberkelbazillenhaltigem Spu¬ 
tum gegenüber besitzen und zwar voraussichtlich in 
einer Konzentration, welche ihre allgemeine Anwendung 
zur Sputumdesinfektion vom medizinischen und prak¬ 
tischen Standpunkte aus rechtfertigen kann. Bliebe das 
Sublimat wie bisher den Anstalten Vorbehalten, so hätten wir 
immerhin in einem stark alkalischen Lysoform und Karbollysoform 
ungefährliche, wohlriechende und billige Desinfektionslösungen für 
die Bedürfnisse des'praktischen Lebens. Letztere sind zwar in 
1 °/o iger Lösung nicht ganz klar, zeigen vielmehr bei Gebrauch 
von gewöhnlichem Leitungswasser bis zu 8 Härtegraden eine 
leicht opaleszirende Trübung, doch dieser Umstand hat für die 
beabsichtigte Anwendung, zur Spülung der Spuckutensilien und 
Füllung der Spucknäpfe zu dienen, gar keine Bedeutung. 

Es ist anzunehmen, dass es der Technik gelingen wird, das 
jetzige Lysoform und Karbollysoform auf eine wesentlich höhere 
alkalische Reaktion zu bringen, sei es auch unter Aenderung 
des Aggregatzustandes. Bezüglich des Karbollysoform glaube ich 
dies sicher, da ich dasselbe im Verhältniss von 1 : 4 Kalilauge 
im Reagensglase unter leichtem Erwärmen vollständig und klar 
lösen konnte; in der Kälte wurde das Gemisch zu einer fast 
weichen, schmierseifenähnlichen Masse, die indess für kaltes Wasser 
leicht löslich blieb. 

Weiteres möchte ich heute nicht ausführen. Ich bin mir 

') Lig. Kalii caturt. renal (34 •/,). 

*) Lig. Kali! eanet. (pharm. 15°/ 0 ). 



204 Die erste Berathung des preuss. Abgeordnetenhaases Uber die Gesetzentwürfe 


wohl bewusst, dass gerade bei den Desinfektionsyersnchen mit 
Chemikalien die Ergebnisse der Laboratorimversnche nnr mit 
Vorbehalt auf die Praxis übertragen werden dürfen. Ich bin 
daher bereits seit einiger Zeit damit beschäftigt, die einzelnen 
Untersuchongsergebnisse im grossen Heilstättenbetriebe auf 
ihre Richtigkeit hin zu prüfen und praktisch auszu- 
probiren. Dann erst will ich mit praktischen Vorschlägen 
zur Sputumbeseitigung und Sputumdesinfektion im Sinne meiner 
einleitenden Ausführungen hervortreten. 


Die erste Berathung des preussischen Abgeordnetenhauses 
über die Gesetzentwürfe betreff, die Gebühren der Me¬ 
dizinalbeamten und das preussische Ausführungsgesetz 
zu dem Reichsseuohengesetz. 

Die erste Berathung des Abgeordnetenhauses über die beiden 
Gesetzentwürfe (s. Nr. 4 der Zeitschrift, S. 132) hat auf Ersuchen 
des Kultusministers, der ihre Verabschiedung noch im Laufe der 
diesjährigen Session dringend wünscht, bereits in der Sitzung 
vom 16. Februar d. J. stattgefunden. Wir lassen zunächst die 
Verhandlungen auf Grund des stenographischen Berichtes folgen: 

A. Gesetzentwurf, betreffend die Gebühren der Medizinalbeamten. 

Abg. Dr. Ruegenberg (Zentr.): Bei den Verhandlungen in der Budgetkom- 
mission im vorigen Jahre wurde ein spezielles Eingehen auf die Vorlage abgelehnt, 
so lange nicht gewisse Unterlagen beschafft wären. Diese betrafen erstens den 
Nachweis, inwieweit sich die Stellung der Kreisärzte seit Erlass des Kreisarzt, 
gesetses geändert habe, nnd inwieweit sich das Einkommen der Kreisärzte an¬ 
amtlichen Verrichtungen geändert habe; zweitens verlangte man den Nachweis, 
dass daroh das neue Gebährengesets eine weitere Belastung der Gemeinden 
möglichst vermieden werde. Die Begierungskommissare haben darauf den Mit¬ 
gliedern der Kommission eine Erklärung Qbergeben, in welcher der Nachweis 
zu führen gesucht wird, dass im Wesentlichen eine Mehrbelastung der Ge¬ 
meinden nicht stattfinden werde; die Bestimmungen des preussischen Seuchen¬ 
gesetzes wttrden ebenfalls zeigen, dass die im Öffentlichen Interesse nothwendigen 
Kosten möglichst der Staatskasse zur Last gelegt werden sollten. 

Wie weit es gelangen ist, werden die weiteren Verhandlungen Aber den 
vorgelegten Entwurf ergeben. Der Gesetzentwurf hat bei den beamteten 
Aerzten im Allgemeinen eine Enttäuschung hervorgerufen; denn eine ganze 
Anzahl von Positionen sind noch unter diejenigen des Gesetzes vom 9. März 
1872 herabgedräckt worden, und dieses war nur eine Wiederholung der Medi- 
sinaltaze von 1815, so dass also danach noch unter die Sätze der Medizinal¬ 
taxe von 1815 bei einer ganzen Reihe von Positionen heruntergegangen ist. 
Die Medizinalbeamten sind der Ansicht, wenn der in der Einleitung der Be¬ 
gründung ausgesprochene Zweck des Gesetzes, die Unbilligkeiten zu beseitigen, 
die dadurch entstanden sind, dass den vermehrten Ansprüchen an die prakti¬ 
sche und wissenschaftliche Vorbildung und der vermehrten Arbeitsleistung nicht 
genügend Rechnung getragen worden ist, erreicht werden soll, dieses in der 
Festsetzung einer grossen Reihe von Positionen nicht zum Ausdruck gekommen 
sei. Sie begreifen ferner nicht, waram die Gebühren für geriohtsärztliahe Ver¬ 
richtungen niedriger bemessen werden sollen, als andere ärztliche Verrichtungen, 
und verweisen darauf, dass bei den ihnen gleichgestellten Kategorien von Be¬ 
amten, den Bauinspektoren und Gewerbeinspektoren, doch auch kein Unter¬ 
schied in der Vergütung für amtliche Verrichtungen gemacht werde. 8ie 
empfinden es ferner nicht als ganz würdig, dass der Medizinalbeamte, wenn er 
die bei vielen Positionen vorgesehene Minimaltaxe überschreitet, genau nach- 



betr. di« Gebühren der Medizinalbeamtcn and des preuis. Sencbengcsetz. 205 

weisen soll, warum das geschehen sei. Das ist eine sehr schwierige Aafgabe; 
denn die Grösse der Arbeitsleistung and das Interesse, welches der Beamte 
bei der Ausführung einer Amtshandlung dnrch seine Arbeit bewiesen hat, lässt 
sieh weder mit der Elle messen, noch Überhaupt sichtbar darstellen. 

Aber auch die nicht beamteten Aernte stehen dem Entwurf mit 
sehr getheilten Gefühlen gegenüber. Nach §. 10 sollen amtsärztliche Verrich¬ 
tungen, die durch sie ausgeführt werden, nach denselben Sätzen honorirt werden 
wie bei den beamteten Aerzten. Die offizielle Vertretung des ärztlichen 
Standes, der Ausschuss der preussischen Aerztekammern, hat sich im vorigen 
Jahre und in diesem Jahre in einer Petition an das hohe Haus gewandt, worin 
er aal die Ungerechtigkeit des §. 10 hinweist, die nach seiner Ansicht darin 
besteht, dass die Verhältnisse, die seit 1S72 geherrscht haben, wonach die 
Leistungen bei beamteten und nicht beamteten Aerzten gleiohmässig honorirt 
wurden, jetzt nicht mehr zutreffen, da die Kreisärzte sowohl durch eine be¬ 
deutende Erhöhung ihres Gehalts, als durch die Pensionsberechtigung gans 
anders und besser gestellt wären, während der Privatarzt vor wie nach ganz 
allein auf die Erträgnisse seiner Privatpraxis für seinen Lebensunterhalt und 
die Versorgung seiner Hinterbliebenen angewiesen sei. Es lässt sich nicht 
verkennen, dass diese Begründung Vieles für sich hat; hoffentlich wird ein 
Weg gefunden, der den Privatärzten den Kampf tun ihre Existenz, der ohnehin 
sehon schwer genug ist, nicht noch weiter erschwert. — Ebenso wie im Vorjahre 
wird auch in diesem wieder die Frage, wer soll der Zahlungsverpflichtete 
sein, eine Hauptrolle spielen. Aus diesem Grunde wird es nothwendig sein, die 
Vorlage wieder einer Kommission zu überweisen und zwar nicht einer be¬ 
sonderen, sondern derjenigen, der die Berathung des Seuchengesetzes obliegen 
wird, weil bei beiden derselbe Punkt einen Hauptgegenstand der Verhandlungen 
bilden wird: wer ist der ZahlungsverpflichteteP (Bravo0 

Minister der u. s. w. Medizinal-Angelegenheiten Dr. Stndt: M. H.I 
Der heute zur ersten Berathung stehende Entwurf eines Gesetzes über die 
Gebühren der Medizinalbeamten ist in diesen Bäumen kein Neuling. Es ist 
Ihnen bekannt, m. H., dass schon im Jahre 1901 und 1902 ein gleichlautender 
Gesetzentwurf diesem hohen Hause unterbreitet worden ist. Leider ist es 
beide Male nicht möglich gewesen, eine Verabschiedung des Gesetzes zu er¬ 
langen, einmal, weil in dem ersten Jahre die Kommission ihre Tagung kaum 
begonnen hatte, als der Schluss der Tagung des Landtages erfolgte, im Jahre 
1902 aus dem Grunde, weil die Kommission eine definitive Stellungnahme 
zu dem Gesetzentwurf noch nicht nehmen zu sollen glaubte, so lange nicht 
der in Aussicht gestellte Entwurf eines preussischen Ausführungsgesetzes an 
dem Reichsgesetze, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten 
vom 30. Juni 1900, vorliege. 

M. H., in diesem Jahre haben sich die Aussichten für das Zustande¬ 
kommen des Gesetzes insofern günstiger gestaltet, als erstens die Möglichkeit 
der ersten Berathung sehr früh eingetreten ist, zweitens auch die Voraus- 
setsungen, von denen seiner Zeit die Kommission bei der Fortsetzung ihrer 
Berathangen ausgegangen war, nämlich, dass noch mehr Material seitens der 
Staatsregierang geliefert würde, um bestimmt alle Anhaltspunkte für die Be- 
urtheilang der Vorlage zu gewinnen, inzwioohen eingetreten sind, wie die 
Herren sieh aus der Lektüre der beiden heute vorliegenden Gesetzentwürfe 
überzeugt haben werden. 

Was nun die Nothwendigkeit einer gesetzlichen Regelung dieses Ge- 
bflhrengesetzes anbetrifft, so besteht ja wohl namentlich in den betheiligten 
Kreisen kein Zweifel darüber, dam der Weg der Gesetzgebung erforderlich 
ist, um die Unklarheiten, die aus dem bisherigen Gebührengesetze von 1892 
sieh im Laufe der Zeit entwickelt haben, einerseits zu beseitigen, dann um 
die ganze Materie, nachdem das Institut der Kreisärzte eingeführt worden ist, 
überhaupt einheitlich und dem gegenwärtigen Stande der Gesetzgebung, sowie 
dea thatsächlichen Verhältnissen entsprechend za ordnen. Endlich aber aus 
dem Grunde, weil widersprechende Entscheidungen der höchsten Gerichtshöfe, 
des Reichsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts, ein gesetzgeberisches 
Eingreifen nothwendig machten. 

Der Herr Vorredner und auch die vorjährigen Herren Redner haben ja 
zach die Bedflrfhissfrage als eine zweifellose anerkannt, und in der Begrün¬ 
dung ist das näher ausgeführt. 



206 Die erste Berathang des preass. Abgeordnetenhauses Uber die Gesetzentwürfe 

M. H., ich darf mir wohl gestatten, einige Bedenken, die im vorigen 
Jahre namentlich in der KommisBionsberathung gegen den Entwarf geltend 
gemacht worden sind, körn vorwegzunehmen. 

Es ist die Befürchtung ausgesprochen worden, als ob dieser Gesetzent¬ 
wurf eine stärkere Belastung der Gemeinden herbeiführen würde. loh glaube 
diese Befürchtung als nicht begründet bezeichnen zu können. Es ist damals 
auoh gefordert worden eine statistische Nachweisung über die den Kreisärzten 
zustehenden (Jebühreneinnahmen. Eine solche Naehweisung ist inzwischen ge¬ 
fertigt, und sie wird Ihnen, glaube ich, den nöthigen Anhaltspunkt bieten 
dafür, dass die seitens der Kommission seinerzeit geltend gemachten Bedenken 
nicht zutreffen. Es wird Bich das bei den bevorstehenden Kommissionsbe¬ 
rathungen schon näher darlegen lassen. Ich erlaube mir aber, was die Be¬ 
lastung der Gemeinden als solche betrifft, besonders darauf zu verweisen, dass, 
wenn der Entwarf des preussisohen Ausführungsgesetzes zu dem sogenannten 
Beichsseuchengesetz in Kraft treten sollte, in dem §. 26 des Ihnen vorliegenden 
Gesetzes eine erhebliche Erleichterung der Gemeinden in Bezug auf die Kosten¬ 
tragung gegenüber dem durch das Regulativ von 1886 zur Zeit noch gesetzlich 
festgelegten Zustand eintreten wird. Also auch in der Beziehung erscheinen 
die gehegten Befürchtungen gegenstandslos. 

Im Uebrigen gestatte ich mir, Namens der Königlichen Staateregierung 
den dringenden Wunsch auszudrücken, dass seitens der Kommission Alles ge¬ 
schehe, um diesen Gesetzentwurf und auoh den heute zur Berathang stehenden 
auch wirklich zum Abschluss zu bringen. Es handelt sich um zwei wichtige 
Glieder in der Kette derjenigen gesetzgeberischen Massnahmen, die das sog. 
Medizinalreformwerk eingeleitet haben, und zu einem gedeihlichen Abschluss 
zu bringen bestimmt sind. Es erscheint hier nicht angängig, dass alte und 
zweifelhafte gesetzliche Bestimmungen noch in diesem Zustand mit hinttber- 
genommen werden. Wir würden allmählich in einem cireulus vitiosns hinein- 
gerathen, aus dem herauszukommen nicht blos im Interesse der Königlichen 
Staatsregierung, sondern auch, wie ich glaube, des wesentlich betheiligten ärzt¬ 
lichen Standes und des gesammten Landes liegt. 

Abg. Dr. Hahn (Bd. d. Landw.) erklärt sich im Allgemeinen mit dem Ent¬ 
wurf einverstanden und glaubt, dass er die hauptsächlichsten der berechtigten 
Wünsche der Aerzte erfüllt. Er hält es jedoch für nOthig, die Zahl der Medi¬ 
zinalbeamten zu vermehren. Namentlich seien in der Provinz Hannover 
Kreise zusammengelegt und zu Bezirken für die Thätigkeit einzelner Medi¬ 
zinalbeamten vereinigt, die man nicht hätte Zusammenlegen sollen, z. B. den 
Kreis Lehe mit dem Kreis Hadeln, die beiden Kreise Kehdingen und Nenbaus. 
Mit Bücksicht auf die dadurch entstandenen weiten Entfernungen empfiehlt es 
sich für die Kreise Kehdingen und Lehe je einen Kreisarzt ansustellen und die 
Kreise Hadeln und Neuhaus zusammenzulegen. Bedner giebt sodann dem weiteren 
Wunsche Ausdruck, nicht etwa aus der Fremde einen Herrn zu berufen, um 
ihm die Funktionen des Physikus in einem der neuen Kreise zu übertragen, 
sondern einen der dort angesessenen Aerzte heranzuziehen, der die nOthigen 
Erfahrungen besitzt. Gerade in den Marschen an der Küste müsse der Arzt 
erst eine ganze Beihe von Erfahrungen gesammelt haben, bevor er erfolgreich 
praktiziren kann. In noch viel höherem Masse gelte das von dem beamteten 
Arzte, der vor allen Dingen im Falle der Einschleppung von Krankheiten durch 
den Schiffsverkehr, für den Fall von Verbreitung von Seuchen, wie die Cholera, 
über eine Fülle von Erfahrungen und lokalen Kenntnissen verfügen müsse. Er 
müsse vor allen Dingen die klimatischen Verhältnisse und die Trinkwasserver¬ 
hältnisse genau kennen. In dieser Beziehung gebe es für einen beamteten 
Arzt noch ausserordentlich viel zu thun. Erfolgreich können aber dessen 
Funktionen nur ausgeübt werden von einem Manne, der Land und Leute und 
der die Verhältnisse kennt. 

Ministerialdirektor Dr. Förster giebt in Bezug auf die Wünsche des 
Herrn Vorredners die Erklärung ab, dass der Herr Minister gern bereit ist 
diesen Anregungen näher zu treten, insbesondere auch in Bezug auf die ander¬ 
weitige Abgrenzung der Bezirke in der Provinz Hannover. 

Abg. Gamp (freikons.) erkennt das Bedürfnis des vorliegenden Gesetzes an, 
legt aber Werth darauf, dass die Gebühren nicht durch Verordnung des 
Ministers, sondern durch Gesetz festgelegt werden. Man kOnne der Regierung 
so weitgehende Befugnisse nicht einräumen, da durch die Gebühren in sehr 



b«tr. die Gebühren der Mediuoalbeamten and das preuss. äeuchengesetz 207 


erheblicher Weise die Gemeinden belastet werden. Der Qesetsentwnrf liest 
ausserdem nach wie vor Zweifel, wer die Kosten tragen soll, bestehen; diese 
Zweitel, die sich im Wesentlichen daran! besiehen, ob es sich am landespolizei¬ 
liehe oder ortspoliseiliche Massnahmen bandelt, werden noch durch das Senchen- 
gesetz in erheblichster Weise ausgedehnt. Bei den gemeingefährlichen Krank¬ 
heiten handelt es sich undedingt nm landespolizeiliche Angelegenheiten, denn 
die Wirkung der zur Bekämpfung der Krankheiten nothwendigen Massnahmen 
gehen über den Kreis der lokalen Interessen hinaus; demgemäss sind alle diese 
Kosten unter allen Umständen vom Staat allein zu übernehmen. Es ist auch 
unbillig, dass, wenn die Kosten im Wesentlichen als ortspolizeiliche angesehen 
werden, diejenigen Städte, die Königliche Polizei haben, sowie diejenigen 
Landestheile, in denen die ortspoliseilichen Kosten vom Staate getragen werden, 
durch dieses Gesetz bevorzugt und nicht belastet werden sollen, sondern die 
Belastung nur diejenigen Landes theile trifft, in denen die ortspoliseilichen 
Kosten von den Gemeinden zu tragen Bind. Das Abgeordnetenhaus habe alle 
Ursache, sehr vorsichtig vorzugehen. Bedner will zugeben, dass viele beamtete 
Aerzte ihre Aufgabe so aufgefaast haben, dass man mit ihrer Wirksamkeit 
durchaas zufrieden sein und ihnen keine Vorwürfe machen kann. Einzelne 
beamtete Aerzte haben aber von den Gemeinden kostspielige Einrichtungen 
verlangt, z. B. Desinfektionsapparate, Beförderungsmittel für Kranke oder Ge¬ 
storbene, Leichenräume u. s. w. Wenn jetzt schon die beamteten Aerste so 
weitgehende Forderungen an die Gemeinden stellen, so ist dies ein Beweis 
dafür, dass man recht vorsichtig sein und sich bemühen muss, möglichst genau 
zu fixiren, was den Gemeinden und den Einzelnen zur Last fällt. Auch müsste 
in das Gesetz die Bestimmung aufgenommen werden, dass in allen Fällen, wo 
der beamtete Arzt auf Staatskosten zu reisen genOthigt ist und nebenbei noch 
Privatintero8sen oder Interessen der Gemeinden fördert oder unterstütst, nur 
der Staat als der einzig Leidtragende anzusehen ist, und ihm nur allein die 
Kosten zur Last zu legen Bind. Desgleichen sollte durch Instruktion ange¬ 
ordnet werden, dass, wenn ein beamteter Arzt im Interesse des Staates Dienst¬ 
reisen macht, er gleichzeitig die Verpflichtung hat, sich den Örtlichen und 
Privatinteressen, soweit sie in seinen Geschäftsbereich fallen, zu widmen, damit 
nicht besondere Kosten den Gemeinden durch besondere Beisen entstehen. 
Schliesslich empfiehlt Bedner ebenfalls, das Gesetz in Verbindung mit dem 
Seuchengesets einer Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen, hält es 
jedoch für zweckmässig, wenn zunächst mit der Berathung des Seuchengesetses 
in der Kommission begonnen und dann erst das Gebührengesetz iurohbe- 
rathen wird. 

Minister der u. s. w. Medizinal-Angelegenheiten Dr. Studt: M. H.t Ich 
habe mir schon bei meinen vorigen Ausführungen gestattet, hervorsuheben, 
dass die einzelnen Zweifelspunkte in der Kommission, die von ihnen voraus¬ 
sichtlich eingesetzt werden wird, einer genauen Erörterung zu unterziehen 
sein werden. 

Ich wollte mich nur gegen die ersten Ausführungen des Herrn Vor¬ 
redners verwahren, die bei der geehrten Versammlung den Eindruck erwecken 
konnten, als ob diese in Aussicht genommene Vorschrift, wonach die Gebübren- 
festsetzuug durch die Zentralinstanz, also durch den Medizinalminister erfolgen 
soll, ein ganz singuläres und ungewöhnliches Vorgehen in der Gesetzgebung 
bedeutet. Das ist absolut nicht der Fall. Ich kann in der Beziehung allein 
auf 9 legislative Vorgänge verweisen, die in genau derselben Weise geregelt 
werden. Das sind: 1) die jährliche Festsetzung der Arzneitaxe, 2) die Ge¬ 
bührenordnung für approbirte Aerzte, die ausdrücklich durch die Beichsgewerbe- 
ordnong in die Hände der Zentralinstanz gelegt ist, 8) die §§. 76 und 77 der 
Beichsgewerbeordnung, welche die Ermächtigung der Örtlichen Polizei bezw. 
sogar der unteren Verwaltungsbehörden enthalten, für eine Beihe von Gewerben 
Taxen festzusetzen, 4) die Gebühren der Hebammen und Heildiener werden 
durch den Begierongspräsidenten festgesetzt, 5) in Armenangelegenheiten 
werden die Tarife für Erstattungsforderungen vom Minister des Innern fest¬ 
gesetzt, 6) für die Berechnung des Pauschquantums in Kostensachen des Ver¬ 
waltungsstreitverfahrens kann von den Ministern der Finanzen und des Innern 
ein Tarif aufgestellt werden, 7) in den Fällen des Art. 127 des Geetzes über 
die freiwillige Gerichtsbarkeit vom 21. September 1899 ist in gerichtlichen 





208 Die eiate Berathung des preuss. Abgeordnetenhauses Uber die Gesetzentwürfe 

Taxangelegenheiten das Verfehlen and die Höhe der Gebühren von den zu¬ 
ständigen Ministern zu regeln, 8) die Höhe der Qebflhren der Auktionatoren 
wird vom Jnstisminister and vom Handelsminiater festgesetzt, 9) die Gebühren 
für die Genehmigung und Beaufsichtigung von Neubauten weiden von den 
Ministern der öffentlichen Arbeiten, des Innern und der Finanzen festgesetzt. 

Also hier ist eine ganze grosse Summe von legislativen Vergingen ähn¬ 
licher Art vorhanden. Für den diesseitigen Vorschlag spricht ferner der Um¬ 
stand, dass es sich bei diesen Tariffeatsetzungen empfiehlt, einer kleineren 
Anzahl von Sachverständigen die Festlegung der einzelnen Sätze in einwands- 
freier Form anzuvertrauen und nicht einem grösseren Gremium. Dann aber, 
m. H., muss ein solcher Tarif immer so eingerichtet werden, dass er, dem 
wechselnden Bedttrfniss entsprechend, ohne Inanspruchnahme des grossen ge¬ 
setzgeberischen Apparates geändert werden kann. 

Ich glaube mich auf diese vorläufigen Bemerkungen beschränken zu 
können, welche hoffentlich dem hohen Hause die Ueberzeugung beibringen 
werden, dass doch der Vorschlag der Regierung nicht die Bedenken in sich 
sohliesst, die der Herr Vorredner geäussert hat. 

im Uebrigen darf ich es mir versagen, auf die anderen Ausführungen 
des Herrn Abg. Ga mp heute noch näher einzugehen; es wird ja in der 
Kommission noch genügend Gelegenheit vorhanden sein, diese Ponkte zu prüfen. 
Nur eins möchte ich mir gestatten, noch zu berühren. Der Herr Vorredner 
hat aus dem Umstande, dass einzelne Kreisärzte in ihrem Berufseifer vielleicht 
etwas zu weit gegangen sind, einige Vorwürfe und Binwände gegen das ge¬ 
summte System konstruirt. Ja, m. H., ich würde der letzte sein, der der 
Meinung wäre, dass aus verschiedenen Vorschriften der Anweisung für die 
Kreisärzte heraus nun sofort jeder einzelne Kreisarzt — ganz gleichgültig, 
wie die konkreten Verhältnisse liegen — nun ein ganzes System von medizinal¬ 
polizeilichen Massregeln nach Art der Beglückungstheorie zur Anwendung zu 
bringen hätte. (Sehr richtig!) Davon kann gar nicht die Rede sein. Wenn in 
dieser Beziehung ein nicht angemessener, den Gemeinden unverhältnissmässige 
Kosten zumathender Uebereifer sich geltend machen sollte, so ist es Sache der 
Aufsichtsbehörde, Abhülfe eintreten zu lassen. 

Abg. v. Savigny (Zentr.): Die Qnintessenz für die Prüfung des vor¬ 
liegenden Gesetzes ist nach wie vor das Bedenken, ob nicht durch dasselbe die 
Lasten der Gemeinden und theilweise der Privaten gesteigert werden. In der 
Wortfassung des Gesetzes sind aber in dieser Hinsicht venchiedene Bedenken, 
insbesondere mit Rücksicht auf §. 2, für den eine andere klare Fassung 
wünschenswerth ist. Eine Reihe von amtlichen Verrichtungen der Kreisärzte 
wird z. B. im staatlichen Interesse vollzogen, selbst wenn rein formell der 
dazu ergehende Auftrag von der Ortspolizeibehörde ansgeht und sich zunächst 
auf den Kreis eioer Gemeinde zu beschränken scheint. Trotzdem liegen oft 
allgemeine Staatsinteressen vor; wo diese aber vorliegen, da dürfte es sehr zu 
erwägen sein, ob es nicht die Aufgabe des Staates ist, auch die ganze Last 
zu tragen. Es wird das auch der Sache förderlich sein; denn es werden der¬ 
artige Massnahmen, die im allgemeinen öffentlichen Interesse liegen, leichter 
getroffen werden, und man wird sich leichter dazu entschlossen, wenn fessteht, 
dass dadurch nicht örtlich bedeutende Kosten für kleinere leistungsschwächere 
Verbände entstehen. Es wird das allgemeine Ziel, dass die öffentliche Gesund¬ 
heit gebessert werden soll, besser erreicht, wenn der Staat dieses Ziel auf 
seine Kosten verfolgt und nicht die Kosten den Gemeinden aufbürdet. 

Das Interesse, die öffentliche Gesundheitspflege zu heben und zu bessern, 
ist auch von den Kreisärzten, wie die nur kurze Vergangenheit seit Bestehen 
des Kreisarztgesetzes zeigt, in ausgiebiger und richtiger Weise gewahrt worden. 
Es weht ein frischer Zog durch ihre ganze Thätigkeit; sie bemühen sich, das, 
was in mehreren Jahrzehnten — kann man sagen — versäumt wurde und was 
besonders aus den letzten Jahren noch nachzuholen war, jetzt nachzuholen; 
sie kommen dadurch natürlich zu dem Bestreben, hier ein Tempo einsu- 
schlagen, welches oft den Stimmungen und Auffassungen und auch der Leistungs 
fähigkeit der Betheiligten, insbesondere der betheiligten Gemeinden, nicht recht 
entspricht. Es sind so viele derartige Zustände insbesondere in kleinen Orten 
und auf dem Lande vorhanden, die wohl den Wunsch nach Verbesserung rege 
machen können, dass ein umsichtiger, eifriger und einsichtiger Kreisarzt gar 
nicht weise, wo er schliesslich mit seinen Verbesserungsvorsohllgen endigen 



betr. die Gebühren der Medizinalbeamten and daB preus*. Seuchlngesets. 209 


soll. Br hat gewissermassen nicht nar das Becht dazu, sondern auch die 
Pflicht, auf die Hissstände hinsuweisen; aber anderseits besteht vielfach im 
Lande die Befürchtung, dass daroh alle diese Massnahmen, die wir im Öffent¬ 
lichen Interesse treffen and gesetzlich festlegen, schliesslich die Lasten ungemein 
gesteigert werden. Hand in Hand mit dem Erlasse dieses Gesetzes sollte des¬ 
halb vielleicht den Kreisärzten eingeschärft werden, ihren etwaigen Uebereifer 
auf diesem Gebiete ein wenig einzadämmen. 

Bedner wünscht gleichfalls, dass der Gebtthrentarif in daa Gesetz auf- 
genommen wird, denn dadurch ist für die Gemeinden auch nach vielen Richtungen 
eine Garantie geschaffen, dass nicht durch das Drängen vielleicht der inter- 
essirten Kreise eine Erhöhung der Gebühren mit der Zeit eintritt; sie können 
sich dann auf dieser gesetzlichen Grundlage besser and ruhiger einrichten 
and eich dagegen gesichert fühlen, dass eine Mehrbelastung in der Zukunft 
für sie entsteht. Wenn eine solche gesetzliche Festlegung des Gebührentarifs 
im Jahre 1872 möglich gewesen sei, so werde sich das auch jetzt als möglich 
erweisen und sich einen Bahmen für den Tarif finden lassen, innerhalb dessen 
die nothwendige praktische Beweglichkeit gesichert bleibt. Nach der Richtung 
der Höhe ist der erforderliche Tarif in einer Weise gestaltet, dass, wenn er vom 
Hause angenommen wird, unzweifelhaft ein Bestreben und Bedürfhiss nach 
weiterer Erhöhung keinesfalls in absehbarer Zeit eintreten kann. An einzelnen 
Stellen könnten die Gebühren herabgesetzt werden; in dieser Herabsetzung 
liegt auch insofern eine Förderang der öffentlichen Gesundheit, als dann die¬ 
jenigen, die zu den betteffenden Massnahmen zu schreiten in der Lage sind, 
sich viel leichter dazu entschliessen werden, als wenn sie sich sagen müssen, 
dass ihnen dadurch nicht unerhebliche Kosten erwachsen. Die Regelung des 
Tarifs auf gesetzlichem Wege empfiehlt sich weiterhin deshalb, weil der 
Tarif auch für die nichtbeamteten Aerzte und für ihre Gebührenliquidationen 
den öffentlichen Behörden gegenüber massgebend sein wird. (Bravo!) 

Abg. Dr. Martens (nat. lib.) betont, dass die Festsetzung der Gebühren 
dnreh Gesetz statt durch den Minister im Vorjahre nicht bloss deshalb be¬ 
mängelt sei, weil dann eine za grosse Belastung der Gemeinden und des Pub¬ 
likums zu befürchten sei, sondern auch deshalb, weil bei der Festlegung duroh 
den Minister vielleicht die beamteten Aerzte za kurz kommen würden. Redner 
glaubt deshalb, dass bei den sich so widersprechenden Meinungen das Richtige 
in der Mitte liegt. Er hat nichts dagegen einzuwenden, wenn die Festsetzung 
dem Minister überlassen wird; stellt sich dann die Nothwendigkeit heraus, 
dass in irgend einem Punkte der Tarif geändert werden müsste, so braucht 
nicht immer wieder die Klinke der Gesetzgebung in die Hand genommen zu 
werden. Seine weiteren Wünsche in Bezag auf Abänderungen des Gesetz¬ 
entwurfs wird er in der Kommission geltend machen. 

B. Entwurf eines Auaftthrungsgeaetzen an dem Reiohsgesetze, 
betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, 

vom 80. Juni 1900. 

Minister der n. s. w. Medizinal-Angelegenheiten Dr. Studt: M. H. I Die 
zweite Gesetzesvorlage, welche ich heute vor diesem hohen Hause zu vertreten 
die Ehre habe, hat ihren Ausgangspunkt in dem Reichsgesetze über die Be¬ 
kämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 26. Juni 1900. Dieses Gesetz 
ist das Ergebniss langjähriger Vorerörterungen, die in den einzelnen Bundes¬ 
staaten stattgefunden haben, und ebenso der Erkenntniss, dass es nothwendig 
werde, von Reichs wegen eine einheitliche Regelung der polizeilichen und 
sonstigen Massnahmen zur Bekämpfung derjenigen Krankheiten erfolgen zu 
lassen, welche einen sogenannten pandemischen Charakter haben, also wegen 
ihrer besonderen Gefährlichkeit geeignet sind, Epidemien u. s. w. über mehrere 
Bundesstaaten auszubreiten. Es war da nothwendig, eine gemeinschaftliche 
gesetzliche Grundlage für das behördliche Vorgehen zu schaffen. 

Von diesem Gesichtspunkte aus hat sich das Reichsgesetz darauf be¬ 
schränkt, nicht alle übertragbaren Krankheiten in den Kreis seiner Regelung 
zu ziehen, sondern nur diejenigen, die den von mir bezeiohneten besonders ge¬ 
fährlichen Charakter haben. Es sind dies der Aussatz, die Cholera, das Fleck- 
Heber, das Gelbfieber, die Pest und die Pocken. 

Nun ist in dem Reichsgesetz, welches diese Materie regelt, der Vorbehalt 
gemacht, dass die landesgesetzlichen Vorschriften, welche die Massnahmen 



210 Die erste Berathung des preuss. Abgeordnetenhauses über die Gesetzentwürfe 

gegen andere übertragbare Krankheiten enthalten, durch dieses Gesets unbe- 
rührt bleiben, dass ferner der landesgesetzlichen Begelung Vorbehalten bleiben 
sollen die Kostenfrage nnd die Entschädigung von Personen n. b. w., welche 
von den Abwehrmassregeln betroffen sind. Für die Königliche Staatsregierung 
entstand aus dieser Sachlage die Aufgabe, zu prüfen, ob es richtig sei, sich 
auf die im Beiehsgesetz ausdrücklich der Landesgesetzgebung vorbehaltenen 
Fälle der Kostenregelung und der Entschädigung zu beschränken, ob nicht 
lieber gleich auch, nach dem Muster des Beichsgesetzes, gesetzgeberische Mass¬ 
nahmen in Aussicht zu nehmen seien, welche die Frage der Bekämpfung der 
anderen übertragbaren Krankheiten auf neuer gesetzlicher Grundlage ordneten. 
Die Bejahung dieser Frage konnte für die Königliche Staatsregierung deshalb 
nicht zweifelhaft sein, weil diejenige gesetzgeberische Norm, welche für Preussen 
die behördlichen Massnahmen zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten 
enthält, nämlich das Begulativ von 1880, so vortrefflich dasselbe seiner Zeit 
auch gewirkt hat und so einwandfrei es nach dem damaligen Stande der Wissen¬ 
schaft wohl auch war, doch jetzt, nachdem beinahe 70 Jahre vergangen sind, 
naoh dem gegenwärtigen 8tande der Wissenschaft und nach Lage der that- 
sächlichen Verhältnisse zum Theil als veraltet angesehen werden muss. Daraus 
und namentlich aus denjenigen Gutachten, die von ärztlichen und wissenschaft¬ 
lichen Kreisen abgegeben sind, erklärt sich die Nothwendigkeit einer einheit¬ 
lichen gesetzgeberischen Begelung dieser Materie und das gesetzgeberische 
Vorgehen in der Form dieses Entwurfes. 

Es ist aber auch auf der anderen Seite erforderlich gewesen, gewisse 
andere Punkte ln dem vorliegenden Gesetzentwurf zu regeln, die mit dieser 
Materie in nothwendigem Zusammenhänge stehen, und daraus ergiebt sich dann 
der vorliegende Entwurf, der die Massregeln, im Anschluss an das System des 
Beichsgesetzes regelt. 

Wenn ich auf letzteres kurz eingehen darf, so hat das Beicbsgesetz, 
wie ich mir schon vorher zu erwähnen gestattete, in §. 1 eine Anseigepflicht 
für bestimmte, besonders gefährliche Krankheiten vorgesehen, dann den Kreis 
der verpflichteten Personen bestimmt, weiter über die Ermittelung der Krank¬ 
heiten besondere Dispositionen getroffen, ausserdem bestimmte Schutzmassregeln, 
sowie die Entschädigung derjenigen Personen, welche durch prophylaktische 
und sonstige Massnahmen getroffen werden, geordnet. Es schliessen sich all¬ 
gemeine Vorschriften an und zum Schluss auch noch Strafbestimmungen. Diesem 
System entsprechend, ist nun auch das preussisohe Ausftthrungsgesetz gestaltet 
worden. Ich kann, ohne mich heute auf grössere Einzelheiten einzulassen, an 
das hohe Haus nur die dringende Bitte richten, dem gesetzgeberischen Vor¬ 
schlag entsprechen zu wollen. Es liegt die unbedingte Nothwendigkeit vor, 
dass das System, welches als ein den Bedürfnissen und dem Stand der Wissen¬ 
schaft entsprechendes in dem Beicbsgesetz festgelegt und allseitig als dem Be¬ 
dürfnis der Gegenwart entsprechend anerkannt worden ist, nun auch in dem 
grössten deutschen Bundesstaat zur Ausführung gelangt. Diejenigen Mit¬ 
glieder dieses hohen Hauses, welche in der Lage Bind, den Entwurf auch näher 
von seiner eigentlich technischen Seite prüfen zu können, werden hoffentlich 
meiner Auffassung dahin Bestimmen, dass die unbedingte Nothwendigkeit vor¬ 
liegt, die verschiedenen technischen und Zweifelsfragen zu beseitigen, die im 
Laufe der Zeit entstehen mussten, nachdem es sich erwiesen batte, dass das 
Begulativ von 1835 den gegenwärtigen Zeitverhältnissen nicht mehr genügte. 

Wenn ich nun noch mit einigen Worten auf das System eingehen darf, 
wie es sich in dem vorliegenden Gesetzentwürfe darstellt, so wird bei der 
Durchsicht der Krankheiten, auf welche der Entwurf sich erstreckt, Ihnen 
vielleicht aufgefallen sein, dass in der Liste derselben mehrere fehlen, an deren 
Uebertragbcrkeit ein Zweifel nicht bestehen kann und gegen die zum Theil 
schon jetzt Bestimmungen in Kraft sind. Dazu gehören z. B. die Masern, die 
Bötheln, die Krätze, der Keuchhusten, die Influenza, der Krebs u. s. w. 
Nun könnte vielleicht geltend gemacht werden, dass es im Interesse der Statistik 
der übertragbaren Krankheiten erforderlich gewesen wäre, auch diese Krank¬ 
heiten in dem Gesetzentwurf zu berücksichtigen. Dem gegenüber ist aber zu 
bemerken, dass für die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten nur ihre 
Gefährlichkeit, nioht aber statistische Bflcksichten in Betracht kommen können, 
dass aber gegenüber den genannten Krankheiten eingreifende Schutzmass¬ 
nahmen entweder zu belästigend oder nioht wirksam genug sein würden. Es 



be.tr. die Gebühre* der Medizinal beamten and das preuss. Seuehengesetz. 211 


wurde daher für ausreichend erachtet, den vorübergehenden Erlass von Schutz- 
maasregeln für Zeiten ihrer epidemischen Ausbreitung vorsubehalten. Das ist 
m den §§. 5 und 7 des vorliegenden Entwurfs geschehen. Ea wird dort vorge- 
eehlagen, dass das Staatsmimsteritun die Ermächtigung erhalten soll, die Be¬ 
stimmungen des Gesetzentwurfs über die Anzeigepflicht und die Ermittelung 
der Krankheiten für einzelne Theile oder den ganzen Umfang der Monarchie 
nach auf andere übertragbaren Krankheiten vorübergehend auszudehnen, wenn 
und so lange diese in epidemischer Verbreitung herrschen. 

Bezüglich der Krankheiten, für welche eine von dem bestehenden Ver¬ 
fahren abweichende Behandlung vorgeschlagen wird, möchte ich hier nur zwei 
herausgreifen wegen der Wichtigkeit, welche gerade sie für die Volksgesund- 
heit haben, nämlich die Tuberkulose und die übertragbaren Geschlechts¬ 
krankheiten. 

Die Frage, ob es sich empfiehlt, die Tuberkulose einer gesetzlich zu 
regelnden Bekämpfung zu unterwerfen, ist gerade in den letzten Jahren der 
Gegenstand lebhafter Erörterungen geworden, wie Ihnen hinreichend bekannt 
ist. Die Beantwortung dieser Frage wird erschwert einerseits durch die 
ausserordentliche Verbreitung, anderseits durch die je nach dem Stadium der 
Krankheit verschieden grosse Bedeutung, welche dieser für die Erwerbsfähig- 
fihigkeit und das Familienleben der Bevölkerung innewohnt. Wenn jene für 
die Durchführung von sanitätspolizeilichen Massnahmen spricht, so kann diese 
solche vielleicht als hart und zu eingreifend erscheinen lassen. Die der Be¬ 
gründung des Gesetzentwurfs als Anlage beigegebene Zusammenstellung der 
Gesetzgebung anderer Staaten wird Ihnen aber zeigen, wie die Ueberzeugung, 
dass man auch gegenüber der Taberkulose nicht ohne gesetzliche Bestimmungen 
mehr aaskommen kann, iu immer weitere Kreise Eingang findet. 

Der Gesetzentwurf hat dem Rechnung getragen, aber die zulässigen 
Sehutzmassregeln auf ein so geringes Maas beschränkt, dass bei der Ausführung - 
derselben jede Härte von vornherein als ausgeschlossen erscheinen muss. 

Aehnlich verhält es sich mit den übertragbaren Geschlechtskrank 
heiten. Der Standpunkt, welchen der Entwurf in dieser Beziehung einnimmt 
unterscheidet sich wesentlich von demjenigen des Regulativs, aus Gründen, die« 
ich in der Kommission näher darzulegen mir Vorbehalten muss, für den Fall 
dass der Gesetzentwurf, wie ich hoffe, einer Kommission überwiesen wird. 

Was die Sehutzmassregeln, welche der Gesetzentwurf vorsohlägt, an be¬ 
trifft, so decken sie sich mit einer einzigen Ausnahme mit denjenigen des Reichs¬ 
gesetzes. Der Umfang, in welchem die Anwendung der Sehutzmassregeln auf 
die einzelnen übertragbaren Krankheiten äussersten Falls zulässig sein soll, ist 
im §. 8 des Gesetzentwurfs genau festgestellt und in einer Weise beschränkt, 
dass dadurch unbeschadet ihrer Wirksamkeit jede überflüssige Belästigung der 
Bevölkerung ausgeschlossen erscheint. Ausserhalb des Reichsgesetzes Uegt nur 
eine einzige im Gesetzentwurf vorgescblagene Schutsmassregel vor, nämlich die 
Zulässigkeit des Behandlungszwanges gegenüber Kranken, welche mit der 
Körnerkrankheit oder übertragbaren Geschlechtskrankheiten behaftet 
sind. Bei der Körnerkrankheit rechtfertigt sich das durch die grosse Ausbreitung 
der Krankheit und durch die grosse Gefahr, welche sie für die geistige Ausbildung 
und für die Wehr- und Erwerbsfähigkeit der Bevölkerung, namentlich in den 
östlichen Provinzen, bedeutet, sowie mit Rücksicht auf die nicht unerheblichen 
Mittel, welche der Staat, die Kreise und die Gemeinden seit einer langen Reihe 
von Jahren auf die Bekämpfung dieser Seuche verwandt haben und noch auf¬ 
wenden. Bei den übertragbaren Geschlechtskrankheiten ist aber zu berück¬ 
sichtigen, dass ohne die gesetzliche Möglichkeit der zwangsweisen Behandlung 
derjenigen Personen, welche gewerbsmässig Unzucht treiben, den Gefahren der 
Prostitution nicht wirksam begegnet werden kann. 

Die durch das Reichsgesetz vorgesehene Entschädigung für entgangenen 
Arbeitsverdienst der wegen Krankheit abgesonderten Personen und für die 
durch die Desinfektion erzeugte Sachbeschädigung soll nach dem Gesetzentwurf 
such bei den im Reichsgesetz nicht genannten übertragbaren Krankheiten 
gewährt werden dürfen. Diese Regelung wird nur der Billigkeit entsprechen 
und wird daher, wie ich annehme, Ihre Zustimmung finden. Die Vorschriften 
über die Ermittelung und Feststellung dieser Entschädigungen sind im Aus-. 
föhrungsgesetz zu dem Beichsseuchengesetz enthalten. r 

Was die Kostenfrage anbetrifft, so bitte ich, auf die vorhin bereits Ir 



212 Die erste Berathnng des preuss. Abgeordnetenhauses Uber die Gesetzentwürfe 


Erörterung des Gesetzes, betreffend die Gebühren der Medizinalbeamten, ge¬ 
machten Ausführungen Besag nehmend, ans der Bestimmung des §. 26 des 
vorliegenden Entwurfs entnehmen zu wollen, dass der Staat, abweichend von 
dem bisherigen Rechte, welches den Gemeinden die Kosten auferlegt, in einem 
weitgehenden Masse die Kosten der amtsärztlichen Feststellungen, sowie die 
dnreh die Betheilignng des beamteten Arztes bei der Anordnung, Leitung und 
Ueberwachung der Schntzmassregeln entstehenden Kosten auf sich genommen 
hat. Im Uebrigen belässt es der Entwurf wegen der Kosten bei den Be¬ 
stimmungen des bestehenden Rechts, welche die Möglichkeit bieten, die aus 
dem Gesetzentwurf sich ergebende Kostenfrage ohne Weiteres zur Entscheidung 
zu bringen. Die Straf Vorschriften endlich lehnen sich eng an diejenigen des 
Reiehsgesetzes an. 

M. H., nun gestatten Sie mir, im Anschluss an diese Ausführungen dem 
Wunsche Ausdruck zu geben, den ich vorhin schon ausgesprochen habe, dass 
auch dieses wichtige Glied in der Neuregelung unserer medizinalverwaltungs- 
reehtliohen Vorschriften Ihre Zustimmung finden möge, und dass damit eine 
gesetzliehe Grundlage geschaffen werde, welche es ermöglicht, die Medizinal¬ 
behörden in den Stand zu setzen, dass sie in einer den praktischen Bedürfnissen 
und der modernen Wissenschaft entsprechenden Weise ihres Amtes walten kann, 
dass ferner diejenigen Krankheiten, welche an dem Marke des Volkes zehren, 
wirksamer als bisher bekämpft werden können, und dass endlich auch alle die¬ 
jenigen Uebelstände, welche auf anderen Gebieten der Medizinalverwaltung in 
Folge der Mangelhaftigkeit der bestehenden Vorschriften sich als unzureichend 
erwiesen haben, beseitigt werden. Ich hoffe, dass, wenn der Entwurf auf dieser 
Grundlage Ihre Zustimmung finden wird, eine sichere Grundlage für die wirk¬ 
same Förderung nicht bloss des körperlichen, sondern auch des geistigen Wohles 
des Volkes gegeben sein wird. 

Abg. Dr. Martens (nat.-lib.): Der Gesetzentwurf ist nicht nur ein Aus- 
ftthrungs-, sondern auch ein Ergänzungsgesetz zu dem Reicbsseuchengesetz. Dieses 
befasst sich nur mit sechs exotischen Krankheiten, welche bei uns von selber 
nieht entstehen, sondern nur eingeschleppt werden können, und auf die Er- 
krankungs- und Sterbeziffer einen sehr geringen Einfluss ausüben. Ganz anders 
ist es mit deqjenigen Krankheiten, die durch dieses Gesetz bekämpft werden 
sollen; sie sind von grossem und massgebendem Einfluss auf die Sterblichkeit 
der Bevölkerung. Bei ihrer Bekämpfung war bisher das Regulativ von 1886 mass¬ 
gebend; vergleicht man dieses jedoch mit dem vorgelegten Gesetzentwurf, so zeigt 
sieh der Fortschritt, welchen die Anschauungen in der Medizin gemacht haben. 
Der Entwarf beschäftigt sich nur mit 16 besonders namhaft gemachten Krank¬ 
heiten; er lässt drei andere Krankheiten unberücksichtigt, die z. Tb. in dem 
früheren Regulativ vorhanden waren, nnd deren Gefährlichkeit ausser 
allem Zweifel steht: das sind Masern, Keuchhusten und Influenza. 
Die Erkrankongsziffer und Mortalität bei diesen Krankheiten ist eine ausser¬ 
ordentlich grosse; trotzdem erscheint es zweckmässig, dass dieselben nicht 
unter das Gesetz fallen, weil nach unseren heutigen Anschauungen es kaum 
möglich ist, sie mit Erfolg zu bekämpfen. Die Disposition für diese Krank¬ 
heiten ist ganz allgemein; ihre Bekämpfung würde nur den Erfolg haben, dass 
eine Durchseuchung der gesummten disponirten Bevölkerung verzögert, dagegen 
die Zahl der Erkrankungen und Sterbeziffer nicht verringert würde. Allerdings 
können Umstände eintreten, die es wünschenswert!! machen, dass auch diese 
Krankheiten unter das Gesetz gestellt werden, wenn eine Krankheit mit ganz 
besonderer Bösartigkeit oder s. B. in einem Badeorte ausbricht; für solche 
Fälle soll jedoch das Staatsministerium berechtigt sein, vorübergehend dieselben 
Bestimmungen einzuführen, wie sie im Seuohengesetz angegeben sind. Auch 
gegen die früher im Nordwesten Deutschlands, besonders in der Nähe der Küste, 
sehr verbreitete, jetzt kaum noch vorkommende Malaria giebt das Gesetz 
die Möglichkeit, einzuschreiten, falls sie wieder stärker auf treten sollte; dasselbe 
gilt in Bezug auf den Krebs, wenn die Kenntnisse über diese Krankheit so ge¬ 
fördert sind, dass auf einen Erfolg bei deren Bekämpfung zu rechnen ist. Dielm 
G ese tz e n twurf vorgesehene Anzeigepflieht ist bei den meisten im §. 1 
erwähnten Krankheiten eine unbedingte; sie soll in jedem Falle von Erkrankung 
und Todesfall eintreten, bei einigen Krankheiten auch bei Verdacht der Krank¬ 
heit. Nur bei zwei Krankheiten ist die Anzeigepflicht eine bedingte: bei vor¬ 
geschrittener Tuberkulose und bei Gesohfeohtskrankheiten. Bei 



bete, die Gebühren der Medisinalbeamten und das prenss. Senohengesets. 213 

Tmberknloee dürfte diese Einschränkung richtig sein; denn bei weiteren Mau¬ 
regeln würden wahrscheinlich Arbeit and Kosten nicht im Verhlltniu zum Erfolg 
stehen. Betreffs der Anseigepflicht bei Geschlechtskrankheiten von gewerbsmässig 
Unsacht treibenden Personen liegt aber das Bedenken vor, dass der behandelnde 
Arst unmöglich wissen könne, ob eine mit einer Geschlechtskrankheit an ihm 
kommende Person gewerbsmässig Unsacht treibt oder nicht Es ist deshalb 
za befürchten, dass diese Massregel hin and wieder za Missgriffen Anlau geben 
wird, und der Arst nach solche Personen als gewerbsmässig Unsacht treibende 
naseigt, die es in Wirklichkeit nicht sind. 

Die Anzeige soll nicht bei dem zuständigen beamteten Arzt, sondern bei 
der Ortspolizeibehörde erfolgen; der Ortspolizeibehörde ist überhaupt die ganze 
8eachenbekämpfang übertragen. Dafür spricht zwar, dass diejenige Behörde, 
die die nächste ist, auch am raschesten eingreifen kann; ob aber überall anf 
dem Lande die Amtsvorsteher im Stande sein werden, sich so, wie es erforder¬ 
lich ist, mit den Vorschriften des Gesetzes vertrant zu machen, nnd ob ihnen 
nicht das Gesetz einen ganz aouerordentlioh grossen Zuwachs von Arbeit bringt, 
int doch sehr fraglich. (Sehr richtig!) 

Die Ermittelung durch den beamteten Arst ist in den meisten 
Füllen vorgesehen, es ist aber nicht recht einleuchtend, warum einzelne Krank¬ 
heiten in dem Entwurf unter eine so scharfe Kontrole gestellt werden, wie 
x. B. das Bückfallfieber, eine Krankheit, die in Bezug auf Sterblichkeit zumal 
im Westen wenig in Betracht kommt, und bei der schon beim Verdacht der 
beamtete Arzt- verpflichtet ist, einzagreifen, während bei Diphtherie und Schar¬ 
lach die Untersuchung allein dem praktischen Arzt Vorbehalten bleibt. Die 
Sehutsmassregeln entsprechen den in den §§. 12 bis 19 nnd im g. 21 du 
Beiohsgesetsu gegebenen Vorschriften. Darunter ist eine grössere Anzahl von 
ausserordentlich einschneidender Natur; dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dau 
für jede spezielle Krankheit in §. 8 diejenigen Schutzmassregeln vorgesthrieben 
sind, die durchzuführen oder anzuordnen erlaubt sind, dass aber nicht immer 
diue rigorosen Vorschriften angeordnet werden müssen, sondern dau sie das 
Höchstmass dessen darstellen, was angeordnet werden kann. Es wird also sehr 
viel darauf ankommen, dau der Arzt und die Ortspolizeibebörde in verständiger 
Weise von diesen Sohatzmassregeln Gebrauch macht. Freilich läut sich nicht 
verhehlen, dass gerade diejenigen Schutzmassregeln, welche am meisten ein¬ 
greifen, auch die wirkungsvollsten Bind, und dau daher nicht so gar selten 
von ihnen Gebrauch gemacht werden wird. 

Dau nach §. 9 unter Umständen bei Kömerkrankheit und bei Geschlechts¬ 
krankheiten Behandlungsswang eingefübrt werden kann, ist durchaus richtig; 
bei Geschlechtskrankheiten sollte aber durchweg eine Krankenhausbebandlung, 
auch zwangsweise, wenn nöthig ist, angeordnet werden; einmal deswegen, weil 
eine sichere Heilang der Geschlechtskrankheiten beuer in einem Krankenbaase 
erzielt werden kann, als in der Privatwohnung, zweitens, um zu verhüten, 
dau das unzüchtige Treiben der Personen, während sie an einer Krankheit 
leiden, fortgesetzt wird und dadurch die Krankheit noch weiter sich verbreitet. 
Die Krankenhausbehandlung sollte ausserdem nicht nur auf Anordnung des be¬ 
amteten Arztes, sondern auch auf Anordnung des behandelnden Arztes zulässig 
sein, da sie sonst nicht schnell genug zur Ausführung gelangt. 

Betreffs der zu gewährenden Entschädigungen bemängelt Redner 
zunächst, dau diese nur bei Arbeitern eintreten sollen, während Personen des 
Mittelstandes im Falle einer Erkrankung oder im Falle einer Absonderung oft 
viel empfindlicher geschädigt werden und ebenso bedürftig sind wie die Arbeiter. 
Die persönlichen Entschädigungen sind überhaupt höchst bedenklich nnd können 
zn sehr grossen Belastungen für die Gemeinde führen. Dagegen, dass gesundet 
arbeitsfähige Leute, wenn sie wegen Krankheitsverdacht eingesperrt werden, 
eine Entschädigung erhalten, läut sieb vielleicht nichts einwenden, aber dass 
eine solche auch Leute erhalten sollen, die nicht mehr arbeitsfähig sind, erscheint 
nicht richtig. Dagegen ist es in Bezug auf die sächlichen Entschädigungen 
gerechtfertigt, dau jeder eine solche erhält, der nicht anf diese verzichtet. 

Betreffs der Vertheilung der Kosten ist die Regierung insofern er¬ 
heblich entgegengekommen, als nach §. 26 der Staat die Kosten der amte- 
äntüchen Untersuchung bei allen anzeigepflichtigen Krankheiten mit Ausnahme 
von einigen, bei denen die Ortspolineibehörde die Ermittlung in besorgen hat» 



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1 . u ■ io. sn nullr wichtig« frühzeitige Erkenntnis« der 
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.... 1.. |..ii w«rd«ii, als such der Knrpfnseber, sobald 
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'1 . .. .hi ln d«n /.«ltnngsn wider besseres Wissen ihre 

.. 1 ln« 1 iiHiniidhnit. nnd Vermögen ihrer Mitbürger 





befer, die Gebflbroi der Medizinalbeamten und des pnoas. Seichengesetz. 215 


wfs Schwante schädigen, während leider dieselben Zeitungen gleichseitig euch 
iie Klagen der Geschädigten und die Verurtheilung gewissenloser Kurpfuscher 
in ihren Spalten bringen. 

Als ein weiterer Vorzug ist die Art der Festsetzung der Sehutzmass- 
r e er ein rn betrachten, insofern sie je nach der Eigenartigkeit nnd der Gefähr- 
Lichkeit der einseinen Krankheiten für jede besonders, nieht nach Schema F 
erfolgt und auf das Nothwendigste beschränkt wird. Anderseits mnss allerdings 
erwartet werden, dass das Publikum den unbedingt nöthigen Anordnungen 
nun auch gern und willig Folge leistet; denn der Erfolg des Gesetzes bängt 
nicht allein von seiner gewissenhaften Ausführung durch die Behörden ai, 
sondern auch von dem Verstindniss der Bevölkerung für die zu ihrem Woble 
getroffenen Maseregeln, und von der Bereitwilligkeit, sich Ober das belehren 
zu lassen, wes ihrer Gesundheit frommt. Deshalb ist es ebenfalls freudig zu 
begrügsen, dass die Begründung gemeinverständliche Belehrungen der Laien¬ 
kreise in Aussicht nimmt. 

Ob die Bestimmungen Ober die Entschädigungen zutreffend und 
ersehüpfend sind, müsse der Verhandlung in der Kommission Vorbehalten bleiben. 

Das dicke Ende des Entwurfs sei jedenfalls der Kostenpunkt, der 
voraussichtlich die Hauptsache in der Kommissionsberathung ausmachen werde. 
Namentlich sei eine Einigung darüber erforderlich, was landespoliseilieb, was 
ortspoliseilich in dem einzelnen Falle sei; sie bilde gleichsam die Vorbedingung 
für das Zustandekommen des Gesetzes, dessen Erlass von der Allgemeinheit 
schon so lange Jahre gewünscht sei. Ißt Hingebung auf der einen Seite und 
Opferwilligkeit auf der anderen Seite werde aber das Ziel erreicht werden! 
(Bravo! im Zentrum.) 

Abg. Dr. Iderhoff dankt aueh im Namen seiner politischen Freunde für 
die Vorlegung des Entwurfs, dessen Nothwendigkeit sich nicht nur mit Rück¬ 
sicht auf das Reichsgesetz, sondern auch mit Rücksicht auf eine zeitgemässe 
und einheitliche Gestaltung der Vorschriften für die Monarchie ergiebt. Er 
hält die Zahl der im Erlass aufgeführten Krankheiten als richtig abgegrenzt 
nnd hofft, dass die Krebskrankbeit auf Grund des §. 5 des Gesetzes durch das 
Staat8ministerinm unter die anzuzeigenden und zn überwachenden Krankheiten 
anfgenommen werden wird, wenn die wissenschaftliche Forschung zu der Er- 
kenntniss kommen sollte, dass dieselbe als eine übertragbare Krankheit anzu- 
sehen ist. Desgleichen ist Redner damit einverstanden, dass bei den schweren 
übertragbaren Krankheiten schon der Verdacht der Krankheit der Anzeige- 
pflicht unterworfen ist. Betreffs der Ermittelung der Krankheiten 
durch den beamteten Arzt giebt er anheim, ob nicht statt des „muss“ ein 
„kann“ genügt (sehr richtig! bei den Freikonservativen); hinsichtlich der 
Schutzmassreeeln erkennt er es auch als durchaus richtig nnd zweck¬ 
mässig an, dass für die einzelnen Krankheiten die möglichen Massregeln be¬ 
sonders aufgeführt sind. Es wird damit den Polizeibehörden eine willkommene 
Anleitung gegeben für die Massnahmen, die sie bei der einzelnen Krankheit 
zu treffen haben. Gegenden Behandlungszwang bei der Körnerkrankheit 
nnd den Geschlechtskrankheiten hat Redner ebenso wenig einzuwenden, wie 
gegen die sächlichen Entschädigungen; dagegen wünscht er eine ein¬ 
gehende Prüfung der Frage über die persönlichen Entschädigungen. Die Be¬ 
stimmung, dass die Kosten der amtsärztlichen Ermittelung, Anordnung, 
Leitung und Ueberwaebung der Schutzmassregeln auf die Staatskasse über¬ 
nommen werden, ist freudig zu begrüssen; betreffs der Kosten, die zur Aus¬ 
führung der zu treffenden Massnahmen aufzuwenden sind, tritt leicht ein Kon¬ 
flikt zwischen Landes- und Ortspolizeibehörde ein. Dass die Verhütung der 
Einschleppung gemeingefährlicher nnd übertragbarer Krankheiten ans dem 
Auslande in das Gebiet der Landespolizei gehört, ist zweifellos, nach Ent¬ 
scheidung des Oberverwaltnngsgerichts sowohl, wie nach der Begründung 
der Vorlage gehören hierher auch die Aufwendungen zur Verhütung der Weiter- 
Verbreitung ansteckender Krankheiten aus einer Gegend des Staatsgebiets in 
eine andere. Was ist aber Gegend? Da beginnt der Zweifel, und deshalb ist 
es wiederholt nothwendig gewesen, zur Entscheidung solcher Fragen das Ober¬ 
verwaltungsgericht anzurufen. Es wird daher Aufgabe der Kommission sein, 
hier eine festere Grenze zu ziehen und zwar in der Weise, dass alle 
nahmen, die zur Verhütung der Weiterverbreitung der gerneingefährlisfl^ 



214 Die erste Berathang des preass. Abgeordnetenhauses über die Gesetzentwürfe 

sowie diejenigen der amtstntliehen Ueberwacbnng der betreffenden Ma߬ 
regeln trügt. Dagegen bleibt für die Gemeinden die Tragung der Kosten für 
die Absonderung Kranker and Kranhheitsverdächtiger, für die Unterbringung? 
der Bewohner geräumter Wohnungen, für die Desinfektion, Anstellung von. 
Desinfektoren, Beschaffung von Desinfektionsapparaten, und Desinfektions¬ 
mitteln, die Entschädigung wegen entgangenen Arbeitsverdienstes und wegen 
verdorbener Sachen gleich. Ausserdem sollen die Gemeinden auf Erfordern 
der Polizeibehörde diejenigen Einrichtungen, welche zur Bekämpfung der 
gemeingefährlichen Krankheiten oder sonst übertragbarer Krankheiten noth- 
wendig sind, schon zu seuchenfreier Zeit treffen. Wie weit aber die Anord¬ 
nungen gehen können, dass ist gar nicht zu sagen; sie können die Gemeinden 
sehr schwer belasten, z. B. der Bau von Krankenhäusern oder von Baracken. 
Es ist zwar nichts dagegen einzuwenden, dass in seuchenfreier Zeit Massregeln 
getroffen werden gegen die Seuchen; aber es wäre richtig, einen gewissen 
Höhepunkt der Belastung festzustellen. 

Auf alle Fälle ist eine grössere Betheiligung des Staates an diesen 
Kosten gerechtfertigt. Erstens, weil das Interesse des Staates darauf hinaus* 
geht, eine ansteckende Krankheit an den ersten Punkt zn isoliren und nicht 
einen weiten Verbreitungskreis annehmen zu lassen, zweitens, um direkt eine 
Entlastung der Gemeinden herbeisufOhren. Ausserdem werden die Behörden, 
wenn der Staat sieh an den Kosten betheiligt, vorsichtiger werden in der An¬ 
ordnung von kostspieligen Massregeln (sehr richtig!) und auch nur solche 
Massregeln treffen, die sie nach oben hin verantworten können. Es lässt sieh 
auch nicht verkennen, dass die grossen Städte, in denen der Staat die geoammte 
Gesundheitspolizei hat, in Bezug auf die Durchführung dieses Gesetzes viel 
günstiger gestellt sind, als die kleineren Städte und Verbände anf dem Lande, 
die diese grossen Kosten allein zu tragen haben. Bedner fasst am Schloss sein 
Urtheii dahin zusammen, dass das Gesetz sorgfältig und gut durchgearbeitet 
und sehr wohl geeignet ist, eine wirksame Bekämpfung der Seuchen zu er¬ 
möglichen. Das Einzige, was er befürchtet, ist die grosse Belastung der 
Polizeibehörden auf dem Lande und die grossen Kosten für leistungsfähige 
Verbände, besonders auch auf dem Lande. Er hofft, dass es den Vertretern 
der Regierung gelingen werde, die Befürchtung hinsichtlich der entstehenden 
grossen Kosten auf ein geringeres Maas zurückzufübren, und wünscht, dass 
dieses Gesetz zu Stande gebracht werde, indem er gleichzeitig seine Ueber- 
weisung an eine Kommission von 21 Mitgliedern empfiehlt. (Bravo!) 

Abg. Dr. Ruegenberg (Zentr.) schliesst sich dem Wunsche des Vorredners 
von ganzem Herzen an. Die Vorlage sei mit einer Unsumme von Fleiss und 
Umsicht ansgearneitet und müsste freudig begrüsst werden, als durch sie anch 
dem Menschen derjenige Schutz gegen ansteckende Krankheiten zu Theil 
werden soll, den in einem anderen Gesetze für das liebe Vieh schon längte ge¬ 
geben sei Er steht nicht an, zu erklären, dass die Verfasser des Entwurfes 
ihre Aufgabe, namentlich nach der technischen Seite hin, im Grossen und 
Ganzen glücklich gelöst haben. Der Gesetzentwurf hat im Vergleich zu den 
bisherigen Bestimmungen eine grosse Reihe von Vorzügen. Er regelt die An* 
zeigepfioht insofern besser, als er die Reihenfolge der zur Anzeige Verpflich¬ 
teten genau feststellt und ausserdem die wichtige Bestimmung trifft, dass nach 
geschehener Anzeige bei Ausbruch einer Seuche, sofern dieselbe nicht an sich 
leicht erkennbar ist, die Feststellung der Krankheit durch den beamteten Arzt 
zu geschehen hat; desgleichen giebt sie dem letzteren die Befugniss, im Falle 
dar Noth auch ohne vorherige Anzeige der Polizei die Feststellung vorzunebmen 
und die zunächst nothwendigen Anordnungen zu treffen. Durch diese Be¬ 
stimmungen wird einerseits die so sehr wichtige frühzeitige Erkenntniss der 
ersten Fälle einer ansteckenden Krankheit gefördert und so einer epidemischen 
Verbreitung wirksamer vorgebeugt, anderseits werden die grossen Sohädignngen 
des Volkswohls, die durch die Behandlung durch Kurpfuscher entstehen, in¬ 
sofern theilwsise vermindert werden, als auch der Kurpfuscher, sobald 
er sich mit der Behandlung einer solohen Krankheit beschäftigt, zur Anzeige 
verpflichtet ist. In Folge des Fehlens eines Kurpfuschereiverbotes müsse man 
es noch immer ansehen, dass gewissenlose, ungebildete und oft vorbestrafte 
Leute aus reiner Gewinnsucht in den Zeitungen wider besseres Wissen 
Heilmittel anpreisen und Leben, Gesundheit und Vermögen i^ßp Vitt* 



betr. die Gebühren der Medisinalbeemten and du preues. Seuchengesetz. 215 


eof s 8ebwente schädigen, während leider dieselben Zeitnagen gleichseitig nneh 
die Klagen der Geschädigten nnd die Vernrtheilung gewissenloser Kurpfuscher 
in ihren Spalten bringen. 

Als ein weiterer Vorzug ist die Art der Festsetzung der Sehutsmass- 
r eg ein zu betrübten, insofern sie je nach der Eigenartigkeit nnd der Gefähr¬ 
lichkeit der einseinen Krankheiten für jede besonders, nicht nach Schema F 
erfolgt nnd anf du Nothwendigste beschränkt wird. Anderseits mnss allerdings 
erwartet werden, dass du Publikum den unbedingt nöthigen Anordnungen 
nun anch gern nnd willig Folge leistet; denn der Erfolg des Gesetses bängt 
nioht allein von seiner gewissenhaften Ausführung durch die Behörden ab, 
sondern auch von dem Verständniss der Bevölkerung für die su ihrem Woble 
getroffenen Massregeln, nnd von der Bereitwilligkeit, sich Aber du belehren 
sn lassen, was ihrer Gesundheit frommt. Deshalb ist es ebenfalls frendig zu 
begrüssen, dass die Begründung gemeinverständliche Belehrungen der Liden- 
kreise in Anssicht nimmt. 

Ob die Bestimmungen über die Entschädigungen zutreffend und 
erschöpfend sind, müsse der Verhandlung in der Kommission Vorbehalten bleiben. 

Du dicke Ende des Entwurfs sei jedenfalls der Kostenpunkt, der 
voraussichtlich die Hauptsache in der Kommissionsberathung ausmachen werde. 
Namentlich sei eine Einigung darüber erforderlich, wu landeepoliseilich, wu 
ortspoliseilieh in dem einzelnen Falle sei; sie bilde gleichsam die Vorbedingung 
für das Zustandekommen des Gesetzes, dessen Erlass von der Allgemeinheit 
schon so lange Jahre gewünscht sei. Mit Hingebung auf der einen Seite und 
Opferwilligkeit auf der anderen Seite werde aber du Ziel erreicht werden! 
(Bravo! im Zentrum.) 

Abg. Dr. Iderhoff dankt auch im Namen seiner politischen Freunde für 
die Vorlegung des Entwurfs, dessen Nothwendigkeit sich nioht nur mit Bück- 
sicht auf du Reichsgesetz, sondern auch mit Bücksicht auf eine zeitgemässe 
und einheitliche Gestaltung der Vorschriften für die Monarchie ergiebt. Er 
hält die Zahl der im Erlass aufgeführten Krankheiten als richtig abgegrenzt 
nnd hofft, dass die Krebskrankbeit auf Grund des §.5 des Gesetzes durch das 
Staatsministerinm unter die anzuzeigenden und zu überwachenden Krankheiten 
anfgenommen werden wird, wenn die wissenschaftliche Forschung zu der Er¬ 
kenntnis kommen sollte, dass dieselbe als eine übertragbare Krankheit ansu- 
sehen ist. Desgleichen ist Bedner damit einverstanden, dass bei den schweren 
übertragbaren Krankheiten schon der Verdacht der Krankheit der Anzeige¬ 
pilicht unterworfen ist. Betreffs der Ermittelung der Krankheiten 
durch den beamteten Arzt giebt er anheim, ob nicht statt des „muss* ein 
„kann* genügt (sehr richtig! bei den Freikonservativen); hinsichtlich der 
Sehutsmassregeln erkennt er es auch als durchaus richtig und zweck¬ 
mässig an, dass für die einzelnen Krankheiten die möglichen Massregeln be¬ 
sonders aufgeführt sind. Es wird damit den Polizeibehörden eine willkommene 
Anleitung gegeben für die Massnahmen, die sie bei der einzelnen Krankheit 
su treffen haben. Gegen den Behandlungszwang bei der Körnerkrankbeit 
und den Geschlechtskrankheiten hat Bedner ebenso wenig einsuwenden, wie 
gegen die sächlichen Entschädigungen; dagegen wünscht er eine ein¬ 
gehende Prüfung der Frage über die persönlichen Entschädigungen. Die Be¬ 
stimmung, dass die Kosten der amtsärztlichen Ermittelung, Anordnung, 
Leitung und Ueberwacbung der Schutzmassregeln auf die Staatskasse über¬ 
nommen werden, ist frendig zu begrüssen; betreffs der Kosten, die zur Aus¬ 
führung der zu treffenden Massnahmen aufzuwenden sind, tritt leicht ein Kon¬ 
flikt zwischen Landes- und Ortspolizeibehörde ein. Dass die Verhütung der 
Einschleppung gemeingefährlicher nnd übertragbarer Krankheiten aus dem 
Auslande in das Gebiet der Landespolizei gehört, ist zweifellos, nach Ent¬ 
scheidung des Oberverwaltungsgerichts sowohl, wie nach der Begründung 
der Vorlage gehören hierher auch die Aufwendungen zur Verhütung der Weiter¬ 
verbreitung ansteckender Krankheiten aus einer Gegend des Staatsgebiets in 
eine andere. Was ist aber Gegend? Da beginnt der Zweifel, und deshalb ist 
es wiederholt nothwendig gewesen, zur Entscheidung solcher Fragen das Ober¬ 
verwaltungsgericht anzurufen. Es wird daher Aufgabe der Kommission sein, 
hier eine festere Grenze zu ziehen und zwar in der Weise, dass alle Mass¬ 
nahmen, die zur Verhütung der Weiterverbreitung der gemeingefährlichen 



216 Die erste Berathang des prenss. Abgeordnetenhauses Uber die Gesetzentwürfe 


Krankheiten an treffen sind, als anf das Gebiet der Landespolisei entfallend 
bezeichnet werden. 

Was die Koten für diejenigen Einrichtungen betrifft, welche zur Ver¬ 
hütung und Bekämpfung der gemeingefährlichen oder abertragbaren Krank¬ 
heiten auch schon zur seuchenfreien Zeit von der Polizeibehörde angeordnet 
werden können, so können diese z. B. für Beobachtungs- und Absonderungs¬ 
räume, Unterkunftsstötten fttr Kranke, Desinfektionsapparate, Beförderungs¬ 
mittel fttr Kranke und Verstorbene, Leichenräume u. s. w. ausserordentlich 
hoch, ja so hoch werden, dass sie Über den Bahmen der Leistangsfähigkeit 
jedenfalls der Landgemeinden durchweg hinausgehen (Sehr riohtig! rechts.) 
Man kann den Landgemeinden besw. den Ortspolizeibezirken wohl zumnthen, 
dass sie die Kosten der ärztlichen Behandlung, der Desinfektion, ja aller Mass¬ 
nahmen, die unter §. 26 des Entwurfs fallen, bei den übertragbaren Krank¬ 
heiten tragen, dass sie aber Einrichtungen von solchem Umfange lediglich auf 
Erfordern der Polizeibehörde sollen treffen müssen, das geht zu weit. (8ehr 
wahr!) Es muss da erwogen werden, welche Kautelen gegen en weitgehende 
Forderangen zu schaffen sind, sei es, dass man über das Bedürfniss die Selbst¬ 
verwaltungsbehörden mitbeschliessen lässt, sei es, dasB der Staat sich an den 
Kosten betheiligt. Auch die Bestimmung im 2. Abs. des §. 28, wonach die 
Anordnung der Herstellung von Einrichtungen erwähnter Art für Kreisver¬ 
bände dem Regierungspräsidenten zugewiesen ist, erscheint bedenklich; denn 
wenn auch der Regierungspräsident seine Forderungen auf das Bedürfniss be¬ 
schränkt, so könnte doch der ihm beigegebene Medizinalbeamte einen wesent¬ 
lichen Einfluss ausüben, und in Folge dessen an die Kreise Anforderungen ge¬ 
stellt werden, die fttr sie eine grosse finanzielle Tragweite haben. Dazu 
kommt, dass der Regierungspräsident zugleich die Landespolizeibehörde dar¬ 
stellt und bei seiner doppelten Eigenschaft als anordnende und Landespolizei¬ 
behörde jede Anordnung zugleich eine Entscheidnng dahin involvirt, dass die 
Massregel als eine ortepolizeiliche anzusehen ist, dass nicht der Staat, sondern 
der Kreis für die Kosten einzutreten bat. (Sehr wahr! rechts.) Deshalb müssen 
hier fttr die Kreise Garantien geschaffen werden, dass ihnen einmal nicht landes- 
polizeiliohe Aufgaben zngemuthet werden, und dass ausserdem an den Anord¬ 
nungen nicht über das wirkliche Bedürfniss hinausgegangen wird. Zweckmässig 
wird dies dadurch geschehen, dass man diese Anordnungen von der Zustimmung 
des Bezirksausschusses abhängig macht; da es sich um Einrichtungen handelt, 
die zu seucbenfreier Zeit, wo also Gefahr noch nicht im Verzüge ist, getroffen 
werden sollen, so kann jedenfalls die durch die Mitwirkung des Bezirksaus¬ 
schusses eintretende Verzögerung diese Massnahme nicht bedenklich erscheinen 
lassen. Endlich berührt Redner noch die Bestimmung im §. 32, Abs. 3, wonach 
die Vorschriften des §. 65 des Regulativs über Zwangsimpfungen bei dem Aus¬ 
bruche einer Pockenepidemie bestehen bleiben sollen. Er hält dies für durch¬ 
aus richtig und zweckmässig, weist aber auf die Lücke hin, die für die Landes- 
theile entsteht, in denen das Regulativ keine Gültigkeit hat; denn für die 
neuerworbenen Provinzen würden durch §. 32, Abs. 1 alle die Zwangsimpfungen 
betreffenden Bestimmungen ausser Kraft gesetzt werden. Redner wünscht, 
dass es gelingen möge, in der Kommission die von ihm hervorgehobenen Bedenken 
au beseitigen, damit das Gesetz thunlichst noch in dieser Session verab¬ 
schiedet werde. (Bravo!) 

Abg. Dr. Korn-Rudelsdorf (kons.) betont, dass seine politischen Freunde 
dem Gesetz nur dann zustimmen können, wenn die Königliche Staatsregierung 
bereit ist, in erheblich grösserer Weise als bisher gefordert worden ist, zu den 
entstehenden Kosten beizutragen. Den ländlichen Gemeinden dürften unter 
keiner Bedingung noch Kosten irgend welcher Art anfgebürdet werden. (Sehr 
riohtig! reohtB.) 

Der Klumpfuss des Gesetzes ist, dass „ohne Weiteres“ die Kostenfrage 
sich nach bestehendem Recht erledigen soll. In dem Gesetz sind so ziemlich 
alle Seuchen abgewehrt und namhaft gemacht, die für den Menschen in Be- 
traoht kommen können, bloss die Kostenseuche ist leider nicht abgewehrt. Es 
liegt aber eine kolossale Gefahr darin, dass dieser Kostenbacillus, der am 
grünen Tisch vielfach seinen Nährboden findet und gezüchtet wird, durch die 
Herren Medisinalbeamten, namentlich in den ländlichen Gegenden herumge¬ 
schleppt werden kann. Gegen zu weitgehende Forderungen der Polizeibehörden 
und Medizinalbeamten ist zwar ein Beschwerdeweg an den Landrath und event. 



bete, die Gebühren der Medizinalbesmten and des preuss. Seuchengesetz. 217 

noch weiter vorgesehen, es liegt aber die Befürchtung vor, dass da nicht der 
Landrath Hecht bekommt, wenn er einer Gemeinde helfen will, sondern der 
betreffende Kreisarzt, and dass eventuell auf dem Dienstanfsichtswege der 
Landrath die Anweisung erhält, sich dem Wunsche des Kreisarztes zn fügen, 
um dadurch eventuell eine schwere Belastung und Inkommodirung der be¬ 
treffenden Ortschaft herbeisuführen. Dazu komme, dass auch bereits vorher, 
bevor eine Seuohe eintritt, prophylaktisch eventuell verlangt werden kann, dass 
ÜUKregeln ergriffen werden. Im grossen Ganzen wird dies zwar auf dem platten 
lande nicht der Fall sein, aber die Gefahr liegt vor; und dagegen müssen in 
der Kommission Garantien geschaffen werden. Uebrigens kann auch nicht 
nnr eine einzelne Gemeinde, sondern auch ein Kreis leistungsunfäbig sein; das¬ 
selbe gilt von Gutsbezirken, deren etwaige Leistungsunfühigkeit im Gesetz 
gar nieht berücksichtigt ist. 

Bedner bemängelt weiter, dass umgekehrt an Kosten gespart und die 
zur Festsetzung der Entschädigungen herangezogenen Sachverständigen in 
keiner Weise entschädigt werden sollen. Für bedenklich hält er auch den §. 35 
nach dem zur Erleichterung des Verständnisses und der praktischen Hand¬ 
habung des Gesetzes für die mit dessen Ausführung betrauten Behürden der 
Erlass ausführlicher, das Verfahren bei jeder einzelnen Krankheit erschöpfend 
behandelnder Anweisungen in Aussicht genommen sind. Ihm graut vor so viel 
Gesundheit. Die Amtsvorsteher seien schon durch Klebegesetz, Statistik, 
Fleischbesehaugesetz u. s. w. belastet, jetzt sollen sie durch die Menschen- 
seuchenfrage noch mehr mit Arbeit belastet werden, so dass sie gar nicht im 
8tande sein würden, dies alles zu leisten. 

Zum Schluss erkennt Bedner, auoh im Namen seiner politischen Freunde 
die Wirkung des Gesetzes, wenn es zu Stande kommt, als sehr erwünscht und 
segensreich an, macht aber deren Zustimmung davon abhängig, dass bezüglich 
der Entlastung der Gemeinden und bezüglich der anderweitigen Regelung der 
KoBtenfrage der Staat einen ganz erheblichen Theil der Kosten, wenn nicht 
ille übernehmen würde. Er hofft, dass die Kommission ein Heilserum gegen 
alle diese Kosten-, Belastungs- u. s. w. Seuchen finden werde. (Bravo 1 rechts.) 

Abg. Dr. Langerhans (freie. Volkspartei) hofft, dass das Gesetz zu 
Stande kommen wird und hält die bisher geäusserten Ansichten über die 
Kosten für etwas übertrieben. Desgleichen kann er in den Tadel nicht ein¬ 
stimmen, dass die Sohutzmassregeln in allzu grosser Fülle und Ueppigkeit ge¬ 
troffen seien, da diese Sohutzmassregeln nur zur Auswahl erlaubt sind und 
gleichsam das HOchstmass bedeuten. 

Bedner bemängelt sodann die Bezugnahme des Gesetzentwurfes auf die 
einzelnen Paragraphen des Beichsgesetzes, ohne dass deren Wortlaut im Gesetz 
selbst angeführt ist; desgleichen vermisst er die Frage der obligatorischen 
Leiehenschau. Er betont deren Nothwendigkeit, namentlich mit Rücksicht 
auf die ansteckenden Krankheiten; selbst wenn sie von Laien ausgeführt werde, 
sei sie von grossem Nutzen. Die Leichenschauer müssten nur bei zweifelhaften 
Pillen einen Arzt hinzuziehen. 

Dass auoh Kurpfuscher eine Anzeige erstatten sollen, hält er für falsch, 
da sie keine Krankheit erkennen, sondern die Kranken nur nach Symptomen 
behandeln. 

Bei der Anzeigepflicht sei es nothwendig, dass mit einer gewissen 
Strenge vorgegangen werde. Ob bei Geschlechtskrankheiten die Anzeigepflioht 
rar für solche Frauenzimmer genügt, die gewerbsmässig Unzucht treiben, sei 
zweifelhaft; hier werde eher zu wenig als zu viel angezeigt; denn ein jeder 
wird sich wohl hüten, eine Dame für ein Unzucht treibendes Frauenzimmer zu 
halten. Jedenfalls müsse das Gesetz so eingerichtet werden, dass seine Durch¬ 
führung nicht übermässig theuer werde, denn namentlich die Landgemeinden 
im Osten seien oft so arm, dass sie irgend eine Erhöhung ihrer Lasten kaum 
ertragen künnen. 

Bedner bittet zum Schloss, mit gutem Willen an die Sache heranzu- 
trehen, und hofft, dass nach Annahme dieses Gesetzes auch die obligatorische 
Leichenschau und die fakultative Leicheneinäscherung nicht mehr lange 
auf sich warten lassen werde. (Bravo! bei den Freisinnigen.) 

Abg. ▼. Savigny (Zentr.) hegt ebenso wie seine politischen Freunde den^ 
dringenden Wunsch, dass der Anregung des Vorredners in Bezug auf di 
Leichen Verbrennung nicht stattgegeben werde. Auch die obligatorisch 



218 Di« ent« Berathuag des preuss. Abgeordnetenhauses über di« Gesetzentwürfe 


Leichenschau hält er nieht für durchführbar. Bei der grossen Ueberein- 
stimmung hinsichtlich der Kostenfrage steht sn erwarten, dass alle die¬ 
jenigen Bestimmungen des yorgelegten Gesetzes, welche eine grosse Koeten- 
Termehrang bedingen, einer gründlichen Revision in der Kommissionsberathang 
nntersogen werden and das Gesetz mit der Koetenbelastong, wie sie jetit in 
demselben enthalten ist, nicht verabschiedet wird. Die Vorschriften der §§. 26, 
26 27 and 28 können in der Allgemeinheit, wie sie hier gefasst sind, un¬ 
möglich bestehen bleiben. Sehr bedenklich ist auch die Aosdehnng der An- 
zeigepflioht anf Langen- and Kehlkopftaberkalose. Es soll 
allerdings nor die Erkrankung an vorgeschrittener Langen- and Kehl¬ 
kopftaberkalose beim Wohnungswechsel des Erkrankten erfolgen; da« 
führt aber gewissennassen sn einer Internirang der Tuberkulösen; sie sind 
nicht mehr in der Lage, sich frei sn bewegen und hernmsureisen; sie riskiren, 
dass sie sonst den anangenehmsten Anzeigen and Weiterungen ansgesetzt 
werden, ganz abgesehen davon, dass die Möglichkeit, zu erkennen, ob sioh 
Jemand in einem Zastand vorgeschrittener Langen- and Kehlkopftaber¬ 
kalose befindet, für den Laien doch wohl vollständig ausgeschlossen ist. Zn 
welchen Konsequenzen würde das führen Pl Denn im §. 2 ist ansdrficklich 
ansgesprochen, dass, wo ein behandelnder Arzt nicht vorhanden oder als be¬ 
handelnd nicht bekannt ist, zunächst der Haushaltungsvorstand, dann jede 
sonst mit der Behandlung oder Pflege des Erkrankten beschäftigte Person, 
ferner derjenige, in dessen Wohnung oder Behausung der Erkrankangs- oder 
Todesfall sich ereignet hat — also der Wohnungsbeanfsichtiger, unter Um¬ 
standen der Haaseigenthümer, der Vermiether n. s. w. — anzeigepflichtig sind 
and gerade hinsichtlich einer Krankheit, an der durchschnittlich 74000 Per¬ 
sonen jährlich in Preassen sterben, also eine sehr grosse Zahl von Personen 
den Verdacht, an dieser Krankheit zn leiden, durch das lassere Verhalten zu 
erwecken geeignet ist. Dies würde allen ängstlichen Persönlichkeiten, die sich 
vor der Strafe, die bei Unterlassung der Anzeige ans §. 2 angedroht ist, 
fürchten, dahin treiben, dass sie den Zastand als einen „vorgeschrittenen“ 
ansehen and sich mithin verpflichtet fühlen, die Anzeige za erstatten. Dieser 
Bestimmung eine andere Formolirnng zu geben, wird Aufgabe der Kommission 
sein. In der Begründung ist zwar darauf hingewiesen, dass andere Staaten 
sehon in dieser Weise vorgegangen seien. Dieselben bleiben aber hinter dem, 
was hier das Gesetz in dem Punkte der Anzeigepflioht vorsieht, weit zurück. 
Belgien ertheilt nur allgemeine Rathschllge zur Vermeidung der Ansteckung; 
Italien verlangt die Anzeige nnrffir Erkrankungen innerhalb von Anstalten, 
Gasthöfen, Herbergen, grösseren Einrichtungen, bei denen eine solche Anzeige 
und Ueberwachung überhaupt schon leichter durchführbar ist. Norwegen, 
das am weitesten in seinen Bestimmungen geht, macht wiederum nur den 
Arzt anzeigepflichtig, legt diese unter Strafe gestellte Pflicht also nicht den 
anderen Personen auf, auch Oesterreich legt wiederum nur dem Arzt die 
Anzeigepflioht auf; ebenso Baden und Sachsen; nur in Saohsen- 
Altenburg bestehen die Bestimmungen des Entwurfs. Auch hinsichtlieh 
der Frage der Zuständigkeit der Entscheidungen über Beschwerden 
ist es bedenklich, dam nach §. 12 die Klage im Verwaltungsstreitverfahren 
ausgeschlossen werden soll (Sehr richtig!). Die ganze preussiBche Verwaltungs¬ 
organisation geht davon aus, dass gegen die Massnahmen der Behörden in den 
meisten Fällen die Klage im Verwaltungsstreitverfahren vorgesehen ist und 
gegeben erscheint. Warum hier davon eine Ausnahme getroffen werden soll, 
ist unverständlich; auch in diesem Punkte wird die Kommission die andere 
Hand ansetzen müssen. Wenn in §. 12, Abs. 8 gesagt ist, dass die Anfechtung 
der Anordnungen keine aufschiebende Wirkung haben soll, so ist dies im ge¬ 
wissen Umfange unzweifelhaft als richtig ansuerkennen. Da wird aber auch 
vielleicht eine Einschränkung einzufügen sein, weil die Massnahmen unter 
Umständen dann bei Erledigung der Beschwerde schon getroffen sind. 

Redner wünscht ferner, dass die Bestimmung im §. 14 des Reichsseuchen- 
gesetses, wonach bei der Abschliessung, welcher die Kranken unter Umständen 
unterzogen werden, Ausnahmen getroffen werden, unter anderem auch für den 
Seelsorger, so dass dieser den Zutritt gesichert behält. Dagegen betont er, 
dass für die hier ausgesprochene Befürchtung, als ob zwischen Landrath und 
Kreisarzt so leicht eine Differenz entstehen könnte, und dass bei deren Aus¬ 
trag voraussichtlich der Landrath Unrecht, der Kreisarzt Recht behalten 



betr. die Gebühren dar MtdianlkauittB ud 4 m preuss. Seaeheageeets. 219 


wtrde, au der allgemeinen Praxis, die sieh Mich jetzt schoe seit Bestehe« 
das Kreisarztgeeetses herausgebildet hat, keine rechten Anhaltspunkte ge¬ 
wonnen werden können, and diese Befürchtung daher eine ungerechtfertigte ist. 
Sr glaubt weiterhin, dass die in §. 21 vorgesehene Verwaltnag des Amtes 
der Sachverständigen als eines ehrenamtlichen kaum wird anlrechterhalten 
werden können, weil sonst Niemand su dem Amte recht bereit sein werde. 
Zn §. 27. wflnseht er, dass eine Theilnng der Lasten zwischen den weiteren 
Verbinden der Provinz und dem Staate einerseits and den Kreisen besw. 
Gemeinden anderseits erfolgt. 

Wenn diese Gesichtspunkte berücksichtigt werden, so wird es gelingen, 
das Gesetz, dessen allgemeine Nfttsliohkeit and Nothwendigkeit von Niemandem 
bezweifelt wird, sa einem solchen an gestalten, dass es anch in der Bevölkerung 
als eine Wohlthat empfanden wird and dass bei dessen Ausführung das ganze 
Publikum mitwirkt. — Diese Sympathie wird in vieler Beziehung gerade die 
Wirksamkeit dieses Gesetzes erst begründen! Dm erfordert aber, dass <Us 
Gesetz den Unterthanen, für die es erlassen, schmackhafter gemacht wird und 
nicht an einem Gegenstand der BesorgnisB und des Misstrauens, an einem 
Gegenstände steter Beschwerdeführung and der Furcht vor Denunziationen 
u. s. w., als welches es dann seine Wirkung verfehlen würde (Bravo!). 

Abg. Hofmann (freis. Vereinigung) will seine Betrachtungen nur auf 
drei Punkte richten: Sr weist zunächst auf die Verschiedenheit der 
Ortspolizeibehörden in den einzelnen Theilen der Monarchie hin und 
trügt: kann überhaupt eine richtige Handhabung des Gesetzes ein treten, wenn 
so verschiedenartige Behörden genau dieselben Befugnisse aussuüben haben? 
Es würe deshalb besser, die ganze Ausführung in die Hand des Landraths au 
legen besw. bei Stidten iu die Hand der städtischen Polizei und die Aufsicht 
in die Hand des Begierungsprisidenten. 

Sodann frägt er an, ob für die in Nassau vielfach über mehrere Ge¬ 
meinden sioh erstreckenden Aerztebesirke mit festangestellten Aersten 
Gesundheitakommisaionen gebildet werden können. Es sei dies erwünscht, denn 
eine solche Gesundheitskommission kann in lindliehen Bezirken an thatsäohlioher 
Aufklärung für die Medizinalbehörden ganz Wesentliches leisten. 

Betreffs der Kosten ist Bedner ebenfalls der Ansicht, dass sie doch 
ausserordentlich ungünstig für die einzelnen Gemeinden normlrt sind; wenig¬ 
stens sollten die aus §. 26 reaultirenden zum grössten Theil nicht der Einzel¬ 
gemeinde, sondern der Landespolizeibehörde auferlegt werden. Die ganzen 
Maosregeln, die zur Lokalisation einer Seuche dienen, sind doch nicht lediglich 
für die einzelne Gemeinde bestimmt, sondern auch dazu, die anderen benachbarten 
Gemeinden, die ganze Umgegend und den ganzen StMt gegen die Weiterverbrei¬ 
tung dieser Seuche zu schützen; es ist deshalb nicht gerechtfertigt, diese Kosten 
völlig der einzelnen Gemeinde zur Last zu legen. Dagegen sei das Prinzip, Einrich¬ 
tungen zu einer seuehenfreien Zeit zu treffen, an sich berechtigt, nur nicht in 
der Weise, wie es §. 27 vorschreibt. Von jeder Gemeinde, auch der wenig 
leistungsfähigen, könne man zwar fordern, dass sie einen gewissen, ihren Ver¬ 
hältnissen entsprechenden Aufwand auch zur Verhütung künftiger Seuchen 
machen muss; aber nach §. 27 boII sie einfach auf Erfordern der Polizeibe¬ 
hörden das thun, was die Polizeibehörde in gesundheitlicher Besiehung für 
richtig hält. Hier fehlt überhaupt die Büoksicht auf die Selbstverwaltung; 
massgebend und allein entscheidend ist lediglich die Polizeibehörde, die 
Ortagemeinde wird gar nicht gefragt, sie braucht nicht einmal gehört zu 
worden. Die Leistungsfähigkeit der Gemeinde muss deshalb im Gesetz fest- 
gestellt und eine bestimmte jährliche Höheleistung, etwa 0,ß°/ 0 der Jahresein- 
nähme, festgesetzt werden, über die hinaus die einzelne Gemeinde nicht ver¬ 
pflichtet ist, etWM zu leisten. 

Man Ballte im Gesetz auch den Gedanken festlegen, dass man zur Ver¬ 
hütung künftiger Seuchen einen gewissen Fonds allmählich ansammelt in der 
Art, dass man in die Badgets der einzelnen kleinen Gemeinden eine gewisse 
Ihrer Leistungsfähigkeit entsprechende Summe einstellt und durch allmähliche 
Auffüllung dieses Fonds dann in die Lage käme, bei plötsliohem Ausbruch der 
Seuchen davon Gebrauch su maohen oder aber eine ständige Einrichtung zu 
tieften, die beim Ausbruch in Gebrauch genommen werden könnte. Die Be¬ 
schaffung kostspieliger Einrichtungen sollte nieht Sache der einzelnen Ge¬ 
meinden, sondern der grösseren verbände sein. Auch die Hülfe von Wohl- 



220 Die erste Beratkuag des prenss. Abgeordnetenhauses über die Gesetieutwttrfe 

thfttigkeitseinriebtnngen und Yereinignngen für Ähnliche Zwecke müsse man 
aof diesem Gebiete heransieben. Desgleichen erscheint es mit Rücksicht aal das 
ausserordentliche Interesse, das der Staat an der Gesundheit seiner Mitglieder, 
an der Verhütung und Verbreitung der Seuchen hat, angezeigt, irgend einen 
Fonds oder einen bestimmten Rtatstitel zu bilden, der beiweckt, derartige 
Einrichtungen, die hier gefordert werden, auch staatlicherseits su einem Theil 
mitzufordern. 

Damit wird die Diskussion geschlossen und beschlossen, sowohl diesen 
Entwarf als den Entwurf über die Gebühren der Medizinalbeamten einer 
Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen. 

Aas den vorstehenden Verhandlungen geht hervor, dass die 
Aussichten auf das Zustandekommen der beiden Gesetze keine 
ungünstigen sind; die Vertreter aller Parteien haben sich mehr 
oder weniger zustimmend geäussert und vor Allem die Noth- 
wendigkeit wie das Bedürfniss einer zeitgemässen gesetz¬ 
lichen Neuregelung der beiden Fragen anerkannt; aber ebenso 
einstimmig gefordert, dass dadurch keineMehrbelastung der 
Gemeinden eintreten dürfe, sondern namentlich in Bezug auf 
das Seuchengesetz der Staat in weit höherem Masse, als im 
Gesetze vorgesehen sei, zu den Kosten beitragen müsse. 
Jedenfalls bildet die Regelung des Kostenpunktes den 
Schwerpunkt und die Voraussetzung für die Verabschiedung des 
Seuchengesetzes; wird in dieser Hinsicht eine Einigung erzielt, 
insbesondere der Begriff „landespolizeilich* nicht zu eng gefasst, 
und gelingt es, einen grösseren Theil der im Entwurf den Ge¬ 
meinden auferlegten Kosten auf die breiten Schultern des Staates 
oder der Provinzialverbände abzuwälzen, was auch durchaus dem 
öffentlichen Interesse und dem seiner Zeit von den Medizinal¬ 
beamten vertretenen Standpunkt entspricht, dann dürfte die An¬ 
nahme beider Gesetzentwürfe gesichert sein. 

Die Erörterung des Gebührengesetzes hat im Uebrigen 
gegenüber den Verhandlungen im Vorjahre wenig neue Gesichts¬ 
punkte gebracht. Der Abg. Dr. Ruegenberg verlangte ebenso 
wie früher mit Recht, dass die Einzelsätze der Gebühren keines¬ 
wegs unter die Sätze der ärztlichen Gebührenordnung herabgehen 
dürften und zwar nicht nur mit Rücksicht auf die beamteten 
Aerzte, sondern noch mehr mit Rücksicht auf die nicht beamteten. 
Desgleichen hält er es für ungerechtfertigt, dass die Tagegelder 
und Reisekosten in gerichtsärztlichen Angelegenheiten niedriger, 
als bei anderen gleichgestellten Beamtenkategorien sein sollten. 
Die Abg. Gamp und v. Savigny traten vor Allem dafür ein, 
dass der Gebührentarif nicht durch ministerielle Verordnung, 
sondern durch Gesetz festgelegt würde, und begründeten diese 
Forderung mit Rücksicht auf die sonst etwa zu hohe Bemessung 
der Gebühren und die dadurch bedingte zu grosse Belastung der 
Gemeinden und Privatpersonen, während der Abg. Dr. Martens 
zutreffend hervorhob, dass bei Festsetzung des Tarifs durch den 
Herrn Minister auch die beamteten Aerzte leicht zu kurz kommen 
könnten. Trotzdem hielt er diese Festsetzung für die richtigere, 
damit nicht bei jeder Aenderung die Klinke der Gesetzgebung in 
die Hand genommen zu werden brauchte. Mit Recht wurde von 
dem Abg. v. Savigny eine genauere Bestimmung der Begriffe 



betr. die' GtablLhren der Mediiin&lbean) ten and du preass. Seachengesets. 221 

„staatliche“ und „ortspolizeiliche“ Interessen verlangt, eine Forde¬ 
rung, der man nur beistimmen kann; wenn derselbe Abgeordnete 
aber glaubt, dass die im Tarif vorgesehenen Gebührensätze an 
einzelnen Stellen noch herabgesetzt werden könnten, so muss dem 
gegenüber betont werden, dass diese im Vergleich zu den bisher 
geltenden Gebührensätzen zum Theil und gerade für die am 
häufigsten vorkommenden Amtsgeschäfte (Termine, Besichtigungen, 
Gesundheitszeugnisse u. s. w.) wesentlich niedriger bemessen sind 
und einer Erhöhung bedürfen. 

Bei der Berathung über das Ansführungsgesetz zum 
Beiehsseuchengesetz bildete, wie bereits erwähnt, die Kos ten- 
frage — die Kostenseuche, wie sie der Abg. v. Korn bezeichnete 
— die drohende Belastung der Gemeinden und deren nothwendige 
Entlastung durch den Staat den Hauptgegenstand der Aus¬ 
führungen sämmtlicher Redner; von allen wurde mehr oder weniger 
allen verlangt, dass die zur Bekämpfung der Seuchen erforderlichen 
Massnahmen in erster Linie als landespolizeiliche anzusehen und 
demgemäss auch die Kosen dafür von dem Staate zu übernehmen 
seien. Mit Rücksicht auf das bestehende Recht geht diese Forderung 
entschieden zu weit; aber der befürchteten Belastung der Ge¬ 
meinden würde nicht nur vollständig vorgebeugt, sondern auch 
gegenüber dem bisherigen Zustande eine erhebliche Entlastung 
derselben erreicht werden, wenn dem Beschlüsse der vorjährigen 
Medizinalbeamtenversammlung gemäss, der Staat die Kosten des 
Ermittelungsverfahrens, die Provinzialverbände analog wie bei 
der Bekämpfung der Viehseuchen die Kosten der Entschädigungen 
einschliesslich der Auslagen für die Sachverständigen, die Kreise 
die Kosten für die Beschaffung von Desinfektionsapparaten und 
Isolirräumen, für Bestellung von Desinfektoren und für die Wohnungs¬ 
desinfektion, sowie die Gemeinden die Kosten für die Unterbrin¬ 
gung und ärztliche Behandlung der unvermögenden Kranken 
und für alle sonstigen Einrichtungen tragen, die ausschliesslich 
im örtlichen Interesse erfolgen. Uebersteigen die Kosten hierfür 
die Leistungsfähigkeit der Gemeinden, dann müssten ihnen Zu¬ 
schüsse von Kreisen, Provinzialverbänden oder vom Staat gewährt 
werden; der Kreistag, Provinziallandtag und Landtag müssten 
dum nur darauf hinwirken, dass auch ausreichende Beträge dafür 
in die betreffenden Etats eingestellt würden. 

Im Uebrigen erklärten sich im Grossen und Ganzen alle 
Redner mit den Grundprinzipien des Gesetzes einverstanden und 
erkannten dessen sorgfältige Ausarbeitung an. Betreffs der An¬ 
zeigepflicht wurde nur, wie dies zu erwarten stand, die Be¬ 
stimmung bezüglich der Anzeige bei Tuberkulose und Geschlechts¬ 
krankheiten bemängelt und hier eine einwandsfreiere Fassung 
gewünscht, eine Forderung, mit der man sich nur einverstanden 
erklären kann und deren Erfüllung hoffentlich der Kommission 
gelingt. Auch damit, dass eine Ausdehnung der Anzeigepflicht 
auf andere Krankheiten (Masern, Keuchhusten, Malaria, Krebs 
u. s. w.) auf Beschluss des Staatsministeriums zulässig sei, er¬ 
klärte man sich einverstanden; für die Ertheilung dieser Er- 



222 Brate Berathnng Ober daa Gebtthrengeaets o. d. preau. Senehengecetze. 

mächtigung an den Regierangspräsidenten ist jedoch keiner der Redner 
eingetreten, obwohl diese u. E. im öffentlichen Interesse wenigstens 
für die akut auftretenden ansteckenden Krankheiten anbedingt 
nothwendig ist. Aaf alle Fälle sollte man dann wenigstens 
die betreffenden §§. 5 and 7 derartig fassen, dass jenen Er¬ 
mächtigung nicht blos für das vorübergehende and epidemische 
Auftreten der Erkrankungen zulässig ist, denn dann wird von 
ihr oft zu spät Gebrauch gemacht werden können, um die Epi¬ 
demie mit Erfolg zu bekämpfen. Hinsichtlich der amtsärzt¬ 
lichen Ermittelungen wurde von dem Abg. Iderhoff vor¬ 
geschlagen, in der einschlägigen Bestimmung des Reichsgesetzes 
für die im Gesetzentwurf genannten Krankheiten statt des „muss“ 
ein „kann“ zu setzen; das wäre eine ausserordentliche Ver¬ 
schlechterung des Gesetzes, die hoffentlich nicht den Beifall der 
Kommission und später des Plenums findet. 

Die Festsetzung der Schutzmassregeln bei jeder ein¬ 
zelnen Krankheit nach ihrer Eigenart und Gefährlichkeit fand 
allseitigen Beifall; die Einzelheiten über diese Frage wurden aber 
fast von allen Rednern der Kommissionsverhandlungen Vorbehalten 
und nur vor einem Zuweitgehen gewarnt. Letzteres geschah 
auch von dem Abg. Dr. Martens in Bezug auf die Gewährung 
der persönlichen Entschädigungen ifir Arbeitsverlust bei 
Isolirung, Beobachtung von kranken und krankheitsverdächtigen 
Personen u. s. w., eine Ansicht, die unseres Erachtes ebenso ihre 
volle Berechtigung hat wie die Ansicht, dass es falsch sei, nur die 
Arbeiter in solchen Fällen zu entschädigen, während oft genug 
wenig bemittelte Personen des Handwerker- u. s. w. Standes 
viel schwerer durch derartige Massregeln als die Arbeiter ge¬ 
troffen werden. 

Auch der von verschiedenen Rednern (Martens, Ider¬ 
hoff, v. Savigny) ausgesprochene Wunsch, dass das Ver¬ 
waltungsstreitverfahren gegen die von den Polizeibehörden 
oder dem Regierungspräsidenten angeordneten Massnahmen in 
grösserem Umfange zulässig sein müsse, als im Gesetze vorge¬ 
sehen, erscheint berechtigt; nur dürfte sich dies nicht auf die 
sogenannten unmittelbaren Schutzmassregeln (§§. 8—12) des Ge¬ 
setzes erstrecken, weil sonst die Anordnung und Durchführung 
derselben ausserordentlich beeinträchtigt werden würde. In Wirk¬ 
lichkeit dürften im §. 12, Abs. 2 des Gesetzes auch nur diese ge¬ 
meint sein; zur Sicherheit könnte ja aber hier noch eine ent¬ 
sprechende Bestimmung eingefügt werden. Dagegen dürfte nichts 
entgegenstehen, wenn bei allen, namentlich in seuchenfreien Zeiten 
von den Polizeibehörden und dem Regierungspräsidenten ge¬ 
forderten Einrichtungen zur Bekämpfung der gemeingefährlichen 
und übertragbaren Krankheiten das Verwaltungsstreitverfahren 
zugelassen würde. 

Die Erörterungen über die Kdfetenfrage sind bereits vor¬ 
her besprochen. Zum Schluss nur noch eine Bemerkung betreffs 
der Zwangsimpfung. Nach §. 32, Abs. 3 des Gesetzentwurfes 
sollen die Vorschriften darüber bestehen bleiben, es werden aber, 



Besprechungen. 


233 


wie der Abg. Iderhofi betont, ansdrttcklich nur diejenigen des 
Regulativs (§. 55) erwähnt, die in den neuen Provinzen aber 
geltenden (in Hannover: Königl. Verordnung vom 6. Juni 1838, 
in Schleswig-Holstein: Königl. Verordnung vom 2. September 
1811 [§§. 21 und 22], in Lauenburg: Verordnung vom 5. Januar 
1826, §. 22) aber unberücksichtigt gelassen, so dass diese durch 
die Bestimmung im §. 32, Abs. 1 aufgehoben würden, und hier 
keine Zwangsimpfung mehr zulässig sein dürfte, ebenso wie in 
Hessen-Nassau, wo derartige Vorschriften überhaupt nicht bestehen. 
Hier bedarf der Entwurf unbedingt einer Aenderung und zwar 
dahin , dass man unter §. 8 (Schutzmassregeln) beim Ausbruch von 
Pocken nicht allein die Zwangsimpfung, sondern auch die Zwangs- 
wiederimpfuug für zulässig erklärt; denn die letztere ist ebenfalls 
zur Bekämpfung der Seuche unbedingt erforderlich. In Wirklich¬ 
keit entzieht sich zwar beim Ausbruch von Pocken fast niemals 
Jemand der Impfung und Wiederimpfung, da das Publikum eine 
zu grosse Angst gerade vor dieser Krankheit hat, immerhin dürfte 
aber doch die gesetzliche Festlegung der Zwangsimpfang angezeigt 
sein, die bei der Zusammensetzung des Landtages auf keine 
Schwierigkeiten stossen wird. Dann würden auch in dieser Be¬ 
ziehung einheitliche Vorschriften für die ganze Monarchie be¬ 
stehen und das ganze Regulativ von 1835 aufgehoben werden 
können, abgesehen von der durch das Kreisarztgesetz aufrecht er¬ 
haltenen Bestimmung über die Sanitätskommissionen. Rpd. 


Besprechungen. 

Dr. A. Leiser, Prof, der geriohtl. Medizin und Geriohtsarzt su Breslau: 
Stereoskopischer Gerichtsftrztlicher Atlas. Breslau 1903. Schlesische 
Verlagsanstalt von S. Sehottlaender. I. Abtheilung; Tafel 1—50. 
Preis: 16 Mark. 

Der Verfasser, der sieh bereits bei dem von Neisser herausgegebenen 
stereoskopischen medizinischen Atlas dnreh mehrere, in dieser Zeitschrift früher 
besprochene Lieferungen betheiligt hat, bietet den beteiligten Kreisen jetzt 
ein in sich abgeschlossenes, völlig selbstständiges Werk, das in 200 Tafeln 
das ganze Gebiet der gerichtlichen Medizin umfassen, in vier Abtheilungen zur 
Ausgabe gelangen und binnen 12 Monaten vollständig erscheinen soll. 

Die soeben erschienene erste, aus 50 Tafeln nebst erklärendem Text 
bestehende Abtheilung, bringt Verletzungen des Kopfes und der Wirbelsäule 
(8tieh-, Schuss-, Quetschwunden, Schädelverletzungen der verschiedensten Art, 
Verletzungen des Gehirns, seiner Häute und Gefässe, Hirnblutungen) und zwar 
nicht nur vitale, sondern auch postmortale, ein für den praktischen Gebrauch 
des Atlas nicht zu unterschätzender Vorzug. Dabei ist die Wahl der bildlich 
dargestellten Objekte aus dem reiohen Materiale, das dem Verfasser in seiner 
Eigenschaft als Gerichtsarzt zur Vertilgung steht, ausserordentlich geschickt 
getroffen und insbesondere dem diffenrential - diagnostischen Gesichtspunkte 
Rechnung getragen; aus der Praxis für die Praxis! Die Verletzungen und 
Veränderungen u. s. w. werden auf den Bildern in Naturtreue wiedergegeben 
und durch die photographisch-stereoskopische Aufnahme die räumlichen Ver¬ 
hältnisse der Objekte in kaum zu übertreffender Art zum Ausdruck gebracht, 
auch Färbungen und Farbendifferenzen lassen die Reproduktionen in nicht miss¬ 
zudeutender Weise hervortreten. 

Der Atlas dürfte demgemäss allen Medisinalbeamten und Gericht«ärzten 
hochwillkommen sein. Br kann diesen nur auf das Wärmste empfohlen werden, 
zumal auch der Preis ein verhältnissmässig niedriger ist. Wie uns mitgetheilt 



224 


Tagesnaohriehten. 


wird, ist die zweite Lieferung bereite im Druck fertig gestellt and ihr Er¬ 
scheinen unmittelbar bevorstehend, so dass die Vollendung des ganzen Werkes 
in diesem Jahre gesichert ist. Rpd. 


Jobs. Sohmidt and Fr. Wels: Die Bakterien. Mit (20b Figuren im 

Text. Jena 1902. Verlag von Gustav Fischer. Gr. 8°, 416 Seiten. 

Preis: 7 Mark. 

Im Gegensätze zu der Überwiegenden Mehrzahl der Lehr- und Hand¬ 
bücher der Bakteriologie behandelt das vorliegende Werk die theoretische Seite 
dieses Wissenszweiges, indem es eine „naturhistorische Grandlage für das 
bakteriologische Studium“, eine wissenschaftliche Basis für weitergehende 
theoretische und praktische Forschungen bilden will. Dieser Zweck erscheint 
erreioht. In der Bearbeitung des Stoffes haben sich die Verfasser getheilt, 
indem Schmidt aus dem allgemeinen Theil die Morphologie und Entwicke¬ 
lungsgeschichte und den speziellen Theil über die Systematik der Bakterien 
gewählt hat, während Weis ihre Physiologie, Verbreitung und Bedeutung im 
Haushalte der Natur behandelt. Für das kritisch nnd genau durcbgearbeitete, 
lebhaft und klar geschriebene Werk spricht auch die beifällige Aufnahme der 
dänischen Ausgabe durch die Kopenhagener Universität. Die deutsche Aus¬ 
gabe, von Morten-Porsild unter Mitwirkung der Verfasser übersetzt, ist 
mit einem empfehlenden Vorwort seitens des Prof. Dr. Hansen-Kopenhagen 
versehen. 205 Figuren erläutern den Text. Dr. Boepke-Lippspringe. 


Dr. W. Mlgula, Professor an der Grossb. techn. Hochschule in Karlsruhe: 
Oompendium der b&kteriologisohen CTassernntersuchung nebst 
-vollständiger Uebersieht der Trink wasserbakterien. Mit zwei 
Liohtdrucksafeln. Wiesbaden 1902. Verlag von Otto Nemnioh. Gr. 8°, 
r 488 Seiten. Preis: geh. 9 Mark, geb. 10 Mark. 

Das vorliegende Werk behandelt in dem I. Abschnitt die bakteriologische 
Wasseruntersuchung in der Weise, dass die wichtigsten Methoden eingehend, 
die schwierigeren aber nur kurz erörtert werden und die entbehrlichen Unter¬ 
suchungen ganz weggelassen sind, so dass es in erster Linie für diejenigen zum 
Selbststudium geeignet erscheint, die als Nicht-Fachbakteriologen Wasser- 
untersuohungen machen müssen. Den Schwerpunkt legte Verfasser in dem 872 
Seiten umfassenden XL Abschnitt auf die Beschreibungen der wichtigsten Trink¬ 
wasserbakterien, die durch zwei angefügte Lichtdrucktafeln illustrirt werden. 

_Dr. Boepke-Lippspringe. 

Dr. Max Blobele, Apotheker in Regensburg: Die chemischen Prozesse 
und stöchiometrischen Berechnungen bei den Prüfungen und 
Werthbestimmungen der im Arzneibuohe für das Deutsohe 
Reich (IV. Ausgabe) aufgenommenen Arzneimittel. Berlin 1902. 
Verlag von Jul. Springer. 12 6 ; 320 S. Preis: geb. 4 Mark. 

Das vorliegende Buch bildet den theoretischen Theil der vom Verfasser 
ebenfalls heransgegebenen „Anleitung zur Erkennung und Prüfung der Arznei¬ 
mittel“ des Arzneibuches für das Deutsche Reich (IV. Ausgabe). Es ist ein 
recht praktisches Nachschlagebuch und zum Gebrauch bei Revisionen sehr 
empfehlenswerth. Dr. We iss -Bad Oeynhausen. 


Tagesnachrichton. 

Au dam Belohn tage. Bei der Etatsberathung sind im Reichstage 
eine ganze Reihe sanitärer Fragen angeschnitten. So wurde z. B. in den 
Sitzungen vom 16. und 17. Februar von konservativer Seite der allzu luxuriöse 
Bau der von den Landesversichernngsanstalten gebauten Krankenanstalten, 
insbesondere der Lungenheilstätte in Beelitz bemängelt, während von anderer 
Seite dies als besonders anerkennenswerth bezeichnet und auch vom Staats¬ 
sekretär des Innern, Graf v. Posadowsky, hervorgehoben wurde, dass darin 
keine Verschwendung, zu erblicken sei, wenn man die betreffenden Anstalten 



Tagesnachrichten. 


225 


mit allen Errungenschaften der modernen Wissenschaft ansstatte. Der Sozial¬ 
demokrat Antriok brachte in der Sitzung yom 28. Februar bei Berathang des 
Etats für das Gesundheitsamt wieder eine grosse Anzahl von Be¬ 
schwerden über mangelhaften Zustand der Krankenanstalten, schlechte 
Bezahlung der Krankenpfleger u. s. w. vor; in der darauf folgenden Sitzung 
am 24. Februar kam es zu einer grösseren Debatte über den Schatz der 
Arbeiter in den. Gerbereien gegen Milzbrand und über die Bekämpfung der 
Warmkrankheit nnter den westfälischen Bergwerksarbeitern, an der sich 
am 25. Februar eine solche über das Borsäure verbot, über öffentliche 
Vntersnchungsanstalten und einheitliche Kontrole des Verkehrs mit 
Nahrangs- und Gennssmitteln, sowie über die Geheimmittelfrage an- 
schloss. Wir behalten uns vor, anf einzelne dieser Fragen später noch näher 
einzagehen. Inzwischen ist bei dem Reichstage die Novelle znm Krankenver¬ 
sicherungsgesetze (s. Nr. 8, S. 120), desgleichen eine 74 Seiten starke 
Denkschrift über die Tuberkulose und deren Behandlung einge¬ 
gangen, welche die gegenwärtige Verbreitung dieser Krankheit, ihr Wesen, 
ihre Uebertragung, Vorbeugung und Behandlung sowie die besonderen Mass¬ 
nahmen in Bezug auf ihre Bekämpfung eingehend erörtert und Mittheilungen 
über die Ergebnisse der Behandlung der Tuberkulösen in den Lungenheil¬ 
stätten enthält. 


Ana dem preussisohen Landtage. Bei Gelegenheit der Berathung 
des Justizetats (em 12. u. 18. Februar) gelangte auch der Kurpfuscherpro¬ 
zess NardenkOtter zur Erörterung und wurde die Freilassung des Ange¬ 
klagten gegen eine so niedrig bemessene Kaution bemängelt. Desgleichen 
wurde der Justizminister über seine Allgemeine Verfügung betreffs Zuziehung 
der Kreisärzte als Sachverständige in Entmündigungssachen inter- 
pellirt. Er erwiederte hierauf: 

„Nachdem am 1. April 1901 das Gesetz über die Kreisärzte in Kraft 
getreten war, wandte sich der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamten- 
yereins mit einer Beschwerde an den Herrn Minister der Medizinalangelegen¬ 
heiten, in welcher er unter Berufung auf die Bestimmungen des Kreisarzt- 
gesetzes den Anspruch erhob, dass nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung 
auch in Entmündigungssachen an erster Stelle der Kreisarzt als Sachverständiger 
zuzuziehen sei. . . . Der Herr Minister der Medizinalangelegenheiten theUte 
mir diese Eingabe des Medizinalbeamtenvereins mit. Es haben darüber Ver¬ 
handlungen zwischen den beiderseitigen Ressorts stattgefunden, die zu dem 
Ergebniss geführt haben, dass wir den Anspruch des Vereins als einen be¬ 
rechtigten anerkennen mussten. Denn in der That liegt die Sache so, dass 
a ich dem Kreisarztgesetz der Gerichtsarzt in ärztlichen Angelegenheiten Sach¬ 
verständiger für seinen Bezirk ist, und dass deshalb der §. 404 der Zivilprozess¬ 
ordnung anf ihn Anwendung findet. Diese Ueberzeugung hat mich bestimmt, 
im Einverständniss mit dem Herrn Kultusminister, die angefochtene Verfügung 
zu erlernen, die irrthümlicher Weise als eine Weisung an die Richter ange¬ 
sehen ist, während sie nur eine Empfehlung darstellt. Ieh glaube, dass 
man dies im Laufe der Zeit in ärztlichen Kreisen anerkannt hat. Wenigstens 
ist in einer ordentlichen Generalversammlung des psychiatrischen Vereins der 
Rheinprovinz, die am 15. November v. J. stattgefunden hat, nach einem mir 
von dem Verein selbst zugesandten Protokoll von einem Arzte ausdrücklich 
anerkannt worden: der Jnstizminister habe nicht anders handeln können. Ein 
anderer Arzt hat gesagt: der Erlass sei aus dem Kreisarztgesetz und der 
Zivilprozessordnung zu erklären. Ein dritter Arzt, der wahrscheinlich Medi¬ 
zinalbeamter war, bat erklärt: die frühere, von mir aufgehobene Verfügung 
sei ein Misstrauensvotum gegen die Medizinalbeamten gewesen und sei von 
diesen als ein solches sehr schwer empfunden. Dieser bat sich also vollständig 
auf den Standpunkt der Justizverwaltung und der Medizinalverwaltung gestellt. 
. . . Jedenfalls hat mir der Gedanke vollständig fern gelegen, die Einnahmen 
der Medizinalbeamten auf diesem Wege irgendwie zu erhöhen; ich habe aber 
dem Einsprüche gegen den Wortlaut der früheren Verfügung als einen nach 
d em Gesetz berechtigten anerkennen müssen, und deshalb allein habe ich 
mich für verpflichtet gehalten, die Verfügung so, wie sie lautet, an erlassen.* 

In der Sitzung vom 19. Februar kam bei Gelegenheit der Berathnng 



286 


Tagesnachrichted. 


des Etats des Ministeriums für Handel und Gewerbe die Wurmkrankheit in 
dem westfälischen Bergwerksbezirk zur Erörterung; wir werden auf diese Ver¬ 
handlung unter gleichzeitiger Berücksichtigung derjenigen im Reichstage über 
dieselbe Frage noch zurückkommen. 


Das Kaiserliche Gesundheitsamt hat nach dem Muster des 
Tuberkulose-Merkblattes ein Typhus- und Ruhr-Merkblatt bearbeiten und 
im Verlage von Julias Springer in Berlin erscheinen lassen. An der Be¬ 
arbeitung haben sich Geh. MedL-Rath Prof. Dr. R. Koch, Geh. Ob.-Med.-Rath 
Prof. Dr. Kirchner und Geh. Ober-Med.-Rath Dr. Krieger Strassbarg i./B. 
betheilgt. In dem Merkblättern wird gemeinverständlich Wesen, Verlauf, Be¬ 
handlung, Uebertragung von Typhus und Ruhr, die Absonderung des Kranken, 
Verhalten des Pflegepersonals, Beseitigung der Ausleerungen, Behandlung von 
Wäsche, Kleidern, Gebrauchsgegenständen, Desinfektion, Verkehr mit Nahrungs¬ 
mitteln u. a. m. besprochen. Der Preis beträgt für 1 Exemplar: 5. Pfg., für 
100 Exemplare: 8 M., für 1000 Exemplare: 25 M. 


Zur Kurpfuscherfrage. In Anlass des kürzlieh in Berlin verhandelten 
grossen Kurpfuscherprozesses gegen NardenkOtter scheint man an massgebender 
Stelle eine schärfera Konrolle über das Treiben der Kurpfuscher sowie Mass¬ 
nahmen für notwendig zu erachten, die eine wirksamere Unterbindung dieses 
Treibens bezwecken. Es handelt sich hierbei hauptsächlich um die Ausdehnung 
des§. S&derReiohsgewerbeordnungauf Personen, welche ohne die ärzt¬ 
liche Approbation zu besitzen, gewerbsmässig die Ausübung der Heilkunde be¬ 
treiben. Nach dem genannten Paragraphen „ist die Ausübung bestimmter 
Gewerbe (Ertheilung von Tanz-, Tarn- und Schwimmunterricht, Trödelbandel, 
Winkeladvokaturen, Vermittlungsagenturen für Immobilienverträge, Darlehen 
und Heirathen, Gesindevermiethungsbureaus u. A.) zu untersagen, wenn That- 
sahen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit der Gewerbetreibenden in Bezug 
auf den Gewerbebetrieb darthun“. Einer Anregung des preussischen Kultus¬ 
ministers zu Folge ist die Reichsregierung, bezw. das Reichsamt des Innern in 
Erwägung darüber eingetreten, ob nicht die Schäden des Kurpfnscberwesens 
dadurch beseitigt werden können, dass dieser §. 35 auf die Kurpfuscher aus¬ 
gedehnt wird; die Massregel würde eine repressive Wirkung ausüben, bei der 
umsomehr auf Erfolg zu rechnen sein dürfte, als den zuständigen Behörden 
die Untersagung nicht blos freigestellt, sondern zur Pflicht gemacht ist. 


Die Herzoglich Braunschweigische Landesversammlung 
hat in ihrer Sitzung vom 7. Februar d. J. den Entwurf des neuen Medi- 
zinalgesetzes im Ganzen angenommen. Das Gesetz soll am 1. Juli d. J. in 
Kraft treten. 


Von Seiten der städtischen Behörden in München ist die Anstellung 
eines städtischen Amtsarztes beschlossen. 


Dem Landesausschuss von Elsass-Lothringen ist jetstein Gesetz¬ 
entwurf über die Errichtung und den Betrieb neuer Apotheken vorgelegt, 
der auf dem Grundsatz der unveräusserlichen Personalkonzession beruht. 


Am. 7. d. Mts. wird in Berlin ein ausserordentlicher Aerztetag 
stattfinden, auf dem als einziger Gegenstand die Novelle zum Kranken- 
versicherungsgesetz berathen werden soll. Das einleitende Referat ist 
Hofrath Dr. May er-Fürth übertragen. 


Den Landtagen der Thüringischen Staaten, mit Ausnahme von Sachsen- 
Meiningen und Reuse ä. L. ist ein Gesetzentwurf, betreffs Errichtung einer 
gemeinschaftlichen Thüringischen Aertzekammer und eines Thüringischen 
ärztlichen Ehrengerichtshofes sowie die Grundzüge einer Organisation des 
ärztlichen Standes zugegangen. Die Aerztekammer soll ihren Sitz im Jena 
haben und vorläufig aus einem von der medizinischen Fakultät in Jena zu ent¬ 
sendenden und 10 von den Landesvereinen zu wählenden Mitgliedern bestehen. 



Tagesnachrichten. 287 

Auch der Ehrengerichtsbof soll seinen Sitz in Jene haben und aus fünf Kit* 
gliedern ansammengeeetet sein. _ 


Im Gegensatz za dem Oberlandesgericht in Brannschweig (s. Beilage an 
Nr. 14, 1902, S. 316) haben jetst die Oberlandesgerichte in Posen und Breslau 
den Verlauf einer ärztlichen Praxis als nicht gegen die guten Sitten 
▼erstossend erklärt, darüber, ob ein Rechtsgeschäft dem sittlichen Gefühl za 
widerlaufe und ihm in Folge dessen der Rechtsschutz nicht gewährt werden 
könne, sei lediglich die allgemeine Meinung maasgebend, aber nickt die Stande»* 
ehre, denn diese untersage häufig etwas, was an sieh nichts amtOssiges und 
nioht des Rsehtsohntzes unwürdiges enthalte. 


In Anlass der allgemeinen Ansstellung für hygienische- MUchver - 
sorgung ln Hamburg 1903 sind eine Anzahl Preise nicht nur Ton dem 
Komitee, sondern auch von Vereinen, Privatpersonen u. s. w. ansgesetzt. Der 
Deatsche Verein für Öffentliche Gesundheitspflege hat z. B. ein Preis von 
000 Mark ausgesetBt für die betzte Lösung der Aufgabe: „Hervorragende 
Leistung auf dem Gebiete der Kindermilch -Versorgnag für die ärmere Be¬ 
völkerung“. Im Ganzen stehen Geldpreise von über 15 000 M. für Preisauf- 
gaben zur Verfügung; die Bedingungen für die Bewerbung sowie die einzelnen 
Preisanfgaben werden auf Ersuchen von der Geschäftsstelle der Ausstellung 
— Hamburg, Kampstraste 46 — kostenlos mitgetheilt. 


Das Exekutivkomitee des XIV. internationalen medizinischen Kon¬ 
gresses zu Madrid (23. bis 30. April) fordert diejenigen Herren, welche sich 
an dea wissenschaftlichen Arbeiten des Kongresses zu betheiligen wünschen, 
auf, die Titel ihrer Mittheilungen nebBt einem Aaszag, wenn möglich in Form 
voa Schlusssätzen and in französischer Sprache an das General-Sekretariat su 
Madrid (Dr. A. Fernanden Caro, Madrid, Fakultä de M6decine) einzu- 
senien. (Bis 20. März können sie auch an den Schriftführer des Deutschen 
Reichskomitees, Prof. Dr. C. Posner in Berlin, S.W., AnhaltBtr. 7, eingesandt 
werden, der auch alle übrigen Auskünfte ertheilt.) Die rechtzeitig eingelanfenen 
Auszüge werden gedruckt and zar Erleichterung der Diskussion in den Sitzungen 
den Mitgliedern der betreffenden Sektionen vor Eröffnung des Kongresses ein¬ 
gehändigt. — Fahrpreisermäs8igungen gewähren den Theilnehmern: 
in Spaoien die spanischen Eisenbahnen 50 Proz., die Schiffartsgesellschaft „La 
Transatlantica“ 33 Proz.; in Frankreich die sieben grossen Eisenbahngesell- 
schäften 50 Proz., die Schiffahrtsgesellschaften „La Transatlantique“, „Com¬ 
pagnie Mixte“ and „Transports maritimes“ je 80 Proz.; in Italien die Eisen¬ 
bahngesellschaften (Mediterranen, Adriatica und Ferrovie Sicnle) je 50 Proz., 
die Schiffartsgesellschaften „Generale“, „Puglia“, „Napolitana“ und „Siciliana“ 
je 50 Pros, (ohne Verpflegung); ferner gewähren die norwegischen, rumä¬ 
nischen and serbischen Eisenbahnen, sowie die zwischen Konstantinopel und 
Con8tanza verkehrenden Dampfer je 50 Proz. Die Darchfahrt durch Frankreich 
und Spanien kann auf verschiedenen Routen erfolgen und zwar Iran—Madrid 
oder Port Bon—Barcelona—Madrid oder umgekehrt. Während der Gültigkeits¬ 
dauer der Billets (3. April bis 24. Mai) werden in Madrid Spezialfahr¬ 
karten zum Besuche der sttdspanischen Städte, Sevilla, Granada etc. mit 
50 proz. Ermässigung ansgegeben; wahrscheinlich wird die Rückreise ans 
Spanien von da direkt über Valencia—Barcelona—Port Bon stattfinden können 
(ohne Rückkehr nach Madrid). Diese Spezialfahrkarten werden erst bei Antritt 
der Reise gegen Vorzeigung einer Legitimationskarte an den Schaltern ab¬ 
gegeben. Auskunft über alle einschlägigen Fragen ertheilt das Reisebureau 
„Voyages Pratiques“, 9 Rue de Rome, Paris (Agentnr in Wien, Franz Josephs- 
Quai, Direkt. Rassel), welches nach Programme über Rundreisen und Aus¬ 
flüge versendet. — Da der Andrang zu den bekanntesten Hotels (de la Paix, 
Rome, Paris) schon jetzt sehr gross ist, hat sich das Wohnnngskomite, 
einer ausreichenden Anzahl von Wohnungen in Hotels and bei deutschen 
französischen etc. Familien versichert und wird in der Lage sein, Pension je 
nach Ansprüchen von 13 bis 50 Peseten pro Tag zn besorgen. Die definitive 
Vertheilnng der vorgemerkten Wohnungen findet erst im April statt. An¬ 
fragen sind von jetzt ab an Herrn Ulrich Frei, Chargö du Service des löge- 



228 


Tagesnachrichten. 


menta da XIV. Congrös internat. de Mödecine, Madrid, aa richten. Für 
Deutschland hat, wie achon früher mitgetheilt, Karl Stangen’s Beiseboreaa 
Berlin W., Friedrichstr. 72, die Vermittlung von Wohnungen und Ertheilong 
sonstiger geschiftlicher Auskünfte übernommen. Bei demselben kann auch die 
Mitgliedschaft durch Einzahlung von M. 22,50 (Damenkarten 8 M.) erworben 
werden. 


Dass sich früher anch Kreisphysiker von hysterischen Frauenzimmern 
haben dnpiren lassen und deren Angaben über angeblich ausgebrochen» 
Steine und lebende Frösche als baare Mttnsen genommen haben, dafür bietet 
der nachstehende Fall, der dem im Jahre 1883 von dem hiesigen Kreisphyrikus 
erstatteten Medizinalbericht entnommen ist, ein treffendes Beispiel. 1 ) 

„Nachdem mir erz&lt wurde, dass die 18 jährige Tochter des */» Meile 
entfernt wohnenden Eigentümers Lemcke, Namens Friedericke, einen Frosch 
und einen Stein ausgebrochen haben sollte, begab ich mich an Ort und Stelle, 
um mich von den näheren Umständen selbst zu unterrichten. 

Nach einstimmiger Aussage der Eltern, des Bruders und des Mädchens 
selbst, habe letztere seit Weihnachten v. J. an täglichen, heftigen Krankheits¬ 
beschwerden gelitten, welche darin bestanden: dass das kranke Mädchen zu 
unbestimmten Stunden, eine grosse innerliche Angst und Unruhe bekommen 
mit wahrnembarer starker Bewegung des Unterleibes; das Bewusstsein wäre 
sehr vermindert gewesen und zuweilen sei eine Ohnmacht eingetreten; später 
hätten sich dann Zackungen und selbst epileptische Krämpfe eingestellt; nach 
deren Nachlass ein unruhiger Schlaf eingetreten wäre. Diese Zufälle hatten 
sich nach und nach verstärkt, bis am 19. August a. c. 9 Uhr Morgens, unter 
heftiger Angst ein Stein durch Erbrechen entleert worden, welcher auf der 
einen Seite mit blutigem Schleim bedeckt war; und nachdem die Zufälle in 
heftigerem Qrade fordgedauert, sei durch Erbrechen ein lebender, grüner 
Frosch zum Vorschein gekommen, welchen die Mutter, seiner Grösse wegen, 
förmlich aus dem Munde ziehen musste. Seit dieser Zeit wären nun alle 
früheren Krankheitsfälle verschwunden, das Mädchen, das schon sehr von 
Kräften gekommen und abgemagert gewesen, erhole sich ersichtlich und erfreue 
sich gegenwärtig der besten Gesundheit. 

Auf meine Frage, ob auch vielleicht hinsichtlich des Steins ein Irrthum 
oder eine Täuschung vorgekommen wäre, versicherte die Mutter mit Bestimmt¬ 
heit : sie habe ganz deutlich den wirklich erfolgten Auswurf des Steins bemerkt. 

Das Mädohen behauptet, nie aus einer Pfütze, oder stehendem Wasser, 
getrunken zu haben, wohl aber habe sie öfter im vergangenen Sommer im 
Freien geschlafen. 

ich liess mir nun den vorgeblich ausgebrochenen Stein zeigen, derselbe 
bat die Grösse und Gestalt einer flachen Kastanie, mitlerer Grösse, und ist 
ein gewöhnlicher Kieselstein. 

Der ausgebrochene Frosch war in ein Beutelchen genäht in den Schorn¬ 
stein gehängt; nachdem ich ihn aus denselben herausgenommen und ihn unter¬ 
sucht hatte, fand ich ein grosses Exemplar des grünen Wasserfroeches, welches 
aber nun schon sehr zusammen geschrumpft war. Dr. P . . . .“ 


Sprechsaal. 

Anfrage: Muss der Kreisarzt aus seinen Amtsunkostenentschädigungen 
die Unkosten bezahlen, dieaus ihm aufgetragenen besonderen Untersuchungen, 
erwachsen, wie z. B. die Formalinflüssigkeit, die nothwendig ist bei der Prüfung 
eines Formalindesinfektionsapparates, oder die Kosten für Arbeit und Heizung 
eines Dampfdesinfektionsapparates, oder die Kosten, dio dadurch entstehen, 
dass bei Auswahl eines Begräbnissplatzes Probegraben angelegt werden. 

Antwort: Nein. Diese Kosten entstehen für vorbereitende Ar¬ 
beiten u. s. w., um den zu untersuchenden Apparat, Platz u. s. w. in einen, 
zur Prüfung und Begutachtung durch den Kreisarzt erforderlichen Zustand zu ver¬ 
setzen; sie sind deshalb von dem zu tragen, in dessen Interesse die Unter¬ 
suchung und Prüfung stattfindet. 


_ *) Die Orthographie etc, ist genau nach dem Original! Dr. G. _ 

”-rantwortl. Redakteur: Dr. Bapmund, Beg.-u. Geh. Med.-Rath in Minden i. W. 

J. 0. C. Brus, Henofl. n. P. 8ch.-L. Hoftmekdrnckerel ln Xindüi, 































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16. Jahre. 


1903. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZIKALBEAMTE. 


Zentralblatt für gerichtliche Medizin and Psychiatrie, 

(Br intüche SaehTerstandigeathätigkeit in Unfall- und Invaliditatssaeken, sowie 
fSr Hygiene, SffentL Sanitatswesen, Medizinal -Gesetzgebung nid Mecktsyrechnng 

Herausgegeben 

Ton 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Regtornngt- und Geh. Medlilnftlrath in Minden. 


Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., E Kornfeld, 

HersogL Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer • Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inaemie nehmen die Terlayhandlang aowle alle Annoeenezpedltlonen dea In- 
and AasUndee entgegen« 


Nr. 6. 


Brnkebt 


1. and 15. Jedes Houts 


15. März. 


Praktische Anleitung zur gerichtärztlichen Blutunter¬ 
suchung vermittelst der biologischen Methode. 

Von Stabsarzt Dr. Dhlenhnth und Prof. Dr. Beumer. 

(Fortsetzung und Schloss.) 

Wie soll nun das Antiserum beschaffen sein? 

Es soll vor allen Dingen absolut klar sein. Dies wird erreicht, 
indem man es durch sterile Berk efeld’sehe Filter filtrirt, welche 
mit einer Saugevorrichtnng versehen an jeder Wasserleitung leicht 
angebracht werden können. In die Sangeflasche hinein wird unter 
die Kieselguhrkerze ein steriles Reagensglftschen hineingestellt, 
in welches das Serum nach der Filtration hineintropft. Die Fil¬ 
tration dauert nur kurze Zeit, so dass 40 ccm Serum in ca. 10 bis 
15 Minuten filtrirt sind. Wir halten diese Filtration, die ausser¬ 
ordentlich leicht aaszuführen ist, für absolut nothwendig; denn nur 
selten gewinnt man durch blosses Absetzenlassen, ja selbst durch 
Zentrifngiren ein so völlig klares Sernm, wie durch die Filtration 
mit Hülfe der Berkefeld’schen Filter. Ausserdem bietet diese 
Filtration eine Garantie für die Sterilität des Serums, wie sie für 
die Reaktion verlangt werden mnss. Hat man mit allen Eantelen 
sorgfältig filtrirt, so kann man das Sernm ohne weiteren konser- 
virenden Zusatz in sterile Reagensröhrchen oder kleine Kapillar¬ 
röhrchen, die soviel Sernm fassen, wie zu einer Reaktion nöthig ist, 
emschmelzen. Doch ist es sicherer und zweckmässiger einen 
Zusatz von Chloroform oder 0,5 °/ 0 Karbolsäure nach der Fil¬ 
tration zu machen. Dnrch diesen Zusatz, besonders beim Durch- 
schütteln mit Chloroform, bilden sich in vielen Serie Trübungen, 





280 


Dr. Uhlenhuth nnd Dr. Beniner. 


die sich aber nach einiger Zeit unter völliger Klärung des Se¬ 
rums zu Boden setzen. £ine nennenswerthe Abschwächung in seiner 
Wirksamkeit haben wir im Vergleich mit dem nicht mit konser- 
virender Flüssigkeit versetzten Serum selbst bei 3- bis 4 monat¬ 
licher Beobachtung nicht gesehen. Die Konservirung mit Chloro¬ 
form (einige Tropfen in ein 20 ccm haltendes Serumröhrchen) oder 
Karbolsäure kann daher angelegentlichst empfohlen werden. Es 
verdient noch besonders erwähnt zu werden, dass das Serum 
bei 8—10° C. konservirt werden muss; denn wir haben die Be¬ 
obachtung gemacht, dass völlig klare Sera, die während starker 
Winterkälte in einem ungeheizten Baume standen, ganz trübe 
wurden. Diese Trübungen verschwanden sofort beim leichten Er¬ 
wärmen über der Flamme, ein Beweis dafür, dass sie höchstwahr¬ 
scheinlich durch ausfallende Salze hervorgerufen worden sind. 

Einer der störendsten Fehler, die ein Serum haben 
kann, ist seine Opalescenz. Trotzdem sie, wie wir uns über¬ 
zeugt haben, leider sehr häufig zu finden ist, ist sie von anderer Seite 
noch nicht gebührend berücksichtigt worden. Die Opalescenz kann 
zu den aller verhängnissvollsten Irrthümern Veranlassung geben. 
Es giebt Sera, die, wenn man sie gegen das Licht hält, stark 
milchig opalesziren, trotzdem sie an sich völlig klar sind. Setzt 
man derartige Sera zu einer Blutlösung, so tritt je nach dem 
Grade der Opalescenz eine starke Trübung auf, die einer spezi¬ 
fischen Reaktion täuschend ähnlich sieht; dass sie aber nur durch 
das Serum an sich bedingt ist, beweist die Thatsache, dass sie 
bei Zusatz des Serums zu physiologischer Kochsalzlösung ganz 
ebenso in die Erscheinung tritt. Es verdient hervorgehoben zu 
werden, dass diese Trübungen ganz ähnlich wie echte spezifische 
Trübungen sich nach einer gewissen Zeit am Boden der Reagens- 
gläschen als leichte Präzipitate zu Boden senken, um dann beim 
Schütteln des Gläschens sich als leichte wolkenartige Schleier zu 
erheben. Worauf die Opalescenz beruht, ist noch nicht ganz klar. 
Höchstwahrscheinlich hängt sie mit dem Verdauungsstadium zu¬ 
sammen, in dem sich die Thiere befinden, wie die Physiologen 
annehmen. Aus diesem Grunde ist es zweckmässig, die Thiere 
vor der Entblutung mehrere Stunden hungern zu lassen. Die 
Opalescenz löst sich nicht in Alkalien. 

Da die Opalescenz ein vorübergehender Zustand 
ist, so befolgen wir den Grundsatz, Thiere, die bei der Probeent¬ 
nahme opalisirende Sera zeigen, nicht zu tödten, sondern wir 
warten bis die Opalescenz verschwunden ist. Ausserhalb des 
Thierkörpers ist es uns trotz umfangreicher Versuche nicht ge¬ 
lungen, die Opalescenz zu beseitigen. In der Praxis müssen 
solche Sera, die hier besonders den Ungeübten sehr 
leicht irreführen können, unbedingt verworfen werden. 

Die dritte und wichtigste Forderung, die man 
an ein praktisch zu verwendendes Antiserum stellen 
muss, ist seine prompte Wirksamkeit. Es ist daher noth- 
wendig, dass man die Werthigkeit durch den Titer des Serums genau 
festlegt. Eine orientirende Vorprobe hat bereits vor der Entblutung 



Praktische Anleitung zur gerichtsärztlichen Blntuntersacbnog n. i. w. 231 


der Thiere in der oben angegebenen Weise stattgefnnden. Nun¬ 
mehr findet noch nach völliger Gebrauchsfertigkeit des Serums eine 
nochmalige eingehende Titerbestimmung statt, die wir in folgender 
Weise vorzunehmen pflegen: Wir stellen uns Verdünnungen mit 0,8 °/ 0 
Na CI-Lösung von den betreffenden Blut- bezw. Serumsorten her, 
zu deren Nachweis das Antiserum dienen soll und zwar: 1 : 1000, 
1:10000 und 1 : 20000, nehmen von diesen 2 ccm und setzen, 
ohne zu schütteln, dazu 0,1 ccm Antiserum, d. h. im Verhältniss 
von 1 : 20. ln der Lösung 1 : 1000 muss momentan, spätestens 
nach 1—2 Minuten deutliche Trübung auf treten, nach 3 resp. 5 Mi¬ 
nuten muss auch in den stärkeren Verdünnungen die beginnende 
Reaktion deutlich erkennbar sein. So hochwerthig müssen prak¬ 
tisch brauchbare Sera sein. Es soll aber damit nicht gesagt 
werden, dass geringwertigere Sera ganz zu verwerfen wären, je¬ 
doch sind wir der Ansicht, dass dieser Titer möglichst innegehalten 
werden soll, zumal da wir, wie wir noch sehen werden, in der 
Praxis mit sehr stark verdünnten Blutlösungen arbeiten und ver¬ 
langen, dass die Beaktion fast momentan eintritt. Wir verlangen 
eine Hochwerthigkeit besonders deshalb, da, wie auch Ziemke 
hervorhebt, schwach wirksame Sera in dünnen Blutlösungen bis¬ 
weilen überhaupt keine Beaktion auslösen, oder doch erst nach so 
langer Zeit, dass durch anderweitige Trübungen Irrthümer nicht 
auszuschliessen sind. 

Wie soll die Beaktion angestellt werden? 

In erster Linie muss es sich um die richtige Auswahl der 
lösenden Flüssigkeit handeln. Nachdem Uhlenhnth in der 
Veröffentlichung seiner forensischen Methode zum Nachweis der ver¬ 
schiedenen Blutarten als das beste Lösungsmittel die physiologische 
Kochsalzlösung empfohlen hatte, sind dann weiterhin eine Beihe 
anderer Lösungsmittel genannt worden, die denselben Zweck in 
gleich guter oder in noch besserer Weise erfüllen sollten. Um 
möglichste Klarheit in diese Frage zu bringen, haben wir fast 
alle vorgeschlagenen Flüssigkeiten einer sorgfältigen Prüfung 
unterzogen und umfangreiche Untersuchungen in dieser Bichtung 
hin angestellt. Bei diesen Untersuchungen zeigte es sich, dass 
beliebiges Blutserum zu Greifswalder Leitungswasser getropft, 
sofort eine Trübung, bisweilen sogar einen Niederschlag in dem¬ 
selben hervorruft. Diese Trübung, die auf dem Ausfallen von 
Globulinen zu beruhen scheint, ist bei den verschiedenen Serum¬ 
sorten verschieden stark. Ganz besonders eklatant war sie beim 
Zusatz von Pferde-, Schaf- und Binderserum. Auch Kaninchen¬ 
serum erzeugt in Greifswalder Leitungswasser eine wenn auch 
schwächere, aber doch deutliche Trübung. Ganz ähnlich wie 
Leitungswasser verhielt sich das deatillirte Wasser und Vio physio¬ 
logische Kochsalzlösung (Strube), wenn auch in geringerem 
Masse, wenigstens bei Zusatz von normalem Kaninchensei um. 
Auch 0,1 °/ 0 Natr. bicarbon.-Lösungen (Kratter) geben mit Serum 
vom Pferd und Bind versetzt leichte Trübungen; bei Kaninchen¬ 
serum haben wir diese nicht beobachtet. 1- und 2proz. Natr. 
bicarbon. - Lösungen, 2proz. Borax-Lösungen, sowie 0,lproz. Soda- 



382 Dr. UUe&hath und Dr. Beniner. *'> 

lösung (Ziemke), konzentrirte Cyankalilösungen blieben ebenso 
wie die physiologische (0,8°/<>) und doppelt physiologische (1,6 °/ 0 ) 
Kochsalzlösung klar. Es zeigte sich ferner, dass in den Borax- 
Natr. bicarb.- und Sodalösungen, sowie in den Cyankalilösungen 
beim Kochen eine Ausfällung der Eiweisskörper des zugesetzten 
Serums nicht stattfand; etwas vermindert war dieselbe auch in 
Aqua destillata. Diese Verhältnisse entsprechen völlig dem che¬ 
mischen Gesetz, dass die Ausfällung der Eiweisskörper an einen 
bestimmten Salzgehalt und bestimmte Reaktion gebunden ist. 
Aehnliche Verhältnisse bestehen auch, wenn angetrocknetes Blut 
in solcher Flüssigkeit aufgelöst wird. Eine Lösung von Blut in 
0,lproz. Soda- sowie in Boraxlösnng gerinnt beim Kochen nicht. 
Was nun aber von geradezu ausschlaggebender Be¬ 
deutung ist, das ist die Beobachtung, dass auch in 
Soda- und Boraxlösung die biologische Reaktion bei 
Zusatz des Antiserums zwar eintritt, dass sie aber 
ganz wesentlich bezüglich der Intensität und Schnel¬ 
ligkeit deB Auftretens beeinträchtigt wird, eine That- 
Sache, die vollkommen mit der Beobachtung übereinstimmt, dass 
die Präzipitine sich in Alkalien auflösen (Tsislovitsch). 

Aus allen diesen Erfahrungen geht hervor, dass diese Flüssig¬ 
keiten bei Ausführung der Reaktion unter allen Umständen ver¬ 
worfen werden müssen. Wir bedienen uns daher ausschliesslich 
der physiologischen Kochsalzlösung. 

Wir wählen als Verdünnungsgrad unserer Blutlösungen 
bei allen Untersuchungen ein annäherndes Verhältnis von 1 Theil 
Blut zu 1000 Theilen 0,8proz. Kochsalzlösung. So leicht es ist, 
dieses Verhältniss zu bestimmen bei flüssigem Blut oder Serum, 
so schwierig ist es bei gerichtsärztlichen Untersuchungen von 
Blutflecken. Als Orient»ungspunkte für die Verdünnung von 
1 : 1000 gilt uns: 

1. die fast völlige Farblosigkeit der Lösung bei durch¬ 
fallendem Licht; 

2. die ganz leichte Trübung bei Anwendung der Kochprobe 
unter Zusatz von einigen Tropfen Salpetersäure; 

8. die trotz der erheblichen Verdünnung noch vorhandene 
starke Schaumbildung beim Schütteln. 

Diese Eigenschaften, welche uns zeigen, dass die Verdünnung 
von annähernd 1 : 1000 vorhanden, sind beobachtet und festgestellt 
an titrirten Lösungen, die wir aus frischem Blut und Serum her¬ 
gestellt hatten. Die Menge des zuzusetzenden Antiserums be¬ 
trägt bei der genannten Verdünnung 0,1 auf 2,0 ccm der zu 
untersuchenden Flüssigkeit; das ist ein Verhältniss von 1 : 20. 

Ueber den Titer des Antiserums haben wir uns bereits aus¬ 
gesprochen, es soll derselbe 1 : 20000 betragen. 

Die von uns verwendeten Röhren sind 9,0 cm lang und 
haben einen Durchmesser von 0,9 cm. 

Der Zusatz des Antiserums erfolgt aus graduirten Pipetten 
(1 ccm mit 100 Theilstrichen). 



Praktische Anleitung snr gerichtskrstlichen Blntontersnehnng n. e. w. 338 

Der wichtigste Abschnitt der Untersuchung bildet die Frage: 
Wann ist die Reaktion als eine sicher positive, über jeden Zweifel 
erhabene zu betrachten. Nach dieser Richtung hin müssen wir 
Folgendes verlangen: 

1. Sofort nach Zusatz des Antiserums oder 
spätestens innerhalb 1—2 Minuten muss die Reaktion 
als hauchartige Trübung am Boden des Röhrchens 
sichtbar sein. Am besten nimmt man diese beginnende 
Trübung wahr bei durchfallendem Tages-oder künst¬ 
lichem Licht, indem zwischen Lichtquelle und Rea¬ 
gensglas eine schwarze Fläche (schwarzes Heft) ge¬ 
halten wird. 

2. Innerhalb der ersten 5 Minuten muss die hauch¬ 
artige Trübung sich verwandelt haben in eine dicke 
wolkige, von jedem auch nicht Fachkundigen sofort 
erkennbare, so dass über die erfolgte Reaktion ein 
Zweifel gar nicht aufkommen kann. 

8. Innerhalb der nächsten 10 Minuten bildet diese 
Trübung bereits einen deutlichen Bodensatz. 

4. Später entstehende Trübungen, die nach V> 
Stunde, ja sogar nach 1—24 Stunden auftreten, dürfen 
als eine erfolgreiche Reaktion in der Praxis nicht 
verwerthet werden. Die Reaktion muss bereits nach 
spätestens 20 Minuten als völlig abgeschlossen ange¬ 
sehen werden. 

5. Die Reaktion muss in der angegebenen Weise 
und Zeit bei Zimmertemperatur erfolgen. 

6. Die stets anzulegenden Kontrolen, 8 ) die aus 
angetrocknetem Blut verschiedener Art anzufer¬ 
tigen sind, müssen, abgesehen von den homologen 
Blutlösungen, beim Vergleich mit der zu unter¬ 
suchenden Blutart sowohl bei Tageslicht, als auch 
bei künstlicher Beleuchtung absolut klar bleiben. 

7. Es muss stets eine Kontrole mit Kaninchen¬ 
blutlösung, sowie auch physiologischer Kochsalz¬ 
lösung angesetzt werden. 

Es sei noch ganz besonders hervorgehoben, dass die Röhrchen 
bei Zusatz des Antiserums nicht, wie es von anderer Seite ge¬ 
schehen ist, geschüttelt werden; denn sonst sieht man den Beginn 
und den Verlauf der Reaktion nicht in der von uns geforderten 
deutlichen Weise. 

Von einigen Autoren ist nun in dem verflossenen Jahre her- 


') Um Kontrolblutproben jeder Zeit nur Verfügung iu heben, wird Blut 
jeden Altera angetrooknet, in Reagensglüsern aufgehoben. Aus diesen Blut¬ 
proben werden in gleicher Weise, in gleicher Menge und gleicher Verdünnung 
die kontrolirenden Löningen hergestellt. Simmtliche Beagensgllser sowohl der 
na untersuchenden Blutlösung, als auch der Kontrolblutlösungen werden in eine 
elnsige Reihe eines Reagensglasgestells eingefügt, so dass sie slmmtlioh über¬ 
sichtlich vor dem SachTersttndigen stehen. 



234 


Dr- ühlenhuth und Dr. Beniner, 


vorgehoben worden, dass auch in „heterologen“ Blutlösungen Trü¬ 
bungen durch Zusatz des Antiserums entstehen könnten, die immer¬ 
hin wenigstens dem Unerfahrenen zu irrthümlichen Deutungen Ver¬ 
anlassung geben könnten (Kister und Wolff, Strube, Kratter). 

‘ Wir haben bei den äusserst zahlreichen Untersuchungen, die 
sowohl Ühlenhuth allein, als auch wir beide in Gemeinschaft 
seit der Veröffentlichung des Ühlenhuth’sehen Verfahrens in 
der genannten Weise angestellt haben, von diesen heterologen 
Trübungen nie etwas gesehen und wir haben daher uns in den 
letzten Monaten ganz besonders bemüht, diese heterologen 
Trübungen aufzufinden. Diese Untersuchungen sind mit sehr hoch- 
werthigen Mensch-, Schwein-, Pferd-, Rind- und Schafantiseris 
an den verschiedensten Blutlösungen in allen Verdünnungen an¬ 
gestellt. 9 ) 

Unser Urtheil bezüglich dieser heterologen Trübungen 
ist Folgendes: 

1. Wird die Untersuchung in der genau von uns 
angegebenen Weise angestellt, so entstehen keine 
heterologen Trübungen. 

2. Heterologe Trübungen sind hervorzurufen, 
wenn konzentrirte Blutlösungen bei erheblichem Zu¬ 
satz hochwerthigen Antiserums verwendet werden. 

3. Aber selbst diese von uns gesuchten, in starkeu 
Blutlösungen nach längerer Zeit des Stehens selten 
auftretenden Trübungen können einen Zweifel be¬ 
züglich der Sicherheit der Untersuchungsmethode 
nicht aufkommen lassen, da sie bezüglich der In¬ 
tensität und Schnelligkeit des Auftretens mit den 
spezifischen Trübungen nicht im Entferntesten zu 
verwechseln sind. 

Im Uebrigen sind sie auch nach Ansicht dieser Autoren 
leicht zu vermeiden, indem man entweder eine konzentrirtere 
Blutlösung und einen schwachen Antiserumzusatz 1 : 100 wählt, 
wie das von Kister und Wolff und Strube bereits festgelegt 
ist, oder aber, was rationeller ist, man eine schwache Blutlösung 
nimmt und einen stärkeren Antiserumzusatz. Die letzte Methode 
ist entschieden der ersten vorzuziehen und zwar deshalb, weil 
sie den praktischen Verhältnissen vielmehr entspricht, da es 
sich hier erfahrungsgemäss sehr häufig nur um winzige Blut¬ 
spuren handelt, aus der nur eine schwache Lösung zu gewinnen 
ist, und weil bei schwachen Blutlösungen die Reaktion viel 
schöner in die Erscheinung tritt, wie bei starken Lösungen. 
Die Voraussetzung ist aber bei der letzteren Methode ein 
hoch wer thiges Serum. Es muss bemerkt werden, dass wir 
diese heterologen Trübungen in den zur Kontrole stets her¬ 
anzuziehenden Kaninchenblutlösungen ebenfalls beobachtet haben. 


•) Die sehr sahireichen Protokolle unserer Versuche, die wir hier wegen 
Raummangels nicht wiedergeben können, werden an anderer Stelle veröffent¬ 
licht werden. 



Praktische Anleitung sur geriohtsKrstliohen Blutuntereuohung n. b. w. 235 


Nattall, der zweifellos bezüglich der heterologen Trübungen die 
grösste Erfahrung hat, theilte uns kürzlich mit, dass er mit 30 
verschiedenen Antiseris an 800 verschiedenen Bluteorten im Ganzen 
16000 biologische Beaktionen angestellt hat und zu dem Resultat 
gekommen ist, dass die heterologen Trübungen zu Ver¬ 
wechselungen keinen Anlass geben können. Mit seiner 
gütigen Erlaubniss theilen wir aus seiner demnächst erschei¬ 
nenden Arbeit nachstehende Uebersicht seiner Versuche mit, aus 
denen hervorgeht, wie unendlich zahlreich und umfassend dieselben 
sind und welcher Werth darnach dem Urtheil dieses Forschers 
beizum essen ist. 


Antiseram for 

No. 

of tests therewith 

Antiseram for 

No. of teste therewith 

Man . . . 


815 

Ox . . . 

... 790 

Chimp&nsee . 


47 

Sheep . . 

... 701 

Onr&ng . . 


81 

Hone . . 

... 790 

Cereopithecus 


733 

Donkey . . 

... 94 

Hedgehog 


383 

Zebra . . 

... 94 

Cat... . 


. 785 

Whale . . 

... 94 

Hyaena . . 


. 378 

Wallaby . 

... 691 

Dog . . . 


777 

Powl . . 

... 792 

Seal . . . 


368 

Ostrich . . 

... 649 

Pi« ... 


818 

Powl-egg . 

... 789 

Llama. . . 


363 

Emu-egg . 

... 630 

Uerican Deer 


749 

Turtle . . 

... 666 

Rein deer . . 


69 

Alligator . 

... 468 

Hog Deer 


699 

Pro« . . . 

... 561 

Antelope . . 


686 

7751 

Lobster . . 

7751 

8349 

... 460 

8849 


Total No. of teste 16000 


Wenn nach diesen Ergebnissen unserer Arbeiten 
sowie auch der von Nuttall, Kister undWolff, Schulz 
und Strube die biologische Methode durch heterologe 
Trübungen an Werth nichts verloren hat, so erfährt 
sie aber eine gewisse Einschränkung durch die Ver¬ 
wandtschafts - Reaktion. 

Wir würden es nicht wagen, in Kriminalfällen mit Sicher¬ 
heit eine Unterscheidung zu treffen zwischen Pferde- und Esel¬ 
blut. desgleichen zwischen Schaf- und Ziegenblut. Eine Wahr¬ 
scheinlichkeitsdiagnose ist auch hier beim Vergleich dieser ver¬ 
wandten Blutsorten möglich, insbesondere wenn die von uns 
vorgeschlagene Methode in allen Einzelheiten, namentlich bezüg¬ 
lich der starken Blutverdünnungen befolgt wird, da in den 
stark verdünnten Blutlösungen der Unterschied auch bezüglich 
der Verwandtschafte-Reaktion noch sichtbar ist. Die entferntere 
Verwandtschaft zwischen Rind und Schaf lässt sich bei Verwendung 
der biologischen Methode in der von uns betonten starkenVer- 
dünnung deutlich nachweisen, so dass eine Differentialdiagnose 
zwischen Rind- und Schatblut sehr wohl möglich ist. 

Nach diesen Darlegungen glauben wir die wichtigsten Einwände 
der Okamoto-Kratter’schen Arbeit 10 ) bereite beseitigt, ins- 


10 ) Untersuchungen Uber den forensisch - praktischen Werth der sernm- 











386 


Dr. Uhlenhuth and Dr. Beniner. 


besondere auch den Wunsch dieser beiden Autoren nach einer genauen 
Art and Weise, wie die Reaktion auszuführen ist, befriedigt zu haben. 

Keineswegs wollen wir — and damit stimmen wir mit 
Kratter überein — die Behauptung aufstellen, dass jeder alte 
Blutfleck lösbares Eiweiss in sich enthalten müsse; es ist 
daher ganz naturgemäss, dass in solchen alten Blutflecken eine 
Reaktion nicht mehr möglich ist. Wenn der Blutfleck durch 
komplette Fftnlniss seine Eiweisskörper verändert hat, oder etwa 
durch starke Erhitzung auf 150° C., so ist es an sich ja klar — 
wie das schon mehrfach nachgewiesen ist —, dass das biologische 
Verfahren hier seine Grenze findet. Anders aber stellen wir uns 
za der Okamoto-Kratter’sehen Behauptung, dass Menschen- 
antiserum mitunter nicht nur in Lösungen von Menschen-, sondern 
anderen Thierblutarten und zwar sogar in Vu der von Okamoto - 
Kratter untersuchten Thierblutarten Niederschläge erzeugt, die 
zu Verwechselungen bezüglich der Herkunft der Blutart führen 
könnten. Hier handelt es sich um Fehlerquellen, die 
sich, wie oben gezeigt, vermeiden lassen durch genaue 
Befolgung der von uns angegebenen Methode. Wir sind 
auch ferner mit Kratter vollkommen einverstanden, dass die 
biologische Methode in genau vorgeschriebener Art und Weise 
befolgt wird; dann werden Fehler und Täuschungen vermieden, 
wie sie z. B. durch Verwendung mangelhaft präparirter Antisera, 
in denen nach 24 Stunden flockige Niederschläge sich absetzen, 
oder wie sie durch andere Lösungsmittel, wie die physiologische 
Kochsalzlösung oder durch 24 ständiges Verweilen der Lösungen 
im Brutschrank ganz naturgemäss entstehen müssen. Es ist ja 
ohne Weiteres klar, dass das erste Erforderniss 
bei Ausführung dieser Untersuchungsmethode eine 
sichere bakteriologische Schulung ist. 

Wie soll in der gerichtsärztlichen Praxis die 
Untersuchung auf Blut ausgeführt werden? 

Es könnte bei oberflächlicher Betrachtung fast scheinen, als 
ob durch diese biologische Methode alle bisherigen Blutunter¬ 
suchungsmethoden überflüssig würden. Das ist aber keineswegs 
der Fall. Im Interesse einer exakten forensischen Blutunter¬ 
suchung muss man verlangen, dass man auf sie nicht verzichtet. 

Die erste Frage, die der gerichtsärztliche Sachverständige 
bei der Blutuntersuchung zu beantworten hat, ist stets: „Handelt 
es sich überhaupt um Blut?" Im bejahenden Falle ist die 
zweite Frage zu beantworten: „Stammt das Blut vom 
Menschen oder Thier und von welchem Thier?" 

Es ist bereits früher von Uhlenhuth gezeigt worden, 
dass die biologische Methode zum Nachweis von Blut im All¬ 
gemeinen für menschliches Eiweiss spezifisch ist. Schon 
aus dieser Thatsache ergiebt sich die nothwendige Konsequenz, 

diagnostischen Methode rar Unterscheidung von Menschen- and Thierblat. Von 
Dr. tned. Yraamatra Okamoto ans Tokio. Vierteljahrssohriftfttr gerichtliche 
Medisin; XXIV. Bd., 2. H. n. Arch. f. Kriminalanthropologie n. Kriminalistik; 
ßd. X, 1902. 



Praktische Anleitung nur geriohtsärztliohen Blatnntersnohnng q. b. w. 237 


dass das Blut als solches zunächst erkannt werden muss. Wenn 
auch in gerichtsärztlichen Untersuchungen nach der Vor¬ 
geschichte und dem Aussehen vielfach darüber kein Zweifel be¬ 
steht, so ist doch der einzige richtige Weg, dies mit positiver 
Sicherheit zu beweisen, durch die Anwendung der verschiedenen 
bisher sicher gestellten chemischen, spektralanalytischen und 
mikroskopischen Untersuchungsmethoden. Wir erinnern nur an 
die van Deen’sche Ozonprobe, die Darstellung der Teich¬ 
mann’scheu Krystalle, die spektralanalytische Untersuchung auf 
Hämoglobin, Hämatin und H&matoporphyrin. 

Leider sind die Fälle in der gerichtsärztlichen Praxis nicht 
selten, in denen wegen Winzigkeit der Spuren die Ausführung 
aller unserer bisherigen chemisch-mikroskopischen Methoden un¬ 
möglich ist, trotzdem nach der ganzen Sachlage, sowie nach dem 
Aussehen der Flecke es sich nur um Blutflecke handeln kann. 
Der für solche Zwecke empfohlene Apparat — das Mikrospektroskop 
— hat dem einen von uns (Beumer) in diesen Fällen nie irgend 
einen Vortheil gewährt. Gerade bei der Winzigkeit der Spuren 
tritt die biologische Methode mit ihren grossen Vorzügen, der 
Sicherheit des Nachweises in völlig farblosen Lösungen, in denen 
vermittelst der gebräuchlichen chemischen Eiweissproben nicht 
die geringsten Spuren von Eiweiss mehr nachweisbar sind, be¬ 
sonders in ihr Recht. Wenn auch hier betont werden muss, dass 
in diesen Fällen nur der Nachweis von menschlichem Eiweiss 
geliefert ist, so wäre es bei dem Aussehen der Spuren, sowie den 
event. von dem Gericht bekannt gegebenen Vorgängen zu skru¬ 
pulös gehandelt, wenn diese Flecke nun nicht als Blutflecke mit 
der grössten Wahrscheinlichkeit bezeichnet würden. 

Ist in der oben genannten Weise das Vorhandensein von 
Blut sicher erwiesen, so geht man zu der biologischen Methode 
über. In jedem Falle dürfte es sich dann empfehlen, zunächst 
festzustellen, ob das Blut vom Menschen herstammt. Bei nega¬ 
tivem Ausfall der Reaktion wird man sich dann der Beantwortung 
der weiteren vom Richter gestellten Fragen zuwenden. Behufs 
Ausführung der biologischen Methode wird das zu untersuchende 
blutverdächtige Material in physiologischer Kochsalzlösung bezüg¬ 
lich seiner Eiweissstoffe zu lösen gesucht. Ist das verdächtige 
Material in die Unterlage eingesogen, wie in Kleidungsstücke, 
Leine wand etc., so wird der Fleck herausgeschnitten, mit der 
Scheere möglichst fein zerkleinert, mit Nadeln zerzupft und in einer 
kleinen Porzellanschale dann möglichst mit geringer Menge phy¬ 
siologischer Kochsalzlösung übergossen; nachdem, während einige 
Stunden eine Auslaugung stattgefunden hat, wird die ausgelaugte 
Flüssigkeit filtrirt. Die Filtration erfolgt zunächst mit Papierti¬ 
tern und wenn erfolglos durch Berkefeld’sche Filter, oder bei 
sehr geringen Mengen durch Silber Schmidt’sehe Mikrofilter. 

Falls die verdächtigen Flecke sich auf einer harten Unter¬ 
lage, Messer, Beil, Gewehrlauf, Holz, Stein u. s. w. befinden, so 
werden dieselben abgeschabt und in Reagensgläsern mit physio¬ 
logischer Kochsalzlösung wie vorhin angegeben behandelt. 



238 


Dr^ Ublenhuth und Dr. Beniner. 


Mau kann dann beim Schütteln der Lösungen an dem einige 
Minuten auf diesen stehen bleibenden Schaum alsbald erkennen, 
ob Eiweissstoffe in Lösung übergegangen sind. Tritt nach 
einigen Stunden oder Tagen überhaupt keine Schaum¬ 
bildung ein, so ist die weitere Ausführung der 
Methode wahrscheinlich aussichtslos. 

Ergiebt die genügende Schaumbildung die Lösung der Ei¬ 
weissstoffe, so handelt es sich um die Darstellung der früher ge¬ 
nannten Verdünnung von etwa 1 : 1000, die an der Farblosigkeit 
der Lösung, sowie der ganz leichten Trübung beim Kochen und 
Zusatz von Salpetersäure zu erkennen ist. Geht weniger von dem 
verdächtigen Material in Lösung wie der Verdünnung von 1 : 1000 
entspricht, so ist trotzdem die Reaktion nicht von vornherein aus¬ 
sichtslos, denn wir sehen ja, dass 0,1 ccm unseres hochwerthigen 
Antiserums selbst noch in Verdünnungen von 1: 20000 nach fünf 
Minuten eine deutliche Reaktion auslöste. Von dieser Verdünnung 
werden nun 2 ccm in eines der früher genannten kleinen Reagens¬ 
gläser gegeben und in gleicher Weise neben dieses Gläser mit 
gleicher Menge und gleich titrirten Kontrollösungen gestellt. Die 
Kontrollösungen werden hergestellt aus Partikeln von getrock¬ 
netem Menschen-, Rinder-, Schaf-, Schweine-, Pferde-, Kaninchen¬ 
blut, n ) so wie endlich der physiologischen Kochsalzlösung selbst. 

Nun erfolgt der Zusatz des titrirten Antiserums in 0,1 ccm 
Menge. 

Ein sicheres Urtheil, ein positiver Entscheid kann — bei 
der Untersuchung auf Menschenblut — nur dann angenommen 
werden, wenn in der Lösung der verdächtigen Blutspur, sowie 
des Menschenbluts in annähernd gleicher Weise die Reaktion der¬ 
art prompt erfolgt, wie wir das früher bestimmt haben. Die 
übrigen Kontrolröhren bleiben selbstredend klar. Tritt die Re¬ 
aktion nicht ein, so handelt es sich nicht um Menschenblut. 

Es wird sich nun auf Verlangen der die Untersuchung 
leitenden Behörde darum handeln die weitere Herkunft des Blutes 
zu bestimmen. Hierzu hat sich nach unseren Erfahrungen als sehr 
zweckmässig herausgestellt, nunmehr ein Schaf- oder Ziegen - Anti¬ 
serum in Anwendung zu ziehen. Aus dem völlig negativen Aus¬ 
fall der Reaktion wird dann geschlossen werden können, dass es 
sich nicht um Schaf-, Ziegen- oder Rinderblut handeln kann. 
Fällt die Reaktion positiv aus, so ist die Difterentialdiagnose 
zwischen Schaf-, Ziegen- und Rinderblut zu stellen; die erstere 
Entscheidung, ob Schaf- oder Ziegenblut, hat ihre grossen Schwie¬ 
rigkeiten und ist durch die biologische Methode nicht sicher zu 
erbringen wegen der sehr nahen zoologischen Verwandtschaft von 
Schaf und Ziege, während die zweite Entscheidung, ob Schaf- 
bezw. Ziegen- oder Rinderblut vorliegt, nach Verwendung von 
Rinderantiserum an der Hand von Kontrolproben mit grösster 
Wahrscheinlichkeit zu lösen ist. Aehnliche Verhältnisse wie bei 


") Wir lassen etwa alle 6 Wochen Kontrollblnt in Petri’sehen Schalen 
antrocknen, and heben dieses in Reagensgllsern auf, so dass stets verschieden 
altes Blot vorr&thig ist. 



Praktische Anleitung nur geriohtsäratlichen Blatnntennchnng o. s. w. 239 

Schaf und Ziege liegen bei den anderen, nahe verwandten Thieren 
vor, wie Pferd und Esel, Hund und Fuchs, auch bei den ver¬ 
wandten Vogelarten, wie z. B. Gans und Ente sind diese Ver¬ 
hältnisse sehr wohl zu berücksichtigen. 

Handelt es sich um flüssiges faules Blut, so hängt der Aus¬ 
fall der Reaktion ab von dem Grade der Fäulniss; selbstver¬ 
ständlich kann in völlig ausgefaultem Blut, in dem die Eiweiss¬ 
stoffe eine völlige Umwandlung erfahren haben, die Reaktion keinen 
positiven Entscheid geben. Wann dieser Zustand eingetreten, ist 
nicht ohne Weiteres zu sagen, da selbst bei stinkenden Blutproben, 
welche 2 Jahr im Reagensglas der Fäulniss überlassen waren, 
in den meisten Fällen der Nachweis noch möglich war (siehe die 
nachstehende Tabelle). 


C 1 

1 

Bezeichnung. 

Öuajak- 

probe 

0. 

Hämo¬ 

globin 

Hämo- 

chro* 

mögen 

1 A .2 

ifj? 

i 9 ^ 
|w 8. 

1 ® 
i • öS 
-g S* 

*25 O * | 

iss* 1 

t gbd, 

Biologische 

Reaktion. 

1 

Binderblnt, 

I 

1 

i 

r i 

| 


1. 

tauig, braun, faul. 

+ 


+ 

+ 

— 

stark -f- 


Frühjahr 1901. 




'J 

Deagl. Februar 1901. 

— 


— 

. - 

— 

■ — 


Deagl. 17. IV. 1901. 

+ 

1 

+ 

+' 

— 

— 

4. 

Deagl. 9. I. 1901. 

+ : 

1 

| 


+ 

+1 

— 

+ 


Menschenblut, 





flüssig, braun, faul, 

+ 


+ 

+ ■ 

— 

+ 


stinkend. 

1 




<i. 

Deagl. 23. I. 1901. 

+ ' 



— 

- - 

+ 

7 

Deegl. 20. III. 1901 
( Anatomie). 

1 

+ : 


4- 

i 

+ 

— 

+ 

H. 

Deagl. 16. IV. 1901 
(röthlich gefärbt). 

+! 

+ 


+ 

+ 

+ 

«». 

Menstrualurin, 

14. IV. 1901. 

i 

1 


— 

— 

— 

+ 

10. 

Menachenbiut, 

i 

+ 



+ 


sohwach 


2. II. 1901. 




+ 

1J. 

Deagl. 12. V. 1901. 

H- 


+ : 

+ 

— 

+ 

12. 

Deagl. 4. IV. 1901. 

+ 


i 



+ 

13. 

Hammelblut, 



i 





faul, braun, 26. 11. 1901. 


1 

'i 

; 

I 



Aus dieser Tabelle soll hervorgeheu, in welcher Weise die 
Untersuchung des faulen Blutes von uns vorgenommen ist, sodann 
beweist sie, dass selbst bei diesem alten faulen Blut die biologi¬ 
sche Methode noch Aufschluss geben kann, sie beweist ferner, 
dass selbst beim Versagen aller übrigen Untersuchungsmethoden 
auf biologischem Wege unter Umständen noch die Herkunft der 
Eiweissstoffe erbracht werden kann, cf. Nr. 9, Menstrualurin. 
Anderseits zeigt die Tabelle, dass die biologische Methode ver¬ 
sagen kann bei starker andauernder Fäulniss, bei welcher die 
anderen Methoden noch den Nachweis des Blutes liefern 
konnten. 

Es ist von anderer Seite hervorgehoben, zuerst von Ferrai, 
der ausgedehnte Untersuchungen, über die Einwirkung hoher 



240 


Dr. Uhlenhatb and Dr. Beutner. 


Hitzegrade mit angetrocknetem Blut angestellt hat, dass Tempe¬ 
raturen 

von 180° nach einer Stunde, 

„ „ 140° „ 20 Minuten, 

» * 150° „ 10 

d t ) 160° , 5-10 „ 

die reaktionsfähigen Substanzen im Blut zerstören; diese Unter¬ 
suchungen sind vielfach nachgeprüft und bestätigt worden, so von 
Nutall, Modi ca, Biondi u. a. 

Auch wir können diese Angaben bestätigen. Unsere Unter¬ 
suchungen sind ausgeführt mit Blutflecken, die wir auf Leinewand 
hatten antrocknen lassen und dann im Trockenschrank verschiedene 
Zeit verschieden hohen Temperaturen aussetzten. Es ergaben 
diese Nachprüfungen ein gleiches Resultat, wie es die Arbeiten 
Ferrai’s u. d. a. bereits festgelegt. 

Was den Einfluss des Alters auf den Ausfall der biologi¬ 
schen Reaktion betrifft, so lassen sich wohl bestimmte Angaben 
nicht machen; die ältesten Blutflecken die bis jetzt untersucht 
sind, waren 20—25 Jahre alt (Ziemke, Biondi); diese waren 
ihrer Herkunft nach mit Sicherheit zu erkennen. Es ist auch 
erklärlich, dass Eiweissstoffe in trockenem Zustande sich auf viele 
Jahre 12 ) unverändert erhalten können, da sie der Einwirkung der 
Fäulniss entzogen sind. Aus dieser Thatsache ergiebt sich, dass 
es zweckmässig erscheint, wenn Blut an einem Thatorte in 
flüssigem Zustande sich gefunden hat, dasselbe in eine Unterlage, 
wie z. B. Fliesspapier, einsaugen und in diesem Zustande eintrocknen 
zu lassen, um es auf diese Weise vor Fäulniss zu schützen. 

Bei gleichzeitigem Vorhandensein mehrerer Blut¬ 
arten ist selbstredend die Anwendung der verschiedenen Anti¬ 
sera nothwendig; die Diagnose ist bei Gegenwart auch mehrerer 
Blutarten möglich, und zwar kann aus der Mischung mehrerer 
Blutarten jede einzelne für sich in dieser Mischung erkannt werden. 
— So wenig Bedeutung wir nach unseren Erfahrungen den hete- 
rologen Trübungen, wie wir dieses ja früher schon angeführt haben, 
beilegen können, so ist anderseits wohl eine Schwierigkeitmöglich 
durch Eiweissstoffe vom Menschen oder Thier, die von gewissen 
Sekreten herrühren. 

Wir haben schon vorhin angeführt, dass die biologische 
Methode nur den Nachweis der spezifischen Eiweissstoffe erbringt. 
So ist zuerst von Uhlenhuth, dann von Biondi, Struwe und 
nenerdings auch von Schütze darauf hingewiesen, dass das 
Menschen-Antiserum auch in menschlichem Sperma, wenn anch 
eine schwächere Reaktion wie im Blut, so doch eine deutliche 
Trübung hervorruft. Ebenso fällt die Reaktion in eitrigem Sputum 
positiv aus (Uhlenhuth). Wir haben in verschiedenen auf Lein¬ 
wand angetrockneten Auswürfen von Influenza-Kranken und Pneu- 
monikern eine deutliche Reaktion erzielt, desgleichen in eitrigem 


u ) Die Untersuchung von GewetastOskeben einer Mumie mit Hfilte der 
bioiogiieheo Methode gab ein negatives Besaitet 



Praktische Anleitung sur gerichtsärstlichen Blntnnterinrbnug u. r. w. 241 


Urin nnd Sekreten, die von eitrigen Blasenkatarrhen herrührten, 
desgleichen in angetrockneten Trippersekreten. Mertens hat die 
Reaktion auch in ei weisshaltigem Urin erhalten, ebenso ist es be¬ 
kannt, dass sie in Hydrozelen- und Ascitesflüssigkeit positiv aus¬ 
fällt. In normalem Urin, Schweiss, sowie Thrftnenflüssigkeit haben 
wir eine positive Reaktion nicht beobachtet. 

Diese Thatsachen sind in der forensischen Praxis wohl zu 
beachten, zumal dann, wenn es nicht gelingt auf chemischem 
Wege den Nachweis von Blut zu erbringen. Man wird in 
solchen Fällen nur aussagen können, dass es sich um mensch¬ 
liches Eiweiss handelt, event. wird man bei spermaverdftch- 
tigen Flecken durch Anwendung der mikroskopischen Unter¬ 
suchung und Anstellung der Flore nee’sehen Reaktion das Vor¬ 
handensein von Sperma nachweisen können. Es können diese 
Sekrete zusammen mit Blut auf Kleidungsstücken, auf Werkzeugen 
angetrocknet die Diagnose der Blutart erschweren; aber wir haben 
uns durch vielfache Versuche überzeugt, dass sowohl die Herkunft 
der Sekrete, als die des Blutes möglich war. So brachten wir 
auf Leinewand, welche mit mehreren Flecken von einem schleimig¬ 
eitrigen Blasenkatarrh eines älteren Mannes beschmutzt war, 
Rinderblut, Hessen letzteres antrocknen und unterzogen es später 
der biologischen Untersuchung. Es zeigte sich, dass in den Probe¬ 
röhrchen sowohl das Menschen-Antiserum, als auch das des Rindes 
eine sichere Reaktion ergab, dass also in dem untersuchten Objekt 
sowohl menschUche, als auch thierische Eiweissstoffe, — hier die 
des Rindes — nachweisbar waren. 

Es war von vornherein anzunehmen, dass die biologische 
Methode an thierischen Organen und Organtheilen in gleicher 
Weise positiv ausfallen würde, da ja in diesem Blut bez. Ei¬ 
weissstoffe vorhanden sind. Dass dieses bei frischen Organen 
mögUch ist, Hegt ohne Weiteres auf der Hand. 

Dass aber die Methode in älteren Organen, ja in l 1 /* Jahr 
getrockneten (wie Leber, Milz, Niere, Herzmuskulatur von 
Schweinen) noch ausführbar ist, dieser Beweis ist zuerst von 
Uhlenhuth 1S ) erbracht, und auf Grund dieser Thatsache eine 
Methode ausgearbeitet, die gestattet, in Würsten, Schinken, über¬ 
haupt Fleischwaaren, in rohen nnd geräucherten, nicht aber in 
gekochten, deren Herkunft zu bestimmen. Diese Methode ist in 
allen Einzelheiten im November 1901 von Uhlenhuth 14 ) veröffent¬ 
licht worden. Nachdem hat auch Y es s 15 J im September 1901 auf der 
Naturforscher-Versammlung in Hamburg daraufhingewiesen, dass 
es mit Hülfe eines Pferde-Antiserums gelingt, Pferdeblut und 
Pferdefleisch zu erkennen. 

Diese für die Sanitätspolizei sehr wichtige Untersuchungs¬ 
methode hat aber auch für die gerichtliche Medizin ihre Be¬ 
deutung, da sie geeignet ist, auch über die Herkunft menschHcher 

**) Deutsche med. Wochenschrift; 1901, Nr. 30, 26. Juli. 

u ) Deutsche med. Wochenschrift; 1901, Nr. 46. 

l5 ) Berliner thierirstliohe Wochenschrift; 1901, Nr. 42. 



242 


Dr. Pllf. 


Organe Aufschluss zu geben. So hat Be um er 16 ) in dieser Zeit¬ 
schrift, 1902, Nr. 23 (1. Dezember) darauf hingewiesen, dass es 
ihm in einem gerichtlichen Fall gelungen sei, die Herkunft von 
Knochen, welche auf einer Brandstelle von der Staatsanwaltschaft 
gefunden waren, zu bestimmen. Dieser Fall gab Be um er Ver¬ 
anlassung zu einer Beihe diesbezüglicher Versuche, die auch ihre 
Bestätigung fanden in einer alsbald darauf erschienenen Arbeit 
von Schütze 17 ). 

Wir sind am Schluss unserer Arbeit. — Insbe¬ 
sondere verdient hier noch hervorgeboben zu werden, 
dass der forensische Blutnachweis bezüglich der 
Herkunft des Blutes durch die biologische Methode 
heutzutage als völlig gesichert und einwandsfrei 
gelten muss. Wohl aber hat diese Methode, wie jede 
experimentelle Untersuchungsmethode, für einen Un¬ 
geübten ihre Schwierigkeiten. Handelt es sich doch 
hier um eine Serumreaktion, die uns äusserst feine 
biologische Vorgänge zum sichtbaren Ausdruck bringt, 
deren Beobachtung und Beurtheilung ein sorgfältiges 
Studium erfordert. Wenn diese biologischen Vor¬ 
gänge bisher selbst den Gerichtsärzten fern lagen, 
um wieviel mehr noch den Chemikern, die heutigen 
Tages noch vielfach berufen sind, die gerichtlichen 
Blutuntersuchungen auszuführen. Es ist daher, wie 
schon mehrfach betont ist und immer wieder betont 
werden muss, die Einrichtung von Zentralstellen, au 
welchen die Sachverständigen unterrichtet werden, 
und als welche uns die gerichtsärztlichen Universi¬ 
täts-Institute als am geeignetsten erscheinen, noth- 
wendig, sowie insbesondere die Einrichtung einer 
Zentralstelle, von welcher jeder Zeit hochwerthige, 
staatlich geprüfte Antisera zu beziehen sind. 


Die Krebserkrankungen des Dorfes Plötzkau von 1883 
bis 1902, topographisch dargestellt. 

Von Dr. Pllf in Aisleben a. S., staatsärstlich approbirt. 

In Nr. 8 der Zeitschrift für Medizinalbeamte vom Jahre 1901 
hat Behla eine sehr interessante und anregende Arbeit über die 
Krebserkranckungen der Stadt Luckan veröffentlicht. Der Ver¬ 
fasser spricht gegen Ende der Abhandlung den Wunsch aus, dass 
auch Andere derartige Untersuchungen vornehmen möchten und 
das ErgebniRS mit Beigabe einer topographischen Skizze veröffent¬ 
lichen. Ich habe mit nachstehender kleiner Arbeit den Versuch 
gemacht, und mich dabei naturgemäss an die Behla’sche Ver¬ 
öffentlichung angeschlossen, die ja an Klarheit und Uebersicht- 
lichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. 


>*) Zeitschrift für Medislnalbeamte; 1902, Nr. 23. 

i: ) Deutsche med. Wochenschrift; 1908, Nr. 4. 23. Januar. 



Die Krebserkrafibangen des Dorfes Plötzkau von 1883—1902. 


243 


Meine Beobachtungen beziehen sich auf das anhaitische, im 
Kreise Bernburg gelegene Dorf Plötzkau, das zu meinem ärztlichen 
Bezirke gehört, und in dem ich seit sieben Jahren fast ausschliess¬ 
lich die ärztliche Praxis ausübe. 

Plötzkau, etwa 3 km von der preussischen Grenze entfernt, 
hat ungefähr 1200 Einwohner; die Einwohnerzahl ist in den letzten 
zwanzig Jahren nahezu unverändert geblieben. Das Dorf zerfällt 
in das höher gelegene Oberdorf und in das tiefer gelegene Unter¬ 
dorf, getrennt durch die Hauptstrasse; das Unterdorf hat etwa 
400 Einwohner, das Oberdorf 800. In der Nähe des Dorfes fliesst 
die Saale, die bis vor etwa 30 Jahren einen anderen Lauf hatte 
wie heute; die beiden auf der Karte als „alte Saale“ bezeichneten 
wurstähnlichen Gebilde sind die Beste dieses alten Laufes. Von 
diesen beiden Resten kommt für uns hauptsächlich der grössere 
in Betracht, der mit einem Theile bis dicht an das Unterdorf 
heranreicht. Diese alte Saale ist stets mit Wasser gefüllt, zu 
Regen- und Ueberschwemmungszeiten mehr, in trockener Zeit 
weniger. Das Wasser hat keinen Abfluss und ist in der warmen 
Jahreszeit schlecht und übelriechend. Dicht am Wasser liegen 
die Gärten und Häuser des Unterdorfes; die Gärten werden bei 
reichlichem Wassergehalt der Saale stets überschwemmt. Das 
ganze Unterdorf * liegt auf feuchtem, sumpfigem Boden, während 
das höher gelegene Oberdorf völlig trocken liegt. 

Schon immer waren mir die zahlreichen Krebserkrankungen 
in Plötzkau, besonders im Unterdorf, aufgefallen; ich wusste mir 
die Sache nicht recht zu erklären, bis ich durch die Behla’sche 
Veröffentlichung auf den entschieden richtigen Gedanken kam, dass 
ebenso wie in Luckau die sumpfige Lage des Unterdorfes einen 
wesentlichen Antheil daran haben müsse. 

Wie aus der nachstehenden Tabelle (s. S. 244) hervorgeht, die 
ich der Uebersichtlichkeit wegen angefertigt habe, sind von 1883 bis 
1902 35 sichere Erkrankungen an Krebs in Plötzkau vorgekommen. 
Von 1895 an habe ich sämmtliche Fälle selbst beobachtet und 
behandelt; die vorher aufgeführten sind durch ärztlicherseits aus¬ 
gestellten Todtenschein sichergestellt. Die Krebserkrankungen 
vor 1883 musste ich unberücksichtigt lassen, weil keine Todten^ 
scheine vorhanden und die Angaben über die Todesursache zu un¬ 
sicher waren. Von diesen 35 Krebsfällen gehören 27 nach dem 
Unterdorfe, nur 8 nach dem Oberdorfe, obgleich das Oberdorf 
reichlich die doppelte Einwohnerzahl hat wie das Unterdorf. 

Die vom Krebs befallenen Häuser sind auf der einen Karte 
mit einem schwarzen Punkte bezeichnet; die Nummer bei den 
einzelnen Häusern entsprechen den Nummern der tabellarischen 
Uebersicht. 

Von 1883 bis 1902 sind in Plötzkau 447 Todesfälle vorge¬ 
kommen, darunter 35 sichere Todesfälle und Erkrankungen an 
Krebs. Das Verhältniss der Krebstodesfälle zu den gesammten 
Todesfällen beträgt also 1 : 13 gegenüber dem normalen Ver¬ 
hältniss 1 : 40. Die Zahl der Gesammttodesfälle im Unterdorte 
gesondert .festzustellen, war mir leider nicht möglich. Nehme ich 



244 


Dr. Pilf. 


Jahr¬ 

gang 

ii 

11 

öS 

Nummer j 

Name 

◄ 

Art der Krebskrankheit 

L . 

Wohnung 

1888 

88 

i 

Andreas M. 

62 

Magenkrebs 

Unterdorf 

1884 

29 

2 

Friederike R. 

46 

Uternskrebs 

Oberdorf 

1885 

44 

3 

Therese K. 

52 

Magenkrebs 


1886 

24 

4 

Christian J. 

60 


Unterdorf 

j» 

— 

5 

Friederike S. 

65 

1t 


1888 

20 

6 

Andreas K. 

69 

U 


n 

— 

7 

Georg tf. 

56 

1t 


1889 

24 

8 

Rudolf K. 

65 

1t 


s 

— 

9 

Christian H. 

73 

yt 

Oberdorf 

1890 

27 

10 

Aognste M. 

61 

Uternskrebs 


1t 

— 

11 

Wilhelmine H. 

48 

1t 

Unterdorf 

1891 

29 

12 

Marie Z. 

40 

Magenkrebs 

Oberdorf 

yt 

— 

13 

Dorothee B. 

54 

Brustkrebs 

Unterdorf 

n 


14 

Christiane R. 

63 

Magenkrebs 

yt 

1892 

20 

15 

Friedrieh G. 

60 

„ 


1893 

1 31 

16 

Anna K. 

31 

Uternskrebs 

Oberdorf 

1896 

19 

17 

Angast J. 

46 

i Magenkrebs 

Unterdoif 

n 

l _ 1 

18 

1 Christian B. 

56 

1 Kehlkopfkrebs 

ff 

1896 

21 

19 

Andreas N. 

69 

Magenkrebs 

f > 

* 

— 

20 

Wilhelm B. 

62 

1t 


1897 

| 35 

21 

Ferdinand F. 

i 70 

n 

yf 

1t 


22 

Friederike H. 

63 

Mastdarmkrebs 

ff 

1898 

I 21 

23 

Wilhelm W. 

55 

Magenkrebs 

n 

1899 

19 

24 

Karl H. 

46 

it 

Oberdorf 

* 


25 

| Marie W. 

53 

Krebs der Gallenwege 

Unterdorf 

1900 

19 

26 

Klemens S. 

54 

Magenkrebs 

Oberdorf 

1901 

1 13 

27 

i Gottfried F. 

52 

Nierenkrebs 

Unterdorf 

* 

— 

28 

i Johann P. 

48 

Krebs der Gallenwege 

ff 

1908 

14 

29 

i Johann S. 

; 73 

Magenkrebs 

ff 

* l 

j - 

1 80 

| Gottlieh M. 

65 

1t 

ff 

1* 1 

| 

31 

! Wilhelm F. 

52 

n 

ff 

» 


82 

Friedrich L. 

83 

it 


r» 

i - 

33 

Wilhelmine K. 

45 

Uternskrebs 


w 

- 1 

34 

Henriette K. 

64 

Magenkrebs 

ff 

i» 1 

— 

35 

, Wilhelm K. 

53 

Jt 

n 


jedoch ein ungefähres Verhältnis an nach der Einwohnerzahl des 
Unterdorfes, so ergeben sich etwa 150 Sterbefälle in den letzten 
zwanzig Jahren im Unterdorfe, darunter 27 Krebsfälle, was ein 
Verhältnis von 1 : 5,5 ergiebt. Im Unterdorfe ist also jeder 
fflnfte bis sechste Mensch, die Kinder mit eingerechnet, an Krebs 
gestorben. Ganz auffallend ist das Ergebnis des letzten Jahres, 
in dem ich 7 Krebsfälle im Unterdorfe zu verzeichnen habe! 
Diese Diagnosen sind nicht etwa von mir allein gestellt, sondern 
die meiten Fälle sind ausser von mir auch im Bemburger 
Krankenhause oder in Halle behandelt und mit der Diagnose 
Krebs aufgeführt. Ich werde jedenfalls die Krebserkrankungen 
in Plötzkau in den nächsten Jahren mit besonderer Theilnahme 
verfolgen und seiner Zeit wieder darüber berichten. 

Bei der Gesammtzahl der Todesfälle in Plötzkau muss nun 
die ausserordentlich hohe Kindersterblichkeit berücksichtigt werden, 
wodurch sich ja das Verhältnis der KrebstodesfäUe zu den Ge- 








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Di« InkMitaukugn ta Dorf« PINiku tm 1888—1908. 245 

sammttodesfäUen Hoch verschlechtert; denn bei den Erebstodes- 
QLlien kommen eigentlich doch nnr die Erwachsenen in Betracht. 
Die Bevölkerung in Plötzkau besteht meist ans landwirt¬ 
schaftlichen Arbeitern und Steinbruchsarbeitern, die bei Er¬ 
krankungen ihrer Kinder höchst selten den Arzt holen lassen, 
weil sie die Kosten scheuen. Wenn Hebamme oder Barbier nicht 
helfen kennen, dann sterben eben die Kinder. 

Auffallend ist auch, dass von den Krebserkrankungen des 
letzten Jahrzehntes nur 3 im Oberdorfe vorgekommen sind, da¬ 
gegen 17 im Unterdorfe. Nr. 33 ist die Tochter von Nr. 32; die 
Flau meldete sich am Tage nach dem Begräbnisse ihres an 
Magenkrebs verstorbenen Vaters bei mir krank. Sie hatte ihren 
Vater monatelang gepflegt. Ich fand Gebärmutterkrebs und 
schickte sie sofort nach Halle zur Operation. Nach drei Wochen 
war die Frau todt 

In Bezug auf die von Krebs befallenen Organe haben wir 
24 Mal Magenkrebs, 5 Mal Uteruskrebs, 2 Mal Krebs der Gallen¬ 
wege, je 1 mal Mastdarmkrebs, Kehlkopfkrebs, Brustkrebs, Nieren¬ 
krebs. 17 Fälle von Magenkrebs betreffen Männer; viel mag 
hierzu beitragen der Schnapsgenuss, der im Dorfe bei der Ar¬ 
beiterbevölkerung sehr beliebt ist und in hohem Ansehen steht. 
Durch den fortwährenden Beiz, der durch den Alkohol ausgeflbt 
wird, durch den chronischen Magenkatarrh der Schnapstrinker, 
finden die Krebsparasiten eine geeignete Ansiedelungsstelle im 
Magen. 

Man mag nun Aber die Entstehung des Krebses denken wie 
man will, jedenfalls steht fest, dass in Plötzkau in dem snmpfig 
und tief gelegenen Unterdorfe eine auffallend grosse Anzahl von 
Krebserkrankungen vorliegt. 

Ich hoffe, demnächst in der Lage zu sein, auch aus einem 
anderen grösseren Orte ähnliche Beobachtungen zu veröffentlichen, 
und damit einen weiteren kleinen Beitrag zu liefern zu der für 
das allgemeine Gesundheitswesen so wichtigen Krebsforschung. 


Alis Versammlungen und Vereinen. 

Bericht Ifcer die Versammlung der Hediaiualbeamteu de« 
Reg.-Bes. Gumbinnen in Insterburg am 13. Oktober 1903. 

Die Versammlung fand im Stad i verordne lensaal des Bathbanses zu 
Insterburg statt An derselben nahmen Tbeil: Regierungspräsident Begel- 
6 binnen, Geh. Ober-Med.-Rath Dr. Schmidtm ann, als Kommissar des 
fl. Ministen, Reg.- und Med.-Rath Dr. Doepner-Gumbinnen, Rolfaarbeiter, 
Kreisarzt und Med.• Rath Dr. Raetzell-Gnmbinnen, Oberbfi'genneister 
Kirehh off-Insterburg, RegierungsasBessor Ger lach-Gumbinnen, die Kreis¬ 
ärzte DrDr. Bredsehneider-Angerburg, Poddey-Darkehmen, Czygan- 
Goldap, PI och-Gumbinnen, Forstreuter-Heütrichswalde, Cobn-Hejde- 
kreg, Li edtke-Insterburg, Du bois-Johaunisbnrg, Beyer-Lotsen, Stunm- 
Lyck, Vossius-Margrabowa, Schawaller-PiUkallen, Herrendoerfer- 
Bagnit, Krause-Sensburg, Schulz-8tal)up8nea und Behrendt-Tilsit die 
KreisaasisteadLrste DrDr. Lemke-Proetken, Boehnke-Bialia und Woller- 
uana-Kaukehmen, sowie die kreisftiztlich geprüftes praktischen Aerste 
DrDr. Kehl er -Gumbinnen, Gustlene-Scbmalleaingken, Frans-Insterburg 
und Katluha-Aafurburg. 



246 


Aua Versammlungen und Vereinen. 


Herr Reg.- and Med.-Rath Dr. Doepner eröffnet die Versanunlung, 
indem er mit warmen Worten des vor Kurzem verstorbenen Oberprftaidenten 
Herrn v. 6 o aal er-Danzig gedenkt, der ala Knltnaminiater seiner Zeit aein 
reges Interesse für die Medizin und die Medisinalbeamten gezeigt nnd ans dem 
Reg. - Bez. Gumbinnen ala Landrath von Darkehmen hervorgegangen ist. Als¬ 
dann begrflaat er den Vertreter des Hiniatera Herrn Geb. Ober-lled.-Rath Dr. 
Schmidtmann-Berlin, sowie den Regiernngaprisidenten Herrn Hegel- 
Gnmbinnen. 

Nachdem die beiden Letzteren gedankt, wird in die Berathnng der Tages¬ 
ordnung eingetreten. 

L Kreisarzt Dr. Sohawaller-Pillkallen referirt Aber Punkt 1 der 
Tagesordnung: Verhütung nnd Bekämpfnng gemeingefährlicher oder 
sonst übertragbarer Krankheiten, and bespricht hierbei sanichst die An- 
seigepflicht, wie diese durch das Reichsaenchengeaetz vom 80. Juni 1900 
und das sogenannte Regulativ vom 8. August 1836 geregelt ist. Br hält ea 
für dringend noth wendig, dass durch ein neues preuaaiaches Seuchengesetx die 
Anzeigepflicht auf folgende Krankheiten ausgedehnt wird: 1. Unterleibstyphus, 
2. Rttckfallfieber, 3. übertragbare Ruhr, 4. übertragbare Erkrankungen im 
Wochenbett und Neugeborener, 5. Diphtherie, 6. Scharlach, 7. Granulöse, 
8. epidemische Genickstarre, 9. Masern nnd Rötheln, 10. Keuchhusten, 
11. Lungen-, Kehlkopf- und Darmtuberkulose, 12. Syphilis nnd Gonorrhoe. Br 
verlangt ferner, dass entsprechend den Bestimmungen der §§. 1, 2 nnd 8 des 
Reiobsaeuchengeaetses jede Erkrankung und jeder Todesfall, sowie auch jeder 
Fall, welcher den Verdacht einer dieser Krankheiten erweckt, anzuzeigen ist. 

Nach kurzer Brw&hnung der Gefährlichkeit des Scharlachs mit statisti¬ 
schen Angaben aus seinem Kreise nnd dem Anheimatellen, die Anseigepflir ht 
der Granulöse auf granulosefreie Gegenden zu beschränken, um einem Ein¬ 
heimischwerden derselben voraubengen, hält er eine Anzeigepflicht bei Longen-, 
Kehlkopf- und Darmtuberkuloae wenigstens für Gasthäuser, Logirhäoser, Her¬ 
bergen, Pensionate, Chambre-garnies, Schlafstellen nnd Privatkiankenanstalten 
für geboten und beschränkt auch die Anseigepflicht bei Syphilis nnd Gonorrhoe 
auf die Prostituirten. 

Referent kommt darauf auf die Anzeigepflicht der Amtsvorsteher an den 
Kreisarzt nach g. 14 Abs. 6 der Dienstanweisung su sprechen und empfiehlt 
auch den Amtsvorstehern Meldekarten mit Vordruck und Aversionirungsstempel 
einsuhändigon, nach Analogie der Meldekarten, welche auf Grund des Erlasses 
des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medisinalangelegenbeiten 
vom 30. April 1897 — M. Nr. 11012 Gin — den Aerzten zur Anzeige von 
ansteckenden Krankheiten sur Verfügung gestellt sind. 

Bei Besprechung der Feststellung der anderen übertragbaren Krankheiten 
gemäss den Bestimmungen des §. 82 der Dienstanweisung Abs. 8 b berührt 
Vortragender die Verfügung des Regierungspräsidenten vom 6. März 1902 — 
I. M. 649 —, wonach der Kreisarzt erst dann eine Feststellung von Amtswegen 
ausführen darf, wenn er sich durch Rückfragen Gewissheit darüber verschafft 
hat, dass die Krankheit bereits ärztlich festgestellt ist und beleuchtet die 
Missstände, welche aus der hierdurch bedingten Verzögerung bei einzelnen 
Krankheiten, in erster Linie bei Unterleibstyphus, Rückfallfieber, Rohr, Schar¬ 
lach und Diphtherie, sich ergeben. Für diese Krankheiten verlangt er für den 
Kreisarzt gleichfalls die Berechtigung, anch bei den ersten Fällen unmittelbar 
an Ort und Stelle die nothwendigen Ermittelungen vorzunehmen. Die in der 
letztgenannten Verfügung erlassene Bestimmung, dass bei nothwendig werdenden 
Ermittelungen bei Masern, ROtheln nnd Keuchhusten vorher die Genehmigung 
des Regierungspräsidenten eingeholt werden soll, hält er gleichfalls für ge¬ 
eignet, den günstigsten Zeitpunkt zum amtsärztlichen Einschreiten zu verpassen. 
Nach Erwähnung der besonderen Bestimmungen durch Regierungs-Verfügungen 
vom 14. Juni 1889 — L M. 1386 — und 21. Juli 1902, betreffend Feststellung 
jeden Falles von Kindbettfieber, kommt Referent auf die Thätigkeit des Kreis¬ 
arztes an Ort und Stelle zu sprechen. Die Feststellung der Art der Krankheit 
unter Zusiehung des behandelnden Arztes, die Ermittelung des Standes der 
Krankheit nnd ihrer Entstehung, die Vorschrift gemäss §. 6 des Reichssenchen- 
gesetzes, der Polizeibehörde eine Erklärung darüber absugeben, ob der Aus¬ 
bruch einer Krankheit festgestellt ist, werden besprochen und dann die Sehutt- 
massregeln, welche gemäss §. 11—27 des Reichsseuchengesetzes und des 0.18ff.' 



Atu Versammlungen and Vereinen. 


247 


des. Regulativs, sowie des Ministerialerlasses vom 14. Juli 1884, nebst der diesem 
Irlisse beigegebenen „Anweisung nur Verhütung der Uebertrngnng ansteckender 
Krankheiten. darch die Schalen“, mit der Ergänzung vom 26. August 1902 
«geordnet sind, ausitthrlioh geschildert. Zum Schluss wird die Desinfektion, 
die laufende und die Schlussdesinfektion, besprochen und gefordert: 

1. Einführung der obligatorischen Schlnssdesinfektion bei allen gemein¬ 
gefährlichen und Übertragbaren Krankheiten, sofern sie in öffentlichen Anstalten, 
8eholen, Penaionaten, Gast- oder Logirbäusern, Massenquartieren und ähnlichen 
Biarichtungen auftreten. 

2. Eine obligatorische Schlussdesinfektion der einseinen Wohnungen bei 
den gemeingefährlichen Krankheiten des Reiehsseuchengeseizes, sowie bei Unter¬ 
leibstyphus, Bftokfallfieber, Ruhr, Scharlach und Diphtherie. 

S. Zur Ausfährung und Tragung der Kosten der Desinfektion nach 1 
und 2 sind die Kreise verpflichtet, soweit nicht öffentliche oder private An¬ 
stalten (Krankenhäuser, Gefängnisse, Schalen) für die Kosten entkommen. Die 
Kreise haben za diesem Zwecke die nothwendigen Desinfektoren ausbilden zu 
lassen und anzustellen und mit den nothwendigen Apparaten und Geräthschaften 
asssurOsten. Auch wäre in den Kreisen ein Dampfdesinfektionsapparat bereit- 
sustelien und zu unterhalten. 

Bei der Diskussion erwähnt Kreisarzt Dr. Forstreuter Be¬ 
stimmungen, nach denen das Oeffnen der 8ärge bei den Begräbniss-Zeremonien 
untersagt ist (vergl. Verfügung der Königl. Regierung zu Gumbinnen vom 
14. März 1838, Amtsblatt S. 220) und nach denen auch das Zusammenkommen 
des Leichengefolges in der Wohnung der an ansteckenden Krankheiten Ge¬ 
storbenen nicht gestattet ist, so dass darnach auch die Leichenfeierlichkeiten 
im Sterbehatue fortfallen müssen (Vergl. Regulativ vom 8. August 1836, Abs. 5, 
Polizei Verordnung vom 26. Januar 1870, Amtsblatt S. 21). Er spricht dann 
Iber Ruhr, die in den hiesigen Bezirken wohl in der Regel aus Russland ein¬ 
geschleppt wird und bei der das sofortige Eingreifen des Uedizinaibeamten, 
gerade bei den ersten Fällen, bevor noch die Erkrankung gruppenweise auf- 
tritt, nothwendig ist. Der Erlass eines Seuohengesetzes ist demnach durchaus 
zu fordern. 

Kreisarzt Dr. Czygan will das Singen der Schulkinder in den Häusern 
der Gestorbenen verboten wissen, hält aber das Singen auf dem Kirchhofe für 
unbedenklich. 

Kreisarzt Dr. Schulz spricht Aber die Betheiligung der Lehrer an den 
Leichenbegängnissen und die daduroh vorhandene Gefahr der Weiterver- 
sehleppung ansteckender Krankheiten in die Familie und die 8cbule. 

Regierungspräsident Hegel bezeichnet die Theilnahme der Lehrer an 
den Leichenfeierlichkeiten als ein noth wendiges Uebel, da bei den grossen 
Kirchspielen die Geistlichen nicht an sämmtlichen Begräbnissen theilnehmen 
können. Es soll den Lehrern nur verboten werden, infizirte Häuser zu betreten, 
und in nächster Zeit eine Regelung dieser Frage erfolgen. In Betreff der 
Feststellung der ansteckenden Krankheiten müsse nach den geltenden gesetz¬ 
lichen Bestimmungen die Feststellung der ersten Fälle durch die Polizeibehörde 
verlangt werden. 

Geh. Ober-Med.-Rath Dr. Schmidtmann bemerkt, dass eine allge¬ 
meine Reisefreiheit nicht bestehe. Der §. 82 habe die Frage für die Kreisärzte 
geregelt und gestatte ihnen im Allgemeinen eine grosse Bewegungsfreiheit. 
Immerhin müsse in Rücksicht auf die erwachsenden Kosten eine weise Be¬ 
schränkung stattfinden und sei namentlich bis zum Erlass eines neuen in Aus¬ 
sicht stehenden Seuchengesetzes, soweit nicht die bestehenden Bestimmungen 
genügen, von Fall zu Fall die Genehmigung des Regierungspräsidenten zu 
erbitten. 

Einzelne Forderungen des Referenten findet er zu weitgehend. Es 
müssen auch die Interessen des Staates gewahrt werden. Als zu weitgehend 
und unausführbar halte er die Forderang der allgemeinen Anzeigepflicht bei 
Granulöse, Gonorrhoe und Tuberkulose. Auch lege er Gewicht darauf, dass die 
Uedizinaibeamten individualisiren und nicht durch Zwangsmassregeln, sondern 
durch Belehrung und Autorität ihr Ziel erreichen. 

Regierungspräsident Hegel schliesst sich den Ausführungen an, meint 
aber, dass gerade bei der hiesigen Bevölkerung in der Bekämpfung der 
Granulöse ein gelinder Zwang unvermeidbar sei. Eine Verzögerung und Ver- 



Ana Versammlungen and Vereinen. 


248 

breitaug der ansteckenden Krankheiten, wie Maeern etc. doreh die Anordnung, 
vor etwaigen Reisen seine Genehmigung einzuholen, befürchte er nicht, da ant' 
telegraphischem oder telephonischem Wege in karaer Zeit die Genehmigung 
za erhalten sei. 

II. Bekämpfung der Cholera. Med.-Rath Kreisarat Dr. Raetsei 
berichtet über die am 26. Angnst im Ministerium abgehaltenen Konferens. Br 
erwähnt die Schwierigkeiten der bakteriologischen Diagnose, indem er die 
mikroskopische Untersuchung, das Kaltarverfahren auf Gelatine- und Agar- 
Platten, das Anreicherungsverfahren, sowie die serodiagnoetische Prüfung be¬ 
spricht und darauf hinweist, dass die Stellung der Diagnose den bakteriologi- 
sohen Professoren Vorbehalten ist. Der Kreisarzt hat das Material nebst luft¬ 
trockenen AuBstriohpriparaten einzuschicken. Dem Kreisarzt liegt ferner die 
Sorge für die Isolirung, Evakuirung, Beobachtung und Desinfektion ob. Schon 
vor dem Ausbruch der Krankheit ist durch geeignete Massnahmen, durch Be¬ 
lehrung, Ausbildung von Desinfektoren und Einrichtung von Desinfektionsan¬ 
stalten, durch Ueberwachung der Zentralwasseranlagen und Brunnen, sowie 
durch Sorge für die Reinhaltung der Flüsse einem Auftreten und Umsichgreifen 
der Krankheit zu begegnen. 

III. Zu dem dritten Punkt der Tagesordnung: Einfache, physikalische, 
chemische, mikroskopische und bakteriologische Untersuchungen des 
Kreisarztes (§. 87 der Dienstanweisung) bemerkt der Referent Kreisarzt 
Dr. Krause-Sensburg, dass der Kreisarzt nur einfache Untersuchungen an¬ 
stellen soll, und bespricht hierauf unter Vorführung der einzelnen dazu noth- 
wendigen Apparate und Instrumente die Untersuchungen, die vom Kreisarzt 
verlangt werden können. Ausser den grobsinnlichen Feststellungen und Thermo¬ 
metermessungen, muss der Kreisarzt Untersuchungen über Feuchtigkeitsgehalt 
der Luft und der Winde in den Wohnungen nasführen. Er muss bakteriologi¬ 
sche Untersuchungen auf Gonokokken, Tuberkelbazillen uud Milzbrandbazillen 
ausführen und chemische, sowie bakteriologische Wassernntersuchungen machen 
künnen. Bei letzteren ist der Kreisarzt nur zur Zählung der Keime, nicht zu 
Kulturversuchen und dergl. verpflichtet. Der Vortrag wird durch zahlreiche 
Demonstrationen erläutert. 

In der Diskussion betont Reg.- und Med.-Rath Dr. Doepner die 
Nothwendlgkeit, sich mit den Methoden durchaus vertraut zu maohen. Die 
vorgetragenen einfachen Untersuchungen ist der Kreisarzt verpflichtet auszu- 
führen und ist es seine Saohe, sich die nöthige Fertigkeit eventuell durch Be¬ 
such von Kursen oder der in Gumbinnen in der Entstehung begriffenen bakte¬ 
riologischen Untenuchungsatationen anzueignen. 

Kreisarzt Dr. Fora treu ter glaubt, dass die Ausführung der angeführten 
Untersuchungen dem Kreisärzte wohl keine Schwierigkeiten bereiten werde, 
dass aber die Herstellung der Nährboden, der Gelatine u. d. äh. in der Regel 
für den im Amte beschäftigten Kreisarzt unnütz und zeitraubend sein würde, 
namentlich wenn nur einige Röhrchen Gelatine gebraucht werden. Es empfiehlt 
sich, dass diese Nährböden von dem in Gumbinnen zu errichtenden Institut auf 
Erfordern geliefert werden. 

Reg.- und Med.-Rath Dr. Doepner stimmt dem bei und stellt die 
Lieferung auch gegenüber dem Med.-Rath Kreisarzt Dr. Raetzel, der eine 
zu grosse Inanspruchnahme des Instituts befürchtet, in Aussicht. 

Geh. Ober-Med.-Rath Dr. Schmidtmann hält die Grenzen, welche 
Referent für die einfachen Untersuchungen, zu denen der Kreisarzt gemäss §. 87 
verpflichtet ist, gezogen hat, im Wesentlichen für richtig. Die Kreisärzte 
werden die Möglichkeit haben, ohne grosse Unkosten im Institut zu Gumbinnen 
sich nOthigen Falls mit den Untersuchungen vertraut zu machen, nnd hält er 
auch die Einwände von Raetzell für hinfällig. Der Kreisarzt soll in erster 
Linie nicht wissenschaftliche Untersuchungen anstellen; dazu fehlt ihm meist, 
namentlich bei ausgebreiteten Epidemien die Zeit, sondern nur den Instituten 
Vorarbeiten und deren Untersuchungen durch Entnahme der Materialien und 
sachgemässe Vorbereitung anbahnen. 

IV. Ueberwachung des Arzneimittel verkehre uud dee Handele 
mit Giften uud Geheimmitteln aueeerhalb der Apotheken, Der Referent, 
Kreisarzt Dr. Cohn-Heydekrug, berührt zunächst die Verordnung, betreffend 
den Verkehr mit Arzneimitteln, vom 27. Januar 1890 und erörtert an der Hand 
einer grossen Zahl mit vielem Fieiss zusammengestellter Entscheidungen der 



Am Versammlungen und Vereinen. 


240 


höchsten Gerichtshöfe die Begriffe: Heilmittel, Zubereitungen, Misehungen, 
Krankheiten, wobei er auch auf die Bestätigung der PoliseiTerordnung, betr. 
den Verkauf von Aether und Aetherweinsreist, durch die Entscheidung des 
Landgerichts Memel vom 6. Desember 1899 zu sprechen kommt. Nach Dar¬ 
legung der Unterschiede und Vorsflge, welche die nene Kaiserliche Verordnung 
vom 22. Oktober 1901 bietet, geht Vortragender auf die Besprechung der Ge¬ 
heimmittel Ober und erklärt zunächst nach der Gerichtsentscheidung die Be¬ 
griffsbestimmung des Wortes „Geheimmittel“. Dann erörtert er die Obliegen¬ 
heiten, welche dem Medisinalbeamten aus der Ueberwaehung des Verkehrs mit 
Giften ausserhalb der Apotheken erwachsen, unter Ansiebung der Polizeiver- 
ordnnng Ober den Handel mit Giften vom 24. August 1895. Zum 8chlnss 
berichtet er Ober seine Erfahrungen mit Karbolwasser, namentlich Ober 
Schädigungen nach laienhaftem Gebrauch desselben, die häufig su Gangrän der 
Glieder nnd umfangreichen Gewebszerstörungen führen. De lege ferenda ver¬ 
langt er, dass die Karbolsäure ganz dem freien Verkehr entzogen und den¬ 
jenigen Mitteln zugereiht werde, welche nur auf ein von einem Arzte, Thier¬ 
arzte oder Zahnarzte ausgefertigtes Rezept vom Apotheker verabfolgt 
werden darf. 

In der Diskussion vermisst Reg.-und Med. - Rath Dr. Doepner ein 
näheres Eingehen anf die äussere Beschaffenheit der Drogenhandlungen, wie 
dieselbe durch die Poliseiverorduung der KOnigl. Regierung su Gumbinnen 
vom 18. Januar 1895 (Amtsblatt S. 42), betreffend gewerbsmässigen Handel mit 
Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken geregelt ist und ergänzt den Vortrag. 

Kreisarzt Dr. Csygan wünscht eine Einschränkung der Giftkonzession 
an die Materialwaarenbändler und frägt an, ob die Dispensiranstalten* der 
Tbierärzte unter Kontrole stehen. 

Reg.- und Med.-Rath Dr. Doepner verneint Letzteres. 

Kreisarzt Dr. Forstreuter bemerkt, dass in Folge der Bestimmungen 
der am 1. Februar 1894 erlassenen Vorschriften Ober die Besichtigung der 
Drogen- und ähnlichen Handlungen (Amtsbl. 8.194), welebe Revision der Hand¬ 
lungen unter Beihülfe eines approbirten Apothekers zulässt nnd zum Theil 
verschreibt, zu den Revisionen häufig ältere Herren, die lange ans der Praxis 
aasgescbieden und nicht mehr mit den betreffenden Verordnungen vertraut 
sind, ungezogen werden. Die Revisionen verlieren hierdurch an Werth. 

V. Begrftbnisswesen. Der Referent, Kreisarzt Dr. Herr and örfer- 
Ragnit bespricht die nach $. HO der Dienstanweisung dem Kreisarzt obliegende 
Ueberwachnng der Vorschriften, betreffend Ansstellung nnd Beerdigung der 
an ansteckenden Krankheiten Verstorbenen, indem er auf §. 22 des Regulativs 
hinweist. Er erwähnt die trotz des langen Bestehens der Verordnung in 
hiesiger Gegend herrschende Unsitte des Ansstellens der Leichen selbst an 
Diphtherie und Scharlach gestorbener Kinder, welche beim Begrähniss von An¬ 
gehörigen und Fremden beschaut nnd geküsst werden, sowie die Veranstaltung 
des Leichenschmauses auch in Wohnungen, in denen Personen an ansteckenden 
Krankheiten gestorben sind. Er verlangt Errichtung von Ränmen zur Unter¬ 
bringung der Leichen an ansteckenden Krankheiten verstorbener Personen, 
damit dieselben ans den beschränkten Wobnränmen entfernt werden können. 
Referent behandelt darauf die Bestimmungen Ober Ausstellung von Leicben- 
pässen gemäss Ministerialerlass vom 6. April 1888, nnter Erwähnung des Er¬ 
lasses vom 12. Dezember 1857 nnd berichtet hierbei Ober einen Fall ans seiner 
Praxis, in dem der heimliche Transport einer Leiche ans einem mit Rnhr ver¬ 
seuchten Orte nach Verweigerung des Leichenpasses stattgefunden batte, das 
Landgericht aber, trotz Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft 
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnte, da wie der Herr Regierungspräsi¬ 
dent bestätigte, für den Reg.-Bez. Gumbinnen eine Polizeiverordnung Ober den 
Transport von Leichen bisher Oberhaupt nicht besteht. 

Zum Schluss bespricht Vortragender die Bestimmungen Ober Anlegung 
nnd Erweiterung von Begräbnissplätzen gemäss Ministerialerlass vom 20. Januar 
1892, ferner die Thätigkeit des Medizinalbeamten anf Grand des 8* 118 der 
Diensten Weisung. 

Kreisarzt Scholz verlangt unter Zustimmung des Reg.- nnd Med.-Raths 
Dr. Doepner die Vorlegung der nothwendigen Zeichnungen vor Begut¬ 
achtung einer Kirchhofsanlage. 



350 


Aus Versammlungen and Vereinen. 


Kreisarzt Dr. Kranee will aneh die Begutachtung erentaell ablehnen, 
falls keine Regräbnissordnung vorgelegt wird. 

VI. Fürsorge für Geisteskranke in* nnd ansserbalb der Irren¬ 
anstalten. Referent: Kreisarzt Dr. Stamm-Lyek. Nach Besprechung der 
Fürsorge für Geisteskranke innerhalb der Irrenanstalten, der Öffentlichen nnd 
privaten Irrenanstalten, der Bestimmungen über Anfnabme nnd Entlassung der 
Geisteskranken, Idioten nnd Epileptischen in nnd ans Privatanstalten, sowie 
über Einrichtnng, Leitung nnd Beanfsicbtignng solcher Anstalten, gemäss des 
Ministerialerlasses vom 20. September 1895 nnd des Randerlasses vom 26. Mürz 
1901, gedenkt Vortragender des Ministerialerlasses vom 25. April 1898, welcher 
die Regelung der Beaufsichtigung der Niohtanstaltsbranken anregt. Durch Ver¬ 
fügung des KOnigl. Regierungspräsidenten zu Gumbinnen ist die Frage der 
Aufnahme von Geisteskranken zu längerer oder dauernder Verpflegung in all¬ 
gemeinen Krankenanstalten nnd in Siecbenhäusern und die Beaufsichtigung der 
ausserhalb der Anstalten befindlichen Irren geordnet. Die Bestimmungen des 
Erlasses werden erwähnt und die Nothwendigkeit resp. Zweckmässigkeit der 
Familienpflege besprochen. Zum Schloss tritt Referent warm für die Gründung 
von Irrenhülfsvereinen ein, welche die Fürsorge für entlassene Geisteskranke 
übernehmen. 

VII. Den letzten Punkt der Tagesordnung: Wohnungshygiene (fl. 70 
bis 78 der Dienstanweisung) behandelt Kreisarzt Dr. Schulz- StallnpSnen. 
Unter Anlehnung an Abschnitt KTX der Dienstanweisung bespricht er zunächst 
die Anfgaben des Kreisarztes in Betreff der Reinhaltnng des Bodens nnd der 
Luft, unter eingehender ErOrtemng der dem Kreisarzt zur Verfügung stehenden 
Vorschriften, namentlich der Ban-Po1i*eiverordnung für das platte Land des 
Reg.-Bez. Gumbinnen vom 24. April 1888 nnd der Baupolizei-Ordnung für die 
Städte des Reg.-Bez. Gumbinnen vom 29. März 1901, indem er zugleich die 
neue in Aussicht genommene Baupoli*eiordnung für das platte Land, deren 
Entwurf nebst Motiven am 10. März 1902 in dankenswerter Weise vom KSnigl. 
Regierungspräsidenten den Kreisärzten zur Begutachtung übersandt wurde, in 
die Besprechung aufnimmt und mit den alten Bestimmungen vergleicht. Die 
betreffenden Bestimmungen hinsichtlich Abwässernug der Grundstücke, Anlage 
von Dnngstätten und Dunggruben nnd Abortanlagen werden angeführt und die 
Mitwirkung des Kreisarztes bei Begutachtung gewerblicher Anlagen erwähnt. 
Referent bespricht dann die Thätigheit des Kreisarztes in Rücksicht auf die 
gesundheitlichen Verhältnisse der Wohnungen unter Aufführung der für die¬ 
selben in den obigen Verordnungen erlassenen Bestimmungen nnd verlangt vor 
Allem in der Polizei Verordnung die strickte Fassnng, d«ss sämmtliche noch be¬ 
stehenden Verscblnssvorricbtungen an den Abzngskanälen der Oefcn (Ofen¬ 
klappen) zu beseitigen sind. Bei drohender Sencbengefahr wird der Kreisarzt 
sieh nicht an die bestehende Verordnung gebunden fühlen, sondern das Noth- 
wendige durcbznsetsen suchen. Ferner liegt ihm ob die Begutachtung der 
Bau-PolizeiVerordnungen seines Amtsbezirks und der Ortshehannngspläne, 
sowie die Beaufsichtigung von Herbergen. Schlafstellen, Massen quartieren nnd 
ATbeiterwohnungen. Eine Polizeiverordnnng, welche das Schlafstellenwesen 
regelt, hält er namentlich in Hinsicht auf die in den Grenzorten bestehenden 
Spaisewirthsohaften nnd Unterknnftsräume für die Auswanderer, sowie in Hin¬ 
sicht auf die Massenquartiere der znr Erntezeit auf den grossen Gütern be¬ 
schäftigten ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen, für durchaus notbwendig. 
Zum Schluss erwähnt Referent noch die Aufgabe des Kreisarztes gemäss fl. 78 
der Dienstanweisung, betreffend Anregung und Unterstützung gemeinnütziger 
Bestrebungen auf dem Gebiete der Wohnungshygiene. 

Nach Schluss de« offiziellen Theiles der Versammlung vereinigten sich 
die Theilnehmer derselben im Rheinischen Hof zu einem gemeinsamen Essen 
und verlebten noch mehrere Stunden bis zum Abgang der Züge in anregendem 
Beisammensein. 

Nicht unerwähnt mag an dieser Stelle sein, dass der Herr Regierungs¬ 
präsident in dankenswerther Weise die einzelnen Referate in Druckschrift ver¬ 
vielfältigt und den Medizinalbeamten zngestellt hat, so dass hierdurch die 
Arbeit der einzelnen Kollegen, die zum grossen Tbeil gerade die einschlägigen 
Bestimmungen für den hiesigen Bezirk behandelt, den übrigen Medizinalbeamten 
zugängig gemacht wird. Dr. Forstreuter-Heinrichswalde. 



Kleinere Mittheilangen and Referate au Zeitschriften. 


251 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Bakteriologie, Infektionskrankheiten and öffentliches 

Sanitätswesen. 

Ernährung and Trinkwasserversorgung im Felde. Von Prof. Dr. 
Martin Kirchner, Geh. Med.-Rath in Berlin. Zweiter Zyklus des Vortrags 
„Aerstliohe Kriegswissenschaft“, gehalten am 1. Oktober 1901. Klinisches 
Jahrbuch; ES. Bd., 1902. 

Einleitend wird mit wenigen Worten der richtigen Zosammensetsnng 
der Soldatenkost gedacht, die für den GarnisondienBt auf 120 g Biweiss, 66 g 
Fett and 500 g Kohlehydrate, für den Krieg auf 166 g Biweiss, 100 g Fett 
and 600 g Kohlehydrate festgesetst ist. Hinsichtlich der diesen Kostmassen 
entsprechenden Arbeitsleistung ist folgende Gegenüberstellung recht interessant. 
Die Arbeitsleistung eines kräftig» Arbeiters betrügt nach Bubner bei zebn- 
stündiger Erdarbeit 72000 kg, bei fünfstündiger Arbeit am Bammklotn 
178600 kg; der 8oldat aber leistet bei einem zehnstündigen Marsch obne Ge¬ 
päck eine Arbeit von 378000 und bei vierstündigem Marsch mit Gepäck sogar 
von 417000 kg. Mithin muss die Soldatennahrang ansgiebiger nnd gehalt¬ 
reicher sein, als die eines kräftigen und angestrengten Arbeiters. Weiterhin 
schildert der Vortrag die möglichen Gesundheitsstörungen durch Wasser, Milch, 
Butter und Käse, Fleisch, Fische und Schaltbiere, Brot und Mebl, unreife Kar¬ 
toffeln und grünes Gemüse an der Hand der früher gemachten Beobachtungen. 
Im Feldsage werde die Verhütung der Krankheitsübertragung durch die Nah¬ 
rung zu einer besonders verantwortungsvollen Aufgabe der Heeresverwaltung. 
Die Feldverpflegung erfolgt von der Heimath aus durch ein wohldnrchdachtes 
8ystem von Btappenstationen und Proviantkolonnen, ferner durch Ankauf oder 
Requisition von frischem Fleisoh, Gemüse u. s. w. an Ort und Stelle and Mit¬ 
gabe der „eisernen Portion“ für den Nothfall. Letztere besteht aus Konserven 
and einem deutschen, besonders schmackhaften, nährkräftigen und sogleich 
leiehten Feldswieback, welcher aus Brotmasse, Bier und Milch bergestellt ist 
Für die gesundheitsmässige Beschaffenheit der Feldverpflegung haben die Mi¬ 
litärärzte dnrch Beachtung bestimmter Vorschriften bei dem Binkauf, Trans¬ 
port und der Zabereitung der Nahrungsmittel zu sorgen. Zu diesem Zweck 
muss sich auch die Hcerrsverwaltung stets über den Stand der Seuchen sowohl 
im Auslande, wie im Inlande unterrichtet halten, insbesondere über die Krank¬ 
heitsverhältnisse der Gebiete, in welcher sich voraussichtlich die Truppenbe¬ 
wegungen abspielen werden. Bezüglich der einzelnen Vorsichtsmassregeln bebt 
K. folgendes hervor: Die Milch sollte nur von nachweislich krankbeitsfreien 
Gehöften bezogen und vor dem Genuss 10 Minuten lang anf 60° erhitst werden. 
Das Fleisch darf nur von solchen Thieren herrühren, die von Rossärsten gesund 
befanden und von sachkundigen Schlachtern geschlachtet sind; bei Sommerhitze 
ist Fleisch durch Konserven zu ersetzen, der Genuss rohen Fleisches ist voll¬ 
ständig zu verhindern. Für das Brot ist nur solches Mehl zu verwenden, 
welches aus gesundem Korn vermahlen und nicht dumpfig geworden ist. Die 
Zubereitung der Nahrung wird den Mannschaften im Felde dadurch erleichtert, 
dass bereits während des Friedens das Ausbeben der Koohlöcher und das Kochen 
selbst geübt wird; der sinnreich erdachte Feldkorbberd des Major a. D. Hahn 
ist wegen seines zu grossen Gewichtes für die Praxis wobl noch nicht geeignet; 
dagegen ist die Mitführnng grosserer Kochkessel für ganze Korporalscbaften 
bei berittenen Truppenteilen, namentlich bei der Artillerie, sehr zu empfehlen. 
Besondere Sorgfalt erfordert die Trinkwasserversorgung im Felde und 
zwar durch regelmässige Prüfung der vorhandenen Wasserwerke oder dnrch 
Neuanlage von guten, sog. abessynischen RObrenbrnnnen oder schliesslich dnrch 
das Kochen in grossen fahrbaren Apparaten, wie solche von der Firma 
Rtetsohel & Henneberg konstrnirt sind und es ermöglichen, in kurzer 
Zeit 100 Liter Wasser zu kochen und abzukühlen, also keimfrei und geniess- 
bar zu machen. Die transportablen Filter sind für den Feldgebrancb nicht 
zu empfehlen, denn sowohl die in der französischen Armee eingeführten, aus 
gebrannter Porzellanerde hergestellten, als auch die deutschen, aus Infusorien¬ 
erde bestehenden Berkefeld-Filter arbeiten nur kurze Zeit bakteriendicht 
Die vielen Versuche, das Wasser mittels chemischer Substanzen zu klirr 
and keimfrei za machen, haben bis heute auch noch zu keinem einwandfrei* 



362 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 

and zweckmässigen Verfahren geführt. Der lesenswerte Vortrag gipfelt 
darin, dam der Militärarzt für die zweckmässige nnd gesnndbeitsmässfge Br* 
nährnng der Feldarmee zum grossen Theil verantwortlich ist, dam ferner für 
das Gelingen der Senohenverhütung im Felde schon im Frieden die Seucben- 
Bekämpfang im Lande notwendig nnd hierbei ein einträchtiges Zusammen¬ 
wirken der Zivil* and Militärmedisinalverwaltang anentbehrlich ist. Sehr 
wirkungsvoll sohliesst K. mit einem knappen, treffenden Hinweis anf jene drei 
Männer, unter deren Binflass sioh die Militärgesundheitspflege in den letzten 
Jahren so anmerordentlieh entwickelt hat, — Max v. Pettenkofer, Robert 
Koob nnd Alwin v. Coler. _____ ® r * Roepke• Lippspringe. 

Dm Sehumburg’zche Verfahren der Trinkwasserreinigung mit¬ 
tels Brom. Von Dr. Engels, Assistenten am hygienischen Institut. Ans 
dem Institut für Hygiene and exp. Therapie sn Marburg. Abtheilnng für 
Hygiene. Zentralbl. f. Bakteriol., Parasitenkunde n. Infektionskrankheiten; 
Bl XXXI, Abth. 1, H. 13. 

Nachdem erst kürzlich Schüder im Koch’sohen Institut mit Hülfe 
neuer Methoden gezeigt hatte, dam das von Sohnmbnrg angegebene Ver¬ 
fahren der Wasserdesinfektion durch Brom nicht im Stande ist, einwandfreies 
Trinkwasser sn liefern, berichtet nun auch Engels ans dem Marbnrger 
hygienischen Institut über seine Versuche mit dem Schum bürg’sehen Ver¬ 
fahren. Auch seine Untersuchungen lehren, dass das Bromverfahren nicht das 
leistet, was Schumburg und A. Pfahl demselbennachrtthraen. Insbesondere 
wurden Choleravibrionen erst bei der Verwendung der 16 fachen der von 
Schumbnrg angegebenen Brommenge und einer mehr als 5 Minuten langen 
Einwirkung des Brom mit einiger Sicherheit abgetödtet, während Typhus- 
bazillen auch bei dieser Versuchsanordnung in ihrer Entwickelungsfähigkeit 
nicht beeinträchtigt wurden. Auch Engels führt die günstigen Resultate, 
welche Sehumburg und A. Pfuhl mit dem Bromverfahren hatten, darauf 
zurück, dass diese zn geringe Mengen des Versuchswassers untersucht hatten. 

Dr. Lentz-Berlin. 


Ueber die Bedeutung der Zerkleinerung und des Kochens der 
Speisen für die Verdauung. Von Prof. Dr. K. B. Lehmann in Würzbnrg. 
Nach in Gemeinschaft mit den Herren Dr. Felix Meyer aus Magdeburg nnd 
Dr. M>riti Guts aus Fisehach ansgeführten Untersuchungen. Ans dem hygieni¬ 
schen Institut der Universität Würzbnrg. Archiv für Hygiene; Bd. 43, H. 2. 

Lehmann hat durch exakte Untersuchungen in vitro ziffermässig die 
hohe Bedeutung nachgewiesen, welche gutes Kauen und Kochen der 8peisen 
für die Ausnutzung unserer Nahrung haben. Dr. Lentz-Berlin. 


Ueber die Wirkung des Einlegens von Fleisch in verschiedene 
Salse, Von Dr. phil. Kuschel, früher Assistent am hygienischen Institut 
der Universität Berlin. Ibidem. 

Kuschel hat Versuche über die Konservirang von Fleisoh durch Ein¬ 
legen desselben in verschiedene Salssorten in 8nbstans angestellt, wie sie prak¬ 
tisch für die Einfuhr von Fleisch aus Amerika nach Deutschland in Wmg e 
kommt. Dabei fand er. dass Borsäure, Borax nnd Salpeter nicht im Stande 
sind, die Fänlniss des Fleisches hintanzuhalten, dass sie anderseits in solchen 
Mengen in das Fleisch eindringen, dass daraus für den Konsumenten die Gefahr 
einer Gesundheitsstörung resultirt. Letzteres gilt auch für schwefligsaures 
Natron. Dieses Salz entzieht auch, ebenso wie Kochsalz, dem Fleisch so viel 
Wasser, dass es trocken und brüchig wird. In Folge dieser ungünstigen Ein¬ 
wirkung eignet sioh auch das einzige gesundheitlich nicht zu beanstandende 
Salz, das Kochsalz, in Sabstanz nicht für diese Art der Fleisehkonservirang. 

Dr. Lentz-Berlin. 


Bakterielles Verhalten der Milch bei Boraxsusats. Von Marine- 
stabsarzt Dr. Albreoht u. P. F. Richter, Assistent. Aus den hygienischen 
Instituten der KönigL Universität Berlin. Ibidem. 

Erst ein Zusats von 4Borax zur Miloh verhindert gänzlich ihre Ge- 



Klettere Mittheilungen and Referate au Zeitschriften. 


266 


riunung. Solche Milch ist aber in Felge ihres unangenehmen Gesehmaokes 
nageniessbar. Bei kurier Einwirkung du Borax wird das Bakterienwachsthum 
nicht gehemmt. Bei Magerer Einwirkung des Seines ist dagegen eine deutliche 
Waohsthumshemmung für Oidiom lactis wie für die Bac. acidi J&ctid Hüppe 
und Günther nu bemerken. Die Finlnissbakterien werden dagegen durch 
Borax nicht beeinflusst. __ Dr. Lenti- Berlin. 

Chemische Untersuchung eines neuen im Handel befindlichen 
Dauerwuratsatses „Borolin“ und eines ,,Danerwnrstgewüraes u , Von 
Dr. Adolf Günther, wisschaftl. Hilfsarbeiter im Kaiserl. Gesundheitsamte. Ar¬ 
beiten au dem Kaiserl. Gesundheitsamt«. Nennsehnter Band. 2. Heft. Berlin 
1902. Verlag Ton Julias Springer. 

Die Analyse ergab, dass beide Konservirangsmittel nu Bohrsacker, 
Koehsals, Kalisalpeter and BorsKare bestehen und das letztere ausserdem mit 
genossenem and ungestossenem Pfeffer vermengt ist. Der Zusats von Borsäure 
ist in keinem der Präparate gekennzeichnet. Dr. Bost-Rudolstadt. 


Ueber den Miubranch der Borsftnre. Von Dr. Wilhelm Dosquet- 
Manasse. Vortrag, gehalten in der Berliner medizinischen Gesellschaft. Ber¬ 
liner Klin. Wochenschrift; 1902, Nr. 60. 

Die Benutzung der Borsäure sur Konserrirung von Fleisch, bei der es 
sieh stets um die Anwendung hoher Prozentsätze handelt, ist schon deshalb 
an verwerfen, weil sie dazu dienen kann, den schlechten Zustand des Fleisches 
zu verdecken. Sie selbst wirkt auf den menschlichen Körper als Zellgift. 
Jedes unserer Antiseptioa, das geeigoet ist, die Bakterien zu vernichten, be¬ 
einträchtigt aber auch den Nährwerth und die äusseren und inneren Eigen¬ 
schaften des Fleisches und muss schliesslich für die dauernde Ernährung der 
Menschen schädliche Wirkung haben. Dasselbe gilt für die längere Einwirkung 
des alle Keime zerstörenden Dampfes. Dieser nimmt dem Fleisch den Leim¬ 
gehalt and maoht es zähe und minderwerthig. Verfasser empfiehlt daher seine 
Methode der Fleisobkonservirnng durch Kochen und Versebliessen in sterilen 
Büchsen. Die so hergestellten Präparate können ohne Weiteres nach Prof. 
Noordens Ausspruch mit frischer, nicht konservirter Waare konkurriren. 
Dieses auf Asepsis gerichtete Verfahren zeigt, dass wir aller verbotenen Zu¬ 
sätze entrathen kOnuen. Dr. Räuber-Düsseldorf. 


Ueber die Wirkung der Borsäure und des Borax. Von Prof. 
Dr. 0. Liebreich-Berlin. Vierteljihrssohrift für gerichtliche Medizin; 1903, 
Bd. XXIV, Heft 1. 

Die vor einigen Jahren von 0. Liebreich vorgeschlagene Konservirung 
von Nahrungsmitteln daroh Borsäure ist von Hygienikern und namhaften 
Pharmakologen verworfen worden. Bereits 1900 hat L. einige Thierverenche 
veröffentlicht, 1 ) die die Unschädlichkeit der Borsäure erweisen sollten. Diese 
Versuche sind von anderer Seite bemängelt worden, besonders diejenigen, 
welche zeigen sollen, dass eine 5 Minuten lang dauernde Bespülung der Schleim¬ 
haut von Magen und Darm keinerlei Schädignng hervorbringt. Bei den Tbieren, 
welche innerlich Borpräparate erhielten, hat laut Protokoll keine Sektion statt- 
gefuuden; eine solche wäre bei einigen der Thiere von Interesse gewesen, so 
bei dem in Beilage Nr. 3 erwähnten jangen Kaninchen, das innerhalb 10 Tagen 
bei täglicher Zufahr von 0,3 g Borsäure nur 30 g an Gewicht sunahm, während 
ein anderes nur wenig grösseres in der gleichen Zeit bei Zufuhr von nur 0,1 g 
p. die ca. 130 g’sunahm. Auch bei einem grösseren Thier, das 6 g Borax 
erhalten hatte,'ist kein'Sektionsbefand erhoben. 

In der gleich betitelten soeben erschienenen zweiten Abhandlung kri- 
tisirt L. die Versuche und Angaben der Antoren, welche den Borpräparaten 
ungünstige Eigenschaften nachsagen und bringt einiges neues experimentelles 
Material bei. Das Wichtigste davon ist eine grössere Anzahl von Versuchen, ln 
denen eine Boraxtösnng (10:170) den Thieren, Kaninchen, intravenös einverleibt 
ist und zwar bis längstens 89 Stunden 80 ocm = 1,764 g Borax. Es wurde auch 

- z* 

0 Siehe Vierteljahrasobr. f. geriehtl. Medizin n. Offentl. Geeundheitspfleg 
Bd. XIX, H. 1. 



254 


Kleinere Mittbeilangen and Referate ans Zeitschriften. 


sniofet die ieiseete Andeutung einer pathologischen Veränderung* an den Nieren 
gefunden. Diesen Versuchen gegenüber ist jedoeh einsuwenden, dass sie nicht 
vollständig die bei interner Darreichung in Betracht kommenden Verhältnisse 
wiedergeben. Wir wissen nicht einmal, wie viel von dem intravenös einver¬ 
leibten Stoffe wirklich durch die Nieren den Organismus verlässt — man kennt 
für eine Reihe von Substanzen eine Ausscheidung in den Magen-Darmkanal —, 
ferner: die Sabatanz hat, wenn auch in stärkerer Konzentration, doch vielleicht 
flachtiger auf die Nieren eingewirkt, als bei innerlicher Darreichung der 

S leichen Dosis I Ueberdies ist von zahlreichen Stoffen nachgewiesen, dass erst 
er fortgesetzte Gebrauch ganz allmählich zu erkennbaren pathologischen Ver¬ 
änderungen fahrt. , Dr. Hildebrandt-Berlin. 

Die Verwendung der Borsäure in der inneren Mediain. Von Med.- 
Rath Dr. Q. Merkel in Nürnberg:. Münchener mediz. Woehenschr.; 1903, Nr. 3. 

Die verschiedenen Diskussionen der Neuzeit über die Schädlichkeit oder 
Unschädlichkeit der Borsäure als Kooservirungsmittel') haben den Verfasser 
veranlasst, Erfahrungen am Krankenbette über die Verwendung der Borsäure 
als Medikament in inneren Krankheiten bekannt zu geben. Verfasser wendete 
das Mittel and zwar meistens mit Erfolg in dieser Beziehung, hauptsächlich 
als Diureticum an, meistens in der Form von 1 bis 2 g auf 1 Liter Wasser 
innerhalb 24 Stunden, eine Dosis, welche recht wohl bei dem gebräuchlichen 
Zusatz von Borsäure zu Lebensmitteln ebenfalls anfgenommen werden kann. 
Von 11 Kranken, deren Krankengeschichten zum Theil mitgetheilt werden, 
nahmen nur 4 das Mittel, ohne Verdauuugsbeschwerden zu bekommen; 7 klagten 
im Laufe der Behandlung über Magenbeschwerden mit Gasauftreibnngen des 
Magens, Koliken, Magenachmerzen und Durchfällen, Erscheinungen, welche 
nach den jeweiligen Beobachtungen zweifellos mit dem Mittel in Zusammen¬ 
hang standen. 

Bezüglich der äusseren Anwendung der Borsäure konstatirte Verfasser, 
dass ein Herr wegen lästigen Rachen- und Nasenkatarrhen sich stets mit gutem 
Erfolg kleine Mengen Borsäure auf die kranken Schleimhäute aufblasen lieas, 
worauf jedes Mal Erytheme an den verschiedensten Stellen des Körpers folgten, 
welche einige Tage anhielten und mit Sistirung der BorsäureeinblaBung sofort 
verschwanden. 

Verfasser ist nicht recht geneigt, Beobachtungen am Krankenbette in 
Besag auf Mittel, welche in der Lebensmittelbranche Verwendung finden, auf 
Verhältnisse Gesunder überzutragen und will nicht zugeben, dass man daraus, 
dass einzelne Mittel mit Erfolg bis zu einer gewissen Grenze Kranken verab¬ 
reicht werden, die Berechtigung ableitet, dieselben Mittel bis sn der ange¬ 
nommenen Maximaldose oder überhaupt als Zusatz zu Lebens- und Genuss- 
mitteln zuzalassen. Verfasser erkennt auch den Einwurf an, dass manche 
Kranke gegen gewisse Schädlichkeiten mehr reagiren als Gesunde, verlangt 
aber doch, dass die Beobachtangen am Krankenbett nicht unbeachtet bleiben, 
wenn es sich um Zulassung eines Stoffes zar Verabreichung an völlig harmlose 
Menschen handelt, welche unbewusst und unfreiwillig mit einem Genuss- und 
Lebensmittel zu demselben nicht gehörige chemische Stoffe in sich aufnehmen. 

Nicht zu vergessen ist, dass gerade die bei der Borsänreverwendang in 
Betracht kommenden Lebensmittel mit besonderer Vorsicht Kranken gereicht 
werden müssen, die alsdann noch schlechter daran sind, als Gesunde. 

Von diesem Standpunkte aus muss die Borsäure als höchst ver¬ 
dächtig und unter Umständen als schädlich für den Konsumenten be¬ 
zeichnet werden. 

Auch dürfte nach den Beobachtungen des Verfassers kein Zweifel be¬ 
stehen, dass die hier in Betracht kommenden Fleischkonserven auch ohne 
Borsäure haltbar hergestellt werden können. 

Zum Schloss bemerkt Verfasser noch, dass nach den Borsäuredarreicbungen 
bis zu 17 Tagen nach Beendigung der Versuche Borsäure im Urin nachge¬ 
wiesen werden konnte and zwar in einer Menge, die den Einwand nicht ge¬ 
stattet, dass es sich um zufälligen Borgehalt aus normaler Nahrung handeln kann. 

Dr. Waibei-Kempten. 

') Siehe Referat in Nr. 1, 1908, S. 44 in dieser Zeitschrift. 



Kleinere Mittheilnngen and Referate aas Zeitschriften. 


266 


Borsäure als Koneervi rungsmittel. Beiträge zur Benrtheilang der 
Angriffe gegen das Verbot der Verwendung von Borsäure and deren Salzen bei 
der Zabereitnng von Fleisch. Von Dr. E. Rost, Regiernngsxath and Mitglied 
des Kaiserlichen Gesundheitsamts. Berlin 1908. Verlag von Jal. Springer. 

Das daroh Bekanntmachang des Reichskanzlers vom 18. Febraar 1902 
erlassene Verbot der Verwendung von Borsäare and deren Salzen bei der Za¬ 
bereitang von Fleisch hat namentlich in Interessentenkreisen ausserordentlich 
viele Angriffe erfahren, die z. Th. aaf fachmännische Untersnchnngen and 
deren angeblich negativen Ausfall in Bezug aaf die Qesnndheitsschädiichkeit 
der Borpräparate begründet worden. Die Angriffe richteten sich nicht nur 
gegen den Reichsgesondheitsrath and das Reicbsgesundheitsamt, sondern naeb, 
and zwar in erster Linie, gegen den Verfasser der vorliegenden Abbandlaag, 
dessen im amtlichen Aufträge aasgeführten Untersnchnngen die Grandlagen 
für die Gutachten des Reicbsgesnndheitsraths and des Reichsgesundheitsamts 
gebildet hatten; von einer Seite — Dr. Gerlach — hat man sich sogar 
nicht gescheut, die wissenschaftliche Ehrlichkeit des Verfassers in Zweifel so 
ziehen. Wenn non auch die Gerlaoh’sche Arbeit von Dr. Hans Meyer 
(Hygienische Rundschau; 1902, Nr.24) als eine weder sachlich gehaltene, noch 
sochkondige and daher unberufene Kritik in scharfer Weise znrückgewiesen ist 
and sich inzwischen eine erhebliche Anzahl von hervorragenden Aatoien im 
Gegensatz zn Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Liebreich für die Nothwendigkeit 
des Borsäoreverbots auf Grund ihrer Beobachtungen ausgesprochen haben — 
Kiouka and Pfeiffer, Hofmann-Leipzig, Merkel-Nürnberg (s. vorher) 
u. a. — so hat sich Verfasser doch veranlasst gesehen, auf die ungerechtfertigten 
Angriffe zu antworten und diese in der vorliegenden Abhandlung nach ollen 
Richtungen hin in sachgemässer Weise zu beleuchten, um damit Jedermann 
Gelegenheit za bieten, ssine und die gegnerische Ausführungen auf ihren sach¬ 
lichen Werth zu prüfen. — Die betheiligten Kreise können dem Verfasser für 
diese mühevolle Arbeit nur dankbar sein; seine Ausführungen sind ebenso 
überzeugend als sacbgemäss. Nach einer kurzen Einleitung werden zonächst 
die allgemeinen Gesichtspunkte zur Beurtbeilnng der Borverbindangen als 
Konsorvirungsmittel, sodann die einzelnen Wirkungen derselben anf den mensch¬ 
lichen KOrper erörtert und schliesslich in der Anlage die Angriffe des Dr. Ger¬ 
lach in schlagendster Weise widerlegt. In den Schlusssätzen seiner Aus¬ 
führungen hebt Verfasser hervor, dass eine allgemeine Verwendung von Bor¬ 
verbindangen zur Lebensmittelkonservirang mit der Verbreitung des sogenannten 
„ Aseptins', eines borsäarehaltigen Präparates, begO'nen bat, dass aber schon 
früher verschiedene Sachverständige (Binz, Kobert, Lewin, Knnkel 
u. s. w.) vor der Lebensmittelkonservirang durch Borpräparate gewarnt haben, 
selbst der jetzige warme Vertheidiger derselben, Prof. Dr. Liebreich, hat 
im Jahre 1896 nach Genuss der mit * Aseptinsäure“ — Borsäure enthaltenden 
KoaservirangHmitteln — versetzten Nahrungsmitteln Vergiftungen beobachtet. 
Die ausserordentliche Zunahme des Gebrauchs von Borverbindungen in den 
letzten Jahren ist nach Ros t’s Ansicht darin zu suchen, dass diese Stoffe in 
annähernd reinem Zustande für einen geringen Preis käuflich, haltbar and 
leieht za handhaben sind, nnd ihre Gegenwart in damit behandelten Lebens¬ 
mitteln sioh selbst bei Verwendung ganz grosser Mengen weder durch Gerach 
and Aussehen der betreffenden Nahrungsmittel, noch durch deren Geschmack 
verrätb, während sich die anderen üblichen Konservirangsmitteln, Pfeffer, Essig, 
Salpeter and Kochsalz bei Ueberschreitung der üblichen Mengen sich durch 
ihren Geschmack Jedermann kenntlich machen. Dazu kommt, dass die anti- 
septische nnd damit aach konservirende Kraft der Borverbindangen sehr ge¬ 
ring and demgemäss zu einer einigermossen sicheren Haltbarmachung von 
Lebensmitteln der Zusatz nioht unbeträchtlicher Mengen Borverbindangen noth- 
wendig Ist, wie solches auch thatsächlich in der Praxis geschieht. 

In Bezug auf die Wirkungen der Borverbindangen aaf den 
menschlichen KOrper betont Rost, dass die Behauptung, Borax verur¬ 
sache leichter als Borsäure Reiznng nnd ROthang der Schleimhäute 
beim Thier and damit wohl auch beim Menschen, aufrecht erhalten werden 
müsse; Borsäure entfalte jedoch ebenfalls unter gewissen Umständen röthliehe 
Reiswirkungen. Auch Roese and von Noorden haben durch einwandfreie 
Versuche die sehädlioheu Wirkungen der Borpräparate auf die Mundschleim¬ 
haut erwiesen; desgleichen hat Hof mann auf Grand neuerer Versuche am 



256 


Tagesnachrichtea. 


Hai und »■ biiaeba allgemein die Ortlide Beizwirkuag der Berel er» be- 
etiaat kehuptat ui Herbei (s. des vorstehende Befere») neuerdings bei 
Ereakee Heb Io Magon b cechwerden äussernde Ortliehe Wirkungen beschrieben. 

Trete Liebreieh'a Einwendnngen kouut den Borprftperekea aater 
gewissen Uoatladea eine breehenerregende Wirkung am. laden aaeb 
Geaast g roeeer Mengen tob Borverbindeegen beobaehtetea VergiftaagsflUea 
«teilt daa Erbrechen sogar eia faat regelnlaaig wiederkebreadea Symptom dar. 
E b e ns o uaaa aa der VOgliehkeit der Enengaag tob diarrbOiaehea Zn- 
atiadea beim Keaechen dareb Borsänregennss feetgebaltea werden. Dareh 
Hnwsndsfrei beobachtete Pille (Heffter, Boehm, Merkel) iat aaeb die 
Eigenschaft der Borsäure, Hantaaaaehlige be r ro rearnf ea, eaehgewieeea. 
Desgleichen stehe tbatalcblich fest, dass die Borverbindungen sehr langsam 
aas dem KOrper aasgesehiedea werden, wiederholte Gaben Heb im Körper 
aahiofea, and schon Gaben von 8 g, liagere Zeit genossen, sa einer solchen 
Aufspeicherung der Boroinre im Körper führen, dass mit der Gefahr einer 
dadurch entstehenden Erkrankung um so mehr gerechnet werden muss, als die 
Ausseheidang der Borslare im Gegensatz n Kochsalz and anderen Stoffen 
dareh eine gesteigerte Durehspttlung dea Körpers nnd eine reichlichere Harn¬ 
abscheidung bewirkendes Waasertrinkea nicht beeinflusst wird, sondern sich nur 
langsam vollzieht. Vor Allem bedingen aber die Borprlparate eine Verzöge¬ 
rung oder Herabsetzung der Ausnutzung der Nahrung, die tat 
Versuchen am Menschen und Thier tob zahlreichen Autoren (Heffter, 
Förster, Bubner), auch von Liebreich selbst mannigfaltig erwiesen ist. 
Und sieh aueh bei den indirekten Versuchen Bost’s gezeigt hat, bei denen 
deutlich die Besorptionsrerxögerung zur Erscheinung gebracht ist. Insbesondere 
haben auch in allen am Menschen, wie am Thiere im Gesundheitsamte an ge¬ 
stellte* SteffweehselTersuehen die Borslnre nnd der Borax eine Abnahme 
des Körpergewicht« herrorgerufen. Bubner konnte bei swei Versuchs¬ 
personen als Ursache für die Gewichtsverluste eine durch Borsäure «pesiflseh 
bis su 80*!o gesteigerte Zersetzung der stickstofffreien Körpersubstans und 
vermehrte W a sser a bgabe feststellen. 

8iehergestellt ist demnach Folgendes: 

.Die Borslnre ist ein Konservirungsmittel von geringer derinflrireuder 
Kraft and vermag nur bei Anwendung verhlltnissmlssig g rosser Mengen vor 
der Zersetzung su schätzen. 8ie kann täuschend wirken, indem He ein Mal 
das Gewicht der Waaren vermehrt und ausserdem ermöglicht, eine grossere 
Menge Wasser in dem damit behandelten Fleische surileksuhalten, als beim 
Pökeln mit 8als und beim Blachern darin verbleibt. Selbst ein grosser Zusatz 
verrlth Heh dem Geniessenden weder durch den Geschmack, noch durch dea 
Geruch. 8ie wirkt direkt schädigend, indem einerseits die FMsebnabrung vom 
menschlichen KOrper schlechter ausgenutzt und anderseits die Ernährung dea 
Mensehen durch He so beeinflusst wird, dass das Körpergewicht abnimmt. Mit 
dieser Wirkung ist am so mehr su rechnen, als die vollständige Ausseheidang 
der Borsäure aus dem menschlichen KOrper «ehr lange Zeit in Anspruch nimmt. 
Was von der Borslnre gesagt ist, gilt im Wesentlichen auch vom Boraxt 11 

Hoffentlich beruhigen Hch jetzt nun die Widersacher des Verbots der 
Verwendung von Borverbindnngen als Konservirungsmittel für Fleisch und 
dessen Zubereitungen. Dasselbe ist aueh in der 8itsung des Beiehstages vom 
96. Februar d. J. zur Erörterung gelangt (s. 8. 236) und hat hier mit Bucht mehr 
Freunde als'Gegner gefunden. Bpd. 

Tagetnaehrichten. 

Aua daa Aelohstnge. In der Sitzung am 27. Februar gelangte die 
Novelle aum Krankeuversieherungsgeaetze zur Ber*thung. Der Staats¬ 
sekretär des Innern, Graf v. Posadowski, begründete zunächst die drei 
wichtigsten Veränderungen, welche der Entwarf bringt: Verlängerung der 
Krankenversicherung auf 26 Wochen, Verlängerung der Krankenfflreorge für 
Wöchnerinnen, sowie Ausdehnung dieser Fürsorge anch auf Geschlechtskranke, 
und wies hierauf den Vorwurf, daa das Verhältnis« zwischen den Kranken¬ 
kassen und den Asnten besw. Apothekern in dem Entwnrfe unberücksichtigt 
geblieben sei, als unberechtigt zurtick, da die Aerste- und Apothnkerfrage noch 



Tagesaachriehten. 


257 


nicht genügend geklärt and spruchreif sei. Die Abg. Gsmp (Reicbspartei), 
Dr. Bademann and Dr. Hoimaan (nat.-lib.), Lensmann (in. Volkapart.), 
▼. Csarlinaki (Pole) and Raab (Reformp.) sprachen sich dagegen entschieden 
für eine Regelang besonders der Aerstefrage aas, wiesen aaf die anw&idige 
Stellung and Honorirnng der Krankenkassenärste hin, die am besten durch 
gesetsliehe Znlassang der freien Aentewahl beseitigt würde. Von den 
Abg. Molkenbuhr (Sosialdemokrat), Hoffmeister nnd Roesieke 
(frs. Vereinig.) warde anderseits ein Nothstand der Aerste bestritten, sowie 
die Einführung der freien Aerstewahl als unausführbar beseiehnet, da die 
Krankenkassen, namentlich die kleineren, dadurch sn sehr geschädigt würden. 
Im Uebrigen wurden noch mehrere Wünsche: Ausdehnung der obligatorischen 
Krankenfttrsorge auch aaf Landwirthschaft, Hausindustrie, Handwerker, Hand* 
lungsgehülfen (Molkenbuhr, Raab, Hoffmeister, Roesieke), sowie 
auf die Familienangehörigen (?. Riehthofen [kons.]) vorgebracht, denen 
gegenüber der Staatssekretär Graf v. Posadowsky ein schrittweises Vorgehen 
empfahl. Schliesslich wurde die Vorlage an eine Kommission yon 21 Mit¬ 
gliedern verwiesen; die Aussiehten aaf ihre Verabschiedung in dieser Session 
sind naeh dem Ergebniss der ersten Berathung verhältnissmässig günstig. 

Ans der Sitsung vom 23. Februar, in welcher der Etat des Kaiser¬ 
lichen Gesundheitsamts berathen wurde, ist noch naehsutragen, dass 
der Staatsminister Graf v. Posadowsky gegenüber den schweren Vorwürfen 
des Sosialdemokraten Antriek über mangelhafte Zustände in verschiedenen 
Öffentlichen und privaten Kranken- und Irrenanstalten (Sanatorium von Dr. 
Pitsehorius in Altenbraek, Privatirrenanstalt des Dr. Edel in Charlotten- 
bnrg, CharitO (insbesondere Ohrenklinik) in Berlin, Berliner städtische Irren¬ 
anstalten, städtisches Krankenhaus in Altona u. s. w.) betonte, dass Misshand¬ 
lungen von Geisteskranken in Irrenanstalten nur su den höchst seltenen Aus¬ 
nahmefällen gehörten und stets mit sofortiger Entlassung bestraft würden. 
Desgleichen hob er hervor, dass sich die vorjährigen ähnlichen Angriffe des¬ 
selben Abgeordneten bei den darüber später angestellten Ermittelungen als 
unbegründet herausgestellt hätten. Abg. Antrick bestritt dies nnd wies 
nochmals auf die Ueberbürdung, die su lange Arbeitsseit und sohlechte 
Besahlang des Krankenpflegepersonals hin. 

In derselben Sitsung kam, wie bereits in der vorigen Nummer der Zeit¬ 
schrift erwähnt ist, auch die Wurmkrankheit im westfälischen Kohlenrevier 
sur Sprache. Der Abg. Sachse (Sosialdemokrat) begründete eine von ihm 
beantragte Resolution: „den Reichskansler su ersuehen, der im Ruhrkohlen- 
revier bereits bestehenden Kommission *) sur Bekämpfung der gefahrdrohenden, 
sunt Schaden auch der GesammtbevOlkerung um sich greifenden Wurmkrank¬ 
heit unter den Bergleuten wissenschaftliche Kräfte und Mittel des Reichs sur 

*) Der aus je drei Bergwerksdirektoren, Knappschaftsärsten und dem 
Oberknappschaftsarst Med.-Rath Dr. Tenholt bestehende Sonderausschuss 
sur Bekämpfung der Wurmkrankheit hat eine Karte des Besirks 
des Allgemeinen Knappsshaftsvereins in Bochum, in dem sämmtliehe Ruhr¬ 
sechen liegen, anfertigen lassen. Aus dieser Karte, in der die mitderWnrm- 
krankheit verseuchten Zechen besonders beseiehnet sind, geht hervor, dass 
namentlich die Bergreviere Dortmund HI, Herne und Nord-Bochum, die dis 
eigentliche Hers des Ruhrbesirks bilden, den Herd der Seuche bilden. Sämmt¬ 
liehe in diesen drei Bergwerksrevieren gelegenen Zechen weisen eine mehr 
oder minder grosse Ansahl Wurmkranker in ihrer Belegschaft auf. Aus einer 
der Karte beigefügten statistischen Uebersicht ist su ersehen, dass vornehm¬ 
lich die Gruben, die sum Berieseln der Grubenräume Grundwasser verwenden, 
von der Seuche betroffen worden sind, während die Zechen, die nur mit Lei- 
tungs- oder Brunnenwasser berieseln, verhältnissmässig wenig Wurmkranke 
haben. Auch die mehr oder minder hohe Temperatur in den mit Berieselungs- 
anlagen versehenen Gruben hat auf die Ausbreitung der Seuche grossen Ein¬ 
fluss. Je hoher die Temperatur, desto grosser auch die Zahl der von der 
Wurmkraukheit befallenen Arbeiter. Der Sonderausschuss empfiehlt den Zechen¬ 
verwaltungen, nur solche Leute als Grubenarbeiter ansunehmen, die eine Be¬ 
scheinigung beibringen, dass bei mikroskopischer Untersuchung des Kotbes 
Wurmkeime nioht gefunden worden sind. 



268 


Togesnachriehten. 


Verfügung zu stellen and den Reichstag Ober die getroffenen Massnahmen and 
deren Erfolge Bericht za erstatten". 

Der Abg. Hilbeck (nat.-lib.) bestätigte, dass die Warmkrankheit in 
den letsten drei Jahren einen bedrohliehen Umfang angenommen habe; die 
Ursache davon sei noch nicht bestimmt begründet, wahrscheinlich sei sie in 
der sar Beseitigung der Gefahr der schlagenden Wetter neneingefflhrten Be¬ 
rieselung der Graben sa Bachen; die Berieselung bespüle die Faeces and be¬ 
günstige die Ansteckung. Die Zechen seien gern bereit, die Kosten sar Be¬ 
kämpfung der Krankheit na tragen, die Zeche „Graf Schwerin" wolle z. B.. 
täglich 2000 Mark für diesen Zweck aasgeben. Bs geschehe schon jetst alles, 
am die Krankheit sa bekämpfen, jede einseine Zeche würde wöchentlich zwei¬ 
mal revidirt. 

Der preussische H&ndelsminister Müller führte in gleicher Weise wie 
im Prenssisohen Abgeordnetenbaase am 18. Febrnar ans, dass die Krankheit 
glücklicherweise bisher nnr auf das westfälische Revier beschränkt und in 
keinem anderen Bevier aufgetreten sei. Ueber die Art der Bekämpfung seien 
die ärztlichen Aatoritäten nicht einer Meinung gewesen; jedenfalls besässen 
aber diejenigen Aerzte, die jetzt in dem rheinisch - westfälischen Bevier sich 
mit der Frage befasst haben, insbesondere der Oberknappschaftsarst Med.-Rath 
Dr. Tenholt 1 ) and der Chefarzt des grossen Krankenhaases „Bergmannsheil* 
in Bochum, Prof. Dr. LObker, ausserordentliche Erfahrungen über die hierbei 
in Betracht kommenden Verhältnisse. Gleichwohl werde der Minister im Verein 
mit Kommissaren des Medizinalministers kontrolliren lassen, ob alle VorsichtBi 
massregeln getroffen seien. Unter den 18 Bevieren des Oberbergamts Dort¬ 
mund seien übrigens nnr 2 in hohem Grade mit der Warmkrankheit verseucht, 
nämlich die Zechen Erin and Graf Schwerin, aaf denen vom 1. Juli 1899 bis 
1. Oktober 1901 287 bezw. 210 Fälle nnr ärztlichen Behandlung kamen. 

Die Angelegenheit sei stets aufmerksam von Seiten des Oberbergamts 
verfolgt. Von Seiten der Aerzte werde hauptsächlich die Berieselung als Ur¬ 
sache beschuldigt; dieselbe solle deshalb versuchsweise eingeschränkt bezw. 
aaf bestimmte Strecken, die besonders stark infizirt seien, überhaupt eingestellt 
werden; selbstverständlich müssten dann aber andere Vorsichtsmassregeln gegen 
die Explosionsgefahr ergriffen werden. Mit Abortkübeln seien die Zechen hin¬ 
reichend aasgestattet, eine Zeche sei so ungewöhnlich stark mit Abortkübeln 
versehen, dass aaf je vier Monn ein Kübel komme, bei allen anderen wenigstens 
aaf je 12 Mann ein Kübel. An dem Mangel an Abortkübeln liege es jedenfalls 
nicht, dass die Zahl der Warmkrankheitsfälle auf einzelnen Zechen so gross 
sei. ln Uebereinstimmang mit dem Knappschaftsvorstand ist der Minister der 
Ansicht, dass die Angelegenheit gründlich erfasst and vor allen Dingen anf 
den hauptsächlich infizirten Zechen jeder Mann untersucht werden müsse, weil 
nur aaf diese Weise eine wirklich ernste Bekämpfang möglich sei. Es sei 
allerdings eine fast unmenschliche Aufgabe, die Exkremente einer Belegschaft 
von mehreren tausend Monn alle einzeln mikroskopisch sa untersuchen und 
nach dem Ergebnis dieser Untersuchungen die schwerkranken Leute alle aus- 
zosoheiden. Die Durchführung der Massregel werde aber dadnrch erleichtert, 
wenn man nach dem Vorschläge des Med.-Raths Dr. Tenholt zwischen 
Warmbehafteten and Warmkrankheiten unterscheide. 

Mittel für die Bekämpfang der Krankheit zu bewilligen, sei überflüssig, 
da diese reichlich vorhanden seien. Anfs Geld komme es den Zechen überhaupt 
gor nicht an, sie wollen vor Allem die Sencbe los sein, ohne Rücksicht anf die 
Kosten. Insbesondere müsse aber immer wieder aaf die Arbeiter eingewirkt 
werden, dass sie die Abortkübeln auch benutzen; leider unterbleibe dies sehr 
häufig, obwohl den Arbeitern bekannt sei, dass sie durch diese Leichtfertigkeit 
ihre ganzen Mitarbeiter in schwere Lebensgefahr bringen. 

Anf eine Erwiderung des Abg. Sachse erwähnte der Minister dann 
noch, dass die Besitzer der grossen Bergwerke, denen die verseuchten Zechen 
gehören, auch nach Ungarn eine Kommission geschickt haben, um dort die 
Massregeln zur Bekämpfang der Seuche za stadiren. Er hofft übrigens, dass 
dieselbe den Höhepunkt überschritten habe. 


*) In einer der nächsten Nammen der Zeitschrift werden wir eine von' 
H. Med.-Bath Dr. Tenholt verfasste ausführliche Abhandlang über den 
jetzigen Stand der Seuche bringen. 



Tageeoachriehten. 


960 


An« dem preuseisohen Abgeordnetenhaus#. ln der Budget- 
kommission wurde bei Berathnng des Medizinaletats tob einer Seite gerügt, 
dass die Kreieirste vielfach za scharf vorgingen. Von Seiten der Begierong 
wnrde zngesagt, dass nach dieser Bichtang hin den Kreisärzten ein verständiges 
Maas zur Pflicht gemacht werden solle. Aaf eine Anfrage, welche Erfolge die 
bisherige Bekämpfang der Granulöse gehabt hätte, wurde von dem 
Begierungskommissar erwidert, dass es in den Bezirken Königsberg nnd Gum¬ 
binnen durch planmässiges Vorgehen gelungen sei, die Seuche immer weiter 
einzu8chränken. Schwierig sei, zu verhindern, dass durch die S&chsengängerei 
die Granulöse auch in anderen Provinzen eingeschleppt würde. Indess seien 
nach dieser Bichtung hin auch Vorsichtsmassregeln getroffen. Eine Anfrage, 
betreffend die Bekämpfen g der Ursachen der Krebskrankheit wurde 
dahin beantwortet, dass es bis heute noch nicht gelungen sei, wissenschaftlich 
unanfechtbare Ergebnisse nach dieser Bichtung zu erzielen. 

Die Kommission des Abgeordnetenhauses für die Vorberathung des Aus» 
fikhrungegesetses cum Reichsneuchengesetc hat die §§. 1—4 u. 6 u. 7 ohne 
wesentliche Veränderungen angenommen, dagegen §. 5, der dem Staateministerium 
die allgemeine Ermächtigung ertheilt, die Bestimmungen des Gesetzes über die 
Anzeigepflicht vorübergehend auch auf andere übertragbare Krankheiten für 
Theile oder die ganze Monarchie auszudehnen, abgelehnt. Nach weiteren Mit* 
theilungen in politischen Blättern soll das Zustandekommen des Gesetzes 
jedoch stark gefährdet sein. Der Kommission erscheint das bisherige Angebot des 
Staates bezüglich des Kostenbeitrages zu niedrig bemessen, zumal der Staat 
das allergrOsste Interesse an der Regelung dieser Angelegenheit haben müsse. 
Bleibt die Staatsregierung auf ihrem bisherigen ablehnenden Standpunkte 
stehen, so soll die Mehrheit der Kommission fest entschlossen sein, die Vorlage 
ganz fallen zu lassen. 

In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 11. d. M. wurde 
von dem Abg. Dr. Bügen borg die Errichtung eines Lehrstuhls für ge¬ 
richtliche Medisin an der Universität in Bonn angeregt und dies» von Seiten 
der Begierung zngesagt, sobald es die Finanzlage gestatte. Auf mehrfache 
Anfrage wegen Errichtung einer medizinischen Fakultät an der Uni¬ 
versität in Münster i. W. erwiderte der Medizinalminister Dr. Studt, 
dass diese vielleicht später in Erwägung gezogen werde. 


Der am 7. d. Mts. in Berlin abgehaltene ausserordentliche Deutsche 
Aerstetag, auf dem 19114 Aerzte durch 847 Delegirte vertreten waren, hat in 
Bezug auf die Novelle zum Krankenversicherungsgesets dennach- 
folgenden Antrag des Geschäftsaussohusses nach Begründung durch Hofrath 
Dr. Mayer-Fürth einstimmig angenommen: 

,1. Der am 7. März 1903 in Berlin zusammengetretene ausserordentliche 
Deutsche Aerstetag stellt mit Bedauern fest, dass in dem Entwürfe eines Ge¬ 
setzes über weitere Abänderungen des Krankenversicherungsgesetzes, der am 
27. Februar d. J. in erster Lesung vom Deutschen Beichstage berathen und 
einer Kommission überwiesen wurde, den langjährigen, einmttthigen und durch¬ 
aus spruchreifen Forderungen der deutschen Aerzte wiederum nicht Rechnung 

O en worden ist, obwohl der Deutsche Aerstevereinsbund seit Bestehen des 
Bnversicherungsgesetzes nicht nachgelassen hat, auf die Schädigungen hin¬ 
zuweisen, die aus diesem Gesetz sowohl für den ärztlichen Stand, wie für die 
Versicherten erwachsen sind. Um die aus dieser Sachlage drohenden Gefahren 
abzuwenden, richtet der Deutsche Aerztetag an die Reichsregierung nnd an 
den Reichstag die Aufforderung, die in der Denkschrift des Deutschen Aerste- 
vereinsbundes an den Bundesrath begründeten Wünsche der deutschen Aerzte 
naeh Anhörung von ärztlichen Sachverständigen zu berücksichtigen. 

2. Im Hinblick auf die bisher fruchtlosen Versuche, die Beiehsregierung 
zur Berücksichtigung der ärztlichen Forderungen zu veranlassen, 
ruft der Deutsche Aerztetag die deutschen Aerzte auf: bis zur zufrieden¬ 
stellenden LOsung der Kassenarzt frage in festem Zusammenschluss die Mittel 
der Selbsthilfe nachdrücklich anzuwenden.“ 

Mit grosser Mehrheit wurde ausserdem beschlossen, den nächsten ordent¬ 
lichen Aerstetag in KOln noch in diesem Jahre abzuhalten. 



260 


Tagesnaohriehten. 


Geh. Med.-Ruth Prof. Dr. Bob. Koch ist com auswärtigen Mit¬ 
glied der Akademie der Wissenschaften so Paris gewählt worden. 


Ans den vorjährigen Sitsnngsprotokollen der bayerischen Aerzte- 
kammern interessiren den Leserkreis dieser Zeitschrift besonders swei Anträge, 
die beide von dem ständigen Ausschuss der Oberbayerischen Aerstekammern 
ausgegangen und von allen Aerstekammern einstimmig angenommen sind. Der 
eine Antrag betriflt den Erlass einer Dienstanweisung für die amt¬ 
lichen Aerste, für welche diejenige für die preussiscben Kreisärzte als 
Vorbild gewünscht wurde, der andere die Errichtung von gerichtlich- 
medizinischen Instituten an den Landesuniversitäten. 

In LUbeok hat die Bürgerschaft einen Gesetzentwurf zur Errichtung 
einer Aerstekammer und eines Ehrengerichts für Aerste angenommen. 


Die Vereinigung Deutscher Hebammenlehrer wird ihre erste Ver¬ 
sammlung am 1. und 2. Juni d. J. in Würzburg abhalten. 


Die diesjährige Hauptversammlung des Deutschen Apothekerver- 
eins wird vom 25.-28. August in München staufinden. 


Der erste Kongress nur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
hat am 9. d. Mts. in Frankfurt a. M. unter ausserordentlich zahlreicher Be- 
theilignng von Vertretern der Verwaltnnga- und Militärbehörden, Landesver¬ 
sicherungsanstalten, Heilanstalten, humanitären Vereinen, sowie von hervor¬ 
ragenden Aerzten, Hygienikern, Juristen u. s. w. unter Vorsitz des Geb. Med.- 
Baths Prof. Dr. Ne i ss e r-Breslau stattgefunden. Im Aufträge des Reichskanzlers 
sowie des preussiscben Medisinalministers wurde der Kongress vom Geh. Ober- 
Med.-Bath Dr. Kirchner-Berlin begrüsst mit dem Hinweis, dass an der 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten sich Wissenschaft und Praxis, Schule 
und Kirche, alle Sachverständigen und Wohlfahrtsvereine betheiligen müssten. 
Das Wichtigste sei die Aufklärung des Volkes. In gleichem 8inne begrüssten 
der Oberpräsident Staatsminister Graf von Zedlitz-Trützschler-Kassel, 
Oberbürgermeister Ad ick es-Frankfurt a. M. den Verein mit den besten 
Wünschen für seinen Erfolg. — Wir werden in einer der nächsten Nummern 
einen ausführlichen Bericht über die Verhandlungen bringen. 


Die Schaffung einer einheitlichen Arzneitaxe für das ganze Deut¬ 
sche Reich wird jetzt von der verbündeten Begierungen ernstlich in Erwägung 
gesogen. Auf das Ersuchen des Reichskanzlers bat sich das Kaiserliche Ge¬ 
sundheitsamt gutachtlich zu der Frage gebessert. Dasselbe kommt zu dem 
Schlüsse, dass es sich nicht empfehle, eine Arzneitaxe ausschliesslich für die 
Krankenkassen von Reichswegen aufsustellcn, sondern dass zweckmässig eine 
Reichsarzneitaxe für alle Arzneiverbraueher festzulegen sei. Der Beichskansler 
hat diesen Vorschlag des Gesundheitsamtes den Regierungen aller Bundesstaaten 
zur Kenntniss gebracht, und soll sich die prenssische Regierung mit demselben 
bereits einverstanden erklärt haben. Die prenssische Arzneitaxe gilt übrigens 
schon in 19 Bundesstaaten, nur in den übrigen 6 Bundesstaaten gelten be¬ 
sondere Taxen, die sowohl in den Preisen für Arzneimittel, als auch in denen 
für die Arzoeibehältnisse vielfach bedeutend verschieden und, ohne dass eine 
innere Berechtigung dafür sich erkennen lässt. 


Hotix. Vom 1. April ab wird die Zeitschrift für Medizinalbeamte 
in neuer Orthographie gedruckt. Die verehrten Mitarbeiter werden ersucht, 
dieselbe schon bei Abfassung ihrer Manuskripte thunlichst ansuwenden und 
sie auch bei den Korrekturen zu berücksichtigen. Die Redaktion. 


VerantwortL Redakteur: Dr. Rap mund, Reg.- u. Geh. Med.-Rath in Minden i W. 

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16. Jahr#, 


1903. 


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16 . Jahrg. 


Zeitschrift 


190a. 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt für gerichtliehe Medizin and Psychiatrie, 
für arztliehe Saehferstaadigentätigkeit in Unfall- und Invaliditatesaehen, sowie 
für Hygiene, öffentl. Sanitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung and Keehtnpreehnng. 

Heraasgegeben 

Ton 

Dr. OTTO RAPMUND, 

Regierung«- and Geh. Medizinalrat in Minden. 


Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die Verlagshandlung sowie alle Annoncenexpeditionen des In- 
und Auslände« entgegen. 


Nr. 7. 


£rscheint mm 1. und 15. Jeden Monats 


1. April. 


Wochenbettfieber und Fieber im Wochenbett. Verhalten 

der Hebamme dabei. 

Von Dr. P. Baumm, Direktor der Provinzial-Hebammen-Lehranstalt in Breslan. 

Eine neue Bearbeitung des Preussischen Hebammen-Lehr¬ 
buches ist vom Ministerium beschlossen. Viele Aendernngen werden 
nötig sein, um es zeitgemäss zu gestalten, damit es vor den 
Augen seiner Kritiker, wozu in erster Linie die Leser dieser 
Blätter zählen, besteht. Besser aber als nachträgliches Kritisieren 
dürfte es sein, schwache Punkte des alten Buches, Wünsche und 
Hoffnungen, die man auf das neue setzt, bei Zeiten zur Sprache 
zu bringen. Ein besonders schwacher Punkt sind die bisherigen 
Vorschriften über das Verhalten der Hebammen bei Fieber im 
Wochenbett und zwar diejenigen davon, die 

1. von der Zuziehung eines Arztes und 

2. diejenigen, die von der Meldepflicht handeln. 

Die unter 1. fallenden Vorschriften lauten: 

§. 833. «War die Temperatur mehrere Zehntel aber 38,5 ge¬ 
stiegen, so ist Fieber da and ein Arzt za benachrichtigen.“ 

§. 304. „Geht dieselbe (sc. Temperatur) am mehrere Zehntel Uber 
38 hinauf, so ist bereits Fieber da.“ 

§. 306. „Sobald die Hebamme das Aaftreten von Fieber oder Schmerz¬ 
haftigkeit der Geb&rmatter bemerkt, ist der Arzt zn verlangen.“ 

§. 168. „Bis auf 38,6 darf die Körperwärme einer Wöchnerin nicht 
Bteigen, wenn sie noch als gesund gelten soll. Wäre sie so hoch oder 
darüber, so würde die Hinzuziehung eines Arztes zu verlangen sein.“ 

Etwas Verworreneres existiert nicht. Ganz abgesehen davon, 
dass der Begriff „Fieber“ eine dreifach verschiedene Auslegung 
erfährt, bleibt gerade das, worauf es ankommt, trotz der drei- 










Ö62 


Dr. fiaamm. 


fachen Wiederholang oder gerade deswegen total unbestimmt. Soll 
die Hebamme den Arzt verlangen, wenn die Temperatur mehrere 
Zehntel über 38 liegt, oder wenn sie auf 38,5, oder schliesslich 
wenn sie mehrere Zehntel über 38,5 gestiegen ist ? Die Antwort 
bleibt dahingestellt und muss nach meinem Dafürhalten den die 
Aufsicht führenden Kreisärzten überlassen werden, die je nach 
ihrem gestrengeren oder milderen Naturell sich für eine der drei 
Lesarten entscheiden werden. 

Scheinbar viel genauer ist der Hebamme angegeben, welche 
Fieberfälle sie dem Kreisarzt zu melden hat. Es heisst sehr be¬ 
stimmt nach §. 303: Jeder Fall von Kindbettfieber oder eine als 
solche verdächtige Krankheit. Was ist aber „Wochenbettfieber“ ? 
Die wissenschaftliche Definition ist wohl ein wandsfrei zu geben: 
Wundfleber, ausgehend von den Genitalien einer Wöchnerin — 
das ist Wochenbettfieber im weitesten Sinne. Aber das praktische 
Leben, Gesetz und Polizei Vorschrift fassen den Begriff „Wochen¬ 
bettfieber“ nicht so weit. Die vielen leichten und schnell vor¬ 
übergehenden Temperatursteigerungen, die, obwohl auch von den 
Geschlechtsteilen ausgehend, gar keine praktische Bedeutung 
haben, werden mit Recht nicht zum Wochenbettfieber gezählt. 
Ich komme darauf noch zurück. Nur die schwereren Erkrankungen 
werden im praktischen Leben mit diesem gefürchteten Namen 
belegt. Was aber als leichtes, was als schweres Wundfieber an¬ 
zusehen ist, darüber zu entscheiden ist dem subjektiven Ermessen 
ein weiter Spielraum gelassen. — Sodann ist die Diagnose, ob 
Wundfieber oder anderes Fieber besteht, selbst vom Arzte nicht 
immer gleich zu stellen. Von der Hebamme ist sie schon gar 
nicht zu verlangen. Sie bleibt demnach auf Zuziehung eines Arztes 
und Anhören seiner Ansicht angewiesen. Das wäre auch gut und 
recht, wenn sie nicht schon jeden Verdacht auf Wochenbett¬ 
fieber anzuzeigen verpflichtet wäre. Dieser Verdacht aber be¬ 
steht bei jeder fiebernden Wöchnerin. So wäre die Hebamme ver¬ 
pflichtet, jeden Fieberfall zu melden. Das ist aber keines¬ 
wegs der Sinn der Vorschrift, sonst würde sie demgemäss lauten. 
Bedenkt man weiter, dass nach oben Gesagtem unbestimmt bleibt, 
von wo ab die Hebamme Fieber zu rechnen hat, so bleibt es 
natürlich auch fraglich, von wo ab der Verdacht auf Wochenbett¬ 
fieber und damit die Meldepflicht beginnt. Die scheinbar so klare 
Meldevorschrift ist also mannigfacher Interpretation zugänglich, 
und thatsächlich interpretiert sie jeder Kreisarzt nach seinem Ge¬ 
schmack und je nach seiner Vertrautheit mit den Vorgängen im 
Wochenbett strenger oder milder. Daraus resultiert eine ver¬ 
schiedene Behandlung der Hebammen in den verschiedenen Kreisen, 
die bei dem allgemeinen Wunsche, das Hebammenwesen, wenn 
nicht im Deutschen Reiche, so doch wenigstens innerhalb der 
Monarchie einheitlich zu gestalten, höchst Bonderbar anmutet. 
Hier ist also Wandel zu schaffen und es ist zu überlegen, welche 
Gesichtspunkte hierfür in Zukunft massgebend sein sollen. 

Wenn man Vorschriften aufstellen will, soll man sie nicht 
am grünen Tisch konstruieren, sondern man muss sie den Bedtirf- 



Wochenbettfieber and Fieber im Wochenbett. Verhalten der Hebamme dabei. 263 


niesen des praktischen Lebens anpassen. Man hüte sich dabei 
vor engherziger Reglementierung. Solche bleibt als todter Buch¬ 
stabe auf dem Papier bestehen, sobald sie auch nur teilweise 
sich als unmotiviert herausstellt. Wer zu viel verlangt, erreicht 
schliesslich gamichts. Wie wenig auch in dieser Beziehung die 
bestehenden Vorschriften das Richtige treffen, beweist die Tat¬ 
sache, dass dieselben in 90°/ o der Fälle umgangen werden, und 
dass dies geschehen kann, ohne dass daraus der Schaden erwächst, 
dessen Verhütung durch sie bezweckt wird. Mit anderen Worten, 
die bestehenden Vorschriften sind in 90 von 100 Fällen über¬ 
flüssig, sie sind also gänzlich unpraktisch. Das ist keine leere 
Behauptung. Ich will sie zahlenmässig beweisen. Dazu muss ich 
etwas weiter ausholen. 

Meine 15jährige Anstaltspraxis hat mich gelehrt, dass 
Fieber bei Wöchnerinnen ausserordentlich häufig 
vorkommt. Die Lehre, dass bei sachgemässer Leitung einer An¬ 
stalt Fieber gar nicht oder nur selten vorkommt (cf. Hebammen- 
Lehrbuch S. 229), ist eine Fabel. Sie darf fortan nicht mehr in 
den geburtshülflichen Lehrbüchern und Eollegs erscheinen. Nach¬ 
dem Ahlfeld als Erster Bresche in diesen Satz gelegt und 
darauf hingewiesen hat, dass alle gegensätzlichen Angaben auf 
falscher Temperaturmessung beruhen, glaube ich ihm lange Zeit 
allein sekundiert zu haben. Jetzt erlebt man es endlich, dass 
nach und nach eine Klinik nach der anderen zu demselben Ergeb¬ 
nisse kommt, nachdem sie sich der Mühe sorgfältiger Temperatur¬ 
messung unterzogen hat. Einige stehen noch abseits, hoffentlich 
nicht mehr lange. Meine Mastdarmmessungen haben ergeben 
(Archiv f. Gyn. Bd. 65, H. 2), dass 40—50 °/ 0 Fieber etwas sehr 
Gewöhnliches ist, wobei jede Temperatur über 38,0° C. gezählt 
ist. Es schwankt temporär im Allgemeinen zwischen 30 °/ 0 und 
60°/o. So ungeheuerlich dies auch für’s Erste klingen mag, so 
wenig ist es bei näherem Zusehen der Fall. Erstens ist zu be¬ 
rücksichtigen, dass es Mastdarmtemperaturen sind. Vergleichende 
Untersuchungen haben mir ergeben, dass bei Achselhöhlenmessung 
tun 1 / 3 weniger Fieberfälle herauskommen. Zweitens sind auch 
alle extragenitalen Erkrankungen mitgezählt. Allerdings muss 
ich betonen, dass der Prozentsatz etwa 6 beträgt, also sehr ge¬ 
ring ist, wie Loewenstein (Archiv f. Gygn. Bd. 65, H. 1) an 
meinem Material nachgewiesen hat. Drittens — und das ist das 
punctum saliens — sind es nur ca. 7 °/ 0 der Erkrankungen, die 
wirklich diesen Namen verdienen (cf. Baumm und Loewen¬ 
stein 1. c.). Ich rechne dazu alle diejenigen Fiebernden, die 
nicht zur üblichen Zeit, also am 10. Tage, gesund die Anstalt 
verlassen können. Alle übrigen Fieberfälle sind lediglich Störungen 
so leichter Art, dass den Betroffenen kein Nachteil erwächst, 
und dass sie ohne Therapie so schnell vorübergehen, dass nicht 
einmal eine Verzögerung in der Rekonvalescenz normalen Wöch¬ 
nerinnen gegenüber eintritt. Es hat keinen praktischen Wert, 
diese Störungen als Wochenbettfieberfälle zu behandeln, wiewohl 
t&st alle ganz gewiss ebenfalls von den Genitalwunden ihren Aus- 



264 


Dr. Baumm. 


gang nehmen. Eine Vergiftung des Blutes liegt hier ebenso vor 
wie bei den schwereren Fällen. Nur ist das Gift ein anderes, ein 
leichteres, mit dem der Organismus sehr schnell wieder fertig 
wird. Offenbar handelt es sich dabei um Resorption von Zer¬ 
setzungsprodukten der Lochien, während bei den schweren Fällen 
pathogene Wundkeime im Spiele sind. Da Fäulnisskeime ubiquär 
sind, ist es verständlich, dass es durch keine Massnahmen der 
Anti- und Asepsis gelingen kann, die saprämischen Fieber zu 
vermeiden. Meine durch Jahre fortgesetzten experimentellen Unter¬ 
suchungen liefern den Beweis dafür (cf. Arch. f. Gyn., Bd. 65, H. 2) 
Es bleibt ein pium desiderium, fieberfreie Wochenbetten zu er¬ 
zielen. So wenigstens liegen die Ding ine den Gebärhäusern. 

Es ist von vornherein anzunehmen, dass es in der Hebammen¬ 
praxis nicht anders geht, wo Geburten und Wochenbetten im All¬ 
gemeinen unter weniger günstigen hygienischen Verhältnissen 
stehen, als in den Anstalten. Fragt man aber Hebammen — wie 
ich das immer in den Wiederholungskursen tue — wie . oft sie 
wohl Fieber bei ihren Wöchnerinnen beobachten, so ist die Aus¬ 
beute herzlich gering. Die Mehrzahl hat überhaupt nie oder nur 
selten Fieber erlebt. Jedenfalls hat man noch nie gehört, dass 
eine Hebamme auch nur 80 oder 40 Proz. Fieber bei ihren Wöch¬ 
nerinnen zu verzeichnen hätte, wie dies an den Stätten der voll¬ 
endeten Anti- und Asepsis, geburtshülflichen Therapie und Pro¬ 
phylaxe nicht selten der Fall ist. Eine solche Hebamme wäre 
dem Anathema verfallen, wie nun einmal die Ansichten über das 
physiologische Wochenbett heute zum grossen Teile gelehrt 
werden und Gemeingut der Aerzte sind. Die Morbiditätsstatistik 
der Gebärhäuser steht in krassem Widerspruch zu derjenigen der 
Privatwochenpflege. Mag daran zum Teil falsche Temperatur¬ 
messung schuld sein, so reicht doch dieser Umstand nicht zur 
Erklärung aus. Hier Licht zu schaffen ist aus doppeltem Grunde 
wichtig: 

1. Ist es richtig, dass draussen so wenig Fieber vorkommt, 
als zur allgemeinen Kenntniss gelangt, dann sollten wir Anstalts¬ 
leiter zu den Hebammen in die Schule gehen und lernen, wie es 
besser zu machen ist. 

2. Ist draussen das Fieber ebenso häufig wie in den An¬ 
stalten, dann erfordern die Vorschriften für die Hebammen, betr. 
die Zuziehung des Arztes und das Meldewesen, eine Aenderung. 
Denn betrachte ich meine Temperaturkurven darauf hin, wie oft 
wohl die Hebamme darnach verpflichtet wäre, den Arzt zu rufen 
oder dem Kreisärzte Meldung zu erstatten, dann kommt eine Zahl 
heraus, die weit über das Ziel hinausschiesst, das die bestehenden 
Vorschriften im Auge haben. 

Zunächst muss also festgestellt werden, wie oft Fieber bei 
Wöchnerinnen in Privatverhältnissen vorkommt. 

Es ist nicht leicht eine grössere Serie einwandsfreier Tempe¬ 
raturbestimmungen zu gewinnen. Die amtierende Hebamme kann 
füglich nicht zu Hülfe genommen werden; der einzelne Arzt ist 
nicht im Staude, auch bei grosser geburtshülflicher Praxis, das 



Woehenbettfietar and Fieber im Wochenbett. Verhalten der Hebamme dabei. 265 


nötige Material zu schäften, einfach weil er nicht die Zeit hat, 
selbst die Messungen regelmässig vorzunehmen. Daher fehlen uns 
bisher zuverlässige Aufzeichnungen über die Temperaturverhält¬ 
nisse bei Wöchnerinnen aus der Privatpraxis gänzlich. Diese 
Lücke auszufüllen ist mir mit Hülfe meiner Hebammenschülerinnen 
unter anerkennenswertem Entgegenkommen vieler Breslauer Heb¬ 
ammen gelungen. Gegen Ende des vorjährigen Lehrkursus, also 
zu einer Zeit, wo unsere Schülerinnen genügend firm in der 
Temperaturbestimmung waren, erbat und erhielt ich von Breslauer 
Hebammen die Erlaubnis, ihre Wöchnerinnen, wo es die Um¬ 
stände gestatteten, jeden Abend durch eine Schülerin messen zu 
lassen. Das geschah neben und unabhängig von dem freien Walten 
der zuständigen Hebamme. Sie erfuhr nicht einmal die von uns 
ermittelten Temperaturen, selbst wenn wir hohes Fieber fest¬ 
stellen konnten. Geheimhaltung war ihr versprochen und ge¬ 
halten, wenn anders die gestellte Aufgabe gelingen sollte. Der 
Hebamme durften auf keinen Fall Ungelegenheiten durch unsere 
Untersuchungen erwachsen. So war eine grössere Anzahl zuver¬ 
lässiger Schülerinnen durch fast drei Monate damit beschäftigt, 
Wöchnerinnen in der Stadt täglich ein Mal gegen Abend zu 
messen. Auf diese Weise erhielt ich Aufzeichnungen über 119 
Wöchnerinnen, die mindestens 6 Tage lang beobachtet worden 
sind. Eine weitere, grössere Anzahl gemessener Wöchnerinnen 
soll nicht berücksichtigt werden. Sie sind aus verschiedenen 
Gründen nicht so lange beobachtet worden und können somit nicht 
zum Vergleich mit unseren Anstaltswöchnerinnen herangezogen 
werden, bei denen noch am 6 Tage nicht selten Fieber auftritt. 

Von diesen 119 Wöchnerinnen haben in Summa bei Mast¬ 
darmmessung 47 gefiebert, d. h. 38° C. überschritten. Das macht 
39,5 °/ 0 Morbidität, eine Zahl, die unserer Anstaltsmorbidität nicht 
nachsteht. — Es ist dadurch also bewiesen, dass Fieber auch 
bei Wöchnerinnen in Privatverhältnissen sehr häufig, 
ebenso häufig als in der Entbindungsanstalt vor¬ 
kommt. Wenn das in den Tagebüchern der Hebammen nicht 
zum Ausdruck kommt, so ist der Schluss sehr einfach: Abgesehen 
von falschen Messungen wird eine grosse Zahl von Fieberfällen 
kurzer Hand unterschlagen. Hervorgehoben zu werden verdient 
weiter, dass auch bei diesem Material, gerade so wie in Anstalten, 
es sich in der bei weitem überwiegenden Mehrzahl um leichte, 
in wenigen Tagen vorübergehende Störungen handelt. Nur 2 von 
den 47 Fällen präsentierten sich als schwerere Erkrankungen. 
Es sind die Fälle 4 und 10 in der nachfolgenden Tabelle. 

Es ist nun interessant, zu sehen, wie sich die zuständigen 
Hebammen diesen 47 Fieberfällen gegenüber mit ihren Vor¬ 
schriften, betr. die Zuziehung eines Arztes und die Meldung an 
den Kreisarzt, abgefunden haben: Wenn die Temperatur 38,5 0 C. 
erreicht, soll die Hebamme den Arzt rufen, eventuell den Fall als 
auf Wochenbettfieber verdächtig melden. Ich wähle das Mittel 
38,5, entsprechend dem usus der meisten Kreisärzte. Diese Tempe¬ 
ratur haben von den 119 Wöchnerinnen 27 (22,6 °/ 0 ) erreicht, 



266 


allerdings bei Maatd&rmmessnng. Da das Hebammenlehrbuch nur 
von Acbselhöhlenmessung spricht, mflssen wir die Mastdarmtempe¬ 
raturen in Achselhöhlentemperaturen nmrechnen. Die Differenz 
zwischen beiden beträgt nach meinen zahlreichen Untersuchungen 
im Mittel 0,3° C. Wir wollen mild rechnen und annehmen, dass 
erst eine Mastdarmtemperatur von 39 eine Achselhöhlentemperatur 
von 38,5 ergiebt. Sehe ich in diesem Sinne unsere Notizen durch, 
so zähle ich unter sämmtlichen 119 Wöchnerinnen 10, die diese 
Temperaturhöhe erreicht haben, d. i. 8,4 °/ 0 . Nach den be¬ 
stehenden Vorschriften war demnach bei diesen 10 Wöchnerinnen 
ein Arzt von der Hebamme zu verlangen, und thatsächlich ge¬ 
schehen ist es — in einem einzigen Falle. Ebenso ist auch nur 
dieser eine Fall zur Meldung gekommen. Das heisst also, wie 
ich Eingangs erwähnt habe, in 90 von 100 Fällen ist die 
bestehende Vorschrift nicht befolgt worden. Das ist 
vom Standpunkte der Hebammeninstruktion unter allen Umständen 
strafwürdig. Sehen wir zu, ob es auch vom praktischen Stand¬ 
punkte aus der Fall ist. Zu dem Zwecke stelle ich in nach¬ 
stehender Tabelle die 10 Fieberfälle von 38,5 und darüber zu¬ 
sammen, wobei die Mastdarmtemperaturen nach Substration von 
0,5 in Achselhöhlentemperaturen umgerechnet sind. 



1 . 

2- 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

Fall 

1 

37,8 

88,7 

88,6 

37,1 

37,1 

37,7 

37,5 

87,5 


ft 

2 

86,9 

36,6 

37,2 

36,7 

88,7 

88,5 

36,7 

37,1 


ft 

8 

86,7 

36,7 

36,8 

37,7 

88,7 

37,4 

37,1 

37,7 


ft 

4 

P 

89,1 

89,2 

89,7 

89,6 

88,8 

37,5 

37,9 

88,8 

ft 

5 

P 

? 

37,6 

37,1 

37,6 

36,5 

39,4 

36,4 

37,0 

ft 

6 

P 

37,6 

37,0 

88,1 

89,6 

37,8 

37,5 

88,6 

36,6 

ft 

7 

? 

36,9 

89,0 

36,9 

37,2 

36,8 

36,9 

36,6 


ft 

8 

P 

37,1 

37,3 

P 

88,2 

88,6 

37,3 

36,8 


ft 

9 

87,0 

89,8 

88,4 

37,9 

37,5 

37,9 

37,0 

37,0 


* 

10 

87,8 

89,0 

89,6 

89,8 

88,8 

88,6 

37,9 


i 


1 Weitere Messungen 
abgelehnt. Frau steht 
auf und befindet sich 
wohl. 

Arzt zugez. u. gemeldet. 


Weitere Messungen 
abgelehnt. Frau steht 
auf und fühlt eich 
wohl. 


Fall 4 ist der einzige, bei dem ein Arzt zugezogen und 
Meldung an den Kreisarzt erstattet worden ist. Zu betrachten 
bleiben die übrigen 9 Fälle, die ohne Arzt und Meldung geblieben 
sind. Sehen wir die Temperaturen dieser Fälle an, so müssen 
wir zugeben, dass sie alle, vielleicht mit Ausnahme des Falles 10, 
einen derartigen Verlauf genommen haben, dass die Zuziehung 
eines Arztes gewiss nicht streng indiziert gewesen ist. Am 
9. Wochenbettstage waren alle 9 Wöchnerinnen wieder ausser 
Bett und fieberfrei. Und das geschah, trotzdem einzelne von 
ihnen (5, 7, 9) die Grenze von 38,5 0 C. nicht unbeträchtlich über¬ 
schritten haben. Man sieht daraus, dass es zu weit geht, als 
schwerere, den Arzt erfordernde und meldepflichtige Fälle die¬ 
jenigen zu bezeichnen, die 38,5° C. erreichen. Ich könnte dies 
durch tausende ähnliche Kurven meines Anstaltsmaterials weiter 
belegen. Nicht die Höhe des Fiebers allein ist mass¬ 
gebend, sondern man muss auch die Dauer desselben berück¬ 
sichtigen. In 8 Fällen (1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9) ist das Fieber nach 




Wochenbett fieber und Fieber im Wochenbett. Verhalten der Hebamme dabei. 267 


kurzem Bestände verschwunden, um nicht wiederzukehren und die 
Hebammen haben damit, dass sie nicht sofort den Arzt riefen, 
tatsächlich das Richtige getroffen, indem sie eine Menge über¬ 
flüssiger Weiterungen sich und der Familie der Wöchnerin er¬ 
sparten. Aber — so wird man einwenden — die Hebammen 
konnten nicht im voraus wissen, dass das Fieber so bald wieder 
abfallen würde. Gewiss; doch nach tausendfacher Erfahrung 
kommen schnell vorübergehende, selbst hohe Temperaturen nun 
einmal vor, so dass man befugt ist, damit zu rechnen, und 
schlimmsten Falls ist bei der Machtlosigkeit unserer Therapie 
beim Wochenbettfieber wahrlich nichts versäumt, wenn der Arzt 
einen oder zwei Tage später geholt wird. So hat auch im Fall 4 
die Hebamme nichts versäumt, dass sie erst am dritten Fiebertage 
den Arzt rief, als die Temperatur weiter anstieg und somit die 
Aussicht auf eine leichte, vorübergehende Störung schwand. Sie 
hat gewiss gegen ihre Instruktion gefehlt und daher den strengen 
Verweis, der ihr vom Kreisarzt wurde, verdient, aber versäumt, 
ich wiederhole es, war nichts. Anders im Fall 10. Hier zeigt 
zwar das Fieber am dritten Tage einen Nachlass, aber es bestand 
auch noch am vierten Tage eine beträchtliche Höhe. Der Fall 
war als ein schwererer anzusehen, und es war ein strafbarer 
Leichtsinn von der Hebamme, dennoch unter Missachtung ihrer 
Vorschriften einfach auf einen schliesslichen guten Ausgang zu 
warten. 

Aus diesen Betrachtungen resultiert, dass es den praktischen 
Verhältnissen nicht entspricht, die Notwendigkeit, einen Arzt zu 
rufen, an den Anstieg der Temperatur auf 38,5 0 C., ja überhaupt 
an eine bestimmte Temperaturhöhe zu knüpfen. Das ist eine 
Schablone, die auf unzählige Fälle nicht passt. Daher muss sie 
fallen, wenn sie nicht bloss auf dem Papier bestehen bleiben soll. 
Mag es auch geraten sein, bei jedem Fieberfalle den Arzt zu 
rufen, so sollte der Zwang dazu nur für die schwereren Fälle 
reserviert bleiben, d. h. für diejenigen, in denen das Fieber nicht 
bald — nach 2 Tagen — wieder fällt und in der Folge schnell 
— nach weiteren 1—2 Tagen — ganz verschwunden ist. Dies 
müsste im Gegensatz zu heut auch für Temperaturen unter 38,5 
gelten. Man sieht nicht selten Wöchnerinnen mit tagelang be¬ 
stehender Temperatur um 38,0° C. herum. Die Fälle wären nach 
den bestehenden Bestimmungen zu ignorieren, während vielleicht 
ein Exsudat im Entstehen ist, das der ärztlichen Aufsicht füglich 
nicht entraten sollte. — Die Schwere eines Falles charakterisiert 
sich aber nicht allein durch das Fieber. Sehr wichtig ist das 
Allgemeinbefinden der Wöchnerin. Eine elende, schwache, aus¬ 
geblutete Person mit schlechtem Pulse wird erfahrungsgemäss 
leicht septisch. Drittens müssen wir alle Fälle mit peritoniti- 
schen Erscheinungen, ob hohes, niedriges oder gar kein Fieber 
besteht zu den schweren Fällen rechnen. Diese Fälle werden 
sich immer durch eine besondere Empfindlichkeit des Leibes aus¬ 
zeichnen. 

Nach diesen Ausführungen würde ich Vorschlägen, der Heb- 



268 


Dr. Banrnm. 


amme in folgenden Fällen die Herbeirnfung eines Arztes zur 
Pflicht zu machen: 

1. Bei schlechtem Allgemeinbefinden der Wöchnerin. 

2. Wenn eine besondere Schmerzhaftigkeit des Bauches 
besteht. 

In diesen beiden Fällen auch bei fehlendem Fieber. 

3. Bei Fieber ohne sonstige Komplikationen, wenn das Fieber 
nach 2 tägigem Bestehen nicht herabgeht oder trotz fallender 
Tendenz am 4. Tage nicht definitiv auf 37,5 herabgeht. Als 
Fieber hat jede Temperatur über 37,9 zu gelten. 

Eine conditio sine qua non hierbei ist die Verpflichtung der 
Hebammen, sorgfältige Temperatur zettel bei jeder Wöchnerin zu 
führen. Ihnen müsste dieselbe Wichtigkeit, wie dem Tagebuch 
beigelegt werden. Ich glaube, dass bei Befolgung dieser Vor¬ 
schriften seitens der Hebammen, die man von ihr billiger Weise 
im Gegensatz zu den jetzt geltenden Bestimmungen wird erwarten 
dürfen, der Arzt immer noch rechtzeitig zur Stelle sein wird. 
Ueberdies bleibt es der Hebamme unbenommen und wird ihr sogar 
zu empfehlen sein, nicht erst die aufgestellten strikten Indikationen 
zur HerbeirufuDg des Arztes abzuwarten. 

Nun aber sind auch die anderen Wöchnerinnen und die Ge¬ 
bärenden, welche die Hebamme einer erkrankten Frau besorgt 
und besorgen soll, zu berücksichtigen. Es wäre möglich und 
kommt vor, dass scheinbar leichte Fieberfälle sich doch in der 
Folge als schwere Infektion heraussteilen. Man kann also niemals, 
sobald in der Praxis der Hebamme ein Fieberfall vorkommt, sei 
es auch ein ganz leichter, sie auf gut Glück ohne besondere Vor- 
sichtsmassregeln ihrem Berufe nachgehen lassen. Schliesslich 
können auch von den leichtesten Erkrankungen schwere Infektionen 
ausgehen. Vorsicht ist also in allen Fällen nötig. Sie hätte in 
folgendem zu bestehen: 

Konstatiert die Hebamme bei einer ihrer Wöchnerinnen 
Fieber, d. h. 38° C. und mehr, so hat sie dieselbe möglichst un¬ 
berührt zu lassen. Vor dem jedesmaligen Verlassen derselben hat 
sie ihre Hände und Vorderarme zu desinfiziren. Bei anderweitiger 
nachfolgender Berufstätigkeit hat sie ein besonderes Obergewand 
anzulegen, am besten eine sogenannte Babyschürze, die aseptisch 
zu verwahren ist. Die innere Untersuchung ist in dieser Zeit, 
wo es irgend geht, zu unterlassen. Die”Instrumente sind in üb¬ 
licher Weise zu desinfizieren. 

Soviel über die Bestimmungen, wann von der Hebamme ein 
Arzt zuzuziehen ist, und über ihr prophylaktisches Verhalten bis 
dabin. Es bleibt nunmehr zu erwägen, was für die Hebamme 
meldepflichtig sein soll. Dass die bisherige Fassung „Wochen¬ 
bettfieber oder Verdacht darauf“ vieldeutig und daher ungenau 
ist, habe ich schon erwähnt. Auf die naheliegende Kontroverse, 
was der Arzt als „Wochenbettfieber“ anzusehen hat, gehe ich 
hier nicht ein und verweise auf meinen Aufsatz im Zentralblatt 
für Gynäkologie; 1899, Nr. 11. Ich möchte nur noch illustrieren, 
zu welchen Konsequenzen die bisherige Bestimmung führt: 



Wochenbettfieber und Fieber im Wochenbett. Verhalten der Hebamme dabei. 269 


In einem Kreise des Breslauer Bezirks wurde auffallend 
wenig* Wochenbettfleber gemeldet. Die privaten Nachforschungen 
des Kreisarztes bestätigten seine Vermutung, dass es sich um 
zahlreiche Unterschlagungen bandelte, indem sich herausstellte, 
dass die fieberhaften Erkrankungen der Wöchnerinnen von den 
zugezogenen Aerzten nicht als Wochenbettfieber, sondern als In¬ 
fluenza bezeichnet wurden. Für die Hebamme ist Influenza nicht 
meldepflichtig, ergo unterblieb die Meldung. Aehnliches mag oft 
Vorkommen. Daher haben eine Anzahl Kreisärzte ihren Hebammen 
aufgetragen, jeden Fall als wochenbettfieberverdächtig zu melden, 
der 38,5 0 C. oder auch nur 38.0 0 C. wiederholt tibersteigt, gleich- 
giltig, ob ein Arzt zugezogen ist, oder nicht, gleichgiltig, welche 
Diagnose der zugezogene Arzt stellt. Diese Anordnung kann aber 
nur zu Recht bestehen, solange der Arzt nicht eine andere Krank¬ 
heit diagnostiziert und dadurch das Wochenbettfieber bezw. den 
Verdacht darauf ausschliesst. Wie darf die Hebamme Verdacht 
auf Wochenbettfieber hegen, wenn der Arzt sagt, es läge Influenza 
vor, ohne durch ein solches Misstrauensvotum eine unheilvolle 
Verschiebung in dem wünschenswerten Verhältnis zwischen Arzt 
und Hebamme zu bewirken. Ausserdem werden diejenigen Kreis¬ 
ärzte, die den Meldeparagraphen derartig streng interpretieren, 
unfehlbar belogen. Nach den obigen Ausführungen über die 
Häufigkeit des Fiebers müssen sie es werden. Ich möchte auch 
ihre Verwunderung sehen, wenn durch ehrliche Meldung aller 
Fälle auch nur von 38,5 an plötzlich eine wenigstens 9- bis 
lOfache Verschlechterung der Puerperalstatistik herauskäme. Ab¬ 
gesehen von dieser Verwunderung wäre das praktische Resultat 
lediglich nutzlose Belästigung und Verdächtigung der Hebammen, 
sowie unnütze Beunruhigung der Kranken und ihrer Umgebung. 
Nach dem Wortlaut der geltenden Bestimmung, sowie nach dem 
ganzen Tenor des Lehrbuches muss man die Hebammen lehren, 
wie folgt: 

Wochenbettfieber ist da. wenn der zugezogene Arzt diese 
Diagnose stellt. Verdacht auf Wochenbettfleber liegt vor, wenn 
trotz 38,5 Temperatur ein Arzt nicht zur Stelle ist, oder wenn 
der behandelnde Arzt die Diagnose noch offen lässt. 

Da ich aber diese meine Auffassung keinem der Kreisärzte 
aufzwingen kann, diese vielmehr nach wie vor ihre mannigfachen 
Auslegungen des Meldeparagraphen vermutlich festhalten werden, 
so ist schon deswegen, um die Hebammen vor Verwirrung zu 
schützen, eine andere, klarere Bestimmung notwendig. 

Man geht allen Schwierigkeiten aus dem Wege, wenn man 
nicht nur das undefinirbare „Wochenbettfleber“. sondern überhaupt 
jede ansteckende Krankheit bei einer Wöchnerin melde¬ 
pflichtig macht. Es ist auch nicht einzuseben, warum die Heb¬ 
amme gerade nur das Wochenbettfleber melden soll. Zweck der 
Meldung ist überhaupt, einen in sanitärer Hinsicht bedenklichen 
Fall zur Kenntnis der Aufsichtsbehörde zu bringen. Alle In¬ 
fektionskrankheiten einer Wöchnerin, ja. man kann noch weiter 
gehen, alle infektiösen Erkrankungen, die in der Wohnung der 



270 Dr. B&umm: Woehenbettfieber and Fieber im Woebenbett n. ?. w. 

Wöchnerin Vorkommen, wiegen in sanitärer Beziehung nicht minder 
schwer als das Wochenbettfieber selbst. 

Ich schlage demnach für die Zukunft und in Abänderung 
der bestehenden Bestimmung folgendes vor: 

Bei auftretendem Fieber ruft die Hebamme erst den Arzt, 
sobald die Indikation dafür gegeben ist (s. oben). Diesen hat sie 
zu befragen, ob der Fall ansteckend für andere Wöchnerinnen 
ist, nicht ob es Wochenbettfieber sei. Bejaht er die Frage oder 
schliesst er die Kontagiosität nicht bestimmt aus, dann hat die 
Hebamme den Fall dem Kreisärzte zu melden und zwar mit der 
Diagnose des Arztes. Letzteres zur Orientierung des Kreisarztes. 
Auszuschliessen wären hierbei natürlich die ansteckenden Ge¬ 
schlechtskrankheiten. Verneint aber der Arzt bestimmt die Ueber- 
tragbarkeit der Erkrankung, dann hat die Hebamme keine Ver¬ 
anlassung, auch nur einen Verdacht auf das Gegenteil zu hegen, 
und unterlässt die Meldung. Dagegen hat sie auch fernerhin 
diejenigen Vorsichtsmassregeln in ihrer Berufstätigkeit zu beob¬ 
achten, die, wie oben angegeben, bei jedem Fieber im Wochenbett 
innezuhalten sind. 

Auf diese Weise wäre dem beliebten Vertuschungssystem 
ein kräftiger Riegel vorgeschoben. Kämen die Fälle auch nicht 
immer mit der richtigen Diagnose „Wochenbettfieber“ zur Kenntnis 
des Kreisarztes, so würden sie doch nicht, wie bisher oft, unter 
falscher Flagge segelnd, ihren Kurs seitwärts vorbei beim Kreis¬ 
arzt nehmen. Ausserdem wird dann die Meldung niemals in ge¬ 
wisser Insubordination über den Kopf des behandelnden Arztes 
hinweg erfolgen. — Fälle, wo dem Verlangen der Hebamme, 
einen Arzt zu holen, nicht Folge gegeben wird, sind immer als 
wochenbettfieberverdächtig zu melden. 

Zusammengefasst hätten die mir wünschenswert erscheinen¬ 
den Vorschriften für Hebammen hinsichtlich des Wochenbettfiebers 
folgendermassen zu lauten: 

1. Die Hebamme hat über jedes Wochenbett einen Tempe¬ 
raturzettel zu führen. 

2. Bei schlechtem Allgemeinbefinden der Wöchnerin und 
bei besonderer Schmerzhaftigkeit des Leibes ist sofort der Arzt 
zu verlangen. 

3. Bei Fieber (mehr als 37,9° C. auch ohne Komplikationeu) 
ist die alsbaldige Zuziehung eines Arztes immer geraten. 

4. Geboten ist dieselbe, wenn das Fieber nach 2 tägigem 
Bestehen nicht herabgeht, oder wenn es trotzdem am 4. Tage 
nicht auf 37,5° C. fällt. 

5. Der Arzt ist zu befragen, ob die vorliegende Krankheit 
auf andere Wöchnerinnen übertragbar ist. 

Bejahenden Falls: Meldung an den Kreisarzt und Entgegen¬ 
nahme besonderer Instruktion. Verneinenden Falls kann die 
Meldung unterbleiben, aber die Hebamme muss die bei jedem 
Fieber gebotenen Vorsichtsmassregeln beobachten. 

6. Bei jedem Fieber einer Wöchnerin muss die Hebamme 
sich verhalten, wie wenn die Krankheit übertragbar wäre, d. li. 



Dr. Rump: Erkrankung der Arbeiter in der P.’sehen Asphaltfabrik n. s. w. 271 


sie berührt die Fiebernde möglichst gar nicht, desinfiziert Hände 
und Vorderarme jedesmal sofort nach beendigter Tätigkeit bei 
dieser Wöchnerin, sie benutzt bei anderweitiger beruflicher Tätig¬ 
keit ein besonderes Oberkleid und untersucht womöglich gar nicht 
innerlich. 

7. Wird ihrem Verlangen, einen Arzt zu rufen, nicht ent¬ 
sprochen, dann ist der Fall alsbald dem Kreisarzt als wochen¬ 
bettfieber verdächtig zu melden. 

8. Nicht nur jede in der Wohnung der Hebamme vor¬ 
kommende ansteckende Krankheit ist, wie bisher, dem Kreisarzt 
zu melden, sondern auch eine jede, die in der Wohnung einer der 
Obhut der Hebamme anvertrauten Kreissenden oder Wöchnerin 
vorkommt. 

Schliesslich will ich erwähnen, dass die bisherigen Vor¬ 
schriften über Nonintektion der Hebamme und über Desinfek tion 
ihrer Person und ihrer Instrumente im Allgemeinen, abgesehen 
von vielfach unklarer Darstellung, ausreichend erscheinen. 
Wünschenswert ist nur, dass auf den ersten Akt der Desinfektion, 
die mechanische Reinigung, ein grösserer Nachdruck gelegt wird, 
wie bisher. Sie ist der springende Punkt. Die Wahl des Des- 
infiziens ist von untergeordneter Bedeutung. 


Erkrankungen der Arbeiter in der P.’schen Asphaltpappe- 
Fabrik. Ein Beitrag zu den Gewerbekrankheiten. 

Von Medizinalrath Dr. Rnmp in Recklinghausen. 

Unter den Arbeitern der P.’schen Asphaltpappe-Fabrik in D. 
erkrankten innerhalb eines Zeitraumes von 3 Wochen 3—4 jugend¬ 
liche Arbeiter unter eigentümlichen gleichartigen Erscheinungen, 
deren Mitteilung für die Gewerbehygiene einiges Interesse 
bieten dürfte. 

Fall 1. W. H., 14*/» J. alt, seit 8 Monaten im Betriebe beschäftigt, 
erkrankt am 16. Oktober 1902 an Bronchialkatarrb. Dabei zeigt die Haut 
des ganzen Körpers schmutzig gelbes Aussehen und ist Überall mit grösseren 
oder kleineren Akneknötchen besät. Die Gesichtshaut befindet sich im Zustande 
kleiulappiger Abschuppung der Epidermis, bermgerufen durch vorhergegangene 
Entzündung derselben. 

Fall 2. A. S., 14 V* J. alt, seit 4 Wochen im Betriebe, kommt am 
6. November 1902 in Behandlung. Es besteht Bronchialkatarrh und Bindehaut- 
Entzündung, das Allgemeinbefinden ist nicht wesentlich gestört. Die gesammte 
Körperhaut ist intensiv gelb gefärbt. Die Gesichtshant befindet sich im Zu¬ 
stande frischer Entzündung. Die Haut ist stark geröthet und leicht geschwollen. 
Anf der Stirn und beiden Wangen ist die Epidermis zu flachen, eng aneinander 
liegenden, mit klein flüssigem Inhalte erfüllten Blasen abgehoben. Das ganze 
Gesicht bietet den Anblick ähnlich einer Verbrennung 2. Grades. (Eine wirk¬ 
liche Verbrennung durch ausstrablende Hitze oder heisse Dämpfe hat nach 
den bestimmten Angaben des Erkrankten nicht stattgefunden). Ansserdem 
ist eine Aknebildung massigen Grades an Armen und Beinen zu konstatieren. 

Fall 3. J. V., 20 J. alt, seit einigen Monaten im Betriebe, erkrankten 
am 8. November 1902 au Bronchial- and Bindehautkatarrh. Die ganze Körper¬ 
haut ist gelb gefärbt, und weist zahlreiche Akneknoten anf. Die Gesichtshaut 
ist leicht gernnzelt und faltig, im Zustande der Abschuppung. 

F a 11 4. H. J., 14 */» J. alt, seit kurzem im Betriebe, Arbeitsgenosse 
des A. S. (Fall 2) erkrankte nach dessen Angabe am 6. November 1902 unter 



272 Dr. Rninp. 

ähnlichen aber milderen Erscheinungen wie dieser, wurde jedoch nicht ärztlich 
behandelt. 

Die Häufung der angeführten Fälle in einem kurzen Zeit¬ 
räume und das fast gleichartige Auftreten der Krankheits¬ 
erscheinungen bei Arbeitern mit gleicher Beschäftigung in dem¬ 
selben Betriebe lässt mit Sicherheit schiiessen, dass es sich um 
Gesundheitsstörungen handelt, welche auf die Einwirkung von 
Schädlichkeiten in diesem Fabrikbetriebe zurückzuführen sind. 
Die Erkrankten waren sämtlich jugendliche Arbeiter und in 
den Betrieb erst neu eingetreten; also den vollen Einwirkungen 
der Schädlichkeiten ausgesetzt. Sie verrichteten die gleiche Ar¬ 
beit, indem sie unmittelbar am Asphalt-Kochkessel angestellt 
waren, dessen kochender Inhalt zur Imprägnierung der durch¬ 
laufenden Pappe dient. Hierbei entwickeln sich aus der kochen¬ 
den Teermasse reichlich aufsteigende gelblich - grüne Dämpfe. 
Bei ungenügender Abführung wirken diese reichlich Teer¬ 
destillationsprodukte enthaltenden Dämpfe intensiv auf den Körper 
der Arbeiter ein, indem sie einerseits direkt selbst durch die 
Kleidung hindurch, auf der Haut sich niederschlagen und dieselbe 
gelb färben, anderseits aber auch an empfindlichen Hautstellen, 
so im Gesichte zu starken, entzündlichen, der Verbrennung ähn¬ 
lichen Reizerscheinungen führen, oder endlich durch Ablagerung 
von Teerbestandteilen in den Haarfollikeln der Haut zu mehr 
oder weniger ausgedehnten Hautausschlägen (Teerakne) Ver¬ 
anlassung geben. Auf dieselbe Weise kommt es durch Reizung 
der Schleimhäute zu Bindehautentzündungen, Bronchialkatarrhen 
oder auch zu Magendarmkatarrhen. Nierenreizungen sind in 
den angeführten Fällen nicht beobachtet worden; auch die Tem¬ 
peratur blieb normal. 

Ich habe ähnliche Erkrankungen in den Lehrbüchern nicht 
beschrieben gefunden. 


Ueber geschwefelte amerikanische Obstfrüchte. 

Von Medizinalrath Dr. Rump, Kreisarzt in Recklinghausen. 

Durch Bekanntmachung des Bundesrats vom 18. Februar 1902 
betr. gesundheitsschädliche und täuschende Zusätze zu Fleisch und 
dessen Bereitungen ist in Ausführung des Fleischschaugesetzes 
vom 3. Juni 1900 der Zusatz von schwefliger Säure und deren 
Salzen sowie unterschwefligsauren Salzen zu Fleisch und dessen 
Zubereitungen verboten. 

Die schweflige Säure und deren Salze, aus denen im Magen 
durch die Einwirkung der Salzsäure oder anderer gleichzeitig 
genossener Säuren (Essig) die schweflige Säure frei gemacht 
wird, müssen als keineswegs unbedenklich für die menschliche 
Gesundheit betrachtet werden, namentlich wenn die mit diesen 
Mitteln versetzten Nahrungs- und Genussmittel von Kindern, 
Schwachen und Genesenden verzehrt werden. 

An getrockneten Obstfrüchten bringen die Vereinigten Staaten 
von Amerika Aepfelschnitzel, Aprikosen, Birnen und Pfirsiche auf 
den deutschen Markt, unter denen die Apfelschnitzel ihrer Menge 



Ueber geschwefelte amerikanische Obstfrüchte. 


278 


nach wohl die erste Stelle annehmen. Diese Früchte sind in 
zahlreichen Proben untersucht, hierbei ist in Aprikosen, Birnen 
und Pfirsichen stets schweflige Säure in wechselnden Mengen 
gefunden, während Apfelschnitzel stets frei von schwefliger Säure 
waren. Die Säure ist in den Früchten in freiem Zustande ent¬ 
halten, nur eine Spur in Form von Salzen. Nachstehend ist der 
Gehalt an schwefliger Säure in den untersuchten Proben ange¬ 
geben und der besseren Beurteilung halber auch zugleich auf 
schwefligsaures Natron (Na 2 SO s + 7 aq.) berechnet: 


Geschiftszeichen, 

100 g enthalten 

gefundene schweflige Säure, be¬ 

Obstsorte: 

schweflige Säare: 

rechnet als schweflige. Natron: 

M. 6 Birnen. 

0,014 g 

0,056 g 

M. 8 „ 

0,011 „ 

0,044 „ 

Bo. 52 Birnen. 

0.016 „ 

0,064 „ 

Bn. 72 „ 

0.066 „ 

0,264 „ 

Ba. 73 „ 

0,173 „ 

0,692 „ 

Bn. 75 Aprikosen. 

0,113 „ 

0,452 „ 

Bn. 76 

0,074 „ 

0,294 „ 

Bn. 77 Birnen. 

0,021 „ 

0,084 „ 

R. 84 

0,03 L „ 

0,124 „ 

B. 85 

0,062 „ 

0,248 „ 

R. 86 Aprikosen. 

0,026 „ 

0,104 „ 

R. 87 Pfirsiche. 

0,112 „ 

0,448 „ 

R. 91 Aprikosen. 

0,059 „ 

0,236 „ 

R. 93 

0,032 „ 

0,128 „ 

R. 105 Birnen. 

0,175 „ 

0,700 „ 

R. 106 Aprikosen. 

0,045 „ 

0,180 „ 

St. 41 Birnen. 

0,131 „ 

0,524 „ 

St. 42 Aprikosen. 

0,078 „ 

0,312 „ 

St. 43 

0,059 „ 

0,236 „ 

St. 44 

0,016 „ 

0,064 „ 

St. 46 Birnen. 

0,087 „ 

0,348 „ 

H. 28 „ 

0,082 „ 

0,328 „ 

H. 29 Aprikosen. 

0,087 „ 

0,348 „ 


Die gefundenen Zahlen beweisen den grossen Unterschied 
in der Schwefelung. 

Die Feststellung des Gehaltes an schwefliger Säure allein 
genügt nicht. Es sind auch zugleich etwaige Einwendungen der 
Händler auf ihre Richtigkeit zu prüfen, um ihnen erfolgreich ent¬ 
gegen treten zu können. Da diese Früchte wohl selten roh ge¬ 
nossen werden, sondern erst nach küchenmässiger Zubereitung, 
könnte leicht der Einwand erhoben werden, dass die schweflige 
Säure durch diese Zubereitung entweichen, das Obst also frei von 
schwefliger Säure genossen würde. Für die ktichenmässige Zu¬ 
bereitung giebt die einführende amerikanische Firma Aspregren 
& Co. folgende Gebrauchsanweisung an, die den Käufern der 
Waare überreicht werden soll: 

„Nach Reinigen der Früchte in kaltem Waeser lasse man dieselben in 
frischem, klarem Wasser 8—12 Standen stehen nnd koche sie dann in dem¬ 
selben Wasser mit dem nötigen Zuckerznsats 2—3 Minuten. Die Fracht 
ist dann zam Ser viren fertig. 

Aaf diese Weise erhält man eine Fracht nicht nar nach Aassehen and 
Geschmack den frischen Früchten gleich, sondern sie giebt beinahe die dop¬ 
pelte Menge Kompott, als wenn sofort gekocht, ohne vorher geweicht zn sein.“ 

Nach dieser Vorschrift, die in den meisten Haushaltungen, 
auch ohne Kenntnis obiger Vorschrift, benutzt wird, wurde das 



274 


Dr. Rump: Ueber geschwefelte amerikaoische Obstfrüchte. 


Kompott hergerichtet mit dem Unterschiede, dass statt 2—3 Mi¬ 
nuten in einem Falle 5 Minuten und im andern Falle 30 Minuten 
gekocht wurde. 

Der Gehalt an schwefliger Säure nach dieser Zubereitung 
war folgender: 


Geachäftszeichen, 

Obstsorte: 

St. 41 Birnen. 

R. 87 Pfirsiche. 

R. 85 Birnen. 

R. 86 Aprikosen. 


In 100 g rohen Obstes 

schweflige Säure: berechnet als schweflige. Nation: 
0,131 g 0,524 g 

0,112 „ 0,448 „ 

0,062 „ 0,248 „ 

0,026 „ 0,104 „ 


Nach 12 Stunden Wässerung 
Geschätszeichen, und 5 Minuten Kochen 
Obstsorte: schweflige berechnet als 

Säure: schweflige. Natron: 
St. 41 Birnen. 0,056 g 0,224 g 

R. 87 Pfirsiche. 0,079 „ 0,316 „ 

R. 85 Birnen. 0,058 „ 0,232 „ 

R. 86 Aprikosen. 0,014 „ 0,060 „ 


Nach 12 Stunden Wässerung 
und 30 Minuten Kochen 
schweflige berechnet als 
Säure: schweflige. Natron: 
0,039 g 0,156 g 

0,047 „ 0,188 „ 

0,046 „ 0,186 „ 

0,011 „ 0,044 „ 


Wie zu erwarten war, wird durch die küchenmässige Zu¬ 
bereitung die schweflige Säure nicht völlig entfernt, sondern sie 
bleibt noch zum erheblichen Theile in den Früchten. 


Nun werden Pfirsische und Aprikosen wohl kaum 30 Mi¬ 
nuten lang gekocht werden, da dieselben nach dieser Zeit völlig 
zu Brei zerkocht sind, und somit an Genusswerth erheblich ein- 
gebüsst haben. Für die Birnen ist allerdings Kochen von etwa 
30 Minuten erforderlich, bis sie weich sind. 

Der Gehalt des gekochten Obstes an schwefliger Säure ent¬ 
spricht ganz dem Gehalt des rohen getrockneten Obstes an dieser 
Säure. War das rohe Obst stark geschwefelt, so ist es auch das 
gekochte. Eine einheitliche Schwefelung lässt sich in den Ergeb¬ 
nissen nicht erkennen. Es ist ebenso wohl möglich, dass stärker 
geschwefelte Waaren Vorkommen; hat man doch in einem Falle 
in Dresden in 100 g Aprikosen 0,294 g schweflige Säure oder 
berechnet als schwefligsaures Natron 1,158 g gefunden. 

Bedenkt man, dass von diesen Obstfrüchten wohl ebenso 
grosse oder gar noch grössere Mengen als von Fleisch genossen 
werden, so wird man bei ihnen den Gehalt an schwefliger Säure 
für ebenso schädlich halten und beanstanden müssen wie beim 
Fleisch. Leuch hat eine ausgeprägte Empfindlichkeit vieler 
Menschen gegen die schweflige Säure beobachtet. Gaben von 
0,55 g erzeugten Magenbrennen, Diarrhoe und stärkere Kopf¬ 
schmerzen. Aehnlich berichten Andere. Durch Thierversuche, bei 
denen Hunde in der Hälfte der Fälle mit 0,1, in der anderen mit 
mit 0,2 °/ 0 schwefligsaurem Natrium versetztes Fleisch erhielten, 
hat Kionka sicherstellen können, dass dem schwefligsaurem Na¬ 
trium Giftwirkungen zukommen; er kommt auf Grund seiner 
Untersuchungen zu der Annahme, dass sich der Mensch den 
schwefligsauren Salzen gegenüber ebenso verhält, wie der Hund. 

Die Schwefelung der Früchte geschieht offenbar der besseren 
Konservirung wegen. Nun liefern aber die Amerikaner in ihren 
Aepfelschnitzeln selbst den besten Beweis, dass sich auch ohne 



Kleinere Mitttheilongen and Referate ans Zeitschriften. 


275 


Schwefelung eine Wa&re erzielen lässt, die den grössten An¬ 
forderungen in Bezug auf Aussehen und Haltbarkeit entspricht. 

Bis in die letzten Jahre wurden diese Aepfelschnitzel sehr 
häufig ihres Zinkgehaltes wegen untersucht und würde dabei die 
Schwefelung eher an den Tag gekommen sein. Dessen scheinen 
sich die Amerikaner bewusst gewesen zu sein und haben deshalb 
bei diesem Obst die Schwefelung unterlassen. Wie sie selbst 
über schweflige Säure als Konservirungsmittel denken, geht aus 
einer Erklärung des Ackerbau-Departements der Vereinigten 
Staaten Ende vorigen Jahres hervor, in welcher diese Behörde 
zur Konservirung von Nahrungsmitteln alle anderen als die ge¬ 
wöhnlich dazu verwendeten Mittel, wie Salz, Essig, Branntwein 
und Zucker für unzulässig erklärt. 1 ) In dieser Bekanntmachung 
geht die amerikanische Behörde noch viel weiter, als die deutsche 
Regierung in der ebengenannten Ausführungsbestimmung zum 
Fleischschaugesetz. 

Es liegt also durchaus kein Grund vor, die geschwefelten 
amerikanischen Früchte nachsichtig zu behandeln. 


Kleinere Mittheilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin and Psychiatrie. 

Zar Kasuistik der Vergiftungen durch Kupfersalze. Von Dr. 
Stephan v. Koroszkiewicz. Viertelj&brsschr. f. gerichtl. Medizin u. öffentl. 
SanititBwesen; III. F., XXV. Bd., 1. Heft, S. 1. 

Vergiftungen durch Kupfersalze in krimineller Absicht, die in Frankreich 
an Häafigkeit gleich nach den Arsen- und Phosphor Vergiftungen kommen, sind 
in Deutschland äusserst selten. Im gerichtB&rztlichen Institut in Krakau kamen 
innerhalb 10 Jahren nur 3 Fälle vor. Sie betrafen Selbstmörder. Der eine 
Fall lehrt, dass auch bei tötlichom Verlauf ein anatomischer Befand fehlen 
kann, wenn das Gift unmittelbar nach der Aufnahme erbrochen wird, ln den 
zwei anderen Fällen trat die ätzende Wirkung der Kupfersalze deutlich zu Tage, 
welche zusammen mit der auffallenden Grün- bezw. Blau-Färbung der ver- 
sehorften Gewebe einen durchaus charakteristischen Leichenbefund lieferte. 

Dr. Ziemke-Halle. 


Zwei Fälle von Stramoninm - Vergiftung. Kasuistische Mitteilung. 
Von Dr. Kn aut, Arzt in Klaushagen. Berliner klin. Wochenschr.; 1902, Nr. 51. 

Mehrere Kinder hatten im September 1901 „Arzt und Patient“ gespielt 
und einem 5jährigen Mädchen und dessen jüngere Schwester Stechapl'elkraut 
und Samen eingegeben. Die Vergiftungserscheinungen bei dem ersten Kinde, 
2'/* Stunden nach Einnahme des Giftes, bestanden in Bewusstlosigkeit, Pupillen- 
erweiternng, Rötung und Trockenheit der Gesichtsbaut, kleinem, frequentem 
Puls (150—160), lebhafter Atmnng (55—60), teilweise mit Cheyne-Stockes- 
schem Typus, dann klonischen Krämpfen, die von Somnolenz gefolgt waren. 
Heilong nach Behandlung mit subkutanen Einspritzungen von Apomorphin- 
lösang. In dem Erbrochenen konnten reichlich hellgrüne, an den Rändern 
gesackte, in Schleim gehüllte, halbverdante Blätter nnd massenhaft die kleinen 
nierenförmigen Samenkörner der einheimischen Datura Stramoninm nachgewiesen 
werden. Das jüngere Kind genas ebenfalls, nachdem es die Stechapfelsamen 
nach Einnehmen einer Brechmiztur erbrochen hatte. Beide Kinder hatten 
vorher reichlich zu Mittag gegessen. Dr. Räuber-Düsseldorf. 


*) Veröffentl. Kaiserl. Gesundheitsamt 1902. 6, 160. 



276 


Kleinere Mittheilungen and Referate aas Zeitschriften. 


Verblutung im Anschluss an die Gebart. Beitrag zur Aetioiogie 
der Postpartum -Biatangen. Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A h 1 f e i d in Mar¬ 
burg. Zeitachr. f. Geb.; Bd. XLV1I, Heft 2. 

Partielle Kontraktionen des schwangeren Uteras, Myom vor¬ 
täuschend. Von demselben; Ibidem, Heft 2. 

Der in der ersten Mitteilung beschriebene Fall hat sowohl hohes foren¬ 
sisches wie gebar tahiilfliches Interesse and beweist, dass trotz der Tamponade 
des Uteras post partum eine Verblutung Vorkommen kann. fis handelte sich 
am eine 29jährige HI. Gravida, bei der im Anschluss an eine Frühgeburt eine 
tötlicke Nachgeburt»biutung eintrat, sodass trotz frühzeitiger sachverständiger 
Hülfe und aller angewandten Massnahmen (Massage, heisse Uterusspülnng, feste 
Uterustamponade) die Fraa sich verblutete. Die Sektion ergab nirgends Ver¬ 
letzungen; bei der Blutantersuchung fiel das Fehlen von Fibrinogen and orga¬ 
nischen Substanzen auf; es ist demnach das Verhalten des Blutes nach A. als 
Hinderungsgrund für die Thrombose auzusehen. 

In dem in der zweiten Arbeit beschriebenen Falle hatte bei der 41jähr. 
Mehrgebährenden eine partielle Kontraktion in der Schwangerschaft ein Myom 
vorgetäuscht; die Geburt, durch Placenta praevia kompliziit, endete gleichfalls 
mit Exitus letalis der Kreissenden and zeigte auch hier einen Misserfolg der 
Dtthrssen'sehen Tamponade. 

Interessant ist, dasB, wie aus der ersten Mitteilung hervorgeht, bei dem 
abwartenden Verfahren in der Nacbgebnrtszeit in der Marburger Klinik bei 
ca. 6000 Geburten doch nur 2 Todesfälle in Folge von Verblutung sich er¬ 
eigneten. Prof. Dr. Walt her-Giessen. 


Zur Frage der Unterusruptur in früheren Monaten der Schwanger¬ 
nohaft. Von Dr. Kober. Mtlnck. med. Wochenschr., 1902, Nr. 36. 

Sehr interessante, kasuistische Mitteilung, welche wiederum die Ge¬ 
fährlichkeit der Instrumente, besonders der Curette bei Ansräumung von Aborten 
beweist. Es handelte sich um eine Perforation des Uteruu im zweiten Monate 
der Schwangerschaft mit nachfolgender lebensgefährlicher Blutung, welche so¬ 
gar die Extirpation des Organes notwendig machte. Zur Einleitung des Abortes 
wurde naoh dem Berichte von K. von dem betr. Arzte, ohne dass Wehen vor- 
angegangcu waren, in einer Sitzung die Ulerushöhie brüske diiatiert und 
darnach eine schmale Curette eingeführt; im Anschluss daran sofortige profuse 
Blutung, welche sich trotz mehrfacher Tamponade wiederholte. Daher Ueber- 
ftthrung in das Krankenhaus, wo durch digitale Abtastung eine Perforation 
des Uteras mit Bildung einer Hämotocele festgestellt wurde, neben einer Ver¬ 
letzung des inneren Muttermundes. Totalexstirpation per vaginam. Das 
Präparat zeigte sowohl eine durch die Curette bewirkte Perforation der Corpus- 
wand, als auch eine durch die torzierte Dilatation hervorgerufene Verletzung 
seitlich vom inneren Muttermunde. — Die Frage, ob die letzterwähnte Verletzung 
vermeidbar gewesen wäre, beantwortet Verfasser mit „ja“, besonders wenn man 
bedenkt, dass bei einem Widerstand eine Dilatation besser aufgeschoben und 
durch die Laminaria in schonender Weise vorgenommen werden kann; bezüglich 
der Uterusperforation im Corpus wird hier die vielfach diskutierte Frage, ob 
überhaupt eine instrumentelle Ausräumung erlaubt ist, gestreift, und nur die 
Schmalheit der Curette beanstandet. Verfasser resümiert mit folgenden, für die 
Abortbehandlung beachtenswerten Sätzen: 1) Niemals geschehe die Aus¬ 
räumung eines Abortes, bevor Wehen eingetreten sind; eine forzierte Dilatation 
ist wegen der Gefahr schwerer Gewebszerreissungen zu unterlassen; statt ihrer 
ist im ersten Drittel der Schwangerschaft Laminaria, in späteren Monaten die 
Metreuryse zu verwenden. 2) Wenn Wehen vorhanden waren and der Cervix 
genügend erweitert war, so ist für die Entfernung etwa zurückgebliebener 
Massen ein Doppuilöifel zu empfehlen; wenn dieser unwirksam, dann darf auch 
eine breite Carette an dessen Stelle treten. 

Referent, welcher vollkommen mit den Ausführungen des Verfassers 
übereinstimmt, möchte nur zusetzen, dass bei genügender Erweiterung des 
Cervix zunächt immerhin auch eine digitale Ausräumung zu versuchen ist, 
and dass, wenn irgend möglich, Instrumente nar nnter Leitung deB Fingers 
eiugeführt und gebraucht werden sollen. Beiläufig sei erwähnt, dass die Korn- 



Kleinere Mittheilnngen und Referate ans Zeitschriften. 


277 


sänge als das gefährlichste Instrument, obwohl von mancher Seite empfohlen, 
niemals gebraucht werden sollte. Piof. Dr. Walther-Qiessen. 


Ein Fall von Strafverfolgung gegen einen Arzt wegen Unter¬ 
lassung einer Dammnaht. Von Prof. Dr. Zweifel in Leipzig. Deutsche 
med. Wochenschr.; 1903, Nr. 1. 

Die vorliegende ge burtshülflich-forensische Betrachtung, welche an 
einen Fall anknttpfc, in dem ein Arst auf fahrlässige Körperverletzung unter 
ßerafspfliohtversäumniss wegen Unterlassung einer Dammnaht angeklagt war 
dürfte jeden praktischen Geburtshelfer interessieren. Gerade der vorliegende 
Pall zeigt, wie leicht bei der geburtshilflichen Tätigkeit ein Arzt in äusserst 
kritische Situation kommen kann. Aus der interessanten Besprechung durch 
den bekannten Kliniker, welche im Original nachgelesen werden muss, seien nur 
einige Pankte hervorgehoben. Während nach aller Sachverständigen Urteil die 
Verfolgung wegen des Zustandekommens eines Dammrisses unzulässig ist, so sind 
doch alle Autoren darüber einig, dass ein Dammriss ohne Unterschied der Grösse 
genäht werden muss, und der Arzt, wenn er sich nicht eine Pflicht Vergessenheit zu 
Schulden kommen lassen will, den Damm nach einer spontanen wie operativen 
Geburt auf eine solche Verletzung jedenfalls untersuchen muss, wenn auch zu¬ 
gegeben werden muss, dass hier ein Uebersehen wegen der Schwierigkeiten der 
Praxis als solcher (schlechte Beleuchtung, mangelhafte Assistenz) gegenüber 
einer Klinik mitunter möglich ist. Ein Dammriss 111. Grades heilt (wie auch 
Referent auf Grund der von ihm beobachteten Fälle zngeben muss) niemals 
spontan so, dass eine vollkommene Heilung ein tritt. Wenn der Arzt, wie er 
im vorliegendem Falle zur Entschuldigung angab, in Folge körperlicher Ueber- 
anatrengung die Naht nicht sofoit anschliessen konnte, so war er verpflichtet, 
innerhalb der nächsten 24 Stunden eine solche Naht ausznlühren, zumal die 
Erfahrung zeigt, dass hier eine primäre Reunio noch stattfinden kann. Einer 
Chloroformnarkose, welche der Arzt ohne besondere Assistenz mit Recht scheute, 
bedarf es nicht, sondern hier genügte eine lokale Anesthesie mittelst l°/ ( iger 
Kokainlösung (subkutan). Interessant ist, was der Kliniker auf die Angabe des 
Arztes, dass der Riss trotz frühzeitiger Naht doch nicht geheilt wäre, auf 
Grund des klinischen und ausserklinischen Materials mitteilt: hier zeigte sich, 
dass tatsächlich von 23 poliklinischen gemachten Operationen 6 ohne Erfolg 
geblieben sind; tatsächlich sind auch in der Praxis die Ergebnisse der Primär¬ 
nabt noch recht unbefriedigend. Daraus entspringt aber noch lange nicht die 
Berechtigung der Unterlassung der Naht. Mit der Verbesserung der Technik, 
welohe sich jeder Praktiker aneignen kann, werden die Heilerfolge auch besser 
werden, wobei zu betonen ist, dass die Naht rite unmittelbar nach der Geburt, 
spätestens innerhalb der ersten 24 Stunden u. s. w. ausgegführt werden und 
geeignete Nachbehandlung (Sorge fdr weichen Stuhl!) sich anschliessen muss. 
Jedenfalls sollte, was eine berechtigte Warnung auf Grund des vorliegenden 
Falles für Geburtshelfer sein möge, eine Dammnaht niemals versäumt werden. 
Dass aber eine strafrechtliche Verfolgung im Sinne dej §. 230 hier zulässig 
sei, wurde auf Grund des Zw ei fei'sehen Gutachtens abgelehnt und der Arzt 
auch von der hohen Forderung der zivilrechtlichen Klage (7000 M. Schaden¬ 
ersatz!) mit Recht freigesprochen. Es sei noch darauf hingewiesen, dass in 
dem besprochenen Aufsatze eine überaus klare, durch 4 Figuren erläuterte, 
Technik der Dammnaht bei totalem Dammriss geschildert ist. 

Dr. Waith er-Giessen. 


Eine tödtliche Verletzung des hinteren Scheidengewölbes snb 
coltn. Von Dr. Karl Rühs in Greifswald. Inaugural* Dissertation. 25 S. 
Gerichtl. medizin. Institut der Universität Greifswald. 

Verfasser beschreibt einen Fall von Scheidenzerreissung sub coitu: ein 
durch Alkoholgenuss erregter Mann hatte mit seiner 55 jährigen Ehefrau, mit 
der er 27 Jahre verheirathet war, und die dreimal geboren und einmal abortirt 
hatte, den Coitus ä la vache ausgeübt. Doch kaum hatte der Gatte den Penis 
eiageführt, so bekam die Frau heftige Schmerzen, sie habe „einen Krampf“, 
der Mann zog das Glied heraus, ein starker Blutstrom quoll aus der Scheide; 
■ach 2 Standen war die Frau todt. 

Die Scheide zeigte geringe Atrophie; im hinteren Gewölbe war ein 7'/t cm 



278 


Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften. 


langer Riss, der ans zwei Schenkeln bestand, die beide auch das Baachfell 
durchsetzten. In der Höhe des inneren MattermandeB war ein grösseres zer¬ 
rissenes Gefäss sichtbar. 

Da ein Missverhältnis zwischen Penis und Scheide nicht bestand, so 
war fttr die Läsion verantwortlich zu machen: die Involution der Genitalien nnd 
die „ Knieellenbogenlage*, vielleicht anch die durch den Alkohol hervorgernfene 
geschlechtliche Erregung des Mannes. 

Auch die sonstigen, für die Entstehung derartiger Rupturen angeführten 
Gründe finden ihre Besprechung. Dr. H o f f m a n n - Elberfeld. 


Zwei Fälle von Fremdkörpern des Uterus. Von Dr. Toff, Frauen¬ 
arzt in Braila. Münchener med. Wochenschrift; Nr. 88, 1902. 

Bei den Fremdkörpern in der Gebärmutter handelt es sich meist am 
abortive Eingriffe, durch welche Sondenstücke oder sondenähnliche Fremdkörper 
in die Gebärmutter gelangen; in anderen Fällen sind dieselben therapeutischen 
oder seltener accidentellen Ursprungs. 

Unter den vom Verfasser mitgetheilten zwei Fällen betraf der eine Fall 
eine 31jährige Wittwe, welche seit einem Jahre an Gebärmutterschmerzen und 
weissem Flusse litt und oft kurze Fäden in der Absonderung bemerkte. Vor 
einem Jahre wurde in Folge von Abortus im dritten Schwangerschaftsmonate 
wegen Retention der Nachgeburt nnd starken Blutungen durch Kürettirung die 
Plaoenta entfernt und ihr mehrere Jodoformgazetampons eingelegt, welche am 
folgenden Tage entfernt wurden. Bald nach der Entlassung aus dem Kranken¬ 
hause traten heftige und andauernde Schmerzen im Bauch und Kreuz auf, 
sowie reicher Ausfluss aus den Genitalien, welcher trotz mehrfacher Behand¬ 
lung nicht weichen wollte. Kein Fieber, zeitweilige Verstopfung und Urin¬ 
beschwerden. Darch bimannelle Palpation wurde die Gebärmutter in Anteversion, 
hart, sehr gross und schmerzhaft befunden. Adnexen auf Druck ebenfalls sehr 
empfindlich, Portio sehr dick, roth und wund; Abgang von zähem, graugrünem 
Schleim aus dem Muttermunde. Nach einigen Tagen bringt die Kranke einige 
2—8 cm lange, dünne Fäden mit, welche sich im Ausflüsse befanden und sich 
mikroskopisch als Baumwollfäden erkennen Hessen. Die daraufhin gestellte 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose, dass sich in der Gebärmutterhöhle ein vergessener 
Jodeformgazetampons befinde, wurde im weiteren Verlaufe vollauf bestätigt, 
indem nach vorhergehender Erweiterung mit Laminariastiften ein festznsammen- 
gedrückter, von grünem, krümeligem, übelriechendem Schleim durchsetzter 
Tampon extrahirt werden konnte, welcher aus einem 30 cm langen und etwa 
zwei Qaerfinger breiten, dünnen Gewebsstreifen bestand. Darnach erfolgte voll¬ 
kommene Wiederherstellung der Patientin. 

Der zweite Fall, ein Unicum sowohl in Bezug auf die Natur des Fremd¬ 
körpers, als in Bezug anf die Zeit der Retention im UteruBcavum, betraf 
eine 27 jährige IV. Para im vierten Monate der Gravidität mit starken Gebär¬ 
mutterblutungen. Patientin lag im Bette in einer förmUchen Blutlache, war 
sehr blass und hatte hänfige Ohnmächten gehabt; Temp. 89,8°, Puls 120. 

Nach antiseptischer Reinignug und Entfernung von zahlreichen, grossen 
Blutklumpen fand Verfasser die Gebärmutter fast kindskopfgross, weich und 
nach vorn gebeugt zu tasten, Muttermund für einen Finger bequem durch¬ 
gängig, das Uteruscavum von der Plaoenta und vielen lockeren Blutgerinnseln 
erfüllt. Bei den Versuchen, die Placenta zu lösen, fühlte Verfasser plötzlioh 
einen ziemlich schmerzhaften Stich in die Fingerkuppe und konnte nach vielen 
Mühen ein 5 cm langes und 2'/s mm dickes, blutig durchquollenes Holzstäbchen 
extrahiren. Nach entsprechender Nachbehandlung mittels Kürettirung und 
antiseptischen Spülungen erfolgte sehr bald Fieberabfall und Wiederherstellung 
der Patientin. Das betr. Holsstäbohen war ein Wurzelstück von Helleboras 
niger, ein in jener Gegend vom Volke zu abortiven Zwecken vielfach benütztes 
Mittel (meistens durch Weiber, welche dies gewerbsmässig betreiben und eine 
grosse Geschicklichkeit im Einführen derartiger Stäbchen in den Mnttermnnd 
resp. die Gebärmutter besitzen und auf diese Weise oft Abortus bewirken, mit¬ 
unter auch die betr. Patientionen septisch infisiren). Leider steht man diesen 
Fällen mit gebundenen Händen gegenüber, da die Patientin, dem Gesetze nach, 
Mitschuldige ist und man die dem Arzt übrigens unbekannte Urheberin des 



Kleinere Mittheilangen and Referate ans Zeitschriften. 


279 


Abortns nicht denanziren kann, ohne die Kranke ebenfalls dem Gerichte ans- 
zaliefern nnd so das ärztliche Geheimniss preiszageben. 

_ Dr. Wai bei «Kempten. 


Fremdkörper im Mastdarm. Kasuistischer Beitrag von Assistenzart 
Dr. 8 c h e r e n b e r g. Münchener med. Wochenschrift; Nr. 87, 1902. 

Verfasser teilt als Knriosnm mit, dass sich vor einiger Zeit ein etwa 
BOjihriger Mann aaf der chirurgischen Abteilung in Ulm eingefanden habe 
and angab, er habe sich vor 2 Tagen eine Radfahrerlnftpampe in den After 
eingeführt, am sich ein Klystier za geben, wobei die Pampe seinen Fingern 
entglitten and in den Darm geratscht sei, in dem sie sich noch befinde. Br 
habe inzwischen mehrmals regelmässigen Stahl gehabt and sei ohne besondere 
Beschwerden. 

Bei bimanaeller Untersuchung des Patienten in Rückenlage fand man 
2 Qnerfinger über der Symphyse in der Medianlinie eine Resistenz, die Kreis¬ 
form nnd 2—3 cm Darchmesser hatte; sie setzte sich zylinderförmig in die 
Tiefe des kleinen Beckens hinein fort and war noch aaf mehrere Zentimeter 
abtastbar. Offenbar handelte es sich am das obere Ende der in der Flexara 
sigmoidea sitzenden Luftpumpe. Unter vorsichtigem Drücken and Schieben 
seitens der linken Hand von den Baachdecken aas bei gleichzeitiger Führung 
des antern Endes darch den in den Mastdarm eingeführten Zeigefinger der 
rechten Hand warde der Fremdkörper za Tage gefördert. 

Ob der Patient sich wirklich ein Klystier hatte geben wollen, oder ob 
nicht vielmehr die Motive in der pathologisch -sexuellen Sphäre zn sachen ge¬ 
wesen sein dürften, lässt Verfasser dahingestellt. Dr. Waibel-Kempten. 


Entzündlicher Baachdeckentumor, hervorgerafen darch einen ans 
dem Darm durchgebrochenen Fremdkörper. Von Dr. Wagner, Frauen¬ 
arzt in Stuttgart. 

Der sowohl diagnostisch als therapeutisch interessante Fall betraf eine 
52 Jahre alte Patientin, die nie geboren hat. Im Dezember 1900 erkrankte 
sie unter den Erscheinungen einer Typhlitis bezw. Paratyphlitis, welche inner¬ 
halb 14 Tagen abheilte, so dass die Patientin sich den grössten Teil des 
Jahres 1901 ganz wohl befand. Im November 1901 entstand erneute Schwellung 
und Schmerzhaftigkeit der rechten Unterbaachgegend, welche im Verlaufe von 
8 Wochen langsam, aber stetig zanahm. Im Januar 1902 fand man neben 
heftigen Fiebererscheinangen eine starke Hervorwölbnog der rechten Baach¬ 
hälfte und ein wenig über dem rechten Poup art’sehen Bande 2 Finger breit 
unter dem rechten Rippenrand einen über maaskopfgrossen, fibrös derben druck¬ 
empfindlichen and mit den Baachdecken zusammenhängenden Tamor, welcher 
sich ins kleine Becken hinab fortzasetzen scheint. Bei der Diagnose kamen 
in Betraoht: Ovarialtumor mit Stieldrehang, altes paratyphlitisches Exsudat 
and Baachdeckensarkom. 

Brst nach mehrmaligen Inzisionen and schliesslich tieferem Vordringen 
in eine grosse Abszesshöhle stiess Verfasser aaf einen eigentümlichen Fremd¬ 
körper von sichelförmiger Gestalt and 5 1 /» cm Länge, mit dessen Extraktion 
sich die Wände schnell schloss. Die daraufhin angestellten Erhebungen er¬ 
gaben, dass der Patientin ca. 2 Monate vor der seiner Zeit darchgemachten 
Blinddarmentzündung eine Fischgräte von eiuem Kabeljau im Halse stecken 
geblieben sei, welche sie nar mit grosser Mühe schliesslich hinanterge- 
schlackt habe. 

Der Fall ist interessant, da er zeigt, einerseits, welche pathologischen, 
sowohl klinisch, als pathologisch-anatomisch eine Neubildung vor täuschenden, 
Veränderungen (siehe Original) ein solcher Fremdkörper noch nach Jahr and 
Tag hervorzurafen imstande ist, anderseits aber auch, welche diagnostischen 
Schwierigkeiten daraas hervorgehen können. 

Der Fremdkörper hatte zunächst Magen and Dünndarm anstandslos 
passiert und war dann im Coecnm stecken geblieben; hier hat er allmählich die 
Darmwand mit seinem spitzen Ende durchbohrt and veranlasste in dem Mo¬ 
ment, wo die Perforation eintrat — and dies geschah bei dem Fehlen von 
peritonitischen Erscheinungen extraperitoneal — eine typische Paratyphlitis. 



280 Kleinere Mittheilungen and .Referate ans Zeitschriften. 

Nach Ablauf des akuten Stadiums trat eine Scheinheilong ein, indem sich der 
Fremdkörper abkapselte. 

Ans dieser Habe wurde er wieder aufgerüttelt bei Gelegenheit des von 
der Patientin angegebenen „Verlupfens“ in Folge Hebens eines sohweren Wasch* 
zubers im Januar 1002, worauf Erscheinungen eintraten, wie sie bei plötzlichen 
Stieldrehungen Ton Baachtumoren beobachtet wurden. Der Fremdkörper ist 
von neuem weiter gewandert, hat sich in die Bauchdecken eingebohrt and 
damit die Ursache zu einem erneuten Aufflackern des entzündlichen Prozesses 
gegeben, welcher erst mit endgültiger Entfernung _ des Missetäters zur 
Heilung kam. Dr. Waibel-Kempten. 


B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und Öffentliches 

Sanitätswesen. 

Die Differentialdiagnose der verschiedenen in die Gruppe der 
Bakterien und der hämorrhagischen Septicämie gehörigen Mikro¬ 
organismen mit Hälfe der spezifischen Serumreaktion. Von O.Voges, 
Baenos Aires. Zentralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infektions¬ 
krankheiten ; I. Abt., 1902, Bd. 31, Nr. 13. 

Bisher waren alle Versuche, mittels der in die Gruppe der Bakterien der 
hämorrhagischen Septicämie gehörigen Mikroorganismen spezifische Sera zu 
erzeugen, misslangen. Nun hat Voges eine neue Methode ersonnen (über deren 
Einzelheiten zu berichten, er sich einer späteren Veröffentlichung vorbehält), 
welche itim für mehrere Arten dieser Mikroorganismen spezifische Sera geliefert 
hat. Mit Hülfe dieser Sera war es ihm möglich, die Verschiedenheit dieser 
kultarell so häufig sich gleich verhaltenden Bakterien mit absoluter Sicherheit 
zu beweisen. Ein neuer dankenswerter Beitrag für den Wert der spezifischen 
Serumreaktion. Dr. L e n t s - Berlin. 


Der Pestbacillus im Organismus der Flöhe. Von Dr. Giuseppe 
Zirolia, Assistenten des bakteriologischen Laboratoriums des italienischen 
Gesundheitsamtes in Rom (unter Direktion des Prof. B. Gosio). Vorläufige 
Mitteilang. Ibidem; Nr. 14. 

Wie schon frühere Beobachter, hat auch Verfasser festgestellt, dass 
FlOhe, während sie Blat sangen, das aufgenommene Blut mehrfach wieder ans- 
spritzen, wobei sich ihr Unterleib stark zasammenzieht. Dies beobachtete er 
auch an Flöhen, die er eine Zeit lang hungrig gehalten und dann auf an Pest¬ 
sepsis leidende Ratten und Mäuse gesetzt hatte. In diesem ausgespritsten 
Blat konnte er vollvirulente Pestbazillen nachweisen. Ferner ergaben seine 
Untersuchungen, dass die Pestbazillen sich im Leibe solcher Flöhe, wenn diese 
sich mit Pestblut vollgesogen hatten und nun wieder ohne Nahrung gehalten 
wurden, niobt nur lebend und viralent erhielten, sondern auch vermehrten. 
Noch 7—8 Tage nach dem Saugen konnte er lebende Pestbasillen im Leibe 
der FlOhe naohweisen. Auch fand er in den Fäces dieser FlOhe virulente 
Pestbasillen. 

Diese Resultate würden dafür sprechen, dass die FlOhe bei der Verbreitung 
der Pest eine wichtige Rolle spielen. Dr. Lentz-Berlin. 


Der Widerstand des Inflnenzabacillns gegen physische und 
chemische Mittel. Von Dr. Raffaele Onorato, Assistent. Aus dem hy¬ 
gienischen Institute der Kgl. Universität zn Genua (Direktor Prof. Canalis) 
Ibidem; Nr. 14. 

Die von dem Verasser zum Studium der Widerstandsfähigkeit des 
Iaflaenzab&cillas augestellten Versuche haben ergeben, dass derselbe gegen hohe 
Temperaturen (über 45° C.), Sonnenlicht und Austrocknung, sowie gegen unsere 
gebräuchlichen Desinfektionsmittel sehr wenig widerstandsfähig ist, dass er 
aber aaoh von niedrigen Temperaturen (unter 0°) in weit kürzerer Zeit abge¬ 
tötet wird als andere pathogene Bakterien. Dr. L e n t z - Berlin. 


Eine kurze Zusammenfassung der Resultate einer Untersuchung 
(vom Januar 1899 bis August 1901) betreffend die Pathogenesis des 



Kleinere Mitteilungen and Befernte aus Zeitschriften. 


281 


aknten Rheumatismus. Von F. John Poynton, M. D. nnd A. Paine, 
]f. D. in London. Auf Wunsch der Verfasser Übersetzt von Dr. Louis 
Eikind-London. Zentralblatt für Bakteriologie, Parasitenknnde nnd In¬ 
fektionskrankheiten ; 1. Abt., 1902, Bd. 81, Nr. 11. 

In 20 Fällen von akntem Rheumatismus fanden die Verfasser einen 
kleinen Diplococcus von 0,5 p Durchmesser; derselbe wuchs in flüssigen Nfthr- 
snbstraten in kurzen Ketten, anf festen Nährböden in stapbylekokkexäbnlirher 
Anordnunng; er färbte sich mit Anilinfarben gnt, die Gram’scbe Färbung 
Hess oft im Stich; am besten wuchs er in einer Mischung von Milch nnd 
Bouillon, die durch Milchsäure leicht sauer gemacht war, weniger gut auf 
Blutagar; anf gewöhnlichem Agar wuchs er nicht. Gelatine wurde dnrcb ihn 
nicht verflüssigt. Er erwies sich als fakultativer Anaerobe. 4 

Der Diplococcus fand sich im Blute, in den entzündlichen Ergüssen der 
Berösen Hände, in endokarditischen Auflagerungen und in dem Tonsillenbelag 
der Patienten; die serösen Ergüsse in den akut erkrankten Gelenken erwiesen 
sich als steril. 

Kaninchen erkrankten nach intervenöser Injektion von Aufschwemmungen 
des Diplococcus mit Gelenkschwellungen und serösen Ergüssen, sowie endo¬ 
karditischen Ulzerationen; aus letzteren beiden konnte der Mikroorganismus 
wiederum in Reinkultur erhalten werden. Ein Kaninchen zeigte sogar Er¬ 
scheinungen, welche die Verfasser als choreatische Zuckungen deuten zu dürfen 
glaubten; sie konnten hier den Diplococcus in der Pia mater und dem Endothel 
der Blntkapillaren in der Hirnwinde nachweisen. 

Auf Grund ihrer Befunde glauben die Verfasser die Ansicht Singers, 
dass der akute Rheumatismus auf einer Infektion mit verschiedenen abge¬ 
schwächten Mikroorganismen beruhe, als nicht zutreffend bezeichnen zu müssen. 

Dr. L entz-Berlin. 


Veber die Lebenabedingungen den Tubekuloseerregere in der 
Salcbutter. Von Dr. med. Alfred Pettersson, stellvertretender Prosektor 
am pathologischen Institute. Ans dem pathologischen Institute der Universität 
Upsala. Ibidem; Bd.32, I. Abt., Nr. 4. 

Nach eingehender Besprechung der bisher bekannt gewordenen Arbeiten 
über das Vorkommen von Tuberkelbasillen in der Butter, giebt Pettersson eine 
Beschreibung der von ihm nach dieser Richtung angestellten Versuche. Er 
hatte dabei sein Augenmerk darauf gerichtet, zu entscheiden, ob die Be¬ 
schaffenheit der Butter bezw. die Art und Weise ihrer Bereitung die Lebens¬ 
fähigkeit nnd Virulenz der Tuberkelbazillen in irgend einer Weise beeinflusst. 
Er fand, dass nngesalzene Sttssrahmbutter den Tuberkelbazillen die günstigsten 
Bedingungen bietet nnd dass solche Butter noch 4 Wochen nach der Impfung 
mit Bazillen infektionsfäbig i«t; dass dagegen in aus gesänertem Rahm ber- 
gestellter, sowie in stark gesalzener (ca. 4—6 °/ 0 Kochsalz enthaltender) Butter 
die Tuberkelbazillen rasch zu Grnnde gehen, so dass mit solcher Butter Meer¬ 
schweinchen bereits 10, bisweilen schon 5 Tage nach der Impfang der Butter 
mit Tuberkelbazillen nicht mehr infiziert werden konnten. 

Dr. Lentz-Berlin. 


Ueber die tnberkelbazillenähnlichen Stäbchen nnd die Bacillen 
den Smegman. Von Dr. A. Weber, Kgl. Württ. Oberarzt, kommandiert 
zum Kais. Gesundheitsamt. Mit Mikrophotographien von Dr. Alb. Maassen, 
techn. Hilfsarbeiter im Kais. Gesundheitsamt (Tafel VII u. XI). Arbeiten aus 
dem Kaiserl. Gesundheitsamts; Neunzehnter Band, 2. Heft. Mit 8 Tafeln. 
Berlin 1902. Verlag von Jnlius Springer. 

W. teilt die tuberkelbazillenäbnlichen Stäbchen in drei Gruppen ein. 
Zu der ersten, die ausgezeichnet ist durch hohe Pathogenität für bestimmte 
Tierarten, rechnet er die Bazillen der Perlsucht, des Rindes, der Geflügel-, 
Fisch- und Blindschleichen-Tuberkulose und der Lepra. In diezweite Gruppe 
gehören sapropbytisahe, in der Natur weit verbreitete, aber auch gelegentlich 
im menschlichen Körper sich ansiedelnde Keime: Gras-, Mist-, Milch- und 
Butter-Bazillen. Die dritte Gruppe wird gebildet duroh die Smegmabazillen. 
Der Hauptfundort der Bakterien der zweiten Gruppe, die in erster Linie den 
Gegenstand der vorliegenden Arbeit bilden, ist die Ackererde nnd solche Gegen- 



282 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


stftnde, welche mit der Erde in Berührung kommen: Gräser, Getreidekörner, 
Henstanb, Mist, von wo ans sie in Milch, infolge der beim Melken unvermeid¬ 
lichen Verunreinigung, und in Butter gelangen können. Für die praktische 
diagnostische Bedeutung der betr. Stäbchen sprechen am deutlichsten mehrere 
veröffentlichte Fälle von Fehldiagnosen, die auf Grund deB mikroskopischen 
Nachweises dieser Bakterien gestellt und erst durch die Obduktion anfgedeckt 
worden. Da die betr. Stäbchen auf den gewöhnlichen Nährböden rasch und 
üppig wachsen, so kann su ihrer Trennung von dem viel anspruchsvolleren, 
selbst auf dem Glyzerinserum nur langsam sich entwickelnden echten Tnberkel- 
bacillus das Kulturverfahren Anwendung finden. Eine gewisse pathogene Wir¬ 
kung ist den betr. Stäbchen nicht abzusprechen; dieselbe beruht aber nach W., 
im Gegensätze zu der des echten Tuberkelbacillus nicht auf dem Zustandekommen 
einer Infektion, sondern kann als eine Fremdkörperwirkung erklärt werden: 
es handelt siah hier um sog. Fremdkörperknötchenbildung. Niemals kommt es 
zu einem, der Tuberkulose ähnlichen fortschreitenden, allmählich sämtliche 
innere Organe ergreifenden und dadurch zum Tode führenden Prozesse. Je 
länger man die Versuchstiere leben läset, desto geringer wird die Gefahr, in 
einen diagnostischen Irrtum zu verfallen. Während allen diesen Stäbchen, wie 
dem echten Tuberkelbacillus, die Fähigkeit zukommt, ans den in den gewöhn¬ 
lichen Nährböden enthaltenden Stoffen eine fette oder wachsartige Substanz 
zu bilden, die ihnen die Säurefestigkeit verleiht, giebt es noch eine besondere 
Bakterienart, welche fetthaltiger Nährmedien bedarf, um ähnliche färberische 
Eigenschaften, wie der Tuberkelbacillus hat, anzunehmen. Diese Art ist inso¬ 
fern von praktischer Bedeutung, als sie sich auch im und am menschlichen 
Körper ansiedeln und sich hier unter normalen und pathologischen Verhältnissen 
fetthaltiges Nährbodenmaterial vorfinden kann. Abgesehen von Smegma und 
Cerumen kommen in Betracht die in den Krypten der Tonsillen Bteckenden 
Pfröpfe, der Inhalt ven Lungenkavernen, das Sputum bei Lungengangrän und 
fötider Bronchitis, sowie der fettige Inhalt von Zysten. Ferner verdienen der¬ 
artige Bakterien Berücksichtigung bei der bakteriologischen Untersuchung von 
Milch und Butter. Im Anschlüsse hieran berichtet W. über einige Versuche 
zur Kultur von Smegmabazillen, deren Züchtung bisher noch nicht gelungen 
war. Ausgehend von der Annahme, dass auch dieser Bacillus seine färberischen 
Eigentümlichkeiten dem fetthaltigen Sekrete verdanke, benutzt W. zu seinen 
Versuchen einen Nährboden, der aus Lanolin und MaaBsens einweissfreier 
Nährlösung bestand; es gelang ihm, in diesem eine ßakterienart zu züchten, 
die er für den Smegmabacillus hält._ Dr. Rost-Rudolstadt. 

Versuche über Fütterungstuberkulose bei Rindern und Kälbern. 
Von Prof. Dr. Max Scbottelius. Münchener mediz. Wochenschrift; 1902, 
Nr. 89. 

Die im verflossenen Sommersemester im hygienischen Institut der Uni¬ 
versität zu Freiburg in Br. angestellten Uebertragungsversnche von Tuber¬ 
kulose auf Rinder und Kälber mittels Verfütterung von tuberkulösem Sputum, 
welches pro Tier und Fütterung etwa 50 g teils unter die Milch gerührt, 
teils auf das Grünfutter ausgegossen wurde (24 mal innerhalb 4 Monaten), 
führten zu folgenden positiven Ergebnissen: 

Die Kontrolltiere (1 Kuh und 2 Kälber), welche übrigens während 
der ganzen Versuchsdauer im gleichen Stall neben den infizirten Tieren, 
nur durch einen Lattenschlag von ihnen getrennt, gestanden hatten, waren 
durchaus gesund, sämtliche Organe und namentlich sämtliche Lymph- 
drüsen waren ganz frei von irgend welchen Herderkrankungen und voll¬ 
ständig normal. 

Dagegen wurden alle 3 infizirten Tiere (1 Kuh und 2 Kälber) 
tuberkulös befunden: bei der Kuh tuberkulöse Enteritis und starke 
Schwellung dor Mesenterialdrüsen, ausserdem tuberkulöse Verkäsung und Ver¬ 
kalkung der Mediastinal- und Bronchialdrüsen und eine verkäste tuberkulöse 
Pneumonie nebst vereinzelten Miliartuberkeln in der Pleura. Bei beiden 
Kälbern stark geschwollene tuberkulöse, verkäste und verkalkte Submaxillar- 
drüsen und einzelne tuberkulöse Mesenterialdrüsen. 

Bei allen 3 Tieren waren sämtliche Lymphdrüsen des ganzen Körpers 
auch die Muskellymphdrüsen, stark geschwollen, teils marmorirt geröthet, mit 



Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften. 


283 


blassen — wie nekrotisch erscheinenden — Einsprengungen durchsetzt. Die 
mikroBkopisch-bakteriologische Untersuchung ergab in allen 3 Fällen das Vor¬ 
handensein von Tuberkelbazillen in den erkrankten Teilen. 

Verfasser bemerkt zum Schlüsse noch, dass ihm das Ergebnis der Versuche 
besonders deshalb bemerkenswert erscheint, weil bei der Versuchsanordnung 
jeder ktinstliche, den natürlichen Vorgängen nicht völlig entsprechende Eingriff 
vermieden wurde und die Versuchstiere nur solohen Bedingungen ausgesetzt 
worden, wie dieselben überall, wo ein Schwindsüchtiger mit der Wartung der 
Tiere beschäftigt ist, auftreten können. Nebenbei wird durch diese Versuche 
auch die Tatsache bestätigt, dass die menschliche Tuberkulose auf Rinder 
übertragbar ist, was als ein weiterer Beitrag für die prinzipielle Identität 
der menschlichen und tierischen Tuberkulose dienen kann. 

_ Dr. Waibel-Kempten. 


Ueber einige Zeit- nnd Streitfragen ans dem Gebiete der Tuber¬ 
kulose. Von Prof. Dr. J. Orth in Göttingen (jetzt Berlin). Berliner klin. 
Wochenschrift; Nr. 30 und 34. 1902. 

T. Was ist Tuberkulose? Der Name Tuberkulose, der ursprünglich 
eine Erkrankung bedeutet, die durch die Entstehung von Tuberkeln, d. h. 
Knötchen gekennzeichnet ist, passt nicht mehr für das, was wir nntcr der so 
beseichneten Krankheit verstehen. In der vorliegenden Arbeit wird der Ent¬ 
wicklungsgang der Anschauungen über das Wesen der Tuberkulose näher er¬ 
örtert und herrorgehoben, dass bereits an der Ko oh’sehen Entdeckung des 
Tuberkelbaoillus die Krankheit als Infektionskrankheit erkannt war, nur setzte 
man au Stelle des noch unbekannten „Bacillus toberculosos“ das „Virus tuber- 
culosum“. Ausserdem war besonders durch Cohnheim’s Arbeiten das 
Tuberkelknötchen als das einzige sichere Kriterium der Tuberkulose verlassen 
und das Gebiet der Tuberkulose und die Zahl der tuberkulösen Erkranh ungen 
erweitert worden. Cohnheim hat sie in seiner Abhandlung (1879) anfgezählt. 
Heute müssen wir alle Veränderungen zu der Tuberkulose zählen, die durch 
den Tuberkelbacillus erzeugt werden. Zur Diagnose Tuberkulose gehört aber 
nicht nur der Bazillenbefund, sondern auch der Nachweis, dass morphologische 
Veränderungen vorhanden sind. Erst durch Kombination histologischer, bak¬ 
terieller und experimenteller Untersuchungen ist die heutige Begriffsbestimmung 
der Tuberkulose vorgenommen worden. 

Obwohl in morphologischer Beziehung Verschiedenheiten vorhanden waren, 
bestand die Vorstellung, dass es nur eine Tuberkulose gibt. Verfasser hat 
bereits 1881 vor Entdeckung des Tuberkel - Bacillus mit einer veränderten 
Virulenz des Tnberkelgiftes und mit einer Erhöhung derselben durch Anpassung 
gerechnet. Sollte es sich herausstellen, dass bei den verschiedenen Tierarten 
Bazillen Vorkommen, die nicht nur Anpassungen- und Umzücbtungsverschieden- 
heiten darbieten, also nicht nur Varietäten eines und desselben Organismus 
sind, so würde abermals eine Aenderung des mit dem Worte Tuberkulose zu 
verbindenden Begriffes eintreten müssen, es würde Tuberkulose ein Geltungs¬ 
name für morphologiseh wie ätiologisch verwandte, aher doch nicht identische 
Krankheiten werden. 

II. Was ist Perlsucht? Nebst kurzem Bericht über ex¬ 
perimentelle Uebertragung der menschlichen Tuberkulose 
anf grössere Haustiere. Von Prof. Dr. J. Esser u. Prof. Dr. J. Orth. 

Während schon 1817 (Dupsy) die Perlsucbt als eine Tuberkulose im 
spezifischen Sinne, also als identisch mit der menschlichen Tnberkulose erklärt 
wurde, behauptete Virchow (1865), dass er niemals bei Tieren eigentliche 
Tuberkulose gesehen habe, trennte sie von der menschlichen Tuberkulose völlig 
ab nnd reihte sie dem sogenannten Lymphosarkomen an. 

Die auf dem vorjährigen Tuberkulose - Kongress in London von Koch 
geäusserte Anschauung, dass die Tuberkulose der Menschen sich von der der 
Rinder unterscheidet und nicht auf das Vieh übertragen werden kann, erregte 
grosses Aufsehen, zumal da die durch Koch bei der Perlsucht gefundenen 
Bazillen sowohl in bezug auf ihre Verteilung im perlsüchtigen Gewebe, wie 
auf färberisches und kulturelles Verhalten mit den Tuberkelbazillen des Menschen 
übereinstimmten und in der ganzen zivilisierten Welt zur Unitätsanschauung 
geführt hatten. 



284 


Kleinere Mittheilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Darüber, dass die Perlsncht in allen wesentlichen Punkten mit der 
menschlichen Tuberkulose Ubereinstimmt, man also berechtigt ist, sie ebenfalls 
Tnberknlose zu nennen, besteht kein Zweifel, nnr darüber sind noch Zweifel 
möglich, ob beide Krankheiten völlig identisch oder nnr nahe verwandt sind. 
Verfasser hat nnn im Verein mit dem Direktor des Tierarzneiinstitnts, Geb. 
Med.-Rath Prof. Esser, Uebertragnngsversnche an Kälbern, Schweinen nnd 
Ziegen angestellt, nnd es gelang, menschliche Tnberknlose anf die Tiere zn 
übertragen nnd zwar nicht nnr unter Erzengnng einer örtlichen Wirkung, 
sondern derart, dass eine fortschreitende, tätliche Tnberknlose entstand. Das 
Infektionsmaterial war ans einer mit Pbtbisis cavcrnosa behafteten Lnnge derart 
gewonnen, dass einem Meerschweinchen eine Aufschwemmung des Inhalts einer 
frisch eröffneten Kaverne in die Bauchhöhle injizirt wurde. Nach dem an 
typischer Tnberknlose der Bauchhöhle erfolgtem Tode des Tieres wnrden Ver¬ 
impfungen der zerriebenen Knoten anf verschiedene Nährböden, besonders 
Gehirn vorgenommen. Hier wnchs eine Reinknitor, die nnn besonders in 
Bonilion weitergezüchtet wurde. Zn den Experimenten wurde teils solche 
Bouillonknltnr benutzt, zum Teil ater tuberkulöse Organe (Nierenstücke) von 
Kaninchen, die mit solcher Kultur infiziert worden waren. Diese Tierpassage 
hatte offenbar die Virulenz der Tnbsrkelbazillen gesteigert. 

Durch diese Versuche ist die Kocbe’scfae Behauptung, das die Tnber- 
kuloee des Menschen nicht auf das Vieh übertragen werden könne, widerlegt. 
Andere Experimentoren (Klebs, de Jong, Arloing, v. Behring n. A.) 
haben gleichfalls positive Resultate gemeldet.. Zwischen Perlsncht nnd mensch¬ 
licher Tuberkulose besteht die weitgehendste Uebereinstimmnng in histologischer, 
experimenteller nnd bakteriologischer Beziehung, dagegen ist bis jetzt nichts 
beigebracht worden, was gegen eine Identität der beiden spräche. 

Das von Koch ans menschlichen Tnberkelbazillen bereitete Tuberkulin 
wirkt in gleicher Weise wie anf tuberkulöse Menschen, so auf perlsücbtige 
Rinder ein. Aneh v. Behring (Die Tuberkulose, Arbeiten ans dem Marburger 
Institut, 1902) erklärt das von beiden Bazillen hervorgebrachte Gift für che¬ 
misch nnd physiologisch gleich. Die Identität der beiden tuberkulösen Erkran¬ 
kungen bei Mensch nnd Tier mnss angenommen werden, wenn auch noch nicht 
der Beweis geliefert ist. dass die Rindertuberkulose anf den Menschen über¬ 
tragen werden kann; aber es scheinen auch jetzt schon Tatsachen znr Genüge 
vorzuliegen, die es im höchsten Grade wahrscheinlich machen, dass Uebertra- 
gung möglich ist, nnd so lange auch nur die begründete Möglichkeit dazu be¬ 
steht, dürfen keinerlei Vorbengungsmassregeln vernachlässigt werden. Die 
Gefahr der Perlsnchtsübertragung ist allerdings nicht allein abhängig von der 
Uebertragung der Bazillen, sondern auch von der Konstitution des Menschen, 
anf den sie ein wirken. Dr. Räuber-Düsseldorf. 


Uebertragung der Tuberkulose des Menschen auf das Rind. Von 
Dr. Johannes Fibiger. Prof, der pathol. Anatomie an der Universität zn 
Kopenhagen und C. 0. Jensen, Lektor der allg. Pathologie nnd der pathol. 
Anatomie an der Königl. tierärztl. nnd landwirtscbaft). Hochschule zn Kopen¬ 
hagen. Berliner klin. Wochenschrift; 1902. Nr. 88. 

Die Verfasser untersuchten, ob die Bazillen von Tuberknlosefällen mit 
besonderer Lokalisation in den Verdanungsorganen, z. B. aus chronischer Darm- 
tuberknlose, sich anders verhielten, als es mit den Tuberkelbazillen des 
Menschen gewöhnlich der Fall ist. und ob sie möglicherweise durch ihre grössere 
Virnlenz für das Rind ihre bovine Herkunft verraten würden. Insbesondere 
waren es 8 Fälle von primärer Darmtnherkulose bei Kindern, die unsrer anderen 
zur Verwendung kamen. Die Impfungen von diesen Fällen anf Kälber legten 
dar, dass die vorhandenen Bazillen virulent, sogar in höchstem Grade virnlent 
für Kälber waren, die Kälber starben. Die Ansicht liegt nahe, dass die Krank¬ 
heitsfälle wirklich von einer Infektion mit Bazillen herrührten, die vom Rinde 
stammten. Verfasser fassen die 8 Fälle als „Perlsncht“ anf und glauben die 
Behauptung von der Unschädlichkeit der Tnberknlose des Rindes für den 
Menschen widerlegt zn haben. Dr. Ränber-Düsseldorf. 



Kleinero Mittheilnngen and Referate ans Zeitschriften. 


286 


Ueber die Bedeutung der Zigarren und besonders der Stummel 
derselben im Hinblick auf die Verbreitung der Tuberkulose. Experi- 
mentalnntersnchnngen von Dr. Luigi Peserico, Assistent. Ans dem hygieni¬ 
schen Institut der König!. Universität Padua. (Unter Leitung des Professors 
A. Serafini.) Archiv f. Hygiene; Bd. 44, H. 8. 

Peserico implantierte Meerschweinchen Teile von Stummeln solcher 
Zigarren, welche von Tuberkulösen geraucht worden waren, sowie frischen 
Zigarren entnommene Tabakshlätter, andere impfte er mit Zigarrenstummel- 
anfgU8s, dem er tuberkulöses Sputum zngesetzt hatte, und konnte Folgendes 
feetstellen: 

Die Stummel der von Schwindsüchtigen gerauchten Zigarren vermögen 
die Tuberkulose mit Sicherheit unmittelbar, nachdem sie geraucht sind, und 
selbst bis zu zwei Wochen nachher, wenn sie trocken aufbewahrt sind, zu 
übertragen. 

Dagegen verlieren sie, feucht bezw. unter Bedingungen aufgehoben, nnter 
denen sie sich aaf der Strasse oder in Kaffees finden, diese Infektionskraft in 
spätestens 10 Tagen. In einem Tahaksanfgnss halten sich die Tuherkelbazillen 
ebenfalls wenigstens 8*Tage lebensfähig und virulent: es ist. hier eine mit der 
Länge der Zeit deutlich abnehmende Virulenz und Lebensfähigkeit zu beob¬ 
achten. 

Die Untersuchung frisch gekaufter Zigarren ergab in keinem Falle die 
Anwesenheit von Tuherkelbazillen. Ueberhaupt war die Zahl der in Zigarren 
und Zigaretten eefnndenen Mikroorganismen gering, stets fanden sich nur 
wenige Schimmelpilze, Staphylokokken, Kartoffelbazillen und Proteusarten. 

Dr. Lentz-Berlin. 


Die Auswahl der Kranken für die Lungenheilstätten und die 
frühzeitige Erkennung der Lungentuberkulose in der ärztlichen Praxis. 
Von Privatdozent Dr. Kurt Brandenburg in Berlin. Berliner Klinik. 
Fi sc her’s mediz. Bucbhandl. Juli 1902. Heft 169. 

Der Schwerpunkt der Diagnostik der Spitzenerkrankung liegt auf kli¬ 
nischem Gebiete. Wichtig ist aus der Vorgeschichte die Kenntnip, oh eine 
örtliche oder allgemeine Empfänglichkeit für die Entwicklung der Lungen¬ 
schwindsucht anznnebmen ist; oh der Kranke längere Zeit hindurch mit schwind¬ 
süchtigen Personen gelebt, gewohnt, in dem gleichen Baume geschlafen oder 
gearbeitet bat. Die verschiedensten schwächenden Beize können eine vor¬ 
handene Krankbeitsanlage auplösen oder eine Empfänglichkeit schaffen. 

Die ersten Symptome der Erkrankung sind sehr unbestimmt. Vermin¬ 
derte Leistungsfähigkeit bei der Arbeit, groseep Buhehedürfnis und Mattigkeit, 
dauernde Appetitlosigkeit, Abmagerung, Kopfschmerzen sind die allgemeinen 
Klagen. Bemerkbar wird eine unerklärliche flescbäftipkeit. in dem veränderten 
Gemütsleben zeigen 'sich Reizbarkeit und Verdriesslicbkeit. Fast jeder Phthisiker 
bat nervöse Störungen, Herzklopfen und unregelmässige Herztätigkeit, Be¬ 
schleunigung des Pnlses. Die Hautdecken sind oft leicht zyanotisch und auffal¬ 
lend blass und zart, ohne das Chlorose vorliegt. Differentialdisgnostisch spricht 
Gewichtsabnahme für Phthisip. Verdächtig sind ferner Neigung zu Schweissen, 
schlechter Schlaf, Schwankungen in der Körperwärme, Störungen an den Ver- 
daunngsorganen, besonders deB Appetites; das Gefühl von Druck auf der Brust, 
Seitenstechen auf einer 8eite oder zwischen den Schultern. Kurzatmigkeit 
nach geringen Körperanstrengnngen; Husten, besonders das Auftreten von Blut 
im Answurf. Nicht, selten findet, sieh einseitige chronische Laryngitis oder 
habnenkarnmartige fnngöse Erhabenheiten der hinteren Keblkopfawand ; seltener 
beobachtet ist eine mäsaige Eiweissausscheidnng im Urin hei blassen, jugend¬ 
lichen Personen und ohne erkennbare Veranlassung. 

Auf der ersten Stufe der Krankheit, besteben vielfach bereits Ungleich¬ 
heiten in der Ansdebunng des Brustkörben auf beiden Seiten während der 
Atmung, ein Zurückbleiben der einen Seite in ihren oberen Teilen. Durch die 
Verdichtung und Verkleinerung der Lungenspitze erscheint der Perknssions- 
sohall dumpfer und leerer, die Ausdehnung und Luftfüllung bei der Einat¬ 
mung ist beschränkt, dadurch das Gebiet des hellen Schalles über der Lungen¬ 
spitze verkleinert.^ Eine tiefe Einatmung verschiebt 1 die Grenzen nioht 



286 


Besprechungen. 


wesen Hieb. Bei der Auskultation ist in erster Linie wertvoll der Nachweis 
einer Veränderung des Atmungsgeräusches Ober der einen Spitze. Das Geräusch 
bei der Einatmung ist zaweilen deutlich abgeschwächt und undeutlicher als 
ttber der anderen; daneben fällt ein hauchendes und vetlängertes Geräusch 
während der Atmung auf. Nebengeräusche bei der Atmung werden meist 
als spärliches oder reichlicheres feines Rasseln gehört. Die störenden Neben* 
geräusche durch Muskelkontraktionen und Gelenkverschiebungen werden am 
besten bei mässig vertiefter Atmung nach dem costo - abdominalen Typus 
vermieden. Bei der grossen Mehrzahl der Kranken im ersten Stadium der 
Lungenschwindsucht ist der Auswurf gewöhnlich nicht bazillenhaltig; wo es 
gelingt, Tuberkelbasillen in Masse zu findeo, gibt die physikalische Unter¬ 
suchung gewöhnlich die Erscheinungen ausgedehnter Infiltration und be¬ 
ginnenden Zerfalls in den Lungen. Die Anwendung des Tuberkulin dürfte 
für den Arzt in der praktischen Tätigkeit, um das Frühstadium einer Lungen¬ 
tuberkulose zu erweisen, im allgemeinen eine beschränkte sein und sich vor¬ 
züglich bei denjenigen Fällen bewähren, wo durch besondere erschwerende Um¬ 
stände die physikalischen Methoden und eine längere und sorgfältige klinische 
Beobachtung im Stiche lassen oder nicht durchgefQhrt werden können. Fälle, 
bei denen man mit den diagnostischen Mitteln eine Erkrankung nicht fest¬ 
stellen kann, sollen nicht in eine Lungenheilstätte gebracht werden; auch eignet 
sioh die Anstaltsbehandlnng nicht für alle Individuen. Alle Kranke, bei denen 
eine länger dauernde Erwerbsfähigkeit voraussichtlich nicht erreicht werden 
kann, sind von der Behandlung auszuscbliessen, wobei die Beobachtung des 
Allgemeinzustandes und die physikalische Untersuchung massgebend ist. Un¬ 
geeignet für die Heilstättenbehandlung sind die Kranken, bei denen die Dämpfung 
auf beiden Seiten die 2. Rippe überschreitet, also die Infiltration beider Ober¬ 
lappen anzeigt und bei denen die auskultatorischen Erscheinungen der Er¬ 
weichung und ausgedehnten Verdichtung gehört werden oder gleichzeitig tuber¬ 
kulöse Erkrankungen in anderen Organen vorhanden sind. Die Erreichung 
eines Dauererfolges kann durch die vorübergehende Heilstättenbehandlung nur 
erreicht werden bei einer durchgreifenden Aenderung der Lebensverhältnisse 
der Kranken. Dr. Ru mp-Recklinghausen. 


Besprechungen. 

Stutirst Prof. Dr. Kobert- Rostock: lieber die Schwierigkeiten, 
bei der Auslese der Krankheiten für die Tolkslungenheilst&tten 
und ttber den Modus der Aufnahme in dieselben. Stuttgart 1902. 
Verlag von F. Enke. Gr. 8°; 148 8. 

K. hatte die vielumstrittene und seitgomässe Frage betreffend die Aus¬ 
lese der Kranken für die Heilstätte zum Thema des vom Aerzteverein zu 
Rostock gewünschten Vortrages gewählt. Zu diesem Zwecke richtete Verfasser 
an 81 Landes - Versicherungsanstalten und 9 Kasseneinrichtungen, die auf 
gleichem Gesetz wie jene beruhen, sowie an die ärztlichen Leiter von 40 deutschen 
Volksinngenheilstätten einen Fragebogen mit folgenden drei Fragen: I. Welchen 
höchsten Grad von Tuberkulose lassen Sie für das Heilverfahren noch zuP 

II. Genügt Ihnen ein Attest des Haus- oder Kassenarztes? Falls nicht. 

III. Welcher Vorprüfung und durch wen muss der Patient unterzogen werden, 
ehe das Heilverfahren übernommen wird? In der vorliegenden Schrift werden 
die eingegangenen Antworten in extenso gesondert für Frage I sowie für 
Frage II und III wiedergegeben, und im Anschluss daran die verschiedenen 
für das Aufnahmeverfahren gebräuchlichen Formulare zum Abdruck gebracht. 
So mühevoll für den Autor dieser auch bei anderer Gelegenheit von ihm geübte 
Modus, zu einem möglichst objektiven Urteil zu kommen, gewesen ist, so un¬ 
erfreulich muss m. E. das Ergebnis dieser Zusammen- und Nebeneinander- 
Stellungen für die an der Heilstättenfrage beteiligten Versicherungsanstalten, 
KassenVorstände und Aerzte sein; denn in allen Fragen, fast in allen einzelnen 
Punkten sind noch heute trotz der vielen darüber gepflogenen Verhandlungen und 
erschienenen Schriften widerstreitende Ansichten, sogar krasse Widersprüche. — 
Ist es da wunderbar, wenn noch so viele Theoretiker und Praktiker unter den 
Aersten kopfschüttelnd beiseite stehen und von den Heilstätten nichts wissen 



Besprechungen. 


287 


wollen ? Möchte K o b e r t s Schrift zur Ausgleichung der erheblichen Differenzen 
im eignen Lager anregen und beitragenl Dr. R o e p k e -Lippspringe. 


Dr. Kann, Assistenzarzt an der Provinzial • Hebaimuenlehranstalt in Pader¬ 
born : Leitfaden über die Pflege der WOchnerin nnd des Sftug- 
llngs. Verlag der Junfermannsehen Bachhandlang za Paderborn. 12 0 ; 
118 3. Preis: 2 Mark. 

Der Leitfaden berücksichtigt im grossen ganzen alle die bei der Unter¬ 
weisung von Wochenbettpflegerinnen in Betracht kommenden Punkte. Der 
Lehrstoff ist übersichtlich eingeteilt nnd geordnet, die Darstellung erschöpfend 
und vor allem gemeinverständlich. Insbesondere ist die wichtige Frage der 
8tellang der Wochenbettpflegerinnen zur Hebamme and zam Arzt sowie der 
Umfang ihrer Tätigkeit in einer Weise behandelt bezw. abgegrenzt, dass man 
sich damit nar einverstanden erklären kann. Vermisst habe ich eine für den 
Laien verständliche, ausführlichere Schilderung des Wochenbettfiebers, das bei 
dem Abschnitt über Ansteckung und Desinfektion (S. 14 u. folg.) nur kurz er¬ 
wähnt ist; denn eine Wochenbettpflegerin muss zweifellos gerade nach dieser 
Bichtang hin derartig unterrichtet sein, dass sie schon bei den ersten Krank¬ 
heitserscheinungen auf die Möglichkeit von Wochenbettfiber aufmerksam wird. 
Temperaturen von 38—38,5° (in der Achselhöhle gemessen) sind weiterhin m. E. 
nicht als „hoch n o r m a 1“ (s. S. 33) und solche von 38,6—39° C. nicht als 
„leicht fieberhaft“, sondern als „leicht fieberhaft“ bezw. als „fieberhaft“ anzu¬ 
sehen, namentlich, wenn gleichzeitig eine Vermehrung der Pnlsschläge oder 
mangelhaftes Allgemeinbefinden besteht; jedenfalls hätte auf diese beiden 
Pankte besonders aufmerksam gemacht werden müssen. 

Ebenso wie im Hebammenlehrbuch sollte Kresolseifenlösung und nicht 
Lysol in erster Linie neben Karbolsäure als Desinfektionsmittel empfohlen 
(s. S. 19) werden. Die Ansicht, dass eine Wochenbettpflegerin die Wobnnngs- 
desinfektion, wenn auch nur für den AusnAbmefall, übernehmen soll (S. 24), 
wird sicherlich vielfach auf berechtigten Widersprach stossen. Es genügt, 
wenn die Pflegerin die Desinfektion veranlasst und sie vielleicht überwacht. 
Deshalb ist es aber ganz zweckmässig, wenn sie, wie Verfasser vorschllgt 
darin unterrichtet wird. 

Auch mit dem Speisezettel für gesunde und kranke Wöchnerinnen 
dürften sich manche Aerzte nicht einverstanden erklären und namentlich die 
Empfehlung von „rohem geschabten Fleisch“ sowie die ausserordentlich 
kräftigen verschiedenen Fleischbrühen, Eier mit Cognak u. s. w. als „Fieber¬ 
diät“ beanstanden. 

Der sehr eingehend und sachgemäss bearbeitete Abschnitt über künst¬ 
liche Ernährung bringt m. E. zu viele verschiedene Methoden und kann infolge¬ 
dessen gerade bei den Wochenbettpflegerinnen sehr leicht zur Unsicherheit und 
Verwirrung führen. 

Wenn Verfasser die vorstehenden Pankte bei der voraussichtlich recht 
bald notwendigen zweiten Auflage seines Leitfadens berücksichtigt, dann wird 
derselbe sicherlich an Brauchbarkeit gewinnen nnd die Verbreitung in den be¬ 
teiligten Kreisen finden, die er entschieden verdient. Bpd. 


Dr. Joseph Klein: Elemente der forensisch-chemischen Aua- 
miuelong der Gifte. Ein Hilfsbuch für Studierende und kurzes Nach- 
scblagebucti. Zweite verb. Auflage. Mit 10 Abbildungen. Hamburg nnd 
Leipzig 1902. Verlag von Leopold Voss. Kl. 8°; 124 S. Preis: 2,60 M. 

Nach einleitenden Bemerkungen, in denen auch die einzelnen Unter- 
suchungsmethoden besprochen werden, geht der Verfasser daran, die einzelnen 
Gifte nachzuweisen. Er beginnt mit dem Nachweise der am leichtesten zer¬ 
setzbaren Gifte; dann folgen die weniger leicht zersetzbaren (Alkaloide) und 
endlich kommen die beständigen Gifte (Metallgifte) an die Reihe. Ein Anhang 
beschäftigt sich mit der Identifizierung organischer Arzneistoffe und dem 
Nachweise einiger offizieller Präparate und der Oxalsäure. 

Das kleine Werk ist praktisch und übersichtlich zusammengestellt, der 
spröde Stoff ist in eine recht annehmbare Form gebracht, und kann das Buch 
als Hilfs- und Nachschlagebuch — was es ja sein will — nur empfohlen werden. 

Dr. Hoffmann-Elberfeld. 



388 


Tagesnach richten. 


Tagesnachrichten. 

Aus dem Reichstage. In der Sitzung vom 16. März werden ver¬ 
schiedene Petitionen nm Erlas« eines Gesetzes, betreffend die reichsgesetz- 
liehe Regelnng des Verkehrs mit Arznei- nnd Geheimmitteln, dem 
Reichstage znr Berücksichtigung überwiesen. In den Petitionen werde nm 
Freigabe von Brnstpnlvern, Brnsttee. St. Germaintee, Holztee, Rhabarber n.s.w. 
gebeten; dieAbg. Dr. Müller-Meiningen nnd Dr. Lenzmann befürworteten 
die Petitionen, von seiten des Regiernngsvertreters wnrde dagegen erklärt-, 
dass nach Erlass der nenen Kaiserlichen Verordnung vom 22. Oktober 1901 
erst weitere Erfahrungen abgewartet werden müssen, nnd daher jene Wünsche 
vorläufig nicht berücksichtigt werden könnten. In derselben Sitzung wnrde 
der Regiernng anch eine Petition nm Verbot medizinischer Eingriffe bei 
Menschen zn anderen als Heilzwecken znr Erwügnng, nnd eine Petition 
nm reichsgesetzliche Regelung des Irrenwesens nnd Aendernng des 
Entmündigungsverfahrens als Material überwiesen. 

Nach den dem Reichstage am 14. M8rz zngegangenen Ausführung«- 
bestimmungsn znm Süssstoffgesetz liegt die Durchführung der Gesetzes¬ 
bestimmungen den Behörden, welche die Zölle der indirekten Stenern ver¬ 
walten, oh. Znr Herstellung von 8ttssstoff vorbehaltlich des Widerspruchs ist 
die Saccbarinfabrik vormals Fahlberg-List&Co. in Salbke-Westerhüsen 
ermächtigt, deren Betrieb amtlich überwacht wird. Sie darf im Inlande nicht teurer 
als für 80 Mark pro Kilogramm raffinierten Saccharin nnd nnr gegen amtlichen 
Bezugsschein nnd vorschriftsmüssigen Bestellzettel verkaufen. Die Aus¬ 
fuhr ist der Fabrik gestattet. Apotheker und znm Bezug von Süssstoffen lant 
Gesetz ermächtigte Personen müssen jedes Jahr bei der Steuerbehörde sich 
einen Bezugsschein ansstellen lassen. Die Inhaber solcher Scheine können den 
SüssBtoff unmittelbar aus der Fabrik oder Apotheke beziehen. Ausser gegen 
Bezugsschein und Bestellschein dürfen die Apotheker nnr auf Anweisung eines 
Arztes, Zahnarztes oder Tierarztes, nnd dann nicht mehr als 50 g auf einmal 
abgeben. Süssstofftüfelchen von höchstens 100 facher Süsskraft von nicht mehr 
als 25 Stück mit zusammen nicht über 0.4 g Gehalt von reinem Süssstoff dürfen 
in Fabrikpacknng auch ohne ärztliche Anweisung verabfolgt werden. Ueber 
den Verbleib hat der Apotheker ein besonderes Buch — Sflssstoff- Ansgabe- 
bnch — zu führen. Anch die unter Verwendung von Sttssstoff hergestellten 
Nahrungs- nnd Gennssmittel dürfen znm Wiederverkauf nnr an Apotheken, 
sowie an solche Abnehmer, welche damit zubereitet« Waren ausdrücklich ver¬ 
langen, nnd nnr in Äusseren Umhüllungen oder GefÄssen abgegeben werden, 
welche an in die Angen fallender Stelle die deutliche, nicht verwischbare In¬ 
schrift „Mit künstlichem Süssstoffe znbereitet. Wiederverkauf ausserhalb der 
Apotheken gesetzlich untersagt.“ tragen. 

Die Krankenversicbernngskommission des Reichstages bat die erste 
Lesung des Artikels I der Novelle zn Ende geführt; alle AbSndernngsan- 
trftge wurden entweder zurückgezogen oder abgelebnt, so dass es überall bei 
der Regierungsvorlage blieb. Die Kommission nahm eine Resolution des Ahg. 
Rö s icke -Dessau an, die die baldige Ausdehnung der Krankenversichernng 
auf die land- nnd forstwirtschaftlichen Arbeiter, die Hausindustrie, die Hand¬ 
lungsgehilfen, Lehrlinge nnd auf die Dienstboten verlangt, sowie eine Reso¬ 
lution des Abgordneten Trimborn, die die Regiernng ersucht: 1. Dem 
Reichstage tunlichst bald, womöglich in der nächsten Session, einen Gesetzent¬ 
wurf znm Zwecke einer eingehenden nnd gründlichen Reform des Krankenver¬ 
sicherungsgesetzes vorznlegen. 2) Tn Vorbereitung dieser Vorlage Vorständen 
der Krankenkassen, wie auch den Vertretungen des Aerr.testandes Gelegenheit 
znr Geltendmachung ihrer Anschauungen und Wünsche zn geben nnd ihnen 
soweit wie möglich gerecht zu werden. 3) Besonders in Erwägung darüber 
einzntreten. ob sich nicht die Bildung von ständigen Kommissionen je ans 
gewählten Vertretern der Krankenkassen Vorstände nnd der Aerzte unter einem 
neutralen Vorsitzenden empfiehlt, welchem die Regelung der ärztlichen Be¬ 
handlung nebst Festsetzung eines Tarifs der Honorierung, sowie die Entschei¬ 
dung bezüglicher Streitigkeiten obliegt, mit der Massgabe, dass alle Aerzte, 
welche sich dieser Regelung unterstellen, als Kassenärzte gelten. 



X Tagesnachrichten. 


289 


Au dem preusisohen Abgeordnetenh&uze. Bei Beratong des 
Kultnsetats fragte dor Abg. Kopsoh (frs. Volaspartei) in der Sitzung vom 
9. März an, in welchem Stadium sich die frage der Abtrennung der Medi- 
zina.1 Verwaltung vom Kultusministerium, und UeberWeisung derselben 
an das Ministerium des Innern befinde. Der Kultusminister erwiderte, 
„dass die Angelegenheit noch nicht zu einem bestimmten Abschlüsse gelangt 
aeL Inzwischen nabe er sein lebhaftes Interesse Ittr die Aufgaben der Medi¬ 
zinal Verwaltung dadurch betätigt, dass er mit vollem Nachdruck diejenigen 
Gesetzesvorlagen gefördert habe, welche dem Abgeordnetenhause auf dem Ge¬ 
biete der Medizinal Verwaltung jetzt zur Beschlussfassung vorliegen. Es seien 
ausserdem allgemeine Anordnungen noch im Gange, welche dieses Verwaltungs¬ 
gebiet tunlichst vollkommen ausgestalten sollen.“ 

In den späteren Sitzungen vom ld. und 16. März berührt sodann der 
Abg. Dr. Irmer (kons.) die Frauenfrage, und sprach sich entschieden gegen 
die Gründung von Mädihengywnasien aus; man müsste dann konsequenter 
Weise die Frauen zu allen gelehrten Berufen freilassen und ihnen politische 
Rechte gewähren. Zu empfehlen sei ihre Betätigung in der Heilkunde, aber 
nicht in deren ganzem Umfange, sondern nur auf dem Gebiete der Geburtshilfe; 
dadurch werde das Ansehen der Hebammen wachsen. Der Kultusminister teilte 
die Befürchtungen des Vorredners nicht, desgleichen hielten die Abg. Müller 
(freiB. Volksp.) und Dr. Friedberg (natl.), Ernst (freie. Vereinig.) die Er¬ 
richtung von Mädchengymnasien für angezeigt, und traten besonders dafür ein, 
dass den Frauen das medisinische Studium gestattet werde; denn weibliche 
Aerzte, namentlich Frauenärzte, seien eine ethische und sanitäre Notwendigkeit. 

Bei Beratung des itledizinaletats am 18. und 19. März kamen folgende 
Fragen zur Erörterung'): 

1. ln Bezug aaf die Stellung and amtliche Tätigkeit des Kreis¬ 
arztes erkannten zunächst die Abg. Dr. Ruegenberg (Zentr.) und Dr. Mar¬ 
tens (natl. lib.) die beabsichtigte Umwandlung aller Kreisarztstellen zu Berlin 
in vollbesoldete dankend an and sprachen den Wunsch aus, dass mit der Um¬ 
wandlung der nicht voll besoldeten Kreisarztsteilen m vollbesoldete überhaupt in 
schnellerem Tempo vorgegangen werde. Von seiten der Abg. Wallenborn 
(Zentr.) und v. Kölscher (Rons.) wurde ebenso wie in der Budgetkominission 
darüber Klage geführt, dass die KreiBärste sich vielfach durch Uebereifer und 
zu vieles Reglementieren unbeliebt machteu, und dies voraussichtlich nachdem 
Inkrafttreten des preuss. AuafübrungsgeBetzes zum Reichsseuchengesetze in noch 
erheblicherem Masse der Fall sein werde. Sie erkannten zwar den grossen 
Eifer der Kreisärzte, ihre Befugnisse nach bestem Gewissen aaszuführen, an, 
waren aber der Ansicht, dass sie vielfach Anforderungen an die Gemeinden 
stellten, die diese zu erfüllen nicht imstande seien. Wenn der Kreisarzt jetzt 
naoh irgend einem Orte seines Bezirkes komme, entstehe Sorge and Unruhe 
betreffs der möglicherweise von ihm za treffenden Anordnungen, während 
eigentlich Über ihr Erscheinen stets Freude herrschen solle, da sie doch be¬ 
rufen seien, der Ausbreitung von Kraukheiton entgegenzutreten. Die genannten 
Abgeordneten baten deshalb den Herrn Minister, alles in dieser Hinsicht zu 
beseitigen, was zu einer Beunruhigung in den beteiligten Kreisen Veranlassung 
geben könnte. 

Der Medisinalminister Dr. Stadt erklärte Bich hierzu bereit, möchte 
aber vor dem Lande nicht die Meinung anfkommen lassen, als ob die Dienst¬ 
anweisung für die Kreisärzte begründeten Anlass zur Beunrubignng hinsicht¬ 
lich der Tätigkeit derselben geben könne. In dieser Anweisung handelt es 
sich nicht um administrative oder polizeiliche Befugnisse, die von den Medi¬ 
zinalpersonen ausgeführt werden könnten, Bondern im wesentlichen nur um 
Vorschläge, die von ihnen an die beteiligten Behörden gerichtet werden sollen 
und da heisst es im §. 38: „Die Vorschläge zur Abstellung von Missständen 
sind in eingehender und überzeugender Weise zu begründen. Sie müssen den 
g gebenen Verhältnissen, insbesondere den zu Gebote stehenden finanziellen 
Mitteln der Gemeinde oder des sonstigen Zahlungspflichtigen Verbandes Rech 
nung tragen und sollen unter Berücksichtigung vorhandener praktischer Er- 


') Ueber die Verhandlungen ist nachstehend auf Grund des stenogra¬ 
phischen Berichtes referiert und zwar nach den einzelnen Materien, nicht nach 
der Reihenfolge der Redner. 



290 


Tagesnachriohten. 


f&hrungen nicht ttber das Maas des vorhandenen Bedürfnisses hin ausgeh en. 44 
Der Wortlaut dieser Anweisung kann daher nicht den Anlass zn der Annahme 
bieten, als ob durch das Kreisarztgesetz und durch die Ausführungsanweisungr, 
die seitens der Ministerialinstanz erlassen worden ist, eine Anregung für eine 
Tätigkeit der Kreisärzte gegeben worden wäre, welche in hohem Masse Beun¬ 
ruhigung im Pablikum hervorzurufen geeignet ist. Gerade das Gegenteil geht 
aus dieser Ausführungsanweisnng hervor, jedenfalls würde es den In¬ 
tentionen der Zentralinstans nicht entsprechen, wenn über 
das MasB dieser Weisung hinaus an die Gemeinden übermässige 
Anforderungen gerichtet werden sollten. Bis jetzt seien übrigens 
einzelne Fälle in der Zentralinstanz nicht bekannt geworden; auf allgemein 
gehaltene Beschwerden einzugeben, liege kein Grund vor. Der Herr Minister 
weist dann weiterhin darauf hin, dass sich die beiden Vorredner insofern in 
einem Irrtum hinsichtlich der Tragweite der Vorschriften des Entwurfs eines 
preussischen Ausführungsgesetzes zum Reiohsseuchengesets befänden, alB hier 
nirgends den Kreisärzten eine so weitgehende Machtvollkommenheit einger&umt 
sei, wie von ihnen behauptet ist. Nnr wenn Gefahr im Verzüge ist, könne 
im Einzelfalle von dem Kreisärzte eine vorläufige Anordnung getroffen werden. 
Das sei aber durchaus nichts Neues, denn sowohl in dem Kreisarztgesetz, wie 
namentlich auch in dem Reichsseuchengesetz sei dies schon vorgesehen. Die 
Polizeibehörde, sei es dio Vorgesetzte Aufsichtsinstanz, also die Landespolizei¬ 
behörde, sei es die Ortspolizeibehörde, sei jederzeit in der Lage, wenn die von 
dem Kreisarzt gestellten Anforderungen zu übermässig sein sollten, denselben 
entgegenzutreten. Im übrigen habe der Kreisarzt durchaus nicht Exekutive; 
er habe sich vielmehr im wesentlichen auf Ratschläge, Anregungen und Be* 
richterstattung zu beschränken. 

Abg. 0. Martens (natl. lib.) betont, dass ihm aus eigener Erfahrung 
keine Fälle bekannt seien, in denen die Kreisärzte zu viele und zu kostspielige 
Anordnungen veranlasst hätten. Man dürfe auch nicht vergessen, dass aller- 
wärts noch bedeutende sanitäre üebelstände herrschten und dass es von den 
Kreisärzten nicht zu verantworten wäre, wenn sie nicht darauf aufmerksam 
machten. Wenn ihr Uebereifer wirklich einmal zu gross sein sollte, so 
seien immer die Behörden da, um diesen zu zügeln; im allgemeinen sei aber 
der übereifrige Beamte, der bin und wieder etwas zurücbgehalten werden 
müsse, immer noch viel besser als der Beamte, der sich durch Schlaffheit aus¬ 
zeichne und fortwährend eines SpornB bedürfe. Dass die Gemeinden ttber die 
mit Kosten verbundenen Anordnungen des Kreisarztes nicht immer entzückt 
seien, sei begreiflich, es liege dies hauptsächlich auch daran, dass sanitäre Er¬ 
richtungen überhaupt oft auf Widerspruch stiessen, weil eben ihre segensreichen 
Folgen nicht so schnell in die Augen springen. 

Abg. Dr. Ruegenberg (Ztr.) machte auf die Unzuträglichkeiten, 
die sich aus der bisherigen Stellung der besonderen Geriohtsärzte 
durch Zuziehung der Kreisärzte seitens der Kriminalpolizei bei der Unter¬ 
suchung von Vergehen oder Verbrechen ergeben, aufmerksam; desgleichen bat 
er, die Geriohtsärzte stets zu Anstaltsärzten bei den betreffenden Gerichts¬ 
gefängnissen zu bestellen. 

Abg. Kirsch (Ztr.) bemängelte, dass die Kreisärzte bei der Auf¬ 
nahme von Geisteskranken, Epileptischen in Privatirrenan¬ 
stalten nicht immer als Sachverständige entweder vor oder nach der Auf¬ 
nahme zugesogen werden, sondern die Aufnahme vielfach auf das Attest jedes 
beliebigen Arztes erfolge. H. Ministerialdirektor Dr. Förster bedauert, dass 
durch Nichtbenennung dieser Anstalten der Aufsichtsbehörde die Möglichkeit 
entzogen werde, die Fälle festzustellen und eventuelle Korrektur eintreten 
zu lassen. 

2. Eine Anfrage des Abg. Dr. Martens (nat.*lib.) wie es mit der 
beabsichtigten Auflösung oder Reform der veralteten Einrichtung der Provin- 
xial-Medizinalkollegien stände, wurde von dem Ministerial - Direktor Dr. 
Förster dahin beantwortet, dass das Medizinaiministerium die Reform- 
bedürftigkeit dieser Kollegien anerkenne und bereits Verhandlungen über eine 
Reform derselben in die Wege geleitet seien. 

8. Betreffs der Unterstützung der auf Wartegeld gestellten Medi¬ 
zinalbeamten, deren zufriedenstellende Regelung seitens des Abg. Dr. Martens 



Tagesnacbrichten. 291 

anerkannt wurde, hat der Regierungsvertreter in der Kommission folgende 
Antwort gegeben: 

„Die im vergangenen Jahre ansgesprochene Befürchtung, dass der Betrag 
▼ob 50000 Mark nicht aasreichen werde, nm die zur Verfügung gestellten 
Medizinalbeamten einigermassen erträglich zu stellen, hat sieb nicht bestätigt. 
Oer Betrag hat mehr als zugereicht, wie sich aus nachstehenden Mitteilungen 
ergeben dürfte. Von den am 1. April 1901 zur Verfügung gestellten 86 Phy¬ 
sikern sind inzwischen 18 gestorben, sodass zur Zeit noch 68 Physiker als 
Wartegeldempfänger vorhanden sind. Von diesen erhalten 42 laufende Bei¬ 
hilfen in Höhe von jährlich 800 Mark bis zu 1600 Mark, die als laufende 
Unterstützungen auf Widerruf, jedoch nicht über den Endpunkt der Zeit der 
Znrdi spositionsstellung, d. h. über den 31. März 1906 hinaus, bewilligt worden 
sind und gleich dem Wartegeld in vierteljährlichen Raten im voraus gezahlt 
werden. Der Durchschnitt an Wartegeld und Unterstützung stellt sich bei den 
mit Beihilfen bedachten Physikern auf rund 2100 Mark. Der Grund, weshalb 
26 Physiker keine Berücksichtigung gefunden haben, litgt darin, dass ein Teil 
derselben auf Beihilfen ausdrücklich verzichtet hat, dass andere eine empfind¬ 
liche Einkommensetnbussc durch die Zurdispositionstellung überhaupt nicht 
erlitten haben und wieder andere sich in besonders günstigen Vermögensver- 
h&ltnissen befinden. Ferner sind auch 10 zur Verfügung gestellten Kreiswnnd- 
ärzten mit Rücksicht anf ihre bedürftige Lage laufende Zuwendungen in Höhe 
▼ob je 300 Mark bis zu 1200 Mark aus dem Fonds von 50 000 Mark bewilligt 
worden.“ 

4. Von Seiten des Abg. Dr. Langerhans (freis. Volksp.) worden die 
gesetzlichen Bestimmungen über die ärztlichen Ehrengerichte, sowie die 
bisherige Urteilssprechnng der Ehrengerichte und des Ehrengerichtshof unter 
Anführung einer Anzahl derartiger Urteile bemängelt; die Ehrengerichte seien 
za Disziplinargerichten für die Aerzte geworden. Ebenso verurteilte er das 
den Aerztekammern eingeräumte Becht, Umlagen auch von dem Privatver¬ 
mögen der Aerzte, sowie von den Aerzten zu erheben, die keine Privatpraxis 
mehr ausüben. Abg. Eckert (freikons.) stimmte dem Vorredner in Bezug anf 
das Umlagerecht in allen Pankten bei, und wies namentlich auf den Missstand 
bin, dass pensionierte, nicht einmal wahlberechtigte und dem ärztlichen Ehren¬ 
gerichte nicht unterstehende Aerzte ebenfalls zu den Umlagen herangezogen 
werden könnten. Die ministerielle Anordnung, dass von diesen Aerzten nicht 
der volle Betrag erhoben werden solle, treffe den Kern der Sache nicht; diese 
Aerzte wollen kein Nachlass, kein Geschenk, sondern sie wollen ihr Recht; 
die durch die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen hervorgerufenen Missstände 
seien so schreiend, dass sie unbedingt entweder durch Verordnung, oder durch 
Aenderung des Gesetzes selbst beseitigt werden müssten. Abg. v. Böhlen¬ 
dorf f-Kolpin (kons.) schloss sich diesen Ausführungen in allen Punkten an. 
Der Kultusminister Dr. S tu dt versagte es sich, auf die Kritik der Urteils- 
sprttche einzelner Ehrengerichte seitens deB Abg. Dr. Langerhans näher 
einzugehen, es seien dies Entscheidungen staatlich eingesetzter Gerichtshöfe, 
die einer derartigen Kritik nicht zu unterziehen sein dürften. Betreffs des 
Umlagerechts behielt sich der Herr Minister vor, bei Beratung eines von dem 
Abg. Langerhans gestellten, denselben Gegenstand betreffenden Antrags 
und einer Petition des gleichen Inhalts namens der 8taatsregierung materielle 
Erklärungen zu der in Rede stehenden Frage abzugeben. 

6. Betreffs des durch die medizinische Prüfungsordnung einge¬ 
führten praktischen Jahres erwähnte der Berichterstatter Dr. Friedberg 
(natl.), dass sich zahlreiche Krankenhäuser zur Annahme von Praktikanten 
gemeldet haben, dass aber ntch bezüglich der Verwendung dieses Jahres 
insofern Meinungsverschiedenheiten zwischen den Aerzten und dem Minister 
beständen, als die ersten wünschten, dass je Vs der Zeit der inneren, äusseren 
und geburtshilflichen Klinik gewidmet werden soll, während der Minister 
4 Monate für die Behandlung innerer Krankheiten verlangt, und in der übrigen 
Zeit Beschäftigung mit anderen Spezialfächern. Die endgültige Begelnng sei 
Sache des Bandesrats und setze noch Verhandlungen zwischen den Bundes¬ 
regierungen voraus. Abg. Dr. Ruegenberg (Ztr.) wünschte eine bessere 
Ausbildung des jungen Arztes in der sozialen Gesetzgebung 
(Kranken-, Unfall-, Alters- und Invalidenversicherung), derselbe müsse auch während 



292 


Tagesnachrichten. 


des Stadierens Gelegenheit haben, ein Kolleg ttber ärztliche Ethik, Verhalten dein 
Puolikam and seinen Kollegen gegenüber za hören. 

6. Mit Hecht machte der Abg. Dr. Graf D o n g 1 a s (fr. kons.) anf den Miss* 
staud aufmerksam, dass die Bestimmungen über die Beschaffenheit der Arznei- 
gefässe für dussere und innere Arzneimittel bis jetzt nur für die Hezeptor 
und nicht auch für den Handverkauf in den Apotheken, sowie für die Drogen* 
handlangen gelten; dadurch würden sehr leicüt und häufig Verwechselungen 
hervorgerufen; desgleichen empfahl er die allgemeine Einführung von Arznei- 
Einnahmegläsern. 

7. Abg. Dr. Martens (nat.-lib.) brachte das Apothekenkonzessions- 
wesen zoräprache. Nach seiner Ansicht ist die Vermehrung der Apotheken in vielen 
Teilen der Monarchie nicht ausreichend; die Folge davon sei, dass die jungen 
Apotheker za schwer und zu spät eine selbständige Stellung erlangen, und die 
Apotheken teilweise über ihren wirklichen Wert hinaus bezahlt werden, sodass die 
Apotheker die allergrösste Mühe haben, eine Rentabilität aus ihrem Geschälte her- 
aussuwirtschaften. Die weitere Folge davon sei, dass die Apotheker häufig zu un¬ 
lauteren Mitteln greifen, um sich nur die Existenz zu erhalten, wie das der 
Prozess Nardenkötter gezeigt habe. Bei der Vermehrung der Apotheken 
müsse das Interesse des Puulikums ausschlaggebend sein; durch ihre Errichtung 
werde auch die Niederlassung der Aerzte in kleineren Orten auf dem Lande 
gefördert. Bei Erteilung der Konzessionen müsse ausserdem in erster Linie 
die Anziennität der Bewerber massgebend sein; Verdienste anf anderem Ge¬ 
biete dürften hierbei nicht in Betracht kommen. Ministerialdirektor Dr. Förster 
erwiderte hierauf, dass die Entscheidung über die Erteilung von Apotheken¬ 
konzessionen in der Hand des Oberpräsidenten liege, und dass dieser die Aus¬ 
wahl unter den Bewerbern nach Massgabe der Würdigung der Gesamtver- 
häitnisse des Einzelfalles (Anziennität, Qualifikation, Fübrnng, Nachweis der 
erforderlichen Geldmittel u. s. w.) zu treffen habe. Ein Verfahren ansfindig an 
machen, das alle Beteiligten befriedigte, sei jedenfalls sehr schwer; die Apo- 
thekenbesitzer würden stets behaupten, es werde zu viel, die Kon¬ 
zessionsanwärter, es werde zu wenig konzessioniert. Dass Apotheker und Aerzte 
sich in den Dienst von Kurpfuschern gestellt haben, sei sehr bedauerlich; so¬ 
weit sich die Apotheker hierbei Pflichtverletzungen zu Schulden hätten kommen 
lassen, werde eine Ahndung erfolgen. 

8. In eingehender Weise wurde ebenso wie im Vorjahre die Kurpfascher- 
frage von dem Abg. Dr. Eckels (natl.) erörtert. Er gedachte dabei eines 
Kurpfuschers, der an Paranoia chronica litt, seines Zeichens Mechaniker war, 
und sich, als er ungeheilt, aber nicht mehr gemeingefährlich aus der Irrenanstalt 
entlassen war, in umfassender Weise mit Kurpfuscherei beschäftigte. Hätte 
sich dieser Geisteskranke an die Behörde gewandt, um einen 
Hausierhandel mit Strohmatten zu betreiben, so wäre ihm 
nach §. 57a der Gewerbeordnung der Hausierschein versagt, 
ihm dagegen zu verbieten, die Heilkunde gewerbsmässig zu 
betreiben, weil er geisteskrank ist, fehle in der Gewerbe¬ 
ordnung die Handhabe. Tanz-, Tarn-, Schwimm- u. s. w. Unterricht 
können nach g. 35 der Gewerbeordnung untersagt werden bei Unzuverlässigkeit 
des Gewerbetreibenden in Bezug auf den Gewerbebetrieb, die Ausübung der 
Heilkunde dagegen nicht. Die jetzt auf Veranlassung der Staatsregierung in 
allen Reg.-Bez. erlassenen Polizeiverordnungen über das Verbot der Ankündi¬ 
gung von Reklamemitteln, Heilmitteln u. s. w. seien ausserordentlich dankens¬ 
wert, gründlich könne aber nur die Gesetzgebung helfen. H. Ministerial- 
Direktor Dr. Förster erwiderte, dass der Herr Minister schon vor längerer 
Zeit mit dem Reichskanzler in Verbindung getreten sei und die Ausdehnung 
der Vorschriften des §. 35 der Reichsgewerbeordnung auch auf die Kurpfuscher 
in Vorschlag gebracht habe. 

9. Abg. Dr. Ruegenberg begründete ausführlich die Notwendigkeit 
einer Reform des Hebammenwesens sowohl in Bezug auf die Aus¬ 
bildung der Hebammen, als in Bezug auf ihre finanzielle 
Besserstellung und Anschluss an die Kranken-, Unfall-und Alters¬ 
versicherung. Desgleichen hielt er eine Förderung des Krankenpfleger- 
wesens für notwendig durch Errichtung von Krankenwärterschulen. Der 
Kultusminister erwiderte hierauf, dass er, durchdrungen von der Notwendigkeit 
und Wichtigkeit einer gedeihlichen Ausgestaltung des Hebammenwesens bereits 



Tagesnach richten. 


4ie erforderlichen Schritte in einer Neuregelung desselben »geordnet habe. 
Die wissenschaftliche Deputation für das Medisinalwesen habe sich unter Zu¬ 
ziehung von Vertretern sämtlicher preussischen Aerztekammern und von Pro¬ 
fessoren der Gynäkologie eingehend mit der Frage beschäftigt und erwogen, 
wie der Beruf der Hebammen besser aussngestalten sei und wie ihre Vor¬ 
bildung und Tor allen Dingen auch die materielle Lage der Hebammen zu ver- 
bessern sei. Nach beiden Bichtungen hin seien wertvolle Gutachten abgegeben, 
die eingehender Prüfung unterliegen; der Minister hofft, bald mit Vorschlägen 
auch an das Abgeordnetenhaus herantreten su können. Die Frage der Ge- 
bfihrenordnung für die Hebammen sei bereits seitens der Begierungspräsidenten 
durch Erlass zweckmässigem Gebührenordnungen geregelt und in Bezug auf 
eine bessere Dotierung der Bezirkshebammen schon ein wesentlicher Fortschritt 
zu konstatieren. Betreffs der Einbeziehung der Hebammen in den Kreis der 
InTalidenversicherung ist der Herr Minister mit dem Herrn Beichskanzler in 
Verbindung getreten, um einen entsprechenden Beschluss des Bnndesrats herbei- 
iufübren. Auch eine Beform der Krankenpflege und insbesondere eine organi¬ 
satorische Aenderung der Tätigkeit der Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen 
sind gleichfalls in die Wege geleitet. Sie erfordern aber sehr eingehende Ver¬ 
handlungen mit den beteiligten Verbänden und sehr sorgfältige Erwägungen, 
die noch nicht abgeschlossen sind. 

Von seiten des.Abg. Dr. Douglas wurde auf den Mangel an evangelischen 
8chwestern hingewiesen und die Errichtung von Schwesterschulen, sowie 
die Ausbildung der auf dem Lande wohnenden Frauen von Geistlichen, Leh¬ 
rern, Landwirten u. s. w. in der Krankenpflege empfohlen. Ferner bat er, eine 
fakultative Prüfung hei den Schwestern in ähnlicher Weise wie hei den Heil- 
gehttlfen einzuführen. 

10. Bei dem Kapitel „Versuchsanstalt für Wasserversorgung und 
Abw&sserbeseitigung“, deren Tätigkeit als eine sehr erspriessliche allseitig 
anerkannt wurde, gab Geh. Ob.-Med.-Bat Dr. Schmidtmann einen kurzen 
Heberblick über die Entwicklung und Aufgaben der Anstalt. Die Zahl der 
Aufträge sei infolge des grossen Interesses, das ihr von den beteiligten Kreisen 
entgegengebraebt werde, ausserordentlich gewachsen (von 100 im ersten auf 
800 im zweiten Jahre seit ihrer Errichtung). Durch das auf festen Grundsätzen 
vereinbarte Zusammenarbeiten der Anstalt mit dem Verein für Wasserver¬ 
sorgung, und die dadurch gesicherte Mitarbeit erfahrener Männer der Praxis 
sei ausserdem die beste Gewähr gegeben, dass nicht Bestimmungen getroffen 
werden, die etwa im weiteren Verlaufe unnötige Härten für die Betreffenden 
zeitigen oder sich vielleicht als praktisch undurchführbar erweisen. Die Frage 
der Verwendbarkeit des Talsperrenwassers für Trink- und Nutszwecke, die 
Beziehungen zwischen Grund- und Obei flächenwasser, das biologische Verfahren 
der Abwässerbeseitigung sowohl hinsichtlich seiner Wirkung, als hinsichtlich 
der Kosten der Anlage und des Betriebes, die Wirkung der industriellen Ab¬ 
wässer auf die Fische, die Müllbeseitigung, und andere wichtige Fragen seien 
durch eingehende Untersuchungen und umfangreiche Arbeiten wesentlich ge¬ 
klärt. Die Anstalt habe eine über Erwarten günstige und gesunde Entwicke¬ 
lung gehabt, sie entspreche dem praktischen Bedürfnisse, und ihre Tätigkeit 
trage dazu bei, die scharfen Interessengegensätze wesentlich abzumildern. Dem 
von Seiten der Abg. v. Savigny (Ztr.) und Dr. Winkler (kons.) ausge¬ 
sprochenen WunBch, nooh mehr Mittel als bisher für die Unterstützung unbe¬ 
mittelter Gemeinden zur Anlage von Wasserleitungen in den Etat einzustellen, 
wurde sowohl von dem Herrn Minister, als von dem oben genannten Begier ungs- 
Kommissar Berücksichtigung zugesagt, gleichzeitig aber betont, dass hier 
Staat und Provinzialverwaltung Hand in Hand gehen müssten, und der erstere 
grundsätzlich nur in solchen Fällen helfend eintreten kann, wo entweder 
seitens der Gemeinden oder seitens der weiteren Verbände — Kreis- und 
Provinzialverbände — namhafte Aufwendungen gemacht, oder Beihilfen ge¬ 
währt werden. 

11. Auf eine Anfrage des Abg.'Kindler (freie. Volksp.) betreffs des 
Neubaues des hygienischen Instituts in Posen erwiderte Geb. Ob.-Med.- 
Bat Dr. Kirchner, dass ein Platz dafür bereits in Aussicht genommen sei, 
und der Neubau über kurz oder lang vorgenommen werden würde; voraus¬ 
gesetzt, dass die Stadt einen Beitrag zu den Kosten leisten werde. Abg 



SÖ4 ^AgeBn&ihriaLteu. 

Dr, Marians fa&il,) hielt «inan solches SosabaA» für durchaus garaehtfertigt 
und empfahl, 449b das jetat mit dam hjgiaaisöhen Institut vereinigte 
pathologisch-anatomische Institut abaatrasaca und in einem besonderen 
Gebäude antersabringea. 

12. Eine grosse Debatte entwickelte sieh im Anschluss an eian Ende des 
Dr. Graf Dong tat (treikoas.) über die Bekämpfen* des Alfeoholtetnus, in 
der er die von dam Verein deutscher Gastwirte and anderen ähnlichen Vererben 
gegen seine .Bestrebungen erhobene« Angriffe in aachgomäsaer Weise beleuchtete 
and betontet dass aufkläreade Belehrungen nicht ansreichieo, um diese an den» 
Marke des Volkes schon an lange «ehrende JPast tu bekämpfen., sondern dann 
auch gesetzliche Massnahmen erforderlich seien, Er empfahl ausserdem die 
Errichtung: vo« Landeskommissioaen t.ttk Üffantliohe Geeuudheits» 
pfleg«. Seine Ausführungen wurden von dem Abg. Schals»Berlin (freie. 
Velk#p.l hekÄmpft T Während ihneoaUo übrigen Keiner; Frh. v, Zediita-Neu- 
mark (Irsikous.), Dr. Martens (natUb^), Schall (kona), Sebauta (Zent.)» 
beiatimmten. Inteeaouddra geschah die* auch vondemjd Kultusminister, der 
unter Hin weis auf di« EataebliewaBgen der Königlichen Staataregierang be¬ 
treff* dar vorjährigen Bracblttraft des Landtages betonte, dass fast allen 12 Vor- 
Bcaläghn auf administrativem 'Wege, bereits weitere Jlpig« : gegeben sei, und 
«war ut.. einem GmUnga, der hoffen ias.m, dass die Whfkuaghü der Masraahsaan 
auch in der Tat den Inxeatioaeß des Antrags eutsprecbeh. Damit sei aber so? 
ei« erat« Schritt sar Verwirklvchnag der Absichten des vorjähriges Antrag* 
geschehe»; das Weitere werde, wenn wirksame ahd nachhaltige Abhilfe ge¬ 
schaffen werden soll, der Gesetzgebung Vorbehalten bleiben mh««sö, Der Ml- ' 
nister würde eich freuen, wenn die kommende Legislaturperiode einen solchen 
Akt der Gesetsgebang bringe, den er als ein monumentum aero perennins be- 
«eiohura würde. Er habe noch ia letaler Zeit Gelegenheit gehabt, mit Irren- 
ärstea übst diese Frage au sprechen. Es sei ihm hierbei versteuert worden, 
dass als Zunahme des Prozentsatzes der durch übermässigen Genoss des Alk«> 
hob geisteskrank gewordenen Personen in den Lotsten Jahren eine geredenu 
erschreckend« geworden sei. Diese Erscheinung erfordere ei« tatkräftiges 
Eingreifen nicht dut auf administrativem, sondern auch auf .tegml.atj.vem 
Gebiete. Din Verheerungen, die durch «Ion feüatUiche geiatig« 
Üeberaaatreaguog »ugsfiehte* werdea kftnnea, eeien ein Kia~ 
der spiel gegenüber denjauigeu durch AlfcdJt.elg«ÄV«*i das Bild, 
das in dieser Bestehung die Zukauft der deutschen JJatiod biete,könne nicht 
düster genug geschildert wefdeK^ Der Miutater «iihiiesat mit dein Ausdruck 
der Hoffnung, dass eile Sie «dien und w»hlwoli»ed«» Äbsichtan, welche dem 
Anträge sa Grande Hegen, sieb, auch rum Segen unseres Vaterlandes und v ' 
unseres deutschen Volkes verwjrkliöfceo mögen. ■’v •//' 

13 . Zar Erforeehang und Bekümpfang der Ruhr empfiehlt Abg, Dr. ; 
Ruegea he rg (Zu.) im clchttjährigea Etat «benfkils eia Betrag wie für Typhne, 
Krebs u. ». w. aroruatelle«. Geber die Bekämpfung der Granat ose führte 
Geh. Ob.-Med,-Halb Or. Kirnhaer au», dass die bisherigen Mittel haupt¬ 
sächlich dazu verwendet raten, tun diese Krankheit in der Provioz Oitpreassen 
ru bekämpfen. Darob di® «jstamatiache, in Ausbildung nm Aemcn, Unter¬ 
suchung von Schaikindnrn und Erwachsenen, oneittgeltiiehu Bribandjnng unter 
Mithilfe von Lehrern und Schwestern bestehende Behandlung sei ein sicfctücner 
BiU-kgajug ln der ZaJil und Sohernte «lex Erkrankungen su Juuui't«tlr.«m>, .Diera 
ay stem AtiÄchu ddkÄmpfuog 4er Krankheit öiüsSÄ aber uueli auf die Pro einten Posen 
uud W#«äpf«araan:'*nagh4»jhaä w«rdeo* da diu örÄtm.ode hier ehg&ftlls auseer- 
otilenillcb vctWeltct sei; deshalb rat an ei«*i HarabwladerungdesGruBUlßsefonöiai 
vorläufig ftjeht au ilewken, Abg. Weiff’-DiHsafkCöS,) bedauert, iiara manifeBc« 
.kämpfhug nicht schon eher auf diese Proriiirad ausgedeimt und dadurch hier 
eiue iteswischeu eingetretene Zunahme der Granulöse verbind et t bähe. Gerade 

in der Trovin* Posen sei aber die Granulöse um «so gefährlicher, als von hier aus '-.V.' 
viele Sauhsoagänger nach 'Westen gehen and dadurch di« Erankheit werter . Äv 
»ersdhieppeu. Kedoer bittet deshalb um sofortige» naÄ energische# Einschiriteo, 
man auHe lieber «udare Dinge surückstdlen, als die Bekämpfung der Granulöse 
tu Posen. 

14. Auf eine Änftago des Ai»g 3<«ctruaoa jfraüte<ts4 ftbne Ami 

gegenwärtigen Stand -4^ Msxrfr .jiiM ÖClÄft^neHU.kkk. 

aniworteta Geh, Ob.-Mr*o-ifir Dr SSüw&ku'v■ j.-" f v .-> - ;.v»,r«?hvG. 






TagfOTftfthrifthtmn 


■oeh'nicht gef an den sei, weil er jedenfalls so klein sei, den er duvek bak¬ 
teriendichte Filter hindarebgehe; es sei aber Prof. Dr. Löffler glelohwokl 
gelungen, ein sioheres I nun an ia irnngsverfahren für Kleinvieh (Kälber, Ferkel) 
an entdecken, and dieses Verfahren jelat so vervollkommnet sei, dass anok 
Sinder mit Hülfe eines Serams immnn gemacht werden könnten; diese Sohutz- 
impfang halte nar nicht lange vor and mttBse wiederholt werden. Abg. 
▼. Arnim (kous.) hat das Lö ff ler’sche Verfahren beim Bindvieh bisher swar ohne 
nennenswerten Erfolg angewandt, glaabt aber, dass die Versache als aussichts- 
▼oll ansasehen sind. 

16. Die Frage der obligatorischen Leichenschau wurde vom Abg. 
Dr. Heising (Zentr.) angeschnitten und bemängelt, dass darch deren Ein¬ 
führung s. B. in Öleiwitz die Aerxte ausserordentlich belastet würden and den 
Krankenkassen wie dem Publikum grosse Kosten erwüchsen. Br bittet des¬ 
halb die Staatsregierung, dafür su sorgen, dass die Poliseiverordnung wieder 
aufgehoben oder wenigstens soweit abgeändert werde, dass der behandelnde 
Ant von der nochmaligen Beschau eines Kranken entbunden wird, wenn er 
die Ueberzeugung hat, dass der Tod durch eine bestimmte Krankheit erfolgt 
sei. Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Kirchner erwähnt zunächst die bisher in dieser 
Hinsicht ergangenen Ministerialerlasse vom 4. März 1901 und 22. Oktober 1902 nnd 
betont sodann, dass die Bedeutung der Leichenschau an sich wohl keinem Zweifel 
unterliege. Es handele sich in erster Linie darum, zweifelhafte Todesfälle 
festsasteilen. Von seiten des Staates müsse auuh Wert darauf gelegt werden, 
dass die Todesfälle an ansteckenden Krankheiten mit Sicherheit festgestellt 
werden. Bndlich liege es im Interesse der Rechtspflege, dass kern gewalt¬ 
samer Todesfall sich der Behörde entziehe. Die Einführung der allgemeinen 
obligatorischen Leichenschau, die bereits in einer Anzahl von Bundesstaaten 
bestehe, sei daher für Preussen in hohem Grade wünschenswert; dringend er¬ 
wünscht, wenn auch nicht darchaus notwendig, Bei es auch, dass sie überall 
durch Aerzte stattfindet. Die Kosten fallen in erster Linie den Angehörigen, 
bei den Armen den Gemeinden zur Last; sie würden durch den Nutzen der 
Leichenschau reichlich aufgewogen. 

Die Kommission des jAbgeordn-etenhauses zur Vorberatung 
der Ausfuhraugsbestimmungen zum Reichsseuchengeeetn hat am 28. März 
die erste Lesnag beendet. Abgesehen von einigen Abänderungen über die 
Bestimmungen betreffs der zu gewährenden Entschädigungen (der Antrag 
ist binnen 8 Tagen statt 4 Wochen zu stellen, als Sachverständige sollen auch 
Frauen fangieren können und den Sachverständigen eine Entschädigung 
für Zeitversäumnis gewährt werden) hat die Kommission inbezug auf die 
Kostenfrage trotz lebhaften Widerspruchs des Finanzministers mehrere 
wichtige Abänderungen vorgenommen: §. 25 hat nachstehende Fassung er¬ 
halten: „Die Kosten, welche durch die Beteiligung des beamteten Arztes bei 
der Ausführung des Reichsgesetzes, betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher 
Krankheiten vom 30. Jani 1900 sowie bei der Ausführung dieses Gesetzes ent¬ 
stehen, fallen der Staatskasse zur Last.“ Ferner sind zu §. 26 folgende Zu¬ 
sätze beschlossen: „Im übrigen findet, soweit nicht die Beteiligung des beam¬ 
teten Arztes in Frage kommt, die Vorschrift des §. 37, Abs. 3 des Reichs¬ 
seuchengesetzes (wonach die daselbst bezeichneten Kosten ans öffentlichen Mit¬ 
teln zu bestreiten sind) auf diejenigen Fälle, in welchem die daselbst bezeioh- 
neten Schutsmassregeln auf Grund der Bestimmungen dieses Gesetzes ange¬ 
ordnet werden, mit der Massgabe entsprechende Anwendung, dass die Kosten 
der Desinfektion und der besonderen Vorsichtsmassregeln für die Aufbewahrung, 
Binsargnng, Beförderung nnd Bestattung der Leichen nur dann aus öffentlichen 
Mitteln zu bestreiten sind, wenn der Zahlungspflichtige ohne Beeinträchtigung 
des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts diese Kosten zu tragen ausser 
stände ist. H. Die Kosten für Massnahmen gegen die Einschleppung von Seuchen 
aus ausserpreussischen Ländern sind vom Staate zn tragen. HI. Wenn die Kosten 
einer Gemeinde mit weniger als 5000 Einwohnern zur Last fallen, so wird die 
Hälfte derselben der Gemeinde vom Staate erstattet, sofern und soweit diese 
Kosten einen Jahresbedarf von 5 Proz. ihres Einkommensteuersolls übersteigen. 
Zu g. 27 (Beschaffung sanitärer Einrichtungen zn seuchenfreier Zeit) ist weiterein 
Antrag angenommen, der den Gemeinden gegen diese Anordnungen die Rechts¬ 
mittel des Landesverwaltungsgesetzes zugesteht. §. 28 (Verpflichtung der Kreie 



996 Tigenaehitekta. 

verbände, armen Gemeinden rar Aufbringung der Kosten eine Beihilfe n ge* 
währen) ist gestrichen. Unseres Erachtens bedeuten diese Beschlüsse eine 
wesentliche Verbesserung des Gesetsentwnrfes; hoffentlich liest die Staatz- 
regiernng ihren Widerspruch dagegen fallen, damit das Gesetz rar Verab¬ 
schiedung gelangt. _ 


In Preussen ist durch Hinisterial - Erlass vom 81. Januar d. J. 
bei sämtlichen Begierungsprisidenten eine Umfrsge betreffs des Selbstdis- 
pensierrechts der Homöopathen erfolgt und swar nach der Sichtung, ob es 
angeseigt sei, die homöopathischen Aeizte in Zuknnft nur unter denselben Vor¬ 
aussetzungen zum Selbstdiepensieren zuzulassen, unter denen auch den übrigen 
Aerzten das Halten einer ärztlichen Hausapotheke gestattet wird, also wenn 
sich in ihrem Wohnorte oder in dessen Nfthe keine homöopathische Arznei- 
abgabestelle befindet. Es ist wohl anznnebmen, dass die Anfrage allgemein 
bejahend beantwortet wird; hoffentlich lässt dann die beabsichtigte Neurege¬ 
lung des homöopathischen Selbstdispensierrechtes nicht mehr lange auf sich warten. 


Das Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen hat, um 
der ganzen Bewegung auch räumlich einen Hittel- und Stüupunkt zu geben, 
die Gründung eines eigenen Hauses beschlossen, welches eine umfangreiche 
Sammlung ärztlicher Lehrmittel, ecvrie alle zur Versendung an die lokalen 
Vereinigungen dienenden Einrichtungen enthalten, und in pietätvoller Dankbar¬ 
keit der Kaiserin Friedrich gewidmet sein soll. Dieser Plan hat bereits 
die Allerhöchste Genehmigung Sr. Majestät des Kaisers gefunden. 


Der in Berlin am 16. und 16. März abgehaltene II. allgemeine 
Deutsche Krankenkassenkongress hat sich gegen die Bestrebungen der 
Aerzte in Bezug auf die gesetzliehe Festlegung der freien Arztwahl und 
die Festsetzung der Höchstgrenze von 2000 Mark Einkommen für 
Krankenkassenmitglieder erklärt. Die freie Arztwahl sei Sache der örtlichen 
Kassenverwaltungen. Zur Bildung von Kraukenkassenkommissionen, 
sowie für Verbesserungen auf dem Gebiete der Krankenkassenstatistik 
seien die Krankenkassen jedoch bereit. Weiterhin forderte der Kongress die 
Kommunalisirung der Apotheken und die Genehmigung zur Errichtung 
von Krankenkassen-Apotheken, oder wenigstens die Erlaubnis, solche 
Arzneien an Kassenmitglieder direkt abgeben zu können, deren Feilhalten und 
Verkauf freigegeben ist. _ 


Nach der jetzt eingegangenen Einladung rar 76. Versammlung der 
Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte in Cassel, die vom 20. 
bis 26. September d. J. stattfindet, werden die allgemeinen Sitzungen 
am 21. und 26. September abgehalten und in denselben Gegenstände von all¬ 
gemeinem Interesse behandelt werden. Für den 28. September ist eine Ge¬ 
samtsitzung der beiden wissenschaftlichen Hauptgruppen ge¬ 
plant. Auf Donnerstag, den 24., sind für jede der beiden Hauptgroppen 
gemeinsame Sitzungen vorgesehen. Die späteren Mitteilungen über die 
Versammlung werden im Juni zur Versendung gelangen. Um diesen ein vor¬ 
läufiges Programm beifügen zu können, bitten die Abteilungsvorstände, 
Vorträge und Demonstrationen wenn möglich bis zum 16. Mai anmelden sn 
wollen. Für die Abteilung für Hygiene einschliesslich Bakte¬ 
riologie und Tropenhygiene sind die Anmeldungen an H. Kreis- und 
Stadtarzt Dr. Bockwitz, Spohrstrasse 18, lür die Abteilung für gericht¬ 
liche Medizin an H.Dr. Meder, Fuldabrücke, zu richten. Die allgemeine 
Gruppierung der Verhandlungen soll so stattfinden, dass Zusammengehöriges 
tunlichst in derselben Sitzung rar Besprechung gelangt; im übrigen ist für die 
Beihenfolge der Vorträge die Zeit ihrer Anmeldung massgebend. 


VerantwortL Bedakteur: Dr. Bapmund, Beg.-o.Geh.Med.-B&t in Minden i. W. 

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16. Jahrg. 


Zeitschrift 


1903. 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie, 
für ärztliche Saehverstandigentatigkeit in Unfall- nnd InTuliditätssachen, sowie 
für Hygiene, ofentL Sanitatswesen, Medizinal -Oenetzgebnng nnd Rechtapreching. 

Heranzgegeben 

won 

Dr. OTTO RAPMUND, 

Regierugi- and Geb. Modi sin *lr*t in Minden. 


Verlag von Fischer’s mediz. Bnehhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer -Buehhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nekmen die TerUfshandlang sowie alle Annoncenexpeditionen des In» 
und Aaslandes entgegen. 


Nr. 8. 


Erscheint 


1. and IS. Jeden Monats 


15. April. 


Anchylostomia8is im rheinisch-westfälischen Kohlenrevier; 
Ursache und Bekämpfung. 1 ) 

Von Mediiinalrat Dr. Tenholt, Knappzchaftsoberarzt in Bochum. 

Die Frage der Bekämpfung der Wurmkrankheit ist eine 
brennende, da das Wort „Wurmkrankheit“ fast zu einem Schreck- 
gespenste für das Kohlenrevier geworden. An den Lehren über 
das Anchylostomum des Menschen, wie sie nns von Dubini, 
Rilharz, Perroncito und anderen Autoren, namentlich aber 
von Leichtenstern überliefert sind, haben nnsere Forschungen 
in den letzten Jahren im wesentlichen nichts zu ändern vermocht, 
aber es sind doch gewisse neuere Anschauungen za Tage getreten, 
die als beachtenswerte bezeichnet werden müssen und auch hier 
besonders hervorgehoben werden sollen. 

Bekanntlich handelt es sich bei der Warmkrankheit am eine 
neae, aus den Tropen eingeschleppte Krankheit; der Urheber der¬ 
selben, das Anchylo8tomnm hominis, kommt in Afrika und Australien 
angemein häufig bei den Negern vor, ohne jedoch so hochgradige 
Krankheitserscheinungen, wie in unserem Klima zn verursachen; 
denn der Neger ist durch seine Rasseneigentümlichkeit wider¬ 
standsfähig gegen den Parasiten geworden. Es würde mich zu weit 
führen, die Verbreitung des Wurms über andere Länder hier zn 
verfolgen; bekannt ist, dass er im vorigen Jahrhundert die sogen. 
Aegyptische Chlorose verursacht hat, dass er an den weiteren 
Küsten des mittelländischen Meeres, anch in Süd-Amerika, insbe- 


*) Nach einem auf der Versammlung der Medizinalbeamten des Beg.-Bes. 
Arnsberg zn Hagen am 14. Mirz 1908 gehaltenen Vortrage. 










298 


Dr. Tenholt. 


sondere in Brasilien gegenwärtig noch grosses Unheil anrichtet. 
Diesseits der Alpen scheint er erst seit dem Bau des Gotthardt- 
Tunnels im Jahre 1880 festen Fuss gefasst zu haben, wenn er 
nicht schon früher durch italienische Arbeiter nach Oesterreich- 
Ungarn verschleppt worden ist. Es steht fest, dass er durch 
österreichisch - ungarische Bergarbeiter von dem rheinisch-west¬ 
fälischen Kohlenrevier Besitz genommen hat; es ist mit Sicherheit 
nachzuweisen, dass schon in den 80 er Jahren vorigen Jahrhunderts 
ungarische Arbeiter auf den meist befallenen Gruben des west¬ 
fälischen Kohlenreviers gearbeitet haben. Die ursprüngliche An¬ 
nahme, dass belgische Arbeiter, die Wallonen, die Krankheit einge- 
schleppt hätten, hat sich als irrtümlich ergeben. Der Einfall kam 
aus Osten, nicht aus Westen. Dass der Parasit hauptsächlich, ja fast 
ausschliesslich das westfälische Kohlenrevier besetzt, die übrigen, 
in Schlesien, in Sachsen, am Harz, in Eisass - Lothringen fast ganz 
verschont hat — nur im Kreise Waldenburg und in Aachener Re¬ 
vieren sind vereinzelte Fälle der Krankheit vorgekommen — er¬ 
klärt sich zuvörderst aus dem seit Dezennien im lebhaften Gange 
befindlichen Zuzuge von italienischen, Österreich-ungarischen Ar¬ 
beitern. in das westfälische Revier, wogegen in den übrigen Kohlen¬ 
revieren die Arbeiter grösstenteils aus der sesshaften Bevölkerung 
stammen, sodann aber auch aus den verschiedenen Betriebsarten 
des Kohlenbergbaues und den verschiedenen Temperaturen und 
Feuchtigkeitsgraden der Gruben in verschiedenen Gegenden, oder 
aus sonstigen besonderen Umständen, welche hier vorherrschen, 
dort aber nicht, oder doch weniger vorhanden sind. In Westfalen 
ist eine grosse Anzahl Gruben, in denen an vielen Betriebspunkten 
eine Temperatur von 26 bis 30° C. herrscht; hier findet der Para¬ 
sit sein Tropenklima wieder, und alle sonstigen Bedingungen, 
welche für seine Entwickelung erforderlich sind. Neue Ein¬ 
schleppungen aus Oesterreich - Ungarn sind weniger zu befürchten, 
seitdem das Königliche Oberbergamt in Dortmund die Anlegung 
solcher Arbeiter verboten hat. Gegenwärtig macht hauptsächlich 
die Verschleppung der Seuche durch Abkehr der Arbeiter von 
einer Zeche zur anderen in unseren eigenen Revieren viel Sorge. 

Um die Naturgeschichte des Wurms kurz wiederholen zu 
dürfen, bemerke ich, dass derselbe im Dünndarm des Trägers — 
im Duodenum kommt er nicht vor — als echter Blutsauger sich 
in die Schleimhaut mittels seiner scharfen Zähne festbeisst. Das 
Männchen unterbricht den Akt des Blutsaugens nur, um das Weib¬ 
chen zur Begattung aufzusuchen. Das Weibchen setzt täglich 
zahlreiche Eier ab, die mit den Stuhlgängen des Trägers abgehen, 
bevor sie zur weiteren Entwickelung gelangen; eine Vermehrung 
der Würmer im Träger ist ausgeschlossen. Gelangt das 
Ei auf einen günstigen Nährboden, in feucht-warmen Schlamm, so 
entschlüpft demselben nach einigen Tagen der Embryo, die junge 
geschlechtslose Larve. Letztere umgiebt sich nach einigen 
weiteren Tagen, sofern ihr nicht der günstige Boden entzogen 
wird, mit einer Kapsel, verändert zugleich ihre innere Struktur 
und vegetiert weiter als die Dauerform des Parasiten, harrend 



Anchyloatomiasis im rhein.-weatf. Kohlenrevier. Ursache u. Bek&mpfnog. 299 


der gelegentlichen Einwanderung in den menschlichen Verdauungs¬ 
kanal. Nur die eingekapselten Larven sind ansteckend, 
nicht die Eier, nicht die jungen Larven. Der Magensatt 
ist nicht geeignet, die eingekapselte Larve zu töten; sie gelangt 
in den Dünndarm, entledigt sich hier unter der Einwirkung des 
alkalischen Darmsaftes ihrer Kapsel und wächst nun in kurzer 
Zeit zu dem geschlechtsreifen Wurm heran. Wichtig ist besonders, 
dass eine Vermehrung der Larven im Freien ebenfalls nicht 
stattfindet und aus einem Ei schliesslich nur ein Wurm ent* 
steht. Eine geschlechtliche Zwischengeneration, wie z. B. bei der 
hochinteressanten, aber weniger gefährlichen Anguillula intesti¬ 
nalis, gibt es beim Anchylostomum glücklicherweise nicht; ich 
sage glücklicherweise, denn sonst wäre die Vermehrung der Keime 
unseres Parasiten in der Grube unermesslich und an eine Tilgung 
der Seuche nicht zu denken. Ebensowenig ist jemals ein Zwischen¬ 
wirt oder ein Wirtswechsel beim Anchylostomum festgestellt. Alle 
Versuche, die dieserhalb beim Grubenpferd, bei Hunden etc. an¬ 
gestellt sind, sind negativ ausgefallen. 

Die in hiesigen Gruben, im Schlamm vorhandenen, darin von 
mir wiederholt nachgewiesenen Anchylostomum-Eier und -Larven 
stammen ausschliesslich aus dem Kot des mit dem Wurm behaf¬ 
teten Bergmanns. Die Bergleute verrichten ihre Notdurft in der 
Grube gerne an einer abgebauten Stelle, im sog. „alten Mann“, 
oder an einer sonstigen Ecke und scharren über den Kot Stein- 
kohlengruss, um den Geruch zu beseitigen. Kommt nun jemand 
einem solchen bald mit ansteckungsfähigen Larven dicht behafteten 
Herd, sei es mit den Füssen, sei es mit den Händen, zu nahe, so 
kann die Ansteckung kaum ausbleiben; denn wo der Bergmann 
seine Fusssohle hinsetzt, da tastet auch mal seine Hand, und 
diese steht im lebhaften Verkehr mit seinem Munde, indem er 
den Schweiss vom Gesichte abwischt, den Kautabak in den Mund 
steckt, das Trinkgeschirr zu Munde führt, das Butterbrod ver¬ 
speist, an den Zähnen stockert u. s. w. 

Ist auf diese Weise im allgemeinen für die Uebertragung 
des Parasiten reichlich durch die Art der Beschäftigung in der 
Grube gesorgt, so ist die Ansteckung doch keineswegs eine gleich- 
mässige unter der Belegschaft. Es werden vorzugsweise die 
Kohlenhauer befallen, weniger die Schlepper und Zimmerhauer, 
am wenigsten die Streckenreiniger, die Pferdeführer und die mit 
sonstigen Arbeiten in den Hauptstrecken beschäftigten Leute. 
Wenn tatsächlich auch die Beamten, die Steiger, Obersteiger und 
Betriebsführer sehr häufig der Ansteckung anheimfallen, so ist 
dies erklärlich, da sie durch die fortwährenden Bewegungen von 
Ort zu Ort schliesslich mit sämtlichen Ansteckungsherden in Be¬ 
rührung kommen. 

Falls es wahr wäre, wie von ungarischen Aerzten behauptet 
worden ist, dass die Larven des Wurms durch den Luftstrom, 
die sogen. Wetterführung, fortgetragen und an die Firsten ge¬ 
schleudert werden, so müssten vorzugsweise die Schlepper, Zimmer¬ 
hauer und die sonstigen Streckenarbeiter, am wenigsten aber die 



300 


Dr. Tenholt. 


Hauer befallen werden. Ausserdem habe ich nachgewiesen,*) dass 
die an den Firsten, an der oberen Zimmerung in den Strecken 
vorhandenen Larven keine Anchylostomum-Larven, sondern Larven 
anderer Arten, anderer Rhabditisformen sind. 

In richtiger Erkennung der Gefahren, welche dem Bergbau 
dorch den Parasiten drohten, sind schon vor vielen Jahren seitens 
des Königl. Oberbergamtes die verschiedensten Massnahmen er¬ 
griffen worden, insbesondere waren schon im Jahre 1896 durch 
bergpolizeiliche Anordnung, die später noch weiter ausgedehnt 
wurde, auf den meist befallenen Gruben Abortskübel von be¬ 
stimmter Einrichtung und Zahl eingeführt, und strenge Strafe 
denen angedroht, welche ausserhalb der Kübel ihre Notdurft ver¬ 
richteten. Durch regelmässige ärztliche Revisionen der Beleg¬ 
schaften auf den Zechen wurden die wurmverdächtig erscheinenden 
Arbeiter ausgehoben und der mikroskopischen Untersuchung ihrer 
Fäkalien unterzogen. Auf diese Weise ist auch tatsächlich ein 
Rückgang der Krankheit erreicht; denn die Zahl der Erkrankungs¬ 
fälle, die absolute, wie die relative, ist in der Zeit von 1896 bis 
1900 merklich zurückgegangen. Erst dann hat sich eine auf¬ 
fallende Steigerung gezeigt, deren Ursache der Aufklärung bedurfte. 

Schon im Juli 1901 habe ich, nicht ohne sorgsame Prüfung 
der Vorgänge, darauf aufmerksam gemacht, dass die zum Zwecke der 
Verhütung von Kohlenstaub-Explosionen eingeführte Beriese¬ 
lung der Gruben den Massenausbruch der Krankheit verursacht 
habe. Vorher und zunächst noch nachher, d. h. vor und nach 
Juli 1901, wurden fast regelmässig nur zweimal im Jahre die 
Belegschaften der befallenen Gruben revidiert. Im Jahre 1900 
fiel es mir zunächst auf, dass die Knappschaftsärzte in Castrop, 
in deren Bezirken die Belegschaft der seit Jahren infizierten 
Zeche Graf Schwerin wohnt, Aerzte, welche sämtlich und vor¬ 
zugsweise mit den Krankheitserscheinungen der Anchylostomiasis 
vertraut waren, und die Wurm verdächtigen zu unserer Unter¬ 
suchungsstation überwiesen — es gab nur eine derartige Station—, 
so aussergewöhnlich zahlreiche Fälle lieferten, dass die Station 
überfüllt wurde. Weitere Nachforschungen ergaben auf allen, 
nunmehr wie Graf Schwerin vollständig berieselten 
Gruben, sofern der Parasit überhaupt daselbst schon einge- 
schleppt worden war, und auch die erforderliche Temperatur in 
der Grube nicht fehlte, eine erhebliche Zunahme der Erkrankungs¬ 
fälle, dagegen eine Nichtzunahme der Fälle auf den nicht be¬ 
rieselten Gruben, selbst wenn daselbst vorher der Parasit schon 
eingeschleppt war. Eine für das Jahr 1901 bearbeitete Statistik 
hat meine Ansicht bestätigt. Der dagegen erhobene Einwand, 
dass nämlich die vermehrte Zahl der Krankheitsfälle sich ergeben 
haben könnte aus der Vermehrung der Revisionen, ist durchaus 
unzutreffend; denn diese Vermehrung war erst infolge der Zu¬ 
nahme der Fälle und viel später angeordnet worden. 


*) Berg- and Hüttenmännische Wochenschrift „Glückauf“, Nr. 50 vom 
8. Dezember 1900. 



Anobylostomiagis im rhein.-weatf. Kohlenrevier. Ursache o. Beklopfung. 801 

Die verhängnisvolle böse Nebenwirkung der Berieselung er¬ 
kläre ich einmal aus dem Umstande, dass aus dem vorher mehr 
oder minder trockenen Boden ein feuchter, schlammiger, aus dem 
schlechten Nährboden ein guter für die Entwickelung der Larven 
geschaffen wird, dann aber aus der mechanischen Fortschwemmung 
der Kothaufen. Alles, was die Schlammbildung in der Grube be¬ 
fördert, begünstigt auch die Entwickelung des Parasiten, alles, 
was die Trockenlegung fördert, trägt zur Vernichtung desselben 
bei. Die Versuche in Laboratorien decken sich in dieser Beziehung 
vollständig mit den Versuchen, welche wir in der Grube selbst 
gemacht haben; in den trockenen Strecken gelingt es nicht, aus 
den Eiern reife Larven zu züchten; entfernt man von dem eier¬ 
haltigen Kot im Brutschrank den Glasdeckel, der die Verdunstung 
verhütet, so erhält man ebenfalls keine Larven. 

Leider hat demnach die zur Verhütung von Kohlenstaub- 
Explosionen so überaus heilsame Berieselung die entgegengesetzte 
Wirkung betreffs der Bekämpfung der Wurmkrankheit. Wer aber 
jemals eine Katastrophe, wie die Explosion auf Zeche Karolinen¬ 
glück im Jahre 1898 mitbeobachtet hat, und nun erfährt, dass 
seitdem und zwar offenbar infolge Einführung der Berieselung 
kein nennenswertes Massenunglück mehr vorgekommen ist, der 
wird nicht dazu raten, die Berieselung ganz zu beseitigen. Viel¬ 
leicht lässt sie sich einschränken, ohne ihren Wert zu verlieren. 
Der hie und da aufgetauchten Ansicht, dass die Wurmkrankheit 
von grösserem Uebel sei als die Massenunglücke, kann ich nicht 
beitreten. In früheren Jahren sind nur 5 Todesfälle festgestellt, 
die lediglich Folge der Anchylostomiasis waren. Wenn aber durch 
regelmässige Besichtigungen der Belegschaften, wie es in den 
letzten Jahren geschehen ist, die im Beginn der Krankheit 
stehenden Bergleute rechtzeitig ausgehoben werden, wird man ferner¬ 
hin überhaupt keine Todesfälle mehr erleben. Wir haben es nur noch 
mit einem leicht verlaufenden, fast stets heilbaren Uebel zu tun, 
wogegen die Massenunglücke den Familien jählings die Ernährer 
hinwegraffen. Die neuerdings begonnenen Untersuchungen ganzer 
Belegschaften, indem man der Reihe nach den Kot jedes einzelnen 
Mannes mikroskopisch untersucht, ohne den Mann zu Gesicht zu 
bekommen, mögen bestehen bleiben; wenn aber die regelmässige 
Aussonderung der wurmkrank erscheinenden Arbeiter wegfallen 
sollte, so würden bald wieder Todesfälle Vorkommen, da die mi¬ 
kroskopische Untersuchung der Reihe nach, je nach der Zahl der 
Belegschaft, wie wir es schon auf einigen Zechen erfahren haben, 
mehrere Monate bis zu einem Jahre in Anspruch nimmt, und es 
sich dabei ereignen wird, dass der zu Beginn der Untersuchung 
bereits angesteckte Mann erst nach Monaten an die Kotproben- 
Abgabe gelangt, zu einer Zeit, wo die Krankheit bereits unheil¬ 
bare Fortschritte gemacht hat. 

Hygienisch wird schon seit Jahr und Tag daran gearbeitet, 
ein Mittel zu finden, die Gruben zu desinfizieren, womöglich mit 
einem Stoff, welcher dem BerieselungswaBser zugesetzt werden 
kann und darf. Ob dies gelingen wird, ist fraglich. Gegenwärtig^ 



302 


Dr. Tenholt. 


machen wir Versuche in einer grosseren stark verseuchten Grube 
mit Vs* bis lproz. KresollOsung und mit Kalkmilch. Aber was 
hilft schliesslich die Desinfektion, wenn die Bergleute nicht aus¬ 
schliesslich die Abortskttbel benutzen. Belehrungen durch die 
Grubenbeamten, durch Flugblätter an die Arbeiter scheinen bisher 
nur geringen Erfolg gehabt zu haben. Von dem Augenblicke aber 
an, wo die Defäkation auf freier Erde dauernd und gänzlich unter¬ 
bleibt, muss die Seuche dem ErlOschungsprozess von selbst an¬ 
heimfällen. 

Derselbe Erfolg würde auch eintreten, wenn es gelänge, überall 
die Temperatur in den Gruben erheblich, bis unter 23° C. herabzu¬ 
setzen, denn nach meinen Beobachtungen spielt neben dem hohen 
Feuchtigkeitsgrad die Temperatur die Hauptrolle bei der Entwicke¬ 
lung der Larven; aber eine solche künstliche Herabsetzung der 
Temperatur würde kaum erschwingliche Kosten verursachen. Es 
gibt Gruben, welche mitten zwischen stark infizierten liegen, mit 
diesen auch im lebhaften Abkehr der Arbeiter stehen, durch Be¬ 
rieselung feucht gehalten werden, aber, weil eben ihre Temperatur 
unter 23 0 C. bleibt, sich zu keinem Herd gestalten können. Die 
auf ihnen entdeckten Wurmträger sind in der Regel vorher von 
verseuchten Gruben abgekehrt; sie verschleppen wohl den Parasiten, 
dieser findet jedoch auf der neuen Grube nicht das zu seiner Lebens¬ 
fähigkeit erforderliche Klima wieder; eine Tatsache, für welche die 
aufgestellten statistischen Uebersichten die klarsten Beläge geben. 

Die mangelhafte Temperatur ist auch der Hauptfaktor, 
welcher die Entwickelung der Eier und Larven über Tage ver¬ 
hindert. Die längst von mir festgestellte, aber vielfach bestrittene 
Tatsache, dass der Wurm unter der anderen Bevölkerung, ja selbst 
unter den nur über Tage arbeitenden Bergleuten nicht vorkommt, 
scheint endlich auch auf gegnerischer Seite anerkannt zu werden. 
Selbst die mit der Entleerung und Reinigung der zu Tage ge¬ 
förderten Gruben-Abortskübel jahrelang beschäftigten Tagesarbeiter 
auf stark verseuchten Gruben sind bisher freigeblieben von dem 
Parasiten, wie wiederholte Untersuchungen ihrer Stuhlgänge er¬ 
geben haben, obgleich die Vorschriften, mit dem Inhalte der Kübel 
vorsichtig umzugehen, zu desinfizieren, nur mangelhaft befolgt 
werden; es bleibt nicht aus, dass hie und da etwas Ansteckungs¬ 
material verschüttet wird. Aber die in den Fäkalien der Kübel 
etwa noch vorhandenen entwickelungsfähigen Eier und Larven 
gehen über Tage unter, teils wegen der mangelhaften Temperatur, 
teils wegen der abtötenden Wirkung des Sonnenlichtes. Alle die 
Befürchtungen, welche man trägt wegen einer etwaigen Invasion 
des Parasiten unter die Bevölkerung, sind meines Erachtens grund¬ 
los; wir haben es hier nicht mit einer Volksseucbe, sondern 
lediglich mit einer Berufskrankheit der Bergarbeiter zu tun. 
Ich glaube auch nicht daran, dass die Krankheit eine spezifische 
der Ziegelarbeiter ist, wie man früher angenommen hat. Bei ge¬ 
nauer Nachforschung wird man finden, dass die Ziegelbrenner, 
welche von der Krankheit befallen wurden, ursprünglich oder 
wenigstens vorher als Tunnel- oder Grubenarbeiter beschäftigt 
gewesen sind. 



Anchylostomiasis im rhein.-westf. Kohlenrevier. Umehe n. Bekämpfung. 808 


Nach diesen mehr den bergbaulichen Betrieb und seine 
hygienische Bedeutung bei der Bekämpfung der Wurmkrankheit 
betreffenden Ausführungen seien mir noch einige Bemerkungen zu 
der klinischen Seite der Anchylostomiasis gestattet. Ich habe im 
Laufe meiner Erfahrungen immer mehr eingesehen, dass man diese 
Seuche mit Erfolg nur bekämpfen kann, wenn man auf dem Boden 
der klinischen Erfahrnng steht, mit einem Worte, wenn man zu¬ 
gleich die ärztliche Tätigkeit bei den befallenen Leuten ausübt. 

Wir haben auf unserer Untersuchungs- und Krankenstation 
zu unterscheiden gelernt zwischen der Wurmkrankheit, der 
Anchylostomiasis, und den nicht wurmkranken Wurmträgern. 
Auch von anderen Autoren, namentlich in der Gerhardtschen 
Klinik in Berlin, wo man gelegentlich der Kolonialausstellungen 
bei einer sehr grossen Anzahl Neger das Anchylostomum gefunden, 
sich überhaupt spezieller mit diesem Parasiten befasst hat, *) wird 
dieselbe Ansicht vertreten. „Bei den Negern“, sagt Zinn, „findet 
sich zwar der Wurm endemisch, nicht aber die Anchylostomiasis.“ 
Lassano, Arrland, Bohland u. a. haben sich mit der Er¬ 
forschung eines von dem Anchylostomum produzierten Stoffwechsel¬ 
giftes befasst, und wollten es in der Gestalt einer Ptomaine ge¬ 
funden haben. Soviel steht auch nach meinen Beobachtungen fest, 
dass der Grad der Krankheit, der schwere Verlauf derselben 
keineswegs von der Anzahl der vorhandenen Würmer, mit anderen 
Worten von der Menge des durch letztere bewirkten Blutverlustes 
allein abhängt. Zu dieser Annahme stehen mir mehrere Obduktions¬ 
befunde zur Seite, auf die ich hier nicht näher eingehen kann, 
die Tatsache bleibt aber nicht ohne praktische Bedeutung für die 
Bekämpfung der Seuche auf unseren Gruben. Ich habe daher 
kürzlich in einer kleinen, auch für nicht Medizinern verständlichen 
Denkschrift an die Vorstandsmitglieder der Knappschaft im wesent¬ 
lichen folgendes ausgeführt: 

„Wurmkrank sind diejenigen Bergleute, welche infolge der Ein¬ 
wanderung des Wurms eine krankhafte Veränderung der Säften- 
masse des Körpers erlitten haben. Diesen Leuten muss geholfen werden, 
sie haben Qrnnd, ärztlich behandelt zu werden. Wurmbehaftet nenne ich 
zum Unterschiede von den Wurmkranken, die selbstverständlich anch Träger 
des Wurmes sind, diejenigen, bei welchen trotz der Einwanderung des Para¬ 
siten krankhafte Erscheinungen nicht eingetreten sind, und zwar teils wegen 
der grösseren Widerstandsfähigkeit des betreffenden befallenen Körpers, teils 
nnd hauptsächlich aber wegen der allzu geringen Zahl der eingewanderten 
Wärmer und ihrer giftigen Wirkung. Wenn beispielsweise jemand nur 10 oder 
20 eingekapselte Larven verschluckt hat, so können sich ans denselben nur 
höchstens 20 Wärmer entwickeln; ich sage höchstens, weil die Larven ge¬ 
schlechtslos sind, und einzelne von ihnen im Magen nntergehen, auch die ent¬ 
wickelten Wärmer im menschlichen Körper sich nicht vermehren können. 
Solche Leute bleiben, falls sie nicht von neuem und zwar zahlreichere Larven 
aufnehmen, zeitlebens gesund, bedürfen an sich keiner Abtreibungsknr; die 
Wärmer sterben endlich von selbst ab. 

Aber, sagt man mir, diese Leute werden, weil ihr Stuhlgang immerhin, 
wenn auch verhältnismässig wenige Eier enthält, die Krankheit weiter ver¬ 
breiten können. 

Die Krankheit kaum! Aus jedem Ei im Stuhlgang entsteht im 

') Vergl. Arbeiten von Dr. Zinn und Dr. Jacoby. Berliner klinische 
Wochenschrift; 1896, Nr. 86. 



804 Dr. Tenholt: Aoohylostomiasis im rhein.-weetf. Kohlenrevier n. a. w. 


gttnatigaten Falle nur eine Larve and da die Larven geschlechtslos sind, kann 
eine Vermehrung derselben in der Grabe nicht stattfinden. 

Der mit so spftrliohen Warmeiern behaftete Kot ist daher bei weitem 
nicht so gefährlich für die Belegschaft, als der mit Eiern ttbers&te, wie er 
von den Warmkranken abgesetzt wird. Diese sind in erster Beihe von 
der Arbeit aaszosohliessen and von den Würmern za befreien aas persönlichen 
gesundheitlichen Rücksichten einerseits, and anderseits, am der weiteren 
Massenabsetzang von Ansteckangsmaterial in der Grabe ein Ende za 
machen. Bei diesem Verfahren, in Verbindung mit den bergpolizeilichen An¬ 
ordnungen, ist es ans gelangen, die Zahl der Krankheitsfälle in den Jahren 
1895 bis 1900 allmählich herabzudrücken, wie aas den statistischen Ueber- 
sichten hervorgeht. Aber — and dies zeigt aasserordentlich deutlich die 
graphische Darstellung und Uebersichtskarte — mit dem Jahre 1900 stieg die 
Zahl rapid and enorm. Es ist dies nachweislich auf die Berieselung der Graben 
zarückzaführen. 

Bemerkenswert ist die noch wenig bekannte Tatsache, dass seit Ein¬ 
führung der Berieselnng die Zahl der Warmkranken nar eine verhältnis¬ 
mässig sehr geringe Zanahme gefunden hat, dagegen die Zahl der Warmträger 
eine so aasserordentlich hohe geworden ist. Während wir vorher in den 
Krankenanstalten die schwersten Fälle liegen hatten, die meisten dieserhalb 
untergebrachten Leute bettlägerig waren, and durch die Kar so massenhafte 
Würmer abgetrieben worden, dass wir stets in der Lage waren, an Universi- 
täts- and andere Krankenanstalten die Würmer als Demonstrationsmaterial za 
versenden, sind die meisten, wohl 95 % der seit etwa 2 Jahren aofgenommenen 
mit den Würmern mehr oder minder behafteten Leute nicht nur nicht bett¬ 
lägerig, sondern es kostet auch grosse Mühe, die so äasserst spärlich vorhanden 
gewesenen Würmer in den Exkrementen anfzufinden; es fehlt ans, wenn auch 
nicht gänzlich, immerhin recht merklich an Demonstrationsmaterial. Und doch 
hat der Parasit an Umfang seines Gebiets erheblich gewonnen. Ich finde auch 
hierfür die Erklärung. Früher blieb der mit Millionen von Warmeiern and 
schliesslich mit ebenso vielen Larven behaftete, von einem warmkranken Berg¬ 
mann an irgend einer Ecke in der Grabe verrichtete Stahlgang unberührt 
liegen, bis zufällig ein anderer Arbeiter, sei es mit den Füssen, sei es gar mit 
den Händen, dem gefährlichen Stoffe za nahe kam. Das kleinste Teilchen 
dieses Schmatzes konnte dem Manne viele hundert Würmer verursachen; in¬ 
folgedessen wurde er warmkrank. Seit der Berieselung werden die Kot- 
hänfen auseinander geschwemmt; das Ansteckangsmaterial wird weithin aus¬ 
gedehnt, aber erheblich verdünnt. Die Gelegenheit des Arbeiters, auf Wurm¬ 
keime za stossen, ist aasserordentlich gestiegen, die Gelegenheit aber, das 
Ansteckangsmaterial massenhaft in sich anfzanehmen, aasserordentlich ver¬ 
mindert. Daher die verhältnismässig grosse Zahl von nicht kranken Leuten 
and verhältnismässig sehr geringe Zahl von Kranken unter den Warmträgern.“ 

Um der Erforschung der toxischen Wirkung des Anchylosto- 
mum näher zu treten, haben wir den bereits genannten Pharma¬ 
kologen Dr. Jacoby zugezogen; hoffentlich werden unsere gemein¬ 
samen, auf unserem Laboratorium demnächst beginnenden Arbeiten 
mehr Licht schaffen, zumal uns ein so grosses Material zur Ver¬ 
fügung steht, bei dem wir schon so manche eigenartige Erfahrungen 
gemacht haben. Beispielsweise gelingt es in der Regel viel 
leichter, den Wurmkranken die Würmer abzutreiben, als den nicht 
kranken Wurmträgern. Während erstere meistens schon nach 
einer einmaligen, höchstens zweimaligen Kur mit 7 bis 8 g Ex- 
tractum Filicis von der ganzen Sippe der Würmer befreit werden, 
bedarf es bei letzteren nicht selten einer 8- bis 10 maligen Kur, 
ja zuweilen gelingt es überhaupt nicht, diesen den letzten Wurm 
abzutreiben. Sollten diese Leute vielleicht das wirksame Agens 
des Extr. Filicis zu neutralisieren imstande sein, bevor es zum 
Sitze der Würmer gelangt, und zwar vermöge ihrer durch Krank- 



Dr. Fielit«: Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. 305 

heit noch nicht geschwächten Säfte P Es sind nur zwei Möglich¬ 
keiten vorhanden: entweder tritt das wirkende Agens mittels des 
Magen-Darminhalts direkt an die Sitze der Würmer, oder es 
gelangt auf Umwegen, durch Resorption vom Magen aus dorthin. 
Sollte der Magensaft eines Gesunden das Mittel in seiner Wirkung 
abschwachen, wozu der Magensaft eines Kranken nicht imstande ist? 
Letzterer, von Dr. Jacoby aufgeworfenen Frage sind wir zunächst 
näher getreten; wir verordnen das Mittel in Gultoid-Kapseln, 
welche sich im Magen nicht, sondern erst im Darm auflösen. 

Es wäre noch manches, was in klinischer Beziehung von 
grossem Interesse ist, anzuführen, z. B. die eigenartige Anämie der 
Wnrmkranken, die eigenartige Beschaffenheit des Blutes, die nicht 
unwesentlich von anderen Arten der Anämie verschieden ist und der 
Forschung noch ein weiteres Feld offen lässt (Dr. Zinn), allein ich 
glaube, auf solche noch ungelösten Fragen heute nicht weiter ein- 
gehen zu sollen. Erwähnen will ich nur noch, dass wir neuerdings 
Versuche mit wasserdichten und verschlussfähigenKotbeuteln machen, 
die über einen Ring gespannt sind. Sie werden denjenigen Ar¬ 
beitern mitgegeben, die nicht in den Strecken, sondern vor Ort 
arbeiten, von wo aus sie die Aborte schlecht erreichen können. 

Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. 

Von Kreisarzt und Med.-Bat Dr. Fielitc in Halle a. S. 

Zwei Jahre erst sind seit dem Inkrafttreten des Kreisarzt¬ 
gesetzes verflossen und schon heute lässt sich erkennen, welchen 
bedeutenden Einfluss dasselbe auf allen Gebieten der öffentlichen 
Gesundheitspflege in Preussen haben wird. Mit besonderer Ge¬ 
nugtuung beobachten wir auch in den ländlichen Bezirken ein 
zunehmendes Verständnis für die Bestrebungen des Gesundheits¬ 
beamten. Der Kreisarzt tritt dem Volke näher; sein persön¬ 
licher Einfluss schafft Verbesserungen, die noch vor kurzer Zeit 
unmöglich schienen. Frisches Leben regt sich überall, namentlich 
in dem Kampfe gegen die vermeidbaren Volkskrankbeiten! 

Mit Trauer musste bis vor kurzem der Landphysikus sehen, 
dass die Fortschritte der Hygiene allein den Städten Nutzen und 
Vorteil brachten, während er auf dem Lande den Feinden der Mensch¬ 
heit gegenüber ohnmächtig blieb. Früher hausten die Seuchen 
mit Vorliebe in den grossen Städten; jetzt suchen sie sich, aus 
diesen vertrieben, in den ländlichen Ortschaften zu entschädigen. 
Der Unterleibstyphus, sonst endemisch in vielen Städten, ist mehr 
und mehr eine Krankheit der Dörfer geworden. Scharlach und 
Diphtherie bezwingt man in den menschenüberfüllten Verkehrs¬ 
zentren mit strengen Massnahmen; auf dem Lande verschwinden 
sie erst, wenn sie Haus für Haus ihre Opfer aufgesucht haben. 

Leider sind die Verhältnisse in Landkreisen überaus traurige, 
soweit die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Frage kommt. 
Hier findet der Kreisarzt eine der schwersten Aufgaben zu lösen, 
während seinem grossstädtischen Kollegen die reifen Flüchte 
gleichsam in den Schoss fallen. 



806 


Dr. Fiellts. 


In den Städten hat man längst begriffen, dass die sorgsamste 
Befolgung gesundheitspolizeilicher Forderungen die erste Bedingung 
ist für das Blühen und Gedeihen des Gemeinwesens. Jedes Zu¬ 
rückbleiben auf diesem Gebiete würde sich in der modernen Stadt 
schwer rächen. 

Wie anders auf dem Lande! Der geringere Wohlstand, be¬ 
scheidenere Ansprüche an die Schönheiten des Lebens, leider aber 
auch mangelndes Verständnis und falsch angebrachte Sparsamkeit 
stehen jeder Forderung der öffentlichen Gesundheitspflege gleich- 
giltig oder misstrauisch oder gar ablehnend gegenüber. 

Die preussischen Medizinalbeamten haben sich seit Jahren 
in ihren Versammlungen mit diesen Dingen beschäftigt, besonders 
eingehend in den Jahren 1900 und 1901. Auch in einzelnen Regie¬ 
rungsbezirken ist vielfach erwogen worden, wie sich eine Seuchen¬ 
bekämpfung am besten auch in Landkreisen bewerkstelligen liesse. 
In verschiedenen Bezirken hat man bereits Desiniektionsordnungen 
erlassen, die wenigstens eine Schlussdesinfektion bei bestimmten 
Krankheiten verbürgen sollen. Solche Einrichtungen giebt es 
z. B. in den Kreisen Lüchow, Nimptsch, Grätz u. a. 

Am weitesten ist man im Regierungsbezirk Arnsberg ge¬ 
kommen, wo man Ende vorigen Jahres bereits 200 Desinfek¬ 
toren angestellt hatte, die gleichzeitig als Gesundheitsauf- 
seher Verwendung finden sollten (Dütschke’s Artikel in 
Jahrg. 1902, Nr. 21 dieser Zeitschrift). Wird diese Einrichtung, 
die übrigens auch Roth 1902 im Verein für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege empfohlen hat, sich bewähren? Es ist möglich, aber ich 
möchte es zunächst bezweifeln und zwar aus folgenden Gründen: 

Die Verbindung der Aemter des Desinfektors mit dem eines 
Gesundheitsaufsehers halte ich nicht für glücklich, zumal wenn 
man, wie Dütschke (a. a. 0. S. 762) sagt, „bei der Auswahl 
der geeigneten Persönlichkeiten im Anfang nicht zu ängstlich sein 
kann". Wir sehen an den Hebammen, wie schwer ein solcher 
Stand zu heben ist, wenn das Durchschnittsmaterial minderwertig 
war. Und ein Gesundheitsaufseher muss doch weit mehr 
Taktgefühl besitzen, als ein Desinfektor! Sollen diese Leute z. B. 
die fortlaufende Desinfektion beaufsichtigen, also in den Kranken¬ 
zimmern Zutritt haben P Werden sich Barbiere und Fleisch¬ 
beschauer, überhaupt Männer hierzu eignen, ausser den AerztenP 
Die Befürchtung ist ausserdem begründet, dass derartige weniger 
gebildete Menschen sich mehr im Amte des „Gesundheitsauf¬ 
sehers“ als in dem des „Desinfektors“ gefallen, besonders wenn 
sie diese Geschäfte nebenamtlich betreiben. Davon später. 

Es ist ausserordentlich schwierig, in planmässiger Weise 
eine Bekämpfung ansteckender Krankheiten auf dem Lande zu 
organisieren. Wäre es leichter, dann ständen wir in den Land¬ 
kreisen heute nicht so weit zurück. 

Ich habe mich seit Jahren mit einer solchen Organisation 
für den Saalkreis beschäftigt und dabei je länger, je mehr Hinder¬ 
nisse gefunden, die nur mit grösster Geduld und jedenfalls nicht 
ohne Opfer an Zeit und Mühe hinwegzuräumen sind. Wenn ich 



Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. 807 

mir erlaube, meine Gedanken hier öffentlich zum Ansdruck zu 
bringen, so gebe ich damit gleichzeitig ein Bild derjenigen Ein¬ 
richtungen, die in meinem Kreise nunmehr zu Ende geführt sind. 

Bei Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten auf dem 
Lande müssen alle diejenigen Faktoren mitwirken, welche durch 
die Gesetzgebung, besonders aber durch ihre Beziehung zur öffent¬ 
lichen Krankenpflege, hierzu berufen sind. Die Infektionskrank¬ 
heiten bekämpft man insbesondere nicht nur mit einer Zwangs¬ 
desinfektion nach Schluss der Erkrankung; es genügt also keines¬ 
wegs die Anstellung von Desinfektoren. Ja es wäre recht gut 
denkbar, dass spätere Generationen eine Schlussdesinfektion nur 
noch bei ungünstigen Wohnungsverhältnissen nötig hätten, wenn 
man erreicht, dass von Kranken Ansteckungsstoffe nicht mehr 
verstreut werden. In einzelnen Städten sieht man bereits von der 
Schlussdesinfektion ab, wenn der behandelnde Arzt bescheinigt, 
dass während der Krankheit vorschriftsmässig verfahren wurde. 

Schon die Ermittelung erster Fälle begegnet in Land¬ 
kreisen grossen Schwierigkeiten. Es ist nicht möglich, dass der 
Kreisarzt alle ersten Fälle ansteckender Kinderkrankheiten per¬ 
sönlich feststellt; Zeitmangel und Kosten verhindern das. Bei 
Unterleibstyphus wird er allerdings stets gut tun, an Ort und 
Stelle zu erscheinen, aber auch bei dieser, noch am leichtesten zu 
unterdrückenden Krankheit entgehen uns fast immer die wirklich 
ersten Fälle. 

Wie viele Erkrankungen kommen nicht in ärztliche Behand¬ 
lung, sei es wegen der unbedeutenden Erscheinungen und Be¬ 
schwerden, sei es, weil ein Kurpfuscher an ihnen seine Kunst ver¬ 
sucht. Gerade die Kurpfuscherei steht uns beim Kampfe mit den 
Infektionskrankheiten ausserordentlich im Wege. Wiederholt habe 
ich noch in jüngerer Zeit beobachtet, dass Scharlach oder Diph¬ 
therie epidemische Verbreitung gefunden hatten, trotzdem Mel¬ 
dungen von Aerzten nicht Vorlagen. Nachforschungen bestätigen 
das Gerücht: Kurpfuscher behandeln die Kranken und begünstigen 
durch Unterlassen jeder Vorsichtsmassregeln eine Verbreitung. 
Es ist wirklich die höchste Zeit, dass den Pfuschern mindestens 
die Vorrechte genommen werden, deren sie sich den Aerzten 
gegenüber zum Schaden der öffentlichen Gesundheitspflege erfreuen. 
Der Gesetzgeber wird Mittel und Wege finden, damit wenigstens 
seine eigenen Massnahmen zum Schutze gegen Seuchen nicht 
durchkreuzt werden. 

Sehr richtig verlangte Wodtke in seinem erschöpfenden 
Referate des vorigen Jahres, dass die Anzeigepflicht genau so 
geregelt werde, wie im Gesetz vom 30. Juni 1900 §§. 1 und 2. 
Wird nicht gesetzlich bestimmt, dass auch solche Erkrankungen 
gemeldet werden, welche den Verdacht auf Typhus, Diphtherie, 
Scharlach u. s. w. erwecken, dann kommen wir nicht zum Ziele, 
wenigstens nicht in Landkreisen, wo die schnelle Unterdrückung 
einer bereits epidemisch gewordenen Krankheit voraussichtlich 
stets unmöglich bleiben wird. Der Pfuscher darf sich nicht hinter 
der Ausrede verstecken können: er habe die Krankheit nicht für 



308 


Dr. Fielits. 


eine anzeigepflichtige gehalten! Er wird nm so mehr versucht 
sein, die Anzeige zu unterlassen, als er sich auf diese Weise die 
Polizeibehörde und die ärztliche Kontrolle fernhält (vergl Entwurf 
des Ausführungsgesetzes zum Seuchengesetz §. 6, Abs. 3). Das 
Gesetz würde den Pfuscher geradezu verleiten, Ausflüchte zu 
suchen, die ein Unterlassen der Anzeige gestatten; die Erfahrung 
lehrt ausserdem zur Genüge, wie schwer es ist, den Kurpfuscher 
zur Bestrafung zu bringen. Mindestens sollte die Anzeige bei 
Verdacht noch auf Scharlach und Diphtherie ausgedehnt werden. 
Bei beiden Feinden der Kinderwelt ist es von grösster Wichtig¬ 
keit, dass Schutzmassregeln ergriffen werden und das geschieht, 
wenn schon der Verdacht anzeigepflichtig ist und wenn besonders 
die Diagnose „ Friesei“ nicht mehr vorgescbützt werden kann. 
Aber selbst bei strengsten gesetzlichen Vorschriften entgehen 
unserer Kenntnis voraussichtlich alle die leichten Fälle, die von 
den Angehörigen kaum beachtet werden. Man denke nur an die 
ambulanten Typhen, an die leichten Diphtherie- und Scharlach¬ 
erkrankungen und dergl. 

Diesen Fällen kann man unter Umständen in kleinen Orten 
leichter auf die Spur kommen, als in grossen Städten, wenigstens 
glauben wir im Saalkreise in dieser Beziehung auf dem richtigen 
Wege zu sein. Es wird gerade hier immer eine Lücke in der 
Gesetzgebung bleiben, die wir mit den Mitteln der öffentlichen 
Krankenpflege auszufüllen streben. In erster Linie ist hier zur 
Mitwirkung der Vaterländische Frauenverein berufen, indem er 
seine Hauptkraft der eigentlichen Gemeindepflege widmet. Ge¬ 
meindeschwestern sind die geeigneten Persönlich¬ 
keiten zur Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten 
in Landkreisen. Sie haben in nnserem Kreise bei Epidemien 
wirklich segensreich gewirkt. 

Leider macht sich der Mangel an Schwestern fühlbar; wir 
müssen deshalb erwägen, ob wir nicht nach Badenschem Muster 
„Landpflegerinnen“ ausbilden sollen. Erst wenn mindestens für 
jeden Amtsbezirk eine Pflegerin vorhanden ist, erst dann wird 
man mit einiger Kühe dem Ansturm übertragbarer Krankheiten 
entgegensehen. Um das zu erreichen, bedarf es freilich grosser 
Opfer und jahrelanger Bemühung. Wenn aber Landrat und 
Kreisarzt persönlich erscheinen, wo es gilt, bei kleinen oder grossen 
Versammlungen Verständnis für die Gebote der Gesundheitspflege 
zu verbreiten, dann wird der Erfolg nicht ausbleiben. 

Gesundheitskommissionen, Ortsbesichtigungen, Epidemien, 
aber auch Familienabende u. s. w. bieten Gelegenheit, auf unsere 
heutigen Mängel hinzuweisen. Dass wir jetzt dem Publikum 
näher kommen, ist ja einer der grössten Vorzüge des Kreisarzt¬ 
gesetzes; denn die Erfahrung lehrt, dass durch eine persönliche 
Verhandlung mitunter unschwer erreicht wird, was durch jahre¬ 
lange Schreiberei vergeblich angestrebt war. 

Die öffentliche Krankenpflege muss mit allen Mitteln ge¬ 
fördert werden! Den Gemeindeschwestern entgeht bei längerem 
Sitz am Orte oder im Bezirk so leicht kein verdächtiger Er- 



Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. 


809 


krankungsfall, welcher auf diese Weise sofort in sachverständige 
Behandlung und, wenn irgend möglich, in ein Krankenhaus ge¬ 
bracht wird. Nnr so ist es möglich, die Krankheit rechtzeitig 
feststellen zu lassen, wie es das Ausführungsgesetz im §. 6 be¬ 
absichtigt. 

Solange ein Zweifel besteht, wird der Fall als positiv be¬ 
handelt, bis das Resultat der bakteriologischen Untersuchung vor¬ 
liegt. Voraussetzung sind Untersuchungsämter, wie wir in 
Halle ein solches unter Prof. C. Fränkels Leitung im Anschluss an 
das hygienische Institut der Universität besitzen. Sämtliche 
Kreise des Regierungsbezirks Merseburg tragen zu den Kosten 
bei; dafür werden alle von den Aerzten des Bezirks bean¬ 
tragten Untersuchungen kostenfrei ausgeführt. Die ganze Organi¬ 
sation hat sich bis ins kleinste vorzüglich bewährt. 

Weiter bedienen wir uns zur Ermittelung der ersten Fälle 
der Lehrer. Die Ministerial-Verfügung vom 14. Juli 1884 bezw. 
die beigegebene „Anweisung zur Verhütung ansteckender Krank¬ 
heiten durch die Schulen“ bestimmt in Abs. 5, dass der Lehrer 
für die Beobachtung der unter 2—4 gegebenen Vorschriften ver¬ 
antwortlich ist und jede Ausschliessung eines Kindes vom Schul¬ 
besuche wegen ansteckender Krankheit sofort der Ortspolizeibehörde 
anzuzeigen hat. Mit dieser Bestimmung haben wir zunächst nur 
eine wertvolle Kontrolle der Anzeigepflicht, aber wir erwarten von 
den Lehrern eine weitergehende Unterstützung bei der Seuchenbe¬ 
kämpfung. In den allermeisten Fällen nämlich gelingt es gerade 
dem Lehrer auf dem Lande leicht zu entscheiden, ob bei einem 
wegen Unwohlseins den Unterricht versäumenden Kinde der Ver¬ 
dacht einer ansteckenden Krankheit begründet ist. Bejahenden¬ 
falls geht eine entsprechende Anzeige an den Ortsschulinspektor 
und von diesem an den Landrat bezw. Kreisarzt. 

Selten werden Lehrer sich weigern, dieses geringe Opfer 
znm allgemeinen Wohle zu bringen, zumal die meisten unter ihnen 
Familienväter sind. Um die Lehrer zu gewinnen, bedarf es einer 
persönlichen Bekanntschaft. Am besten eignen sich hierzu die 
Kreislehrerkonferenzen, in denen der Kreisarzt Vorträge halten 
muss, denen sich ausführliche Besprechungen anschliessen. Ver¬ 
anlassung bieten besondere Ereignisse, wie Epidemien im Bezirk, 
das Seuchengesetz, die Einführung der Zwangsdesinfektion im 
Kreise und dergl. Ich muss mit grösster Anerkennung bestätigen, 
dass ich jederzeit die weitgehendste Unterstützung seitens der 
Lehrer gefunden habe. 

Tritt in der Nachbarschaft eine ansteckende Krankheit auf, 
so besprechen die Lehrer wenigstens in den Oberstufen die Natur 
derselben, um auch die Kinder rechtzeitig aufmerksam zu machen. 
Zu diesem Zwecke werden ihnen „Verhaltungsmassregeln“ für die 
einheimischen Infektionskrankheiten in die Hand gegeben; auch 
interessieren sich die meisten dieser Herren sehr für solche Auf¬ 
gabe. Mit der Abfassung solcher „Verhaltungsmassregeln“, die 
vor allem kurz und leicht verständlich sein müssen, hat der Me¬ 
dizinalbeamten - Verein des Regierungsbezirks Merseburg eine 



310 


Dr. Fielitz. 


Kommission beauftragt; die Massregeln sollen das Verhalten bei 
ansteckenden Krankheiten bis zur Schlussdesinfektion genau vor¬ 
schreiben. Wir bilden uns nicht ein, sofort einen grossen Erfolg 
zu sehen, glauben aber, dass der Segen derartiger Bestrebungen 
nicht ansbleiben wird, und dass wir auf dem richtigen Wege sind, 
um auch in Landkreisen sämtliche Fälle von ansteckenden Krank¬ 
heiten zu ermitteln. Ohne eine genaue Ermittelung ist jeder 
Kampf aussichtslos! 

Was geschieht nun weiter nach Feststellung des Falles? 

Isolierräume sind auf dem Lande seltener zu beschaffen, 
als in der Stadt. Auch hier bleiben besondere Aufgaben von der 
öffentlichen Krankenpflege zu lösen. Zwar können nach §. 23 des 
Gesetzes vom 30. Juni 1900 und nach §. 27 des preussischen Ge¬ 
setzentwurfes Gemeinden oder Kommunalverbände angehalten 
werden, Einrichtungen zu treffen, welche zur Bekämpfung der 
gemeingefährlichen Krankheiten notwendig sind; indessen sind wir 
noch weit davon entfernt, überall geeignete Unterkunftsräume zur 
Verfügung zu bekommen, und wo solche vorhanden, fehlt die Aus¬ 
stattung und in den meisten Fällen eine Person zur Pflege des 
Kranken. Auf dem Lande ist selten ein Mensch von der Arbeit 
abkömmlich. Die Frau besorgt fast ausnahmslos neben der Pflege 
des kranken Kindes ihre gewöhnliche Hausarbeit, freilich zum 
Schaden für den Patienten und für sich selbst, besonders aber zur 
Gefahr für die gesunden Mitglieder der Familie. 

Auch hier kann nur das gemeinsame Handeln der Aerzte, 
Krankenkassen und Gemeindeschwestern etwas erreichen. Der 
menschenfreundliche und gewissenhafte Arzt wird alle geeigneten 
ersten Fälle einem Krankenhause zuweisen, und die Krankenkassen 
— besonders die grossen Kreiskrankenkassen — werden gern 
ihre Zustimmung geben; denn es handelt sich um ihren eigenen 
Vorteil. Bleibt der Kranke aber in seiner Wohnung, dann richtet 
die Gemeindeschwester das Krankenzimmer so gut als möglich 
ein und zeigt der Pflegerin an der Hand der „Verhaltungsmass- 
regeln“, wie man ein Verschleppen des Ansteckungsstoffes ver¬ 
hüten kann. Es wird unter Umständen nötig und möglich sein, 
aus beschränkten Wohnungen die gesunden Kinder zu entfernen; 
das muss in jedem einzelnen Falle je nach den Umständen ent¬ 
schieden werden. Auch dabei ist eine geschulte Krankenpflegerin 
die beste Helferin. Es ist ja erklärlich, dass sie in Krankenstuben 
mehr leisten kann, als ein männlicher Gesundheitsaufseher, der 
bestenfalls von den Leuten als Polizeibeamter angesehen wird, 
während man der Pflegerin mit Vertrauen begegnet und ihre An¬ 
wesenheit als eine Erleichterung in schweren Stunden empfindet. 
Eine weibliche Person passt auch jederzeit in das Krankenzimmer 
eines Mannes, aber nicht umgekehrt der fremde Mann in das einer 
Frau. Aus diesem Grunde wünschen wir, die Gemeindeschwester 
zur Kontrolle der fortlaufenden Desinfektion im weitesten Um¬ 
fange zu verwenden. 

Bei gebildeten und bei wohlhabenden Leuten bedarf es kaum 
solcher Kontrolle, unbedingt aber bei den einfachen kleinen Leuten. 



Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen. 311 

Was hier eine Gemeindeschwester leisten kann, habe ich erst un¬ 
längst wieder bei einer äusserst bösartigen Scharlachepidemie mit 
20 °/ 0 Todesfällen beobachtet. Das ruhige, sanfte und wohltuende 
Wesen der Schwester wirkte wunderbar auf diese Menschen und 
erreichte von ihnen mehr, als der beste Wille des Arztes. 

Der Kreisarzt soll sich deshalb mit voller Hingebung an den 
Aufgaben des Vaterländischen Frauenvereins beteiligen, den ich 
für berufen halte, gerade auf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung 
Hervorragendes zu leisten. 

In manchen Gemeinden werden die Vorstandsdamen geneigt 
und imstande sein, mit Bat und Tat den bedrängten Familien 
beizustehen, besonders wenn sie nicht selbst Kinder vor An¬ 
steckung zu schützen haben. Sie werden auch in der Lage sein, 
mit Gerätschaften aller Art bei ansteckenden Krankheiten auszu¬ 
helfen. Man denke nur, wie schwer es in ärmlichen Verhältnissen 
ist, für Kranke eigenes Ess- und Trinkgeschirr zu haben! Der 
Frauenverein wird es später auch ermöglichen, dass die von den 
Gemeinden oder Amtsbezirken zur Verfügung gestellten Unter¬ 
kunftsräume einigermassen ausgestattet werden, damit Kranke 
nicht noch schlechter wohnen, als in den eigenen engen und oft 
unsauberen Bäumen. 

Unsere Hauptaufgabe werden wir aber in einer 
gewissenhaften fortlaufenden Desinfektion erblicken. 

Kirchner (Aerztl. Sachverständigen - Zeitung, 1902, Nr. 17) 
spricht es offen aus, dass „der wichtigste Teil der Desinfektion 
derjenige ist, welcher während der Erkrankung stattfindet“. Frei¬ 
lich ist dieser Teil auch der schwerste! Es genügt — wenigstens 
auf dem Lande — keineswegs, dass der Arzt den Leuten zeigt, 
wie und was sie desinfizieren sollen; es muss eine dauernde Kon¬ 
trolle stattfinden und diese kann, wie ich schon sagte, nur von 
einer Gemeindepflegerin ausgeübt werden. Wir haben das im 
Saalkreise erprobt, indem wir bei schweren Epidemien eine Ge¬ 
meindeschwester in die ergriffenen Orte schickten. Die Frau 
Vorsitzende des Zweigvereins hat uns ihre Unterstützung stets 
angedeihen lassen. 

Das Seuchengesetz allein bietet keine Gewähr für eine aus¬ 
reichende Desinfektion während der Krankheit; das ist einfach 
unmöglich. Den ungebildeten Leuten, allerdings häufig auch ge¬ 
bildeten, erscheint das peinliche Abmessen der Desinfektionsmittel 
unnötig und lästig. Man begnügt sich mit einem schwachen 
Karbolgeruch, und sonst verschwenderische Leute treiben in diesem 
Punkte die Sparsamkeit auf die Spitze. 

Hier kann nur das Beispiel wirken. In der Hebammentätig¬ 
keit belächelten anfangs die Laien jede Desinfektion; heute be¬ 
schweren sich Arbeiter, wenn bei ihren Frauen angeblich zu wenig 
Lysol gebraucht wurde. Gut Ding will Weile haben! Man darf 
nicht müde werden in der Förderung unserer Ziele, dann wird die 
Zeit kommen, wo der gleichgiltigste und ungebildete Mensch bei 
seinem scharlachkranken Kinde dieselbe Vorsicht verlangt, wie 
der gebildete. 



812 


Dr. Fielits. 


Auf alle Fälle müssen wir für ausreichendes Desinfektions¬ 
material Sorge tragen! Dabei treffen wir wieder auf eine strittige 
Frage: sind die Krankenkassen verpflichtet, ihren an ansteckenden 
Krankheiten leidenden Mitgliedern Desinfektionsmittel zu liefern ? 
Das Krankenversicherungsgesetz bestimmt in §. 6, Abs. 1, dass 
als Krankenunterstützung zu gewähren ist: „vom Beginn der 
Krankheit ab freie ärztliche Behandlung, Arznei, sowie Brillen, 
Bruchbänder und ähnliche Heilmittel*. Nach diesem Wortlaut ist 
es also mindestens fraglich, ob die Mitglieder einer Krankenkasse 
freie Desinfektionsmittel beanspruchen können, auch liegt meines 
Wissens weder eine Erläuterung, noch eine gesetzliche Entscheidung 
vor, trotzdem schon viel über diesen Gegenstand gestritten wurde. 

Nach meiner Ansicht gehören die Desinfektionsmittel zur 
„ärztlichen Behandlung*. Diese ist frei und, da der Arzt schon 
nach dem alten Regulativ (§. 17) zur Ueberwachung der sanitäts¬ 
polizeilichen Vorschriften verpflichtet war, wird er auch die im 
besonderen Falle nötigen Desinfektionsmittel verordnen müssen. 
Während die Gemeinde für die Schlussdesinfektion zu sorgen hat, 
soll der Kranke für die laufende Desinfektion selbst aufkommen. 
Für das Kassenmitglied muss hier also die Kasse eintreten. 
Andernfalls würde z. B. bei Unterleibstyphus (Seuchengesetz §.14 
bezw. Ausflihrungsgesetz §. 8, Abs. 10) stets eine zwangsweise 
Ueberführung in ein Krankenhaus möglich und erforderlich sein. 

Uebrigens dürften Krankenkassen, besonders die Kreiskranken¬ 
kassen mit Familienversicherung, im eigenen Interesse die billigen 
Desinfektionsmittel liefern. Vielleicht bietet sich bei Beratung der 
Novelle zum Krankenversicherungsgesetz im Reichstage, oder im 
Landtage beim Seuchengesetz Gelegenheit, diese wichtige Frage 
einwandsfrei und klar zu beantworten. 

Erheblich einfacher gestaltet sich die Schlussdesin¬ 
fektion. 

Auch wir sind von der Ueberzeugung ausgegangen, dass bei 
dieser Desinfektion eigentlich alles auf die Wahl des Desin¬ 
fektors ankommt. Weder Barbiere, Polizeidiener, Fleischbe¬ 
schauer oder gar Totengräber eignen sich zu solchem Amte; jene 
will man dann nicht mehr in gesunden Familien sehen, diese 
schickt man nicht in Häuser, an denen vielleicht soeben der Tod 
vorübergegangen ist. Wir haben uns im Gegensatz zum Arns- 
berger Bezirk auf den Standpunkt gestellt: wenige, aber vor¬ 
zügliche Desinfektoren sind besser, als eine Menge 
zusammengewürfelter Leute. 

Die Desinfektoren müssen ferner nicht nebenamtlich an¬ 
gestellt werden, denn nur vollbeschäftigte und vollbesoldete Be¬ 
amte bieten eine sichere Gewähr für ihre Zuverlässigkeit. 

Sind nicht genügende Mittel vorhanden, so begnüge man sich 
zunächst mit der Formalindesinfektion und behelfe sich in den 
selteneren Fällen von Typhus und Kindbettfieber mit der alten 
Methode^ die ja auf dem Lande im grössten Teil des Jahres durch 
Sonne und Luft unterstützt wird. Dampfapparate werden in Land¬ 
kreisen nur in möglichst einfacher und kleiner Form zu beschaffen 



Die Bekämpfung ansteekender Krankheiten in Landkreisen. 


813 


sein, wie sie jetzt schon für 700—1000 Mark zu haben sind. 
Man muss bedenken, dass mancher Landkreis Entfernungen bietet, 
welche den Transport zu kostspielig machen, and wird deshalb 
statt einer Desinfektionsanstalt verschiedene kleine Apparate in 
den grösseren Gemeinden vorziehen. Wir beabsichtigen z. B. in 
den 3 Städten des Kreises Dampfapparate zu beschaffen, für deren 
Benutzung dann die umliegenden Amtsbezirke eine Gebühr zu 
entrichten haben. Fahrbare Apparate sollten niemals angeschafft 
werden. 

Im Saalkreis sind zunächst ein Kreisdesinfektor und ein 
Stellvertreter angestellt, die beide in der von Prof. C. Fränkel 
ins Leben gerufenen Desinfektionsschule ausgebildet sind. Diese 
Art des Unterrichts ist der durch den Kreisarzt weit vorzuziehen, 
da die Schüler durch Anschauung ein tieferes Verständnis für ihre 
Aufgaben bekommen; sie sollen eben nicht nur mechanisch ihr 
Amt verrichten, sondern auch wissen, warum sie jede Kleinigkeit 
bei Ausübung desselben zu beachten haben. — Der Kreisdesin¬ 
fektor wohnt am Sitz des Kreisarztes und wird vom Kreisaus¬ 
schuss auf Kündigung angestellt. Er bezieht ein festes Gehalt 
und ausserdem eine besondere Entschädigung für jede Desinfektion, 
sodass sein Einkommen 1500 Mark beträgt. Er untersteht der 
Aufsicht des Kreisarztes und bekommt eine genaue Dienstanweisung. 

Eine vom Kreisausschnss beschlossene Polizeiverordnung 
fordert Zwangsdesinfektion bei Typhus, Diphtherie und bei Tuber¬ 
kulose, hier nur bei Todesfällen oder Umzügen. Bei anderen 
Krankheiten kann die Desinfektion von der Ortspolizeibehörde 
nach den Bestimmungen des „Ausführungsgesetzes“ angeordnet 
werden. Jede Desinfektion wird vom amtlichen Des¬ 
infektor vorgenommen. 

Der zweite stellvertretende Desinfektor wohnt in einer Stadt 
30 km von Halle entfernt und besorgt den entferntesten Teil des 
Kreises. Ob diese zwei Desinfektoren für den Saalkreis aus¬ 
reichen, muss die Erfahrung lehren; ich bezweifle es. Keineswegs 
soll man aber zu viel Desinfektoren anstellen und ganz besonders 
hüte man sich, das neue Gewerbe frei zu geben, d. h. jedem ge¬ 
prüften Desinfektor die Befähigung zuzusprechen, polizeilich an¬ 
geordnete Zwangsdesinfektionen vornehmen zu können. Die nächste 
Folge wäre eine unbedingt verhängnisvolle Konkurrenz; auch be¬ 
stände die Gefahr, dass der Desinfektor bevorzugt würde, welcher 
„die wenigste Schererei machte“, d. h. so desinfizierte, dass die 
ganze Desinfektion zwecklos würde. 

Die Desinfektoren müssen unter allen Umständen unabhängig 
vom Publikum sein, ihr hinreichendes und sicheres Auskommen 
und eine regelmässige Beschäftigung haben. Ich rechne, dass 
ein Desinfektor jährlich bis zu 300 Wohnungsdesinfektionen 
vornehmen kann. Dabei wird ihm genügende Ruhe gewährt 
werden können, die natürlich für einen Mann in verantwortungs¬ 
voller Stelle nötig ist. 

Bezahlung empfängt der Kreisdesinfektor aus der Kreis¬ 
kommunalkasse. Die ganze Einrichtung muss aus Gründen der 



814 


Dr. Coester. 


Zweckmässigkeit beim Vorsitzenden des Ereisansschusses zentrali¬ 
siert bleiben. 

Die Amtsvorsteher sind ohne weiteres berechtigt, von Ein¬ 
ziehung der Kosten abzusehen. Ich persönlich stehe zwar auf 
dem Standpunkt, dass jede Zwangsdesinfektion kostenfrei sein 
muss; es wurden mir indessen in der betreffenden Sitzung des 
Kreisausschusses Gründe dagegen angeführt, deren Berechtigung 
ich nicht verkennen konnte. Immerhin hatte ich die Freude, dass 
der Kreistag schliesslich mehr Mittel bewilligte, als ich in einem 
Voranschlag gefordert hatte. 

Die Einzelheiten in der Geschäftsführung der Desinfektoren 
sind durch Anweisungen geregelt, wie es ähnlich auch in anderen 
Bezirken geschehen ist. Der Vorzug unserer Organisation liegt 
besonders in dem Umstande, dass unser Kreisdesinfektor7nur sein 
Amt und nicht einen Nebenberuf haben darf. Wir haben damit 
den ersten Versuch in Landkreisen unternommen. 

Möglich ist solches Resultat nur, wenn sich der Kreislandrat 
für diese Sachen lebhaft interessiert. Ich möchte wünschen, dass 
es in allen Kreisen so wäre, wie in dem unserigen, wo der König¬ 
liche Landrat persönlich an allen Bestrebungen teilnimmt, die auf 
eine Besserung des Gesundheitswesens im Kreise abzielen. 

Nur unter solchen Verhältnissen wird der Kreisarzt, selbst 
nach Erlass eines Landesseuchengesetzes, die Bekämpfung an¬ 
steckender Krankheiten auf dem Lande wirklich fördern können. 


Ein Beitrag zur Anzeigepflicht bei Infektionskrankheiten 
und zur Kurpfuschereifrage. 

Von Kreiaant und Medisin&lrath Dr. Coeater in Bnnalan. 1 ) 

Meldungen der Infektionskrankheiten scheinen nunmehr nach 
Einführung des Kreisarztgesetzes pünktlicher und schneller zu 
geschehen wie früher. Indess giebt es noch eine recht böse Lücke 
in bezug auf diese Meldepflicht, zu deren Beleuchtung es ge¬ 
stattet sei, ein Erlebnis aus den letzten Wochen etwas ausführ¬ 
licher zu schildern, als Anregung zur Beseitigung dieses nicht 
unbedenklichen Uebelstandes. 

Unter dem 30. Oktober v. J. meldete die Hebamme L. ans Z., dass am 
28. Oktober v. J. die Frau Qatabesitser W. gestorben sei. Dieselbe sei am 
25. Oktober ▼. J., nachmittags 6'/» Uhr, von einem siebenmonatlichen Mädchen 
entbanden worden. Herr Dr. X. habe die Kranke behandelt and die Hebamme 
veranlasst, nicht mehr na der W. hinsagehen. Diese etwas geheimnisvolle, erst 
fast sieben Tage nach der Anmeldung des Amtes an mich gelangte Anaeige 
klärte sich durch meine Nachforschungen an Orte und Stelle in folgender 
Weise auf: 

Schon vor Wochen waren swei Knechte des Gutsbesitzers W. hinter¬ 
einander nach Angabe der im Dorfe stationierten Gemeindeschwester an „Ziegen¬ 
peter* erkrankt. Sie hatten trockene, stark belegte Zunge, Nasenbluten, zuerst 
Verstopfung, dann Durchfall, grossen Durst und hohes Fieber gehabt. Die 
Krankheitserscheinungen, welehe der „Ziegenpeter* oder „Wochentölpel“, eine 


*) Mit Bflcksicht auf das „audiatur et altera pars* ist der vorstehende 
Artikel, dessen Verfasser in bezug auf die „Gemeindeschwestern* nicht 
so gttnstige Erfahrungen als Med.-Bat Dr. Fielitz gemacht hat, angeschiossen. 



Beitrag zur Anzeigepflicht bei Infektionskrankheiten u. zur Kurpfuschereifrage. 815 

aaeh dem Laien vertrante Krankheit, macht, sind jedoch bekanntlich gänzlich 
andere and bestehen im wesentlichen in einer Anschwellung der Ohrspeichel¬ 
drüse. Da diese gewöhnlichen Ersoheinnngen fehlten, hatte die zngezogene 
Gemeindeschwester, scheinbar am ihre Diagnose za rechtfertigen, gesagt, der 
„Ziegenpeter* habe sieh aaf „die inneren Organe gelegt*; sie hatte die Knechte, 
obwohl sie sehr hohes Fieber hatten, vollkommen selbständig etwa 14 tage¬ 
lang behandelt, ohne einen Arzt zozaziehen. Frau W. hatte den zuletzt er¬ 
krankten Knecht mit nach Anleitung der „Schwester* hergestellten Salzw&Bser- 
und Zitrouensäurelösungeu gepflegt. Beide Knechte worden wieder gesund; 
während Frau W. über Müdigkeit, Kreazschmerzen, Schwere in den Beinen za 
klagen begann, sich aber, da sie eine resolnte Person war, bis zum 20. Oktober 
1902 aufrecht hielt. An diesem Tage brach sie zusammen. Der Zustand wurde 
schlimmer, und am Dienstag, den 21. Oktober v. J., war wiederum die 
„8chwester*, (die eine ausgebreitete Kurpfuscherei am Orte zu treiben scheint 
und gewohnheitBmässig von der Bevölkerung in jedem Krankheitsfälle zuerst 
sagezogen wird) herbeigerufen. Unverfroren hatte diese auch den Zustand der 
W. konsequenter Weise für „Wochentölpel* erklärt. Obwohl ihr nun bekannt 
war, dass Frau W. schwanger war, und trotzdem, dass sie bei dieser Fieber 
festgestellt hatte, „behandelte* sie die W., vom 21. bis 24. Oktober d. J., fünf 
Tage lang weiter, erklärte, als im ferneren Verlauf der Krankheit starke 
Bückensohmerzen sich zeigten, diese für „Nierenschmerzen* und verordnete, 
gewiss recht passend, Senfpapier zum Auflegen. Erst als sieh diese Bücken¬ 
schmerzen als Wehen entpuppten und infolgedessen am 24. Oktober die Heb¬ 
amme zugezogen worden war, wurde auf den Bat der letzteren der Arzt zuge¬ 
sogen. Dieser konstatierte bei der Frau Unterleibstyphus; er fand hohes 
Fieber über 39°, borkige Zunge, grossen Durst, z. T. Benommenheit, grosse 
Unruhe etc., Krankheitsersoheinungen, die auch der Gemeindeschwester, die täg¬ 
lich die Kranke besucht, nicht entgangen sein konnten, musste sie doch als 
Krankenpflegerin sogar einen besonders gesohulten Blick dafür besitzen. 

Aus dem Mitgeteilten ergiebt sich also folgender Tatbestand: 

1. Eine Gemeindeschwester behandelte zwei Knechte auf 
dem Gute eines Gutsbesitzers Z. an einer Krankheit, die mit 
starkem Durst, Fieber und Abgeschlagenheit einherging, und er¬ 
klärt die Krankheit als „Wochentölpel“ bezw* „Ziegenpeter“, ob¬ 
wohl nicht das geringste Krankheitszeichen fttr die Krankheit 
spricht. 

2. Nach einigen Wochen erkrankt die schwangere Ehefrau 
des betreffenden Gutsbesitzers unter gleichen schweren Er¬ 
scheinungen und stirbt, nach dem ein Abort hn siebenten Monate 
vorangegangen war, und die Schwester die durch beginnende 
Wehen bedingten Kreuzschmerzen für Nierenschmerzen erklärt 
und mit Senfpapier „behandelt“ hat. Trotzdem hier ebenfalls 
hohes Fieber vorhanden war, lässt die Gemeindeschwester keinen 
Arzt holen; derselbe wird vielmehr erst auf Anraten der Heb¬ 
amme am fünften Tage der Krankheit zugezogen. 

3. Es folgten sich mithin auf demselben Gutshofe drei ganz 
ähnliche Krankheitsbilder aufeinander, mit hohem Fieber, stark 
belegter, trockener Zunge, Nasenbluten, Verstopfung, grosser Ab¬ 
geschlagenheit, die bei jedem Sachverständigen den Verdacht auf 
Unterleibstyphus hervorrufen mussten. 

4. Eine Gemeindeschwester, deren Aufgabe es nur ist, 
Kranke und Sieche zu pflegen und Anordnungen von 
Aerzten auszuführen, „behandelt“ hier dreist selbständig, 
ohne die Krankheit zu erkennen, — was ihr nicht angerechnet 
werden kann —, und ohne einen Arzt herbeizurufen, trotzdem ihr 
das hohe Fieber nicht entgehen konnte. Sie erstattete auch dem 



316 


Dr. Coester. 


Kreisärzte keinerlei Anzeige, ihr erscheint nichts verdächtig, Alles 
ist für sie „Ziegenpeter“. 

Die Kurpfuscherei, welche manche Gemeindeschwestern in 
Stadt und Land treiben, ist den Aerzten nur zu bekannt. Die 
Schwestern machen ohne Anordnung des Arztes Morphium- und 
andere Einspritzungen und behandeln, lange bevor ein Arzt geholt 
wird, Kranke, besonders Kinder, selbständig. Man wird sie 
schliesslich darin nicht stören können, da ihnen die Gewerbeord¬ 
nung die Ausübung der Heilkunde ohne Entgelt nicht verbietet, 
aber von den Mitteln der Tabula B. und C. sollten sie doch die 
Finger lassen. Erfahrungsgemäss bekommen weiterhin die Aerzte 
nur selten noch Panaritien zu sehen, ehe nicht durch die „Schwestern- 
Behandlung“ der Fingergliedknochen sich entzündet hat und oft 
zugleich mit einem Fingergliede verloren ist. Die Unfallversiche¬ 
rungen haben dies nur zu häufig zu ihrem Schaden erfahren. Und 
weshalb kommt das Alles vor, wodurch sind die Gemeindeschwestern 
so unternehmend geworden? Lediglich, weil sie unter keiner 
sachgemässen Aufsicht stehen! Ebenso wie alles niedere Heil- 
und Pflegepersonal müssten auch die Gemeindeschwestern unter 
der Kontrolle des Kreisarztes stehen; der praktische Arzt allein 
ist gar nicht in der Lage, ihre Tätigkeit genau zu beaufsichtigen, 
ganz abgesehen davon, dass er sich auch vielfach scheut, eine 
solche Kontrolle auszuüben, da er nicht selten mehr oder weniger 
von der Gunst der Schwestern abhängt. Dies wissen die letzteren 
sehr wohl und pochen sogar darauf. So lange in dieser Hinsicht 
keine Aenderung eintritt, werden sich solche Fälle, wie der eben 
geschilderte, wo eine lokale Typhusepidemie sich ungestört ent¬ 
wickeln konnte, häufen, und haben sich gewiss auch schon ander¬ 
wärts besonders bei Diphtherie gehäuft, sind aber nicht zur vollen 
Kenntnis der Behörde gekommen; denn die Toten sind stumm. 

Es ist m. E. kein Zweifel, dass viele Gemeindeschwestern, 
deren sonstiger Nutzen von Jedermann gern anerkannt wird, die 
ihnen als Krankenpflegerinnen gezogenen Grenzen oft über¬ 
schreiten. Hierin liegt aber eine offenbare Gefahr für das All¬ 
gemeinwohl, die so gross ist, dass ihre Beseitigung durch ent¬ 
sprechende generelle Anordnungen angezeigt erscheint. Hat man 
doch in jüngster Zeit sogar den Gemeindeschwestern, so weit ich 
unterrichtet bin, das Behältnis anvertraut, welches die für die 
Wochenpflege bestimmten Gegenstände enthält, deren Anwendung 
von praktischen Aerzten überwacht werden soll. Während man 
bei den Hebammen die strengsten Massregeln gegen die Ver¬ 
breitung des Wochenbettfiebers ergreift, ihre Thätigkeit nach jeder 
Bichtung überwacht, und die peinlichste Beinhaltung und Des¬ 
infektion ihrer Instrumente fordert, trägt man keine Bedenken, 
hier eine neue Instanz zu schaffen, die auf einem Umwege wieder 
die Gefahren des Wochenbettfiebers aufleben lässt, da man nie 
wissen wird, ob jene Behältnisse in der Wohnung der Gemeinde¬ 
schwester, zu der allerlei kranke Leute kommen, und die selbst 
zu solchen geht, in der Weise aufbewahrt werden, wie sie es 
wohl sollten? 



Beitrag nur Anzeigepflicht bei Infektionskrankheiten n. zur Kurpfusohereifrage. 817 


Aehnlich wie bei den Hebammen sollte auch den Ge¬ 
meindeschwestern aufgegeben werden, dass sie von dem Augen¬ 
blicke an, an dem ein von ihnen „behandelter“ Kranker eine 
Körperwärme über 38° C. hat, auf die Zuziehung eines Arztes 
dringen, da sie vermöge ihrer Vorbildung nicht im Stande sind, 
eine Diagnose zu stellen. Zugleich wäre ihnen die Verpflichtung 
aufzuerlegen, bei nicht chronischen Kranken, Kindern und Er¬ 
wachsenen, täglich wenigstens einmal die Temperatur ihrer 
Patienten zu messen, damit sie rechtzeitig die Gefahren erkennen, 
in denen ihre Schutzbefohlenen sich befinden. 

Dass meine Angaben über die ausgedehnte Kurpfuscherei 
seitens der Gemeindeschwestern nicht übertrieben sind, wird sicher¬ 
lich durch vielfache Beobachtungen der Aerzte bestätigt. Während 
ich dieses schreibe, wird mir z. B. ein ähnlicher Fall von selb¬ 
ständiger Behandlung eines Kindes an angeblichem Scharlach durch 
eine Gemeindeschwester gemeldet. In einem weiteren Falle, eine 
Typhusmeldung des Dr. Z., Stellenbesitzerstochter W. R. aus N. 
betreffend, fand ich bei meinem Kontrollbesuch ein sterbendes 
Mädchen vor, das von der „Schwester“ aus S. Tage, wenn nicht 
Wochen lang „behandelt“ worden war. Anzeige war von dem 
Infektionskranhheitsfall erst durch den Arzt erstattet worden. 
Ferner konnte ich feststellen, dass eine Gemeindeschwester ein 
Kind Sch., welches schulpflichtige Geschwister hatte, drei bis vier 
Tage an Diphtherie „behandelt“ hatte, ohne einen Arzt zu holen, 
oder Anzeige zu erstatten und soeben besucht mich eine Frau Sch. 
aus G., die von der Gemeindeschwester in K. mit Bädern etc. 
„behandelt* worden ist und zwar wochenlang. Erst nachdem 
sich der Zustand, eine Arbeitsneurose der Schulter, so ver¬ 
schlimmert hatte, dass schon die Hand nicht mehr dem Willen 
folgen will, kam die Frau zu mir, vielleicht zu spät. 

Ein befreundeter Arzt, Mitglied der Aerztekammer, der mir 
einen Fall von selbständiger Behandlung eines Diphtheriefalles 
durch eine Gemeindeschwester mitteilt, schreibt bei dieser Ge¬ 
legenheit wörtlich: 

„Panaritien werden sehr häufig von Krankenschwestern behandelt. 

Eit w&re allerdings erwünscht, dass bei der Ansbildnng der „Schwestern“ ihnen 
ans Herz gelegt wird, nicht selbständig eine chirurgische Behandlnng auf¬ 
zunehmen.“ 

Ein anderer Arzt schreibt: 

„In W. habe ich von Kranken besw. von Angehörigen derselben zu 
wiederholten Malen gehört, dass sie vorher schon die Schwester „gefragt“. 
Natürlich erfährt man dann selten etwas genaues, oder wenigstens nicht die 
Wahrheit. Auch ist es vorgekommen, dass ich bei meinen Besuchen von 
Kranken, die ich bereits in Behandlnng hatte, diese nicht mehr antraf, und es 
Iness, die „Schwester“ habe sie ins Krankenhaus geschickt, ohne dass ich davon 
benachrichtigt war. Besonders scheint sich die W.er Schwester viel mit der 
Behandlnng von Kindern zn befassen etc. etc. Die frühere Schwester in T. 
besuchte auch von Zeit zu Zeit Kranke in L. und M., die ich in Behandlung 
hatte, ohne dass sie von mir und wohl auch schwerlich von den Angehörigen 
oder Kranken gewünscht wurde; es war dies entschieden eine Art und Weise, 
die mich sehr befremdete. Besonders werden die auf dem Lande stationierten 
Schwestern von den Herrschaften und den Geistlichen sehr unterstützt.“ 

Ein dritter (Krankenhaus-) Arzt teilte mir mündlich mit, 




818 Dr. Cöster: Beitrag zur Aazeigepflicht bei Infektion eh rank beiten n. *. w. 


dass sogar mit dem Messer Panaritien von Seiten der „Schwestern“ 
behandelt würden. Ein vierter Arzt berichtet folgende zwei F&lle: 

1. B. Typhös. Die Krankenschwester verordnete statt Mileb, wie ich 
angab, reichlich Buttermilch, was natttrlich eine Verschlimmerung der Diarrhöen 
zufolge hatte. 2. W. Pleuritis exsudativa sinistra: Die Krankenschwester be¬ 
handelte den 70jfthrigen, sonst aber sehr z&hen Hann zehn Tage selbständig, weil 
er angeblich nicht schwer krank war und wenig fieberte, bis die sekundäre 
Herzschwäche so gross war, dass mich die Leute doch holten, allerdings zu spät, 
denn der Mann starb schon am nächsten Tage. Es wäre bei rechtzeitiger Be¬ 
handlung nicht ausgeschlossen gewesen, ihn zu erhalten. — Za erwähnen wären 
vielleicht auch die stark im Schwünge befindlichen Karbol- und Lysolamschläge 
auf alle möglichen Wunden, deren nachteilige Folgen man oft genug sieht. — 
Die Schwe8ternpfuscherei ist unbedingt ein grosser Uebelstand, der um so 
schlimmer ist, als er den Deckmantel „christlicher Nächstenliebe“ trägt.“ 

Ein fünfter Arzt schreibt: 

„Mit den Gemeinde • Krankenschwestern in hiesiger Gegend habe ich sehr 
üble Erfahrungen gemacht. Sie halten sich für berufen, die Kranken, soweit 
(nach ihrer Meinung) ihr Wissen und Können reicht, zunächst selbst zu be¬ 
handeln und lassen den Arzt auch dann ausser Betracht, wenn seine Hilfe 
dringend notwendig wäre. Den ihnen unbequemen Arzt suchen sie aus ihrem 
Wirkungskreise auf allerlei Weise herauszudrllcken, wobei häufig der Trirk an¬ 
gewendet wird, die Patienten zu einem Spezialisten zn bringen, der ihnen die 
Beaufsichtigung deB weiteren Heilverfahrens Qberträgt. Findet man bei ihnen 
Morphium, Opium, Brom, so heisst es entweder: „Das haben wir von dem p. X. 
nach seiner Krankheit an uns genommen, damit kein Missbrauch getrieben 
wird,“ oder: „Es ist zu meinem eigenen Gebrauch mir ärztlich verordnet.“ 

Eine Krankenschwester in X. fragte mich, wie sie die oft vorkommenden 
Kinderkrämpfe behandeln solle, auch ob sie bei Schüttellähmung Brom oder 
Morphium geben solle. Auf meine Antwort, sie habe solche Fälle an einen 
Arzt zu weisen, antwortete sie: „Wozu sind wir da noch nötigP* Eben die¬ 
selbe behandelte ein Ulcus cruris mit einem Gemisch von Arnikatinktur und 
Oleum carbolicum. Mehrfach sind mir Panaritien zu Gesicht gekommen, welche 
Nadelstichöffnungen und starke Granulationen aufwiesen. In einem solchen 
Falle, wo ich bis auf das Periost indizieren musste und die Wunde wegen 
Verdachts der Nekrose offen halten wollte, wurde keine Lysolgaze mehr ein¬ 
gelegt, sondern der Finger mit guter Heilsalbe traktiert und später, wie ich 
hörte, einem anderen Arzt zur Heilung übergeben. Auch eine Johanniter- 
schwester treibt in X. vielen Unfug in der kleinen Chirurgie und inneren Be¬ 
handlung. Es sind mir drei Fälle bekannt, wo sie bei Krebs und Koliken 
Morphium verabreicht hat.“ 

Dies dürfte zum Beweise für die häufig von Krankenpflegerinnen 
ausgeführte Kurpfuscherei und deren bedenkliche Gefahr vorläufig 
genügen. 

Folgende Verpflichtungen im Interesse der Allgemeinheit, 
d. h. im Interesse der Verhinderung der Verschleppung von In¬ 
fektionskrankheiten und Gesundheitsschädigungen müssen auch den 
„Gemeindeschwestern“, wie sie alle anderen Krankenpfleger er¬ 
füllen (vergl. Ges. vom 80. Tuni 1900, 2, Nr. B), auferlegt werden: 

1. Da die Gemeindeschwestern durch ihre Vorbildung be¬ 
sonders geschult sind, sind sie auch besonders verpflichtet, ausge¬ 
sprochene Infektionskrankheiten, oder wenn Verdacht auf diese 
vorliegt, wie jeder andere Krankenpfleger etc, dem Kreisärzte 
unverzüglich und unmittelbar anzuzeigen. 

2. Die Krankenbehandlung der Gemeindeschwestern darf, 
wenn sie nicht eine Gefahr für die Patienten werden soll, sich 
nur auf solche Fälle beschränken, in denen die Körperwärme der 
Kranken nicht über 38,5 0 C. steigt. Ist eine höhere Körperwärme 



Dr. Kttbn: Zar Frage de« Verkaufes 7 . Karbolwarner ausserhalb der Apotheken. 819 


vorhanden, so liegt stets der Verdacht vor, dass eine schwere, 
wenn nicht gar eine ansteckende Krankheit sich herausbilden wird. 
Die Entscheidung über die weitere Behandlung steht dann nur 
einem Arzte zu, der möglichst bald zu rufen ist. 

3. Die Verabreichung von Medikamenten, die durch die 
Kaiserliche Verordnung vom 27. Januar 1890 dem freien Verkehr 
entzogen sind, ist den Gemeindeschwestern unter Strafe (wie 
Anderen) verboten. 

4. Im Interesse der Unfall- und Invaliditäts - Versicherung 
ist es dringend nötig, dass die sogen, kleine Chirurgie von den 
Gemeindeschwestern nicht geübt wird; besonders sind ihnen Be¬ 
handlungen von Fingern, Zehen, Augen, Ohren ohne Anordnungen 
des Arztes nicht mehr zu gestatten, weil daraus nur zu leicht 
Schaden für die Versicherungsgesellschaften entsteht. 

5. Die Tätigkeit der Gemeindeschwestern steht, damit obige 
Forderungen wirksam durchgeführt werden, unter der Aufsicht 
des Kreisarztes. Sie haben über dieselbe Bücher mit Angabe von 
Namen, Geschlecht, Alter, Stand, Wohnort des Kranken, Art der 
Krankheit und Pflegedauer zu führen, die bei gelegentlichen Be¬ 
suchen dem Kreisärzte auf dessen Wunsch vorzulegen sind. 


Zur Frage des Verkaufes von Karbolwasser ausserhalb 

der Apotheken. 

Von Landgerichts&rit Dr. Kühn - Frankenthal. 

Die Mitteilung des Herrn Kreisarztes Dr. Rom ei k in 
Mohrungen in Nr. 4 dieser Zeitschrift S. 124 gibt mir zu einigen 
Bemerkungen Anlass. Ich mache übrigens diese Bemerkungen 
nicht etwa zu dem Zwecke, um eine in jener Mitteilung enthaltene 
Auffassung als irrig oder falsch zu bezeichnen, sondern einzig und 
allein deshalb, um Gelegenheit zu geben, eine von mir vertretene, 
möglicherweise irrige Ansicht richtig zu stellen. 

Wenn ich Herrn Kollegen Romeick recht verstanden habe, 
so darf nach seiner Ansicht bis zu 3 % Karbolsäure enthaltendes 
Karbolwasser sowohl in den Apotheken, wie ausserhalb der Apo¬ 
theken zu Desinfektionszwecken, nicht aber als Heilmittel (zur 
Behandlung von Wunden) abgegeben werden. Ich bin nun der 
Ansicht, dass solches Karbolwasser sowohl in den Apotheken, als 
auch ausserhalb derselben auch als Heilmittel abgegeben werden 
darf, und habe mich kürzlich als Sachverständiger vor der hiesigen 
Strafkammer in diesem Sinne ausgesprochen. 

Das erwähnte Karbolwasser gehört ohne Zweifel nach der 
Kaiserlichen Verordnung vom 22. Oktober 1901, den Verkehr mit 
Arzneimitteln betr., zu den in Nr. 5 des Verzeichnisses A aufge¬ 
führten Zubereitungen, welche im allgemeinen als Heilmittel 
ausserhalb der Apotheken nicht feilgehalten oder verkauft werden 
dürfen. Diese Bestimmung galt ohne weitere Einschränkung bis 
zum 1. April 1902; mit diesem Tage ist jedoch nach meiner Auf¬ 
fassung bezüglich der Abgabe von Karbolwasser eine wesentliche 



320 


▲ob Versammlungen and Vereine«. 


Aenderung eingetreten. Denn n&ch Abs. 2 des §. 1 der genannten 
Kaiserlichen Verordnung unterliegen von den im Verzeichnis A. 
aufgeführten Zubereitungen Desinfektionsmittel (also Mittel, die 
zur Desinfektion benutzt werden) dieser Bestimmung, d. i. dem 
Verbot, ausserhalb der Apotheken als Heilmittel feilgehalten 
oder verkauft zu werden, nur dann, wenn sie Stoffe enthalten, 
welche in den Apotheken ohne Anweisung eines Arztes etc. nicht 
abgegeben werden dürfen. Nun darf aber nach den in allen 
Bundesstaaten (in Preussen durch Erlass vom 22. Juni 1896, in 
Bayern durch Königliche Verordnung vom 22. Juli 1896) einge¬ 
führten Vorschriften über die Abgabe starkwirkender Arzneimitteln 
vom 13. Mai 1896 in den Apotheken Karbolsäure ohne Anweisung 
eines Arztes etc. zum äusseren Gebrauch (Wundbehandlung) 
selbst in konzentrierter Lösung abgegeben werden; mithin ist es 
nach meiner Auffassung zulässig, dass Karbolwasser, sofern es 
nicht mehr als 3 % Karbolsäure enthält, also nicht unter die Be¬ 
stimmungen über den Verkehr mit Giften fällt, als Heilmittel 
auch ausserhalb der Apotheken feilgehalten und verkauft wird. 


Au 8 Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über den ersten Kongress der Deutschen Gesell¬ 
schaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in 
Frankfurt a. 31. am 9. und 10. März d. J. 

Die am 19. Oktober ▼. J. begründete Deutsche Gesellschaft znr Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten hat in der kurzen Zeit ihres Bestehens 
einen unerwarteten Aufschwung genommen; sie zählt jetzt über 1600 Mit¬ 
glieder und besitzt fast in allen grossen Städten Deutschlands eigene Orts¬ 
gruppen oder Zweigvereine. Unter Vorsitz des Geh. Med.-Bat Professor 
Dr. Neisser - Breslau und unter reger Beteiligung von Staats- und Verwaltungs¬ 
behörden, Polizei- und Gemeindeverwaltungen, Landesversicherungsanstalten, 
Militärbehörden, volkswirtschaftlichen und Frauenvereinen, sowie hervorragenden 
▲ersten aus ganz Deutschland fand der erste öffentliche Kongress statt. 

I. Ueber den ersten Gegenstand der Tagesordnung: „Die strafrecht¬ 
liche und zivilrechtliche Bedeutung der Geschlechtskrankheiten“ re¬ 
ferierte Oberlaftdesgerichtsrat Sch möldor-Haram. 

Im ersten Teile Beiner Ausführungen nahm derselbe Bezug auf die Be¬ 
stimmung in dem Entwurf der lex Heinze vom Dezember 1897: «Wer die 
Gesundheit einer Person dadurch gefährdet, daFs er wissend, dass er mit einer 
ansteckenden Geschlechtskrankheit behaftet ist, ausserehelich den Beischlaf 
ausübt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre, oder mit Geldstrafe bis zu 
1000 Mark bestraft“, sowie anf die Fassung v. Liszts: «Wer wissend, dass 
er an einer ansteckenden Geschlechtskrankheit leidet, den Beischlaf ansübt, 
wird mit Gefängnis bis za 2 Jahren bestraft, neben welchem auf Verlust der 
bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann.“ Demgegenüber schlag er 
folgende erweiterte Fasr-ang vor: «Wer auserhalb der Ehe, obwohl er 
weise, oder den Umständen nach annehmen muss, dass er an 
einer ansteckenden Geschlechtskrankheit leidet, den Bei¬ 
schlaf ausübt, oder mit einer anderen Person eine unzüchtige 
Handlung vornimmt, die an sich und mit Rücksicht auf die Art 
der Geschlechtskrankheit zur Krankheitsübertragung geeig¬ 
net ist, wird mit Gefängnis bis zu 2 Jahren und Geldstrafe, oder 
mit einer dieser Strafen belegt. Neben der Gefängnisstrafe 
kann anf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“ 

Anstelle der in Wegfall kommenden Reglementierung soll 
dieser ParaGraph noch folgende Zusätze *»rl alten: 



Ans Versammlungen and Vereinen. 


821 


1. „Ist die Tat von einer Fran in Anattbnng der gewerbs¬ 
mässigen Unsacht verübt, so ist nicht anf Geldstrafe, sondern an! 
Gefängnisstrafe im Rahmen von 6 Monaten bis an 3 Jahren uu 
erkennen“ nnd 

2. „Eine Fran, die behaftet mit einer ansteckenden 
Geschlechtskrankheit Gnzucht treibt, wird mit Gefängnis* 
strafe von 1 Monat bis zu 1 Jahr belegt.“ 

In der Diskassion wandten sich fast alle Redner gegen die vorge¬ 
schlagenen Strafbestimmnngen. Prof. Dr. C. Fränkel-Halle versprach sich 
davon ein Flüchten der Prostitnierten vor der ärztlichen Unter¬ 
suchung und ein Züchten des Denunziantentums. Beachtenswert 
war ein Vorschlag der Fran Scheven-Dresden, die mildere v. Liszt sehe 
Fassung zu adoptieren, die Verfolgung jedoch nur auf Antrag ein- 
treten zu lassen. Assessor Clausmann-Cöln hielt den Paragraphen des 
Strafgesetzbuches über Körperverletzung für ausreichend. Auch vermisste er 
eine juristische Definition des Begriffes „Geschlechtskrankheit“. Prof. 
Dr. Neisser erklärte sich für den von v. Liszt vorgeschlagenen Paragraphen. 
Er erwartet davon nicht nur eine allmähliche Umstimmung des Rechtsbewusst¬ 
seins der Gebildeten, und sieht in ihm ein mächtiges Warnungsmittel in den 
Händen der Aerzte gegenüber leichtsinnigen und frivolen Patienten; er glaubt 
auch, dass dadurch gegenüber der Prostitution eine gesetzliche Bestimmung 
gewonnen würde, welche eine strafrechtliche und nicht nur eine polizeiliche 
Bestrafung erlaube. Bisher wurden die Prostituierten nur wegen Uebertretnng 
der Polizei-Vorschriften verhaftet und bestraft; jetzt würde es möglich sein, 
den eigentlichen Kernpunkt ihres Vorgehens, die Gesundheitsgefährdung im 
Gewerbe, zu treffen. Unbedingte Voraussetzung wäre aber dann, nicht, wie 
Schmölder es vorschlage, die Aufhebung der Reglementierung, deren Be¬ 
folgung zu einer Schutzmassregel für die Prostituierten werden würde. Ohne 
eine solche Schutzmassregel würde ja jeder Geschlechtsverkehr einer Prosti¬ 
tuierten sie mit dem neuen Paragraphen des Strafgesetzes in Konflikt bringen, 
und so würde dieser Paragraph auf die drakonische Unterdrückung der Pro¬ 
stitution hinanskommen. Bei bestehender Reglementierung aber würde der 
Paragraph dazu dienen, die Prostituierten zu einer regelmässigeren Befolgung 
der sanitären Ueberwachungs -Vorschriften anzuhaltcn. 

II. In der zweiten Sitzung, die der Frage: „Wie können die Aerzte 
durch Belehrung der Gesunden und Kranken der Verbreitung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten steuern?“ gewidmet war, erstattete Dr. med. Neu- 
berger-Nürnberg das Referat. Er stellte den Antrag: 

„Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten solle Aerzten, Krankenkassen oder 
-häusern allgemein gehaltene Leitsätze für Kranke in Zettel 
oder Kartenform zur Verfügung stellen, die folgende Punkte 
betonen: Die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung, Lang¬ 
wierigkeit der Krankheiten, Warnung Infizierter vor der 
Ehe, Gefährlichkeit des infizierten Gatten für den andern, 
Warnung vor Kurpfuschern und schwindelhafter Reklame.“ 

Der Antrag wurde angenommen. Als besonders bemerkens¬ 
wert verdient aus der Diskussion, die sich vorwiegend um Form und 
Ausstattung dieser Leitsätze drehte, dass Geheimrat Prof. Dr. E r b - Heidelberg 
betonte, er habe in einzelnen, nicht ganz seltenen Fällen Schädi¬ 
gungen besonders im Sinne der Neurasthenie und Hysterie nnd 
zwar bei beiden Geschlechtern infolge sexueller Abstinenz 
beobachtet. Es habe sich dabei wohl meist um neuropathisch belastete und 
veranlagte Individuen gehandelt. Da deren Zahl an sich aber bekanntlich sehr 
gross sei, seien auch gewiss derartige Vorkommnisse nicht ganz irrelevant, 
deshalb könne er die neuerdings mit steigender Sicherheit wiederholte Be¬ 
hauptung, dass die sexuelle Enthaltsamkeit „ganz unschädlich“ sei, nicht un¬ 
widersprochen lassen. 

Gegenüber den Vertretern der Krankenkassen Gräf und Fiebig-Frank- 
furt a. M., welche eine genaue Diagnose der Aerzte bei Krankmeldungen an 
die Kasse wünschen, wies Prof. Dr. Blasohko-Berlin daraufhin, dass die 
Krankenkassenbeamten zur Wahrung des Berufsgeheimnisses nicht, wie der 
Arzt, gesetzlich verpflichtet seien, und dass dieser oft im Interesse des 



322 


Am Versammlungen und Vereinen. 


Patienten nur Wahrung des Bernfsgeheimniesee genötigt sei. Es sei daher 
eine Ausdehnung des §. 300 des Str. G. B. (Verletzung des Berufsgeheimnisses) 
auf die Krankenkassenbeamten erforderlich, sowie Sicherheit dagegen, dass die 
Diagnose dritten Personen bekannt werde; Massregeln wie sie bei der Frank¬ 
furter Ortskrankenkasse z. B. jetzt schon bestehen (Uebersendnng der Diagnose 
in geschlossenem Brief). 

III. Das Wohnnngselend der Grossst&dte und seine Besiehnngen 
zur Verbreitung der Geschlechtskrankheiten nnd zur Prostitution. 

Der erste Referent Ober dieses Thema, Pbjsikns Dr. Pfeiffer* Hamburg 
stellte den auch später angenommenen Antrag: „Die Deutsche Gesellschaft znr 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten fordert ihre Mitglieder auf, 
dieser Frage ihre besondere Aufmerksamkeit zu widmen und 
alle einschlägigen Beobachtungen der Geschäftsstelle der Ge¬ 
sellschaft zu übermitteln. Der Vorstand wird beauftragt, sich mit allen 
Vereinen und Gesellschaften, die der Wohnungsfrage und Bekämpfung 
des Wohnungselend ihre Aufmerksamkeit schenken, in Verbindung zu 
setzen, Bowie die Verwaltungen grosser Städte zu diesbezüglichen En- 
queten zu veranlassen.“ 

Ganz neue Gesichtspunkte entwickelte der zweite Referent, Herr 
P. Kampffmeyer-Cronberg, welcher in fesselnder und auf ein reiches Tat¬ 
sachenmaterial gestützter Darstellung zeigte, wie das enge Zusammen wohnen 
in den aller Hygiene Hohn sprechenden überfüllten Wohnungen der Gressstädte 
eine frühzeitige Entfesselung der Geschlechtslust, frühzeitige Vollziehung des 
Geschlechtsverkehrs und damit eine enorme Verbreitung dieser Krankheiten 
zeitigt. Er verlangte daher von Staat und Gemeinde zur Bekämpfung dieser 
Schäden 1. eine einschneidende Wohnungsgesetzgebung, welche 
an die Benutsung der Wohnräume bestimmte Minimalforderungen 
vom sanitären und moralischen Standpunkte aus stellt und 
2. eine direkte kommunale und staatliche Wohnungsproduktion 
oder wenigstens eine Förderung der genossenschaftlichen und ge¬ 
meinnützigen Wohnungsproduktion durch Staat und Gemeinde. — 
Er wies ferner auf die körperlichen und sittlichen Schädigungen hin, welche 
die Nation durch das immer mehr Ueberhandnehmen des Schlafgänger¬ 
tu ms erleidet. Diesen Schädigungen könne man am besten entgegentreten 
durch direkten staatlichen und kommunalen Bau von Logier¬ 
häusern, oder duroh Unterstützung der gemeinnützigen Errich¬ 
tung solcher Häuser. Weiterhin forderte er eine ausgedehnte 
Wohnungsinspektion und zwar nicht bloss durch die Staats¬ 
organe, sondern vor allem auch durch die Krankenkassen, wozu die 
bereits bei grösseren Kassen bestehende, berufsmässige Kontrolle weiter 
ausgebaut und reformiert werden soll. Eine regelmässige WobnungBkontrolle 
habe sich auch auf die Prostituierten zu erstrecken, dafür 
komme dann aber die Reglementierung in Wegfall. Es empfehle 
sich daher die Erweiterung der Krankenversicherung auf alle 
Personen bis zu 2000 Mark Einkommen. 

In der Diskussion empfiehlt Dr. Becher-Berlin die Errichtung von 
Logierhäusern für Unverheiratete aus den Mitteln des Re¬ 
servefonds der Krankenkassen. Weiter wünscht er, dass die In¬ 
stitution der Walderholungsstätten auf die venerisch Erkrankten aus¬ 
gedehnt werde. Oberbürgermeister Beek-Mannheim bezweifelte, dass sowohl 
Gemeinde, wie auch Krankenkassen hinreichende verfügbare Mittel znr Durch¬ 
führung der vorgeschlagenen Wohnungsreform besässen. 

IV. Bei weitem das grösste Interesse nahm natnrgemäss die Erörterung 
der vierten und hauptsächlichsten Frage ein: Nach welcher Richtung ist 
eine Reform der heutigen Reglementierung der Prostitution möglich? 

Während sowohl der Referent, Geb. Rat Prof. Dr. Neisser-Breslau, 
als auch die ärztlichen Mitglieder des Kongresses mit verschwindenden Aus¬ 
nahmen die heutige Reglementierung für unbrauchbar, ja in gewissem Sinne 
für schädlich erklärten und nur noch die an der Debatte teilnehmenden 
Polizeivertreter eine Lanze für das herrschende System einlegten, gingen 
die Anichten darüber, was an Stelle der Reglementierung zu setzen sei, 
weit auseinander. In der lebhaften, die Aufmerksamkeit des Kongresses 
6 Stunden lang fesselnden Diskussion, an welcher sich die Vertreter der ver- 



Au Versammlungen and Vereinen. 


323 


schiedensten Ri oh tan gen beteiligten, wurden weit auseinandergehende Vor¬ 
schläge gemacht. Die Mehrsahl der Redner war jedoch des Meinung, dass man 
nicht, wie die Vertreterin des Abolitionismus, FrBulein Pappritz, forderte, 
jeglicher Reglementierung entraten und an deren Stelle mit einem System frei¬ 
williger Hilfe auskommen könne, vielmehr glaubten sie, dass es möglich sei, 
die heutige Reglementierung entweder in umfassender Weise zu reformieren 
und umzugestalten oder doch an deren Stelle ähnliche UeberwachungfSysteme 
zu setzen. Neisser schlug als ein solches Ueberwachungssystem eine beson¬ 
dere Sanitfttskommission vor, zusammen gesetzt wie ein Schöffengericht, aus 
Richtern, Aerzten, Verwaltungsbeamten u. s. w., welche die Personen, die im 
Verdacht stehen, Prostitution zu treiben oder eine venerische Erkrankung 
durch ausserehelichen Geschlechtsverkehr weiter zu verbreiten, nicht nur Ober 
die Gefahren dieser Krankheiten, belehren, sondern auch sie geeigneten ärzt¬ 
lichen Instanzen zur Ueberwachung und Behandlung, anderseits aber im Falle 
von Renitenz der Polizeibehörde Oberweisen. Von anderen Seiten wurde das 
Neisser sehe System für zu kompliziert gehalten. Neisser selbst schlug 
deshalb als üebergangssystem vor, die jetzige sittenpolizeiliche Untersuchung 
zu dezentralisieren und die Untersuchung und Behandlung der Prostituierten 
versuchsweise besonders legitimirten Aerzten und Anstalten zu Oberweisen; 
die Sittenpolizei solle nur dann eintreten, wenn diese Einrichtung nicht genOge. 
In ähnlicher Weise riet Lesser, dass die aufgegriffenen Prostituirten von der 
Polizei zunächst nicht eingeschrieben, sondern Behandlnngsanstalten zur Ueber¬ 
wachung Oberwiesen werden, dass diese Behandlnngsanstalten aber der Polizei 
nachher keine Anzeige machen sollten. Personen, welche sich den Anordnungen 
dieser Anstalten freiwillig unterziehen, sollten frei von jeder sittenpolizeilichen 
Aufsicht bleiben, während für die Renitenten die Sittenpolizei im Hintergründe 
als Schrenkgespenst wirken solle. Die Vorbedingung für derartige Reformen, 
zu welcher sich auch andere Redner, wie Dr. Blase hko, Dr. Block-Hannover, 
Dr. Hamm er-Stuttgart n. A. mehr äussern, bildet jedoch die Aufhebung deB 
§. 361,6 oder mindestens seines zweiten Teiles (Strafbarkeit der Prostitution 
an sich). Besondere Beachtung verdiente das Wiederanferwachen des Interesses 
für die Kasernierung der Prostitution, nicht in ihrer alten Form 
von geschlossenen Bordellen, sondern in Form von sog. Kontrollstrassen, 
wie sie sich nach Angabe von Prof. C. Fränkel in Halle und Bremen 
ausserordentlich gut bewährt haben, ein System, welchem auch die sittlichen 
Schäden des alten Bordellwesens nicht anhaften sollen. 

Bericht über die 17. Versammlung der Medizinalbeamten 
des Reg.-Bez. Merseburg zu Halle a. $. am 29. Novbr. 1908. 

An der Versammlung nahmen Teil: der Vorsitzende, Reg.- und Geh* 
Med.-Rat Dr. Penkert, Prof. Dr. Fränkel, Direktor des hygienischen 
Instituts zu Halle a. S., 15 Kreisärzte, der Gerichtsarzt von Halle a. S. und 3 
pro phyBicatu geprüfte Aerzte des Bezirks. 

I. Der Vorsitzende begrüsst die Erschienenen und erstattet zunächst 
ein Referat über die seit der letzten Versammlung erlassenen Verordnungen 
und Verfügungen. 

Za einer Diskussion gibt nur die VerfOgung Veranlassung, welche die 
beabsichtigte Erweiterung des städtischen bakteriologischen Unter- 
Buchungsamtes zu Halle a. S. in ein solches für den ganzen Re¬ 
gierungsbezirk betraf. Prof. Dr. Fränkel verbreitet sich auf Ersuchen 
des Vorsitzenden über die geplante Erweiterung und hält die Angliederung 
eioer solchen Untersnchungsstelle an das hygienische Institut für das beste. — 
Fielitz wünscht neben der Benachrichtigung des Einsenders der Proben von 
dem Resultat der Untersuchung auch direkte Mittheilnng deB Ergebnisses an 
den betreffenden Kreisarzt. — Fränkel befürchtet, dass in einem selchen 
Verfahren die Aerzte eine Art behördlicher Kontrolle ihrer Tätigkeit sehen 
und, um dieser zu entgehen, dann lieber die Einsendung der Proben unterlassen 
würden, wie sich dies tbatsächlich schon an anderen Stellen gezeigt habe. 
Damit müsste man aber rechnen, weshalb er bitter, keine direkte Benachrichti¬ 
gung an die Kreisärzte einzufübren. — Fielitz hält diese doch für zweck¬ 
mässig und erforderlich. Die sanitätspolizeilichen Massregeln könnten dadurch 
eventuell doch sehr beschleunigt werden und wirkten sicherer, als wenn * 



824 


Ana Versammlungen and Vereinen. 


Anzeige erst anf dem Umwege dnrch den behandelnden Amt snr Kenntnis der 
Sanitätsbehörde gelange. Ansserdem glaubt er niebt, dass alle Aerzte so em- 

S findlieh sein nnd eine doch nnr zum Zwecke der Seuchenbekämpfung einge- 
Ekhrte Massregel als eine gegen sie gerichtete behördliche Kontrolle ansehen 
würden. — Fr Onkel spricht sich dagegen wiederholt gegen jede andere Be¬ 
nachrichtigung als die an die einsendenden Aerzte ans. 

Der Vorsitzende beendet die Diskussion dnrch die Erklärung, dass 
bei der Erweiterung des Untersuchungsamtes nicht beabsichtigt sei, demselben 
eine direkte Benachrichtigung über das Untersuchnngsresultat an die Kreis¬ 
ärzte vorzuschreiben. 

II. Ueber Desinfektion. Der Vortragende, Kreisarzt Dr. Hermann- 
Bitterfeld, bespricht im ersten Teile seines Referats die verschiedenen Mittel 
nnd Methoden der Desinfektion. Er erwähnt dabei die von Jacobitz&Lydia 
Babinowitsch sehr gUnstig beurteilten desinfizierenden Wandanstriche mit 
Porzellan - Emaillefarbe, hält Versuche behufs ausgiebigeren Gebrauches der 
trockenen Hitze, vielleicht unter gleichzeitiger Verwendung von Formalin¬ 
dämpfen, für die ländlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der dort zu 
Gebote stehenden Einrichtungen (Backofen etc.) für zweckmässig, streift anch 
die Improvisationstechnik der Desinfektion auf dem Lande und kommt dann 
zu dem chemischen Mittel, welches heutzutage am meisten Anwendung findet, 
nämlich zu dem Formaldehyd, bezw. dessen Losung, dem Formalin, dessen 
Eigenschaften er zunächst näher schildert. 

Die gebräuchlichsten Arten für Formaldebyd-Desinfektion seien Ver¬ 
dampfung, ferner Verstäubung von FormaldehydlOsungen und drittens die Ver¬ 
gasung des festen Paraformaldehyds unter der Einwirkung der Glühhitze. Vor¬ 
tragender demonstriert die verschiedenen in Gebrauch stehenden und 
bewährtesten Apparate. Unter den Dampfapparaten sei der Autodave formo- 
göne von Trillat zu erwähnen, der sich sehr bewährt habe, aber wegen des 
hohen Druckes — 8—4 Atmosphären —, unter dem er arbeite, sachverständige 
Bedienung erfordere; ihm schliesse sich der Bosenbergsche Verdunstungs¬ 
brenner unter Anwendung der Holzinmethode an, doch hätten die mit diesem 
Appaiate erzielten günstigen Resultate häufige Widerlegungen erfahren ausser¬ 
dem sei das Holzin recht teuer. Obenan unter den Verdampfungsapparaten 
stehe der Breslauer Apparat von Flügge, der wohl jetzt am meisten benutzt 
werde. Flügge habe überhaupt seine Methode am weitgehendsten ausgebildet, 
die ausserdem den Vorzug habe, dass man die Dämpfe in die infizirten Zimmer 
von aussen durch das Schlüsselloch einleiten kOnne. — Zu den Verdampfungs¬ 
apparaten gehören weiter die glühend gemachten Kugelketten Springfelds, 
die sich im Regierungsbezirk Arnsberg gut bewährt haben sollen. 

Zu den Formalinverstäubnngsapparaten seien zu rechnen: die Apparate 
von Walther und Schlossmann, Czaplewski und Praussnitz, von 
denen sich der erstere nicht empfehle, da das dabei benutzte Glykoformal 
Klebrigwerden der desinfizierten Objekte bewirke; auch lasse sich der Formal¬ 
dehydgeruch schwer entfernen. Nach einer neueren Mitteilung des Fabrikanten 
Lingner soll sich jedoch in dem Apparat nicht nur Glykoformal, sondern 
auch reine wässerige FormaldehydlOsungen verdampfen lassen. 

Referent bespricht hierauf die dritte Art der Formaldehyddesinfektion 
durch Vergasung von festem Paraformaldebyd mittels Glühhitze entweder wie 
hei Schering durch Spiritusfiamme oder wie bei Krell-Elb dnrch einen 
ins Glimmen gebrachten Presskohlenstein (Karboformalglühblock). Ursprünglich 
seien beide Methoden ohne gleichzeitige Erzeugung von Wasserdampf ange¬ 
wendet, dann aber, als man die Art und Weise der Formaldehyd Wirkung besser 
beurteilen lernte, sei auch bei diesen Methoden gleichzeitige Dampfe» zeugung 
angewendet, die Krell-Elb darch Uebergiessen glühend gemachter Ziegel¬ 
steine mit kochendem Wasser bewerkstelligt. In neuerer Zeit haben mehrere 
Autoren jedoch die Krell-Elbsche Methode für nicht ausreichend erklärt. 

Im allgemeinen sei die Mehrzahl genannter Formalindesinfcktionsmethoden 
geeignet, die meist in Betracht kommenden sporenfreien Erreger der Diphtherie, 
Tuberkulose, Typhus, der Eiterung etc., sofern sie oberflächlich liegen, un¬ 
schädlich zu machen; immerhin müsse man doch die Frage ventilieren, welcher 
Methode der Vorzug zu geben sei und zweitens ob dieWohnungs- 
desinfektion von besonderen Desinfektoren ausgeführt werden 
solle, oder ob man dieselbe dem Publikum überlassen könne? 



Aus Versammlungen und Vereinen. 


325 


Vortragender beantwortet die erste Frage dabin, dass zu einer Desin¬ 
fektion nach Ablauf einer ansteckenden Krankheit Formalindftmpfe allein nicht 
anareichten, sondern, einerlei welche Krankheit vorliegt, dazu auch noch 
mechanische, thermische und gewisse andere chemische Desinfektionsmittel in 
der verschiedensten Form in Anwendung zu bringen seien. Die zweite Frage 
sei unter Hinweis darauf, dasB die Formalinmethode bei allen Apparaten eine 
ganze Reihe gewissenhafter Vorbereitungen zur Entfaltung genügender Wirk¬ 
samkeit bedürfe, dahin zu beantworten, dass man die Desinfektion nicht dem 
Publikum überlassen könne, sondern dazu schulmässig ausgebildetes nnd behörd¬ 
lich angestelltes Personal unbedingt haben müsse. Ob die Ausbildung und 
Prüfung nach §. 67 der Dienstanweisung durch die Kreisärzte geschehe, oder 
nach Massgabe des Ministerialerlasses vom 2. Oktober 1902 in der zu errich¬ 
tenden Desinfektorenschule zu Halle a. S. unter Leitung des Direktors des 
dortigen hygienischen Institutes erfolge, sei wohl gleich. Redner befürchtet 
nur nach dem Resultat einer Umfrage in seinem Kreise (Bitterfeld), dass sich 
zu wenig Personen melden werden, zumal wohl auf dem Lande und in den 
kleinen Städten die Polizeibehörden die Einführung der Desinfektion bei an¬ 
steckenden Krankheiten zunächst wohl nicht mit Freuden begrüssen würden. 

Vortragender stellt dann weiter unter Berücksichtigung der von ihm in 
seinem Kreise gemachten Erfahrungen über die eingehenden Anzeigen von an¬ 
steckenden Krankheiten und unter Forderung des Einschlusses der Tuberkulose 
unter die anzeige- und desinfektionspflichtigen Krankheiten den Grundsatz auf, 
dass für jeden Amtsbezirk mindestens ein staatlich geprüfter 
Desinfektor an gestellt werden mÜBse. Der Desinfektionszwang und die 
richtige Ausführung der Desinfektionen würde hoffentlich dazu führen, dass die 
Zahl der Erkrankungen und damit die der Desinfektionen zurückgehe, aber 
mit diesem Faktor könne man vorerst doch wenig oder nicht rechnen. Denn 
wenn die Desinfektionsmassnahmen auch ein hervorragendes Glied in der Kette 
der Kampfmittel gegen die Infektionskrankheiten seien, so dürfe man Bich 
anderseits doch nicht verhehlen, dass noch manche fortwährend offene Quellen 
der Einschleppung und Verbreitung der übertragbaren Krankheiten (Misstände 
in Bezug auf Wohnungen und Trinkwasserverhältnisse, auf ungesunden, ver¬ 
seuchten Grund und Boden, auf verunreinigte Wasserläufe, vor allem auch auf 
Personen- und Nahrnngsmittelverkehr) durch Desinfektionsmassregeln nicht zu 
beseitigen seien. Insonderheit sei auch die Isolierung der ansteckenden Kranken 
meist völlig ungenügend; einmal herrsche leider in vielen Kreisen noch 
eine verhängnisvolle Abneigung gegen die Ueberführung in das Krankenhaus, 
anderseits sei in den ärmeren Kreisen der Bevölkerung in deren kleinen Woh¬ 
nungen eine Isolierung überhaupt nicht durchzuführen. Und doch dürfe man 
unter den letzteren ungünstigen Verhältnissen auf eine behördlich kontrollierte 
und von geschultem Personal ausgeführte Desinfektion am allerwenigsten ver¬ 
zichten, da dieselbe hier gerade von ausserordentlichem Werte 6ei und auch 
wohl erzieherische Bedeutung habe. Schliesslich könnten selbst unter den un¬ 
günstigsten Wohnuagsrerhältnissen die Wohnnngsinhaber für die 5—7 Stunden, 
welche die Desinfektion dauere, eine andere Unterkunft, selbstverständlich unter 
Beachtung ausgiebiger Vorsichtsmassregeln finden. Erscheine eine Desinfektion 
nicht genügend, so könne man im Notfälle eine wiederholte Desinfektion vor¬ 
nehmen, wenn auch eine derartige Massregel allerdings wohl immer als eine 
Ausnahme zu betrachten sei. 

Vortragender ist weiter der Meinung, dass sich geeignetes Desinfek- 
tionspersonal, auch weibliches, aus den verschiedensten Lebensstellungen 
finden lasse; Halbinvaliden, Amtsdiener, Gemeindediener, Totengräber, Fleisch¬ 
beschauer, Barbiere, Heilgehilfen, auch andere Handwerker werde man zulassen 
können, vorausgesetzt, dass sie gewissenhaft und zuverlässig seien, aber keine 
Hebammen und Wochenpflegerinnen. Selbstverständlich sei, dass für die Des¬ 
infektoren eine Instruktion und eine Taxe festgesetzt würde. In Bezug auf 
erstere empfiehlt er die Flüggeschen Vorschriften und kommt bei dieser Ge¬ 
legenheit auch auf die Erweiterung der Tätigkeit der Desinfektoren zu der 
von Gesundheitsaufsehern zu sprechen, denen nach Dütschke Kontrollbesuohe 
bei ansteckenden Kranken, Beteiligung bei den Ortsbesichtigungen, gesundheit¬ 
liche Ueberwaohung der Schulen etc. ausser ihrem Desinfektorenamte obliegen 
sollen. Er kann sioh mit dieser Massregel nicht befreunden, zu der ihm auch 
ein Bedürfnis im allgemeinen nicht vorzuliegen scheint. 



326 


Aas Versammlungen and Vereinen. 


Würde man das Deainfektionswesen in diesem Sinne regeln, dann sei 
natürlich aach die Anschaffung von Apparaten notwendig; er empfehle, für 
jeden Amtsbezirk einen grösseren Formalindesinfekiiousapparat zn beschaffen, 
ferner aach die Kosten für Desinfektionsmittel and für Mühewaltung des Des¬ 
infektors bei anvermögenden Familien aus der Amts- oder Armenkasse za 
decken. Weiterhin müsse von jeder Stadtgemeinde and von jedem Kranken- 
haase die Anschaffung eines Dampfdesinfektionsapparates verlangt werden, 
w&hrend man sich in ärmeren Landgemeinden mit improvisierten Dampfappa¬ 
raten begnügen könne. 

Zam Schlosse gibt Vortragender eine Statistik über die im Regierangs- 
besirk Merseburg vorhandenen Dampf- and Formalindesinfektionsapparate and 
sprioht die Hoffnung aas, dass die jetzt von der Regierung angebahnte Rege¬ 
lung des Desinfektionswesens — Einrichtung von Desinfektorensohnlen, ge¬ 
regelte Prüfung der Desinfektoren — za einem erspriesslichen Ende 
führen werde. 

In der Diskass io n gibt Fielitz nähere Auskunft über die Verhält¬ 
nisse in seinem Kreise and die Verhandlangen, die er znr beabsichtigten Ein¬ 
führung der obligatorischen Desinfektion mit den Kreisbehörden gehabt habe. 
Er hält es für das richtige, dass die Sache nicht den Ortspolizeibehörden über¬ 
lassen, sondern darch eine vom Landrat za erlassende Kreispolizeiverordnung 

? geregelt werde. Er hält für den Kreis einen fest angestellten Kreis-Desin- 
ektor für nötig, dem dann Hilfspersonal in jedem Amtsbezirke beigestellt 
werden soll. Dabei erwähnt er, dass er bereits früher im Kreise für jeden 
Amtsbezirk einen kleineren Apparat, den alten Schering sehen Aeskulap an¬ 
geschafft, and aach einen Desinfektor aasgebildet habe, von denen sich dann 
einige weitergebildet hätten. Die Totengräber and Halb- oder Qanzinvaliden 
will er nicht zagelassen haben, entere, weil sie nicht zam Amte eines Desin¬ 
fektors passten, letztere weil sie oft nicht im vollen Besitz ihrer Kräfte seien. 
Zar Desinfektion aaf dem Lande brauche man kräftige Leute. 

Im Laafe seiner Ausführungen kommt er nach aaf die Gesundheitsaof- 
seher za sprechen, die er zar Beaufsichtigung der fortlaufenden Desinfektion 
während der Krankheit für zweckmässig hält; er behelfe sich jetzt za diesem 
Zwecke mit Krankenschwestern, da eine Kontrolle w&hrend der Krankheit doch 
nötig sei, sonst nütze auch die Schiassdesinfektion nichts. 

Prof. Dr. Fränkel hält die Behörden doch jetzt eher wie früher der 
Desinfektion geneigt. Betreffs des Wertes der Wohnangsdesinfektion über¬ 
haupt sei es richtig, dass für die Verbreitung der infizierenden Keime auch 
zahlreiche andere Möglichkeiten in Betracht kämen, vor allen der Verkehr des 
lebenden Menschen; doch müsse man zweifellos auch die tote Umgebung des 
Kranken berücksichtigen, von der die Infektion ebensogat aasgehen könne 
(man solle nar an die Tuberkulose denken) and deshalb sei eben doch die 
Wohnangsdesinfektion notwendig. Für letztere kämen in neuerer Zeit anoh 
ausser der Formalindesinfektion noch andere Massnahmen in Betracht, so z. B. 
desinfizierende Wandanstriche. Redner empfiehlt im einzelnen als solche An¬ 
striche z. B. die Peftone von Rosenzweig & Baamann in Cassel, denen 
nach Versnoben im hygienischen Institut eine nicht geringe keimtötende 
Wirkung sioher zukomme. Es geschehe dies wohl durch Abspaltung keim¬ 
widriger Gase von den Farben. Letztere behielten ihre keimtötende Wirkung 
viele Monate bei. Er antwortet dann auf eine Anfrage von Fielitz, dass 
nach seinen Erfahrungen Formalindesinfektion bei denen am meisten in Be¬ 
tracht kommenden Krankheiten, Diphtherie, Scharlach, Tuberkulose, genüge. 
Sehr widerstandsfähig seien Staphylokokken gegen Formaldebyd, doch würden 
aach diese widerstandsfähigen Bakterien durch Formaldehyd abgetötet, sofern 
nur gewisse Bedingungen eingehalteu würden. Za diesen gehöre erstens eine 
grössere Menge des Gases, ferner genügende Entwickelung von Wasserdampf, vor 
allen Dingen eine sehr genaue Abdichtung des zu desinfizierenden Raumes. Um 
letztere aber in zuverlässiger und vorschriftsmässiger Weise zu bewerkstelligen, 
sei geschultes Personal nötig. Habe man aber solches, so bedürfe man auch 
der Improvisationen nioht. Weiter stimmt Fränkel darin Fielitz bei, dass 
die Anstellung mindestens eines Desinfektors mit Gehalt im Kreise nötig sei, 
damit man sich unbedingt auf denselben verlassen könne. Endlich hält aaeh 
er die Gesandheitsaufseher nach englischem Master für zweckmässig und em¬ 
pfiehlt als Desinfektoren auch weibliehe Personen. 



Besprechungen. 


327 


Fielits ist dagegen nicht für die Anstellung von weiblichen Personen 
als Desinfektoren nnd betont nochmals, dass dazu kräftige Männer notwendig 
seien, schon wegen des Kraftaufwandes, der mit der Fortschaffang der Apparate 
nnd der zn desinfizierenden Sachen auf den oft doch recht schlechten nnd 
schwer passierbaren Landwegen verbanden sei. Die Einrichtung der Gesund- 
heitsanfseher im Regierungsbezirk Arnsberg scheine ihm insofern unrichtig, 
als diese Leate keine Beamten, sondern Gewerbetreibende seien, die nur durch 
Vermittelung der Ortspolizeibehörde bezahlt würden. Seiner Meinung nach 
müssten derartige Gesundheitsanfseher unabhängig von der Bezahlung durch 
das Pablikum gestellt werden nnd eben Beamte sein. 

Redner führt dann weiter aus, dass man auch das Pablikum selbst über 
den Nutzen und die Notwendigkeit der Desinfektion belehren müsse nnd em¬ 
pfiehlt, seine Absicht, auf Lehrerkonferenzen und sogenannten Familienabenden, 
die wohl allerwärts jetzt eingerichtet seien, darüber Vorträge zu halten, auch 
anderwärts ins Werk zn setzen. Ferner komme zur Belehrung des Publikums 
auch die Verteilung gedruckter Massregeln in Betracht; die vom Medizinal¬ 
beamtenverein des Regierungsbezirks Potsdam herausgegebenen schienen ihm 
jedoch zu weitläufig, weshalb er eine Kommission zur Vereinfachung derselben 
vorsohlägt. 

Ri sei teilt mit, das* in der Stadt Halle die Kosten für die Beförderung 
der Apparate und der der Desinfektion unterliegenden Sachen mittels Wagen 
ganz unverhältnismässig hoch gewesen seien, weshalb man sich mit dem Ge¬ 
danken trage, ein Automobil dazu zu beschaffen. Von verschiedenen Seiten 
wird jedoch die Zweckmässigkeit eines solchen Fahrzeoges bei den oft im 
schlechtesten Zustand befindlichen Landwegen bestritten. 

Hauch weist darauf hin, dass in der Verfügung des Herrn Regierungs¬ 
präsidenten über die Ausbildung von Desinfektoren nur von männlichem Per¬ 
sonal die Rede sei, eine Bemerkung, die Fielitz Veranlassung gibt, noch¬ 
mals dafür einzutreten, dass man weibliche Personen nicht zulassen solle, da 
dieselben schon za gewissen Zeiten durch ihren körperlichen Zustand gehindert 
seien und auch nicht immer, namentlich in Arbeiterkreisen, die nötige Autorität 
besässen. Darauf müsse man aber Rüoksioht nehmen, ebenso wie darauf, dass 
man bei der Auswahl des männlichen Personals von vornherein auf eine ge¬ 
wisse geistige Gewecktheit und manuelle Geschicklichkeit sehen müsse. 

Nachdem nooh verschiedene Kollegen zu der Angelegenheit das Wort 
ergriffen, beantragt Hermann, sogleich eine Kommission zur Vereinfachung 
der bis jetzt vorliegenden gedruckten Massregeln zu wählen. Dies geschieht, 
worauf der Vorsitzende nochmals kurz das Resultat der Verhandlung zu¬ 
sammenfasst und ersucht, mit Polizeivetordnungen zur Einführung der Desin¬ 
fektion sich noch zu gedulden, bis das doch zu erwartende Ergänzungsgesetz 
zum Reichsseuchengesetz erlassen sei. 

Nach Schloss der Sitzung vereinigten sich sämmtlioh Erschienenen noch 
auf einige Standen zu einem gemeinsamen Mahle. 

Dr. Schnei der-Merseburg. 


Besprechungen. 

Dr. Budolf Kobert, Kais. russ. Staatsrat, ord. Prof. u. Direktor deB Instituts 
f. Pharmakologie u. physiol. Chemie der Landesuniversität Rostock: Lehr¬ 
buch der Intoxikationen. Zweite durchweg neuarbeitete Auflage. 
I. Band: Allgemeiner Teil. Mit 69 Abbildungen im Text. Stuttgart 1902. 
gr. 8°; 302 8. Preis: geh. 7 Mark. 

In der Vorrede zur ersten Auflage, der das Motto vorangesetzt ist: 
Undequaqae infelix est humana vita, infelicior tarnen, si morbis, infelicissima 
si venenis affligatur, sagt der wohlbekannte Forscher, dass er Aerzten und 
Studierenden ein verständlich geschriebenes, mit erschöpfendem Register ver¬ 
sehenes Werk über Intoxikationen bieten wolle, welches gleichzeitig als Lehr¬ 
buch und als Handbuch dienen könne. Kobert erinnert daran, dass die be¬ 
kannten Krankheiten wie Wundtetanus. Eklampsie, Typhus, Cholera, Tuber¬ 
kulose, Pocken, Masern u. s. w. hinsichtlich ihrer Symptome und ihrer Behänd- 
lang als hochkomplizierte Intoxikationen aufgefaest werden müssten, die ohne 



328 


Besprechungen. 


eine gründliche Kenntnis der Wirkungen, namentlich der Alkaloide, Glykoside 
u. 8. w. gar nicht verstanden werden könnten. 

Was nan das Werk selbst angeht, so umgreift der vorliegende Band 
swei Abteilungen, von denen die erste die Ueberschrift führt: „Allgemeines 
über Intoxikationen", während sich die zweite befasst mit dem „Nachweis 
von Intoxikationen post mortem“. 

Kobert hält, was er versprochen: in klarer, übersichtlicher nnd 
erschöpfender Weise spricht er von der Geschichte nnd Litteratnr der Intoxi¬ 
kationen, von der Definition nnd Benennung von Gift, von seiner Herkunft, 
seinem Vorkommen, seiner Bedeutung n. s. w. Die letzten Kapitel der ersten 
Abteilung behandeln die Symptomatologie, die Diagnose nnd die Therapie der 
Intoxikationen. 

Am meisten interessiert die zweite Abteilung, in der Kobert zuerst 
die gesetzlichen Bestimmnngen über die Obduktionen Vergüteter bringt und 
sodann die richtige Deutung der einzelnen Leichenerscheiunngen in klarer 
und leicht fasslicher Weise erörtert. Auch die richterlichen Fragen: Liegt 
Vergiftung vorf Mord oder Selbstmord? finden hier ihre Erledigung. 

Der letzte Teil des ersten Bandes, in dem der Charakter des Lehrbuchs 
mehr hervortritt, handelt von dem chemischen Nachweis — hier werden die 
einzelnen Untersuchnngsmethoden besprochen — nnd von dem physiologischen 
Nachweis von Giften. Diesem Abschnitte ist der grösste Teil des Buches ge¬ 
widmet. Verfasser berichtet über Versuche an Enzymen, an niederen Or¬ 
ganismen, an höher stehenden Pflanzen, an grösseren wirbellosen Tieren, an 
ansgeschnittenen Organen eben getöteter Kalt* nnd Warmblüter, an kaltblü¬ 
tigen Wirbeltieren und endlich an Warmblütern und Menschen. 

Das Buch wird tatsächlich ein getreuer Batgeber sein für Alle, die 
über das Thema „Vergiftungen“ Belehrungen haben und Untersuchungen dieser 
Art vornehmen wollen. Die zahlreichen Litteraturangaben erhöhen die Bedeu¬ 
tung des Buches; auoh in der glatten, leichten, gefälligen Schreibweise liegt 
nicht zum letzten der Wert des Werkes. 

Die Ausstattung des Buches ist — wie nicht anders zu erwarten — 
gut, besonders sind auch die Abbildungen als wohlgelungen zu bezeichnen. 

Dr. Hoff man n-Elberfeld. 


Dr. v. Boltenutern, prakt. Arzt, staatsärztl. approb.: Die Vergiftungen. 

Leipzig 1902. Druck und Verlag von C. G. Naumann. Kl. 8°; 342 S. 

Preis: geh. 2,50 M. 

Das vorliegende Werk will die Hand* und Lehrbücher der Toxikologie 
nicht ersetzen, sondern will nur das theroetisch nnd praktisch Wichtige auf 
dem Gebiete der Vergiftungen in knapper Form zusammenfassen, es reiht die 
einzelnen Gifte nach ihren am meisten hervortretenden Wirkungen in einige 
Hauptgruppen ein und befasst sich mit dem Nachweis des Giftes intra vitam 
und post mortem nur soweit, als das Verständnis des Praktikers es erfordert. 

Der erste Teil behandelt die Giftwirkungen im Allgemeinen, ihre Symp¬ 
tomatologie, ihre Diagnose, Prognose, Prophylaxe nnd Therapie, bespricht den 
pathologisch-anatomischen Befnnd, den chemischen nnd physiologischen Nach¬ 
weis des Giftes. 

Der spezielle Teil hingegen befasst sich mit den einzelnen Vergiftungen, 
wobei die Symptome, der anatomische Befund, die Diagnose, Therapie und der Nach¬ 
weis des Giftes in kurzer, übersichtlicher Form uns vor Augen geführt werden. 

An die Vergiftung durch Säuren schliesst sich die Vergiftung durch 
ätzende Alkalien und alkalische Erden, Vergiftung durch örtlich reizende 
organische Stoffe, Vergiftung durch örtlich reizende Gase nnd Dämpfe, Ver¬ 
giftung durch Parenchymgifte, durch Blntgifte, durch Nervengifte, durch Herz¬ 
gifte nnd durch Schlangengift; den Schluss bilden Vergiftungen durch Fleisch, 
Warst, Fisch, Käse, durch Pilze und durch Mutterkorn. 

Die einzelnen Kapitel erfreuen Bich durchweg einer klaren, prägnanten 
Darstellung; das Werk wird Jedem, der sich über die betreffenden Fragen 
rasch orientiren will, nur willkommen sein. Dr. Hoff mann-Elberfeld. 



Tagesnachrichten. 


329 


Tagesnachrichten. 

Nach einem Berichte im Reichsanzeiger Nr. 82 vom 6. d. M. hat am 
4, d. M. unter dem Vorsitz des Ministers für Handel and Gewerbe 
im Geschäfte gebäude des Hauses der Abgeordneten eine Konferenz, be¬ 
treffend die zur Bekämpfung der Wurmkrankheit notwendigen Mass¬ 
nahmen stattgefunden, an der ausser dem Oberberghauptmann mehrere Rite 
des Handels- und des Kultusministeriums, sowie Vertreter des Reichsgesund- 
heitsamts, der Oberpräsidenten von Westfalen und der Rheinprovinz, des Ober¬ 
bergamts zu Dortmund, des Vereins für die bergbaulichen Interessen im Ober¬ 
bergamtsbezirke Dortmund, des Verbandes der Vereine technischer Gruben¬ 
beamten, ferner eine grössere Anzahl von Aerzten und die Mitglieder des im 
Oberbergamtsbezirk Dortmund zur Bekämpfung der Wurmkrankheit eingesetzten 
Sonderausschusses teilnahmen. Nach einer kurzen BegrÜBSUng der Anwesenden 
durch den Minister und einem Hinweise auf die Bedeutung der Wurmkrankheit 
für die Bergbaubezirke, auf die bereits getroffenen Massregeln und die Er¬ 
fahrungen in anderen von der Krankheit befallenen Ländern wurde zunächst 
in eine Erörterung der Frage eingetreten, welche Verbreitung die Krankheit 
nur Zeit in den preussischen Regierungsbezirken, namentlich im Dortmunder 
Bezirk genommen habe, worauf diese Verbreitung znrückzuführen sei, und 
welche Massnahmen zur genauen Feststellung des Umfanges erforderlich seien. 
Es ergab sich ans den Verhandlungen, dass in den Oberbergamtshezirken 
Breslau, Halle und Clausthal in den letzten Jahren keine ErkrankungsfäUe 
bekannt geworden, dass auch im Oberhergamtsbezirk Bonn nur ganz ausnahms¬ 
weise Erkrankungen vorgekommen sind, dass dagegen im Oberhergamtsbezirk 
Dortmund die Krankheit noch einen erheblich grösseren Umfang angenommen 
hat, als bisher geglaubt wurde. Auf einzelnen Zechen ist über die Hälfte der 
Belegschaft von ihr ergriffen. Man gelangte zu der Ansicht, dass die Krank¬ 
heit zunächst wohl durch italienische oder ungarische Arbeiter, etwa im An¬ 
fänge der neunziger Jahre, nach Westfalen eingeschleppt sei, dort aber unter 
den für die Entwickelung der Seuche ausserordentlich günstigen Verhältnissen 
der Steinkohlengruben sich durch den grossen Wechsel der Belegschaften unter 
einander von Grube zu Grube weiter übertragen habe. Eine wesentliche Ver¬ 
mehrung der Krankheit durch später einwandernde ausländische Arbeiter hielt 
man für höchst unwahrscheinlich. Dass auch die durch Bergpolizeiverordnung 
vorgeschriebene Berieselung der Gruben für die Verbreitung der Krankheit in 
den letzten Jahren ein günstiges Moment abgegeben habe, wurde ebenfalls 
anerkannt. Eine ganz genaue Feststellung des Umfangs, und zwar durch 
mikroskopische Untersuchung der Dejektionen ganzer Belegschaften — wie sie 
von einer ganzen Reihe von Zechen bereits dnrchgeführt ist — wurde im 
weitesten Umfange befürwortet; nur auf diese Weise hielt man eine genaue 

Feststellung des Umfanges für möglich. Man neigte der Auffassung 

zu, dass mit einer vollständigen Erkenntnis des Wesens und des Umfanges 
der Krankheit eine erfolgreiche Bekämpfung bestimmt zu erwarten und damit 
der Höhepunkt der Krankheit bereits überschritten sei. Im Übrigen war man 
im allgemeinen der Ansicht, dass es sich in Deutschland bei der Wurmkrankheit 
praktisch um eine Berufskrankheit der unterirdisch be-schäftigten Arbeiter 
und Beamten handele, dass Erkrankungen der Tagesarbeiter nur ganz aus¬ 
nahmsweise und Erkrankungen von Familienmitgliedern bisher überhaupt noch 
nicht einwandfrei festgestellt worden seien. 

Im Anschluss hieran wurden diejenigen Massnahmen eingehend ei örtert, 
die zur Bekämpfung der Krankheit selbst in Frage kommen. Die Abtötung 
des Parasiten im menschlichen Darm erfolgt in Westfalen, Ungarn und Belgien 
fast durchweg mittels Farnkrautextrakts (Extractum Filicis); man hat mit 
diesem Mittel — vorausgesetzt, dass es frisch ist — bessere Erfahrungen ge¬ 
macht, als mit dem in England beliebteren Thymol. Allerdings schliesst die 
Behandlung mit Farnkrautextrakt Rückfälle der Krankheit bei den behandelten 
Personen nicht immer aus, sodass eine Nachuntersuchung und gegebenenfalls 
eine nochmalige Abtreibungskur erfolgen muss. In jedem Falle muss die Be¬ 
handlung in einem Krankenhause erfolgen. 

Einen grossen Raum der Verhandlung nahm die Erörterung der vor¬ 
beugenden Massregeln in Anspruch. Als wesentlichster Gesichtspunkt 
wurde hervorgehoben, dass es bei der Lage der Verhältnisse unbedingt geboten se^ 




330 


■Tages nachrichten. 


die Uebertragung der Erkrankung durch die von einer nach der andern Zeche 
wechselnden, und die ans anderen LSndern zuwandernden Bergleute zu ver¬ 
hindern. Als geeignetes Kittel, diesen Zweck zu erreichen, wurde allgemein 
der Erlass einer Bergpolizeiverordnnng anerkannt, welche den Bergwerksbe- 
sitzern verbietet, Bergleute auf ihren Gruben anznlegen, bevor sich diese durch 
eine eingehende und zuverlässige Untersuchung als wurmfrei erwiesen haben. 
Den durch eine solche Verordnung für die Bergleute selbst möglicherweise 
erwachsenden Schwierigkeiten soll dadurch entgegengetreten werden, dass mög¬ 
lichst zahlreiche Aerzte zur Vornahme der Untersuchung vorgebildet, und deren 
Namen den Belegschaften bekannt gegeben werden, sowie dadurch, dass — so¬ 
weit möglich — für eine vorläufige Beschäftigung der betreffenden Leute über 
Tage gesorgt werden soll. Für die Ausbildung einer genügenden Anzahl von 
Aerzten und die Einrichtung von Stationen wird der Allgemeine Knappschafts- 
verein zu Bochum Sorge tragen, der hierzu auch bereits die einleitenden Mass- 
regeln ergriffen hat. 

Eine eingehende Diskussion knüpft sich sodann an die Frage, ob anf den 
einzelnen befallenen Gruben die vorhandenen Einrichtungen (Abortanlagen, 
Bäder u. s. w.) als genügend anzuerkennen seien oder nicht. Während seitens 
der Vertreter des Oberbergamts zu Dortmund und der Werksbesitzer erklärt 
wurde, dass zur Zeit die Verhältnisse auf den Gruben den Vorschriften der 
sogenannten Gesundheitspolizeiverordnung vom 12. März 1900 völlig entsprächen, 
vielfach sogar noch erheblich darüber hinausgingen, vertraten die Arbeiterver¬ 
treter den Standpunkt, dass eine Nichtbeobachtung dieser Vorschriften auch 
jetzt noch vorkomme. Auch wurde von ihnen darüber geklagt, dass in den 
Kreisen der Bergarbeiter noch immer nicht eine genügende Aufklärung über 
das Wesen der Krankheit verbreitet sei. 

Ueber die weitere Frage der etwaigen Beschaffung von Trink- 
wasser vor die Arbeitspunkte, das Verbot der vielleicht noch vereinzelt 
vorkommenden Berieselung mit Sumpfwasser, und die möglichste Besei¬ 
tigung der in den Gruben mehrfach eintretenden, für die Entwickelung 
der Krankheitserreger sehr günstigen Schlammansammlungen wird das Ober¬ 
bergamt zu Dortmund noch eine nähere Prüfung der Verhältnisse vornehmen 
and, soweit sich Misstände auf sanitärem Gebiete hierbei ergeben sollten, 
deren Abstellung bewirken. Als selbstverständlich wurde anerkannt, dass die 
Reinhaltung der Abortanlagen und der Bäder, sowie die Desinfektion der ersteren 
in ausreichender Weise durchgeführt und überwacht werden müsse. Dagegen 
fand der Vorschlag der Arbeitervertreter, auf bergpolizeilichem Wege mit 
dieser Ueberwachung besondere, von den Arbeitern zu wählende Arbeiter¬ 
kontrolleure zu beauftragen, nicht die Zustimmung der übrigen Versammlung. 

Die mit Kalkmilch, Kochsalz-, Karbol- und anderen Lösungen vielfach vor¬ 
genommenen Versuche, eine wirksame Desinfektion der Grabenräume durch zu¬ 
führen, haben bisher ein genügendes Ergebnis oder einen ausreichenden Erfolg 
nicht gehabt. Als ein ganz besonders wirksames Mittel wurde die vollständige 
Trockenlegung der verseuchten Baue auf längere Zeit anerkannt. Die 
Versuche, geeignete Desinfektionsmittel zu finden, sollen, wie bisher, auch weiter¬ 
hin fortgesetzt werden. Um über die Erfolge der Trockenlegung ganzer Gruben 
oder einzelner Abteilungen ein sicheres Urteil zu gewinnen, soll ferner die 
zeitweilige Einstellung der Berieselung für einzelne besonders geeignete Gruben 
unter den für die Vermeidung von Kohlenstaubexplosionen notwendigen Vor- 
sichtsmassregeln — soweit angängig — gestattet werden. 

Von der Erörterung der auf der Tagesordnung stehenden Frage, ob die 
erkrankt gewesenen Arbeiter für längere Zeit von den unterirdischen Gruben¬ 
bauen fern zu halten seien, wie das z. B. in England mit Erfolg geschehen sei, 
wurde bei der gegenwärtigen Sachlage Abstand genommen, weil zunächst erst 
eine allen Anforderungen genügende Statistik über den Umfang der Wurm- 
erkrankungen auf den einzelnen Graben aufgestellt werden müsse. 

Bezüglich dieser Statistik selbst wurde festgestellt, dass sie nicht nur 
jeden einzelnen Krankheitsfall nach Zeit, Ort, Art der Arbeitsstelle u. s. w. an 
umfassen, sondern sich auch auf die Erfolge des im einzelnen Falle einge¬ 
schlagenen Heilverfahrens zu erstrecken habe.Von einer Ausdehnung 

dieser Statistik auf die Vergangenheit wurde als nicht ausführbar Abstand 
genommen. 




Tagesnachrichten. 


331 


Ana dem preossiaohen Abgeordnetenhaus«. In der Sitsnng am 
31. M&rz 1993 gelangte der Antrag des Abg. Dr. Langerh&ns nnd Genossen, 
betreffend die Einführung der fakultativen Feuerbestattung, nur Beratung. 
Der Antragsteller begründete deren Notwendigkeit aus hygienischen und 
finanziellen Rücksichten und betonte, dass die obligatorische Leichenschau die 
Voraussetzung fdr die Feuerbestattung sei. Von konservativer (Abg. Schall) 
Beite und seitens des Zentrums (Abg. Dittrich) wurde aus religiösen Gründen 
dem Antrag widersprochen und auch bestritten, dass die Beschaffung von Kirch¬ 
hofen selbst den Grossstädten zu grosse Schwierigkeiten und Kosten verursache, 
während die Abg. Martens (natl.), Berth und Ehlers (freis. Ver.) die 
Annahme des Antrages warm befürworteten und erklärten, dass der Antrag so 
oft wiederkehren werde, bis er endlich angenommen sei. Desgleichen wiesen 
sie gegenüber den juristischen Bedenken gegen die Feuerbestattung darauf 
hin, dass es auch jetzt möglich sei, eine ermordete Person über die Grenze zu 
schaffen und in irgend einem benachbarten Krematorium verbrennen zu lassen. 
Von Seiten des Vertreters des Kultusministeriums (Geh. Reg.-Rat Schuster) 
wurde erklärt, die Staatsregierung nehme der Feuerbestattung gegenüber noch 
denselben Standpunkt ein wie früher. Die juristischen Bedenken wären auch 
durch die Einführung einer obligatorischen Leichenschau nicht zu beseitigen, 
weil diese vielfach durch Nichtärzte ansgeübt werde; sie aber überall durch 
Aerzte vornehmen lassen, sei nicht durchführbar. Wesentlich sei aber, dass 
die Erdbestattung dem Gefühl und den sittlichen Anschauungen aller christ¬ 
lichen Konfessionen entspreche, und dass durch die Einführung der Leiahen- 
▼erbrennung in weiten Kreisen der christlichen Bevölkerung schwere sittliche 
Bedenken erregt werden würden. Die Königliche Staatsregierung lehne es 
daher ab, in Erwägungen über die Frage einsutreten. Der Antrag wurde 
schliesslich mit knapper Mehrheit abgelehnt, auch ein Teil der Freikonservativen 
stimmte dafür. 


XXVIII. Versammlung des Deutschen Vereins für Öffentliche Ge¬ 
sundheitspflege in Dresden vom 16. bis 19. September 1903. 

Tagesordnung: Mittwoch, den 16. Sep tember: I. Nach welcher 
Richtung bedürfen unsere derzeitigen Massnahmen zur Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose der Ergänzung? Referent: Prof. Dr. Karl Fränkel-Halle. II. Hygieni¬ 
sche Einrichtungen der Gasthäuser und Schankstätten. Referent: Reg.-n. Med.- 
Rat Dr. Bornträger-Dansig. 

Donnerstag, den 17. September: III. Die gesundheitliche Ueber- 
wachung des Verkehrs mit Milch. Referent: Prof. Dr. Dunbar-Hamburg. 
IV. Reinigung des Trinkwassers durch Ozon. Referent: Geh. Regierungsrat 
Dr. Oblmüller-Berlin. 

Freitag, den 18. September: V. Die Bauordnung im Dienste der 
Öffentlichen Gesundheitspflege. Referenten: Geh. Baurat Stflbben-Köln, 
Geh. Regierungsrat Dr. Rumpelt -Dresden. 


Die Jahresversammlung des Württembergischen Medizinalbe¬ 
amtenvereins wird am Sonntag, den 26. April, im unmittelbaren An¬ 
schluss an eine an demselben Tage zur Erörterung von Fragen aus dem Ge¬ 
biete der Psychiatrie stattfindende Versammlung von Juristen und Aerzten im 
K. Justizgebäude in Stuttgart stattfiuden. Tagesordnung: 1. Geschäftliche 
Mitteilungen, 2. Besprechung von Standesangelegenheiten. 


Auf Vorschlag des Prof. Dr. Cramer, Direktor der Prov.-Irrenanstalt 
in Göttingen, hat der Hannoversche Provinziallandtag in seiner 
Sitzung vom 27. Februar d. J. den Ankauf der sog. „Rasemühle“ bei Göttingen 
behufs Einrichtung eines Sanatoriums für unbemittelte Nervenkranke 
des Mittelstandes nnd der unteren Stände beschlossen. Es ist dies die 
erste derartige provinzialständische Anstalt; sie soll für 75 Kranke eingerichtet 
und am 1. Oktober d. J. eröffnet werden. 



332 


Tagesnachrichten. 


Milchhygiene und Milchkunde. In der richtigen Erkenntnis der Not* 
wendigkeit, die praktisch verwertbaren Ergebnisse der Milchbygiene nun Ge¬ 
mein gat des Volkes zn machen, werden von den einzelnen AnsschÜ6sen der in 
der Zeit vom 2. bis 10. Mai d. J. in Hamburg stattfindenden Allgemeinen 
Ausstellung für hygienische Milchversorgung eine Beihe praktischer nnd 
populär-wissenschaftlicher Schriften heransgegeben, die allgemeine Beachtung 
beanspruchen dürften, nämlich 1. das Milchkoch buch nebst Anleitung zur 
Behandlung der Milch im Haushalt, 2. die Geschichte der Milchver¬ 
sorgung Hamburgs von Dr. Voigt, 3. die Milchgesetzgebung von 
Dr. Beinsch und endlich 4. die allgemeine Milchkunde des wissen¬ 
schaftlichen Ausschusses, die in sich streng aneinander gliedernden Einzelauf- 
sätzen von 19 Fachleuten auf dem Gebiete der Milchwirtschaft und der Milch¬ 
hygiene in grossen Zügen knapp und doch möglichst vollständig, gemeinver¬ 
ständlich und doch streng wissenschaftlich alles Wissenswerte über Milch nnd 
Milchhygiene darbieten nnd so ein getreues Bild des gegenwärtigen Standes 
der Milchwirtschaft in der angegebenen Bichtung zeichnen will. 


Diplomerteilung. Die Kommission für die „Gemeindliehe Max 
von Pettenkofersohe Stiftung" in München erkannte dem Geh. Med.- 
Bat Prof. Dr. Flügge, Direktor des hygienischen Instituts in Breslau, dem 
Prof. Dr. Dun bar, Direktor des hygienischen Instituts in Hamburg, und dem 
Geh. Beg. - Bat Dr. Ohlmüller, Mitarbeiter des Kaiserlichen Gesundheitsamt» 
zu Berlin, für wissenschaftliche Arbeiten auf dem hygienischen Gebiete je ein 
Diplom mit einer Prämie zn je 750 Mark aus der genannten Stiftung zu. 


Deutscher Medizinalbeamten - Verein. 

Die Mitglieder des Deutschen Medizinalbeamtenveieins werden gebeten, 
etwaige Vorträge und Wftnsohe für die voraussichtlich am Montag und 
Dienstag, den 14. nnd 15. September d. J. in Leipzig (unmittelbar 
vor der JahresVersammlung des Deutschen Vereins für Öffentliche Gesundheits¬ 
pflege) stattfindende 

zweite Hauptversammlung 

bei dem Unterzeichneten bis zum 25. April d. J. anzumelden. 

Minden, den 10. April 1903. 

Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereins. 

Im Aufträge: 

Dr. Bapmnnd, Vorsitzender, 

Beg.- u. Geh. Med.-Bat in Minden. 


Preussischer Medizinalbeamtenverein. 

Die diesjährige 

IX. Hauptversammlung 1 

des Preussischen Medizinalbeamtenvereins wird voraussichtlich am Sonnabend, 
den 12. 8eptember d. J. in Halle a./S. (unmittelbar vor der Hauptver¬ 
sammlung des Deutschen Medizinalbeamtenvereins) Btattfinden. Betreffs der 
rechtzeitigen Feststellung der Tagesordnung werden die Mitglieder gebeten, 
etwaige Vorträge und Wftnsohe bei dem Unterzeichneten bis zum 25. April 
d. J. anzumelden. 

Minden, den 10. April 1903. 

Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins. 

Im Aufträge: 

Dr. Bapmnnd, Vorsitzender, 

Beg.- u. Geh. Med.-Bat in Minden. 


Verantwortl. Bedakteur: Dr. Bapmnnd, Beg.-u.Geh.Med.-Bat in Minden i. W. 

J. G. C. Bruns, Herzog!. Siebs, u. F. 8ch.-L. Hofbuchdruckerei in Minden. 













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16. Jahrg. 


Zeitschrift 


1906. 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt f9r geriehtliehe Medizin und Psychiatrie, 
für arztliehe Sachverständigentatigkeit in Unfall- and favatiditatssaehen, sowie 
für Hygiene, ofentl Sanitätswesen, Medizinal - Gesetzgebung und Rechtsprechung. 

Heraoflgegeben 

von 

Dr. OTTO RAPMUND, 

Regtarvngi- und Geh. Medlwinalrat in Minden. 


Verlag von Fiseher’s mediz. Buchhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Bachhändler. 

Berlin W. 15, Lützowstr. 10. 

ln»er*ie nehmen die YerUfshnndlnnf sowie alle Annoneenexpedltionen des In- 
nnd Auslandes entgegen. 


Nr. 9. 


Erseheiat mm 1. and 15. jeden Monats 


1. Mai. 


Wochenbettfieber und Fieber im Wochenbett. 

Von Kreisarzt and Med. - Rat Dr. Coester in Bunzlau. 

Der Aufsatz des Herrn Direktor Dr. P. Baumm in der 
Nr. 7 dieser Zeitschrift wird bei den Medizinalbeamten sicherlich 
teils Uebereinstimmung, teils Widerspruch hervorrufen: Ueberein¬ 
stimmung mit dem Tadel betreffs der Mängel des jetzt geltenden 
Hebammenlehrbuches, und Widerspruch gegen die Vorschläge in 
Bezug auf das Verhalten der Hebammen beim Ansbrnch von 
Wochenbettfieber und beim Verdacht auf dieses. 

Ohne auf die Mängel des Hebammenlehrbuches weiter ein¬ 
zugehen, sei es mir gestattet, meine Bedenken gegen diese Vor¬ 
schläge zu änssern. Den Anlass dazu bietet mir besonders eine 
Gerichtsverhandlung, in welcher der Verfasser und meine Person 
als Sachverständige fungierten. In dieser Gerichtsverhandlung 
vertrat Dr. Baumm gleichfalls die Ansicht, dass eine angeklagte 
Hebamme nicht straffällig sei, wenn sie Fieber im Wochenbett 
dem Kreisärzte verschweige, sobald der zugezogene Arzt nicht die 
Diagnose auf Wochenbettfieber gestellt habe. 

Die betreffende Hebamme hatte durch verspätete Meldung 
Veranlassung gegeben, zwei weitere Wöchnerinnen von einer 
dritten anzustecken: alle drei starben. Bei der ersten hatte ein 
Arzt der Hebamme nicht rechtzeitig gesagt, dass Wochenbettfieber 
oder Verdacht auf dasselbe vorläge. Die Hebamme hatte infolge¬ 
dessen noch zwei andere Schwangere bezw. Kreissende untersucht 
und sie angesteckt. Der Fall liegt also genau so, wie ihn Dr. 
Ban mm konstruiert: Nichtanzeige, bevor der Arzt nicht die 









Dr. Coester. 


334 

Diagnose Wochenbettfieber stellt, Nichtbeachtung der Fiebertempe¬ 
ratur von 38°, bezw. von 38,5° und die Folge dieser Nichtanzeige: 
das grosse Unglück, dass zwei blühende Frauen, die in ihrem 
Haushalt unersetzlich waren, das Leben lassen mussten. 

Nach solchem Beispiel und dieser traurigen Erfahrung kann 
ich mich nicht entschliessen, Verfassers Ansicht beizustimmen, dass 
die bisherige Pflicht der Hebammen, bei einer Temperatur von 
38,5° dem Kreisärzte Anzeige zu erstatten, aufzuheben sei. Ich 
brauche hier nicht zu erwähnen, dass gerade die schwersten sep¬ 
tischen Formen, in denen die Frauen mit leicht geröteten Wangen 
und scheinbar ohne Schmerzen im Bett liegen, und in denen durch 
die frühzeitige Somnolenz sie sich nicht einmal krank zu fühlen 
scheinen, diejenigen sind, in denen anfangs keine sehr hohen Tem¬ 
peraturen auf die Gefahr hin weisen. Wenn in solchen Fällen die 
Hebammen zwei bis drei Tage die Wöchnerinnen erst beobachten 
sollen, wenn sie weder verpflichtet sind, einen Arzt zu holen, 
noch dem Kreisärzte dies Fieber anzuzeigen, so kommen wir 
binnen kurzem wieder dahin, wo wir standen, ehe die meiner 
Meinung nach nur sehr segensreiche Ministerialverfügung vom 
22. November 1888 zur Verhütung des Wochenbettfiebers erlassen 
wurde; die Fälle von Wochenbettfieber werden sich wieder er¬ 
schreckend mehren, nachdem sie sich jetzt einigermassen ver¬ 
mindert haben. 

Bei der Meldepflicht der Hebammen handelt es 
sich vor allem darum, dass der Kreisarzt dadurch in 
die Lage versetzt ist, die betreffende Hebamme 
rechtzeitig zu belehren und sie davon abzuhalten, 
weiteres Unglück anzurichten. Dass der Kreisarzt oft 
„belogen“ und hintergangen wird, ist allerdings richtig; ander¬ 
seits ist aber den Hebammen recht gut bekannt, dass er sie im 
gegebenen Falle mit Geldstrafen und sogar durch Entziehung der 
Konzession bestrafen lassen kann, und die Furcht vor einer solchen 
Bestrafung wird sie anhalten, der Anmeldepflicht nachzukommen. 
So wird immerhin ein Zustand erzielt, der nach menschlichen 
Verhältnissen erträglich ist. Wie weit man aber in praxi mit den 
Anschauungen des Verfassers kommt, beweist am besten die Heb¬ 
amme, derenwegen wir den gemeinsamen Termin hatten. Dieselbe 
war verurteilt worden. Einen Tag später erschien sie bei mir 
und erklärte patzig, „sie habe natürlich Berufung eingelegt, denn 
ihr Lehrer, Herr Direktor B., habe ja öffentlich in der Gerichts¬ 
verhandlung gesagt, dass sie unschuldig sei.“ Dahin gelangt 
man, wenn man im öffentlichen Termine die Meldepflicht der Heb¬ 
ammen bestreitet. 

Zugeben muss man, dass unter der Meldepflicht von 38,5 0 C. 
die Zahl der sogen. Wochenbettfieberfälle allerdings statistisch 
wachsen wird; aber dementsprechend wächst auch die Sicherheit 
der Wöchnerinnen, die doch wohl höher zu rechnen ist, als eine 
tote Zahl. — 

Anderseits ist der Name „Wochenbettfieber“ bei Aerzten 
und Laien arg verhasst. Es wird sich aber leichter machen, 



Wochenbettfieber und Fieber im Wochenbett. 336 

wenn man nur vom „Fieber im Wochenbett“, d«s stets den „Ver¬ 
dacht“ in sich trägt, bei Meldungen spricht. Wir wissen endlich, 
wie Dr. Baumm mit Recht hervorhebt, ja nur zu gut, dass die 
Diagnose „ Wochenbettfieber“ in den ersten 3 X 24 Stunden nicht 
leicht ist. Leider stirbt nun aber oft die Wöchnerin in dieser Zeit 
und hat den Zweifel in der Diagnose beseitigt, wie in den oben 
zitierten Fällen. Solange soll es aber nach dem Vorschläge Dr. 
Baamms der Hebamme freistehen, mit ihrer Meldung an den 
Kreisarzt zu warten, oder einen Arzt herbeizuziehen. Bleibt der 
Hebamme es solange überlassen, zu melden, so werden sich solche 
Fälle wie oben mit weiterer Uebertragung häufen, und es wäre 
statt eines besseren, ein viel trauriger Zustand die Folge davon. 
Melden die Hebammen aber nur „Fieber im Wochenbett“ dem 
Kreisärzte bei 38,5° C., indem sie zugleich auf das Holen eines 
Arztes dringen, und das ist mein Vorschlag, so kämen sie aus 
der Zwitterstellung zwischen Arzt und Kreisarzt heraus und hätten 
mit der Anzeige nicht auf den Ausspruch des behandelnden 
Arztes zu warten, der sich erfahrungsgemäss nicht gern dazu 
entschliesst, bei einer Temperatur von 38,5° C. „Verdacht auf 
Wochenbettfieber“ zu melden. 

Der Ansicht, dass Beunruhigungen der Wöchnerinnen und der 
Familien hervorgerufen werden, wenn die Hebammen bei Tempe- 
ratursteigeruugen, und sei es erst bei 38,5 °, jetzt gezwungen sind 
(nach Dr. Baumm tun sie es aber klugerweise nicht), einen Arzt 
zu rufen, kann ich nicht beistimmen. Man muss sehr auf dem 
Standpunkte der „Naturheilmethodisten“ stehen, um so etwas zu 
glauben. Kinder schreckt man wohl mit dem „Onkel Doktor“, 
aber Erwachsene, denen man vernünftig auseinandersetzt, um was 
es sich handelt, werden dadurch nicht beunruhigt. Wie oft werden 
Aerzte bei Kleinigkeiten gerufen; hier handelt es sich doch 
niemals um eine Kleinigkeit, sondern stets um das Wohl und Wehe 
ganzer Familien. 

Meine Entgegnung fasse ich in der Weise zusammen: 

1. Die offenbaren Mängel des Hebammenlehrbuches müssen 
beseitigt werden. 

2. Die Ministerialverfügung vom 22. November 1888 sollte 
insofern ergänzt werden, dass die Hebammen unabhängig von dem 
Ausspruche des Arztes jeden Fall von Fieber im Wochenbett, 
wenn die Temperatur 38,5° C. erreicht, als „wochenbettfieber¬ 
verdächtig“ dem Kreisärzte zu melden haben, mit der gleichzei¬ 
tigen Verpflichtung, auf die Herbeiholung eines Arztes bei den 
Angehörigen der Wöchnerin zu dringen. 

3. Es würde die Disziplin, welche der Kreisarzt über die 
Hebammen ausüben soll, völlig untergraben, wenn diese willkürlich 
darüber entscheiden sollten, welcher Fall von Fieber im Wochen¬ 
bett „wochenbettfieberverdächtig“ ist und welcher nicht; diese 
Befugnis würde auch die Grenzen überschreiten, die ihnen durch 
ihre Vorbildung gewiesen sind. 

4. Es ist im Interesse des Hebammenstandes, dass die Lehrer 
an Hebammenlehranstalten das Verhältnis der Hebammen zu ihrem 



336 


Dr. Romeick: Zar Karbol wasserfrage. 


Vorgesetztem Eireisarzte nicht dadurch trüben, dass sie ihnen 
andere Lehren einprägen, als im Hebammenlehrbuch stehen und 
dieselben bei gerichtlichen Terminen vertreten. 

5. Bei den Meldungen kann der Name „Wochenbettfieber“ 
durch „Fieber im Wochenbett“ ersetzt werden. 


Zur Karbolwasserfrage. 

Von Kreisarzt Dr. Romeick in Mohrnngen. 

Die Ansicht des Herrn Landgerichtsarztes Dr. Kühn- 
Frankenthal (in Nr. 8 dieser Zeitschrift, S. 319), dass Karbolsäure 
nach dem Bundesratsbeschluss vom 13. Mai 1896 zum äusseren 
Gebrauch (Wundbehandlung) in den Apotheken ohne Anweisung 
eines Arztes selbst in konzentrierter Lösung abgegeben, und dass 
daher auch nach §. 1, Abs. 2 der Kaiserlichen Verordnung vom 
22. Oktober 1901 Karbolwasser als Heilmittel ausserhalb der 
Apotheken feilgehalten und verkauft werden darf, sofern es nicht 
mehr als 3 °/o Karbolsäure enthält, also nicht unter die Be¬ 
stimmungen über den Verkehr mit Gift fällt, — diese Ansicht ist 
vollkommen richtig. Eben diese tatsächlich bestehenden gesetz¬ 
lichen Bestimmungen habe ich in meiner kleinen Mitteilung (in 
Nr. 4 dieser Zeitschrift, S. 124) aus Anlass einer in meiner Praxis 
vorgekommenen Fingerkarbolgangrän bei einem Erwachsenen be¬ 
leuchten und als einer Aenderung dringend bedürftig hinstellen 
wollen. Ich sagte: „Karbolwasser wird leider vom Volke als 
Hausmittel bei allen blutigen Verletzungen verwendet. Leider 
darf es sowohl in den Apotheken, als auch ausserhalb der Apo¬ 
theken zu Desinfektionszwecken abgegeben werden; nur wenn die 
Lösung stärker als 3% ist, unterliegt ihre Abgabe den Be¬ 
stimmungen über den Verkehr mit Giften.“ Ich meinte damit 
nicht, dass Karbolwasser ausserhalb der Apotheken nur zu Des¬ 
infektionszwecken ausserhalb des menschlichen Körpers abgegeben 
werden darf, wiewohl ich Herrn Kollegen Kühn zugebe, dass 
meine Fassung zu diesem Missverständnisse Anlass gab. Der 
Zusatz „zu Desinfektionszwecken“ sollte nur bedeuten: „da es 
Desinfektionsmittel ist und als solches unter Abs. 2 des §. 1 der 
Kaiserlichen Verordnung vom 22. Oktober 1901 fällt. Zu meiner 
Freude ist das, was ich mit meiner Mitteilung bezweckte, von 
Herrn Kollegen Cohn-Heydekrug in der letzten Versammlung 
der Medizinalbeamten des Heg. - Bez. Gumbinnen klar und präzise 
ausgesprochen. In dem Referate darüber heisst es in Nr. 6 dieser 
Zeitschrift, S. 249: „Zum Schluss berichtet er über seine Er¬ 
fahrungen mit Karbol wasser, namentlich über Schädigungen nach 
laienhaftem Gebrauch desselben, die häufig zu Gangrän der Glieder 
und umfangreichen Gewebszerstörungen führen. De lege ferenda 
verlangt er, dass die Karbolsäure ganz dem freien Verkehr ent¬ 
zogen und denjenigen Mitteln angereiht werde, welche nur auf 
ein von einem Arzte, Tierarzte oder Zahnarzte ausgefertigtes Re¬ 
zept vom Apotheker verabfolgt werden dürfen.“ Diesem Verlangen 
ichliesse ich mich voll und ganz an. Nur so kann dieses tief 



Dr. Müller: Die Post als Vermittlerin der Weiterverbreitung; u. s. w. 337 


eingebürgerte schädliche Hausmittel beseitigt und durch die un¬ 
schädlichen Wundwasser, wie essigsaure Thonerde, Bleiwasser 
u. s. w. ersetzt werden. 


Die Post als Vermittlerin bei der Weiterverbreitung von 

Krankheiten. 

Von Med.-Bat Dr. Rieb. Müller, Physikus a. D. in Ohrdruf. 

Zu dem Artikel in Nr. 2 dieser Zeitschrift kann ich 
einen bezüglichen Fall mitteilen. Vor einer Keihe von Jahren, 
als ich noch Physikus des Kreises Ohrdruf war, gab es nirgends 
Scharlach in demselben; nur in Manebach am entferntesten Ende 
desselben, 28 km von hier, herrschte er stark. Auf einmal er¬ 
krankte das Töchterchen unseres Superintendenten hier, der zu¬ 
gleich Schulinspektor für Manebach ist, an Scharlach. — Ich 
konnte mir zunächst die Herkunft des vereinzelten Falles nicht 
erklären, aber bei näherem Nachfragen, wobei ich erwähnte, dass 
nur von Manebach Scharlach angemeldet sei, stellte sich heraus, 
dass ca. 8 Tage vor Erkrankung der Kleinen, ein Lehrer in 
Manebach seinem Inspektor, dem Vater meiner Patientin, brieflich 
gemeldet hatte: „sein eigenes Kind sei schwer an Scharlach er¬ 
krankt, er müsse deshalb den Unterricht in der Schule aufgeben a . 
Diesen Brief hatte meine Patientin, wie der Vater sich genau 
entsann, von der Post abgeholt (mit sonstigen Postsachen P). — 
Nun war mir die Infektionsquelle klar. Mathematisch beweisen 
lässt sich so etwas freilich nicht, aber ich hege darüber keinen 
Zweifel. — Die Patientin, welche nur leicht erkrankte, wurde 
isoliert; es ist dann kein Fall weiter hier vorgekommen. Es 
scheint als ob bei solchen indirekten Uebertragungen die Infektion 
nur leichtere Erkrankungen verursacht. 


Kurze Mitteilung über eine neue Form der Bleivergiftung. 

Von Dr. Schrakamp, Stadtarzt in Düsseldorf. 

Gegen Ende vorigen Jahres machte Deffernez 1 ) darauf 
aufmerksam, dass in Marmorschleifereien bei den Arbeitern häufig 
Bleivergiftung vorkäme, was bisher anscheinend nicht bekannt, 
jedenfalls aber in der Literatur nirgendwo beschrieben war. — 
Um festzustellen, ob und wie weit seine Angaben richtig sind, 
wurden die grösseren hiesigen Marmorschleifereien besichtigt und 
das Personal derselben, soweit dieses während des Betriebes und 
in den Werkstätten möglich ist, auf etwa sich vorfindender Symp¬ 
tome von Bleiintoxikation untersucht. Das Ergebnis war über¬ 
raschend; denn bei einem sehr grossen Teile der älteren Arbeiter, 
mehrfach auch schon bei jüngeren Leuten, die erst ein Jahr oder 
wenig mehr in der Schleiferei beschäftigt waren, fanden sich die 
charakteristischen Erscheinungen der chronischen Bleiintoxikation 


*) Contribution & 1’ 6tude du saturnisme professionell. Cas d’ into^ 
ettion dans les marbreries.“ Mouvement hygi&niqne; 1902, Nr. 11. 



338 


Aas Versammlungen und Vereinen. 


am Zahnfleische. Der pathognostische graue Saum am Rande des 
Zahnfleisches war deutlich ausgeprägt, das Zahnfleisch selbst war 
vielfach gelockert, aufgetrieben und am Rande geschwttrig zer¬ 
fallen. Dabei war häufig das Gebiss, wenigstens bei den älteren 
Arbeitern, auffallend unregelmässig und defekt. — Das Eintreten 
jener charakteristischen Symptome des Saturnismus ist leicht er¬ 
klärlich. Die Politur wird hergestellt durch Verreiben einer 
Mischung von Wachs, Alaun, Schwefelblüte und fein zerkleinertem 
Blei, welche der Arbeiter je nach Bedürfnis und dem jeweiligen 
Zwecke entsprechend an einem durchfeuchteten Tampon von Filz 
oder dergl. nimmt. Die Hand kommt auf diese Weise dauernd 
in Berührung mit jener Masse, und ist es möglich, dass vielleicht 
so die Bleiteilchen in die Poren der Haut eindringen. — Wahr¬ 
scheinlicher ist aber wohl die Einführung per os. Sind doch die 
Hände der Arbeiter, ihre Kleider, allerlei Gebrauchsgegenstände, 
wie z. B. die Tabakspfeife, natürlich auch alle von ihnen mit den 
beschmutzten Händen berührten und in den Arbeitspausen ge¬ 
nossenen Nahrungsmittel stets beschmutzt mit dem Schleifschlamme. 
Das Blei findet also bei den Manipulationen des täglichen Lebens 
reichlich Gelegenheit, in den Mund und den Verdauungstraktus 
einzudringen. — Möglich wäre auch die Aufnahme durch die 
Respiration, da stets wesentliche Mengen des Schleifschlammes 
verspritzen, auftrocknen und als Staub in die Luft gelangen. 

Es wird sich nun fragen, wie jene Bleivergiftungen sich 
vermeiden lassen. Das einfachste wäre natürlich, wenn das Blei 
bei dem Polierverfahren durch einen anderen, unschädlichen Stoff 
ersetzt werden könnte. Dieses ist aber anscheinend nicht möglich; 
denn die Fabrikanten sagen, dass kein anderer Stoff den „fetten* 1 
Glanz hervorbringt, wie das kaufende Publikum ihn bei den Mar¬ 
morartikeln wünscht. — Einige Wirkung könnte es vielleicht 
haben, wenn man dem Tampon einen Stiel oder Griff gäbe, um 
die Berührung von Hand und Schleifmasse zu verhindern. — Am 
zweckmässigsten wird es aber sein, wenn die bekannten Vorsichts- 
massregeln, wie sie bei der übrigen Industrie, welche Blei oder 
Bleipräparate verwendet, üblich sind (Auswahl von Arbeitern mit 
gesundem Gebiss, besondere Arbeitskleidung, Verbot im Arbeits¬ 
raume zu essen, reichliche Waschgelegenheit, Zahnbürsten etc.), 
auch auf die Marmorschleifereien ausgedehnt werden. 


Aut Versammlungen und Vereinen. 

Konferenx der Medizinal beamten des Reg-Bes. Coblena 
am 10. Dezember 1902 tm Sitzungssaal der Königlichen 

Regierang za Coblenz. 

Anwesend: Begierangspr&sident Freiherr ▼. Hövel, Begierangsassessor 
Haber als Vertreter des Herrn Oberprlsidenten, Reg.-Bat Dombois, Beg.- 
Bat 8asse, Beg.-and Banrat Siebert. Generalarzt Dr. Ti mann, Korpsant 
des VIIL Armeekorps, stellvertretender Beg. and Med.-Bat Dr. Finger, die 
Kreisärzte: Geh. Med.-Bat Dr. Falkenbach-Mayen, Geh. Med. - Bat An» 
Hinan er-Kreasnacb, Geh. Med.-Bat Dr. Kohlmann-Bemagen, Geh. ^ 
Bat Dr. Meder-Altenkirehen, Geh. Med.-Bat Dr. Schnls-Coblv 
Med.-Bat Dr. Höchst-Wetzlar, Med.-Bat Dr. Albert-Meisen! 


I 



Aas Versammlungen und Vereinen. 


339 


Bat Dr. Michels-Adenau, Dr. Balzar-Heddesdorf, Dr. Klingeltöfer- 
Boppard, Dr. Köppe-Zell, Dr. Thiele'Kochern, die Kreisassistenzärzte: 
Dr. B rann-Wetzlar, Dr. Kirchgässer- Coblenz, ferner Geb. Med.-Bat 
Dr. Borges, Kreisarzt a. D.-Boppard, Kreiswandarzt z. D. Dr. Mayer- 
Simmern, and die pro physioata geprüften Dr. Vollmer-Kreasnach and 
Dr. Bodenbaeh-Coblenz. 

Der stellvertretende Reg.- and Medisinalrat eröffn et e am 10 l /* Uhr die 
Sitzung, begrflsste die Gäste and widmete dem seit der letzten Tagung ans 
dem Amte geschiedenen and als Gast anwesenden Geh. Med.-Bat Dr. Borges 
ans Boppard warme Worte der Anerkennung. 

Zam ersten Punkte der Tagesordnung: 

I. Ueber die Wasserversorgung im linksrheinischen Teile des 
Regierungsbezirks Coblenz referiert Kreisarzt Dr. L e m b k e - Simmern. 

Aas Anlass der diesjährigen Manöver im linksrheinischen Teile des 
Reg.-Bes. Coblenz waren alle diejenigen Orte, welche mit Militär belegt werden 
sollten, seitens der Kreisärzte besichtigt nnd besonders den Trinkwasserver- 
sorgnngsanlagen in diesen Orten eingehende Beachtung geschenkt worden. In 
dem linksrheinischen Gebiet mit über 388000 Einwohnern fanden insgesamt in 
454 Orten mit zusammen 309 810 Einwohnern Ortsbesichtignngen statt. Diese 
Orte verteilen sich ziemlich gleichmässig über die Höhe des Hunsrücks and der 
Eifel und die Täler des Rheins, der Mosel, Nahe und Ahr. 82 Orte haben 
Zentral Wasserleitung, 184 Orte sind mit Laufbrunneu ausgestattet, d. h. mit 
Hoehquellenleitung ohne HausanBchlüsse. Der Rest der Orte ist ausschliesslich 
auf Brunnen angewiesen. Durch Zentralwasserleitungen wird etwa die Hälfte 
der Bevölkerung, durch Laufbrunnen und gewöhnliche Brunnen etwa */« der 
Bevölkerung und durch Brunnen allein etwa ebenfalls ‘/* der Bevölkerung mit 
Trinkwasser versorgt. Von den mit Zentralwasserleitung versehenen Orten 
haben 61 Hoohquellenleitung, 7 Orte Quellenleitnng mit Pumpbetrieb, 1 Ort 
Quellenleitung, bei der das Wasser durch eine Kr ober sehe Hebemaschine in 
das Hochreservoir gehoben wird; Grundwasserpnmpbetrieb haben 11 Orte, 
welche sämtlich in den Flusstälern gelegen sind; 6 dieser Orte besitzen ausser¬ 
dem noch eine Hochquelle, welche direkt in das Hochreservoir geleitet ist. 

Eine gemeinsame Leitung für 2 Orte findet sich viermal und 2 getrennte 
Leitungen in einem Orte zweimal. 

Die Laufbrunnen bestehen z. T. nur ans einfacher Quellenfassung und 
Leitung bis zum Dorf, z. T. haben sie gute BrunnenBtuben und Sammelbassins 
und kommen an Wert den Zentralwasserleitungen gleich. Einzelne Lauf- 
brunnen sind Ueberlaufleitungen aus höher gelegenen Schachtbrunnen des Ortes, 
sodass die Brunnenstuben derselben gleichzeitig als Zieh- oder Schöpfbrunnen 
dienen. 

Brunnen sind in den untersuchten Orten 11668 vorhanden, davon 28 
Abessinier; die übrigen sind Schacht- oder Kesselbrunnen und zwar 5971 Pump- 
braunen und 5664 Ziehbrunnen. Unter den letzteren ist eine grosse Zahl so¬ 
genannter Schöpfbrunnen. Im Süden des Bezirks an der Nahe und am Rhein 
herrschen die Pumpbrunnen vor, ebenso in der Eifel mit Ausnahme des Kreises 
Adenau. Auf dem Hunsrück und seinen Abhängen sind vorwiegend Ziehbrunnen 
im Gebrauch. Auf 100 Einwohner kommen im Durchschnitt 7 bis 8 Brunnen. 
In einzelnen Kreisen, z. B. Meisenheim und Ahrweiler, sinkt der Durchschnitt 
auf 5 bis 6 besw. 8 bis 4 Brunnen. 

Folgende Missstände worden gefunden: Einige der Zentralwasserleitungen 
waren durch Meteorwässer verunreinigt und führten nach Regen trübes Wasser. 
Bei den Lanfbrunnen waren derartige Verunreinigungen noch häufiger. Es kam 
dies meistens von der schlechten Quellfassung nnd weil Qaellen benutzt waren, 
die nur oberflächliches Grundwasser führten. Auch lag das Quellgebiet 
mancher Lanfbrunnen inmitten bebauter Plätze. Bei den Brnnnen worden 
häufig die 8chächte undicht nnd schlecht verschlossen gefunden. Auf Grnnd 
der Besichtigung wurden 595 Brunnen (auch Lanfbrunnen) polizeilich ge¬ 
schlossen und 2627 mit einer Warnungstafel „kein Trinkwasser“ versehen. Im 
Durchschnitt wurden fast 28°/ 0 für unbrauchbar erklärt. Die Hanptnrsachen 
für die Ausschlieseung so vieler Brunnen war einmal die schlechte Beschaffen¬ 
heit der Brunnen, dann aber die Verjanchnng des Untergrundes der Ortschaften. 

Zur Besserung der Verhältnisse wurden folgende Vorschläge gemacht 



340 


Aus Versammlungen and Vereinen. 


1. Eine strenge, geregelte Beaufsichtigung der Anlagen gemäss der 
Dienstanweisung für die Kreisärzte. Zur Durehfflhrung der Beaufsichtigung 
sind Brunnenkat&ster und fttr die Leitungen Pläne und Zeichnungen, sowie 
genaue Beschreibungen erforderlich. Die bei der Besichtigung unbrauchbar 
gefundenen Anlagen sind der freien Benutzung su entziehen, um die Bevölke¬ 
rung zur Herstellung besserer Anlagen zu veranlassen. 

2. Die Errichtung von neuen, einwandsfreien Trinkwasserversorgungs* 
anlagen und in erster Linie von Wasserleitungen. 

Um den Bau von Wasserleitungen zu fordern, ist auf die Bevölkerung 
andauernd belehrend und anfklärend einzuwirken, ferner darauf su halten, dass 
nur gute Leitungen gebaut werden, damit die benachbarten Gemeinden ver¬ 
anlasst werden, dem gegebenen Beispiel zu folgen. Etwa in Aussicht gestellte 
Beihftlfen des Staates und der Provinz sind den Gemeinden nicht direkt zu 
ttbergeben, sondern zur Anfertigung von Plänen und Kostenanschlägen Aber 
die fttr den betreffenden Ort zweckmässigste Wasserleitung nnd zur Anstellung 
von Spezialtechnikern zu verwenden, welche die Pläne entwerfen nnd später 
die Bauausftthrnng fiberwachen. Btthmend hervorzubeben ist hier die Regie- 
rungsVerfügung vom Januar d. J., welche die Mitwirkung des Kreisarztes beim 
Bau neuer Anlagen sichert, deren Ueberwachnng regelt, und bestimmt, dass 
mit dem Bau neuer Anlagen nicht eher begonnen werden darf, als bis das 
Projekt und dessen Begutachtung durch den Kreisarzt nnd Kreisbanbeamten 
regierungsseitig geprüft ist. Bei der Neuanlage von Pumpbrunnen, denn nur 
solche sind nach der Baupolizeiverordnung gestattet, ist ein Bangesucb einzu¬ 
reichen, das Angaben Ober den Untergrund, wie über die Lage und Entfernung 
des Brunnens von Düngerhaufen enthalten muss und vom Kreisarzt zu prüfen 
ist. Ferner sind aus Staats- oder Provinzialmitteln Lehrkurse fttr Brunnenbauer 
einzurichten nnd fttr diese der Befähigungsnachweis su fordern. 

3. Ausbesserung der vorhandenen Anlagen gemäss den bei den Ortsbe¬ 
sichtigungen festgestellten Ausstellungen. 

Diese Ausbesserungen laufen darauf hinaus, die Brunnenschächte zu 
diohten und die SchmutzBtoffe aus der Nähe der Anlagen zu entfernen. 

Diskussion. 

Der Regierungspräsident dankte dem Referenten fttr den ebenso 
gründlichen wie interessanten Vortrag und wies darauf hin, dass die ge¬ 
schilderten Missstände dadurch hervorgerufen seien, dass in den sehr alten 
Ortschaften im Laufe der Zeiten der Boden, aus dem das Wasser geschöpft 
werde, stark durchseucht sei. Die Verhältnisse würden noch bedeutend 
schlechter sein, wenn die Ortschaften stärker bevölkert und nicht so günstig 
gelegen wären, wie dies bei einem grossen Teil der Fall sei. Die vorhandenen 
Missstände seien der Regierung wohl bekannt und schon lange mit Aufmerk¬ 
samkeit verfolgt worden. Da man es fast durchweg mit einer recht armen 
Bevölkerung zu tun habe, welche auf eigene Kosten keine Wasserleitung bauen 
und unterhalten könne, und der es oft sogar unmöglich sei, Wassergeld zu 
zahlen, so mttsse der Staat helfend eingreifen, nnd zwar hätten neben dem 
Staat die Provinz und der Kreis sich in die Beihilfen zu teilen. 

Die Kreisärzte, die sehr viel geleistet nnd grossen Fleiss und Sachkennt¬ 
nis an den Tag gelegt haben, dürften bei der Anregung zu Wasserleitungs¬ 
bauten die Geldfrage nicht ausser acht lassen und sich mit dem Erreichbaren 
begnügen. Der Vortragende habe die Verfflgung vom 7. Januar 1902, welche 
die Prüfung eines jeden Wasserleitungsprojektes genau vorschreibt, besonders 
hervorgehoben. Demgegenüber wolle er nicht unerwähnt lassen, dass anch 
früher schon die, Projekte geprüft worden Beien, wenn auch vielfach nicht mit 
der Gründlichkeit, welche durch die neue Verfügung vorgeschrieben werde. 
Betreffs der Zieh- und Schöpfbrunnen müsse er erklären, dass sie zu grossen 
Missständen führten; aber auch hier solle man langsam Vorgehen, wennschon 
es nicht zweckmässig sei, einen Brunnen, der nachweisbar verunreinigt ist, 
deshalb nicht schliessen zu wollen, weil kein Wasserersatz zu schaffen sei. 
Nach seiner Erfahrung sei die Beschaffung immer noch möglich gewesen. In¬ 
folge der zahlreichen methodischen Brunnenuntersuchnngen durch die Kreisärzte 
seien bereits viele Missstände aufgedeckt und beseitigt worden; er rechne 
darauf, dass durch die Arbeit der Kreisärzte die Bessergestaltung der Wasser- 
ve rsorgungsverhältnisse stetig weiter fortschreiten werde. 



Aas Versammlungen und Vereinen. 


841 


Der Vorsitzende gibt in Ergänzung des Vortrages einen Ueberbliek 
über die Wasserleitungen und Lanfbrunnen im Regierungsbezirk auf Grund 
der gemlss Ministerialerlasses vom 25. September 1902 vorgenommenen Unter- 
suchungen. Danach befinden sich in 235 Ortschaften mit zusammen 342752 
Einwohnern (= 49,99 °/ 0 der Gesamteinwohnerzahl des Bezirks) Wasserleitungen 
mit Hausanseblttssen, und in weiteren 152') Ortschaften mit zusammen 61566 
Einwohnern (= 8,96 % der Gesamteinwohnerzahl) Lanfbrunnen bezw. Wasser¬ 
leitungen mit Druck Ständern. Ausserdem sind zur Zeit 11 Wasserleitungen 
im Bau begriffen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist demnach im Be¬ 
sitze von zentralen Wasserversorgnngsanlagen. Wieviel anf diesem Gebiete 
besonders in der letzten Zeit geleistet worden, erhellt daraus, dass allein in 
den letzten fflnf Jahren (1898 bis 1902) 87 Wasserleitungen mit Hausan- 
schlflssen, d. s. mehr als */* der sämtlichen Wasserleitungen des Bezirks, mit 
einem Kostenaufwand von 3110808 Mark erbaut worden sind. 

Vollmer erwähnt einige besondere Missstände bei Laufbrunnen, die er 
gelegentlich der Wasseruntersuchnngen angetroffen, und wirft die Frage auf, 
ob das Verbot der Wasserentnahme bei verseuchten Brunnen auch dann auf¬ 
recht zu erhalten sei, wenn daB Wasser nicht zum Trinken benutzt werde. 

Der Regierungspräsident erklärt die Schliessung schlechter 
Brunnen ffir das beste und zuverlässigste, will in Ausnahmefällen jedoch den 
Gebrauch des Wassers zu wirtschaftlichen Zwecken zugelassen wissen. 

Kirchgässer schildert die Art und Weise, wie er bei seinen Brunnen- 
untersuchungen sich ein Urteil Aber die Qualität des Wassers rasch zu schaffen 
suchte. Er legt den Hauptwert auf die Ortsbesichtigung und näcbBtdem auf 
das Aussehen des Wassers, er empfiehlt bei Prüfung des Aussehens Vergleich 
mit benachbarten Brunnen. Ferner berichtet er, wie das vorher klare Wasser 
eines Brunnens, nachdem eine benachbarte alte Dungstätte mit angeblich vor- 
schriftsmässig hergestellten undurchlässigen Wänden neu versehen worden war, 
plötzlich durch Jauchebeimengung getrübt wurde. 

Der Regierungspräsident weist auf die Fehler hin, die bei dieser 
Anlage offensichtlich begangen wurden und erklärt, dass ihm dies Veranlassung 
gäbe, auf die sorgsame Durchführung dieses Punktes erneut hinsuwirken. 

Lern bk e bemerkt, dass das Aussehen des Wassers keinen Schluss auf 
dessen Reinheit gestatte; selbst klares Wasser könne mit Jauche verunreinigt 
sein. Er legt den Hauptwert bei Wasseruntersuchungen neben der Ortsbesich¬ 
tigung und der Prüfung des Aussehens des Wassers auf die Untersuchungen 
auf Chlor und Ammoniak, was an Ort und Stelle rasch und leicht ausführbar sei. 

Generalarzt Dr. Ti mann: Nach seiner Erfahrung über die Brunnen- 
Verhältnisse der Eifel, die er gelegentlich der Untersuchungen bei der grossen 
Typhnsepidemie in Elsenborn gemacht habe, haben die Brunnen sämtlich zwei 
allerdings nicht immer vermeidbare Fehler; sie seien nicht tief genug und nicht 
seitlich gedichtet. Er habe sich durch praktische Versuche in Elsenborn über¬ 
zeugt, dass die Brunnen infolge der geologischen Formation nicht tiefer als 2 
bis 3 m gegraben werden dürfen, weil nur bis zu dieser Tiefe der Schiefer 
verwittert sei und Wasser führe, und dass die Brunnen nicht seitlich gedichtet 
sein dürfen, weil sie sonst kein Wasser liefern. Er hält deshalb den Bau von 
Wasserleitungen für das beste. 

Nach einem kurzen Schlusswort des Vorsitzenden erhält Kreisassistenz¬ 
arzt Dr. Kirchgässer das Wort zu Punkt 2 der Tagesordnung: 

II. Znr Regelung der Desinfektion. 

Nach einleitenden statistischen Mitteilungen über die Typhusfrequenz 
und die Gesamtmortalität an Infektionskrankheiten im Besirk, gibt Vortragender 
einen kurzen Ueberbliek über den derzeitigen Stand des Desinfektionswesens 
im Reg.-Bez. Coblenz. Es sind 20 Dampfdesinfektionsapparate vorhanden, von 
welchen 18 bei der kürzlich stattgehabten Prüfung Milzbrandsporen abgetötet 
haben. Mit Ausnahme der beiden unzureichenden Apparate befinden sich sämt¬ 
liche Apparate in Krankenanstalten, die Hälfte hat mehr als 1 cbm, 7 mehr als 
2 cbm Rauminhalt. Eine vollständige, vorschriftsmässig mit getrennter Zu- 
und Abfuhr eingerichtete Desinfektionsanstalt ist im Bezirk nicht vorhanden; 


*) Der Unterschied zwischen der von dem Referenten angegebenen Zahl 
(vergl. 8. 389) erklärt sich daraus, dass hier nur diejenigen Lanfbrunnen gezählt 
worden sind, welche an Wert den Wasserleitungen gleichkommen. 



342 


Atu Versammlungen and Vereinen. 


bei den grosseren Apparaten Hesse sich aber eine solche Einrichtnng ohne all- 
zngrosse Kosten herstellen. Ausserdem sind 11 Formalin - Desinfektionsschränke 
(Zaiser-Stuttgart) und 10 andere Formalinapparate im Besitz von Gemeinden 
und Öffentlichen Krankenhäusern. Die Ausbildung von Desinfektoren ist im 
ganzen Bezirke im Gange; einzelne Kreise haben bereits theoretisch und prak¬ 
tisch ausgebildete Desinfektoren. In einigen Kreisen sind die Kreisärzte aber 
bei der Beschaffung der Mittel für die Ausbildung und Ausrüstung der Desin¬ 
fektoren bereits auf Schwierigkeiten gestossen, und fast überall drobt die Bege- 
lung des Desinfektionswesens an den laufenden Kosten für Chemikaüen und 
Gebühren der Desinfektoren zu scheitern. 

Diese Regelung bedarf deshalb dringend einer gesetzliehen 
Grundlage, die die MOglicbheit gewährt, die Auslagen für die Desinfektion 
(an Desinfektionsmitteln und Arbeitslohn) von den Beteiligten wieder einzu- 
ziehen. Vortragender macht den Vorschlag, diese Schwierigkeiten durch Erlass 
einer Regiernngspoliseiverordnung zn beseitigen und gibt unter Vorlage des 
betreffenden Entwurfs einen kurzen Ueberblick Uber ähnliche in einzelnen Re¬ 
gierungsbezirken bereits geltende Bestimmungen. In Düsseldorf besteht 
ein Desinfektionszwang in dem erwähnten Umfang bereits seit 1887. Trier 
hat unter Aufstellung bestimmter Grundsätze den Kreisen die selbständige 
Regelung des Desinfektionswesens überlassen. In Arnsberg ist durch Re- 
giernngspoUzeiverordnung verfügt, dass die Ausführung der von der Ortspolisei- 
behOrde im Einzelfalle zu erlassenden Anweisungen zur Desinfektion von Des¬ 
infektoren überwacht werden soll. Minden hat eine Regierungspolizeiver- 
Ordnung, die in musterhaft ausgearbeiteten Anlagen sehr eingehende 
Bestimmungen Uber die Ausführung der gesamten Desinfektion und über die 
Desinfektoren selbst enthält. Erwähnt wird auch der kürzlich erschienene Be¬ 
richt von Czaplewski-Cöln über die Ergebnisse der Wohnungsdesinfektion 
mit Formaldehyd in Cöln. 

Trotz der grossen Schwierigkeit aus den bestehenden Gesetzen und Ver¬ 
ordnungen eine rechtliche Grundlage für eine solche Regiernngspolizeiverord- 
nung zu gewinnen, hofft Vortragender doch, dass es auch im Regierungsbezirk 
Coblenz möglich sein werde, einen Desinfektionszwang einzuführen. Vor allem 
sei erforderlich, die massgebenden Stellen darüber anfznklären, dass erspriess- 
liehe Fortschritte in der Bekämpfung der Infektionskrankheiten mit einer 
zweckmässigen Regelung des Desinfektionswesens unzertrennlich verknüpft 
sind. Solange kein Desinfektionszwang besteht, solange vor jeder Desinfektion 
erst verhandelt werden muss, wer die Kosten zu tragen sich bereit erklärt, 
liegt die Befürchtung nabe, dass die Unsicherheit der Existenzbedingungen alle 
wirklich brauchbaren Elemente von dem Desinfektorenberuf zurückhält. Ander¬ 
seits können unzuverlässige, minderwertige Desinfektoren gar zu leicht das 
ganze Desinfektionswesen nicht nur unbeliebt im Publikum, sondern geradezu 
fruchtlos und trügerisch machen. Mit der Zuverlässigkeit der Desinfektoren 
steht und fällt der praktische Wert der Desinfektion an sich. 

Es würde zu weit führen, den ganzen vorgelegten Entwurf einer Re- 
gierungspolizeiverordnung, betr. Verhaltnngs- und Entsenchungsvorscbriften bei 
Erkrankungen an ansteckenden Krankheiten, mit den Anlagen hier mitzuteilen. 
Der Entwurf besteht aus der Polizeiverordnnng, welche in dem Hauptpara¬ 
graphen die Haushaltungsvorstände pp. verpflichtet: 

a) zur Isolierung von ansteckenden Kranken bezw. zur Ueberführung in 
ein Krankenhaus, 

b) zur Desinfektion während des Bestehens der Krankheit, 

c) zur Desinfektion bei Beendigung der Krankheit (Genesung oder Tod) 
und bei Wohnungswechsel. 

Die Desinfektion ad c hat dnrch amtlich bestellte Desinfek¬ 
toren zu erfolgen. Die technische Anweisung zur Desinfektion wird in zwei 
Anlagen gegeben; der Regierungspräsident ist befugt, diese Anweisung im 
einzelnen abzuändern. Die weiteren Paragraphen bestimmen, bei welchen 
Krankheiten die Vorschriften ($. 1, a, b, c) gelten, inwieweit bei bestimmten 
Krankheiten Beschränkung des Verkehrs mit Nahrungs- und Genussmitteln ein- 
zutreten hat, wie der Schulbesuch kranker Kinder und deren Geschwister, .die 
Ueberführung ansteckender Kranker, die Besckränknngen bei Leichenfeiern u.sw. 
zu handhaben sind. Um eine Kontrole nnd Beschleunigung der Desinfektion 
bei Beendigung der Krankheit und bei Wohnungswechsel zu ermöglichen, wird 



Am Versammlungen and Vereinen. 


343 


die Anseige jedes Falles von Genesnng, Tod and Wohnungswechsel hei den 
genannten Krankheiten den Haushaltangsvorständen auferlegt. 

Anlage 1 gibt ausführliche Desinfektionsvorschriften für die Angehörigen 
der Kranken; sie soll in jedem Falle den Haushaltungsvorständen unentgeltlich 
ausgehändigt werden. 

Anlage 2 enthält die Desinfektorenordnung, bestehend ans 1. den Be¬ 
stimmungen Uber Ausbildung, Prüfung, Anstellung, dienstliche Tätigkeit, Be¬ 
aufsichtigung und Gebühren der Desinfektoren und über Hilfsdesinfektoren, 
2. den Vorschriften für die Desinfektoren nur Ausführung der Wohnungsdesinfektion. 

Was die Auswahl geeigneter Leute und die Ausbildung von Desinfek¬ 
toren betrifft, so tritt Vortragender warm dafür ein, nur möglichst gut quali¬ 
fizierte Leute zur Ausbildung suzulassen. Die Bewerber haben eine Vorprüfung 
abzulegen, ähnlich wie die Hebammenschülerinnen. Die theoretische Ausbildung 
leitet ein Kreisarzt des Bezirks; die praktische Ausbildung geschieht an einer 
Öffentlichen Desinfektionsanstalt. Die Gesuche um Zulassung zur Prüfung sind 
an den Regierungspräsidenten zu richten. Die Prüfungskommission besteht aus 
dem Regierungs- und Medizinalrat, dem Kreisarzt, der die theoretische Aus¬ 
bildung geleitet hat, und dem Vorstand der Öffentlichen Desinfektionsanstalt, 
an welcher die praktische Ausbildung stattgefunden bat. 

Die Anstellung erfolgt durch die Ortspolizeibehörde. 

Ein Desinfektor kann für mehrere Bürgermeistereien bestellt werden. 
Die Beaufsichtigung erfolgt durch den Kreisarzt. Die Desinfektoren sind dem 
Kreisarzt ebenso unterstellt wie die Hebammen. Die Desinfektoren erhalten 
einen Desinfektion^wagen, für dessen Instandhaltung sie ein jährliches Gehalt 
von etwa 150 Mark beziehen. Für die Ausführung der Desinfektionen erhalten 
sie Tagegelder und Reisekosten aus der Gemeindekasse; letztere zieht die baren 
Auslagen von den zur Desinfektion Verpflichteten wieder ein. 

Der Desinfektor wird also vollständig unabhängig vom Publikum ge¬ 
stellt; er soll zwar bescheiden, aber nötigenfalls mit Entschiedenheit auf der 
genauesten Befolgung seiner Dienstvorschriften bestehen. 

Was die Zahl der Desinfektoren betrifft, so wird es sich schon aus Er- 
sparoisrüoksiohten empfehlen, möglichst wenige anzustellen, etwa 1 bis 8 für 
jeden Kreis. 

Bei Ausführung von Scheuerdesinfektionen können dem Desinfektor ein 
oder mehrere Hilfsdesinfektoren beigegeben werden. 

Zu Hilfsdesinfektoren eignen sich besonders ältere Franen (Wasch-, 
Patsfrauen), deren Ausbildung auf das notwendigste beschränkt werden kann, 
da sie niemals selbständig desinfizieren. Sie erhalten einen Anzng und arbeiten 
im Stundenlohn. Der Desinfektor ist dafür verantwortlich, dass vorschrifts- 
mlssig verfahren wird. 

Zum Schluss ging Vortragender auf die Formalindesinfektion und die 
Formalinapparate mit wenigen Worten ein. Es ist bei der Ausrüstung der 
Desinfektoren nicht ausschliesslich auf das Modell der Verdampfungs - Apparate 
Gewicht zu legen, sondern vor allem auch auf eine kompendiös* und leicht 
transportable (am besten fahrbare) Zusammenstellnng aller zur Desinfektion 
erforderlichen Gerätschaften und Chemikalien. Nach dem Vorschlag von 
Czaplewski wird empfohlen. Räume bis zu 50 cbm mit 500 g Formalinlösung 
(40 %), bis zu 75 cbm mit 750 g, bis 100 mit 1000 u. s. w. zu desinfizieren. 
Es leuchtet ohne weiteres ein, dass die Summe aller zu desinfizierenden Ober¬ 
flächen eines kleinen Krankenzimmers nicht ausschliesslich von den Wandflächen 
abhängig zu machen sei. Im übrigen sei hier auf die Darstellung von Cnä¬ 
sle wski verwiesen. Im Anschluss an den Vortrag wurden die gebräueh- 
lichsten Formalinverdampfangsapparate, die die Firma G Ötz-Coblenz an (ge¬ 
stellt hatte, sowie der Trierer Desinfektionswagen und Desinfektions-Tornister 
von Apotheker Göbel-Wittlich demonstriert. 

Diskussion. 

Der Vorsitzende stattet dem Vortragenden den Dank der Versamm¬ 
lung für den anregenden und eingehenden Vortrag ab und führt aus, dass die 
Desinfektionsfrage darum auf die Tagesordnung gesetzt worden sei, weil die 
Kreisärzte sämtlich überzeugt seien, dass die notwendigen Desinfektionen zur 
Zeit nicht so ausgeführt werden können, wie es dem heutigen Stande der 
Wissenschaft entspräche, und dass deshalb das dringendste Bedürfnis vorhanden 
sei, eine Einrichtung zu treffen, die es ermögliche, den Widerstand der Be« 



344 


Aas Versammlungen and Vereinen. 


völkerung and mancher lokalen Behörden gegen die Errichtung von Desin¬ 
fektionsanstalten nnd die Anstellung aasgebildeter Desinfektoren in überwinden. 

Reg.-Rat Dombois erklärt, die Frage der Desinfektion würde in dem 
sa erwartenden prenssisehen Senchengesetz wohl eine nene gesetzliche Grnnd- 
lage erhalten, doch könne auf diesem Oebiete inzwischen wohl weiter gearbeitet 
werden, etwa wie im Kreise Neuwied, namentlich wenn auf den Inhalt des 
Entwurfes za dem erwähnten Gesetze Rücksicht genommen würde. 

Balsar hält eine Polizeiverordnnng für unerlässlich, schon allein nm 
die Frage der Kostenzahlung zu regeln. 

Reg. - Rat Dombois erwidert, dass die Kostenfrage durch die Polizei- 
verordnung nur insoweit geregelt werden könne, als sie sich auf jetzt geltende 
gesetzliche Bestimmungen stützt. Das alte Regulativ enthalte diesbezügliche 
Bestimmungen nicht. Die Sicherheit des Rechtsbodens werde erst daroh das 
za erwartende Seuchengesetz geschaffen. 

Bezüglich der Anstellung von ausgebildeten Desinfektoren hält Köppe 
die Anstellung von nur wenigen Desinfektoren in einem Kreise für das 
beste, bezweifelt aber, dass Handwerker geeignet seien, weil dieselben ent¬ 
weder tüchtig sind und dann in ihrem Handwerk genügend za tun haben, 
oder aber nichts leisten, und dann auch als Desinfektoren unbrauchbar sind. 

Höohst ist gleichfalls für die Anstellung nur weniger Desinfektoren 
für einen Kreis. 

Baizar gibt einen kurzen Ueberblick über die Art, wie er in seinem 
Kreise die Desinfektion geregelt habe. 

Der Vorsitzende empfiehlt dem Beispiel des Kreises Neuwied 
za folgen. 

Za Zankt 3 der Tagesordnung „Verschiedenes“ folgt eine Reihe kurzer 
Mitteilungen seitens des Vorsitzenden and die Erörterung mehrerer von den 
Kreisärzten aufgeworfenen Fragen. 

Gegen */*3 Uhr wird die Versammlung geschlossen. Ein gemeinsames 
Mittagsmahl in der städtischen Festhalle hielt alsdann die Kollegen in fröh¬ 
lichster Stimmang zusammen. Dr. Baizar-Neuwied. 


Bericht über die 15. ordentliche Versammlung; 
des mecklenburgischen Medizinalbeamtenvereins am 
87. November 1908, Machmittags 8*/* Uhr in Rostock, 

Bostocker Bof. 

Anwesend sind die Kreisphysiker DrDr.: San.-Rat Elf eldt-Gadebnsoh, 
Gflnther-Hagenow, Med.-Rat H ave mann-Dobbertin, Ob.-Med.-Rat Lesen - 
berg-Rostock, Med.-Rat Mozer-Malchin, San.-Rat Stephan-Dargun, Med.- 
Rat Renter-Güstrow, Med.-Rat Unrnh-Wismar, San.-Rat Viereck- 
Ladwigslnst, San.-Rat Wilhelmi-Schwerin und Prof. Dr. Peters-Rostock 
als Gast. 

I. Prof. Dr. Peters hält, einer Bitte des Vereinsvorstandes nach¬ 
kommend, einen längeren Vortrag über Trachom und beleuchtet später auf 
Anfrage aus der Versammlung die zur Bekämpfung dieser immer häufiger aus 
dem Osten nach Mecklenburg eingeschleppten Krankheit erforderlichen Mass¬ 
nahmen, worauf ihm der Vorsitzende den Dank des Vereins für seine inter¬ 
essanten und lehrreichen Auseinandersetzungen ansspricbt. Der Vortrag ist 
abgedrackt in der Münchener med. Wochenschrift; 1903, Nr. 3. 

n. Dr. Malert, am Erscheinen in heutiger Versammlung behindert, 
lässt seinen angemeldeten Vortrag über Ordnung nnd Vervollständigung 
der Kreisphysikatsakten zur Verlesung bringen. Da in Waren aus der 
Amtszeit seiner Vorgänger manche Aktenstücke auch in den General-Akten 
fehlen, und vermutlich, auch bei anderen Physikaten Lücken hierin vorhanden 
sind, schlägt er Vergleichung und Vervollständigung der einzelnen Abteilangen 
der Generalakten sämtlicher Pbysikate nach einander vor. 

Die Versammlung hielt es hinsichtlich der Akten-Einteilung nicht für 
zweckmässig, ein einheitliches Schema einzuführen, glaubte vielmehr es dem 
Einzelnen überlassen zu müssen, diese Einteilung nach eigenem Ermessen zu 
treffen. Auch ein Bedürfnis nach Vervollständigung der Generalakten wurde 
allerseits nicht als dringlich empfunden: man glaubte vielmehr, dass jeder bei 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 345 

etwaigen Mängeln in seinem Aktenbestande sich die ihm fehlenden Ver¬ 
fügungen etc. abschriftsweise yon Kollegen verschaffen könne. 

III. Geschäftsbericht. Vorstandswahl. Die nächste ordentliche 
Versammlung soll im Herbst 1903 wieder in Rostock stattfinden; für die 
Frühlingsversammlung 1903 sind Waren nnd Schwerin vorgeschlagen; man will 
jedoch die Wahl dem Vorstande überlassen. Die Jahresrechnnng wird 
von 2 Mitgliedern geprüft and richtig befanden, worauf dem Schriftführer Ent¬ 
lastung erteilt wird. Der Jahresbeitrag wird auf 8 Mark (für das Vereinsjahr 
1902/03) feBtgestellt, und hierauf in der Vorstands wähl Dr. Lesenberg 
sum Vorsitzenden und Dr. Havemann zum stellvertretenden Vorsitzenden 
wiedergewählt, während an Stelle des bisherigen Schriftführers, der gebeten 
hatte, von seiner Wiederwahl abzusehen, Stadtpfaysikas Dr. Dugge-Rostock 
zum Schriftführer gewählt wird. 

IV. Dr. Wilhelmi berichtet dann kurz übereine tötlicheHerzstich¬ 
verletzung aus seiner gerichtsärztiichen Praxis, bei welcher eine Verletzung 
der Brustfellhöhlen nicht mit erfolgt war. 

V. Dr. Lesen borg demonstriert einen Menschenschädel, welcher in 
der sog. Dreiwallskahle za Rostock aufgefunden worden war. Der Herr Erste 
Staatsanwalt verlangte Beantwortung nachfolgender Prägen: 

1. Wie alt ist der Schädel? 

2. Gehört er einem Manne oder einer Frau an? 

8. Lässt er Verletzungen erkennen? 

4. Wie lange hat er im Wasser gelegen? 

Die Fragen wurden an der Hand des Aufsatzes von C. Toldt, die Knochen in 
gerichtsärstlicher Beziehung (Maschkas Handbuch der gerichtlichen Medizin, 

3. Bd.), so gut es gehen wollte, beantwortet. Vermutlich handelte es sich um 
einen etwa bei einer Strassenaufgrabung gefundenen Schädel, welcher als 
unverwertbar jenem Gewässer übergeben wurde. 

Dr. Vier eck-Ludwigslust. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliohe Medizin und Psychiatrie. 

Gutachten über eine Untersuchung, betreffend Identifizierung 
aufgefundener halb verbrannter Knochen. Von Dr. C. Strauch. Viertel¬ 
jahrsschrift f. gerichtl. Medizin u. öffentl. Sanitätswesen; m. Folge, XXV. Bd., 
1. Heft, S. 6. 

Verfasser konnte an einer Reihe Knochenresten, welche dem Berliner 
gerichtsärztlichen Institut vom Untersuchungsrichter behufs Untersuchung über¬ 
geben waren, feststellen, dass dieselben höchstwahrscheinlich einem reifen oder 
nahezu reifen menschlichen Neugeborenen angehört hatten und dass sie hohen 
Hitzegraden ausgeBetzt worden waren. Die Zugehörigkeit zu einem „mensch¬ 
lichen“ Neugeborenen liess sich aus der Form der vorliegenden Knochenreste 
erweisen, welche Teile des linken und rechten Stirnbeins waren. Anhaltspunkte 
für das Frachtalter wurden aus vergleichenden Messungen an Sammlungs¬ 
präparaten gewonnen. Die Einwirkung hoher Hitzegrade liess sich endlich 
daraus schliesBen, dass die Darstellung Teichm annscher Krystalle aus den 
anhaftenden Blutpartikeln nicht gelang und die Blutreste sich nicht mehr in 
konzentrierter Cyankalilösung, wohl aber noch in konzentrierter Schwefelsäure 
lösten, zugleich aber an den Knochen mikroskopisch Kohlenpartikeln naobge- 
wiesen werden konnten. Dr. Ziemke-Halle. 


Die Blutdichte als Zeichen des Ertrinkungstodes. Von Dr. 
Placzeek. Ibidem; 8. 13. 

Die Frage, ob beim Ertrinkungstod ein Uebsrgang der Ertrinkungs- 
flüssigkeit in das Blut erfolgt, beantwortet Verfasser auf Grund pyknometrischer 
Untersuchungen in positivem Sinne. Zur Bestimmung des spezifischen Gewichts 
des Blutes wurde die Hammerschlagsche Chloroform-Benzol-Methode 
benutzt. Dieses Resultat stimmt mit den von andern Forschern mittels der 
Kryoskopie gewonnenen Ergebnissen überein. Dr. Ziemke-Halle. 



346 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


(Jeher Gefrierpunkts-Bestimmungen von Leichenflftssigkelten 
und deren Verwertung zur Bestimmung des Zeitpunkts des eingetre¬ 
tenen Todes. Von L>r. Bevenstorf. Ibidem; S. 26. 

Die Bestimmung des Zeitpunktes des eingetretenen Todes kann forensisch 
ausserordentlich bedeutungsvoll sein. Die hierfür vorhandenen Methoden sind 
unvollkommen und ermöglichen nur eine approximative Zeitbestimmung. Ver¬ 
fasser hat die LOsung des Problems mit Hilfe von Gefrierpunktsbestimmungen 
an KOrperflüssigkeiten versucht. Die molekulare Konzentration des Blotes ist 
während des Lebens konstant, sie sinkt nach dem Tode. Bei niedriger kon¬ 
stanter Temperatur sinkt der Gefrierpunkt der KOrperflOssigkeiten fast absolut 
gleiohm&ssig, bei wechselnder Temperatur ist das Sinken beschleunigt, wenn 
auf niedere Temperaturen üOhere folgen, im nmgekehrten Falle ist es verlang¬ 
samt. Unter Verwertung dieses gesetzm&ssigen Verhaltens bat Verfasser an 
einer Beihe von Leichen die Zeit des eingetretenen Todes bestimmt, und teil¬ 
weise eine bis auf die Stunde genaue Uebereinstimmnng mit dem in den Polizei- 
Akten verseiohneten Termin erreicht. Dr. Ziemke-Halle. 


Beiderseitige Ophthalmologia interna, hervorgerufen durch Ex- 
tractum Secalls cornuti. Von Dr. Schneider, Augenarzt in Magdeburg. 

Ein 30 jähriger Werkmeister konnte des Morgens mit einem starken Kon¬ 
vexglase nur noch einigermassen lesen. Das Sehen in die Ferne ging nicht ganz 
gut, nur sahen alle Gegenstände feuerrot und merkwürdig verzerrt aus. Gegen 
Mittag warde das Lesen langsam besser, bis gegen 4 Uhr waren alle Be¬ 
schwerden an den Augen verschwunden. Ausserdem litt er an Schwindel, Ohn- 
maehtserscheinungen, Mattigkeit und Zittern in den Gliedern. 

Objektiv fand Verfasser mit -|- 0,6 sphär. volle Sehschärfe bestehend; 
die Papillen fast maximal erweitert, jedoch auf Beleuchtung und Konvergenz 
reagierend; Akkomodationsbreite = 2 Dioptrien; äussere Augenmuskeln intakt; 
Augenspiegelbefand normal. 

Es handelt sich also um eine beiderseitige typische Ophthalmoplegia 
interna, wobei das Botsehen nicht als eine Folge der Blendung durch die sehr 
stark erweiterten Papillen aufzafassen ist. 

Per exclusionem aller möglichen Ursachen kam Verfasser zur Annahme 
einer Intoxikation und da stellte sich heraus, dass Patient seit einiger Zeit 
täglich zweimal, abends und früh nüchtern 0,2 Extractum Secalis cornuti zu 
sich nahm. Bei den ersten 10 Palvern hatte er nur etwas Zittern in den 
Gliedern gespürt, nach 16 Palvern bekam er die auffälligen Allgemeiner¬ 
scheinungen und Augensyroptome. Nach Aussetzen des Mittels verschwanden 
diese Erscheinungen. 

Praktisch ist der Fall dadurch bemerkenswert, dass bei einer Dosis von 
2 Mal täglioh 0,2 Extractum Secal. cornut. derartig schwere Intoxikations- 
ersoheinungen sich einstellten. 

Da die Ansichten über die Dosierung des Mittels noch verschieden sind 
und das Extractum Secal. oornut. in der Pharmacopoea germanica nicht in der 
Maximaldosentabelle enthalten ist, fordert der angeführte Erkranknngsfall zur 
Vorsicht in der Dosierung auf; insbesondere hüte man sich, das 
Mittel zu lange hintereinander zu geben. 

Dr. Waibel-Kempten. 


Zwei Fälle schwerer Otitis media acuta durch „Schneeberger 11 . 
Von Ohrenarzt Dr. Schroeder in Hamburg-Barmbeck. Münchener medizin. 
Wochenschrift; 1902, Nr. 47. 

Verfasser teilt im Anschlüsse an zwei Fälle, welche vor einer Beihe von 
Jahren von Kessel und Haag als stürmisch akute Ohraffektionen, durch 
Schnupftabak verursacht, veröffentlicht wurden, zwei weitere Fälle mit, welche 
daroh eine Prise , Schnee berget“ akute Entzündungen des Mittelohrs mit 
Trommelfellperforation zur Folge hatten. 

Der thüringische Schneeberger, der meist hier zu Verkauf gestellt wird, 
besteht der Hauptsache nach aus Bhisoma Iridis und enthält neben anderen 
Substanzen einen nicht unwesentlichen und für diese beiden Fälle sicher zu 
beschuldigenden Teil von Bhisoma Veratri. 

Wenn man bedenkt, wie bei mancher chronischen Nasopharyngitis mit 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 347 

atrophischer Tendenz der Nasenrachenraum Oberaus weit ist, sodass hin und 
wieder sogar die klaffende Tnbe za sehen ist, wenn man ferner berücksichtigt, 
mit welcher elementaren Gewalt manchmal die Prise in die Nase geschlendert 
wird, so mass man sich wandern, dass anf diesem Wege akate Otitis nicht viel 
h&afiger entsteht. 

Das Aofsohnapfen des „Schneebergers“ aas vergnüglicher Spielerei, wie 
es die Schaljagend häufig betreibt, ist durchaus zu verwerfen. 

_ Dr. Waibel-Kempten. 


Intoxikationspsychose nach Injektion yon Jodoform in die Blase. 
Von Dr. Hans Schwerin in Berlin. Deatsche Medizinal'Zeitung; 1903, 
Nr. 10 und 11. 

Verfasser gibt zunächst einen Ueberblick Ober die Geschichte des Jodo¬ 
forms, um dann auf den vorliegenden Fall zu sprechen za kommen: Ein bis 
dahin geistesgesnnder, 66 jähriger Mann bat im Laufe von 8 Tagen wegen einer 
starken Cystitis Jodoform — höchstens 12 g — in die Blase injiziert erhalten. 
Es stellte sich eine akute halluzinatorische Verwirrtheit ein, die als postope- 
rative Jodoformpsychose aufzufassen ist. Das klinische Bild der Psychose ent¬ 
sprach ganz den Schilderungen, die anch andere Autoren von der Jodoform¬ 
psychose entwerfen, und vor allen Dingen hörte anch mit der völligen geistigen 
Genesung des Patienten die Jodausscheidung im Urin auf; übrigens war das 
Jod ausschliesslich in organischer Bindung vorhanden. 

Verfasser bespricht sodann die eigentlichen Ursachen der Jodoformintoxi- 
kation und kommt weiterhin durch Vergleiche zu dem Schlüsse, dass im vor¬ 
liegenden Falle durchaus nur eine Durchschnittsmenge von Jodoform verabreicht 
sei. Aber die lokalen Verhältnisse der Applikationsstelle und das Alter des 
Patienten haben das Eintreten der Vergiftung erleichtert, ob eine individuelle 
Disposition bestanden habe, bleibe dahingestellt. 

Das Besultat der Erfahrung sei das Bestreben, die Grösse der anzu¬ 
wendenden Jodoformdosen herabzusetzen. Dr. Hoff mann -Elberfeld. 


Hypnose vor Gericht. Von Dr. Job. Lougard. Vierteljahrsschrift 
fflr gericbtl. Medizin u. öffentl. Sanitätswesen; HI. Folge, XXV. Bd., 1. H., S. 48. 

Verfasser hat in dem Aufsehen erregenden Fall des Kurpfuschers 
M. in Köln ein Gutachten abgegeben. Dieser nannte sich Magnetopath 
und hatte in AnsObang seines Berufes ein 20 jähriges Mädchen, das sich wegen 
schlechter Augen in seine Behandlung gegeben hatte, mehrmals geschlechtlich 
gebraucht, nachdem er sie hypnotisiert hatte. Verfasser bejahte die ihm vom 
Gericht vorgelegte Frage, ob die Vergewaltigte sich in einem willenlosen Zu¬ 
stand befanden habe. Er ist nicht der Ansicht, dass es durch die Hypnose 
gelingt, einen Menschen in einen völlig bewusstlosen Zustand zu versetzen; 
auch im vorliegenden Fall war von einem solchen keine Rede, wie die Er¬ 
zählungen der Missbrauchten beweisen. Wohl aber war sie willenlos, da sie 
sich in einem somnolenten Zustand befand, der nicht znliess, dass sie mit freiem 
Willen der Absicht des M., den sexuellen Rapport herbeiznführen, ent¬ 
gegentrat. Die Geschworenen nahmen einen durch Hypnose hervorgerufenen 
willenlosen Zustand zur Zeit des Beischlafs nicht an nnd hielten den Ange¬ 
klagten nnr der tätlichen Beleidigung für schuldig. Dr. Ziemke-Halle. 


Die Psychosen der Landstreicher. Von Karl Wilmanns. Zentral¬ 
blatt für Nervenheilkunde und Psychiatrie. Dezember 1902. 

Das Material, ans dem der Verfasser seine Beobachtungen Ober das 
Vagabondentnm herleitet, besteht ans 120 Fällen, die aus dem badischen 
polizeilichen Arbeitshause aus Kislau als Kranke der Heidelberger Irrenanstalt 
sageführt worden. Bei den 12 Franen dieser Gruppe war das Betteln und 
Landstreichen mit gewerbsmässiger Unzucht verbanden. Die 120 Landstreicher 
waren schon Jahre nnd Jahrzehnte lang Landstreicher, und nur 22 von ihnen 
hatten noch keine Korrektionsbaft verbttsst. Die Zahl der Vorstrafen belief 
sieh in einzelnen Fällen auf 100. Möglichst eingehend wurde das Vorleben 
festgestellt. Der unkomplizierte chronische Alkoholismus findet sich nur selten 
unter den Vagabunden; nur in 7 Fällen bestanden reine psychische Alterationen 
auf Grund der Basis von Alkoholismus; meist war die Trunksucht bei den 



348 


Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


Landstreichern nnr eine Begleiterscheinung anderer erworbener and ange¬ 
borener Defektzustände. Das Versinken des Trinkers ins Stromertum voll¬ 
zieht sich meist ganz allmählich. Die grösste Zahl der Landstreicher liefert 
die Imbezillität, and zwar ist hier der Intelligenzdefekt an and für sich nicht 
das wichtigste Moment für die antisoziale Lebensführung vieler Imbezillen; 
daher wird aaoh der anergethische, gleichgültige Imbezille seltener zom pro¬ 
fessionellen Stromer als der erethische Imbezille, der durch krankhaft ge¬ 
steigerte Unruhe, Unbeständigkeit, Widerspenstigkeit, sittliche Unfähigkeit 
sich aaszeichnet, sowie darch seine kriminellen Neigungen. Er steht dem 
Gewohnheitsverbrecher sehr nahe. Aehnlich verhalten sich manche Hyste¬ 
riker unter den Vagabunden. — Mitunter ist der krankhafte Wandertrieb wie 
die Reiselust eine Begleiterscheinung anderer psychopathischer Znstände, so 
der leichten Manie, der Dementia paralytica, der Dementia praecox. In 9 
Fällen lagen zirkuläre Geistesstörungen vor, in denen sowohl die Depressionen, 
wie namentlich die Exaltationszastände oft selbst von Sachverständigen ver¬ 
kannt worden; aach auf Laien machen diese leichteren bypermanischen Stadien 
oft nicht den Eindruck des Pathologischen. Ebenso kann die demente Form 
der Paralyse gelegentlich zu triebartiger Unruhe und planlosem Umherirren 
führen. Zahlreich ist die Epilepsie unter den Vagabonden vertreten, und zwar 
weniger wegen der Krampfanfälle und des Schwachsinns, als durch die viel¬ 
fachen Verstimmungen, Angstzustände u. s. w. Nicht selten tritt periodisch 
ein unwiderstehlicher Impuls zum plötzlichen Davonlaufen und ziellosem Wan¬ 
dern auf, auch ohne jedes Unlustgefühl und ohne Angst (Döterminisme, Peri¬ 
manie, Dromomanie, Automatisme ambulatoire). Dabei braucht nicht immer 
starke Benommenheit oder ein Bewusstseinsdefekt vorhanden zu sein. Wäh¬ 
rend Bonhöffer die Epilepsie in nahezu der Fälle bei den grossstädtischen 
Bettlern fand, waren hier unter 120 Landstreichern 19 Epileptiker. 

Die unter Dementia praecox (Hebephrenie, Katatonie u. s. w.) zusammen- 
gefasste Gruppe Btellt nicht weniger als 66 Individuen unter 120. W. teilt 
sie in drei Gruppen. Erstens solche, die nach gesundem Vorleben zwischen 
dem 20.—30. Jahre von einer schweren akuten Psychose befallen wurden und 
naoh deren unvollkommener Heilung in Schwachsinn und in die Landstreicherei 
geraten. Die zweite Gruppe bildeten ebenfalls ursprünglich soziale Elemente, 
die sich ohne ausgesprochene geistige Störung den unsteten, unregelmässigen 
Lebenswandel angewöhnen und zu Landstreichern werden. Erst im Laufe von 
Monaten und Jahren naoh wiederholten Internierungen treten psychische Er¬ 
scheinungen oder manifester Schwachsinn klar zu Tage, so dass die Ueber- 
führung in eine Irrenanstalt nötig wird. Die dritte Gruppe betrifft von 
Haus aus pathologische Individuen, bei denen schon in früher Jugend sittliche 
und intellektuelle Defekte sich zeigen und später nach zahlreichen Internierungen 
und Strafen ausgeprägte Psychosen zu Tage treten. Leichte Zustände der 
Dementia praecox sind häufiger, als man annimmt. Eine Veränderung des 
Charakters, Gemüts, der geistigen Auffassung nach der Pubertät oder zur 
Zeit derselben werden dann oft als Laune u. s. w. gedeutet, während der 
langsame geistige Verfall oder das Stehenbleiben auf der gerade erreichten 
Bildungsstufe dem Sachverständigen nicht entgehen; mitunter treten bypochon- 
drale, neurasthenische, hysterische Znstände in den Vordergrund und verdecken 
den geistigen Defekt, der mitunter progressiv zur Verblödung führt oder in 
anderen Fällen bei mässigem Grade stehen bleibt und besonders die ethische 
Seite betrifft. Hebephrenische und katatonische Zustände gesellen sich nicht 
selten hinzu. 

Demnach ist die Mannigfaltigkeit der physischen Störungen bei den 
Landstreichern noch eine grössere, als bei den Gewohnheitsverbrechern. Bei 
diesen überwiegt mehr die krankhafte, degenerierte Persönlichkeit, bei den Va¬ 
gabonden mehr der psychische Schwächezustand aus den verschiedensten Ur¬ 
sachen; Passivität, Willensschwäche und Intelligenzschwäche herrschen hier vor. 

Dr. S. Kalisoher-Schlachtensee b. Berlin. 


Krankhafte Eigenbeziehung und Beachtungswahn. Von Professor 
Dr. A. Cramer in Göttingen. Sonderabdruck aus der Berliner klinischen 
Wochenschrift; 1902. 

Unter krankhafter Eigenbeziehung (Ne iss er) und Beachtungswahn 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


349 


(Heynert) versteht man die Erscheinung, dass ein Mensch ohne erkennbare 
inssere Veranlassung plötzlich oder allmählich seine Umgebung nur unter dem 
Gesichtspunkte einer Beziehung auf sich selbst ansieht. Dabei wird das Beob¬ 
achten der Umgebung unter diesem Gesichtspunkte allmählich au einem inten¬ 
siven Studium, das die ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Schliesslich 
gewinnt das kleinste Ereignis, z. B. das Fallen eines Blattes, wichtige Be¬ 
deutung und wird in Beziehung zur eigenen Person gebracht. Es handelt sich 
also um eine Ueberschätsang der Bedeutung der Vorgänge in der Aussenwelt 
für die eigene Person und damit auch um eine gewisse Urteilsschwäcbe. Die 
krankhafte Eigenbeziehung muss nicht zu einer ausgesprochenen Psychose 
fthren, sie kann zeitlebens stationär bleiben und kann auch heilen. Häufig 
kommt sie als Einleitung zu paranoischen Zuständen vor. Jedoch tritt dieser 
Symptomenkomplex auch bei transitorischen Bewusstseinsstörungen, bei der 
Epilepsie, Hysterie, bei den psychischen Veränderungen nach Trauma, bei 
peychischen Störungen auf degenerativem Boden, gelegentlich auch bei Schwer¬ 
hörigen und bei Leuten, welche an Schwindel leiden, vor. Unter normalen 
Verhältnissen kommt sie ebenfalls vor: Es geht jemand auf der Strasse 
spazieren, der einen auffallenden Fleck oder Defekt an seinem Anzug bat; in 
den meisten Fällen kann er die Ueberzeugung nicht los werden, dass jeder auf 
seinen Fleck auf der Hose oder auf sein Loch im Stiefel hinsieht. Das Ge¬ 
meinsame- aller dieser Erscheinungen ist ein Gefühl von Unsicherheit und 
eigener Insuffizient, das durchaus nicht immer ganz bewusst zu sein braucht. 
Krankhaft ist die Eigenbeziehung nur dann, wenn die äusseren Verhältnisse 
keinen besonderen Grund zum Gefühl einer Insuffisienz geben. 

_ Dr. Lewald-Obernigk. 


Entwickelungsjahre und Gesetzgebung. Bede zur Feier des Geburts¬ 
tages des Kaisers und Königs am 27. Januar 1902, im Namen der Georgs- 
August - Universität gehalten von Prof. Dr. A. Cr am er, Göttingen o. J. 

Der Erlass vom 28. Oktober 1895 ermöglicht eine bedingte Begnadigung 
und Strafaussetzung für bestimmte Arten der jugendlichen Verbrecher. Cr am er 
begrüsst dieses neue Vorgehen im Strafvollzug mit Freuden. Er betont, dass 
der Geisteszustand in den Entwickelungsjahren ausserordentlich schwankend 
und labil ist, sodass ob nur eines geringen Anstosses bedarf, um das Gleich¬ 
gewicht zu stören. Er empfiehlt, dass die Altersgrenze für die Strafmündigkeit 
möglichst hinaufgerückt wird; er hebt hervor, dass bei jugendlichen Verbrechern 
und namentlich bei solchen unter 16 Jahren zu einer klaren, bestimmten und 
definitiven Begutachtung häufig weit mehr Zeit erforderlich ist, als sie heute 
nach dem Gesetze zur Verfügung steht. Dr. Lewald-Obernigk. 


Die Seelenstörungen auf arteriosklerotischer Grundlage. Beferat, 
erstattet in der Jahresversammlung des Vereins deutscher Irrenärzte am 
14. April 1902 von Dr. Alzheimer-Frankfurt a. M. Allgemeine Zeitschrift 
für Psychiatrie; 69. Bd., 6. H. 

A., der sich bereits früher mit Untersuchungen über Arteriosklerose be¬ 
schäftigt hat, trennt etwa 6 verschiedene klinische Krankheitsbilder ab, die sich 
auf der Basis dieses bereits von den Franzosen als pseudoparalyse gönörale 
artritique (Klippel) bezeichneten Degenerationsprozesses ausbilden. Anatomisch 
betrachtet, handelt es sich um vielfach überaus kleine Herde unvollkommener 
Erweiohung in Folge allmählichen Gefässverschlusses und Gefässruptur. Es 
ergaben sich nach Sitz und Intensität des anatomischen Prozesses sehr ver¬ 
schiedenartige Störungen: erstens leichte Nervosität mit schneller geistiger 
Ermüdbarkeit, Gedächtnisschwäche, Stirnkopfschmerz und Schwindelanfällen. 
Diese Krankheit setzt oft schon in den 40er Jahren ein, zeigt aber nicht den 
von den Kranken oft befürchteten Uebergang in schwerere psychische Störungen. 
Flimmern, Ohrensausen, Intoleranz gegen Alkohol und erhöhte Reizbarkeit sind 
gleichfalls nicht seltene Begleiterscheinungen dieser Krankheit. Die zweite 
schwerere Form der arteriosklerotischen Hirnatropbie beginnt mit Kopfschmerz 
und Gedächtnisschwäche, sehr bald stellt sich eine Erschwerung der Auffassung 
und Reproduktionsfähigkeit, sowie der Merkfähigkeit ein. Apathisches Ver¬ 
halten, schnelle Ermüdbarkeit mit reizbar-weinerlicher Stimmung ergänzen 
das zu stumpfer Verblödung unter häufigen Schwankungen und gelegentlichen 



350 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


halluzinatorischen Erregungsanfällen fortschreitende Krankheitsbild. Dabei 
bleiben inselartige Erinnerungen aas früheren Zeiten oft auffallend lange er¬ 
halten, ebenso eine gewisse Krankheitseinsicht. Erstreckt sich der Prozess 
statt auf die Hirnrinde mehr auf die Gefässe des tiefen Marklagers, so kommt 
ein wesentlich anderer Prozess zu stände, der bereits von Binswanger als 
Encephalitis subcorticalis chronica geschildert worden ist. Erschwerte Ge¬ 
dankenverbindung, Sprachstörungen sind hier die ersten Symptome, zu denen 
sich sehr bald apoplektive Insulte, epileptische Anfälle mit Erregungs- and 
Verwirrtheitszuständen hinzugesellen. Ueberhaupt stehen motorische Ausfalls¬ 
erscheinungen im Vordergründe (Paresen, Aphasie). Die Krankheit schreitet an 
den höchsten Graden der Verblödung fort, in der der Kranke nach dem 
Worte Binswangers einem grosshirnlosen Versuchstiere gleicht. Auch 
hier erhält sich längere Zeit eine gewisse Krankheitseinsicht, während der Zu¬ 
stand hochgradigster Verblödung jahrelang fortbestehen kann. Eine gewisse 
Aehnlichkeit hat das Bild mit der atypischen Paralyse (Li ss an er) und ge¬ 
wissen senilen Psychosen mit Herderscheinungen. Als weitere Formen nennt 
A. die senile Bindenverödung und die perivaskuläre Gliose, beide ausgezeichnet 
durah langsame Entwicklung von Ausfallserscheinungen, leichte apoplektiforme 
Anfälle mit häufigem Wechsel der Erscheinungen. A. weist darauf hin, dass 
sowohl anatomisch wie klinisch eine Abgrenzung der verschiedenen Verblödungs- 
prozesse möglich sei, eine für die Diagnostik höchst wichtige Frage. 

Dr. P o 11 i t z - Münster. 


Die chirurgischen Erscheinungen der genuinen Epilepsie. Von 
Prof. Hermann Fischer. Archiv f. Psych.; 86. Bd., H. 2. 

Aus dem reichen Inhalte der mühevollen Arbeit eines unserer erfahren¬ 
sten Meister and Lehrer der Chirurgie sei gerichtlich-medizinisch hervor- 
gehoben: 

Epileptische Anfälle können hervorrnfen: 1. alle Erscheinungen von 
Hämatomen, doch können Blutungen subkutan und innerlich auch Gefäss- 
blutungen Vorkommen; 2. Muskelzerreissungen (namentlich des Kopfnicken); 
3. Nervenlähmungen; 4. Wunden (auch Abszesse an Ohren, Nase, Fingern, 
Zehen); 5. Bisswunden, — in Wahlgarten fand Verfasser bei etwa der Hälfte der 
Epileptiker (und bekanntlich werden sie für viel signifikanter gehalten, lief.) 
Zungenbisse; 6. Verbrennungen; 7. Knochenbrüche (unter 1030 Untersuchten 
in 8,1 °/ t sämtlicher Verletzungen), darunter solche der Basis und duroh 
Muskelzag entstanden (s. T. wird „Knochenbrüchigkeit bei manchen Epi¬ 
leptikern" als begünstigend angenommen); 8. Luxationen; 9. Erstickung; 
10. Hernien. 

Die Folgerungen für die Beurteilung von Verletzungen bei unbekannten 
Leichen, bei Personen, deren Aussagen wertlos oder zu beanstanden sind 
(Kinder, Geisteskranke, Simulanten), sowie die Fingerzeige für einen Rückschluss 
von den Verletzungen auf Epilepsie, ferner die merkwürdige Tatsache, dass 
die Anfälle nach Verletzungen oft auffallend lange zessieren (Vorsicht in bezug 
auf Nichtbestehen von Epilepsie bei nicht genügend langer Beobachtung) er¬ 
geben sich von selbst. 

Das Studium der Abhandlung wird jedem Gerichtsarst angelegentlichst 
empfohlen. _ Dr. Kornfeld-Glelwitz. 

Ueber Ziele und Erfolge der Familienpflege Geisteskranker, nebst 
Vorschlägen für eine Abänderung des bisher in Berlin angewendeten 
Systems. Von Dr. E. Nawratzki-Dalldorf. Allgmeine Zeitschrift für 
Psychiatrie; 1902, 59. Bd., IV. H. 

Aus den aktuellen Ausführungen des Verfassers, die in erster Linie als 
Bericht an die Berliner städtischen Armenverwaltungen dienten, können hier 
nur einige Daten allgemeinen Interesses Erwähnung finden. Man kann mit 
Moeli drei Formen der Familienpflege unterscheiden: 1. solche ohne jede An¬ 
stalt, 2. Familienpflege, die sioh um eine kleine Zentralanstalt gruppiert, 8. eine 
solche, die sich an eine grosse Zentrale anschliesst. 

Die letztere Methode ist für die Berliner Anstalten eingeführt. Es er¬ 
scheint nicht ohne Interesse, dass die Zahl der Pflegestellen und der Gesuche 
um Zuweisung eines Pfleglings sehr bedeutend ist. Nachdem der Kranke auf 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 351 

Grand eines Kontraktes dem Pfleger fibergeben ist, untersteht er noch der 
weiteren Kontrolle der Irrenanstalt, die ihn durch ihren Arst in jedem 
Monat ein Mal zam mindesten besuchen lässt Von 1893—1897 sind nach der 
Zusammenstellung des Verfassers 671 Kranke in 822 Fällen in Pflege gegeben 
worden. Von diesen litten 39,29 °/ 0 an chronischem Alkoholismus, 16 «/ 0 an De- 
mentia paralytica, 12°/ 0 an Epilepsie. 36,6 °/ 0 kehrten wieder zur Anstalt 
znrfick, während 6 °/, in andere Anstalten überwiesen wurden. Auch die weib¬ 
lichen Pfleglinge bieten kein günstigeres Bild. In dem genannten Zeiträume 
waren 431 Frauen 517 Mal in Pflege gegeben, unter diesen sind fast alle 
Formen psychischer Störungen vertreten. 35,4 °/ 0 gelangten in die eigene 
Anstalt, 5,42 °/o in andere Anstalten zurück, es sind ferner 19 Kranke ent¬ 
wichen, 3 geschwängert und 2 durch Selbstmord umgekommen. 

Dieses im Ganzen wohl wenig befriedigende Ergebniss findet, wie 
Verfasser betont, seine Erklärung in dem Umstande, dass es sich in vielen 
Fällen um einen Versuch handelt, mit dessen Fehlschlagen stets zu rechnen 
ist. Unter den Krankheitsformen erwiesen sich die Schwachsinnszustände, be¬ 
sonders diejenigen seniler Natur am geeignetsten, am ungünstigsten zeigte sich 
das Verhältniss bei den Alkoholisten. Zum Schluss empfiehlt Verfasser eine 
Reihe sehr beachtenswerther Reformen: 1. Abtrennung der Familienpflege von 
der Anstalt, 2. Angliederung an die Armendirektion oder die Deputation ffir 
die Irrenpflege, 3. Unterstellung der Pflege unter einen Bpezialistisch ansge¬ 
bildeten selbständigen Arzt, unter dessen Aufsicht die Pfleglings bis zur 
endgültigen Entlassung bleiben. _ Dr. Po 11 itz-Münster. 

B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- nnd Invaliditäts- 

Bachen. 

Ueber die Begutachtung der Unterleibsbrüche. Von Prof. Sultan 
in Güttingen. Münchener mediz. Wochenschr.; 1903, Nr. 5. 

Unter Anlage eines Leistenbruches verstehen wir zwei ganz verschiedene 
Zustände: einmal das Vorhandensein eines leeren Brustsackes, der angeboren 
als offen gebliebener Processus vaginalis peritonei bestehen geblieben ist, zwei¬ 
tens müssen wir auch als Bruchanlage eine gewisse Schlaffheit und Nachgibig- 
keit des Leistenkanals in seiner ganzen Länge zusammen mit einer Ausbuchtung 
des Peritoneums im Bereich des inneren Leistenrings bezeichnen. Diese Ver¬ 
schiedenheit der Bruchanlage ist anatomisch ganz interessant, ffir unsere 
Untersuchungen ist aber dabei wenig gewonnen. Denn wir können die in 
einem nicht verschlossenen Processus vaginalis bestehende Anlage nicht diagno¬ 
stizieren, da eich an keiner Stelle des Leistenkanals weder am äusseren, noch 
viel weniger am inneren Leistenring die dicht aneinander liegenden Peritoneal¬ 
blätter als solche erkennen lassen. 

Auch die zweite Art der Bruohanlage (die sog. „weiche Leiste“ Kochers) 
ist nicht so ohne weiteres leicht zu erkennen; das Vorfinden eines weiten 
äusseren Leistenringes allein wird mit Unrecht als Bruchanlage gehalten, da 
von dem Verhalten des äusseren Leistenrings noch gar keine Schlosse auf den 
inneren Leistenring, auf den es dabei doch hauptsächlich ankommt, gezogen 
werden dürfen. 

Man kann diese zweite Bruchdisposition klinisch nur daran erkennen, 
dass die Gegend des Leistenkanales bei stärkeren Aktionen der Bauchfellpresse, 
also beim Husten, Pressen u. s. w. sich zu einer umschriebenen, ovalen An¬ 
schwellung, mit Dehnung des inneren Leistenrings und Ausbuchtung des Peri¬ 
toneums vorwölbt, um beim Nachlassen des intraabdominalen Druckes sofort 
wieder normale Verhältnisse darzubieten. Bleibt die Vorwölbung auch ohne 
Bauchpresse bestehen, so haben wir keine Bruchanlage mehr, sondern einen Bruch. 

Das Massgebende ffir die klinische Untersuchung einer Bruchanlage ist 
also: die sicht- und fühlbare Hervorwölbung im Gebiete des Leistenkanals beim 
Husten, Pressen u. s. w und das Zurfickgehen der Vorwölbung beim Aufhören 
des intraabdominellen Druckes; Verhältnisse, die beim Stehen des zu Unter¬ 
suchenden weit deutlicher hervortreten als beim Liegen. Dabei wird häufig 
beim Einführen eines Fingers ein weit offener Leistenkanal und ein Anprall 
der Eingeweide konstatiert werden können, während die Enge oder Weite des 
äusseren LeistenringeB allein bei der Beurteilung keine Rolle spielt. 

Verfasser verbreitet sich ferner Aber Indikation and Resultat von Ra- 



352 kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 

dikaloperationen und kommt dann mir Begatachtnng der sog. UnterleibsbrÜehe, 
wobei er bezüglich der Diagnose eines Unfallbruches so folgenden Schlusssätzen 
kommt: Ein Unfallbrach darf nar angenommen werden: 

1. wenn wirklich ein Unfall oder eine Ober das übliche Hass der Ar¬ 
beitsleistung hinaosgehende Anstrengung stattgefunden hat and zwar eine 
solche, die geeignet war, den intraabdominalen Druck za erhöhen; 

2. wenn aas den Ergebnissen der behördlichen Nachforschungen anzu- 
nehmen ist, dass vorher ein Brach an dieser Stelle nicht bestanden hat; 

3. wenn der angebliche Austritt des Braches mit sehr heftigen Schmerzen 
verbunden war, die den Betroffenen zwangen, die Arbeit niederzulegen and 
wenn der alsbald za Bat gezogene Arzt auch auf Drack heftige Schmerzem- 
pfiadangen aaslösen kann; 

4. wird ein Unfallbrach gewöhnlioh klein sein, sehr häufig noch inner¬ 
halb des Leistenkanals Bich befinden und nar ganz ausnahmsweise die Grösse 
einer Zitrone übersteigen. 

Die Folgen von Zerreissangen im Bereich des Leistenkanals lassen sich 
nur selten darch Schwellang oder Blatergass schon ftasserlich erkennen. Nieht 
verwendbar für die Beurteilung eines Unfallbraches ist das Vorhandensein 
einer Brachanlage aach an anderer Stelle and die schwere oder leichte Re¬ 
parierbarkeit des Braches. 

Selbstverständlich ist nnter den gleichen Voraussetzungen, wie sie für 
die Entstehung des Leistenanfallbraches gelten, nach die traumatische Ent¬ 
stehung eines Schenkeibraohes möglich. 

Zam Schiasse teilt Verfasser noch mit, dass von rassischen Israeliten 
zwecks Befreiung vom Militärdienst mit einem Instrumente, das einem Hand- 
schahweiter ähnlich ist, künstliche Leistenbrüche erzeugt werden sollen, dadurch, 
dass der äassere Leistenring oder die Voiderwand des Leistenkanals Bnbkatan 
eingerissen werden, wodurch sich eine dem Typus des direkten Lcistenbrnchs 
entsprechende Brachform hervorrnfen lasse, die an der grossen Empfindlichkeit 
bei der Untersuchung der Brachpforte and an der wulstig-narbigen Beschaffen¬ 
heit des anregelmässig zackigen äoseren Leistenringes za erkennen sei. 

_ Dr. Waibei-Kempten. 


Unfall und Leistenbruch. Kein ursächlicher Zusammenhang. 
Rekurs-Entscheidung des Beiehs-Versicherangsamts vom 
2. Oktober 1902. >) 

Die Darlegangen des König!. Kreisarztes Dr. S. sind nicht geeignet, die 
vom B. V. A. in zahlreichen Entscheidungen vertretene Auffassung über die 
Entstehung der Leistenbrüche za erschüttern, die von zahlreichen ärztlichen 
Autoritäten auf einschlägigem Gebiet geteilt wird. Der Schwere der ver¬ 
richteten Arbeit, bei welcher der Brachaastritt erfolgt ist, allein entscheidende 
Bedeutung bei der Beantwortung der Frage beizulegen, ob es eich um einen 
plötzlich entstandenen Leistenbrnch handelt, ist nicht angängig; eie ist ein 
Faktor, bei dessen Fehlen die Annahme der plötzlichen Entstehung des Bruch- 
leidens der Regel nach von vornherein ausgeschlossen erscheint, dessen Vor¬ 
handensein aber nicht ohne weiteres die gegen die plötzliche Entstehung der 
Leistenbrüche sprechende starke Vermutung widerlegt. 

Nach wissenschaftlicher Erfahrung vollsieht sich die krankhafte Er¬ 
weiterung der Bruchpforten, welche schliesslich zum Bruche führt, und ebenso 
der Bruchaustritt in den weitaus meisten Fällen in allmählicher, zuweilen 
jahrelanger Entwickelung, ohne Beschwerden zu verursachen oder überhaupt 
wahrnehmbar zu sein. Hat die Entwickelung der Bruchanlage einen gewissen 
Grad erreicht, so kann jede körperliche Kraftleistung, eine ganz leichte, täg- 
lioh vorkommende Verrichtung ebenso gut wie eine aussergewöhnliche An¬ 
strengung, ja sogar blosses Husten und dergleichen, den Austritt des Bruches 
herbeiführen. Die Entstehungsursache des Brachleidens ist in solchen Fällen 
aber nicht diejenige Tätigkeit, bei welcher der Brach gerade zufällig austritt, 
sondern die ihr vorhergegangene, allmähliche und deshalb unbemerkt gebliebene 


*) Auch in dieser neuesten Entscheidung hält das Reichs-Versicherungs¬ 
amt an seinem bisherigen Standpunkt in Bezug auf den ursächlichen Zusammen¬ 
hang zwischen Unfall und Brachleiden fest. 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


363 


Bildung and Entwickelung der Braehnnlnge. In solchen Fillen vollzieht sieh 
der Brachaastritt schmerzlos oder ohne die Anzeichen einerschweren Erkrankung. 

Anders liegt die Sache, wenn eine Brnehpforte von normaler Enge durch 
Stoss oder ttbermlssige Anstrengung plötzlich and gewaltsam erweitert wird, 
and nnr in einem solchen Falle ist es möglich, den Brach als verursacht durch 
einen Unfall anzasehen. Eine solche gewaltsame Dehnung der Baaohdecken 
und Hervordrängung der Eingeweide kann nach wissenschaftlicher Erfahrung 
nicht vor sich gehen, ohne sohwere Krankheitserscheinungen, insbesondere 
nahezu unerträgliche Schmerzen, Entzündungserseheinungen, häufig auch Ein¬ 
klemmungen hervorzurufen und sofortige ärztliche Hülfe erforderlich, körper¬ 
liche Kraftleistungen aber unmöglich zu machen. 

Danach kann der Leistenbruch des Klägers nicht als Folge eines Un¬ 
falles, sondern muss als das Ergebnis einer allmählich krankhaften Entwickelung 
angesehen werden. Denn einmal hat beim Kläger nach dem Gutachten des 8an.- 
Bäte Dr. W. in BQckeburg vom 3. Dezbr. 1901 unzweifelhaft bereits eine Bruch- 
anlage bestanden, als er den entgleisten Förderwagen einzusetzen versuchte; 
dann hat er nach den Bekundungen der vernommenen Zeugen Aeusserungen 
heftigster und unerträglichster Schmerzen nicht kundgegeben, die Arbeit über¬ 
haupt nicht unterbrochen, wenn ihm auch das Einheben des entgleisten Förder- 
Wagens nicht mehr möglich gewesen ist, und ärztliche Hülfe erst nach einer 
ganzen Anzahl von Tagen oder mehreren Wochen angerufen. Der Arzt hat 
Bntzündungs- oder Einklemmungserscheinungen nicht festgestellt und die so¬ 
fortige Anlegung eines Bruchbandes anordnen können. Dazu kommt, dass beim 
Kläger der Bruchschaden auf beiden Seiten besteht. 

Bei dieser Sachlage vermag die Schwere der verrichteten Arbeit allein 
die Annahme der plötzlichen Entstehung des Bruchleidens des Klägers nieht 
■u begründen, und es war somit dem Rekurse der Beklagten der Erfolg nicht 
au versagen. _Kompass; 1908, Nr. 1. 


Tod dnreh Herzschlag infolge grösser Hitze beim Arbeiten am 
Ziegelofen. Betriebsunfall anerkannt. Rekurs-Entscheidung des 
Reiehs-Versicherungsamts vom 10. Oktober 1902. 

Nach dem Gutachten des Professors Dr. L. und des Dr. K. ist allerdings 
die Annahme des Schiedsgerichts, dass ein Hitzschlag die Todesursache gewesen 
sei, nicht begründet, da ein grösserer Bluterguss im Gehirn, der die Voraus- 
Setzung für jene Annahme sein würde, ausweislich des Obduktionsbefundes ge¬ 
fehlt hat. Dagegen ist nach diesem Gutachten als wahrscheinlich anzunehmen, 
dass der Tod an einer Herzlähmung erfolgt ist, die dadurch entstanden ist, 
dass die längere Tätigkeit des Verstorbenen in dem heissen Raum bei hoher 
Anssentemperatur Ansprüche an die Herztätigkeit gestellt hat, denen das 
wahrscheinlich schon geschwächte Herz nicht gewachsen war. 

Für dieses Gutachten spricht auch die gesamte tatsächliche Lage des Falles. 

Der Verstorbene trat am 1. Juni 1901 morgens 6 Uhr seine Arbeit an 
und machte dabei nach den Aussagen der Zeugen Arbeiter W. und H. den Ein¬ 
druck eines ganz gesunden Mannes. Nach denselben Aussagen und denen des 
Werkmeisters Ha., unter dem der Verstorbene seit zwei Jahren gearbeitet hat, 
hat er vor dem 1. Juni 1901 auch nicht an ähnlichen Anfällen, wie ein solcher 
am 1. Juni 1901 plötzlich anftrat, gelitten. Die Arbeitstätigkeit des Ver¬ 
storbenen bestand an diesem Tage aus dem Herausfabren der frisch gebrannten 
Ziegel aus dem kurz vorher geöffneten Ziegelofen. Die Innentemperatur war 
sehr hoch, da sie noch am 8. Juni 1901, wie bei der Unfalluntersuchung fest¬ 
gestellt wurde, 42 Grad C. betragen hat. Dazu kam, dass am 1. Juni 1901, 
wie aus dem gedachten Gutachten erhellt, auch eine sehr hohe Anssentemperatur 
geherrscht hat. Naeh etwa vierstündiger Arbeit, vormittags 10 bis IO 1 /* Uhr 
drehte sich der Verstorbene, als er einen neuen beladenen Wagen aus dem Ofen 
herausfuhr, plötzlich einige Male herum, fiel ohnmächtig hin und starb einige 
8tunden später am Nachmittag. Die zum Tode führende Erkrankung ist also 
plötzlich eingetreten auf der Betriebsstätte und während der Arbeit. Eine 
andere Ursache der Erkrankung als die Einwirkung der hohen Temperatur auf 
die Herztätigkeit ist nach dem Gutachten nicht anzunehmen. Sonach ist mit 
grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die grosse Hitze die Herzlähmung 
und damit den Tod verursacht hat. Die Betriebsarbeit fiel dafür als mit- 



364 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


wirkend erheblioh ins Gewicht, insofern die Art nnd der Ort derselben, näm- 
lioh das Anskarren ans dem heissen Ofen, als das hauptsächlich schädigend 
einwirkende Moment sn erachten ist, jedenfalls aber wesentlich dazu beige¬ 
tragen hat, die natürliche Grosse Hitze, die an jenem Tage herrschte, nnd 
deren Einwirkung auf den Körper noch zn steigern. Ob das Herz des Ver¬ 
storbenen bereits vorher geschwächt war, wie die Sachverständigen annehmen, 
oder nicht, kommt dabei nicht in Betracht, da anch in ersterem Falle bei 
schon bestehender Herzschwäche die grosse Hitze am 1. Jnni 1901 immerhin 
in wesentlich erhöhendem Masse schädigend darauf ein gewirkt, also den Ein¬ 
tritt der Erkrankung und des Todes erheblich beeinflusst hat. 

Mithin liegt ein ursächlicher — sei es mittelbarer oder unmittelbarer— 
Zusammenhang der Betriebsarbeit mit dem Tode vor. 

Fraglich kann nur sein, ob die Lage des Falles eine plötzliche, seitlich 
ausreichend begrenzte Einwirkung der schädigenden Hitze anzunehmen ist, 
oder nicht vielmehr eine Krankheit, welche als das Endergebnis der eine 
längere Zeit andauernden, der Gesundheit nachteiligen Betriebsweise anfzu- 
treten pflegt. 

Das R. V. A. hat die entere Frage bejaht. Denn der Ventorbene war 
bis zum 1. Juni 1901 gesund gewesen und bat an ähnlichen Anfällen vorher 
nicht gelitten. Die Einwirkung der schädigenden Hitze beschränkte sich auf 
den kurzen Zeitraum von etwa vier Stunden. Der Umstand, dass der Ver¬ 
storbene schon am Tage vorher sich nicht wohl gefühlt hat, wie aus seiner 
Aeusserung, „dass ihm besser sei, als am Tage zuvor“, zu schliessen, erscheint 
belanglos. Denn aus dem Inhalte dieser Aeusserung und dem Umstande, dass 
er am Morgen des 1. Juni 1901 den Eindruck eines ganz gesunden Mannes 
machte, ist zu folgern, dass jenes Unwohlsein nur ein leichtes gewesen ist, das 
inzwischen wieder beseitigt war. Ohne das Zusammenwirken der hoben Innen- 
und Aussentemperatur gerade am 1. Jnni 1901 würde nach Ueberseugnng des 
R. V. A. auch bei schon bestehender Herzschwäche die heftige und plötzliche 
schwere Erkrankung nicht eingetreten sein. Kompass; 1903, Nr. 2. 


Lungenaffektion und Hersrergrösserung infolge von Verschüttung. 
Grad der Erwerbsverminderung. Der Erhöhnngsantrag des Klägers 
war unbegründet. Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versiche- 
rungsamts vom 10. Oktober 1902. 

Der Antrag des Klägers auf Erhöhung der ihm durch das schiedsgericht- 
Uche Urteil vom 7. Februar 1900 zugesproohenen Rente würde nur dann be¬ 
gründet sein, wenn nachgewiesen wäre, dass seitdem in den Unfallfolgen eine 
weeentliche, die Erwerbsfähigkeit des Klägers um mehr als 70 Proz. herab¬ 
setzende Verschlimmerung eingetreten wäre. Allein dieser Nachweis ist nicht 
erbracht und im Hinblick auf die bedenkenfreien Gutachten des Königl. Kreis¬ 
arztes Med.-Rats Dr. K. vom 6. Januar 1902 und vom 9. April 1902 anch 
nicht zu erbringen. Danach bestehen die Folgen des Unfalls nach wie vor nur 
in Erweiterung der Lungenbläschen (Emphysem) und in Vergrößerung beider 
Herzhöhlen. Der Kläger ist dadurch zwar, wie der Sachverständige darlegt, 
für die meisten Arbeiten seines Berufs, besonders für die unter Tag, dauernd 
unfähig geworden und kann auch andere anstrengende Arbeiten nicht mehr 
verrichten. Dagegen vermag er nach der Ansicht desselben Sachverständiges 
noch einige leichte, wenn auch nur gering lohnende Arbeiten auszuführen, da 
ihm zur Ausführung besser lohnender Arbeiten im Sitzen die Kenntnis nnd 
Uebung fehlen. Dessen ungeachtet schätzt dieser Arzt die Erwerbsunfähigkeit 
des Klägers nach Ansicht des R. V. A. mit Recht immer noch auf 70 Prozent. 
Denu der Kläger, welcher nach der Beschreibung des Sachverständigen von 
untersetzter kräftiger Gestalt, gut genährt ist und sich im besten Manneealter 
befindet, der ferner nach dem Gutachten desselben Sachverständigen vom 9. April 
1902 bei der Untersuchung nach allen Richtungen hin frei und ungehinderte 
Beweglichkeit zeigte: — könnte durch Uebung und FleisB sicher noch einen 
der Rente von 70 Pros, entsprechenden Verdienst erzielen. Die sonstigen Be¬ 
schwerden des Klägers, Rheumatismus, Magenleiden und Schwerhörigkeit anf 
dem linken Ohr, sind, wie der Medizinalrat Dr. K. in seinem Gutachten vom 
9. April 1902 überzeugend darlegt, entweder durch den Befund objektiv nicht 
nachweisbar oder ohne unmittelbaren Zusammenhang mit dem Unfall oder anf 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


855 


die Erwerbsfähigkeit des Kllgers ohne Binflnss. Den Rhenmatismns, an welchem 
der KlKger leiden will, hält der Sachverständige bei Benrteilnng der Erwerbs- 
ffthigkeit desselben fflr belanglos, da diese durch ihn nicht weiter oder höchstens 
nur für einige Zeit beschränkt wird. Gegen ein ernstliches Magenleiden des 
Klägers sprechen seiner Ansicht nach das geBnnde Anssehen, die gute Ernährung 
nnd der allgemeine Kräftesnstand des Verletzten. Was endlich die angebliche 
Schwerhörigkeit anf dem linken Ohr betrifft, so bezeichnet der Sachverständige 
dieee mit Recht als bedeutungslos fflr die Erwerhsfähigkeit. Wenn hiernach 
derselbe beamtete Arzt eine weitergehende Beeinträchtigung der Erwerbsfähig¬ 
keit des Klägers als nm 70 Proz. nicht anerkennen kann, znmal dieser auch 
auf ihn wie anf die früheren Begutachter den Eindruck gemacht hat, dass er 
stark übertreibe, um in den Genuss der Vollrente zu gelangen, so hat sich das 
R. V. A. diesem Gutachten angeschlossen und unter Aufhebung des ange¬ 
fochtenen Urteils den ablehnenden Bescheid vom 6. Februar 1902 wieder 
hergeetellt. _ Kompass; 1903, Nr. 2. 


Grad der Erwerbsverminderung bei traumatischem Plattfuss. 
Rekurs - Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom 
29. November 1902. 

Nach den ärztlichen Gutachten ist der linke Fuss des Klägers im Ver¬ 
gleich zum rechten deutlich abgeilacht, diese Erscheinung tritt namentlich beim 
Aufsetzen des Fusses deutlich hervor. Die Muskulatur des linken Beines weist 
ein Mindermass um 1 cm auf. Die Aerzte nehmen an, dass eine Zerreissnng 
des Bandapparates des Fusses durch den Unfall stattgefunden hat. Der Kläger 
kann infolgedessen nicht ordentlich gehen, nicht lange stehen nnd nicht 
schwer tragen. Seine Klagen über Stechen im Fuss sind glaubhaft. 

Nach diesem Befunde ist der Kläger auf Arbeiten im Sitzen oder anf 
leichte Arbeiten im Stehen angewiesen. Dabei ist er Bergmann, auf dem all¬ 
gemeinen Arbeitsmarkt kommt er also nur als gewöhnlicher Arbeiter in Frage. 
Das R. V. A. ist deshalb mit dem Schiedsgericht der Meinung, dass die Er¬ 
werbsunfähigkeit des Klägers mit 33 l ! s °l 0 zu niedrig bewertet ist. Anch der 
Kreisarzt Dr. G. scheint diesen Satz als etwas knapp anzusehen, er sagt, der 
Satz sei immerhin wohl als hinreichend zu betrachten. Die Schätzung des 
Schiedsgerichts auf 66*/ 3 °/„ erscheint anderseits aber als entschieden zu hoch 
gegriffen. Das R. V. A. schätzt die Erwerbsunfähigkeit auf 46°/o. Dement¬ 
sprechend ist die Rente festgesetzt. 


Ursftchlieher Zusammenhang zwischen dem Betriebsunfall und 
dem die Erwerbsunfähigkeit bedingenden Leiden (Hysterie) verneint, 
weil dasselbe lediglich durch die Bemühungen um Durchsetzung des 
vermeintlichen, aber unberechtigten, Anspruchs zur Entwicklung ge¬ 
langt ist, während der Unfall selbst als wesentliches Moment für die 
Entstehung des Leidens ausscheidet. Rekurs-Entscheidung des 
Beichsversioherungsamts vom 20. Oktober 1902. Amtliche Nach¬ 
richten des Reichsversicherungsamts; 1903, Nr. 2. 

Nach dem Gutachten der ärztlichen Sachverständigen sind hei dem Kläger 
körperlich hervortretende Folgen des Unfalls vom 7. August 1897 (Zer- 
reissung der RSckenmuskeln in der Lendengegend), durch die er in seiner 
Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt wird, auch jetzt nicht vorhanden. Dagegen 
wird angenommen, dass der Kläger, obwohl er nach der übereinstimmenden 
Ans icht aller Gutachter stark fibertreibe, an einer Hysterie leide. Diese Hysterie 
sei. so wird in den Gutachten ausgefflhrt, zwar nicht oder wenigstens weniger 
auf den Unfall direkt zurflckzuführen, als vielmehr wahrscheinlich erst durch 
die Bemühungen nm eine Rente hervorgerufen, im Kampfe um die Rente ent¬ 
standen. Der Annahme der Gutachter, dass damit der ursächliche Zusammen¬ 
hang zwischen dem Unfall und der Hysterie gegeben sei, vermochte sich das 
Rekursgericht jedoch nicht anzuschliessen. Denn nicht der Unfall als solcher 
wird in den Gutachten als wesentliches Moment für die Entstehung der Hysterie 
erachtet, sondern vielmehr der Kampf des Klägers um eine Rente. Tst aber 
danach im wesentlichen nur der eingebildete, einer rechtlichen Grundlage ent¬ 
behrende Anspruch des Klägers anf eine Rente die Ursache für die Entstehung 
und Entwickelung der Hysterie, so liegt ein ursächlicher Zusammenhang mf 



356 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


dem Unfälle nicht vor. Bin solcher wtre unbedenklich ansnnehmen, wenn der 
Unfall an sich, s. B. durch eine dabei erlittene Nervenreisung oder Nerven¬ 
erschütterung, nur Herbeiführung eines Nervenleidens geeignet gewesen wire, 
oder sonst der Unfall selbst und dessen Folgen nur Entstehung und Entwicke¬ 
lung eines Nervenleidens wesentlich beigetragen hütten; ein ursächlicher Zu¬ 
sammenhang kann aber nicht schon dann angenommen werden, wenn der Unfall 
selbst als wesentliches Moment für die Entstehung des Nervenleidens nicht 
in Betracht kommt nnd von dem Unfälle die Erwerbefähigkeit beeinträchtigende 
körperliche Folgen nicht mehr vorhanden sind, der Verlötete sich indessen mit 
der Einbildung trägt, noch einen Anspruch auf Rente zu haben und dann des¬ 
halb, weil diesem eingebildeten Ansprüche die rechtliche Anerkennung verssgt 
bleibt, durch die Bemühungen um Durchsetzung des vermeintlichen Anspruchs 
ein Nervenleiden sur Entstehung und Entwickelung gelangt. Nicht der Unfall 
und dessen Folgen sind dann die Ursache des Nervenleidens, sondern die Be¬ 
mühungen und der Kampf um Durchsetzung eines vermeintlichen, aber nicht 
zu Recht bestehenden Anspruchs auf eine Rente. Kann sonach nicht ange¬ 
nommen werden, dass die bei dem Kläger angeblich vorhandene Hysterie mit 
dem Unfall in ursächlichem Zusammenhänge steht, so liegt eine Verschlimme¬ 
rung des Zustandes des Klägers hinsichtlich der Unfallfolgen nicht vor. Der 
Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Unfallrente ist deshalb tu Recht 
abgelehnt worden, und war somit unter Aufhebung des schiedsgerichtlichen 
Urteils der ablehnende Bescheid des Beklagten wiederhersustellen nnd zugleich 
der Rekurs des Klägers als unbegründet zurücksuweisen. 


Zur Gewährung der sogenannten Httlflosenrente liegt bei einer 
Abquetsehung der rechten Hand mit Ausnahme des Daumens, sowie 
des Zeige-, Mittel- und Ringfingers der linken Hand kein aurseichender 
Anlass vor. Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungs- 
amts vom 80. Oktober 1902. 

Der Kläger besitzt infolge des Betriebsunfalls vom 29. Oktober 1901 
an der rechten Hand nur noch den Daumen, an der linken Hand nur den 
Daumen und kleinen Finger, und es ist unstreitig, dass er zur Zeit jedenfalls 
noch voll erwerbsunfähig ist. Ihm aber über die Vollrente hinaus noch eine 
sogenannte Hülflosenrente im Sinne des §.9 Abs. 3 des Gewerbe - Unf. - Vers.- 
Ges. zu gewähren, dazu liegt kein ausreichender Anlass vor. Wenn auch zu- 
zugeben ist, dass der Kläger für gewisse einzelne Verrichtungen auf fremde 
Hülfe angewiesen ist, so steht es um ihn doch keineswegs so schlimm, dass er 
ohne fremde Wartung und Pflege nicht bestehen konnte, d. h., dass für seine 
Pflege dauernd eine fremde Arbeitskraft ganz oder doch in erheblichem Um¬ 
fang in Anspruch genommen werden müsste, wie s. B. für einen Blinden oder 
Gelähmten fzu vergl. Rekurs - Entscheidungen 1899 und 1936, Amtliche Nach¬ 
richten des R. V. A. 1902, S. 181 und 468). Der Kläger ist noch in der Lage, 
sich auf den Füssen frei zu bewegen, sich Türen zn Offnen und mit dem 
Daumen und Kleinfinger der linken Hand sogar noch kleine Gegenstände zu 
ergreifen und festzuhalten. _ Kompass; 1908, Nr. 2. 


B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und Öffentliches 

Sanitätswesen. 

Die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. Von 
Dr. Max 8ehottelius, Professor der Hygiene. Aus dem hygienischen In¬ 
stitut der Universität Freibarg i. B. Archiv für Hygiene; Bd. 42 H. 1 und 2. 

Im 34. Bande des Archivs für Hygiene hatte Schotte lins über Ver¬ 
suche berichtet, welche die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung 
zeigten. Er hat diese Versuche fortgesetzt und nach verschiedenen Richtungen 
erweitert. 

Zunächst stellte er fest, dass Hühnchen ohne Nahrung bis zu 12 Tagen 
am Leben bleiben können. Die Darreichung von Wasser hat hierbei keinen 
lebenverlängernden Einfluss. Der Gewichtsverlust ist etwa derselbe wie bei 
den steril ernährten Tieren, 10—15 g. 

In drei weiteren Serien steril gezüchteter Hühnchen aus dem Jahre*1899 
schwankte die Lebensdauer zwischen 11 und 29 Tagen; ihr Gewichtsverlust 



Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


367 


betrag bis sa 36 °/, des Körpergewichts, während die Kontrolltiere in der 
gleichen Zeit bis zu 154 °/ 0 an Gewicht gewannen. 

Die Keimfreiheit der Eierschalen und der eingegangenen Tiere wurde 
durch Einschmelzen derselben in Nährgelatine geprüft. 

Fresslast und Verdanung sind bei den steril gezüchteten Hühnchen be¬ 
deutend reger als hei normal ernährten, aber trotzdem nehmen entere an Ge¬ 
wicht and Kräften ständig ab. 

Ein Tier, welches nach anfänglicher steriler Ernährung eine mit Kot 
normaler Hühner versetzte, sonst sterile Nahrung erhielt, gedieh and ent¬ 
wickelte sich gat. 

Ebenso entwickelten sieh zwei Hühnchen gat, welchen za der Anfangs 
ganz sterilen Nahrang nach 8 Tagen eine Reinkultur von Bacteriom coli galli- 
naram, einem dem Bacterinm coli hominis nahe verwandten Bakterium, »ge¬ 
setzt wurde. 

Aehnliche Resultate hatte Mme. 0. Metschnikoff bei der sterilen Züch- 
tnng von Froschlarven. 

Weitere Versuche Uber den Einfluss des Bacterinm coli gallinarnm, 
sowie anderer Bakterien auf die Ernährung der Hühner stellt Schottelius 
i n Aus sicht. 

' or “8ehr interessant sind die Angaben über die Versuohsanordnungen, die 
hierbei zu beobachtenden Vorsichtsmassregeln nnd die in Betracht kommenden 
Fehlerquellen. Dieselben müssen im Original naohgelesen werden, da sie sich 
su kurzer Wiedergabe nicht eignen. Dr. Lents-Berlin. 


Ueber die Widerstandsfähigkeit der Pestbanillen gegen die 
Winterkälte in Tokyo. Von Dr. C. Toyama, Direktor im Institute. Aus 
dem Institute für Bakteriologie und Mikroskopie zu Tokyo. Zentralblatt für 
Bakteriologie, Parasitenkunde und Infektionskrankheiten; 1902, Bd. 82, Nr. 8. 

Im allgemeinen bttssen die pathogenen Mikroorganismen selbst durch 
hohe Kältegrade ihre Lebens- und Entwickelungsfähigkeit nicht, ihre Virulenz 
nur in geringem Grade ein. Um die gleichen Verhältnisse bei den Pestbazillen 
su studieren, liess Toyama zu Beginn des Winters eine Pestagarkultnr zwei 
Tage lang im Brütofen wachsen, teilte dieselbe in zwei Teile, von denen er 
den einen im Brütofen hielt, während er den anderen ins Freie setzte. Die 
höchste während der beiden Wintermonate Februar und März im Freien be¬ 
obachtete Temperatur betrag 4- 20 °, die niedrigste — 2,5 °. Während der 
Verauchszeit impfte er mehrmals von beiden Röhrchen Agarröhrchen, ferner 
infizierte er mehrmals Mäuse mit den Bakterien beider Knlturhälften. Er kam 
dabei su folgenden Resultaten: 

1. Weder die Lebensfähigkeit, noch die Virulenz der der Kälte ausge- 
setzten Pestbazillen war verringert; im Gegenteil, sie hatten sich besser ge¬ 
halten, als bei den im Brutschrank gehaltenen Bazillen. 

2. Während die in der Kälte gehaltenen Pestbazillen nach fast drei 
Monaten eine gegen früher unveränderte Virulenz zeigten, hatte letztere hei 
den im Brütofen aufbewahrten Bazillen nach 56 Tagen bereits erheblich und 
nach 84 Tagen noch mehr abgenommen. 

3. Anfangs war die Fortpflanzungsfähigkeit der in der Kälte gehaltenen 
Pestbazillen geringer als diejenige der im Brütofen aufbewahrten. All¬ 
mählich glich sich dieser Unterschied jedoch aus, und nach drei Monaten war 
das Verhältnis gerade umgekehrt. 

4. In der Winterkälte neigten die Pestbasillen weniger zur Bildung 

von Involntionsformen als im Brütofen. Dr. Lents-Berlin. 


Ueber das Verhalten des Lyssavirus im Zentralnervensystem 
empfänglicher, natürlich immuner nnd immunisierter Tiere. Von Privat¬ 
dozent Dr. Kraus, Dr. E. Keller nnd Dr. P. Clairmont. Zeitschrift für 
Hygiene und Infektionskrankheiten. XXXI. Bd., H. 3. 

Zu den interessantesten Problemen gehören entschieden die an das vor¬ 
läufig noch unbekannte Tollwutgift, seine Entstehung und Verbreitung, sich 
knüpfenden Fragen, zu deren Klärung die in Deutschland anfangs nur zu wenig 
beachteten oder geradezu verkannten Arbeiten Pasteurs bisher das meiste 
beigetragen haben. Im Anschluss an dieselben und diejenigen von Hö'gyea 



368 


Kleinere Mitteileegen eed Bef ernte rae Zeitschriften. 


heben die drei Verfasser im eerotherepentisehen Institute ea Wien mehrere 
Reihen Ton Verwachen angestellt, welche en üusserst beachtenswerten Resul¬ 
taten geführt haben. Ehe wir über dieselben berichten, mochten wir sum 
besseren Verständnis die folgenden Bemerkungen voransschicken: Man unter¬ 
scheidet beim Lyssavirus das sogen. Strassenrirus und das Passagevirus resp. 
▼irus fixe; das entere ist das Wutgift, welches in dem Zentralnervensystem 
an Tollwut erkrankter Hunde enthalten ist, wfthrend man unter PassageTirus 
diejenige Modifikation des Giftes versteht, welche sich nach mehreren Passagen 
dnreh Kaninchen gebildet hat, wobei dasselbe einen gewissen sich gleich¬ 
bleibenden Höhepunkt der Virulens erreicht, d. h. zum virus fixe wird. Das 
8trassenTirus wird durch die Passagen durch Allen und wahrscheinlich auch 
durch Hühner abgeschwicht und durch Meerschweinchen, Kaninchen und andere 
Tiere verstirbt. Es kann als sicher erwiesen gelten, dass das Lyssavirus sich 
auf dem Wege der Nervenbahnen verbreitet und in das Rückenmark und Ge¬ 
hirn fortpflanzt. 

Die Verfasser stellten zunächst eine Reihe von Versuchen über die Fort¬ 
pflanzung des Lyssavirus im Zentralnervensystem gesunder Kaninchen an, indem 
sie diese Versuchstiere teils subdural, teils intrazerebral mit virus fixe in¬ 
fizierten. Dabei zeigte sich, dass bei snbdnraler Einverleibung des Giftes die 
Medulla obl. schon am dritten Tage infektiös sein kann, während das Lumbal¬ 
mark erst am 6. und 7. Tage nach der Infektion die volle Virulens erlangt. 
Dasselbe Resultat erhielten sie, wenn sie die Tiere intrazerebral mit dem 
virus fixe infizierten, nur tritt die Infektiosität dann viel rascher auf. Es steht 
demnach die Tatsache fest, dass die verschiedenen Abschnitte des Zentral¬ 
nervensystems nach der Impfung mit virus fixe zu verschiedenen Zeiten in¬ 
fektiös sind. Bei einer Reihe weiterer Versuche wurde nun das virus fixe in 
den Nervus ischiadicus injiziert, auch hier zeigte sich im allgemeinen dasselbe 
Verhalten, dass die verschiedenen Teile des Zentralnervensystems nachein¬ 
ander infektiös wurden, nur schien hier die Virulenz von unten nach oben 
fortzusehreiten. 

Dasselbe Resultat erhielten die Verfasser hei der Infektion lebender 
Kaninchen mit 8trasseuvirus, hierbei stellte sich jedoch im Vergleich zu dem 
virus fixe die Infektiosität später ein; so war s. B. die Medulla obl. bei 
Impfung mit virus fixe stets schon am 8. und 4. Tage infektiös, während sie 
bei Strassenvirus am 6. oder gewöhnlich erst am 10. Tage sich virulent erwies. 
Die Verfasser glauben auf Grund dieser Versuche annehmen zu dürfen, dass 
die Verschiedenheit des Strassenvirus und des Passagevirns in einer ver¬ 
schiedenen Vermehrungsfähigkeit des Virus im Zentralnervensystem des 
Kaninchens begründet ist. 

Die Impfungen des Zentralnervensystems toter Kaninchen mit virus 
fixe ergaben, dass sich das Tollwutgift in diesem Substrat weder vermehrt, 
noch fortpflanst, sich also nur Im lebenden Gehirn zu entwickeln scheint. 

Ob die Fortpflanzung und Vermehrung des Lyssavirus demnach an die 
Lebensvorgänge der Nervenzellen geknüpft ist, oder ob hierbei noch andere 
Verhältnisse eine Rolle spielen, entzieht sich zwar der Beurteilung, die bis¬ 
herige Unmöglichkeit, dasselbe ausserhalb des Organismus zu züchten, scheint 
jedoch dadurch ihre Erklärung zu finden. 

In einer weiteren Versuchsreihe suchten sich die Verfasser über die Fort¬ 
pflanzung des Lyssavirus im Zentralnervensystem der Tauben und Hühner zu 
unterrichten. VOgel sind im allgemeinen viel weniger empfänglich gegen das 
Tollwutgift als Kaninchen und Hunde, doch zeigen sich auch hier gewisse 
Unterschiede. Im Taubengehirn kann sich z. B. das Lyssavirus fortpflanzen 
und vermehren, so dass es «relingt, Kaninchen mit einer Emulsion desselben zu 
infizieren, ohne dass die Tauben selbst unter gewöhnlichen Verhältnissen an 
Lyssa erkranken. Dagegen erkranken die mit virus fixe und Strassenvirus 
infizierten Hühner nach verschieden langer Inkubationsdauer und gehen auch an 
Lyssa zu Grunde; es gelingt jedoch nicht in allen Fällen Kaninchen mit dem 
Marke lyssakranker Hühner zu infizieren, was nur auf eine Abschwächung des 
Virus durch die Hühnerpassage zurückgeführt werden kann. 

Noch andere Resultate ergaben die Versuche mit Kaninchen, welche 
nach den Methoden von Pasteur und HOgyes aktiv immunisiert worden 
waren. Hierbei zeigte sich, dass das Lyssavirus nach dem Eintritt der vollen 
mmouität, und zwar nicht vor dem 20. Tage, im Gehirn und Rückenmark der • 



Kleinere Mitteilungen and Befernte ui Zeitschriften. 


869 


immunisierten Tiere zentört wird and verschwindet, während es bei der natür¬ 
lichen Immunität der Tanben in deren Zentralnervensystem erholten bleibt, 
aber fttr die Taaben wirkungslos ist. 

Zam Sehlass stellten die Verfasser noch Versuche mit normalem Kanin- 
ehenserum and Immanseram an, wobei es sich seigte, dass das normale frische 
Kaninchenserum nicht im stände ist, das virus fixe sa zerstören, dass diese 
Eigenschaft aber dem Serum immun gemachter Kaninchen nnter allen Um- 
stinden sukommt. 

Geht man ander Hand dieser Tatsachen aaf die Theorie der Paste er¬ 
sahen Schutsimpfangen näher ein, so wäre demnach die erworbene Immunität 
der empfänglichen Tiere und noch des Menschen gegen das LyBsaTirus aaf 
die durch die Impfungen erworbenen Serumsubstanzen im Blute zurficksnftlhren, 
weiche das Gehirn and Rückenmark in ähnlicher Weise vor der Infektion 
schützen, wie dies mit anderen Organen anch bei anderen Infektionskrank¬ 
heiten, wie bei der Cholera, Pest, Typhus u. s. w. der Fall ist. In dem Zentral¬ 
nervensystem natürlich immuner Tiere, z. B. der Taaben, hält sich zwar das 
Viras längere Zeit, aber ohne dass es za einer Erkrankung kommt, and ohne 
dass sich in dem Sernm dieser Tiere rabizide Schntsstoffe bilden. Der 
Mechanismus der natürlichen and der erworbenen Immunität scheint demnach 
ein darohaas verschiedener za sein, and bedarf noch in vielen Punkten der 
Aufklärung. Dr. H. Martini-Langensalza. 


Ueber einen Fall von Ansbrach der Tollwnt, sieben Monate nach 
der Pastearsehen Schutzimpfung. Von Prof. Dr. Theodor Kasparek 
und Primarius Dr. Karl Tenn er u Prag. Berliner klin. Wochenschrift; 
Nr. 36, 1902. 

Ein 7 jähriges Mädchen, das am 11. September 1901 nebst drei Knaben 
vom einem tollen Hände gebissen war, wurde mit zweien der gebissenen 
Knaben vom 24. September bis 9. Oktober in der Anstalt für Wutschutz- 
impfung in Wien behandelt. Am 9. Mai 1902 erkrankte es and starb am 17. Mai 
an der rasenden Wat oder der konvulsiven Form der Watkronkheit. Das 
Vorhandensein von Lyssa wurde sicher festgestellt durch subdurale Impfung von 
Kaninchen mit der Medalla oblongata. Im Blut der Kranken zeigte sich eine 
Vermehrung der polynukleären Leukozyten. Interessant ist der Fall wegen der 
ungewöhnlich langen Inkubationsdauer (beim Menschen gewöhnlich 20—60 Tage), 
ausserdem dadurch, dass die übrigen 8 Kinder, darunter auch der nicht ge¬ 
impfte Knabe, gesund blieben. Nach den Berichten des Pasteurschen 
Instituts kommt in fast allen geimpften Fällen die Tollwut, wenn überhaupt, 
so entweder während der Impfung wie kurz nach der Impfung (längstens in 
2 Monaten) zum Ausbruch. Der Misserfolg der Schutzimpfung Hesse sich da¬ 
durch erklären, dass die durch die Schutzimpfangen erworbene Immunität 
früher schwindet, bevor dos Gift im Organismus der Gebissenen zerstört wurde. 
Tierversuche des Verfassers ergaben, dass mit Ausnahme der subduralen 
Impfang die Lokalisation der Infektionsstelle zum Verlauf der Infektion oder 
zar Dauer der Inkubation in keiner Beziehung steht. Es kann daher ange¬ 
nommen werden, dass die Länge der Inknbationsdauer nicht abhängig ist von 
der Länge der Nervenstrecke, von der Infektionsstelle bis zum Gehirn, und 
dose es auf die Lokalisation nicht ankommt, da wohl in den meisten Fällen 
der Transport des Virus zum Zentralnervensystem auf anderen Wegen als 
durch die Nerven geschieht. _ Dr. Räuber-Düsseldorf. 

Znr Einheit der Streptokokken. Von Dr. Fritz Meyer-Berlin. 
Berliner klin. Wochenschrift; 1902. Nr. 40. 

Auf Grund selbständiger Untersuchungen einer ganzen Anzahl von 
Streptokokkenstämmen rät Verfasser, mit der Unität der verschiedenen Strepto¬ 
kokken zurückzuhalten und vor allem die byogenen menschlichen Arten von 
den Formen vieler Anginen (Scharlach und Gelenkrheumatismus) und den 
tierischen Streptokokken zu trennen. Bei den Streptokokken des Gelenk¬ 
rheumatismus trat besonders eine geringfügige Virulenz gegenüber der leichten 
Virulenserhöhbarkeit anderer Streptokokken, sowie ein Mangel an hämoUtischem 
Vermögen hervor. Ferner zeigten die Anginastreptokokken, sowohl des Gelenk¬ 
rheumatismus wie des Scharlachs ein fast ebenso reichUches Gedeihen in ihrem 



860 Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 

Kultur - Filtrat wie diejenigen der Drase, während die übrigen Stämme das 
Wachstum in ihrem eigenen Filtrat, wie bereits Marmorek nach wies, ver¬ 
weigerten. _ Dr. Räuber «Düsseldorf. 


Untersuchungen über Streptokokken« und Antistreptokokken« 
Serum. Von Dr. Hans Aronson. Nach einem Vortrag, gehalten in der 
Berliner medis. Gesellschaft am 16. Juli 1902. Berliner Hin. Wochenschrift; 
Nr. 42 und 43. 1902. 

Die Versnobe des Verfassers zur Gewinnung eines wirksamen, für die 
Anwendung bei Menschen geeigneten Antistreptokokkenserums waren von 
Erfolg. Das Marmoreksohe und das v. Tavelsche Serum enthalten keine 
nennenswerten Mengen von wirksamen Antikörpern. Die Immunisierungsversuche 
wurden an Pferden, Ziegen, Kaninchen und weissen Mäusen angestellt. Die 
verschiedenen aus Scharlach-Angina, Diphtherie-Angina, Erysipel, Angina 
follicularis, Gelenkrheumatismus, Sepsis, phtisischem Sputum und der Drusen- 
erkrankung bei Pferden gewonnenen Streptokokken konnten alle durch besondere 
Tierpassagen hochvirulent gemacht werden und vermehrten sich gut in einer 
besonders hergestellten Bouillon. Sämtliche Streptokokken bewirkten Lösung 
des Blutfarbstoffes, dagegen trat keine Hämolyse bei Anwendung der Filtrate 
von Bouillonkulturen ein. 

Die Immunisierung an grösseren Tieren geschah durch subkutane In¬ 
jektion steigender Mengen anfangs weniger virulenter, später der wirksamsten 
Kulturen. Nach Injektion von Scharlachstreptokokken zeigten sich manches 
Mal bei Pferden schwere Gelenkerkrankungen, die ganz den beim akuten 
Gelenkrheumatismus des Menschen anftretenden ähnelten. Es gelang, auch eine 
zur Bestimmung des Gehaltes an Antikörpern brauchbare Methode auszubilden, 
die Vorbedingung und das Fundament für eine Anwendung des Antistrepto¬ 
kokkenserums beim Menschen. Nachdem die Versuche im Königl. Institut für 
experimentelle Therapie Herrn Geheimrat Ehrlich vorgeführt waren, hat 
die chemische Fabrik auf Aktien, vorm. Schering, beim Königl. Preussisehen 
Kultusministerium den Antrag auf staatliche Prüfung des Antistreptokokken¬ 
serams gestellt, den in zastimmender Weise Folge gegeben wurde. 

Mit dem Pfeifferschen Versuch konnte eine Lösung von Kokken 
nicht nachgewiesen werden, die in dem Sernm enthaltenen Antikörper (Ambo¬ 
zeptoren) werden von den Streptokokken nicht gebunden. Das Serum zeigt 
ferner prinzipielle Unterschiede gegenüber dem Typhus- und Cholerasemm, in¬ 
sofern als man mit grösseren Serummengen gegen höbe Mnltipla der einfach 
tödlichen Dosis immunisieren kann und zweitens durch die noch so lange nach 
der Infektion möglichen Heilwirkung. Ausserdem zeichnet sich das Sernm 
dadurch aus, dass es makroskopisch sichtbare Agglutinationserscheinungen auf 
die Streptokokken ausübt und neben dem Agglutinin auch ein spezifisches 
Präzipitin enthält. Das dureb Immunisierung mit Scharlachstreptokokken ge¬ 
wonnene Serum erwies sich in Tierversuchen auch wirksam gegenüber den 
übrigen Stämmen (Erysipel, Diphtherie, Sepsis, Angina, Gelenkrhenmatismus, 
Druse des Pferdes). Ebenso schützt das Serum eines mit Sepsisstreptokokken 
immunisierten Pferdes gegen die anderen Arten (Scharlach nnd Angina). Das 
mangelnde Wachstum der Streptokokken im eigenen Filtrat (Marmorek) 
konnte Verfasser nicht bestätigen. Dass die Immunisiernngen gegen alle 
Streptokokken mit dem Sernm eines Pferdes gelingt, das mit einer Sorte 
behandelt ist, spricht für eine nahe Verwandtschaft aller Streptokokken. Die 
typische Agglutination trat ferner bei allen Stämmen ein, auch bei denen der 
Pferdedruse und des Gelenkrheumatismus. Zu einem Versuch mit dem 
20 fachen Normalserum beim Menschen fordert Verfasser nunmehr auf. 

_ Dr. Räuber-Düsseldorf. 

Ueber Antistreptokokkensernm bei Scharlach. Aus dem Kaiser 
und Kaiserin Friedrich Kinderkrankenhaus. Von Adolf Baginsky. Vortrag 
in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 5. November 1902. Berliner 
Uinisohe Wochenschrift; 1902, Nr. 48 und 49. 

B. nimmt für sich und seinen Assistenten Dr. 8ommerfeld den defini¬ 
tiven Befand und Nachweis der Bedeutung der Streptokokken für die Aetiologie 
des Scharlach in Anspruch. In 696 von 701 Scharlachfällen konnten die 8trepto- 



Kleine*« Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften. 361 

kokken nachgewiesen werden, ausserdem fanden sie sieh in nahem 100 Schar- 
laehleiohen konstant in allen Organen, dem Herzblut, Knochenmark n. s. w. 
Das Marmor eksche Antistreptokokkenserum erwies sich bei 8charlachkianken 
wirkungslos. Das Aronsonsche Serum in grosseren Dosen angewendet gab 
keine befriedigende Erfolge, kein Herabgehen des Fiebers und keine Milderung 
der Erscheinungen des Scharlachs, vielmehr seigten sich ungewöhnliche und 
neitweilig beängstigende, nicht in den üblichen Bahmen der Scarlatina hinein¬ 
gehörige Symptome, wie Milz- und Leberschwellungen, Hautinfiltrate und 
Spritzezantnem. Erst mit einem neuen verbesserten Aronsonsehen Serum 
gelang es, langsam konstante Entfieberung ohne Nebenwirkungen zu erzielen. 
Das Serum hat nicht die m&chtige Wirkung, wie wir es von Diphtherieserum 
her gewohnt sind, wirkt aber doch, wie es scheint, konsequent und nachhaltig. 
Sin von Moser und Escherich hergestelltes Antistreptokokkenserum scheint 
noch günstigere Wirkungen zu haben. Nach seiner Anwendung wurde eine 
gmnz auffällig und geradezu rapid einsetsende Euphorie der bisher Bchwer 
krank erschienenen Kinder mit rascher Entfieberung beobachtet. 

In Nr. 1, 1903, derselben Wochenschrift finden sich mit Bezug auf den 
in Bede stehenden Aufsatz persönliche Bemerkungen von Moser, Baginski 
und Aronson, in denen Moser u. a. die Priorität Baginskys und Aron¬ 
eons angreift. _ Dr. Bäuber-Düsseldorf. 

Ein Fall von Gonokokken - Pneumonie. Von Dr. B r e s s el, Assistenz¬ 
arzt in Draisheim a. Bh. Münchener med. Wochenschrift; 1903, Nr. 18. 

Der Gonococcus zeigt sich bekanntlich nicht nur als Entzündungserreger 
der Urethra, sondern auch als Erreger von Endocarditis, Chonitis, Abszessen 
nnd Polyarthritis; er lässt sich häufig aus dem Blute züchten, sodass kein 
Organ vor seiner Invasion sicher ist. Verfasser teilt nun einen durch Gono¬ 
kokken hervorgerufenen Fall von Pneumonie samt ausführlicher Krankheits¬ 
geschichte und genauem Untersuchungsbefunde (besonders auch von Blut und 
Sputum) mit, wie er einen ähnlichen Fall bisher in der Literatur nicht finden 
konnte. Er hält die Diagnose für unzweifelhaft, da alle bisher bekannten 
Charakteristica als zutreffend sich erwiesen haben, und macht am Schlüsse 
seiner Arbeit noch darauf aufmerksam, dass die Zeit der Blutabnahme für die 
Diagnose ausserordentlich in Betracht kommt Dr. Waibei-Kempten. 


Ueber Meningokokkensepticämie. Aus der mediz. Abt. des Stadt- 
Krankenhauses in Frankfurt a. M. (Oberarzt Professor von Noorden). Von 
Dr. H. Salomon, Sekandärarzt. Berliner Klin. Wochenschrift; 1902, Nr. 46. 

Verfasser beschreibt einen sehr interessanten Krankheitsfall, der nach 
einem über 4 Monate dauernden Krankenlager mit Genesung endete. Patient 
erkrankte mit Schwellungen in Hand-Ellbogen und Fussgelenken, dann traten 
wiederholt Flecke in der Haut auf mit einem dunkleren Zentrum, auch Herpes 
latialis. Erst 2 Monate nach dem Krankheitsbeginn Nackenstarre und Krämpfe. 
Bei den schon in den ersten Tagen, sowie in späterer Zeit vorgenommenen 
Blutentnahmen konnten im Blut Diplokokken des Weichsel bau machen 
Diplococcua intraoellalaris nachgewiesen werden, ebenso wie bei einer nach 
2 Monaten vorgenommenen Lumbalpunktion. Ein ähnlicher Fall wurde 
bisher nur einmal beschrieben, dagegen wurden Exantheme bei der Me¬ 
ningokokkenmeningitis mehrmals beobachtet. Experimentell ist von Kolle 
und Issaeff die Möglichkeit nachgewiesen, dass ein Infektionserreger, der auf 
anderen als gewohntem Wege in den Organismus eintritt, nachher auf dem 
Wege der Blutbahn seine Prädilektionsstelle wiederfindet. Im vorliegenden 
Falle kreiste der Meningococcus fast 2 Monate lang im Blute, aber endlich fand 
er doch noch die gewohnte Lokalisation im Intrameningealraum. Nach Marx 
ist die durch den Meningococcus bedingte epidemische Genickstarre in der Begel 
eine Blutinfektion, mit den Tonsillen als Eingangspforte und dem Meningeal- 
sack als vornehmste Lokalisationsstätte der Mikroben. Nach den vorliegenden 
Erfahrungen wird man jedenfalls die epidemische Genickstarre den Krankheiten 
zureohnen müssen, die meistens zeitweilig septikämischer Natur sind. 

Dr. Bäu her-Düsseldorf. 



962 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


Nene Erfolge des Cancroin beim Krebs der Lunge, des Kehl¬ 
kopfes, der Speiseröhre, des Magens nnd der Brustdrüse. Von Professor 
Dr. A. Adamkiewios in Wien. Berliner klin. Wochenschrift; 1902, Nr.24. 

A. veröffentlicht wiederum eine Anzahl glänzender Erfolge bezw. 
Heilungen mit seinem Serum (Cancroin), die geradezu wunderbar erscheinen. 
Der eine Fall ist von Prof. Kugel in Bukarest in derselben Nummer der 
Berliner klin. Wochenschrift als Heilung beschrieben. 

Das Vertrauen zu der Heilkraft des Serums und die Annahme, dass es 
sich in den beschriebenen Fällen wirklich um günstige Beeinflussung durch das 
Serum handelte, erleiden jedoch eine grosse Einbusse durch die in Nr. 18 der¬ 
selben Wochenschrift enthaltenen Veröffentlichungen von Nothnagel, 
v, Eiseisberg, Poten und Schultz-Schultzenstein-Steglitz. Die 
letztgenannten Antoren haben bei den von ihnen mit Cancroin behandelten 
Krebskranken keinen Einfluss des Serams auf Krebsgeschwülste feststellen 
können. _ Dr. Bänber-Düsseldorf. 

Eine Krebsstatistik vom pathologisch-anatomischen Standpunkt. 
Aus der pathol.-anatom. Anstalt des Krankenhauses im Friedriohshain su 
Berlin (Prosektor: Prof. v. Hansemann). Von Dr. W. Riechelmann, 
früher Volontärassistent der Anstalt. Ibidem; Nr. 81 und 82. 

B. betont die Notwendigkeit einer Krebsstatistik vom Gesichtspunkte 

des patbol. Anatomen, da bei den Sammelstatistiken, die von rein ärztlicher 
Seite gemacht worden, der Begriff „ Krebs“ zunächst nicht festzustellen ist, so 
dass alle möglichen Leiden als Krebs in den Statistiken figurieren, die in Wirk¬ 
lichkeit nie Krebs waren. Von den 7790 Sektionen, die in der Zeit vom 
1. April 1895 bis 24. Juni 1901 im Friedrichshain gemacht wurden, unterzog 
Verfasser 711 Fälle von Karzinom einer Bearbeitung. Jeder elfte Fall im Institut 
war ein Karzinom. Bei den 711 Fällen hatte 156 Mal das Karzinom 
nicht derartige Symptome gemacht, dass die Diagnose gestellt werden 
konnte. Anderseits wurde 58 Mai die Diagnose Krebs gestellt, ohne dass 
dies anatomisch bestätigt werden konnte. Nach dem Verfasser steigt durch 
die Sektionen die Zahl der zur Kenntnis kommenden Karzinome um 
21,94%. Ein Teil der Zunahme der Karzinome ist auf die grössere Zahl der 
Menschen zu beziehen, die in das krebsartige Alter kommen, ein zweiter Teil 
auf die Verbesserung der Diagnosen, ein dritter auf das Auftreten der anato¬ 
mischen Diagnose in den Statistiken. Berücksichtigt man die 58 fälschlich 
diagnostizierten Fälle, so würden noch 98 Fälle oder 13,78 % nicht diagnosti¬ 
zierter Krebse bleiben. Es müssten sich also die Krebsfälle nach Ansicht des 
Verfassers noch um mindestens 18,78 °/o mehren, ehe man anfangen kann, von 
einer Zunahme des Krebses zu sprechen. Dr. Bäuber-Düsseldorf. 


Ueberzieht über die Verbreitung der Krebskrankbeit am Ende 
des 19. Jahrhunderts in einigen ausserdeutsehen Gebieten. Znsammen- 
gestellt auf Grund der Ausweise über die Todesfälle an Krebs oder bösartigen 
Neubildungen. Berichterstatter: Geh. Beg.-Bat Dr. Bähts. Medizinalstatisti- 
■ehe Mitteilungen aas dem Kaiserlichen Gesundheitsamt. (Beihefte su den 
Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts.) Siebenter Band. Drittes 
(Schluss-) Heft. Mit einer Tafel. Verlag von Julius Springer. Berlin 1908. 

Die Tatsache, dass innerhalb von 7 Jahren die Zahl der durch „Neu¬ 
bildungen" verursachten Todesfälle in 10 Staaten Deutschlands um 25% ge¬ 
stiegen ist, hat Anlass zu Untersuchungen gegeben, ob etwa in ausserdeutsehen 
Gebieten eine ähnliche Zunahme der durch „Krebsleiden" oder allgemein dureh 
„Neubildungen" veranlassten Sterbefälle sich feststellen lässt. B. hat sich 
dieser Aufgabe unterzogen und die Ergebnisse seiner Ermittelungen in der 
vorliegenden Arbeit niedergelegt. 

In England sind in den Jahren 1890—1899 durchschn. jährlich 744 auf 
1 Mlll. Einwohner an Krebs gestorben, gegen 671 in Deutschland in den Jahren 
1892—1899 den „Neubildungen" Erlegenen. Die Zahl der Krebstodesfälle hat in 
England seit 1880 um 100 % zugenommen, während die Gesamtzahl aller 
Sterbefälle nur um 10,06 % gestiegen ist. Stets überwog das weibliche Ge¬ 
schlecht, namentlich in den Altersklassen von 85—55 Jahren: von 10000 Ge¬ 
storbenen waren ln den ersten 8 Jahren des zwanzigjährigen Zeitraums 1880 



Kleinere Mitteilungen and fiaternt« aas Zeitschriften. 


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bis 1898: 178 Männer and 866 Frnaen, in den letiten drei Jahren: 846 Minner 
and 568 Frnaen durch Krebs dahingerafft worden. 

ln der Schwein starben auf 1 Million 1889: 1144; 1898 and 1894: je 
1223; 1898: 1329 Personen nachweislich an Krebs, d. h. fast doppelt so viel 
als in Deutschland. Im Laufe der nehn Jahre ist die Zahl der Krebstodeslllie 
in der 8chweiz um 23,4 % gestiegen, während die Gesamtzahl der jährlichen 
Todesfälle gesunken ist. Besonders hoch war die Sterblichkeit in den Kantonen 
Schwyz und Luzern, auffällig niedrig in Tessin. Neuerdings tritt ein Uebef» 
wiegen der männlichen Personen stärker als früher hervor: 51,83:48,17. 

In Italien starben während des Jahrzehnts 1890/99 p. a. 467 auf 
1 Million Bewohner an „bösartigen Neubildungen“, d. h. erheblich weniger als 
in Deutschland und noch weit weniger als in der unmittelbar benachbarten 
Schweiz. Auch hier ist indessen eine Zunahme der Zahl der durch bösartige 
Neubildung verursachten Todesfälle zu verzeichnen, und zwar iBt sie innerhalb 
der genannten 10 Jahre um 29°/ 0 gestiegen. Von 10000 Sterbefällen männ¬ 
licher Personen waren 189, von solchen weiblicher 271 durch betr. Neubildungen 
verursacht. 

In den Niederlanden starben während des Jahrzehnts 1891—1900 
auf je 1 Million p. a. durohschn. 879 Personen an Krebs, und zwar während des 
ersten Jahrfünfts: 821, während des zweiten: 984. Von je 1000 Todesfällen 
waren durch dieses Leiden herbeigeführt: a) bei männlichen Personen zu Be¬ 
ginn des Jahrzehnts 36,6, am finde desselben 51,3; b) bei weiblichen 40,0 resp. 
66,8. Im Laufe des Jahrzehnts hat mithin die Zahl der Krebstodesfäiie bei 
Männern um 30,7 %, bei Frauen um 31,0 °/ 0 zugenommen. 

In Oesterreich sind während der vier Jahre 1895—1898 auf je 
1 Million p. a. durchschn. 665 Sterbelälle an „bösartigen Neubildungen“ vorge¬ 
kommen, und zwar auf 1 Million Männer 618, Frauen 709. Die Zahl der betr. 
Todesfälle hat von 1895—1898 reichlich viermal stärker zugenommen, als dem 
Anwachsen der Bevölkerung entsprochen hätte. Obgleich die Gesamtzahl der 
Todesfälle in demselben Zeitraum um 7 °/ 0 abgenommen hat, ist die Zahl der 
durch betr. Neubildungen verursachten um 12 % gestiegen. Diese Todesursache 
ist vom vollendeten 15.—60. Lebensjahre durchweg häufiger bei weiblichen 
Personen, als bei männlichen, erst nach dem 60. Lebensjahre tritt der umge¬ 
kehrte Fall ein. Die meisten Personen starben in Salzburg, Triest, Wien; die 
wenigsten in Dalmatien, Galizien, Istrien. 

In Norwegen sind während des Jahrzehnts 1891—1900 auf je 1 Million 
im Mittel p. a. 694 Personen an Krebs und 24 an Sarkom gestorben, also zu¬ 
sammen etwas mehr als um dieselbe Zeit in Deutschland jährlich infolge von 
„Neubildungen“ starben, aber weniger als in fingland allein an Krebs jährlich 
gestorben sind. Die Zunahme beträgt in dem Jahrzehnt nicht weniger als 
68%, während die Einwohnerzahl um dieselbe Zeit nur um 11,5% gewachsen ist. 

In den Städten Schwedens — nur für diese liegen Ausweise vor — 
starben in den Jahren 1890—1898 auf 1 Million p. a. im Mittel 996 und 1068 
an Krebs und anderen Geschwülsten. Auf 1000 Todesfälle waren nicht weniger 
als 60 auf Krebs und 64 auf Krebs und andere Geschwülste zurückzuführen. 
Mine wesentliche Zunahme der betr. Todesfälle ist seit 1890 dabei nicht ein¬ 
getreten, da diese Zunahme um 14,7 % ungefähr dem Anwachsen der Ein¬ 
wohner um 14,37 % entspricht. Im letzten Berichtsjahr waren von je 1000 
Todesfällen beim männlichen Geschlecht 25,5 durch Krebs und 3,1 durch sonstige 
Neubildungen, beim weiblichen 40,6 resp. 3,5 verursacht. Mehr als anderwärts 
sind in Schweden Personen erst im höchsten Lebensalter diesen Leiden erlegen; 
54,6 % Männer und 69,3 % Frauen waren über 60 Jahre alt. 

In den Städten Dänemarks sind in den Jahren 1891—1900 im Mittel 
p. a. 1219 auf 1 Million des Krebses erlegen. Die Mortalität an dieser Krank¬ 
heit ist demnach eine hohe. Die Zunahme im Laufe des Jahrzehnts beträgt 
24%; da indessen die-Bevölkerung in demselben Zeitraum um 22% gewachsen 
ist, so kann die Zunahme als eine erhebliche nicht bezeichnet werden. Anf je 
1000 Todesfälle bei Frauen waren 164, bei Männern 91 durch Krebs bedingt. 

Aus Frankreich liegen von 250 Städten mit mehr als 10000 Ein¬ 
wohnern Angaben für die Jahre 1891—1900 vor, wonach auf 1 Million p. a. 
im Mittel 990 Krebsfälle vorkamen, und zwar in Paris 1147 auf 1 Million, in 
Städten mit mehr als 100000 Einwohner 1037, in solchen mit 30 000—100000 
Binwobner 952, im Best 864 anf je 1 Million. Von j,e 1000 Sterbefällen wate 1 







364 Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 

bei Männern 61, bei Frauen 91 durch Krebs bedingt. Die Zunahme beträgt 
ca. 18 ®/ 0 . 

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika kamen während 
des Zeitraums vom 1. Juni 1889 bis 31. Mai 1890 auf je 1 Million 386 Todes¬ 
fälle an Krebs und sonstigen Neubildungen vor, und swar 249 auf 1 Million 
Männer, 426 auf 1 Million Frauen. Die Altersgrenze von 60 Jahren wurde 
seitens 64,9 */ # aller an Krebsleiden gestorbenen männlichen, aber nur von 
40,6 °/ 0 weiblichen Personen Überschritten. Dr. Rost-Rudolstadt. 


Die kombinierte Wirkung chemischer Desinfektionsmittel und 
heisser Wasserdämpfe. Von Stabsarzt Keisaku Kokubo ans Japan. Aus 
dem hygienischen Institut der Universität Göttingen. Zentralbl. f. Bakterio¬ 
logie, Parasitenkunde u. Infektionskrankh.; Bd. 32, I. Abt., H. 3. 

Verfasser suchte experimentell die Frage zu entscheiden, ob Zusätze von 
desinfizierenden Chemikalien znm Wasser die Wirkung der beim Verdampfen 
des letzteren entstehenden Wasserdämpfe unterstützen. Er stellte zunächst 
fest, dass Wasserdampf von 100° Sporen des Kartoffelbacillus in 130 Minuten, 
Bolche eines Trommelschlägerbacillus in 7—8 Minnten und Milzbrandsporen in 
4 Minaten abtötete. Seine Untersuchungen ergaben, dass Essigsäure, Karbol¬ 
säure, Trikresol, Benzoldehyd, Chinosol und Nitrobenzol dem Wasser zugefügt, 
die desinfizierende Kraft der Wasserdämpfe erheblich unterstützen. Kräftiger 
als die genannten wirkte Kreosot, weitaus am besten jedoch Formaldebyd. 
Eine 0,lproz. LöBung dieses Aldehyds tötete die resistenten Kartoffelbaoillus- 
sporen in 7 Minuten, eine 0,6proz. Lösnng in 3 und eine 2proz. Lösung in 
2 Minuten ab, während die Milzbrandsporen von allen Lösungen schon nach 
1 Minute abgetötet waren. Sablimat und Schwefelsäure unterstützten die 
Wirkung der Wasserdämpfe nicht im geringsten. Verfasser sieht als Grund 
dafür den Umstand an, dass der Siedepunkt dieser beiden Chemikalien weit 
über dem des Wassers liegt, und dass die Substanzen sich deshalb nicht mit 
den Wasserdämpfen verflüchtigen. Dr. Lents-Berlin. 


Ein Beitrag znr Frage der Anwendung des Formaldehydgases 
anr Desinfektion. Von 0. Voges-Buenos-Aires. Ibidem; H. 4. 

Voges hat Versuche gemacht, die darauf hinausliefen, die Wirkung der 
Formalin - Wasserdämpfe dadurch zu verstärken, dass in dem Raum, in welchem 
die Desinfektion stattfinden sollte, die Lnft mittelst der Wasserstrahl-Luft¬ 
pumpe stark verdünnt wurde. Der Erfolg war der, dass selbst Milzbrandsporen 
in */* Stande sicher abgetötet wurden. Voges hat nur mit einem kleinen 
Apparat gearbeitet. Da er hiermit so überaus günstige Resultate hatte, em¬ 
pfiehlt er sein Verfahren zur Anwendung im grossen, da die zu überwindenden 
technischen Schwierigkeiten nicht gross sein dürften, sein Verfahren sich jedoch 
für alle Gegenstände, auch solche, welche durch andere Verfahren verdorben 
werden, an wenden lässt. Dr. Len tz-Berlin. 


Untersuchungen über die bakterizide Wirkung des Aetbylalko- 
hols. Von Dr. med. J. Weigl. Aus dem hygienischen Institut der Universität 
München. Archiv f. Hygiene; Bd. 44, H. 4. 

Nach den Untersuchungen von Koch, Reinicke, Ahlfeld u. a. hatte 
der Aethylalkohol seine grösste bakterisierende Kraft in den 60—70 °/* Alkohol 
enthaltenden Verdünnungen gezeigt. Weigl konnte nachweisen, dass anch 
die stärkeren Konzentrationen des Alkohols die gleiche oder grössere bakteri¬ 
zide Kraft besitzen. Voraussetzung hierfür ist nur, dass die abzutötenden 
Bakterien sich einerseits in feuchtem Zustande befinden und anderseits nicht 
in einem Medium eingebettet sind (z. B. Bouillon, Eiter), in welchem durch 
den Alkohol Niederschläge erzeugt werden, welche um die Bakterien eine 
schützende Hülle bilden können, die dem Eindringen des Alkohols Widerstand 
bietet. Zusatz von Säure oder Alkali steigert die Wirkung des Alkohols der¬ 
gestalt, dass ein 80°/ o iger Alkohol mit einem Salzsäuregehalt von ca. 0,6 °/ 0 
fast einer l'/ M igen Sublimatlösung gleiohkommt. Dr. Lents-Berlin. 


Ueber die bakterizide Wirkung der Seifen. Vom Assistenten 
Dr. Däniel Konradi. Mitteilungaus dem Institute für allgemeine Pathologie 



.Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 866 

and Therapie der Königl. ong. Franz Joseph-Universität in Kolozsvär (Direktor: 

Dr. Joseph ▼. Löte, o. ö. Professor). Ibidem; H. 2. 

Konrädi hat eine Resorzinseife anf ihre bakterizide Kraft gegenüber 
Milsbrandsporen geprüft and fand, dass die Seife in 1 °/ 00 iger Lösung die Sporen 
bei Körpertemperatur in etwa 4, bei Zimmertemperatur in 24 Stunden abtötete. 

Er fand, dass die Seife diese bakterizide Kraft weder der Seifensabstanz selbst, 
noch dem Resorzin verdanke, sondern ausschliesslich den odorierenden Zntaten, 
welche in Terpinoel, Vanilin, Kumarin and Heliotropin bestanden. (Hieraas 
mögen sich z. T. auch die verschiedenen, oft weit divergierenden Resultate 
erklären, za welchen andere Untarsacher, die Verfasser anführt, bei der Prüfung 
der bakteriziden Wirkung verschiedener Seifen kamen. Ref.) 

_ Dr. Lentz-Berlin. 

Untersuchungen über die vermutete Absorptionsgefahr bei Ver¬ 
wendung des Quecksilbers su Desinfektionen mit Korrosiv-Sublimat. 

Von Dr. E. Bertacelli. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten; 

Bd. 42, H. 3. 

Die Entscheidung der Frage, ob die Verwendung von Sablimatlösungen 
bei Desinfektionen von Räumen die Gefahr einer Quecksilbervergiftung, sei es 
für die Bewohner oder für die die Desinfektion ausführenden Personen, in sich 
sehliesst, hat naturgemäss bei den anerkannt vorzüglichen desinfizierenden 
Eigenschaften dieses Quecksilbers eine hohe praktische Bedeutung. Während 
einzelne Autoren, wie Guttmann, Merke, Sjöqwist und Mörner, aller¬ 
dings auf Grand nicht ganz exakter und erschöpfender Beobachtungen die 
obige Frage bejahen za müssen glaubten, hielten wiederum andere Forscher, 
wie Krupin, Bordoni-Uffreduzzi und Ottolenghi nach ihren Er¬ 
fahrungen jede Vergiftangsgefahr dabei für ausgeschlossen. 

Um zuverlässige Grundlagen zur Beurteilung dieser gewiss nicht un¬ 
wichtigen Angelegenheit za gewinnen, hat der Verfasser während der Jahre 
1900 und 1901 in dem hygienischen Universitätsinstitut zu Turin zahlreiche 
Versuche an Menschen und Tieren ausgeführt, indem er teils von Leuten, welche 
die mit 10 0 / M iger Sublimatlösung desinfizierten Zimmer bewohnten, teils von 
den Desinfektoren selbst, den Kot und Urin sammelte und nach der Methode 
von Fresenins-Babo auf das Vorhandensein von Quecksilber regelmässig 
untersuchte. Hierbei fanden sich nur bei einem Desinfektor in den Abgängen 
vorübergehend ganz geringe Sparen von Quecksilber vor, während die Proben 
bei allen übrigen Versuchspersonen ein völlig negatives Resultat lieferten. 

Darauf stellte Verfasser mehrere Reihen von Tierversuchen in der Weise 
an, dass er Mäuse 4 Wochen lang in zwei kleinen Kammern von Holz und 
Zement, deren Wände während des Versuches wiederholt mit 10 °/ 00 iger Subli- 
matlösung bestrichen wurden, eingeschlossen hielt, nach 4 Wochen tötete und 
deren Körper mit Ausnahme des Felles, der Schoauze und der Pfoten in einem 
Mörser zu einem Brei oinstampfte, welcher gleichfalls einer chemischen Analyse 
auf Quecksilber unterworfen wurde. Von 14 so behandelten Tieren Hessen 
nur 2 äasserst geringe Queoksilberspuren erkennen, die Organe aller übrigen 
waren frei davon. 

Um auch die Fehlerquelle auszuschliessen, dass die Tiere bei diesen Ver¬ 
sacken durch Belecken der desinfizierten Wände geringe Mengen von Queck¬ 
silber in sich entnehmen könnten, wurde dann eine andere Reihe von Mäusen 
in denselben Kammern auf dichte Metallnetze gesetzt, welche einige Zenti¬ 
meter vom Fassboden entfernt waren, und auch die Wände mit ähnlichen 
Netzen verkleidet, sodass ein Belecken derselben durch die Tiere unmöglich 
war. Hierbei zeigte sich nun, dass von 14 während 4 Wochen in diesen 
Kammern gehaltenen Mäusen weder die Organe, welche in der vorher geschil¬ 
derten Weise untersucht wurden, noch die gleichfalls während der Versuchszeit 
regelmässig gesammelten Fäkalien irgend eine Spur von Quecksilber auf- 
wiesen, obwohl die Kammern häufig mit 10°/ M iger Sublimatlösung desinfiziert 
worden. 

Da bei der Ausführung der Desinfektionen mit Sablimatlösungen die ^ 
Flüssigkeit häufig verspritzt wird, so liegt die Vermutung nahe, dass durch die ■ 
Atmungsorgane eine Aufnahme von Quecksilber in den Körper stattfinder 
könnte, wenn sich die Flüssigkeit in Gestalt von feinsten Tröpfchen unter Um 




866 


Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


ständen längere Zeit in der Laft schwebend erhalten kann. Verfasser brachte 
nun in einer Kammer von 20 cbm Raamgehalt etwa 40 Liter einer 10 °/ #0 igen 
Sublimatlösung gegen die Wände and den Raum sar Vorspritzung and unter¬ 
suchte nach Ablauf von einer Stande die Laft des Zimmers auf daB Vorhanden¬ 
sein von Quecksilber, indem er sie durch einen Aspirator ansaugte and durch 
destilliertes Wasser streichen liess. Aach bei diesen Versuchen konnte in 
keinem Falle in den WasBerproben, daroh welche stets 25 Liter der desinfi¬ 
zierten Laft hindurchgegangen waren, eine Spor von Quecksilber nachge¬ 
wiesen werden. 

Aas allen diesen Versuchen geht mit grosser Sicherheit hervor, dass von 
einer Vergiftangsgefahr bei der Desinfektion mit Sublimatlösungen keine Rede 
sein kann. Da der Verfasser meist mit 10 igen Lösungen arbeitete, so 
schlägt er vor, die Desinfektionen gleichfalls mit so starken Lösungen auszu- 
führen, welohe weit wirksamer sind, als die gewöhnlich verwendeten 1 bis 
2 0 /«pigen, und dabei, wie seine Versuche zeigen, die Gesundheit in keiner 
Weise gefährden. Dr. H. Martini-Langensalza. 


Vergleichende Versuche über die Infektionskraft älterer und 
neuerer Quecksilber- und Phenolpräparate. Von Dr. Fritz Hammer. 
Aus der Untersnchangsstation des k. Garnisonlazarettes Würzburg. Münchener 
med. Wochenschrift; 1908, Nr. 10. 

Es erschien dem Verfasser von pathologischem Interesse, eine Reihe von 
in der neaeren Zeit in den Handel gebrachten Quecksilber- und Phenolpräpa¬ 
raten auf ihre Wirksamkeit als Desinfektionsmittel zu prüfen, und zwar von 
den Qneck8ilberverbindangen: Sublimat, Sublamin, Hydrargyrum oxycyanatum, 
von den Phenolpräparaten: Karbol, Kresol, Lysol, Kresolseifenlösung, Bazillol, 
Lysoform. 

Verfasser stellt das Resultat der Untersuchung tabellarisch zusammen, 
welches ergibt, dass Sublimat den Sieg über alle die genannten Desinfektions¬ 
mittel davon trägt. Ferner ergaben die Versuche, dass verschiedene 
Bakterien demselben Mittel gegenüber sich verschieden ver¬ 
halten. Will man also gegen eine bestimmte Bakterienart die Desinfektions¬ 
kraft rüsten, so ist nicht jedeB Desinfektionsmittel brauchbar. 
Man ist gezwungen, das für diese Gruppe besonders schädliche auszuwählen, 
mit anderen Worten: zu individualisieren. Dr. Waibei-Kempten. 


Untersuchungen über die keimtötende und entwlckelnngs- 
hemmende Wirkung des Lysoforms. Von Otto Seydewils. Aus dem 
hygienischen Institut zu Greifswald (Direktor: Geheimrat Loeffler). Zentral¬ 
blatt f. Bakteriologie, Parasitenkunde u. Infektionskrankh.; Bd. 22, I. Abt., H. 8. 

Seydewitz hat die keimtötende und entwickelungshemmende Wirkung 
des Lysoforms gegenüber verschiedenen pathogenen Mikroorganismen geprüft 
und kommt dabei zu dem Schluss, dass daB Lysoform unzweifelhaft imstande 
ist, die pathogenen Mikroorganismen sowohl in Aussaat, wie in Kultur abzu¬ 
töten, dass es jedoch gegenüber den Kulturen einer relativ langen Ein¬ 
wirkungsdauer im Vergleich mit anderen Desinfizientien dazu bedarf; seine 
entwickelungshemmende Kraft ist grösser alB die der Karbolsäure und kommt 
der des Formalins gleich. _ Dr. Lentz-Berlin. 


Ergänzungsblatt 3 nnd 8 zum preussischen Hebammenlehrbuch. 
Von Prof. Geh. Med.-Rat Dr. Ahlfeld-Marburg. Zentralbl. f. Gyn.; 1902, 
Nr. 32. 

Ein weiterer Beitrag zum mikroskopischen Nachweis vom Ein¬ 
dringen des Alkohols in die Hant bei der Heisswasser-Alkohol¬ 
desinfektion. Von Dr. Fett. Aus der Universitätsfrauenklinik zu Marburg. 
Zeitschr. f. Geb. und Gyn., Bd. XLVII, Heft 3. 

Im Laufe der letzten Jahre sind Ergänzungsblätter zum preussischen 
Hebammenlehrbuche erschienen, unter welchen Nr. 8 neben der Karbolsäure 
das Lysol und Nr. 8 nebem dem Lysol auch der Gebrauch des Liquor Cresoli 
saponatus den Hebammen zur Desinfektion gestattet. Ahlfeld unterzieht die 
genannten Erlasse einer sehr scharfen Kritik, zumal in erster Linie das Lysol 
ein Mittel sei, welches nicht einmal in der deutschen Pharmakopoe enthalten 



Kleinere Mitteilungen und Beferate aus Zeitschriften. 


067 


ist und aber dessen desinfektorisehe Kraft die Meinungen noch sehr auseinander* 
gehen. Wenn man statt des letzteren den Liquor Cresoli einsetzte, so sei 
dies schon richtig, jedoch sei die im Erlasse gebrauchte Bezeichnung „Kresol- 
seife“ durchaus falsch, und durch „Kresolseifenlösung“ oder „8eifenkresol“ zu 
ersetzen. Ausserdem macht Ahlfeld darauf aufmerksam, dass beide Mittel 
in der vorgeschriebenen Verdünnung viel zu unsicher wirken und durch eine 
3 •/„ ige bezw. 2°/ 0 ige (letztere zu Abspttlungen) zu ersetzen seien. Ah lfeld 
wundert sioh, dass man den Alkohol, dessen desinfizierende Kraft doch viel¬ 
fach bewiesen sei, nicht zur Desinfektion gestatte, und gibt einige sehr beherzi¬ 
genswerte Winke ffir das neu zu bearbeitende preussische Hebammenlehrbuch. 

Nachdem gerade aus der Ahlfeldschen Klinik schon a. a. 0. über 
die desinfizierende Kraft des Alkohols (cf. Zeitschr. f. Geb. und Gyn. Bd. XLVII., 
Heft 1) Arbeiten erschienen waren, bringt Fett neuerdings einen sehr schonen 
experimentellen Beweis der Tiefenwirkung des Alkohols bei der Desinfektion 
der Hand. Auf Anregung Ahlfelds hat Fett Versuche mit Kupfernitrat¬ 
lösung angestellt und weist nach, dass bei Behandlung der Haut mit der 
wässerigen Kupfernitratlösung nur wenig oder gar kein Ferrocyankupfer in 
die Epidermis eindringt, während bei der alkoholischen Lösung sowohl die 
Epidermis als auch das tieferliegende Bindegewebe, mikroskopisch nachweisbar, 
Ton dem chemischen Agens durchdrungen ist. Dieser Versuch beweist zur Genüge 
die energische Tiefenwirkung und damit die Zuverlässigkeit des Alkohols. 

Bef., welcher häufig geburtshttlflich mit Lysol gearbeitet hat, muss 
Ahlfeld vollkommen Becht geben bezüglich der mangelhaften Zuverlässigkeit 
des Lysols, und möchte hier nur darauf hinweisen, dass bezüglich dieses, sogar 
in Drogerien freigegebenen Mittels zweifelsohne verschiedene, nicht immer zu¬ 
verlässige Präparate zum Verkauf kommen. Auch dürfte hier erwähnt werden, 
dass das Lysol sioh je nach dem Kalkgehalte des Wassers verschieden verhält 
und oft in kalkreichem Wasser unangenehme Niederschläge bewirkt. 

Dr. Walther-Giessen. 


Beitrag zum bakteriologischen Nachweis von Trinkwasserverun- 
reinigangen anlässlich infektiöser Erkrankungen. Von k. k. Landes¬ 
regierungsrat Dr. Mensburger, Landessanitätsreferent, und k. k. Sanitäts¬ 
assistent Dr. Bambousek, em. Assistent der Hygiene. Aus dem Sanitäts¬ 
departement der. k. k. Landesregierung in Klagenfurt. Zentralbl. f. Bakterio¬ 
logie, Parasitenkunde u. Infektionskrankb.; Bd. 32, I. Abt., H. 6. 

Verfasser benutzten bei ihren behufs Beurteilung von Trinkwasser 
aigestellten Untersuchungen neben dem Plattenzählverfahren die Parietti- 
sche Methode, welohe ursprünglich für den Nachweis des Typhusbacillus ange¬ 
geben worden war. Diese wird folgendermassen ausgeführt: Drei Bouillon- 
röhrehen mit ca. 6 ccm Bouillon werden mittelst einer 4°| 0 Salzsäure und 5°/ 0 
Karbolsäure enthaltenden Lösung (Pariettis Säure) in der Weise angesäuert, 
dass das erste Böhrchen mit 3, das zweite mit 6 und das dritte mit 9 Tropfen 
von diesem Säuregemiscbe versehen werden; man fertigt sich drei Serien solcher 
Böhrehen (im ganzen also 9 Eprouvetten) an; der ersten Serie werden 4 Tropfen 
(= ca. 0,2 ccm), der zweiten 8 Tropfen (= ca. 0,4—0,5 ccm), der dritten 12 
bis 16 Tropfen (= ca. 1 ccm) des zu untersuchenden Wassers hinzugefügt. 
Die Böhreben kommen dann für 24—48 Stunden in den Thermostaten. 

In den Böhroben können wegen ihres Säuregehaltes fast ausschliesslich 
Bakterien aus der Coli-Typhusgrnppe fortkommen, während alle anderen zu 
gründe gehen. Tritt also in den Böhrehen Trübung anf, so ist der Verdacht 
vorhanden, dass das untersuchte Wasser durch Fäkalien (die als colihaltige 
Verunreinig ung en wenigstens von Brunnenwasser gewöhnlieh wohl allein in 
Frage kommen dürften. Anm. d. Bef.) verunreinigt ist. Durch das weitere 
Plattenkulturverfahren muss man diesen Verdacht zu sichern suchen, um bei 
Bestätigung desselben die weitere Benutzung des fraglichen Wassers zu Ge¬ 
nuss- oder Gebrauchszwecken zu verhindern. Dr. Lentz-Berlin. 


Ueber die Vernnreinignng des städtischen Hafens und des Flusses 
Akerselven durch die Abwässer der Stadt Christlania. Von Dr. Axel 
Holst, o. ö. Professor, Dr. Magnus Geirsvold, Assistent am hygienischen 
Institute, und SigvarSchmidt-Nielsen, Chem.-Ingenieur. Ans dem hygieni 



368 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


•eben Institute der Universität Christiania. Mit Tafel II—IV. Archiv f. Hjg.; 
Bd. 42, Heft 1 u. 2. 

Die Verunreinigung des Flusses Akerselven, welcher mitten durch 
Christiania läuft, und des Hafens von ChriBtiania stammt im wesentlichen von 
den 220000 Einwohnern der Stadt; die im Hafen befindlichen ca. 6000—7000 
Seeleute spielen daneben keine grosse Rolle. Fluss und Hafen werden die 
Verunreinigungen durch die Siele der Stadt angeführt; Fäkalien nehmen die 
letsteren nicnt auf. Das Sielwasser hat an der Mündung der Siele eine gelb¬ 
liche oder graue Farbe und neutrale oder schwach alkalische Reaktion, und 
selten einen auffallenden Qeruch, sein spezifisches Gewicht ist 1003—1012; es 
ist leicht trühe. Es enthält ca. 0,45 g pro Liter Schwebestoffe, ca. 0,64 g ge¬ 
löste Stoffe und grosse Mengen von Bakterien; die Anzahl der letzteren 
schwankte im Kubikzentimeter zwischen mehreren Hunderttausenden und 
50 Millionen. Die Verfasser berechnen, dass durch die Siele Christianias im 
Jahre ca. 4000 Tonnen an Schwebestoffen und ca. 6000 Tonnen an gelösten 
Stoffen entleert werden. 

Die Schwebestoffe setzen sich im unteren Laufe des Akerselven und im 
Hafen als lockerer schwarzer Schlick ab; dieser Schlick erreicht an vielen 
Stellen eine Mächtigkeit von 1 m und darüber und gibt die Veranlassung an 
fortwährenden Baggerarbeiten. In dem Schlick spielen sich fortwährend 
Gährungsprozesse ab, welche sich durch die Entwickelung grosser Mengen 
brennbarer und übelriechender Gase bemerkbar machen. Die letzteren werden 
besonders während der warmen Jahreszeit zu einer Plage der Anwohner des 
Hafens. Diese Gasbildung ist die Folge der Lebenstätigkeit von Mikroorga¬ 
nismen. Die Verfasser konnten aus Schlammproben 2 Kurzstäbchen isolieren, 
welche im stände waren, bedeutende Mengen brennbarer Gase zu bilden, die 
reiehlich Schwefelwasserstoff enthielten. 

Die chemische Untersuchung des Schlammes ergab, dass derselbe im 
unteren Laufe des Akerselven und im inneren Hafen die grössten Mengen 
organischer Substanzen enthielt; dem entsprach auch der Gehalt des Schlammes 
an Schwefelwasserstoff und Sulfiden, die an diesen Stellen am reichlichsten im 
Sehlamm enthalten waren. 

Dass die Sedimentierung der Schwebestoffe keiner Selbstreinigung des 
Fluss- bezw. HafenwasBers entspricht, haben die Verfasser durch eine Prüfung 
des Wassers bezüglich seines Gehaltes an Chloriden und besonders an Bakterien 
nachweisen können. Besonders die Keimzahl des Fluss- wie des Hafenwassers 
in der Nähe der Stadt Hess keinen Zweifel darüber, dass beide dauernd durch 
die Abwässer dar Stadt ganz beträchtlich verunreinigt werden, und dass weder 
im Fluss Akerselven, noch im Hafen eine ausreichende Verdünnung der ein- 
fliessenden Sielwässer stattfindet. Etwas günstigere Verhältnisse liess das 
Wasser des Hafens in der kurzen Zeit von Ende März bis Anfang Juni er¬ 
kennen, insofern, als in dieser Zeit die Keimzahl des Hafenwassers erheblich 
niedriger war, als in den übrigen Monaten. Dr. L e n t z - Berlin. 


Versnobe mit Nachbehandlung der Frankfurter Abwässer in 
Oxjdationsflltern. Von Prof. Dr. Freund, Dozent des physik. Vereins zu 
Frankfurt a.M. und H. Uhlfelder, Stadthauinspektor ebenda. Deutsche 
Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege; Bd. XXXIV., H. II. 

Die Frankfurter Klärbeckenanlage dient für die Reinigung 
sämtlicher städtischer Abwässer mit Einschluss der menschlichen Abgänge 
und der gewerblichen Abwässer. Dnrch den Sandfang und die Rechen werden 
dis gröbsten Sink- und Schwimmstoffe ausgeschieden, worauf die eigentliche 
Klärung der mit Chemikalien versetzten Abwässer in 4 grossen Becken erfolgt. 
Mit der Zunahme der Bevölkerung stellte sich die Notwendigkeit herauB, die 
Kläranlagen zu vergrössern. Wegen der bedeutenden Kosten einer derartigen 
Erweiterung wurden Versuche angestellt, ob nicht andere Methoden zur Reini¬ 
gung der Abwässer, in Verbindung mit der bestehenden Kläranlage billiger 
zum Ziele führen könnten, insbesondere das bereits anderweitig bewährte sog. 
biologische Verfahren. Die Versuchsreihen, deren Einzelheiten im Ori¬ 
ginal eingesehen werden müssen, wurden in einer kleineren Filteranlage ange¬ 
stellt und standen unter Kontrolle der Herren Geh. Rat Dr. Scbmidtmann 
“4 Prof. Proskauer in Berlin; sie erstreckten sich auf einen Zeitraum von 


1 



Besprechungen. 


869 


einem Jahre. Sie wurden so vorgenommen, dass Wasser, das in den Beeken 
auf rein mechanischem Wege, also ohne Zusatz von Chemikalien vor- 
gekl&rt war, langsam Yon oben in die Filter einlief, dort llngere Zeit rnhig 
stand nnd dann langsam von nnten abgezogen wurde, worauf der Filter snr 
Regenerierung einige Zeit leer blieb. Es hat sich dabei ergeben, dass ein er¬ 
heblicher Teil der Vernnreinignngen schon im Laufe von 15 bis 20 
Hinnt en entfernt wird; nach einstttndigem Stehen ist der höchste Effekt 
beinahe erreicht. Es ist ausgeschlossen, dass in so kurzer Zeit dieser Erfolg 
unter Mitwirkung Yon Mikroorganismen, wie er für das „biologi¬ 
sche" Verfahren vorausgesetzt wird, eintreten kann; dass keine nitrifizierend 
wirkenden Bakterien dabei in Frage kommen, ergibt sich daraus, dass Nitrite 
oder Nitrate in den gereinigten Abwässern sich nicht fanden. Die Wirkung 
der Koksfilterbecken muss vielmehr auf physikalische Ursachen zurtickgefllhrt 
werde n. 

Nach den verschiedenen Analysen ergab es sich, dass der Beinigungs- 
effekt lange nicht so gross war, wie man nach den Angaben, die von anderer 
Seite über das biologische Verfahren gemacht wurden, voranssetzen konnte, 
und dass das Oxydationsverfabren recht kostspielig ist. Der Grund dafür 
scheint in den Verhältnissen Frankfurts zu liegen, wo die Abwässer relativ 
rein sind und in wenig gefaultem Zustande in die Kläranlage eintreten; sie 
besitzen nach mechanischer Klärung ohne Chemikalien einen Reinheitsgrad, 
ähnlich den nach dem Kohlebreiverfabren in Potsdam behandelten Abwässern. 

Das Oxydationsverfahren wird fflr einzelne, von Flüssen entfernt liegende 
Anwesen und abgelegene Anstalten in Gebirgstälern oder auch für Städte mit 
kleineren Wasserläufen wohl als Ersatz fflr Rieselfeldanlagen Anwendung finden 
können, fflr Städte jedoch, die Aber einen wasserreichen Flusslanf verfügen, 
würde es einen gewissen Luxus bedeuten. Denn die sehr feinen Schmutzstoffe, 
die nach einer mechanischen Reinigung im Wasser noch verbleiben, verfallen 
leicht und rasch, wie die 15jährige Erfahrung in Frankfurt beweist, der Mine¬ 
ralisierung im Flusse; auch die Fäulnisfähigkeit des geklärten Wassers wird 
schon durch eine mässige Verdünnung mit Flusswasser beseitigt. 

*Man wird sich deshalb in Frankfurt zur Einführung des Oxydationsver¬ 
fahrens schwerlich entscbliessen. Dr. Glogowski-Görlitz. 


Besprechungen. 

Dr. Kux Kuhane-Wien: Therapie der Erkrankungen den Respi¬ 
ration»- und Zirkulationsapparates. Mediz. Handbibliothek; II. Bd. 
Wien u. Leipzig. 1902. Verlag von Alfred H öl der. Kl. 8°. 394 Seiten. 
Preis: 6M. 

Das Bestreben des Verfassers, dem Bedflrfnisse des praktischen Arztes 
entsprechend in kurzer, leicht fasslicher Form alles Wissenswerte, auch das 
Neueste, auf dem Gebiete der Therapie bezüglich der Erkrankungen des.Respi- 
rations- und Zirkulationsapparates zu bringen, isc als durchaus gelungen an- 
znerkennen. K. bat den Stoff klar und übersichtlich behandelt. Unter Hinweg- 
laasung historischer und literarischer Details wurde auf die Besprechung der 
Krankheitsursachen und ihrer Bedeutung fflr Prophylaxe und. Therapie um so 
grösseres Gewicht gelegt. Anatomische Veränderungen sind nur soweit 
berücksichtigt, als dies zur wichtigen Beurteilung des Krankbeitsbildes erfor¬ 
derlich ist. Von den Heilmitteln und Heilmethoden ist im allgemeinen nur 
Erprobtes und Bewährtes und zwar unter kritischer Abwägung seines Wertes 
je nach den Eigenarten des einzelnen Krankheitsfalles erwähnt. Dabei bat 
Verfasser die gerade in der Therapie der Lungen- und Herzkrankheiten in 
neuester Zeit zu fast universeller Anerkennung gelargte physikalische, bezw. 
hygienisch - diätetische Richtung eingehendst berücksichtigt. Das Kapitel Aber 
„Lungentuberkulose“ ist m. E. vorzüglich; es ist vollständig nnd zugleich 
knapp, belehrend und zugleich unterhaltend, und mit vollem Verständnis fflr 
die in die Phthiseotherapie hineinspielenden sozialen Momente behandelt. 

Dr. Roepke-Lippspringe. 


Dr. Matterer - ErfurtKarze Darstellung des preusslsohen Gesetzes 
betreffend die ärstlipfeen Ehrengerichte, das Umlagereoht nnd 



370 


Tagesnachriohten. 


die Kassen der Aerztekammern vom £6. Not. 1890. Mit 2 Licht¬ 
drucktafeln. Leipzig 1902. Verlag von Job. Ambrosius Barth. Kl. 8°. 48 8. 
Preis: 0,80 Mark. 

Die Abhandlung erllntert in knapper, übersichtlicher Darstellung die 
staatlieherseits dem Amte gegebene gesetzliche Handhabe snr Wahrung 
seiner Standesehre, sowie die ärztliche Ehrengerichtsbarkeit. Als Anhang ist 
ein Auszug ans den Verordnungen über die ärstliehe Standesvertretung bei¬ 
gegeben. Dr. Roepke-Lipppringe. 


Tagesnachrichten. 

Anz dem Beiohztage. Jn der Sitsnng am 22. April d. J. ist der 
Gesetzentwurf, betreffend die Phosphor* undwaren, nach längerer Beratung in 
zweiter Lesung in der von der Kommission vorgeschlagenen Fassung ange¬ 
nommen. Ein Antrag auf Entschädigung für Arbeiter und Fabrikanten wurde 
abgelehnt, dagegen einer von der Kommission vorgeschlagenen Resolution zuge¬ 
stimmt, durch die der Reichskanzler ersncht wird, „auf die Landesregierungen 
einznwirken, dass sie geeignete Massregeln treffen, um in den durch das Verbot 
der Verwendung des weissen Phosphors zur Herstellung von Streichhölzern 
besonders betroffenen Gegenden, soweit nötig, anderweitige, geeignete Arbeits¬ 
gelegenheit zu beschaffen.“ Als Termin des Inkrafttretens des Gesetzes wurde 
der Regierungsvorlage entsprechend der 1. Januar 1908 bestimmt. 

In den Sitzungen vom 23. und 26. April erfolgte die zweite Beratung der 
Novelle zum Krankenkassengesetz. Dasselbe wurde ebenfalls in der 
Fassung der Kommissionsbeschlüsse angenommen; ausserdem auch eine Be¬ 
stimmung, dass die Handelsgehilfen ohne Ausnahme in das Gesetz einsubesiehen 
seien. Ein Antrag, dass die Versicherten, die sich eine Krankheit durch Trunk- 
Süchtigkeit sagesogen haben, ebenfalls der Wohltaten der Krankenversiche¬ 
rung nicht mehr verlustig gehen sollten, wurde abgelehnt. 


Aus dem preuzsiaohen Abgeordnetenhause. In der Sitzung am 
22. April d. J. gelangte der Antrag Dr. Langerhans, betreffs Abänderung 
des Gesetzes, betr. die ärztlichen Ehrengerichte, das Umlagerecht und 
die Kassen der Aerztekammern, zur Beratung. Der Antragsteller wies 
darauf hin, dass insbesondere das Umlagererfahren, wie es heute ausgeflbt 
werde, sehr reformbedürftig sei. Min.-Direktor Dr. F 0 r s t e r erwiderte hierauf, 
dass der Kultusminister die Absicht habe, dem Hause in der nächten Session 
einen Gesetzentwurf, betr. anderweitige Regelung des Umlageverfabrens, vor¬ 
zulegen. Mit Rücksicht auf diese Erklärung zog hierauf Dr. Langerhans 
seinen Antrag zurück. 

In der Sitzung am 21. April wurde der Antrag der Abg. Ernst und 
Kindler auf Errichtung von Kurhospitälern und Genesungsheimen für 
Eisenbahnbeamte nach kurzer Debatte der Budgetkommission überwiesen. In 
derselben Sitzung erklärte bei Gelegenheit der Beratung des Antrages Weihe 
betreffs Errichtung von kleinen Rentengütern der Finanzminister v. Rhein¬ 
baben in Bezug auf die Wohnungsfürsorge, dass dieser Frage von Seiten 
des Staates das grösste Interesse entgegengebracht werde und die Regierungs¬ 
präsidenten angewiesen seien, dieselben in jeder Weise zu fördern und zu unter¬ 
stützen. Desgleichen sei ein Entwurf für ein Wohnungsgesetz fertiggestellt, 
der in nächster Zeit den Regierungspräsidenten und einer Anzahl besonders 
auf diesem Gebiete vertrauter Bürgermeister und Oberbürgermeister zur Aeusse- 
rung zugehen werde; denn man müsse sich hüten, bei dieser Materie zu sehablo- 
nisieren. In dem ausgearbeiteten seien keine Minimalvorschriften für Bebau¬ 
ung, wohl aber hinsichtlich der Benutznng der Gebäude vorgesehen. 


In parlamentarischen Kreisen soll nach den politischen Blättern die Hoff¬ 
nung, die Gesetzentwürfe, betreffend die Ausführungsbestimmnngen zum 
Reichsseuchengesetz, und betreffend die Gebühren der Medizinalheamten, 
noch in dieser Session zu erledigen, vollständig aufgegeben sein. Die betreffende 
Kommission des Abgeordnetenbaases hat am 21. April ihre Sitzungen wieder 
auf'mmen. Dem Vernehmen nach macht besondere Schwierigkeit die Kosten- 



Tigeauckriektea. 


371 


deckungsfrage und die Sicherung gegen anberechtigte Belastung. Es sind noch 
neue Anträge eingegangen, die diese Sicherung durch die Erm&gUchung von 
Beschwerden beim Bezirksausschuss beabsichtigen, da eine nachträgliche Klage 
nicht den genügenden Erfolg verspreche. Die Kommission dürfte diesen Vor¬ 
schlägen beitreten; man bezweifelt aber, dass dann die Regierung noch Wert 
auf die Weiterberatung des Entwurfes legt, zumal das Herrenhaus in diesem 
Punkt noch schwieriger sich erweisen dürfte, als das Abgeordnetenhaus. Damit 
würde leider der Gesetzentwurf ebenso wie der Entwurf für die Gebühren- 
festsetznng der Medizinalbeamten nicht zur Verabschiedung gelangen. 


In der am 4. April d. J. stattgehabten Sitzung des Wftrttembergi- 
zchen Landtages brachte bei Gelegenheit der Btatsberatung der Abg. Betz- 
Heilbronn die Kurpfascherfrage zur Sprache und verlangte, dass die Aerste 
in ihrem Kampfe gegen das Kurpfuschertum noch mehr unterstützt werden 
müssten. Die gesetzliche Freigabe des Kurierens bedeute eine Freigabe des 
Betrugs und der Lüge, ein Untergraben der Volksgesundheit, sowie ein Her¬ 
unterdrücken des ärztlichen Standes. Der Minister des Innern v. Pischeck 
erklärte, dass die Regelung der Angelegenheit Sache deB Reiches sei, und von 
diesem auch vor einiger Zeit Erhebungen dieserhalb eingeleitet seien. Jeden- 
. falls werde aber die württembergische Regierung bei einem Kampfe gegen die 
Kurpfuscherei, die leider in Deutschland einen grossen, auf die Bildung des 
Volkes ein unangenehmes Sohlagücht werfenden Umfang angenommen habe, 
sehr gern mitwirken. _ 


Auf der am 19. und 20. April d. J. in Jena abgehaltenen Jahres¬ 
versammlung des Vereins deutscher Irrenärzte kam auch die bekannte Ver¬ 
fügung des preussischen Justizministers über das Verfahren 
bei Entmündigungen wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche 
zur Verhandlung. Auf Antrag des Referenten, Dr. Thomsen-Bonn, wurde 
folgende Resolution einstimmig angenommen: „Der Verein deutscher Irrenärzte 
erblickt die unbedingt nötige Garantie für die Beibringung eines zuverlässigen 
Beweismaterials über den Geisteszustand eines zu entmündigenden Anstalts¬ 
insassen nur darin, dass das Entmündigungsgutachten unter Hinzuziehung der 
behandelnden Anstaltsärzte abgegeben wird. Der Verein beauftragt seinen 
Vorstand, diese Ueberseugung in einer Eingabe zur Kenntnis des Herrn Justiz- 
ministers zu bringen.“ Mit dieser Resolution können sich auch die Medizinal¬ 
beamten einverstanden erklären; denn es kann ihnen als Sachverständige in 
Entmündigungssachen nur sehr erwünscht sein, wenn auch die behandelnden 
Anstaltsärzte in den betreffenden Fällen hinzugezogen werden. Eine Beiseite- 
schiebung der Anstaltsärzte bei Entmündigung der ihrer Obhut anvertrauten 
Geisteskranken und Geistesschwachen hat übrigens nieht in der Absicht des 
Ministerialerlasses gelegen. 

Von den übrigen Vorträgen auf der betreffenden Versammlung inter¬ 
essiert besonders derjenige von Dr. Merklin-Treptow a.d. R. über die An¬ 
wendung der Isolierung bei der Behandlung Geisteskranker, die 
zu therapeutischen Zwecken als unzulässig und nur noch vorübergehend als 
Schutsmassregel in den seltenen Fällen für zulässig erklärt wurde, in denen 
durch Geisteskranke Gesundheit und Leben der Umgebung ernstlich bedroht 
sind und andere Mittel versagen. Ausdsücke: „Toben, Tobzelle, Zelle, Ein¬ 
sperren* sollten überhaupt als den psychiatrischen Anschauungen nicht mehr 
entsprechend vermieden werden. In der Diskussion über diesen Vortrag wiesen 
mit Recht Dr. Buchholtz-Hamburg, Prof. Dr. Cr amer« Göttingen und Med.- 
Rat Dr. Mittenzweig-Berlin auf den Missstand hin, dass Geisteskranke 
bis zu ihrer Ueberfttbrung in die Anstalt in kleinen Krankenhäusern oft in der 
ungeeignetsten Weise untergebracht und behandelt werden. Dieser Missstand 
wird am sichersten durch möglichst schnelle Erledigung des Aufnahmever¬ 
fahrens beseitigt, aber damit hapert es eben leider noch bei mehreren Provin- 
zialverwaltungen und Provinzialanstalten. 


Zur Förderung des XI. internationalen Kongresses für Hygiene 
and Demographie, welcher vom 2.-8. September 1903 in Brüssel statt- 



m 


Tageanachrichten. 


findet, hat sich ein Dentsehee Reichskomitee gebildet (Vorsitzender: 
Geh. Bat Dr. Boeckh, Schriftführer: Beg.- und Med.-Rat Dr. Abel-Berlin), 
das folgenden Aufruf erlassen hat: 

Die Abteilung für Hygiene zerfällt in sechs Unterabteilungen: 1. Bakterio¬ 
logie, 2. Nahrungsmittelhygiene, 3. Hygienische Technologie, 4. Gewerbehygiene, 
5. Verkehrshygiene, 6. Verwaltungshygiene (Vorbeugung fibertragbarer Krank¬ 
heiten, Arbeiterwohnungen, Kinderhygiene). Die demographische Abteilung ist 
ungeteilt. Die Mitgliedschaft am Kongress wird durch portofreie Einzahlung 
Ton 25 Frcs. nach dem Tageskurse erworben. Damenkarten erhält man für 
10 Frcs. Schatzmeister des Kongresses ist: M. J. Sterckx, Chef de Bureau 
au Ministöre de l’Agriculture, 3 rue Beyaert, Brüssel. Wir geben uns der 
Hoffnung hin, dass die deutschen Hygiener und Demographen sich an dem 
Brüsseler Kongress recht zahlreich beteiligen werden. Die Beteiligung melde 
man freundlichst dem Schriftführer des oben genannten Beichskomitees, Herrn 
Beg.- und Med.-Bat Dr. Abel, Berlin W. 50, Eislebenerstrasse 8, auf Post¬ 
karte, damit die deutschen Mitglieder in Brfissel an bestimmten Punkten ver¬ 
einigt werden können. 


Das Königlich Sächsische Landesmedizinalkollegium wird 
seine diesjährige Plenarversammlung am 4. Mai d. J. in Leipzig abhalten. 


Der internationale Kongress gegen den Alkoholismns hat unter 
ausserordentlich grosser Beteiligung (eB waren fast 2000 Teilnehmer erschienen) 
vom 15.—10. April in B r e m e n stattgefunden. Er wurde durch eine Ansprache 
des Ehrenvorsitzenden, Graf Posadowsky-Berlin, eröffnet, in der dieser 
ausftthrte, dass die Entwicklung der modernen Kultur an die geistige und 
körperliche Spannkraft des Einzelnen erhöhte Anforderungen stelle und sich 
infolgedessen die Gefahr des Übermässigen Alkoholgenusses erhöhe. Um so 
notwendiger sei daher die Bekämpfung dieser Gefahr. Die Art, der Umfang 
und die Ziele würden nach der Eigenart eines Volkes und nach den klimatischen 
Verhältnissen verschieden sein. Die Gesetzgebung könne nur mechanisch eine 
Hilfsaktion leisten. Die innere Beschränkung des Uebels müsse ohne Beschrän¬ 
kung des Lebensgenusses aus veredelter Volkssitte hervorgehen. Im Kampfe 
für die geistige und körperliche Gesundheit der Menschheit ständen alle ge¬ 
bildeten Völker Schalter an Schulter. Möge der Kongress einen neuen Mark¬ 
stein bilden auf dem Wege des Fortschritts menschlicher Gesittung. 

Auf dem Kongress selbst standen sich Abstinenten und Temperenzler 
verhältnissmässig schroff gegenüber; der Gegensatz trat nicht nur in den Vor¬ 
trägen, sondern vor allem in der Diskussion hervor. Vermittelungsversuche 
fanden bei den ersteren, namentlich bei den Gattemplern, gar keinen Anklang. 
Unter diesen Umständen war die Leitung der Verhandlungen keine leichte 
Aufgabe; der Vorsitzende, Dr. Delbrück-Bremen zeigte sich derselben aber 
gewachsen. In seinem Sehlassworte betonte er, dass Verhandlungen zwar 
manche schwere Gewitterstürme gebracht hätten, dass diese aber noch immer 
besser wie Langeweile seien. Jedenfalls habe aber der Kongress bewiesen, 
dass die Alkoholfrage heute nicht mehr das enge Gebiet der Heilung einzelner 
Trinker, sondern die Veredelung der gesamten Volkssitten von ethisch-sozialen 
Gesichtspunkten bezwecke. 

Dor nächste Kongress soll 1905 in Pest stattfinden. 


Die diesjährige Hauptversammlung der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Volksbäder wird Sonnabend, den 30. Mai d. J., in Danzig 
stattfinden. 


Der Ausschuss der Vereinigung derDeutschen medizinischen 
Fachpresse hat sich auf Ersuchen eines Zeitungsverlegers bereit erklärt, in 
zweifelhaften Fällen ein Gutachten darüber abzageben, ob lnseratentexte als 
Kurpfuscher-Inserate zurückzuweisen sind oder nicht. 


Verantwort!. Redakteur: Dr. Rapmund, Beg.-u.Geh.Med.-Bat in Minden i. W. 

J. C. C. Brau, HirraflSIflha. •. F. M.-L. Hofboebdraolirat In Minden» 

























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16. Jahr*. 


Zeitschrift 


IMS. 


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MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt fir gerichtliche Medizin nid Psychiatrie, 
für ärztliche Sachferstudigentatigkeit in Unfall- nnd Inraliditatasachei, sowie 
fir Hygiene, öffentl. Sanitatswesen, Medizinal -Gesetzgebung nnd Rechtsprechung. 

Heraasgegeben 

toh 

Dp. OTTO RAPMÜND, 

Regforangfl- and Geh. Medlainalrat in Min den. 


Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., E Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer-Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Iunrate nehmen die Yerlngshnndlu&f sowie eile Annoncenexpeditionen des In- 
nnd Aneliuidee entgegen. 


Nr. 10. 


Ersehelnt 


1« und 15. Jeden Monats 


15. Mai. 


Die Tätigkeit der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher 
bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten in 

Landkreisen. 

Von Hedizinalrat Dr. Dütschke, medizinischer Hilfsarbeiter bei der Königlichen 

Regierang in Arnsberg. 

Die in Nr. 8, Jahrgang 1903 dieser Zeitschrift von Herrn 
Kollegen Fielitz in Halle erschienene Abhandlung über „die 
Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen“, sowie der 
in derselben Nummer Seite 323 veröffentlichte Bericht über die 
17. Versammlung der Medizinalbeamten des Beg.-Bez. Merseburg 
am 29. November 1902 in Halle a. S., in welcher die Frage der 
Heranbildung von Desinfektoren und ihre Verwendung bei der 
Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Landkreisen zur Dis¬ 
kussion gelangte, bieten mir willkommenen Anlass, im Anschluss 
an meinen Artikel in Nr. 21, Jahrgang 1902 dieser Zeitschrift: 
„Desinfektoren und Gesundheitsaufseher im Beg.-Bez. Arnsberg“ 
die Tätigkeit dieser Personen, besonders bei der Bekämpfung an¬ 
steckender Krankheiten in Landkreisen zu besprechen. Ich sehe 
mich hierzu um so mehr veranlasst, als, soweit mir bekannt, der 
Beg.-Bez. Arnsberg der erste war, welcher das Desinfektions¬ 
wesen für einen grösseren Bezirk mit einer Bevölkerungszahl von 
nahe 2 Millionen Einwohnern überhaupt generell geordnet hat, 
und weil uns anf Grand des nunmehr fast 2jährigen Bestehens 
des Instituts der Desinfektoren nnd Gesondheitsaufseher hierüber 
eine Beihe von Erfahrungen im grossen zu Gebote steht, wie solche 
bei der Eigenart des hiesigen Bezirks, wo Industrie und Land- 









374 


Dr. Dtttachke. 


Wirtschaft gemeinsam vertreten sind, sonst nur schwer zu er¬ 
werben sein werden. Sodann aber halte ich es im Interesse der 
Sache nicht allein für dringend geboten, die mehr oder minder 
stark ausgesprochenen Zweifel, welche die Herren Kollegen Fie- 
litz und Hermann bezüglich der Zulässigkeit der Vereinigung 
des Amtes eines Desinfektors mit dem des Gesundheitsaufsehers 
äussern, zu zerstreuen, sondern auch für meine Pflicht, der Dis¬ 
kreditierung der Desinfektionseinrichtungen im Regierungsbezirk 
Arnsberg, wie solche in der Abhandlung des Herrn Kollegen 
Fielitz zum Ausdruck gelangt, mit voller Entschiedenheit ent¬ 
gegenzutreten. 

In anschaulicher und zutreffender Weise schildert Fielitz 
die Schwierigkeiten, welche sich bei der Bekämpfung ansteckender 
Krankheiten in den Landkreisen gerade der Sanitätspolizei und 
der Hygiene entgegenstellen; jeder Medizinalbeamte, der längere 
Zeit in einem vorwiegend ländlichen Kreise tätig gewesen ist, 
weiss ein Lied von den langsamen Fortschritten der Hygiene auf 
dem Lande zu singen und hat die Widerstände, welche sich der 
Durchführung gesundheitspolizeilicher Anordnungen zu Epidemie¬ 
zeiten oft entgegenstellen, genügend kennen gelernt. Mit Fie¬ 
litz weiss ich mich darin eins, dass die Haupterfordernisse 
zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Land¬ 
kreisen neben Durchführung der Anzeigepflicht und Feststellung 
der einzelnen Fälle, die Isolierung des Kranken und eine ge¬ 
wissenhafte fortlaufende Desinfektion bilden. Nur in 
der Handhabung dieser Massregeln weichen wir von einander ab! 
Ich will von vornherein zugeben, dass die Massregeln zur Be¬ 
kämpfung ansteckender Krankheiten, welche für den Saalkreis 
vielleicht genügen mögen mit einer Bevölkerungszahl von 70000 
Einwohnern, bei einem Flächeninhalt von 512 qkm, bei uns iu 
dem Kreise Gelsenkirchen z. B. mit 225000 Einwohnern und nur 
77 qkm nicht angebracht erscheinen können; hier spielen eben die 
örtlichen Verhältnisse und die Eigenart der Bevölkerung eine zu 
wichtige Rolle. Aber konforme Verhältnisse wie im Saalkreise, 
haben wir auch in verschiedenen Kreisen unseres Bezirkes; ich 
würde indessen Bedenken tragen, das Desinfektionswesen in diesen 
Kreisen nach den Vorschlägen von Fielitz zu organisieren, weil 
ich dieselben nicht für ausreichend erachte; ebenso muss ich es 
aber auch für mindestens voreilig bezeichnen, ohne nähere Kennt¬ 
nisse, wesentlich gestützt auf die doch immerhin erst kurze Er¬ 
fahrung mit der jüngst getroffenen Einrichtung im Saalkreis, das 
Institut der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher, wie es im 
hiesigen Bezirk seit 2 Jahren besteht, nunmehr schlankweg als 
verfehlt und nicht glücklich zu bezeichnen. 

Im Gegensatz zu den Erfahrungen, welche Fielitz S. 307 
mitteilt, dass die Ermittelung erster Fälle von Infektions¬ 
krankheiten in Landkreisen grossen Schwierigkeiten begegne und 
es nicht möglich sei, dass der Kreisarzt alle ersten Fälle an¬ 
steckender Krankheiten feststellt, weil Zeitmangel und Kosten dies 
verhindern, kann ich nnr betonen, dass, sobald der Kreisarzt über- 



Die Tätigkeit der Desinfektoren u. Gtasnndheite&ufseher u. s. w. in Landkreisen. 375 

hanpt Kenntnis von dem Auftreten der ersten Fälle von Scharlach 
and Diphtherie z. B. erhalten hat, er im hiesigen Bezirk anf 
Grand der bestehenden Bestimmungen an Ort und Stelle diesen 
ersten Fall sofort untersuchen und aufklären muss und an der 
Hand eines ausführlichen Fragebogens, der gebührend der Aetio- 
logie und Prophylaxe Rechnung trägt, über das Ergebnis seiner 
Feststellungen und die angeordneten bezw. in Vorschlag ge¬ 
brachten Massregeln berichtet. Ebenso ist die Untersuchung 
jedes Falles von Unterleibstyphus und Ruhr im hiesigen Bezirk 
durch den Kreisarzt obligatorisch und „er wird nicht allerdings 
stets gut tun, an Ort und Stelle zu erscheinen“, wie Fielitz 
schreibt, sondern er muss es. Gerade bei der Eigenart der hiesigen 
Trinkwasserverhältnisse und der naheliegenden Möglichkeit ihrer 
Verseuchung, besonders nach den Erfahrungen, welche Spring - 
feld jüngst in seiner Arbeit: „Die Typhusepidemien im Reg.-Bez. 
Arnsberg und ihre Beziehungen zu Stromverseuchungen und 
Wasserversorgungsanlagen“ (Klinisches Jahrbuch, 1903, X. Band) 
in anschaulicher und überzeugender Weise niedergelegt hat, würde 
die Unterlassung der Untersuchung und Feststellung vielleicht 
eines einzigen Typhusfalles und die Unterlassung der Anord¬ 
nung der erforderlichen sanitätspolizeilichen Massregeln zu den 
verhängnisvollsten Folgen führen, da im hiesigen Bezirk allein 
241 grössere zentrale Wasserversorgungsstellen, nicht etwa nur 
über industrielle Kreise, sondern vorwiegend über ländliche 
Kreise verteilt, bestehen. 

Der Schwerpunkt der Massregeln zur Bekämpfung ansteckender 
Krankheiten im Landkreise beruht, da trotz der zahlreichen Kran¬ 
kenhäuser, welche im hiesigen Bezirk auch über die ländlichen 
Kreise zerstreut sind, ebenfalls dieselbe Antipathie der Landbevölke¬ 
rung gegen die Ueberführung und Isolierung ansteckender Kranken 
in Krankenhäusern besteht, wie im Saalkreis, auch bei uns in 
einer sachgemässen Desinfektion. Der wichtigste Teil dieser Des¬ 
infektion ist aber, wie Fielitz zutreffend sagt, derjenige, welcher 
während der Erkrankung stattfindet; es genügt jedoch 
keineswegs, dass der Arzt den Leuten zeigt, wie und was sie 
desinfizieren sollen, sondern es muss eine dauernde Kontrolle 
stattfinden. Diese wird nun bekanntlich im hiesigen Bezirk durch 
die Gesundheitsaufseher oder Seuchenwärter ausgeführt, welche 
gleichzeitig Desinfektoren sind. Sobald der Kreisarzt die Fest¬ 
stellung der ansteckenden Krankheit vorgenommen hat, werden 
den Angehörigen die für die betreffende Krankheit gedruckten 
Verhaltungsmassregeln durch den Gesundheitsaufseher oder 
die Polizeibehörde ausgehändigt, und der Gesundheitsaufseher er¬ 
hält vom Kreisarzt durch die Ortspolizeibehörde die Anweisung, 
die Beachtung der Verhaltungsmassregeln bezw. Isolierung und 
Desinfektion der Abgänge des Kranken in bestimmten Zwischen¬ 
räumen zu kontrollieren und zu überwachen. Da in jedem Kreis 
bezw. Amt, der Bevölkerungszahl und der Häufigkeit der an¬ 
steckenden Krankheiten entsprechend, eine ausreichende Zahl 
von Gesundheitsaufsehern und Desinfektoren im Ver 




376 


l)r. Dtttachk®. 


laufe der 2 Jahre seit Organisation des DesinfektionsweseUs^aus - 
gebildet worden ist, begegnet es keinen Schwierigkeiten, die 
Kontrolle wirksam auszufiihren. Selbstverständlich, erwidere ich 
Fielitz auf seine Frage, muss der Gesundheitsaufseher 
hierbei die Krankenzimmer betreten, denn sonst ist ja 
eine Kontrolle unmöglich. Die von Fielitz S. 306 gehegte Be¬ 
fürchtung des mangelnden Taktgefühles bei diesen Kontrollbe- 
suchen, nur weil der Mann in seinem gewöhnlichen Leben sonst 
ein Barbier oder Fleischbeschauer zufällig ist, hat sich bislang 
nicht als begründet erwiesen; denn der Gesundheitsaufseher darf 
nur nach seiner ihm erteilten Instruktion verfahren, andernfalls 
würde der Kreisarzt, dem der Gesundheitsaufseher und Desinfektor 
direkt untersteht und dem er sein Tagebuch als Ausweis seiner 
Tätigkeit jederzeit auf Verlangen vorzulegen hat, den Mann rek¬ 
tifizieren. 

Wie Fielitz diese Kontrolle durch „Gemeindeschwestern“ 
wirksam durchführen will, ist mir nicht recht verständlich. Für 
unsere Verhältnisse würde dies bei der überwiegend katholischen 
Bevölkerung schon aus dem Grunde nicht möglich sein, weil die 
Ordensgenossenschaften der katholischen Kirche Gemeindeschwestern 
in dem Sinne nicht zur Verfügung haben, wie die evangelische 
Diakonie solche hat. Sodann betont Fielitz ja selbst den 
Mangel an Gemeindeschwestern und zieht dieserhalb schon die 
Ausbildung von „Landpflegerinnen“ nach Badenschem Muster in 
Erwägung! Was nun ferner die bessere Qualifikation der 
Gemeindeschwestern zu Gesundheitsaufsehern gegenüber den männ¬ 
lichen Gesundheitsaufsehern anbelangt, welche Fielitz annimmt, 
so möchte ich doch auf Grund eigener früherer Erfahrungen die 
Gemeindeschwestern nicht gerade immer als „Pioniere der 
Hygiene“ bezeichnen und werde in dieser Auffassung nur be¬ 
stärkt durch den in derselben Nummer der Zeitschrift für Medizinal¬ 
beamte von Herrn Medizinalrat Dr. Coester gelieferten „Beitrag 
zur Anzeigepflicht bei Infektionskrankheiten und zur Kurpfuscherei¬ 
frage“. Gegenüber den Lobeserhebungen über die segensreiche 
Tätigkeit der Gemeindeschwestern, welche Fielitz anstimmt, 
erscheint der Coester sehe Beitrag fast als Ironie! Räumt man 
nun auch ein, dass die Ausschreitungen einzelner Gemeinde¬ 
schwestern, — nach mir gewordenen Mitteilungen sollen dieselben 
allerdings nicht so vereinzelt sein — nicht verallgemeinert 
werden dürfen, so steht doch der Verwendung und Anstellung 
der Schwestern als Gesundheitsaufseherinnen immer das eine nicht 
zu beseitigende Hindernis entgegen, dass die Gemeindeschwestern 
nicht der amtlichen Aufsicht und Kontrolle desKreis* 
arztes unterliegen, während dies bei der im Regierungsbezirk 
Arnsberg eingeführten Institution der Desinfektoren und Gesund¬ 
heitsaufseher in bestimmter Weise ausgesprochen ist. 

Auch darin vermag ich Fielitz nicht beizupflichten, dass 
„bei gebildeten und bei wohlhabenden Leuten es kaum einer Kon¬ 
trolle bedürfe, ob die Desinfektion fortlaufend geschehe, unbedingt 
müsse diese Kontrolle aber bei den einfachen kleinen Leuten er- 


/ 



Die Tätigkeit der Desinfektoren n. Qesnndheitsanfseher u. s. w. in Landkreisen. 377 

folgen“. Im verflossenen Winter hatten wir im hiesigen Bezirk 
in einer der grösseren Städte eine ausgedehnte Scharlachepidemie, 
welche trotz aller Massregeln nicht schwinden wollte. Insbesondere 
war die hohe Zahl von Erkrankungsfällen in den besser situierten 
Kreisen der Bevölkerung auffallend; in diesen Familien traten 
auch wiederholt trotz angeblicher Schlussdesinfektion immer erneut 
Scharlacherkrankungen auf. Die infolgedessen von mir an Ort 
und Stelle vorgenommenen Erhebungen ergaben, dass auf Veran¬ 
lassung der Ortspolizeibehörde, ohne Wissen des Kreisarztes, die 
Ueberwachung der Beachtung der Verhaltungsvorschriften durch 
den Gesundheitsaufseher in diesen „besseren Familien“ nicht durch- 
geföhrt war, weil die Ortspolizeibehörde der Ansicht war, dass 
diese Leute schon von selbst die Vorschriften beachten würden. 
Ebenso war hier, und das möchte ich noch ganz besonders hervor¬ 
heben, vielfach von den behandelnden Aerzten eine Art der 
Desinfektion angeordnet und ausgeführt worden, welche als im 
wissenschaftlichen Sinne ausreichend, nicht angesehen werden 
konnte, welche aber das hygienische Gewissen des Publikums und 
der Polizei völlig beruhigte, da ja desinfiziert war, wenn¬ 
gleich diese Desinfektion z. B. häufig nur im Besprengen des 
Fussbodens des Krankenzimmers mit Karbolsäurelösung bestanden 
hatte. Es wurde daher nunmehr polizeilicherseits nur diejenige 
Schlussdesinfektion als ausreichend angesehen, welche von dem 
„amtlichen Desinfektor“ ausgeführt war, unbeschadet der sonst 
noch von dem behandelnden Arzt getroffenen Desinfektionsmass- 
regeln; ebenso wurden auch die Kontrollbesuche der Gesundheits¬ 
aufseher streng in jenen „besseren Familien“ durchgeführt, — und 
der Erfolg blieb glücklicherweise nicht aus. 

Wende ich mich nach diesen Ausführungen nun dem zu, 
was Fielitz für den Saalkreis in Beziehung auf die Ermöglichung 
der Schlussdesinfektion erreicht und durchgeführt hat zur Be¬ 
kämpfung ansteckender Krankheiten, so lässt sich das Resultat 
dahin zusammenfassen, dass für den Saalkreis, der sich auf einen 
Flächenraum von 512 qkm verteilt und eine Einwohnerzahl von 
70000 Personen aufweist, nunmehr ein einzigervollbesoldeter 
Kreisdesinfektor auf Kündigung vom Kreisausschuss angestellt 
ist, der im Hauptamt ein festes Gehalt und ausserdem eine be¬ 
sondere Entschädigung für jede Desinfektion bezieht, so dass sein 
Einkommen 1500 M. beträgt, und der einen Nebenberuf nicht 
haben darf. Daneben besteht ein zweiter stellvertretender Des¬ 
infektor, der 30 Kilometer von Halle entfernt wohnt und den 
entferntesten Teil des Kreises besorgt. Ueber die Honorierung 
dieses zweiten Desinfektors enthält die Fielitz*sehe Abhandlung 
nichts, ebensowenig wird die Anamnese dieser beiden Leute be¬ 
kannt gegeben, aus welchen Berufsständen sie hervorgegangen 
sind. Möglich war, wie der Verfasser am Schluss seines Ar¬ 
tikels hervorhebt, dieses Resultat nur, weil sich der Kreis- 
Land rat für diese Sachen lebhaft interessierte; Fielitz 
wünscht, dass es in allen Kreisen so wäre, wie im Saalkreise, 
wo der Königliche Landrat persönlich an allen Bestrebungen 



378 


Dr. Dfltsehke. 


teilnimmt, die auf eine Besserung des Gesundheitswesens im 
Kreise abzielen. 

So anerkennenswert das hygienische Verständnis ist, welches 
im Saalkreise zu herrschen scheint, so sehe ich es doch gerade 
als einen nicht zu unterschätzenden Vorzug der Regelung des 
Desinfektionswesens im Regierungsbezirk Arnsberg an, dass die 
allgemein als notwendig anerkannte Durchführung und Hand¬ 
habung der Desinfektion während des Bestehens und nach Be¬ 
endigung einer ansteckenden Krankheit auf dem Lande, nicht 
von dem mehr oder minder ausgesprochenen hygienischen 
Verständnis und Interesse der Kreisbehörden ab- 
h ängig gemacht wird, — denn man kann hier oft die wunder¬ 
samsten Erfahrungen sammeln — sondern dass diese von der 
Bezirksregierung generell geordnet ist, und der Kreisarzt in 
seinem Kreise nur die Ausführung der angeordneten Mass- 
regeln zu leiten und zu überwachen hat! 

Darin stimme ich allerdings Fielitz bei, dass es bei weitem 
vorzuziehen ist, wenn der Desinfektor seinen Beruf nur im 
Hauptamt ausübt; aber da es sich nicht um die Anstellung 
eines einzigen Desinfektors für einen Kreis handelt, sondern derer 
nach unseren Erfahrungen, für einen Kreis von der Ausdehnung 
des Saalkreises z. B. mindestens 8 vorhanden sein müssen, so 
fällt der Kostenpunkt schon sehr in die Wagschale. Eine solche 
Summe von 10—12000 M. für die Anstellung vollbesoldeter Des¬ 
infektoren in den Etat zu stellen, dazu wird sich aber ein Kreis 
kaum entschliessen können, deshalb haben wir es den Kreisen 
und Aemtem ganz überlassen, in welcher Weise die Honorierung 
der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher erfolgt, wenn über¬ 
haupt nur für das Vorhandensein einer ausreichend 
grossen Zahl geeigneter Desinfektoren und Gesund¬ 
heitsaufseher in einem Kreise Sorge getragen ist. 
Der vollbesoldete Desinfektor, der keinen Nebenberuf haben soll, 
wird zu Zeiten, in denen ansteckende Kranheiten nicht herrschen, 
schwer zu beschäftigen sein; wollte man aber die Zahl der Des¬ 
infektoren in Landkreisen verringern, so würde man zu Epidemie¬ 
zwecken wieder nicht in der Lage sein, die Desinfektion wirksam 
in allen Krankheitsfällen zur Durchführung zu bringen, demzufolge 
halte ich die Einrichtung im Reg.-Bez. Arnsberg, wo in jedem 
Kreise eine ausreichende Zahl Desinfektoren vorhanden ist und 
diese für jede Dienstleistung einzeln nach der Gebührenordnung 
honoriert werden, für praktisch und dem sanitätspolizeilichen In¬ 
teresse vor allem Rechnung tragend. 

Dass ein einziger Desinfektor, noch dazu in einem Land¬ 
kreise bei weiten Entfernungen, bis zu 300 Wohnungsdesinfektionen, 
wie Fielitz S. 813 berechnet, im Jahre vornehmen wird und 
dabei noch die genügende Ruhe finden soll, die für einen Mann 
in verantwortungsvoller Stellung nötig ist, erscheint mir nicht 
durchführbar. Ich hatte jüngst Gelegenheit, in Gelsenkirchen 
sämtliche Desinfektoren des dortigen Land- und Stadtkreises nach¬ 
zuprüfen, wie dies im hiesigen Bezirk kreisweise durch mich von 



Die Tätigkeit der Desinfektoren n. Geeondheitsaufseher n. s. w. in Landkreisen. 379 

Zeit za Zeit geschieht. Die Desinfektoren müssen hierzu ihre 
Tagebücher, Arbeitsanzüge, Apparate u. s. w. mitbringen, um an 
der Hand der eingegangenen Meldungen über ansteckende Krank¬ 
heiten kontrollieren zu können, ob in allen desinfektionspflichtigen 
Fällen die Desinfektion vorschriftsmässig erfolgt ist. Bei dieser 
Nachprüfung stellte ich fest, dass der am meisten beschäftigte 
der 26 Desinfektoren jenes Kreises im letzten Jahr 180 Des¬ 
infektionen ausser den zahlreichen Kontrollbesuchen vorzunehmen 
hatte. Dabei versicherte mir der Mann, der als Berginvalide nur 
im Nebenamt beschäftigt ist, dass er hierdurch schon völlig in 
Anspruch genommen sei und kaum Zeit finde, sich auch in seinem 
Haushalt nützlich zu erweisen. Berücksichtigt man nun, dass 
für andere Bezirke die Kontrollbesuche, welche auf dem Lande 
bei weiten Entfernungen sehr zeitraubend sind, wegfallen, so wird 
man doch ungezwungen die Zahl von 300 Desinfektionen in einem 
Jahr für einen Desinfektor als zu hoch veranschlagt annehmen 
können; denn ausser den Sonntagen und Feiertagen gibt es doch 
noch genügend andere dringende Abhaltungen, ganz abgesehen 
von ev. Krankheit, welche den Desinfektor seinem Hauptamt 
entziehen. 

Auf keinen Fall soll man die Zahl der Desinfek¬ 
toren in einem Kreise zu gering bemessen, wenn man 
überhaupt eine Desinfektion richtig durchführen will. Die Be- 
dtirfnisfrage entscheidet der Kreisarzt. Das Gewerbe des Des¬ 
infektors ist durchaus nicht, wie Fielitz anzunehmen scheint, 
im Reg.-Bez. Arnsberg freigegeben, sondern der Kreisarzt be¬ 
stimmt, wie schon erwähnt, welcher Desinfektor in Tätigkeit 
zu treten hat; von „Konkurrenz** ist somit keine Rede! Die 
hiesige Kontrolle des Tagebuches durch den Kreisarzt, sowie der 
im Bezirk sehr gut funktionierende Meldeapparat sorgen dafür, dass 
die Desinfektionen nicht „um Scherereien zu ersparen“ zwecklos 
werden, zumal im Tagebuch des Desinfektors eine besondere 
Spalte eingefügt worden ist, welche angibt, ob und wie viele 
Nacherkrankungen trotz erfolgter Schlussdesinfektion noch in der 
betreffenden Wohnung vorgekommen sind. 

Fielitz’s Forderung, dass der Desinfektor unabhängig vom 
Publikum sein muss, ist im hiesigen Bezirk ebenfalls erfüllt; 
denn mit der Eintreibung seiner Gebühren hat der Desinfektor 
nichts zu tun. Die Polizei erteilt dem Desinfektor den Auftrag 
zur Desinfektion, bezw. zur Vornahme der Kontrollbesuche nach 
Anweisung des Kreisarztes, und die Polizeibehörde ist es auch, 
die den taxmässigen Betrag dem Desinfektor aushändigt. 

Den Ausspruch von Fielitz S. 312 „wenige, aber vorzüg¬ 
liche Desinfektoren sind besser, als eine Menge zusammen¬ 
gewürfelter Leute,“ möchte ich daher so lange nicht unter¬ 
schreiben, als mir nicht der Beweis erbracht wird, dass diese 
Desinfektoren nicht ihren Aufgaben gewachsen sind; denn die¬ 
selben haben eine den Anforderungen durchaus entsprechende und 
in der Praxis ausreichende Ausbildung genossen und werden in 
bestimmten Zwischenräumen, ebenso wie die Hebammen, einer 








380 


Dr. Dtltsohke. 


Nachprüfung unterworfen. Eine Verringerung der Zahl der Des¬ 
infektoren und Gesundheitsaufseher, welche z. Z. ca. 220 beträgt, 
würde für unseren Bezirk gar nicht angängig sein, zumal wir die 
Gesundheitsaufseher, wie ich in Nr. 21, Jahrgang 1902 dieser 
Zeitschrift schon andeutete, als eine Art „unterer Sanitäts¬ 
beamten“ bei den Ortschaftsbesichtigungen, den Revisionen von 
Arbeiterkasernen, Schulen u. s. w. zur Entlastung der Kreisärzte, 
ausser zu den Kontrollbesuchen mit Erfolg verwenden. Ausser¬ 
dem haben die umfangreichen Typhusepidemien in Gelsenkirchen 
1901 und Lüdenscheid 1902 es hinlänglich bewiesen, dass unsere 
Einrichtungen nicht auf dem Papier nur standen, sondern dass 
das Institut der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher, obgleich 
es zusammengewürfelte Leute waren, wie Fielitz unsere 
Desinfektoren bezeichnet, uns ein mächtiges Mittel bot, die plötz¬ 
lich hereinbrechenden und durch Verseuchung der Wasserleitungen 
hervorgerufenen Typhusepidemien erfolgreich zu bekämpfen. Hätten 
wir beim Ausbruch der Lüdenscheider Epidemie nicht schon ein 
ausreichend ausgebildetes Personal von Desinfektoren und Ge¬ 
sundheitsaufsehern im Bezirk gehabt, das wir nun aus den be¬ 
nachbarten Kreisen während der Epidemie unter Gewährung 
angemessener Tagegelder und Reisekosten heranziehen konnten, 
wir würden der Seuche nicht so bald Herr geworden sein. Auf 
solche plötzliche Epidemien müssen wir aber bei der Eigenart 
der Wasserversorgung und der Möglichkeit der Verseuchung der 
zentralen Wasserleitungen im hiesigen Bezirk jederzeit gefasst 
sein und deshalb schon zu Friedenszeiten alle Vorbereitungen 
rechtzeitig treffen, um sofort energisch mit der Seuchenbekämpfung 
Vorgehen zu können. Ich wünsche dem Saalkreis nicht, dass 
dort plötzlich eine umfangreiche Typhus-, Ruhr-, Diphtherie- oder 
Scharlachepidemie entsteht; ich furchte, die 2 Desinfektoren 
würden selbst mit „Unterstützung der Gemeindeschwestern“ ihren 
Aufgaben nicht gewachsen sein und Kollege Fielitz würde sich 
sehr bald gezwungen sehen müssen, allerlei „zusammengewürfelte 
Leute“ zur Aushülfe als Desinfektoren heranzuziehen. 

Das Vorhandensein einer ausreichenden Zahl von Desinfek¬ 
toren in den einzelnen Kreisen des Regierungsbezirkes ermöglicht 
es auch, beim Auftreten von Epidemien in den benachbarten 
Regierungsbezirken, in welchen das Desinfektions wesen noch nicht 
überall durchgeführt worden ist, Desinfektoren zur Aushülfe 
abzugeben. Vor mir liegt der Bericht eines Desinfektors aus dem 
Kreise Siegen, der auf Antrag des Kreisarztes eines Nachbar¬ 
kreises im Reg.-Bez. K. wegen einer ausgedehnten Diphtherie¬ 
epidemie in einem Dorfe dieses Kreises, bei dem Mangel eines 
Desinfektors daselbst, dorthin von dem Kreisarzt in Siegen ge¬ 
schickt wurde und seine Aufgabe zur Zufriedenheit gelöst hat. 
Um ein Licht auf die allgemeine Bildung dieses nebenamtlichen 
Desinfektors, der den Beruf eines Landwirts im gewöhnlichen 
Leben hat, zu werfen, lasse ich den kalligraphisch geschriebenen 
Bericht des Desinfektors an den Kreisarzt in Siegen hier wört¬ 
lich und unter Beibehaltung der Orthographie folgen: 



Die Tätigkoit der Desinfektoren n. Gesandheitsanfeeher n. s. w. in Landkreisen. 381 

„B ericht. 

N., den 21. Jannar 1903. 

Der Ort N. hochgelegen, angrenzend an N., hat erfahrnngsgemäss 74 
Häuser, zählt 410 Binwohner und ist mit Wasserleitung versehen. 

Das Desinficiren hat gestern durch mich unterstützt vom hiesigen Ge¬ 
meindevorsteher begonnen, wird nach dem vorliegenden Bürgermeisteramtlichen 
Verzeichniss der verseuchten Häuser (Wohnungen) vorgenommen und vorschrift6- 
mftssig ausgeführt. Schwierigkeiten von Seiten der Haushaltungsvorstände sind 
anscheinend nicht zu befürchten. 

Die Zahl der an Diphtheritis erkrankten Kinder dürfte angeblich 50 be¬ 
tragen. Davon ärztlich behandelt etliche 30, Sterbefälle 4. Die zuerst aufge¬ 
tretenen Fälle sind wie man sich hier erzählt lange geheim gehalten worden. 
Nene Fälle von Erkrankung an Diphtheri sind in kurzer Zeit nicht auf getreten. 

Das Entseuchungsverfahren im hiesigen Orte vorschriftsmässig auszu¬ 
führen ist für den Desinfector keine leichte Sache. Die Leute hier legen 
mehr Gewicht auf Ordnung und Reinlichkeit im Stall, Keller und Scheune, als 
auf die Wohn- und Schlafräume, wie das in allen andern Bauernortschaften so 
auch hier üblich ist. 

Beim Abrücken der Betten, grüsstentheils sind hier noch Strohbetten, 
treten Bilder von Dnreinlichkeit zu Tage die wirklich an Erstaunen grenzen. 
Das Schöne für den Desinfector mt aber immerhin das gemüthliche Entgegen¬ 
kommen der Haushaltungsvorstände. Alles was man ihnen bezüglich der Ent¬ 
seuchung auferlegt willigen sie ohne Weiteres ein. 

Bis jetzt habe ich 4 Häuser sowie den Lehrsaal der Schule ganz gründ¬ 
lich desinficirt. Wie lange ich nun noch tbätig hier sein werde, lässt sieh 
vorläufig noch nicht feststellen. 

Desinfektionsmittel werden im Grossen beschafft und geliefert. 

Julius F., Desinfektor. 

An den Herrn Kreisarzt in Siegen.“ 

Der vorstehend abgedruckte Bericht bietet mir gleichzeitig 
Anlass, der Ausbildung der Desinfektoren kurz hier Erwähnung 
zu tun. Bei uns würde sich ohne Frage das Desinfektionswesen 
nicht so schnell zu der jetzigen Blüte entwickelt haben, ins¬ 
besondere würden wir nicht über eine so stattliche Zahl von Des¬ 
infektoren verfügen, wenn wir die Anstellung der Desinfektoren 
von der Ausbildung in einer „Desinfektorenschule“ abhängig ge¬ 
macht hätten; für uns musste es in erster Linie darauf ankommen, 
das Institut der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher volks¬ 
tümlich zu machen. Ich verkenne durchaus nicht den Wert der 
Desinfektorenschulen, aber ich muss immer wieder betonen, dass 
der Kreisarzt, dem, wie bei uns, die Ausbildung der Desinfektoren 
obliegt, ein grösseres Interesse daran hat, nur einen solchen 
Mann als Desinfektor und Gesundheitsaufseher für seinen Kreis 
auszubilden, auf den er sich später verlassen kann und dessen 
geistige sowie moralische Fähigkeit er vom Unterricht her besser 
kennt, als ein jugendlicher Assistent eines bakteriologischen In¬ 
stituts oder einer Desinfektorenschule, dem doch in der Haupt¬ 
sache die Ausbildung zufällt. Kollege Fielitz spricht von 
„Vertiefung des Verständnisses“ für die Aufgaben des Desinfektors; 
ich glaube aber, dass hierzu der später Vorgesetzte Kreisarzt 
weit eher geeignet ist, als der Lehrer an der Desinfektorenschule, 
den der geprüfte Desinfektor vom Lande in der Folge niemals 
wiedersieht und der den ihm zur Ausbildung überwiesenen Mann 
nun zum Desinfektor ausbilden muss, mag es gehen wie es will, 
schon im Interesse der Desinfektorenschule! Ausserdem sind 



882 Dr. Dtttsohke: Die Tätigkeit der Desinfektoren n. Qesnndheitsanfseher n. s. w. 

sämtliche Kreisärzte des hiesigen Bezirkes der Ueberzeugung, 
dass es ihnen nicht gelingen wird, eine Persönlichkeit ihres Kreises 
dazu zu bewegen, an dem Ausbildungskursus der jüngst in Münster 
i. W. errichteten Desinfektorenschule, in welcher ausser den Reg.- 
Bez. Münster und Minden auch aus dem Reg.-Bez. Arnsberg ge¬ 
eignete Leute zu Desinfektoren ausgebildet werden können, teil¬ 
zunehmen. Die hiesige Bevölkerung kann sich nicht entschlossen, 
auf 6 Tage nach Münster zur Ausbildung als Desinfektor zu 
reisen, sondern verzichtet dann lieber auf die Anstellung als Desin¬ 
fektor, womit der Sache nicht gedient ist. 

Es liegt mir völlig fern, das Desinfektionswesen unseres 
Bezirkes in seiner jetzigen Verfassung schon als ein ideales und 
von Mängeln freies hinzustellen, und ich verkenne durchaus nicht, 
dass ihm noch eine ganze Reihe von Mängeln anhaften, welche 
mit der Zeit beseitigt werden müssen. Da der Reg.-Bez. Arns¬ 
berg aber einer der ersten war, welcher generell das Desinfektions¬ 
wesen für einen sehr grossen Bezirk ordnete und wir über Er¬ 
fahrungen in dieser Beziehung noch nicht verfügen konnten, so 
war es unmöglich, diese Mängel zu vermeiden. Für uns musste es 
sich nur darum handeln, den Beweis zu erbringen, dass es möglich 
sei, die Desinfektion in Stadt und Land allgemein zur Durch¬ 
führung zu bringen in der geschilderten Organisation, und wir 
durften hoffen, dass dann die Bevölkerung auch den hygienischen 
Wert einer planmässig durchgeführten Desinfektion, besonders 
auf dem Lande, kennen und schätzen lernen würde und etwa 
sich in der Folge herausstellende Mängel dann um so leichter 
Beseitigung erfahren könnten. Als eine wünschenswerte Ver¬ 
besserung sehe ich z. B. die Abstossung von Friseuren, Barbieren 
und Polizeidienern aus dem Desinfektionspersonal an, deren Aus¬ 
bildung zu Desinfektoren ich schon in meinem ersten Artikel 
Nr. 21, Jahrg. 1902 d. Zeitschrift nicht für zweckmässig gehalten 
habe, ohne dass sich bis jetzt allerdings Unzuträglichkeiten daraus 
ergeben hätten, mit Ausnahme der Wahrnehmung, dass Barbiere 
aus Geschäftsrücksichten Sonnabends meist schwer ihrem Haupt¬ 
beruf zu entziehen sind. Sodann rechne ich zu den Mängeln die 
noch nicht durchgeführte Unentgeltlichkeit der keinem 
Familienvorstand sympathischen Desinfektion. Aber auch in dieser 
Beziehung haben wir schon erhebliche Fortschritte in dem letzten 
Jahr zu verzeichnen und verschiedene Städte, Aemter und Kreise 
liefern nicht nur unentgeltlich die erforderlichen Des¬ 
infektionsmittel, sondern lassen die ganze Desinfektion 
auf ihre Kosten vornehmen. Im Stadtkreise Hagen z. B. haben 
nur diejenigen Bürger die Taxsätze der Gebührenordnung für 
Desinfektoren und Gesundheitsaufseher vom 8. August 1901 zu 
zahlen, welche ein Einkommen von über 2100 M. versteuern; 
bei diesem Modus ergab sich für die Stadt Hagen das nicht 
unerhebliche Opfer von 2406 M. für die Zeit vom 1. April 1902 
bis zum 1. Januar 1908, während von Privaten 807 M. entrichtet 
wurden. 

Es ist mir nicht zweifelhaft, dass sich mit der Zeit auch 


Dr. Springfeld: Bemerkungen zu dem Aufsatze des Meü.-Rats Dr. Fielits u. s. w. 883 

der Kostenpunkt, welcher den wichtigsten Faktor neben der 
Personalfrage bei der Durchführung der obligatorischen Desinfektion 
bildet, allgemein zur Zufriedenheit regeln lassen wird und dass 
gegenüber den Vorzügen der Gesamtorganisation des Desinfektions¬ 
wesens im hiesigen Bezirk diese kleinen Mängel nicht in Betracht 
kommen werden. Die bisherigen Erfolge, welche wir seit Ein¬ 
führung des Instituts der Desinfektoren und Gesundheitsaufseher 
im hiesigen Regierungsbezirk, wie sich zu Zeiten schwerer Epi¬ 
demien sehr bald herausgestellt hat, zu verzeichnen haben, fordern 
gerade bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten auf dem 
Lande zur Nachahmung in andern Bezirken auf und verdienen 
nicht die Abweisung und die Beurteilung, welche in 
Nr. 8 dieser Zeitschrift zum Ausdruck gelangen. 


Bemerkungen zu dem Aufsatze des Kreisarztes u. Med.- 
Rats Dr. Fielitz in Halle a. $.: „Die Bekämpfung an¬ 
steckender Krankheiten in Landkreisen“ in Nr. 5 dieser 

Zeitschrift, S. 305 ff. 

Von Reg.- n. Med.-Rat Dr. Springfeld in Arnsberg. 

Als Gründer der von Herrn Kollegen Dtitschke beschrie¬ 
benen und oben verteidigten Organisation der Seuchenwärter im 
Reg.-Bez. Arnsberg möchte auch ich mir einige Bemerkungen zu 
dem Aufsatze des Herrn Kollegen Fielitz in Nr. 8 dieser Zeit¬ 
schrift erlauben. 

In dem letzten Sonderheft dieser Zeitschrift und im Klin. 
Jahrbuche 1 ) dieses Jahres habe ich die hiesige Bekftmpfungsart 
der Seuchen beschrieben und darf sie daher wohl als bekannt 
voraussetzen. Ich füge hinzu, dass sie sich hier bewährt hat und 
dass sie später in Koblenz und Trier in abgeänderter Form nach¬ 
gebildet ist und sich, wie ich erfahre, dort gleichfalls bewährt. 

Was ich erstrebt habe, ist nicht Desinfektoren auszu¬ 
bilden, sondern Sanitätsunterbeamte des Kreisarztes zu 
schallen, die den Kreisarzt von allem Kleinkram entlasten und 
überall wachen, wenn der Kreisarzt den Rücken gewendet hat. 

Das Muster für dieses Institut sind mir nicht die englischen 
Gesundheitsaufseher gewesen, die s. Z. Pi stör zuerst in Berlin 
hat einführen wollen, aber von Wernich verworfen wurden, son¬ 
dern die Fiskale der früher selbständigen Collegia medica et 
sanitatis. 

Die hiesigen Seuchenwärter sind daher mit den Desinfek¬ 
toren, die Fielitz ausbilden will, gar nicht zu vergleichen, und 
demzufolge müssen auch die Anforderungen an die Zahl und die 
Qualifikation der Personen verschieden sein. 

Was die Zahl anlangt, so ist es einleuchtend, dass sie sich 
nach der Summe der zu lösenden Aufgaben und nach den Ent- 


*) Die Typhnsepidemien im Reg.-Bez. Arnsberg nnd ihre Beziehungen 
tu 8tromver8euchnngen und Wasserversorgungsanlagen. Verlag von Gustav 
Fischer in Jena. 







881 Dt. Bachmann: Kohlen oxydbildung daroh Kohlenteflohen ao eisernen Oefoa. 

femungen und Reiseverbindungen richten muss. Den Kreis Zeven 
z. B. wird ein einziger Seuchenwärter bearbeiten können; im 
Kreise Gelsenkirchen wird man mit zwanzig kaum auskommen. 
Im Sauerlande mit schlechten Verkehrs Verbindungen und weiten 
Entfernungen muss ich in jeder grösseren Stadt eine Seuchen¬ 
wache haben; im Industriegebiet, das von elektrischen Bahnen 
durchzogen ist, kann ich mehrere Ortschaften zu einem Wach¬ 
bezirke Zusammenlegen. 

Die Qualifikation der Personen muss natürlich möglichst hoch 
von vornherein sein. Aber nach dieser Richtung hin finden die 
Anforderungen ihre Grenzen in der Bereitwilligkeit und finanziellen 
Leistungsfähigkeit der Gemeinden und in der Mannigfaltigkeit 
der zu lösenden Aufgaben. Da letztere nach Umfang, Bedeutung 
und Schwierigkeit in den einzelnen Kreisen ganz verschieden sind, 
hat es gar keinen Zweck, überall dieselbe Vorbildung zu fordern; 
wir würden ein geeignetes Menschenmaterial gar nicht überall 
finden und wo es vorhanden ist, einstweilen vielfach nicht bezahlen 
und gebrauchen können. Man ist daher gezwungen, einstweilen 
zu nehmen, was man kriegen kann, und das so geschaffene Miliz¬ 
heer aus- und fortzubilden oder es der Feuerwehr nachzumachen, 
bei der alle Abstufungen von der „Brunnentubbenkohorte“ bis zur 
Königl. Feuerwehr vorhanden sind. Kollege Dütschke, der als 
Oberinspektor diese Kolonnen kreisweise zu inspizieren hat, wird 
bestätigen, dass die Aus- und Fortbildung hier eine immer bessere 
geworden ist und dass diese den Defekt mangelhafter Vorbildung 
sehr wohl zu ersetzen imstande ist. 

Wenn im Laufe der Zeit die Aufgaben der Seuchenwärter 
sich vermehrt haben werden und damit ihr Einkommen gestiegen 
ist, dann wird mit dem Zudrange zu dem neuen Berufe auch die 
Qualifikation der Bewerber von selbst wachsen. 

Ich rate daher, die Anforderungen anfangs nicht zu über¬ 
spannen, wenn man Seuchenwärter einführen will. 


Kohlenoxydbildung durch Kohlenteilchen an eisernen Oefen. 

Von Dr. Bachmann, Kreisarzt in Harbarg. 

Es ist bekanntlich ein ganz gewöhnliches Vorkommnis, dass 
bei der Bedienung von Oefen, besonders eisernen, die Kohlen in 
so nachlässiger und ungeschickter Weise seitlich oder von oben 
hineingeschüttet werden, dass auf den eisernen Kanten und 
sonstigen Hervorragungen und in Ritzen nicht unbeträchtliche 
Mengen von Kohlenstaub und kleinen Kohlenstückchen liegen 
bleiben. Dass durch die Hitze des Ofens sich hierbei CO bildet 
und in die Luft des geheizten Raumes entweicht, kann natür¬ 
lich nicht ausbleiben. Stellenweis saugt der Zug des Ofens ja 
die entwickelten Gase wieder an, doch geschieht dieses nur in 
der unmittelbaren Nähe der Türen und sonstigen Oefinungen, wie 
man sich mittels eines brennenden Streichholzes leicht verge¬ 
wissern kann. Auf diese Quelle der Luftverderbnis, ja Luftver- 



Aus Versammlungen Und Vereinet. 


885 


giftung, ist meines Wissens noch nicht genügend in hygienischen 
Blättern hingewiesen, oder es sind solche W&rnnngen wenigstens 
noch nicht allgemein bekannt geworden. 

Am häufigsten habe ich diesen Uebelstand beobachtet in den 
Wartesälen der Eisenbahnen, in Schulen, Geschäfts- und Amts- 
ränmen, Kasernen, Wachtstuben, aber auch vielfach in Privat- 
wohnungen, selbst bei solchen Leuten, denen man die Gedanken¬ 
losigkeit nicht Zutrauen sollte, diese hygienische Schädlichkeit zu 
fibersehen. 

Jeder kann sich leicht davon überzeugen, dass bei der äusseren 
Form unserer Oefen einige Sorgfalt bei der Füllung dazu gehört, 
um den erwähnten Uebelstand zu vermeiden; entweder muss man 
die Kohlen sehr vorsichtig bis auf den Rost schütten, oder nach 
jedesmaligem Auffüllen die nebenbei gefallenen Teilchen wegblasen 
oder mit einem Handfeger abstäuben. Solche Sorgfalt kann aber 
von dem Personal nicht immer erwartet werden, und deshalb sollte 
die Gestaltung der äusseren Fläche eines jeden Ofens es unmög¬ 
lich machen, dass Kohlenteile auf wagerechten oder doch nicht 
genügend schrägen Flächen, auf Verzierungen oder sonstigen Her- 
vorragungen, sowie in Ritzen und offenen Fugen liegen bleiben; 
gleichzeitig wird hierdurch auch die von verbranntem Staub her¬ 
rührende Luftverschlechterung vermindert. Es ist klar, dass beim 
Guss von Oefen mit Leichtigkeit diese Uebelstände zu vermeiden 
sind, und daher ist die richtige Adresse, an welche ich mich zur 
Vermeidung dieses hygienischen Uebelstandes zu wenden habe, 
wohl diejenige der Eisengiessereien, welche eiserne Oefen oder die 
Elisenteile gemischter Oefen anfertigen. 

Bis die jetzigen fehlerhaften Oefen durch neue, welche dem 
Uebelstände durch veränderte äussere Form besser Rechnung 
tragen, ersetzt worden sind, wird es aber nötig sein, dass die 
Gesundheitsbeamten Sorge tragen, dass dem Heizpersonal der 
eisernen Oefen aller öffentlichen Räume, und durch Veröffentlichung 
in den Tagesblättern auch dem grossen Publikum die Gesundheits¬ 
gefährlichkeit unordentlicher Bedienung von Oefen vor Augen ge¬ 
halten und den Bediensteten es zur Pflicht gemacht wird, durch 
Abfegen mit einem Handbesen die überschüssigen Kohlenteilchen 
ebenso wie allen sonstigen Staub von den äusseren Teilen eines 
jeden Ofens zu entfernen. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Medizinalbeamten- Konferenz am 16. Dezember 1908 

ln Magdeburg. 

Herr Heg.- und Geh. Med.-Rath Dr. Hirsch eröffnete um 12‘/i Uhr im 
8itsungssaale der Königlichen Regierung die amtliche Zusammenkunft, ent¬ 
schuldigte sunäohst den Herrn Regierungspräsident, der amtlich behindert war, 
begrflsete hierauf die beiden erschienenen Gäste, Herrn Reg.-Assessor v. Lym- 
pius, als Vertreter des Hem Oberpräsidenten, und Hem Med.-Rat Dr. 
Dahlmann. Anwesend waren sonst die Kreisärste Dippe-Genthin, Friedei, 
Wernigerode, Herms-Burg, Holthoff - Salzwedel, Jan er t-Seehausen- 
Kant-Aschersleben, Kluge-Wolmirstedt, Ktthn-Calbe a. 8., Moriti- 



886 


Ans Versammlungen und Vereinen» 


Halberstadt, PI an ge-Stendal, Probst-Gardelegen, S eh ade-Neuhaldens¬ 
leben, Strassner-Magdeburg, Thilow-Wansleben, Gerichts arzt Kefer- 
stein-Magdeburg. Ferner Glaser-Burg und Wennel-Magdeburg, beide 
staatsärztlioh geprüft. 

Der Herr Vorsitzende gedachte des abwesenden Kollegen Kuntzen- 
Oschersleben, welcher durch Krankheit am Erscheinen behindert war, und des 
verstorbenen Kollegen Kreisphysikus z. D. Geh. San.-Bat Dr. Hennigson- 
Oschersleben. Sein Andenken ehrten die Anwesenden durch Erheben von den 
Sitzen. 

Hierauf wnrde in die Verhandlung eingetreten: 

1. Moritz: Wie sind Ortebesichtigungen anssnffthren? (Auto¬ 
referat). Beferent will nur von seinen eigenen Erfahrungen sprechen und 
seine eigenen anf Grund dieser Erfahrungen gewonnenen Ansichten vortragen. 

Er hält für die Ortsbesichtigungen eine umfangreiche Vorbereitung 
für nnentbehrlich. Nicht nur Kenntnis der im Kreise bestehenden hygienisch 
wichtigen Bestimmungen, z. B. der baupolizeilichen, sei nötig, sondern auch 
eingehendes Studinm der kreisärztlichen und landrätlichen Akten, soweit sie 
den zu besichtigenden Ort betreffen. Ausserdem wird der Kreisarzt schon vor 
der offiziellen Besichtigung bei gelegentlicher Ortsanwesenheit, z. B. bei 
der Impfung, bei Drogerierevisionen u. s. w., mancherlei durch Angenschein 
oder gesprächsweise (s. B. von den Aerztcn etc.) erfahren. 

Die so gewonnenen Erfahrungen, in Form von Notizen den Ortsakten 
einverleibt, seien nachher fllr die Besichtigung von grossem Wert. — »Ge¬ 
legentlich“ werde sich eine Ortsbesichtigung wohl nur in kleinen Ortschaften 
ohne Schule oder in Gntsbezirken machen lassen, deren Vorsteher zugleich 
Amtevorsteher ist. 

Unvermutet einen Ort zu besichtigen, wie mehrfach für zweckmässig 

S ehalten werde, hält Beferent durchaus nicht für empfehlenswert, vorausgesetzt 
ass der Kreisarzt den Ort früher schon gelegentlich im Alltagskleide gesehen 
hat. Dann werde das Festkleid grade durch den Kontrast bei der Besichtigung 
Schäden aufdecken und zugleich beweisen, dass diese Schäden als solche aner¬ 
kannt werden. Beferent führt hierfür als Beispiel einige Beobachtungen an. 

Die für den Beginn der Besichtigung festgesetzte Stunde sei tunlichst 
streng innezuhalten, damit die Beteiligten möglichst frisch zur Stelle und nicht 
schon durch Warten ermüdet sind, sodass sie vorzeitig abfallen und sich unter 
allerlei Vorwänden entfernen. — Der Besichtigung sei eine Besprechung vor- 
ansznschicken, um ein Programm festzustellen und sich darüber zu einigen, anf 
welche Punkte man das Hauptgewicht legen wolle. Ortsbesiohtignngen lassen 
sieh nicht nach einem allgemeinen Schema machen, keine werde ebenso ver¬ 
laufen wie die andere. 

Beferent geht dann anf die Einzelheiten der Ortebesichtigung über, die 
er an der Hand des Formulars VII bespricht. Unter anderem erwähnt er, die 
Arbeiterkasernen seien in der Arbeitspause (mittags) zu besuchen, wo man die 
Insassen antreffe und ihren Gesundheitszustand, Geimpftsein, etwaige Granulöse 
und dergl. beachten könne. — Die Abwässer- und Wasserversorgungs- 
frage, die Beferent im einzelnen eingehend bespricht, sei wohl meist der wich¬ 
tigste Teil jeder Ortsbesichtigung. Wo irgend möglich, sei auf zentrale Ver¬ 
sorgung hinzuarbeiten; in Gehöften, die Milch- und Butterhandel ln irgend 
erheblichem Umfange treiben, oder Milch an Molkereien liefern, sei auf die 
einwandfreie Beschaffenheit nnd Lage der Privatbrannen grosses Gewicht zu 
legen, desgleichen bei Molkereien, Käsereien, Brauereien, Gastwirtschaften, 
Schlachthäusern, Massenquartieren n. s. w. 

Gewerbliche Betriebe seien dem Kreisarzt nicht ohne weiteres zu¬ 
gänglich (§. 92 Dienstanweisung); bei der Ortebesichtigung sei aber anf deren 
»Sekrete“ (Abwässer, Ausdünstungen) zu achten, auch etwaige Arbeiterwoh- 
nungen, Esssäle, Aborte u. dergl. seien zn besichtigen. — Die Gefängnisse seien 
gleich den Massenwohnungen zu beurteilen. — Geistesschwache, die 
sich in Privatpflege befinden, nnd Haltekinder besuche man ans naheliegenden 
Gründen lieber bei anderer Gelegenheit unvermutet. Heilquellen seien nach 
§. 108 der Dienstanweisung besonders nnd getrennt von den Ortsbesichtignngen 
zn revidieren. 

Das Protokoll sei kurz nnd klar, am besten ohne alles stilistische 



Aus Versammlungen und Vereinen. 887 

Beiwerk in Form von Stich Worten abznfassen: es gewinne dadurch an Brauch* 
barkeit für spätere Benutzung. 

Vorschläge zu Verbesserungen, die nichts oder wenig kosten 
werden meist sofort acceptiert, sobald aber der Geldponkt ernstlich mitsprieht, 
sei der Vorschlag sehr sorgfältig zu begründen. Die Begründung werde auch 
▼on den Behörden erwartet nnd event. nachträglich erfordert. Jede Lücke darin 
könne sich nachher unangenehm bemerkbar machen und das Ansehen des Kreis¬ 
arztes schädigen. — Auch solle man sich hüten, in die Kompetenzen anderer 
Behörden (z. B. Bau- und Gewerbeaufsichtsbeamte) ohne vorheriges Benehmen 
mit diesen flberzugreifen. 

Kant wies als Korreferent darauf hin, dass zu den Dienstobliegen¬ 
heiten des Kreisarztes die Aufgabe gehört, die gesundheitlichen Verhältnisse 
seines Bezirks zu beobachten und (§. 84) sich zu diesem Zwecke mit dem Ge¬ 
sundheitszustände Und den Verhältnissen seines Bezirks (Boden-, Grund-, Tiink- 
w&eser-, Wohnungs-, Erwerbs-, Lebens- und sonstigen Verhältnissen) vertraut 
zu halten. Gelegentliche und offizielle Besuche machen ihn hierzu fähig. 

Gelegenheit geben ihm Impfungen, Bevisionen der Drogen- und Farbwaren- 
handlungen; letztere werden allerdings noch häufig durch Apotheker, nicht 
vom Kreisarzt ausgeführt. Offizielle Besichtigungen, über die §. 69 der D.-A. 
Aufschluss gibt, haben unter Zuziehung der Ortspolizeibehörde, der Gemeinde¬ 
vorsteher und der Gesondheitskommission zu erfolgen. Da die SchulbeBichti- 
gongen gleichzeitig erfolgen sollen, so sind auch Kreisschulinspektor und 
Schulvorstand zu benachrichtigen. Beferent hält es für ausreichend, den Orts¬ 
vorsteher in Kenntnis zu setzen, sonst wird der Benachrichtigungsapparat zu 
gross, wenn z. B. der Kreisarzt plötzlich telegraphisch zu einer Obduktion abge¬ 
rufen wird. Auch bedeutet die Schulbesichtigung gleichzeitig mit der Orts¬ 
besichtigung z. B. in den Ferien eine grosse Beschränkung der Bewegungs¬ 
freiheit des Kreisarztes, weil die Ferien nicht gleichzeitig sind. Auch die 
Möglichkeit, nur vormittags die Schulen zu besichtigen, gestattet nicht die 
Besichtigung von mehreren Orten an einem Tage. 

Deshalb will Beferent Schul- und Ortsbesichtigungen getrennt wissen. 
Dies wird auch durch die Forderung wünschenswert, abwechselnd im Sommer 
und Winter die Besichtigungen der Schulen vorzunehmen; denn im Winter bei 
Kis und Schnee, „welche allen Schmutz und Unrat mit dem Mantel der Liebe 
bedecken“, wenn die Massenquartiere leer sind u. s. w., lässt sieh kein Bild 
gewinnen. 

Einen Unterschied bieten ferner die OrtBbesichtigungen nach der Grösse 
des Orts und bei ländlichen und städtischen Verhältnissen, auch der Umstand, 
ob ein Kreisarzt schon lange im Bezirk tätig war und mit den Verhältnissen 
bekannt oder erst in den Kreis hineinversetzt ist. 

Ueber die allgemeinen Gesundheitsverhältnisse ist ja der 
Kreisarzt durch die Krankheitsanzeigen auf dem Laufenden; dementsprechend 
kann er ganze Teile oder nur Wohnungen der Ortschaft berücksichtigen, ferner 
Arbeiter- und Massenwobnungen in Fabriken und Kasernen, Verbleib der 
Schmntzwässer, Abgänge, Gruben, Aborte, Wasserversorgung, besonders öffent¬ 
liche Brunnen. Bei zentraler Wasserversorgung wird die Prüfung der Wasser¬ 
entnahme und der Beservoire ausreichen. 

Bei etwaiger Meldung von Krankheiten, wo Nahrungsmittel in Frage 
kommen können, sind Milchhandlungen, Molkereien, Selterswasserfabriken, 
Schlächtereien, grössere Bäckereien auf ihre hygienischen Verhältnisse zu prüfen. 

Von gewerblichen Betrieben will Beferent Zuckerfabriken, Brauereien, 
Gerbereien, Seifensiedereien und ähnliche berücksichtigen, soweit Abwässeran¬ 
lagen, Geruchsbelästigung oder Verunreinigung Schädigungen bedingen können. 

Bezüglich der Gefängnisse erwähnt Beferent, dass in Dörfern meist 
Spritzenhäuser in Frage kommen, in kleinen Städten ein Winkel des Armen¬ 
hauses. 

Ferner macht er auf die Geisteskranken in Familienpflege und die 
Haltekinder aufmerksam, auch auf etwaige öffenliehe Bade- und Sehwimm- 
anstalten, Begräbnisstätten. Bei den letzteren ermahnt Beferent, mög¬ 
lichst auf Leichenhallen und Obduktionsräume hinzuwirken, damit endlich 
Spritzenhaus und Scheune aufhören, als angemessene Obduktionsräume zu gelten. 

Schliesslich empfiehlt Beferent, ausser bei Ortsbesichtigungeu auch sonst 




388 


Ans Versammlungen nnd Vereinen. 



bei jeder Gelegenheit auf Missstände hinzuweisen, allerdings soll der Kreisarzt 
immer dabei im Auge haben: nihil nimis, omne «»minm non bontun. 

Im Anschlass fand eine lebhafte Debatte statt. 

Janert wünscht dringend die Abtrennung der Schnlbesichtignngen von 
den Ortsbesichtignngen, ebenso wegen seiner Autorität die Anwesenheit des 
Landrats. Er hält die Revision der Privatmolkereien für notwendiger, als die 
der Sammelmolkereien. 

Holthoff legte ein von Her ms ausgearbeitetes Formular vor, welches 
vorher der Ortapolizeibehörde zur Ausfüllung zugesandt wird und somit schon 
vor der Besichtigung dem Kreisarzt einen Ueberblick gewährt, wo Brunnen- 
und sonstige Verhältnisse bedenklich sind. Redner erwähnt auch die bedenk¬ 
lichen Viehtränken auf den Höfen, insofern das Vieh die Exkremente dicht 
neben dem Brunnen zurücklässt. Diese werden in der Regel nicht entfernt 
und können so leicht in den Brunnen geschwemmt werden. 

Herrns wünscht, dass in die ländlichen Polizeiverordnungen aufge¬ 
nommen wird, jedes Wohnhaus müsse einen Abort haben; bis jetzt sei dies nicht 
überall der Fall. 

Auf Frage des Vorsitzenden erwidert v. Lympins, dass in eine 
Bauordnung nur bauliche, nicht sanitätspolizeiliche Sachen gehören, doch em¬ 
pfehle sich die Anregung, dahin die Polizeiverordnung zu ergänzen. 

Weiter weist der Vorsitzende darauf hin, dass die Revision der 
Drogenhandlungen durch die Kreisärzte nur empfohlen, nicht befohlen werden 
könne, da im ministeriellen Erlass hierfür die Mitwirkung der Apotheker in 
erster Linie vorgesehen sei. 

Holthoff macht darauf aufmerksam, dass bei Dismembration eines 
Hofes leicht die Wasser rerhältnisse durch Nichteinhaltung der notwendigen 
Entfernung des Brunnens vom Abort sehr verschlechtert werden können. Das 
müsse im Auge behalten werden. 

Her ms teilt mit, dass es gelungen sei, Aborte zu entfernen, indem 
Gruben, die nicht befestigt waren, nicht als bauliche Anlagen betrachtet wurden 
und deshalb entfernt werden mussten, um dann gute anzulegen. 

II. Kluge referiert über die bisherigen Erfahrungen bei den 
kreisärztllcben Schulbesichtigungen (Autoreferat). Referent betont in den 
einleitenden Worten die Wichtigkeit des gegenseitigen Austausches der bisher 
gesammelten Erfahrungen über diesen gänzlich neuen Zweig der kreisärztlichen 
Tätigkeit. Die Verfügung des Herrn Regierungspräsidenten vom 28. Juli 1902, 
in welcher Uber die Art der Besichtigungen nnd vor allen Dingen Uber die 
Grenzen der als unbedingt notwendig bezw. wünschenswert zu bezeichnenden 
Vorschläge zu Verbesserungen genaue Anweisungen gegeben worden sind, be¬ 
weist, dass seitens der besichtigenden Kreisärzte bereits vielfach soweit gehende 
Forderungen gestellt waren. Auf die Gefahr derselben für die Autorität des 
besichtigenden Kreisarztes gegenüber den örtlichen Schulbehörden wird be¬ 
sonders hingewiesen und dabei zugleich die dringende Bitte an die Königliche 
Regierung, Abt. II, ausgesprochen, den Kreisärzten unbedingt nnd möglichst 
bald von ihrem endgiltigen Bescheide auf den Begleitbericht des Kreisarztes 
Kenntnis zu geben, was bisher noch in keinem Falle geschehen ist. 

Die bei den Besichtigungen gemachten Erfahrungen werden dann an der 
Hand der einzelnen Nummern des Formulars IX kurz durchgesprochen. 

Die auffälligsten Missstände sind vom Referenten vorgefunden 1. in dem 
nicht selten krassen Missverhältnis der Grösse des Schulzimmers zur Zahl der 
Schüler (ungenügender Luftknbus für den Kopf jedes Kindes), 2. bei der Be¬ 
schaffenheit der Schulbänke, 3. bei der Beschaffenheit der Aborte, besonders 
der Abortgruben. 

Bei Nr. 12 (Krankheiten der Schulkinder) betont Referent, dass der 
Kreisarzt zur Beantwortung der hier im Formular gestellten Fragen unmöglich 
jedes einzelne Kind auf die Gesundheit, bezw. Beschaffenheit der Brust- nnd 
Baucheingeweide untersuchen, ebensowenig den Refraktionszustand bezw. die 
Sehschärfe und Hörffthigkeit aller Kinder durch Einzeluntersuchung feststellen 
könne. Er hat nur die augenfällig kranken bezw. die vom Lehrer als kurz¬ 
sichtig oder schwerhörig bezeiohneten Kinder einer besonderen Untersuchung 
zu unterziehen, ebenso auf geistesschwache und stotternde Kinder zu achten 
zur Anordnung entsprechender Massregeln für derartige Kinder. Einzelnster- 



Aus Versammlungen und Vereines. 


389 


suehungen sämtlicher Kinder können nur ron besondere nngestellten Schul¬ 
ärzten snsgefBhrt werden, welehe sieh mit dem Kreisarit in engere Fflhlong 
sn setsen haben. 

Beim Sehlnss stellt Beferent folgende Leitsätze anf: 

„1. Die kreisärztlichen Besichtigungen der Volksschulen werden zweifellos 
anf die gesundheitliche Entwickelung der Schulkinder von segensreichem Ein¬ 
fluss sein. 

2. In der Aufstellung der für dingend notwendig erachteten Verbesse- 
rungsvorsobläge (Begleitbericht) empfiehlt sich aus allgemeinen Zweckmässig- 
keitsgründen ein eher vorsichtiges, als scharfes Vorgehen mit sorgfältigster 
Erwägung der örtliohen Verhältnisse im Einselfalle. Die Innebaltnng der in 
der Verfügung des Herrn Begiernngspräsidenten vom 28. Juli 1902 festgelegten 
Grenzen schützen den Kreisarzt sicher vor einem Uebermass seiner Forderungen. 

3. Die möglichst baldige Mitteilung seitens der Königlichen Regierung 
an den Kreisarzt über die auf Vorschlag desselben tatsächlich angeordneten 
Massnahmen scheint dringend erforderlich. 

4. Gesundheitliche Orts* und Schnlbeaichtigungen sind, sobald die Zahl 
der zn besichtigenden Klassen mehr als 2 beträgt, nicht an einem Tage aus- 
zuführen. 

ö. Neben den 6jährlgen Besichtigungen des Kreisarztes erscheint die 
Bestellung von Schulärzten und zwar in erster Beihe im Interesse der gesund¬ 
heitlichen Ueberwachung und Untersuchung des einzelnen Kindes dringend 
erforderlich. Die Anstellung von Schulärzten, auch für Gemeinden ohne Arzt 
ist, wenigstens für den Beg.-Bez. Magdeburg, wohl ausführbar. 

6. Eine Vereinfachung des Formulars 9 erscheint im Interesse der sehr 
zeitraubenden Berichterstattung wünschenswert und erreichbar." 

Thilow (Auszug aus dem Autoreferat) erwähnt als Korreferent 
zunächst die Schwierigkeiten, welche daraus erwachsen, dass nach der Ver¬ 
fügung des Herrn Begiernngspräsidenten event. der Kreisechulinspektor über 
die Ferien befragt werden soll, um nicht innerhalb derselben eine Sohulbesich- 
tigung vorzunehmen, und wünscht, da die Ferien in den verschiedenen Ort¬ 
schaften verschieden liegen, zur Vermeidung des Schreibwerks direkte Mit¬ 
teilung von diesem. 

Ferner hält er es für zweckmässig, von den regelmässigen Bevi- 
sionen des Kreisschulinspektors Kenntnis zu erlangen, um an diese möglichst 
seine Besichtigung und eine Besprechung anzuknüpfen. Dasselbe gUt für 
etwaige Bevisionen des Begierungs- und Medizinalrats. 

Auch wünscht er Beteiligung an den Kreislehrerkonferenzen; für not¬ 
wendig hält er sie dann, wenn, wie es öfter der Fall gewesen, auf diesen ein 
Thema behandelt wird, wie z. B. die Bekämpfung der Tuberkulose in den 
Volksschulen. 

Weiter empfiehlt er, erst in eine Besprechung mit dem Schulvorstande 
einzutreten, wenn sämtliche Schulen einer Gemeinde besichtigt sind, nnd hierzu 
besonders einen Vertreter des jeweiligen Zahlungspflichtigen Verbandes zuzu¬ 
ziehen. Auf diese Weise könne sich auch der Kreisarzt über die finanzielle 
Leistungsfähigkeit der Schulgemeinde unterrichten. 

Bezüglich der Entscheidung über das, was zu geschehen habe, mahnt 
Beferent zur Vorsicht, da in der Begel schliesslich doch nur die Aenderungen 
vorgenommen würden, welche die zuständige Behörde als notwendig bezeichnet 
habe und event. auf dem Zwangswege durchführen könne. 

Gleich dem Beferenten wünscht er ebenfalls Kenntnis von den Ent- 
schliessungen der Begiernng zu erhalten, um einen Massstab für seine Forde¬ 
rungen zu besitzen, anderseits aber auch um später die Mängel kontrollieren 
zu können. 

Ueber die Ausführung der Besichtigung, die bei alleinigem Vormittags¬ 
unterricht am Nachmittag nicht möglich ist, berichtet Korreferent, dass er 
zunächt die Temperatur und die Luftbeschaffenheit in einer Klasse prüft und 
den Befand in das Formular einträgt. Darauf untersucht er die Schulkinder, 
indem er sie einzeln an sich Vorbeigehen lässt, sich Haltung, Gesicht, Mnnd, 
Zähne u. s. w. ansiebt, gleichzeitig auch auf die Beinlicbkeit der Kinder 
achtet (Mundwinkel, Hände, Nägel). Etwaige genauere Untersuchungen finden 
später statt, ebenso werden auch später die vom Lehrer als kurzsichtig oder 



390 


Ava Versammlungen ul Vereinen. 


lekwarkOrif koaiakutea Kinder geprüft Ba genügen ihm für 60—70 Kinde* 1 
20—30 Minuten Zeit. Eingehendere Untersuchungen der Schulkinder hei den 
regelmässigen Schnlbeeiehtignngen vorznnehmen, sei nicht die Aufgabe des 
Kreisarztes, ln der gleichen Weise verfährt Referent in der nichsten Klasse 
u. s. w. Nach Beendigung des Schulunterrichts wird dann die Besichtigung 
der Schulanlage und der einseinen Schulrftume vorgenommen. An den folgenden 
Besieht!gangstagen, wenn notwendig, verfährt Referent in der gleichen Weise, 
bis alle Schulen der betreffenden Ortschaft besichtigt worden sind. Referent 
hält diesen Gang der Besichtigung für den zweckmäßigsten, da so der Schul¬ 
unterricht so wenig wie möglich gestört und die Zeit so gut wie möglich 
ausgenutzt wird. 

Schliesslich wünscht Referent, statt der hier gebrftuchlichea Formulare, 
die su viel Schreibarbeit erfordern, andere und legt solche vor, die dem Rech¬ 
nung tragen. 

Nachdem Janert, Holthoff, Kant sich ebenfalls su den vorliegenden 
Punkten gelussert haben, und nachdem Strassner, der bei einem grossen 
Stadtkreise, in dem 23 Schulärzte angestellt sind, im ganzen nnr mit sehr 
guten Schul rerhältnissen zu tun hat, über seine Erfahrungen bei Bestimmung 
der Beleuchtung der einzelnen Sitzplätze vermittels Zinkschen und Win gen¬ 
sehen Helligkeitsprüfers Mitteilungen gemacht, letzteren auch in seiner An¬ 
wendung gezeigt hatte, gab der Vorsitzende nochmals summarisch eine 
Uebersioht über die Sohulbesichtigungen, stellte trots der grossen Schwierig¬ 
keit bei der Menge des Materials möglichst baldige Nachricht über die Anord¬ 
nungen der Regierung bei Vorschlägen des Kreisarztes in Aussicht, ersuchte 
deshalb aber auch um möglichst frühzeitige und einzelne Einsendung der Be¬ 
richte. Er liess sich ferner über Ventilation aus, Sandstreuen, Oelen, An¬ 
wendung von staubbindenden Fussbodenölen, Wirkung von Beleuchtung und 
schlechten Bänken auf Entstehung der Kurzsichtigkeit, Rettigbänke, wies auf 
die Erleichterung hin, welche Handskizzen für die Nachprüfung gewähren, und 
forderte auf, die offenen Sohulbrunnen zu bekämpfen. 

Die Bedeutung der Untersuchung daroh den Kreisarzt bei verschiedenen 
Krankheiten der Kinder möohte der Vorsitzende nicht überschätzen, da ja 
die Kinder erst wieder nach 5 Jahren gesehen werden, wo überhaupt nur noch 
ein Teil derselben vorhanden ist, ganz abgesehen davon, dass bei der Kürze 
der Zeit die Untersuchung keine sehr eingehende sein kann. Er bezeichnet es 
aber als eine besonders dringende Aufgabe, auf die geistesschwachen und 
stotternden Kinder zu achten; er brachte besonders zum Ausdruck, wie durch 
die Hilfsklassen für Schwachbegabte Kinder und durch Stotterkurse diesen 
armen Geschöpfen oft erheblich zu helfen möglich sei, wie andernfalls auch der 
Besuch der Idiotenanstalt notwendig werde. Er weist darauf hin, dass in den 
Städten hierfür schon viel geschehen, dass es aber für* den Kreisarzt eine 
vornehme und dankbare Aufgabe sei, auch auf dem Lande hierfür ein Ver¬ 
ständnis hervorzurufen. 

III. Kühn referiert über Einführung der Anzeigepflicht für 
tuberkulöse Erkrankungen und obligatorische Desinfektion aller 
Räume, welche von Tuberkulösen bewohnt waren. (Autoreferat.) 

Die Bekämpfung der Tuberkulose muss in der Jetztzeit als eine der vor¬ 
nehmsten Aufgaben der Hygiene angesehen werden, nnd der Medizinalbeamte 
wird besonders noch durch den Ministerial-Erlass vom 22. Dezember 1897 an¬ 
geregt, an der Lösung dieser Aufgabe mitzuarbeiten. Die schon in diesem 
Erlass empfohlene Einführung der Anzeigepflicht bei Todesfällen durch Tuber¬ 
kulose und Desinfektion der von Schwindsüchtigen bewohnt gewesenen Bäume 
resultiert ans den Tatsachen, dass sich Tuberkulose, abgesehen von dem Ge¬ 
nuss bazillenartiger Nahrangsmittel, hauptsächlich durch Inhalation von basillen¬ 
haltigen Tröpfchen und basillenhaltigen Staubes und durch Kontaktinfektion 
(durch Auswurf oder Stnhlentleerung beschmutzter Gegenstände) verbreitet, 
dass somit der hustende und Bazillen mit den Stühlen entleerende Tuberkniöse 
eine Gefahr für seine Umgebung bildet, welche auch nach dem Tode oder dem 
Verziehen des Kranken noch lange Zeit in den von Tuberkulösen bewohnt ge¬ 
wesenen und nicht desinfizierten Räumen besteht. 

Zur Einführung aanitätspoliseilicher Maasregeln gegen diese Gefahr be¬ 
darf man den Nachweis der Tuberkelbazillen im Einselfalle nicht. Das Krank- 



Au Versammlungen and Vereinen. 


891 


beitabild vorgeschrittener Schwindsucht int ein so allgemein bekanntes, dass 
man von dem Amt, dem Pflegepersonal nnd anderen Personen, welche mit den 
Kranken in Verkehr stehen, ein Erkennen der Krankheit vorausaetzen kann. 
Es wird ferner auch eine gelegentliche Anseige sohwindsuchtähnlicher Krank¬ 
heitsformen und die Anwendung der gegen die Aasbreitang der Tuberkulose 
angeordneten Massregeln bei solchen FUÜen für die allgemeine Gesundheit kein 
Schaden sein. 

Dass eine Anseigepflicht der Tuberkulose notwendig ist, wird Ton allen 
Hygienikern Deutschlands und anderer Kulturstaaten einstimmig anerkannt. 
Solange aber noch kein Tuberkulosegesets in Preussen besteht, ist die Ein* 
fthrung einer Anseigepflicht nur durch Poliseiverordnungen möglich, wie solche 
in einseinen Begierungsbesirken (Wiesbaden, Arnsberg) und in einseinen 
Stidtea schon erlassen sind. Referent legt den Entwurf einer Poliseiverordnung 
im Sinne des Themas vor, welche sich an die Polisei-Verordnung der eben 
genannten Regierungsbesirke anlehnt, und motiviert die Fassung der einseinen 
Paragraphen. 

Herms als Korreferent führte au (Autoreferat): Mag man über 
du Heilstittenwesen und seine Erfolge denken, wie man will, soviel steht fest, 
dass der dort betretene Weg allein nicht sum Ziele führt; denn die Fälle, die 
hauptsichlieh nur Weiterverbreitung Veranlassung geben, ich meine die vor¬ 
geschrittenen ud terminalen, werden mit grosser Sorgfalt von den Anstalten 
ferngehalten. Wir stehen nicht auf dem Boden des Kollegen Ri eck, 
der drastisch genug der Heilstittenbewegung den Bankerott voraussagt, und 
ihr dasselbe Resultat in Aussicht stellt, wie etwa dem Unternehmen, den 
Bodensee mit Eimern aussuschüpfen. Du Ersiehliche der Heilstätten erkennen 
wir dankbar an, glauben auch, dass eine ganse Reihe von Fällen im Initial¬ 
stadium nur Heilung gebracht wird, aber für übertrieben halten wir es, wenn 
za Uebersehwengliehkeiten Geneigte schon jetst eine Abnahme der Tuberkulose 
infolge der Heilstättentitigkeit durch die Statistik nachgewiesen haben wollen. 
Die Hauptarbeit in der Bekämpfnng der Tuberkulose liegt unseres Erachtens 
in der Knlturmission, die uns Medisinalbeamten durch du Kreisarstgesetn 
übertragen ist. 

Wir sind berufen sur Pflege der Hygiene der Gesamtheit, während die 
Heilstätten sich nur mit der Hygiene du Einseinen befassen. 

Der vorliegende Entwurf will einem Mangel in der Medisinalgesetz- 
gebung abhelfen, der uns allen, die wir du Elend, welches die Tuberkulose 
bringt, aus eigener Anschauung als praktische Aerste und Medizinalbeamte 
kennen, oft genug fühlbar geworden ist Auf dem Wege der Ratschläge und 
Belehrungen Erspriessliehes ra erreichen, ist bei der Indolens der ärmeren und 
hauptsächlich befallenen Bevülkerung nahen unmöglich. Anderseits zu scharf 
vorsugehen, ist bei den oft höchst delikat liegenden Verhältnissen nicht 
an g än g ig. 

Bei Todesfällen an Tuberkulose wird der Anseige und Desinfektionszwang 
kaum auf nennenswerten Widerstand stossen, namentlich nicht in den Kreisen, 
wo die obligatorische Leichenschau bereits vorhanden ist. Die Anseigepflicht 
bei Tuberkulose wird vielleicht den Anstoss geben, auf allgemeine Einführung 
der so segensreichen Leichenschau hinrawirken. 

Die vorgeschlagene Anseigepflicht bei Wohnungswechsel von Tuberku¬ 
losen und Tuberkulose-Verdächtigen aber wird sicher hie und da auf Wider¬ 
stand stossen. Referent erinnert an das ärstliche Berufsgeheimnis, an die Ge¬ 
fahr der Aeehtung Tuberkulöser selbst von den nächsten Anverwandten, an den 
möglichen Verlust von Arbeitsgelegenheit, an die Wohnungsentwertung, an den 
Mangel von ausreichenden Anstalten und Wohnungen sur Aufnahme Tuber¬ 
kulöser, an die schweren Lasten, die nicht nur den Kommunen nnd Versiche¬ 
rungsanstalten, sondern auch den Familien aus der Unterbringung in geeignete 
Anstalten erwachsen würden, ganz abgesehen von dem Eindruck, den ein ge- 
sundheitspoliseiliehes Eingreifen auf die Kranken machen würde. Selbst die 
Anseigepflicht bei Wohnungswechsel erscheint aus ähnlichen Erwägungen 
zunächst noch als ra weitgehend, jedoch muss man dies Bedenken fallen lassen 
in Anbetracht des Segens, der dadurch gestiftet werden kann. Für jeden Arzt, 
der die Augen offen hat, ist es unzweifelhaft, dass hier die Wurzel alles Uebels 
liegt nebst der wirtschaftlichen Misere. Gelingt es hier Wandel zu schaffen, 



392 


Au Versammlungen ui Vereinen. 


dun wird eine Hauptquelle verstopft, die der Tnberknloee stets nenee Material 
zafahrt. Jene Löcher, in denen eng zusammengepfercht eine grosse Kinder* 
soliaar mit den tuberkulösen Eltern haust, werden heutzutage nach dem Tode 
der Ernihrer ohne weiteres gerftumt, der infizierte Haurat verkauft und die 
„Wohnung“ wieder bezogen, wie sie ist. 

Wenn etwas Wirksameres geschehen soll, so muss hier eingegriffen 
werden und deshalb ist der sorgsam durchdachte Entwurf des Kollegen Kflhn 
im Prinzip zur Annahme zu empfehlen. 

Mit geringen Mitteln werden wir dun im Stillen mehr erreichen, wie 
die HeilstKttenbewegung, wenn wir es nicht in unserem amtlichen Vorgehen 
an dem fehlen lassen, was uns du Wort Fortiter in re, suayiter in modo 
▼orschreibt. 

Friedei teilt bei der Debatte mit, dass im Kreise Grafschaft Wer¬ 
nigerode auf seine Veranlassung die Aerzte sich dahin geeinigt haben, bei 
augenfälligen Krankheitsfällen von Lungentuberkulose bei Wohnungswechsel 
und Todesfall Desinfektion ein treten zu lassen. 

Kant macht darauf aufmerksam, dass in Aschersleben und Quedlinburg 
bei Tuberkulose Desinfektion zu erfolgen hat 

Keferstein hat Bedenken, ob sich nach dem Regulativ eine Desin¬ 
fektion polizeilich anordnen lässt. 1 ) 

Kluge meint, man solle jetzt nioht durch Poliseiverordnungen dem ja 
erwarteten Seuchengesetz vor greifen. 

Jan er t kommt auf die Heilstättenbewegung und legt ihr grosse 
Wirkung bei, da sie nach seiner Meinung den Kranken isoliert und so die In¬ 
fektion in der Familie hindert Man solle deshalb die Bewegung unterstützen; 
was sie nfitse, könne die Desinfektion nie erzielen. 

Moritz ist im Gegenteil der Meinung, dass die Wohnungsdesinfektion 
▼on viel grösserer Bedeutung sei. Er war vorher in Solingen, wo die Tuber¬ 
kulose in den Schleifereien zu Hause ist, hat selbst die Kranken fflr die Heil¬ 
stätten ausgesucht Das Initialstadium wird weggeschickt, die Scbwerkrsnken 
bleiben zu Hause, also kann nicht davon die Rede sein, dass durch die Heil¬ 
stätten eine Verringerung der Infektion stattfindet. Man solle ihn nicht falsch 
verstehen, wenn er sage, die Heilstätten werden die Gefahr der Tuberkulose 
nicht verringern; er wende sich durohaus nioht gegen die Heilstätten, denn er 
erkenne ihren Nutzen darin, dass sie später als Rekonvalessentenheime viel 
nutzen würden. Nach seiner Auffassung bleibe bei der Tuberkulose das 
Wichtigste die Desinfektion der Wohnung und der Werkstätten. Er meine 
damit nicht alle, wo z. B. 1 oder 2 arbeiten, aber er denke an die Berufe, wo 
der Staub sehr wirkt; dort sei es angebracht, nicht bloss zu desinfizieren, 
sondern auch vorsubeugen und besonders die Massregeln auf besondere Rein¬ 
lichkeit zu richten. 

Der Vorsitzende weist darauf hin, dass Heilstättenbewegung und 
Wohnungsdesinfektion die Bekämpfung der Tuberkulose mit verschiedenen 
Mitteln betreiben, die eine nehme den Anfang, die andere das Ende der Krank¬ 
heit in Angriff; zur Vernichtung der Bazillen sei natürlich die Desinfektion 
das Wichtigere, aber man solle den Nutzen der Heilstätten nicht verkennen 
und deshalb diese Bewegung unterstützen. 

Hierauf wurde von einer weiteren Beratung der vorgeschlagenen Ver¬ 
ordnung abgesehen und die Versammlung gegen 5 Uhr geschlossen. 

Dr. Strassner-Magdeburg. 


*) Kollege Kühn bemerkt nachträglich hierzu: In dem §• 90 des Regu¬ 
lativs unter Nr. 10 der einzelnen aufgeführten ansteckenden Krankheiten und 
Krankheitsgruppen, gegen welche sanitätspolizeiliche Massnahmen zulässig sind, 
werden bösartiger Kopfgrind, Krebs, Schwindsucht und Gicht aufgeführt. 
Gegen alle diese, also auch gegen Schwindsucht, Tuberkulose, können nach §. 23 
des Regulativs von den Polizeibehörden allgemeine sanitätspolizeiliehe Vor¬ 
schriften unter Androhung angemessener Ordnungsstrafe erlassen werden. 



Kleinere Mitteilungen and Referate atte Zeitschriften. 


393 


Kleinere Mitteilungen und Referate aue Zeitschriften. 

Bakteriologie, Infektionskrankheiten and Öffentliches 

Sanitätswesen. 

Stadien über krankheitserregende Protosoen. Plasmodinm vivax 
(Grazsi and Feletti), der Erreger des Tertianfiebers beim Menschen. 
Von Fritz Schandinn-Rovigno. Hieran Tafel IV—VI. Arbeiten aas dem 
Kaiserliehen Gesandheitsamte. Beihefte za den Veröffentlichungen des Kaiser* 
liehen Gesundheitsamtes. Neunzehnter Band, zweites Heft. Mit 8 Tafeln. 
Berlin 1902. Verlag von Julias Springer. Preis: 15 Mark. 1 ) 

Seh. hat im Jahre 1901 im Aufträge des Reichsamts des Innern in 
Rovigno und Umgebung, einem malariareichen Landstriche, Untersuchungen über 
verschiedene Arten von Parasiten angestellt and teilt in der vorliegenden Arbeit 
seine Beobachtangen über PI. v. mit. Er beschreibt in ausführlicher Weise nach¬ 
einander die Sporozoiten, ihre Bewegungen, ihr Eindringen in die Speicheldrüsen 
der Mücken nnd in die roten Blutkörperchen der Menschen, ferner die Schizonten, 
das Wach8tam, die Kernveränderung and Kernvermehrung derselben, die freien 
Merozoiten, die morphologischen Veränderungen der Schizonten and Gameten 
in ihren verschiedenen Waohstomsstadien nach Verabreichung von Chinin n.s.w. 
— alles Einzelheiten, aaf die hier nicht näher eingegangen werden kann. 

Dr. Rost-Rudolstadt. 


Ueber die Bekämpfung der Malaria. Von Sir William Max Gregor. 
Vortrag, gehalten an der Universität Glasgow am 28. November 1902. 

Für die Wichtigkeit des Gegenstandes führt der Vortragende zunächst 
an, dass in Indien im Jahre 1900 an Malaria starben: von der eingeborenen 
Bevölkerung 4 919 591, von europäischen Trappen (60558) 18679, von ein¬ 
geborenen Trappen (123 468) 39 601. 

Für die Diagnose entnimmt man nach der neueren Methode von 
Major Ross dem Patienten 20 Kubikmillimeter Blut zur mikroskopischen 
Untersuchung, das man auf einen Objektträger ausbreitet. Nachdem es ge¬ 
trocknet ist, übergiesst man das Präparat mit EosinlOsung (Romanowskysche 
Methode). Nach l 1 /» Stunden wird die EosinlOsung abgewaschen nnd unter 
scharfer Methylenblaulösung einige Sekunden gefärbt. Dann wird auch diese 
abgewaschen, das Präparat getrocknet und in Canadabalsam gebettet. Diese 
Methode ist sicher und spart enorm viel Zeit. 

Betreffs der Bekämpfung der Plasmodien und Malaria Parasiten bemerkt 
Redner, dass Koch die Parasiten im menschlichen Körper angreift, Celli- 
Italien sucht Schutz durch Drahtnetze zwischen Mensch nnd Moskito, Ross be¬ 
kämpft die Moskitos selbst. In Lagos wurden alle Mittel dieser 8 Autoritäten 
in Anwendung gebracht. Der Erfolg der einzelnen Methoden war folgender: 

Chinin und die Kochsche Methode: (1—2 gr Chinin jeden 
Morgen, so lange noch Parasiten im Blute gefunden werden, dann 1 gr alle 
7—8 Tage, wenigstens 2 Monate lang). Die günstigsten Erfolge Koohs in 
Kaiser Wilhelmsland und auf Java mit Chinin in genügenden Dosen wurden 
von einem seiner Schüler, Stabsarzt Dr. Blud au in letzten Jahren an der 
Dalmatinischen Küste bestätigt. Das Verschwinden der Malaria in Deutschland 
wird ebenfalls dem Chinin zugeschrieben. Wenn auch in England und Holland 
der Drainage ein grosser Anteil gebührt, so ist doch gewiss, dass Chinin ein 
mächtiges Prophylacticum gegen Malaria ist. In Lagos erhalten alle Beamten 
Chinin frei zum Präventivgebrauch. Einige nehmen 0,15 täglich, andere 0,8 
jeden 2. Tag u. s. w. Es seheint keinen Unterschied zu machen, so lange ein 
Erwachsener wenigstens 0,9 pro Woche nimmt. Ross empfiehlt 0,8—0,6 täglich 
vor dem Frühstück, Celli 0,24 jeden 2. Tag. Die letzten Beobachtungen in 

*) Das betreffende Heft enthält ausser den bereits in Nr. 6 bezw. 7 be¬ 
sprochenen Abhandlungen von Dr. Günther über „ Dauerwurstzusatz Borolin* 
und Dr. Weber „über die tuberkelbasillenähnliehen Stäbchen und die Bazillen 
des Smegmas“ folgende Abhandlungen: Ueber die Bestimmung des Rohrzuckers 
in gezuckerten Früchten und Beiträge zur Zuokerbestimmung von Dr. H. 
Schmidt; ferner Beiträge zur Kenntnis der Zündwaren von Dr. Fischer 
and zur Kenntnis der Dammarharse von Dr. W. Busse, sowie Mittheilungen 
aus den deutschen Schutzgebieten. 



894 


kleinere Mitteilungen and Referate nu äeitsekrtfteit. 


Italien scheinen in neigen, dass auch 2°/o von denen, die Chinin prophylaktisch 
nehmen, Malaria bekommen. Max Gregor selbst meint, dass kein Europäer, 
der sich weigert, Chinin so nehmen, nach Malaria-Kolonien gehen dürfe, da 
er nicht nur seine Gesundheit riskirt, sondern vielmehr noch eine Gefahr für 
das Allgemeinwohl ist. Italien hat hierfür schon ein swingendes Gesets. 

Erwähnenswert ist, dass die italienische Regierung jetst nur das Chinin 
bisulf. und das Chinin hydrochlor. als die leicht löslichsten und am besten 
zu vertragenden wie billigsten Salze verwendet, das Chinin sulf. ist in Mis- 
kredit geraten, das Aethylcarbonat (fiuchinin) ist zu teuer. 

Während Koch ca. 6 Standen vor einem zu erwartenden Fieberanfall 
Chinin gibt, empfiehlt Celli l'/t gr je 4 Tage lang, dann 1 gr für 4 Tage 
später, dann 14 Tage lang 0,5 gr. Ross giebt 0,6 alle 12 Stunden eine 
Woche lang. Vortragender gab in British Guinea erfolgreieh 0,6 Chinin mit 
0,3 Antifebrin 1—2 mal täglich. 

Malaria-Prophylaxe auf mechanischem Wege: Sie erfreut 
sich grosser Beliebtheit bei Prof. Celli und seinen Landsleuten neben dem 
Gebrauche des Chinins. Papuaneger brauchen das Moskitonetz seit undenklichen 
Zeiten. Fidjiinsulaner machen ein Moskitonetz aus einem Stoffe, dem sie der 
Rinde des Maulbeerbaums entnehmen. In Italien braucht man jetst Drahtnetze 
an Türen und Fenstern in HolzTahmen; die amerikanische Art mit 14 Maschen auf 
1 Zoll wird bevorzugt, (screens. d. Bef.). Dasselbe geschieht in Lagos. Nur 
in der Nähe des Aequators wirkt das Drahtnetz ungünstig für die Ventilation. 

Eine andere Art Schutz liefert der Rauch. Prof. Celli erwähnt dies 
vom Tabak. In Neu-Guinea werden Wohnungen hoch genug angelegt, um 
Feuer unter ihnen zu machen und Rauch zur Vertreibung des Moskitos zu 
gewinnen. In Florenz braucht man in Ermangelung von Moskitonetzen in 
geschlossenen Räumen Räucherkerzchen von Pyrethrum und Salpeter, „Zam- 
peronis“ genannt. Pyrethrum narkotisiert die Moskitos für einige Stunden, 
aber tötet sie nicht. Leider verursacht dieser Rauch Kopfweh. Die Netze 
sind eben nicht zu entbehren, bilden aber nur die 2. Verteidigungslinie, die 
erste liegt allein in dem Chiningebräuch. Drahtnetze sind für Hospitäler aber 
unentbehrlich, namentlich für die Fieberkranken. 

Die Präventiv-Methode von Major Ross: Es ist da, wo 
medizinische und mechanische Prophylaxe nicht ausreiehen, die Radikalmethode: 
Krieg den Moskitos bis aufs Messer. Kochs Methode befreit die Kranken 
von den Parasiten und verhütet so die Infektion der Moskitos, Ross’ Methode 
will die Moskitos ausrotten. Das System ist einfach; es trifft die feuchten 
Brutstätten, nur ist es leider schwer ausführbar. Es handelt sich um Trocken- 
legen, Drainieren des Bodens, Auffüllen von Erde oder Salzwasser oder rohem 
Petroleum; in Wohnungen am peinlichstes Vermeiden von irgend welchen 
feuchten Behältern, wo Mokitos sich einnisten können, selbst leeren Büchsen 
oder zerbrochenen Flaschen. Dies lässt sich leichter ausführen, schwieriger bei 
grossen Plätzen, Städten wie Amsterdam, wie Lagos, wie der Agro Romano. In 
Lagos hat man begonnen, Sümpfe mit Sand oder sandigem Oel zu füllen, und 
wird dies jahrelang fortsetzen, periodisch wird rohes Petroleum ausgegossen. 
In Amsterdam füllte man die Kanäle mit dem salzigen Wasser des Zuider- 
Sees, in dem die Anopheles-Moskitos nicht gedeihen nach den Erfahrungen und 
Beobachtungen von Dr. Schoo; dasselbe fand man in Italien und Aegypten 
bei saishaltigem Wasser. Ein weiterer Weg zu diesem Ziele der Prophylaxe 
wäre der, Trennung der Europäer von den Eingeborenen in bestimmten Stadt¬ 
vierteln, ohne aber zu versäumen, ihren Kulturzustand zu heben. 

Schwarzwasserf ieber. Wie erwähnt, wird es zuweilen bei unregel¬ 
mässiger Anwendung heroischer Dosen von Chinin beobachtet. Dass Sehwarswasser¬ 
fieber aber auch ohne dieses vorkommt, hat Vortragender an sich selbst erfahren. 
Die Meinungen über diese Krankheit sind noch verschieden, doch scheint sie 
mit Malaria zusammenzuhängen. Die erfolgreichste Behandlung ist die von 
Dr. Kermorgant, Inspecteur-G6n6rale de Santö des Colosies Franeaises, 
empfohlene. Sie besteht in subkutaner Injektion von einer Salzlösung, 7,0 
Seesais auf 100,0 Wasser, und zwar in milden Fällen 200,0 in 24 Stunden, in 
schwereren öftere und grössere Injektionen von 100—800,0, und zwar in der 
regio hypogastrica. Regel ist täglieh einmal, mehr wie vier in einem Falle 
waren nicht nötig. Dr. Gougien verordnete gleichseitig ein Mittel dar Ein¬ 
geborenen, ein Infus der Cassia oeeidentalis 15,0 : 1000,0 1—8 Liter täglich. 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 896 

Nach den Berichten des Sanitary Departement of Dahomey wurden 68 Fille 
erfolgreich behandelt. 8trachan, Chief medicinal Offieer in Lagos empfahl 
salinische Klystiere; Natr. salyc. wird in anderen Teilen Westafrikas Ter* 
ordnet. In Neu-Guinea bestand die Behandlung in kleinen Dosen you Chinin, 
Antifebrin mit Diuretica und war ebenso erfolgreich wie das französische. Blut¬ 
transfusion blieb fflr die schwersten Fälle flbrig. 

In der Belehrung der Bevölkerung von Malariagegenden ist endlich ein 
weiteres wirksames Mittel zur Prophylaxe zu erblicken. 

Dr. 0 h 1 e m a n n • Wiesbaden. 


Die gesundheitlichen Gefahren der Prostitution und deren Be¬ 
kämpfung. Von Prof. Dr. Lesser. Nach einem in der ersten Versammlung 
der Berliner Ortsgruppe zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten am 9. De¬ 
zember t. J. gehaltenen Vortrage. 

Lesser vertritt die Ueberzeugung, dass die grösste Gefahr nicht aus¬ 
gehe von den unter polizeilicher Kontrole befindlichen Mädchen, Bondern von 
den sogenannten heimlichen, deren Zahl in allen Grossstädten die der Kon- 
trolirten bei weitem fibertrifft. In Berlin betrage sie 20000 gegen 4000 bis 
6000. Diese heimliche Prostitution zu assaniren, ist die Hauptaufgabe bei der 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Um dieses durchsulfihren, sind zwei 
entgegengesetzte Wege vorgeschlagen worden. Der erste empfiehlt möglichste 
Ausdehnung der Sittenpolizei. Dieser Weg scheitert aus technischen und recht¬ 
lichen Gründen. Der andere Weg geht darauf hinaus, die Sittenpolizei ganz 
absusohaffen und durch Gewährung freier Arznei, freier ärztlicher und Kranken¬ 
hausbehandlung die Gelegenheit zur Heilung jedem Kranken so leicht wie 
möglich zu machen. Lesser verwirft auch diesen Weg, er meint die Pro- 
stituirten würden ihr Gewerbe, auch wenn sie krank wären, fortsetzen. Da¬ 
gegen schlägt er folgende Organisation vor: Bs sollen Heilanstalten nach Art 
von Polikliniken eingerichtet werden, in denen die Prostituirten, wenn sie er¬ 
kranken, unentgeltliche Behandlung finden. Diese Behandlung soll, wenn es 
irgend geht, ambulatorisch sein, nur, wenn nöthig, soll Hospitalbehandlung an¬ 
geordnet werden. Auch diese soll unentgeltlich sein und der Charakter einer 
Zwangsbehandlung oder gar Internirnng völlig vermieden werden. Die Kranken, 
die Angehörigen derselben oder die Heimathsbehörden dürfen in keiner Weise 
fftr die Kurkosten in Anspruch genommen werden. Eine Anzeige an die Polizei 
findet nicht statt. Jede Kranke, die in einer solchen Anstalt behandelt wird, 
erhält einen Freibrief gegenüber der Polizei. Nur wenn die Kranke sich den 
Anweisungen der Anstalt nicht fttgt, soll sie unter Polizeiaufsicht gestellt 
werden können. Die Polizei würde also eine Art Schreckgespenst sein für die 
Widerspenstigen. Die Furcht vor der Polizei würde dann die Prostituirten in 
diese Anstalten führen, und Bie würden es vorziehen, sieh freiwillig behandeln 
zu lassen, als der Sittenpolizei in die Hände zu fallen. Mit diesen Vorschlägen 
sei aber nothwendigerweise verbunden die Forderung einer Vermehrung der 
Bettenzahl für Geschlechtskranke. 

In der Diskussion betonte Generalarzt Dr. Schaper, der ärztliche 
Direktor der Charitö, ebenfalls, dass für Geschlechtskranke mehr Betten bereit 
gestellt werden und die Abtheilungen für diese Kranken den anderen möglichst 
gleichgestellt sein müssten. Die Forderung der vollständigen Aufhebung der 
Sittenpolizei hält er dagegen für eine Utopie. Geh. Med.-Bat Dr. Ewald 
hob die Bedeutung des Alkoholmissbrauchs für die Entstehung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten hervor. Dr. 0. Rosenthal bemängelte die in Berlin 
vorhandene ungenügende Bettenzahl für Geschlechtskranke. Ferner forderte 
er, dass nicht nur eine Anstalt für die Behandlung der Prostituirten errichtet 
würde, da ja sehr bald der Charakter dieser Anstalt bekannt und die Behand¬ 
lung daselbst ein Odium für die Behandelten auf sich laden würde, sondern 
es soll allen Spezialärzten die Befugniss gegeben werden, mit denselben Rechten 
wie die städtische Anstalt zu behandeln. 

Dr. Blaschko sprach sich entschieden gegen die Reglementierung und 
Sittenpolizei aus. Er betonte, dass die regelmässig kontrollierten Mädchen meist 
längst immun und dadurch viel ungefährlicher seien, ab die Anfängerinnen der 
Prostitution, und dass daher der Erfolg der Kontrolle sehr zweifelhaft sei. Die 
Länder, welehe die Sittenpolizei abgeschafft hätten, seien gesundheitlich nicht 
schlechter daran ab solche, die sie noch hätten. Die Reglementierung demo- 



396 


Kleinere Mitteilungen and Referate atu Zeitschriften. 


ralisire die Mädchen, stosse sie ans der Gesellschaft ans and gewähre ihnen 
anf der anderen Seite eine Art von Patent zur Ausübung des Prostitutions- 
gewerbes. Aach sei oft nicht festzustellen, ob ein Mädchen wirklich Prosti- 
tnirte sei; Missgriffe seien daher unvermeidlich. So wttrden z. B. in Frank¬ 
furt a. M. nicht selten Arbeiterinnen der sittenpolizeilichen Kontrolle unter¬ 
worfen; in Anhalt sei sogar vor einigen Jahren ein Erlass ergangen, wonach 
Mädchen, auch wenn sie unentgeltlich mit mehreren Männern verkehrt hätten, 
unter Kontrole gestellt werden könnten. Blaschko meint, dass die heutige 
Sittenpolizei durch ihre Strenge nar zur Verheimlichung führe und dadurch 
geradezu gesundheitsschädlich wirke. Er hält das Prinzip der freiwilligen Be¬ 
handlung fttr das wirksamste, vorausgesetzt, dass die schon bestehenden gesetz¬ 
lichen Bestimmungen, welche die Verletzung des öffentlichen Anstandes, die 
öffentliche Ruhestörung und die Uebertragung der Geschlechtskrankheiten 
unter Strafe stellen, voll ausgenutzt würden. 


Ueber Urethritis gonorrhoica bei Kindern männlichen Geschlechtes. 
Von Dr. Fischer, Stabsarzt im 8. Inf.-Reg. Nr. 107, früher Volontärarzt an 
der dermatologischen Klinik in Leipzig. Münchener mediz. Wochenschrift; 
1902, Nr. 46. 

In Anbetracht des relativ seltenen Vorkommens einer gonorrhoischen 
Genitalinfektion bei kleinen Knaben teilt Verfasser zwei Fälle eigener Beob¬ 
achtung und im Anschlüsse daran eine kurze übersichtliche Darstellung aus 
den Angaben der Literatur mit, welche nicht nur von allgemein ärztlichem, 
sondern auch von sanitätspolizeilichem und foremem Interesse sein dürfte: 

Bei den 71 Berichtsfällen ergaben die Nachforschungen über die Art 
der Uebertragung in 30 Fällen ein sicheres oder fast sicheres, in 5 Fällen 
ein unsicheres, in den übrigen 26 Fällen ein absolut negatives Resultat. 

Von den 40 Fällen mit positivem, anamnestischem Resultat entfallen: 

1. Auf Ansteckung durch Kohabitationsversuche = 12. 

2. Auf Uebertragung durch Zusammenschlafen oder näheren, (nicht 
geschlechtlichen) Verkehr mit gonorrhoisch erkrankten Knaben, Mädchen oder 
männli chen Erwachsenen = 11. 

3. Auf zufällige Uebertragung durch weibliches Pflegepersonal oder 


Wartepersonal = 9. 

4. Auf mittelbare Uebertragung durch Wäscheartikel und dergl. = 6. 

b! Auf Infektion durch Sittlichkeitsdelikte = 2. 

Hieraus folgt, dass auch bei Knaben zufällige Uebertragungen auf 
direktem oder indirektem Wege durchaus nicht selten Vorkommen. Relativ 
oft erfolgt die Infektion bei Knaben durch Kohabitationsversuohe und zwar 
betrifft dies fast ausschliesslich ältere, grössere Knaben. 

Im allgemeinen begegnet man der Neigung, die Infektion von Kindern auf 
verbrecherische oder unsittliche Akte zurückzufübren, nicht blos bei Laien, 


sondern auch bei Aerzten. 

Dass dieser Infektionsmodus vorkommt, ist zweifellos. 

Auch der zuweilen im Volke herrschende Aberglaube, dass eine Tripper¬ 
erkrankung durch den Coitus mit einem ganz unschuldigen, reinen Mädchen 
geheilt werden könnte, mag vielleicht dann und wann noch ein Opfer fordern, 
wie aus der forensen Literatur unzweifelhaft hervorgeht. 

Jedenfalls stellen aber die Sittlichkeitsdelikte nur den geringsten 
Prozentsatz für die Aetiologie der Gonorrhoe bei Kindern dar (etwa 1 # / 0 aller 
Fälle). In der grossen Ueberzahl der Fälle ist die Infektion zweifellos auf 
unbeabsichtigte und auf völlige Unkenntnis basierende, sowie mehr zufällige 
Uebertragungen zurückzuführen. 

Am häufigsten geschieht dies durch die Sitte von Müttern und Pflege¬ 
personal die Kinder zu sich ins Bett zu nehmen. Auch das Zusammenschlafen 
der Kinder selbst birgt bei der Häufigkeit der Vulvovaginitis der kleinen 
Mädchen nicht zu unterschätzende Gefahren. 

Eine grosse Reihe von Fällen verdankt sicher auch einer mittelbaren 
Uebertragung durch Badeschwämme, Handtücher und andere Wäschestücke, 
durch Badewannen, Thermometer, Nachtgeschirre, Irrigatoren und ähnliche 
verunreinigte resp. nicht gereinigte Gegenstände ihre Entstehung, was nament¬ 
lich für die in Kinderspitälern, Pensio^ten etc. beobachteten Endemien gilt. 

Offenbar bietet bei der mittelbar Uebertragung die breitere Fläche 



Kieken Mitteilungen und Referate au Zeitschriften. 


397 


der weibliohen Genitalien, du Freiliegen and die Faltenbildnng der Schleim¬ 
haut mit ihren zarten and lockeren Epithel dem gonoorhoiechen Viru eine 
viel bessere Infektionsmöglichkeit als die winsige Urethralöffnnng bei Knaben, 
die ttberdiea noch darch das die Eichel überragende Praeputium geschützt ist. 

Die Kenntnis des häufigen Vorkommens der anf nicht geschlechtlichem 
Wege erworbenen Gonorrhoe bei Kindern ist zuweilen für den Arzt von grosser 
Wichtigkeit, besonders in forensen Fällen, in welchen man jedoch mit grösster 
Vorsicht and nur aaf Grand absolat sicherer Angaben and Beweise Schlüsse 
ziehen soll and darf. 

Die Anwesenheit von Gonokokken in der Urethra eines 
kleinen Knaben oder im Genitale eines Mädchens berechtigt 
nur in ganz wenig Fällen den Schloss aaf Stnpram. 

_ Dr. Waibei-Kempten. 


Schutamassregeln gegen die Angeneiterong der Neugeborenen 
und gegen die Ansteckung durch dieselbe. Von Dr. L. Wolffborg, 
Breslau. Dresden 1902. Steinkopff & Springer. K. 8*, 16 Seiten. Preis: 
20 Pfg. für 6, 30 Pfg. für 10 and 1 M. für 50 Exemplare. 

W. hat die fünfte Auflage seiner „Schatzmassregeln gegen die Angen- 
eiternng der Neugeborenen and gegen die Ansteckung durch dieselbe“ separat, 
also ohne Erläuterungen, herausgegeben. Dieselben enthalten ganz bestimmte und 
auf langer Erfahrung beruhende Vorschläge für die häusliohe Pflege und sollen, 
an die Angehörigen blennorrhoekranker Kinder ausgehändigt, dem behandelnden 
Arzte die Verantwortung für etwaige Ansteckung Erwachsener erleichtern. In 
dem vorliegenden Schriftchen bringt nun Verfasser jene 15 Paragraphen der 
Schutzmassregeln einzeln zur Sprache, um die gegenüber den früheren Auflagen 
und Publikationen vorgenommenen Aenderungen zu begründen und einige Er¬ 
läuterungen didaktischen Inhalts anzuknüpfen. Für die Vornahme augenärzt¬ 
licher Massnahmen an Neugeborenen, speziell für die Behandlung der 
Blennorrhoeen empfiehlt W. angelegentlichst den von ihm konstruierten Kinder- 
tisch, der statt einer Holzplatte ein hängemattenartiges, straff ausgespanntes 
Geflecht aus Bindfaden trägt und als Unterlage für den Kopf eine kurze, 
elastische Matratze besitzt. _ Dr. Roepke-Lippspringe. 


Entstehung und Verhütung der Blindheit. Auf Grund neuer Unter¬ 
suchungen bearbeitet von Dr. Ludwig Hirsch. Abdruck aus dem klinischen 
Jahrbuoh. Achter Band. Jena 1902. Verlag von Gustav Fischer. Gr.8°, 
108 Seiten. 

Um die Ursachen der Erblindung und ihre Häufigkeit in grösseren Landes¬ 
bezirken zu erforsehen, hat Verfasser seine Untersuchungen auf eine ganze 
Reihe von Blindenanstalten ausgedehnt und dabei ein Material von 300 Blinden 
unter 18 Jahren und 600 Blinde aller anderen Altersklassen zur Verfügung 
gehabt. Es handelte sich um die Zöglinge der Blindenunterrichtsanstalten zu 
Steglitz, Königsthal, Königsberg, Bromberg, Paderborn, Soest, Düren, Neuwied, 
Hannover, die Blindenheime zu Tapiau, Bromberg, Düren, Königswusterhausen, 
Berlin. Die Blindenstatistik von Magnus gebietet allerdings über grössere 
Zahlen, 2528 Blinde, sie entstammen jedoch nur einem Regierungsbezirk. Ge¬ 
rade aber für eine Statistik über die Ursachen von Erblindung und ihre 
hygienischen Vorbeugungsmassregeln ist die Kenntnis der einschlägigen Ver¬ 
hältnisse grösserer Landesteile von ganz besonderem Werte; es braucht nur 
darauf hingewiesen zu werden, wie im Osten der Monarchie Trachom als Ur¬ 
sache dominiert, im Westen in den Industriebezirken Verletzungen. Es ist 
dies daher ein grosses Verdienst seitens des Verfassers, von diesem höheren 
Gesichtspunkte aus, diese Verhältnisse eingehend betrachtet zu haben, und wird 
mancher Fachkollege ihn über die Fülle des zur Verfügung gestellten Materials 
behufs wissenschaftlicher Ausforschung beneiden dürfen. Ein weiteres Verdienst 
ist die Auseinanderhaltung von Erblindungen der Stadt- und Landbevölkerung. 
8ie lehrt, wie so sehr viel häufiger Erblindung auf dem Lande gegenüber in 
der Stadt vorkommt. 8o z. B. war bei Hornhaut-Erkrankungen, Trachom, 
sympathisohe Ophthalmie, Pocken die Zahl der Erblindeten auf dem Lande 
dreimal so hoch als in der Stadt, während sie infolge von Ophthalmie neona¬ 
torum auf dem Lande nur wenig flberwog. In Summa war das Verhältnis der 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


398 

Erblindung auf dem Lande 63,24, in der Stadt 36,76. Ferner ttbertraf die 
Zahl der vermeidbaren Erblindungen auf dem Lande durch Blennorrhoe, Horn- 
banterkrankongen, sympathische Ophthalmie bei weitem die der Stadtbewohner. 

Aach der Ophthalmologe hat Gelegenheit, manches für seine operative 
Tätigkeit zu lernen, was er in Lehrbüchern nicht findet. So n. a., dass selbst 
eine tadellos ausgeftthrte and verlaufende Myopie-Operation nebst Nachbehand¬ 
lung binnen Jahresfrist bei jagendlichen Individaen sa absoluter Amaurose 
fahren kann, dass Schichtstaroperationen wohl leicht aassoftlhren, in ihrem 
Endresultat aber nicht voraussusehen sind, ohne dass der unglückliche Ausgang 
dem Operateur zur Last gelegt werden kann. — 4 Fälle der Art waren in 
Universitätskliniken operiert worden and endeten mit Erblindung. 

In der Arbeit von Schweichler, die Aagenhygiene am Eingang des 
20. Jahrhunderts, (Beiträge zur Augenheilkunde, herausgegeben vonDentseh- 
mann, 1900, 46. H.) finden sich alle diese Verhältnisse nur in kursen Angaben 
oder gar nicht, beide Bearbeitungen kommen aber za dem Sohlass, dass 40 bis 
44°/ 0 aller Erblindungen als vermeidbar anzusehen sind; Hirsch fand ferner, 
dass von 66 vermeidbaren Erblindungen in der Stadt 210 solcher auf dem 
Lande entfielen. Die weiteren Einzelheiten sind im Original nachsulesen. Alle 
Bearbeiter der Blindenpropbylaxe, auch Hirsch, stimmen darin aberein, dass 
als Hauptforderung eine genügende Versorgung mit sachverständiger Hilfe an- 
zusehen sei. Ferner hebt Verfasser mit Hecht hervor, dass viele Augenkranken 
meist erst in einem Zustand augenärztliche Behandlung erreichen, — wo es an 
spät ist. Auch Referent hat es, um korrekte Beispiele anzufahren, häufig er¬ 
fahren, dass bei Augenverletzungen die Kranken erst dann zum Angenant 
kommen, wenn infolge Infektion schon die Cornea ihres vorderen Epithels be¬ 
raubt war, wenn ein Hypopyon schon die Papille erreicht hatte, wenn in 
anderen Fällen ein akutes Ölankom, das als Conjnnktivitis oder als Iritis auf¬ 
gefasst, mit Zinklösang oder Atropin vorbehandelt, schon absolut geworden 
war, ja selbst in einem Falle von Blennorrhoea neonatorum erst, als nach Ab¬ 
lauf des aknten Krankheitsverlaufes Totallenkome zurückgeblieben waren. 

Dr. Ohlemann-Wiesbaden. 

Klnderschutcgesetzgebnng und Arzt. Von Dr. Paul Schenk, Berlin. 
Deutsche Medizinal - Zeitung; 1903, Nr. 8. 

Verfasser bedauert lebhaft, dass ein Gesetz, welches den Schatz der 
Kinder vor körperlicher Ueberanstrengang bezweckt, ohne die sachverständige 
Mitwirkung des Arztes au stände kommt. Man hat in einem „hygienischen* 
Gesetzentwurf die wirtschaftlichen Interessen aber die Pflege der Volksge- 
sandheit gesetzt. Die Beschäftigung in der Hausindustrie ist, genau ge¬ 
nommen, den Kindern häufig schädlicher als die Fabrikarbeit. 

Vom ärztlichen Standpunkte aus ist eindringlichst zu betonen: Die Er» 
werbsarbeit der Kinder, speziell ihre Beschäftigung in der Hausindustrie, ist 
prinzipiell za untersagen; vereinzelte Ansnahmefälle bedürfen ärztlicher Ge¬ 
nehmigung. _Dr. Hoffmann-Elberfeld. 

Ueber die Kunst gesund und glücklich zu leben und Krankheiten 
zu verhüten. Bede, gehalten am 270. Stiftnngfeste der Universität Amsterdam 
von Prof. Dr. P. K. Pehl, Rector magnificus. Klinisches Jahrbuch 1902. 
Neunter Band. 

So viel erörtert das obige Thema anch sein mag, die vorliegende Rede 
behandelt in so formvollendeter, gehaltvoller nud geistreicher Form die Enbiotik, 
dass auch jeder Arzt an ihrer Lektttre grossen Genuss finden wird. Vor allem 
sind die Fragen der allgemeinen und individuellen Prophylaxe der Hygiene 
des Körpers und des Gemflts, die Grundsätse einer Vernunft- und gesnndheits- 
gemässen Jagenderziehung und Lebensbetätigung vom Standpunkte des Arztes 
ans behandelt, wie es sich ihm in seiner reichlich 26iänrigen praktischen 
Tätigkeit gewissermassen aufdrängte. Das Schriftohen, das aus der Gustav 
Fisch ersehen Verlagsbuchhandlung in Jena snm Preise von 60 Pf. zu be¬ 
ziehen ist, ist auch zur Anschaffung fttr die Bibliotheken von Kranken¬ 
häusern und anderen Anstalten ganz besonders geeignet. 

Dr. Roepke-Lippspringe. 



kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


S9d 


Ueber einige Fehler bei Ventilationsanlagen. Von Prof. Dr. med. 
Kut Wolf-Dresden. Geaundheits - Ingenieur; 1903, Nr. 1, S. 8. 

So selbstverständlich der Satz klingt, dass künstliche Ventilationsein- 
riehtnngen dazu dienen sollen, gute unverdorbene Luft in einen Raum hinein- 
snbringen und die verbrauchte verunreinigte zu entfernen, so beweisen doch die 
vielen fehlerhaften Ventilationsanlagen, dass er nur selten berücksichtigt wird. 

Abzugskanäle sind für sich allein nicht im stände, die Abführung der 
verdorbenen Luft jederzeit in sicherer Weise zu besorgen, da sie häufig in der 
entgegengesetzten Richtung ventilieren und namentlich im Winter, wenn ihre 
Wandungen erkaltet sind, kalte Luft in den Raum blasen statt schlechte zu 
entfernen, Man soll sie daher nur dann einbauen, wenn man zugleich Vor¬ 
kehrungen für ihre richtige Ventilation trifft. Abzogskanäle ohne Zulnftkanäle 
sind auch deshalb zu verwerfen, weil die Uebersicht Uber die Herkunft der 
einstrümenden Luft gänzlich fehlt und solche von oft bedenklicher Qualität 
eingesogen wird. Zu welchen höchst bedenklichen Verhältnissen die mit elek¬ 
trischem Antrieb versehenen für Konzert-, Versammlungs- und Restaurations- 
rftume neuerdings sehr beliebt gewordenen Ventilatoren führen können, illustriert 
folgendes Beispiel: Ein mit einem Fülloffen ausgestatteter Restaurationsraum 
von 260 cbm Inhalt erhält einen solchen Ventilator, der mit 1600 Touren in 
der Minute 60 cbm Luft bewegt. Theoretisch ist also die Luft des Lokales in 
6 Minuten durch frische ersetzt. Einer solchen Saugwirkung sind aber die 
vorhandenen Fugen und Ritzen nicht gewachsen, es müsste also ein luftver- 
dünnter Raum entstehen. Dem wird aber dadurch vorgebeugt, dass die Zug¬ 
wirkung des Schornsteins umgekehrt wird und durch den Ofen hindurch die 
Rauchgase in das Zimmer gepresst werden, es dauert nicht 6 Minuten von der 
Anstellung des Ventilators an, bis die Luft des Zimmers mit Rauchgasen an¬ 
gefüllt ist. 

Bei den Luftzuführungskanälen wird gewöhnlich die Hauptforderung der 
Hygiene übersehen, dass die Entnahmestelle für die reine Luft genau bekannt 
sein muss. In Schul-, Gerichts-, Verwaltungsgebäuden gehen häufig die Znlutt- 
kanäle vom Korridor aus in den zu ventilierenden Raum und bringen die in 
solchen Gebäuden meist stark verunreinigte und vor allem auch oft sehr staub- 
reiche Korridorluft direkt in ihr hinein. Dr. Wolff-Greifswald. 


Ueber die Anforderungen, welche vom gesundheitlichen Stand- 

8 unkte aus an ein öffentliches Schlachthaus zu stellen sind. Von Dr. 

. Feldmann, prakt. Arzt in Stuttgart. Deutsche Vierteljahrsschrift für 
öffentliche Gesundheitspflege; Bd. XXXIV, H. 3. 

In den letzten zwei Jahrzehnten sind in einer sehr grossen Ansahl von 
deutschen Städten öffentliche Schlachthäuser gebaut worden; Uber die zweck¬ 
mässige Einrichtung eines solchen ist eine sehr reichhaltige Literatur ent¬ 
standen, welche der Verfasser bei seiner Arbeit, soweit sie ihm von besonderem 
Werte ersohien, berücksichtigt. Er bespricht: 

A. Anforderungen allgemeiner Natur. 

1. Das Schlachten soll ausschliesslich in dem öffent¬ 
lichen Schlachthause erfolgen. Nur in diesem kann der doppelte 
Zweck: die vielen Belästigungen, die der Einwohnerschaft einer Stadt durch 
das Schlachten erwachsen, zu beseitigen und den Verbrauchern eine gewisse 
Bürgschaft gegen den Genuss ungesunden Fleisches zu bieten, erfüllt werden. 
Der einzelne Metzger kann, schon wegen der hohen Kosten des Betriebes, diese 
Forderungen nicht erfüllen, und nur wenn alle Metzger zwangsweise das öffent¬ 
liche Schlachthaus benutzen müssen, kann verhindert werden, dass aus den 
öffentlichen Schlachthäusern zurückgewiesenes krankes Vieh privatim ge¬ 
schlachtet wird. Naturgemäss muss die Einfuhr frischen Fleisches in die Städte 
möglichst erschwert werden. 

2. Das Schlachthaus soll von der Stadtgemeinde selbst 
erbaut und betrieben werden. Im kommunalen Schlachthause ist der Be¬ 
trieb von vornherein meist ein besserer, geordneter, als in einem privaten, schon 
wegen der Kosten, — dem öffentlichen Beamten ist die Erhaltung der Ordnung 
und Sauberkeit die höchste Pflicht, der Kostenpunkt berührt ihn nicht, im Gegen- 
satse zu Privatunternehmern. Endlich muss das Schlachthaus seiner wesent¬ 
lichen Bestimmung nach eine Sanitäranstalt sein, während der Privatfleiseher 



400 


Kleinere Mitteilungen und Referate au Zeitschriften. 


stets Gegner der strengen sanitätspolizeilichen Kontrole (Beschlagnahme, Kon¬ 
fiskation) sein wird. 

3. DieLage des Schlachthauses ist vom gesundheitlichen 
Standpunkte ans weniger wichtig, vorausgesetzt, dass das 
Schlachthaus allen übrigen gesundheitlichen Anforderungen 
entspricht. 

Zweckmässigkeitsgründe lassen es allerdings wflnscheuwert erscheinen, 
dass das Schlacbthau eine bestimmte örtliche Lage habe — ausserhalb der Stadt, 
doch nahe dem Verkehrszentram, direkt an der Eisenbahn, in der Stadtrichtung, 
au der der stärkste Viehzutrieb vom benachbarten Lande erfolgt u. s. w. — 
vom sanitären Standpunkte anbedingt nötig ist diese aber nicht 

B. Die bauliche Anlage der Schlachthäuser. 

Man unterscheidet deutsche (geschlossene) und französische (offene) Bau¬ 
weise; beide haben ihre Vorzüge. Am besten ist die halboffene Anlage, wie 
sie der Breslauer Schlachthof hat. Die Anzahl der Gebäude hängt davon 
ab, ob es sich um eine grosse oder kleine Stadt handelt; in enteren müssen 
die Schlachträume für grosses und kleines Vieh, sowie für Schweine vollständig 
von einander getrennt sein, in letzteren wird Gross- and Kleinvieh in einem 
Baume geschlachtet Der Brühraum für Schweine muss stets von den 
SeUaehträumen getrennt sein, ebenso ein etwa erforderlicher Schlachtraum für 
Pferde, und stets ein solcher für seuchenverdächtiges Vieh. 

1. Die Schlachthäuser für Gross- und Kleinvieh. Man 
unterscheidet Kammer- und Hallenbauten. In den neueren deutschen Schlacht¬ 
häusern findet man fast nur letztere, die viele Vorzüge haben. Sehr wichtig 
ist die Ventilationsvorrichtung; je einfacher sie ist, um so besser. 
Befinden sich die beiden Haupteingänge an den beiden Schmalseiten, so lässt 
sich eine Durchlüftung, die ausgiebig genug ist, jederzeit durch Oeffhen der, 
am besten zum Schieben eingerichteten Türen bewerkstelligen. Ferner empfiehlt 
es sich, die Fenster um eine horizontale Achse drehbar zu machen. Boden¬ 
räume über den Schlachthallen, die zum Aufbewahren der Felle an manchen 
Orten benutst werden, sind schon wegen des schlechten Geruches unzulässig. 
Zur Beleuchtung ist am besten Oberlicht. Am zweckmäßigsten ist es, das 
ganze Mitteldach etwa 1—1 */» m über die seitlichen Dachpartien zu erheben 
und die Verbindung zwischen diesen Dachteilen durch senkrechte Glasfenster 
herzustellen, die sugleich horizontal drehbar gemacht werden können und eine 
gute Ventilation geben. Die Wände dürfen keine Feuchtigkeit ansiehen und 
müssen leicht abwaschbar sein. Verfasser empfiehlt Anstrich mit Emailfarbe, 
der sich auch leioht erneuern lässt. An den Wänden müssen zahlreiche Wasser¬ 
hähne angebracht sein, wie überhaupt ein grosser Wasserverbrauch wünschens¬ 
wert ist. Das erforderliche Wasser kann aus der Wasserleitung, oder, billiger, 
aus Brunnen beschafft werden. Der Boden muss undurchlässig und nicht glatt 
(Ausgleiten) sein. Auch die zwischen den Schlachtanlagen befindlichen 
Strassen müssen aus undurchlässigem Material hergestellt sein. 

2. Die Sehweinesohlachthäuser. Diese verlangen bedeutende 
Abweichungen vom HaUenbau, besonders auch deshalb, weil bei den Schweinen 
nicht, wie bei den anderen Tieren, das Fell abgezogen, sondern die Borsten 
abgeschabt werden, nachdem sie in heissem Wasser erweicht sind. Dieser 
Brtthprozess ist mit Entwickelung sehr unangenehm rieohender Dämpfe ver¬ 
bunden; es müssen deshalb eigene Brühräume vorhanden sein. Ohne auf Ein¬ 
zelheiten einzugehen, führen wir als Ansicht des Verfassers an, dass am besten 
die Schweine aus dem Stalle durch einen halboffenen Verbindungsgang in den 
Brühraum gelangen, am Eingänge dieses sofort geschlachtet und erst nach der 
Enthaarung in den Ausschlacbtungsraum gebracht werden. Sofortige Venti¬ 
lation des Brühraumes ist unbedingt nötig. 

8. Das Pferdeschlachthaus. Ein solches ist erforderlich, weil 
viele Personen sich vor Pferdefleisch ekeln. Es kann aber hierfür der Baum 
für Notschlachtungen nicht benutst werden aus Rücksicht auf die immer zahl¬ 
reicher werdenden Konsumenten von Pferdefleisoh. 

4. Das Schlachthaus für krankes Vieh. Dieses muss völlig 
abgesondert sein und einen Beobachtangsstall für verdächtiges und einen 
Soblachtraum für verdächtiges und krankes Vieh besitzen. 

C. Das Kühlhaus. 

Das Fleisch geschlachteter Tiere muss aus bekannten Gründen oft mehr 




Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 40i 

oder weniger lange aofbewahrt werden. Um eB in frischem, genussfähigem 
Zustande au erhalten, gibt ob nur ein Mittel — die Kälte. Die frflher geübte 
Biskühlung ist hierau ganz unaureichend. Eb müssen eigene Küblrftume einge¬ 
richtet werden, die eine st&ndige Temperatur von -j- 2 0 bis + 5° C. und einen 
Feuchtigkeitsgehalt von 75—80 Pros, aufweisen. Die verschiedenen Methoden, 
dieses Ziel zu erreichen und deren Vor- und Nachteile sind im Aufsatze dar¬ 
gelegt. In absehbarer Zeit werden durch die Erfindung der flüssigen Luft 
wahrscheinlich auch in diesem Zweige der Technik wichtige Umwälzungen 
hervorgebracht werden. Verfasser empfiehlt, vor dem eigentlichen Ktthlraume 
einen sogenannten Vorkühlraum anzulegen, damit das Fleisch nicht vor Ein¬ 
tritt der Starre in den Ktthlranm gebracht wird. Der Kühlraum selbst muss 
Doppelwände mit einer Isolierschicht, einen massiven, zementierten Fnssboden 
und ein massives Dach haben, das mit einem schlecht leitenden Material (Torf) 
überschüttet werden muss. Für die Fenster sind dunkel gefärbte Glasbausteine 
au empfehlen, als Beleuchtung elektrisches Licht. 

D. Einrichtungen zur Ausnutzung des minderwertigen 

Fleisches. 

Bei dem beanstandeten Fleische ist zu unterscheiden solches, das nicht 
bankwürdig, aber auch nicht als gesundheitsschädlich und für den menschlichen 
Genuss ungeeignet zu bezeichnen ist, und solches, das direkt gesundheitsschäd¬ 
lich ist. Ersteres unterliegt dem§. 10des Nahrangsmittelgesetzes; eB müssen Ein¬ 
richtungen getroffen werden, dem Käufer diese Eigenschaft sofort kenntlich zu 
machen — Freibank. Verfasser hält es für zweckmässig, bei der Einrichtung 
der Freibank Anordnungen zu treffen, dass von dieser Fleisch an Metzger, 
Wurstler, Gastwirte und Kostgeber überhaupt nicht, und an andere Käufer 
nur in kleinen Mengen, 1—2 kg, lediglich zum Selbstgebranch abgegeben 
werden darf. Auch die Elinrichtung von Volksküchen auf dem Areal des 
Sohlachthofes zur Verwendung des Freibankfleisches hat sich sehr bewährt. 

Das direkt gesundheitsschädliche Fleisch muss an der Stelle der Ge¬ 
winnung oder in unmittelbarer Nähe derselben verarbeitet werden und zwar 
so, dass sicher alle Seuchenkeime vernichtet werden. Das lässt sich am besten 
daroh das Dämpfverfahren erzielen, bei dem das Fleisch einer Dampfspannung 
von vier Atmosphären ausgesetzt wird; aus dem so verarbeiteten Fleische 
lassen sich durch neuere, völlig geruchlos arbeitende Maschinen die wertvollen 
Bestandteile Fett, Dungpulver und leimhaltige Fleischbrühe selbsttätig ab¬ 
scheiden. 

E. Die Schlachthofabgänge. 

Es handelt sich um die Exkremente der lebenden Tiere, um den Magen- 
und Darminhalt der geschlachteten und um das Blut. Das Blut kann zur 
Albuminfabrikation verwendet werden, die sehr reinlich ist, weswegen gegen 
eine derartige Anlage auf dem Schlachthofe nichts einzuwenden ist. Wird es 
nicht verarbeitet, so fliesst es mit den anderen Schlachthofabwässern (Urin der 
Tiere und Spülwässer) ab. Dies ist in Städten mit Rieselfeldern einfach; für 
andere bedarf es komplizierter Vorkehrungen, die in der Abhandlung ausführ¬ 
lich besprochen werden; eine Fällung des Blutfarbstoffes ist unnötig, ebenso 
auch eine Desinfektion der Abwässer, falls man diese dem städtischen Kanal¬ 
wasser beimengt, oder direkt einem wasserreichen Strome zuführt. Für die 
Mage n- und Darminhaltsentleerung muss jeder Schlachthof eine so¬ 
genannte Kaldaunenwäsche haben, grössere sogar zwei (für die Schweine ge¬ 
sondert). Für die Fortschaffung der aus den Kaldaunen entfernten Kotmassen 
muss grosse Sorgfalt verwendet werden, wofür verschiedene Verfahren bekannt 
sind. Die endgültige Beseitigung der Kotmassen muss sich nach dem für die 
betreffende Stadt eingeführten Modus richten. Die Errichtung offener Dünger¬ 
stätten ist zu vermeiden, vielmehr müssen Dttngerhäuser gebaut werden, in 
welchen das Einbringen und Wegschaffen des Kotes unter Dach erfolgt. Sie 
enthalten dann zweokmässig auch die Aborte für die Menschen. Für grosse 
Betriebe sind die beweglichen Düngerbehälter besser, als die Düngerhäuser; 
aus ihnen kann eine Entleerung direkt auf Eisenbahndüngerwagen, die unter 
die Schächte kommen, erfolgen. Dr. Glogowski-Görlitz. 



402 Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 

Das Abdeckereiwesen and seine Regelung. Von Dr. Boretins, 
Königl. Kreisassistenzarzt, Waldenburg i. Schl. Deutsche Vierteljahrssohrift 
für Öffentliche Gesundheitspflege; XXXIV. Bd., 3. Heft 

Die Aufgaben der Abdeckereien sind bekannt. Das den Abdeckereien 
anheimfallende Material ist, rom sanitären Gesichtspunkte aus betrachtet, als 
bedenklich ansusehen, insofern von demselben gesundheitsschädigende Einflüsse, 
sowohl auf die bei der Verarbeitung beteiligten Personen, wie auch auf die 
weitere Umgebung durch Verunreinigung Ton Boden, Grundwasser und Loft, 
und durch Weiterverbreitung Ton Krankheiten auf Menschen und Tiere aus¬ 
gehen können. Die in den Abdeckereien zur Verfügung stehenden Mittel sind 
jedoch häufig ungenügend; der Betrieb lässt mannigfache Missstände er¬ 
kennen. Die Anforderungen, die vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege an die Abdeckereien gestellt werden müssen, fasst der Verfasser in 
folgenden Schlusssätzen zusammen: 

Die unschädliche Beseitigung von Kadavern kann an Ort nnd Stelle, 
wo das Vieh gefallen ist, durch Verscharren oder Verbrennen ausgeführt worden 
— improvisierte Abdeckerei —, oder das Material wird besonderen Sammel- 
Wasenmeistereien überwiesen. Die Selbstabdeckerei der Viehbesitzer ist im 
allgemeinen zu missbilligen, weil das Verscharren oder die Kompostierung 
leioht Verunreinigung des Bodens und des Grundwassers und hochgradige Ge- 
ruchsbelästigung herbeiführen kann, weil eine Kontrolle gegen missbräuchliche 
Verwendung des Materials unmöglich ist nnd weil dadurch Seuchenherde der 
veterinärpolizeilichen Kenntnis entzogen werden können. 

Bei der Behandlung und Vernichtung von Seuchenkadavern oder deren 
gesundheitsschädlichen Teilen ist nach den Viehseuchengesetzen an verfahren. 

Die mit dem Verbrennen der Kadaver auf offenem Felde gemachten Er¬ 
fahrungen lauten nicht günstig. 

Das alte Verfahren, Seuchenkadaver, deren Transport wegen Ansteckungs¬ 
gefahr vermieden werden soll, zu vergraben, kann sich niemals völlig umgehen 
lassen, wenn es auch nur als ein Notbehelf gegenüber der zweckmässigen che¬ 
mischen oder thermischen Vernichtung bezeichnet werden muss. 

Der Verscharrungsplatz muss, wie ein Begräbnisplatz, derartig beschaffen 
sein, dass die vergrabenen Kadaver möglichst rasch und vollständig in Zer¬ 
setzung übergehen. Handelt es sich um Milzbrandkadaver, so kann von einem 
solchen Verscharrungsplatse weitere Infektion ausgehen; ähnlich steht es mit 
trichinösem Fleisch. 

Weit zweckmässiger ist es, wenn in einzelnen Kreisen Sanunel-Wasen- 
meistereien eingerichtet werden, in welchen sämtliches Kadavermaterial des 
betreffenden Bezirkes, sofern nicht bei Seuchen besondere Vorschriften gelten, 
Verarbeitung findet. 

Die Anstalt muss der weitgehendsten Kontrolle seitens der Organe der 
öffentlichen Gesundheitspflege zugänglich sein. 

Die Viehbesitzer müssen verpflichtet Bein, sämmtliches gefallenes Vieh 
den Abdeckereien zu überweisen. Notschlachtungen unterliegen dem Fleisoh- 
beschaugesetze; plötzliche und unerklärliche Todes- und Krankheitsfälle müssen 
anzeigepflichtig sein. 

Die Abdeckerei muss etwas abseits von bewohnten Orten gelegen sein. 
Abgesehen vom Wohnhanse des Betriebsleiters gehören dazu: 

1. Eine geräumige Zerlegehalle mit einem Nebenraum znm Aufbewahren 
der Felle. Die Wände der Halle müssen dauerhaft nnd leicht abwaschbar sein; 
der Fnssboden muss absolut undurchlässig sein nnd nach einer unten befind¬ 
lichen dichten und völlig gegen die Umgebung isolierten Senkgrube zu, welche 
die flüssigen Abgänge der Halle aufnimmt, Gefälle haben. Der Boden der 
Zerlegehalle muss bequem zur Oeffnung der Vernichtungsapparate liegen. 

2. Der Apparateranm mit den Verwertungs- und Vernichtnngsapparaten. 
Dieselben müssen völlig abgeschlossen sein nnd das Rohmaterial, ohne dass 
Umladung während des Kochens nötig ist, völlig sterilisieren und trocknen. 
Es eignen sich die Systeme Podewils, Hartmann — Trebertrocknung 
und der Korische Verbrennungsofen. (Die Apparate sind in der Abhandlung 
abgebildet und erläutert.) 

3. Der Aufbewahrungsraum für das fertige Fleischmehl nnd das ansge- 
schmolsene Fett. 




Besprechungen. 


403 


4. Still« für Betriebspferde and seuchenverdächtige Tiere. Diese missen 
leicht sa desinfisieren sein. 

6. Eine dichte Jaachegrnbe zur Aufnahme and Desinfektion des Dinkers 
and sämtlicher übrigen Abginge, soweit sie nicht in Apparaten verarbeitet 
oder einem öffentlichen Siel übergeben werden. 

Verunreinigungen des Bodens und des Grundwassers von der Anlage aus 
missen durch gründliche Abdichtung der Senkgrube und der Jauchegrube aus¬ 
geschlossen sein. Anschluss an die Kanalisation ist dringend wünschenswert. 
Durch regelmässigen Betrieb sind Geruchsbeläetigungen möglichst zu vermeiden. 

Fleisohhanael und Schweinezüchtern! dürfen auf den Abdeckereien nicht 
betrieben werden. Dr. Glogowski-Görlits. 


Besprechungen. 

Dr. X. Ohl «mann: Die neueren Augenhellmittel für Aerste und 
Studierende. Wiesbaden 1902. Verlag von J. F. Bergmann. Gr. 8°. 
171 Seiten. 

Die früher von demselben Verfasser erschienene „Augenärstliche Therapie“ 
erfährt in dem gegenwärtigen Buche eine Ergänzung, die durch die Fülle der 
in den letzten Jahren aufgetauchten Arzneistoffe, durch die Zunahme der 
physikalischen Heilmittel und Heilmethoden und durch das Hinzutreten der 
Organ-, Serum- und Lichttherapie geboten erschien. Dem entsprechend sind 
die einzelnen Kapitel über die mechanischen, thermischen, chemischen, elek¬ 
trischen und allgemeinen Heilmittel ergänzt; ferner ist ein besonderer Abschnitt 
über die Serum- und Organtherapie hinzugekommen; ein Nachtrag berücksich¬ 
tigt noch die grösstentheils während der Bearbeitung und des Druckes er¬ 
schienenen neusten Arbeiten, so dass in der Tat O.’s Buch ein Gesammtbild 
des Arzneischatzes der Ophthalmologie der Gegenwart entwirft. Der Reich- 
tum an guten Rezeptformeln empfiehlt das Werk ebenso als Nachschlagebucb 
für den Praktiker wie die angeführten Urteile der Einzelbeobachter und die 
beigegebenen Litteraturangaben es für litterarische Arbeiten wertvoll machen. 
Möge diese Ergänzungsarbeit des Verfassers dieselbe Aufnahme und Ver¬ 
breitung finden, wie seine „Augenärztliche Therapie“! 

Dr. Boepke-Lippspringe. 


Tagesnachrichten. 

Der Boiohzteg ist am 30. v. M. geschlossen, nachdem er noch in dritter 
Lesung das Gesetz betreffend die Phosphorzündwaren und betreffend die 
Novelle zum Krankenkassengesetz mit der dazu von der Kommission ge¬ 
stellten Resolution (s. S. 288) angenommen hat. In seiner Sitzung vom 
28. April wurden namentlich von konservativer Seite die Ausfüfarungsbe- 
stimmungen zum Fleischscbehaugesetz, insbesondere die PrüfungsbeBtim- 
mungen fflr Fleischbeschauer, als zu weitgehend und zu grosse Kosten verur¬ 
sachend bemängelt, von dem Staatssekretär des Innern Graf Posadowsky 
aber die Beschwerden als unbegründet zurflekgewiesen. 


Der prouzaiaolie Landtag ist am 1. d. M. geschlossen, ohne dass, 
wie voraussusehen war, die Gesetzentwürfe, betreffend die Ausführungsbe¬ 
stimmungen zum Reichsseuchengesetz und betreffend die Gebühren der 
Medizinalbeamten zur Verabschiedung gelangt sind; dieselben sind nicht ein¬ 
mal über die Kommissionsberatung bin ausgekommen. — In der letzten Sitzung 
der Unterrichtskommission wurde eine Petition des Allgemeinen deutschen Ver¬ 
eins für Schulgesundheitspflege, betreffs Anstellung von Schulärzten in den 
Städten und auf dem Lande sowie betreffs Einführung hygienischer Unter- 
riehtskurse fflr Lehrer und Schlier, der Regierung als Material überwiesen. 


Am 2. d. M. bat das langjährige Vorstandsmitglied des Preussiscben 
Medizinalbeamtenvereins, Geb. San.-Rat Dr. Walllchs in Altona, sein 60 jähriges 
Doktorjubiläum gefeiert. Dem namentlich nm die Förderung der ärztlichen 



404 


Tagesnachrichten. 


Standesinteressen hochverdienten Kollegen sind in diesem Festtage von allen 
Seiten die heraliehsten Glückwünsche entgegengebracht, die sich alle in 
dem Wunsche vereinigten, dass es ihm noch recht oft vergönnt sein möge, 
den 1. Mai in solch’ körperlicher und geistiger Frische wie an seinem dies¬ 
jährigen Jubel tage tu erleben 1 Am Abend vor dem Jabeltage fand unter 
ausserordentlich zahlreicher Beteiligung der Aerste und Medizinalbeamten von 
ganz Schleswig - Holstein ein Festessen im Hötel Kaiserhöf in Altona statt, 
an dem auch Vertreter der wissenschaftlichen Deputation, der Universität Kiel, 
des GeBchäftBausschusses des Deutschen Aersteverbandes und der städtischen 
Behörden sowie als Vertreter des Preussischen Medisinalbeamtenvereins der 
Herausgeber dieser Zeitschrift teilnahmen. Der letztere sprach dem Jubilar 
bei dieser Gelegenheit den Dank für die grossen Verdienste aus, die er sich 
als langjähriges Vorstandsmitglied des Vereins um dessen Bestrebungen er¬ 
worben hat und die jedenfalls ebenso unvergessen bleiben werden, wie seine 
grossen Verdienste um den ärztlichen Stand. Insbesondere habe er es in her¬ 
vorragender Weise verstanden, die Interessen seiner engeren und weiteren Be- 
rufsgenossen zu vereinigen und könne er gerade in dieser Hinsicht für alle Zeiten 
als naohahmenswerthes Beispiel gelten. 

Möge dem Jubilar noch ein recht langer und ungetrübter Lebensabend 
vergönnt sein! _ 


Der XIV. internationale medizinische Kongress in Madrid (23. 
bis 30. April) ist trotz der nicht gerade sehr günstigen Lage des Kongress¬ 
ortes auch von nicht spanischen Teilnehmern verhältnismässig zahlreich besucht 
gewesen. Im ganzen sind fast 7000 Teilnehmer eingezeicbnet, davon etwa die 
Hälfte (3900) auswärtige, unter diesen 826 Franzosen, 776 Deutsche, 297 Bussen, 
268 Oesterreicher, 238 Engländer, 238 Italiener, 196 Amerikaner u. s. w. Die 
Arrangements und die Organisation sollen übrigens viel zu wünschen übrig ge¬ 
lassen haben. Ueber das wissenschaftliche Ergebnis werden wir demnächst, 
soweit es den Rahmen der Zeitschrift betrifft, einen Bericht bringen. 

Zum nächsten Kongress ist Lissabon gewählt. 


Die XII. Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter -Wohlf&hrts- 
einrichtnngen findet am 21. und 22. September in Mannheim statt. 
Auf der Tagesordnung steht das Thema: Die Museen als VolkBbildungsstätten. 


Der westfälische Provinziallandtag hat in seiner Sitzung am 
9. d. Mts. beschlossen, die Staatsregierung zu bitten, dass die Vervollständi¬ 
gung der Universität Münster durch allmähliche Errichtung einer medi¬ 
zinischen Fakultät baldigst in die Hand genommen werde, und zunächst 
durch Schaffung eines anatomischen und eines physiologischen Instituts die Er¬ 
teilung des anatomischen und physiologischen Unterrichts ermöglicht werde. 
Gleichzeitig erklärte sich der Provinziallandtag bereit, in Gemeinschaft mit 
der Stadt Münster sich an den dabei erwachsenden einmaligen Kosten in an¬ 
gemessener Weise zu beteiligen. _ 


Auf eine Eingabe der Berliner Drogisten-Innung, in der diese 
um Abänderung einzelner Vorschriften des Ministerialerlasses vom 22. Dezember 
1902, betr. den Verkehr mit Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken, 
gebeten hatte — Stellung strengerer Anforderungen an die im Handverkauf als 
Arznei abzugebenden Arzneistoffe, Fortfall der Bestimmung über Beschlagnahme 
vorschriftswidrig feilgehaltener Arzneimittel, Zuziehung eines Chemikers oder 
Drogisten statt eines Apothekers —, hat der Herr Minister unter dem 1. April 
d. J. den Bescheid erteilt, dass er „dem Gesuche zur Zeit keine Folge zu geben 
vermag, aber die Anregungen in Erwägung ziehen werde, sobald eine Revision 
des Erlasses erforderlich wird." 


VorantwortL Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Minden L W. 

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16. Jahrg. 


1606. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zffitralblatt für gerichtliche Medizin and Psychiatric, 
für ärztliche Sachferstandigentätigkeit io Unfall- ond InTaUditätssachen, sowie 
für Hygiene, olentL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung. 

Heraosgegeben 

toh 

Dp. OTTO RAPMÜND, 

Kegleruifs- und Geh. Modirinalrat In Minden. 


Verlag von Fiseher’s mediz. Buchhandlg., E Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer-Buchhändler. 

Berlin W. 15, Ltitzowstr. 10. 

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Nr. 11. 


Erscheint 


1. und 15« Jeden Monats 


1. Juni. 


Ueber Ortsbesichtigungen und deren zweckmässigste Aus¬ 
führung in mittleren und grösseren Städten. 1 ) 

Von Kreisarzt Medizin&lrat Dr. Schaefer in Frankfurt a. d. Oder. 

Es ist nicht meine Absicht, die vorliegende Frage ganz de¬ 
tailliert zu erörtern, ich werde sie mehr vom allgemeinen Gesichts¬ 
punkte ansgehend beleuchten, da ein abschliessendes Urteil, 
wenigstens für die preussischen Medizinalbeamten, doch erst in 
Jahren möglich sein wird. Bei der grossen Wichtigkeit der Frage, 
und da auch anzunehmen war, dass ein Teil der Medizinal¬ 
beamten bereits wertvolle Erfahrungen gesammelt hatte, habe 
ich eine beschränkte Umfrage bei den Kollegen des hiesigen Be- 
giernngsbezirkes über ihre Erfahrungen gehalten. Das Ergebnis 
dieser Umfrage war allerdings ein überraschendes: 

Während die einen die Ortsbesichtigungen als eine der 
wertvollsten und voraussichtlich auch erfolgreichsten Erwei¬ 
terungen der medizinalamtlichen Tätigkeit ansehen, sprechen 
ihnen andere in ganz pessimistischer Stimmung allen und jeden 
Wert und greifbaren Erfolg ab. Einer der letzteren schreibt 
mir, die Besichtigungen seien seiner Meinung nach, wenn sie nicht 
mit grossem Takt durchgeführt würden, ganz dazu angetan, das 
Institut der Kreisärzte unbeliebt zu machen und za diskreditieren, 
im besten Falle brächten sie keinen Nutzen. Die Mehrzahl der 
Medizinalbeamten ist jedoch mit mir der Meinung, dass die Ein¬ 
richtung der Ortsbesichtigungen einen ganz ausserordentlichen 


') Nach einem Referat, erstattet in der Medizfaalbeamten-Versammlong 
des Regierungsbezirks Frankfurt a. d. Oder am 16. November 1902. 










40Ö 


t)r. Schäfer. 


Fortschritt auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege be¬ 
deutet, durch deren weitere sachverständige Ausgestaltung der 
Kreisarzt einen ganz hervorragenden Einfluss auf die gesundheit¬ 
lichen Verhältnisse seines Bezirkes gewinnen kann und zweifellos 
auch Erspriessliches wird leisten können. Man darf nicht ver¬ 
gessen, dass gerade auch die Einrichtung der Ortsbesichtigungen, 
welche den Medizinalbeamten in den Stand setzen, sich aus eigener 
Anschauung über die gesundheitlichen Verhältnisse seines Kreises 
auf das Genaueste zu unterrichten, sowie diejenigen Massnahmen 
anzuregen, die ihm zur Verbesserung dieser Verhältnisse not¬ 
wendig und geeignet erscheinen, nunmehr in Preussen weit besser 
geregelt ist, als in den übrigen deutschen Bundesstaaten, besser 
auch als in dem Land, das bisher als das auf dem Gebiet der 
öffentlichen Gesundheitspflege am weitesten vorgeschrittene ge¬ 
golten hat, als in England; denn selbst die neuesten Bestimmungen 
für die dortigen beamteten Aerzte vom Oktober 1901 kennen nur 
systematische, sog. Haus bei Hausbesichtigungen in den hygienisch 
ungünstigsten Teilen der Städte und ländlichen Distrikte, während 
sich in Preussen die Besichtigungen gleichmässig auf alle Teile 
des Bezirks zu erstrecken haben. Auch in den übrigen deutschen 
Bundesstaaten sind die Ortsbesichtigungen nicht in dem umfassenden, 
erschöpfenden Sinne wie in Preussen vorgeschrieben, am längsten 
bestehen sie hier in Württemberg; in Hessen sollen sie in 
ähnlicher Weise, wie in Preussen, durchgeführt werden. 

Es wird den Ortsbesichtigungen der Vorwurf gemacht, dass 
sie dem Medizinalbeamten zu wenig Initiative gestatten, und dass 
daher das Ergebnis nicht dem Opfer an Zeit und Arbeit entspräche, 
das bei ihnen tatsächlich aufgewendet werden muss. Ich kann 
beides nicht zugeben. 

Der §. 69 der Dienstanweisung für die Kreisärzte schreibt 
vor, dass zu den Besichtigungen die Ortspolizeibehörde, der Ge¬ 
meindevorsteher und die Gesundheits-Kommissionen zuzuziehen 
sind. Diese Bestimmung ist wohl erwogen und findet ihre Er¬ 
klärung in der Begründung zum Gesetz betr. die Dienststellung 
des Kreisarztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen. 
Es heisst dort: 

„Sollen die Bemühungen der staatlichen Mediiinalorgane nm Besserung 
der gesundheitlichen Verhältnisse von Erfolg begleitet sein, so ist dies zum 
grosseren Teil davon abhängig, dass die Organe der Selbstverwaltung diesen 
Bestrebungen Interesse entgegenbringen und selbst zu einer intensiven Mit¬ 
wirkung auf dem Gebiete des staatlichen Gesundheitswesens herangesogen 
werden. Es ist klar, dass eine solche Annäherung zwischen den staatlichen 
Organen und den Selbstverwaltungskörpern gerade in der Lokalinstans von 
besonderem Wert ist, wo die Bedürfnisse der öffentlichen Gesundheitspflege am 
unmittelbarsten und lebhaftesten hervortreten und die Anforderungen des wirt¬ 
schaftlichen Lebens eine besondere Berücksichtigung verlangen. — Neben den 
beamteten Aerzten, welchen in erster Linie die Vertretung der medizinisch- 
technischen Seite obliegt, ist die Beratung durch die orts- und sachkundigen 
Behörden und Mitglieder der Gesundheits-Kommissionen insofern von hoher 
Bedeutung, als hierdurch nicht nur eine erschöpfende und korrekte Feststellung 
der tatsächlichen Unterlagen bei den abzustellenden Missständen bewirkt, son¬ 
dern auch zugleich die Aussicht für die Geneigtheit der Selbstverwaltungs¬ 
körper, die zur Einführung sanitärer Verbesserungen nun einmal auch not¬ 
wendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, in wirksamer Weise gesteigert wird,* 



Üeber Ortsbesichtigongen and deren zweckmäßigste Ausführung n. s. w. 407 


Die hier ausgesprochenen Grundsätze gelten anch für die 
Ausführung der Ortsbesichtigungen, sie bezwecken eine immer 
grössere Heranziehung der Organe der Selbstverwaltung, eine 
Beteiligung der Laien an den Geschäften und Aufgaben des 
öffentlichen Gesundheitswesens, wodurch nicht nur ihr Interesse 
für hygienische Fragen geweckt, sondern auch eine nicht zu unter¬ 
schätzende Rückwirkung auf die ganze Bevölkerung erzielt wird. 
Indem der Medizinalbeamte erziehend und belehrend auf diese 
einwirkt, setzt er sie gleichzeitig in stand, nunmehr ihrerseits 
auf ihre Mitbürger in dem gewünschten Sinne aufklärend und an¬ 
regend einzuwirken und zwar voraussichtlich in weit höherem 
Masse, als die beamteten Aerzte dies selbst vermögen, denen 
seitens der Bevölkerung ja leider immer noch vielfach Misstrauen 
entgegengebracht wird. 

Der Wert der Belehrung, der Demonstration in bezug auf 
die Durchführung sanitärer Massnahmen wird m. E. immer noch 
viel zu sehr unterschätzt. Je mehr die Lehren der Hygiene und 
die Ergebnisse der hygienischen Forschungen in die breiten Be¬ 
völkerungsschichten Eingang finden und Gemeingut aller werden, 
desto mehr werden von der Bevölkerung auch die Forderungen 
der öffentlichen Gesundheitspflege als berechtigt anerkannt werden 
und desto grössere Geneigtheit wird vorhanden sein, die not¬ 
wendigen Opfer zu bringen. 

Dass seitens der Bevölkerung der Frage der öffentlichen 
Gesundheitspflege schon jetzt ungleich mehr Interesse und Ver¬ 
ständnis entgegengebracht wird, namentlich seit den Fortschritten 
auf dem Gebiet der sozialen Gesetzgebung, unterliegt gar keinem 
Zweifel. Die Ortsbesichtigungen stellen nun eine Art Demon¬ 
strationskursus in der öffentlichen Gesundheitspflege dar, der m. E. 
gerade deshalb besonders instruktiv und nutzbringend ist, weil er 
seine Stoffe unmittelbar aus der Praxis schöpft und sich bei ihm 
nicht nur die Behörden, sondern zum Teil wenigstens auch die 
Steuerzahler selbst durch eigene Inaugenscheinnahme von den 
Missständen in ihrer nächsten Umgebung, von den Folgen der¬ 
selben, sowie von den notwendigen Massnahmen zur Abhülfe über¬ 
zeugen können. Die Ortsbesichtigungen sollen eben vor allem 
auch dazu dienen, durch lebendige Demonstration und persönlichen 
Meinungsaustausch das Verständnis für die gewöhnlichsten Lehren 
der Hygiene, das Gefühl für Reinlichkeit, Luft und Licht auch 
in den Schichten der Bevölkerung zu wecken und zu heben, die 
sonst nicht gerade viel von der Gesundheitspflege zu hören pflegen; 
sie sollen demgemäss den Boden vorbereiten, auf dem sich all¬ 
mählich, vielleicht erst nach Generationen, bessere Verhältnisse 
entwickeln können. Eine derartige erzieherisch-hygienische Be¬ 
einflussung möglichst vieler der in Betracht kommenden Kreise 
halte ich aber für eine der erfolgversprechendsten und wichtigsten 
Aufgaben des beamteten Arztes. Die Ortsbesichtigungen geben 
ihm häufig genug die erwünschte Gelegenheit, Ursache und 
Wirkung von Missständen mit den Beteiligten direkt zu studieren 
und auf diese Weise auch die Kreise der Bevölkerung, welche 



408 


t)r. Sch&fer. 


immer noch glauben, dass der grösste Teil hygienischer Anord¬ 
nungen theoretischen Erwägungen entspringe, eben durch die 
Praxis zu widerlegen. 

Eine zahlreiche Teilnahme der Behörden und verständiger 
angesehener Bürger an den Ortsbesichtigungen halte ich im Gegen¬ 
satz zu einer ganzen Reihe von Kollegen für durchaus erwünscht, 
da jene alsdann] einigermassen die Gesundheits- Kommissionen 
auf dem platten Lande ersetzen, wo diese vielfach noch fehlen 
und nach den im Kreisarztgesetz gegebenen Bestimmungen gesetzlich 
auch nicht gerade leicht einzurichten bezw. durchzusetzen sind. 

Ich möchte die Unterstützung einflussreicher ortsangesessener 
Personen aber auch noch aus einem anderen Grunde nicht entbehren: 
Sie sind vermöge ihrer langjährigen und genauen Vertrautheit 
mit den örtlichen Verhältnissen in den Stand gesetzt, sich häufig 
weit schneller und eingehender Kenntnis von gesundheitlichen 
Missständen zu verschaffen, als die zuständigen Polizei- und Ge¬ 
sundheitsbeamten, ganz abgesehen davon, dass es für diese unter 
Umständen auch von grossem Werte sein kann, wenn sie bei 
der nicht immer angenehmen Aufgabe von verständigen und an¬ 
gesehenen Bürgern begleitet werden. Die Besichtigungen er¬ 
ledigen sich dadurch zweifellos wesentlich glatter und werden von 
den beteiligten Hausbesitzern, Familien u. s. w. vor allem auch 
viel weniger belästigend empfunden. In zutreffender Weise sagt 
Z-. B. Rapmund: „Je mehr der Gesundheitsbeamte den Körper¬ 
schaften der Selbstverwaltung, den Mitgliedern der Gesundheits- 
Kommissionen näher tritt, je mehr er dadurch Land und Leute 
kennen lernt, je mehr er mitten im praktischen Leben der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege steht, desto grösser wird sein Einfluss 
auf das öffentliche Gesundheitswesen und desto erspriesslicher wird 
auch seine Tätigkeit.“ Fasst man das Wesen der Ortsbesich¬ 
tigungen so auf und führt sie in diesem Sinne aus, so kann auch 
der Erfolg nicht fehlen; desgleichen verlohnt sich dann auch das 
Opfer an Zeit und Mühe. Eine sofortige radikale Reformation 
darf man freilich auf dem Gebiete des öffentlichen Gesundheits¬ 
wesens, welches wie kein zweites so einschneidend in das Leben 
des Einzelnen, wie der Familie und der Staaten eingreift, nicht 
verlangen. 

Wenn ich nun auf die Ausführung der Ortsbesichtigungen 
selbst eingehe, so bemerke ich, dass ich hierbei hauptsächlich die¬ 
jenigen in den mittleren und grösseren Städten im Auge habe; 
denn die kleineren Städte bieten wohl nur ausnahmsweise einmal 
einen wesentlichen Unterschied gegenüber den Verhältnissen auf 
dem platten Lande, da sie fast durchweg offene ackerbautreibende 
Ortschaften darstellen. In diesen Städten liegt die Trennung der 
Schulbesichtigungen von der Ortsbesichtigung in der Natur der 
Sache und bedarf m. E. keiner näheren Begründung. Es ergiebt 
sich aber weiterhin von vornherein die Unmöglichkeit, die Orts¬ 
besichtigungen hier im Rahmen des vorgeschriebenen Formulars VII 
vorzunehmen. Dies mag auch der Grund gewesen sein, warum 
in den grösseren Städten bisher kaum Ortsbesichtigungen im Sinne 



Ueber Ortabesiehtigangen and deren nweckmftasigete Aoafflbrang a. s. w. 409 

des §. 69 der Dienstanweisung ausgeführt worden sind. Ein 
Kollege, der es in einer mittelgrossen Stadt genau nach Vorschrift 
versuchte, nachdem er selbst vorher schon 5 Wochen lang durch« 
schmttlich 2 Stunden täglich besichtigt hatte, begann die Orts¬ 
besichtigung mit einer Kommission von 14 Mitgliedern, deren Zahl 
sich allmählich auf 3 verringerte. Ein anderer Kollege aus einer 
Grossstadt schreibt mir, bei ihm werde tagtäglich der „Ort“ be¬ 
sichtigt, weitere Besichtigungen nehme er nicht vor. Auch in 
Berlin und den grösseren Vororten haben Ortsbesichtigungen bis¬ 
her anscheinend überhaupt nicht stattgefunden. Andere Kollegen 
haben sich in der Weise zu helfen gesucht, dass sie ihre Stadt 
nach Polizei- oder Armenbezirken eingeteilt haben, um hiernach 
die Besichtigungen vorzunehmen. Ich habe dies in einer Stadt 
meines Bezirks auch versucht, halte es aber nicht für eine zweck¬ 
mässige Art und Weise der Besichtigung für die in Betracht 
kommenden Städte, denn es geht dabei die Uebersichtlichkeit ver¬ 
loren. Ist es mir doch ebenfalls begegnet, dass die mich be¬ 
gleitenden Herren, als ich nach 5 ständiger anstrengender gemein¬ 
schaftlicher Arbeit eine Pause eintreten lassen wollte, mir er¬ 
klärten, sie wünschten nun für diesmal die Besichtigung zu 
schliessen. Ich glaubte ihren Wünschen auch Rechnung tragen 
zu sollen, denn die Einrichtung ist noch zu neu. Die Herren haben 
teilweise noch nicht so recht das Gefühl der Zusammengehörigkeit 
mit den Medizinalbeamten, besitzen auch zum Teil noch nicht das 
richtige Pflichtgefühl und müssen auch hierzu erst allmählich er¬ 
zogen werden. Manche betrachteten die Besichtigungen noch als 
eine unnütze Belästigung, während anderwärts wiederum alle 
Herren der Elinrichtung grosses Interesse entgegenbrachten und 
sich mit regem Eifer beteiligten. 

Dass wir mit der Unterlassung der Ortsbesichtigungen erst 
recht nicht weiter kommen und dass dies auch den bestehenden 
Vorschriften direkt entgegen ist, bedarf keiner weiteren Er¬ 
örterung. Ich meine vielmehr, dass es höheren Orts gar nicht 
beabsichtigt ist, die Ortsbesichtigungen in den mittleren und 
grösseren Städten streng an das Schema des Formulars VII zu 
binden, welches doch nur, wenn ich es recht verstehe, einen Weg¬ 
weiser und den Rahmen für che Besichtigungen und Unter¬ 
suchungen abgeben soll. Das Formular enthält eine Uebersicht 
aller der Punkte, die hierbei berücksichtigt werden sollen; es gilt 
in gleicher Weise für das platte Land wie für die Städte. Werfen 
wir aber einen Blick in dasselbe, so wird jeder zugeben müssen, 
dass das Material, auf das die Medizinalbeamten bei der Orts¬ 
besichtigung Augenmerk zu richten haben: die allgemeinen Ge¬ 
sundheitsverhältnisse, die ev. Verbreitung ansteckender Krank¬ 
heiten, die zur Verhütung des Entstehens und der Verbreitung* 
derselben notwendigen Massnahmen, die Ueberwachung der Pro¬ 
stitution, menschliche Wohnstätten, Massenwohnungen, Schlaf- und 
Kostgängerwesen, Asyle, die Beseitigung der Abfallstoffe auf den 
einzelnen Grundstücken wie in der ganzen Stadt, Strassenreinigung^ 
Müllbeseitigung, Wasserversorgung, Beschaffenheit der öffentlicher 



410 


Dr. Soh&fer. 


Wasserläufe, Verkehr mit Nahrungs- und Genussmitteln, gewerb¬ 
liche Anlagen, soweit sie die öffentliche Gesundheit oder die be¬ 
schäftigten Arbeiter zu schädigen geeignet sind, oder durch ihre 
festen oder flüssigen Abgänge die Verunreinigung der öffentlichen 
Wasserläufe und des Untergrundes befürchten lassen, Schulen, 
Gefängnisse, Kranken- und Armenfürsorge, Krankenhäuser, die 
öffentlichen und privaten Badeanstalten, Haltekinder- und Be¬ 
gräbniswesen, ein so überreiches ist, dass es in mittleren und 
grösseren Städten allerdings zu einer Zersplitterung der Arbeits¬ 
kraft führen muss, wenn man alle diese Punkte berücksichtigen 
wollte. Desgleichen dürfte nicht nur die Gefahr der Oberfläch¬ 
lichkeit zu befürchten sein, sondern wir werden auch auf diesem 
Wege nur allzu leicht dazu gedrängt, viel zu viel mit einem Mal 
in Angriff zu nehmen und alles mit einem Mal reformieren zu 
wollen. Nichts ist aber gerade auf dem Gebiet des öffentlichen 
Gesundheitswesens verkehrter, denn wir müssen vor allem stets 
mit der finanziellen Leistungsfähigkeit der Städte rechnen. Jedes 
Projekt, das in Angriff genommen werden soll, kostet Geld und 
immer wieder Geld, das die Stadt oder die sonstigen Betroffenen 
schliesslich doch erst aufzubringen haben. 

Nirgends gilt der Grundsatz: „Non multa, sed multum“, mehr 
als in der öffentlichen Gesundheitspflege. Deswegen glaube ich, 
wird man sich höheren Orts auch gewiss damit einverstanden er¬ 
klären, wenn sich die Kreisärzte bei den Ortsbesichtigungen in 
den mittleren und grösseren Städten nach den örtlichen Verhält¬ 
nissen richten und zuerst das Gebiet herausgreifen, auf dem nach 
ihrer Erfahrung die grössten und schlimmsten Missstände vor¬ 
liegen. Die Abstellung dieser Missstände muss dann allerdings 
konsequent und zielbewusst angestrebt werden, wobei der §. 35 
des Reichgesetzes, betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krank¬ 
heiten vom 30. Juni 1900, eine ungemein wichtige Handhabe gibt. 

Hier in Frankfurt haben wir z. B. mit der Wasserversorgung 
begonnen und 1895 öffentliche und private Brunnen örtlich unter¬ 
sucht. Im laufenden Jahre kamen dann die Wohnungsbesichti- 
gungen an die Reihe. Ein weiterer wunder Punkt in den hy¬ 
gienischen Verhältnissen Frankfurts ist der Nahrungsmittelverkehr 
sowie die Beseitigung der Abwässer und Abfallstoffe, für die eine 
Kanalisation geplant ist. Es lässt sich somit sehr wohl ein Plan 
in Anlehnung an den §. 69 der Dienstanweisung bezw. an das For¬ 
mular VII auch für die mittleren und grösseren Städte ausarbeiten. 
Derselbe würde für die einzelnen Städte je nach der Dringlichkeit 
des Gebietes ganz verschieden ausfallen. Derartige systematische 
Besichtigungen aber, wie sie durch die Dienstanweisung unge¬ 
ordnet worden, sind m. E. überall vorzunehmen, mag die Stadt 
nun Berlin, Rixdorf oder Finsterwalde heissen. Aehnliche Be¬ 
sichtigungen werden, wie schon erwähnt, beispielsweise auch von 
den beamteten Aerzten einer so grossen Stadt wie London aus¬ 
geführt. Auf hygienische Details aus dem umfangreichen Gebiet 
der Ortsbesichtigungen in den Städten will ich nicht eingehen, 
sondern möchte zum Schluss nur noch ein paar Worte über die 



Ueber Ortsbesichtigangen and deren iweckmSesigste Ausführung n. 8. w. 411 

Vorbereitung und Ausfahrung der Schul- und Ortsbesichtigungen 
im allgemeinen hinzufttgen; denn es bewährt sich auch bei den 
Ortsbesichtigungen die alte Regel: Je besser vorbereitet, desto 
prompter funktioniert der ganze Apparat. Die Einladungen lasse 
ich den beteiligten Behörden und Gesundheitskommissionen mög¬ 
lichst frühzeitig zugehen, lade auch aus dem oben ausgeführten 
Grunde möglichst viele Behörden ein und spreche stets den Wunsch 
aus, dass ein höherer bautechnischer Sachverständiger an den Be¬ 
sichtigungen teilnehmen möchte, schon mit Rücksicht auf die 
Auslegung der Bestimmungen der Baupolizei-Verordnung und etwa 
zur Besprechung gelangende technische Fragen. Ebenso beab¬ 
sichtige ich, mich mit dem Gewerbeinspektor und dem Kreisthier¬ 
arzt meines Kreises in Verbindung zu setzen, um mir ihre Mit¬ 
wirkung zu sichern, wenn ich Besichtigungen vornehme, die diese 
Behörden interessieren. Ich möchte hierbei nicht unerwähnt lassen, 
dass wir in unserm Regierungbezirk bereits nach dieser Richtung 
hin spezielle Vorschriften erhalten haben und z. B. angewiesen 
sind, gewerbliche Anlagen mit dem Gewerbeinspektor, Molkereien 
und Schlachthäuser mit dem Kreistierarzt zu besichtigen. Ich glaube, 
dass gerade dieses Zusammenarbeiten, der persönliche Meinungsaus¬ 
tausch erspriessliche Folgen haben wird. Wie wichtig ist z. B. 
für den Gesundheitsbeamten nicht nur die Beseitigung der gewerb¬ 
lichen Abwässer, die Prüfung des Einflusses der gewerblichen 
Anlagen auf ihre Umgebung, sondern auch, den Betrieb, die Ar¬ 
beitsräume, die Arbeitsbedingungen in Fabriken, Werkstätten und 
mehr noch in den oft so traurigen Stätten der Hausindustrie 
sowie die Arbeiter und Arbeiterinnen selbst kennen zu lernen. 
Welch grosse Bedeutung diese Besichtigungen auch im Hinblick 
auf den Kampf gegen unsere verbreitetste Volkskrankheit, die 
Tuberkulose, gewinnen, brauche ich gewiss nicht hervorzuheben. 
Ein Zusammenwirken der verschiedenen, hierbei in Betracht kom¬ 
menden Faktoren ist unbedingt notwendig. 

Bei den Einladungen zu den Besichtigungen bediene ich 
mich Postkarten, die ich mir von der Firma Diekmann in 
Altenkirchen habe drucken lassen. Den Einladungen lege ich bei 
der Besichtigung kleiner Städte und Ortschaften stets das For¬ 
mular bei, damit die beteiligten Behörden sich schon vorher 
informieren können. Die Formulare des oben genannten Verlags 
erwiesen sich mir recht brauchbar, da sie mehr Raum für das 
Protokoll bieten, als diejenigen der übrigen Verleger, welche ich 
bisher kennen gelernt habe. Namentlich das Schulbesichtigungs¬ 
formular für grössere Städte ist sehr zweckmässig und übersicht¬ 
lich eingerichtet, obwohl ich für die Beurteilung der Schulbänke 
die nach diesem Formular aufzunehmenden Masse nicht für aus¬ 
reichend erachte. Zu Beginn der Besichtigung nehme ich in 
kleinen Städten, wie in den Ortschaften eine kurze Besprechung 
an der Hand des Formulars vor. In mittleren und grösseren 
Städten tritt an deren Stelle eine gedrängte Schilderung der 
Momente, auf die es z. B. bei der Schul- oder Wohnungsbesich- 
tigung, der Besichtigung von Wasserleitungen, Wasserentnahme- 



412 


Dr. Moers. 


stellen n. s. w. ankommt. Die Ausarbeitung des Protokolls mit 
den nothwendigen Anträgen an den Landrat oder die Polizei¬ 
verwaltung erfolgt zweckmässig zu Hanse, schon mit Rücksicht 
auf die Zeit der übrigen an der Besichtigung Beteiligten, wie 
auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der etwa anzustellenden 
physikalisch-chemischen und bakteriologischen Untersuchungen. 

Mit Umsicht und Takt lässt sich durch die Ortsbesichtigungen 
Vieles und Gutes erreichen. Freilich stellen sich nach dieser 
Richtung recht hohe Anforderungen an den beamteten Arzt, nicht 
minder an dessen hygienisches Wissen und Rönnen, sowie na¬ 
mentlich an seine praktische Befähigung auf dem weiten Gebiete 
der öffentlichen Gesundheitspflege. Wird er diesen Anforderungen 
jedoch gerecht, so wird er auch bei den Ortsbesichtigungen die 
Vertrauensstellung, welche ihm in Preussen durch das Kreisarzt¬ 
gesetz und die neue Dienstanweisung eingeräumt ist, mit bestem 
Erfolg ausfüllen im Dienste der Volksgesundheit, zum Wohle des 
Staates. 


Drei Fälle von Vergiftung mit Knollenblätterschwamm 
(Amanita phalloides). 1 ) 

Von Kreisarzt Dr. Moers, Geh. Medizinalrat in Mülheim a. Rh. 

Die häufigsten Pilzvergiftungen kommen durch Verwechslung 
des Knollenblätterschwammes mit dem Champignon zu stände; 
obwohl die Unterscheidungsmerkmale so in die Augen fallend sind, 
dass man Verwechslungen für unmöglich halten sollte. In den 
Fällen, die hier besprochen werden sollen, handelte es sich nicht 
um eine Verwechslung, sondern um gänzliche Unkenntnis der 
Pilze. Die Frauen hatten gehört, dass die Pilze essbar seien und 
ein gutes Gericht abgäben; sie hatten daraufhin im Walde mög¬ 
lichst kräftige und schöne Pilze gesammelt. Trotz (1er Warnung 
von seiten des Vaters resp. Schwiegervaters der Frauen, dass 
man die Pilze nicht essen könne, waren sie zubereitet und ge¬ 
meinsam verzehrt worden. 

Die beiden Ehefrauen Czw. und PI. hatten am 5. August 
gemeinschaftlich Pilze gesammelt, die Pilze zu Hause geputzt, 
d. h. die Stiele beschnitten, die Lamellen entfernt und die 
Haut der Hüte abgezogen. Die Pilze waren nun zurückgestellt 
und am 6. August mit Pfeffer, Salz, Zwiebeln und Kartoffeln 
zusammen gebraten und gemeinschaftlich zum Mittagessen 
verzehrt und zwar von der Familie J. Czw., Mann, Frau 
und 3 Kinder, der Familie C. PL, Mann, Frau und 1 Kind und 
dem alten PI. mit seiner Frau und erwachsenen Tochter, im ganzen 
von 11 Personen. In der folgenden Nacht vom 6. zum 7. August 
stellten sich die ersten Vergiftungserscheinungen ein, Leib¬ 
schmerzen, denen sich bald Durchfälle und Erbrechen anschlossen. 
Dabei trat grosse Ermattung und Kraftlosigkeit ein. Am Nach- 


*) Teils nach einem Vortrag auf der Medizinalbeamten - Versammlung 
in Cöln am 11. Dezember 1902, teils nach dem am 15. November 1902 er¬ 
statteten Obdnktionsberioht. 



Drei Pille von Vergiftung mit Knollenblätterschwamm. 418 

mittag des 8. August, 5 1 /* Uhr, starb die Marie Magd. Czw., 4 1 /, 
Jahre alt; am 9. August, vorm. 8 Uhr, die Hedwig Czw., ß*/ 4 Jahre 
alt, und endlich am 10. August, vorm. 6*/> Uhr, der Joseph Czw., 
3 Jahre alt. Ein Arzt wurde am 9. August zugezogen. Der alte 
PI. hat nur Leibschmerzen gehabt. Die Genesung ist ziemlich 
langsam von statten gegangen, da die Muskelschwäche eine ausser¬ 
ordentlich grosse war. Mit Ausnahme der alten Frau PI. waren 
nach 8 Tagen die Beteiligten genesen. Die alte Frau hat noch 
mehrere Wochen nötig gehabt, ehe sie sich erholt hatte. 

Als ich am 10. August den Fall dienstlich untersuchte, 
konnte ich nur erfahren, dass alle sich an Pilzen vergiftet hätten. 
Ich liess mir deshalb die Stelle angeben, wo die Frauen gesam¬ 
melt hatten und sammelte mir daselbst alle möglichst dort wach¬ 
senden Pilze, legte sie den beiden Frauen Czw. und PI. jeder 
allein vor und beide bezeichneten die nämlichen Exemplare als 
diejenigen, die sie zubereitet batten. Es waren junge Exemplare 
von Amanita phalloides. Auch der alte PL, der die von den 
Frauen gesammelten Pilze als giftig bezeichnet hatte, erkannte 
Amanita phalloides als die genossenen an. 

Die Obduktionen der 8 Kinder ergaben im wesentlichen 
folgendes: 

I. Maria Magdalena Czw. 4 1 /*. Obduktion am 11. Angast, 
72 8tanden post mortem: 

2. Kein Leichengerach. Keine Spar von Leichenstarre. 

3. Hautfarbe blassgrau-rötlieh. 

7. Papillen mittelweit. 

13. An der kleinen Kurvatur des Magens sahireiche hellrötliche Spren- 
kelangen, teils aas injisierten Gefässen, teils aas EkchymoBen bestehend. 

16. Binde der Nieren graagelblich, trübe, fettig. Im Nierenbecken Ek- 
chymosen. 

19. Gekrösdrüsen geschwollen, derb, bis bohnengross. 

20. Die Leber misst 18 : 13:7cm; sie ist fast hellgelb, glatt and prall. 
Zahlreiche Ekchymosen in der Kapsel. Auf dem Durchschnitt gleichmässig 
hellgelb, trüb, deutlich fettig, sehr wenig blutreich. Ueberall im Gewebe 
sahireiche Blataustretangen. 

22. Sowohl die Peyer’sehen, wie die solitären Drüsen stark hervor- 
tretend, an ersteren die Gefässe stark gefüllt. 

23. Dickdarmdrüsen stark vortretend. 

24. Die grossen Gefässe enthalten wenig dankles, Kirschsaft ähnliches Blut. 

25. In der Pleurahöhle wenig rötlich seröse Flüssigkeit. 

26. Ebenso im Hersbeatel. 

29. Die Langen braunrot, knisternd, stark lufthaltig. Das Blut ist 
grösstenteils geronnen, rot, schwärzlich. 

84. In den Gefässen an der Hirnbasis halbgeronnenes Blut. In der weissen 
Substanz zahlreiche Blutpnnkte. 

II. HedwigCzw. Obduktion am 12. August, 48 Stunden post mortem: 

2. Hautfarbe blassgrau, mit einem Stich ins gelbliche. 

8. Leichenstarre fällt gänzlich. 

4. Verwesungsgeruch nicht bemerkbar. 

5. Erweiterte Pupillen. 

15. Die Schleimhaut des Magens zeigt die arteriellen Blutgefässe bis in 
die feinsten Verzweigungen gefüllt. 

17. 18. Nieren stark blutreich, Pyramiden etwas getrübt. 

20. Im rechten Eierstock eine stark erbsengrosse, durch frisch ausgetretenes 
Blut erfüllte Höhlung. 

22. Die Leber misst 18:15:6*/» cm; sie ist derb, glatt. In der Kapsel 



414 


Dr. Moers. 


zahlreiche steckn&delknopf- bis hirsekorngrosse Ekchymosen, die bis ins Leber« 
gewebe hioeinragen. In der Pfort&dergegend 4 grössere Extravasate, 1 cm 
gross, 8 cm tief. Das Gewebe ist grangeib, trocken, sehr blutarm, deutlich 
fettig. Auch im Gewebe zahlreiche Blntanstretungen. 

38. In der Bauchspeicheldrüse zahlreiche, hirsekorngrosse Blntanstretungen. 

24. Die Gekrösdrüsen bohnengross, derb. 

26. Die Peyer*sehen and solitSren Drüsen stark vortretend. Im 
unteren Ende des Ilenm eine Blntaustretung 4 cm lang, 2 cm breit. 

29. Anf dem Hersbentel eine kirschkerngrosse Blntaustretung. Auf dem 
Herzen 20 stecknadelknopfgrosBe Extravasate. 

80. In der Lunge an der Basis 8 stark linsengrosse Blntanstretungen. 

86. In der Externa der Aorta descendens eine 4 cm lange, 1 cm breite, 
8 mm hohe Blntaustretung. 

40. HirngefXsse strotzend mit dunkelkirsehrotem, halbgeronnenem Blute 
gefüllt 

41. Adergeflechte strotzend gefüllt Die weisse Substanz von zahlreichen 
Blutpunkten durchsetzt. 

III. Joseph C z w. Obduktion am 11. August, 30 Stunden post mortem. 

2. Kein Leichengeruch. Keine Spur von Leichenstarre. 

4. Papillen mittelweit. 

11. Im Magen 80 cbom dunkelrothen, schleimigen Blutes. 

14. In der Nierenkapsel ca. 20 bis hirsekorngrosse Blntanstretungen; die 
Rinde trübe, deutlich fettig. 

20. Gekrösdrüsen bohnengross, fest. 

21. Die Leber misst 17:11: B*/» cm, sie ist fest, prall. Die Kapsel rötlich« 
gelb, in ihr zahlreiche Blntanstretungen. Das Gewebe auf dem Durchschnitt 
hellgelb, fettig, trübe. 

22. Jejunum in den oberen */, mit dunkelrotem, schleimigem Blut gefüllt. 
Die Peyer’schen und Einzeldrüsen stark vorstehend. Nirgendwo im Darme 
Geschwürsbildung oder Verletzung. 

28. Gekrösdrüsen deutlich hervortretend. 

27. Auf dem Herzbeutel 6 hirsekorngrosse Blutaustretnngen. Das Herz 
enthllt je 1 ccm dunkelkirsohroten geronnenen Blutes. 

28. Die grossen Gefftsse blutleer. In der Externa der Aorta zahlreiche 
bis bohnengrosse dunkle Blutaustretnngen. 

83. Die Gef&sse der Hirnhaut enthalten nur Spuren dunklen dicklichen 
Blutes. Auf der Schnittfl&ehe der Hirnsubstanz nur sehr wenig Blutpunkte. 

84. In den grossen Blutleitern sehr wenig dunkelkirsohrothes Blut. 

Das vorläufige Gutachten lautete bei Joseph Czw.: 
Der Tod ist eingetreten infolge von Verblutung in den Magen 
und Dannkanal. 

Im übrigen wurde mit Rücksicht darauf, dass es den Obdu« 
zenten bekannt war, dass die ganze Familie nach dem Genüsse 
von Pilzen erkrankt war und alle drei Leichen genau dieselben 
Erscheinungen boten, das Gutachten dahin abgegeben, dass mit 
der grössten Wahrscheinlichkeit die drei Kinder an den Folgen 
einer Pilzvergiftung gestorben seien, dass die Obduzenten aber 
mit ihrem definitiven Gutachten zurückhalten müssten, bis ihnen 
die Krankengeschichten und das Resultat der anzustellenden 
chemischen Untersuchung der Leichenteile bekannt geworden sei. 

Am 9. Oktober ging das Gutachten über die chemische 
Analyse ein. Darnach war Phosphor in den Leichenteilen nicht 
gefunden, ebensowenig phosphorige Säure, Cyanverbindungen, 
unorganische metallische Gifte. Kupfer, Wismuth, Quecksilber, 
Zink und Arsenik waren nicht nachzuweisen gewesen. Die 
Untersuchung auf Alkaloide, namentlich von Opium, Nux vomica 
und Conium, hatte gleichfalls einen negativen Erfolg. Es ist dann 



Drei Fälle von Vergiftung mit EnoilenblätterBohwamm. 


416 


noch versucht, das Muskarin, das giftige Alkaloid des Fliegen¬ 
pilzes (Amanita muscarins) nachzuweisen, ebenfalls resultatlos. 
Zum Schlüsse bemerkt der Chemiker: „es folgt daraus nicht, 
dass kein Pilzgift überhaupt vorhanden gewesen, sondern es 
ist nur erwiesen worden, dass ein Pilzgift, welches sich chemisch 
so verhält wie Fliegenpilzgift, in den Leichenteilen nicht an¬ 
wesend gewesen ist“. 

Nach dem Resultate der Beobachtungen an den Lebenden 
und der Leichenbefunde konnte jedoch als Ursache des Todes 
mit Sicherheit eine Vergiftung mit Pilzen und zwar speziell mit dem 
Knollenblätterschwamm (Amanita phalloides) angenommen werden. 

Während der Leichenbefund bei allen drei Kindern wegen 
der gelben Fettleber, der Blutveränderungen und der Ekchymosen 
auf eine Phosphorvergiftung hinweisen könnte, hat die chemische 
Analyse in den Leichenteilen weder Phosphor noch auch dessen 
Oxydationsprodukt, phosphorige Säure, nachgewiesen. Wenn nun 
auch eine fettige Entartung der Leber als Krankheitsprodukt bei 
Kindern vorkommt, so wäre es doch im höchsten Grade auffallend, 
diese seltene Erkrankung bei den sonst gesunden drei Ge¬ 
schwistern in einer akuten Form zu finden, jedenfalls müsste dann 
eine gemeinschaftliche Ursache dieser Krankheit vorliegen. Eine 
solche ist aber nicht vorhanden, da weder Tuberkulose, noch 
Skrophulose, noch auch Caries bei einem der Kinder festgestellt 
und eine Vergiftung mit Phosphor ausgeschlossen ist. 

Für die Vergiftung mit Arsenik oder ein metallisches Gift 
bieten Krankheitsverlauf, Leichenbefund und chemische Unter¬ 
suchung keine Anhaltspunkte. Ebenso verhält es sich mit den 
Vergiftungen mit Alkaloiden, namentlich von Nux vomica, Opium, 
Belladonna, Conium u. s. w. Die Krankengeschichte weist kein Symp¬ 
tom dafür auf, ebenso wenig der anatomische und chemische Befund. 

Es bleibt somit nur noch als ein gemeinschaftlicher Grund 
für sämtliche Erkrankungen resp. Todesfälle, die Pilzvergiftung. 
Von Pilzen kann die Vergiftung mit Fliegenpilz (Amanita mus- 
carius) ausgeschlossen werden, da Muskarin nicht in den Leichen¬ 
teilen nachgewiesen ist, und auch der Krankheitsverlauf wie die 
Leichenerscheinungen nicht für die Aufnahme von Fliegenpilz 
sprechen. 

Der ganze Erkrankungsvorgang in den 8 Familien Czw. und 
PI. lässt sich ungezwungenl erklären, ja mehr wie dies, lässt 
sich als ein exquisites Beispiel einer Vergiftung mit dem Knollen¬ 
blätterschwamm (Amanita phalloides, s. Agaricus phalloides, 
s. A. bulbosus) ansehen. Der Knollenblätterschwamm ist für 
den Kundigen eine leicht zu erkennende Pilzart, kann aber von 
Unkundigen, wenn auch nicht leicht, mit dem Champignon 
(Agaricus campestris, pratensis, arvensis und silvaticus), nament¬ 
lich in den Jugendzuständen, verwechselt werden. Nun haben die 
beiden, Frau Czw. und PI., überhaupt keine Kenntnisse von Pilzen 
gehabt, sondern nur Pilze gesammelt, weil sie erfahren hatten, 
dass man solche essen könne. Der alte PI. hat die Pilze als 
giftige erkannt und vor dem Genüsse gewarnt, aber trotz 



416 Dr. Mörs: Drei Pille von Vergiftung mit Kaollenblittersehwamm. 


alledem mitgegessen and, wenn anch nur leichte, Vergiftungs¬ 
erscheinungen davon getragen. Dass es sich nm Knollenblätter¬ 
schwamm gehandelt hat, ist dadurch bewiesen, dass beide Frauen 
getrennt von einander aus einer Menge von verschiedenartigen 
Pilzen die jungen Knollenblätterschwämme als diejenigen be¬ 
zeichnet haben, die sie gesammelt, zubereitet und genossen hätten. 
Der Verlauf der Krankheitsgeschichte gibt auch der Annahme 
recht, dass dieser Pilz der genossene gewesen ist. 

Nach Schauenstein (Maschka’s Handbuch der gericht¬ 
lichen Medizin; Tübingen 1882, Bd. n, S. 722 ff.) treten die ersten 
Vergiftungserscheinungen höchstens 3—4 Stunden, meistens erst 
nach 6—10 Stunden, ja in einzelnen Fällen erst nach 40 Stunden 
auf. Sie bestehen in galligem Erbrechen (zuweilen fehlend), 
Diarrhöen, Schmerzen im Unterleib. Alle diese Erscheinungen 
sind bei den ganzen Familien ganz oder teilweise eingetreten 
und zwar in der folgenden Nacht, also 10—14 Stunden nach der 
verhängnisvollen Mahlzeit. Auch der Verlauf ist kein rascher; 
in Maschka’s Fällen trat der Tod in 2 Fällen erst 60—68, in 
den übrigen schon nach 12—18 Stunden, gewöhnlich erst am 

2.-3. Tage, ja selbst nach 7 Tagen ein. Setzen wir die Mahl¬ 
zeit auf Mittwoch Mittag 12—1 Uhr, so trat der Tod der Maria 
Magdalene nach 53 Stunden, der der Hedwig nach 63 Stunden, 
und der des Joseph erst nach 90 Stunden ein, also in 2*/>— S l / a 
Tagen nach dem Genuss der Pilze. 

Die Leichenerscheinungen bieten nach Schauen stein über¬ 
einstimmend: 1. Völliges Fehlen der Totenstarre, ein 
Symptom, das bei allen drei Leichen festgestellt wurde (siehe Ob¬ 
duktionsprotokolle Nr. 3., 3. u. 2). 

2. Erweiterung der Pupillen. In allen 3 Fällen 
waren die Pupillen mittelweit resp. erweitert (O-P. Nr.7., 5 u. 4). 

3. Flüssiges, kirschrotes Blut wurde ebenfalls in 
den meisten Organen vorgefunden. Das Blut war mehr brombeer- 
farben und nur im Ausstrich dunkel kirschrot, in den Lungen- 
gefässen nicht flüssig, aber auch nicht eigentlich geronnen. Aus 
den Gefässen trat auf der Schnittfläche in allen Fällen halb¬ 
flüssiges Blut wurmförmig aus. 

4. Zahlreiche hanfkom- bis talergrosse Ekchymosen in 
der Lungenpleura, der Lungensubstanz, im Pericardium und in der 
Muskulatur des Herzens, in der Leber sowohl der Kapsel, als 
auch im Parenchym, in Milz und Nieren. Durchmustert man 
die Obduktionsprotokolle der Maria Magdalene, so finden wir diese 
Befunde unter der Nr. 13., 16., 20., 27.; bei Hedwig unter Nr. 20., 

22., 23., 29., 31., 36, und bei Joseph unter Nr. 11., 14., 21., 22., 

27., 20. Bei dem letztgenannten Joseph war es zu einer ganz 
erheblichen Blutung in den Magen und Darm gekommen, so dass 
der Magen und zwei Drittel des Jejunum mit dunkel kirschrotem, 
schleimig flüssigem Blute gefüllt waren. 

5. Die sonst gefundene Füllung der Blase mit Urin 
wurde in allen drei Fällen vermisst. 

6. In einzelnen Fällen zeigte sich die Leber fettig dege¬ 
neriert. In unsern drei Fällen bestand hochgradige Fettleber. 



t)r. äoffmann: Mn zweiter Todesfall in der Chloroform - Narkose. 4i? 


Von Symptomen, die sonst niclit erwähnt werden, möchte ich 
noch auf ein in unseren Fällen jedesmal gefundenes aufmerksam 
machen, nämlich auf die Anschwellung derGekrösdrüsen, 
die stets erheblich vergrössert und derb waren, sowie auf die 
Anschwellung der Peyer’schen und solitären Drüsen 
des Darmes. Endlich fand sich auch eine eigentümliche grau - 
gelbliche Farbe der Haut bei den Verstorbenen. Wenn ich 
noch hinzufüge, dass Maschka an Tieren (Hunden und Ka¬ 
ninchen, welche er mit Amanita phalloides vergiftete) gleichfalls 
die Abwesenheit der Totenstarre und das Auftreten von Ekchy- 
mosen, zumal in der Leber, konstatierte, so haben wir auch völlige 
Uebereinstimmung mit dem Tierexperiment. 

Auch nach Schauenstein fehlt für eine chemische Kon¬ 
statierung des Giftes bis jetzt jeder Anhaltspunkt. 

Bekapitulieren wir kurz, so sehen wir (wenn auch Joseph 
Gzw. an Verblutung gestorben ist und diese Blutung in Magen 
und Darm die Folge von Blutaustretungen war, wie sie bei ihm 
und seinen Geschwistern gefunden wurden), dass alle Organe 
keinen Aufschluss über den Tod gaben, sondern mit Ausnahme 
der Blutungen gesund waren bis auf die Leber. Die Erkrankung 
der Leber ist aber, wie wir gesehen haben, Folge des Genusses 
der Pilze. Für Phosphorvergiftung, auf die man bei Unkenntnis 
der Vorgänge und Krankengeschichte schliessen müsste, fehlt der 
Nachweis von Phosphor und phosphoriger Säure. Nimmt man 
hinzu, dass sämtliche Mitglieder der beiden Familien, 11 Per¬ 
sonen, mehr oder weniger heftig nach dem Genuss von Knollen¬ 
blätterschwamm erkrankt, 3 Kinder in unmittelbarem Anschluss 
daran gestorben sind und zwar in der für diese Vergiftung cha¬ 
rakteristischen Zeit, ferner, dass die Leichenerscheinungen bei 
allen drei Kindern geradezu klassische Beispiele der Vergiftung 
mit Amanita phalloides darstellen, so müssen wir auf Grund dieser 
Tatsache mit Bestimmtheit sagen, dass die 3 Kinder Czw. in¬ 
folge des Genusses von Knollenblätterschwamm am 6. August am 
8., 9 resp. 10. August gestorben sind. 


Ein zweiter Todesfall in der Chloroform - Narkose. 

Von Dr. H. Hoffmann, Gerichtsarzt in Berlin. 

Die Duplizität der Fälle fügt dem in Nr. 11, Jahrgang 1902, 
dieser Zeitschrift geschilderten Chloroform - Tode einen zweiten Fall 
hinzu. Es handelte sich um ein 5 Monate altes, scheinbar kräf¬ 
tiges und gesundes Mädchen, dem am 23. August v. J. zwei am 
Halse befindliche Naevi vasculosi in Chloroform-Narcose operativ 
entfernt wurden. Das Kind hatte die Narkose gut vertragen; es 
war auch vor dieser Narkose untersucht, und ein Leiden nicht kon¬ 
statiert worden. Der Arzt behielt das Kind unter Augen: es gedieh 
und nahm in normaler Weise zu. Die Heilung der Operationswunde 
verlief glatt, doch zeigte sich bald, dass noch eine kleine Nachopera¬ 
tion nötig war. Diese sollte am 2. Dezember ausgeführt, und zu 
diesem Zwecke das Kind ganz leicht „anchloroformiert“ werden. 



418 


Dr. Hoffmann. 


Das Kind wurde bis auf das am Halse aufgeknöpfte Hemd 
entkleidet und mit dem Hopfe auf den Schoss seiner Grossmutter 
gelegt; der Unterkörper blieb mit einem Tuche bedeckt. Der 
Arzt gebrauchte Chloroform-Anschütz, welches er 2—3 Wochen 
in seinem Besitz und vorschriftsmässig aufbewahrt hatte. Er 
wandte die Tropfmethode an und hat innerhalb 1—1 Vs Minuten 
höchstens 100 Tropfen (4 gr) verbraucht. Eben war er dabei, 
mit der Messerspitze die Schnittführung zu skizzieren, da fing die 
Atmung des Kindes an, unregelmässig zu werden. Er legte das 
Messer sofort bei Seite, leitete die künstliche Atmung ein, jedoch 
ohne Erfolg; später wurden Kampfer-Einspritzungen gemacht. — 
Während der lange Zeit fortgesetzten Wiederbelebungsversuche 
erfolgte ab und zu ein leichtes „Schnappen" des Kindes, bis auch 
dieses aufhörte. 

Die Obduktion fand 6 Tage post mortem statt; die Leiche 
war gefroren gewesen und musste erst aufgetaut werden. Der 
wesentliche Befund war folgender: 

Regelmässig gebautes, kräftiges Kind. — Leichenstarre nicht mehr vor¬ 
handen. Hautfarbe blass wachsgelb. — Pupillen beiderseits fast 6 mm. 

Gehirn stark erweicht, sehr blass; aus dem Wirbelkanal fliessen 10 cbem 
klarer, hellgelber Flüssigkeit. 

In der Bauchhöhle 50 cbcm dünnflüssiger blassroter Flüssigkeit. — In den 
beiden Brustfellsftcken rötliche, wässrige Flüssigkeit, rechts 20, links 10 cbcm. 

Im Herzbeutel 10 cbcm rötlicher, klarer Flüssigkeit; Herz gross, 5,5 cm 
lang, 5 cm breit. Kranzgefässe stark gefüllt. Die grossen Gefässe ausserhalb 
des Herzbeutels schlaff. — Das linke Hers leer, auch der rechte Vorhof, in 
der linken Kammer 15 cbcm dunklen, flüssigen Blutes. — Beim Herausnehmen 
des Herzens entleeren sich aus den durchschnittenen Gefässen 80 obom flüssigen, 
dunkelroten Blutes. — Das Hersfleisch derb nnd fleisohroth, links 11 mm, 
rechts 4 mm dick. 

Lungen blass, grau - rot, mit spärlichem Blutgehalte. Die blassrosa aus¬ 
sehende innere Brustdrüse ist zweisipflig, 6 cm lang, 5 om breit and 1,5 cm dick. 

Milz und Nieren blass; Leber dunkelbraun. 

Die Drüsen des Dünndarms mit blossem Auge sehr gut sichtbar, in der 
Darmschleimhaut an vielen Stellen fein gezeichnete Gefässfüllungen. — Auch 
in der Schleimhaut des Dickdarms zahlreiche Drüsen sichtbar. 

Im Gekröse viele Drüsen bis zur Grösse einer mittleren Bohne, auf dem 
Durchschnitt sind dieselben blassrot. Bauchspeicheldrüse aussen nnd innen 
blass-rosa. — Gefässe vor der Wirbelsäule leer. 

Das vorläufige Gutachten lautete: Eine bestimmte Todes¬ 
ursache hat die Obduktion nicht ergeben; es spricht Nichts gegen 
einen Chloroformtod. Die Vorgefundenen krankhaften Veränderungen 
im Körper werden bei dem Tode mitgewirkt haben. 

Wie ist dieser Chloroformtod zu erklären, und wie kommt 
es, dass das nicht viel über 6 Wochen alte Kind eine tiefe Nar¬ 
kose gut und glatt übersteht, und mehr als 3 Monate später einer 
leichten Narkose, bei der in maximo 4 gr Chloroform gebraucht 
sind, erliegt P 

Wollte man annehmen, dass das Chloroform nicht rein ge¬ 
wesen sei, so müsste man mit Strassmann 1 ) antworten: „Das 
Chloroform ist es, das tötet, nicht seine Beimengungen." 

Die Befunde am Herzen und noch mehr in der Bauchhöhle 
zeigen ja wohl, dass das Kind „chronisch krank" war, aber die 


*) Strassmann: Lehrbuch der gerichtlichen Medizin; Stuttgart, 1895. 



Sin «weiter Todesfall in der Chloroform - Narkose. 419 

Krankheit war doch nicht derart, dass ein plötzliches Ableben des 
Kindes zu befürchten gewesen wäre, wenn auch die Widerstands¬ 
fähigkeit des Organismus geschwächt gewesen ist. 

Hofmann*) meint, dass „in den meisten Fällen der Tod in 
der Narkose nicht infolge einer spezifischen Wirkung des Narko¬ 
tikums, sondern nur infolge des durch die Narkose gesetzten 
Eingriffes in toto, wozu auch die Aufregung und Angst des Pa¬ 
tienten gehört, eintritt, und dass dieser Eingriff nur eine der 
vielen Gelegenheitsursachen bildet, welche bei zur Herzlähmung 
disponierten Individuen zu dieser führt.“ Der Tod trat im vorliegen¬ 
den Falle sehr bald nach Beginn der Narkose ein, die nur ober¬ 
flächlich sein sollte; die Herztätigkeit hörte auf, die Atmung 
dauerte noch längere Zeit an und liess sich — ganz so wie auch 
Hofmann*) erwähnt — ab und zu wieder hervorrufen. 

Und auch das trifft für unseren Fall zu, dass dasselbe 
Individuum dasselbe Narcoticum früher einmal anstandslos ver¬ 
tragen hatte; hier war es sogar derselbe Arzt, der die erste 
und auch die zweite, verhängnisvolle Narkose geleitet hatte. 

Von einem „Status thymicus“, den Hofmann*) zur Er¬ 
klärung anführt, wäre vielleicht auch hier in unserem Falle zu 
sprechen. War die Thymus auch nicht besonders gross, (6 cm 1., 
5 cm br., 1,5 cm dick) so fand sich doch eine beträchtliche 
Schwellung zahlreicher Gekrösdrüsen, abgesehen von der Schwellung 
der Darmdrüsen. 

Was die übrigen Befunde der Obduktion angeht, so waren 
sie, ebenso wie in allen anderen Fällen, nicht charakteristisch. 
Li man*) hebt 6 Punkte hervor: Blut, Anämie, Geruch nach 
Chloroform, Luftblasen im Blute, Herz und Totenstarre, betont 
aber ausdrücklich das Unzuverlässige dieser Befunde. In unserem 
Falle dürfen wir nicht übersehen, dass die Obduktion erst 6 Tage 
post mortem stattfand, also die Verwesung schon nicht unerheb¬ 
liche Fortschritte gemacht hatte; nur das Blut wurde überall als 
„dunkles, flüssiges“ angetroffen. 

Als Schluss möchte ich den Ausspruch Strassmanns 1 ) 
anführen, dem ich nur beipflichten kann, dass der Arzt niemals 
wegen fahrlässiger Tötung wird verurteilt werden können auf 
Grund irgend welcher technischen Fehler bei der Ausführung der 
Narkose; es müsste denn eben strikte bewiesen werden können, 
dass in dem betreffenden Falle der Tod auf das vorgekommene 
Versehen zurückzuführen ist. Dabei will ich nicht zu erwähnen 
unterlassen, dass der Begriff der „Fahrlässigkeit“ immer zur Vor¬ 
aussetzung hat, dass der betreffende Täter (also hier der Arzt) 
den verhängnisvollen Ausgang voraussehen konnte, sich sagen 
musste, die Sache kann diesen üblen Verlauf nehmen. 

Das trifft doch wohl für keine Narkose zu, oder es müsste 
jede Narkose eine fahrlässige Handlung darstellen. 

*) Hofmann: Lehrbuch der gerichtlichen Medisin; her&nsgegeben von 
Prof. Dr. Kolisko-Wien, 1908. 

*) Casper-Liman: Handbach der gerichtl. Medisin; Berlin, 1889. 



420 


Ans Versammlungen und Vereinen. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Amtliche Versammlung der beamteten Aerate des Reg.- 
Bes. Cttln am 11. Dezember 1902, vormittags ll 1 /« Uhr. im 
grossen Sitzungssaale der Ktfnigl. Regierung zu Cöl>. 

An der Versammlong nahmen teil: Reg.-Präsident v. Balan, Ober- 
Beg.-Bat Fink, Beg.- n. Geh. Baurat Bunge, Reg. - Rat Cramer, Reg.- 
u. Med.-Rat Dr. Busak, ferner die Kreisärzte DrDr.: Bachem-Euskirchen, 
Eiekh off-Gummersbach, Med.-Bat E s o h - Waltrup, Cöln (Land), Hille¬ 
brand-Bergheim, Lewicki-Waldbroel, Meder-Cöln (Stadt), Meerbeek- 
Wipperfttrth, Geh. Hed. Bat Moers-Mülheim (Bhein), Schneider-Siegburg, 
Wir sch-Bonn, die Gerichtsärste: Dr. Longard-COln und Med.-Bat Prof. 
Dr. Ungar-Bonn, der Kreisassistennarst Dr. Krautwig-Cüln (Stadt) und 
die staatsärstlich geprüften Aerate Dr. Hagen-Oüln-8üla und Dr. Bath- 
mann-Mülheim (Bhein). 

Berr Regierungspräsident ▼. Balan erüffnete die Sitzung mit einer Be- 
grüssung der Erschienenen und übertrug beim Uebergang zur Tagesordnung 
die Leitung der Versammlung an Herrn Beg.- u. Med.-Bat Dr. Busak. 

L Ueber Ortebesichtigungen (Abschnitt XVIII der Dienstanweisung). 
Kreisarzt Dr. Wirsoh-Bonn. 

Zunächst besprach der Vortragende die einzelnen Absätze des §. 69 der 
Dienstanweisung. 

Zu Absatz 4. Die Erledigung der Ortsbesichtigung gelegentlich anderer 
Dienstgeschäfte sei wohl in den seltensten Fällen möglich. 

Die Feststellung ansteckender Krankheiten erfordere stets eine gewisse 
Eile, man kOune da nicht die im Absatz 5 erwähnten Stellen vorher benach¬ 
richtigen; ausserdem müsste die Polizeibehörde möglichst umgehend den Be¬ 
richt über den Fall von Infektionskrankheiten haben. Bei Gelegenheit von 
Krankenhausbesichtigungen und Apotheken - Nachrevisionen kOnne man ebenfalls 
nicht nebenher eine Ortsbesichtigung machen, da die Ortschaften, in denen sich 
ein Krankenhaus oder eine Apotheke befindet, so gross seien, dass die Besich¬ 
tigung mindestens einen volleo Tag in Anspruch nehme. 

Auch gelegentlich der Drogenbesichtigungen kOnne man nicht Ortsbe- 
sichtigungen machen, da aus Ersparnis- Bücksichten für die Gemeinden mehrere 
Drogerien in Form einer Bundreise an einem Tage besichtigt werden sollten. 

Zu Absatz 5. Ausser den in Absatz 6 genannten Personen sei die Teil¬ 
nahme eines Bausachverständigen sehr erwünscht. Laut einer Begierungsver- 
fügung, die auf Veranlassung des Vortragenden s. Z. ergangen, sei es unzu¬ 
lässig, wenn bloss ein Polizei-Sergeant oder Gensdarm gewissermassen als 
Vertreter der OrtspolizeibehOrde erscheine, vielmehr habe der Bürgermeister 
selbst teilsunehmen. 

Zu Absatz 6. Ob auch eine genaue Besichtigung von Privatwohnungen 
stattfinden kOnne, scheine ihm fraglich; jedenfalls empfehle es sich, dann die 
Vertreter der Polizeibehörde vorzuschieben. Schwierigkeiten seien ihm aller¬ 
dings nie gemacht worden, die Leute hätten stets sehr gern die Besichtigung 
gestattet 

In der Stadt Bonn habe der Beigeordnete für Gesundheitspolizei teilge¬ 
nommen, welchem auoh zugleich das Armenwesen unterstellt sei. Dieser habe 
auch die Armenvorsteher zu der Besichtigung hinzugezogen, die in den betr. 
Bevieren genau bekannt waren und auf eine ganze Beihe Mängel schon früher 
aufmerksam geworden seien. Dies habe die Besichtigung ausserordentlich 
gefordert 

Zn Absatz 8. Ein Exemplar des Protokolls sei dem Gemeindevorsteher 
einzuhändigen, der jedoch nichts Bechtes damit anzufangen wisse. 

Zu Absatz 9. W. hat seine Registratur so eingerichtet, dass die Akten 
jeder Bürgermeisterei einen lateinischen Buchstaben (A, B, C etc.), jede ein¬ 
zelne Ortschaft innerhalb der Bürgermeisterei dann wieder eine arabische 
Ziffer (also A2, C8 etc.) erhalten habe. 

Dann besprach Vortragender das Formular VIL 

Ziffer VI. Die Besichtigung der Schulen gelegentlich der Ortsbesichti¬ 
gung (s. auch g. 94, Abs. 2 d. D. A.) vorzunehmen, sei nur bei ganz kleinen 
8ohulen möglich, die Besichtigung einer grosseren Schule nehme allein gut 
einen halben Tag in Anspruch. 



Aaa Versammlungen and Vereinen. 


421 


Ziffer XL Die Begräbnisplätze solle man stets eingehend besichtigen, 
da er daselbst schon erhebliche MisBstände gefunden habe. 

Sodann besprach W. die von ihm bei den Ortsbesiohtigongen im Jahre 
1901 nnd 1902 gemachten Erfahrungen. 

Auf dem Lande seien die Dangstätten meist mangelhaft, die meisten 
Brunnen bedenklich, schlecht abgedeokt, die Umgebung nicht gefestigt, die 
nötige Distanz von Aborten, Düngerstätten etc. nicht gewahrt. Auch die Be* 
seitigung der Schmutzwässer sei fast nirgends einwandsfrei. 

Wenn er sich zum Schlosse frage, ob die Ortsbesichtigungen in hygieni¬ 
scher Beziehung als ein Fortschritt zu betrachten seien, und ob dieselben auch 
▼on Erfolg sein würden, so müsse er die Frage bejahen, selbst wenn viele der 
durch die Ortsbesichtigungen gerügten Mängel auch einstweilen nur auf dem 
Papier, in den Berichten der Polizeibehörden, erledigt wären. 

Beg.-u. Med.-Bat Dr. Busak führte im Anschluss an den Vortrag aus: 
Das Exemplar des Besichtigungsprotokolls, welcses der Gemeinde-Vorsteher 
erhalte, solle dieser auch der Ortsgesundheitskommission mitteilen. Wo eine 
Besichtigung der Ortschaften oder Schulen gelegentlich anderer Dienstgeschäfte 
untunlich sei, da solle es dem Medizinalbeamten unbenommen bleiben, dieselben 
für sich allein auszufähren. Bei ganz kleinen Ortschaften, z. B. im ßergischen 
Bezirk, und kleinen Schulen könne aber wohl die Besichtigung gelegentlich 
stattfinden. Zum Kapitel Bäder wünscht ßeg.- u. Med.-Rat Busak Aus¬ 
kunft, ob Beobachtungen vorliegen, dass darch Baden im Bhein oder durch 
Trinken von Bheinwasser Typhus entstanden sei, was von seiten des Gerichts- 
erstes Dr. Longard, der in früheren Jahren die Kreisphysiker in Cöln stets 
zu vertreten hatte, auf Grund seiner dabei gemachten Erfahrungen, sowie von 
den Kreisärzten in Cöln (Stadt) und Mülheim (Bhein) entschieden bejaht wurde. 

Dr. Mörs-MüLheim sprach sodann von den Erfahrungen, die er mit den 
Ortsbesiohtigongen gemacht. In seinem Bezirk gäbe es keine Gemeindevor¬ 
steher, die unterste polizeiliche Behörde sei der Bürgermeister. Er habe vor 
allem durch persönliches Benehmen mit dem Landrat vieles durchgesetzt, was 
auf schriftlichem Wege nicht möglich gewesen sei. 

Auf Grund seiner bei den Sohulbesichtigungen gemachten weiteren Er¬ 
fahrungen hält er auch heute noch (s. Beferat aus der letsten Versammlung) 
die vorherige Benachrichtigung der Ortsschulvorstände für unzweckmässig, da 
man dann die Schule und die Kinder stets im Sonntagsstaat fände, von einer 
unvermuteten Bevision könne da nicht die Bede sein. 

Bcgierungspräsident v. Bai an ist der Ansicht, dass die Gemeindevor¬ 
steher die ihnen zugesandten Protokolle nach Kenntnisnahme den Bürger¬ 
meistern abzugeben hätten. Die Dienstanweisung verpflichte die Kreisärzte 
tunlichst, d. h. wenn irgend möglich, die Orts- und Schalbesichtigungen ge¬ 
legentlich zu machen. Für ihn sei es aber ganz klar, dass der Kreisarzt auch 
solche Dienstgeschäfte express ausführen könne, wenn eben eine gelegentliche 
Erledigung untunlich sei. 

Ober -Keg.- Bat Fink hält es wohl für gerechtfertigt, dass bei der 
Ortsbesichtigung auch Privat-Wohnungen eingesehen würden, namentlich auch 
zur Kontrolle über die Durchführung der Beg.-Polizei-Verordnung vom 7. Sep¬ 
tember 1899, Amtsblatt S. S61, über die Beschaffenheit und Benutzung von 
Wohnungen. 

Dr. Meder-Cöln schlägt vor, dass zur Erleichterung der Schulbesichti¬ 
gungen veranlasst werden möge, dass in jeder Schule sich einfache Zeichnungen 
über das Gebäude oder Tabellen mit den notwendigsten Massen befinden sollten. 
Dieselben würden auch den revidierenden Schnlaufsichts- und B&ubeamten von 
Nutzen sein. Ihm sei die Beschaffung schon seitens der Stadt Cöln zugesichert. 

Eine allgemeine Beschaffung dieser Unterlagen auch auf dem Lande hält 
Beg.- u. Geh. Baurat Bunge für schwer durchführbar, namentlich da Pläne 
von älteren Schulen auf den Baubureaus nicht existierten. 

Dr. Eickhoff-Wipperfürth macht auf die Verschanungsplätze für ge¬ 
fallenes Vieh aufmerksam, die vielfach hygienisch bedenklich seien. Dieselben 
seien daher zweokmäasigerweise in die Ortsbesichtigungen einzubeziehen. In 
seinem Kreise sei angeordnet, dass jedes verendete Tier bei der Polizeibehörde 
ansumelden sei. In jedem grösseren Orte sei eine Person, meist der Polizei¬ 
diener, mit der Ueberwachung betraut, dass die Verscharrung an der vorge¬ 
schriebenen Stelle und in unschädlicher Weise erfolge. 



Aus Versammlungen und Vereinen. 


m 

Reg.- nnd Med.-Rat Dr. Rnsak wünscht Auskunft, ob die Kreisärzte 
bisher Gelegenheit gehabt, Bäckereien und Schlächtereien tu revidieren. Bisher 
ist dies, wie die Antworten ergaben, nur bei den Ortsbesichtigungen geschehen; 
die dabei gefundenen Missstände und t. T. groben Zuwiderhandlungen gegen 
die erteilte Konsession sind jedoch von den Polizeibehörden nicht genügend 
geahndet worden, einzelne Bürgermeister hätten gesagt, sie könnten nichts 
daran tun. 

Ober-Reg.-Rat Fink rät den Kreisärzten, alle die Fälle, in welchen 
sie glaubten, von seiten der Polizei nicht die nötige Unterstützung zu finden, 
dem Herrn Regierungspräsidenten zu unterbreiten. 

Er rät, wenn Orts- und Schulbesichtigungen nicht gelegentlich, sondern 
mit besonderen Dienstreisen gemacht worden sind, auf den Liquidationen be¬ 
sonders zu bemerken, dass wegen Grösse der Schule oder Ortschaft, oder aus 
welchem Grunde sonst, die gelegentliche Erledigung nicht möglich war. 

n. Ueber die Besichtigung von Wasserleitungen. Kreisarzt 
Dr. Schneider.-Siegburg. 

Der Vortragende hat sich dies Thema gewählt, um seine Erfahrungen 
bei den in Verfolg des Min.-Erlasses vom 26. September 1902 — M. Nr. 12992 
— kürzlich ausgeführten Besichtigungen hier vorzutragen, ln seinem grössten¬ 
teils ländlichen Kreis mit fast durchgehende kleinen Ortschaften habe er 66 
zentrale Wasserleitungen besichtigt. Die grösseren Leitungen seien meist durch 
Fachmänner hergestellt und würden auch dauernd durch technisch ziemlich 
gut orientierte Personen kontrolliert; sie seien daher meist in ziemlich gutem 
Zustande gewesen, allerdings hätten sich auch hier vielfach Mängel ergeben 
(mangelhafte Abdeckung der Brunnen und Saugkammern, auch der Reservoire). 
Die grössten Mängel hätten sich bei den kleinsten Leitungen gezeigt, die durch 
irgend einen Dortkttnstler oder Handwerker möglichst billig und daher auch 
möglichst schlecht angelegt worden seien. Hier sei die Beaufsichtigung durch 
den Kreisarzt unentbehrlich, der auch mangels geeigneter Techniker in tech¬ 
nischer Beziehung vielfach raten und helfen müsse. 

Als Wasserbezagsquellen hätten sich in 7 Fällen Bachläufe gefunden, 
denen das Wasser unfiltriert oder nach Durchlaufen eines Scheinfilters aus Stein- 
schlag oder Kies entnommen worden sei. Solche Anlagen seien natürlich un¬ 
zulässig, und, da die einzig in Frage kommende Sandfiltration zu kompliziert 
und kostspielig sei, müsse Oberflächenwasser bei diesen kleinen Anlagen ganz 
ausgeschlossen werden. 

Auch die Quellenwasserleitungen (68 an der Zahl) seien vielfach 
nicht einwandsfrei. An der Hand der Arbeit von Prof. Gärtner-Jena: „Die 
Quellen in ihren Beziehungen zum Grund wasser und zum Typhus“ 1 ) verbreitete 
sich der Vortragende eingehender über die verschiedenen Arten von Quellen 
(Hochquellen, Tiefquellen und sekundäre Quellen) und ihre hygienische Prüfung. 
Eigentlich seien genaue geologische Untersuchungen zum Aufschluss der For¬ 
mationen, aus denen die Quelle stamme, notwendig, doch kosteten dieselben 
viel Geld. Der Medizinalbeamte müsse daher vielfach ohne dieselben auszu¬ 
kommen suchen, durch Untersuchung der Umgebung (gedüngte Felder, Vieh¬ 
weiden, Aborte, Wohnungen), Beobachtungen nach Regengüssen (Trübungen), 
Versuche mit Saprol oder Farbstoffen oder Bazillenkulturen, endlich durch 
wiederholte chemische und bakteriologische Untersuchungen, sich ein Bild von 
den hygienischen Verhältnissen der Quelle zu machen suchen. Es genügten 
qualitative chemische Untersuchungen, bezw. die leicht ausführbaren quan¬ 
titativen Bestimmungen von organischer Substanz, Chlor und Härte, sowie 
die einfache Keimzählung; lauter Untersuchungen, die der Kreisarzt nach §. 37 
der D. A. selbst auszuführen habe und auch ohne Schwierigkeiten ausführen 
könne. Selbstverständlich müsse er auch das Wasser selbst entnehmen. 

Bei den Besichtigungen bat Schn, gerade die Qaellenfassung und Sieker- 
gallerien vielfach mangelhaft und gegen oberflächliche Verunreinigungen nicht 
genügend geschützt gefunden. Um sich vor diesen zu schützen, habe man hier 
und da die Quellenkammer oben fest zugemanert, was aber natürlich unstatt¬ 
haft sei. Um die nötige Kontrolle zu ermöglichen, sei ein Einsteigeschacht 
unbedingt nötig, derselbe müsste aber dicht abgedeckt sein und hoch liegen. 

') Referat darüber in Nr. 19 der Zeisschrift; Jahrg. 1902, S. 724. 



Aas Versammlungen and Vereinen. 


423 


Sehr zweckmässig sei die Schaehtabdeckung der Rheinischen Wasserwerks- 
Gesellschaft in Cöln-Deutz, der Kostenpunkt (70 Mark) sei jedoch ein recht 
erheblicher. Vielfach seien die Rohrleitungen zu eng gewesen. Röhren nnter 
32 mm Durchmesser verstopften sich zu leicht und seien daher nicht brauchbar. 
Tonröhren seien wegen leichten Bruches unstatthaft. Eine Tieflage von 
mindestens 1—1 */» m sei notwendig, um die Leitung vor der Einwirkung inten¬ 
siver Hitze und Kälte zu schützen. 

Schwierig sei es, die Dichtigkeit der Leitungen zu prüfen; in Häusern 
könne man oft bei abgestelltem Zufluss und Abfluss das Ausflussgeräusch durch 
Auskultation hören. Am zuverlässigsten sei es noch, zu beobachten, ob in 
einem abgesperrten Teil der Leitung oder dem Bassin der Wasserspiegel all¬ 
mählich sinkt oder stehen bleibt. 

Jedenfalls hätten seine Untersuchungen ergeben, dass eine regelmässige 
Ueberwaohung der Wasserversorgungsanlagen durch die Kreisärzte dringend 
notwendig sei. Hätten die Wasserleitungen auch mehrfache Mängel gehabt, 
so seien dieselben doch in hygienischer Beziehung noch viel besser als die 
Brunnen. Die 125 Brunnen, die ihm als öffentliche bezeichnet worden und von 
ihm untersucht seien, seien fast alle in bedenklichem Zustande gewesen. 

Bei dem schlechten Zustande der Brunnen und kleinen Leitungen sei es 
wünschenswert, dass grosse zentrale Leitungen für mehrere Gemeinden ange¬ 
legt würden, die besser konstruiert würden und auch vielfach billiger seien, 
als viele kleine örtliche Leitungen. 

Wesentlich gefördert würde der Bau von Wasserleitungen durch Zu¬ 
schüsse, die allerdings zur Zeit nur aus Gründen der besseren Feuersioherheit 
von der Rheinischen Provinzial-Feuer-Sozietät gewährt würden. Viel wich¬ 
tiger als für die Feuersicherheit seien aber die Wasserleitungen noch in 
hygienischer Beziehung und daher wohl wert, dass sie vom Staate oder der 
Provinz unterstützt würden. 

Schliesslich stellte der Vortragende folgende Leitsätze auf: 

1. Die Anlage von Wasserleitungen auf dem Lande ist auf alle Weise 
zu fördern. 

2. Für ganz kleine Wasserleitungen ist es sehr wünschenswert, dass das 
natürliche Gefälle genügt und eine Filtration nicht nötig ist. 

3. Die Benutzung von unfiltriertem Oberflächenwasser ist auch bei 
kleinen Wasserleitungen nicht zulässig. 

4. Die regelmässige Ueberwachung aller öffentlichen Wasserversorgungs¬ 
anstalten auch auf dem Lande ist wünschenswert. 

In der Diskussion teilte zunächst Reg.- u. Med.-Rat Dr. Rusak 
mit, dass der Min.-Erlass vom 25. September namentlich im Hinblick auf die 
Gefahr eines erneuten Choleraeinbruchs, der nach den Angaben des Geb. Rat 
Prof. Dr. Koch zu drohen scheine, ergangen sei. Als er vor 2 Jahren in den 
Bezirk gekommen, sei er ausserordentlich erstaunt gewesen, wie selbst in zahl¬ 
reichen der kleineren Ortschaften für Wasserleitung gesorgt sei; ebenso über¬ 
rascht habe es ihn, jetzt aus den Berichten zu erfahren, wie viel bei der An¬ 
legung der Leitungen gepfuscht worden sei. Der Kreisarzt sei offenbar früher 
nirgends mit der Sache befasst worden. Das sei ja nun anders geworden 
(§. 74 der D. A.). Er stellte noch eine besondere Verfügung in Aussicht, laut 
der alle Projekte von Wasserversorgungsanstalten auch dem Kreisärzte zur 
Begutachtung zugehen sollten. Der Kreisarzt solle jetzt keine Gelegenheit 
vorflbergehen lassen (Orts- und Schulbesichtigungen, Feststellungen von an¬ 
steckenden Krankheiten), um sich die Wasserversorgungsanlagen anzusehen und 
namentlich auch die Abstellung der jetzt gefundenen Mängel zu kontrollieren. 

Dr. Mörs-Mülheim empfiehlt die Widder im Gegensatz zu dem Refe¬ 
renten sehr. Sie seien die einzige Einrichtung, die ohne Maschinen das 
Wasser hebe. 

Auch er habe viele Mängel gefunden, besonders an den Brunnen. Eine 
Typhusepidemie in Forsbach mit 22 Erkrankungsfällen sei lediglich auf den 
geradezu miserablen Zustand eines Brunnens zurücksuführen gewesen. An der 
Seite, wo die 3 m entfernte Abortgrube eines benachbarten Hauses lag, in dem 
der erste unerkannte Typhusfall vorkam, habe man im Brunnenwasser eine 
deutliche Trübung gesehen. Das Wasser habe viel Ammoniak und salpetrige 
Säure enthalten. 

Vor 2 Jahren sei die Mülheimer Grundwasserleitung durch eine benach- 



4S4 


Atu Versammlungen ud VereintA. 


bürte Ammoaiakfabrik eterk verunreinigt wordea. Dareh du ia du BodU 
ud iu Wuser gesickerte Ammoniak sei Mangen gelöst worden, ud dieses 
habe in die Wische Flecken gemacht, die man anfangs ihr Rostflecken ge¬ 
halten, bis sich heransstellte, dass dieselben mit den gewöhnlichen Roetfleekea- 
mitteln nicht heransgingen and aas Mangan beständen. 

Dr. Wirsch- Bonn berichtet, dass in seinem Betirk nur in einem Orte eine 
regelmässige chemische ud bakteriologische Wasseruterraehug stattgefunden 
habe, selbst in Bonn nicht, obwohl dieselbe doch unbedingt nötig sei. Viel¬ 
leicht erlasse der Herr Regierungspräsident darüber eine generelle Verfügung. 

Im Anschluss an den Vortrag demonstrierte ein Vertreter der Firma 
Wilhelm Goet«, Coblens, Löhrstrasse 77, du zur Besichtigug im Saal aas¬ 
gestellte Instramentariam zur Wasserutersachug. Dasselbe ist nach du 
Angaben des Reg.- ud Med.-Rat Dr. Salomon in Coblens angefertigt ud ent¬ 
hält alle sar Wasserentnahme, sam Qiessen der Platten an Ort ud Stelle, 
sowie sam Transport derselben — bei warmer Witterug in eisgekühltem 
Kasten — notwendigen Apparate. Komplet im Kuten kostet die Einrichtung 
180 Mark. Sie soll im Begierangsbesirk Coblens bei s&mtiiehen Kreisärzten 
eingeführt sein. 

HL Ueberwachnng du Haltekinderwesens (Abschnitt XXVH der 

D.-A.). 

Der Vortragende, Dr. Krantwig, Kreisasssistensarnt Cöln-Stadt, be¬ 
schäftigte sich besonders mit der hohen Sterblichkeit der Säuglinge, spes. der 
Haltekinder, and sprach dann über die Notwendigkeit besonderer 8chutzmaas- 
regeln für die Haltekinder (Antoreferat). 

Neben der Bekämpfung der Volksseuchen besonders der Tuberkulose 
wird die Hygiene in dem nächsten Jahrsehnt sicherlich den Kampf gegen die 
übergrosse Säuglingssterblichkeit in Deutschland aufnehmen müssen. Die bis¬ 
herigen Erfolge der Städtehygiene haben in Verbindung mit dem gewerblichen 
Aufschwünge unseres Volkes die Gesamtsterblichkeit innerhalb dreier Jahr- 
sehnte um etwa 4—5% heruntergedrückt, aber vergebens suchen wir den 
Einfluss unserer Kultur in den Zahlen der Säuglingssterblichkeit. Um so mehr 
muss in diesem Punkte Wandel geschaffen werden, als wir, nicht zu unserem 
Rahme, fast alle europäischen Staaten durch die Höhe unserer Säuglings¬ 
sterblichkeit übertreffen. Auch wenn wir die Geburtenhäufigkeit in Deutschland 
gehörig mit in Rechnung stellen, müssen wir immer noch eingestehen, dass 
bei uns das Leben der Säuglinge ganz besonders bedroht ist. In Berlin 
sterben s. B. von 100 Lebendgeborenen 80 vor Ablauf des ersten Lebensjahres, 
iu Cöln 25 und mehr, während sich die entsprechenden Zahlen für London auf 
16 und für Paris auf 21 stellen. Deutsche Städte, wie Chemnitz und Rixdorf 
haben schon ungeheuerliche Zahlen von über 60 ®/ 0 Todesfällen innerhalb des 
ersten Lebensjahres der Statistik geliefert. 

Zwei Punkte heben sich aus dem hygienischen Programm gegen diese 
übergrosse Säuglingssterblichkeit als die wesentlichsten heraus: einmal die 
Versorgung unserer Säuglinge mit einer einwandsfreien Nahrung, und zweitens 
ein besserer Schutz des Lebens der unehelichen Säuglinge. Bei letzterer 
Aufgabe ist der Medisinalbeamte von Amtswegen berufen, tätig mitzuwirken. 

In Deutschland sind im DurohBchnitt etwas über 9°/, aller Geburten 
uneheliche; für Freussen reduziert sich diese Zahl auf 7°/ 0 . In einzelnen 
Städten, wie München, Dresden, Strassbarg machen die unehelichen Geburten 
über 20 °/ # aller Geburten aus, in Cöln etwa 9—10 °/„. Auf Grund der 
statistischen Erfahrungen mehrerer Jahrzehnte kann man sagen, dass die 
Sterblichkeit der unehelichen Kinder im ersten Lebensjahre die der ehelichen 
fast ums doppelte übertrifft. In Cöln verhalten Bich die Zahlen etwa wie 
87 : 25. Da nun die meisten unehelichen Kinder in den grossen Städten in die 
sogenannte Haltepflege kommen, so bedarf das Haltekinderwesen einer ganz 
besonderen Ueberwachnng. Die staatlichen Behörden haben Bchon vor mehreren 
Jahrzehnten dem Haltekinderwesen ihre Aufmerksamkeit zugewandt. In 
Preussen wurde durch eine Zirkular-Verfügung vom 17. Juli 1890 die Auf¬ 
nahme von Haltekindern von einer polizeilichen Erlaubnis abhängig gemacht. 
Die Aufsicht über die Haltekinder wurde schon in den 50 er und 60 er Jahren 
in einigen preussischen Städten von privaten Kinderachutavereinen ausgeübt, 
die sich bis zum Jahre 1869 der Unterstützung durch die Polizeibehörden 
'»freuten. In diesem Jahre wurde durch die Einführung der Gewerbe-Ordnung die 



Aus Versammlungen und Vereinen. 425 

Aufnahme von Haltekindern der poliieiliehen Erlaubnis entsogen. Zwar Hess 
■leb in Befolgung einer Ministerial - Anregung, durch Auferlegung der Melde¬ 
pflicht die Pflegeeltern su Überwachen, immer noch eine gewisse polizeiliche 
Kontrolle Aber die Haltekinder ausflben, aber für die freiere Entfaltung des 
Kontrollwesens war es doch von grossem Einfluss, dass der Artikel 1 des Reichs- 
gesetses vom 28. Juli 1879 die Ersiehung von Kindern gegen Entgelt aus¬ 
drücklich von den Vorschriften der Gewerbe-Ordnung ausnahm. Ein Ministerial- 
Brlass vom 25. August 1880 regte zu neuen polizeilichen Verordnungen an, 
welche nun aller Orten in fast genauer Anlehnung an die Vorschläge der 
genannten Verordnung das Haltekinderwesen regelten. Die Aufnahme eines 
Haltekindes war nunmehr wieder von behördlicher Erlaubnis abhängig. Die 
Polizei erkundigte sich, bevor sie die Erlaubnis erteilte, über die persönlichen 
Verhältnisse der Pflegeeltern und über ihre Wohnung. Wohnungswechsel der 
Pflegeeltern, Abgabe der Pflegekinder müssen sofort gemeldet werden. Nun¬ 
mehr konnten besonders freiwillige Kinderschutzvereine unter Beihülfe der 
Polizei in segensreichster Weise den Schutz der Haltekinder besorgen. Dass 
der Polizeibeamte nicht das geeignete Organ zur Ueberwachung dieser Kinder 
ist, sah man aber nicht in allen Städten ein. Und doch genügen in grossen 
Städten mit vielen Hunderten von Haltekindern weder die Polizei, noch 
die Kinderschutsvereine zum wirksamen Schutz der bedrohten Kinderleben; 
denn einmal ist die Aufsicht durch die im Ehrenamt tätigen Damen nioht 
sachverständig genug gegenüber der überaus schwierigen Frage der Ernährung 
und des Gedeihens dieser Kinder, nnd zum anderen ist die Aufsicht nicht 
stetig genug, zumal in der gefährlichen heissen Sommerzeit, die zugleich 
die Beisezeit für die Grossstädter ist. 

Auch die weiteren Sohutzorgane der unehelichen Kinder, der Vormund- 
sehaftariebter und der Waisenrat, bieten für das Gedeihen der vielen Haltekinder 
der grossen Städte, nur ungenügende Garantie. Nun ist als neue überwachende 
Stelle noch neuerdings der Kreisarzt hinzugekommen, der ja an sich durch seine 
klinischen und hygienischen Kenntnisse der wirklich sachverständigste Berater 
and Schützer dieser armen Geschöpfe sein kann. Leider ist er in grossen 
8tädten gegenüber vielen Hunderten von Haltekindern mit Rücksicht auf seine 
vielen Amtsgeschäfte nicht in der Lage, ausreichenden Schutz zu gewähren. 
Da kann nur ein besonderer Ziehkinderarzt im Verein mit sachverständig- 
ausgebildeten, honorierten Pflegerinnen die zahlreichen und verantwortlichen 
Geschäfte eines wirksamen Kinderscbutzes mit Aussicht auf einigen Erfolg 
durchführen. In diesem Sinne ist der Ziebkinderschutz zuerst von Dr. T a n b e 
in Leipzig durchgeführt worden und später in Anlehnung an dieses Vorbild 
in Dresden, Berlin, Danzig. Hier in COIn erstrebt die Behörde ebenfalls eine 
Regelung in diesem Sinne. 

Hoffentlich wird es mit solchen bezahlten, sachverständigen Kräften 
gelingen, die traurigen Lebenschancen der Haltekinder in den grossen Städten 
von Grund auf zu bessern. Neben diesem Punkte spielen andere, an sich 
berechtigte Mittel zur Bekämpfung der hohen Ziehkindersterblicbkeit nnr eine 
untergeordnete Rolle; ich meine eine scharfe Handhabung des MeHeWesens 
durch die Polizei, sanitätspolizeiliche Obduktion bei allen Todesfällen von 
Ziehkindern, Prämierung guter, bewährter Ziehmütter. Von Wichtigkeit ist 
auch die Kontrolle derjenigen unehelichen Kinder, welche in Säuglingsheimen, 
Waisenhäusern und Krippen untergebracht sind, durch den Kreisarzt. Nur 
die allerwenigsten Heime genügen den Ansprüchen, die man an Säuglings¬ 
heime stellen muss. Ein Heim, auch für gesunde Säuglinge, muss fast noch 
grosseren hygienischen Ansprüchen genügen, wie ein Krankenhaus. Sonst sind 
die Resultate unendlich traurige. Es wird noch manches Jahr darüber vergehen, 
ehe wir in Deutschland das beschämende Gefühl los werden können, im Punkte 
der Säuglingssterblichkeit mit an der Spitze zu stehen, und ehe unsere grossen 
Städte etwa in dem Masse für die unehelichen Kinder sorgen, wie das neuerdings 
in Ungarn in so umfassender, grossherziger Weise geschieht auf Grand des 
Gesetses vom Jahre 1898. 

Diskussion. 

Prof. Dr. Ungar-Bonn weist darauf hin, dass durch das strikte 
Verbot des Austragens von Gegenständen während der Kirchenzeit in der 
Lieferung von Kindermileh grosse Missstände entständen. Die Händler lieferten 
jetzt Milch, die vom Abend vorher gestanden habe und bereits zersetzt sei. 



426 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Regiernnge-Prtsident ▼. Balan erklärte, die Regierung habe sieh schon 
mit der Sache befasst. Es sei eine neue Regelung der Sonntagsruhe an er¬ 
warten, und es seien Weisungen ergangen, solange die Polisei-Verordnung über 
die Sonntagsruhe, wo sieh Missstände herausgestellt oder begründete Be¬ 
schwerden eingegangen seien, milde su handhaben. 

Reg.- n. Med.-Rat Dr. Rusak weist auf die dankenswerte Arbeit von 
Krautwig hin, der in klarster Weise die traurigen Mortalitätsverhältnisse 
der Kinder, spez. der Haltekinder aufgedeckt, auch für COln. Diese sei auch 
mit die Veranlassung gewesen, dass von Seiten der KOnigl. Regierung bereits 
seit einiger Zeit über die Verbesserung der Verhältnisse der Haltekinder spes. 
in COln verhandelt worden sei. 

Dr. Esch- Waltrup-Cöln (Land) klagt darüber, dara das für die Pflege¬ 
kinder gezahlte Kostgeld su gering sei; ob es nicht mOglich sei, einen Minimal- 
sats festsulegen, unter den nicht gegangen werden kOnne. 

Dr. Med er-COln wünsoht eine Verfügung an die Polizeibehörden, nach 
der dieselben sich vom Umzug von Pflegekindern aus einem Bezirk in den 
anderen benachrichtigen sollen. Rs müsste alles versuoht werden, möglichst 
alle Pflegekinder auch in die Listen und damit auch unter polizeiliche Aufsicht 
su bringen, woran bis jetzt noch viel fehle. Sehr erwünscht wäre es, wenn 
die Entbindungsanstalten allwöchentlich Namen und Entlassungsort der austre¬ 
tenden unehelichen Kinder der Polizeibehörde vertraulich mitteilten. Man 
wisse dann gleich von vornherein, wo die Kinder geblieben seien. Der Direktor 
der hiesigen Prov. - Hebammen-Lehranstalt habe sich auf seine Anregung hier 
in entgegenkommenster Weise hierzu bereit gefunden. 

Reg.- und Med.-Rat Dr. Rusak ersucht, diese Wünsche, über deren 
Durchführbarkeit noch weitere Nachfragen ergehen müssten, schriftlich an den 
Herrn Regierungs - Präsidenten einsureiohen. 

IV. Eine Massenvergiftung mit Pilzen (Amanita phalloides). 
Kreisarzt Geh. Med.-Rat Dr. Mörs-Mülheim. (Der Vortrag ist in der heu¬ 
tigen Nummer der Zeitschrift, s. S. 412 u. folg., veröffentlicht.) 

Med.-Rat Prof. Dr. Ungar-Bonn machte noch besonders darauf auf¬ 
merksam, welches grosse gerichtliche Interesse die Fälle wegen der grossen 
Aehnlichkeit mit Phosphorvergifung hätten. In schon etwas älteren Fällen 
letzterer Vergiftung sei ja oft auch kein Phosphor mehr chemisch nachweisbar. 

Nach Schluss der Versammlung fand noch eine Besichtigung der Irren¬ 
abteilang im Königlichen Gefängnis Klingelplitz dahier statt unter Führung 
des leitenden Arztes, Gerichtsarzt Dr. Longard-COln. 

Dr. Meder-COln. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Bakteriologie, Infektionskrankheiten und Öffentliches 

Sanitätswesen. 

Ueber die Untersuchung des Pockenerregers. Zur Erforschung 
der Immunität durch Vaccination. Von Dr. Ka'lsuke Tanaka, Akita- 
Ken, Japan. Zentralbl. f. Bakt., Parasitenkunde u. Infektionkrankh.; L Abt., 
Bd. 82, Heft 8/9. 

Tanaka hält auf Grund seiner Untersuchungen den Erreger der Pocken 
für ein Plasmodium. Er konnte in dem durch Punktion entleerten Pleura- 
ezudat eines Pockenkranken durch Hinzufügen geringer Mengen Pockenlymphe 
Präzipitation erzeugen. 

Um den Termin des Eintritts der Immunität nach der Vaccination zu er¬ 
mitteln, hat Tanaka verschiedene Impflinge in bestimmten Zeitintervallen 
nach der ersten Impfung einer zweiten Impfung unterzogen und dabei festge¬ 
stellt, dass bereits die 6 Tage nach der ersten Impfung erfolgte Wiederimpfung 
bisweilen resultatlos verlief. Nach einem Intervall von 7—8 Tagen war das 
negative Resultat der Wiederimpfung häufiger, nach einem Intervall von 
9 Tagen die Regel. Man darf daraus schliessen, dass vom 9. Tage an der 
Impfschutz voll ausgebildet ist. Dass aber auch schon am 4.-5. Tage nach 
der Impfung ein gewisser Grad von Immunität erreicht wird, geht darans 
hervor, dass die Impfpusteln, welche nach der am 4. bezw. 5. Tage nach der 



Kleinere Mitteilungen and Referate au Zeitschriften. 


427 


ersten Impfang vollzogenen Wiederimpfung sieh bildeten, nnr schwach zur 
Entwicklung kamen. _ Dr. Lenti-Berlin. 


Beiträge nur Kenntnis der Nebenpocken im Verlaufe der 
Vaecination, sowie der postvaccinalen Exantheme. Von Dr. Groth, 
prakt, Arzt and Assistent der k. bayr. Zentralimpfanstalt. Münchener mediz. 
Wochenschrift; Nr. 8, 1903. 

Unter den Eigentümlichkeiten nnd vom normalen Verlaufe abweichenden 
Erscheinungsformen der Vaecination beanspruchen hauptsächlich zwei ver¬ 
hältnismässig häufige Vorkommnisse allgemeines Interesse, die sogen. Neben¬ 
pocken (Vaccinolae) und die postvaccinalen Exantheme. 

Die häufigste Erscheinung von Nebenpocken sind kleine, zumeist in der 
unmittelbaren Umgebung des Impffeldes entstehende, die Grösse und typische 
Form der wirklichen Pocken selten erreichende Pusteln, welche in der Regel 
erst nach vollkommener Entwicklung oder eben erst überschrittener Reife der 
eigentlichen Schntzpocken beobachtet werden. 

Die gewöhnliche Ansicht, dass die Entstehung der Nebenpocken aus 
oberflächlichen Verletzungen oder Verschleppungen des Impfstoffes, z. B. durch 
Aufkratzen der Impfstellen mittels der Finger des Impflings, berzuleiten sei, 
erscheint dem Verfasser nicht für alle Fälle gerechtfertigt, sondern er glaubt 
entgegen der allgemeinen Anschauung die Entstehung der Nebenpocken in den 
meisten Fällen einer Verschleppung von Keimen auf dem Lymphwege zusehreiben 
zu müssen und zwar von Keimen, die nicht notwendigerweise das uns unbekannte 
Vaoeinegift enthalten müssen. 

Zur Stütze dieser Behauptung führt Verfasser einen kasuistisch sehr 
interessanten Fall an. 

Ein zweijähriges Kind wies am 7. Tage nach der Impfung 6 auffallend 
schöne Blattern mit fast reizloser Umgebung auf. Einige Tage nach der 
Kontrolle bildeten sich in der Umgebung der Impfpusteln zahlreiche kleine, 
helle Bläschen, welche sich in den nächsten Tagen vergrösserten und mit den 
inzwischen ebenfalls konfluierten Blattern eine zusammenhängende Hasse 
bildeten. Gleichzeitig waren auch an anderen Körperstellen Bläschen aufgetreten, 
die sieh allmählich vergrösserten, etc. Die Untersuchung des kräftigen, gut 
genährten und reinlich gehaltenen Kindes ergab in bezog auf seine inneren 
Organe nichts Bemerkenswertes; das Allgemeinbefinden war mässig gestört, am 
rechten Oberarme entsprechend der Impfstelle ein zusammenhängender, nur 
an den Rändern weissgelblicher, sonst dunkelbraunroter Schorf von etwa 8 mm 
Länge und 6 mm Breite vorhanden mit dem typischen Aussehen der eintrocknenden 
Impfpusteln in grösserem Umfange, fast ohne Sekretion. Der ganze Rand des 
Schorfes bestand aus lauter kleinen Segmenten mit scharfen Einkerbungen und 
liess somit deutlich seine Entstehung aus konfluierenden kleinen PuBteln 
erkennen. Um diesen Schorf herum fanden sich ungefähr 12—14 weitere 
Bläschen, welche angeblich erst in den letzten 2—3 Tagen aufgetreten waren. 
Unter diesen Bläschen zeigten sich ältere mit einem Durchmesser von 2—3 mm, 
etwas geröteter Umgebung, gelblicher Färbung, zum Teil mit einer leichten 
Andeutung zentraler Delle und frischere, etwas kleinere Bläschen mit noch 
ziemlich intensivem rotem Hof und hellem Inhalt. Die älteren Bläschen waren 
dem Schorfe am nächsten und je frischer eine Pustel war, desto weiter war sie 
von dem Schorfe entfernt. Ungefähr 2 cm weiter oben gegen die Scapula 
zu zeigten sich 2 kleine rote Stippchen mit einer leichtblasigen Anlage in der 
Mitte, die erst am 17. Tage erschienen sein sollten und die Anfänge zweier 
neuer Postelchen erkennen Hessen. Der ganze Oberarm war, namentlich in 
seiner vorderen, jtasseren Hälfte leicht gerötet und geschwellt, bei Druck nicht 
schmerzhaft, ebensowenig die nicht fühlbaren regionären Lymphdrttsen. Weitere 
8 Pusteln fanden sieh (ungefähr in der Mitte des rechten Oberarmes, mitten 
auf dem Brustbein, sowie auf dem behaarten Kopfe je eine) mit einem Durch¬ 
messer von ca. 1 cm und in nichts von echten Impfpusteln unterscheidbar. 
Verfasser erklärt sich das Entstehen der Pusteln in der Weise, dass durch 
den Druck der harten Borke das unter ihr sich ansammelnde Sekret < in die 
Lymphbahnen gepresst, in denselben weiter getragen wurde und in geringerer 
oder grösserer Entfernung zur Ablagerung gelangte, hier Pusteln erzeugte etc^ 
Es handelte sich demnach zweifellos um einen Circulus vitiosus, und der Erfolg' 



428 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


der Therapie mittelst Aufweichung und späterer Ablösung des Schorfes durch 
einen fenentwarmen Verband bestätigte die Annahme vollkommen, da alsbald 
der ganse Prozess zum Stillstand kam. 

Verfasser möchte daher den Satz aufstellen, dass die sogen. Nebenpocken 
in der unmittelbaren Umgebung der Sohutspocken nicht nur oberflächlichen 
Kontinuitätstrennangen der Haut und von aussen erfolgender Infektion, sondern 
in der Hehrsahl der Fälle einer Verschleppung von Keimen auf dem Lymph- 
wege ihre Entstehung verdanken. Gerade ihre Entwicklung zu einer Zeit, in 
der die Pastein nicht selten eine auffallende Tnrgeszenz zeigen, also ihr Inhalt 
unter eiuem gewissen Drucke stehen muss, gibt der eben aufgestellten Ansieht 
eine bedeutende 8tütze, während in einer späteren Zeit, in der die Pusteln 
Öfters aufgeplatzt, aufgekratzt oder sonstwie beschädigt sind, das Sekret also 
gewiss die Umgebung infizieren kann, keine Nebenpocken beobachtet werden. 

Weiterhin ist man berechtigt, ihre Zugehörigkeit zu dem spezifischen 
VacoinationBprosesse eine immerhin zweifelhafte zu nennen, da das Auftreten 
der Nebenpocken unter Umständen, wie im vorliegendem Falle, noch längere 
Zeit nach der vollen Entwicklung der originären Impfpocken stattfinden kann, 
also von dem Eintreten der Immunität nicht abhängig ist. Eine zweite seltene 
Art der Entstehung von Nebenpocken, deren Zugehörigkeit zur Vaccine jetzt 
wohl ausser Frage steht, ist die Entwicklung von disseminierten Pusteln auf 
der KOrperhaut, welche entweder zugleich mit den Impfpusteln oder auch im 
Verlaufe der nächsten Tage (und zwar nicht immer alle gleichseitig) entstehen, 
wobei es sich nicht mehr um eine lokale Affektion, sondern um eine Infektion 
des Organismus mit Vaccine unter einem allgemeinen pustulOsen Exanthem 
mit den typischen Merkmalen der Impfblattern handelt, die man in ihrer Er* 
scheinungsform als „generalisierte Vaccine“ bezeichnet, eine im Gefolge der 
Impfung auftretende Hautaffektion, die wir als direkten Ausfluss des 
im Organismus tätigen spezifischen Virus auffassen müssen. 

Verfasser fährt einen hierfür einschlägigen Fall an, in welchem ein Kind 
2 Tage vor dem Kontrolltermine (also am 5. Tage nach der Impfung) an 
hohem Fieber, Krämpfen und einem sich über den Körper ansbreitenden Aus¬ 
schlage erkrankte. Befund: Ueber die ganze Haut des Körpers zerstreut zeigte 
sich ein vesikulöses Exanthem, das aus zahlreichen, hellen, rundlichen Bläschen 
mit klarem Inhalt bestand, die ungleich gross (etwa hirsekorn- bis kleinerbsen- 
gross) und von einem ihrer Grösse entsprechenden roten Hofe umgeben waren. 
Sie fanden sich hauptsächlich im Gesichte, auf Brust und Bücken, weniger an 
den Extremitäten, wo sie mehr einen papulösen Charakter zeigten. Massiges 
Fieber, grosse Prostration. Die 5 schön entwickelten Impfpusteln waren fast 
ohne Reaktion. 

Später, d. h. nach ein paar Tagen, wnchsen die meisten Bläschen bis 
zur Erbsengrösse, zeigten sämtlich leicht gelbliche Verfärbung und eine gut 
aasgebildete zentrale Delle, kurz beschaffen, wie die typischen Impfpusteln; 
das Allgemeinbefinden besserte sich bald nnd der Heilungsverlauf war ein guter. 

Die Ansichten der Autoren, was man unter generalisierter Lymphe 
versteht und welche Affektionen post vacoinationem diesen Namen verdienen, 
sind sehr geteilt. Die meisten Autoren bezeichnen alle allgemeinen Exantheme 
nach der Impfang als generalisierte Vaccine (so das Erythema vaccinicnm 
oder die Roseola vaocinica, Eruptionen in der Form von Urticaria, eines 
Erythema exsudationnm multiforme oder Hantaffektionen vesikulöser Art). 
Diese Exantheme sind viel häufiger, als man glaubt und treten ganz un¬ 
abhängig von der Impfstelle manchmal über den ganzen Körper verbreitet, 
wenigstens an ausgedehnten Hautstrecken und als Beweis für ihre häma¬ 
togene Entstehung in symetrischer Anordnung auf. 

Nach einer andern Anschauung gelten alle diese Exantheme zwar als 
Ausdruck einer allgemeinen Infektion oder Intoxikation, sind aber nicht hervor¬ 
gerufen durch den spezifischen Mikroorganismus oder seine Stoffwechselprodukte. 

Die Frage, auf welche Weise wir erkennen, dass irgend eine der sehr 
häufigen Hautaffektionen nach der Vaccination dem Vaccinevirus selbst seine 
Entstehung verdankt oder anderen der Lymphe beigemengten und zur Resorption 
gelangten Mikroorganismen resp. deren Stoffwechselprodnkten, lässt sich zur 
Zeit noch nicht beantworten. Wir werden den Begriff der generalisierten 
Vaoeine etwas weiter fassen müssen als dies geschieht, wenn man als solche 
nur mit typischer Pustelbildung einhergehende Hautaffektionen bezeichnet. 



Kleiner« Mitteilungen und Referate an« Zeitschriften. 


429 


Die Putelbildung Ist nar die ansgesprochenste and sogleich seltenste Form 
der generalisierten Vaccine. 

Wann wir aber das Recht haben, ein allgemeines Exanthem als 
generalisierte Vaccine za beseiohnen, ist mit Sicherheit nnr in den Fällen za 
beantworten, in denen eine Ernption von Blasen mit den typischen Merkmalen 
der Impfpusteln gegeben ist, eine Sicherheit, die durch erfolgreiche Ueber- 
impfnng an einer absolut unanfechtbaren werden kann. Für alle andern 
Exantheme bleibt es vorläufig mehr oder weniger der persönlichen Anschauung 
des Autors überlassen, ob er den Begriff der generalisierten Vaccine eng 
begrenzen will oder, wie viele andere Autoren, auf alle Allgemeinexantheme, 
welche im Anschluss an die Impfang entstehen, ausdehnen will. 

Es ist dagegen unrichtig von generalisierter Vaccine zu sprechen, wenn 
die Pusteln sich auf einem anderen Wege als auf dem der Blutbahn, also 
nicht von innen heraus, sondern durch direkte Uebertragung an versebie- 
denen Stellen des KSrpers gebildet haben. 

Das Auftreten der generalisierten Vaccine hängt höchst wahrscheinlich 
weniger von einer besonderen Beschaffenheit der verwendeten Lymphe, s. B. 
ihrer hochgradigen Virulenz ab, als vielmehr von einer individuellen Disposition 
des Impflings. 

Hautkrankheiten, wie s. B. das ehronisohe Ekzem, scheinen eine ent* 
sehiedene Begünstigung für die Bnstehung der generalisierten Vaccine zu 
liefern, doch sind auch hier über die Art der Verbreitung der Lymphe — ob 
durch direkte Uebertragung (Autoinoculation) oder durch Blutinfektion — die 
Akten noch nicht geschlossen. Verfasser machte den Versuch, auf statistischem 
Wege festzustellen, wie oft in 16 Jahren bei 2285579 Erstimpfungen 
generalisierte Vacoine mit Pustelbildung beobachtet wurde und 
fand dieselbe nur in 50—60 Fällen vor, ohne aus diesen Zahlen einen anderen 
Schluss ziehen zu wollen. Der Ausgang der generalisierten Vaccine ist in den 
reinen unkomplizierten Fällen stets ein guter. Bei den mit Ekzem komplizierten 
Fällen ist die Prognose eine wesentlich schlechtere. 

Die dritte Art, auf welche Impfpusteln an anderen Stellen des KOrpers 
zur Entwicklung gelangen, als an den vom Impfarzt selbst gewollten, ist die 
am häufigsten beschriebene direkte Uebertragung des Impfstoffes durch Auf* 
kratzen der Impfstellen durch die Finger des Impflings oder durch das spontane 
Aufbrechen der gefüllten Pusteln und Infektion kleiner, oberflächlicher, in 
vielen Fällen kaum wahrnehmbarer Schrunden, Erosionen, ekzematösen und 
intertriginüsen Stellen der Haut. 

Hierher gehören auch die Fälle von Uebertragung der Vaedne auf 
andere Personen (Mutter, Geschwister, Pflegerinnen etc.). Auch diese Fälle 
gestatten meist eine gute Prognose; eine schlechtere, in allen ausgebreiteteren 
and schweren Fällen sogar dubiöse Prognose gibt jedoch unzweifelhaft die 
Komplikation des Vaccineprozesses mit Ekzem und zwar sowohl für die ge¬ 
impften Kinder seihst, als auch für die, welche durch Berührung mit solchen sich 
eine Vaccineinfektion zugesogen haben. 

Verfasser geht zum Schlüsse nochmals auf das Zusammentreffen von 
Vaccine mit Ekzem ein und erklärt den Einfluss der Vaccination auf das 
Ekzem entschieden als ungünstig, wenn auch einzelne Beobachtungen vorliegen, 
wonach das Ekzem nach Ablauf der intensiven Erscheinungen einer auffallenden 
Besserung, ja sogar Heilung entgegenging. Verfasser hält die Gefahr immerhin 
für grösser als den Nutzen; denn die Lokalisierung des Vaedneprosesses 
auf den Boden des Ekzems öffnet jeder Infektion von aussen Tor und Tür, 
wodurch sich in einigen Fällen ein dem septischen Symptomenkomplexe voll¬ 
kommen identisches Krankheitshild mit letalem Ausgange entwickelt. Man 
muss daher jedes Kind vor der Impfung genau untersuchen und im Falle 
dasselbe eine Hautaffektion, wie Ekzem, Impetigo, Pruritus aufweist, von der 
Impfang znrückweisen. _ Dr. Weibel-Kempten. 

Ueber eine Conjunktivitis - Schulepidemie nebst einigen allge¬ 
meinen Bemerkungen über ärztliche Anordnungen bei Schulepidemien. 
Von Dr. med. Zia, k. ottom. Militärarzt, kommandiert zur Univ.-Augenklinik 
in Marburg. Münchener med. Wochenschrift; 1908, Nr. 7. 

In Marburg war im September vorigen Jahres in der höheren Töchter¬ 
schule angeblich eine schwere Epidemie von Bindehauterkrankung aufgetreten. 



480 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Eine Schülerin stand wegen einer ekzematösen Hornhanterkranknng in 
klinischer Behandlung, wobei sie regelmässig 2 Schnlstnnden versäumte. Nach 
einigen Tagen kamen anch ihre Schalnachbarinnen und klagten über Brennen 
and leichtes Tränen der Augen, sowie über Beschwerden bei der Naharbeit, 
ohne dass man objektiv eine wesentliche Erkrankung der Augen feststellen 
konnte. So kamen nach and nach 41 Schülerinnen, welobe angeblich erkrankt, 
besw. von ihren Naohbarschülerinnen sich angesteckt wähnten. Unter diesen 
41 Schülerinnen seigte nur eine einzige Schülerin eine trachomverdächtige 
Bindehaut, welche sich in späterem Verlaufe als Schulfollikularis beransstellte. 

Als später die Epidemie immer mehr am sich greifen and anch einige 
Schüler des Gymnasiums, deren Schwestern angeblich augenkrank waren, er* 
fassen wollte, wendete sich die Augenklinik an den Herrn Schuldirektor mit 
dem Vorschlag: Es sollten die über ihre Angen klagenden Schüler in die Klinik 
geschickt, aber keiner vom Schulbesuche befreit, sondern in die ersten Bänke 
gesetzt und möglichst oft aufgernfen werden. Dadurch war die drohende 
Epidemie im Keime erstickt and kam nach diesen Massnahmen kein einziger 
Schüler mehr in die Klinik. 

Die Untersuchung der beobachteten Fälle ergab, dass es sich bei ein* 
zelnen überhaupt Erkrankten in mindestens */io der Fälle nur am eine Follikel¬ 
vermehrung in der Bindehaut ohne Katarrh, bei einzelnen um eine Conjunkti- 
vitis follicularis gehandelt hat und dass die scheinbare Infektion lediglich eine 
psychische Infektion darstellte. 

Verfasser zieht aus diesen und anderweitigen Erfahrungen folgende 
Schlüsse: 

Da man nach den von der Regierung aufgestellten Regulativen durchaus 
berechtigt war, bei einzelnen der beobachteten Fälle von leiohtem Trachom 
zu sprechen und deshalb dem Sohuldirektor nichts anderes übrig blieb, als 
sämtliche über ihre Augen klagenden Schüler wegzuschicken bezw. ihnen den 
Sohulbesuch zu verbieten bis zum Beibringen eines entsprechenden Attesten, 
wonach von Beiten ihrer Angen keinerlei Ansteckungsgefahr vorlag etc., be¬ 
dürfen die von der Regierung aufgestellten Regulative einer baldigen, bereits 
von Gr eef früher betonten Abänderung im Sinne des dualistischen Standpunktes. 

Es ist notwendig, sofort beim Beginn von Sohalepidemien mit dem 
Direktor der Schale in Verbindung zu treten and ibn nach allen Richtungen 
hin zu orientieren. 

Sogleich beim Beginn der Epidemie ist die Frage zu erwägen, ob nicht 
die Schulklasse in der die Epidemie ausgebrochen ist, oder bei gleichzeitigem 
Beginn in mehreren Klassen die ganze Schule einer Untersuchung zu unter¬ 
ziehen ist, event. mit einem erfahrenen Augenärzte. Das Resultat der Unter¬ 
suchung nebst Direktiven wird dem Herrn Schulvorstand mitgeteilt, welcher 
nur den nötigen Anordnungen Folge geben darf. 

Trachomverdächtige Fälle und solche, bei denen die Conjunktiva ein 
pathologisches Sekret absondert, werden zweckmässig isoliert gesetzt und einer 
Behandlung unterworfen. 

Bei lediglich psychischer Infektion dürften pädagogische Massnahmen 
rasch zum Ziele führen. Irgendwelche Konzessionen an die erkrankten 8ohüler 
sind ärztlicherseits durchaus zu vermeiden. 

Der Schulschluss ist nicht nur unnötig, sondern meist verkehrt, ja er 
kann schädlich sein. 

Fast immer handelt es sich bei den Sohalepidemien, die den Verdaoht 
einer trachomatOsen Erkrankung aufkommen lassen, um durchaus harmlose 
Erkrankungen, bei denen eine Infektion von Schüler zu Schüler höchst unwahr¬ 
scheinlich ist. 

Aber auch bei wirklichem Trachom ist Schulschluss zu widerraten, da 
auch hier die Gefahr der Uebertragung sehr gering ist, jedenfalls sich ver¬ 
meiden lässt, da ferner die Gefahr der Infektion der Schüler zu Hause eine viel 
grossere ist, und ein Schulschluss, wenn er überhaupt von Nutzen sein soll, 
sich auf lange Zeit erstrecken müsste. 

Schüler, bei denen Trachom mit Sicherheit festgestellt ist, sind zweck¬ 
mässig isoliert zu setzen und einer Behandlung zu unterziehen. Die Behand¬ 
lung lässt sich von der Schule aus regelmässiger gestalten als von zu Hause aus. 

Besteht Absonderung nennenswerten Grades, so sind die Kinder vom 
Schulbesuche aussuschliessen, da eine Ansteckung beim Trachom nur durch 



Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


4SI 


8ekretübertragung erfolgt. Bai den dnreh Pneumokokken oder Koch- 
Weeekssche Bazillen hervorgerufenen Schalepidemien sind die erkrankten 
Schiller isoliert za setzen. Die Schiller mit stärkerer Absonderang sind von 
der Schale fernsahalten. Falls eine grössere Zahl von Schillern erkrankt 
ist, so durfte ebenfalls deren Ansschiass Ton der Schale oder das Schlüssen 
der Schale fUr kurze Zeit in Erwägung za ziehen sein. 

Letztere Epidemien entstehen nicht selten plötzlich, dagegen spricht 
ein plötzliches Einsetzen einer Epidemie mit grösster Wahrscheinlichkeit gegen 
Trachom. 

Prophylaktisch sind Anweisungen zur Reinlichkeit, besonders anch za 
öfterem Händewaschen, Abreiben der Schulbänke, Türklinken etc. zu empfehlen 
and der Gebrauch gemeinsamer Wasehatensilien and Handtücher zu vermeiden. 

_ Dr. W a i b e 1 - Kempten. 


Die Lösung der Sehularztfrage auf dem Lande. Von Kreisarzt 
Dr. Heinrich Berger in Hannover. Zeitschrift für Schnlgesundheitspflege; 
1908, Nr. 1. 

Der Kreisarzt ist zom Kreisschalarzt bestellt. Seine Tätigkeit ist im 
wesentlichen eine periodische, fünfjährige. Die Beaufsichtigung der Schal¬ 
ei nrich tan gen kann wohl in diesem Zeiträume stattfinden, nicht aber der 
Gesundheit der Schalkinder, ihrer körperlichen nnd geistigen Reife beim 
Eintritte in die Schule u. s. w. Die Lösung der Schalarztfrage auf dem 
Lande erscheint aber dem Verfasser nicht schwer. Nach seinem Vorschläge 
wäre der Kreis in Distrikte einznteilen, z. B. ein Kreis von 30000 Einwohnern 
in 8. Für jeden dieser wäre ein Distriktsarzt anznstellen, wozu die dort 
wohnenden Aerzte sich wohl eignen würden. Eine besondere Besoldung dafür 
wäre nicht nötig, wenn der Bezirksarzt in seinem Bezirke Impfarzt, Schalarzt 
und Vertrauensarzt ist. Als Schalarzt würde er für etwa 700 Kinder 
160 Mark bekommen, was für den gewählten Kreis eine Aasgabe von nur 
1200 Mark bedeutet. Die mit den Verhältnissen ihres Distriktes wohlver- 
trauten Aerzte könnten auf hygienischem Gebiete viel Gates stiften. Als 
Schulärzte hätten sie die neueingetretenen Schulkinder im April and sämtliche 
Schulkinder zu Weihnachten za untersuchen, zwischen Weihnachten nnd Ostern 
gemeinsame Konferenzen mit dem Kreisarzt abzahalten, Kataster Uber die 
ansteckenden Krankheiten unter den Schalkindern za führen and jährliche 
summarische Berichte an den Kreisarzt zu erstatten, auch die Scbuleinrich- 
tangen jährlich einmal, mit Berücksichtigung der Ergebnisse der letzten Be¬ 
sichtigung durch den Kreisarzt zu besichtigen. Dr. Glogowski-Görlitz. 


Da« Bedürfnis nach Schulärzten für die höheren Lehranstalten. 
Von Oberlehrer K. Boiler in Darmstadt. Hamburg u. Leipzig 1902. Verlag 
von Leopold Voss. Gr. 8°; 62 S. Preis: 0,b0 M. 

Verfasser, der ja wiederholt für die Notwendigkeit der Anstellung Yon 
Schulärzten plädirt hat, stellt nochmals sämtliche Gründe, die für die An¬ 
stellang derselben an den höheren Schulen sprechen, zusammen. Von einem 
kurzen Abrisse der Geschichte der Schalarztfrage aasgebend, zeigt er, dass die 
Kreisärzte bei ihrer sonstigen, sehr umfangreichen Tätigkeit nicht im stände 
sind, der Schulhygiene soviel Aufmerksamkeit zu widmen, wie es für die ge¬ 
deihliche Entwicklung der Schulverhältnisse in gesundheitlicher Beziehung 
nötig wäre. Er hält daher die Anstellung besonderer Schulärzte auch an den 
höheren Schulen für absolut notwendig, verlangt aber andernfalls, dass die 
Lehrerschaft hygienisch soweit ausgebildet werde, um im stände zu sein, bei 
der Beobachtung der gesundheitlichen Verhältnisse der Schule mit Erfolg mit¬ 
zuwirken. Er zeigt, dass bei dem allergeringsten Entgegenkommen und bei 
einem taktvollen Verhalten des Schularztes ein durchaus gutes Verhältnis 
beider Parteien zu einander und damit ein gedeihliches Wirken für die Schule 
sich leicht ersielen lässt, üeber die Einzelheiten des Wirkens der Schulärzte, 
wie sie Boiler zusammenstellt, glaube ich hinweggehen zu können, da die¬ 
selben ja wiederholt an dieser Stelle besprochen worden sind. 

Dr. Sobrakamp-Düsseldorf. 



483 


Kleinere Mitteilungen und Referate au Zeitschriften. 


Dia Beaufsichtigung der Schulen und das neue englische Unter- 
riehtSgesets. Von Dr. £ Meredith Richarde. Public health; 1902/8, 
XV., Seite 121. 

Der Verfasser betont die Pflicht des Gesundheitabe&mten, die Schul¬ 
hygiene nicht au vernachlässigen. Es bestehe sonst die Gefahr, „dass wir 
vergessen, dass wir in erster Linie Aerzte sind“, und das Publikum sei 
am Ende zu der Ansicht berechtigt, „dass wir weiter nichts als Gesundheits¬ 
inspektoren seien, mit Sinn für Zahlen nnd einer au zweiter Hand geschöpften 
Kenntnis der Abfuhreinrichtungen“. 

Der neue Unterrichtsgesetzentwurf bietet die passende Gelegenheit zu 
einem Rückblick *) und zu Vorschlägen, die Verhältnisse zu bessern. 

Zur Zeit hat der Medizinalbeamte nicht das Recht, die 8chulräume zu 
betreten; er darf nur erkrankte Kinder vom Schalbesuch aussobliessen, oder 
Schalen beim Eintritt von Epidemien sohliessen. Nur einige Schulbehörden 
haben Medizinalbeamte angestellt; freiwillig haben sich Lehrer anderer Schulen 
erboten, dem beamteten Arzte nichtanzeigepflichtige Infektionskrankheiten 
und das Auftreten verdächtiger Symptome unter den Schulkindern zu melden. 

Da meistens die Lehrer den durchschnittlichen Sohulbesuch auf seiner 
HOhe zu halten suchen*), so ist solches Entgegenkommen eine Ausnahme; 
meist bat der Gesundheitsbeamte keinen Ueberbliok Ober den je¬ 
weiligen Stand der Infektionskrankheiten der Sohfller ud der 
Besuoh des Gesundheitsinspektors*) wird als „Eindringen“ angesehen. 

Der Autor fordert nun, dass die in dem neuen Gesetzentwürfe vorge¬ 
sehenen Unterriohtskommissionen dahin belehrt werden sollen, dass sie 
in gesundheitlichen Fragen den Rat und die Mitarbeit des von der Unterriohta- 
behOrde angesteliten beamteten Arztes in Anspruch nehmen. Der Distrikts- 
medisinalbeamte sollte alle Öffentlichen Schulen besichtigen. Das Ergebnis 
sollte an das Unterriohtsamt berichtet werden, eine Abschrift an den Graf- 
sehaftsgesundheitsbeamten gehen, der die Unterriohtskommissionen seines Graf- 
sohaftsrates danach informieren konnte. Ebenso wie Fabriken und Werkstätten 
Zeugnisse der OrtspolizeibehOrde anfweisen müssen, dass sie etwa bei Fenen- 
gefahr genügende RettungsmOglichkeit bieten, so sollte jede Schule von der 
Behörde auf GrOsse, Art der Aborte, Wascbeinrichtnngen und deren Zustand 
untersucht werden; auoh die Zahl der Tage, an denen „Ueberfüllung“ eingetreten 
war, Heizung, Lüftung, Wände, Wirkung der täglichen und periodischen 
Reinigung, Zustand der Spielplätze und HOfe, Wasserversorgung wären zu 
berücksichtigen. 

Sagt uns mit diesen Forderangen der Verfasser wenig Neues, so moti¬ 
viert er die Forderung nach Beamten, die dem Medizinalbeamten unterstellt 
sind (attendance officers) auf recht einleuchtende Weise. Diese würden kleinere 
Missstände sofort bemerken, konnten im geeigneten Augenblicke passende 
Winke zur Abhilfe geben, würden die Fälle anzeigen, wo die Ortspflegerin 
ihren Besuch im Hause der Eltern zu machen hätte, würden auch bei den 
Eltern die gesetzlichen Vorschriften nnd geeignete hygienische Regeln zu ver¬ 
teilen haben. 

Obwohl §. 86 des zur Zeit massgebenden Day-scbool Gode der Scbul- 
behOrde das Recht zur Beaufsichtigung in hygienischen Dingen gibt, wird er 
nicht so gehandhabt, dass die Öffentlichen Volksschulen sieh in befriedigenden 
sanitären Verhältnissen befinden. Dr. Mayer-Simmern. 


Schule und Rttckgratsverkrttmmungen. Von Privatdozent W. 
Schultess in Zürich. Hamburg und Leipsig. Verlag von Leopold Voss. 
Mit 6 Abbildungen im Text. 89 S. Preis: 0,80 M. 

Sch. bespricht den Einfluss der Schule auf die RUekgratsverbrflmmungen. 
Es handele sich hier um WachstnrnstOrangen des Skelettes, die anf mechanische 
Einflüsse zurflokzuführen sind oder funktionellen Ursprungs sein können. 

Dr. 8ohrakamp-Düsseldorf. 


‘) VergL Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1902, S. 682. 

*) In der Befürchtung, den vom Parlamente ausgesetzten Zuschuss zu 
verlieren, obwohl derselbe nicht bloss bei Epidemien, sondern auch bei ver¬ 
dächtigen Fällen gezahlt wird. 

*) Vergl Wernioh und Wehm er: OeffentL Gesundheitswesen; S. 887. 



Kleinere llitteilangen and Heferate ans Zeitschriften. 488 

Tuberkulosebekämpfung und Schule. Von Dr. Windheuser In 
Zell a./Mos. Ebendaselbst. 24 8. 

Verfasser betont, dass wahrend der 8ehnljahre der jugendliche Körper 
in besonderem Masse für Erkrankungen, namentlich für die Taberknloee dispo¬ 
niert, anderseits der Geist für Belehrungen besonders aufnahmefähig sei. Die 
Sehule sei darum der Ort, wo eine Bekämpfong der Taberknloee durch Wort 
und Tat stattsufinden habe und wo der Kampf selbst in richtiger Weise ein- 
setsen müsse. Dr. Schrakamp -Düsseldorf. 


Nervöse Schulkinder. Von Dr. B. Land an, Sehul erst in Nürnberg. 
Ebendaselbst. 48 8. Preis: 0,80 Mark. 

L. zeigt, wie sehr mit dem hastigen Leben unserer Zeit die Zahl der 
nervösen Kinder zunimmt, wie man Zustanden jetzt bei Kindern gar nicht 
selten begegnet, welche man früher nur bei Erwachsenen kannte. Er zeigt 
ferner, wie die Zahl und die Intensität der Nervenstörungen sich mit der 
Ziffer der surückgelegten Schuljahre steigert, wie zu den subjektiven die 
objektiven Erscheinungen sich hinsugesellen, bis schliesslich vielfach das Bild 
der ausgesprochenen Hysterie zu stände kommt, welche ansteckend wirken and 
ganze Sohulepidemien herbeiführen kann. Auch die Aetiologie und Therapie 
dieser Erscheinungen würdigt er in ausgiebiger Weise. 

Dr. Schrakamp-Düsseldorf. 


Ein Beitrag nnr Frage nach den Ursachen der Minderbegabung 
von Schulkindern. Von Dr. Wegen er, Physikus in Wasungen i/Th. 
Zeitschrift für Schulgesundheitspflege; Nr. 11, 1902. 

Der Verfasser untersuchte die Knaben der sogen. Nachbilfeklasse seines 
Wohnortes auf die Ursachen ihrer Minderbegabung. Die Klasse besteht seit 
7 Jahren und wurde zur Zeit der Untersuchung von 26 Knaben und 10 Mädchen 
besucht; da die gesamte Stadtschule damals 687 Schüler, Knaben und Mädchen 
hatte, war das Verhältnis der Minderbegabten ein aussergewObnlich hoher. 
Von den 25 Knaben zeigten 16 eine mangelhafte körperliche Entwickelung, 
Anzeichen schwerer überstandener oder noch bestehender Bhachitis und 8krophulose, 
einer war jahrelang angenkrank (sorophulOs P) gewesen. Bei dreien war die 
Minderbegabung entschieden durch ein Trauma erworben — zwei Mal Fall vom 
Fotterboden der Scheune, ein Mal Steinwurf und Sensenhieb, die am Schädel 
auffallende, 5—7 cm lange Narben, teilweise mit darunter fühlbarer Knochen- 
Verdickung bewirkt hatten. Weitere 2 Knaben stammten von Potatoren, sittlich 
völlig verkommenen Individuen. Drüsige Wucherungen im Nasenrachenräume 
fanden sich bei 4 Knaben. 

Verfasser findet die Ursachen in der durch mangelhafte Ernährung ent¬ 
standenen Degeneration und Dekrepidität der Eltern (es herrschten bis vor 
wenigen Jahren dort trostlose soziale Verhältnisse), in den durch die Armut 
bedingten ungesunden Wohnungsverhaltnissen sowie in der verkehrten Ernährung 
des Säuglings und Kindes. Diese führten zu angeborenen Mangeln durch Ver¬ 
erbung und, zum Teil, zu erworbenen Mangeln und dadurch bedingten Krank¬ 
heiten, unter denen Blutarmut, englische Krankheit, Drüsenanschwellungen, 
chronische Magenkatarrhe besonders häufig sich zeigten. 

Da die sozialen Verhältnisse sich in den letzten Jahren dort sehr 
gebessert haben, so erhofft Verfasser eine wenn auch langsame, so doch stetige 
Abnahme der erschreckend hohen Zahl der Schwachbegabten, sofern eine Auf¬ 
klärung der Eltern bezüglich der Hygiene des Säuglings- und Kindeealters, 
der eigenen Ernährung, der Wohnungsverhältnlsse etc. stattfindet. 

_ Dr. Glogowski-GOrlitz. 

Ueber die Gefährlichkeit der Schultinte. Von Dr. B. Heymann, 
Assistent am hygienischen Institut in Breslau. Zeitschr. f. Schulgesundheits¬ 
pflege; 1903, 2. Heft. 

Im Februar 1901 veröffentlichten die „Schweizerischen Blätter für Ge¬ 
sundheitspflege* eine Warnung vor der Schultinte (abgedruckt ln der Zeit¬ 
schrift für Schulgesundheitspflege, Bd. XIV, S. 186), in welcher besonders noch 
ausgeführt wurde, dass unbedeutende Stiche mit einer in Tinte getauchten 
Feder Blutvergiftung und den Tod der betreffenden Person zur Folge hatten. 



484 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Die Warnung führte an amtlichen Verfügungen, in denen die Lehrer ange¬ 
wiesen wurden, die Kinder vor einer gesnndheitssohftdliohen Verwendung der 
Schultinte nach Möglichkeit za bewahren. Nach Angabe des Verfassers ist 
ttber die vorliegende Frage nnr eine einzige Arbeit bisher erschienen, und 
zwar von Marpmann, der auf Grund seiner bakteriologischen Untersuchungen 
zu dem Schlüsse kam, dass die erwähnten Blutvergiftungen auf pathogene 
Bakterien zorücksuführen seien, die sich in den verschiedensten Tinten ent* 
wickeln können. Auf Anregung von Prof. Flügge prüfte Heymann diese 
Frage nach. Br hält weder die Versuchsauordnungen Marpmanns, noch 
die gegebenen Schlüsse für einwandsfrei. Er kommt vielmehr auf Grund bak¬ 
teriologischer Untersuchung der verschiedenen in unseren Schulen gebrauchten 
Tinten zu folgenden Ergebnissen: »Die gebräuchlichsten Tinten be¬ 
herbergen weder in frischem Zustande, noch bei längerem 
Gebrauch gesundheitsschädliche Mikroorganismen und ent¬ 
falten insbesondere gerade den Erregern von Blutvergiftungen 
gegenüber eine sehr grosse desinfizierende Wirksamkeit. Wenn 
sich gleichwohl gelegentlich schwere septische Erkrankungen an Schreibfeder- 
stiche anschliessen, so sind diese zweifellos entweder auf die Einschleppung 
pathogener Keime von der Hautoberfläche im Augenblicke der Verletzung oder 
auf eine nachträgliche Infektion der Wunde, insbesondere daroh Aussaugen 
mit dem Munde oder Berührung mit unsauberen Taschentüchern und Fingern 
zurückzuführen. Eine nachteilige Wirkung der Vorgefundenen Mikroorganismen 
auf den Magen durch Ablecken eines Tintenkleckses ist undenkbar. Die 
Sohultinte stellt vielmehr ein in kleinen Mengen völlig un¬ 
gefährliches, von pathogenen Mikroorganismen freies Prä¬ 
parat dar, dem gegenüber keine anderen Massregeln erforder¬ 
lich sind, als die der Wohlerzogenheit und Sauberkeit. 

_ Dr. Glogowski -Görlitz. 


Zur Lösung der Schultafelfrage. Von Dr. 0. Lange, Augenarzt 
in Braunsohweig. Zeitschrift für Sohulgesundheitspflege; Heft 11, 1902. 

Die technischen und hygienischen Mängel der bisher in den Schulen noch 
fast allgemein gebräuchlichen Schiefertafel sind von allen Seiten anerkannt, 
u. a. auch von dem bekannten Sehulhygieniker Prof. Dr. Hermann Cohn in 
Breslau. Der Verfasser interessierte sich als Augenarzt für diese Frage und 
konstruierte eine weisse Schreibtafel, die folgende Vorzüge hat: 

1) sie ist sehr dauerhaft (aus Zelluloid angefertigt), fast unzerbrechlich, 
ohne Bahmen und wiegt nur 46 g; 

2) sie ist weiss resp. gelblich weise; 

8) sie ist matt und gibt keinerlei Reflexe; 

4) die Liniatur ist glatt und sehr dauerhaft; 

5) geschrieben wird auf der Tafel mit einer spitzen, mittelweiohen 
Stahlfeder und schwarzer Tinte, oder mit einem mittelweichen, schwarzen 
Schreibstift; die Schrift ist mit einem nassen Schwämmchen ganz leicht nnd 
spurlos ab wischbar (wird mit einem Bleistift geschrieben, so ist die Ent¬ 
fernung nur mit grauem Knetgummi möglich); 

6) die Tafel wird, wenn das Schreiben, wie es sich gehört, ohne Druok 
stattfindet, von der Stahlfeder und dem Stifte nicht angegriffen, das Schreiben 
erfolgt ganz geräuschlos; 

7) die Schriftzüge verwischen sich nicht bei Berührung mit anderen 
trockenen Gegenständen; 

8) nach längerem Gebrauche können unansehnlich gewordene Tafeln mit 
leicht verdünntem 8piritus bezw. mit Sandpapier wieder wie neu hergestellt 
werden. 

Die Tafel ist hauptsächlich als Tintentafel gedacht, entsprechend 
dem Bestreben vieler Schulmänner, den ersten Schreibunterricht gleich mit dem 
definitiven Schreibmaterial, d. h. mit Feder und Tinte, beginnen zu lassen. 
Da die bisherigen Tintensorten für diese Tafel nicht verwendbar sind, hat 
Lange eine neue geeignete Tinte hergestellt, die auch für Papier sehr gnt 
ist; sie ist ungiftig, ihre Flecken aus Wäsche und dergl. durch Wasser leicht 
zu beseitigen. Der vom Verfasser angegebene Schreibstift ist weich, 
nioht brüchig, schwarz, mit einem nassen Lappen leicht abwisohbar. Tafel 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


486 


und Tinte können vorläufig nur von der Papierhandlung Carl Fischer 
in Braunschweig bezogen werden. Der Preis der Tafel ist ziemlich hoch 
(75 Pfennig), er wird jedoch dnreh die Unzerbrechlichkeit des Materials wieder 
eingebracht, während die Schiefertafeln bald zerbrochen werden. Der Schreib¬ 
stift wird erst später zu haben sein. 

Die geschilderte Tafel etc. wurde von mehreren Lehrern an verschiedenen 
Klassen der Braunschweiger Bürgerschulen unter ungünstigsten äusseren 
Verhältnissen längere Zeit hindurch erprobt. Die im Aufsätze wörtlich ver¬ 
öffentlichten Gutachten der Beobachter stimmen darin überein, dass mit dieser 
Tafel die so lange viel umstrittene Sohulschreibtafelfrage gelüst sein dürfte. 

_ Dr. Glogowski-Qürlitz. 

Die Hygiene der Schulbank. Von Dr. Hans Sack. Verlag von 
Wie&andt & Grieben. Berlin 1902. 

Verfasser hat das Verdienst, die in einer waren Flut von Broschüren 
niedergelegten Anschauungen über die Schulbankfrage zum ersten Male kritisch 
gesichtet und in erschöpfender Darstellung zu einem vorläufigen Abschlüsse 
gebracht zu haben. Der Inhalt der wissenschaftlich durchdachten und bei 
aller Knappheit flüssig geschriebenen Arbeit ist in grossen Zügen folgender: 
Aus anatomischen und physiologischen Erwägungen Uber die Körperhaltung 
in der Schulbank leitet Verfasser feste Normen her für die Höhe des Sitzes, 
die Breite des Sitzbrettes, Entfernung zwischen Pult und Sitzbrett, den Lehnen¬ 
abstand vom Pulte und die Form der Lehne. Dabei wird dem alten Parade¬ 
pferde der meisten Schulbankdoktoren, der Minusdistanz, gründlich der Garaus 
gemacht und an die Stelle der „Distanz“ der „Lehnenabstand“ gesetzt- 
Weitere Erwägungen ergeben die Notwendigkeit des seitlich verkürzten Sitz¬ 
brettes und des seitlich verschobenen Tintenfasses (für je zwei Schüler). Die 
Erörterung über die Luftverhältnisse im Schulzimmer führt im Verein mit 
obigem zur Forderung der zweisitzigen Schulbank als der Schulbank xax’ 4xoxvjv, 
die mit erhöhtem Fassbrett versehen und behufs gründlicher Beseitigung des 
Schulstaubes umlegbar sein soll. Die folgenden Kapitel „Beleuchtung der 
Sohülerplätze“, „Geschlechtliche Verirrungen der Schüler“ und „Sanitäre Für¬ 
sorge für den Lehrer“ bringen noch Hinweise auf die Konstruktion des Pultes 
bezw. bestätigen die Dichtigkeit der erstgenannten Forderungen. 

Leider musste sich Verfasser auf die Hygiene der zweisitzigen Schulbank 
beschränken, weil für ihn diese allein „hygienisch“ ist. Das ist bedauerlich; 
denn wir werden noch lange mit der mehrsitzigen Bank zu rechnen haben. 
Abgesehen von dem Kostenpunkte — die mehrsitzige kostet 3—4 M., die zwei¬ 
sitzige Bank über 8 M. pro Sitz — ist der Einführung der letzteren hinderlich, 
dass sie einen grösseren Klassenraum beansprucht: ich habe ein Mehr von 
10—15 0 / 0 herausgemessen. Aber Suck’s Forderungen sind für den Sach¬ 
kundigen leicht auf die mehrsitzige Bank zu übertragen, soweit sie eben über¬ 
tragbar sind. Sonst wäre für eine Neuauflage der recht verständigen, mit 
schönem Vortrage geschriebenen Arbeit ausser der Ausmerzung einiger Sprach- 
gebrechen (wie „Verdrehung der Augenachse“ S. 21) und Druckfehler (Tab. 
S. 20) nur eine vollständigere Quellenangabe zu wünschen. Besonders im ana- 
tomisch-physiologischen Teile entbehrt man dieselbe, zumal hier die eine oder 
andere Aeusserung der Revision bedarf. 

Das beeinträchtigt aber nur unwesentlich den Wert der ganzen Arbeit, 
die dem mit der Schulaufsicht betrauten Medizinalbeamten ein wertvoller 
Instrukteur sein wird; findet er doch hier mit der Schulbankfrage nahezu die 
gesamte Hygiene des Sohulzimmers aufs innigste verwebt. Diesem sei die 
Monographie in erster Reihe und aufs wärmste empfohlen. 

Dr. Suessmann-Petrzkowitz. 


Eine Bemerkung über die Verwendung stanbbindender Fnss- 
bodenöle in Schulrftumen. Von Prof. Dr. Rühl, Stadtschulrat in Stettin. 
Zeitschrift für Schulgesundheitspflege; Heft 10, 1902. 

Prof. Rühl bestätigt die Ergebnisse der von Reichenbach s. Z. an- 
gestellten Versuche, über die in Nr. 23, S. 859, Jahrgang 1902 dieser Zeit¬ 
schrift referiert ist. Es wurden in Stettin Versuche mit dem Dustless-Oel 
bei den verschiedensten Arten von Fussbodenbelag — alte Kieferdielen, 




4M 


Besprechungen, 


Pitschepineriemen- and Bachenbodenbelag gemacht mit fcusserst günstigen 
Erfolge. Neben der siemlich beträchtlichen Hohe der Kosten liegt jedoch nach 
Rühl noch ein Bedenken gegen die Einführung dieses Anstriches vor. Das 
StanbOl bildet nämlich nach mehrmaligem Gebrauch eine Kruste, die sich 
nar mit grösster Muhe unter Anwendung von Stahldrahtbflrsten wieder ent¬ 
fernen lasse. Diese bei späteren Anstrichen notige Reinigung würde, ab¬ 
gesehen von einer, noch nicht beobachteten schnelleren Abnutsung der Dielen, 
die Kosten des Verfahrens erheblich erhöhen. 

Es liegt im Interesse der weiteren Entwickelung der Schulhygiene, dass 
auch diese wichtige Angelegenheit nach allen Richtungen hin mit Hilfe einer 
wissenschaftlichen Methode klar gestellt, und dass auch dem letstangefUhrten 
Uebelstande Aufmerksamkeit von wissenschaftlicher Seite zugewendet werde. 

Dr. Glogowaki-Görlitz. 


Besprechungen. 

Lehmanns medizinische Handatlanten. 

1. Dr. W. Seiffer, Privatdozent und Oberem an der Nervenklinik der König¬ 
lichen Cbant6 in Berlin: Atlas und Grundriss der allgemeinen 
Diagnostik, und Therapie der Nervenkrankheiten. Bd. XXIX der 
Atlanten. Mit einem Vorwort von Geh. Med.-Rat Dr. Jolly in Berlin. 
Mit 23 farbigen Tafeln nach Originalen und 268 Textabbildungen. München 
1902. 12°; 379 8. Preis: geb. 12 Mark. 

2. Dr. Her. Dftrok, Privatdozent und Assistent am pathologischen Institut 
su München: Atlas und Grundriss der allgemeinen pathologischen 
Histologie. Bd. XXII der Atlanten. Mit 77 vielfarbigen lithographischen 
und 81 zum Teil zweifarbigen Tafeln nach Originalen. München 1903. 
685 8. Preis: geb. 20 Mark. 

Wiederum liegen 2 neue Atlanten des Lehmannsehen Zyklus ver, die 
sich den bisher erschienenen in jeder Weise würdig anreihen. Der Sei ff er¬ 
sehe Atlas der allgemeinen Diagnostik und Therapie der 
Nervenkrankheiten bildet gleichsam eine Ergänzung des Jacobschen 
Atlas des gesunden und kranken Nervensystems; während sich dieser aber 
wesentlich auf die anatomischen Verhältnisse beschränkt, berücksichtigt der 
vorliegende Atlas hauptsächlich die klinische Seite. Mit Recht sagt Geh. Rat 
Prof. Dr. Jolly in seinem Vorwort, „dass das Gebiet der Nervenkrankheiten 
mehr als irgend ein anderes klinisches Gebiet geeignet sei, ja förmlich dazu 
heraussufordere, dem Verständnis durch Abbildung charakteristischer Krankheits- 
zustande su Hilfe zu kommen*. Der Verfasser hat es in vorzüglicher Weise 
verstanden, das überreiche und vielseitige Material der Nervenkranken der 
Berliner CharitO sum Aufbau seines Werkes zu verwerten; er hat sich aber 
nicht nur darauf beschränkt, die überaus zahlreichen, ebenso naturgetreu als 
künstlerisch tadellos ansgeführten bildlichen Darstellungen durch den beglei¬ 
tenden Text kurz zu erläutern, sondern in diesem ein kurzgefasstes, aber 

f leichwohl alle Punkte berücksichtigendes Lehrbuch der Diagnostik und Therapie 
er Nervenkrankheiten gegeben, dessen Wert noch besonders durch eine vor¬ 
trefflich ausgewählte Kasuistik erhöht wird. 

Das gleiohe Lob verdient der Düroksche Atlas und Grundriss 
der pathologischen Histologie in vollstem Masse. Wie in den beiden 
vorhergegangenen Bänden des Verfassers über die spezielle pathologische 
Histologie sind auch hier alle Abbildungen nach eigenen Präparaten entworfen 
und ausgeführt. Sie zeichnen sich wiederum durch eine so ausserordentliche 
Naturtreue und Feinheit der Wiedergabe aus, dass man seine uneingeschränkte 
Anerkennung aussprechen muss nicht nur über die scharfe Beobachtungsgabe 
und das künstlerische Zeichentalent des Verfassers, sondern auch über die 
unübertroffenen Reproduktionen der zum Teil sehr komplizierten, zarten und 
ln den feinsten Farben (bis zu 26) dargestellten Originale. Die Hoffnung des 
Verfassers, „dass sich sein Buch beim pathologisch-histologischen Stadium als 
ein brauchbarer Führer erweisen möge*, wird deshalb sicherlich in Erfüllung 
gehen; es kann ebenso wie der Seiffersche Atlas den beteiligten Kreisen 
nur aufs wärmste empfohlen werden. 



Tagesnachrichten. 


487 


Einen besonderen Dank verdient auch die Verlagsbuchhandlung, die 
wie immer keine Kosten ihr die bestmögliche Ausstattung der beiden vor¬ 
liegenden Atlanten in illustrativer Hinsicht gescheut und wesentlich dasu bei¬ 
getragen hat, dass dieselben einen so hohen, kaum su abertreffenden Grad der 
Vervollkommnung erreicht haben. Rpd. 


Tagesnachrichten. 

Der Beiohskannler (Reichsamt des Innern) hat unter dem 10. Märzd. J. 
in Bezug auf die Massnahmen gegen die Kurpfuscherei auf Anregung der 
Preuesischen Staatsregiernng ein Rundschreiben an sämtliche Regierungen der 
einzelnen Bundesstaaten gerichtet, in dem er um Aeussernng folgender Fragen 
ersucht: 

I. Sind Wahrnehmungen gemacht, welche die Ermittelungen des Königlich 
Preussisehen Herrn Ressortministers Ober die Zunahme der Kurpfuscherei 
und ttber die bei ihrer Ansehung su Tage getretenen Missstande be¬ 
stätigen f 

II. Sind diesseits bereits Massnahmen getroffen, welche bezwecken, die bei 
der Ausübung der Kurpfuscherei hervorgetretenen MissstOnde zu be¬ 
seitigen ? 

m. Wird dem von der KOnigl. Preussichen Regierung gemachten Vorschlag 
auf Ergänzung des §. 36 der Gewerbeordnung sugestimmt ? 

IV. Welche sonstigen Massregeln können diesseits zur Bekämpfung der beob¬ 
achteten Uebelstknde vorgeschlagen werden? 


In der am 4. Mai d. J. in Dresden abgebaltenen Plenarversamm¬ 
lung des Sächsischen Landes - Medizinalkollegiums wurden zunächst die 
abgeänderten zweiten Entwürfe der ärztlichen Ehrengerichtsordnung 
und deB Gesetzes über die ärztliiehen Bezirksvereine beraten und, 
abgesehen von einigen nicht erheblichen Aenderungen angenommen. Ein An¬ 
trag betreffs Massnahmen gegen die durch die Hausindustrie ent¬ 
stehenden Gefahren der Weiterverbreitung ansteckender 
Krankheiten soll nach schriftlicher näherer Begründung durch den Antrag¬ 
steller und nochmaliger Durchsprechung im engeren Kollegium dem Ministerium 
unterbreitet werden; ein anderer Antrag, derdieRegelungderlmpfungen 
der fremdländischen Arbeiter nach einheitlichen Grundsätzen für das 
ganze Land forderte, fand die Zustimmung der Versammlung. Hinsichtlich 
der Bekämpfung der Kurpfuscherei wurden auf Antrag der Mitglieder 
Dr. Chalybäus, Dr. Httfler und Dr. Schneider folgende Beschlesse 
gefasst: 

1. dass a) die Ansehung der Heilkunde durch nichtapprobierte Personen zu 
untersagen ist, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuver¬ 
lässigkeit der Gewerbetreibenden in Bezug auf diesen Gewerbebetrieb 
dartun (§. 35 Gew. • 0.), 

b) Personen, welche, ohne approbiert zu sein, das Heilgewerbe beginnen, 
hiervon der zuständigen Behörde Anzeige su erstatten haben, 

2. dass mit Geltung fOr das Reich eine Verordnung erlassen werde, welche 
sich an die vom Staate Hamburg unterm 1. Juli 1900 erlassene Verord¬ 
nung, bez. die Verordnung des Preussisehen Medizinal - Ministers vom 
28.Mai 1900 anschliesst und vor allem die prahlerischen Ankündi¬ 
gungen von Mitteln und Heilmethoden unter Strafe stellt, 

3. dass a) die ausschliessliche oder gewerbsmässige Behandlung Kranker aus 
der Ferne, bei welcher kranken Personen in Briefen oder Öffentlichen 
Blättern oder Büchern Heilvorschriften gegeben werden, und 

b) die Ankündigung und die Anpreisung solcher Fernbehandlung bei Strafe 
zu verbieten ist, 

4. dass Personen, welche ohne approbiert zu sein, gewerbsmässig Kranke 
behandeln, gehalten sein sollen, über ihre Geschäfte BOcher zu führen. 

In Erwägung des Umstandes, dass der Kampf gegen das gemeingefähr¬ 
liche Medikastertum nur dann mit Aussicht auf Erfolg geführt werden kann, 
wenn seitens der zuständigen Organe des Staates und der Gemeinden, vor¬ 
nehmlich seitens der AnklagebehOrden von den durch das geltende Recht 



438 Tsgeea&chriühteft. 

gebotenen Handhaben möglichst ergiebiger Gebrauch gemacht wird, richtet 
die Plenarversammlung des Landes-’Medlzifialkollegioms an da» Königliche 
tfmisterium des Innern außerdem da« Ersuchen; 
bei dem Herrn Juatizminister dahin zuwirken, das« die Statttsansult- 
»chafteu mit ent8prechendor Anweisung versehen werden, 
und dass insbesondere io Fällen betrügerischer Reklameausschreitting vaa 
Rurpfascbern (Vergehen aas §. 4 den Gesetzes zur Bekämpfung des tta- 
lautereo Wettbewerbe» vom 27. Mai 1896 t auf Grand der bezüglichen von 
einzelnen Aeralen oder von rechtsfähigen ärztlichen KSrpersch&ftafi ange¬ 
brachten Strafanträge die öffentliche Klage erhoben nnd diese An¬ 
klage sogleich auf die betreffenden Znitu ngsverl eg er wegen Beihilfe 
aaagddiBhnt werde. 

• •••• - . . 

Auoh i« dor am 25. April cL .1 abgeb altenen 47. Sitzung -4.ee Gand es- 
nosscbBasee der Wörwembergiaehe« ärztlichen Laudeaverelae ist ausser 
d«r Aertteordnang nach die Frage betreffead Masaregeln gegen die Ear- 
pfuaoherel zar Beratung gelangt, per von dem Beierenten Dt. Beck ge¬ 
stellte eingehend begründete Antrag: 

■ „1, dem Vorschlag« der K. pransäisshen Regierung auf Ekgääsung 4er§. 35 
d«r Oewerbeordnang ist znzRstimmen; 

3. die in Preasseo freraRs ergriffenen polizeiliche» Massregelfl gegen die 
Knrpfascherei Sind auf die übrigen BnndeaBtaaten aü3zttdfehn*a; 

; - S. als lönstige Maasregein der durch die Eturpfüscberei hervorgerttfeceo 
IJebciitlnde sind votzoflchlftgenr j; 

a) btfectilohe WftTnnogeG def Behörden gegen schwindelhafte Heilmittel, 
Heilmethoden und Kurpfuscher;, 

b) Verbot des AnfertJgens von Rezepten der Kurpfuscher io den Apotheken; 

c) Verbat der brkfiteben Bebandlttng der Kranken} 

>i) Verbot der AnateUnng von Kurpfuschern als Leichenschauer oder Be¬ 
dienstete ia öffentlichen Heilanstalten“ 
wurde einstimmig angenommen. 

Nach einer in der Sitzung des Anhaitiscfaen Landtages vom 13 Mai d. 3. 
abgegebenen Erklärung des dortigen SuatsmiBistCfa eebweben z. Z. zwischen 
der Beiebtnregierupg Und den Regierungen der Einzelstaaten Erörterungen über 
die Einfübrnng einer allgemetnen Sehlaehtviehvereleliernng Im ganzen 
Reiche} es scheine jedoch, dass bei dez Reicbaiegierang Ab Meinung vor¬ 
herrsche, man solle das Vorgehen *<tf diesem Gebiete den giaaelstaatea 
Ö ft erfassen. 

. ,i t'< '* < •' ■ >V r v : |'. ’ .' "V ■' •* M f '.*■'"<*j'f~>*'****y*i* t **'i***';:.’-i 1 'V- • \ V,V ,V^ • ‘ '(*■ • ’-Jr '. , *t'' ’ j 1 f* 7 y * • "*- 

, : ' in Erb »Jan ist die Errichtung einer Toilvrntkli'näJk im Anschluss an 
di« ITdiveirsttätakUaike* beabsichtigt, da Schkaritu den griteste« Prozenten!« 
Toi! walk ranker in Preussen auf weist- 

Bat durch die Berliner Tuberkulose-Konferenz. vom Oktober 1002 mit 
dem Sitze in Berlin begründete internationale Zeotmlbnrean m Be- 
kätnpfong der Töherltaäß»« hielt am 4. htai d. .1, in Paris unter Vorsitz 
tot Dr. Brouard«! eine Sitzung des Engeren Rates ab, att welche? Vertreter 
von Argentinien, Belgien, DKnegiark, Deutschland, England, Frankreich, Italien, 
Norwegen, Ö sterreich, Rußland. Schweden, der Sehwöiz, Spanien und Ungarn 
tftilnahme®. Den Oeechäftsberidbt erstattete ,, der Geüer&Jäeiret&r . Professor 
I»r. Pannwit«. Aoasex n»rbefeiiendcn Arbeit*» für den nKcksten inter¬ 
nationalen Tuberkulose-Kongress, dtr l(Q Oktober lfi04 in Paris atattäuden 
zoll. wurden orgosipatorUche Fragen erledigt und namentlich Übe? eine inter¬ 
nationale TabetkttlhSB - Au»*teHttng in 8i.: Louis Bcaufcloaa gefasst 

Din .TühTpfrversatttroleug des II an Weben Zentralkomitee* für IjOogan- 
WiW-tMUv 1>av am 16. Mat d. J. ia Rettin unter dein Vorsitz des Staato- 
aeY.r--rftjrs Gcnfen v. Posadowsky Btattgefaadeu. Ausser dem Bericht des 
ÖeaarrtlstktsftSrr, Über den Stand der TaberkulosebtkSmpfnng in Dentsflhland 
vord-'.i Vorträge von Geb Med.-Rat Prof. Dr. v. LeyasarRBrRü über „die 






Tagesnachnchtea. -43>> 

Wirksamkeit der Heilstätte» idr Lmngenkrankc“ oad vonSt&dtrat P tt u - 
Halle &. S. aber „die Aufgaben der Gemeinden bei der Tubörkuloeebek&m^i'aag^ 
gehalten. Ans dem Geschäftsbericht and dem Vortrag« de» ersten Befoctörea 
geht hervor, dass in Deutschland n. Z. 70 Heilstätten vorhanden «ind, in denen 
jährlich 30000 Kranken verpitegt w rien können. 

Die IV. Jahresveraammlang de» allgemeine)* Deatichen V ■>/• :..• 
ffftr Sehalgesaadheitspttege findet am 2 und 3. Jaai in Bonn, tB 
Räumen der Lese- and firhelangsgedelUohaft, Koblenzer Strasse 35, at&t?, auf 
der Tagesordnung stehen Bfiferato Über des Lehrplan der höheren Schntel in 
BeBiehnng rar Datertkhtsbygi'iöe; über den Scbnitaraaoterricht and <xu Sa*, 
wegangaepiele Im Siane der Sofatükygiöne; über Skoliose and Schule v&he* dss 
hyglettischen TJaterrieht ja der Schale} aber deutsche und englische S'cbuJerhihb 5 m 
vom hygienischen Standpunkte »na*, Uber Schale and KMAoiig; Übet An 
hygien* in der Schule and Uber J.ög«ad-u. Volksapiele. Die Veraamralnng 
lende Anfragen sind an de» gesch&ftefahrenden Aasschoss (Bf., F. Av8h.bagi.At:.., 
Bonn, Eohlenaei 1 Straifwe 23) zu richten. , . 

Der VI. Kongress de» Dänischen Vereins futr Volk** und 
spiele wird rem 5. hi» 7. Juli in Dresden abgeb&lfea werden.. A-«'/ '< v 
Tagesordnung »toben folgende Vorträge: 1. Was können <DV SßiteYefntUxejjf^r 
tan, am die körperliche Erziehung der Jagend, besondere die der VaUfci^h'ftir 
and der achaleBUasseaen Jagend, s« fördern? Referent.: Stadtsciialri», isr. 
Kerschensteiuer-München, 2. Die anatonischen Verhältnisse das'htüss- 
korbes mit besonderer Beziehang attf Leibesübang 0»d Öesandheittpflegc Rs* 
ferent; Geb. Med. * Rat Prof. l>r. Wald e.y er* Berit«. S, Die beete Atm# 
«tattaug öffentlicher ErholuagBetätteft. für Jugend and- Volk. Beferen. l-r. 
F-A. SebHeldt*Bonn, 

Die diesjährige Generalversammlung da» Deutschen Verein«, Die 
Vafkahygiene wird am 31. Juli, unmittelbar gor'fitem am 1, Angnat stattr 
fittisttden Samäritertag in Dresden abgehaltea werden. Neben den (ÖgdBlikhmti 
Arbeite» ist «ine saehkaodige Ffihraag durch die StÄdteaassteHung in 
genommen. 

In poUtijcben Blättern wird Uber eine EmsclilepptJng von TypUusbaxi; 
aach EttglAad daroh »ns S&lalrika Anrttckgesaüiiie, iu England meist 
rarstaigerte and «öiiter?erkauf?ö ArroecdeCken berichtet, obwohl die 
dcreelbVß in südafrikanischen Lazaretten gebraucht, und. mit Typhttsl:ft«ilUc 
war Die Angelegenheit ist durch Ty{AaBOiwnP|kangeu, Welche 
derartige Decken an Bord eines Schulschiffe* vorg©kommen warCB, an« 
gekommen und bildete den Gegenstand der Verband! «tigen hei einer 
der Landonnr City-Körpcrscbaft. Hier berichtete der «berste Gcsnndl^V;'> <- 
*mte des Hafens von London, Dr. Coli ins, dass bei der iaspektion 4.: M 
treffenden Schiffe» dem Sanitätebcaniteu de« Hafens eine Anzahl schnmU^yV 
wollener Docken nnfgefalien sei. die mit Klumpen von Pfeüwttiz, eint c 
.wOb&ticb• Typbarpatienten gegebenen Gericht, sowie mit Blatspaten und «W’ 
Flecken behaftet waren. Diese Decken sind dann Sofort dein zaetSndigefc i(iAl;* 
tfiriotflgno Übemndt, der feststcllte, dass nicht weniger nie 70% der 
■ tita TypbusbazUien ger»de*n wimmelten. Der Direktor der Axmeevorri' ■ * 
Xrieg*miniateriuin sei sofort telegraphisch erauebt, die Yeräussernng ä ■ 

Kap zurSckkommenden Docken za. inhibieren; es »Oien att*r schon vi< • 
Decken weitemtkauft. Dio Behörden forschen Jet**, eifrig ja #» MÜh; **£•'. 
Machen Städten nach dem: Verbleib dar getäh fliehen JfojjpiJan ,4vgtPPt: 

lieh nahezu 1&800Q Bocken «bao lade Besintgntig 'tairitn«ih«rt'.'<ia$. 
fipBhr AgenUn, die sehr efnträgliche Gahchäfce damit gemacht haben, 
gaa* England, Ttellnicbt wich in 1 # Aintand verkauft «ow, Attsscrdoi; 

40 Tonnen mit 300Ö0 Dnckoa von der $aaUit*heliörda. ffijr^ludadmiair--;.^^!^! 
Sbepncy mit B«chlag belegt, da auch hei diosOn durch hakfarioiogiache Wfim 
»ftobang das Vorhandensein vön Typhusbatülen in reichlicher Menge 
.«teil* ist. .'-v'“ /; 'r v: 

. :■ >Kr". ■ '• -.vV- • .• f «VA • jUi\l . - ./V* . . .. • • 



'i3ß. 





Preu8sischer Medizinalbeamtenverein. 

XX. Hauptversammlung 

in H»1I e a. «- 

„Grand-Hötel Bode“, Magdeburger - Strasse, nahe am Bahnhof. 


Freita^t den 11. September: 

8 Uhr Abends: Begrüasung im „Grand-Hötel Bode" (mit Damen). 

Sonnabend, den 12. September*: 

8 Uhr Vormittags: Sitzung im Festsaal des „Grand-Hötel Bode". 

1. Eröffnung der Versammlung. 

2. Geschäfts* und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren. 

3. Praktische Erfahrungen bezüglich der Dienstanweisung der 

Kreisärzte, insbesondere betreffs Ortsbesichtigungen und 
Jahresberichte. Referenten: B. Kreisarzt Dr. Schäfer in Frank¬ 
furt a. 0. und H. Kreisarzt Dr. Herrmann in Bitterfeld. 

4. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrerisoren. 

5. Heber die gerichtsärztliche Beurteilung der Epilepsie. Referent: 

H. Gerichtsarzt Dr. Neid har dt in Altona. 

Haoh Sohluss der Sitzung: Besichtigungen. 

6 Uhr Nachmittags: Festessen (mit Damen). 

Das Nähere betreffs der Besichtigungen und Bestellungen ron Woh¬ 
nungen wird später mitgeteilt. 

Minden, den 20. Mai 1903. 

Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins. 

Im Auftr.: Dr. Rapmnnd, Vorsitzender, 

Reg.- u. Geh. Mod.»Rat in Minden. 

Deutscher Medizinalbeamten - Verein. 

Zweite Hauptversammlung 

in 


Sonntag:, den 13. September. 

8 Uhr Abends: Begrttssung (mit Damen). 

Montag, den 14. September. 

8 Uhr Vormittags: Erste Sitzung. 

1. Eröffnung der Vcrsammluug. 

2. Geschäfts- und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren. 

3. Die reichsgesetzliche Regelung des Irrenwesens. Referenten: H. 

Geh. Ued.-Rat Dr. Weher, Direktor der Heil- und Pflegeanstalt 
SonneDstein i. Sachsen, H. Landesrat Dr. Vorster in Düsseldorf 
und H. Reg.- n. Med.-Rat Dr. Rus&k in Köln. 

6 Uhr Naohmlttags: Festessen (mit Damen). 

Dienstag, den IS. September. 

8 Uhr Vormittags: Zweite Sitzung. 

1. Verhütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten dnreh die 

Schulen. Referenten: H. Prof. Dr. Leubnscher, Reg.n.Med.-Rat 
in Meiningen und H. Reg.-Rat a.D. Prof. Dr. Tj&den, Direktor 
des bakteriologischen Instituts in Bremen. 

2. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren. 

3. Beiträge zur pathologischen Anatomie der Kohlenoxydvergiftung. 

Referent: H. Kreisarzt Dr. Sch äff er in Bingen a. Rh. 

4. Die Photographie im Dienste der gerichtlichen Medizin. (Mit 

Deinoubtr&tionen.) Referenten: H. Prof. Dr. Strass mann in 
Berlin und H. Dr. Artb. Schulz, Assistent am Institut für 
Staatsarzneikunde in Berlin. 

Das Nähere betreffs des Sitzungssaales, der Besichtigungen, Bestellungen 
von Wohnnngen n. s. w. wird später mitgeteilt werden. 

Minden, den 20. ll&i 1903. 

Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereins. 

Im Auftr.: Dr. Bapmnnd, Vorsitzender, 

_ _ _Reg.- u. Geh. Med,- Rat in Minden. 

Verantworte Redakteur: Dr. Rapmnnd, Reg.-n.Geh.Med.-Rat in Minden i. W. 

J. C. C. Brune, Herzog). Siebt, n. F. Seh.-L. Hofbucbdrnckerel In Minden. 

































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Br. OTTO MPMBHD, 

Be>fJerwtt(r> i «nd £«K*, tu Bfladeo. 


Verlag von Fiseher’s medk BuelibMdlg,, E Kornfeld 

Hersofrl. Bayer. Hof' ts. ErshoraogL Kanute«: * BacMändlot. 

Berlin W, 35, Lützowatr. 10. 

aehtnom 4 i« Y#tfog*fc*B 4 J 4 ftf s«»M * 11 » Aaa»n* 4 £*irp»d 1 ti*>a*a 4 «« ln* 


Nr. 12. | Kfehelut «an l,«Rd 15. Jcdeu l»ntüf !j 15 . Jnjfli 


Desinfektoren und Gesundheitsaufseher in Landkreisen, 

Yob ivraawat an*l Mediaioalrst Dr, Fielite io Bulle a. 8 . 

Weim ich auch nicht erwartet batte, (lass meine in . - 

dieser Zeitschrift entwickelten Anschauungen aUseifcigeti ]:•.• 
ttridea worden, bin ich doch m hohem Grade erstaunt üb 
& widerühg'. des• Herr» : Kollegen Dü tat*& fc e ln Nr. 10 derwiben 
Zeitschrift.. ,y ." . -i. 'V -y' * 

Hätte ich annähernd einen so sotiveräneo Ton in m^owti 
Artikel angescMÄgea, wie Kollege t> Üt s c h k e in dein seif;? 
dann könnte ich mir die Entrüstung erklären. 

Vielleicht wäre ich nicht so falsch verstanden worden, ftÄtle 
ich für meinen Aufsatz mehr Raum in Anspruch nehmen ki'-; 
feh begnüge mich mit einigen kumn Erklärungeü; denn .< 
mir liegt daran, unsere Einrichtung nicht in Misskredit bri; 
zu lassen, 

K Ich habe die Einriehtung im Bezirk Arns» 
keineswegs „Rchlankweg als verfehlt“ bezeici 
soödern hur in masevoller Weise bezweifelt, dass sich die Ver¬ 
bindung von Desinfektoren und üesniidheitsaufseheiii in 
einer Person bewähren wird. Dieser Zweifel wird vou - 
groaaen Anzahl Kollegen geteilt, 

'% Der Ausdruck ^usammmeftgewürfelte Leute 
««Ibatversländlich keine Beieidigusg sei», sondern nnr das uns 
drücken sollen, was Kollege Diitsehke selbst empfindet, wm*. 
w wftnscht, dass „Friseure, Barbiere und Polizeidiener“ ■> •• - 






442 Dr. Fielitx: Desinfektoren and Gesandheitsnafseher in Landkreisen. 


stossen werden, doch jedenfalls weil sie zu solchem Amte dort 
ebenso wie bei uns nicht für geeignet gehalten werden. 

3. Ich behaupte auch heute, dass Gesundheitsaufseher von 
solchem Bildungsgrade unter keinen Umständen Zutritt in jedes 
Krankenzimmer verlangen können. Ich fürchte, solche Einrichtung 
würde bei dem Kapitel von der „Beunruhigung durch die Kreis¬ 
ärzte“ eine Verwendung finden, die unseren ganzen Bestrebungen 
schaden müsste. Auch gestehe ich offen, dass ich persönlich den 
Eintritt derartiger Gesundheitsaufseher bei weiblichen 
Kranken meines Hauses nicht dulden würde. 

4. Mit meiner Einrichtung der Gemeindepflege bin ich offenbar 
falsch verstanden worden; denn es ist doch klar, dass wir 
Kurpfuscherei verhindern von Gemeindeschwestern, die wir selbst 
anstellen! Natürlich kostet auch das Mühe: der Kreisarzt 
muss als Vorstandsmitglied des zahlenden Vereins die Aufsicht 
üben oder er ist in Kreisen, welche die Pflegerinnen aus Kreis¬ 
mitteln bezahlen, kraft seines Amtes hierzu befugt. 

Glaubt Kollege Dütschke vielleicht, dass Gesundheits¬ 
aufseher, welche Krankenzimmer, Schulen u. s. w. revidieren, 
nicht ebenso zur Meinung kommen können, etwas von Kranken¬ 
behandlung zu verstehen? Das ist bei allem niederen Heilpersonal 
der Fall und umsomehr, je geringer dessen allgemeine Bildung ist. 

Der Hinweis auf Kollege Coesters Erfahrungen ist nicht 
am Platze; denn diese beziehen sich nicht auf Gemeinde¬ 
schwestern in unserem Sinne. 

Ich bedauere allerdings, dass gerade dieser Aufsatz dem 
meinigen folgen musste, bin aber trotz alledem überzeugt, dass 
wir im ganzen Lande nach einer Krankenpflege durch weibliche 
Personen streben müssen. 

Auch bei fortlaufender Aufsicht werden Uebergriffe Vor¬ 
kommen; können wir solche doch nicht einmal bei unseren Heb¬ 
ammen verhüten! Den grossen Segen der Einrichtung soll man 
aber deshalb nicht verkennen. 

5. Dass unsere Einrichtung nicht vollkommen und voraus¬ 
sichtlich die Zahl von 2 Desinfektoren nicht ausreichend ist, habe 
ich ja selbst zum Ausdruck gebracht. 

Hätte ich 10—12000 Mark zur Verfügung, so würde ich 
trotzdem nicht nach Dütschkes Empfehlung 8 Desinfektoren 
anstellen, sondern zunächst den Kreisdesinfektor mit Automobil 
ausrüsten. Nur die Entfernungen erschweren den Dienst und in 
der grossen Hälfte des Jahres reicht trotzdem im langgestreckten 
Saalkreise 1 Desinfektor aus. 

C. Diese Ausdehnung meines Kreises verhindert auch häufig 
die Feststellung erster Fälle an ansteckenden Kinderkrankheiten. 
Im Bezirk Arnsberg liegen in dieser Beziehung die Verhältnisse 
anders; auch scheinen dort nach Dütschkes Schilderungen 
sämtliche Erkrankungen zur ärztlichen Kenntnis und damit zu 
rechtzeitiger Anmeldung beim Kreisarzt zu gelangen. Dagegen 
ist in der Provinz Sachsen die Kurpfuscherei viel zu verbreitet, 
wie ich in meinem Artikel besonders hervorhob. 



Ana Versammlungen and Vereinen. 448 

7. Dass die Ausbildung in einer Desinfekt-ore nach 
weit besser und' gründlicher ist, als die darob den Kim ; ; 
wird von d«a Kreisärzten unseres Bezirke aeidloa an&rh >om 
Wir sind persösiicü gar nicht im stände, den Leuten Emridiuiüg 
und Vnrsöge der einzelnen Apparate m zeigen, weil -wir stets 
nur ein Muster znx Verfügung haben ; wir können noch wev 
Verßuche mit Bakterien in der Weise vortuiaren, wie da* im 
hygienischen • JtoaMbüii- öder in jedem Uafcersuctmngßamt möglich 
ist II. 8. w. 

Dass die Desinfektörensehuie »Jeden Mann zum Desinioktnr 
aoRbüden muss, mag es gehen wie es will, schon im Intereese 
der De8iüfektoreüsc*Jiöe% das verstehe ich nicht; denn h-n 
kaaa doch nicht anuehmen, dass Kollege Dütschke meint, die 
Priifongskonnniösioo gehe weniger gewissenhaft zu Werke, 
der einzelne Kreisarzt! 

Zürn Schlüsse möchte ich..Herrn Kollegen Üütechke m 
teilen, dass auch mir in meiner langen Amtszeit grosse mi*i 
schwöre Epidemien begegnet sind und dass ich - was doch 
nehmen war — nicht ohne Erfahrung an die • Organisation ■ 
Desinfektionaweaens io meinem Kreise herangegangen bin. 










Au* Versammlungen und Vereinen, 

Bericht fibev die amtlfrXiC' ffrtammlang der Medisrifial- 
beamten de» Rcg.-ße*. Biwdrn am 89. Xovembrr 190'? im 
MitxnafMNaair der Kbniglirhi'n Kt‘git i rnHg. 

Anwesend waren: Die Herren Regierungspräsident ./Rehresfoet, uu.,- 
Keg.-liat r. L&pka, Beg.a. Geh. Med.-Bat Dr. Hnpniaad, Reg 
Mackensen, fieg.-Bat BeigeU, Bef.“ n. Schalrat GregoroVitosi Bag:- 
Eat Dr. La eg et.. Äeg.-Aaaeesor f/Afchoff; die Kreisärzte Herren Dt $ • :• 
bolter-Minden, Gr. Doakmsnn-Lübbecke, Med.-Bat Gr- Bheinei. 
foid, Med.-Rat Dr. NÜonI d gfaelf-Bielefeld, Med.-Rat Dr. Schlütär-iUUe«- 
loh, Med.-Bat Dr. Bart»vber • Bilren, Med.-Rat Dr. Clan s-Werburg, M 
Bat Dr. Klage-Höxter. Aassordem die Herren Kjeisphys, D. Geh S«n.- 
Kat Dr, Möller-Minden, Kreis wandarst *. D. S&n.-Bat Dr. Beatt.*'.?. 
Neohans, Krdswundarjrt s. D, Saa.-Rat Dr. Hillebrecht-Vlotho und v 
Am Dr. Loet-Büren, ataatsöratlich geprüft. 

Dtn 11 Uhr vormittags ef Öffnete. der H. Regieruagspräsidetr t die 
Sitsnsg-, indem er die Anwesenden willkommen hieaa und es trendig begn;, 
dass in die Tätigkeit der Modiainalbeamten eia nsaer frischer Zug gekonnt) tn 
sei, nachdem ihnen darcb daa SreiaarttgeaeU die Möglichkeit gegeb-o ■« >. 
oliftöiitaihen ans eigene» ihitlatite im Geflandhehöinteresse «tt wirken ohne 
einen Anfteag dakö in jedem fiUnselfaite absuwarten. 

Nachdem mm ML?Reg.- fl- Ö&» Med.-Rat Dr. Rapwnnd die Leitung 
der Varäammia'ag übernommen, erhielt B. Kreiemt Med.-Bat Dr, Schlo 
Offtarsloh das Wort für sein Referat: „Die Tätigkeit der Mediztnalbeesoteu 
auf dem Gebiete der Schulhygiene“ and führte ans,' 

Der Kreisarzt solle alle Scholen in ff jährigem Umlauf besichtigen 
Anleitung des Pormalarg IX der Dienstanweisung. Das könne nicht v 
gentlich geacbehea, da andere Behörden (Lsndrat, Breiöschalinspekt «*i 
Fottbildnnge- ftttd Rachaabaltsn der Vorsitzende des Schulröretandee) zaVosif*.-.. 
rißhtigen sind. Ancli fehlt meisten» die Zeit zur Scbulbeaicbtigung. 
andere Dinnatirerrlchtosgea «n erledigen sind. Können Ortsbesichügnngo 
in kleineren Gemeinden, mit Scbttlbasichtigaugeü vorhanden werden, so • 
den letzteren äq beginnen. Es empfiehlt sich, za denselben nnsser dem lo¬ 
tenden Lehrer, dem Schulvorstande noch die bansechverständigen MitglJi dt* 


444 Ans Versammlungen and Vereinen. 

der Gesundheitskommission and den Schularzt zozosiehen, sowie nach der Besieh* 
tigung die Abstellung der gefandenen Hiagel mit dem Schulvorstande sa be¬ 
sprechen, am ihn von der Notwendigkeit and Zweckmässigkeit der vorgeschla- 
genen liassregeln za überzeugen. Referent betonte bei dieser Gelegenheit die 
Anstellung von Schulärzten, denen die Ueberwaohang des Gesundheitszustandes 
der Schulkinder and die Untersuchung der neuaafgenommenen Kinder obliegen 
müsse. Der Medizinalbeamte könne aas Mangel an Zeit diese Untersuchungen 
nicht aasführen. Der Kosterspamis halber dürfte sich die Anstellung der 
Armenärzte als Scholärzte empfehlen. 

An der Hand des Formulars IX der Dienstanweisung erörterte der Vor¬ 
tragende sodann einzelne wesentlichere, bei der Besichtigung der Schalen 
za beachtende Punkte: 

a. Besichtigung. Hier wird die Lichtprüfung mittels Aristopapier 
empfohlen und auf die Unsitte hingewiesen, dass die unteren Fenster vielfach 
durch weisse Oelfarbe geblendet werden, wodurch der Lichteinfall sehr beein¬ 
trächtigt würde. Als Schutz gegen direktes Sonnenlicht sollten nur helle and 
nicht gemusterte Vorhänge Verwendung finden. 

b. Für die Lüftung der Soholzimmer sind Kippfenster in den Ober¬ 
lichtern der Fenster am meisten zu empfehlen. 

o. Die Erwärmung geschieht am besten durch Mantelöfen (Bornsehe 
Lufterwärmungsöfen), die der Raumersparnis halber nicht in der Mitte der 
Längswand des Zimmers, sondern in einer Ecke stehen sollen, und denen die 
frische Luft nicht vom Flor aus, sondern von nassen znsaführen ist. 

d. Die Reinigang der Sohulzimmer hat täglich daroh feachtes Auf¬ 
nehmen and wöchentlich einmal durch Scheuern zu erfolgen. 

e. Als Schulbank ist in erster Linie die RettigBche zu empfehlen, 
da sie die Reinigang erleichtert. 

f. Zur Verhütung der Staabaufwirbelang dient ein Anstrich des 
Fussbodens mit Dustless-Oel; ein dreimaliger Anstrioh jährlich genügt 
and kostet (bei ca. 50 qm Zimmergrösse) 12,75 Mark. 

g. Für die Garderobe sind ansserhalb der Schnlsimmer Kleiderhaken 
anznbringen. 

b. Gänge and Flare müssen genügend breit and hell sein. 

i. Für die Aborte ist die Einführung des Torfstreasystems sehr zweck¬ 
mässig. Im Pissoir müssen Fassboden and Wände bis .1 m Höhe durch Zemen¬ 
tierung wasserdicht hergestellt werden. 

k. Der Hof ist zu pflastern. 

L Brunnen sind als eiserne Röhrenbrunnen anzulegen. 

m.Ueber den Gesundheitszustand der Kinder muss der Kreisarzt 
▼om Lehrer Auskunft za erlangen suchen. 

Der Korreferent, H. Kreisarzt Dr. Kluge-Höxter, bemängelt zu¬ 
nächst, dass im Formular IX unter 6 keine Frage über Spucknäpfe aufge¬ 
nommen ist und dass die Abortgruben oft viel zu gross angelegt und zu selten 
gereinigt würden. 

Auch fehle eine Frage über die Lehr* und Lernmittel, auf die 
ebenfalls das Augenmerk zu richten sei. So seien schwarze Wand- und Schiefer¬ 
tafeln zu verwerfen und durch weisse. die mit Schwarzstift bezw. Bleistift be¬ 
schrieben würden, zu ersetzen. Auch die Grösse der Schrift in den Schul¬ 
büchern entspreche oft nicht den für die Erhaltung der Sehkraft zu stellenden 
Anforderungen, z. B. sei sie zu klein in der Bibel für die evang. Volksschulen 
und in dem Katechismus für die katb. Volksschulen der Diözese Paderborn. 

Bei Prüfung der Schulbauvorlagen würden einzelne Punkte manch¬ 
mal übersehen, z. B. ruhige Lage, Anordnung der Flure nach Westen, damit 
die Zimmer vor Schlagregen geschützt sind. 

Die Treppengeländer sind durch Knöpfe oder Pfosten zu unter¬ 
brechen, um ein Herabratsehen der Kinder zu verhüten. 

Die Z wisch endeckenfttllung soll auch den Schall vermindern (Torf 
oder Kalk mit Torf). 

Die Wände der Schnlsimmer werden am sweckmässigsten bis auf 
1*/* m Höhe mit Oelfarbe gestrichen oder noch besser mit Holzpaneel versehen. 

In der sieh anschliessenden Diskussion betont zunächst H. Reg.- u. 
Geb. Med.-Rat Dr. Rapmund, dass die für den Bau dev Schulen muss- 



Au Versammlungen und Vereinen. 


445 


gebenden Grundsätze bisher ron den Kreisärzten vielfach unbeachtet gelassen 
seien. Bin gründliches Studium der PlKne und besonders der zugehörigen Er- 
lluterungsberichte und Kostenanschläge sei aber unbedingt erforderlich, wenn 
der Kreisarzt nicht Gefahr laufen wolle, dass etwaige von ihm übersehene 
Mlngel ihm sp&ter zur Last gelegt würden. Sind die Vorlagen unvollstindig, 
so müssen sie stets zur Vervollstindigung zurückgegeben werden. 

Zu den einzelnen Punkten bemerkt er: Schon bei der Wahl des Bau¬ 
platzes müsse auf die Beschaffung guten und genügenden Trinkwassers ge¬ 
achtet und bei dem vorzulegenden Projekte eine genaue Bausbeschreibnng ies 
zu erbauenden Brunnens verlangt werden (am besten eiserner Röhrenbrunnen 
von 15—20 cm Weite oder Wandungen aus Zementringen). 

Bei den Schuiräumen ist ihre Lage und innere Binrichtung zu prüfen. 
Die Ventilationsrohre müssen mindestens 35 cm Durchschnitt haben; die 
Zufuhr der frischen Luft für die Hantel-Zirkulationsöfen muss nicht vom Korridor 
aus, dessen Luft durch Ausdünstungen der Kleider, Staub u. s. w. verschlech¬ 
tert werde, sondern aus dem Freien entnommen werden. Um eine genügende 
Beleuchtung zu erhalten, muss die Fensterfläche mindestens Vs oder die 
Glasfläche V« der Grundfläche betragen. Bei 3 Hügeligen Fenstern müssen ent¬ 
weder alle Fensterflügel oder wenigstens die beiden unteren seitlichen und 
der obere mittlere zum Oeffnen eingerichtet sein. 

Holzpaneele seien zweckmässig und, wenn die Kosten dafür bereit 
gestellt werden könnten, sehr zu empfehlen. 

Bezüglich der Nebengebäude nnd Nebenräume sei zu achten auf 
eine richtige Lage der Wohnungen (des Lehrers, Schuldieners u. s. w.) zu den 
Sehulräumen; getrennte Zugänge, auch Treppen, seien für diese zu for¬ 
dern. Bei grösseren Schulen, in denen keine Scbuldienerwobnung vorgesehen, 
empfehle sich eine Rückfrage dieserbalb, da häufig im Projekt darüber nichts 
vermerkt sei, weil man dies für unnötig halte. 

Die Aborte bedürfen guter Ventilation und besonders guter Beleuch¬ 
tung; je besser die Aborte durch Tageslicht erleuchtet sind, desto weniger 
werten sie von den Kindern beschmutzt, zudem wirke Sonnenschein bakterien¬ 
tötend. Den Pissoirs entsteigen oft schlechte Gerüche, weil bei dem Ab¬ 
flussrohr zu der Abortgrube ein Wasserverschluss fehlt. Die Abortgrube werde 
oft nicht überwölbt und zu gross projektiert. Desgleichen seien bei den Ab¬ 
ortsitzen oft weder Deckel, noch Aborttrichter vorgesehen. 

H. Reg.- u. Schulrat Dr. Gregorovins lenkt die Aufmerksamkeit auf 
zwei Punkte, die noch zu beachten seien: Erstens müssten alle Türen nach 
aussen aufscblagen, damit eine schnelle, ordnungsmässige Entleerung der 
Zimmer und Korridore möglioh sei nnd bei einer Panik Unglück verhütet werde. 
Zweitens solle der Schulhof möglichst gross sein, damit die Kinder auch auf 
ihm spielen könnten. Der Rand desselben wäre zweckmässig mit Bäumen zu 
bepflanzen. 

BL Ober-Beg.-Rat v. Lüpke fragt über die beste Orientierung der Schnl- 
häuser an. Meistens werte eine Lage der Fenster nach Ost und Ostsüdost ge¬ 
fordert; teilweise finde man auch reine Nordlage. 

H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund erwidert, dass die Hygieniker 
darüber noch verschiedener Ansicht seien. Doch sei die Lage naeh Osten und 
Süden jedenfalls besser als die nach Norden, da die nach dieser Richtung lie¬ 
genden Zimmer gar kein direktes Sonnenlicht erhielten. Die Nordlage sei nur 
für weniger benutzte Zimmer (Zeichenränme, Singsäle u. s. w.) zu empfehlen. 
8ehulzimmer nach Westen seien namentlich mit Rücksicht anf den Nachmittags¬ 
unterricht unzweckmässig. 

Auf die Turngeräte übergehend, wünscht Redner Schuppen für deren 
Aufbewahrung, da sie im Freien dem Wind nnd Wetter ausgesetzt seien, bald 
schadhaft würden und zu Unfällen Veranlassung geben könnten. 

H. Reg.- u. Schulrat Dr. Gregorovins entgegnet, dass das Turnen 
zwar obligatorisch sei, aber doch sehr im Argen liege. In der Hauptsache 
bestehe es nur in Freiübungen; Geräteturnen in den ländlichen Volksschulen 
werte wenig gepflegt. 

H. Ober-Reg.-Rat v. Lüpke meint, die Glasfläche der Fenster müsse 
*/, der Fussbodenfläche betragen. Den Klagen der Lehrer gegenüber den sog. 
VentOationsöfen betont er, dass diese meistens darauf zurückzuführen seien, 
dass die Oefen nicht richtig bedient werten. 



446 


Ana Versammlungen and Vereinen. 


H. Reg.- a. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmnnd beetitigt dies. Wenn die 
Bedienung der Oefen richtig erfolge, so seien die Lehrer ausserordentlich damit 
sufrieden; etwaige Klagen beruhten in den meisten Fällen auf eine unsaoh- 
gemässe Behandlung. Für die Bemessung der Fensterfliche sei nach der 
jetsigen Anweisung die lichte Maueröffnuug und nicht die lichtgebende Glas¬ 
fläche massgebend. Da aber Rahmen und Sprossen sehr häufig ausserordentlich 
breit besw. dick bei den Fenstern gemacht werden, so sei es zweckmässiger, 
die Grosse der lichtgebenden Fensterfläche als Massstab anzunehmen. Dann 
konnte auch */« der Fussbodenfläche genügen. 

H. Reg.-Rat Mackensen regt den Erlass einer allgemeinen Verfügung 
über die Prüfung der Schulbaupläne an. 

H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund stimmt dem zu. 

H. Kreisarzt Dr. Nttnninghoff-Bielefeld demonstriert die verschie¬ 
denen Methoden der Helligkeitsmessungen für die verschiedenen Plätze 
in den Schulzimmern (den Zink sehen Apparat von Pbysikns Pfeiffer, das 
Web ersehe Photometer, das auf der Verwendung chlorsilberhaltigen Papiers 
beruhende, vom Baurat Win gen angegebene Aristopapier-Verfahren sowie 
den Wingenschen Apparat). 

H. Regierungspräsident Schreiber bringt zur Sprache, dass bei den 
in den letzten Jahren im Kreise Büren errichteten Schulbauten, besonders deren 
Westwände, sehr feucht seien. 

H. Kreisarzt Med.-Rat Dr. Bartsoher-Bttren bestätigt diese Beobach¬ 
tung; ihre Ursache sei in der Verwendung hygroskopischen Materials zu suchen. 

H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund erklärt in Uebereinstimmung 
mit H. Kreisarzt Med.-Rat Dr. Claus-Warburg, dass vielfach die Stärke der 
Aussenwände unzureichend sei; dieselbe sollte auf der Schlagseite auf min¬ 
destens 2 Steine bemessen werden. An bestehenden Gebäuden lasse sich gründ¬ 
liche Abhttlfe durch Bekleidung der Mauern an den Anssenseiten mit Schiefer 
schaffen. 

Redner fügt hinzu, dass die Verfügung darüber, was der Kreisarzt bei 
Prüfung der Schulbauvorlagen zu beachten habe, zweckmässig so gefasst werden 
müsse, dass sie gleichzeitig auch dem Architekten für die Ausarbeitung der 
Schulbaupläne einen Anhalt bieten kOnne. 

H. Regierungspräsident Schreiber ist damit einverstanden. Vor Er¬ 
lass der Verfügung sollen jedoch die Landräte, Kreisärzte und Eireisbauinspek¬ 
toren über den Entwurf dazu gutaohtlioh gehört werden. 

Es folgt nun die Erörterung über das Verfahren u. s. w. bei der Schal¬ 
besichtigung selbst. 

H. Reg.-Assessor v. Asch off regt an, auch den Amtmann zu den 
Sohulbesiohtigungen einsuladen, einmal als praeses in externis des Schulvor¬ 
standes und dann, weil er später als Verwaltungsbeamter mit dem Schulvor¬ 
stande über die Abstellung der Mängel zu verhandeln hat. 

H. Reg.-Rat Fei gell hält dies auch für richtig; die Einladung geschehe 
am besten durch den Landrat, da dann am ersten auf die Teilnahme des Amt¬ 
manns an der Besichtigung zu rechnen sei. 

H. Reg.-Ass. v. Aschoff stimmt dem zu, nur müsse dann die Benach¬ 
richtigung des Landrats rechtzeitig geschehen. 

H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund fürchtet, dass die Zeit nicht 
immer dazu ausreieht. 

H. Regierungspräsident Schreiber empfiehlt daher direkte Benachrich¬ 
tigung des Landrats und des Amtmanns durch den Kreisarzt. 

H. Reg.- u. Schulrat Dr. Gregor ovlus bittet auch den Ortsschulinspektor 
zuzusiehen. 

H. Regierungspräsident Schreiber hält dies für zweckmässig. Die 
Einladung müsse durch den Amtmann geschehen, da der Kreisarzt den Orta- 
sehulinspektor oft nicht kenne. 

H. Ober-Reg.-Rat v. Lfipke kann der These 4 des Referenten nicht 
beistimmen. Der Kreisarzt sei nicht im stände, streng zu trennen, was not¬ 
wendig und was erwünscht sei, da er die Leistungsfähigkeit der Interessenten 
nicht kenne. 

H. Regierungspräsident Schreiber fasst den Leitsets so auf, dass der 
Kreisarzt keine Anordnungen treffen, sondern nur den Schulvorstand am Schluss 



Ans Versammlungen und Vereinen. 


447 


der Besichtigung toi der mehr oder minder grossen Notwendigkeit, den Män¬ 
geln abzuhelfen, sn ttbersengen suchen solle. 

H. Reg.- o. Geh. Med.-Rat Dr. R&pmnnd meint, dass der Kreisarst aller¬ 
dings auch etwas von der Leistangafthigkeit der Schal- n. s. w. Gemeinden 
kennen müsse, am danach seine Vorschläge einrichten sn können. 

H. Reg.-Rat Mackensen hält den Leitaats 1 für sn weitgehend, da 
die genaue Aufnahme des ganzen Befundes in die Verhandlung dem Kreisarzt 
nur Mühe verursache und auch das Durchlesen der Verhandlungen seitens der 
beteiligten Behörden nnnOtig viel Zeit beanspruche. Zweckmässiger sei es, nnr 
die Mängel anfsnführen. 

H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmnnd erwidert, dass eine so ge- 
genane Aufnahme des Befundes nur für die erste Besichtigung gefordert 
werde und ausserdem nötig sei, um eine Nachprüfung bei der Regierung zu 
ermöglichen. Bei späteren Besichtigungen genüge, soweit nicht deutliche nnd 
andere Veränderungen eingetreten seien, die Aufführung der Mängel und der 
Mittel zu deren Abhttlfe. 

Die Diskussion geht dann über zur Reinigung der Schulzimmer. 

H. Reg.- u. Schulrat Dr. Gregororius teilt mit, dass nach den jetzigen 
Bestimmungen täglich ein Ausfegen der Schulzimmer, alle 8 Tage feuchtes 
Aufnahmen und alle 4 Wochen ein gründliches Scheuern des Fussbodens statt¬ 
zufinden habe. Ein tägliches feuchtes Aufnehmen hält er für sehr zweck¬ 
mässig, aber nur durchführbar, wenn Schulkinder dazu herangezogen würden. 
Früher habe man mit der Reinigung durch Schulkinder sehr gute Erfahrungen 
gemacht. Dies sei jedoch jetzt nicht mehr statthaft. Die Kosten des Reinhal- 
teus betrügen etwa für die Klasse 60 Mark jährlich. 

H. Reg.-Rat Loegel hält Dustless-Oel zum Streichen der FassbOden 
für zu teuer, da der Anstrich alle 6 Wochen erneuert werden müsse. 

Die Herren Kreisärzte Dr. Nünninghoff-Bielefeld und Med.-Rat Dr. 
Schlüter-Gütersloh bemerken, dass das Oel sich in den Schulen Bielefelds 
und im Seminar in Gütersloh sehr gut bewährt habe. In Gütersloh würden 
zum Ausfegen aber keine Piassava-, sondern Kokosbesen benutzt. 

H. Ober-Reg.-Rat ▼. Lttpke fragt an, ob das Oelen älterer FassbOden 
in Schulen überhaupt zu empfehlen sei. 

H. Reg. u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund erwidert, dass neue FassbOden 
mit reinem, gekochtem LeinOl getränkt nnd dies alle 2 Jahre wiederholt werden 
müsse. Bei astfreiem Holze, dessen Abnutzung gleichmässig sei, bewähre sich 
dies auch bei älteren FassbOden sehr gut. Ist der Fassboden aber ungleich¬ 
mäßig ausgetreten, dann nützt der Oelanstrich nichts. Leider werde der 
Kosten wegen zu häufig die rechtzeitige Wiederholung des Oelens der Fuss- 
bOden unterlassen. 

Redner erklärt es weiter in gesundheitlichem Interesse für erwünscht« 
dass die FassbOden täglich feucht aufgenommen, sowie Tische, Bänke, Schränke 
u. s. w. täglich feucht abgewischt und mindestens wöchentlich einmal ein 
gründliches Reinigen (Scheuern) des Fussbodens u. s. w. stattfindet. 

H. Kreisarzt Dr. SudhOlter-Minden regt an, kranke, insbesondere 
tuberkulöse Scheuerfrauen yon der Beschäftigung bei Reinigungsarbeiten in 
Schulhäusern auszusohliesBen. 

H. Regierungspräsident Schreiber hält eine häufigere Reinigung der 
Schulzimmer für angezeigt und ersucht die Schulabteilung, diese Frage'in ernste 
Beratung zu ziehen. 

Betreffs der Lern- becw. Lehrmittel fragt H. Reg.- u. Schulrat Dr. 
Gregororius an, ob schwarze Tafeln für die Augen der Kinder schlechter 
seien als weisse, was H. Reg.- u. Geb. Med.-Rat Dr. Rap man d bejaht. Da 
die letzteren H. Kreisarzt Dr. Kluge-HOzter auch für nicht teurer erklärt, 
wünscht H. Regierungspräsident Schreiber die Anstellung eines Versuche 
mit weissen Tafeln. 

Wegen vorgerückter Zeit wird die Besprechung der Schularztfrage 
ausgesetzt und in den zweiten Punkt der Tagesordnung: 

Bekämpfung des Unterleibstyphus und der Ruhr mit besonderer 
Berücksichtigung der durch den Ministerialerlass vom 25. September 
1902 mttgeteUten Entwürfe zu einer gemeinverständlichen Belehrung 




448 


Au Versammlungen und Vereinen. 


aber diese beiden Krankheiten nnd an Ratschlägen für Aerste betreffs 
der an beobachtenden Vorsichtsmassregeln 

eingetreten. 

Der Referent, H. Kreisarzt Dr. Sudhölter, gibt snnichet ein Krank* 
heitsbild des Unterleibstyphus nnd sehlieest darau, dass der Angriffs* 
pnnkt für das typhöse Gift die Darmschleimhant and die Eingangspforte der 
Verd&uungskanal sei. Die charakteristischen Krankheitszeichen seien jedoeh 
nicht immer alle vorhanden, so dass oft nur die bakteriologische Untersuchung 
die Diagnose sichere. Anderseits sei es aber gerade mit Rücksicht auf die 
nicht stets vorhandenen ausgeprägten Krankheitserscheinungen für die Be¬ 
kämpfung des Typhus von höchstem Werte, dass auch alle Krankheitsfälle an¬ 
gezeigt werden, die den Verdacht von Typhu erregen. 

Ueber die Fundorte der biologischen Eigenschaften und die Lebens¬ 
fähigkeit des spezifischen, wohlcharakterisierten Typhusbacillus, sowie 
über die Medien, in denen er vorzugsweise wächst, wird ausgeführt: 

a. Fundorte: im Darm und in der Milz, in den Roseolen im Speichel, 
Harn und Kot, in letzteren beiden noch wochenlang nach Ablauf der Krankheit. 

b. Lebensfähigkeit: an Deckgläschen angetrookaet 10 Woehen, in 
den Faeces 4 Monate und länger; hei höheren Temperaturen konservieren, ja 
vermehren sich die Bazillen noch. In begrabenen Leichen bis 3 Monate (mm- 
stens gehen sie jedoch früher zu Grunde); im Boden 3—5*/» Monate, auf der 
Oberfläche desselben sterben sie eher ab, als in dessen Tiefe. In nicht steri¬ 
lisiertem Wasser gehen die Typhusbazillen meist nach einigen Tagen zu Grunde, 
können aber unter ihnen günstigen Verhältnissen sich darin vermehren und 
bis 36 Tage lebend erhalten, in sterilisiertem Wasser sogar bis 3 Monate. 
Auf flüssigen oder an der Oberfläche feachten Lebensmitteln ist ihre Konser¬ 
vierung wie ihre Vermehrung bis 5 Wochen möglich. Gegen Säuren sind sie 
ziemlich erheblich, gegen Alkalien dagegen viel geringer widerstandsfähig. 

Aus diesen biologischen Eigenschaften des Typhusbacillus ergeben sich 
die Massregeln zur Bekämpfung und Verhütung der Krankheit: Möglichste 
Isolierung des Kranken, sorgfältige Desinfektion aller Abgänge (Stuhl, Harn, 
Speichel, Auswurf) und Effekten Bofort, des Krankenzimmers nach Ablauf der 
Krankheit, sowie sorgfältige Instruktion des Wartepersonals, um nicht nur eine 
direkte Uebertragung zu verhüten, sondern auch zu verhindern, dass lebens- 
und entwicklungsfähige Typhuskeime nach aussen gelangen. 

Diese Massregeln werden in jedem Falle, rechtzeitig angewandt, ge¬ 
nügen; leider gesohehe dies aber nioht immer und deshalb ist eine wirksame 
Bekämpfung auf breiterer Basis nötig, nämlich: 

1. Schutz des Bodens vor Verunreinigung durch Sammlung der Schmutz- 
Wässer, Jauche, Mist, Abortinhalt in dichten Gruben oder durch sofortige Ab¬ 
leitung aus der Nähe der menschlichen Wohnungen; Assanierung des verun¬ 
reinigten Bodens durch Trockenlegung. Um die in dieser Hinsicht noch beson¬ 
ders auf dem platten Lande herrschenden Missstände zu beseitigen, ist dieser 
Punkt in Verbindung mit landwirtschaftlichen Fragen zu behandeln und Fühlung 
mit landwirtschaftlichen Vereinen zu nehmen. Sehr zu empfehlen ist ein 
womöglich von den Kreisärzten zu erteilender Unterricht in den landwirtschaft¬ 
lichen Schulen, um die heranwachsende Generation über die wichtigeren hygie¬ 
nischen Fragen auf zuklären. 

2. Ganz besonders ist eine Assanierung des Bodens wegen seiner Bezie¬ 
hung zum Trink- und Gebrauehswasser zu erstreben, da diesem bei '/« der 
Fälle die Schuld beigemessen werden muss. Zentrale Wasserleitungen müssen 
daher einwandfrei angelegt und einer ständigen Kontrolle unterworfen werden. 
Kesselbrunnen mit Zieh- oder Drehvorrichtungen oder mit Pumpenstand über 
dem Brunnen sind bedenklich, eingetriebene Röhrenbrunnen dagegen am meisten 
zu empfehlen. Jede direkte Kommunikation eines Brunnens mit Oberfläohen- 
wasser muss auf das peinlichste vermieden und möglichst weite Entfernung 
der Brunnen von Abtritts-, Jauche-, Schmutzwasser - Gruben und Rinnsalen 
gefordert werden; auch dürfen Brunnen für zentrale Wasserleitungen nicht in 
der Nähe von Flüssen oder Ackerland, das gedüngt wird, liegen. Bei der Rei¬ 
nigung der Sammelbehälter müssen die Arbeiter besondere Vorsichtsmassregeln 
in bezug auf die Reinheit ihrer Kleidung und ihres Körpers benähten. 

An Gebrauehswasser für den Haushalt und die Viehwirtsehaft sind die- 


Atu Versammlungen and Vereinen. 


449 


selben Anforderungen wie an Trinkwaner zn stellen; desgleichen ist auf den 
Flussschiffen für reichliches, einwandfreies Wasser sn sorgen. 

3. Beinh&ltnng der Nahrungsmittel, des Obstes, Fleisches und ins* 
besondere der Milch, die schon öfter Typhnsepidemien veranlasst hat. Es 
bedarf deshalb der peinlichsten Reinlichkeit beim Melken nnd bei der Auf* 
bewabrnng der Milch (Sorge für gute reine Stille nnd Reinhaltung des Milch¬ 
viehes durch reichliche Streu, Waschen des Ruters der Milchtiere, Reinigen der 
Milebgesehirre in einwandfreiem Wasser, Aufbewahrung der Milch in besonderen, 
nur für diesen Zweck und vor allem nicht zum Schlafen und Wohnen be¬ 
stimmten Rlumen). Sammelmolkereien müssen Einrichtungen zum Erhitzen 
der Milch auf 85 °/ 0 haben, um die Bazillen unschädlich zu machen, und einer 
regelmässigen Kontrolle unterliegen. Auch bei der Benutzung von Natureis 
ist Vorsicht geboten. 

Am Schluss betont der Referent die Notwendigkeit einer entsprechenden 
Belehrung des Publikums, auch der Aerzte; er hält und bezeichnet den durch 
den Min.-Erlass vom 25. September 1902 in besag auf den Unterleibstyphus 
mitgeteilten Entwurf zu einer gemeinverständlichen Belehrung über diese 
Krankheit und zu Ratschlägen für Aerzte betreffs der zu beobachtenden 
Vorsichtsmassregeln als sehr zweckmässig. 

Der Korreferent, H. Kreisarst Med.-Rat Dr. Rheinen-Herford führte 
dann hinsichtlich der Bekämpfung der Ruhr etwa folgendes aus: 

Seit den grossen Ruhrepidemien, die in den Jahren 1872 und 1873 auch 
im hiesigen Reg.-Bez. geherrscht haben, bat diese Seuche bis zum Jahre 1892 
immer mehr abgenommen, seitdem aber wieder eine Zunahme erfahren, sodass 
energische Massnahmen zu ihrer Bekämpfung nötig sind. 

Unsere Kenntnisse über die Natur des Krankheitserregers sind leider 
noch ziemlich unsicher; doch kann es nicht bezweifelt werden, dass er in den 
Stuhlentleerungen der Kranken vorhanden ist und seine Uebertragung durch 
Teilchen der Faeces entweder direkt von Körper zu Körper oder indirekt 
durch Wäsche, Betten. Kleider, Geschirr, Fassboden, Abortsitsbretter, Nahrungs¬ 
mittel etc. erfolgt. Welche Rolle das Trink- und Nutzwasser bei der Ver¬ 
breitung der Ruhr spielt, ist noch nicht sicher aufgeklärt, doch muss man mit 
der Möglichkeit der Uebertragung durch dasselbe rechnen. Die Bodenbeschaffen¬ 
heit macht sich dagegen im wesentlichen nur so weit geltend, als die Abort- 
und Abwässerungsverhältnisse in Frage kommen. 

Eine seitliche Disposition tritt jedenfalls deutlich hervor; denn die 
Beobachtung lehrt, dass die Ruhr vorzugsweise in der heissen Jahreszeit auf- 
tritt und etwaige Epidemien während der Frostperiode erlöschen. Als Ursache 
hierfür sei anzunehmen, dass entweder die Ruhrkeime während der wärmeren 
Jahreszeit ausserhalb des Körpers bessere Vermehrungsbedingungen finden oder 
die Menschen, die erfahrungsgemäss dann mehr zu Darmerkrankungen neigen, 
eine grössere Disposition für Erkrankung an Ruhr zeigen. 

Die persönliche Disposition ist im allgemeinen ziemlich gross für alle 
Altersstufen. Die Inkubationszeit beträgt 3 Tage, die Krankheitsdauer 
8—14 Tage, in ernsteren Fällen 8—4 Wochen; die Sterblichkeit in Preussen 
durchschnittlich etwa 12°/ 0 . 

Zur Bekämpfung der Ruhr sind nachstehende Massregeln erforderlich: 

1. Anmeldung auch der verdächtigen und der in kälterer Jahreszeit 
vereinzelt auftretenden Fälle. Bei nur verdächtigen Fällen sind dieselben 
Massregeln wie bei ausgesprochenen Erkrankungen zu treffen. 

2. Absonderung der Kranken, insbesondere auch der nur leicht Er¬ 
krankten und der Rekonvaleszenten, eventt. Ueberführung in Krankenhäuser. 

3. Genaue Beachtung der Vorschriften zur Verhütung der Weiter- 
verbeitung übertragbarer Krankheiten durch die Schulen u. s. w. 

4. Belehrung der Umgebung des Kranken, insbesondere des Pflege¬ 
personals; namentlich ist diesen gegenüber die grösste Sauberkeit nach jeder 
Richtung hin zu betonen. 

5. Desinfektion der Ruhrstühle, strengste Reinhaltung der Aborte. 

6. Desinfektion der Betten, Wäsche, Kleider, Wohnungen nach den 
bekannten Regeln. 

7. Verschärfte Ueberwaehung des Verkehrs mit Nahrangs- und Genuss¬ 
mitteln, insbesondere unbedingtes Verbot der Zubereitung zum Verkauf und 
des Feilhaiteni von Nahrangs- und Genussmitteln in verseuchten Häusern. 



450 


Aas Versammlungen und Vereinen. 


8. Sicherung der Brunnen und neutralen WMseryersorgnngtanlagea, 
der Bade* und Schwimmanstalten gegen Verunreinigung, eventl. Schließ un g 
derselben. 

9. Sorge für Reinlichkeit innerhalb und ausserhalb der Wohnungen, 
auf Höfen, Strassen u. s. w., insbesondere unschädliche Beseitigung der Ab¬ 
füllstelle. 

10. Beaufsichtigung des Personenverkehrs aus verseuchten Ortschaften, 
verschärfte Ueberwachung der Herbergen, Massenquartiere u. s. w.; unter 
Umständen Untersuchung oder Beschränkung der Abhaltung von Messen, 
Märkten, Prozessionen und anderen Veranstaltungen, die eine Ansammlung 
grösserer Menschenmengen mit sich bringen. 

H. Reg.- u. Geb. Med.-Rat Dr. Rapmund leitet die Diskussion 
ein, indem er darauf hinweist, dass in der für den Regierungsbezirk geltenden 
Poliseiverordnung die Anseigepflicht nur für verdächtige Typbusfälle, aber noch 
nicht fttr verdächtige Ruhrerkrankungen eingeftibrt ist. Er macht jedoch 
gleichseitig darauf aufmerksam, dass nach mehrfachem Urteil des Kammer¬ 
gerichts die Vorschrift betreffs der Anseigepflicht bei verdächtigen Erkrankungen 
unzulässig sei, da sie über die noch jetzt massgebenden Bestimmungen des 
Regulativs vom 8. August 1835 hinausgebe. Die Aufhebung des Regulativs 
und der Erlass eines preussischen Seuchengesetzes sei deshalb dringend 
notwendig. 

H. Kreisarzt Dr. Kluge-Höxter hebt die Schwierigkeiten hervor, 
genau anzugeben, wann ein Krankheitsfall des Typhus oder der Ruhr ver¬ 
dächtig sei. 

H. Reg.-Rat Feigell teilt dieses Bedenken im gegebenen Falle und 
meint, dass ein wegen unterlassener Anzeige angeklagter Arzt freigesprochen 
werden würde, wenn er erkläre, dass er keinen Verdacht habe. Die Haupt¬ 
sache sei die Gewissenhaftigkeit der Aerste. Es empfehle sieh deshalb in dem 
zu erlassenden preussischen Seuchengesetze eine präzisere Fassung des Begriffs 
„verdächtiger Krankheitsfall" etwa in der Weise, dass ein solcher vorliege, 
wenn ein wissenschaftlich gebildeter Arzt ans den vorhandenen Symptomen den 
Verdaeht auf eine derartige Krankheit annebmen müsse. Bei Unterlassung 
der Anzeige würde sich dann der Arzt eines groben Kunstfehlers schuldig 
machen und seine Bestrafung erfolgen können. 

H. Kreisarzt Dr. Nünninghoff-Bielefeld scbliesst sich diesen Aus¬ 
führungen an, in dem er einen Fall mitteilte, wo die Bestrafung eines Arztes 
wegen unterlassener Anzeige einer Wochenbettfieber-Erkranlrang erfolgte, 
nachdem er als Sachverständiger die Frage des Richters, ob dieser Arzt den 
Krankheitsfall als Wochenbettfieber hätte erkennen müssen, bejaht habe. 

H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund betont ebenso wie die 
Referenten die Wichtigkeit der frühzeitigen Anzeige der ersten verdächtigen 
Fälle, da gerade durch sie am leichtesten eine Verschleppung der Krankheit 
eintrete. Aber diese Anzeige werde häufig versäumt; desgleichen erfolge oft 
entgegen dem §. 11 der Polizeiverordnung ein Wobnnngs- und Ortswechsel 
der erkrankten Personen ohne Kenntnis und Genehmigung der Ortspolisei- 
behörde und werde dadurch die Verbreitung der Krankheit gefördert. 
Namentlich würden s. B. häufig erkrankte Dienstpersonen ohne Vorwissen der 
zuständigen Ortspoliseibebörde in ihre Heimat entlassen. Redner bespraoh 
hierauf noch die verschiedenen Arten der Infektion und hob besonders die 
Wichtigkeit hervor, die Infektionsquelle beim ersten Erkrankungsfalle fest- 
zustellen und diese nicht immer nur im Trink- oder Gebraucbawasser zu 
snehen, sondern auch alle anderen Infektionswege, namentlich diejenigen von 
Person zu Person zu berücksichtigen. 

H. Dr. Loer-Büren führt Beispiele aus seiner Praxis für dieUeber- 
tragung von Typhus von Person zu Person an. 

Die Herren Kreisärzte Dr. Nünninirhoff -Bielefeld und Dr. Kluge- 
Höxter wiesen darauf hin, dass gerade bei Unterleibstyphus das Pflegepersonal 
besonders gefährdet sei, wie sich aus den häufigen Erkrankungen desselben 
ergebe. 

H. Reg.- u. Geh. Med.-Rat Dr. Rapmund erklärt dies daraus, dass 
der Unterleibstyphus sehr grosse Anforderungen an das Pflegepersonal stelle 
und dieses dadurch in seiner Widerstandsfähigkeit herabgesetzt werde. Er 
Mt übrigens eine Uebertragung des Typhusgiftes durch die Luft nicht für 



Aas Versammlungen mid Vereinen. 


4SI 

ausgeschlossen, eine Ansicht, die such von »öderer Seite auf Grund gemachter 
Beobachtungen geteilt wird. Er rät weiterhin von einer Kennzeielionng der 
Häuser, in denen die Krankheit ausgebroehea sei, im allgemeinen nk da die 
.Bevölkerung ans Furcht davor sonst leicht Krankheitsfälle verheimliche Die 
Ortspolizeibehörde gebe darin oft zu weit; die Kennzeichnung *‘-i nur in 
Häusern mit viel Verkehr, wie Gastwirt seha(t«n u. s. w, geboten. 

Die Entwürfe der BelehrnngeB über Typhus und Ruhr und der )t*t- 
schläge für Aerzte bei diesen Krankheiten hält Redner im allgemeinen für 
zweckraäasig; nur ip einzelnen, von ihmberührten Punkten empfehle sich eine 
Abänderung. Jedenfalls sei ese richtig, fürjede Krankheit eine •'besonder/», die 
Eigentümlichkeiten derselben berücksichtigende Belehrung zn erlasson 

Er bespricht ferner die Isolierung der Kranke», die tu der. Häusern 
selbst oft schwer «der gar sieht dttrcbffllhrbsir sei ; der U«hw{ühr?iag in ein 
Krankenhaus «tabu übrigens das Pftblikum nicht mehr ac widerwillig gegen¬ 
über, wie früher; hauptsfichlieh scheue man nur die Kosten de* .JDnmkftnhans- 
behaudlüng. Bei den tm Reicbaseuchengeeetze bezcieboeten.'Krankheiten 
müssten allerdiag* die Gemeinden diese Kbstei» eventl. tragenIffeise seien 
jedoch oft nicht leistungsfähig genug, so dass eich die Ueberfchüfnug der 
Kosten auf grössere Verbund* (Aemter oder Kreise) empfehle.. 

H. Kreisarzt Dr, SadbSlter-Minden hält es fÄrlawecfemMasig, be¬ 
sonders die ländliche Bevölkerung über ansteckende Krankheiten wsd >ifc d*b«i 
zvt beftcbtendea VoTsichtsmassregelu mafzukläreo. Am besten 'geschehe -dies- 
durch Unterricht »a den lind wirtschaftlichen Winterschulen, Es empfehle sich 
dahur, dieserbatVmifc den LaadwirischaftsbaminerD in Verbindung zu treten. 

Auf die Fr»ge des Herrn Regiernugspräsidenteu Schrei ho», ob «a* 
|H. Dt. Sud h ölte r) bereit sei, einen solchen Unterricht an der land wirf - 
acbaftliahen Winterschule zu erteilen, erklärt dieser seine Bereitwilligkeit. 
Der Unterricht müsste sich hauptsächlich anf die Verhütung der at^teckejbden 
Krankheiten n&d damit zusammenhängend auf die Wohnangshygiene nnd 
Wasserversorgung erstrecken. 

H. Reg.* n. Geh. Med. - Rat Dr. Rapin und hält gleichfalls den Unter¬ 
richt' der jungen Landwirte in den sie besonders betreffenden Zw# igec der 
Hygiene für sehr zweckmässig; Auch müssten die Kreisärzte sicU mH: !*•« 
landwirtschaftlichen Vereinen in Verbindung setzen und versuchen, «ie Ihr 
hygienische Fragen, insbesondere für eine gute Trinkwasserverse j rnnc, zu 
interessieren. Eine Vorbedingung dazu sei aber das Vorbandeftseia von 
Bnnroenmachern, die im stände seien, einen guten Kessel- oder Söbr-fto tiranneu 
«nsubegett. Au solchen geschickten und tüchtigen Handwerkern fehle e< 
jedoch *. Z. im Regierungsbezirk; es sei dies seines Erachtens «ine , .>.apt* 
sächlichsten Ursachen für die mangelhafte Beschaffenheit der meiste Jim*»«»*. 

Uebrigens seien auch die zentralen Wasserlnitnegcrt Im htesrifefiv Rezitl: 
niobt sämtlich einwandsfrei; desgleichen «ei ihre tFeberwkehüag UnÄlSrigi. ; 
Es seien dazn regelmässige bakteriologische Ünteraachnngeti spfbrdes^i^i. 
Zuverlässigkeit jährlich vom Kreisarzt« durch RHehprokee geprttfti^s^^? a.iis?c. 

Er achliesst sodann die Sitzung mit elagin Dank au d&U.\\lf»Tro Sc* 
gteruugRprKsideuten nicht hör für die Tellaab©« an d^&entvgen Vewfio.iU'lririp. 
sondern auch für da« warme Interesse, dses er stets allen Fragen der IMF«?» i 
Rebe» Gesundheitspflege entgegesbringe. 

Schluss der Sitzung 3 Uhr nachmittags. Sämtliche Tulittott folgten 
hierauf einer Einladung des U. Regierungsprlsidebfu« zum Mittages)?*-’ 

V; Rpd. 

Seriell t fiber die 57. und 5ä, Konferenx der IfdUiual 
Beamten de* Beg. Rei. Itfisseldorf ln llfisseldnrf. 

57, Konferenz am 14. Jniii 1 902. 

Anwesend sind: Reg.- Utod Med.-Bat Dr. Keyboefer; die K'tfifsftrtftec 
Dr. RftUber-Dttsseldorf, Med.-Rat Dr. .Carp-WWt, Dt, ■Wulff - HflJN 
Dr. Paseo w- M.-Gladhaeb, Med.-Rttt T>r. Be.ermah»-Duisburg. Dr. * ma-e- 
Staren, Dr. Röder-Vohwinkel, Dr. Kr)«ge“Bareren. Dr. Richter B**n- 
scheid, Dr. Woltemas-Salingen, Pr. Niemeyer-Nens«, Geb. $füd • fiuv. 
Dr. Füll «»-Grevenbroich. Dr. Ewers-Kempen, Dr. Hofacker - 1 dotU 







Au Versammlungen and Vereinen. 


4 52 


Dr. Meyer-Lennep, Dr. Clären-Krefeld, Med.-Bat Dr. Marx-Mülheim. 
Stadtant Dr. Schrakamp-Düsseldorf, Dr. 6rnns-Gelsenkirchen, San.-Bat 
Dr. Peretti, Direktor der Irrenanstalt Grafenberg, San.-Bat Dr. Neuhaust 
Oberarzt der Dep&rtemental-Irrenanstalt, Stadtassistensarst Dr. Frech, Dr. 
Focke, Dr. Esch weil er-Düsseldorf. 

Der Vorsitzende hegrfisst die Versammlung and besonders den Leiter 
des Instituts für Hygiene and Bakteriologie in Gelsenkirohen, H. Dr. Br ans. 

I. Besprechung von Fragen ans der amtsärztlichen Praxis. 

Gegen das Aufsiohtsrecht über die Nahrungsmittelunter- 
sachnngsanstalten (§. 78 d. D. A.) haben die Chemiker Einspruch erhoben 
and beantragt, den SohlaBSsatz dieses Paragraphen zu beseitigen. Es herrschte 
Uebereinstimmang darüber, dass diesem Antrag vorläufig nicht zaznstimmen 
sei and wurde besonders vom H. Vorsitzenden betont, dass auch die Nahrangs¬ 
mittelchemiker, wie jeder andere Beamte, kontrolliert werden müssen. Viele 
Chemiker sind einer Beaufsichtigung auch nicht abhold, nur wünschen sie die¬ 
selbe durch einen Fachmann, z. B. einem Dozenten der Universität in Bonn, 
ausgeführt zu sehen. Jedenfalls muss verlangt werden, was nicht überall ge¬ 
schieht, dass sich nicht der Chemiker über die gesundheitliche Beschaffenheit 
eines Nahrungsmittels äussert, sondern dies dem Kreisarzt überlässt. 

Die Beaufsichtigung der Molkereien durch die Kreisärzte schreibt 
die D. A. nicht direkt vor, doch verlangt eine Beg.-Verfügung vom 10. April 
1901 die Prüfung der Sterilisierapparate durch Kreisarzt und Kreistierarzt. 
Ein Mangel in dem ganzen Verfahren liegt darin, dass die Gefässe, in denen 
die Milch zur Sammelstelle gebracht und von ihr wieder abgeholt wird, nicht 
auch sterilisiert werden. 

Bei Bekämpfung des Kurpfuschertums kommen in Betracht die Be¬ 
stimmungen über den Gewerbebetrieb im Umhersiehen, über die Anzeige an¬ 
steckender Krankheiten und das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb. Ein 
Gewerbeschein kann verweigert werden, wenn man in der Lage ist, den Be¬ 
werber als unzuverlässig zu bezeichnen. Unter Umständen ist der Kreisarzt 
genötigt, Ermittelungen über eine von einem Kurpfuscher angezeigte Krankheit 
anzustellen, die Kosten muss die Gemeinde bezahlen. Kreisarzt Dr. Ewers 
ist anf Grund des §. 4 des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb gegen 
eine Kurpfuscherin vorgegangen, die mit 500 Mark bestraft wurde. Auch 
wurde vom Oberlandesgerioht in COln anerkannt, dass der Amtsarzt ex officio 
berechtigt ist, Strafantrag zu stellen. (Ewers wird seine Erfahrungen Inder 
Zeitschrift für Medizinalbeamte veröffentlichen.) In jedem Fall soll man mit 
Anzeigen vorsichtig sein, da oft eine Freisprechung erfolgt, was dem Kur¬ 
pfuscher nur von Nutzen ist. 

Von verschiedenen Seiten ist eine Erhöhung der Amtsunkostenent- 
sohädigung angeregt worden; hierüber einen Beschloss zu fassen, ist noch 
verfrüht, zumal da Zweifel herrschen, was zu Amtsunkosten zu rechnen ist 
und was nicht; Ausgaben für Litteratur geboren sicher nicht dazu. Es em¬ 
pfiehlt sich, genau Buch über die amtlichen Ausgaben zu führen. 

Behufs Teilnahme an einer Sitzung des Hebammen-Vereins können 
Fnhrkosten nicht gewährt werden. 

Wenn Beisen ohne besonderen Auftrag auf Grund der D. A. zu Er¬ 
mittelungen bei ansteckenden Krankheiten gemacht werden, ist ein ganz kurzer 
Bericht an den Begierungspräsidenten einzureiohen. 

In der Zahl der Dienstreisen herrscht nach Mitteilung des Vorsitzenden 
eine grosse Ungleichheit, sie steht nicht im Verhältnis zur Einwohnerzahl der 
Kreise; einige Kreisärzte sind sehr viel, andere wenig gereist; manche Beinen 
lassen sich vermeiden. 

Zu einem Nachkursus kann eine Hebamme geswungen werden; 
Anspruch auf Erstattung der Kosten hat sie nicht. 

Nach einer Min.-Verfügung vom 8. März 1902 gibt es nur staatlich ge¬ 
prüfte „Heilgehülfen und Masseure“; daher müssen die Kandidaten 
auf diese doppelte Eigenschaft geprüft werden. (Die Prüfungsgebühr beträgt 
vorläufig 6 Mark.) 

Kreisarzt Dr. Bäuber, Hilfsarbeiter bei der Königlichen Begierung, 
wünscht eine Besprechung und Einigung darüber, welche amtlichen Verrich¬ 
tungen in das Gebührenverzeichnis aufzunehmen seien, weil darüber 



Aoa Versammlungen and Veteifceh. 453 

vielfach Unklarheit herrsche. Auf eine BrOrterang hierüber in der Versamm¬ 
lung wurde versiebtet, dafür aber eine Kommission, bestehend aus: Räuber, 
Raeine, Schrakamp, Niemeyer und Hofacker, gewählt, welche die 
Frage bearbeiten soll; das Ergebnis der Kommission hat Räuber in Heft 17, 
1902, dieser Zeitschrift veröffentlicht. 

Wegen der vorgerückten Zeit musste Räubers Bericht über den ersten 
Fortbildungskurses fllr Kreisärste in Berlin, und des Vorsitsenden Vortrag 
„über Neuanlage von Apotheken“ aasfallen, damit Punkt 4, das gemeinschaft¬ 
liche Mittagessen, au seinem Rechte kam. 

Hieran schloss sieh ein Besuch der Ausstellung, besonders der Gruppe 
XXI: Gesundheitspflege und Wohlfahrtseinriehtnngen. 

68. Konferenz (II. offizielle) am 12. Dezember 1902. 

Anwesend: Reg.- und Med.-Rat Dr. Meyhoefer, sämtliche Kreis-und 
Geriehtsärzte, mit Ausnahme der durch Dienstgeschäfte verhinderten zu Mül¬ 
heim a. Ruhr und M.-Gladbach; Stadtassistenzarzt Dr. Frech, Kreiswund- 
arzt z. D. San.-Rat Dr. Le Blanc-Opladen, die Irrenanstaltsärzte San.-Bat 
Dr. Peretti-Grafenberg, Dr. Tippel-Kaiserswerth, Dr. Esser-Neuss; 
Dr. Czablewski, Direktor des bakteriolog. Instituts in Cöln, Dr. Bruns, 
Direktor des hygien. Instituts in Gelsenkirchen, die pro physicatn geprüften 
DrDr. Eschweiler, Focke, Stern-Düsseldorf, Departementstierarzt 
Sehmidt, die Oberregierungsräte Grüttner und Königs, sowie mehrere 
Regierungsräte und Regierungsassessoren, Oberbürgermeister bezw. Beigeordnete 
von Krefeld, Remscheid, M.-Gladbach, Elberfeld, Duisburg; die Landräte von 
Lennep und Solingen (im ganzen mehr als 50 Herren). 

Nachdem Herr Ob.-Reg.-Rat Königs an Stelle des Regierungspräsi¬ 
denten, der am Erscheinen verhindert war, die Versammlung begrüsst hatte, 
leitete der Vorsitzende Herr Reg.- u. Med.-Rat Dr. Meyhoefer den Vortrag 
des Dr. Czablewski, Direktor des hygien. - bakteriolog. Instituts der Stadt 
Cölu, ein, mit Hinweis auf die Wichtigkeit der Desinfektion im allgemeinen 
und der Wohnungsdesinfektion im besonderen. 

Dr. Czablewski bespricht im allgemeinen die desinfizierende 
Wirkung des Formaldehyds bezw. des Formalins, seiner 40pros. Lösung, 
und die Punkte, auf welche es bei der Verwertung in der Praxis ankommt. 
Wichtig ist die Menge, man rechnet 4 g Formalin pro cbm Raum, ferner die 
Sättigung des Raumes mit Wasserdampf, 30—40 g Wasser pro cbm Baum. 
Um Verluste des Formaldebyds zu vermeiden, dichtet man Spalte nnd Schlüssel¬ 
löcher mit nicht entfetteter Watte ab. Die Wirkung der Desinfektion ist um 
so grösser, je höher die Temperatur. Doch lassen sieh Oefen schwer desin¬ 
fizieren, weil die warme Luftschicht um die Heizkörper herum den Zutritt der 
Formalindämpfe hindert. Ueber die Dauer der Desinfektion sind sich die Ge¬ 
lehrten noch nicht ganz einig, Flügge hält 3 1 /* Stunden für ausreichend, der 
Vortragende 6—7; begnügt man sich mit der kürzeren Zeit, so mnss man 
stärkere Konzentrationen nehmen und verteuert dadurch das Verfahren. Zur 
Desodorisierung werden von aussen Ammoniakdämpfe ins Zimmer geleitet; 
diese sehaden durch ihre Aetzwirkung, indem sie Politur und Firnis der Möbel 
angreifen, man soll sie daher nicht zu lange wirken lassen. 

Von den verschiedenen Methoden und Apparaten gibt der Apparat 
„Aeskulap“ (Schering) unsichere Resultate. Besser ist die Flüggesche 
Methode, verdünnte Lösungen zu verdampfen. Am besten hat sich die Spray- 
Methode, nach der auch der Cöiner Apparat eingerichtet ist, bewährt; Vorbe¬ 
dingung ist aber ein Personsl von geschulten Desinfektoren. 

In der sich an den Vortrag anknüpfenden Besprechung berichtete 
Kreisarzt Dr. Kriege-Barmen, dass in seinem Kreis bei Erkrankungen an 
Diphtherie, Scharlach, Ruhr und Unterleibstyphus die Desinfektion ausgeführt 
wird, nachdem ärztlicherseits das Ende der Krankheit gemeldet ist. 

Der Mechaniker Götz in Coblenz stellte einen transportablen Apparat 
zur Untersuchung von Wasser und Entnahme der Proben aus. 

Der Vorsitzende hielt sodann einen Vortrag Uber die Schul¬ 
schliessung bei Augenkrankheiten und das Vorkommen der Granulöse in 
den westlichen Provinzen. (Der Vortrag sollte in der Zeitschrift für Medizinal- 
beemte veröffentlicht werden, das Manuskript ist aber nicht eingegaegen.) 











454 


Au Versammlungen und Vereinen. 


Ueber die bei Ausführung des Ereisarztgesetses mit den Ortsbesichti¬ 
gungen gemachten Erfahrungen berichten Kreisarst Med.-Bat Dr. Carp- 
Wesei und Kreisarzt Dr. Woitemas-Solingen. Sie haben gefunden, dass die 
Besichtigungen sehr zeitraubend sind, aber wertvolle Aufschlüsse über die ge¬ 
sundheitlichen Verhältnisse und Anregungen zu Verbesserungen geben. Die 
Teilnahme der Gesundheitskommission an den Besichtigungen halten sie für 
zwecklos und manchmal auch tür Btörend. 

Nach Schluss der Versammlung fand sich die Mehrzahl der Teilnehmer 
im Hotel Heck zu einem gemeinsamen Mittagsmahl ein. 

Dr. Hofacker-Düsseldorf. 


Bericht über die 11. Jahreg Versammlung des Wftrttem- 
bergisehCn Medizinal beamten Vereins am £6. April 1903 

in Stuttgart. 

Erschienen waren 28 Mitglieder. Der Vorsitzende, Med.-Bat Dr. Köst- 
lin, begrüsste zunächst die Versammlung, erörterte die Gründe, welche 
diesmal eine Einschränkung der Tagesordnung notwendig gemacht haben, Und 
erstattete hierauf einen kurzen Geschäftsbericht. 

Darnach zählt der Verein jetzt im ganzen 70 Mitglieder. — Das 
wichtigste Ereignis in dem vergangenen Berichtsjahre bildete die erste 
Jahresversammlung des neu gegründeten Deutschen Medi¬ 
zinalbeamtenvereins in München, bei der jedoch leider trotz der Nähe 
des Versammlungsortes die Beteiligung von seiten der württembergischen 
Kollegen eine verhältnismässig geringe gewesen sei — es waren im ganzen 
nur 5 WÜrttemberger dabei vertreten —. Aus der reichen Fülle des Gebotenen 
hebt der Vorsitzende besonders einen Vortrag hervor, nämlich den des Herrn 
Prof. Dr. Fränkel-Halie über die wissenschaftliche und praktische Hygiene, 
weil dieser für den Medizinal beamten zweifellos das grösste Interesse geboten 
habe, sowohl in dem Vortrage selbst, als besonders in der an ihn geknüpften 
Diskussion. Wenn auch bei der letzteren die Erörterung spezifisch preussischer 
Verhältnisse vielleicht etwas zu sehr überwogen habe, so sei dies doch ander¬ 
seits insofern kein Nachteil gewesen, als auf diese Weise die nicht preussischen 
Kollegen die beste Gelegenheit gehabt haben, zu sehen, wie sich unter der 
Einwirkung des neuen preussischen Kreisarztgesetzes die Stellung und Wirk¬ 
samkeit der Medizinalbeamten in Preussen gestaltet hat, und welche Schluss¬ 
folgerungen sie aus dieser Neuorganisation des Medizinalwesens in dem 
grössten Bundesstaate des Deutschen Beiches zu ziehen haben. Speziell für 
die WÜrttemberger sei es dabei nicht uninteressant gewesen, festzustellen, 
wie manche Einrichtungen auf medizinalpolizeilichem Gebiet, welche für die 
preussischen Kollegen noch etwas ganz Neues sind, hier schon seit langer Zeit 
bestehen, wie z. B. die periodischen medizinalpolizeilichen Visitationen der Ge¬ 
meinden, die ärztliche Aufsicht über die Schulen und dergl.; anderseits könne 
man sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses neue preussische 
Kreisarztgesetz, auch ganz im allgemeinen betrachtet, sicherlich einen be¬ 
deutenden Fortschritt auf dem Gebiete des Medizinalwesens, und insonderheit 
der öffentlichen Gesundheitspflege darstellt, und dass die württembergischen 
Medizinalbeamten, wenn es einmal in voller Wirksamkeit ist, ihren preussischen 
Kollegen in mancher Hinsicht zweifellos nachstehen werden, besonders auch in 
Bezug auf die bessere Ausbildung und Fortbildung der Medizinalbeamten, sowie 
auf die verbesserte dienstliche und pekuniäre Stellung derselben. In ersterer 
Beziehung habe sich allerdings gerade in den letzten Tagen ein erfreulicher 
Fortschritt vollzogen, indem nach dem Erlass des K. Medizinalkollegiums vom 
18. April den Oberamtsärzten zum Besuch von Fortbildungskursen ein Staats¬ 
beitrag von 200 Mark gewährt werden soll. Dieser Erlass werde gewiss von 
allen freudigst und dankbarst begrüsst sein. 

Nachdem Bedner noch kurz die neueren gesetzlichen Bestimmungen auf 
dem Gebiete der Medizinalgesetzgebung im Beiche wie in Württem¬ 
berg erwähnt hat, bittet er schliesslich die Vereinsmitglieder recht dringend, 
imLaufe des Jahres Vorträge für die nächstkommende Jahres¬ 
versammlung anzumelden. Es brauchen dies durchaus nicht immer 
grosse wissenschaftliche Abhandlungen zu sein; ebenso erwünscht sind auch 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


455 


eimfache kasuistische Mitteilangen über interessante Fälle auf dem Gebiete der 
gerichtlichen Medizin oder der Öffentlichen Gesundheitspflege, oder kurie Be¬ 
sprechungen medizinalpoüseilicher Verordnungen and deren Handhabung in 
der Praxis. 

Im Anschluss an den Geschäftsbericht erstattete der Schriftführer and 
Kassierer Dr. Cless-Stnttgart den Kassenbericht. Als Jahresbeitrag für 
das laufende Jahr wurden wiederum 2 Mark bestimmt. 

n. Besprechung von Standesangelegenheiten. Hier wurde be¬ 
schlossen, dass dieses Thema auf die nächstjährige Tagesordnung gestellt 
werden sollte; gleichzeitig wurden Jäger-Ulm als Referent und Georg!« 
Maulbronn als Korreferent bestimmt. A1 b grundlegend fttr diese Referate 
wurde von verschiedenen Seiten ein Vergleich mit dem neuen preussisohen 
Kreiaarztgesetz gedacht. Weiterhin worden noch von Blezinger unter 
anderem folgende Themata als fttr die gedachten Referate geeignet bezeichnet: 
Stellung der Oberamtsärste als Armenärate in Stadt und Bezirk; Uebergang 
der Ausbezahlung der Pferderationen von den Körperschaften auf den Staat; 
grossere Rücksichtnahme von seiten der Juristen auf die Gerichtsärzte bei 
forensischen Fällen und dergl. mehr. 

Damit schloss die Versammlung, an welche sich sodann ein gemeinsames 
Bssen im Stadtgarten an schloss. 

(Nach dem Bericht im Wärttembergischen Med. Korrespondenzblatt; Nr. 19.) 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin und Psychiatrie. 

Recherches experimentales sur la pathogenie de la mort par 
brulure. Von E. Stockis. Archiv intern, d. pharmaco dynamie et d. thörapie, 
1903; Vol. XI, fase. III u. IV. 

In dem ersten Teile der Arbeit beschäftigt sich Verfasser mit den ner- 
vOsen Erscheinungen der Verbrennung. Er zeigt, dass der plötzliche Shock 
(shock smaiger) nicht die wesentliche Rolle beim Eintreten des Todes spielt, 
welche bisher vielfach ihm zugewiesen wurde, — dass dagegen viel wichtiger 
und wesentlicher der langsame Shock (shock ralenti) ist, welcher mehr und 
mehr wachsende funktionelle Storungen der Nervenzentren bewirkt, die allein 
schon in der Mehrzahl der Fälle den Eintritt des Todes erklären können. 

Im Weiteren zeigt er, dass das Blut nach Verbrennungen wesentliche 
physiko-chemische Veränderungen erleidet, dass es dagegen nicht toxisch wirkt 
und daher die Theorien Bich nicht halten lassen, welche eine Intoxikation durch 
im Blute entstandene Ptomaine als Ursache des Todes nach Verbrennung 
annehmen. 

Aus den Ergebnissen seiner Studien schliesst Verfasser: Eine einheitliche 
Ursache des Todes nach Verbrennung existiert nicht. Es ist vielmehr wesentlich 
zu unterscheiden zwischen den Ursachen des plötzlichen Todes und demjenigen 
Symptomenkomptexe, welcher, sich nach und nach entwickelnd, diesen in einer 
sekundären Periode bervorruft. 

Der plötzliche Tod kann durch Shock bewirkt werden, welcher die fttr 
das Leben wesentlichen Nervenzentren durch Verzögerung, resp. Hemmung des 
Stoffwechsels lähmt. Tritt aber sofortiger Tod nicht ein, so entwickeln sich in 
jenen Zentren, spez. in dem verlängerten Marke, destruktive Prozesse der 
Funktionen, deren primäre Ursache der thermische Insult der Nervenendigungen 
ist und die um so intensiver und schneller auftreten, je grössere KOrperflficben 
von der Verbrennung betroffen wurden. 

Der langsame Shock charakterisiert sich durch die fortschreitende Ver¬ 
minderung der Tätigkeit der Nervenzentren, von deren Intaktheit die Auf¬ 
rechterhaltung der fttr das Leben wesentlichen Körperfunktionen abhängt, so¬ 
wie ferner durch die Verlangsamung des sich in den Geweben vollziehenden 
physiko-chemischen Stoffwechsel. Auf diese Weise kann der langsame Shock 
die direkte und einzige Ursache des Todes werden. 

Ist der Shock weniger stark und plötzlich, so schafft er im Körper einen 
Status minoris resistentiae gegenüber anderen Krankheitsursachen. Vor^ 
wiegend kommen hier in Betracht Störungen der Funktionen der Ausscheidung' 




456 Kleinere Mitteilungen nnd Referate aus Zeitschriften. 

organe (Nieren, Haut), parenchymatöse Prosesse und Uikrobeninfektion der durch 
die Verbrennung nekrotisierten Gewebe. Sehr wesentlich ist auch die Ver- 
inderuug des Blutes, dessen Hämoglobin mehr oder weniger die Fähigkeit 
verliert, den Sauerstoff su fixieren. Diese Brscheinnng aller im Vereine mit' 
den Folgen des langsamen Shocks erklärt alle jene Todesfälle nach Ver¬ 
brennung, bei denen nicht direkt das Bild der Septikämie vorliegt. 

Die Hypothese einer Ptomainintoxikation erscheint sehr wenig bewiesen . 
und unwahrscheinlich, da dnrch die Studien des gansen, allerdings höchst un¬ 
komplizierten Symptomenkomplexes nichts festgestellt werden konnte, was zur 
Begrflndung derselben verwendbar war. Dt. 8 ehrakamp-Düsseldorf. 


Ein besonders bemerkenswerter Fall von Kohlenoxydgasver¬ 
giftung. Von Prof. Dr. Kurt Wolf in Dresden. Münch, med. Wochenschr.; 
1908, Nr. 6. 

Die Poliseikommi8sion in D. erhielt die Meldung erstattet, dass ein 
Bursche eines auf der Durchreise begriffenen ungarischen Offiziers in einem 
Stalle die einem Fahrwerksbesitser gehörigen Pferde und dann sich selbst 
vergiftet habe. Der Stall (mit einer Bodenfläche von 70 qm und einem 
Luftraum von 252 cbm) lag im Kellergeschoss eines nur erst kurze Zeit 
bezogenen Hintergebäudes, mit dem Fussboden etwa 1 m unter dem Niveau 
des Hofpflasters, von welchem nach dem Stall eine schräg abfallende 
Zufahrt sn ihm ging. In dem Stall waren ausser den beiden ungarischen 
Pferden noch 2 Pferde eines hiesigen Fnhrwerksbesitzers untergebracht. Der 
Offiziersbursche hatte sich in einem benachbarten Laden Nachtessen geholt und 
dann sein Lager aufgesucht, das er sich in dem fraglichen Stalle zurecht ge¬ 
macht hatte. Als am nächsten Tag früh der Knecht des Fnhrwerksbesitzers 
gegen 6 Uhr in den Stall kam, fand er den Offisiersburschen und die seinem 
eigenen Herrn gehörigen Pferde tot vor, während die beiden fremden Pferde 
lebend an ihren Plätzen standen. Zuerst vermutete der Knecht, dass der 
Bursche die Tiere und sich selbst vergiftet habe, da man an keiner der Leichen 
etwas Auffälliges und auch sonst nichts bemerkte. 

Der Kommissionsbericht stellte folgendes fest: 

Auf der der Zufahrt gegenüberliegenden Seite des Stalles lag der Bursche 
auf einem Strohhaufen. Die Füsse berührten das Stallpflaster, der Kopf lag 
etwa 40 cm höher. Neben ihm lag das eine Pferd, gegenüber von ihm ein 
anderes, während die beiden Ungarischen Pferde neben dem letzteren standen. 

Die Leiche des Burschen lag auf den Rücken, den Kopf leioht zur Seite 
geneigt, Arme und Beine ausgestreckt. 

Beide Pferde lagen auf der Seite; aus der Lage und der Beschmutzung 
ihrer Körper, sowie aus der umhergeworfenen Streu konnte man auf einen 
heftigen Todeskampf schliessen. 

Nach Entkleidung und näherer Betrachtung der Leiche des Burschen 
liess sich die Todesursache sehr bald feststellen. Die hellroten, geradezu 
leuchtenden Totenflecken wiesen zweifellos auf Kohlenoxydgasvergiftung hin. 
Auch an den beiden verendeten Tieren konnte man an allen sichtbaren Schleim¬ 
häuten eine intensiv rote Farbe bemerken. Das aus einer Vorderarmvene 
entnommene Blut des Burschen liess durch das Spektroskop die für Kohlen¬ 
oxydhämoglobin charakteristischen Absorptionsstreifen nachweisen. Die in allen 
Gelenken des Burschen ausgebildete Totenstarre liess das Eintreten des Todes 
zwischen 11 und 1 Uhr nachts annehmen. 

In der Zufahrt Vorgefundene Spuren von Erbrochenem Hessen darauf 
schlieBsen, dass der Bursche Uebelkeit verspürt und den Stall zeitweilig ver¬ 
lassen, offenbar aber die Ursache dieser Uebelkeit nicht erkennend, vielleicht 
auch schon etwas betäubt, sein Lager wieder anfgesucht hatte. 

Nähere Nachforschungen nach der Quelle für die Entstehung des 
Kohlenoxydgases ergaben, dass dieses nur von einer in der Nähe des Stalles 
gelegenen kleinen Kammer herrühren konnte, deren Fnssboden nur wenig 
höher als der des Stalles, also etwa 70—80 cm unter dem Hofpflaster lag und 
in welcher Kammer der einzige im gansen Hause vorhandene Kamin seinen 
Anfang nahm. Aus diesem Kamin war das Kohlenoxydgas entwichen nnd zwar 
auf folgende Weise: 

An den Kamin war im t. und 2. Obergeschoss je ein sog. Amerikaner- 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


467 


Dauerbrandofen asgeschloesen. ln beiden Geschossen befanden sieb Fabrik* 
betriebe, die während des vorhergehenden Tages (Sonntags) rahten. Deshalb 
waren beide Dauerbrandofen wahrscheinlich schon am Samstag abends auf 
kleinsten Zag eingestellt. Am Sonntag nachmittags trat plötzlicher Witterungs- 
Umschlag ein. Nach wochenlanger intensiver Kälte war die Temperatur am 
Sonntag nachmittags auf mehr als 10° Wirme gestiegen and nahm auch in 
der Nacht nicht erheblich ab. Während der strengen Kälte war das Haus und 
mit ihm der Kamin immer noch wärmer als die Aussenlaft; der Kamin 
ventilierte anch bei kleinster Einstellung der Dauerbrandofen richtig, d. h. es 
bestand in ihm ein aufsteigender Laftstrom. Der plötzlichen Erwärmung der 
Aassenlaft konnte das Mauerwerk aber nicht genug folgen. In dem nnn kalten 
Kamin musste notwendigerweise die Luft sich an den Wandungen abkühlen, 
sie stürzte nan, spezifisch schwerer geworden, in den Kamin hinab, so dass 
die aus den Dauerbrandofen entweichenden Verbrennungsgase nicht wie früher 
über Fach zogen, sondern nach unten gepresst wurden. Einmal in das Keller¬ 
geschoss gelangt, strOmten sie auf der schiefen Ebene von der Kaminkammer 
durch einen Gang in die Zufahrt, von hier, ohne dass Türen oder ein Bretter¬ 
verschlag ein nennenswertes Hindernis bieten konnten, in den Stall, wo sie 
von dem Barschen um so weniger bemerkt wurden, als den Verbrennungsgasen 
aus derartigen AmerikanerOfen nur sehr wenig Rauch, d. h. für die Nase 
empfindliche Stoffe, beigemischt zu sein pflegen. 

Das einzig Auffallende, warum gerade die fremden Pferde am Leben 
blieben, während die beiden andern verendet waren, wurde damit erklärt, dass 
Pferde in einem fremden Stalle sich nicht legen. Während die beiden Tiere 
des Fahrwerksbesitzers mit der Oertlichkeit vertraut sich im Stalle gelegt 
hatten und dadurch ebenso wie der Offiziersbursche in den Bereich des 
am Boden hinfliessenden spezifisch schwereren Kohlenoxyd¬ 
gasstroms gekommen waren, blieben die beiden andern Tiere mit ihren 
Atmungsorganen ausserhalb desselben in sauerstoffhaltiger Luft. Dass sie 
übrigens nicht gänzlich von den giftigen Gasen verschont geblieben waren, 
bewies ihr etwas hinfälliges Aussehen und ihre bis zum Nachmittage andauernde 
Nahrungsverweigerung. Sie erholten sich aber sehr schnell. 

Dieser Fall beweist in höchst lehrreicher Weise, dass die in den Kamin 
einströmenden Gase aus Dauerbrandofen, sobald diese auf geringsten Zug ein¬ 
gestellt sind, nicht die genügende Wärme besitzen, um unter allen Umständen 
in den Kamin einen aufsteigenden Luftstrom zu erzeugen, besonders wenn, 
wie hier, das Ofenrohr des Dauerbrandofens direkt an der Einmündungsstelle 
in den Kamin endigt. Derartige Zufälle lassen sich verhüten, wenn das Ofen¬ 
rohr in dem Kamin noch 1 Meter in die Hohe läuft. Das auch bei geringstem 
Brande des Ofens sich stark erhitzende Metallrohr erwärmt dann nicht nur 
die es umgebende Luft, sondern auch die Wandung des Kamins, wodurch eher 
ein aufwärts gerichteter Luftstrom gefordert und bewirkt wird, besonders 
wenn, wie hier, zwei Dauerbrandofen übereinander in denselben Kamin ein¬ 
münden. Die etwa dadarch erschwerte Reinigung des Kaminrohres kann kaum 
in Betracht kommen, da Dauerbrandofen so wenig Russ erzeugen, dass ein 
öfteres Kehren des Kamins nicht wie bei gewöhnlicher Ofenfeuerung zu er¬ 
folgen braucht. Dr. Waibel-Kempten. 


1. Die ersten Phasen der Kohlenoxydvergiftang* Definition des 
Vergiftungskoefflzienten. Von Nestor GrOhant. Comptes rendus soc. 
biol.; 1903, S. 19. 

2. Die Extraktion von Kohlenoxyd ans dem geronnenen Blute. 
Von M. Nioloux. Ibidem; S. 13. 

8. Zwei Fälle tödlicher Kohlenoxyd Vergiftungen. Analyse der 
Blutgase. Von Lacassagne, E. Martin (gerichtl.-med. Teil) und M. 
Nicloux (ehern. Teil). Ibidem; S. 15—17. 

1. Gr6hant liess einen Hund Luft mit einem COgehalt von 1 °/ 0 ein- 
atmen und bestimmte in seinem Blute sowohl den CO geholt, als das Absorp¬ 
tionsvermögen für Sauerstoff. Eh ergab sich: In 100 ccm Blut waren ent- 
enthalten nach 6 Minuten 9,9, nach 12 Minuten 15,6, nach 18 Minuten 19,3 CO. 
Noch 22 Minuten starb das Tier an Atem- und Herzlähmung, In denselben 



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kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


Zwischenräumen entnommene, andere Blutproben des Tieres absorbierten 9,2, 
6,7 bezw. 6,1 Sauerstoff (anf 100 ecm Blut berechnet). 

Unter „Vergiftungskoeffizienten" versteht nun der Autor das 
Verhältnis zwischen CO - Haemoglobin und dem Absorptionsvermögen für 

9,9 15,6 19,3 

Sauerstoff, also in diesem Falle gg» py» g-p Für spätere gerichtlich - me¬ 
dizinische Fälle hält er die Einführung dieses Begriffs für notwendig. 

2. Nicloux 1 ), einem Schüler Grähants, gelang es, eine Methode zu 
finden, auch aus Blut von Blutgerinnseln die Blutgase su extrahieren. 

Die Gerinnsel werden zunächst im Reagenzglas mit der Scheere grob 
zerschnitten bezw. zerrissen, dann auf ein über einem Hohlgefäss ausgebrei¬ 
tetes, 20 cm breites leinenes Tuch gegeben. Dieses wird ausgerungen. Mit 
der Zunahme des angewandten Druckes entleert sich zunächst Blutflüssigkeit, 
dann folgen Blutkörperchen mit etwas Fibrin. Man wäscht und wringt von 
neuem aus, bis Tuch und Waschflüssigkeit ungefärbt oder eben rosa gefärbt 
sind. Die gewonnene Flüssigkeit wird zur Extraktion der Blutgase 
benutzt. Diese werden durch Kalilauge, Pyrogallusaäure, Chlorkupfer oder 
den Gr6hantschen Grisoum&tre analysiert. 

3. Das Studium der Methode war kaum vollendet, als die Gerichtsärzte 
Lacassagne und Martin dem Autor Blutproben zweier Fälle von Kohlen¬ 
oxydvergiftung, die sie in Lyon am Nachmittag vorher der Leiche entnommen 
hatten, zusandten. Dieselben kamen am nächsten Morgen in Paris an: 

Am 27. November 1902 wurde ein 73 jähriges Fräulein tot vor ihrem 
Bette aufgefunden. Eine 45 jährige Krankenschwester, die am 29. November 
bei der Leiche von vormittags 10—11 Uhr wachte, wurde nachmittags gegen 
3 Uhr ebenfalls tot angetroffen. In der Wohnung herrschte ein starker, 
scharfer, schwefliger Geruch, wie er durch Verbrennung bestimmter Oele ent¬ 
steht. Die Obduktion beider Leichen fand am 1. Dezember im gerichtlich¬ 
medizinischen Institute von Lyon statt. An der ersten Leiche fanden sich 
keine Zeichen der Kohlenoxyd Vergiftung; bei der zweiten dagegen „Rosa¬ 
farbe der Leichenflecken; Rosafarbe auf allen Schleimhäuten; rotes flüssiges 
Blut. Kein Gerinnsel in den Herzhöhlen; karminfarbenes Oedem der Lungen. 
Hyperaemie und Rosafärbung der Därme; Erschlaffung der Sphinkteren." 

Nach den bisher geschilderten Methoden wurden die Blutgase von 
Nicloux bestimmt; auch kolorimetrisch 2 ) ergaben sich dieselben Resultate. 

In 100 ccm Blut der von der ersten Leiche entnommenen Probe waren 


13,8 cum CO, in 100 ccm der zweiten 17,7 ccm CO enthalten. Trotzdem war 
der grob anatomische Obduktionsbefund bei der ersten Leiche in keiner Weise 
für Kohlenoxydvergiftung charakteristisch gewesen. Spektroskopisch war der 
Befand allerdings eindeutig. 

Den Gr6hantsehen Vergiftungsquotienten für das Blut der ersten 
13 8 17 7 

Leiche berechnet N. mit jyy Ahr das der zweiten mit -g-jy Obwohl demnach 

im zweiten Falle das Blut noch 8,8 Teile Sauerstoff auf 100 Teile zu absor¬ 
bieren hätte imstande sein müssen, obwohl ein Drittel des Hämoglobins vom CO 
noch nicht in Angriff genommen war, ist doch der Tod eingetreten, zu einer 
Zeit, wo Tiere, wie Kaninchen oder Hund dem Gifte noch nicht erlegen wären. 

Der Autor erhofft aus dem weiteren Studium der Blutgase und aus der 
Feststellung des Verhältnisses von CO zu 0 in gerichtlich • medizinischen Fällen 
eine weitere Förderung der Lehre von der Kohlenoxydvergiftung. 

Dr. Mayer-Simmern. 


Ueber Salmiakgeistvergiftung. Von Dr. Reckzch, ehemaliger 
Assistenzarzt im Krankenhaus Bethanien su Berlin. Münchener medizinische 
Wochenschrift; 1903, Nr. 8. 

Während gewerbliche Vergiftungen mit gasförmigem Ammoniak nicht bo 

*) In Jahrg. 1901 dieser Zeitschrift, S. 358 ist bereits über eine Arbeit 
von Nicloux berichtet. (Der Druckfehler „narkotischer" statt „narkotisierter" 
Tiere in dem Titel jener Arbeit ist als solcher in das Literaturverzeichnis 
sogar des Medico-legal journal übergegangen.) 

*) Vgl. u. a, diese Zeitschrift, 1900, S. 276. 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


469 


selten sind, Anden sieh in der Litteratar nar wenig Fälle von Vergiftung durch 
Verschlacken von Salmiakgeist (Liq. Ammon, caust.). Im ganzen sind nngefähr 
45 derartige Fälle mit 60 Pros. Mortalität bekannt. Verfasser teilt folgenden 
Fall mit: 

Fraa K., 66 Jahre alt, leidet seit 20 Jahren an Asthma, hatte vor 18 
Jahren eine Peritonitis, vor ö Jahren Typhös, vor 3 Jahren einen Anfall von 
Qallenateinkolik. Am 24. Dezember 1901 trank sie durch Verwechslung der 
Flaschen einen Schlack S&lmiakgeistlösang, worauf sie sofort heftige Schmerzen 
im Halse, geringere im Monde spflrte. Sie trank unmittelbar hinterher Milch 
nnd erbrach mehrmals. */» Stunde darauf wurde sie ins Krankenhaus ein¬ 
geliefert. Sie war leicht benommen, stark dyspnoisch und klagte Ober lebhafte, 
brennende Schmerzen im Munde, Hals und Magen. Während der Untersuchung 
Erbrechen grosser Massen von Speiseresten (Aepfelstücken, Semmel), welche 
wenig nach Ammoniak rochen, stark alkalisch reagierten; mikroskopisch Platten- 
epithelien und rote und weisse Blutkörperchen. Lippen hochrot, Mundhöhle 
bis hinter die Epiglottis mit dicken, grauen, schlecht abziehbaren Belägen 
bedeckt. Im Larynx starkes Oedem der Aryknorpel und Taschenbänder. 
Stimmbänder frei. Ueber beiden Langen reichliche bronchitische Geräusche. 
Herzgrenzen normal, Töne rein. Puls klein, beschleunigt. Abdomen leicht 
gespannt, Magengegend etwas druckempfindlich. Urin ohne Eiweiss, Zucker, 
Indikan. Im Stuhle zahlreiche, zum Teil ausgelaugte rote Blutkörperchen. 

Die Titration der von den Angehörigen mitgebrachten Salmiakgeistlösung 
ergab einen Gehalt derselben von 6,919 Proz. freien Ammoniaks. 

25. Dez.: Geringere Schmerzhaftigkeit, im Munde haben sich einzelne 
von den krupartigen Membranen abgestossen. Täglich 2 Nährklysmen. 

26. Dez.: Einstfindiger Anfall höchster Atemnot, wobei besonders das In- 
spirium mit Anspannung aller Hilfsmuskeln erfolgt. 

27. Dez.: Im Urin Spuren von Eiweiss. Magenschleimhaut, Uvula und 
hinterer Teil der Zange immer noch belegt. Erheblicher Schmerznachlass. 

28. Dez.: Appetit besser. Abstossen eines nekrotischen Fetzens links von 
der Uvula. Hintere Fläche der Epiglottis wund, Aryknorpel und hintere Kehl¬ 
kopfwand hyperämisch. Höheres Fieber. Das bisher täglich wiederholt auf¬ 
getretene Erbrechen schleimiger Massen hat aufgehört. Durch Wttrgen noch 
Entleerung schleimig-eitrigen Sputums. Urin ohne Eiweiss. Blutuntersuchung: 
4,9 Mill. rote, 6100 weisse Blutkörperchen im ccm, 78 Proz. Hämoglobin; keine 
Form- und Grössenunterschiede der roten Blutkörperchen, keine polychromato¬ 
phile oder körnige Degeneration. Weisse Zellen im gewöhnlichen Verhältnis. 

80. Dez.: Kleiner Belag an der hinteren Fläche der Epiglottis und an der 
Uvula. Larynx frei bis auf einen kleinen, rechtsseitigen Belag. Kein Fieber mehr. 

1. Jan.: Noch geringe trockene Bronchitis. Wohlbefinden. 

6. Jan.: Mund- und Rachenhöhle ohne Besonderheiten. Patientin geheilt 
entlassen. 

Temperatur bei Aufnahme 37,4', vom 26.—28. Des. bis zu 39,3°, dann 
im Mittel 37,0°. 

Pulsfrequenz: 80—134, im Mittel 104. Atemfrequenz 30—36, i. M. 30. 

Die meisten Vergiftungen durch Salmiakgeist sind durch Verwechslung 
von Flaschen bedingt; nur 2 Fälle von Giftmord, beide an Kindern begangen, 
und 8 Selbstmorde (2 letal) sind bekannt. 

ln einem von Souchard mitgeteilten Falle hatte ein 6jähriges Mädchen 
ihr jfingeres Schwesterchen durch einen Teelöffel voll Salmiakgeist vergiftet. 
Sowohl der offizin. Liq. Ammon, oaust., als auch seine Präparate (Liq. Ammon, 
anis., Liniment, ammoniatum u. a.) sind mit Medikamenten oder Getränken ver¬ 
wechselt worden. 

Im vorliegenden Falle glaubte die Frau, Bier vor sich zu haben. Der 
am anderen Morgen in einer Bierflasche fiberbrachte Rest des Giftes ergab 
einen Gehalt an freiem Ammoniak von 6,919 Proz., während die offizin. Lösung 
bekanntlich 10 Proz. hat. Man findet Salmiak vielfach im Haushalte behufs 
Anwendung bei der Wäsche, behufs Reinigen von Teppichen und Fussböden, 
als Mittel gegen Mückenstiche etc. 

Genaue Angaben Aber die toxische Dosis sind ziemlich schwierig, 
weil letztere sehr schwankend ist; nach Jaksch beträgt sie etwa 4—5 g 
Ammoniakfldssigkeit, es ist aber noch nach Einnahme von mehr als 30 g 








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Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Genesung beobachtet. Schachardt and Kobert sahen nach 6—80 g einer 
starken Flüssigkeit schnellen Kollaps and Tod eintreten. Im vorliegenden 
Falle mögen mindestens 10—16 g mit einem Gehalt von 0,7—1,0 Ammoniak 
getrunken worden sein. 

Von den Wirkungen und Symptomen der Salmiokgeistvergiftung steht 
der Verd&uungstraktus im Vordergründe mit intensiver Aetsung der 
Schleimhäute und heftigen Schmerzen im Munde, Bachen und Halse, Erbrechen 
und Speichelfluss etc. 

In zweiter RoUie kommen die Erscheinungen der Respirationsorgane 
durch heftige Reizung derselben mit folgender Entzündung (kruportig, er* 
sohwertes Atmen, Husten, Aphonie, Brustbeklemmungen, Aushusten von Mem¬ 
branen mit heftigen dyspnoischen Anfällen etc.). Bezüglich des Blutes er¬ 
wähnen die meisten Autoren chemische Veränderungen. Puls bald langsam, 
intermittierend, bald frequent. 

Von Veränderungen der Harnorgane wurde von Kobert Nephritis 
beobachtet. 

Das Zentralnervensystem wird in schweren Fällen stark affiziert 
(psychische Erregung, später Depression, Sopor, Krämpfe etc.). 

Das Fieber darf wohl in vielen Fällen zum Teil als Resorptionsfieber 
aufgefasst werden. 

Die Diagnose stutzt sich auf Anamnese, intensiven Geruch der At- 
mungsluft, des Erbrochenen und sonstigen Nachweis des Ammoniaks. 

Die Prognose ist in jedem Fa Ile eine ernste, nach v. Jaksch 
bei der Salmiakgeistvergiftung per os ungünstiger als beim Einatmen von 
Ammoniakdämpfen. (Folgen: schneller Tod durch Perforationsperitonitis, 
Narben, 8trikturen des Oesophagus, anhaltende Katarrhe der Atmungsorgane eto.). 

_ Dr. Waibei-Kempten. 


Selbstmord durch Chloroform-Inhalation. Von Dr. Hoffmann, 
Gerichtsarzt in Berlin. Vierteljahrsschrift f. gerichtliche Medizin u. Offentl. 
Sanitätswesen; 8. Folge, XXV. Bd., 2 H. 

Verfasser beschreibt einen Fall von Selbstmord durch Chloroform - Inha¬ 
lation, der insofern interessant ist, als der Selbstmörder sich die Hände auf 
den RUcken mit einem Riemen gefesselt und dessen Ende mit den Zähnen fest¬ 
gehalten hatte. Die Lage der Leiche besw. der Hände ist durch zwei Photo¬ 
graphien veranschaulicht. 

Die Obduktion ergab bei Eröffnung des Herzens sehr deutlichen Chloro¬ 
formgeruch; denselben Geruch hatte der anwesende Chemiker auch bei der 
Sektion des Gehirns festgestellt, wo ihn die Obduzenten nicht unverkennbar 
wahrnehmen konnten. Autoreferat. 


Ueber Ohreiterungen vom gerichtsKrztlichen Standpunkte. Von 
Dr. Troeger, Kreisassistenzarst in Neidenburg. Friedreiohs Blätter fttr 
gerichtliche Medizin und Sanitätspolizei; 1902, Heft 6 u. 6, 1903, Heft 1. 

Forensische Ohreiternngen entstehen durch Verletzungen mechanischer, 
chemischer und thermischer Natur, absichtlich oder unabsichtlich zngefttgt. 
In letzterem Falle sind es vorwiegend therapeutische Massnahmen von Aerzten. 
In ca. 80°/ 0 aller in den ersten Lebensjahren verstorbener Kinder findet sich 
ein Exsudat in der Paukenhöhle, meistens Eiter. Nach Asch off gibt es 
keine Otitis med. supp, neonatorum, sondern es handelt sich um eine Fremd- 
körpereiterung. Gradenigo, Penzo und Pollitzer glauben, dass die 
Veränderungen durch die rasche Fäulnis bedingt sind, da keine pathogenen 
Mikroorganismen gefunden wurden. Schengelidge hat 1901 nachgewiesen, 
dass die Paukenhöhlen toter Säuglinge nie steril sind, sondern stets pathogene 
Mikroorganismen enthalten. Wir haben es demnach mit einer wirklichen 
Eiterung, durch pathogene Mikroorganismen bedingt, zu tun, die sich fUr 
gewöhnlich an der Peripherie des Ostium tubae pharyngenm, im Nasenrachen¬ 
raum und in den Langen finden. Der Pneumococcus ist als der gutartigere 
Erreger der Mittelohreiterung anzusehen. Sinusthromboee ist fast ausschliesslich 
durch Streptococcus bedingt. Der chronische Verlauf der Ohreiternngen wird 
darch Sekundärinfektionen mit Streptokokken nnd Staphylokokken bedingt, 
denen jedoch eine besondere Bedeutung nicht beizumessen ist. Die ahnte 



Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


461 


genaue Otitis media ist sehr häufig daroh den Diploeoeeas laneeolatns Fränkel 
hervorgerufen. An jede Eiterung des äusseren Ohres kann sieh eine totliehe 
Komplikation anschliessen. Eigentümlich sind dem äusseren Gehörgange 
Eiterungen aal Grund von Epidermispfröpfen. Eine Klassifizierung der Mittel* 
ohreiterungen vom bakteriologischen Standpunkte ist zur Zeit noeh nicht 
möglich, da die Virulenzgrade der Mikroorganismen schwanken. Bei Otitis 
media snpp., die im Kindesalter in etwa der Hälfte der Fälle mit Lungen* 
affektionen kompliziert ist, kann der Sitz der Eiterung für gewöhnlich aus 
der Lage der Trommelfellperforation entnommen werden, wenn eine solche 
vorhanden ist. Sklerose des Warzenfortsatzes, zu deren Zustandekommen 
durch Eiterung eine 10—26 jährige Dauer derselben erforderlich ist, ist nicht 
als ein Schutsdamm gegen Weiterverbreitnng der Eiterung anzusehen, sondern 
als eine erschwerende, unglückliche Komplikation. Von den akuten Mastoid* 
eiterungen zeigen 33 °/ 0 , von den chronischen 65 •/„ kein Fieber. Wird das 
innere Ohr bei einer Mittelohreiterung mitbefallen, so erkrankt in der grossen 
Mehrzahl der Fälle der horizontale Bogengang und zwar meist im Anschluss 
an chronische Mittelohreiterungen, die ihrerseits in etwa '/» der Fälle Cho- 
leeteatombildung veranlasst haben. Unter 57,659 Sektionsberichten (Gruber 
und Pauls en) war der Tod in 280 Fällen (0,512 # /o) durch intrakranielle 
Komplikationen otitischen Ursprunges bedingt. Die Wegleitung ist sowohl 
vom mittleren, wie inneren Ohre fast ausnahmslos pathologisch • anatomisch 
feststellbar. In der überwiegend grossen Mehrzahl der Fälle wird die hintere 
Sehädelgrube affiliert. Die primäre Ohreiterung ist häufig bereits ausgeheilt 
und freier Eiter nicht mehr nachweisbar. Die otitische Pyaemie kommt 
darch Thrombose der Knochenvenen za stände und ist charakteristisch dnrch die 
Fieberkurve und Metastasen, welche am häufigsten in den Langen sitzen 
(Sinns transversus). Charakteristisch für Thrombose des Sinns transversus sind: 
Ezopthalmus, Augenmuskellähmungen, Lidödem, Neuritis nervi optici, Chemosis 
and Blntnngen der Conjnnctiva bnlbi, Retinal -Venenhyperaemie, Trigeminns- 
Anaesthesie. Ein Hirnabszess otitischen Ursprunges sitzt in der Regel dicht 
an der Stelle der Pars petrosa und ka r n jahrelang latent bleiben. Das Fehlen 
einer Abszess membran berechtigt nicht, auf kurze Dauer des Abszesses zu 
sehliessen, da es alte Abszesse ohne Balg gibt. Um Symptome machen zu 
können, muss der Abszess eine gewisse Grösse haben. Ein streng lokalisierter 
and fixierter Kopfschmerz ist gewöhnlich am Sitze des Abszesses vorhanden. . 

Es gibt 3 Formen von Meningitis otitischen Ursprunges: 1) die apoplek- 
tiform auftretende, rapid verlaufende, 2) die mehr schleichend, latent sich 
abspielende, 3) eine Form mit intermittierenden Charakter. Zur Tuberkulose 
des äusseren Ohres ist meist ein Trauma als auslösendes Moment erforderlich; 
die Tuberkulose den Mittelohres kommt meist durch eine Aspiration durch eine 
Tuba zu stände. Klinisch gibt es 1) eine snbakute Form mit katarrhalischem 
und eitrigem Sekrete, 2) eine chronische, 3) eine seltene akute Form. Der 
Beweis, dass eine Tuberkulose vorliegt, ist im allgemeinen durch den Befund 
von Tnberkelbazillen als erbracht ansnsehen, doch darf mit Sicherheit aus dem 
Fehlen der Tuberkelbazillen weder im Anfangs*, noch im Endstadium ein 
Schloss auf den nicht tuberkulösen Prozess gezogen werden. Heilungen 
kommen vor. Die Masern - Otitis ist als eine Teilersoheinung der Allgemein¬ 
erkrankung aufzufassen. Der Eiter macht meist keine Symptome und wird 
ebenfalls meistens wieder völlig resorbiert, ohne Störungen zu hinterlassen. 

Aach bei Diphtherie scheint das Mittelohr regelmässig in Mitleiden¬ 
schaft gesogen zu werden und zwar nicht per oontinuitatem. Das Trommelfell 
ist nie perforiert gefunden worden. Jede Otitis media suppur. hei Influenza 
ist als eine schwere Infektion anzusehen. Es soheint, dass dabei häufig 
Bläschen mit blutigem Inhalte zur Beobaehtung kommen. Auf dem günstigen 
Boden, welchen eine chronische Ohreiterung darbietet, können sich bösartige 
Neubildungen wie Krebs oder Sarkom entwickeln. Auch die Perigeschwulst 
entsteht fast ausschliesslich durch eine chronische Ohreiterung. 

Die Prognose der Ohreiterungen ist im allgemeinen keine ungünstige. 
In der Mehrzahl der Fälle tritt Heilung ein ohne Gehörsberabsetsung nnd ohne 
bleibende subjektive Gehörsempfindnngen. Dies gilt auch für die tuberkulöse 
Eiterung des äusseren Ohres, während die der anderen Ohrabschnitte eine 
schlechte Prognose hat. Finden sich bei Otitis media Streptokokken im Ohr¬ 
eiter, so soll der Patient sieh einer Mastoidoperation unterziehen. Hat die 



462 Kleinere Mitteilungen «ad Referate ui Zeitschriften. 

Eiterung ia Labyrinth oder in der Schädelhohle ihren Sit*, eo ist die Prognose 
stets eine infausta. Des Ergebnis der bakteriologischen Untersuchung des 
Ohreiters kann in keinem Falle eine Indikation snr Vornahme einer Operation 
abgeben. Bei den Badikaloprrationen müssen die Indikationen schärfer als 
bisher gestellt werden. Bei Labyrinteiterung ist die Eröffnung des Labyrints 
eia berechtigter Eingriff. Bei Pyaemie muss die Operation schon beim ersten 
Eingriff sich auf die breite Eröffnung des Sinus erstrecken. 

Ist der Tod durch eine Ohreiterung eingetreten (§. 226 des 8tr.-G.*B.), 
so kommt es für den Richter nur darauf an, dass der Beweis für den ur¬ 
sächlichen Zusammenhang zwischen Ohreiterung und Tod erbracht wird. Bei 
Abgabe seines Gutachtens wird der Gerichtsarzt etwaige andere Krankheiten 
des Verstorbenen ausschliessen resp. berücksichtigen. Kommt eine Ohreiterung 
erst nach mehrtägigem Bestehen zur Begutachtung, so ist ein Zusammenhang 
zwischen Verletzung und Eiterung nur anzunehmen, wenn 1) die Verletzung 
mit Sicherheit erwiesen ist und 2) wenn feststeht, dass der Verletzte auf dem 
Ohre vollkommen gesund war. Selbst bei Wunden des äusseren und mittleren 
Ohres kann trotz sofortiger saebgemässer Behandlung unter Umständen der 
Eintritt einer Eiterung und selbst des Todes nicht verhindert werden. 

Ist nach einer Ohrverletzung eine Obreiterung zu stände gekommen, so 
gelingt es fast stets, den etwaigen Ausgang der Infektion von der Verletzungs- 
stelle und somit den kausalen Zusammenhang zwischen Verletzung und Infektion 
festzustellen. Setzt die Eiterung entfernt von der Verletzungsstelle ein, so 
befinden sich auch an der Verletzungsstelle anatomische Veränderungen, seien 
sie auch noch so geringgradig. Bei der Frage, ob und in welcher Zeit eine 
Verletzung zu einer Infektion geführt hat, ist es das Wichtigste, festsusteilen, 
ob der Verletzte nicht etwa schon vor der Verletzung infiziert war. Die Frage 
des Richters, wodurch eine Infektion einer Wnnde erfolgte, kann man nur 
mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit beantworten. 

Ist durch Ohreiterung auf beiden Ohren Taubheit eingetreten, so ist sie 
als schwere Körperverletzung nach $. 224 a zu begutachten. Bei der Be¬ 
urteilung, ob Verfall im Siechtum vorliegt, ist nur der Grad der Hinfälligkeit 
und die Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens, sowie der Schwund der 
KOrperkräfte massgebend. Auch Verfall in Geisteskrankheit kann durch Ohr¬ 
eiterung bedingt sein. Ein otitiseber Hirnabszess, der nicht völlig latent ist, 
muss ebenfalls stets nach §. 224 begutachtet werden. 

Jede Ohrverletzung, die eine Eiterung sur Folge hat, ist, wenn sie nicht 
unter die §. 226 und 224 fällt, naeh g. 228 als leichte Körperverletzung zu 
begutachten. Ob qualifizierte Körperverletzung vorliegt, kann nur von Fall 
zu Fall entschieden werden, dürfte jedoch in der grossen Mehrzahl der Fälle 
zu begutachten sein, da so ziemlich jeder Gegenstand geeignet ist, am Ohre 
erhebliche Verletzungen zu machen. 

Ist ein Arzt angeklagt, durch Erzeugung oder falsche Behandlung einer 
Ohreiterung den Patienten verletzt oder sogar getötet zu haben, so kommen 
die §§. 222 besw. 230 des Str.-G.-B. in Betracht. Die Frage der Fahrlässigkeit, 
die eine aktive und passive sein kann, darf nur entschieden werden durch die 
Würdigung des Einselfalles aller denselben belastenden und entlastenden Mo¬ 
mente, der begleitenden Umstände, der einzelnen Individualisierung. Ob ein 
Kunstfebler vorliegt, wird der Sachverständige im allgemeinen davon abhängig 
machen, ob das eingeschlagene Verfahren gegen diejenigen allgemeinen Er- 
fahrungssätse der Wissenschaft und Kunst, welche einem Systemwechsel nicht 
unterworfen sind, verstOsst und ob es mit der erforderlichen Aufmerksamkeit 
durchgeführt wurde oder nicht. 

Die Folgen einer Ohreiterung, wie Tod, Taubheit etc. sind ausnahmslos 
mittelbare. Zivilrechtlich ist das von Bedeutung, da bei unmittelbaren Folgen 
die Strafen schärfer sind. In Zivil- und Unfallsachen gilt der Satz, dass die 
verminderte Leistungsfähigkeit und beschränkte Erwerbsfähigkeit sich nieht 
nach allgemeinen Urteilen schematisch beurteilen lässt. Hier muss je nach 
der Lage des einzelnen Falles unter Berücksichtigung aller Umstände das 
Gutachten begründet werden. In Unfallsachen ist die Möglichkeit einer Ver¬ 
schlimmerung oder das Uebergreifen auf lebenswichtige Organe nicht zu 
berücksichtigen, da jeder Zeit das Verfahren wieder aufgenommen werden kann. 

Dr. Ru mp-Osnabrück. 



Kleinw« Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 463 

Feststellung des Todes und der Todesursache. Von Prof. Dr. 0. 
Israel. Mit 5 Abbildungen. Gerichtliche Medisin: Zwölf VortrSge, 
gehalten Ton Privatdozent Dr. Gottschalk, Geh. Med.-Rat Dr. Jolly, Prof. 
Dr. Israel, Prof. Dr. Koeppen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Liebreich, 
Prof. Dr. Mendel, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Moeli, Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. Olshansen, Gerichtsarzt Privatdozent Dr. Pnppe nnd Gerichtsarzt Prof. 
Dr. Strassmann. Heransgegeben vom Zentralkomitee für das ärztl. Fortbil¬ 
dungswesen in Prenssen, in dessen Aufträge redigiert von Prof. Dr. R. Kätner, 
Schriftführer des Zentralkomitees. Abdruck aus dem klinischen Jahrbuch. 
Jena 1903. Verlag von Gustav Fischer, gr. 8°; 226 Seiten. 

Vortragender bespricht die kadaverösen Veränderungen, die livores, die 
Gerinnselbildung, die Diffusion der Flüssigkeit, die Starre, kommt dann auf 
die Todesursache zn reden, ob Herztod oder Lungentod, beschäftigt sich ein¬ 
gehend mit der Encephalitis neonatorum, der Fragment&tio myocardii, erörtert 
dann die Atmungsstörungen durch Verschluss der Luftwege mit Fremdkör¬ 
pern, durch Embolien, erwähnt das Thema der konkurrierenden Todesursachen, 
am zum Schluss an einem Beispiel zu zeigen, wie nötig die Befolgung der 
Begulativbestimmung ist, wonach jede Sektion vollständig gemacht wird. 

Sachverständigent&tigkeit und Technik des Gerichtsarztes. Von 
Prof. Dr. Strassmann. Mit 4 Figuren. Ibidem. 

Als die hauptsächlichsten Punkte dieses Vortrages seien erwähnt: Der 
Sachverständige im Strafprozess und im Zivilprozess; das Attestwesen, der 
behandelnde Arzt als sachverständiger Zeuge, die Pflicht, vor Gericht auszu- 
sagen, das Verweigern der Aussage, das mündliche Gutachten und die Ge- 
bühren frage. 

Was die „Technik* anbelangt, so schildert Vortragender die Unter¬ 
suchung von Blut, wobei natürlich die Blutserumdiagnose nicht vergessen wird, 
von Sperma und von Haaren. 

Gesundheitszustand in zivilrechtlicher nnd strafrechtlicher Be¬ 
ziehung. Von Prof. Dr. Strassmann. Ibidem. 

Nach einleitenden Worten, die dem behandelnden Arzt empfehlen, 
Atteste in der Regel nicht abzulehnen, aber bei dem Ausstellen vorsichtig zu 
Werke zu gehen, bespricht Str. die Terminsfähigkeit, sodann die Körperver¬ 
letzungen. Hier werden natürlich die ärztlichen Operationen erwähnt, von denen 
der künstliche Abort und die Perforation eine Sonderstellung einnehmen. Auch 
die sog. Kunstfebler Anden Erwähnung; wird dabei hervorgehoben, dass nur 
dann, wenn der Kausalzusammenhang zwischen der Fahrlässigkeit und dem 
üblen Ansgang feststeht, Bestrafung eintritt. 

Weiter wird besprochen die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit durch 
eine Verletzung und die Abschätzung dieser Beeinträchtigung, sowie die Ver¬ 
schiedenheit bei Beantwortung der Frage nach dem traumatischen Entstehen einer 
Krankheit in bürgerlichen Reohtsstreitigkeiten oder wenn das Unfallgesetz 
diese Antwort verlangt; endlich beleuchtet Verfasser die Konkurrenz der 
Todesarten nnd die Priorität des Todes. 

Traumatische Todesarten. Von Dr. G. Puppe. Mit 4 Abbildungen. 
Ibidem. 

Vortragender bespricht einleitend die vitale Reaktion, sodann die post¬ 
mortalen nnd agonalen Verletzungen; dann wendet er sich zu den 8chnitt-, 
Hieb- und Stich -Verletzungen und erwähnt bei den Hiebverletzungen auch die 
Enthauptung. Es folgt die Besprechung der Verletzungen durch stumpfe Ge¬ 
walten; hier finden auch die Bissverletzungen Erwähnung; endlich werden 
die Schussverletzungen beleuchtet. 

Tod dnreh gewaltsame Erstickung und abnorme Temperatur. 
Von Dr. G. Puppe. Mit 7 Abbildungen. Ibidem. 

Der Begriff der Erstickung ist ein so weiter, dass es eigentlich keine 
Todesursache gibt, die nicht unter den Begriff „Erstickung* subsummiert werden 
könnte: Sterben und Krstiokon sind bis zu einem gewissen Grade identische 
Begriffe. Vortragender bespricht dann die Strangulation, erwähnt, dass sich 
hier die reine Erstickung mit der Blutabschnürung kombiniert, zeigt uns einige 
recht gelungene Bilder der Strangfurche, geht über zum Erdrosseln und Er¬ 
würgen, weiter zum Ertrinken, scheidet hier zwischen den Veränderungen durch 
das Ertrinken und denen durah* r das* Verweilen in dem flüssigen Medium tpjf 




464 Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 

kommt snm Ersticken infolge Abschluss der Atemwege durch feste Körper 
und infolge der Verhinderung der Atembewegungen, um endlich sich zu 
verbreiten über den Tod dnreh abnorm hohe Temperatur, d. h. Verbrühen oder 
Verbrennen und abnorm niedrige Temperatur, d, h. Erfrieren. 

Ueber die Beurteilung von Vergiftungen. Von Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. Oskar Liebreich. Ibidem. 

Der Gerichtsarzt muss die Untersuohungsmethoden des Chemikers kennen 
und sie kritisch beurteilen können. Die Definition „Gift" ist schwierig und 
nicht einmal von der Gesetzgebung versucht; es kommt hierbei nicht auf 
die Qualität, sondern auf die Quantität des Stoffes an. Der Chemiker soll des¬ 
halb nicht nur eine qualitative Analyse liefern, sondern muss auch eine quan¬ 
titative beibringen. Vortragender bespricht dann Vergiftungen mit Atropin, 
Arsen, Phosphor, Sublimat und schliesst mit dem Satze, dass jede Vergiftung 
ein neues Bild schaffe, dessen Betrachtung die schärfste Kritik erheische. 

Ueber Fortpflanzungsfähigkeit, Schwangerhaft und Geburt. Von 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Olshausen. Ibidem. 

Die Fortpflanzungsfähigkeit hat für den Gerichtsarzt Interesse in solchen 
Fällen, wo es sich um Ehescheidung handelt, oder wo die Gültigkeit einer 
Ehe angefochten werden soll, oder wo geklagt wird auf Aufhebung der ehe¬ 
lichen Gemeinschaft. Der Mangel an Fortbildungsfähigkeit beruht auf einer 
Impotentia coeundi oder einer Impotentia gignendi. 

Bei dem Kapitel „Schwangerschaft“ behandelt Vortragender vor allen 
Dingen die Dauer derselben; beim Kapitel „Geburt“ findet die Besprechung der 
Kunstfehler der Aerzte und Hebammen ihre Erledigung. Bei operativen Mass¬ 
nahmen soll der Gerichtsarzt vor allen Dingen die Frage präzis beantworten: 
war die Operation berechtigt, lag eine gerechtfertigte Judikation zu der¬ 
selben vor? 

Krimineller Abort und Kindesmord. Von Privatdosent Dr. Siegm. 
Gottschalk. Ibidem. 

Vortragender bespricht zunächst den Abort und stellt fünf gerichteärzt¬ 
liche Aufgaben feBt: 1) Die Diagnose des Aborts. 2) Woran erkennt man 
den kriminellen Charakter des Aborts? Hier erwähnt G. besonders die inneren 
Verletzungen an Scheide und Gebärmutter. 3) Die Beurteilung der Tauglich¬ 
keit der Abtreibmittel. 4) Der Kausalnexus zwischen Tod oder Erkrankung 
der Schwangeren und dem Abort; endlich 5) der Nachweis, dass die Frucht 
zur Zeit des Eingriffes lebte und in Entwicklung begriffen war. Der zweite 
Teil des sehr lesenswerten Vortrages behandelt das Thema „Kindesmord“. 

Die Zurechnungsfähigkeit. Von Prof. Dr. Mendel. Ibidem. 

Der Sachverständige hat das Individuum zu untersuchen, um zu prüfen, 
ob die Voraussetzungen des §. 51 zutreffen; dabei sind zu berücksichtigen 1) 
die Heredität, 2) die Anamnese. Zu beachten sind weiter 3) Epilepsie, Hysterie 
und 4) Intoxikationen. Es muss der augenblickliche Zustand des Täters 
erörtert werden in bezug auf seine geistige Fähigkeit und seine körperlichen 
Funktionen. Das Gutachten hat die wissenschaftliche Diagnose der bestehenden 
Geisteskrankheit zu stellen. Der Vortragende bespricht sodann die Zustände 
von Bewusstlosigkeit und zwar infolge von Epilepsie, Alkoholismus, Schlaf¬ 
trunkenheit, Schlafwandeln, Somnambulismus, Fieberdelirien und die Bewusst¬ 
losigkeit der Gebärenden, um dann auf die krankhafte Störung der Geistes¬ 
tätigkeit zu sprechen zu kommen. Hier lassen sich drei Möglichkeiten kon¬ 
struieren: 1) Der Anreiz und die auf Erfüllung der Tat sich richtenden Vor¬ 
stellungen sind durch die Krankheit hervorgerufen oder in abnormer Weise 
verstärkt. 2) Die auf Hemmung einer strafbaren Handlung gerichteten sitt¬ 
lichen Vorstellungen sind infolge von Krankheit wenig entwickelt oder durch 
die Krankheit geschwächt. 3) Es findet eine Ueberlegung, ein Kampf über¬ 
haupt nicht statt, der Reiz löst die Handlung aus. 

Weiterhin wird die „verminderte Zurechnungsfähigkeit“ erörtert; die 
Ansicht des Vortragenden finden wir niedergelegt in These n des Vor¬ 
trages: In dem zu erwartenden Reiohsgesetz über den Strafvollzug ist für 
diejenigen Täter strafbarer Handlungen Vorsorge zu treffen, welchen zwar 
nicht der Schutz des §. 51 des Str. G. B. zur Seite steht, welche aber in bezug 
auf ihren geistigen Zustand gewisse Abnormitäten bieten („vermindert Zurech¬ 
nungsfähige“) und deswegen eine besondere Art des Strafvollzuges notwendig 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


465 


machen, während These I lautet: Bei der Revision des Strafgesetabncbes ist 
dem bisherigen §. 51 folgende Fassung sn geben: „Eine strafbare Handlung 
ist nicht vorhanden, wenn der Täter sur Zeit der Begehung der Handlung 
bewusstlos oder geisteskrank war.“ 

Die Geisteskrankheiten in zivilrechtlicher Hinsicht. Von Geh. 
Med.-Rat Prof. Dr. Moeli. Ibidem. 

M. unterzieht die uns interessierenden Paragraphen des Bürgerlichen 
Gesetzbuches einer Besprechung und wirft die Frage auf: was besweckt das 
Gesetz und inwiefern vermag der Mediziner auf grund seiner fachwissenscbaft- 
liehen Kenntnisse die Aufgaben zu läsen, mit welchen ihn das Gesetz betraut bat 

Er verbreitet sich über die Geschäftsfähigkeit und bespricht 
hierbei die Themata EntmBndigung und Pflegschaft, erwähnt sodann die Er* 
satzpflicht, um zum Schluss von der Ehescheidung zu reden. Am Schluss des 
Vortrages sind die betreffenden Gesetzes - Paragraphen abgedruckt. 

Perverser Sexualtrieb nnd Sittlichkeitsverbrechen. Von Geb. Med.- 
Rat Prof. Dr. Jolly. Ibidem. 

Vortragender bespricht die direkten Wirkungen auf das Seelenleben und 
auf das Handeln, insbesondere auf das verbrecherische Handeln und anderseits 
die Beziehungen dieser Vorgänge zu Zuständen psychischer Erkrankung. 

Er behandelt die verschiedenen sexuellen Perversitäten und stellt 
den Leitsatz auf: Sexuelle Perversitäten an eich, mögen sie noch so sehr 
durch ihre Absonderlichkeit Verwunderlichkeit oder Abscheu erregen, sind 
niemals ausreichend, um einen geistig abnormen Zustand im ganzen zu beweisen. 
Sie können bei vollkommen gesunden Individuen Vorkommen; sie können aber 
auch bei Kranken Vorkommen, neben anderen Krankheitserscheinungen beob¬ 
achtet werden und in manchen anderen Fällen so prädominierend werden, dass 
man in der Tat ihnen das Kriterium eines eigenen Krankheitszustandes nicht 
absprechen kann. 

Ueber Epilepsie und Hysterie in forensischer Beziehung. Von 
Prof. Dr. M. Köpp en. Ibidem. 

Vortragender bespricht zunächst die Epilepsie; nicht jeder, der im 
kindlichen Alter einen epilepsieartigen Anfall gehabt hat, ist ein Epileptiker; 
der Gutachter hat sein Augenmerk vor allen Dingen auf die psychischen Cha¬ 
rakterveränderungen zu richten. 

Er verbreitet sich sodann Aber die Bewusstseinsstörungen, deren Zu¬ 
standekommen vorläufig eine unlösbare Aufgabe ist; wahrscheinlich handelt es 
sich um eine plötzliche Aenderung in dem materiellen Zustande des Gehirns, 
z. B. Veränderung in der Blutzirkulation. 

Weiter bespricht Vortragender verbrecherische Handlungen im somnam¬ 
bulen Zustande, um dann die Hysterie zu behandeln. 

Dr. Hoffmann-Berlin. 


Ueber hysterische Dämmerzustände und das Symptom des ,.Vor- 
beiredens“. Von Prof. A. Westphal. Neurologisches Zentralbl.; 1903, Nr. 1. 

W. beschreibt 4 Fälle, in denen das zuerst von Ganser beobachtete 
eigenartige Symptom des Vorbeiredens im hysterischen Dämmerzustände sur 
Beobachtung kam. Die auffälligste Erscheinung dieses Symptembildes besteht 
darin, dass die Kranken Fragen allereinfacbster Art nicht richtig zu beant¬ 
worten vermögen, obwohl sie durch die Art ihrer Antworten kundgeben, dass 
sie den Sinn der Fragen ziemlich erfasst haben, und dass sie in ihren Ant¬ 
worten eine auffallende Unkenntnis verraten von Dingen und Kenntnissen, die 
sie bestimmt besessen hatten oder noch besassen. Häufig vergesellschaftet sieh 
dieses Symptom des Vorbeiredens mit einem Dämmerzustand oder mit hoch¬ 
gradiger Bewusstseinstrübung und nicht selten mit folgender Amnesie. Die 
Erinnerungsdefekte beweisen schon, dass es sich hier nicht etwa um ein be¬ 
wusstes Nichtwissen wollen oder Leugnen handelt; auch die Verbindung dieses 
Zustandes mit andersartigen Verwirrtheitszuständen, wie mit mannigfachen 
körperlichen Störungen funktioneller oder hysterischer Art lässt leicht eine 
Simulation ausschliessen. — Wie zwei Fälle des Verfassers lehren, ist das 
Symptom des Vorbeiredens kein eindeutiges Symptom der Hysterie, sondern es 
kommt aueh bei anderen psychischen Störungen, so bei der Dementia praecox 
zur Beobachtung, ebenso bei Katatonie etc. Während das „Vorbeireden* bei 



466 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


Hysterischen als Folge nnd Begleiterscheinung gewisser peychischer Elementar- 
störungen (Dämmerungszustand, Schwerbesinnlichkeit, Benommenheit) ansnsehen 
ist, fehlt die Bewusstseinstrübung bei den Katatonikern (Dementia praecox). 
Hier werden die Antworten nicht langsam nnd lögernd, sondern unvermittelt, 
plötzlich and sinnlos heraasgestossen; sie beruhen auch nicht auf einen 
dauernden Verlast von Kenntnissen and Wahrnehmungen. — Sehr leicht kann 
das Symptom den Verdacht der Simulation einer Geistesstörung erwecken, zu¬ 
mal wenn es bei Gefangenen in Untersuchungshaft oder nach traumatischer 
Kopfverletzung zur Beobachtung kommt nnd ein besonderes forensisches 
Interesse erweckt. S. Kali scher-Schlachtensee. 


Probleme auf dem Gebiete der Homosexualität. Von Medizinalrat 
Dr. N ä c k e - Hubertusburg. Allg. Zeitschrift für Psychiatrie; 59. Bd., 6. H. 

Verfasser befasst sich in der vorliegenden Arbeit, der bereits eine Reihe 
Abhandlungen über das gleiche Thema vorangegangen sind, mit der Unter¬ 
scheidung von sexueller Perversion (d. h. angeborener) und Perversität (d. h. 
erworbener) Homosexualität. 

Neuerdings wird von Kennern dieser Frage die Behauptung anfgestellt, 
dass die Homosexualität stets angeboren sei und, wenn sie sieh im späteren 
Leben erst zeige, als tardive Form zu betrachten sei. Verfasser, der 
bekennt, dass ihm eigene Erfahrungen auf diesem Gebiete mangeln, wirft die 
Frage auf, ob nicht doch Fälle nachweisbar seien, in denen jede Anlage zur 
Homosexualität fehle. Zur Beantwortung dieser Frage hält er nur ein¬ 
zelne Autoren für kompetent, sodass es immerhin auffallen muss, dass Ver¬ 
fasser selbst bereits die 8. Abhandlung (ausweislich des angehängten Literatur¬ 
verzeichnisses) der Frage widmen zu müssen glaubt. Nach N. fehlen zur Zeit 
zunächst alle Zahlenangaben über die Häufigkeit der sog. tardiven Fälle. „Man 
muss also besonders auf Wüstlinge fahnden, die zuletzt auch auf Homosexualität 
gerieten, wie man bisher glaubte, was wieder die Definition von Wüstling vor- 
aussetzt“ (8. 810). Seine Auffassung über die ganze Frage nnd die noch zu 
lösenden Probleme fasst Verfasser in 12 Leitsätzen zusammen, in denen er u. a. 
betont, dass es körperlich nnd geistig normale Homosexuelle gäbe, die als voll¬ 
kommen zurechnungsfähig zu gelten haben; er fordert ferner die Abschaffung 
des §. 175 des St. G. B. In einem Nachtrag zu seiner Arbeit stellt N. fest, 
dass er durch die Bekanntschaft mit zwei (!) geistig hochstehenden Homo¬ 
sexuellen von der Richtigkeit seiner Auffassung aufs deutlichste überzeugt 
worden sei. Dr. Pollitz-Mflnster. 


B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- nnd Invaliditäts- 

aaohen. 

Bin Fall von traumatischer Hysterie, durch einen nicht entschädi¬ 
gungspflichtigen Unfall hervorgerufen und unter psychischer Behand¬ 
lung rasch in Heilung fibergehend. Von Dr. Traugott in Breslau. 
Münchener med. Wochenschrift; 1903, Nr. 7. 

Dass Krankheitsbilder, die den traumatischen Neurosen entsprechen, 
auch an nioht entschädigungspflichtige Unfälle sich anschliessen, also auch da 
zur Entwickelung gelangen, wo irgend welche Begehrungsvorstellungen (Strüm¬ 
pell) nicht geweckt werden oder allmählich entstehen können, dafür führt 
Verfasser einen von ihm beobachteten Fall an: 

Der 16 jährige Handelsschüler K. erlitt bei einer der Versicherungspflicht 
nicht unterliegenden Arbeit im Mai 1902 dadurch einen Unfall, dass eine aus 
ziemlich beträchtlicher Höhe herabfallende Kiste ihn an der linken Schulter 
und am linken Arme traf, worauf K. sehr heftig erschrak, jedoch das Be¬ 
wusstsein nicht verlor. Er empfand wohl an den von der Kiste getroffenen 
Stellen einige Schmerzen, doch waren sie nur unerheblich nnd nicht lange an¬ 
haltend. Irgend welche Schwächexustände im Arm nnd in der Schulter be¬ 
standen zunächst nach dem Unfälle nicht. Erst ca. 8 Tage nach dem Unfälle 
begann sich im linken Arme ein Gefühl von Schwäche einzustellen, welche 
innerhalb weniger Tage in Lähmung überging, so dass der Verletzte sch Häss¬ 
lich auch nur die geringste Bewegung mit der linken oberen Extremität lieht 
mehr ausftthrea konnte. 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 467 

Bei Uebernahme des Patienten fand Verfasser einen mittelgroßen, regel¬ 
st fasig gehanten Mann, der bis anf einen mittleren Grad von Anämie keinerlei 
organische krankhafte Veränderungen bot. Vor 3 Jahren bat er eine Lungen¬ 
entzündung durchgemacht and leidet seit dem öfters an „Anfällen“ von ner¬ 
vöser Aengstlichkeit. Er lernt etwas schwer, besonders fremde Sprachen, im 
übrigen aber bietet seine Intelligens keine Defekte. Seine Matter leidet viel 
an Kopfschmerzen, and soll ein nervöses Hersleiden haben; Vater nnd Ge¬ 
schwister sind gesund. 

Patient war nicht im Stande irgend eine Bewegung mit 
seiner linken Oberextremität aussufttbren, er konnte auch die 
linke Schulter nicht heben. Passiv waren alle Bewegungen in normaler Weise 
ausführbar, Schmerzen entstanden dabei nicht. Auf der linken Körperseite 
fand sich eine Zone absoluter Hautanästhesie für Berührung, Schmerz, Tempe¬ 
ratur, welche in der Höhe des linken Auges beginnend, sich nach abwärts über 
Gesicht, Hals, Schulter, Arm, Hand und Rumpf bis zu einer 2 cm oberhalb der 
Crista ossis ilei horizontal um den Leib verlaufenden Linie sich erstreckte. 
Die elektrokutane Empfindlichkeit war in dieser Zone ziemlich gut erhalten, 
jedoch immerhin gegenüber der anderen Körperhälfte deutlich herabgesetzt. 
Nach innen vom Poupartschen Bande (entsprechend der Ovarialgegend des 
Weibes) befand sich ein auf Druck sehr empfindlicher Punkt. 

’ r Im weiteren Verlauf gelang es teils durch Zureden, teils durch Suggestion 
und muskuläre Faradisation in dem gelähmten Arme Kraft und Bewegungs- 
fähigkeit wieder in dem vollen normalen Umfange herzustellen. Die Beseiti¬ 
gung der sensiblen Lähmung gelang etwas später und schwieriger als die der 
motorischen Lähmung. 

Verfasser meint, dass der Verlauf dieser Erkrankungsformen ohne Renten¬ 
erwartung im allgemeinen ein weit gutartigerer sei, als derjenige, der durch 
entschädigungspflichtige Unfälle erzeugten Neurosen. 

_ Dr. Waibel-Kempten. 


Der funktionelle Plattfass mit besonderer Berücksichtigung seines 
Entstehens durch Traumen. Von Dr. Her hold. Beilage zur klinischen 
Chirurgie; 1903, XXII. Bd., H. 2. 

Herhold schildert vier Fälle des schwierig zu erkennenden funktionellen, 
das heißt, erst beim Stehen oder belastend Stehen erkennbaren Valgusfnsses. 
Er betont, dass oft Simulation angenommen wird, wenn der Kranke nur im 
Liegen oder Sitzen untersucht wird, oder wenn beim Stehen desselben eine 
deutliche Abflachung des Fußgewölbes auch bei belastetem Fasse nicht ein- 
eintritt. Diese funktionellen Plattfüsse machen meist erst dann Beschwerden, 
wenn ein Trauma anf dieselben eingewirkt hat. In den 4 Fällen Herholds 
handelt es sich um Soldaten. Nur bei einem wurde hei der Einstellung ge¬ 
ringe Plattfumanlage bemerkt. Die Traumen waren geringfügiger Art. 

Dr. Fielitz jun. - Halle a./S. 

Entschädigung der Unfallfolgen bei chronischen Leiden. Reknrs- 
Entseheidnng des Reichsversicherungsamts vom 28. Januar 1903. 

Abgesehen von Dr. A. sind sämtliche Aerzte, die znr Sache gehört worden 
sind, namentlich auch Dr. B., dessen Gutachten vom 22. Dezember 1901 der 
Anfangsrente von 100 Pros, zu Grande gelegt worden ist, der Ueberzengung, 
dam die Lungenerkrankung bei dem Kläger schon vor dem Unfälle vom 
14. September 1891 in ihren Grundbedingungen vorhanden gewesen ist und der 
Unfall nur wesentlich zur Verschlimmerung des Leidens beigetragen hat. Dem¬ 
entsprechend sind dem Kläger denn auch zunächst die Vollrente nnd. als sioh 
eine Besserung des durch den Unfall bedingten Zustandes ergab, Teilrenten 
von 50 und 20 Proz. gewährt worden. Durch Bescheid vom 23. Oktober 1898 
ist dann die Entschädigung ganz aufgehoben worden, weil als tatsächlich fest¬ 
gestellt wurde, dass der Kläger seine völlige Erwerbsfäbigkeit, wie sie vor 
dem Unfälle bestanden hatte, wieder erlangt habe. Seit diesem durch Urteil 
des Schiedsgerichts vom 16. Mai 1894 rechtskräftig betätigtem Bescheide sind 
bis zu dem auf Wiedergewährnng der Vollrente gerichteten Anträge vom 
17. Februar 1902 mehr als 7 1 /»*Jahre verflossen, ein Zeitraum, der nicht'bloß 
für die Fortentwickelung der vor dem Unfälle vorhandenen Krankheit, sondern 



468 


Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


sogar aaoh sa einer neuen, von dem Unfälle ganz anabhängigen Entstehung 
des jetzigen Leidens ansreichte. Unter solchen Umständen kann niaht ange¬ 
nommen werden, dass die durch den Unfall herbeigeführte, demnächst aber 
durch rechtskräftige Entscheidung als beseitigt festgestellte Verschlimmerung 
der Lungenerkrankung noch jetzt einen wesentlichen Anteil an dem bei dem 
Kläger bestehenden Leiden hat. Es kann daher die Erwerbsunfähigkeit, 
welche durch den jetzigen krankhaften Znstand des Klägers bedingt wird, 
nicht mehr dem Unfälle zugerechnet werden. 

Dos Rekursgericht hob mit dieser Begründung die Entscheidung des 
Schiedsgerichtes auf, durch welche dem Verletzten die Vollrente und Ent¬ 
schädigung durch freie ärztliche Behandlung und Arsnei zuerkannt war. 


Die Annahme teilweise? Erwerbsunfähigkeit vor dem Unfälle ist 
bei geringfügigem Emphysem nicht zulässig, (g. 13 des Unfallver- 
siehernngsgesetzes für Land- nnd Forstwirtschaft vom 30. Jnni 1900.) 
Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts Tom 
12. Januar 1903. (Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts; 
1903, Nr. 6. 

Der für die Rente land- und forstwirtschaftlicher Arbeiter massgebende 
Jahresarbeitsverdienst ist noch §. 10 a. e. 0. ein „durchschnittlicher“, und bei 
seiner Festsetzung für die Klasse der „erwachsenen Arbeiter“ wird der Ver¬ 
dienst älterer und jüngerer Personen, welche zu dieser Klasse gehören, berück¬ 
sichtigt, wodurch es sich erklärt, dass er in vielen Fällen hinter dem tatsäch¬ 
lichen Verdienste des Verletzten nicht unerheblich zurückbleibt. Es ist also 
schon auf diese Weise dem Umstande Rechnung getragen, dass der eine oder 
andere Arbeiter wegen Alters oder geringfügiger Gebrechen nicht mehr in 
vollstem Masse erwerbsfähig ist. Wäre aus einem so unbeträchtlichen Anlasse, 
wie er hier nur in Frage kommt, die Anwendung des §. 13 a. a. 0. gestattet, 
so würde dadurch, wenn nicht in den meisten, so doch jedenfalls in sehr vielen 
Fällen eine Kürzung des ohnehin nur durchschnittlichen Verdienstes und dem¬ 
zufolge der Rente eintreten, und damit würde diese Vorschrift, die nur dazu 
bestimmt ist, dass Unbilligkeiten gegenüber den Bernfsgenossenscbaften ver¬ 
mieden werden, zu einer vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigten Be¬ 
nachteiligung der Arbeiter führen. 


Eine nennenswerte Beschränkung der Arbeite- nnd Erwerbsfähig- 
keit wird durch den Verlust der beiden Endglieder des linken Zeige¬ 
fingers nicht mehr verursacht. Rekurs-Entscheidung des Reichs- 
Versicheruugsamts vom 10. Januar 1903. Der Kompass; 1903, Nr. 9. 

Wenn auch nach den übereinstimmenden und bedenkenfreien ärztlichen 
Gutachten kein Zweifel daran bestehen konnte, dass eine wesentliche Besse¬ 
rung in dem Zustande des verletzten Zeigefingers, dessen beiden ersten Glieder 
fehlen, eingetreten ist, da die Narbe völlig geschlossen, nicht mehr druck¬ 
empfindlich und auch die Beweglichkeit des Fingerstumpfs jetzt wieder völlig 
normal ist, so fragte sieh doch, ob die vom Schiedsgericht getroffene Fest¬ 
stellung, dass der Stumpf beim Handschluss etwas über das Grundglied des 
benachbarten Fingers hinausragt und dadurch ein Hindernis bei der Arbeit 
bildet, tatsächlich zutrifft. Das über diesen Punkt eingeholte Gutachten des 
KOnigl. Kreisarztes Dr. B. vom 27. Oktober 1902 hat überzeugend ergeben, 
dass der Stumpf des linken Zeigefingers ebensoweit gebeugt weiden kann wie 
die Grundglieder der übrigen Finger, und dass der Stampf beim Handschlusa 
nicht über das Grundglied des Nachbarfingers hinausragt. Ein Hindernis für 
die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des Klägers ist daher nicht mehr vorhanden. 
Bei der günstigen Stumpfbildung und der guten Beweglichkeit des Stumpfes 
liegt für den Kläger keine Veranlassung vor, die Hand zu schonen, wie denn 
auch nach der Feststellung des Dr. B. der tatsächliche Zustand des linken 
Armes und der linken Hand dafür spricht, dass sie ungestört benutzt werden 
kann. Ueberdies beträgt der Arbeitsverdienst des Klägers jetzt täglioh 3 Mk., 
während er vor dem Unfall nur 2,90 Mk. erreichte. Der Kläger wird also 
durch den glatten Verlast der beiden Endglieder des linken Zeigefingers nicht 
mehr nennenswert in seiner Arbeits- und Erwerbsfähigkeit beschränkt. 



Besprechungen. 


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Besprechungen. 

Prod Dr. Friedr. Besold: Die Taubstummheit auf Grand obren- 
ärztlicher Beobachtangen. Eine Studie zur Gewinnung einer künftigen 
zuverlässigen Taubstummenstatistik. Für Aerzte und Tanbstnmmenlebrer. 
Mit sechs Textabbildungen und einer Tafel. Wiesbaden 1902. Verlag von 
J. F. Bergmann. 

Der auf dem Gebiete der Taubstummheit rfthmliebst bekannte Autor be¬ 
richtet in der vorliegenden Monographie über die Beobachtungen an den Taub¬ 
stummen und den infolge hochgradiger Schwerhörigkeit mangelhaft Sprechenden, 
welche er in seiner öffentlichen und privaten ärztlichen Tätigkeit zu sehen 
Gelegenheit hatte. Dieses Krankenmaterial, welches 456 Untersuchte umfasst, 
war, wie B. im Vorwort betont, für das ärztliche Urteil um deswillen beson¬ 
ders wertvoll, weil die Mehrzahl der Fälle schon kurze Zeit naoh der Ent¬ 
stehung der Taubstummheit zur Behandlung kam. 

Die Arbeit ist in 12 Kapitel eingeteilt. 

Bei der Abgrenzung des Begriffes der Taubstummheit schliesst sich der 
Autor Mygind an, welcher die Taubstummheit als denjenigen pathologischen 
Zustand bezeichnet, „welcher auf einer angeborenen oder im frühen Kindes¬ 
alter erworbenen Anomalie des Gehörorgans beruht, infolge welcher eine dauernde 
und so bedeutende Herabsetzung des Gehörs eingetreten ist, dass das betref¬ 
fende Individuum durch Hilfe des Gehörs allein das Sprechen nicht („oder nur 
wenige Budimente desselben“ muss hier ergänzt werden) zu lernen imstande 
war, oder die Sprache — falls sie schon beim Eintritt der Taubheit erlernt 
war — nicht auf diese Weise hat erhalten werden können. . „In Dänemark 
werden dementsprechend alle diejenigen Kinder als taubstumm bezeichnet, die 
wegen Gehörmangels in derselben Weise wie normale Kinder nicht unterrichtet 
werden können.“ 

Die für den Arzt oft schwer zu entscheidende wichtige Frage, ob ein 
überhaupt nioht oder nur mangelhaft sprechendes Kind der Aufnahme in die 
Taubstummenanstalt bedarf oder nicht, wird eingehend erörtert; dabei wird 
auf die Schwierigkeiten hingewiesen, welche die Unterscheidung der Taub¬ 
stummen von den psychisch defekten Kindern machen kann. 

Das Häufigkeitsverhältnis der angeborenen nnd erworbenen Form von 
Taubstummheit gestaltete sich bei den untersuchten Fällen nach der statistischen 
Berechnung folgendermassen: angeborene Taubstummheit 196 (43,0 °/ 0 >, er¬ 
worbene Taubstummheit 238 (51,1 %), unbestimmbar 27 (5,9 %). 45,9 °/„ der 
angeborenen Taubheit hatten Hörreste für die Sprache, 35,7 waren total 
taub; von der erworbenen Taubheit hatten dagegen 21,5°/ 0 Hörreste 
für die Sprache, 55,8 °/ 0 waren total taub. 

In betreff der erworbenen Taubstummheit ergiebt die Tabelle III auf 
Seite 27 der Monographie, dass die Erkrankungen, welche bei den Untersuchten 
zur Taubheit geführt hatten, überwiegend in den ersten drei Lebensjahren auf¬ 
getreten waren, also zu einer Zeit, in welcher die Kinder überhaupt noch 
nicht oder nur unvollkommen sprachen. Bei der Betonung dieser Tatsache, 
wird darauf hingewiesen, dass es direkt vom Alter abhängt, ob die Sprache 
auf natürlichem Wege erlernt werden kann, oder wenn sie bereits erlernt ist, 
wieviel von dem Erlernten wieder verloren geht. 

Im Kapitel VH werden die Ursachen, welche bei den Untersuchten zur 
angeborenen Taubheit geführt hatten (Erblichkeit, Verwandtschaftsehe, 
Potatorium der Eltern, schwere Geburt), im Kapitel IX die Ursachen der er¬ 
worbenen Taubstummheit eingehend besprochen. 

Die Lues hereditaria, welche von anderen Autoren in ihren Statistiken 
nicht erwähnt ist, wurde bei 5,6 °/ 0 der Ertaubten als Ursache des Leidens 
feztgestellt. Bei der Mehrzahl der hereditär luetischen Kinder trat die Er¬ 
krankung des OhreB zwischen dem 7. nnd 9. Lebensjahre ein. 

In der Tabelle IX auf Seite 102 und 103 werden die von den verschie¬ 
denen Autoren aufgestellten statistischen Berechnungen in Betreff der Aetiologie 
der erworbenen Taubheit übersichtlich zusammengefasst. Nachdem der Autor 
weiter im Kapitel XI ausgeführt hat, welche Hörreste bei diesen 456 Er¬ 
taubten gefunden wurden, weist er am Schlusskapitel darauf hin, dass nach 
seinen Erfahrungen die Ueberwachung der Taubstummen durah Ohrenärzte 
eine dringende Notwendigkeit ist. Dr. Rudi off-Wiesbaden. 



Tagesnachricbtea. 

PMt&ll ii Berlin. Ebenio wie Tor einigen Jahren in Wien ist jetat 
aaeh in Berlin ein Pestfall durch Laboratoriums-Infektion vorgehomwea, Aber 
den der „Reichsanzeiger“ folgende amtliche Darlegung gibt: 

„Am 5.d. M. starb hierselbst der österreichische Amt Dr. Milan Saehs, 
25 Jahre alt, aas Agram, der sich seit einigen Wochen im hiesigen Königlichen 
Iostitnt fttr Infektionskrankheiten mit bakteriologischen Arbeiten Aber Pest 
beschäftigt hatte. Dr. Saehs war in der Nacht sum 3. d. Mts. unter Er¬ 
scheinungen von Lungenentzündung erkrankt. Der behandelnde Arzt schöpfte 
mit Rücksicht auf die Beschäftigung des Kranken und bei dem schweren Ver¬ 
laufe der Krankheit Verdacht und meldete den Fall der Polizeibehörde als 
pestverdächtig. 

Der Kranke wurde daher alsbald in einem Krankenkasse abgesondert, 
and alle Massnahmen wurden ergriffen, um eine Weiterverbreitung der Krankheit 
zu verhttten, falls es sich tatsächlich um Pest handeln sollte. Der Verdacht 
wurde verstärkt durch das klinische Bild des Krankheitsverlaufes und durch 
die mikoskopischen Untersuchungen. Ausser Zweifel gestellt ist die Diagnose 
durch die mittels Kulturen und Tierversuchen ausgefAhrte und heute sum 
Abschluss gelangte bakteriologische Untersuchung. 

Die durch ihre Berührung mit dem Verstorbenen gefährdeten Personen 
sind onter ärztlicher Ueberwachung abgesondert; die erforderlichen Desinfektionen 
und übrigen Massnahmen sind ausgeführt.“ 

Um die zur Verhütung der Weiterverbreitung der Pest erforderlichen 
Massregeln zu treffen und zu überwachen, ist im Kultusministerium unter Zu¬ 
ziehung von Vertretern des Reichsgesundheitsamts und des Polizeipräsidenten 
ein ständiger Ausschuss gebildet, der zur Abwehr alles getan hat, was nur 
irgend geschehen kann, so dass zu irgend einer Befürchtung oder Beunruhi¬ 
gung nicht die geringste Veranlassung vorliegt. 

Sämtliche CharitObaracken, mit Ausnahme derjenigen, die mit den iso¬ 
lierten Aerzten, Wärtern u. s. w. belegt sind, sind geräumt, und vorsichtshalber 
auch noch gründlich desinfiziert. Die Isolierten befinden sich alle durchaus 
wohl, auch die ganze Familie L., bei der Dr. Sachs gewohnt hat, mit 
Ansnahme eines Wärters M., bei dem sich ein leichtes Fieber eingestellt 
hatte. Die bakteriologische Untersuchung hat aber ergeben, dass bei demselben 
keine Pesterkrankung vorliegt, sondern das Fieber und Krankheitsgefühl auf 
die zum Schutze vorgenommene Serumeinspritzung oder auf eine Erkältung 
surttckzuffihren ist. 


Zeitungsnachrichten zufolge sollen von den aus Südafrika nach England 
gesandten und dort versteigerten typhusverdächtigen wollenen Decken 
(s. Nr. 11 der Zeitschrift, S. 439) auch ein Teil nach Harburg und Hamburg 
und von hier nach anderen Orten verkauft sein. Das Hamburger 
Medisinalkollegium hat infolgedessen den Empfängern derartiger Decken 
die Meldepflicht anferlegt und warnt vor dem Vertrieb und Ankauf. Ebenso 
hat der preuss. Ministerialminister unter dem 28. Mai 1903 — 
M. 12115 — die Regierungspräsidenten ersucht, Ermittelungen darüber ansu- 
stellon, ob etwa derartige Decken in den Bezirk eingeführt sind, sowie künftig 
auf etwaige Einführung solcher Decken ein wachsames Auge zu haben und 
gegebenenfalls eine gründliche Desinfektion der fraglichen Decken herbeizuführen. 

Am 8. d. M. hat in der Charitä die Uebergabe des fertiggestellten 
Laboratoriums fttr Krebsforschung stattgefunden. Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. v. Leyden richtete eine Ansprache an die Erschienenen, in der er ein 
Bild des gegenwärtigen Standes der Krebsforschung gab. Ministerialdirektor 
Alt hoff überbraehte die Glückwünsche des verhinderten Kultusministers. Der 
Feier schloss sich eine Besichtigung des Laboratoriums au. 


Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Rob. Koch-Berlin ist von der Wiener Aka¬ 
demie der Wissenschaften sum Ehrenmitglied ernannt. 



Tagesnachrichten. 471 

Am 19. d. Mts. tritt der Preussische Apothekerrat zu einer Sitzung 
zusammen. Zar Verhandlung gelangt: „Die Arzneiversorgung der Kranken¬ 
kassen.“ 


75. Versammlung der Deutschen Naturforscher und Aerzte in 
Kassel vom 21.—26. September d. J. Die Tagesordnung für die beiden 
allgemeinen Sitzungen und die gemeinsame Sitzung der beiden wissenschaft¬ 
lichen Hauptgrnppen ist wie folgt festgesetzt: 

Erste allgemeine Sitzung, Montag, den 21. September: 

1. Der Einfluss der Naturwissenschaften auf die Weltanschauung; Vortragender: 
H. Prof. Dr. Ladenburg-Breslau. 2. Physiologische Psychologie der Gefühle 
und Affekte; Vortragender: H. Prof. Dr. Ziehen-Utrecht.— Gemeinsame 
Sitzung der beiden wissenschaftlichen Hauptgruppen, Mit- 
woch, den 28. September: 1. Die geologische Zeit; Vortragender: H. 
Prof. Dr. A. Penck-Wien. 2. Die Vorgeschichte des Menschen; Vortragender: 
Prof. Dr. Schwalbe-Strassbarg i. E. 3. Erbliche Entartung infolge sozialer 
Einflüsse; Vortragender: San.-Bat Dr. M. Alsberg-Kassel. — Zweite 
allgemeine Sitzung, Freitag, den 25. September: 1. Ueber das 
periodische System der Elemente; Vortragender H. W. Bamsay-London. 

2. Ueber den Stand der Schulhygiene; Vortragender: H. Prof. Dr. Gries- 
bach-Mühlhausen i. E. 3. Ueber die Tuberkulosebekämpfung; Vortragender: 
H. Geh. Med.-Bat Prof. Dr. ▼. Behring in Marburg. 


In der diesjährigen in Dresden vom 5.—6. Juni abgehaltenen Ver¬ 
sammlung der deutschen Landesgruppe der internationalen Krimi¬ 
nalistischen Vereinigung kam u. a. in der Sitzung vom 6. Juni die vermin¬ 
derte Zurechnungsfähigkeit zur Verhandlung. Beferent war Dr. Delbrück- 
Bremen, Korreferent Prof. v. Liszt-Berlin. Die Debatte führte zu der An¬ 
nahme der teils von Dr. Delbrück, teils von Prof. v. Liszt vorgeschlagenen 
Leitsätze, so dass im wesentlichen folgendes beschlossen wurde: 1) Allein im 
Interesse der Begutachtung zweifelhafter Geisteszustände vor Gericht ist eine 
Aenderung des §. 51 des Str.-G.-B. notwendig, in dem Sinne, dass ausser der 
völligen Unzurechnungsfähigkeit auch eine verminderte Zurechnungsfähigkeit im 
Gesetz Berücksichtigung findet. 2) Der vermindert Zurechnungsfähige ist mit 
einer milderen Strafe zu belegen; die Vollstreckung der Freiheitsstrafe erfolgt 
in besonderen Anstalten oder Bäumen und unter Berücksichtigung der medi¬ 
zinischen Grundsätze. 3) Erscheint der vermindert Zurechnungsfähige nach 
dem Gutachten der Sachverständigen als gemeingefährlich, so bat der Straf¬ 
richter auf Verwahrung des Verurteilten in einer Heil- oder Pflegeanstalt zu 
erkennen. Die Durchführung dieser Anordnung ist Aufgabe der zuständigen 
Verwaltungsbehörde. 4) Ist der Verurteilte straffähig, so tritt die Verwahrung 
nach Verbüssung der Strafe ein. Anderenfalls gilt der Aufenthalt in der Ver¬ 
wahrungsanstalt als Strafverbüssung. 5) Die Verwahrung hat so lange zn 
dauern, als der Zustand der Gemeingefährlichkeit es erfordert. Die Entlassung 
aus der Verwahrung wird auf Grund des Gutachtens der Sachverständigen 
von dem Strafrichter ausgesprochen. Als Anstalten, wie sie unter 2) ganz 
allgemein charakterisiert sind, kommen neben Irrenanstalten, Anstalten für 
Epileptische und Trinkerheilanstalten, vor allem Verwahranstalten für unheil¬ 
bare Alkoholiker und andere geistig Minderwertige in Betracht. Die Errich¬ 
tung solcher Anstalten und der Ausbau derartiger im Keim vorhandener In¬ 
stitute entspricht einem dringenden Bedürfnis. 

Ferner wurde noch ein Antrag v. Liszts über Bildung einer Kom¬ 
mission zur Materialsammlung über die Frage der verminderten Zurechnungs¬ 
fähigkeit angenommen. _ 


Die Deutsche Städteausstellung in Dresden ist am 20. Mai d. J. in 
Gegenwart Sr. Majestät des Königs Georg, des hohen Protektors, eröffnet. 
Fast sämtliche deutschen Begierungen und grösseren Städte hatten Vertreter 
entsandt, das Beich war durch den Staatssekretär des Innern, Graf Posa- 
dowsky, vertreten. Von 158 Städten, die zur Beschickung der Ausstellung 




472 


Tagesnachrichten. 


aufgefordert waren, haben sieh nicht weniger als 128 daran beteiligt, so dass 
dieselbe in vortrefflicher Weise die Entwiekelnng des deutschen Städtewesens 
and dessen Stand za Anfang des 21. Jahrhunderts veranschaulicht. Die Aus¬ 
stellung zerfällt in 14 verschiedene Abteilungen: 1. Die Fürsorge der Ge¬ 
meinden für die Verkehrsverhältnisse, für Beleuchtung, Strassenbau und Ent¬ 
wässerung, Brücken und Häfen, Tiefbau und Yermessungswesen, Strassenbahnen 
u. s. w., 2. die Fürsorge der Gemeinden für Architektur- und Hochbauwesen, 
8. die Fürsorge der Gemeinden für öffentliche Knust, 4. die Fürsorge der Ge¬ 
meinden für allgemeine Wohlfahrt (Wasserversorgung, öffentliche Gartenanlagen, 
Spielplätze, Strassenreinigung, Abfuhr, Schlacht- und Viehhöfe, Ausstellungs¬ 
räume, MaBs- und Messeinrichtungen, städtisches Beerdigungs- und Bestattnngs- 
wesen, Marställe), 5. das Schulwesen, 6. das Armenwesen einschliesslich der 
Armenstiftungen, des Ziehkinderwesens und der Waisenversorgnng, 7. die 
Krankenpflege, 8. die Fürsorge der Gemeinden für arbeitsunfähige und ältere 
Personen ausserhalb der eigentlichen Armenpflege, 9. die unter Verwaltung 
der Gemeinden stehenden Stiftungen, abgesehen von den eigentlichen Annen- 
stiftungen, soweit sie nicht zu den Abteilungen 4 bis 7 gehören, 10. die Städt¬ 
er Weiterungen, Baupolizei und das Wohnungswesen, 11. sonstige Einrichtungen 
auf dem Gebiet des Polizeiwesens, einschliesslich der Gewerbepolizei, der Feuer¬ 
polizei und des Löschwesens, 12. städtische Gewerbebetriebe und städtischer, 
zur Gemeindeverwaltung nicht unmittelbar benutzter Grundbesitz, 13. die Ein¬ 
richtungen der Gemeinden für Sparkassen- und Leihwesen, 14. Einrichtungen 
für innere Stadtverwaltung. Es sind nur mustergiltige und eigenartige Ein¬ 
richtungen und Anstalten auf allen Gebieten der Gemeindeverwaltung zur Aus¬ 
stellung gelangt; sie bieten viel Interessantes und geben ein glänzendes Zeugnis 
für die Opferfreudigkeit und das hohe Pflichtgefühl der deutschen Städte, 
namentlich auch hinsichtlich der Fürsorge auf dem Gebiete der öffentlichen 
Gesundheitspflege. 


Der nächste Cyklus des Berliner Dozenten-Vereinsfür ärztliche 
Ferien-Kuree beginnt am 28. September 1908 und dauert bis zum 24. Oktober 
1903. Das Lektionsverzeichnis versendet unentgeltlich uni erteilt Auskunft 
Herr Melzer, Ziegelstrasse 10/11 (Langenbeck-Haus). 


Ueber die Ausbreitung der Pest in Indien während der letzten sechs 
Jahre veröffentlicht der „Lancet“ eine traurige Statistik. Es zeigt sich in den 
wiedergegebenen Zahlen deutlich das stetige Anwachsen der Epidemie. Im 
Jahre 1897 wurden aus ganz Indien 56000 Todesfälle an Pest verzeichnet. 
Im Jahre 1900 waren es schon 98000, und dann erfolgte eine jähe Steigerung, 
die im Jahre 1901 die Ziffer von 274000 und 1902 von 577000 hervorbrachte. 
Für das laufende Jahr ist wieder noch eine sehr erhebliche Zunahme zu er¬ 
warten, denn in den ersten drei Monaten hat die Sterblichkeit an Pest bereits 
die ungeheure Snmme von 334000 erreicht, wovon 136000 allein auf den März 
entfallen. In der ersten Hälfte des April trat dann eine Besserung ein, die 
aber nur sehr vorübergehend gewesen ist, denn Ende April hatte die Zahl der 
Todesfälle bereits wieder die enorme Höhe von 32000 in einer Woche erreicht. 
Besonders schwer hat jetzt das reiche Pundschab, das Fünfstromland in Nord¬ 
indien, zu leiden, wo die Pest stärker wütet als in allen anderen Teilen In¬ 
diens zusammengenommen; rund 18500 Menschen sterben im Pundschab jetzt 
wöchentlich an der Pest. Auf die Vereinigten Provinzen entfallen jetzt fast 
4400 in jeder Woche, während die Präsidentschaften Bombay nnd Bengalen 
eine Abnahme zu verzeichnen haben. Von den Grossstädten Indiens sind Alla- 
habad, Agra, Benares Khanpnr, Lucknow, Meern, Bareilly und Karatschi, der 
Hafen an der Indusmündung, besonders schlimm daran, während die beiden 
Hauptstädte Kalkutta und Bombay neuerdings etwas besser gestellt sind. 


Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med .-Rat in Minden i. W. 

J. C. C. Bruns, Herzog!. Sachs. u. F. Scb.-L. Hofbnehdruckerei In Minden. 









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r BieJtUcIi-eii Franx Jöaapbut dooa: dam Geh, Mad.-Ü»t Pwt . JRi 
t ut fi»yd*i.rt in Öerllu; de* Bi'tie^kjr.^Ysea I. EUste A«S EöbI#' 
Sich». & lbjflcü taufdoBH dem Reg.- aod OtittkütohBknt IV, S 
i>ilio. J*# U 1 1 f erk rau*efc J. Kikese t»it fiae haniaBh &*$ -0TW'j^ . 

Badiirckc« G|*4eoa v'n» Z4kriQg«r &tf weti: <w Difieioi»-*, Xtett«r^-,; 
<*t«eräTÄ«fl T>r % .f'l%g.g£ i«i Jteibo r% i Kr; «ad t»f, ü*>44fltatftdt4B 
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Ur iH' t^jakuk- da ßurjia, Pwi; £hf,'. ^Argüaa, Rüatos'aw psth^i 
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mtgß:' B'(ih»d/.iü.; I/eifr?iä(r,.rj»r. Atb»s ,L«rs(,‘^'l3f|i^s^> Ä j 































































1903 . 


16 . Jafarg. 



für 



ZentralMatt für gerithtüdsü IndiziB uq<! Psychiatrie, 
für ünUfck Sa^rerstMigeBtätigk«it k HnfsB- and lavalidifatehea, sowie 

aod Beebtspreeitang. 

fleraoHg^fgeOea 

Br. OTTO EAPMÜND, '# 

ftzpsttnnf*- «fiil B*wUte«Är*i m MLoa^u, 


Verlag von Fischer’s mediz, Buehhaiidlg., H. Kornfeld, 

Heraogl, Bayer. Ecf- u. Erzhörjtogl. Kammer - Bacliiandler. 

Berlin W. 15, LätZowstr. 10. 

Awhte^ii <U> t“t»rU^fhÄntUciBg aowl* *11« Anaonroa«xp«ditioae% dm In* 
und Jkti&iaadef f»ntfftfMU 


■Nr. 13. 


am 1* und 1&» jaden ilonnt«. j JllÜ, 


töassenerkrankungen nach Genuss von gehacktem 
Pferdefleisch, beobachtet in Düsseldorf Im Jahre 1901 

Von Dt. P. C, Tb. Schmidt, Gerichtgarst in iMlasehlorf. 

ln Düsseldorf erkrankten in der Zeit vom 17 . bis zum 23 . No¬ 
vember 1901 im ganzen 57 Menschen unter gleichartigen, später 
genauer ja».' erörternden Erscheinungen.. Eta Knabe; vm 9 Jahren. 
ist gestorben, wahrend die übrigen nur Vorübergehende' Sch&di 
pngen ihrer Gesundheit erlitten halieu; diese #aü*en jedoch bei 
der Mehrzahl keineswegs.' ganz leiehter Nattu*. so dass äl PetJ 
sonen ^|ü^p||^^j^|ihaüdäuäg bedurften,. Alle Patienten litten aö: 
Leibschmerzcn und Durchfall, denen sich häuüg Erbrechen und 
Schwindelgeflhl mgmeiftm. Ein .'.erwachseuer Mann brach ap¬ 
ersten Krankheitßtage ohnmächtig auf dein Hofe zusammen; bei 
dem verstorbenen Knaben sollen kurz vor dem Tode Krämpfe aul • 
getreten sein. Einem Arzt Sei das besonders matte Aussehen 
seiner Kranken auf. 

In einer Anzahl vou Fällen dauerten die Beschwerde» n 
verhältnismässig kürze. Zeit; eine erhebliche Beihe 'von h«ODt".i 
war dagegen längere Zeit bettlägerig ; bei einem ’ später völlig 
genesenen Eind glaubten, die Eltern für das leben ffrehten f# 
müssen; nicht wenige haben durch die fJoterbreehiHig ihrer Arbeii:^ 
fähigkeit Eiabuese an ihrem Verdienst gehabt . 

■Die Zahl der Krankheitsfälle verteilte sich auf wenig? 
Strassen und in afe war Pferdefleisch genossen, welches sun 
17., 18., 19., 20. und 21. November hei dem Ptordemetzgyv 




474 


Dr. Schmidt. 


geholt war. Mit einer einzigen Ausnahme, wo es sich um ein 
gekochtes Würstchen handelte, hatten die Erkrankten nicht weiter 
▼erarbeitetes Hackfleisch zu sich genommen und zwar fast immer 
in rohem Zustande; nur 3 hatten es in Form von vielleicht nicht 
genügend durchgebratenen Frikandellen verzehrt. Einzelne Patien¬ 
ten hatten ausser dem Hackfleisch auch Rauchfleisch und Leber¬ 
wurst, sowie gebratenes Pferdefleisch gegessen, und während sie 
erkrankten, blieben ihre Hausgenossen, die sich ausschliesslich auf 
gebratenes Pferdefleisch beschränkt hatten, völlig gesund. Doch 
hat auch das Hackfleisch nicht in allen Fällen schädliche 
Wirkungen hervorgebracht, sondern ist von einer, wenn auch 
kleinen Zahl von Personen gut vertragen worden. 

Die Menge des von den Erkrankten verspeisten Hackfleisches 
betrug im Durchschnitt etwa 100 g; doch traten bei einer Frau 
schon nach einer Messerspitze voll recht erhebliche Beschwerden 
aut. Die ersten Krankheitssymptome zeigten sich fast regelmässig 
vor Ablauf von 24, einmal schon 1 j i Stunde nach der Mahlzeit. 

Das Fleisch hatte, wie alle Zeugen bekunden, in keiner 
Weise einen ungewöhnlichen Geschmack oder Geruch. An seinem 
Aussehen ist nur einem einzigen eine blasse Farbe aufgefallen. 
Alle anderen haben es tadellos befunden und alle haben es noch 
an demselben Tage, wo es von dem Metzger geholt war, oder an 
dem darauf folgenden Tage mit Appetit gegessen. 

Das Fleisch stammte nicht von einem, sondern von mehreren 
Pferden, die, soweit Nachforschungen angestellt sind, im öffent¬ 
lichen Schlachthaus geschlachtet und nicht beanstandet waren, so 
dass die naheliegende Annahme, die gesundheitsschädliche Be¬ 
schaffenheit des Fleisches sei auf eine bei den geschlachteten 
Tieren schon während des Lebens vorhandene Krankheit zurück¬ 
zuführen, nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für sich hat. Es 
wäre doch ein höchst merkwürdiger Zufall, wenn verschiedene 
an einer übrigens unbekannten Krankheit leidende Pferde alle bei 
einem und demselben Metzger zur Verarbeitung gelangt wären 
und das um so mehr, als sie nachweislich aus verschiedenen Ställen 
stammten. Mit voller Sicherheit aber wird diese Annahme durch 
folgende Tatsachen widerlegt. Das am 18. November von dem 
Metzger St. verkaufte Fleisch war dem Hinterviertel eines Pferdes 
entnommen, welches ein anderer Metzger B. geschlachtet hatte. 
B., der mehr als drei Viertel des Pferdes zurückbehalten und, 
teilweise auch in gehackter Form, insgesamt in Umsatz gebracht 
hat, hat keinen einzigen Krankheitsfall zu beklagen gehabt, 
während von den mit St.schem Fleisch versorgten Personen, die 
in ihrer Gesamtheit nur an einem einzigen Hinterviertel beteiligt 
waren, über 20 erkrankt sind und eine gestorben ist. 

Eine Untersuchung des gesundheitsschädlichen Fleisches hat, 
da beim Bekanntwerden seiner Wirkungen keine Reste mehr vor¬ 
handen waren, nicht stattgefunden. Bei der polizeilichen Revision 
der St.’schen Betriebsräume sind pflanzliche oder mineralische 
Gifte nicht entdeckt, und auch nach den Zeugenaussagen scheint 
* e Beimengung solcher Substanzen zu dem Fleisch ausgeschlossen. 


tfassenerkraukungen nach Genuss von gehacktem Pferdefleisch u. s. w. 475 


Dagegen deckte die unter Zuziehung eines Tierarztes vorge- 
nommene Revision in der Wurstküche so bedenkliche sanitäre 
Missstände auf, dass der anwesende Polizeikommissar die sofortige, 
vorläufige Schliessung des Betriebes beantragte. Wie aus dem 
offiziellen Protokoll hervorgeht, wurde in der Wurstküche nicht 
nur verdorbenes Fleisch gefunden, sondern diese machte überhaupt 
einen höchst unsauberen Eindruck. Die Wand war mit defekten 
Tapeten bekleidet; der aus Holz bestehende und in den Fugen 
durchlässige Fussboden war schmutzig und mit Fett überzogen. 
Der anstossende Raum, in dem der Geselle schlief, und dessen 
Tür bei der Beschränktheit der Räume stets aufstehen musste, 
bot weitere hygienisch unzulässige Verhältnisse. Unter einem 
Tisch fand sich ein grösserer Haufen feuchter, filziger Pferde¬ 
haare, und am Fenster stand ein ebenfalls mit Pferdehaaren ge¬ 
füllter Sack. Wäschestücke und Kleider lagen im Zimmer umher 
und hingen an den Wänden. Auf einer Tonne lagen in einer 
Mulde Fleischabfälle, die teilweise völlig in Fäulnis übergegangen 
waren. Auf einer Fensterbank wurden zwei Hackfleisch¬ 
schneidescheiben gefunden, die hier schon einige Zeit gelegen 
zu haben schienen und mit z. T. schon etwas angetrockneten Fleisch¬ 
resten verunreinigt waren. Bei drei ebenfalls auf dem Fenster¬ 
brett liegenden Fleischermessern waren die Klingen mit Rost über¬ 
zogen und die Hefte mit Schmutz behaftet. Aus der Wurst¬ 
maschine wurden zwei Räder mit Eisenkreuz entnommen, welche 
zur-Zerkleinerung des Fleisches dienten, und deren Ränder eben¬ 
falls mit Schmutz und schmutzigem Fleisch und Fettpartikelchen 
umgeben waren. 

Eine Untersuchung der Hackfleischzerkleinerungsscheiben aus 
der Hackfleischmaschine durch den hiesigen Stadt- und Gerichts¬ 
chemiker Herrn Dr. Loock hatte folgendes Ergebnis: 

Die Scheibe für feineres Fleisch enthielt in Fäulnis tibergegangene 
Fleischteile, an ihr befanden sich angetrocknet alte in Zersetzung Ubergegangene 
Fleisohreste Die Zerkleinerungsscheibe für gröberes Fleisch war ebenfalls un¬ 
sauber und mit alten, in Zersetzung befindlichen angetrockneten Fleischresten 
behaftet. Das aus dem mittleren Teil entnommene Fett hatte unangenehmen 
fauligen Geruch und war verdorben. Der S&uregrad betrug 7,83. 

Abgesehen von diesen winzigen Resten sind Fleischteile, 
wie bereits erwähnt, einer Untersuchung nicht unterworfen; das¬ 
selbe ist bezüglich der Ausleerungen und des Blutes der über¬ 
lebenden Patienten der Fall. Dagegen hatte die allerdings erst 
vier Tage nach dem Tode vorgenommene Obduktion des ver¬ 
storbenen Knaben ein höchst bemerkenswertes Resultat. Während 
sich die makroskopischen Veränderungen auf eine scharlachähn¬ 
liche Röte ausgedehnter Hautpartien und eine nicht unerhebliche 
Schwellung der Schleimhaut des Darms beschränkten, und eine 
chemische Untersuchung der Leichenteile völlig negativ ausfiel, 
ist aus der Milz in dem Hygienischen Institut der Universität 
Bonn ein Pilz isoliert und weitergezüchtet worden, der mit Wahr¬ 
scheinlichkeit als der für die beschriebenen Fälle in Betracht 
kommende Krankheitserreger anzusehen sein dürfte. 



476 


Dr. Schmidt. 


Unter den Fleischvergiftungen nehmen bekanntlich die sog. 
„ Hackfleisch Vergiftungen “ eine besondere Stellung ein. In Chem¬ 
nitz erkrankten im Jahre 1879 nach dem Genuss von rohem Rind¬ 
fleisch und Mettwurst 241 Personen, von denen 2 starben. Im 
Mai 1886 erkrankten in derselben Stadt nach Genuss von rohem 
gehacktem Rindfleisch 160 Personen, im Jahre 1887 nach Genuss 
von rohem Hackfleisch in Plauen 20 Personen, im Jahre 1888 in 
Gerbstadt nach dem Genuss von rohem Hackfleisch, Schwarten¬ 
wurst und Zwiebelleberwurst 50 Personen, im Juli 1898 nach dem 
Genuss von Hackfleisch in Form nur schwach durchbratener Fleisch- 
klöschen in Lüben 60 Personen. Ueber eine Epidemie mit 11 
Krankheitsfällen in Dresden und eine eben solche mit 80 Er¬ 
krankungen in Gera, welche ebenfalls innerhalb der letzten 6 bis 
7 Jahre zur Beobachtung kamen 1 ), stehen mir genaue Nachrichten 
nicht zu Gebot. 

Das Bild, welches Schneidemuehl von den Hackfleischver¬ 
giftungen entwirft, ist dem in Düsseldorf beobachteten ganz ähn¬ 
lich. Hohe Körpertemperaturen, wie sie auch nach Ostertags 
Angaben 1 ) in einzelnen Fällen gefunden worden sind, sind zwar 
in den mir vorliegenden Aussagen der Düsseldorfer Aerzte nicht 
erwähnt; doch sind sie vielleicht nicht gemessen oder als nicht 
charakteristisch nicht besonders erwähnt worden. Im übrigen aber 
gleichen die bei unserer Epidemie aufgetretenen Krankheitser¬ 
scheinungen den von Schneidmuehl angeführten fast vollkommen. 
Auch was er über den Beginn und die Schwere des Verlaufs und 
die Beschaffenheit des genossenen Fleisches sagt, weicht nur inso¬ 
fern in nennenswerter Weise von den hier gemachten Erfahrungen 
ab, als die Menge des genossenen Fleisches nicht der Heftigkeit 
der Beschwerden entsprach. Im Gegenteil hat, wie erwähnt, bei 
einer Frau bereits eine Messerspitze voll genügt, um ein lebhaftes 
Unwohlsein hervorzurufen, während einzelne Personen, die nach 
ihren z. T. eidlichen Aussagen ein nicht unbedeutendes Quantum, 
einmal sogar ein halbes Pfund, zu sich genommen hatten, ganz 
gesund geblieben sind. 

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Düsseldorfer Epi¬ 
demie die erste ist, welche ausserhalb der sächsischen Staaten 
und ihrer Umgebung beobachtet ist; wichtiger aber ist es, dass 
sie nicht in den Frühling oder Sommer, sondern in den November 
fiel. Man hatte bisher geglaubt, dass Hackfleischvergiftungen nur 
in der schwülen Jahreszeit zu befürchten seien, und hat in Schmal¬ 
kalden den Metzgern polizeilich untersagt, in der heissen Jahres¬ 
zeit Hackfleisch längere Zeit aufzubewahren. 

Ob der im Hygienischen Institut in Bonn aufgefundene 


’) VergL Handbuch der Fleischbeschau ton Dr. med. Bob. Oster tag. 
Vierte Auflage, 1902, Verlag tob Ferd. Bake, 8. 788, und „Die animalischen 
Nahrungsmittel" von Dr. Georg Schneidemuehl, 1908, Verlag von Urbau 
und Sohwarsenberg, 8.260. 

*) Ostertag, 1. c. 8.784. 



Massenerkrankungen nach Gennas Ton gehacktem Pferdefleisch n. 8. w. 477 

Bacillos sich mit voller Sicherheit als der eigentliche Krankheits¬ 
erreger heraussteilen wird, muss die Zeit lehren. Sollte dies 
der Fall sein, wird es hoffentlich auch gelingen, seine 
Lebensbedingungen genauer zu ergründen und damit die Pro¬ 
phylaxe auf einen festeren Boden zu stellen, als es bis jetzt 
möglich ist. 

Dass bei den Hackfleischvergiftungen Mikroorganismen über¬ 
haupt eine wesentliche Holle spielen, dürfte wohl nicht zu be¬ 
zweifeln sein. Wie sie in das Fleisch gelangen und sich in ihm 
■verbreiten, ist bisher unaufgeklärt. Für die Düsseldorfer Fälle 
bin ich geneigt, die üebertragung mit dem schmutzigen Zustand 
der Wurstküche und der Hackfleischmaschine insbesondere in ur¬ 
sächlichen Zusammenhang zu bringen; denn, wie ich noch einmal 
hervorhebe, wurden bei der polizeilichen Revision 2 Hackfleisch¬ 
scheiben beschlagnahmt, von denen es in dem Bericht heisst, dass 
sie höchst unsauber waren, und dass sich an ihnen teilweise schon 
etwas angetrocknete Fleischreste befanden, so dass sie jedenfalls 
in der kritischen Zeit gebraucht sein müssen. Was aber wäre 
besser zur Verbreitung von Bakterien auf Fleisch geeignet als 
eine Hackmaschine, die, einmal mit ihnen behaftet, nach dem 
Gebrauch nicht genügend gereinigt wird. In den nach der 
jedesmaligen Benutzung an den Scheiben zurückbleibenden 
Fleischresten finden die Pilze vermutlich den günstigsten Boden 
zu ihrer Vermehrung und bei jedem neuen Gebrauch der Maschine 
die schönste Gelegenheit, neue Portionen gesunden Fleisches zu 
infizieren. Dass sich auch andere in der Wurstküche Vorgefundene 
Instrumente und diese selbst in einem höchst Übeln Zustand be¬ 
fanden, ist bereits früher mitgeteilt; desgleichen tut man den dort 
beschäftigten Personen wohl kaum mit der Annahme unrecht, dass 
auch ihre Hände der genügenden Sauberkeit entbehrt haben 
dürften, so dass auch abgesehen von der Maschine Verbreitungs¬ 
wege genug vorhanden waren. 

Zum Schluss füge ich noch einige Notizen über den im 
Bonner Hygienischen Institut gefundenen Mikroorganismus an. 
Herr Prof. Dr. Finkler, dem ich auch an dieser Stelle meinen 
Dank auszusprechen nicht unterlassen will, schreibt: 

„Die hier gefundenen Bakterien unterscheiden sich von Fäulnisbazilien, 
haben dagegen eine grosse Aehnlichkeit mit den Fleischvergiftungsbakterien, 
wie sie B. Fischer in der Zeitschrift für Hygiene nnd Infektionskrankheiten, 
1902, Bd. 89, beschreibt. Sie unterscheiden sich wesentlich von den Typhus¬ 
bakterien und dem Bacterium eoli commune durch ihre ausgesprochene In¬ 
fektiosität und die ihnen zukommende Fähigkeit, giftige Stoffe zu bilden. Sie 
machen keine Gelatineverflüssigungen und keine Indolbildung nnd sind ausge¬ 
sprochen pathogen für Tiere.“ 

Herr Dr. H. Trautmann, Assistent am bakteriologischen 
Laboratorium der Stadt Hamburg, hat eingehende Untersuchungen 
über die Bazillen angestellt und wird seine Resultate demnächst 
veröffentlichen. 



478 


Dr. Solbrig. 


Ueber die Notwendigkeit einer strengeren Handhabung 
der Nahrung8mittelkontrolle (exkl. Milch). 1 ) 

Von Kreisarzt Dr. Solbrig in Templin. 

Die Nahrungsmittelkontrolle ist in zweifacher Hinsicht not¬ 
wendig: einmal muss damit gerechnet werden, dass vielfach 
schlechte, verfälschte oder gesundheitsschädliche Mittel in den 
Handel kommen, anderseits zeigt die Art des E eilhaltens und 
Verkaufes und die Herstellung dieser Mittel vielfache Mängel und 
gesundheitliche Bedenken. 

Die in Frage kommenden Nahrungs- und Genussmittel lassen 
sich, kurz aufgezählt, in folgende Gruppen teilen: 

1. Fleisch und dessen Zubereitungen, 

2. Backwaren, 

3. Material-, Kolonial-, Spezerei- und Delikatesswaren aller Art, 

4. Butter, Schmalz, Käse, 

5. Obst und Gemüse, 

6. Wein, Bier, Branntwein, 

7. Mineralwässer. 

Es würde zu weit führen, auch nur annähernd die mannig¬ 
fachen Verfälschungen der angeführten Mittel zu besprechen, und 
alle die Punkte hervorzuheben, die sich auf die Anforderungen an 
gute und gesunde Beschaffenheit, Aufbewahrung und Verkauf der 
verschiedenen Nahrungs-und Genussmittel beziehen; ich will mich 
daher nur auf einige wichtige Punkte beschränken. 

Hinsichtlich des Verkehrs mit Fleisch sehe ich von dem, 
was sich auf die Fleischbeschau im weiteren und die Trichinen¬ 
schau des Schweinefleisches im engeren Siune bezieht, ab, da die 
erstere schon immer den beamteten Tierärzten unterstellt ist, 
die zweite, die Trichinenschau, es künftig sein wird. Bezüg¬ 
lich der Verfälschungen von Fleischwaren und Fleischzube¬ 
reitungen ist die Wurstbereitung und das Zusetzen von Prä- 
servesalzen zu dem Hackfleisch zu erwähnen. Wohl in allen 
Nahrungsmitteluntersuchungsämtem stehen die Verfälschungen 
anf diesem Gebiete an erster Stelle. Nach dem mir aus den 
verschiedenen Aemtern zugegangenen Material schwanken die 
Beanstandungen von Fleisch- und Wurstwaren zwischen 6 und 
26 °/o; Zusätze von Präservesalz waren im Jahre 1901 in dem 
Untersuchungsamt der Landwirtschaftskammer der Provinz 
Brandenburg bei 61 */o von 428 untersuchten Proben, in einem 
andern Untersuchungsamt sogar 84 %; zahlreiche Untersuchungen 
von Würsten in zwei grossen Untersuchungsämtern ergaben 25 
bezw. 34 % Beanstandungen. Ausserdem lehren die vielfachen 
gerichtlichen Verhandlungen, was alles für Verfälschungen und 
was für unsaubere und unappetitliche Prozeduren bei der Wurst¬ 
bereitung Vorkommen; auch ist die Zahl der Vergiftungen infolge 
Genusses von verdorbenem oder von kranken Tieren stammendem 
Fleische keine geringe. 


‘) Nach einem Referat in der zweiten Medizinalbeamten-Konferenz im 
Regierungsbezirk Potsdam zu Potsdam am 22. November 1902. 



Die Notwendigkeit der strengeren Handhabung der Nahrungemittelkontrolle. 479 

Was den Medizinalbeamten besonders interessiert, ist der 
Betrieb in den Privatschlächtereien, besonders in kleineren Städten 
nnd anf dem Lande. Gelegentlich der Ortsbesichtigungen hat wohl 
jeder von den Kreisärzten schon mehr oder weniger bedenkliche 
Uebelstände kennen gelernt. Wie eng, dunkel, unsauber sind oft 
die Schlachträume, wie mangelhaft der Abfluss der Schlachtabwässer, 
wie unsauber, schadhaft, ungenügend bedeckt die Gruben für die 
Schlachtabfälle, so dass sich üble Gerüche in dem allzu nahen 
Schlachthause verbreiten und dergleichen mehr! Ich selbst kann 
zwar nur über eine kleine Zahl von Beobachtungen verfügen, doch 
lassen sich auch daraus schon Schlüsse ziehen: Von 26 kleinen, 
meist aut dem Lande befindlichen Schlächtereien gaben 18 mehr 
oder weniger zu Beanstandungen in dem erwähnten Sinne Ver¬ 
anlassung. 

Zu den mindestens unappetitlichen, unter Umständen jedoch 
anch gesundheitsgefährlichen Dingen gehört ferner das Aushängen 
von Fleisch, besonders von ausgeschlachtetem Wild, vor den Läden 
anf offener Strasse. Auch das Austragen des Fleisches in unbe¬ 
deckten Mulden, das Fahren von Fleisch in offenen, nicht immer 
sauberen oder mit schmutzigen Tüchern lose überdeckten Wagen 
sind Dinge, die nicht zu den Seltenheiten gehören und doch hy¬ 
gienisch zu beanstanden sind. 

Bei den Backwaren spielt neben der Verfälschung des 
Mehls durch Zusätze von minderwertigen Mehlen oder auch direkt 
gesundheitsschädlichen Beimengungen die mangelnde Reinlichkeit 
der Herstellungs- und Verkaufsräume und der Bäcker selbst eine 
wichtige Rolle Nach den Ergebnissen aus dem Untersuchungs¬ 
amt der Landwirtschaftskammer der Provinz Brandenburg war 
allerdings die Zahl der Beanstandungen von Müllereiprodukten eine 
recht geringe; dasselbe Resultat fand sich in dem Untersuchungs¬ 
amt der Provinz Schleswig-Holstein zu Kiel (von 53 untersuchten 
Proben wurden hier 3 beanstandet). Was dagegen alles gesündigt 
wird in bezug auf Unsauberkeit in den Backstuben, davon haben 
die Teilnehmer an der diesjährigen Versammlung des deutschen 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in München von Professor 
Emmerich so viel zu hören bekommen, dass manchem wohl für 
den Augenblick der Appetit auf Brod und Semmeln vergangen ist! 

Das Befassen der ausliegenden Backwaaren durch die nicht 
immer sauberen Hände der Käufer, das Austragen von Brod in 
der Art, dass es die Bäckerjungen einfach unter die Arme nehmen, 
n. a. m. sind Dinge, die vielleicht in grossen Städten mehr 
schwinden, die jedoch in den kleineren Orten gang und gäbe sind. 
Besonders auch ist der Verkauf des Brodes auf dem Lande, wo 
es erst durch verschiedene und nicht immer saubere Hände ge¬ 
gangen ist, bis es in Läden anf schmutziger Unterlage, oft in¬ 
mitten aller möglichen, vielfach duftender Gegenstände, der Käufer 
wartet, ein recht bedenklicher. 

Ebenso sind die Material-, Delikatess waren n. s. w. 
oft Gegenstand der gröbsten Verunreinigungen nnd Verfälschungen. 
Die Zahl der Beanstandungen von Schokoladenpulver, Fruchtsäfter 




480 


Dr. Solbrig. 


und Hefe betrug während der Jahre 1895 bis 1900 in dem Unter* 
snchnngsamt der Landwirtschaftskammer der Provinz Brandenburg 
zwischen 31 und 35 %; in dem Untersuchungsamt zu Kiel wurden 
im Jahre 1901 von 262 untersuchten Proben von Kakao, Schoko¬ 
lade, Honig und Hefe 24 = 9 % beanstandet. Auch der Vertrieb 
dieser Waren in kleineren Geschäften ist oft ein recht unsauberer 
und gesundheitlich bedenklicher. In engen, dunklen Bäumen, die 
zudem noch manchmal zu Wohn- und Schlafzwecken benutzt 
werden, die auch gelegentlich Hunden und Katzen zum Aufenthalt 
dienen, werden oft die verschiedensten Nahrungs- und Genuss¬ 
mittel dicht bei einander, vielfach in offenen Gefässen aufbewahrt, 
so dass sie verstauben, verschmutzen und Gerüche gegenseitig an¬ 
nehmen. Die Kleider und Hände der Verkäufer befinden sich 
zudem nicht selten in nichts weniger als einladendem Zustande. 

Aehnlich, ja oft noch bedenklicher ist das Feilhalten von 
allerlei Nahrungs- und Genussmitteln auf den Jahrmärkten; ganz 
abgesehen davon, dass hier oft Esswaren von recht zweifelhaftem 
Aussehen feügeboten werden, kann auch eine Verschmutzung der¬ 
selben in weit höherem Masse stattfinden. 

Beim Wein, Bier und Branntwein sind es vor allem die 
Verfälschungen, die diese Genussmittel teils minderwertig, teils 
direkt gesundheitsgefährlich erscheinen lassen. Beispielsweise sei 
angeführt, dass das Resultat aus den Nahrungsmitteluntersuchungs¬ 
ämtern von Oldenburg, Freiburg i. Breisgau und Kiel vom Jahre 
1901 folgendes war: Beanstandungen von Wein unter 905 Proben 
46 = 5 %, Beanstandungen von Bier unter 46 Proben 0, Bean¬ 
standungen von Branntwein zwischen 4 und 15 %. Dazu kommt 
beim Bier die oft mangelhafte Reinlichkeit in den kleinen Bier¬ 
ausschänken und im Flaschenbierhandel. 

Butter und Schmalz gab in 2 Untersuchungsämtern (in 
Kiel und Oldenburg) in 4 bis 6 °/o der vorgenommenen Unter¬ 
suchungen zu Beanstandungen Veranlassung. 

Hinsichtlich der Mineralwasserfabriken bedürfen die 
kleineren Betriebe in den kleinen Ortschaften einer Beachtung, da die 
Verwendung reiner Materialien und einwandsfreien Wassers längst 
nicht immer stattfindet, ausserdem die Sauberkeit des Betriebes 
manchmal zu vermissen sein wird. In dem mehrfach erwähnten 
Untersuchungsamt zu Kiel wurden im Jahre 1901 von 32 unter¬ 
suchten Mineralwässern 8 == 25 % beanstandet; aus einem andern 
Bezirk wird berichtet, dass einmal bleihaltiges Mineralwasser ge¬ 
funden wurde; in der Stadt K. wurde bei 4 Selterwasserfabriken 
eine sehr hohe Keimzahl des benutzten destillierten Wassers, näm¬ 
lich 865 bis 4000 Keime im ccm gefunden. 

Im Zusammenhänge mit den Nahrungs- und Genussmitteln 
stehen gewisse Gebrauchsgegenstände, weswegen auch diese 
einer kurzen Erwähnung bedürfen. Es kommen hierbei die gif¬ 
tigen Metalle, besonders Blei, und die giftigen Farben in Betracht. 
Dass irdenes Geschirr noch vielfach bleihaltig befunden wird, 
geht u. a. aus dem Jahresbericht der Untersuchungsanstalt zu 
Freiburg i. Breisgau hervor; es wurden im Jahre 1901 in 21 °/ 0 



Die Notwendigkeit der strengeren Handhabung der Nahrnngsmitteikontrolle. 481 

der vorgenommenen Untersuchungen Beanstandungen wegen Blei¬ 
gehaltes vorgenommen. Auch aus dem Regierungsbezirk Liegnitz, 
besonders im Kreise Lauban. wird über zahlreiche gerichtliche 
Bestrafungen wegen unzulässigen Bleigehaltes von Topfgeschirr 
berichtet. Betreffs der Gesundheitsbeschädigungen durch Blei ist 
zu erwähnen, dass nach einem Gutachten des Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamtes die Gefahr bei den sogenannten „Bleisoldaten“ für 
Kinder keine nennenswerte ist. Dagegen verdienen die Kinder¬ 
pfeifen, die bis zu 86 °/ 0 Blei enthalten, und anderes Kinderspiel¬ 
zeug, so Mundstücke von Blasinstrumenten, Geschirr zu Puppen¬ 
küchen und dergleichen Beachtung, wie dies in einem Ministerial- 
Runderlass vom 9. April 1898 ausgesprochen ist. 

Bezüglich der giftigen Farben ist das Aufbewahren der¬ 
selben über und neben Nahrungsmitteln und in mangelhaft ge¬ 
schlossenen Gefässen bedenklich. Dem trägt der Bundesrats¬ 
beschluss vom 29. November 1894 und 17. Mai 1901 in seinen 
Vorschriften über den Handel mit Giften Rechnung (§. 2 ff). 
Dass hierin jedoch noch vielfach Uebelstände herrschen, geht 
daraus hervor, dass im Bezirk Potsdam im Jahre 1898 bei 80°/o 
und im Jahre 1900 bei 26 °/ 0 der revidierten Material- und Farb- 
warenhandlungen aus diesem Anlass Beanstandungen sich ergaben. 

Dass Zuckerwaren, Spielwaren und kosmetische Mittel 
vielfach mit giftigen Farben bemalt oder imprägniert sind, zeigt 
die Tatsache, dass in Berlin in den Jahren 1898 bis 1901 im 
ganzen 72 Proben von solchen Gegenständen untersucht und 
davon 38 °/ 0 beanstandet wurden. In der Stadt St. wurden 51 
Spielwarenläden durch den Medizinalbeamten revidiert; es er¬ 
gaben sich von den als giftverdächtig bezeichneten Gegenständen 
bei der Untersuchung 40 °/ 0 als gifthaltig. 

Die Notwendigkeit einer Ueberwachung des Ver¬ 
kehrs mit Nahrungs-, Genussmitteln und Gebrauchsgegen¬ 
ständen auf gesetzlicher Grundlage ist längst erkannt; dafür 
sprechen auch die vielfachen Gesetzes- und Polizeivorschriften. 
Den zuerst erlassenen Reichsgesetzen über die Ueberwachung des 
Nahrungsmittelverkehrs vom 14. Mai 1879, über den Verkehr mit 
zink- und bleihaltigen Gegenständen vom 25. Juni 1887 und über 
die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung 
von Nahrungsmitteln folgte das Weingesetz vom 20. April 1892, 
jetzt durch das Gesetz vom 24. Mai 1901 ersetzt, das Gesetz 
über den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatz¬ 
mitteln vom 15. Juni 1897, das Gesetz über den Verkehr mit künst¬ 
lichen Süssstoffen vom 9. Juli 1898, jetzt durch das Gesetz vom 
7. Juli 1902 ersetzt, und schliesslich das so wichtige Gesetz vom 
3. Juni 1900 über Schlachtvieh- und Fleischbeschau. 

Ausserdem sind in den einzelnen Landesteilen eine ganze 
Anzahl von Ministerial-Erlassen und Polizeiverordnungen ergangen, 
die teils auf besondere Verfälschungen von Nahrungsmitteln hin- 
weisen, teils regelmässige und häufigere Untersuchungen von 
Nahrungs- etc. Mitteln in den Untersuchungsämtern empfehlen. 
Von den in Preussen in dieser Hinsicht geltenden Vorschriften 




482 


Dr. Solbrig. 


seien kurz erwähnt ein Ministerial-Bunderlass vom 80. Aug. 1900 
betreffs Verkehr mit verfälschtem und nachgemachtem Honig, vom 
5. September 1900 betreffs Herstellung und Vertrieb von Trink- 
branntwein, in dem auf die Zusätze von Branntwein - Essenzen 
und Schärfen hingewiesen wird, vom 24. April 1899 betreffs 
strengerer Ueberwachung des Margarineverkehrs, vom 5. Juni 1899 
betreffs Verfälschung der Presshefe. Dahin gehören ferner die in 
verschiedenen Bezirken erlassenen Verfügungen (im Bezirk Pots- 
dam vom 18. Juli 1898) über das Verbot der Befestigungen der 
Hauen bei Mühlen mittelst Blei (zur Verhütung von Blei¬ 
beimischungen zum Mehl), Verfügungen über die Herstellung 
künstlicher Mineralwässer, die sich auf Sauberkeit der Fabrikation 
und der benutzten Apparate, auf chemisch reine Präparate und 
Verwendung von destilliertem Wasser beziehen; besonders verdient 
jene Verordnung aus dem Begierungsbezirk Köln vom 8. November 
1896 erwähnt zu werden, weil hierin u. a. eine jährlich vorzu¬ 
nehmende chemische Prüfung des fertigen Wassers auf metallische 
Verunreinigungen vorgeschrieben ist. Auch sind zu nennen eine 
Verordnung aus dem Begierungsbezirk Düsseldorf vom 16. Sep¬ 
tember 1897 betreffs des Flaschenbierhandels, in der Sauberkeit 
der Bäume, Sauberkeit der Flaschen und saubere Aufbewahrung 
verlangt wird, eine Verordnung des Königlichen Polizeipräsidenten 
in Berlin vom 18. Juli 1900 über den Transport von Fleisch, eine 
solche im Begierungsbezirk Gumbinnen vom 9. November 1900 über 
das Feilhalten und Aushängen von Fleisch auf der Strasse u. s. w. 

Trotz dieser vielfachen Gesetze, Erlasse und Verordnungen 
ist die Handhabung der Nahrungsmittelkontrolle nicht nur in 
Preussen, sondern auch in den meisten andern Bundesstaaten noch 
nicht so durchgeführt, als es notwendig erscheint. Um einen 
Ueberblick über die Begelung der Angelegenheit in den ver¬ 
schiedenen Provinzen und auch in den Bundestaaten gewinnen 
zu können, habe ich Umfragen bei einer Anzahl von Medizinal¬ 
beamten gehalten und dabei manches erfahren, das kurz zu er¬ 
wähnen sein dürfte. Ich möchte diese Gelegenheit nicht vorüber¬ 
gehen lassen, ohne all den Herren, die so bereitwillig und freundlich 
mir Auskunft erteilt haben, an dieser Stelle meinen verbindlich¬ 
sten Dank auszusprechen! 

Wie es mit der Ueberwachung des Nahrungsmittelverkehrs 
nicht sein soll, das schildert ein Kollege aus einer der grösseren 
preussischen Städte, deren Namen ich nicht nennen soll. Hier 
macht ein einflussreicher Privatchemiker sämtliche Untersuchungen 
der seitens der Polizei entnommenen Proben von Nahrungsmitteln; 
derselbe Chemiker hat bis vor kurzem auch die Gutachten über 
etwaige Gesundheitsschädlichkeit der beanstandeten Sachen allein 
abgegeben; der Umfang seiner Tätigkeit ist, da Berichte seitens 
des Chemikers nicht zu erhalten sind, ein ganz unbekannter. Ein 
öffentliches Nahrungsmitteluntersuchungsamt, das der Kollege 
mit Becht fordert, erscheint nach dessen Angabe vorläufig noch 
als ein Zukunftstraum. Im übrigen muss aus dem Ergebnis 
einer Umfrage folgendes für Preussen mitgeteilt werden: 



Die Notwendigkeit der strengeren Handhabung der Nahrangsmittelkontrolle. 483 

In der Qrossstadt Magdeburg fehlt noch ein öffentliches Amt and 
werden die yon den Poliseiorganen entnommenen Proben durch einen Privat- 
ehemiker untersucht. Der Umfang dieser Untersuchungen ist nur ein geringer. 
Aehnlich ist es in Stettin, wo das Königliche Polizeiprftsidium allein die 
Kontrolle des Nahrungsmittelverkehrs in den Händen bat und in einem 
Priyatlaboratorium in unregelmässigen Zeiträumen die Proben unter* 
suehen lässt. 

Im Regierungsbezirk Merseburg werden in 67 Städten regelmässig 
Untersuchungen der entnommenen Proben durch das hygienische Institut der 
Universität Halle vorgenommen; die Zahl der Untersuchungen im Jahre 1900 
betrag 1037. 

FOr den Regierungsbezirk Münster besteht in der 8tadt Münster ein 
unter der Aufsicht des Regierungs*Medizinalrates stehendes Untersuchungsamt, 
in dem hauptsächlich für die Stadt und nur vereinzelt für einige Gemeinden 
jährlich eine bestimmte Anzahl Proben von Nahrungsmitteln untersucht wird. 
Ausserdem ist hier noch eine landwirtschaftliche Versuchs- und Untersuchungs¬ 
anstalt vorhanden, die auch für Untersuchungen von Nahrungs- und Genuss¬ 
mitteln viel benutzt wird. 

Im Regierungsbezirk Minden bestehen nur zwei öffentliche städtische 
Untersuchungsanstalten, in Bielefeld und in Minden. 

In den Regierungsbezirken Coblenz, Cöln, Trier, Wiesbaden 
werden nur vereinzelt (in bestimmten Städten und Kreisen), teils in Unter¬ 
suchungsämtern, teils von Privatchemikern, Proben entnommener Nahrangs¬ 
mittel untersucht. Bemerkenswert ist die Handhabung in einem Kreise des 
zuletzt genannten Bezirks; hier kontrolliert und untersucht ein den Kreis regel¬ 
mässig bereisender Chemiker die Nahrungsmittel. 

Gnt geregelt ist die Nahrungsmittelkontrolle in der Provinz Schleswig- 
Holstein: es besteht in Kiel ein Untersuchungsamt für die Provinz, das eine 
Abteilung der Landwirtschaftskammer bildet, und in dem die seitens der Poli¬ 
zeiorgane in bestimmten Zeiträumen bei der Revision der Verkaufslokalitäten 
entnommenen etwa verdächtigen Proben untersucht werden. Die Zahl der so 
im Jahre 1901 vorgenommenen Untersuchungen betrag 4055, d. h. es wurden 
auf je 1000 Einwohner etwa 3 Proben untersucht. Beanstandungen wurden 
9% vorgenommen. 

Für den Bezirk Oppeln besteht ein öffentliches städtisches Unter¬ 
suchungsamt in Oppeln. Dasselbe wird sehr viel in Anspruch genommen, und 
sind seitens einer grösseren Zahl von Gemeindeverwaltungen Verträge behufs 
regelmässiger Untersuchungen von Proben abgeschlossen. Ausserdem sind die 
Medizinalbeamten in zwei Kreisen mit einer Kontrolle des Marktverkehrs be¬ 
auftragt. In einigen Städten sind auch Verordnungen erlassen, die das Ver¬ 
packen zum Verkauf bestimmter Nabrnngs- und Genussmittel in bedrucktem, 
beschriebenem und unsauberem Papier verbieten. 

Die Stadt Berlin besitzt seit dem 1. April 1901 ein öffentliches Unter¬ 
suchungsamt beim Polizeipräsidium, das sehr bald nach seiner Begründung 
wegen des enorm sich steigernden Betriebes eine wesentliche Erweiterung 
erfuhr, dessen Einrichtung die Teilnehmer des ersten Fortbildungskurses für 
die Kreisärzte im verflossenen Frühjahr kennen gelernt haben. Ueber den 
Umfang der Tätigkeit und die Ergebnisse aus diesem Amt kann ich keine An¬ 
gaben machen, da Veröffentlichungen bisher noch nicht gestattet sind. 

Für die Provinz Brandenburg besteht als öffentliches Amt das 
Nahrungsmittel - Untersuchungsamt der Landwirtschaftskammer, das im Jahre 
1896 in Berlin begründet wurde. Aus dem Verwaltungsbericht für die Jahre 
1896—1900 ist zu ersehen, dass 10 749 Untersuchungen vorgenommen sind, die 
zu 15,8 °/ 0 Beanstandungen Veranlassung gaben. Im Jahre 1901 ist die Zahl 
der Untersuchungen gestiegen, und zwar auf 2819, so dass auf je 1000 Ein¬ 
wohner 1,1 Untersuchungen kommen. Der Löwenanteil fällt jedoch mit 2698 
auf den Bezirk Potsdam, der verschwindend kleine Rest von 121 Proben auf 
Frankfurt. Im Bezirk Potsdam haben bisher 7 Kreise Verträge mit dem ge¬ 
nannten Untersuchungsamt behufs regelmässiger jährlicher Untersuchungen von 
einzusendenden Proben von Nahrangs-, Genussmitteln und Gebranchsgege q- 
ständen abgeschlossen, während die übrigen Kreise nur vereinzelt Unt«^ 
suchungen daselbst vornehmen lassen. Einige Städte schicken regelmär 
Proben zur Untersuchung an Privatchemiker. 



484 


Dr. Solbrig. 


Am besten in den prennisehen Bezirken geregelt und wohl nie mnster- 
giltig hinsnetellen dürfte, soweit ich orientiert bin, die Ueberwachung den 
Nahrnngsmittelverkehrs im Begiernngebesirk Düsseldorf sein. Abgesehen 
von einer grossen Anzahl von Polizeiverordnungen, die teils für die ganse 
Rheinprovinz, teils für den Bezirk, teils anoh für einzelne Kreise erlassen sind, 
befinden sieh in diesem Regierungsbezirk 8 Öffentliche Untersuchungsanstaltea 
in den Städten Crefeld, Düsseldorf, Rheydt, M.-Gladbach, Vohwinkel, Ruhrort, 
Mühlheim und Essen. Die meisten Kreise und einzelnen Gemeinden haben sieh 
betreffs Untersuchungen von Nahrungsmitteln an diese Aemter angeschlossen. 
Bemerkenswert unter den Polizeiverordnnngen sind diejenigen, die die Be¬ 
deckung des Fleisches beim Transport vorsohreiben, und die das Betasten der 
ausliegenden Back- und Fleischwaren verbieten. Ferner ist höchst beachtens¬ 
wert, dass in verschiedenen Kreisen desselben Bezirks auch der Kreisarzt bei 
der Nahrungsmittelkontrolle ungezogen wird, besonders beim Marktverkehr, 
aber auch bei Besichtigungen von Schlachtereien, Backereien, Schankwirt- 
schäften, Flaschenbierhandlungen und Mineralwasserfabriken. 

In den übrigen, nicht genannten Regierungsbezirken sind ebenfalls ein¬ 
zelne städtische Untersuohungsamter vorhanden, aber es findet auch hier, so¬ 
weit meine Kenntnis reicht, nur vereinzelt eine Nahrungsmittelkontrolle statt, 
die sioh vielfach auf die Markte in den 8tadten beschrankt und auf dem Lande 
so gut wie fehlt. Soweit eine Kontrolle ausgeübt wird, geschieht dies durch 
Polizeiorgane. 

Die Art der Ueberwachung des Nahnmgsmittelverkehrs in 
den anderen deutschen Bundesstaaten ist vielfach besser 
eingerichtet: 

Aus Baiern habe ich folgendes in Erfahrung gebracht. Die Königliche 
Regierung von Schwaben und Neuburg hat bereits im Jahre 1871 eine aus¬ 
führliche Vorschrift hinsichtlich der Nahrungsmittelkontrolle erlassen. Be¬ 
merkenswert ist u. a. das Verbot der Anwendung von Bierspritsen, Bier¬ 
pressionen und ähnlichen Apparaten beim Ausschank des Bieres, ferner das 
Verbot, bedruckte und beschriebene Umhüllungen und Unterlagen in den Wag- 
schalen bei Abgabe von Fleischwaren, Butter und Käse zu verwenden, das 
Verbot, geschlachtete Tiere oder Teile derselben ausserhalb der Schlacht- und 
Verkaufsräume auszuhängen. Ausserdem besteht hier eine wichtige, oberpoli- 
zeiliche Vorschrift von 1899, wonach Reinlichkeit und ausschliessliche Ver¬ 
wendung von Geräten und Lokalitäten zur Bereitung und zum Verkauf von 
Lebensmitteln gefordert, namentlich auch gleichzeitige Benützung von Ver. 
kaufslokalen zu Koch- und Schlafzwecken verboten wird. 

Im Königreich Sachsen erfolgt auf Grund einer Ministerial-Verordnung 
seit dem 1. Oktober 1901 in allen Gemeinden eine amtliche Nabrungsmittel- 
kontrolle unter Zuziehung von Nahrungsmittelchemikern, und zwar sind auf 
1000 Einwohner mindestens 80 Proben jährlich zu untersuchen. Die Unter- 
snchungsanstalten sind vor allem die Zentralstelle für Öffentliche Gesundheits¬ 
pflege in Dresden und die bei dem hygienischen Institut der Universität Leip¬ 
zig neu eingerichtete Untersuchungsanstalt; ansserdem sind diesbezügliche 
Vereinbarungen des Ministers mit dem Verein Öffentlicher Chemiker getroffen. 
Wie mir von einem der sächsischen Kollegen (Herrn Medizinalrat Dr. 8pann 
in Kamens) mitgeteilt ist, werden in den Städten von den Schutzleuten, auf 
dem Lande'von den Gemeindedienern aus Kaufläden und auf den Märkten 
Proben entnommen. Die Nahrungsmittelchemiker, die die Untersuchungen vor¬ 
nehmen, sind fest angestellt und eidlich verpflichtet. Der zuständige Bezirks¬ 
arzt bekommt die von den Chemikern an die Behörden zu erstattenden Be¬ 
richte zugeschickt; er bat dann seinerseits Konfiskationen der betreffenden 
Waren oder Öffentliche Warnungen oder Belehrungen zu beantragen und hat 
auch selbst persönlich in den Orten kontrollierend, beaufsichtigend, warnend 
und raterteilend einzuwirken. 

In Württemberg findet gleichfalls eine vorzügliche Ueberwaehung 
statt. In Stuttgart befindet sich ein städtisches Öffentliches Untereuchungsamt, 
dem die seitens der Polizei entnommenen Proben von Nahrungsmitteln und Ge- 
brauohsgegenständen überwiesen werden. Bemerkenswert ist, dass die Polizei- 
organe die erforderliche technische Belehrung in der Probeentnahme durch den 



Die Notwendigkeit der strengeren Handhabung der Nahrnngamittelkontrolle. 486 

beamteten Stadtarst erhalten. Ansserdem werden durch Polisei- Inspektoren 
die Herstellungs-, Vorrats* and Verkaufsräume aller Art häufig inspiziert. 
Besonders werden die Bäcker-Gehttlfen and -Lehrlinge bei jedem neaen Dienst¬ 
eintritt and regelmässig bei den Revisionen der B&ekereien aal Haatreinbeit 
revidiert. Bei Beanstandungen yon Nahrangsmitteln and sonst zweifelhaften 
FÜlen wird der beamtete Arzt zur Begutachtung herangezogen. Ansserdem 
unterliegen bei den alle 6 Jahre stattfindenden Qemeindemedizinalvisitationen 
die Fleischhackereien mit Grosabetrieb and Schlachth&aser einer besonderen 
Besichtigung darch den Stadtdirektionsarzt, and sollen diese Visitationen in 
Zukunft auch auf den übrigen Nahrangsmittelverkehr ausgedehnt werden. Ftlr 
das Land wird seitens der Oberamtsärzte gelegentlich der Gemeindevisitationen 
nach dem Nahrangsmittelverkehr Aufmerksamkeit zugeteilt. 

Aus dem Grossherzogtum Baden ist zu berichten, dass in allen Städten 
Aber 10000 Einwohner vom Bezirksamte regelmässige wöchentliche oder zwei- 
wOohentliche Unter Buchungen von Nahrangs- and Genassmitteln and Gebraachs- 
gegenstfinden angeordnet sind. Die Proben werden von Polizeiorganen in den 
Geschäften gekauft. Die Kosten für die Untersuchungen, die in Öffentlichen 
Untersuohuugsanstalten, welche meist als städtische in allen grosseren Städten 
sich finden, vorgenommen werden, tragen die betreffenden Städte; jedoch in den 
Fällen, in denen Beanstandungen mit nachfolgenden Bestrafungen sich ergeben, 
werden die Kosten von den Bestraften getragen. 

Im Gro8sherzogtum Oldenburg befindet sich in Oldenburg für das 
Herzogtum Oldenburg ein NahrungsmitteluntersuchungBamt, das zu */• vom 
Staat, zu Vs von der Stadt erhalten wird. 

Eine gute Regelung der Angelegenheit findet auch im Grossherzogtum 
Hessen statt. Darmstadt besitzt ein Untersuchungsamt, in dem sowohl die 
von der Schutzmannschaft nach bestimmter Anweisung in gen an vorgeschriebener 
Zahl zu entnehmenden Proben aus der Stadt, als auch die auf besondere An¬ 
ordnung in den Landgemeinden von der Gendarmerie entnommenen Proben 
untersucht werden. Die Zahl der jährlich ans der Stadt von 87 verschiedenen 
Gegenständen entnommenen Proben betrug 412, d. h. auf je 1000 Einwohner 
etwa 4 Proben. 

Es erhellt aus dieser Zusammenstellung, dass bei uns in 
Preussen im allgemeinen noch nicht alles das geschieht, was zur 
gründlichen Ueberwachung des Nahrungsmittelverkehrs erforder¬ 
lich ist. Es fehlt vor allem an der genügenden Zahl 
von Untersuchungsämtern und dann an Verordnungen 
behufs regelmässiger Untersuchungen von Proben 
aus den Städten und vom Lande. In dieser Beziehung ver¬ 
dient eine jüngst ergangene Verfügung aus dem Regierungsbezirk 
Potsdam Beachtung, in der auf die vielfach unzureichende 
Nahrungsmittelkontrolle hingewiesen und als Grundsatz aufgestellt 
wird, dass regelmässig in allen Amts- bezw. Stadtbezirken Proben 
von Nahrungs- etc. Mitteln entnommen und untersucht werden; als 
ausreichend wird hierbei angesehen, dass von jeder in Frage kom¬ 
menden Handlung jährlich 1—2 oder auf je 1000 Einwohner etwa 
5—10 Proben entnommen werden. 

Die Ausgaben, die durch weitere Schaffung von solchen 
Aemtern erwachsen und von den Kreisen bezw. Stadt- und Amts¬ 
bezirken zu tragen sind, sind nicht so erheblich und werden von 
den Vorteilen in wirtschaftlicher und gesundheitlicher Beziehung 
aufgewogen. Was die Kosten für die Einzeluntersuchungen be¬ 
trifft, so kostet nach den mir bekannten Tarifen aus verschie¬ 
denen Aemtern eine einfache Untersuchung etwa 3 Mark; 
es würde also ein Kreis von 50000 Einwohnern jährlich 750 (bei 
5 Proben auf 1000 Einwohnern) bezw. 1500 M. (bei 10 Proben) 



486 Dr. Solbrig: Strengöre Handhabung der Nahrangsmittelkontrolle. 


für die Untersuchungen zu bezahlen haben; dabei liesse sich nach 
dem oben erwähnten Vorbild aus Baden ein Teil der Kosten 
von den Verkäufern der Waren — wenn es nämlich zu Bean¬ 
standungen und Bestrafungen kommt — einbringen. Nur geprüfte 
Nahrungsmittelchemiker in öffentlichen Anstalten sollte man zur 
Untersuchung heranziehen. Kommt es zu Beanstandungen von 
Waren, so ist der beamtete Arzt der zuständige Begutachter in 
gesundheitlicher Beziehung. 

Wichtig ist die sachgemässe Entnahme der Proben. 
Am besten geschieht dies durch Angestellte der Untersuchungen 
ämter. Da sich dies naturgemäss ohne Schwierigkeit nur an den 
Orten, die Sitz von solchen Aemtern sind, durchführen lässt, 
werden in den meisten Fällen Angestellte der Polizei hierzu ver¬ 
wendet werden müssen. Als geeignet sind diese jedoch nur dann 
anzusehen, wenn sie entsprechende Anweisung und Belehrung er¬ 
halten haben. Nach dem Beispiel aus Württemberg würden die 
Medizinalbeamten in der Lage sein, die betreffenden Personen 
dahin zu unterweisen, welche Proben und in welcher Weise die¬ 
selben zu entnehmen sind. Dass die Probeentnahmen unvermutet 
vor sich gehen, ist eigentlich selbstverständlich und doch er¬ 
wähnenswert mit Rücksicht auf mir bekannte Vorgänge, 
wonach die nahe bevorstehenden Revisionen von Drogen- etc. 
Handlungen öffentlich bekannt gemacht sind. Ob es zweck¬ 
mässiger ist, dass die Proben von solchen Personen, die den Ver¬ 
käufern als Organe der Polizei nicht bekannt sind, gekauft oder 
dass sie von amtlich als solchen gekennzeichneten Personen ent¬ 
nommen werden, dies ist eine Frage, die nicht allgemein zu 
entscheiden sein, sondern sich nach den lokalen Verhältnissen 
regeln dürfte. 

Mit der Untersuchung der Warenproben und den etwa 
darauf folgenden Bestrafungen, welche letztere zweckmässig zur 
Warnung öffentlich bekannt gemacht werden, ist noch nicht alles 
geschehen, was zur sachgemässen Nahrungsmittelkontrolle gehört. 
Es ist vielmehr ausserdem noch wichtig und nötig, dass ein 
gesundheitsgemässer Vertrieb der Nahrungs- und 
Genussmittel durch Polizeiverorduungen geregelt wird. Solche 
Verordnungen würden sich etwa auf folgende Punkte zu be¬ 
ziehen haben: 

1. Die Verkaufs und Lagerräume für Nahrungs- und Genuss¬ 
mittel müssen sauber und ordentlich gehalten sein, dürfen nicht 
zu Wohn- und Schlafzwecken benutzt werden und auch möglichst 
nicht direkt mit den Schlafräumen in Verbindung stehen. 

2. Das Aushängen von Fleisch an der Strasse ist zu ver¬ 
bieten; beim Transport ist das Fleisch mit reinen weissen Tüchern 
zn überdecken. 

3. Die Verkäufer von Fleisch-, Back-, Kolonialwaren etc. 
haben eine reine Waschschürze zu tragen und die Kunden mit 
reinen Händen zu bedienen. 

4. Die Verkäufer dürfen die Waren, vornehmlich solche, die 



Aus Versainmlungeh and Vereinen. 


487 


unmittelbar zum Genüsse dienen, wie Wurst, Käse, Zucker u. dgl. 
nicht mit blossen Händen anfassen. 

5. Das Einschlagen der Nahrungsmittel hat in sauberem, 
nicht bedrucktem oder beschriebenem Papier zn erfolgen. 

6. Das Befassen der Waren, besonders der Backwaren, 
seitens der Käufer ist verboten. 

7. Die im Laden aufgestellten Nahrungsmittel, wie Wurst, 
Käse u. dgl. sind durch Glasglocken oder Schränke vor Ver¬ 
staubung und Anziehen von Gerüchen zu schützen. 

Ein dem Publikum sichtbares Anbringen solcher Verord¬ 
nungen im Laden wäre zweckdienlich. 

Zur sachgemässen Kontrolle der Herstellungs- und Verkaufs¬ 
räume ist die Hülfe der Medizinalbeamten nicht zu entbehren. 
Es sollten diese deshalb gehalten sein, bei allen sich darbietenden 
Gelegenheiten, besonders bei den Ortsbesichtigungen und bei den 
Revisionen der Drogen-, Farbwaren- und Materialwarenhand¬ 
lungen, die auch aus andern Gründen ganz in das Gebiet der 
amtlichen Funktionen der Kreisärzte fallen sollten, hierauf 
ihr besonderes Augenmerk zu richten; namentlich sind die 
fleischereien, Wurstküchen, Bäckereien, Gemüsehandlungen, Mi¬ 
neralwasserfabriken und Märkte in Bezug auf Sauberkeit und 
gesundheitsgemässe Gestaltung des Betriebes zu kontrollieren. 

Natürlich dürfen die Anforderungen, die zu stellen sind, nicht 
zu rigoros sein; vor allem sind Unterschiede zwischen den grösseren 
städtischen und kleineren ländlichen Verhältnissen zu machen. 

Diese strengere Handhabung der Nahrungsmittelkontrolle ist 
im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege als erforderlich 
anzusehen und dürfte wohl ohne besondere Schwierigkeiten für 
die kontrollierenden als auch für die zu kontrollierenden Personen 
durchführbar sein. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über den XIV. internationalen medizinischen 
Kongress zu Madrid vom 23.-30. April 1903. 

Am 23. April morgens traf ich in Madrid za dem an demselben Tage 
beginnenden Kongress ein. Ich hatte damals schon eine etwas längere spanische 
Beise hinter mir. Bereits am 4. April hatte ich mit meiner Fran Berlin ver¬ 
lassen and war ziemlioh direkt — mit nar karzem Aufenthalt in Nimes — bis 
Barzelona geeilt. Von dort war unsere Beise Ober Tarragona, Sagnnt nach 
Valenzia gegangen; ans der Stadt des Cid mussten wir, da die direkte Ver¬ 
bindung zwischen der Westküste und Andalusien immer noch fehlt, erst her¬ 
auf zum kastilischeu Hochland, nach der Mancha und dann wieder herab durch 
die Engpässe der Sierra Morena ins Tal des Guadalquivir, nm nach Kordova 
zu gelangen. Nach Kordova haben wir die Obrigen Hauptstädte Südspaniens 
besucht; an Sevilla und Xeres vorbei führte uns unsere Beise zunächst an die 
Gestade des Ozeans, nach Kadiz, dann zurück nach Sevilla, weiter nach Granada, 
und endlich durch die Felsentäler der Sierra Nevada nach Malaga, von wo aus 
uns eine 22stündige Eisenbahnfahrt nach Madrid brachte. 

Welthistorische Stätten hatte ich so betreten, hatte in allen Beizen 
einer Natur von nahezu tropischer Ueppigkeit, die freilich auf grosse Strecken 
durch ödes Steppenland unterbrochen wird, schwelgen können — eine Wein¬ 
probe in den Kellern Malagas darf unter diesen Beizen füglich nicht ver¬ 
gessen werden —, hatte mit heissem Bemühen und hohem Genuss die Kunst 



Ans Versammlungen and Vereinen. 


488 

denkm&ler Spaniens ans seiner römischen, maurischen, christlichen Zeit auf 
mich wirken lassen. Leere, bis dahin kaam gehörte Worte, wie Aznlejos and 
Artesonado, Mudejar and Peadentif, piateresker and charrigaeresker Stil waren 
für mich Begriffe von Inhalt and Bedeutung geworden. 

Aach von dem spanischen Leben hatten wir manches gesehen. In Va¬ 
lencia hatten wir etwas von den z. Z. herrschenden politischen Unrnhen za 
fdhlen bekommen; unsere „Tartana“, ein zweirädriger geschlossener, von hinten 
zn besteigender Karren, der etwas Aehnlichkeit mit onsern L fl ck sehen Kranken¬ 
wagen hat and dort, der afrikanischen Sonnenhitze wegen, das landesübliche 
Geführt ist, war von einem, anscheinend dem missliebigen Gonvernenr zuge¬ 
dachten, Warf einer faalen Zwiebel getroffen worden. Hier, wie in Sevilla 
hatten wir von den Feierlichkeiten der Osterwoche, wie sie in Spanien begangen 
wird, in Gestalt mehrerer festlicher Prozessionen ein ungefähres Bild erhalten; 
auch sonst in Andalasien konnte man überall die Osterzeit daran erkennen, 
dass die Kinder mit lebenden, bunt bebänderten Lämmchen nmherzogen, die 
ihnen dort zam Fest gekauft za werden pflegen. Wir hatten so manche ele¬ 
gante Korsofahrt der spanischen Gesellschaft and anderseits auch die elenden 
troglodytenhaften Erdwohnungen der Zigeuner bei Granada geschaut. Wir 
sahen die Kolleginnen der „Carmen“ morgens mit der Blume im Haar zur 
Zigarrenfabrik ziehen and abends im andalasischen Prankkostüm ihre Tänze aas¬ 
fahren and wir sahen sie schliesslich mit ihren Neugeborenen — oder anchdiese 
allein — in der casa de Expositos, im Findelhaase. 

Aach von den vielgenannten „cosas de Espaüa“, wie der Spanier 
selbst die vielen in seinem Lande anzutreffenden unbegreifbaren Einrichtungen 
bezeichnet, hatten wir einen Begriff bekommen. Ich erwähne in dieser Bezie¬ 
hung nur einen Punkt, der dem Beisenden besonders unangenehm zu werden 
pflegt. Dag spanische Zollgesetz bestimmt, dass an den Grenzstationen and 
in den Hafenorten das Gepäck der Beisenden revidiert werden soll. Natürlich 
dachte man dabei nur an die vom Ausland übers Meer in Hafenorten ankom- 
menden Fremden, nicht an diejenigen, die bei ihrer Fahrt im Inland an einen 
Ort kommen, der zufällig zugleich Hafenort ist. Die spanischen Zollbehörden 
legen den Satz aber wörtlich aas. Und so mussten wir unser Gepäck, das an 
der Grenze in Port Boa revidiert war, in Barzelona nochmals durchsuchen 
lassen. Wir mussten es, obwohl wir Spanien nicht verlassen hatten, in Va¬ 
lencia, in Kadiz, in Sevilla — das auch als Hafenort gilt, da der Guadalquivir 
bis dahin schiffbar ist —, in Malaga einer allerdings milden, aber doeh 
meist zeitraubenden Durchsuchung unterziehen lassen. 

Im Grossen und Ganzen waren alle diese Unbequemlichkeiten jedoch 
nioht derart, dass sie uns den Beisegenuss trüben konnten. Wir fanden dies 
Belsen in Spanien lange nicht so schwierig und viel angenehmer, als wir es 
nach den abschreckenden Schilderungen mancher früherer Besucner erwartet 
hatten. Entweder haben diese Schilderer übertrieben, um ihre spanische Beise 
als eine hervorragende Leistung erscheinen zu lassen, oder die Verhältnisse 
haben sich in den letzten Jahren gebessert. Vielleicht ist auch beides der 
Fall. Ich persönlich hatte wenigstens den Eindruck, dass das Land wohl ge¬ 
wisse Fortschritte macht, wenn auch vielleicht langsamer, als möglich wäre. 
Allgemein hört man von spanischen Beiscgefährten die Klage, dass die poli¬ 
tischen Parteistreitigkeiten, die schliesslich auf rein persönliche Machtfragen 
hinauslauien, das ganze öffentliche Leben absorbieren, die Vornahme sachlich 
nützlicher Massregeln verhindern und so die Entwicklung des Landes in ver¬ 
hängnisvoller Weise hemmen. 

Es war von vornherein zn erwarten, dass diese „cosas de Espaüa“ auch 
bei dem Kongress eine Bolle spielen und dass Ordnung und Organisation des¬ 
selben nicht auf der Höhe stehen wflrden. Wer sich mit spanischen Verhält¬ 
nissen etwas vertraut gemacht hatte, dürfte eigentlich über die allerdings er¬ 
hebliche Mangelhaftigheit der Kongressverwaltung nicht so erstaunt und ent¬ 
rüstet sein, als es vielfach der Fall war. Abgesehen von der Unzulänglichkeit 
des Bureaus, der Unzuverlässigkeit der Berichterstattung war es hauptsächlich 
die ausserordentlich hochgeschraubte Verteuerung der Wohnungen, über die mit 
Bucht geklagt wurde. 

Demgegenüber muss aber auch dankbar anerkannt werden, dass man 
■ich vielfach ernste Mühe gegeben hatte, uns würdig aufzunehmen, dass von 
-ielea Seiten ein grosses Mass der Liebenswürdigkeit den Kongressisten 


Au Versammlungen and Vereinen. 


469 


gegenüber entfaltet wurde. Die Stadt Madrid hat für einen grossen Teil der 
Oiste einen Empfang im Rathause gegeben, der allerdings durch die Ueber- 
füllung der Räume litt; sie empfing ein aweites Mal sämtliche Kongressisten 
mit Damen an einem wohlgelungenen Konzert im Stadtgarten, das freilich 
bezeichnender Weise anr gleichen Zeit mit einer der allgemeinen wissenschaft¬ 
lichen Sitzungen stattfand; ein grosser Teil der Mitglieder war ferner an einer 
allerdings nicht gerade hervorragenden Carmenaufführung im lyrischen Theater 
— das königliche Theater hatte leider Ferien — und au einem Empfang beim 
Ministerpräsidenten geladen. Vor allem aber hatte, was noch bei keinem frü¬ 
heren Kongress vorgekommen sein soll, der König sämtliche 7000 Kongress¬ 
mitglieder au einem Empfange in seinem herrlichen Schloss, sämtliche Mit¬ 
glieder mit ihren Damen au einem Konaerte in seinen ebenso herrlichen Gärten 
geladen und dort bewirtet, ein Akt königlicher Courtoisie, der gewiss mit 
manchen weniger erfreulichen Erfahrungen versöhnen musste. Es hat doch 
schliesslich gewissen Wert, beim Nachfolger Karls des Fünften au Gaste ge¬ 
laden zu sein. 

So manches Freundliche hat ferner der Einseine erfahren. Ich persön¬ 
lich gedenke gern der mannigfachen Aufmerksamkeiten, die mir in meiner 
Sektion au Teil geworden sind; man hat mir auf jede mögliche Weise gezeigt, 
wie dankbar man fttr mein Erscheinen in Madrid war. Ich wurde (neben 
Brouardel und Kossotorof-St. Petersburg) alsbald zum Ehrenpräsidenten 
gewählt und hatte gleich am ersten Tage den Vorsitz zu führen; mein Vor¬ 
trag war an erster Stelle auf die Tagesordnung gesetzt worden. Der Vorsitzende 
der Sektion, Martinea, lud uns zum Stiergefecht ein und bedauerte sehr, 
dass die Leistungen des Toreros gerade diesmal nicht auf der Höhe standen. 
(Sportlich interessanter war für uns der Besuch eines baskischen Ballspiels, 
bei dem die Spieler eine bewundernswerte Gewandheit entwickelten.) Die 
Sektion gab ferner für ihre Ehrenpräsidenten ein festliches Diner. Dass ich 
auf die Begrüssung, die uns dabei gespendet wurde, spanisch antwortete, 
warde mit gana besonderer Freude anerkannt. 

Man wird auch, wenn man über Mängel des Kongresses klagt, nicht 
übersehen dürfen, dass die allmählig ausserordentlich gestiegene Teilnehmeraahl 
die Leitung and Einrichtung und Unterbringung des Kongresses nachgerade 
an einer sehr schwierigen Aufgabe gemacht hat, der man wohl nur in wirk¬ 
lichen Weltstädten genügen kann. Offenbar in Erkenntnis dieser Sachlage 
waren denn auch diesmal Einladungen für die nächste Versammlung völlig 
aasgeblieben; erst am letzten Tage traf die alsbald angenommene Aufforderung 
der portugiesischen Regierung ein, so dass der nächste Kongress in 8 Jahren 
in Lissabon stattfinden wird. 

Infolge der mangelhaften Bekanntmachung einerseits, der ungünstigen 
Zeitwahl anderseits habe ich nur der ersten allgemeinen Sitzung beige¬ 
wohnt. Nach der Eröffnungsansprache des Vorsitzenden und des Generalsekre¬ 
tärs folgte in üblicher Weise der endlose Zug der Vertreter der einzelnen Staaten. 
Fttr Deutschland sprach v. Leyden; bedauerlicher Weise reichte seine Stimme 
für den grossen Baum nicht aus. 

Da die Sektionssitzungen alle zur gleichen Zeit stattfanden, habe ich 
nur den Verhandlungen der Sektion für gerichtliche Medizin und Toxi¬ 
kologie beiwohnen können. Auch bei diesen bin ich nicht durchweg 
anwesend gewesen. Es waren nämlich fast nur spanische Kollegen anwesend; 
es wurde naheau ausschliesslich spanisch geredet, und obwohl ich einige Sprach¬ 
studien gemacht hatte, gelang es mir doch nicht, den zumeist sehr schnell 
vom Manuskript abgelesenen Vorträgen so au folgen, dass ich mehr als eine 
ungefähre Vorstellung von dem Inhalt des Gesagten erlangen konnte. Ich habe 
daher auf die Gegenwart bei den letzten Sitzungen, in denen nur Spanier auf 
der Tagesordnung standen, verzichtet und möchte auch darauf verzichten, 
schon jetzt ein Referat über das Ergebnis der Verhandlungen zu liefern, mir 
dies vielmehr bis aum Erscheinen des gedruckten KongreBsberichts verspäten. 

Die Tage, die so für mich frei wurden, gaben mir erwünschte Gelegenheit, 
das wunderbare Museum des Prado, den stolzesten Ruhmestitel der spanischen 
Hauptstadt, mit besserer Müsse zu geniessen. Was der Prado an Schätzen 
italienischer und niederländischer Malerei bietet, an Werken Rafaels, 
Tlsians, Rubens und Van Dyoks, gewähren ja auch andere Sammlungen; 



Aas Versammlungen and Vereinen. 


490 

keine erreicht ihn aber in dem Beiehtnm an Schöpfungen der spanischen Haler. 
Mehr noch als Murillo, Ribera, Goya ist es Valasqnex, dessen sonst 
nor vereinzelt ansatreffende Schöpfungen hier in einer grandiosen Fülle aufgo- 
stapelt sind und den Beschaner einen Künstler kennen lehren, der an Lebens* 
Wahrheit and Kraft der Charakteristik wohl nor von Reinbrandt über¬ 
troffen wird. Wirklich künstlerische Genüsse gewährt übrigens anch die sweite 
«Sehenswürdigkeit“ Madrids, die Armeria, die königliche Waffensammlung. 

Wir fanden ferner so Zeit an einem Besuch Toledos, der überaus ma¬ 
lerisch auf einem vom Tajo rings umspttlten Felsrücken gelegenen alten Haupt¬ 
stadt des Landes mit ihren glänsenden Bauten aus gothischer, arabischer und 
kastilisch-spanischer Zeit. 

Nächst Toledo besuchten wir — nach Schluss des Kongresses — noch 
den Bskurial, das gewaltige, tou Philipp dem Zweiten in die Einsamkeit des 
Guadarramagebirges hineingebaute Klosterschloss, das ganz den Geist seines 
Schöpfers, der hier seinen Tod fand, den Geist kalter Formenstrenge wieder¬ 
gibt. Vom EBkarial bin ich dann — da das begonnene Semester rief — in 
fast direkter Fahrt über Paris heimgekehrt. 

Nicht spanische Vorträge, über die ich schon jetzt berichten kann, 
wurden im ganzen drei gehalten. Dr. Schächter-Budapest sprach (deutsch) 
über den gerichtsärztlichen Senat, der kürzlich in Ungarn geschaffen worden 
ist, eine der preussischen wissenschaftlichen Deputation ähnliche Behörde. Der 
Leiter einer privaten Idiotenanstalt bei Lyon, Dr. Courjon, sprach über die 
Notwendigkeit der Einrichtung staatlicher Anstalten für Idioten bezw. 
Imbezille, in denen dieselben einer gemischten medizinisch pädagogischen 
Behandlung unterzogen würden. In der Diskussion sprach sich ein — soweit 
ich verstand — argentinischer Arzt über die Vorteile der Benutzung von Hyp¬ 
notismus bezw. Suggestion bei der Erziehung der Degenerierten aus und 
Martinez, unser Vorsitzender, äusseite die originelle Idee, dass in vielen 
Fällen, in denen eine erbliche Belastung nicht nachzuweisen sei, die Degene¬ 
ration sich erkläre durch Störungen im Genitalapparat der Eltern (Phimose, 
Cervixstenose u. s. w.), welche einen unvollkommenen Coitus bewirken und so 
zur Folge haben, dass das Sperma bereits geschwächt das Ei erreicht. Ich 
selbst sprach über die gegenwärtige Organisation der gerichtlichen Medizin 
in Deutschland und über die Einrichtungen meines Institutes und schloss 
daran eine Demonstration von Abbildungen bemerkenswerter Befunde, 
die wir in den letzten Jahren gemacht haben (Blitztod mit ausgesprochenen 
Blitzfiguren, Lysolvergiftung, Zorreissung einer aryepiglottischen Falte bei 
Selbstmord durch Erbängung, Selbsterdrosselung u. a. m.), ferner einer Gruppe 
von stereoskopischen Photographien, besonders von Sohädelbrttchen, um die 
Vorzüge dieser Art der Aufnahme vor der gewöhnlichen zu veranschaulichen. 
Ich hatte meinen Vortrag des Prinzips halber deutsch gehalten, obwohl iin so 
kaum einer aus der Versammlung verstand; die Demonstrationen erläuterte 
Ich auf Wunsch der Kollegen spanisch. Sie erregten allgemeines Interesse 
und gaben zu einem lebhaften Meinungsaustausch Veranlassung; ioh hatte wohl 
etwa 1 Stunde das Gehör der Versammlung. Die an mich gerichteten Fragen 
bewiesen durchweg Verständnis und Sachkunde. 

Man muss das um so höher schätzen, als für die gerichtliche Medizin 
in Spanien bisher wenig geschehen ist. Es bestehen zwar Lehrstühle an den 
Universitäten — der in Madrid ist übrigens seit einiger Zeit unbesetzt —, die 
Inhaber dieser Lehrstühle sind aber, wie zumeist auch in Italien und Russland, 
reine Theoretiker; sie halten ihre Vorlesung, haben aber mit der geriehts- 
ärstlichen Praxis nichts zu tun. Für diese gibt es besondere Einrichtungen 
fast nur in Madrid selbst; die Stadt ist in 10 — sagen wir — Amtsgerichts¬ 
bezirke geteilt, für jeden ist ein Gerichtsarzt angesteilt, der gegen ein fixiertes 
Gehalt von ca. 8000 Mark die sämtlichen ihm zugewiesenen Aufgaben zu er¬ 
ledigen hat. Der Senior derselben ist z. Z. Martines, dem auch die kleine 
Morgue unterstellt ist. Ferner besteht in Madrid ein gerichtsärztlieh- 
toxikologisches Laboratorium unter Leitung von Mariscal, dem Vizepräsi¬ 
denten unserer Sektion. Zwei weitere Laboratorien existieren in Barzelona und 
Sevilla; alle drei unterstehen dem Justizminister. Diese Laboratorien führen 
auf Verlangen der Gerichte die notwendigen chemischen und mikroskopischen 
Untersuchungen aus, und zwar steht das zu Madrid für die Gerichte des Nord- 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


491 


oetens des Königreiches, das in Barcelona für die des Nordwestens, das so 
Sevilla für die des Südens rar Verfügung. 

Ausserhalb Madrids gibt es Gerichtsärzte nicht; die Munizipalärzte 
werden — eigentlich per nefas — angehalten, für das Qehalt, das sie als 
solche belieben, auch die gerichtsärztlichen Geschäfte des Beiirkes su be¬ 
sorgen. 

Unter den geriohtsärstlichen Aufgaben stehen nach dem Eindruck, den 
ieh gewonnen, Untersuchungen auf Zurechnungsfähigkeit und Kürperverletsungen 
im Vordergrund. Dagegen soll Abtreibung so gut wie unbekannt und Kindes¬ 
mord sehr selten sein. Wahrscheinlich steht die Seltenheit dieser Verbrechen 
mit dem allgemeinen Vorhandensein von Findelhäusern in Verbindung. 

In diesem Punkte können wir vielleicht von Spanien noch etwas lernen. 

Dr. Strassmann-Berlin. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aue Zeitschriften. 

Bakteriologie, Infektionskrankheiten nnd Öffentliches 

Sanitätswesen. 

Zur Bekämpfung des Typhus. Von Oberstabsarzt Dr. P. Musehold. 
Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege; 4. Heft (erste 
Hälfte), Bd. XXXIV. 

Der Aufsatz ist nach einem in der Strassburger militäräritlicben Gesell¬ 
schaft gehaltenen Vortrage verfasst und berücksichtigt bei den Bekämpfungs- 
massnahmen hauptsächlich militärische Verhältnisse. In klarer, durch Tabellen 
erläuterter Weise bespricht der Verfasser die Diagnose des Typhus auf 
Grund der klinischen Erscheinungen und des Hilfsmittel, welche die bakterio¬ 
logische Forschung uns an die Hand gegeben hat (Gruber-Widalsche Blut¬ 
probe und daB v. Drigalski-Conradische Verfahren zum Nachweise der 
Typhusbasillen). Er kommt hierbei zu dem Sohlusse, dass die Würdigung 
der klinischen Erscheinungen zusammen mit der Anwendung 
der Gruber-WidaIschen Blutprobe und dos v. Drigalski-Con- 
radischen Verfahrens im gegebenen Falle eine Fülle sich 
gegenseitig kontrollierenden Materials schaffen werden, das 
den richtigen Weg des Erkennens führen wird. 

Für die Entstehung und Verbreitung des Typhus sind drei Möglichkeiten 
in Betracht zu ziehen: 1. Infektion durch verunreinigtes Trinkwasser; 2. 
Infektion durch infisierte Nahrungsmittel; 8. Uebertragung auf kurzen Wegen 
von Person ra Person. 

Diese drei Möglichkeiten werden an der Hand militärischer Berichte, 
die dem Verfasser zu Gebote standen, besprochen und im Anschlüsse hieran 
die Wege, auf denen die Seuchenausbreitung bekämpft werden kann, genauer 
dargelegt. Die Durchführung der Massregeln, besonders auch zum Abscbneiden 
der kurzen Uebertragungswege des Typhus wird sich im allgemeinen in Zivil¬ 
verhältnissen zwar nicht so durchgreifend, wie unter militärischen, gestalten 
lassen, immerhin dürften auch hier genug Fälle Vorkommen, z. B. bei Anstalts- 
epidemien, in denen ein Verfahren nach den vom Verfasser dargelegten 
Grundsätzen fruchtbringend zu verwerten ist. Wir richten deshalb die Auf¬ 
merksamkeit unserer Leser auf den Aufsatz. Dr. Glogowski-GOrlitz. 


Die Bekämpfung des Typhus in Paris. Von Dr. Bienstock. 
Hygienisohe Rundschau; 1903, Nr. 8, S. 106. 

Paris hatte in den Jahren 1881—1890 eine überaus hohe TyphuBsterb- 
lichkeit, von 1891—1899 eine erheblich geringere, wohl infolge der allmählichen 
Versorgung der Stadt mit gutem Quellwasser; plötzlich aber stieg die Sterb- 
liohkeitskurve wieder steil an und zwar starben im Jahre 1899 : 808 Personen 
und 1900 : 867 Penonen an Typhus. Vieles sprach dafür, dass Veränderungen 
im Trinkwassersystem daran die Schuld trügen. Um in dieser Richtung sich 
ein für alle Mal nach Möglichkeit zu sichern, wurde eine aus namhaften Hydro¬ 
logen, Geologen, Chemikern und Bakteriologen sich zusammensetzende ständige 
Kommission gebildet, die die 4 Quellsysteme: Los so ure.es de la Vanne, de 
l’Avre, de la Dhuis und du Lunain, welohe Paris mit Trinkwasser versorgen 



492 Klanen Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 

ln jeder Beziehung unter Aufsicht hält. Der von Duolaux stammende 
leitende Gedanke für den Deberwachungsdienst baute sieh auf der Ueberlegung 
auf, dass man zunächst, um für eine Millionenstadt stets sehr wasserreiche 
Quellen zu haben, auf fein filtrierte Qaellen verzichten muss. Man hat dem¬ 
nach mit der Möglichkeit zu rechnen, dass gelegentlich Keime, auch solche 
pathogener Art — vor allem Typhuserreger — in das Wasser hineingelangea 
können. Da das Auffinden von Typhuskeimen im Trinkwasser, bevor ein Un¬ 
glück durch ihren Genuss verhütet werden kann, nun seine sehr grossen 
Schwierigkeiten hat, so muss dafür Sorge getragen werden, das Hineingelangen 
pathogener Keime ins Wasser mit allen Mitteln zu verhüten. Dazu ist zweierlei 
nötig. Arstens muss man wissen, wo überall die Möglichkeit dazu besteht, d. h. 
.man muss den Oberflächenperimeter feststellen, von dem aus die Paris ver¬ 
sorgenden Qaellen gespeist werden, und man muss ferner alle Bodensenkungen 
und Fissuren in diesem Terrain, durch die ungenügend oder gar nicht filtriertes 
Wasser sich dem Grandwasser beimengen kann, genau kennen. Der so festge¬ 
stellte Umkreis ist dann aufs sorgfältigste hygienisch zu überwachen. 

Zur Feststellung des Oberflächenumkreises, aus welchem die Qaellen ge¬ 
speist werden, diente Fluoreszin in starker Verdünnung, das in der Nähe der 
Qaellen anfangend in immer weiterem Umkreise auf Oberfläche, in Boden¬ 
senkungen und gebohrte Löcher gegossen wurde. Sodann wurde auf das 
Wiedererscheinen des Farbstoffes in den Qaellen gefahndet. Dabei stellte sich 
nun eine überraschend leichte Kommunikation heraus zwischen den Qaellen 
und gewissen im gesamten Quellgebiete reichlich vorhandenen typischen Boden¬ 
senkungen — den Mardelles (auf einem Plateau) und den B6toires (in einer 
Talsohle). Alles Wasser, welches in dieser B6toirea und Mardelles gelangt, 
kommt rasch und leicht in die Quelle, die mit ihnen kommuniziert, und ohne 
genügende Filtration. Zum Beweise, dass nicht allein gelöste Substanzen, 
sondern auch Mikroorganismen von der Oberfläche in die Qaellen verschleppt 
werden, wurden Brdbodeninfektionsversuche mit Bierhefe gemacht, die positiv 
aasfielen. Filtrieren aber die grossen Hefezellen hindurch, so können natürlich 
kleinere Keime, im besonderen Typhusbakterien, am so besser passieren. 

Im ganzen Umkreise des übrigens spärlich bewohnten Quellgebietes ist 
nun seit 1900 ein genau funktionierender hygienischer Ueberwachungsdienst 
organisiert. Jeder Arzt des Gebietes erhält von der Stadt Paris für jede 
Meldung einer verdächtigen Erkrankung 20 Franks. Ausserdem übernimmt die 
Stadt alle Kosten, welche durch prophylaktische Massregeln, Desinfektion des 
Stuhlganges, der Wäsche u. s. w. verursacht werden und schickt trotz der 
weiten Entfernung ihre eigenen Desinfektoren an Ort und Stelle des Krank¬ 
heitsherdes. 

Am Schluss seiner interessanten Arbeit schildert Verfasser eingehend 
die C am bi er sehe Methode, nach welcher im Pariser Laboratorium das Trink¬ 
wasser auf Typhusbakterien untersucht wird. Sie beruht im wesentlichen auf 
der Tatsache, dass bei Bruttemperatur Typhusbakterien durch eine Chamber¬ 
land-Kerze schneller — oft schon in wenigen Stunden — in eine umgebende 
Nährflüssigkeit hindurchpassieren, als die weniger beweglichen Kolibakterien. 
Auf die Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Es ist mit dieser 
Methode gelungen, in der Hauptquelle des Quellengebietes der Vanne im Juni 
1901 Typhusbakterien zu entdecken, die auch am Ende des zugehörigen Aquae- 
duktes beim Eintritt in Paris am 12. Juli gefunden wurden. Der Aquaedukt 
war natürlich sogleich nach der ersten telegraphischen Meldung von der Trink¬ 
wasserversorgung ausgeschlossen worden. Dr. Wolff-Stralsund. 


Eine explosionsartige Typhnsepidemie, verursacht durch einen 
mangelhaft ausgeführten Röhrenbrunnen. Von Dr. Bachmann, Kreis¬ 
arzt in Harburg und Dr. A. Kattein, Assistent am staatlichen hygienischen 
Institut zu Hamburg. Gesundheitsingenieur; 1903, Nr. 8. 

Im Juni 1902 trat in Wilhelmsburg bei Hamburg eine Typhnsepidemie 
auf, die aus 61 innerhalb von 6 Wochen zur Beobachtung gelangten Fällen 
bestand und sich fast ausschliesslich in einem Häuserkomplex von zusammen 
44 Wohnungen abspielte. Alle mit der Ernährung zusammenhängenden Um¬ 
stände mussten aetiologisch ausscheiden und der Verdacht lenkte sioh 
schliesslich auf den 15 m tiefen Röhrenbrunnen, aus welchem der Häuser- 



Kleinere Mitteilnngen nnd Referate ans Zeitschriften. 493 

komplex mit Wasser zentral versorgt wurde. Es wurde bei eingehender Unter« 
Buchung auch tatsächlich festgestellt, dass infolge eines technischen, in dortiger 
Gegend Übrigens h&nfig gemachten Fehlers eine direkte Kommunikation 
■wischen dem Steigrohr des Brunnens nnd dem Ablaufschacht bestand. Die 
bakteriologische Untersuchung des fraglichen Brunnenwassers ergab eine enorm 
hohe Keimzahl, Typhnsbakterien wurden indes nicht gefunden. Nach Desin¬ 
fektion mittelst Chlorkalk kehrte die Keimzahl wieder zur Norm zurück nnd 
der auf Veranlassung des Kreisarztes geschlossene Brunnen wurde wieder frei¬ 
gegeben, nachdem auch der genannte Fehler beseitigt war. 

Dr. Wolff- Stralsund. 


Zur Abwasserreinigung in Oxydationskörpern mit kontinuier¬ 
lichem Betriebe. Von Prof. Dr. Dun bar, Direktor des hygienischen In¬ 
stituts. (Aus dem staatlichen hygienischen Institut in Hamburg.) Gesundheits- 
Ingenieur ; 1903, Nr. 1—4. 

In der Einleitung der Arbeit wird die jetzt wohl kaum mehr ange- 
zweifelte Tatsache hervorgehoben, dass der Beinignngsprozess von Abwässern 
in OxydationskOrpern in erster Linie von Absorptionswirknngen (Ad- nnd Ab- 
sorptionsWirkungen fasst Verfasser hier als identisch auf) abhängig sei nnd die 
gelosten Schmutzstoffe erst später durch Bakterien zersetzt werden. Dadurch 
eröffnet sich aber die Möglichkeit, den intermittierenden Betrieb in einen kon¬ 
tinuierlichen aberzuführen. Ein solches Verfahren hat sich im Laufe der letzten 
Jahre in England herausgebildet und neuerdings viele Anhänger gefunden. 
Ueber seine Entwickelungsgeschicbte und seine mannigfachen Modifikationen 
gibt Verfasser eine auf Grund eigener Anschauung gewonnene und durch zahl¬ 
reiche Abbildungen illustrierte Darstellung, deren Einzelheiten im Original 
nachgelesen werden mOgen; hervorgehoben sei nur, dass alle Verfahren durch¬ 
weg mit apparativen Vorrichtungen, beweglichen Teilen oder Zerstäubern 
arbeiten und dass sie sich zum grossen Teil recht kostspielig stellen, im Bau 
sowohl, wie auch im Betriebe. 

Da es im Deutschen noch keine wirklich zutreffende nnd präzise Bezeich¬ 
nung für das Verfahren gibt, so wählt Verfasser in Rücksicht darauf, dass das 
Abwasser sich dabei in Tropfen anflOst, die im OxydationskOrper von Schlacke- 
stfick zu Scblacke8tfick herunterfallen, den Namen „Tropfverfahren* und für 
den dabei in Verwendung kommenden OxydationskOrper die Bezeichnung „Tropf¬ 
körper*. Die Vorzüge des Tropfverfahrens gegen das intermittierende Oxy¬ 
dationsverfahren, bei dem sich bekanntlich dss zu reinigende Abwasser für 
eine längere Zeit in dem OxydationskOrper aufstaut, lassen sich dahin zu- 
Bammenfassen: 

1. Die Entfaltung der Absorptionskräfte, die auf Oberflächenwirkung 
basieren, ist eine wesentlich ausgiebigere. 

2. Die Notwendigkeit, die Zn- nnd Abflussrohre in regelmässigen 
Perioden bei Tag und bei Nacht zu Offnen bezw. zu schliessen, fällt fort. 

3. Das Trppfverfahren leistet in qualitativer Hinsicht besseres, in quan¬ 
titativer mehr. 

4. Da die Tropfkörper ans faustgrossen oder noch grosseren Schlacke- 
Stücken aufgebaut sind, ist die Gefahr einer baldigen Verschlammung eine 
sehr geringe. 

5. Da die Tropfkörper das Abwasser in suspendierter Form enthalten, 
aber nie damit angefallt sind, besteht nicht die Gefahr eines seitlichen Aus¬ 
trittes der Abwässer, nnd daher brauchen die KOrper nicht mit starken, un¬ 
durchlässigen, unter Umständen recht kostspieligen Wandungen bekleidet 
zu werden. 

6. Die gereinigten Abflüsse entleeren sioh ziemlich gleichmässig nnd 
nicht ruckweise in grosseren Quantitäten, ein Umstand, der bei wasserarmen 
Vorflatern eine weit grossere Sicherheit für günstige Vermischungsverhältnisse 
bedingt. 

Als Nachteile gegen das intermittierende Verfahren käme höchstens 
in Frage: 

1. Die MOgliohkeit eines Einfrierens. Allerdings sollen in England frei¬ 
stehende Tropfkörper bei — 9° C. zur Zufriedenheit gearbeitet haben. 

2. Die Abwässer können nioht unterhalb der Oberfläche in den Reir ' 



494 


Kleinere Mitteilungen und Referate aua Zeitschriften. 


gangskörper eingelassen werden, daher ist namentlich bei vorgefaultem Ab¬ 
wasser der Austritt übler Gerüche möglich. 

Trotz aller der Vorzüge konnte Verfasser dem Tropfverfahren praktische 
Bedeutung nioht beimessen, weil gegen dasselbe in den bis jetzt zur Anwen¬ 
dung gekommenen Formen die hohen Anlage- und Betriebskosten, leicht Vor¬ 
kommando Betriebsstörungen und daraus resultierende Betriebsnnsicherheit 
sprachen. Seine eigenen, anf eine Vereinfachung und billigere Gestaltnng des 
Verfahrens abzielenden Versnche haben nnn zu dem gewünschten Erfolge geführt. 

Die gleichmSssige Verteilung nnd tropfenförmige Auflösung der Ah* 
wftsser .wurde bei den Versnchen ohne komplizierte nnd kostspielige apparative 
Vorrichtungen einfach in der Weise erzielt, dass die Abwässer beim Eintritt 
in den Tropfkörper zunächst eine Schicht sehr feinen Materiales passieren 
müssen. Schichtet man unter das feine Material etwas gröberes und darunter 
noch gröberes, so wird die Flüssigkeit, wenn eie durch die oberste Schicht bin- 
durchgetreten ist, von den einzelnen gröberen Stücken tropfenförmig aufge¬ 
nommen. Nnn lieet ja die Vermutung überaus nahe, dass sich nach allen 
bisher gemachten Erfahrungen die Deckschicht aus feinem Material innerhalb 
kürzester Frist verstopfen und für Abwässer vollständig undurchlässig werden 
müsste; die Erfahrung lehrte aber, dass man dem durch ein Abharken der 
Deckschicht begegnen kann, und zwar muss, wenn man täglich 1 cbm Ab¬ 
wasser pro qm Oberfläahe reinigen will, bei 12stündigem täglichen Betrieb 
zunächst täglich, nach 8 Tagen jeden zweiten Tag, nach einem Monat in acht¬ 
tägigen Perioden und schliesslich sogar nur alle 8—4 Wochen das Abharken 
vorgenommen werden. Weiter lehrten die Versuche, dass es vor allem darauf 
ankommt, der Luft möglichst ungehinderten Zutritt zu dem Unterbau des 
Tropfkörpers zu verschaffen. Ist dieser daher von festen Wandungen um¬ 
geben, so darf die Deckschicht keine vollständige sein und es empfiehlt sich 
dann, in das Material des Körpers Furchen für das einzuleitende Abwasser 
einzugraben und diese mit dem feinen Deckschichtmaterial ausznkleiden. Ist 
aber der Tropfkörper freistehend, so kann von solchem Furchensystem Abstand 
genommen werden und die Deckschicht eine vollständige sein. Ein seitliches 
Fortfliessen des Abwassers von der Oberfläche lässt sich durch eine einfache 
Vorrichtung verhüten. 

Die mit solchen Körpern angestellten Versnche des Verfassers ergaben, 
dass sich in ihnen grössere Mengen Abwasser als in intermittierend arbeitenden 
Oxydationskörpern reinigen Hessen und dass, selbst wenn absichtlich sehr kon¬ 
zentriert hergestellte Abwässer eingeleitet wurden, die Einflüsse völlig klar 
färb- nnd geruchlos sind nnd bleiben. 

Auf Grund dieser Beobachtungsergebnisse trat Verfasser weiter an die 
praktisch hochbedeutsame Frage heran, wie man das nene Verfahren für ein¬ 
zelne Häuser, Krankenhäuser, Fabriken u. s. w. nutzbar machen könne. Von 
den zwei einschlägigen Versuchen ist der zweite besonders nennenswert: Vor 
einem freistehenden Tropfkörper wurde ein Bottich aufgestellt, in welchen sehr 
konzentrierte Abwässer mit allen Sink- nnd gröberen suspendierten Stoffen ein¬ 
gelassen wurden. An der Einflussmündung ist ein Drahtkorb zur Aufnahme 
der gröberen ungelösten Stoffe angebracht, welcher, wenn nötig, täglich bequem 
abzunehmen nnd zu entleeren ist. Die Abwässer gelangen aus dem Bottich 
auf den Tropfkörper, in dem sie versickern. Sobald aber der Anlage plötzlich 
etwa 200 1 oder mehr Abwasser zufliessen, beginnt das Wasser sich auf der 
Oberfläche des Tropfkörpers anzusammeln. Die steigende Wasserschicht schliesst 
dabei mittelst Schwimmvorrichtung das Abflussrohr des Bottiches nnd hält 
diese so lange geschlossen, bis sie zu sinken anfängt, dadurch öffnet sich der 
Zufluss wieder automatisch. Diese Anlage hat sich in nunmehr fünfmonatigem 
Betriebe nach jeder Richtung durchaus bewährt. Es ist somit der Nachweis 
erbracht, dass wir zur Zeit in der Lage sind, auch einzelne Häuser mit auto¬ 
matisch arbeitenden biologischen Abwasserreinigungsanlagen auszustatten, die 
bei verhältnismässig sehr geringem Kostenaufwands völlig befriedigende Reini¬ 
gungseffekte gewährleisten. _ Dr. Wolff-Stralsund. 


Grundsätze fhr die biologische Beurteilung des Wassers nach 
seiner Flora nnd Fanna. Von Privatdozent Dr. R. Kolkwitz, wissen¬ 
schaftliches Mitglied, nnd Dr. M. Marsson, wissenschaftlicher Mitarbeiter 



Kleinere Mitteilungen and Befer&te aus Zeitschriften. 


496 


am Inatitnt. Mitteilungen ans der Königl. Prüfungsanstalt für Wasserver¬ 
sorgung and AbwBsserbeseitigung. Heraasgegeben von A. Schmidtmann u. 
C. Günther. Berlin 1902. Heft 1. 

Nach einer historischen Einleitang über die biologische Untersnchnng 
des Wassers geben ans die Verfasser eine Uebersicht über die Abwässer- 
mikrobien als Leitmikroorganismen, die sie als Saproben (oaitpoc, fanl), also 
gewissennassen als die Schmutzfinken der AbwBsser bezeichnen and die sie 
naeh dem Vorbilde von Beyrincks nitropbilen Bakterien je nach dem .Grad 
der Verschmutzung in poly-, meso- und obligosaprophile einteilen. Im Gegen- 
sati dazu werden die nur im reinen Wasser ihre Existenzbedingungen findenden 
Bakterien Katharobien (xaüttpöc, rein) genannt. Daneben können aber auch 
gewisse mit bestimmten Wasserpilzen zusammenlebende Protozoen als Leit¬ 
organismen gelten und solche Abwässer-Biocönosen werden als protozoologische 
bezeichnet im Gegensatz zu den durch Algen gebildeten phycologiscben. 

Es muss daher bei der Beurteilung eines Wassers die chemische und 
die biologische Untersuchungsmethode nach Möglichkeit neben einander ein¬ 
hergehen. Dadurch wird auch in vielen Füllen eine grössere Sicherheit der 
Resultate erzielt. Durch die Fauna und Flora der zu prüfenden GewBsser er¬ 
hält man auch die nötigen Fingerzeige über die Art der Verschmutzung und 
für die zur chemischen Untersuchung zweckdienlichen Probeentnahme. 

Aber nicht bloss als Leitorganismen, sondern auch als Indikatoren kommt 
die Fauna der WasserlBufe iu Betracht, namentlich die Fauna des Grundes, 
insofern als die oberhalb des Zuflusses der AbwBsser befindlichen Muscheln und 
Schnecken sich in bester Lebensfähigkeit befinden, wBhrend die unterhalb der 
schädigenden Einflüsse je nach der Strömung in kürzerer oder längerer Zeit 
abgestorben sind und so nach ihrer FSulnisperiode noch als Indikatoren dienen. 

Ausserdem kommt das biologische Verfahren aber auch in Frage für das 
zu Trickzwecken benutzte Fluss-, Bach-, Seen- oder Talsperrenwasser, deren 
Reinheitsgrad im allgemeinen durch das Plankton beurteilt wird, daneben aber 
auch durch die Bakterienzählung kontrolliert, im wesentlichen das gleiche 
Resultat gibt. 

Die Verfasser kommen daher zu dem Schluss, dass „für die Förderung 
der das Wasser betreffenden Fragen nicht allein die verschiedenen Wissens¬ 
zweige, wie Chemie, Zoologie, Botanik einschliesslich Bakteriologie, Physik und 
Technik zu Rate gezogen werden müssen, sondern sogar innerhalb der einzelnen 
Disziplinen wieder die verschiedenen Gebiete in gemeinsamer Arbeit das Ihrige 
leisten müssen*. 

Durch das Zusammenwirken dieser verschiedenen Zweige werden hof¬ 
fentlich in der Beurteilung der GewBsser auch noch fernerhin wichtige und 
wertvolle Fortschritte erzielt werden können. 

Beitrag nur Kenntnis der ReinignngsefiTekte in den Filtern beim 
biologischen Abwässerreinignngsverfahren. Von Privatdozent Dr.Emmer- 
ling. Ibidem. 

Leider liegen die interessanten Versuche des Verfassers nicht als abge¬ 
schlossenes Ganse vor, aber sie stimmen im allgemeinen überein mit den An¬ 
gaben von Dun bar und Thumm, die den Grad der Reinheit der AbwBsser 
in den meisten Fällen durch die Abnahme der Oxydierbarkeit nach dem biologi¬ 
schen Verfahren zu beurteilen im stände waren. Denn obgleich die fäulnis- 
fähigen Stiekstoffsubstanzen die wichtigsten Momente der Verunreigung der 
AbwBsser zu sein pflegen und deren Abnahme konsequenter Weise einen Grad¬ 
messer für die Leistung einer Reinigungsmethode abgibt, so verdienen doch 
auch stickstofffreiere Substanzen Beachtung, namentlich Verunreinigungen 
durch Kohlenhydrate und organische Säuren, da sie durch GBhrungsvorgänge 
Gase erzeugen und die Entwicklung gewisser schädlicher (namentlich aueh 
anärober) Mikroorganismen begünstigen. 

Durch eine Anzahl von Versuchen konnte der Verfasser nachweisen, dass 
auch hier das biologische Verfahren günstige Erfolge zu erzielen im Stande ist, 
insofern als durch die mehrfache Filtration die Oxydierbarkeit abnahm als 
Zeichen einer fortschreitenden Reinigung. 

Uatennchnng über die Bestandteile der Schwimmschicht und ihr 



496 Kleinere Mitteilungen und Befente aus Zeitschriften. 

Entstehen auf den Abwässern in den Fanlbassins biologischer Anlagen. 
Von Privatdozent Dr. Emmerling. Ibidem. 

Nach den Untersuchungen Emmerlings geht bei dem sog. Faulver- 
fahren, wo die AbwHsser vor der Reinigung einen Fanlprosess dorehmachen, 
und wo die sich bildenden stinkenden Gase durch eine an der Oberfläche sich 
bildende Decke abgeschlossen werden, etwa in folgender Weise die Bildung 
dieser Decke yor sich: „bei genügender Ruhe, wenn also die Bassins nicht 
starken Windstürnngen ansgesetzt sind, und bei nicht zu niederen Temperaturen, 
werden durch Gase, die sich bei der Zersetzung von Kohlehydraten durch das 
Bacterium coli (vielleicht auch durch andere Bakterien) bilden, mechanische 
Verunreinigungen (suspendierte Stoffe) in die Höhe getrieben; auf diesen in 
die Hohe getriebenen Massen finden dann Schimmelpilze ein geeignes Nähr¬ 
medium. Die letzteren überziehen die Oberfläche mit einer zunächst zarten, 
bald aber dicker und zäher werdenden Decke, welche den weiteren Zutritt yon 
Luft hindert und dadurch die Bedingung zur Entwickelung anäerober Bakterien 
in den darunter liegenden FiüssigkeitsBchichten bietet, die ihrerseits in Butter- 
säurebildung und Fäulnisrorgängen ihren Ausdruck findet. 

Die Decke selbst wird durch die auch bei den letztgenannten Gährungen 
reichlich auftretenden Gasen an der Oberfläche gehalten und nimmt so lange 
an Masse su, bis die sie zusammensetzenden verschiedenen Organismen durch 
eine langsame Oxydation an der Luft zum Teil in humose Substanzen übergehen. 

Beitrag zur Kenntnis des sog. biologischen Verfahrens, insbe¬ 
sondere der bei der Herstellung in dem Betriebe biologischer Ab- 
wässerreinignngsanlagen zu beobachtenden allgemeinen Gesichts¬ 
punkte. Von Dr. Thumm, wissenschaftliches Mitglied der Anstalt. Ibidem. 

Diese Abhandlung beansprucht namentlich auch deswegen Interesse, da 
der Verfasser in derselben allgemeine Regeln über die Herstellung und Ver¬ 
wendung der OxydationBkOrper zu einer zweckmässigen Klärung der Ab¬ 
wässer gibt. 

Das biologische Verfahren, das je nachdem als Oxydations- oder als 
Faulverfahren (nach Durchlaufen eines sog. Faulraumes), d. h. nach Passieren 
des Abwassers durch das mit Schlacken gefüllte, als OxydationskOrper be- 
zeichnete Becken angewandt wird, hat sich namentlich da, wo eine Berieselung 
sich nicht ausfübren lässt, alssweckdienliob und, wenn auch nicht gleich¬ 
wertig, so doch in mancher Beziehung als der Berieselung wenig nach¬ 
stehend erwiesen. 

Während man allgemein früher die Klärung der Abwässer und die Zer¬ 
setzung der in denselben enthaltenen Schmutzstoffe auf die Tätigkeit von Mi¬ 
kroorganismen zurückführt, hat Dunbar nachgewiesen, dass die Reinigung 
der Schmutzwässer während des. Vollstehens der OxydationskOrper auf Ab- 
sorptionsvorgänge und nur während des Leerstehens des Körpers bei der 
Lüftungsperiode auf die Zersetzung durch Mikroorganismen zurückzuführen sei. 
Und Proskauer konnte feststellen, dass die Ueberführung des Ammoniaks 
in Salpetersäure im OxydationskOrper nur während dessen Leerstehen vor sich 
geht; es ist dies die sogen. Mineralisiernng der Stickstoffverbindungen und 
zwar ist nach Dun bar und Th um ms Untersuchungen die in den Abflüssen 
befindlichen Salpetersäuremenge um so grosser, je länger der KOrper leer 
steht. Jedoch trifft nach den Untersuchungen Thumms dies nicht für alle 
Fälle su, nach seinen Versuchen an zwei gleichen mit Abwasser und mit des¬ 
tilliertem Wasser gut eingearbeiteten OxydationskOrpern, konnte er nachweisen, 
dass aus dem Fehlen der Salpetersäure in den Abflüssen aus den Oxydations¬ 
kOrpern man nioht folgern dürfe, dass auch kein Nitrat gebildet werde; im 
Gegenteil in eingearbeiteten KOrpern wird stets Nitratbildung entstehen, und 
der Grund dafür liegt in der während des Vollstehens der KOrper sich voll¬ 
ziehenden Reduktionswirkung. 

Als OxydationskOrpermaterial werden in erster Linie eisenhaltige Stoffe 
empfohlen; für die Bewertung des Materials ist es unumgänglich notwendig, 
den Eisengehalt vorher festsustellen, um denselben bei der späteren Beurteilung 
der Leistungsfähigkeit des Füllmaterials berücksichtigen zu können. Ausserdem 
muss aber das Material auch porOs sein, man verwendet daher am besten 
Schlacken, Koks und Ziegelbrocken. Durch Zusatz von Kalk (Marmor, Kalk¬ 
stein) wird die Wirksamkeit noch erheblich gesteigert. 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


497 


Für den Reinignngeeffekt ist ausserdem aber auch die Kongresse des 
Materials von höchster Bedeutung insofern, als die Reinigung des Abwassers 
eine um so bessere ist, je feiner das Material sum Aufbau des Oxydation»* 
körpere. Für die städtischen Abwässer kommen für primäre Körper Korn¬ 
grössen von 8—25 mm und für sekundäre solche von 8—8 mm in Betracht. 

Bei industriellen Abwässern iat es erforderlich, in allen Fällen Vorver- 
suche Aber die sweckmässigste Art der Reinigung su machen, namentlich wenn 
es sich um Herstellung grösserer Anlagen handelt. 

Bei der Wahl der Grösse der Becken ist zu berücksichtigen, dass die 
Fllllungsdauer eines Oxydationskörners nicht länger als 2 Stunden beansprucht; 
das Abwasser soll nioht länger als 5—6 Stunden auf den Oxydationskörpern 
stehen, um für die Lüftung noch genügend Zeit übrig zu haben. Die Becken 
selbst müssen selbstverständlich wasserdicht abgegrenzt sein, die Sohle muss 
so angelegt sein, dass eine vollständige Entleerung erfolgen kann, ferner müssen 
die Beoken frostsicher sein. 

Jeder einzelne Oxydationskörper muss ohne Störung des Gesamtbetriebes 
ausser Wirksamkeit gesetzt werden können; ausserdem muss es möglich 
sein, dieselben sowohl hintereinander, als nebeneinander zu schalten, um durch 
die wechselnden Zuflüsse namentlich bei wechselnden Niederschlagsmengen 
nicht gestört su werden. 

Zar Frage der Mfillbeseitlgnng mit spezieller Berücksichtigung 
der landwirtschaftlichen Verwertung. Von Dr. Thiesing; Ibidem. 

Die in neuester Zeit vielfach vorgeschlagene in England gebräuchliche 
Verbrennung des Mülls scheitert im allgemeinen an den grossen Kosten. 
Hauptbedenken vom hygienischen Standpunkt bilden daneben aber auch das 
bisher gebräuchliche Sammeln und Abfabren des Mülls. 

Wenn auch als eigentliches Dungmittel der Müll allein sich nicht ge¬ 
brauchen lässt, da er zu wenig Nährstoff enthält, so kann er doch als Melio¬ 
rationsmittel gelten, durch das namentlich die physikalische Beschaffenheit des 
Bodens verbessert werden kann; er ist deshalb nicht zu unterschätzen. 

Aus Versuchen, die mit Anpflanzungen von Gemüse, Kohl, Roggen u. a. 
auf Müll gemacht worden sind, hat sich konstatieren lassen, dass die auf dem 
Müll geernteten Früchte im allgemeinen eine günstigere Zusammensetzung 
hatten, als die auf dem Ackerboden geernteten. „Sie waren von gutem Aus¬ 
sehen, niobt mit Parasiten behaftet und gesund, die Kohlköpfe von besonderer 
Festigkeit.“ Im Laufe der Zeit war der Müll humifiziert und mineralisiert und 
nahm schliesslich sranz das Aussehen, die Farbe und Beschaffenheit normaler 
Gartenerde an. Die Konservenbüchsen wurden in 6 Monaten vollkommen 
oxydiert und zerfleien beim Anfassen. 

Aus diesen Beobachtungen und Versuchen geht unzweideutig hervor, 
dass für Städte, in denen sonBt durch Vernichtung des Hausmülls keine wirt¬ 
schaftlichen Erfolge erzielt werden, auf eine rationelle landwirtschaftliche Ver¬ 
wendung das Augenmerk gerichtet werden muss. Sicher würden auf diese 
Weise, durch Auffüllen sumpfiger Wiesen mit Hausmüll, landwirtschaftliche 
und hygienische Vorteile errungen werden können. 

Die wichtigste Phase der Müllbeseitigung ist die Aufsammlnng und die 
Abfuhr des Mülle. Verfasser tritt für die getrennte Aufsammlnng und Abfuhr 
1. von Kehricht und Asche, 2. der Küchenabfälle und 3. der gewerblich ver¬ 
wertbaren Abfälle, der sog. Sperrstoffe (Papier, Lumpen, Eisen, Glas etc.) ein. 
Von letzteren Bestandteilen enthält der Berliner Müll im Durchschnitt unter 
80 Fahren 4,26°/« Papier, 1,16 % Lumpen, 1,27 °/o Glas, 6,10 °/ 0 Scherben und 
0,78% Eisen und andere Metalle. Dieses Verfahren des sog. „Separations¬ 
systems“ wird von der Charlottenburger Abfuhrgesellschaft, nach dem auch in 
Newyork üblichen Abfahrsystem schon seit einiger Zeit mit gutem Erfolg und 
in rationeller Weise angewandt. Von Wichtigkeit scheint aber namentlich 
in Bezug auf diese Sperrstoffe zu sein, dass grundsätzlich nichts wieder in den 
Verkehr gelangt, was nicht vorher gründlich desinfiziert worden ist; denn nur 
auf diese Weise ist eine Uebertragung von Krankheitskeimen zu vermeiden. 

Nach diesem System würden die Kosten nur 3 Mark pro Tonne Müll 
betragen, während das Schmelzverfahren für Berlin 17 Mark pro Tonne beträgt. 

Man sieht also aus diesen Betrachtungen Thiesings, dass die Müll¬ 
verbrennung für die Berliner und Charlottenburger Zustände nioht taugt, worauf 



498 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


schon immer von kompetenter Weise hingewiesen worden ist, dam jedoch eine 
rationelle landwirtschaftliche Verwendung des Mails die grössten Vorteile mit 
sich bringen kann. 

Ueber die Verarbeitung der Rückstände aus der Sehmutswasser- 
Reinigungsanlage der Stadt Kassel. Von Stadtbaumeister Höpfner in 
Kassel und Dr. Panimann. Ibidem. 

Die Kasseler Kläranlage hat den Zweck nur einer mechanischen Reini* 
gang der Abwässer and es fliessen ihr die Schmatswftsser von 110000 Personen 
sa. Nach verschiedenen Versuchen, die Rückstände für die Landwirtschaft ver¬ 
wertbar su machen, worden seit Frühjahr 1900 Versnobe mit dem sogenannten 
De gen ersehen Verfahren, die Rackst&nde der Kläranlage durch Sntsiehung 
von Fett wirtschaftlich zu verwerten, gemacht. Seit dem 1. März 1901 werden 
daher die Rückstände der Schmutzwässer mit geringen Aasnahmen nicht 
mehr zn Kompostdttnger, sondern in der SchlammverwertnngsanBtalt anf Fett- 
und Kunstdünger verarbeitet. „Die Verarbeitnng der Schlammmassen löst sieh 
in dieser Anlage in folgende Rinzelprozesse anf: 1) Befreinnng des Schlammes 
von Lampen, Holzteilen etc., 2) Mischen des Schlammes mit einer hinreichenden 
Menge von Schwefelsäure, 8) Erhitzen dieser Schlammsehwefelsäuremtschung 
in Montejns anf ca. 100°, 4) Abpressen der erhitzten Massen in Filterpressen, 
b. Zerkleinern and Trocknen der gewonnenen Presskuchen, 6) Entfetten der 
getrockneten Presskuchen daroh Benzol, 7) Befreiung der aasgesogenen Fett¬ 
massen, sowie der entfetteten Rückstände von Bensol, 8) Nachtrocknen der 
Rückstände, 9) Destillation des erhaltenen Fettes.* 

Der Gang dieses sog. Degen ersehen Verfahrens ist kurz folgender: 
Nachdem die Schlammmassen, welche sich in dem Becken der Kläranlage ab¬ 
gesetzt haben, mit einem Wassergehalt von circa 90°/ 0 der neuen Anlage zn- 
geführt worden sind, werden die festen Stoffe dnreh 2 entgegengesetzt lanfende 
Reohen mit langen Stacheln znrttckgehalten; der so gereinigte Schlamm fliesst 
nnn in einen Sammelbehälter. In einem besonderen Mischkessel wird hierauf 
die Schlammmasse mit einer genan berechneten Menge Schwefelsäure innig 
durch ein Rührwerk gemischt nnd diese Mischung in verbleite Montejns von 
ca. 8 cbm Inhalt ttbergeführt. Hier wird die Masse anf 100* durch Wasser¬ 
dampf erhitzt nnd kommt dann anf Filterpressen. Das abfliessende Press¬ 
wasser, welches keine freie Schwefelsäure mehr enthalten darf, wird nach einer 
Kalkgrabe geleitet nnd anf diese Weise der Kläranlage wieder angeführt. Der 
Presskuchen kommt in ein Mahlwerk, wird hier zerkleinert und nach einem 
grossen Trockenapparat übergeführt. Von da wird die getrocknete Masse in 
einen nach dem Soz hl et sehen Prinzip konstruierten Extraktor geleitet, wo 
das Fett dnreh Bensol extrahiert wird. Zur Gewinnung der noch in der Press- 
knehenmasse befindlichen Benzolreste wird Wasserdampf eingeleitet, während 
dnreh Umschalten des Kühlers nach dem Benzolbehälter das Benzol für die 
weitere Extraktion wieder gewonnen wird. Die vom Fett befreite, noch 40 bis 
BO ®/ 0 Wasser enthaltende Düngermasse lässt man nach der Entfernung ans 
dem Kessel noch einige Tage offen in dünner Schicht liegen, nm ihr das noch 
übrige Wasser zn entziehen. 

Die Ausbeute an Fett ans der Trockensubstanz schwankt von 8,16 bis 
26,00®/«, im Mittel 16,16 ®/ 0 . 

Beschäftigt sind in der Anlage 16 Mann, und zwar je 8 am Tage nnd 
8 bei Nacht. 

Die Einnahmen betragen jährlich, 100 kg Rohfett zn 30 Mark und 100 kg 
Kunstdünger zu 3 Mark berechnet, über 112000 Mark. Ueber die Betriebskosten 
lässt sich in der kurzen Zeit, da natürlich auch die Versuche sehr viel Geld 
verschlungen haben, bis jetzt noch nichts sicher sagen. 

Jedenfalls kann aber dieses Verfahren insofern auch als ein ideales be¬ 
zeichnet werden, als durch die notwendig angewandten hohen Temperatnrgrade 
die Krankheitskeime gestört werden. Die Frage ist nur die, ob es sich auch 
für Städte mit vorwiegend industriellen Abgängen rentieren würde; für Kassel 
nnd ähnliche Städte sind die Kosten ja immerhin noch erhebliche. Jedoch 
dürfte sich, nachdem die Vorversuche beendigt sind, bei einer Neuanlage, die 
sich die bisherigen Erfahrungen zu Nutze machen kann, das Verfahren wesent¬ 
lich billiger gestalten lassen. 



Kleiner« Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


499 


Rin Bürette mit automatischer Einstellung des Nullpunktes und 
Entleerung durch direktes Zurückfliessen der nicht verbrauchten Ti¬ 
trierflüssigkeit. Von Dr. Zehn. Ibidem. 

Dieser sinnig erdachte, durch eine beigefügte Abbildung und durch eine 
genaue Beschreibung näher erläuterte Titrierapparat hat den Zweck leicht hand¬ 
lich und absolut zuverlässig zu arbeiten; ausserdem soll bei dessen Gebrauch 
an Zeit und Chemikalien gespart werden. Dr. M. Beck-Berlin. 


Ueber Fortschritte auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege in England in den letzten 25 Jahren — und in den nächsten. 
Von Dr. J. Spothiswoode Cameron. Med. off. of health of the city of 
Leeds. Public Health, November 1902; Bd. XV, Nr. 2, S. 64—98. 

Der Autor, der für das laufende Jahr 1902/8 sum ersten Vor¬ 
sitzenden der englischen Medizinalbeamtenversammlung ge¬ 
wählt worden ist, gibt in diesem vor der Gesellschaft gehaltenen Vortrag Be¬ 
richt über seine auf dem Gebiete der Öffentlichen Gesundheitspflege gemachten 
Erfahrungen. Seit 1877 fungiert er als Gesundbeitsbeamter zunächst von 
Huddersfield, später von Leeds; da der Vortrag auf die Entwickelung 
der sanitären Gesetzgebung interessante Streiflichter wirft, da dem Autor ferner 
reiche Erfahrungen als Grundlage für seine Darlegungen dienen, so lohnt es 
sich, dem Gedankengang etwas ausführlicher zu folgen. 

Im Jahre 1877 war der Autor einer von den beiden ersten Medizinal¬ 
beamten, in deren Gebiet die Anzeigepflicht obligatorisch war. Es 
genügte aber, wenn der Haushaltungsvorstand diejenigen Krankheitsfälle der 
städtischen Behörde zur Anzeige brachte, die nach Ansicht des behandelnden 
Arztes ungenügend isoliert waren. So konnte es kommen, dass ein Scharlach¬ 
fall in einem Hause nicht angezeigt wurde, in dem die Mutter Milch verkaufte 
und die Milchkannen wusch, zu gleicher Zeit aber das Kind pflegte. 1889 wurde 
für London die Anzeigepflicht aller ansteckenden Krankheiten eingeführt, 1899 
aber erst für das ganze Reich. Eine Pockenepidemie Ende der 80 er Jahre 
führte zur Erbauung zahlreicher Isolierhospitäler, die nach Ablauf der Epi¬ 
demie zu anderen Zwecken benutzt werden konnten. Trotz starker Opposition 
kam 1893 das Isolierhospitalgesetz zustande, das die Grafschaftsbehörden ermäch¬ 
tigte, kleine Distrikte zur Erbauung solcher Krankenhäuser zusammenzulegen. 
Inden letzten Jahren hat sich nun insbesondere für Scharlach eine Reaktion 
gegen die Erbauung der Isolierhospitäler geltend gemacht. Die Ansicht bat 
Boden gefasst, dass die Zahl der Erkrankungen infolge der Iso¬ 
lierung eher steigt, als fällt. Das Vorkommen von „Return cases“ 
darf nun tatsächlich nicht bestritten werden. Ein Teil der Fälle, die nach 
Rückkehr der Kinder aus dem Krankenhause in ihre Wohnung auftreten, ist 
zwar durch mangelhafte Desinfektion von Gegenständen bedingt, mit denen die 
Kinder vor ihrer Krankenhausaufnahme in Berührung kamen, oder dureb un¬ 
genügende Desinfektion, etwa der Kleider, hei der Entlassung aus dem Hospital. 
Ein Teil aber bleibt übrig, wo der Rekonvaleszent tatsächlich die Infektion 
zu Hause einsehleppt. Ein Kind, das 6 Wochen lang in einer verseuchten At¬ 
mosphäre zugebracht hat, kann die Keime des Scharlachs in seinen Nasenneben¬ 
höhlen, in Ohrausflüssen, im Speichel, auch wenn es selbst gesund ist, mit sich 
führen und zu Hause eine neue Erkrankung anregen. Die Opposition gegen 
die allgemein herrschende Ansicht über den Wert der Isolierhospitäler hatte 
wenigstens den Nutzen, dass die Lehre von den „Return cases“ genauer 
untersucht, die Art der Isolierung eine sorgfältigere und der Ausführung der 
Desinfektionsmassregeln grössere Beachtung geschenkt wurde. 

Bei Typhus hat der Verfasser schon 1880 in Huddersfield eine 
eigene Methode der Desinfektion angewandt: Rot gefärbte Kübel mit 
luftdicht schliessendem Deckel wurden in jedes Haus geschickt, in dem Typhus¬ 
kranke lagen. In die Tonne wurde lOproz. Lösung roher Karbolsäure getan, 
die in ihr auszuschüttenden Absonderungen des Kranken mussten ausserdem 
bereits vorher vom Pfleger desinfiziert werden. Der Behälter wurde in dem 
Hofe eines abgesonderten Komplexes abseits aufgestellt, und der Inhalt, noch¬ 
mals desinfiziert, erst nach einer Woobe den übrigen Abfuhratoffen der 8tad f 
beigemischt. In Leeds, wurde dasselbe System angewandt; der Inhalt jedr 



500 


Kleinere Mitteilungen and Befer&te aas Zeitschriften. 


in den Destraktor gegeben. Die rote Farbe gefiel allerdings dem Publikum 
nicht; die Kübel mussten grün statt rot angestrichen werden. 

In Besag auf Wasserleitungen erinnert derBedner daran, dass der 
Wunsch einer Versorgung mit reinem und reichlichem Trinkwasser schon vor 
Jahren 1 ) kleine Gemeinden veranlasst hat, sich sn einem grosseren Gänsen 
zusammenzutun. Er beklagt indessen, dass eine Zentralbehörde fehlt, die 
besonders bei grossen Städten die Answahl der sn Sammelbecken gewühlten 
Terrains kontrollieren konnte. Im grossen und gansen hat das Parlament seine 
Aufgaben in Wasserleitungsfragen sielbewusst gelost; dennoch wäre auch für 
seine T&tigkeit eine solche beratende Zentralbehörde wünschenswert. 

Grosse Schwierigkeiten neigen sich auch bei Beseitigung der Ab- 
fallstoffe. Städte wie Bradford und Leeds konnten infolge des Widerstandes 
der benachbarten Grundbesitser es beim Parlamente nicht durchsetzen, ihr Ab¬ 
fuhrwesen zweckentsprechend zu regeln. Doch ist su hoffen, dass die Arbeiten 
von Dibdin, Cameron, Whittacker Früchte tragen werden. 

Das Auftreten von Infektionskrankheiten gibt dem Medizinalbeamten 
Gelegenheit, manche Häuser zu besuchen, in die er sonst nicht gekommen wäre; 
die systematische Wohnungsbesichtigung, die Prüfung von Haus zu 
Haus, wird jedoch durch den Wohnungsinspektor ausgeführt, der die Frage 
der Lüftung, der Ueberfüllung, der Reinlichkeit der Zimmer, der Hauskanäle, 
das Auftreten von Missständen in der Nachbarschaft prüft. 

Die Fortschritte auf dem Gebiete der Öffentlichen Gesundheitspflege 
werden weniger durch Strafverfügungen, als durch eine Aufklärung des 
Publikums in hygienischen Fragen erzielt. Schon die Existenz des Gesund¬ 
heitsgesetzes hatte einen mächtigen Einfluss auf die sanitäre Verwaltung; die 
Tatsache, dass Männer mit hohen gesundheitlichen Vollmachten bestellt wurden, 
hatte einen ersiehlichen Einfluss auf diese Beamten selbst. Die Wähler hin¬ 
gegen wurden durch die Selbstverwaltung dazu erzogen, durch ihre Vertreter 
bei den Behörden auf weiteren Ausbau der Gesundheitsgesetze hinzuarbeiten. 
Die gemeinsame Beratung von Verwaltungsbeamten und Aersten, wie sie bei 
den alljährlichen Herbstversammlungen des Hygiene-Vereins stattfindet, hat 
den Wert, die Öffentliche Meinung zu beeinflussen und zu erziehen. 

In Bezug auf die in den nächsten 25 Jahren zu erwartende 
Forderung der Öffentlichen Gesundheitspflege hofft Cameron zunächst betreffs 
der Desinfektion eine Besserung der Methoden sowohl, als eine gründlichere 
Arbeit im kleinen. Er hat z. B. die Beobachtung gemacht, dass, wenn ein 
Kind Samstags an einer Infektionskrankheit erkrankt und Montags der Haut¬ 
ausschlag erscheint, die Sonntagskleider der Familienmitglieder nicht desinfi¬ 
ziert werden, obwohl der Desinfektor auch nach diesen sich erkundigt. Die 
Mutter vergisst tatsächlich, dass die übrigen Kinder in ihren Sonntagsanzügen 
mit dem kranken Kinde in Berührung kamen, und so wird die Desinfektion 
unterlassen. 

In Bezug auf die Frage des Nutzens oder des Schadens der Kranken¬ 
hausisolierung scheint sich der Autor mehr auf die Seite C. Killick 
Millards,’) als auf jene von Kaye und Dr. F. J. Allan,*) dem Heraus¬ 
geber des „Public Health“ zu stellen. „Sollte naohgewiesen werden, dass die 
Isolierhospitäler, auch wenn sie zweckmässig geleitet werden, anstatt die Grosse 
der Infektion zu verringern, eine Verbreitung der Krankheit fordern, so ist es 
die Pflicht des Medizinalbeamten, von ihrem Gebrauch abzuraten.* 

Auffällig ist es, dass im Lande Sydenhams die Freiluftbehandlung 
der Schwindsucht erst eingeftthrt wurde, nachdem sie in Deutschland neu 
hat erfanden werden müssen. Die Begeisterung za Gunsten der Freiluftbehand¬ 
lung dürfte wenigstens das Gute haben, dass sie auch bei anderen Krankheiten 
im Publikum den Boden ebnet für das Streben der Aerzte nach Luft und Licht. 

Alle Arbeitsstätten sind unter gesundheitliche Aufsicht zu stellen, 
und möglichst ausgedehnte Verlegung der Indnstrie auf das platte Land, 
sowie die Ausnutzung der Elektrizität für die Kleinarheiter und Handwerker 


*) Vergl. §.279 des Puhlic Health Act in Rapmund: Das Offentliehe 
Gesundheitswesen; S. 266. 

*) Zeitschrift für Medizinalbeamte 1901, S. 649. 

*) Zeitschrift für Medizinalbeamte 1902, S. 851. 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


6Ö1 


anzuatreben. Die Wohnungsbesichtigung yon Haue so Hans dürfte in 
den nächsten Desennien weiter ausgedehnt werden und besonders dann dienen, 
die Stellung der Qesundheitsbeamten zu fördern. 

Das Nahrungsmittelgesetz neigt noch viele Maschen, die den 
Betrüger durohschlüpfen lassen, manche Aenderungen des Gesetzes sind 
erforderlich. 

Trotzdem sind es nicht neue Gesetze, die der englische Gesundheits- 
beamte notwendig hat, sondern es bedarf nur einer sorgfältigen Benutzung der 
Vollmachten, die den Gesundheitsbehörden bereits jetzt zustehen. Wenn man 
auch nicht hoffen darf, dass die Mortalität in den nächsten Dezennien bedeutend 
sinken wird, so wird das, was in den vergangenen 25 Jahren geleistet worden 
ist, nicht ohne segensreichen Einfluss auf die Zukunft bleiben. 

_ Dr. Mayer-Simmern. 


Die Sterbefälle im Deutschen Reiche während des Jahres 1899 
unter der Gesamtbevölkerung und unter den Bewohnern der Gross¬ 
städte. Bd. VII der med.-stat. Mitteilungen aus dem Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamte, S. 83—126. 

Die beim Gesundheitsamte eingegangenen behördlichen Ausweise über die 
Ursachen des Todes der während des Jahres 1899 gestorbenen Personen und 
über das von diesen erreichte Lebensalter umfassen nur 98,16 °/„ aller im 
Deutschen Reiche vorgekommenen äterbefälle des Jahres, da, wie im Vorjahre, 
5 Bundesstaaten (Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Sachsen-Weimar, Schwarz- 
burg-Rudolstadt, Reuse j. L.) an der betr. Statistik noch nicht beteiligt waren. 
Aus Mecklenburg-Schwerin lagen zwar über das Lebensalter aller Gestorbenen 
die gleichen Ausweise wie aus den anderen 20 Staaten vor, indessen nur einige 
wenige Zahlenangaben über die Ursachen der Sterbefälle, so dass die Ergeb¬ 
nisse der Todesursachenstatistik hauptsächlich 20 Staaten des Reiches, etwa 
97 °/ 0 der Reiobsbevölkerung betreffen. Die eingangenen Ausweise sind auf 
8. 1* bis 65* nach Staaten, Provinzen, grossen und kleineren Verwaltungsbe¬ 
zirken (Regierungsbezirken und Kreisen u. s. w.) in Tabellen zuBammengestellt, 
eine Besprechung der Ergebnisse ist den Tabellen vorangeschickt, ferner sind 
7 Diagramme und 4 farbige Karten des Reiches beigefügt. Auf 3 dieser Seiten 
ist für jeden preussisohen Kreis und entsprechenden Verwaltungsbezirk der 
anderen Staaten: 

1) Die Häufigkeit der Todesfälle an Tuberkulose der Lungen von 
1896—1899 bei Personen von 15—60 Jahren, 

2) die Häufigkeit der Todesfälle an Lungenentzündung und 
sonstigen entzündlichen Krankheiten der Atmungsorgane, 

3) die Häufigkeit der Todesfälle infolge von Neubildungen bei Per¬ 
sonen im Alter von 15 und mehr Jahren, 

dargestellt; die vierte Karte veranschaulicht die Ab- und Zunahme der 
Todesfälle infolge von Neubildungen von 1892/3 zu 1898/9, ebenfalls für 
jeden preussischen Kreis and entsprechenden Bezirk der anderen Staaten. 

Der Vergleich mit dem Vorjahre (vgl. diese Zeitschrift Jahrgang 1901, 
S. 675) ergiebt, dass während des Jahres 1899 in den 21 beteiligten Staaten 
des Reiches 65847 Personen mehr als während des Vorjahres, d. i. um 6®/ # 
mehr gestorben sind, und zwar zeigte sich diese Zunahme der Sterbefälle am 
meisten bei hoohbetagten Personen von 60 und mehr Lebensjahren, am wenigsten 
bei Kindern des ersten Lebensjahres. Auf je 10000 Lebende der betr. Alters¬ 
klasse starben während des Berichtsjahres im Alter von 1—15 Jahren 97,8, 
von 15—60 Jahren 88,7, von 60 und mehr Jahren 722,6 und auf je 10000 
Lebendgeborene starben 2127 Kinder des ersten Lebensjahres. Die Zunahme 
der Sterbefälle von 1898 zu 1899 wird mit gewissen meteorologischen Verhält¬ 
nissen in Verbindung gebracht; die Sterblichkeit unter Kindern des ersten 
Lebensjahres schien durch die Höhe der Niederschläge während der Sommer¬ 
monate beeinflusst zu sein, und in dem ungewöhnlich trocknen und kalten 
Monat März haben zahlreiche Todesfälle an Influenza und an Erkrankungen 
der Atmungsorgane die Gesamtsterbeziffer ungünstig beeinflusst. Indessen 
haben sich die Sterblichkeitaverbältnisse keineswegs überall im Reiche 
von 1898 zu 1899 im gleichen Sinne geändert Im ganzen haben zuge¬ 
nommen die Todesfälle an Scharlach, Kindbettfieber, Unterleibstyphus, 



602 Kleinere Mitteilungen and Referate au Zeitschriften. 

Lungenentzündung and sonstigen entzündlichen Erkrankungen der Atmungs- 
organe, ferner die Todesfälle infolge von Altersschwäche, von Nenbildongen 
and voa Keachhasten, in geringem Masse auch die an Magen- and Darm¬ 
katarrhen ; abgenommen bat namentlich die Zahl der Selbstmorde. 

Von den im ersten Lebensjahre gestorbenen Kindern ist mehr als 
der dritte Teil — im Königreich Sachsen und in Reass ft. L. mehr als die 
Hftlfte — einem Magen- oder Darmkatarrh erlegen. Im Alter Ton 1 bis 
16 Jahren starben an Diphtherie im Darchschnitt der drei letzten Be¬ 
richtsjahre 12 aaf je 10000 Lebende dieses Alters, dagegen yor Bekanntwerden 
der Seramtherapie nach den gleiohen Erhebungen jährlich 88 Kinder aaf je 
10000 Lebende (1898—95). In der mittleren Altersklasse von 16—60 
Jahren starben auf je 10000 Lebende an Lungentuberkulose etwa ebenso 
Tiele wie w&hrend des Vorjahres, aber weniger als durchschnittlich während 
der Jahre 1893—1897. Infolge von Neubildungen starben in den 20 
8taaten 2143 Personen mehr als w&hrend des Vorjahres und 8092 mehr als 
während des Jahres 1897. Von allen au bekannter Ursache Gestorbenen der 
höchsten Altersklasse starb an Neubildangen in den Staaten Hamburg, 
Bremen, Lübeck, sowie in Berlin etwa der zehnte Teil, ein fast ebenso grosser 
Teil auch in Hessen, Baden, Braunschweig und im Königreich Sachsen, sonst 
— d. h. im ganzen — etwa der fünfzehnte Teil. 

In den Grossstädten war eine Neubildung weit häufiger als Todes¬ 
ursache angegeben als ausserhalb derselben, dagegen war u. a. die Gefahr im 
Kindbett an den Folgen einer Entbindung zu sterben in den Grossstädten 
geringer als ausserhalb derselben. Bei Kindern des ersten Lebensjahres waren 
in den Grossstädten die Sterbef&lle an Magen- und Darmkatarrh, an Tuber¬ 
kulose und entzündlichen Krankheiten der Atmungsorgane erheblich häufiger, 
auoh die Todesfälle durch Verunglückung und angeborener Lebensschwäohe 
waren etwas häufiger, dagegen waren hier seltener die Todesfälle an Diph¬ 
therie, Krupp, Keuchhusten, Scharlach und Masern. 

Hinsichtlich der allgemeinen Sterblichkeitsverhftltnisse 
unter Personen der hauptsächlich erwerbstätigen Altersklasse von 15—60 Jahren 
zeigt es sich, wenn man Nachbarbezirke vergleicht, dass die Sterblichkeit in 
dieser Altersklasse gewöhnlich um so hoher ist, je mehr Bewohner des Bezirks 
in grosseren Ortschaften (von 16000 und mehr Einw.) sich zusammen- 
drängen. So hat s. B. von den drei schlesischen Regierungsbezirken der Bres¬ 
lauer, in welchem besonders viele Personen grossere Ortschaften bewohnen, die 
höchste bes. Sterbeziffer, und von den drei westfälischen Regierungsbezirken 
hat Minden, wo die wenigsten Personen in grosseren Ortschaften leben, die 
niedrigste bes. Sterbeziffer u. s. w. Auch die hohe Sterblichkeit unter Per¬ 
sonen der mittleren Altersklasse in Schlesien gegenüber Posen, Westpreussen 
und Ostpreussen lässt sich dadurch erklären, dass von je 1000 Bewohnern in 
Schlesien 280, in den drei anderen Östlichen Provinzen nur 126 bis 168 die 
grosseren Ortschaften bewohnen. Das Zusammenleben in solchen grosseren 
Ortschaften scheint hiernach erweislich die Lebensverh&ltnisse der mittleren 
Altersklassen ungünstig zu beeinflussen, und wenn die Gesamtziffern der Land¬ 
bevölkerung vielfach höhere als die der StadtbevOlkerung sind, so liegt das 
nur daran, dass unter der Landbevölkerung mehr Personen der jüngsten und 
höchsten Altersklassen sich befinden, welche naturgemäss dem Sterben am 
meisten ausgesetzt sind. _ Dr. Bahts-Berlin. 


Bewegung der Bevölkerung im Deutschen Reiche während des 
Jahres 1901. 

Nach der im Kaiserlichen Statistischen Amt gemachten Zusammenstellung 
über die Bewegung der Bevölkerung im Deutschen Reiche haben stattgefunden 




im Jahre 

im Durchschnitt 

auf 1000 



von 

der Bevölkerung 



1901 

1892/1901 

1901 

1892/1901 

Eheschliessnngen .... 

. 468789 

437 789 

8,24 

8,21 

Geburten 

\ einschl. Tot- 

/ 2097888 

1988 676 

86,89 

87,20 

Sterbefälle 

/ gebürten 

\ 1240014 

128» 103 

21,81 

28,16 

14,04. 

Geburten -1 

Jebemhnss . . 

847824 

748478 

15,09 




Besprechungen. 


503 


im Darchschn. 
von 

1892/1901 

179803 

64066 


Proz. der Geborenen 
1001 1892/1901 

8,57 9,06 

3,12 3,23. 


Unter den Geborenen waren 

im Jahre 
1901 

Unehelich Geborene .... 179683 

Totgeborene. 65 525 

Ehesohliessungen sind demnach im Jahre 1901 sowohl der absoluten 
Zahl nach, wie im Verhältnise zur Bevölkerung häufiger gewesen, als im Durch¬ 
schnitt der vorangehenden zehn Jahre. Anch die Geburtenzahl des Jahres 
1901 überragt, absolnt genommen, den zehnjährigen Durchschnitt, bleibt aber 
ihrer relativen Höhe nach dahinter zurück. Die absolute Zahl der Ge¬ 
storbenen ist 1901 höher als im Jahresdurchschnitt 1892/1901, dagegen die 
relative Sterbeziffer erheblich (1,36%„) niedriger, demnächst ist auch der Ge- 
burten-Uebersohuss, der im Jahre 1901 gegen den Jahresdurchschnitt 
absolut zugenommen hat, gegen den Jahresdurchschnitt 1892/1901 um 1,05 °/«0 
gestiegen ist. Die absolute Zahl der unehelich Geborenen stellt sich im Be¬ 
richtsjahr gegenüber dem Jahresdurchschnitt 1892/1901 etwas niedriger, die der 
Todgeburten etwas höher. Die Verhältnissziffer ist jedoch in beiden 
Fällen niedriger. _ 


Besprechungen. 

Profi Dr. med. R. Hang: Hygiene den Ohren im gesunden and 
kranken Zustande. Mit 3 Tatein. Stuttgart 1902. Verlag von Ernst 
Heinrioh Moritz. Bibliothek der Gesundheitspflege, 1048. Preis: 1 Mark. 

Die vorliegende Monographie ist in der Bibliothek für Gesundheits¬ 
pflege (Stuttgart, ErnBt Heinrich Moritz) erschienen, nachdem der Autor 
derselben ihren Inhalt in populären Vorträgen im Volksschul- und Volks¬ 
bildungsvereine in München besprochen und bei seinem Zuhörerkreis ein 
grosses Interesse gefunden hatte. In dem ersten Kapitel wird der anatomische 
Bau, im zweiten Kapitel die Physiologie des Ohres an der Hand von schema¬ 
tischen Zeichnungen auseinandergesetzt und im Anschlüsse daran, im dritten 
Kapitel, die Bedeutung, welche das gesunde Gehörorgan und seine Erkrankung 
für den Menschen hat, hervorgehoben. Nachdem dann der Autor auf die natür¬ 
lichen Schutzvorrichtungen des Körpers hingewiesen hat, werden die Wege, 
auf welchen das Gehörorgan erkranken kann, dargelegt. Die Kenntnis dieser 
Wege bildet die notwendige Voraussetzung einer wirksamen Prophylaxe gegen¬ 
über den Erkrankungen. Diese Prophylaxe wird in den nächsten Kapiteln 
eingehend besprochen. Die Schädigungen des Ohres durch Gewerbebetriebe, 
denen man in den letzten Jahren mit vollem Becht mehr Aufmerksamkeit als 
bisher zu wendet, und die zu ihrer Verhütung notwendigen hygienischen Mass¬ 
nahmen werden ebenso wie die wichtigsten Verhaltungsmassregeln bei er¬ 
kranktem Ohr erörtert. 

Das Büchlein wird seinen Zweck durchaus erfüllen. 

_ Dr. Budloff-Wiebaden. 

Dr. Robert Dölger, Oberarzt im Königl. Bayer. Infanterie-Leib-Begiment, 
z. Z. kommandiert an die Universitäts - Ohrenklinik: Die Mittelohr-Ei- 
terungen. München 1903. Verlag von J. F. Lehmann. 145 8. Preis: 
3 Mark. 

Die vorliegende Arbeit bildet, soweit die Mittelohr-Eiterungen in Be¬ 
tracht kommen, eine Fortsetzung der Berichte, welche Bezold seit 80 Jahren 
in Intervallen von 3 Jahren über seine Tätigkeit an der Universitäts-Ohren¬ 
klinik in München erscheinen lässt. Dementsprechend bringt der Autor in 
seiner Arbeit Anschauungen, welche Bezold über die in Frage kommenden, 
für die Praxis besonders wichtigen Kapitel der Ohrenheilkunde hat, zum Aus¬ 
druck. Die Monographie, welche auf jeder Seite die reichen Erfahrungen und 
das aufgeklärte Urteil Bezolds erkennen lassen, sei dem Studium der Fach¬ 
genossen und der Praktiker empfohlen. Dr. Budloff-Wiesbaden. 




504 


Tagesnäohriohtea. 


Tagesnachrichten. 

Pestfall in Berlin. Nachträglich sind bei dem Wftrter (s. Nr. 12 der 
Zeitschrift, S. 470) im Nasenschleim doch noch Pestbasillen festgeatellt; der 
Verlauf der Krankheit ist aber bei ihm ein sehr gelinder gewesen. Von allen 
Übrigen krankheitsverdächtigen Personen ist niemand erkrankt, so dass 
der Krankheitsherd dank der sofort ergriffenen Hassregeln beschränkt ge¬ 
blieben ist. 


Den prenssischen Aerztekammern ist jetst der Entwurf einer 
Novelle zom Gesetz, betreffend die ärztlichen Ehrengerichte, zur Aeusse- 
rang zagegangen, in der die §§. 46 and 49 ttber die Kostenerstattangspflicht 
beim ehrengerichtlichen Verfahren and über die Beitragspflicht zar Aerzte- 
kammer neu geregelt werden. Danach soll künftighin dem Angeschaldigten 
bei seiner Verurteilung die Kosten des Verfahrens stets zur Last gelegt 
werden (jetzt hatte das Ehrengericht darüber mit zu entscheiden), ausserdem 
aber auch ein Anzeigender zu den Kosten verurteilt werden können, wenn er 
die Anzeige wider besseres Wissen oder auf Grund grober Fahrlässigkeit ge¬ 
macht hat. Betreffs der Beitragspflicht wird vorgeschlagen, dass Aerzte, 
die eine ärztliche Praxis nicht ausüben und dem Vorstande der Aerztekammer 
eine entsprechende schriftliche Erklärung abgeben, künftighin keinen Beitrag 
zu leisten haben, dann aber auch weder wahlberechtigt, noch wählbar sind. 
Ueben sie, abgesehen von Notfällen, trotzdem ärztliche Praxis aus oder nehmen 
diese ohne zuvorige Anzeige an den Vorstand der Aerztekammer wieder auf, 
so haben sie das 4—10fache des hintferzogenen Jahresbeitrages zu entrichten; 
desgleichen verlieren sie für die Zukunft den Anspruch auf Befreiung. Ferner 
soll der Beitrag in der Regel für alle Aerzte des Bezirks in gleicher Höhe 
festgesetzt werden; soll ihm die staatlich festgelegte Einkommensteuer zu 
Grande gelegt werden, so bedarf es dazu eines Beschlasses mit zwei Drittel 
Hehrheit und der Genehmigung des Oberpräsidenten. 


Den Aerzten des Grossherzogtums Baden ist jetzt vom Hinisterium 
des Innern der Entwurf einer Aerzteordnung zugestellt, in dem die Er¬ 
richtung einer Aerztekammer für das Gebiet des Grosshersogtums, sowie die 
Bildung von Ehrengerichten und einem Ehrengerichtshof vorgesehen ist. Der 
Entwarf schliesst sich, abgesehen von einigen unwichtigen Abweichungen eng 
an die in Preussen geltenden Bestimmungen an, unterscheidet sich von 
diesen jedoch in dem einen wichtigen Punkte, dass die beamteten Aerzte hin¬ 
sichtlich ihrer privatärztlichen Tätigkeit dem ärztlichen Ehrengerichte unter¬ 
worfen sind. Ausserdem sieht der Entwurf ein Vermittelungsverfahren bei 
Streitigkeiten zwischen Aerzten und Krankenkassen vor. 


Der diesjährige Aerztetag wird am 11. u. 12. September in Göln 
stattfinden. Zur Verhandlung gelangen ausser Geschäftlichem, Wahlen u. s. w. 
das ärztliche Unterstützungswesen in Deutschland sowie verschiedene Anträge 
betreffs genossenschaftlicher Organisation der Aerzte für Haftpflicht- und 
Unfallversicherung, betreffs Reichsarzneitaxe, Aufhebung des Selbstdispensier¬ 
rechts der Homöopathen, Herausnahme aller auf die Aerzte bezüglichen Be¬ 
stimmungen aus der Gewerbeordnung und Erlass einer deutschen Aerzteordnung. 


Der VI. Deutsche Snmaritertag findet am 1. und 2. August d. J. 
ln Dresden (im grossen Festsaal der Städte-Ausstellung) statt. Auf der Tages¬ 
ordnung stehen folgende Gegenstände: 1. Samariterunterricht in höheren 
Schulen. 2. Rettungsdienst bei Unglücksfällen im Gebirge. 8. Samariter- nnd 
Rettungswesen auf dem Lande. 4. Rettungsvorkehrungen bei Schiffsunfällen 
auf Binnenwässern. 


Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u.Geh.Hed.-Rat in Hinden L W- 

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ZcntralbUtt fir gerichtliche ledizio und Psychiatrie, 
fir arztliehe Sachrerstudigeotatigkeit in Unfall- nnd Invaliditatssachen, sowie 
fir Hygiene, offentL Sanitatswesen, Medizinal -Gesetzgebung nnd fteehtspreehnng. 

Heraasgegeben 

won 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Regierung»- nnd Geh. Medlninnlrnt ln Minden. 

Verlag von Fiselier’s mediz. Bnehhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- a. Erzherzogi. Kammer-Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die Verlagthandlmng sowie alle Annoneenenpeditionea des In- 
ind Auslandes entgegen. 


15. Juli. 


Aas Prof. Dittrich’s deutschem gerichtlich-medizinischem Institute zu Prag. 

Zur Kenntnis der Verletzungen durch Flobert-Schusswaffen. 

Von Dr. Carl Beckert, Assistenten am Institute. 

Unzweifelhaft gehört der Tod durch Schuss mit zu den 
häufigsten Arten des gewaltsamen Todes. Ans diesem Grunde, 
nicht minder aber auch wegen der Einzelheiten, welche an jeder 
Schussverletzung forensische Bedeutung haben können, waren diese 
Verletznngen häufig Gegenstand literarischer Bearbeitung; nene 
wichtige Momente hinsichtlich derselben können sich nur da und 
dort in besonderen kasuistischen Fällen zeigen. 

Eine genaue Statistik über die in Prag und Umgebung vor- 
kommendea Fälle von Schussverletznngen zu geben, scheitert für 
ans daran, dass einerseits alle in Heilung ausgehenden Schuss¬ 
verletzungen, anderseits viele Todesfälle durch Schuss aus- 
znschliessen sind, jene nämlich, in denen es sich nm konstatierten 
Selbstmord handelt nnd die Behörden keinen Anlass finden, die 
Obduktion der betreffenden Leichen zu veranlassen. Auch sei be¬ 
merkt, dass das sanitäts-polizeiliche und gerichtliche Obduktions¬ 
material an das deutsche und czechische gerichtlich - medizinische 
Institut in Prag gleichmässig verteilt wird, so dass die in einem 
der beiden Institute untersuchten Fälle von Schassverletzungen 
nar etwa die Hälfte der Gesamtzahl dieser Verletznngen in Prag 
und Umgebung ausmachen dürften. 

Vom Oktober 1893 bis Juli 1902 sind in unserem Institute im 
Ganzen 94 Fälle von Schussverletzungen obduziert worden. Die 
selben verteilen sich je nach der verwendeten Schusswaffe ^ 


Ersehsfait am 1. nnd IS. Jeden Monate 





606 


Dr. Beokert. 


dass 74 dieser Verletzungen durch Revolver, 12 durch Pistolen, 
2 durch Gewehre, eine mittelst einer eigens konstruierten eigen¬ 
tümlichen Schusswaffe (Eisenrohr,) und 5 durch Flobertwaffen 
gesetzt worden sind. Die Fälle von tödlichen Schussverletzungen 
durch Flobertwaffen wurden innerhalb der letzten vier Jahre 
beobachtet. Diese Tatsache, die in grellem Gegensatz steht zu 
der Sympathie und der grossen Verbreitung, deren sich dieses 
beliebte „Kinderspielzeug“ in weiten Schichten der Gesellschaft 
erfreut, veranlasste uns, dieser Sache einige Aufmerksamkeit zu 
schenken. Die heitere Sorglosigkeit, mit welcher man so viele 
Eltern ihren kaum halbwüchsigen Kindern diese Schusswaffe an¬ 
vertrauen sieht, sowie auch der Umstand, dass sogar unsere 
Sicherheitsorgane diesen so häufigen Belustigungen kleinerer und 
grösserer Kinder kaum irgend welche Bedeutung beilegen, die 
relative Kleinheit der verwendeten Projektile sind tatsächlich 
kaum geeignet, einen Verdacht darüber aufkommen zu lassen, dass 
derartige Schusswaffen dem menschlichen Leben jemals gefährlich 
werden könnten. Und diese Meinung scheint denn auch die all¬ 
gemein herrschende zu sein, sowie sie auch in einem der unten 
beschriebenen Fälle selbst von einem Sachverständigen im Waffen¬ 
fache dem Richter gegenüber zum Ausdrucke gebracht worden ist. 
In der medizinischen Literatur der letzten 20 Jahre fand ich nur 
eine einzige Mitteilung, in welcher auf die Gefährlichkeit dieser 
Schusswerkzeuge für das menschliche Leben aufmerksam gemacht 
wird. Räuber 1 ) berichtet nämlich über vier Fälle von nicht 
tödlichen Schussverletzungen durch Flobertgeschosse, von welchen 
bloss eine durch eine starke Blutung aus der Art. profunda femoris 
lebensgefährlich geworden war. Gleichwohl dürften wir sicher 
nicht fehlgehen, wenn wir besonders mit Rücksicht auf die aus¬ 
gedehnte Verbreitung dieser Schuss Werkzeuge annehmen, dass 
gewiss schon zahlreiche derartige Verletzungen zur Beobachtung 
gelangten, ohne mitgeteilt worden zu sein und zwar aus dem 
Grunde, weil dieselben wohl meist gut ausheilten und ihnen viel¬ 
leicht deshalb weder in sanitäts - polizeilicher, noch in forensischer 
Hinsicht eine wesentlichere Bedeutung beigelegt wurde. 

Die in unserem Institute beobachteten Fälle von Schuss¬ 
verletzungen durch Flobertwaffen sind folgende: 

Fall i. 

Der 10 jährige Knabe A. K. wurde am 19. November 1898 von seinem 
Vater anfällig angescbossen und starb am nächsten Tage im Krankenhanse. 
Der Vater gab an, von seinem Sohne anfgefordert worden an sein, mit ihm in 
den Hof an gehen, nm Spatien an schiessen. Er nahm ein Flobert - Gewehr 
und lnd es im Hofe, ln diesem Angenblicke sprang sein Sohn anf ihn an und 
wollte ihm das Gewehr ans der Hand nehmen. Hierbei ging der Schnss los 
nnd der Knabe stürzte mit einer Schnssverletznng in der linken Schläfe zu¬ 
sammen. Der Vater, der behauptete, als gewesener Soldat mit Schusswaffen 
umgehen au können, führte die Verletaung auf einen unglücklichen Zufall, 
herbeigeführt durch die Unvorsichtigkeit seines Sohnes, zurück. 

Die gerichtliche Obduktion ergab am Kopfe folgenden Befund: 

Der Kopf sehr lang, grösstenteils und awar in seinen vorderen Partien 


*) Mitteilungen über Schussverletzungen durch Flobertgeschosse. Zeit¬ 
schrift für Medizinalbeamte; 1898, Nr. 20. 



2nr Kenntnis der Verletzuhgen durch Plobert-Schusswaffen. 50? 

glatt abrasiert. Etwa in der Mitte der geraden Verbindungslinie zwischen 
dem linken Stirnbein- und Scheitelbeinhöcker eine rundliche, etwa 3 mm im 
Darohmesser haltende lochförmige Wunde in der Haut, deren Bänder in einer 
Breite von etwa 5—6 mm etwas gequetscht sind. Aus dieser Oeffnung entleert 
Bich eine geringe Menge dunkelroten Blutes. Etwas schräg nach oben und 
hinten von der eben genannten Oeffnung findet sich eine zweite, kaum 2 mm 
im Durchmesser betragende Hautwunde, deren Ränder deutlich unregelmässig 
gezackt und nur rückwärts in geringem Grade abgeschürft erscheinen. Die 
Haut in dieser Gegend ist nur ganz unbedeutend verdickt. Die weichen Schädel¬ 
decken sehr blass, unter denselben an der linken Kopfseite in der Gegend der 
oben genannten Wunden ausgebreitete, mässig dicke, schwärzliche, fest ge¬ 
ronnene Blutaustritte in der Ausdehnung eines Handtellers. Die weitere Unter¬ 
suchung der oben genannten Verletzungen der Kopfhaut ergibt, dass die erste 
die Weichteile des Kopfes vollständig durchdringt, während die zweite nur die 
oberen Schichten der Haut betrifft. Nach Freilegung des Schädeldaches findet 
man unmittelbar hinter der linken Hälfte der Kranznaht, entsprechend der 
Lage der zuerst genannten Kontinuitätstrennung der Kopfhaut im Schädeldache 
eine unregelmässig begrenzte, 6—10 mm im Durchmesser haltende lochförmige 
Lttoke im Knochen (Fig. 1), durch welche die eingeführte Sonde ohne Widerstand 
in das Schädelinnere vordringt. Bei der Besichtigung der erwähnten Lücke im 
Knochen von innen her (Fig. 2) zeigt sich, dass die Bänder derselben nach aussen 
zogeschärft, nach innen abgeschrägt sind, und dass an der inneren Seite ein und 
der andere Splitter der inneren Glastafel noch ziemlich fest dem benachbarten 
Knochen anhaftet. Die harte Hirnhaut ziemlich stark gespannt, rechts an der 
ganzen Konvexität des Gehirns, links im Bereiche der hinteren Hälfte derselben 
bläulich schimmernd. Entsprechend der Lage der oben genannten Lücke im 
linken Scheitelbeine zeigt sich ein rnndliches, etwas unregelmässig begrenztes 
Loch in der harten Hirnhaut, in dessen nächster Umgebung einzelne kleine 
Blutaustritte zu konstatieren sind. Die weichen Hirnhäute zart, ziemlich blut¬ 
reich, an der Konvexität reohts wie links von mässig ausgebreiteten, festge¬ 
ronnenen Blutaastritten durchsetzt. An der konvexen Obeifläche der linken 
Grosshirnhälfte befindet sich und zwar an der hinteren Grenze des Stirnhirns, 
einen Qaerfinger nach links vom Scheitelrande ein sehr weich anzufühlender 
guldengrosser, graurot verfärbter Heid, in dessen Bereich die weichen Hirn¬ 
häute zum grössten Teile zerrissen sind und die Hirnsubstanz zertrümmert 
erscheint. In der nächsten Nachbarschaft dieses Herdes erscheinen die Venen 
der weichen Hirnhäute durch ziemlich feste, schwärzliche Blutgerinnsel ver¬ 
stopft (thrombosiert). In der rechten Grosshirnbälfte erscheint das Gehirn an 
der Konvexität der rückwärtigen Hälfte bis auf etwa 8 Finger nach rechts 
von der Mittellinie stark eingesunken; dasselbe fühlt sich hier sehr weich an 
und bemerkt man im Bereiche dieser Hirnpartie einzelne, in kleinen Gruppen 
beisammenliegende kleine Blutaustritte. 

Bei weiterer Präparation der Verletzung konstatiert man, dass sich von 
dem oben erwähnten Herde zertrümmerter Hirnsubatanz in der linken Gross- 
hirnhälfte ein Wundkanal in schräger Richtung nach rechts und hinten fort¬ 
setzt, welcher an der medialen Seite der rechten Grosshirnhälfte in diese ein¬ 
dringt und in der rechten Grosshirnhälfte in einer mit reichlichem ziemlich fest 
geronnenem, ausgetretenem, schwärzlichem Blute erfüllten kleinfaustgrossen 
Höhle im rechten Scheitelhirn endet; diese Höble kommuniziert wiederum 
durch einen kanalförmigen Hohlraum mit der rechten Seitenkammer. In diesem 
ganzen Wundkanal findet man nebst ausgetretenem Blut zertrümmerte Hirn¬ 
masse und einzelne kleine ziemlich scharfe Knochensplitter, sowie ein stark 
deformiertes Projektilstück aus Blei. 

Der Obduktionsbefund widersprach nicht der Angabe, dass 
die Schussverletzung mittelst eines Flobertgewehres gesetzt worden 
war und konnte man weiter erschlossen, dass der Schuss die 
Richtung von links nach rechts genommen hatte und offenbar 
nicht aus unmittelbarer Nähe abgegeben worden war. Durch die 
Ladung war das Gehirn in bedeutendem Umfange verletzt und 
eine starke Blutung in dasselbe bewirkt worden, weshalb die 



608 


Dr. Beckert. 


Verletzung als die alleinige Ursache des Todes angesehen und 
daher in strafrechtlichem Sinne als eine ihrer allgemeinen Natur 
nach tödliche bezeichnet werden musste. Der Obduktionsbefund 
widersprach auch nicht der Angabe, dass es sich um eine zufällige 
Verletzung gehandelt hat. 

Fall u. 

Am 20. Dezember 1898 schossen der 14 Jahre alte Bealschüler L. D. 
and der 20 jährige Philosoph M. J. mit einer Flobertpistole nach einer Scheibe. 
Hierbei soll dem D. einmal der SchnsB versagt haben. D. wollte nach Angabe 
des J. die Waffe nntersuohen, wobei er die Mündung des Laufes gegen sioh 
gekehrt hatte. In diesem Momente ging der Schoss los, wobei dem D. das 
Projektil in die Brost eindrang. Der Verletzte wurde in Begleitung eines 
Wachmanns in das allgemeine Krankenhaus überführt; bei seiner Ankunft 
daselbst starb er. 

J. gab bei seinem Verhör an, dass er, als er die Pistole gekauft, bei 
der betreffenden Firma angefragt habe, ob für dieselbe ein Waffenpass nötig 
Bei, was diese jedoch verneinte mit der Begründung, dass diese Waffe mehr 
für ein Kinderspielxeug gehalten werde. Auch J. habe sie für ein solohes ge* 
halten und nicht geglaubt, dass dieselbe dem menschlichen Leben gefährlich 
werden könne. 

Die geriohtliohe Sektion der Leiche des D. ergab u. a. folgenden für 
die Begutachtung des Falles wichtigen Befand: 

„In der vorderen Mittellinie der Brustwand findet sioh am Uebergang 
zwischen dem oberen und mittleren Drittel des Brustbeins, 6 1 /» cm nach ab¬ 
wärts vom Brustbeineinschnitt, ein rundes mit etwas unregelmässigen Bändern 
versehenes Loch in der Haut (Fig. 3), welches einen Durchmesser von 3 bis 
4 mm hat und von einem kreisrunden bis 8 mm breiten, dunkelbraun ver¬ 
trockneten ringförmigen Hofe umgeben ist 

Bei der Abpräparierung des Brustbeins aeigt sich, dass das oben 
erwähnte Loch in der Haut der vorderen Brustwand in einen etwas schrägen, 
von rechts aussen nach links innen verlaufenden, die ganze Dicke des Brust¬ 
beins durchsetzenden Wundkanal führt. Das Zellgewebe hinter dem Brustbein 
war von ausgebreiteten schwärzlich geronnenen Blutaustritten durchsetzt, ebenso 
das des vorderen Brustfellraumes. In den Brustfellsäcken kein abnormer 
Inhalt. Die Lungen frei, überalllufthältig, sehr blutreich. Im Herzbeutel 
eine reichliche Menge teils flüssigen, teils geronnenen Blutes, welches 
das Herz von allen Seiten umgibt und den Herzbeutel straff spannt. In¬ 
mitten dieser Blutmassen findet sich ein nur wenig deformiertes, rundes, klein¬ 
erbsengrosses Bleiprojektil, das an seinem grössten Umfange eine deutliche 
Binne zeigt. In der vorderen Wand des Herzbeutels findet sich etwa in der 
Mitte eine erbsengrosse, schlitzförmige Oeffnung und der Höhe dieser ent¬ 
sprechend an der Herzbasis, unmittelbar an der Abgangsstelle der Lungenarterie, 
an deren vorderen und hinteren Wand je eine erbsengrosse, mit unregelmässigen, 
zackigen Bändern versehene, blutunterlaufene, loohförmige Oeffnung. Das Herz 
gewöhnlich gross, sehr blass, sonst ebenso wie die grossen, vom Herzen ab¬ 
gehenden Qefässe normal.“ 

Auch in diesem Falle entsprach der Obduktionsbefund einer 
Verletzung, welche mit einer kleinen Schusswaffe gesetzt wurde, 
die eine Flobertpistole gewesen sein konnte; es war auch die 
vorgewiesene Flobertpistole geeignet, die betreffende Verletzung 
zu setzen. Es waren dabei lebenswichtige Organe, insbesondere 
die Lungenarterie, verletzt worden. Hieraus resultierte eine in¬ 
tensive Blutung in den Herzbeutel, welche durch sogenannte 
Tamponade des Herzbeutels den Tod bewirkt hat. Auch hier 
war der Tod einzig und allein auf Rechnung der Verletzung 
zu setzen und musste letztere somit in strafrechtlichem Sinne als 
eine ihrer allgemeinen Natur nach tödliche bezeichnet werden. 



Zur Kenntnis der Verletzungen durch Flobert - Schusswaffen. 


609 


Full III. 

Laut Poliieinote wurde der 23 jährige F. M. am 1. Mai 1899 beim 
Scheibenschiessen durch Unvorsichtigkeit eines anderen mittelst eines Flobert- 
gewehres ans einer Entfernung von wenigen Schritten angeschossen und starb 
seehs Stunden später auf der chirurgischen Klinik. Gegen den Täter wurde 
auf Grund des §. 835 des Oesterr. Str. G. wegen fahrlässiger Tötung die Unter* 
Buchung eingeleitet und die gerichtliche Obduktion des Falles angeordnet. 

Aus dem Sektionsprotokolle sei hervorgehoben, dass eich an der Stirn, 
swei Querflnger nach rechts von der Mittellinie und einen Qnerfinger Aber der 
r. Augenbraue eine rundliche, kleinlinsengrosse Verletzung der Haut vorfand, 
in deren Mitte sich ein vertieftes, 8 mm im Durchschnitt messendes rundliches 
Loch befindet, durch das man leicht mit der Sonde in die Schädelhohle einsu¬ 
dringen vermag. Dieses Loch ist umgeben von einem 1—3 mm breiten, kreis¬ 
runden, aufgesohfirften und gequetschten Hautrande. 

Die weichen Sohädeldeoken ziemlich blass, entsprechend der Mitte der 
Stirn unter denselben ein handtellergrosser, mässig festgeronnener, schwarzroter 
Blutaustritt. 

Das oben genannte Loch an der Stirn durchsetzt die ganzen Weichteile; 
man findet im Bereiche desselben und in seiner nächsten Umgebung ziemlich 
festsitsend einige dtlnne, scharfrandige Knochensplitter. 

Nach Abpräparierung der Weichteile an der Stirn konstatiert man an 
der rechten Stirnbeinhälfte, welche, wie das Schädeldach Oberhaupt, eine normale 
Dicke zeigt, entsprechend der Lage der Weichteilwnnde ein rundliches Loch, 
welches horizontal 9 mm, vertikal 7 mm im Durchmesser hat. Die Bänder 
dieser Knochenlflcke sind feinzackig und scharf; am linken Knochenwundrande 
erscheint eine bis 5 mm breite, halbmondförmig gestaltete Knochenlamelle der 
inneren Glastafel abgesprengt. 

An der vorderen Grenze des rechten Stirnlappens erscheint die Hirn¬ 
substanz in etwa walnussgrosser Ausdehnung ziemlich Btark zertrümmert und 
von kleineren Blutaustritten durchsetzt. An der linken Grosshirnhälfte findet 
sich entsprechend der zweiten Stirnwindung eine von zertrümmerter Gehirn- 
masse umgebene Oeffnung, von der aus man in einen die linke Grossbirnhälfte 
in der Richtung von vorn nach hinten durchsetzenden, von Blutgerinnseln und 
zertrümmerter (Jehirnmasse erfüllten Kanal gelangt, der an der Gehirnober¬ 
fläche, entsprechend dem hinteren Abschnitte der ersten linken Scbläfenwindung 
nach aussen mündet. Entsprechend dieser letzteren Stelle erscheint die harte 
Hirnhaut von einem unbedeutenden linsengrossen Blntaustritte durchsetzt und 
von dem darunterliegenden Knoohen eine bobnengrosse dünne Lamelle der 
inneren Glastafel abgesprengt. Im übrigen erscheint das Gehirn normal, 
von mittlerem Blutgehalte. Die weichen Hirnhäute zart, blutreich, von aus- 
gebreiteten, festgeronnenen, schwärzlichen Blutaustritten durchsetzt. Sonstige 
Verletzungen am Gehirn nicht zu konstatieren. 

Bei der nachträglichen genauen Untersuchung und Lamellierung des Ge¬ 
hirns wurde innerhalb der zertrümmerten Gehirnsubstanz im linken Stirnlappen 
ein kleinerbsengrosses, stark deformiertes, an der einen Seite mit einer ge¬ 
rieften Schlifffläche versehenes Bleiproiektil vorgefnnden. 

Im Gutachten wurde analog 1 wie in den früheren Fällen 
hervorgehoben, dass der Mann infolge einer Schussverletzung 
des Kopfes, welche ihre Eingangsöffnung an der Stirne hatte 
und mit einer ausgebreiteten Zertrümmerung des Gehirns ver¬ 
bunden war, gestorben ist. Dieselbe war durch ein kleines 
Projektil von etwa Erbsengrösse gesetzt worden, welches aus einer 
Flobertpatrone herrühren konnte. Der Schuss wurde jedenfalls 
nicht aus unmittelbarer Nähe abgegeben. Da sich bei dem Ob¬ 
duzierten keinerlei pathologische Zustände vorfanden, welche etwa 
zum Eintritte des Todes mit beigetragen hätten, hat die genannte 
Verletzung einzig und allein den Tod bewirkt und muss daher 
vom forensischen Standpunkte 'als eine ihrer allgemeinen Natur 
nach tödliche bezeichnet werden. 



510 


Dr. Beokert 


Die Sachverständig-en im Waffenfache gaben an, dass das 
verwendete Gewehr ein Flobertgewehr von 6 mm Kaliber gewesen 
sei, dessen Schloss etwas abgebraucht war, so dass der Schuss 
sehr leicht losgehen konnte. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass 
der Hahn von selbst zugefallen sei, ohne dass derselbe irgend* 
wie berührt worden wäre. Sie gaben ferner an, dass das Unglück 
nur auf Rechnung der hier vorliegenden besonderen Verhältnisse 
zu setzen sei, weil die Waffe an und für sich klein und nicht 
geeignet sei, jemanden zu töten, was nur in dem Falle geschehen 
könne, wenn ein sehr zartes und empfindliches Organ des mensch¬ 
lichen Körpers getroffen werde. 

In allen drei angeführten Fällen wurde die weitere gericht¬ 
liche Untersuchung gemäss §. 90 der österr. Str. P. 0. eingestellt. 

Fall rv. 

In diesem Falle handelte es sieb nm einen Selbstmord, welcher yon dem 
22 jährigen S. W. am 22. November 1900 mittels einer Flobert-Pistole verübt 
worden ist. 

Die sanitätspolizeiliohe Obduktion ergab am Kopfe der Leiche folgenden 
Befand: 

„In der rechten Schläfengegend findet sich, von einer geringen Menge an¬ 
getrockneten Blntes bedeckt, eine ca. bohnengrosse, braunrot vertrocknete Haut- 
stelle, darin eine rundliche, für einen schwachen Federkiel durchgängige Ein¬ 
schussöffnung. Die H&are in der Umgebung etwas versengt. Die weichen 
Sohftdeldecken entsprechend dieser Stelle in der Ausdehnung eines Guldenstückes 
von schwärzlichen, fest geronnenen Blutanstritten durchsetzt. In der rechten 
H&lfte des Stirnbeins, knapp an seiner Nahtverbindung mit dem Schläfenbein 
findet sich eine rundliche, kaum für einen stärkeren Federkiel durchgängige, 
aussen soharfrandige, nach innen mit abgeschrBgten Bindern versehene Ein¬ 
schussöffnung ; eine ebenso grosse Oeffnnng findet sich korrespondierend in der 
harten Hirnhaut. Das Gehirn zeigt einen typischen Schusskanal, der rechter- 
seits vorn in der Sylvischen Grube beginnt, näher der Hirnbasis zu gelegen ist 
und links im Schläfenlappen ungefähr in dessen Mitte endigt. In den weichen 
Hirnhäuten rechter- und linkerseits ausgebreitete filutaustritte. Die Dura 
linkerseits unverletzt, ebenso der Knochen. Bei Lamellierung des Gehirns findet 
sich in der linken Grosshirnhemisphäre unweit vom Ende des Schnsskanals ein 
merklich deformiertes Projektil von ca. 6 mm Durchmesser, das Andeutungen 
einer äquatorialen Binne zeigt.* 

Fall T. 

Brustschuss mittels einer kleinen Flobert-Pistole. 20jähr. Mann, Selbstmord. 

Die Leiche eines mittelgrossen, kräftig gebauten jungen Mannes. Auf 
der linken Brustseite findet sich 3 Querfinger von der Mittellinie in der Höhe 
der 5. Bippe eine rundliche für eine federkieldicke Sonde durchgängige Oeffnnng 
in der Haut, ringsum eine braunrot vertrocknete, ca. 1 cm im Durchmesser 
haltende Hautstelle und rings um diese eine ca. kronenstückgrosse, abwisch¬ 
bare Schwärzung der Haut. Am unteren Bande der 5. Bippe entsprechend 
dieser Stelle ein rundliches, federkieldickes Loch; die Muskulatur in der Um¬ 
gebung von schwärzlichen Blutaustritten durchsetzt. An der rückwärtigen 
Seite des Brustbeins im mediastinalen Zellgewebe ausgebreitete schwärzliche 
Blutaustritte. Im linken Brustfellsacke finden sich etwa */ 4 Liter grösstenteils 
flüssigen, teilweise locker geronnenen Blutes. Der linke untere Lungenlappen 
erscheint atelektatisch; in demselben findet sich vorn, ca. 2 Querfinger vom 
inneren Bande entfernt, ein für eine starke Sonde durchgängiger Wnndkanal. 
Der Herzbeutel ziemlich straff gespannt, mit reichlichen Mengen dnnklen, 
geronnenen Blutes erfüllt. Vorn unten nnd an der rückwärtigen Wand des 
Herzbeutels je eine ca. */» cm lange, schlitzförmige Oeffnnng mit blutunter¬ 
laufenen Bändern. Vorn knapp an der Herzspitze findet sich ein federkiel¬ 
dicker, die ganze vordere Wand des linken Ventrikels durchbohrender Kanal, 
welcher auch die hintere Wand des linken Ventrikels scharf durchsetzt und 
rückwärts in Form einer kleinen schlitzförmigen Oeffnnng austritt. Die übrigen 
Organe ohne pathologische Veränderungen. 



Zar Kenntnis der Verletzungen daroh Flobert-Schusswaffen. 


511 


Ueberblickt man die Befunde in diesen fiinf Fällen von 
Schuss Verletzungen, so zeigt sich bei einem Vergleiche mit 
Schussverletzungen durch anderweitige Schusswaffen, dass die 
tödliche Wirkung der einzelnen Schüsse nicht so sehr in einer 
hochgradigen primären Zertrümmerung gewisser lebenswich¬ 
tiger Organe und Organbestandteile gelegen ist, wie man sie 
insbesondere nach Schüssen mit mehr oder weniger starker Pulver¬ 
ladung sieht, sondern dass eben die Lokalisation der Schuss¬ 
verletzung teils an grossen Oefässen, teils am Gehirn, es war, 
welche für die sich unmittelbar anschliessende Blutung und für 
den Eintritt des Todes bestimmend war. 

Dadurch dürften sich allerdings wohl die meisten Verletzungen 
durch Flobertwaffen von anderen Schussverletzugen unterscheiden, 
dass eben die Ladung bei Flobertwaffen nur an jenen Stellen zur 
Wirkung gelangt, wo das Projektil die Gewebe direkt trifft, 
während Fernwirkungen, wie man sie infolge der Explosion grösserer 
Pulvermengen oder bei gewissen Kugelschüssen auch aus grösserer 
Entfernung beobachtet, gerade bei Schüssen aus Flobertwaffen 
wegen der besonderen Beschaffenheit der Ladung vermisst werden. 

Um nun die Wirkungen derartiger Schusswaffen näher zu 
studieren, verschafften wir uns eine Flobertpistole, wie sie im 
Falle n und IV benutzt worden war, sowie eine Anzahl von 
Patronen, wie sie in allen unseren Fällen verwendet worden 
waren. Der Lauf der Pistole ist 13 cm lang, mit einer Lichtung 
von nicht ganz 6 mm. Die Patrone hat eine Länge von 7 und 
einen Durchmesser von 6 mm und besteht aus einer Kupferhülse, 
deren Boden mit einer gelblich weissen Sprengsubstanz bestrichen 
ist, welche aus einer Mischung von Knallquecksilber, Schwefel¬ 
antimon, chlorsaurem Kali und Schiesspulver besteht. Eine eigent¬ 
liche Pulverladung fehlt. Das Projektil ist eine runde Bleikugel 
von 6 mm Durchmesser. 

Die Schiessversuche, die mit diesem Instrumente und diesen 
Patronen angestellt wurden, ergaben ganz überraschende Resultate. 
Bei der von anderen Schusswaffen abweichenden Ladung war es 
zunächst von Interesse zu wissen, welche Charaktere der von 
dieser Waffe erzeugte Nahschuss autweist. Derselbe ergab bis 
auf ca. 12 cm Entfernung eine dem sogenannten „Pulverschmauch“ 
ähnliche Schwärzung der Haut. Diese Schwärzung, die durch die 
Verbrennungsprodukte der Zündmasse entsteht, ist dem Pulver¬ 
schmauch von Pulverladungen gleichzusetzen und auf das beige¬ 
mischte Schiesspulver, vielleicht auch auf eine Antimonschwärzung 
zurückzuführen. 

Eine Flammenwirkung ist gleichfalls wahrzunehmen, wie 
auch Fall IV zeigt, doch ist dieselbe keineswegs so intensiv wie 
etwa bei Pistolen- oder Revolverschüssen. Bei den an Leichen¬ 
teilen vorgenommenen Schiessversuchen war es natürlich nicht 
möglich, die Flammenwirkung, wie sie sich an der Haut beim 
Lebenden zeigt, zu studieren. 

Was die Durchschlagsfähigkeit des Geschosses anbelangt, so 
ergab sich, dass ein 13 mm dickes Brett aus weichem Holz in einer 



Dr. Beckert. 


512 

Entfernung von etwa 2 Metern noch yollkommen durchgeschlagen 
wurde, desgleichen ein normal dickes Stirnbein eines Erwachsenen 
auf dieselbe Entfernung. Diese Resultate entsprechen vollkommen 
den an unseren Fällen gemachten Erfahrungen und geben einen 
schlagenden Beweis von der Gefährlichkeit dieser Schusswerkzeuge. 
Ob beim Flobert-Gewehre, bei dem dieselben Patronen ver¬ 
wendet werden, die Durchschlagsfähigkeit nicht eine noch grössere 
ist, wie wenigstens zu erwarten wäre, haben wir nicht weiter 
erprobt. Auffallend schien uns noch der Umstand, dass sehr viele 
Schüsse versagten, was leicht zu allerhand Manipulationen mit 
der geladenen Waffe bei gespanntem Hahn, und bei Mangel an 
nötiger Vorsicht leicht zu Unfällen Veranlassung geben kann. 
Der Grund des öfteren Versagens der Schüsse ist offenbar in der 
nicht genügend präzisen Arbeit der Waffe gelegen. 

Ein Umstand wäre forensisch noch von Bedeutung. Bei 
näherer Untersuchung der Projektile zeigte es sich, dass jede 
Kugel entsprechend ihrem Aequator eine zwar seichte, aber in 
allen Fällen deutlich sichtbare Rinne (Fig. 4) trägt, so dass es den 
Eindruck macht, als sei sie aus zwei gesonderten mit einander 
verschmolzenen Halbkugeln zusammengesetzt. Diese Rinne rührt 
her von dem Drucke, mit dem die freien Ränder der Patronen¬ 
hülse an den Umfang der Kugel behufs grösserer Festigkeit an¬ 
gepresst werden. Dieser Rinne kommt forensisch eine analoge Be¬ 
deutung zu, wie der basalen Delle der Spitzkugeln; denn auch 
sie bleibt häufig selbst bei starker Deformation des Projektils er¬ 
halten, so dass man aus dieser äquatoriellen Rinne ein solches 
Projektil als ein Flobert-Projektil ansprechen darf, — eine Tat¬ 
sache, die uns auch von Sachverständigen im Waffenfache be¬ 
stätigt wurde —, wodurch auch die Möglichkeit der Unterschei- 
dungder Flobert-Projektile (insofern es sich hier um Rundkugeln 
handelt) von Schrotkörnern gegeben ist. 

Ausser den hier beschriebenen kleinsten Flobertpatronen 
von 6 mm Kaliber mit Rundkugel ohne Pulverladung, welche am 
häufigsten verwendet zu werden pflegen und auch in allen unseren 
Fällen verwendet wurden, gibt es noch eine Anzahl verschiede¬ 
ner anderer Flobertpatronen, welche bezüglich des Kalibers, der 
Länge der Patronen, der Art der Ladung und Verschiedenheit der 
Projektile grosse Unterschiede aufweisen. Eine uns von einer 
Kapselfabrik freundlichst überlassene Mustersendung derartiger 
Patronen weist 16 verschiedene Sorten auf. Was das Kaliber 
anbelangt, so gibt es solche von 6, 7 und 9 mm; die von 7 mm 
Kaliber werden selten verwendet. Ausser der Sprengsubstanz 
enthalten viele Patronensorten, besonders die mit Schrotladung, 
noch Schiesspulver, wobei die Kupferhtilse entweder selbst oder 
durch Ansatz einer Pappenhülse eine entsprechende Verlängerung 
zeigt. Was die Projektile anbelangt, so gibt es ausser den 
oben beschriebenen Rundkugeln und Schrot auch Spitzkugeln, 
letztere in 3 verschiedenen Formen, die eine von der Form der 
gewöhnlichen Revolverkugeln, eine zweite Form mit etwas dün¬ 
nerer Spitze, beide mit basaler Delle; eine dritte Art, die söge- 




Ssjtüssverletzwig des Schädels im falle I, 
von innen gesehen (natürl. Grösse). 


Schussverleizüitg des Schädels fm Falle I 
von aussen gesehen (natürl. Grosse). 



£th Teil der vorderen Bru3twand mit Einschuss 
otfn.ung in der Haut am Falle II (naturi. Grösse) 


Rundkugft! aus omer Flobertpatfone mi! 
äquatorialer Rinne (verjjfössert), • 



















Zur Kenntnis der Verletsangen durch Flobert-Schusswaffen. 


513 


nannten Bosquett - Spitzkugeln, zeigen eine von dem gewöhnlichen 
Typus der Spitzkugeln abweichende, ganz charakteristische Form, 
die einer Kombination von einem an der Oberfläche schräg kanne¬ 
lierten Bleizylinder mit einem aufgesetzten sehr kurzen, spitzen, 
glatten Kegel entspricht. Letztere, gleichfalls selten verwendet, 
werden in der Grösse von 6 und 9 mm Kaliber angefertigt, wobei 
zu bemerken ist, dass die Spitzkugel dieser Art von 6 mm Kaliber 
keine basale Deila trägt. Doch dürften, was die Form der Spitz¬ 
kugeln, sowie die stärkere oder schwächere Ausprägung oder gar 
das Fehlen der basalen Delle anbelangt, wie uns mitgeteilt 
wurde, bei den verschiedenen Fabrikaten ziemlich wesentliche 
Unterschiede bestehen. Ein Unterschied zwischen den Flobert- 
und Revolverspitzkugeln soll, abgesehen von unwesentlichen Unter¬ 
schieden an Erzeugnissen der einzelnen Fabriken, nicht bestehen. 
Demnach hat die Form der Spitzkugeln, mit Ausnahme der letzt¬ 
genannten Sorte, kein spezifisches Merkmal an sich, welches sie 
als von einer Flobert-Patrone herrührend erkennen Hesse. 

Ein Umstand verdient hier hervorgehoben zu werden, nämlich 
die etwaige Möglichkeit, eine Flobertpatrone aus einem Revolver 
abzuschiessen. Alle Flobertpatronen sind Randfeuer - Patronen, 
während die meisten Revolver für Zentralfeuer-Patronen kon¬ 
struiert sind, weshalb es im allgemeinen nicht möglich ist, eine 
Flobertpatrone aus einem Revolver abzuschiessen. Auch hat 
eine Flobertpatrone, aus einem Revolver abgeschossen, vermöge 
der Konstruktion des Revolvers, die ein Entweichen von Pulver¬ 
gasen zwischen Trommel und Lauf ermöglicht, eine viel geringere 
Durchschlagskraft. 

Was die Durchschlagskraft anbelangt, so unterscheiden sich 
die Spitz- und Rundkugeln wohl nur sehr unwesentlich von ein¬ 
ander; ebenso dürfte der diesbezügliche Unterschied, je nachdem 
ob dieselben aus einem Flobert-Gewehre oder einer Flobert-Pistole 
abgeschossen wurden, nur sehr unwesentlich sein. Wesentlicher 
wird der Unterschied dadurch, ob dieselben aus einer gezogenen 
oder ungezogenen Waffe abgeschossen wurden. Dass diejenigen Ge¬ 
schosse, welche ausser der Sprengsubstanz auch noch eine Pulver¬ 
ladung enthalten, eine bedeutendere Durchschlagskraft besitzen, 
ist selbstverständlich. 

Aus dem Angeführten ergibt sich, dass wir die Gefährlich¬ 
keit dieser Schusswaffen, selbst mit den kleinsten Patronen und 
ohne Pulverladung, sicherlich nicht weit unter die der gewöhnlichen 
kleinen Revolver zu setzen haben. Jedenfalls müsste man sich 
gegebenen Falles vom rein gerichtsärztlichen Standpunkte dahin 
aussprechen, dass ein derartiges Schusswerkzeug bei geeigneter 
Anwendung (nicht zu grosse Entfernung und erfolgter Angriff 
auf lebenswichtige Körperteile) jenen zuzurechnen ist, mit deren 
Anwendung gemeiniglich Lebensgefahr verbunden ist, wobei es 
wiederum dem Ermessen des Richters überlassen bleibt, zu ent¬ 
scheiden, wie weit die Kenntnis oder Unkenntnis von der Gefähr¬ 
lichkeit dieser Schusswerkzeuge zu Gunsten oder Ungunsten des 
Angeklagten in konkreten Fällen in die Wagschale fällt. 



514 


Dr. Eyff. 


Die praktische Verwertung der Widai’schen Blutprobe. 

Von Dr. Eyff in Nimptscb. 

Zur Sicherung der Diagnose Typhus ist die Widalsche Blut¬ 
probe seit der Veröffentlichung derselben im Jahre 1896 als Hilfs¬ 
mittel mit Erfolg herangezogen worden. Es stellte sich allerdings 
heraus, dass in einzelnen klinisch sicher diagnostizierten Typhus¬ 
fällen die Reaktion ausblieb oder, weil sie zu spät eintrat, für die 
Diagnose ohne Wert war. Dies Versagen der Methode bildet 
jedoch die Ausnahme. In den Jahrgängen der deutschen me¬ 
dizinischen Wochenschrift (1896—1903) finden sich Berichte über 
989 sichere Typhusfälle, die mit Hilfe der Widal sehen Blut¬ 
probe untersucht wurden. Die Prüfung ergab nach einer von 
mir gemachten Zusammenstellung 26 Mal ein negatives Resultat, 
14 Mal eine geringe Reaktion, 3 Mal eine verspätete. Da alle 
diejenigen Befunde, welche als unvollkommene oder verspätete 
bezeichnet werden, zur Diagnosenstellung nicht zu verwerten 
sind, müssen sie bei Beantwortung der Frage, ob die Widalsche 
Blutprobe eine Frühdiagnose ermöglicht, den negativen Reaktionen 
zugerechnet werden. Unter Berücksichtigung dieses Standpunktes 
sind von den 989 Typhusfällen 43 mit negativem Resultat geprüft 
worden, d. h. unter 100 Blutproben ergaben 4,3 einen negativen Befund. 

Dies Resultat berechtigt, die Probe zum Nachweise des 
Typhus zu empfehlen, um so mehr, als die bisherigen Forschungen 
ergeben haben, dass es bei Beobachtung bestimmter Vorsichts- 
massregeln dem erfahrenen Bakteriologen in jedem einzelnen Falle 
stets möglich ist, sein Urteil abzugeben, ob die Reaktion eine 
zweifellos positive oder eine unvollkommene oder eine negative ist. 

In zweiter Linie haben sämtliche Beobachtungen die eine Tat¬ 
sache erwiesen, dass der klinische Verlauf aller Erkrankungen oder 
die Sektion in allen Fällen, in denen die Widalsche Reaktion positiv 
ausfiel, die Diagnose Typhus bestätigt haben, dass also die positive 
Widalsche Reaktion die Diagnose Typhus unumstösslich festlegt. 

Nimmt man dies Ergebnis einerseits zusammen mit dem 
Resultat der von mir aufgestellten Statistik, dass nämlich von 
100 Typhusfällen 95—96 eine positive Blutprobe ergeben haben, 
und anderseits mit der Tatsache, dass bei allen Krankheiten 
andersartigen Ursprungs eine ev. auftretende Reaktion bei Berück¬ 
sichtigung aller Kautelen zu Irrtümern nie Veranlassung ge¬ 
geben hat, so ist die Forderung, dieses Hilfsmittel allgemein zur 
Stellung der Diagnose zu benutzen, berechtigt, wenn es möglich 
ist, mit dieser Methode eine Frühdiagnose zu stellen. 

Widal 1 ) beobachtete die agglutinierende Wirkung des Serums 
Typhuskranker am 7., Warburg 8 ) am 5., P. Fraenkel 8 ) am 
9., Catrin 4 ) am 4., R. Stern 4 ) am 9., Breuer 1 ) am 6., 8 und 

l ) Deutsche medizinische Woehenschrift. 1897. C. Fraenkel: „Ueber 
den Wert der Widai’schen Probe rar Erkennung des Typhus abdominalis. 

*) Deutsche medizinische Wochenschrift. 1898. Vereinsbeilage Nr. 14. 

*) Deutsche medizinische Wochenschrift. 1901. Litteratur- Beilage Nr. 13. 
Dr. P. Fraenkel: Göttinger Typhusepidemie im Sommer 1900. 

4 ) Deutsche medizinische Wochenschrift. Dr. E. Ziemke: „Zur Serum- 
diagnose des Typhus abdominalis. 



Die praktische Verwertung der Widalschen Blutprobe. 


515 


9. Krankheitstage. Dieser Punkt ist bisher von den Autoren nicht 
genügend berücksichtigt. Er ist jedoch wichtig, um auf Grund einer 
grösseren Statistik festzustellen, an welchem Tage nach erfolgter 
Erkrankung mit diesem Hilfsmittel durchschnittlich die Diagnose 
Typhus zu stellen ist. Von bestimmten Krankheitstagen beim 
Typhus zu sprechen, ist überhaupt schwer, da anfangs meist nur 
ein unbestimmtes Krankheitsgefühl vorliegt und der Patient den 
Arzt erst aufsucht, wenn die Beschwerden seine Arbeitsfähigkeit 
in Frage stellen, gewöhnlich also einige Tage nach dem Krank¬ 
heitsbeginn. Der von den Autoren angenommene „erste“ Krank¬ 
heitstag wird ans diesen Gründen sich nicht decken, auch dann 
nicht, wenn man, wie dies geschehen ist, als ersten Krankheitstag 
den Tag annimmt, an welchem der Patient sich zum ersten Mal 
wirklich krank gefühlt hat. Praktischer ist es daher, die Frage 
so zu stellen, ob erfahrungsgemäss die Wi dal sehe Blutprobe an 
dem ersten Tage, an welchem der Patient mit typhusverdächtigen 
Symptomen den Arzt aufgesucht hat, die Diagnose Typhus zu 
sichern, bezw. differential-diagnostisch den Ausschlag zu geben 
im stände ist. 

Nach diesen Gesichtspunkten habe ich die von mir im letzten 
Jahre, z. T. in dem städtischen Krankenhause zu Nimptsch, z. T. 
in der Privatpraxis behandelten Typhusfälle mit folgendem Er¬ 
gebnis untersucht: 

14 Typhen wurden mittelst der Widalschen Blutprobe 
mit positivem Resultat geprüft. Das hygienische Institut zu 
Breslau hatte die Liebenswürdigkeit, die Proben zu untersuchen. 
Von 14 Fällen wurden in 8 derselben Blutproben am ersten Tage 
der Uebernahme der Behandlung eingeschickt; die übrigen Fälle 
wurden später, vom 6. bis 14. Tage nach erfolgter Uebernahme 
der Behandlung untersucht, z. T. weil ich zu Beginn dieser Er¬ 
krankungsperiode auf die Sicherung der Diagnose mittelst des 
Widalschen Verfahrens nicht genügend Gewicht legte, z. T. 
weil andersartige Erkrankungen den Typhus verdeckten. In einem 
dieser Fälle war in drei nacheinander eingesandten Proben die 
Reaktion in Verdünnung von 1 : 25 bis 1 : 100 mikroskopisch po¬ 
sitiv, makroskopisch stets negativ. Es wurde seitens des In¬ 
stitutes die Ansicht ausgesprochen, dass es sich um einen leichten 
Typhus handelt. Der Verlauf bestätigte diese Vermutung: 
quälende Kopfschmerzen, grosse Mattigkeit, dünne erbsenfarbene 
Stühle und volle Appetitlosigkeit kennzeichneten das Krankheits¬ 
bild. Roseolen und Milzdämpfung konnten nicht nachgewiesen 
werden; die im Anus aufgenommenen Temperaturen überschritten 
37,6° nicht: der Verlauf war ein fast afebriler. 

Dieser Fall scheint mir zum Beweise für die Notwendig¬ 
keit der Verwendung der Reaktion zur Sicherung der Typhus¬ 
diagnose von grösster Wichtigkeit zu sein. Er würde ausserhalb 
des Krankenhauses als gastrisches Fieber gedeutet und ärztlicher¬ 
seits kaum behandelt worden sein. Eine derartige mit leichten 
Durchfällen einhergehende Erkrankung ist aber häufig der Aus¬ 
gangspunkt von weiteren Ansteckungen. Es ist daher von der 



516 


Br. Eyff. 


grössten Bedeutung, dass gerade diese Fälle sicher diagnostiziert 
und sanitätspolizeilich kontrolliert werden. Auf Grand des klinischen 
Verlaufs wird sich aber der behandelnde Arzt nicht entschlossen, 
diesen Fall als Typhus anzuzeigen; er darf es nur, wenn es 
feststeht, dass eine positive Wi dal sehe Reaktion den sicheren 
Schluss auf Typhus gestattet. 

Ebenso interessant ist eine zweite Typhuserkrankung. Eine 
Diakonissin klagt über Müdigkeit, Appetitlosigkeit und Schmerzen 
im Nacken und im Leibe. Da der klinische Untersuchungsbefund 
am 13. August, dem Tage, an welchem sie sich krank meldete, 
ein negativer war, anderseits der Verdacht bestand, dass sie 
sich bei der, — allerdings nur vorübergehenden — Pflege der 
Typhuskranken angesteckt hatte, wurde am 13. August sofort die 
Blutprobe gemacht, und zwar mit positivem Ergebnis. Die 
Anamnese ergab einen Typhus vor 13 Jahren. Die positive Re¬ 
aktion hätte ev. die Folgen jener vorhergegangenen Erkrankung 
sein können. Der Verlauf bewies eine neue Infektion, wenn auch 
leichter Art. Temperaturen in der Achselhöhle bis 38,3°, Durch¬ 
fälle, Appetitlosigkeit und grosse Mattigkeit charakterisierten die 
Erkrankung als Typhus. Infolge Platzmangels schickte ich die 
Patientin in ihre Heimat mit der auf Grand der positiven 
Wi dal sehen Reaktion ausgesprochenen Diagnose Typhus. Da 
Roseolen und Milztumor, sowie höhere Temperaturen fehlten, 
wurde sie von dem dortigen Arzt sehr bald entlassen. Als sie 
sich Ende August mir wieder vorstellte, sprach ich sofort die 
Ueberzeugung aus, dass sie nicht gesund sein könne. Der Ver¬ 
lauf bestätigte meine Ansicht: am 2. September meldete sie sich 
mit ähnlichen Erscheinungen wie am 13. August krank. Die 
Schwester hatte 3 Mal eine halbe Nacht bei Typhuskranken ge¬ 
wacht, war also verhältnismässig wenig mit diesen in Berührung 
gekommen. Dementsprechend leicht war die Ansteckung und der 
Krankheitsverlauf. Sie hatte am 4. August sich zum ersten Mal 
krank gefühlt: die Blutentnahme war also am 9. Krankheitstage 
erfolgt. 

Die Wi dal sehe Reaktion hatte in beiden Fällen die An¬ 
nahme eines Typhus gesichert trotz geringwertiger Krankheits¬ 
symptome und hatte den Arzt veranlasst, die Kranken vom ersten 
Behandlungstage mit denjenigen Massnahmen zu umgeben, welche 
zur Vermeidung weiterer Ansteckungen notwendig sind. Sodann 
hatte sie ihn trotz der gegenteiligen Ansicht des zweiten be¬ 
handelnden Arztes befähigt, seine Ansicht von der Erkrankung 
an Typhus und der Unmöglichkeit, dass dieser innerhalb 14 Tagen 
zur Genesung gelangt war, aufrecht zu erhalten. Es ist ersicht¬ 
lich, welch’ ausgezeichnetes diagnostisches Hilfsmittel die Widal- 
sehe Reaktion ist. 

Dieselbe unzweideutige Entscheidung hat die Blutprobe in 
denjenigen Fällen gebracht, in denen es sich um den Typhus ver¬ 
deckende oder um andersartige Krankheiten handelte. 

Zwei der von mir behandelten Fälle imponierten als tief¬ 
gehende Lnftröhrenkatarrhe. Verdauungsstörungen und die Beob- 



Die praktische Verwertung der Widalschen feiutprobe. M? 

achtung, dass trotz angewandter Mittel ein Fortschritt nicht 
erzielt wurde, führten zur Blutprobe und zur Sicherung der 
Diagnose. Ein dritter Fall war besonders interessant. Am 
25. Juli 1901 wurden in der Isolierbaracke des städtischen Kranken¬ 
hauses zu Nimptsch 2 Pockenkranke aufgenommen. Die jüngere 
Person hatte nur wenige Pocken, machte dagegen einen ausser¬ 
ordentlich benommenen Eindruck und fieberte hoch, so dass die 
anfängliche Annahme, dass die Pockenerkrankung den beobachteten 
Symptomenkomplex hervorgerufen habe, der Ueberzeugung wich, 
dass die Pocken- mit einer Typhus-Erkrankung kompliziert sei. 
Die Widalsche Reaktion bestätigte diese Annahme. 

Ein ebenso klares Resultat ergab die Blutprobe in 8 Fällen, 
deren Verlauf die durch die negative Widalsche Reaktion ge¬ 
stellte Diagnose „Nicht Typhus“ bestätigte. Es handelte sich in 
allen Fällen um anfänglich unklare Krankheitsbilder: Allen ge¬ 
meinsam waren heftige Kopfschmerzen und grosse Hinfälligkeit, 
z. T. ausgesprochene Somnolenz. 3 Fälle verliefen mit Durch¬ 
fällen, 2 mit Lungen- und 3 ohne charakteristische Lokal¬ 
erscheinungen. Der Krankheitsverlauf war in der Mehrzahl der 
Fälle ein kurzer: 3 erwiesen sich als Dysenterie, 2 als zentrale 
Lungenentzündungen mit meningitischen Erscheinungen, 2 als 
leichte Meningitiden und ein Fall als tuberkulöser Darmkatarrh. 

Die von mir beobachteten Fälle haben also in der Hauptsache 
dieselben Resultate ergeben, wie die in der Literatur veröffent¬ 
lichten. Es wurde positive Reaktion ausschliesslich bei Typhen 
gefunden, und zwar in jedem Fall, in welchem am Tage der 
Uebernahme der Behandlung die Blutentnahme erfolgte, sofort bei 
dieser Probe. Ein negatives Resultat ergab keiner der Typhusfälle. 

Auf Grund dieser eigenen und der durch die bisherigen 
Veröffentlichungen kund gegebenen Beobachtungen betrachte ich 
die Widalsche Blutprobe als ein Hilfsmittel ersten Ranges zur 
Stellung oder Ablehnung der Diagnose Typhus, und glaube be¬ 
haupten zu können, dass es mit diesem Verfahren in der weitaus 
grössten Mehrzahl der Krankheitsfälle am ersten Tage der Be¬ 
handlung möglich ist, eine Klärung der häufig unsicheren Diagnose 
herbeizuführen. 

Ist dies aber der Fall, so ist es eine selbstverständliche 
Konsequenz, dieses Mittel zur Bekämpfung des Typhus zu 
benutzen. 

Diese Massregel wird aber nur unter der Voraussetzung den 
erwarteten Erfolg haben, dass die Blutprobe von jedem Arzt in 
allen typhusverdächtigen Fällen gemacht wird. Hierzu wird der 
Arzt sich einverstanden erklären, wenn er behördlicherseits ge¬ 
zwungen wird, sie auszuführen. Dieser Zwang wird für den Arzt 
dem ev. widerwilligen Patienten gegenüber ein willkommenes Unter¬ 
stützungsmittel sein. 

Die gesetzliche Regelung dieses Verfahrens wird in dem 
Augenblick gerechtfertigt sein, in dem es erwiesen ist, dass die 
Widalsche Probe von jedem Arzt leicht auszuführen ist, den 
Patienten in keiner Weise schädigt und eine schnellere Diagnosen- 



m 


t)r. Kauwerck. 


Stellung als durch andere von dem praktischen Arzt beherrschte 
Untersuchungsmethoden ermöglicht. Diese Bedingungen sind er¬ 
füllt: die desinfizierte Fingerbeere mit einem Messer anzustechen 
und das Blut in einem sterilen Röhrchen aufzufangen, ist ein 
Verfahren, das jeder Arzt ohne Vorübung auszuführen im Stande 
ist. Der Patient selbst wird in keiner Weise geschädigt; die 
kleine Wunde heilt schnell, stets ohne Störung. Hat der Staat 
auf Grund der Erfahrung, dass eine Impfung mit Tierlymphe die 
Erkrankung an Pocken wesentlich vermindert, die Impfung aller 
Rinder angeordnet, eine Massnahme, die jedenfalls stets eine leichte 
Erkrankung setzt, so kann er eine viel leichtere Operation, bei 
der ein Krankheitsstoff dem Körper nicht eingeimpft wird, mit 
demselben Recht obligatorisch machen. Die dritte Frage, ob durch 
diesen geringfügigen Eingriff eine schnellere Diagnose gestellt 
werden kann, ist in dieser Abhandlung bejaht. Deshalb ist es 
im Interesse der Verhütnng der weiteren Verbreitung des Typhus 
notwendig, dass die Entnahme des Blutes bei typhusverdächtigen 
Personen zur Untersuchung gesetzlich gefordert und jeder Arzt 
verpflichtet wird, dies zu tun. Eine natürliche Folge dieser 
Forderung ist die Einrichtung hygienischer Zentralen in jedem 
Regierungsbezirk, welche die Aufgabe haben, die eingesandten 
Blutproben zu untersuchen. 

Diese Erwägungen führen zu folgenden Schlusssätzen: 

1. Blutserum, welches die charakteristische Widal’sehe 
Reaktion ergiebt, stammt von Typhuskranken. 

2. In bei weitem der grössten Mehrzahl der Typhusfälle 
(95 unter 100) ist die Reaktion eine positive, gewöhnlich schon 
zu einer Zeit, in der die Diagnose Typhus durch Beobachtung des 
klinischen Verlaufs der Krankheit nicht gestellt werden kann. 

3. Eine wirksame Bekämpfung des Typhus ist bei exakter 
frühzeitiger Diagnosenstellung möglich. 

4. Da die Wi dal’sehe Blutprobe die Diagnose Typhus 
frühzeitig zu stellen ermöglicht, so ist die Blutentnahme zum 
Zweck der Untersuchung in allen typhusverdächtigen Fällen mög¬ 
lichst am Tage der Uebernahme der Behandlung von jedem Arzt 
gesetzlich zu fordern. 

5. Ein positives Resultat ist dem beamteten Arzt sofort 
mitzuteilen. 

6. In jedem Regierungsbezirk ist staatlicherseits ein Institut 
zur Vornahme der Blutuntersuchung zu errichten. 


Ein Beitrag zur Widal’schen Probe. 

Von Kreisarzt Med.-Bat Dr.Nanwerck in Gohrau. 

Dem hiesigen Kreiskrankenhause wurde von dem behandeln¬ 
den Arzte am 16. April 1902 die im 5. Monat schwangere 
Knechtsfrau Sch. aus Tscheschkowitz überwiesen, weil Erschei¬ 
nungen bei ihr eingetreten waren, die möglicherweise die künst¬ 
liche Entbindung notwendig machten. 



Bin Beitrag zur Widalschen Probe. 


m 

Frau Sch., zum ersten Male schwanger, 24 Jahre alt. hatte Oedeme des 
Gesichtes, der Arme and Beine, der Genitalien, war komatOs, and entleerte 
nar wenig dankten, trüben Urin mit so viel Eiweiss, dass er beim Kochen 
gerann. Oie Temperatur betrag am 16. abends 38,6, am 17. 88,9°, stieg am 
18. abends auf 40°. Es gelang in einigen Tagen die drohenden Erscheinungen, 
welche den Aasbrach der Eklampsie befürchten Hessen, za mildern and die 
Fanktion der Nieren wieder herzasteilen, die Oedeme verloren sich ebenfalls 
nach and nach, die Hyper&mie der Nieren konnte etwa nach 6—6 Tagen als 
überwanden angesehen werden. Aber das Fieber blieb, die Temperaturen waren 
in den ersten Wochen durchschnittlich morgens 39°, abends 89,6 °, am 24. 
erfolgte morgens ein Abfall auf 38,5°, dem am 25. ein neuer Anstieg folgte. 

Ans dem Widerspruch zwischen der Besserung von seiten 
der Nieren und den Fieberverhältnissen musste die Diagnose auf 
Nephritis, mit der die Franke eingekommen war, darauf be¬ 
schränkt werden, dass eine vorübergehende Hyperämie der Nieren 
Vorgelegen hatte, wie sie schon bald nach Beginn des entzünd¬ 
lichen Prozesses bei infektiösen Krankheiten vorkommt, dass aber 
eine andere Grundkrankheit vorlag. Als solche wurde aus dem 
weiteren Verlaufe Unterleibstyphus klinisch festgestellt. Frau 
Sch. machte einen mittelschweren Typhus durch und war am 
10. Mai dauernd entfiebert, wurde am 4. Juni aus dem Kranken¬ 
hause entlassen. 

Die Schwangerschaft war erhalten geblieben; am 21. Mai 
entnahm ich eine Blutprobe, die dem Königl. hygienischen Institut 
in Breslau übersandt wurde, die dort vorgenommene Widalsche 
Probe fiel positiv aus. 

Für die zu erwartende Entbindung der Frau Sch. hatte ich 
der betr. Hebamme Probegläschen gegeben mit der Anweisung, 
beim Durchschneiden der Nabelschnur aus deren Gefässen Blut 
aufzufangen. Dies gelang auch der Hebamme, am 21. August 
erhielt ich die Nachricht, dass ein gesunder Knabe von 47 cm 
Länge und 3 kg Gewicht geboren war, und ein Gläschen mit 
Blut. Dies wurde sofort nach Breslau eingeschickt, von wo mir 
die Nachricht wurde, dass die Widalsche Probe negativ ausge¬ 
fallen sei. Leider hatte sich die Wöchnerin nicht mehr zur noch¬ 
maligen Entnahme ihres eigenen Blutes bereit finden lassen, so 
dass die Kontrollprobe über das Verhalten des mütterlichen Blutes 
am 21. August fehlt. 

Ich muss gestehen, dass ich ein anderes Ergebnis erwartet 
hatte; in der mir zugänglichen Literatur hatte ich über einen 
derartigen Versuch nichts gefunden, doch ist der Typhusbacillus 
in der Milz eines 4 monatlichen, durch Abort abgegangenen Fötus 
einer typhösen Mutter nachgewiesen worden (Neuhauss). In der 
Mehrzahl der Fälle starben in den früheren Monaten der Schwan¬ 
gerschaft bei Typhus die Früchte ab, es tritt Abortus ein, wobei 
dahin gestellt bleiben mag, ob der Typhusbacillus, in sie übergehend, 
den Tod verursacht, oder ob die höheren Fiebergrade, wie auch in 
anderen Krankheiten, zum Abortus führen. Die Dauerhaftigkeit der 
Wi dal sehen Probe, die mehr eine Immunitäts-, denn Infektions¬ 
reaktion ist, ist bekanntlich verschieden, von einigen Wochen bis 
zu vielen Jahren; es kann also, da das Blut der Mutter am 
21. Mai die Reaktion noch gegeben hatte, genau 3 Monate nachher 



Atu Versammlungen und Vereinen. 


m 

das Blut des Kindes aber nicht, ans letzterem Umstande nur ge¬ 
schlossen werden, entweder, dass die Frucht vom Typhus nicht 
befallen, also nicht immun geworden, oder, dass die Immunität 
bereits erloschen war. 

Leider ist mir ein ganz analoger zweiter Versuch nicht 
gelungen, weil bei der Abnabelung des schon einige Zeit geborenen 
Kindes Blut nicht mehr ausfloss, ein anderer Modus der Gewin¬ 
nung von Blut aber nicht zugelassen wurde. Immerhin dürfte 
die kleine Mitteilung einiges Interesse erregen, wenn sie auch 
nach keiner Seite schlüssig ist. 


Aut Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die dienstliche Versammlung der Medisinal- 
Beamten des Regierungsbezirks Osnabrück in Osnabrück 

am £3. Oktober 1902. 

Anwesend sind: Reg.- and Med.-Rat Dr. Orisar-Osnabrück, Vor¬ 
sitzender, die Kreisärzte: Med.-Rat Dr. Schiormeyer-Osnabrttck, Med.-Rat 
Dr. zam Sande-Lingen, Med.-Rat Dr. T 0 b b e n - Osnabrück - Land, Med.-Rat 
Dr. TJtolen-Papenborg, Med.-Rat Dr. Heilmann-Melle, Dr. Petermöller- 
Meppen, Dr. Holling-Sögel, Dr. Strangmeier-Bersenbrück, Stadtarzt 
Dr. Bitter-Osnabrück, San.-Rat Kreisphysikus a. D. Offenborg-Osnabrück, 
Direktor der Hebammenlehranstalt Dr. Rissmann-Osnabrück and die pro 
physicata geprüften Aerzte: San.-Rat Dr. Kanzler-Rothenfelde, Dr. Weit- 
höner-Baer, Dr. Kreke-Bersenbrück. 

Nach einer kurzen Begrttssung der Versammlnng durch den Herrn 
Regierungspräsidenten ▼. Barnekow, welcher bedauert wegen besonderer 
Abhaltung nicht längere Zeit den Verhandlungen beiwohnen zu können, werden 
die Verhandlungen eröffnet. 

I. Ländliche Krankenpflege. Der Referent, Med.-Rat Dr. Heil¬ 
mann-Melle, fährt in einem längeren, höchst fesselnden Vortrage, in dem er 
die verschiedensten sozialen und ärztlichen Verhältnisse streift, etwa folgendes 
aus: Zur Verbesserung der häuslichen Krankenpflege empfiehlt sich die An¬ 
stellung von Gemeindepflegerinnen. Laienschwestern, die aus der Ge¬ 
meinde selbst stammen und mit Sitten und Gebräuchen der Bevölkerung ver¬ 
traut sind, sind den Ordensschwestern, denen diese Kenntnis von Land und 
Leuten meistens abgeht, entschieden vorzuziehen, besonders in konfessionell 
gemischten Gegenden. Die Pflegerinnen müssen genügend bezahlt werden und 
einen Pflegekasten haben, der folgende Gegenstände zu enthalten hat: 
Irrigator, Katheter, Injektionsspritze, Thermometer, Luft- und Wasserkissen, 
Steckbecken, Eisblase, Mundspatel, Einnahmeglas, Gummi-Bettunterlagen, 
Wärmflaschen (gebogene für den Leib), Anweisung zur Desinfektion der Ab¬ 
gänge von Kranken, welche an ansteckenden Krankheiten leiden. Diese Zu¬ 
sammenstellung würde für etwa 150 Mark zu beschaffen sein. Die Ausbil¬ 
dung der Schwestern sollte nicht in den ganz grossen, sondern vorzugsweise 
in mittelgroesen Krankenhäusern erfolgen. Eine gewisse Kontrolle der 
Berufstätigkeit der Pflegerinnen übt schon der behandelnde Arzt aus; Revi¬ 
sionen des Instrumentariums könnte der Kreisarzt besorgen, welcher auch von 
Zeit zu Zeit nach dem Zeugnisse des in Betracht kommenden Arztes einen 
Wiederholangskursus im Krankenhause veranlassen könnte. 

Die vielfach ausgesprochene Befürchtung, dass die Pflegerinnen Kur¬ 
pfuscherei betreiben, oder den einen oder anderen Arzt besonders bevorzugen, 
teilt Referent nicht. Die Schuld in letzterer Hinsicht liegt meistens an den 
Aersten selber, welche die Pflegerinnen nicht genügend heranziehen. Zum 
Kurpfuschen kommen die Schwestern hauptsächlich dann, wenn solches Treiben 
von einflussreicher Seite protegiert wird; in dieser Beziehung Bündigen nach 
Hn Erfahrungen vielfach der Adel, die Geistlichen nnd besonders die Lehrer. 



Ana Versammlungen and Vereinen. 


521 


Vorgebeugt wird der Kurpfuscherei seitens der Pflegerinnen auch dadurch, dass 
man eine gewisse Beschränkung bei der Ausbildung der Pflegerinnen walten 
lässt. Es ist in dieser Hinsicht nicht genug zu warnen vor zu hoben Anforde¬ 
rungen; insbesondere taugt eine za spezialistisehe Ausbildung nicht. 

Die Frage, ob es angebracht ist, den Samariter-Vereinen auf dem 
Lande Eingang zu verschaffen, muss entschieden verneint werden. H. hat viel¬ 
fach den Eindraok gewonnen, als ob es sich dabei um eine Art von Sport, 
hauptsächlich für ältere Damen, handelt; praktische Erfolge hat er nicht 
gesehen. 

Die Errichtung und Verwaltung der Krankenhäuser soll womöglich 
von den politischen Gemeinden, und nicht von den kirchlichen Gemeinden Über¬ 
nommen werden. In konfessionell gemischten Gegenden führen konfessionelle 
Krankenhäuser leicht zu einer gewissen Rivalität und Spannung zwischen den 
Konfessionen; die Kräfte werden zersplittert und es kommen infolgedessen nur 
kleinere, nicht recht lebensfähige Krankenhäuser zustande. H. hat in dieser 
Beziehung ungünstige Erfahrungen in der Stadt Melle gemacht, wo ein pro¬ 
testantisches und ein katholisches Krankenhaus kurz nacheinander errichtet 
wurden. Die ganz kleinen Krankenhäuser hält er überhaupt nicht für zweck¬ 
mässig. Nach seiner Ansicht empfiehlt sich bei Errichtung von Krankenhäusern 
am besten folgender Modus: In der Kreisstadt wird ein grösseres, allen An¬ 
forderungen der Neuzeit entsprechendes Krankenhaus erhöhtet. Die kleineren 
Krankenhäuser in den umliegenden Gemeinden sollen mehr als Siechenhänser, 
resp. Pflegehäuser dienen; für ihren Bau müsste in Bezug auf die zu stellenden 
Anforderungen eine grössere Lioenz Platz greifen. Die operative Behandlung 
soll hauptsächlich in dem grösseren Kreiskrankenhause statt finden. Die Aerzte 
des Kreises hätten diesem die geeigneten Fälle zuzuführen, welche sie dann 
gemeinschaftlich mit den am Orte befindlichen Aerzten weiter behandelten. 
Auf diese Weise wäre es vielleicht möglich unter den Aerzten des Kreises 
einen gewissermassen „genossenschaftlichen“ Betrieb in der Krankenbehandlung 
in den Krankenhäusern einzurichten; es Hessen sich hierdurch geradezu ideale 
Verhältnisse erreichen. 

Referent kommt dann auf die Lungenheilstätten zu sprechen, 
deren Bau jetzt als eine Art Sport betrieben werde. Nach eigener Anschauung 
der Einrichtung und des Betriebes einer solchen Heilstätte und vielfachen Er¬ 
fahrungen aus der Praxis kommt er zu einem sehr ungünstigen Urteile. Die 
Behandlung in den Heilstätten erfolgt zu schematisch, dieselben sind blosse 
„Mastanstalten“, in denen die Kranken einer „akuten Mästung“ unterworfen 
werden. Die in solcher Behandlung erreichte Gewichtszunahme verlieren die 
Patienten nach Verlassen der Anstalt ebenso schnell wieder, wie sie erreicht 
warde, die Krankheit kommt erneut zum Ausbruch und verläuft bösartiger. 

H. formuliert das Ergebnis seiner Ausführungen dann in folgenden 
Sätzen: 

„1. Jede Gemeinde lässt sich eine Pflegerin ausbilden, 
welche aus der Gemeinde stammt, sie wird mit einem Pflege¬ 
kasten ausgerüstet. 

2. Diese Schwestern fallen fort, wenn in Gemeinden 
Pflegehäuser eingerichtet sind, deren Bau möglichst be¬ 
fördert wird. Für den Bau dieser Pflegehäuser werden ein¬ 
fachere Vorschriften erlassen. 

3. In jedem Kreise ist ein Krankenhaus zu gründen, in 
dem sämtliche Aerzte des Kreises praktizieren — ein ge¬ 
nossenschaftlicher Betrieb —. 

4. Lungenheilstätten mit jetziger schematischer Be¬ 
handlung werden nicht weiter gebaut. Die Regierung hat ein 
Preisschreiben zu veranlassen, in welchem die Behandlung in 
den Lungenheilstätten, in welchen speziell unbemittelte 
Patienten untergebracht werden sollen, festgestellt und 
festgelegt wird.“ 

Zum Schluss spricht Referent noch über Desinfektion und bringt 
seine teilweise etwas eigenartigen Ansichten hierüber vor. Im aUgemeinen hält 
er es für ausreichend, wenn in jedem Kreise 1 bis 2 Dampfdesinfektiontapparate 
aufgestellt werden. Nach seinen Erfahrungen kann erden Spring fei dschen 



522 


Aas Versammlungen and Vereinen. 


Kettenapparat zur Formalin-Desinfektion nicht empfehlen. Die Glieder de* 
Kette gehen leicht auseinander und aaoh die Menge des wirklich verdampften 
Formalins lässt sich nicht kontrollieren. 

Der Korreferent, Kreisarzt Dr. Quent in-Bentheim, ist am persönlichen 
Erscheinen verhindert und hat ein schriftliches Beferat erstattet unter spe¬ 
zieller Berücksichtigung der Verhältnisse des Kreises Bentheim. Danach ist 
auch er der Ansicht, dass Bau und Verwaltung von Krankenhäusern in 
gemischt-konfessionellen Gegenden nur den politischen Gemeinden überlassen 
werden sollte; überlässt man sie den kirchlichen Gemeinden, so kommt man an 
Verhältnissen wie jetzt in der Stadt Bentheim, wo ein protestantisches und ein 
katholisches Krankenhaus besteht, beide sind nicht recht lebensfähig und ent¬ 
sprechen in ihrer Einrichtung nicht den modernen Anforderungen. Er empfiehlt 
hauptsächlich die Einrichtung von Pflegerinnen-Stationen; für diese 
aber ebenfalls, trotz der von ihm voll gewürdigten gnten Eigenschaften der 
Ordensschwestern, in konfessionell gemischten Gegenden ans praktischen Gründen 
nar weltliche Pflegerinnen, die den politischen Gemeinden angegliedert werden 
müssten. Die Pflegerinnen, etwa von der sozialen Stellung der Hebammen, 
rekrutieren sich am besten aus Mädchen, jungen Frauen oder Wittwen des 
kleineren BürgerstandeB. Ihre Ausbildung soll in einem grösseren Kranken¬ 
hause erfolgen. Sehr wichtig ist es, dass die Pflegerin, ausser einer ge¬ 
nügenden Ausbildung in der eigentlichen Krankenpflege, auch befähigt ist, im 
Haushalte mit einzagreifen, was auf dem Lande, besonders bei Erkrankung 
der Hausfrau, oft fast wichtiger ist, als die Krankenpflege selbst. Die Ge¬ 
meindepflegerin muss mit Sitten, Gebräuchen und Sprache der Bevölkerung 
völlig vertraut sein; sie muss womöglich aus der Gemeinde stammen, worin 
sie pflegen soll. Für ®-ie Leistungen der Pflegerin wäre ein bestimmter Ge¬ 
bührensatz festzustellen, oder sie wird von der Gemeinde besoldet; letzteres 
hat aber gewisse Nachteile; besser erscheint es, ihr ein Mindesteinkommen 
zu gewähren. Für die kleinen Leute müsste die Pflege womöglich unent¬ 
geltlich sein. 

An der Diskussion über die beiden Vorträge beteiligt sich lebhaft 
die Mehrzahl der Anwesenden. Im grossen und ganzen finden die Ausführungen 
beider Referenten die Zustimmung der Versammlung. Nur über die Frage, 
ob es zweckmässig sei, die Krankenhäuser den politischen Gemeinden anzu- 
gliedern, oder sie wie bisher den kirchlichen Gemeinden zu belassen, bestehen 
Meinungsverschiedenheiten. Ebenso über die Frage, ob Laienschwestern, oder 
Ordensschwestern als Gemeindepflegerinnen vorzuziehen seien; die Mehrzahl ist 
allerdings der Ansicht, dass in konfessionell gemischten Gemeinden Laien- 
Schwestern den Vorzug verdienen. Heilmanns Vorschläge über die Ausge¬ 
staltung des Krankenhausweaens in den einzelnen Kreisen (1 zentrales Kreis- 
krankenhaus und Gemeinde-Pflegehäuser) begegnet vielfachen Widerspruch. 
Seine ungünstige Ansicht über die bisherigen praktischen Erfolge und den 
schematischen Betrieb der Lungenheilstätten wird von Grisar und Tholen 
geteilt. Kanzler und zum Sande schieben einen grossen Teil des bis¬ 
herigen Misserfolges auf unzweckmässige Auswahl des Krankenmaterials (zu 
weit fortgeschrittene Fälle) und glauben, dass bei zweckmässiger Auswahl 
doch gute und dauernde Erfolge erzielt werden können. 

II. Die Wartefrauen- Frage. Referent: Dr. Riss mann, Direktor 
der Prov. • Hebammenlehranstalt in Osnabrück. 

Hebammen und Wartefrauen werden in der Gesetzgebung des Deutschen 
Reiches als Stiefkinder behandelt. Nicht allein in den Einzelstaaten sind die 
Bestimmungen über das Hebammenwesen völlig verschieden, sondern auch in 
den einzelnen Provinzen bestehen grosse Differenzen. Für Wochenbettpflege¬ 
rinnen vermissen wir gesetzliche Bestimmungen gänzlich. Es ist dringend 
wünschenswert, dass möglichst bald die Frage der Wochenbettpflegerinnen 
staatUcherseits gesetzlich geregelt wird. Aus den Akten der Prov. - Hebammen¬ 
lehranstalt Osnabrück ist zu ersehen, dass bereits im Jahre 1862 die König!, 
hannoversche Landdrostei hier mit der Einrichtung von Wärterinnen - Kursen 
vorgegangen ist Die Wärterinnen wurden in den Hebammen-Kursen ausge¬ 
bildet Die hierüber erlassene Verordnung enthält Bestimmungen Uber die 
Vorbedingung zur Aufnahme und über die Ausbildung der Wärterinnen, welche 
in Anbetracht dessen, dass sie bereits vor 40 Jahren erlassen wurde, als vor- 



Atu Versaintalungeb and Vfcfeinen. 


523 


tägliche bezeichnet werden mttesen. Zar Zeit besteht in der Provinz Hannover 
diese Einrichtung nicht mehr, leider fehlen auch jegliche Bestimmungen Uber 
einen speziellen Lehrgang, ein bestimmtes Lehrbuch 1 ) ist nicht obli¬ 
gatorisch, eine Abgangsprüfung nicht vorgeschrieben. 

Seit dem 1. April 1902 ist anf Antrag R.s in der hiesigen Hebammen¬ 
lehranstalt ein dreimonatlicher Korsos fttr Wochenbettpflegerinnen eingerichtet 
Der Unterricht erstreckt sich anf: 

1. Grandzttge der Anatomie and Physiologie, namentlich der weibliohen 
Beokenorgane, 

2. Schwangerschaftsveränderungen and Veränderungen bei der Gebart, 
mit besonderer Berücksichtigung der Nachgebartsseit, 

3. Desinfektionslehre in extenso, 

4. Pflege der gesunden and kranken WOehnerin, 

6. Pflege der Neugeborenen, 

6. Krankheiten der Säuglinge. 

Ausführlicheres über die Gebnrtsvorgänge wird absichtlich 
nicht gelehrt. Die Wärterin soll eben am Kreissbette nur in Gegenwart von 
Arzt oder Hebamme behilflich snin. B. betont die Notwendigkeit, bei jeder 
vom Arzt geleiteten Gebart auch eine Hebamme zazoziehen, and nicht, wie 
vielfach üblich, nar mit einer Wärterin die Leitang einer Geburt zu über¬ 
nehmen. Er empfiehlt nach Vorgang des Düsseldorfer ärztlichen Vereins, in 
allen ärztlichen Vereinen den Antrag za stellen, dass die Leitung von Ge¬ 
barten ohne Zaziehang einer Hebamme von Vereinsmitgliedern nicht ge¬ 
schehen darf — Notfälle natürlich ausgenommen — and hält ein Gesetz für 
wünschenswert, welches Wochenbettpflegerinnen die Ueberwachang von Ge¬ 
barten direkt untersagt. B. erwähnt dann noch kurz die in den letzten drei 
Jahren von anderer Seite veröffentlichten and za seiner Kenntnis gelangten 
Vorschläge zur Begehung der Wochenbettpflegerinnen-Frage and stellt zum 
Schloss folgende Thesen auf: 

I. Das Gewerbe einer Wochenbettpflegerin darf nur von 
solchen Personen aasgeübt werden, welche im Besitze eines 
Prüfangszeagnisses von einer, durch den Staat für diesen 
Zweok bestimmten, Öffentlichen Anstalt sind. Diejenigen im 
Berufe befindlichen Wartefranen, welohe diese Bedingung 
nicht erfüllen, müssen binnen Jahresfrist sich der vorge¬ 
schriebenen Prüfung unterziehen. Beobachtung des Gehörte- 
verlanfs ohne Arzt oder Hebamme ist Wartefranen verboten. 

II. Vorschriften für den Lehrkursns: 

a) Für die Anfnahme ist Geburtsschein (Alter nicht über 
45 Jahre), polizeiliches Führungszeugnis und ärztliches Zeug¬ 
nis zu liefern. 

b) Die Befähigung Ut durch Zeugnis oder eine Prüfung 
nacbsuweisen (gute Volksschulbildung genügt wie fttr Heb¬ 
ammen). 

c) Der Kursus dauert 3 Monate, in demselben erteilt ein 
Arzt nach einem Lehrbuche Unterricht, und am Schlüsse ist 
vor einer Kommission eine theoretische und praktische 
Prüfung abzulegen. Nach bestandener Prüfung findet eine 
Vereidigung statt und die Abgabe einer Instrumentontasche 
an die Wartefrauen für die Praxis. 

UL Vorschriften für die Praxis: 

Die Wochenbettpflegerinnen unterliegen in ihrer Praxis 
in ähnlicher Weise der Kontrolle wie die Hebammen, d. h. sie 
müssen ein Tagebuch führen und alle Jahre dem Kreisärzte 
vorzeigen. Kindbettfieber, infektiöse Erkrankungen oder 
Todesfälle von Mutter und Kind, sind anzuzeigen und ist ent¬ 
sprechend den Anweisungen des Kreisarztes zu verfahren. 


l ) Der Vortragende bat ein sehr empfehlenswertes Lehrbuch kürzlich 
herausgegeben: »Lehrbuch für Wochenbettpflegerinnen.“ Von 
Dt. Paul Bissmann. Berlin 1902. Verlag von 8. Karger. Preis: 1,60 M. 
(Bemerkung des Beferenten.) 


5ä4 


Ins Versammlungen und Vereinen» 


Alle 3 Jahre findet eine Nachprüfung statt; bei ungenügenden 
Kenntnissen oder Uebersehreitnng der Befugnisse kann anf 
Geldstrafen, 14tägigem Nachkuren» oder Entziehung des Prtt- 
fungszeugnisses erkannt werden. 

An der Diskussion beteiligten sich Grisar, Tholen, Többen 
Heilmann, Schiermeyer, Kanzler, Bissmann. 

Die Ausführungen Kissmanns finden durchweg volle Zustimmung. 

Hierauf schliesst der Vorsitzende die Versammlung. 

Der grösste Teil der Anwesenden vereinigte sich dann noch zu einem 
gemeinschaftlichen Mahle im Hötel Dfitting. 

Stadtarzt De. Bitter-Osnabrück. 


Bericht über die Versammlung der Medizinalbeamten der 
Provinz Schleswig-Holstein in Neum finster am 19. April 

1903 . 

Anwesend Beg.- u. Med.-Bat Dr. Bertheau (Vorsitzender), alle Kreis¬ 
ärzte des Bezirks, Stadtarzt Dr. Sehr öd er-Altona, Gerichtsarzt Dr. Neid¬ 
hardt-Altona, die Kreisassistenzärzte Dr. Hillenberg-Oldesloe und Dr. 
Schulz-Niebüll und ferner Prof. Dr. Pischer-Kiel als Gast. 

Vor Eintritt in die Tagesordnung gedenkt Beg.- u. Med.-Bat Dr. Ber¬ 
theau des früheren langjährigen Leiters der Medizinalangelegenheiten der 
Provinz, des Geheimrats Prof. Dr. Bockendahl, der nach einem an Arbeit 
und Erfolgen reichen Leben am 16. Oktober vor. Jahres abbernfen worden iBt, 
und der beiden gleichfalls seit der letzten Tagung verstorbenen Kollegen, 
Kreisphysikus a. D. San.-Bats Dr. Hansen-Niebüll und Kreisarztes Dr. Deth- 
lefsen-Plön. 

1. Beg.- u. Med.-Bat Dr. Bertheau erläutert die Verfügungen, welche 
seit der vorjährigen Versammlung erlassen sind. Aus der Besprechung sei 
hervorgehoben, dass vom Herrn Begierungspräsidenten zum 1. Januar 1964 die 
Einführung einer fakultativen Leichenschau versucht werden soll, in dem Sinne, 
dass die Aerzte in den von ihnen behandelten Fällen um Abgabe einer Be¬ 
scheinigung über die letzte Krankheit ersucht werden und in ärztlich nicht 
behandelten Fällen die Einziehung eines Totenscheins dem Belieben der Polizei¬ 
behörden überlassen bleibt. 

2. Med.-Bat Dr. Bockend ah 1-Kiel erbittet sich die Abschriften der 
von den Hebammen ausgefüllten Fragebögen, die er für die Provinz sta¬ 
tistisch zu bearbeiten beabsichtige. 

3. Med.-Bat Dr. Asmussen-Bendsburg bemängelt an den von ver¬ 
schiedenen Firmen bezogenen Dienetformularen, dass oft bei wichtigen 
Fragen zu wenig und bei minder wichtigen zu viel weisser Baum vorgesehen 
sei und empfehle es sich daher, im Verein brauchbare Formulare zusammen- 
zustellen, wofür jedoch keine Stimmung vorhanden ist. 

4. Med.-Bat Dr. Horn-Tendern wünscht, dass die zwischen Aerzte- 
kammer und Provinzial vor stand der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft 
vereinbarten Atteetformulare und Gebührensätze von den Medizinal¬ 
beamten anerkannt werden, wohingegen von anderer Seite der freien Begut¬ 
achtung das Wort geredet und eine der Taxe entsprechende Honorarforderung 
als angemessen erachtet wird. 

5. Med.-Bat Dr. Horn berichtet über die bei der Aerstekammer zur 
Verhandlung stehende Gründung einer zwangsmässigen Unterstützungs¬ 
kasse für die Aerzte des Bezirks, in welche die Praxis treibenden Kreis¬ 
ärzte mit einzuschliessen beabsichtigt sei. Man einigt sich in längerer Dis¬ 
kussion, im Falle eines Zustandekommens der Kasse auf eine freiwillige Mit¬ 
gliedschaft der Medizinalbeamten hinwirken zu wollen. 

6. Prof. Dr. Fischer dankt zunächst für die Einladung und erbietet 
sich zur ferneren Teilnahme, die ihm die erwünschte Gelegenheit gebe, mit 
den Kreisärzten dauernd in Fühlung zu bleiben. Darauf referiert er über den 
von Geheimrat Dr. Koch am 28. November 1902 vor dem wissenschaftlichen 
Senat bei der Kaiser Wilhelms-Akademie gehaltenen, die Bekämpfung des 
Typhus behandelnden Vertrag, der in dieser Zeitschrift noch nicht zur Sprache 
gekommen ist und daher in seinen Hauptzügen hier mitgeteilt sei: Um eine 



Am Versammlungen and Vereinen. 


625 


Infektionskrankheit wirksam za bekämpfen, müsse man den Infektionsstoff 
sicher nnd schnell anffinden and ihn sicher abtoten können. Es sei seit län¬ 
gerem bekannt, dass diese beiden Vorbedingungen bei der Cholera and bei der 
Malaria za erfüllen wären, er sei jetzt aber auch in der Lage, den Nachweis 
an erbringen, dass anoh hinsichtlich des Typhus alle Schwierigkeiten als über¬ 
wanden gelten müssten. Man könne nämlich durch das von Drigalski und 
Conradi ausgebildete Untersuchungsverfahren in Verbindung mit der Agglu¬ 
tinationsprobe innerhalb 20—24 Stunden die Typbaserreger im Stahl sicher 
nachweisen; desgleichen sei die frühere Ansicht, dass die Typhnsbazillen sich 
jahrzehntelang ausserhalb des Körpers halten nnd vermehren könnten, nicht 
mehr haltbar. Denn wenn der Nachweis von Typhnsbazillen in zweifellos 
infiziertem Brunnenwasser so selten gelinge, so lasse das den Schloss sn, dass 
sie im Wasser kein langes Leben führen könnten; ferner müsse auch ihre 
Lebensfähigkeit im Boden eine beschränkte sein, da sich bei kleineren Epide¬ 
mien, welche nach dieser Bichtang hin die grösste Beweiskraft hätten, ver¬ 
folgen lasse, wie die Krankheit von einem Individuum auf ein anderes über¬ 
gehe. Der TyphMbacillus sei daher auch ein obligater Parasit, der sich viel¬ 
leicht etwas länger im Boden halten könne als der Cholerakeim, aber schliesB- 
lich doch anch zu Grande gehe. Um die Richtigkeit dieser Anscbannngen an 
erweisen, habe er in dem Dorfe Waldweiler, in der Nähe von Trier belegen, 
einen alten Typhnsherd aufgesucht, hier alle für Diagnostik nnd Behandlnng 
nötigen Veranstaltungen getroffen nnd dann die Epidemie einer näheren Unter¬ 
suchung unterzogen. Dabei habe sich heransgestellt, dass ausBer den 8 ärzt¬ 
licherseits angemeldeten noch 64 andere Individuen mit Typhnsbazillen be¬ 
haftet gewesen wären, die sich entweder vollkommen wohl gefühlt, oder 
nnr geringfügige Krankheitserscheinungen hätten erkennen lassen. Wenn 
es sich dabei namentlich um Kinder gehandelt habe, so dürfe man das darauf 
snrückffihren, dass eine ganze Reihe von Erwachsenen die Krankheit bereits 
überstanden hätte und daher immnn gewesen wäre. Hinsichtlich der An¬ 
steckung habe er den Nachweis führen können, dass die Krankheit ohne Ver¬ 
mittelung von Wasser weiter gegangen sei. Indem nun alle schweren Typhus- 
kranken in einer Döckerschen Baracke nntergebracht nnd erst nach dreimaliger 
ergebnisloser Untersuchung ihres Stuhls auf Bazillen wieder entlassen, alle 
leichteren Erkrankungen, wie alle sonst noch Typhnsbazillen beherbergenden 
Personen durch geschaltes Hilfspersonal strenge überwacht nnd ferner alle 
irgendwie infektionsverdächtigen Betten, Kleider nsw. von einem Desinfektor 
desinfiziert worden wären, sei es innerhalb dreier Monate gelungen, den Typhus 
dort ganz ansznrotten. Ein etwaiger Einwand, dass das Aufhören der Epidemie 
ein zufälliges gewesen sei, werde dadurch hinfällig, dass der Typhus in den 
andern Dörfern des Hochwaldes weiter bestanden habe. 

Anschliessend an das Referat erklärt Prof. Fischer sich znr Nach¬ 
prüfung dieser für die Bekämpfung des Typhus hochbedentsamen Beobachtangen 
bereit and ersucht die Teilnehmer, ihm von geeigneten Fällen, soweit sie von 
Kiel aus leicht erreichbar wären, Mitteilung znkommen zu lassen. 

7. Znm Schluss berichtet Dr. Schröder über die jüngst erlebte kleine 
Pocken-Epidemie in Altona (Antoreferat): 

Ende Dezember v. J. erkrankte im Altonaer Krankenhanse ein Geistes¬ 
kranker, welcher dort schon seit September in Behandlnng war, an Pocken. 
Auf welchem Wege die Krankheit eingeschleppt war, konnte nicht nachgewiesen 
werden. Der Kranke starb am 5. Jannar d. J., nachdem er eine Reibe von 
Infektionen gesetzt hatte. Es erkrankten in der Zeit vom 9. bis Ende Jannar 
in Altona weitere 15 Personen, von denen 18 (7 im Krankenbanse, 6 in der 
Stadt) direkt auf den nngemein infektiösen ersten Fall znrückznführen waren, 
nnr weitere 2 Fälle kamen durch Uebertragung in der Stadt vor. Anch nach 
Schrimm in der Provinz Posen wnrde die Krankheit dnreh einen ans dem 
Altonaer Krankenhanse entlassenen Patienten verschleppt. Von den 16 in 
Altona Erkrankten starben 3, von welchen einer undeutliche, die anderen 
beiden keine Impfnarben hatten, so dass es fraglich ist, ob sie jemals geimpft 
waren. Ausserdem starb noch ein Kranker in der Rekonvalescenz an Magen¬ 
krebs. 9 hatten Variola, 7 Variolois. Von diesen waren 5 revacciniert, 1 batte 
schon einmal Pocken gehabt nnd noch deutliche Pockennarben, 1 einjähriges 
Kind war noch nach der Infektion geimpft, 2 waren im Alter von 50—60, 



Ans Versammlungen and Vereinen. 


526 

10 im Alter von 40—50, 1 im Alter ron 20—30, 1 im ersten Lebensjahre. 
Demonstration einiger Photographieen ron Pockenkranken. 

Die Pocken sind ungemein ansteckend, noch mehr als die Masern. Das 
Kontaginm haftet am KOrper der Pockenkranken und ist enthalten in den 
Pockenpnsteln su jeder Zeit ihrer Entwickelung, im Answnrf und Speichel, 
nach Pfeiffer anch im Urin nnd in den Tränen. Ferner ist es im Blut 
enthalten, anscheinend nicht im Inknbationsstadinm, sicher aber im ersten 
Fieberanfall nnd vielleicht anch während des sweiten Fiebers nnd in der Zeit 
zwisohen erstem nnd zweitem Fieber. 

Vom Körper des Pockenkranken geht das Kontaginm über in die um¬ 
gebende Atmosphäre, an staubförmige Körper gebunden, nnd zwar schon im 
Inknbationsstadinm (Fall von Hngnenin). 

Diese Möglichkeit ist plausibel, wenn man der Ansicht Pfeiffers folgt, 
dass sich in der Inkubationszeit anf der Schleimhaut der Luftwege eine Proto- 
pnstel bildet. Von dem Moment an. wo die Pocken Aber das Knötchenstadium 
hinaus sind, besonders zur Zeit der Krnstenbildung, ist die Möglichkeit zu einer 
Verstänbnng des Pockengiftes immer gegeben, doch sind die Angaben Aber die 
Entfernungen, anf welche es sich dnreh die Luft verbreiten sein soll, fibertrieben. 
Man muss aber die Lnft im Krankenzimmer nnd im Hanse des Kranken als 
infiziert ansehen. 

Frtther meinte man wiederholt ans Bakterien, welche ans dem Pustel¬ 
inhalt gezüchtet waren, den Erreger der Pocken isoliert in haben, es lief aber 
durch die Knltnren immer etwas mit, was unerkannt blieb, v. d. Löff, 
Pfeiffer, Guarnieri n. a. suchen den Erreger unter den Protozoen und 
haben sowohl in der Vaccine-, wie in der Pockenpnstel konstant einen Para¬ 
siten gefunden, welchen Gnarnieri in der Hornhaut von Kaninchen rein 
gesfiohtet hat (Demonstration der Guar nierischen Körperchen). Ob der 
Parasit Sporen bildet nnd wie er ins Blnt aufgenommen wird, wissen wir 
nicht (Darstellung der Pfeifferschen Theorie). 

Als Sehntzmassregeln kommen in Anwendung: 

1. Schutzimpfungen nnd 20 tägige Kontrolle der Angehörigen nnd sämt¬ 
licher Personen nebst Familien, welche mit dem Pockenkranken irgendwie in 
Berfihrnng gekommen sind. 

Eine Verordnung vom 2. September 1811 giebt in Schleswig-Holstein 
eine Handhabe zn Zwangsimpfungen. Erörterung der Fragen, wann der Impf¬ 
schutz nach der Impfung eintritt nnd ob bereits mit Pocken infizierte Personen 
durch nachträgliche Vaccination geschätzt werden können, Demonstration einer 
Photographie eines einjährigen Kindes, welches nach der Infektion geimpft ist 
und ausser den stark entwickelten Vaccinepusteln vereinzelte Pockenpusteln 
aufweist. Die Dauer des Impfschutzes ist individuell ganz verschieden; von 
den in Altona anlässlich der Pockenerkranknngen geimpften Personen wurden 
30 bis 40 °/ 0 mit Erfolg geimpft. 

Als weitere Massregeln kommen neben der Schutzimpfung in Betracht: 

2. Strenge Isolierung der Erkrankten und Verdächtigen. 

3. Sorgfältige Desinfektion. 

Beim Ansbmoh von Pocken sind baldigst die Aerzte des Bezirks zn be¬ 
nachrichtigen. Dr. Rohwedder-Batzebnrg. 


Verhandlungen der Medlco- legal society of New-York. 

17. Desember 1902. 

The medico legal journal; 1903, XX., März, S. 560. 

Die Sitzung wurde durch Vorlesung eines Vortrages von Geh. Med.-Bat 
Dr. Hermann Kornfeld, Gerichtsarzt in Gleiwitz eingeleitet, der als Ehren¬ 
mitglied der Gesellschaft einen Vortrag: „Deutsche Ansichten über Geistes¬ 
krankheit vom juristischen Standpunkte“ vorgelegt batte. Es folgten Vor¬ 
träge von Dr. Purdy-New-York: „Ober die Abschaffung des Coroner* 
nnd von Dr. St. Smith: „über Aendernngen im Gesetse über Pflichten 
nnd Amt des Coroners*. 

Letzterer führte etwa folgendes ans: 

Die Erforschung der Todesursachen, insbesondere bei plötzlichem Tode 
hat sowohl für die öffentliohe Gesundheitspflege, als für das Beehtswesen die 



Besprechungen. 


627 


grösste Bedeutung. Die Pflichten, die bisher dem Coroner obliegen, lassen sieh 
non sorgfältiger, genauer nnd zweckmässiger dadurch erledigen, dass sie znm 
Teil durch den ärztlichen Sachverständigen, znm anderen Teile durch 
einen Juristen ansgeftthrt werden. Ein erfahrener ärztlicher Sachverständiger 
kann die geheimnisvolle Geschichte eines Verbrechens in den Geweben nnd 
Organen der Leiche verfolgen nnd oft die Schuld des Täters in Fällen nach- 
weisen, in denen jeder sonstige Beweis fehlt, anderseits aber anch einen Un¬ 
schuldigen in Schntz nehmen, den eins unvollständige oder oberflächliche Unter¬ 
suchung verurteilt haben würde. 

Als geeigneter Sachverständige ist der medical officer of health anzn- 
sehen. Nach dem Gesetz von 1885 l ) hat jetzt jedes grössere Gemeinwesen des 
Staates New-York ein gründlich organisiertes Gesundheitsamt, das anch die 
Bearbeitung der standesamtlichen Statistik zn besorgen hat. Die Gesundheits- 
beamten haben die Bescheinigungen nnd Berichte über die Todesursachen, über 
die Befunde der jnries in Empfang zn nehmen, zn prüfen nnd sicher zn stellen. 
Diese Behörde ist ferner ermächtigt, die Personen zn bezeichnen, die Begräb¬ 
nisscheine nnd Leichenpässe ansstellen dürfen. Keine Leiche darf beerdigt 
werden, ehe nicht dem Gesnndheitsamte ein genügend bescheinigter Bericht 
des behandelnden Arztes ansgebändigt ist. Das Amt darf bei Nichtbeachtung 
seiner Anordnungen Strafen verhängen. Alle örtlichen Gesundheitsämter unter¬ 
stehen der Beaufsichtigung des State board of health, das bei Nichtbeachtung 
der Vorschriften über Registrierung der Todesfälle diese Vorschriften zwangs¬ 
weise durchführen darf. 

Da bis in die entlegensten Gegenden hin die geschilderte Organisation 
ins Leben gerufen ist, da die Gesundheitsämter überdies nicht bloss sachver¬ 
ständige Aerzte, sondern auch chemische und pathologische Sachverständige zu 
Mitgliedern zählen, so bürgen sie für eine gründliche forensisch medizinische 
Prüfung jedes verdächtigen Todesfalles. Ueberträgt man nun noch einem 
Juristen, dem Polizei- oder dem Friedensrichter die rechtliche Seite der An¬ 
gelegenheit, so ist der Coroner überflüssig. 

Dr. Mayer-Simmern. 


Besprechungen. 

Hermann Peters: Der Arzt und die Hellkunst in der deutschen 
Vergangenheit. Mit 158 Abbildungen und Beilagen nach den Originalen 
des 15.—18. Jahrhunderts. Leipsig 1902. Verlag von Engen Diederichs 
Preis: 4 Mark. 

Das Buch gehört zn den Monographien zur deutschen Kulturgeschichte, 
die Dr. G. Steinhausen im Diederichssehen Verlage berausgibt. Reich 
geschmückt mit Nachbildungen alter Holzschnitte und Kupferstiche behandelt 
das auch äusserlioh vortrefflich und geschmackvoll ansgestattete Werk zahl¬ 
reiche Kapitel, besonders aus der mittelalterlichen Vergangenheit der Heilkunst. 
Im bunten Wechsel, wenn auch nicht streng wissenschaftlich, wird das Leben 
und Treiben der damaligen Aerzte geschildert mit Wort und Bild, und oft 
sagt man sich, — es war doch damals schon oft ganz so wie jetzt bei uns. 

Als erster Heilkundiger wird Odin erwähnt, von dessen „Praxis“ die 
Merseburger Zaubersprüche erzählen, und als „letzter und sicherster Arzt der 
Vetter Knochenmann, der alle Krankheiten heilt“. Wirkliche Aerzte gab es 
im frühesten Mittelalter in Deutschland wohl nur an den Höfen der Könige; 
das Volk musste sich mit Kurpfuschern begnügen. 

Das Apothekenwesen, das Hebammenwesen, Krankenhäuser und medi¬ 
zinische Unterrichtsanstalten werden gleichfalls besprochen. Für den Medi¬ 
zinalbeamten findet sich manches Interessante in dem Buche, z. B. das erste 
Medizinalgesetz erliess 1224 der Enkel Kaiser Barbarossas, der Hohenstaufe 
Friedrich II; in diesem Gesetz wurde das Studium, die Prüfung und die Be¬ 
zahlung des Arztes, sowie sein Verhältnis zum Apotheker geregelt. Der erste 
Stadtarzt tauchte schon 1877 in Nürnberg auf mit 50 fl. vierteljährlicher Be¬ 
soldung. 


‘1 Conf. Rapmund: Das öffentliche Gesundheitswesen. Leipzig 1901. 
Seite 118. 



528 


Besprechungen. 


Weitere Binielheiten za erwähnen, würde za weit führen. Des Lesen 
des interessanten Baches kann nnr empfohlen werden. 

Dr. Pilf-Alsleben a. S. 


Dr. O. Mugd&n, Arzt in Berlin: Kommentar für Aerzte zum Ge¬ 
werbe-'O'nfallversicherungsgesetze nebst dem Gesetze betr. die 
Unfallrersloberungsgesetze rom 80. Juni 1900. Berlin 1902. Ver¬ 
lag von Georg Bei me r. Gr. 9°; 215 8. Preis: 5 Mark. 

In fast allen aas ärztlichen Kreisen stammenden und für Aerzte be¬ 
stimmten Werke über die Unfallversicherung ist, wie dies nahe liegt, haupt¬ 
sächlich der medizinische Standpunkt berücksichtigt, während die gesetzlichen 
Bestimmungen u. s. w. nur insoweit wiedergegeben sind, als sie speziell die 
Saohverständigentätigkeit auf diesem Gebiete berühren. Gerade die Aerzte 
kommen aber sehr häufig in die Lage, sich auch über die sonstigen gesetzlichen Be¬ 
stimmungen und die massgebende Bechtsprechung auf diesem Gebiete informieren 
zu müssen, und sicherlich hat schon mancher von ihnen ein Werk vermisst, 
das, wie das vorliegende, nicht nur den Text der betreffenden Gesetze und 
Ausführungsbestimmungen im Wortlaute wiedergibt, sondern diese auch an der 
Hand der bisherigen Bechtsprechung des Beicbsversicherungsamts in einer 
gerade dem Bedürfnis des Arztes angepassten Weise erläutert. Der Kommentar 
wird daher sicherlich sehr bald in ärztlichen Kreisen eine grosse Verbreitung 
finden, die er auch im vollstem Masse verdient. Bpd. 


Dr. A. Eulenburg, Geh. Med.-Bat und Professor in Berlin: Sadismus und 

Masooblsmus. Wiesbaden 1902. Verlag von Bergmann. Gr. 8°; 89 8. 

Preis: 2 Mark. 

Der Sadismus (nach dem Marquis de Sade genannt) ist nach Krafft- 
Ebing eine Form sexueller Perversion, welche darin besteht, dass Akte der 
Grausamkeit, am KOrper des Weibes vom Manne verübt, nicht sowohl als präpa- 
ratorische Akte des Coitus bei gesunkener Libido - Potenz, sondern sich selbst 
als Zweck Vorkommen, als Befriedigung einer perversen vita sexualis. Unter 
den Begriff des Masochismus (nach dem Schriftsteller von Sacher-Masoch 
genannt) gebären nach Krafft-Ebing diejenigen Fälle, wo der Mann auf 
Grund von sexuellen Empfindungen und Drängen sich vom Weibe misshandeln 
lässt und in der Bolle des Besiegten statt des Siegers sich gefällt. Sadismus 
und Masochismus schliessen sich nach Eulenburg nur in der Theorie aus. 
Sie sind in Wahrheit verwandt und beiden ist gemeinsam, dass Schmerz, sei 
er zugefügt, erduldet oder auch imaginär, zur Quelle von Wollustgefühl wird. 
Er braucht nicht nur physischer Natur zu sein, sondern auch der moralische 
Schmerz in der Form der Demütigung und Erniedrigung kann zum Ausgangs¬ 
punkt von Wollustgefühlen werden. Zwischen Wollust und Grausamkeit oder 
Schmerz bestehen nahe Beziehungen, und zwischen Lust und Unlust sind eigen¬ 
tümliche Verkettungen vorhanden, wie sie auch regelmässig beim Coitus der 
Gesunden und nach demselben mehr oder minder deutlich ins Bewusstsein 
treten. Hier liegen nach Eulenburg die Wurzeln des Sadismus und Maso¬ 
chismus. An diese Darlegungen schliessen sich im vorliegenden Hefte bio¬ 
graphische und literarische Hinweise auf Marquis de Sade und Sacher- 
Masoch an und leiten zur speziellen Symptomatologie und Entwickelungs- 
gesohichte der besprochenen Erscheinungen hinüber. Die Schrift ist höchst 
interessant; die Schlaglichter, die auf den lyrischen Stimmungsgehalt der 
heutigen Poesie fallen, sind frappirend. Die Lektüre des Baches ist durchaus 
zu empfehlen. Dr. Lewald-Obernigk. 


Dr. Havelook Bill«: Geschlechtstrieb and Schamgefühl. Autori- 
sirte Uebersetzung von Julia E. Kötseher unter Bedaktion von Dr. Max 
Kötscher. Zweite unveränderte Auflage. Würzburg 1902. Verlag von 
A. Stüber (C. Kabitzsch). Preis: 5 Mark. 

Das vorliegende Buch zerfällt in drei gesonderte Abschnitte, die dem 
Verfasser nothwendige Prolegomena für eine Analyse des geschlechtlichen In¬ 
stinktes zu sein scheinen, welche ja die Hauptrolle bei einer Erforschung der 
Gescblechtsphysiologie spielen muss. Die erste Studie führt den Titel: Die 
Entwicklung des Schamgefühls. Dies Gefühl wird definirt als die 



Besprechungen. 


629 


instinktive Fnroht, die znm Verheimlichen, zum Verbergen treibt; dies Ge* 
fühl bezieht sieh gewöhnlich auf die sexuellen Vorgänge. Es ist zwar beiden 
Gesehleehtern gemeinsam, tritt aber doch beim Weibe so viel stärker auf als beim 
Hanne, dass man es als eins der wichtigsten sekundären Geschlechtscbarakters 
des Weibes auf psychischem Gebiete bezeichnen kann. Dem Schamgefühl und 
seinem Fortschritt, seiner Ausdehnung und Vertiefung verdanken wir nicht 
nur die Verfeinerung und Entwicklung der sexuellen Gefühle, sondern anch 
die durchgreifende Bolle, welche die sexuellen Instinkte in der Entwicklung 
aller menschlichen Kultur gespielt haben. Dass das Schamgefühl — wie alle 
eng verwandten Gefühle — auf Furcht, einer der primitivsten Gefühle, be¬ 
gründet ist, wird allseitig zugegeben werden müssen. Schamgefühl ist eine 
Anhäufung von Furchtgef üblen, und man kann hauptsächlich zwei Furchtge¬ 
fühle unterscheiden: das eine, von noch vormenschlichem Ursprung und nur 
vom weiblichen Wesen ausgehend, das zweite von ausgesprochen menschlichem 
Charakter und eher sozialem als sexualem Ursprung. Das erste Gefühl ist 
ursprünglich dazu geschaffen, den agressiven Hann fernzuhalten, fordert aber 
vielmehr ihn zu seiner Ueberwindung auf; unter den Furchtgefüblen mehr 
sozialen Ursprungs steht in erster Linie die Befürchtung, Ekel zu erregen. 
Da die Verdauungs- und Geschlechts-Exkrete und -Sekrete entweder nutzlos 
oder nach weitverbreiteten primitiven Anschauungen sogar höchst gefährlich 
sind, wurde die genito-anale Region zum gemeinsamen Hittelpunkte des Ekels. 
Im Zusammenhang damit ist eine ganz spezielle Art des Schamgefühls bei 
wilden Völkern sehr interessant, nämlich das Gefühl der Schamlosigkeit in 
Bezug auf das Essen. Wo dieses Gefühl besteht, wird das Schamgefühl duroh 
gemeinschaftliches oder öffentliches Essen schwer verletzt; neben anderen Rei¬ 
senden erzählt z. B. v. d. Steinen in seinem bekannten Buch über Brasilien, 
dass die Bakairi in Zentralbrasilien ein Schamgefühl bezüglich ihrer Nacktheit 
nicht kennen, aber nicht gemeinschaftlich essen. Sie ziehen sich zum Essen 
zurück; v. d. St. bemerkte, dass sie ihren Kopf in beschämter Verwirrtheit 
hängen Hessen, als sie ihn selbst öffentlich essen sahen. — Neben dieser Furcht, 
Ekel zu erregen, beruht das Schamgefühl häufig auch auf gesellschaftlichen 
und rituellen Rücksichten. Ursprünglich ist jedes Schamgefühl ganz unab¬ 
hängig von der Kleidung, die nicht sowohl den Zweck hat, die Geschlechts¬ 
organe zu verbergen, als vielmehr sie hervorzuheben, da Nacktheit eben keuscher 
ist, als theilweise Verhüllung. Als die physiologische Grundlage des Scham- 
geftlhls sieht unser Autor den vasomotorischen Hecbanismus an, dessen sicht¬ 
bares Zeichen das Erröthen ist. Alle verwandten Abarten der Furcht: Scham, 
Schüchternheit, Aengstlichkeit, werden in gewissem Grade von diesem Hecha- 
niamus getragen. Es ist daher auch bis zu einem gewissen Grade richtiger, 
zu sagen, dass Menschen schamhaft sind, weil sie erröthen oder fühlen, dass 
sie erröthen können, als dass sie erröthen. weil sie schamhaft sind. Eine merk¬ 
würdige kompletäre Beziehung besteht zwischen dem Gesicht und der regio 
sacro- pubica als anatomischem Sitz des Schamgefühls. Wo — wie bei den 
mohamedanischen Völkern — das Gesicht der Brennpunkt des Schamgefühls ist, 
wird die Blossstellnng des übrigen Körpers ganz gleichgültig behandelt; jeder 
Arzt hat gesehen, dass bei einer Untersuchung der Geschlechtsorgane Frauen eine 
Beruhigung darin finden, ihr Gesicht in den Bänden zu verbergen, obwohl gerade 
diesem Körpertheil nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt wird. 

Der zweite Abschnitt behandelt die Erscheinung der sexuellen 
Periodizität. Wie Rythmus überhaupt das Kennzeichen jedes biologischen 
Vorganges ist, so sind auch in der ganzen pflanzlichen und thierischen Welt 
die geschlechtlichen Funktionen periodisch. Die Menstruation, die ihrem Wesen 
nach eigentlich ganz unbekannt ist, mit ihrem starken Einfluss auf die soziale 
Stellung des Weibes, hat im Geschlechtsleben des Mannes einen Parallelvor¬ 
gang; auch beim Manne werden monatliche Schwankungen und Aenderungen 
von körperlichen und geistigen, von gesunden und kranken Eigenschaften beob¬ 
achtet. Von einigen Autoren wird ein Zyklus von 23 Tagen behauptet; es 
scheiut, als ob die Pollutionen ebenfalls eine gewisse Periodizität innehalten. 
Nelson, Professor für Biologie, veröffentlichte 1888 im American journal of 
psychology eine Studie über eigene Träume und Pollntinnen auf Grund zwei¬ 
jähriger eigener Beobachtungen und glaubte, alle 28 Tage einen Höhepunkt 
der Träume und Pollutionen konstatiren zu dürfen. Eine andere eigene, durch 
12 Jahre hindurch geführte Beobachtung schien einen deutlich wöchentlichen 



580 


Besprechungen. 


Rythmus hinsiohtlich der Pollutionen erkennen zu lassen. Immerhin ist die 
ganse Frage noch nicht spruchreif. 

Der dritte nnd grösste Abschnitt des Boches behandelt den „Auto- 
Erotismus“, d. h. das Phänomen der spontanen geschlechtlichen Erregung 
ohne irgend welche Anregung, direkt oder indirekt, seitens einer anderen 
Person. Dies Oebiet ist sehr ausgedehnt; es erstreckt sich von den ge¬ 
legentlichen wollfistigen Tagesträumen, bei denen das Indiriduum völlig passiv 
bleibt, bis zu den beständigen schamlosen Versuchen zur geschlechtlichen 
Selbstbefriedigung, die man häufig bei Geisteskranken beobachtet. Die typische 
Form des Autoerotismus aber ist die gesteigerte geschlechtliche Erregung wäh¬ 
rend des Schlafes. Der Verfasser bringt ein riesenhaftes Th&tsachen-Material 
zusammen; bespricht die Masturbation bei Thieren, bei unkultivirten Völkern, 
den Missbrauch gewöhnlicher Geräthe und Gegenstände (Haarnadeln), die Unter¬ 
schiede der erotischen Träume bei Mann und Weib und kommt dann eingehend 
auf die Beziehung dieser Erscheinung zur Hysterie zu sprechen. Er zeigt 
ausführlich, welche Umwandlungen die Lehre von den Ursachen der Hysterie 
im Laufe der Zeit erfahren hat, und erklärt, dass er der neuesten Theorie von 
Freud und Breuer sympathisch gegenübersteht, ohne damit die ganze Frage 
als definitiv gelost zu betrachten. 

Was die Häufigkeit der Onanie anbetrifft, so wird Burger’s An¬ 
sicht, dass 99 Prozent aller jungen Männer und Frauen gelegentlich mastur- 
biren, während der Hundertste die Wahrheit verbirgt, als zu weitgehend be¬ 
zeichnet; Moraglia stellt durch Nachfragen 60 Prozent fest. Ob diese Ge¬ 
wohnheit bei Männer oder Frauen häufiger ist, ist zweifelhaft Betau’s 
Selbstbewahrung und ähnliche Litteratur unserer Tage hat übrigens, wie der 
Verfasser des Näheren ausführt, schon Anfang des 18. Jahrhunderts einen Vor¬ 
läufer gehabt in dem Buche eines Engländers, das 80 Auflagen erlebt haben 
soll und in welchem eine „stärkende Tinktur“ empfohlen und in den mitabge- 
druekten Briefen der Patienten gelobt wird. Entgegen der früher herrschenden 
Ansicht von der grossen Gefährlichkeit und Schädlichkeit der Onanie vertritt 
Verfasser den Standpunkt, dass massige Masturbation bei gesunden, erblich 
nicht belasteten Menschen keine verderblichen Folgen hat. Masturbation 
schadet nicht mehr und nicht weniger, als geschlechtlicher Verkehr, der ebenso 
häufig und bei demselben allgemeinen Gesundheitszustände, in demselben Alter 
unter anderen Verhältnissen gepflogen wird. Als allgemeine Regel stellt Autor 
die Ansicht auf, dass, wenn Masturbation nur in langen Zwischenräumen geübt 
wird, und um faute de mieux Erleichterung von psychischem Druckgefübl und 
geistigem Unbehagen zu erzielen, sie als ein natürliches Resultat unnatürlicher 
Umstände betrachtet werden kann. Wenn sie aber, wie es bei Degenerirten 
häufig vorkommt und wie es bei schüchternen und phantasiereichen Personen 
auch manchmal der Fall sein kann, dem geschlechtlichen Verkehr vorgezogen 
wird, dann ist sie sofort anormal und kann möglicherweise zu einer Reihe von 
geistigen und körperlichen schädlichen Folgen führen. — Eine kurze Ueber- 
sieht über die Beurtheilung, welche die Onanie bei verschiedenen Völkern und 
in den verschiedensten Religionen findet, bildet den Schluss des dritten Ab¬ 
schnittes des Baches. Im Anhang wird zunächst der Einfluss der Menstruation 
auf die Stellung der Frau, dann eine Arbeit von Perry-Coste über Sexual- 
Periodizität beim Manne im Auszug wiedergegeben und schliesslich der auto¬ 
erotische Faktor in der Religion besprochen. 

Die Lektüre des Buches fesselt durch die ausserordentliche Belesenheit 
des Verfassers, durch seine Fülle von Beobachtungen und durch den kritischen 
Geist, von dem es durchweht wird. Dt. Lewald-Obernigk. 


Prot Dr. mod. Max Fleaoh, Frauenarzt, nnd Dr. Jur. Ludwig Wezt- 
halmer, Rechtsanwalt in Frankfurt a. M.: Geschlechtskrankheiten und 
Rechtsschutz. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1908. 82 Seiten. 

Preis: 2 Mark. 

Mit Rücksicht auf die Erweiterung unseres medizinischen Wissens be¬ 
züglich der Geschlechtskrankheiten und ihrer Folgen wird sehr eingehend die 
Notwendigkeit einer Abänderung der zivilrechtlichen, dagegen nicht der straf¬ 
rechtlichen Bestimmungen erörtert und zwar werden bezüglich der Ehe folgende 
rderungen gestellt': 



Besprechungen, 531 

1. Gonorrhoe and Syphilis gelten eo ipso, weoa sie während der Sh» hei 
«Sem Ehegatten direkt oder indirekt Auftreten, als Kheecbeidungsgrned, ohne 
8c6b es des Nachweises des Ehebrüche bedarf. 

2. Die Zulassung der EideaiUBcbiebung «lg Beweismittel in allen den 
Ehesachen. die auf das Auftreten ros Syphilis und Gonorrhoe gestützt Bind, 
für die Tatsachen, welche sich auf die Entstehung und Art der Krankheit 
bestehen. 

S. Entbindung des behandelnden Arztes von Wahrung des Berufsgeheim¬ 
nisses in solchen Ehesachen. 

Betreffs der Entschädigung des mit einer Geeeblechtskrenkbeit Infisierten 
wird verlangt, dass schon Ah* VeraBlaswang einen Grund «uw. Schadenersatz 
abgibt und «war ohne Unterschied, ob die Infizu rang beim eheliches oder 
angserehelichen Geschlechtsverkehr erfolgt; mindestens aber müsse umgekehrt 
dem Urheher des Schadens die BeWöislMt aufgebürdet werden, daee der Schaden 
itrotg der von ihm angewändeten ordnnngsmässige» Sorgfalt eingetreteß i«t. 

„Aber auch dieec Besömmuagen würde» ohne praktiacben Wert aein, 
solange nicht durch eine Umwandlung der Sitten häutiger Ansprüche auf 
Schadenersatz geltend gemacht würden« Erst wenn die Auffosttaeg eine allge¬ 
meine Wird, in jedem Akte geschlechtlichen Verkehrs nicht «inen Moment 
Süchtigen Siaacafaasches, sondern ein folgenrchwerca Handeln in «eben ood 
wenn derjenige, 4er eich dieser Verantwortung entricht, der allgemeinen Ver¬ 
achtung anheimfXllt, wird aus dem Kampfe gegen die venerischen Seuchen sin 
sittlicher Portschritt der Menschheit hemrgehenA 

Dieser Standpunkt des Verfassers ist ein »ehr idealer und bann man 
nur wünsch«», dass ihre Hoffnungen in Erfüllung gehen. Im übrigen habe» 
die Verhandlungen des Frankfurter Kongresses doch etwas andere Ansichten, 
nicht nur der Juristen, sondern auch dar Mediriaer ergeben. 

Dr. Bloh nse wa kl-Nieder breieig».Rh. 

Dr. Bexxutrd Boiiniki, PrivatdoieflifttrGyn&koIogie in Königsberg.' Die 
Syphiliu La der Schwacuger&obaft. Verlag von Ferdinand Enke. 
Stuttgart 1903. 206 Seiten. Preis: 10 Mark. 

Es handelt sich utn eine Monographie über das gesamte Gebiet der fatalen 
Lues, insbesondere über die uterine Uebertragnng, teils referierend, teils be¬ 
sonders in den konträrer»*» Punkten, auf Grund persönlicher Erfahrungen bezw. 
Untersuchungen, ho t. 8. betreffs der postkonzeptiönellea lieber tragung. Be¬ 
sonders eingehend erörtert und durch vorzügliche farbige Ülustrationen er¬ 
läutert werden die spezifischen Plazentarreirändernngen, aaf Grund deren Ver¬ 
fasser iß Sehr abweichenden ScblÜsBen kommt. 

Dan .Buch ist nicht nur fürSpezialistes geschrieben, sondern ancb für 
den praktischen Arzt, dem es durch seine übersichtliche Anordnung des Stoffes 
eine schueUe Orientierung hd den toannigfacben Kombinationen ermöglicht. 
Unter de» heutigen Verhältnissen wichtig sind neben anderen auch die Fragen 
betreffs de» Ehekoasenses der SyphUitikar. 

Dr. Blokuss wski-Ntederbreiaig a. Bb. 

Prot Dr. Dranaalt* - Graz; Physiologische und sozial - hygleniaohe 
Stadien über S&aglinga-Eraahrung und Säuglings-Sterblichkeit. 
Mit mehreren Abbildungen und Tabellen. München 1902. J. F. Lehmanns 
Vertag» Gr. 8«, 128 S. Preis: 8 Mark. 

Der Verfasser bringt eine Menge Zahlen über den Nahrttogabedarf seiner 
Kinder während des erste« Lebensjahres« Eine VeraUgemMnsrung dürfte nicht 
ohne weiteres zulässig sein. Er wendet sich nach ausführlich begründetem 
Hinweis auf die grossen Schwankungen in der chemischen Zusammensetzung 
der Milch gegen die Sitte, die für den Säugling berauriebtende Milch, ohne 
im speziellen Falle ihre Zna&mmenaetsanst za kennen, »ach irgend einer Vor« 
schrift zu verdünnen. Nach Ansicht des Referenten uaferschätat P. die prak¬ 
tische Einsicht einer ihr Kind beobachtenden Mutter, Wo aber Unvernunft 
und Böswilligkeit dem Säugling ans Milch «inen Gifttrank bereiten, da hilft 
auch — «o Ist es wenigstens in der Heimat des Beferenten — der ärztliche 
Bat nichts. P. gibt an, dass in Graz die bisherigen Versnob« zur Bekämpfung 
der Säuglingssterblichkeit kein deutlich sichtbares Re«uH*t»g«haht haben nnd 




t)r. Kauwerck. 


618 

Stellung als durch andere von dem praktischen Arzt beherrschte 
Untersuchungsmethoden ermöglicht. Diese Bedingungen sind er¬ 
füllt: die desinfizierte Fingerbeere mit einem Messer anzustechen 
und das Blut in einem sterilen Röhrchen aufzufangen, ist ein 
Verfahren, das jeder Arzt ohne Vorübung auszuführen im Stande 
ist. Der Patient selbst wird in keiner Weise geschädigt; die 
kleine Wunde heilt schnell, stets ohne Störung. Hat der Staat 
auf Grund der Erfahrung, dass eine Impfung mit Tierlymphe die 
Erkrankung an Pocken wesentlich vermindert, die Impfung aller 
Kinder angeordnet, eine Massnahme, die jedenfalls stets eine leichte 
Erkrankung setzt, so kann er eine yiel leichtere Operation, bei 
der ein Krankheitsstofi dem Körper nicht eingeimpft wird, mit 
demselben Recht obligatorisch machen. Die dritte Frage, ob durch 
diesen geringfügigen Eingriff eine schnellere Diagnose gestellt 
werden kann, ist in dieser Abhandlung bejaht. Deshalb ist es 
im Interesse der Verhütnng der weiteren Verbreitung des Typhus 
notwendig, dass die Entnahme des Blutes bei typhusverdächtigen 
Personen zur Untersuchung gesetzlich gefordert und jeder Arzt 
verpflichtet wird, dies zu tun. Eine natürliche Folge dieser 
Forderung ist die Einrichtung hygienischer Zentralen in jedem 
Regierungsbezirk, welche die Aufgabe haben, die eingesandten 
Blutproben zu untersuchen. 

Diese Erwägungen führen zu folgenden Schlusssätzen: 

1. Blutserum, welches die charakteristische Widal’sehe 
Reaktion ergiebt, stammt von Typhuskranken. 

2. In bei weitem der grössten Mehrzahl der Typhusfälle 
(95 unter 100) ist die Reaktion eine positive, gewöhnlich schon 
zu einer Zeit, in der die Diagnose Typhus durch Beobachtung des 
klinischen Verlaufs der Krankheit nicht gestellt werden kann. 

3. Eine wirksame Bekämpfung des Typhus ist bei exakter 
frühzeitiger Diagnosenstellung möglich. 

4. Da die Wi dal’sehe Blutprobe die Diagnose Typhus 
frühzeitig zu stellen ermöglicht, so ist die Blutentnahme zum 
Zweck der Untersuchung in allen typhusverdächtigen Fällen mög¬ 
lichst am Tage der Uebernahme der Behandlung von jedem Arzt 
gesetzlich zu fordern. 

5. Ein positives Resultat ist dem beamteten Arzt sofort 
mitzuteilen. 

6. In jedem Regierungsbezirk ist staatlicherseits ein Institut 
zur Vornahme der Blutuntersuchung zu errichten. 


Ein Beitrag zur Widal’schen Probe. 

Von Kreisarzt Med.-Bat Dr.Nauwerck in Gohran. 

Dem hiesigen Kreiskrankenhause wurde von dem behandeln¬ 
den Arzte am 16. April 1902 die im 5. Monat schwangere 
Knechtsfrau Sch. aus Tscheschkowitz überwiesen, weil Erschei¬ 
nungen bei ihr eingetreten waren, die möglicherweise die künst¬ 
liche Entbindung notwendig machten. 



Bin Beitrag zur Widalechen Brote. 


m 


Brau Sch., snm ersten Male schwanger, 24 Jahre alt. hatte Oedeme des 
Gesichtes, der Arme and Beine, der Genitalien, war komatös, nnd entleerte 
nur wenig dunklen, trüben Urin mit so viel Eiweiss, dass er beim Kochen 
gerann. Oie Temperatur betrag am 16. abends 38,6, am 17. 38,9°, stieg am 
18. abends anf 40°. Es gelang in einigen Tagen die drohenden Erscheinungen, 
welche den Ausbruch der Eklampsie befürchten Hessen, zu mildern und die 
Funktion der Nieren wieder herzustellen, die Oedeme verloren sich ebenfalls 
nach und nach, die Hyperämie der Nieren konnte etwa nach 5—6 Tagen als 
überwunden angesehen werden. Aber das Fieber blieb, die Temperaturen waren 
in den ersten Wochen durchschnittlich morgens 39°, abends 39,6°, am 24. 
erfolgte morgens ein Abfall auf 38,5°, dem am 25. ein neuer Anstieg folgte. 

Ans dem Widersprach zwischen der Besserung von seiten 
der Nieren nnd den Fieberverhältnissen musste die Diagnose auf 
Nephritis, mit der die Kranke eingekommen war, darauf be¬ 
schränkt werden, dass eine vorübergehende Hyperämie der Nieren 
Vorgelegen hatte, wie sie schon bald nach Beginn des entzünd¬ 
lichen Prozesses bei infektiösen Krankheiten vorkommt, dass aber 
eine andere Grundkrankheit vorlag. Als solche wurde aus dem 
weiteren Verlaufe Unterleibstyphus klinisch festgestellt. Frau 
Sch. machte einen mittelschweren Typhus durch und war am 
10. Mai dauernd entfiebert, wurde am 4. Juni aus dem Kranken¬ 
hause entlassen. 

Die Schwangerschaft war erhalten geblieben; am 21. Mai 
entnahm ich eine Blutprobe, die dem Königl. hygienischen Institut 
in Breslau übersandt wurde, die dort vorgenommene Wi da Ische 
Probe fiel positiv aus. 

Für die zu erwartende Entbindung der Frau Sch. hatte ich 
der betr. Hebamme Probegläschen gegeben mit der Anweisung, 
beim Durchschneiden der Nabelschnur aus deren Gefässen Blut 
aufzufangen. Dies gelang auch der Hebamme, am 21. August 
erhielt ich die Nachricht, dass ein gesunder Knabe von 47 cm 
Länge und 8 kg Gewicht geboren war, und ein Gläschen mit 
Blut. Dies wurde sofort nach Breslau eingeschickt, von wo mir 
die Nachricht wurde, dass die Wi dal sehe Probe negativ ausge¬ 
fallen sei. Leider hatte sich die Wöchnerin nicht mehr zur noch¬ 
maligen Entnahme ihres eigenen Blutes bereit finden lassen, so 
dass die Kontrollprobe über das Verhalten des mütterlichen Blutes 
am 21. August fehlt. 

Ich muss gestehen, dass ich ein anderes Ergebnis erwartet 
hatte; in der mir zugänglichen Literatur hatte ich über einen 
derartigen Versuch nichts gefunden, doch ist der Typhusbacillus 
in der Milz eines 4 monatlichen, durch Abort abgegangenen Fötus 
einer typhösen Mutter nachgewiesen worden (Neuhauss). In der 
Mehrzahl der Fälle starben in den früheren Monaten der Schwan¬ 
gerschaft bei Typhus die Früchte ab, es tritt Abortus ein, wobei 
dahin gestellt bleiben mag, ob der Typhusbacillus, in sie übergehend, 
den Tod verursacht, oder ob die höheren Fiebergrade, wie auch in 
anderen Krankheiten, zum Abortus führen. Die Dauerhaftigkeit der 
Wi dal sehen Probe, die mehr eine Immunitäts-, denn Infektions¬ 
reaktion ist, ist bekanntlich verschieden, von einigen Wochen bis 
zu vielen Jahren; es kann also, da das Blut der Mutter am 
21. Mai die Reaktion noch gegeben hatte, genau 3 Monate nachher 



52Ö 


Atu Versammlungen tind Vereinen, 


das Blut des Kindes aber nicht, aus letzterem Umstande nur ge¬ 
schlossen werden, entweder, dass die Frucht vom Typhus nicht 
befallen, also nicht immun geworden, oder, dass die Immunität 
bereits erloschen war. 

Leider ist mir ein ganz analoger zweiter Versuch nicht 
gelungen, weil bei der Abnabelung des schon einige Zeit geborenen 
Kindes Blut nicht mehr ausfloss, ein anderer Modus der Gewin¬ 
nung von Blut aber nicht zugelassen wurde. Immerhin dürfte 
die kleine Mitteilung einiges Interesse erregen, wenn sie auch 
nach keiner Seite schlüssig ist. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht Aber die dienstliche Versammlung der Medisinal- 
Beamten des Regierungsbezirks Osnabrück in Osnabrück 

am %3. Oktober 190%. 

Anwesend sind: Reg.- und Med. - Rat Dr. Grisar-Osnabrück, Vor¬ 
sitzender, die Kreisärzte: Med.-Rat Dr. Schierney er-Osnabrück, Med.-Rat 
Dr. sum Sande-Lingen, Med.-Rat Dr. T 0 b b e n - Osnabrück - Land, Med.-Rat 
Dr. Th ölen-Papenburg, Med.-Rat Dr. Heilmann-Melle, Dr. Petermöller- 
Meppen, Dr. Holling-Sögel, Dr. Strangmeier-Bersenbrück, Stadtarst 
Dr. Ritter-Osnabrück, San.-Rat Kreisphysikus a. D. Offenberg -Osnabrück, 
Direktor der Hebammenlehranstalt Dr. Rissmann-Osuabrück und die pro 
physieatn geprüften Aerste: San.-Rat Dr. Kanzler-Rothenfelde, Dr. Weit- 
höner-Buer, Dr. Kreke-Bersenbrück. 

Nach einer kurzen Begrüssung der Versammlung durch den Herrn 
Regierungsprisidenten v. Barnekow, welcher bedauert wegen besonderer 
Abhaltung nicht ltngere Zeit den Verhandlungen beiwohnen su können, werden 
die Verhandlungen eröffnet. 

L Ländliche Krankenpflege. Der Referent, Med.-Rat Dr. Heil¬ 
mann-Melle, führt in einem längeren, höchst fesselnden Vortrage, in dem er 
die rersohiedensten sozialen und ärztlichen Verhältnisse streift, etwa folgendes 
ans: Zar Verbesserung der häuslichen Krankenpflege empfiehlt sich die An¬ 
stellung Ton Gemeindepflegerinnen. Laienschwestern, die aus der Ge¬ 
meinde selbst stammen und mit Sitten und Gebräuchen der Bevölkerung ver¬ 
traut sind, sind den Ordensschwestern, denen diese Kenntnis von Land und 
Leuten meistens abgeht, entschieden vorzuziehen, besonders in konfessionell 
gemischten Gegenden. Die Pflegerinnen müssen genügend bezahlt werden und 
einen Pflegekasten haben, der folgende Gegenstände zu enthalten hat: 
Irrigator, Katheter, Injektionsspritze, Thermometer, Luft- und Wasserkissen, 
Steckbecken, Eisblase, Mundspatel, Einnahmeglas, Gummi -Bettunterlagen, 
Wärmflaschen (gebogene für den Leib), Anweisung zur Desinfektion der Ab¬ 
gänge von Kranken, welche an ansteckenden Krankheiten leiden. Diese Zu¬ 
sammenstellung würde für etwa 150 Mark su beschaffen sein. Die Ausbil¬ 
dung der Schwestern sollte nicht in den ganz grossen, sondern vorzugsweise 
in mittelgrossen Krankenhäusern erfolgen. Eine gewisse Kontrolle der 
Berufstätigkeit der Pflegerinnen übt schon der behandelnde Arzt aus; Revi¬ 
sionen des Instrumentariums könnte der Kreisarzt besorgen, welcher auch von 
Zeit sn Zeit nach dem Zeugnisse des in Betracht kommenden Arztes eines 
Wiederholungskursus im Krankenhause veranlassen könnte. 

Die vielfach ausgesprochene Befürchtung, dass die Pflegerinnen Kur¬ 
pfuscherei betreiben, oder den einen oder anderen Arzt besonders bevorsngea, 
teilt Referent nicht. Die Schuld in letzterer Hinsicht liegt meistens an des 
Anraten selber, welche die Pflegerinnen nicht genügend heranziehen. Zum 
Kurpfuschen kommen die Schwestern hauptsächlich dann, wenn solches Treiben 
von einflussreicher Seite protegiert wird; in dieser Beziehung sündigen nach 
Bj Erfahrungen vielfach der Adel, die Geistlichen und besonders die Lehrer. 



Aus Versammlungen and Vereinen. 


521 


Vorgebeugt wird der Kurpfuscherei seitens der Pflegerinnen auch dadurch, dass 
man eine gewisse Beschränkung bei der Ausbildung der Pflegerinnen walten 
lässt. Es ist in dieser Hinsieht nicht genug zu warnen vor zu hohen Anforde¬ 
rungen; insbesondere taugt eine za spezialistische Ausbildung nicht. 

Die Frage, ob es angebracht ist, den Samariter-Vereinen auf dem 
Lande Eingang zu verschaffen, muss entschieden verneint werden. H. hat viel¬ 
fach den Eindruok gewonnen, als ob es sich dabei um eine Art von Sport, 
hauptsächlich für ältere Damen, handelt; praktische Erfolge hat er nicht 
gesehen. 

Die Errichtung und Verwaltung der Krankenhäuser soll womöglich 
von den politischen Gemeinden, und nicht von den kirchlichen Gemeinden Über¬ 
nommen werden. In konfessionell gemischten Gegenden führen konfessionelle 
Krankenhäuser leicht zu einer gewissen Bivalität und Spannung zwischen den 
Konfessionen; die Kräfte werden zersplittert und es kommen infolgedessen nur 
kleinere, nicht recht lebensfähige Krankenhäuser zustande. H. hat in dieser 
Beaiehung ungünstige Erfahrungen in der Stadt Melle gemacht, wo ein pro¬ 
testantisches und ein katholisches Krankenhaus kurz nacheinander errichtet 
wurden. Die ganz kleinen Krankenhäuser hält er überhaupt nicht für zweck¬ 
mässig. Nach seiner Ansicht empfiehlt sich bei Errichtung von Krankenhäusern 
am besten folgender Modus: In der Kreisstadt wird ein grösseres, allen An¬ 
forderungen der Neuzeit entsprechendes Krankenhaus errichtet. Die kleineren 
Krankenhäuser in den umliegenden Gemeinden sollen mehr als Siechenhäuser, 
resp. Pflegehäuser dienen; für ihren Bau müsste in Bezug auf die zu stellenden 
Anforderungen eine grössere Licens Platz greifen. Die operative Behandlung 
soll hauptsächlich in dem grösseren Kreiskrankenhause statt finden. Die Aerzte 
des Kreises hätten diesem die geeigneten Fälle zuzuftthren, welche sie dann 
gemeinschaftlich mit den am Orte befindlichen Aerzten weiter behandelten. 
Auf diese Weise wäre es vielleicht möglich unter den Aerzten des Kreises 
einen gewissermassen „genossenschaftlichen“ Betrieb in der Krankenbebandlung 
in den Krankenhäusern einzurichten; es Hessen sich hierdurch geradezu ideale 
Verhältnisse erreichen. 

Referent kommt dann auf die Lungenheilstätten zu sprechen, 
deren Bau jetzt als eine Art Sport betrieben werde. Nach eigener Anschauung 
der Einrichtung und des Betriebes einer solchen Heilstätte und vielfachen Er¬ 
fahrungen aus der Praxis kommt er zu einem sehr ungünstigen Urteile. Die 
Behandlung in den Heilstätten erfolgt zu schematisch, dieselben sind blosse 
„Mastanstalten“, in denen die Kranken einer „akuten Mästung“ unterworfen 
werden. Die in solcher Behandlung erreichte Gewichtszunahme verlieren die 
Patienten nach Verlassen der Anstalt ebenso schnell wieder, wie sie erreicht 
wurde, die Krankheit kommt erneut zum Ausbruch und verläuft bösartiger. 

H. formuliert das Ergebnis seiner Ausführungen dann in folgenden 
Sätzen: 

„1. Jede Gemeinde lässt sich eine Pflegerin ausbilden, 
welche aus der Gemeinde stammt, sie wird mit einem Pflege¬ 
kasten ausgerüstet. 

2. Diese Schwestern fallen fort, wenn in Gemeinden 
Pflegehäuser eingerichtet sind, deren Bau möglichst be¬ 
fördert wird. Für den Bau dieser Pflegehäuser werden ein¬ 
fachere Vorschriften erlassen. 

3. In jedem Kreise ist ein Krankenhaus zu gründen, in 
dem sämtliche Aerzte des Kreises praktizieren — ein ge¬ 
nossenschaftlicher Betrieb —. 

4. Lungenheilstätten mit jetziger schematischer Be¬ 
handlung werden nicht weiter gebaut. Die Regierung hat ein 
Preisschreiben zu veranlassen, in welchem die Behandlung in 
den Lungenheilstätten, in welchen speziell unbemittelte 
Patienten untergebracht werden sollen, festgestellt und 
festgelegt wird.“ 

Zum Schluss spricht Referent noch über Desinfektion und bringt 
seine teilweise etwas eigenartigen Ansichten hierüber vor. Im allgemeinen hält 
er es für ausreichend, wenn in jedem Kreise 1 bis 2 Dampfdesinfeftiontapparate 
aufgestellt werden. Nach seinen Erfahrungen kann erden Spring fei d scheu 


Atu Versammlungen and Vereinen. 


fcivi 

Kettenapparat nr Formalin - Desinfektion nicht empfehlen. Die Glieder der 
Kette gehen leioht aaseinnnder and nach die Menge des wirklich verdampften 
Formaline lieat eich nicht kontrollieren. 

Der Korreferent, Kreisarzt Dr. Quentin* Bentheim, ist am persönlichen 
Brecheinen verhindert and hat ein schriftliches Referat erstattet onter spe¬ 
zieller Berücksichtigung der Verhältnisse des Kreises Bentheim. Danach üt 
anoh er der Ansicht, dass Bau und Verwaltung von Krankenhäusern in 
gemischt-konfessionellen Gegenden nur den politischen Gemeinden überlassen 
werden sollte; überlässt man sie den kirchlichen Gemeinden, so kommt man au 
Verhältnissen wie jetzt in der Stadt Bentheim, wo ein protestantisches und ein 
katholisohes Krankenhaus besteht, beide sind nicht recht lebensfähig und ent¬ 
sprechen in ihrer Einrichtung nicht den modernen Anforderungen. Er empfiehlt 
hauptsächlich die Einrichtung von Pflegerinnen-Stationen; für diese 
aber ebenfalls, trotz der von ihm voll gewürdigten guten Eigenschaften der 
Ordensschwestern, in konfessionell gemischten Gegenden aus praktischen Gründen 
nur weltliche Pflegerinnen, die den politischen Gemeinden angegliedert werden 
müssten. Die Pflegerinnen, etwa von der sozialen Stellung der Hebammen, 
rekrutieron sich am besten aus Mädchen, jungen Frauen oder Wittwen des 
kleineren Bürgerstandes. Ihre Ausbildung soll in einem grösseren Kranken¬ 
hause erfolgen. Sehr wichtig ist es, dass die Pflegerin, ausser einer ge¬ 
nügenden Ausbildung in der eigentlichen Krankenpflege, auch befähigt ist, im 
Haushalte mit einsugreifen, was auf dem Lande, besonders bei Erkrankung 
der Hausfrau, oft last wichtiger ist, als die Krankenpflege selbst. Die Ge- 
melndepflegerin muss mit Sitten, Gebräuchen und Sprache der Bevölkerung 
völlig vertraut sein; sie muss womöglich aus der Gemeinde stammen, worin 
nie pflegen soll. Für ®*ie Leistungen der Pflegerin wäre ein bestimmter Ge- 
bührensala f«Staustellen, oder sie wird von der Gemeinde besoldet; letzteres 
hat aber gewisse Nachteile; besser erscheint es, ihr ein Mindesteinkommen 
au gewähren. Für die kleinen Leute müsste die Pflege womöglich unent¬ 
geltlich sein. 

An der Diskussion über die beiden Vorträge beteiligt sich lebhaft 
die Mehrzahl der Anwesenden. Im grossen und ganzen finden die Ausführungen 
beider Heferenten die Zustimmung der Versammlung. Nur über die Frage, 
ob es awoekttäasig sei, die Krankenhäuser den politischen Gemeinden anzu- 
gltedera, oder sie wie bisher den kirchlichen Gemeinden zu belassen, bestehen 
Meinung« Verschiedenheiten. Ebenso über die Frage, ob Laienschwestern, oder 
Ordensschwvstern als Gemeindepflegerinnen vorzuziehen seien; die Mehrzahl ist 
allerdings der Ansicht, dass in konfessioneil gemischten Gemeinden Laien- 
Schwestern den Vorzug verdienen. Heilmanns Vorschläge über die Anage- 
staltmag de* Kraakeahaasweaeas in den einzelnen Kreisen (1 zentrales Kreis- 
krankenbaus and Gemeinde - Pflegehäaser) begegnet vielfachen Widerspruch. 
Sein« ungünstige Ansicht über die bisherigen praktischen Erfolge und den 
schematiechaa Betrieb der Lungenheilstätten wird von Grisar und Tholen 
geteilt. Kanzler and zum Sande schieben einen grossen Teil des bis¬ 
herige« Misserfolges auf nasweokmässige Auswahl des Krankenmaterials (sa 
weit fortgeschrittene Fälle) und glauben, dass bei zweckmässiger Answahl 
doch gut« und dauernde Erfolge erzielt werde« können. 

U. Ule Wartefrauaa - Frage. Referent: Dr. Rissmnan, Direkter 
dar Frev * HebammenlehraasUlt in Osnabrück. 

Hebammen and Wartefrauen werde« in der Gesetzgebung des Deutschen 
KncW aU Stiefkinder behandelt. Nicht allein in den Kinzelstnaten sind die 
iWummangoa über dz* Hcbamwca w e sea völlig verschiede«, senden nach in 
de« «auteln*« ProvtaaM bestehen grosse Pifereazea. Für Wochenhettpflege- 
rtanoz vemmse* wir gaseulkhe Bestimmungen gänzlich. E* ist dringend 
«-*»***** w*«, dnns möglichst bald die Frage der Wo ch eabe t tgflegerinncn 
stazi.jobcrawit* gesetzlich geregelt wird. An» den Akten der Pwv. - Hebammen- 
Inbrunst*.'! vtsaahrboh ist za ersehe«, dass bereits im Jahre 1^82 die König!. 
b*ancv*r*ofee ».aadiroetei hier mit der Einrichtung von Wärterinnen-Kurzen 
v.'rgegauge« w*. l\e Wärterinnen wurden in den Hebammen-Kamen znzgs- 
K.; 4 vt. bwrtber erianwne Verordnung enthält Besünnngm über die 
\ ortwd^^aag znr Aufnahme and über die Ausbildung der Wärterinnen, w el che 
io Anheamobt eoneom. da* *» bereut* vor Jahren erassen ■ udn, all vnr* 



Atu Versaintalungeh und Vfeteinen. 


623 


begliche bezeichnet weiden müssen. Zar Zeit besteht in der Provinz Hannover 
diese Einrichtung nicht mehr, leider fehlen auch jegliche Bestimmungen über 
einen speziellen Lehrgang, ein bestimmtes Lehrbuch 1 ) ist nicht obli¬ 
gatorisch, eine Abgangsprüfung nicht vorgeschrieben. 

Seit dem 1. April 1902 ist auf Antrag R.s in der hiesigen Hebammen¬ 
lehranstalt ein dreimonatlicher Kursus für Wochenbettpflegerinnen eingerichtet 
Der Unterricht erstreckt sich auf: 

1. Grundzüge der Anatomie und Physiologie, namentlich der weiblichen 
Beekenorgane, 

2. Schwangerschaftsveränderungen und Veränderungen bei der Geburt, 
mit besonderer Berücksichtigung der Nachgeburtszeit, 

3. Desinfektionslehre in extenso, 

4. Pflege der gesunden und kranken Wöchnerin, 

5. Pflege der Neugeborenen, 

6. Krankheiten der Säuglinge. 

Ausführlicheres über die Geburtsvorgänge wird absichtlich 
nicht gelehrt. Die Wärterin soll eben am Kreissbette nur in Gegenwart von 
Arzt oder Hebamme behilflich snin. B. betont die Notwendigkeit, bei jeder 
vom Arzt geleiteten Geburt auch eine Hebamme zuzuziehen, und nicht, wie 
vielfach üblich, nur mit einer Wärterin die Leitung einer Geburt zu über¬ 
nehmen. Er empfiehlt nach Vorgang des Düsseldorfer ärztlichen Vereins, in 
Allen ärztlichen Vereinen den Antrag zu stellen, dass die Leitung von Ge¬ 
burten ohne Zuziehung einer Hebamme von Vereinsmitgliedern nicht ge¬ 
schehen darf — Notfälle natürlich ausgenommen — und hält ein Gesetz für 
wünschenswert, welches Wochenbettpflegerinnen die Ueberwachung von Ge¬ 
burten direkt untersagt. B. erwähnt dann noch kurz die in den letzten drei 
Jahren von anderer Seite veröffentlichten und zu seiner Kenntnis gelangten 
Vorschläge zur Regelung der Wochenbettpflegerinnen-Frage und stellt zum 
Schluss folgende Thesen auf: 

I. Das Gewerbe einer Wochenbettpflegerin darf nur von 
solchen Personen ausgeübt werden, welche im Besitze eines 
Prüfungszeugnisses von einer, durch den Staat für diesen 
Zweck bestimmten, öffentlichen Anstalt sind. Diejenigen im 
Berufe befindlichen Wartefrauen, welche diese Bedingung 
nicht erfüllen, müssen binnen Jahresfrist sich der vorge¬ 
schriebenen Prüfung unterziehen. Beobachtung des Geburts- 
Verlaufs ohne Arzt oder Hebamme ist Wartefrauen verboten. 

II. Vorschriften für den Lehrkursus: 

a) Für die Aufnahme ist Geburtsschein (Alter nicht über 
46 Jahre), polizeiliches Führungszeugnis und ärztliches Zeug¬ 
nis zu liefern. 

b) Die Befähigung ist durch Zeugnis oder eine Prüfung 
naehzuweisen (gute Volksschulbildung genügt wie für Heb¬ 
ammen). 

c) Der Kursus dauert 3 Monate, in demselben erteilt ein 
Arzt nach einem Lehrbuche Unterricht, und am Schlüsse ist 
vor einer Kommission eine theoretische und praktische 
Prüfung abzulegen. Nach bestandener Prüfung findet eine 
Vereidigung statt und die Abgabe einer Instrumentontasche 
an die Wartefrauen für die Praxis. 

UL Vorschriften für die Praxis: 

Die Wochenbettpflegerinnen unterliegen in ihrer Praxis 
in ähnlicher Weise der Kontrolle wie die Hebammen, d. h. sie 
müssen ein Tagebuch führen und alle Jahre dem Kreisärzte 
vorzeigen. Kindbettfieber, infektiöse Erkrankungen oder 
Todesfälle von Mutter und Kind, sind anzuzeigen und ist ent¬ 
sprechend den Anweisungen des Kreisarztes zu verfahren. 


*) Der Vortragende hat ein sehr empfehlenswertes Lehrbuch kürzlich 
herausgegeben: „Lehrbuch für Wochenbettpflegerinnen.“ Von 
Dr. Paul Bissmann. Berlin 1902. Verlag von S. Karger. Preis: 1,60 M. 
(Bemerkung des Referenten.) 



524 


Ans Versammlungen und Vereinen» 


Alle 3 Jahre findet eine Nachprüf ung statt; bei ungenügenden 
Kenntnissen oder Uebersohreitung der Befugnisse kann auf 
Geldstrafen, 14tägigem Nachkursus oder Entziehung des Prü- 
fungszengnisses erkannt werden. 

An der Diskussion beteiligten sich Grisar, Tholen, Többen 
Heilmann, Schiermeyer, Kanzler, Bissmann. 

Die Ausführungen Kissmanns finden durchweg volle Zustimmung. 

Hierauf schliesst der Vorsitzende die Versammlung. 

Der grösste Teil der Anwesenden vereinigte sich dann noch zu einem 
gemeinschaftlichen Mahle im Hötel Dütting. 

Stadtarzt Dr. Bitter-Osnabrück. 


Bericht über die Versammlung der Medisinalbeamten der 
Provinz Schleswig;-Holstein in Neumünster am 19. April 

1903. 

Anwesend Reg.- u. Med.-Rat Dr. Bertheau (Vorsitzender), alle Kreis¬ 
ärzte des Bezirks, Stadtarzt Dr. Schröder-Altona, Gerichtsarzt Dr. Neid¬ 
hardt-Altona, uie Kreisassistenzärzte Dr. Hillenberg-Oldesloe und Dr. 
Schulz-Niebüll und ferner Prof. Dr. Fischer-Kiel als Gast. 

Vor Eintritt in die Tagesordnung gedenkt Reg.- u. Med.-Rat Dr. Ber¬ 
theau des früheren langjährigen Leiters der Medizinalangelegenheiten der 
Provinz, des Geheimrats Prof. Dr. Bockendahl, der nach einem an Arbeit 
und Erfolgen reichen Leben am 16. Oktober vor. Jahres abberufen worden ist, 
und der beiden gleichfalls seit der letzten Tagung verstorbenen Kollegen, 
Kreisphysikus a. D. San.-Rats Dr. Hansen-Niebüll und Kreisarztes Dr. Deth- 
lefsen-Plön. 

1. Reg.- u. Med.-Rat Dr. Bertheau erläutert die Verfügungen, welche 
seit der vorjährigen Versammlung erlassen sind. Aus der Besprechung sei 
hervorgehoben, dass vom Herrn Regierungspräsidenten zum 1. Januar 19U4 die 
Einführung einer fakultativen Leichenschau versucht werden soll, in dem Sinne, 
dass die Aerzte in den von ihnen behandelten Fällen um Abgabe einer Be¬ 
scheinigung über die letzte Krankheit ersucht werden und in ärztlich nicht 
behandelten Fällen die Einziehung eines Totenscheins dem Belieben der Polizei¬ 
behörden überlassen bleibt. 

2. Med.-Rat Dr. Bockendahl-Kiel erbittet sich die Abschriften der 
von den Hebammen ausgefüllten Fragebögen, die er für die Provinz sta¬ 
tistisch zu bearbeiten beabsichtige. 

3. Med.-Rat Dr. Asmussen-Rendsburg bemängelt an den von ver¬ 
schiedenen Firmen bezogenen Dienstformularen, dass oft bei wichtigen 
Fragen zu wenig und bei minder wichtigen zu viel weisser Raum vorgesehen 
sei und empfehle es sich daher, im Verein brauchbare Formulare zusammen- 
Bestellen, wofür jedoch keine Stimmung vorhanden ist. 

4. Med.-Rat Dr. Horn-Tendern wünscht, dass die zwischen Aerzte- 
kammer und Provinzialvorstand der landwirtschaftlichen BerufsgenoBsenschaft 
vereinbarten Attestformulare und Gebührensätze von den Medizinal- 
beamten anerkannt werden, wohingegen von anderer Seite der freien Begut¬ 
achtung das Wort geredet und eine der Taxe entsprechende Honorarforderang 
als angemessen erachtet wird. 

5. Med.-Rat Dr. Horn berichtet über die bei der Aerztekammer zur 
Verhandlung stehende Gründung einer zwangsmässigen Unterstützungs¬ 
kasse für die Aerzte des Bezirks, in welohe die Praxis treibenden Kreis¬ 
ärzte mit einzuschliessen beabsichtigt sei. Man einigt sich in längerer Dis¬ 
kussion, im Falle eineB Zustandekommens der Kasse auf eine freiwillige Mit¬ 
gliedschaft der Medizinalbeamten hinwirken zu wollen. 

6. Prof. Dr. Fischer dankt zunächst für die Einladung und erbietet 
sich zur ferneren Teilnahme, die ihm die erwünschte Gelegenheit gebe, mit 
den Kreisärzten dauernd in Fühlung zu bleiben. Darauf referiert er über den 
von Geheimrat Dr. Koch am 28. November 1902 vor dem wissenschaftlichen 
Senat bei der Kaiser Wilhelms-Akademie gehaltenen, die Bekämpfung des 
Typhus behandelnden Vertrag, der in dieser Zeitschrift noch nicht zur Sprache 
gekommen ist und daher in seinen Hauptzügen hier mitgeteilt sei: Um eine 



Aas Versammlungen and Vereinen. 


625 


Infektionskrankheit wirksam za bekämpfen, müsse man den Infektionsstoff 
sicher and schnell aaffinden and ihn sicher abtöten können. Es sei seit län¬ 
gerem bekannt, dass diese beiden Vorbedingungen bei der Cholera nnd bei der 
Malaria za erfüllen wären, er sei jetzt aber anch in der Lage, den Nachweis 
an erbringen, dass auch hinsichtlich des Typhus alle Schwierigkeiten als über¬ 
wanden gelten müssten. Man könne n&mlich durch das von Drigalski nnd 
Conradi aasgebildete Untersuchung verfahren in Verbindung mit der Agglu¬ 
tinationsprobe innerhalb 20—24 Stunden die Typhneerreger im Stahl sicher 
naehweisen; desgleichen sei die frühere Ansicht, dass die Typhnsbazillen sich 
jahrzehntelang ausserhalb des Körpers halten und vermehren könnten, nicht 
mehr haltbar. Denn wenn der Nachweis von Typhnsbazillen in zweifellos 
infiziertem Brunnenwasser so Belten gelinge, so lasse das den Schloss an, dass 
sie im Wasser kein langes Leben führen könnten; ferner müfse anch ibro 
Lebensfähigkeit im Boden eine beschränkte sein, da sich bei kleineren Epide¬ 
mien, welche nach dieser Bichtnng bin die grösste Beweiskraft hätten, ver¬ 
folgen lasse, wie die Krankheit von einem Individuum auf ein anderes über¬ 
gehe. Der Typhnsbacillns sei daher anch ein obligater Parasit, der sich viel¬ 
leicht etwas länger im Boden halten könne als der Cholerakeim, aber schliess¬ 
lich doch anch zu Grande gehe. Um die Richtigkeit dieser Anschauungen an 
erweisen, habe er in dem Dorfe Waldweiler, in der Nähe von Trier belegen, 
einen alten Typhnsherd aufgesucht, hier alle für Diagnostik and Behandlung 
nötigen Veranstaltungen getroffen nnd dann die Epidemie einer näheren Unter¬ 
suchung unterzogen. Dabei habe sich herausgestellt, dass ausser den 8 ärzt¬ 
licherseits angemeldeten nooh 64 andere Individuen mit Typhnsbazillen be¬ 
haftet gewesen wären, die sich entweder vollkommen wohl gefühlt, oder 
nnr geringfügige Krankheitserscheinungen hätten erkennen lassen. Wenn 
es sich dabei namentlich nm Kinder gehandelt habe, so dürfe man das daranf 
zurückführen, dass eine ganze Beihe von Erwachsenen die Krankheit bereits 
Uberstanden hätte nnd daher immun gewesen wäre. Hinsichtlich der An¬ 
steckung habe er den Nachweis führen können, dass die Krankheit ohne Ver¬ 
mittelung von Wasser weiter gegangen sei. Indem nnn alle schweren Typhns- 
kranken meiner Döckersehen Baracke nntergebracht nnd erst nach dreimaliger 
ergebnisloser Untersuchung ihres Stuhls auf Bazillen wieder entlassen, alle 
leichteren Erkranknngen, wie alle sonst noch Typhnsbazillen beherbergenden 
Personen dnreh geschaltes Hilfspersonal strenge überwacht nnd ferner alle 
irgendwie infektionsverdäebtigen Betten, Kleider nsw. von einem Desinfektor 
desinfiziert worden wären, sei es innerhalb dreier Monate gelangen, den Typhus 
dort ganz aaszurotten. Ein etwaiger Einwand, dass das Aufhören der Epidemie 
ein zufälliges gewesen sei, werde dadurch hinfällig, dass der Typhus in den 
andern Dörfern des Hochwaldes weiter bestanden habe. 

Anschliessend an das Beferat erklärt Prof. Fischer sich zur Nach¬ 
prüfung dieser für die Bekämpfung des Typhus hochbedeutsamen Beobachtungen 
bereit und ersneht die Teilnehmer, ihm von geeigneten Fällen, soweit sie von 
Kiel aus leicht erreichbar wären, Mitteilung zukommen zu lassen. 

7. Zum Schluss berichtet Dr. Schröder über die jüngst erlebte kleine 
Pocken - Epidemie in Altona (Autoreferat): 

Ende Dezember v. J. erkrankte im Altonaer Krankenhanse ein Geistes¬ 
kranker, welcher dort schon seit September in Behandlung war, an Pocken. 
Auf welchem Wege die Krankheit eingeschleppt war, konnte nicht nachgewiesen 
werden. Der Kränke starb am 5. Januar d. J., nachdem er eine Beihe von 
Infektionen gesetzt hatte. Es erkrankten in der Zeit vom 9. bis Ende Jannar 
in Altona weitere 15 Personen, von denen 18 (7 im Krankenhanse, 6 in der 
Stadt) direkt anf den nngemein infektiösen ersten Fall zurückzuführen waren, 
nnr weitere 2 Fälle kamen dnreh Uebertragung in der Stadt vor. Anch nach 
Sehrimm in der Provinz Posen wnrde die Krankheit dnreh einen ans dem 
Altonaer Krankenhanse entlassenen Patienten verschleppt. Von den 16 in 
Altona Erkrankten starben 3, von welchen einer undeutliche, die anderen 
beiden keine Impfnarben hatten, so dass es fraglich ist, ob sie jemals geimpft 
waren. Ausserdem starb noch ein Kranker in der Bekonvalescenz an Magen¬ 
krebs. 9 hatten Variola, 7 Variolois. Von diesen waren 5 revacciniert, 1 hatte 
sehen einmal Pocken gehabt nnd noch dentlicbe Pockennarben, 1 einjährigen 
Kind war noch nach der Infektion geimpft, 2 waren im Alter von 50—60, 



526 


Aas Versammlungen and Vereinen. 


10 im Alter von 40—60, 1 im Alter Ton 20—30, 1 im ersten Lebensjahre. 
Demonstration einiger Photographieen von Pockenkranken. 

Die Pocken sind angemein ansteckend, noch mehr als die Masern. Das 
Kontagiam haftet am Körper der Pockenkranken and ist enthalten in den 
Pockenpastein za jeder Zeit ihrer Entwickelung, im Aaswarf and Speichel, 
nach Pfeiffer aach im Urin and in den Tr&nen. Ferner ist es im Blut 
enthalten, anscheinend nicht im Inkabationsstadiam, sicher aber im ersten 
Fieberanfall and vielleicht nach während des sweiten Fiebers nnd in der Zeit 
zwisehen erstem and zweitem Fieber. 

Vom Körper des Pockenkranken geht das Kontagiam über in die am¬ 
gebende Atmosphäre, an staubförmige Körper gebunden, and zwar schon im 
Inkabationsstadiam (Fall von Hagnenin). 

Diese Möglichkeit ist plausibel, wenn man der Ansicht Pfeiffers folgt, 
dass sich in der Inkubationszeit auf der Schleimhant der Luftwege eine Proto- 
pastel bildet. Von dem Moment an. wo die Pocken ttber das Knötchenstadinm 
hinaus sind, besonders zur Zeit der Krastenbildang, ist die Möglichkeit za einer 
Verstäabang des Pockengiftes immer gegeben, doch sind die Angaben ttber die 
Entfernungen, auf welche es sich durch die Laft verbreiten sein soll, ttbertrieben. 
Man muss aber die Lnft im Krankenzimmer nnd im Hanse des Kranken als 
infiziert ansehen. 

Früher meinte man wiederholt ans Bakterien, welche ans dem Pustel¬ 
inhalt gezüchtet waren, den Erreger der Pocken isoliert zu haben, es lief aber 
durch die Knltnren immer etwas mit, was anerkannt blieb. ▼. d. Löff, 
Pfeiffer, Gaarnieri n. a. suchen den Erreger unter den Protozoen nnd 
haben sowohl in der Vaccine-, wie in der Pockenpastel konstant einen Para¬ 
siten gefunden, welchen Gaarnieri in der Hornhant von Kaninchen rein 
gezttchtet hat (Demonstration der Gaarnieri sehen Körperchen). Ob der 
Parasit Sporen bildet and wie er ins Blot aufgenommen wird, wissen wir 
nicht (Darstellung der Pfeiffersohen Theorie). 

Als Sohatzmassregeln kommen in Anwendung: 

1. Schatzimpfangen nnd 20 tägige Kontrolle der Angehörigen und sämt¬ 
licher Personen nebst Familien, welche mit dem Pockenkranken irgendwie in 
Berührung gekommen sind. 

Eine Verordnung vom 2. September 1811 giebt in Schleswig-Holstein 
eine Handhabe zu Zwangsimpfangen. Erörterung der Fragen, wann der Impf¬ 
schatz nach der Impfang eintritt and ob bereits mit Pocken infizierte Personen 
durch nachträgliche Vaccination geschlitzt werden können, Demonstration einer 
Photographie eines einjährigen Kindes, welches nach der Infektion geimpft ist 
und ansser den stark entwickelten Vaccinepnsteln vereinzelte Podcenpnsteln 
auf weist. Die Däner des Impfschutzes ist individuell ganz verschieden; von 
den in Altona anlässlich der Pockenerkranknngen geimpften Personen wurden 
30 bis 40°/ o mit Erfolg geimpft. 

Als weitere Massregeln kommen neben der Schutzimpfung in Betracht: 

2. Strenge Isolierung der Erkrankten nnd Verdächtigen. 

3. Sorgfältige Desinfektion. 

Beim Ausbrnch von Pocken sind baldigst die Aerzte des Bezirks zu be¬ 
nachrichtigen. Dr. Roh wed der-Ratzeburg. 


Verhandlungen der Medico-legal society of New-York. 

17. Dezember 1902. 

The medieo legal journal; 1903, XX., März, S. 660. 

Die Sitzung wurde durch Vorlesung eines Vortrages von Geh. Med.-Rat 
Dr. Hermann Kornfeld, Gerichtsarzt in Gleiwitz eingeleitet, der als Ehren¬ 
mitglied der Gesellschaft einen Vortrag: „Deutsche Ansichten ttber Geistes¬ 
krankheit Tom juristischen Standpunkte* vorgelegt batte. Es folgten Vor¬ 
träge von Dr. Purdy-New-York: „ttber die Abschaffung des Coroner* 
und von Dr. St. Smith: „über Aenderungen im Gesetze ttber Pflichten 
und Amt des Coroners". 

Letzterer führte etwa folgendes aus: 

Die Erforschung der Todesursachen, insbesondere bei plötzlichem Tode 
hat sowohl für die öffentliche Gesundheitspflege, als für das Rechtswesen die 



Besprechungen. 


527 


grösste Bedeutung. Die Pflichten, die bisher dem Coroner obliegen, lassen sich 
non sorgfältiger, genauer und zweckmässiger dadurch erledigen, dass sie zum 
Teil durch den ärztlichen Sachverständigen, zum anderen Teile durch 
einen Juristen ausgeführt werden. Ein erfahrener ärztlicher Sachverständiger 
kann die geheimnisvolle Geschichte eines Verbrechens in den Geweben und 
Organen der Leiche verfolgen und oft die Schuld des Täters in Fällen nach- 
weisen, in denen jeder sonstige Beweis fehlt, anderseits aber auch einen Un¬ 
schuldigen in Schutz nehmen, den eins unvollständige oder oberflächliche Unter¬ 
suchung verurteilt haben würde. 

Als geeigneter Sachverständige ist der medical officer of health anzu¬ 
sehen. Nach dem Gesetz von 1885 l ) hat jetzt jedes grossere Gemeinwesen des 
Staates New-York ein gründlich organisiertes Gesundheitsamt, das auch die 
Bearbeitung der standesamtlichen Statistik zu besorgen hat. Die Gesundheits¬ 
beamten haben die Bescheinigungen und Berichte Uber die Todesursachen, über 
die Befunde der juries in Empfang zu nehmen, zu prüfen und sicher zu stellen. 
Diese Behörde ist ferner ermächtigt, die Personen zu bezeichnen, die Begräb¬ 
nisscheine und Leichenpässe ansstellen dürfen. Keine Leiche darf beerdigt 
werden, ehe nicht dem Gesundheitsamte ein genügend bescheinigter Bericht 
des behandelnden Arztes ausgehändigt ist. Das Amt darf bei Nichtbeachtung 
seiner Anordnungen Strafen verhängen. Alle Örtlichen Gesundheitsämter unter¬ 
stehen der Beaufsichtigung des State board of health, das bei Nichtbeachtung 
der Vorschriften über Registrierung der Todesfälle diese Vorschriften zwangs¬ 
weise durchführen darf. 

Da bis in die entlegensten Gegenden hin die geschilderte Organisation 
ins Leben gerufen ist, da die Gesundheitsämter überdies nicht bloss sachver¬ 
ständige Aerzte, sondern auch chemische und pathologische Sachverständige zu 
Mitgliedern zählen, so bürgen sie für eine gründliche forensisch medizinische 
Prüfung jedes verdächtigen Todesfalles. Ueberträgt man nun noch einem 
Juristen, dem Polizei- oder dem Friedensrichter die rechtliche Seite der An¬ 
gelegenheit, so ist der Coroner überflüssig. 

Dr. Mayer -Simmern. 


Besprechungen. 

Hermann Paten: Der Arzt and die Heilkanst in der deutschen 
Vergangenheit. Mit 158 Abbildungen und Beilagen nach den Originalen 
des 15.—18. Jahrhunderts. Leipzig 1902. Verlag von Eugen Diederichs 
Preis: 4 Mark. 

Das Buch gebOrt zu den Monographien zur deutschen Kulturgeschichte, 
die Dr. G. Steinhausen im Diederichsschen Verlage herausgibt. Reich 
geschmückt mit Nachbildungen alter Holzschnitte und Kupferstiche behandelt 
das auch äusserlich vortrefflich und geschmackvoll ansgestattete Werk zahl¬ 
reiche Kapitel, besonders aus der mittelalterlichen Vergangenheit der Heilkunst. 
Im bunten Wechsel, wenn auch nicht streng wissenschaftlich, wird das Leben 
und Treiben der damaligen Aerzte geschildert mit Wort und Bild, und oft 
sagt man sich, — es war doch damals schon oft ganz so wie jetzt bei uns. 

Als erster Heilkundiger wird Odin erwähnt, von dessen „Praxis“ die 
Merseburger Zaubersprüche erzählen, und als „letzter und sicherster Arzt der 
Vetter Knochenmann, der alle Krankheiten heilt“. Wirkliche Aerzte gab es 
im frühesten Mittelalter in Deutschland wohl nur an den HOfen der KOnige; 
das Volk musste sich mit Kurpfuschern begnügen. 

Das Apothekenwesen, das Hebammenwesen, Krankenhäuser und medi¬ 
zinische Unterrichtsanstalten werden gleichfalls besprochen. Für den Medi¬ 
zinalbeamten findet sich manches Interessante in dem Buche, z. B. das erste 
Medizinalgesetz erliess 1224 der Enkel Kaiser Barbarossas, der Hohenstaufe 
Friedrich II; in diesem Gesetz wurde das Studium, die Prüfung und die Be¬ 
zahlung des Arztes, sowie sein Verhältnis zum Apotheker geregelt. Der erste 
Stadtarzt tauchte schon 1877 in Nürnberg auf mit 50 fl. vierteljährlicher Be¬ 
soldung. 


Conf. Rapmund: Das öffentliche Gesundheitswesen. Leipzig 1901. 
Seite 118. 



528 


Besprechungen. 


Weitere Binselheiten zu erwähnen, würde zu weit führen. Das Lesen 
des interessanten Boches kann nor empfohlen werden. 

Dr. Pilf-Alsleben a. 8. 


Dr. O. Mugdan, Arzt in Berlin: Kommentar für Aerste tun Ge¬ 
werbe-UnfallTersicherungsgesetze nebst dem Gesetze betr. die 
UnfallTerslcherungsgesetze vom 30. Juni 1900. Berlin 1902. Ver¬ 
lag von Georg Reimer. Gr. 9°; 215 S. Preis: 5 Mark. 

In fast allen ans ärztlichen Kreisen stammenden und für Aerste be¬ 
stimmten Werke über die Unfallversicherung ist, wie dies nahe liegt, haupt¬ 
sächlich der medizinische Standpunkt berücksichtigt, während die gesetzlichen 
Bestimmungen u. s. w. nur insoweit wiedergegeben sind, als sie speziell die 
Saohverständigentätigkeit anf diesem Gebiete berühren. Gerade die Aerzte 
kommen aber sehr häufig in die Lage, sich auch über die sonstigen gesetzlichen Be¬ 
stimmungen und die massgebende Rechtsprechung auf diesem Gebiete informieren 
zu müssen, und sicherlich hat schon mancher von ihnen ein Werk vermisst, 
das, wie das vorliegende, nicht nur den Text der betreffenden Gesetze und 
Ausffihrungsbestimmungen im Wortlaute wiedergibt, sondern diese auch an der 
Hand der bisherigen Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts in einer 
gerade dem Bedürfnis des Arztes angepassten Weise erläutert. Der Kommentar 
wird daher sicherlich sehr bald in ärztlichen Kreisen eine grosse Verbreitung 
finden, die er auch im vollstem Masse verdient. Rpd. 


Dr. A. Eulsnburg, Geh. Med.-Rat und Professor in Berlin: Sadismus und 

Masochismus. Wiesbaden 1902. Verlag von Bergmann. Gr. 8°; 89 S. 

Preis: 2 Mark. 

Der Sadismus (nach dem Marquis de Sade genannt) ist nach Krafft- 
Ebing eine Form sexueller Perversion, welche darin besteht, dass Akte der 
Grausamkeit, am Kürper des Weibes vom Manne verübt, nicht sowohl als präpa¬ 
ratorische Akte des Coitus bei gesunkener Libido - Potenz, sondern sich selbst 
als Zweck Vorkommen, als Befriedigung einer perversen vita sexualis. Unter 
den Begriff des Masochismus (nach dem Schriftsteller von Sacher • Masoch 
genannt) gehören nach Krafft-Ebing diejenigen Fälle, wo der Mann anf 
Grund von sexuellen Empfindungen und Drängen sich vom Weibe misshandeln 
lässt und in der Rolle des Besiegten statt des Siegers sich gefällt. Sadismus 
und Masochismus schliessen sich nach Eulenburg nur in der Theorie aus. 
Sie sind in Wahrheit verwandt und beiden ist gemeinsam, dass Schmers, sei 
er sugefttgt, erduldet oder auch imaginär, zur Quelle von Wollustgefühl wird. 
Er braucht nicht nur physischer Natur zu sein, sondern auch der moralische 
Schmerz in der Form der Demütigung und Erniedrigung kann zum Ausgangs¬ 
punkt von Wollustgefühlen werden. Zwischen Wollust und Grausamkeit oder 
Schmerz bestehen nahe Beziehungen, und zwischen Lust und Unlust sind eigen¬ 
tümliche Verkettungen vorhanden, wie sie auch regelmässig beim Coitus der 
Gesunden und nach demselben mehr oder minder deutlich ins Bewusstsein 
treten. Hier liegen nach Eulenbnrg die Wurzeln des Sadismus und Maso¬ 
chismus. An diese Darlegungen schliessen sich im vorliegenden Hefte bio¬ 
graphische und literarische Hinweise auf Marquis de Sade und Sacher- 
Masoch an und leiten zur speziellen Symptomatologie und Entwickelungs- 
geschichte der besprochenen Erscheinungen hinüber. Die Schrift ist höchst 
interessant; die Schlaglichter, die anf den lyrischen Stimmungsgebalt der 
heutigen Poesie fallen, sind frappirend. Die Lektüre des Bucbes ist durchaus 
zu empfehlen. _ Dr. Lewald-Obernigk. 


Dr. H&velOOk Ellls: Geeohleohtstrieb and Schamgefühl. Antori- 
sirte Uebersetzung von Julia E. Kötscher unter Redaktion von Dr. Max 
Kötscher. Zweite unveränderte Auflage. Würzburg 1902. Verlag von 
A. Stüber (C. Kabitzsch). Preis: 5 Mark. 

Das vorliegende Buob zerfällt in drei gesonderte Abschnitte, die dem 
Verfasser nothwendige Prolegomena für eine Analyse des geschlechtlichen In¬ 
stinktes zu sein scheinen, welche ja die Hauptrolle bei einer Erforschung der 
Geseblechtsphysiologie spielen muss. Die erste Studie führt den Titel: Die 
Entwicklung des Schamgefühls. Dies Gefühl wird definirt als dis 



Besprechungen. 


629 


instinktive Furcht, die sttm Verheimlichen, zum Verbergen treibt; dies Ge¬ 
fühl bezieht sich gewöhnlich auf die sexuellen Vorgänge. Es ist zwar beiden 
Geschlechtern gemeinsam, tritt aber doch beim Weihe so viel st&rker anf als beim 
Manne, dass man es als eins der wichtigsten sekundären Gescblechtscbarakters 
des Weibes anf psychischem Gebiete bezeichnen kann. Dem Schamgefühl nnd 
seinem Fortschritt, seiner Ausdehnung und Vertiefung verdanken wir nicht 
nur die Verfeinerung und Entwicklung der sexuellen Gefühle, sondern auch 
die durchgreifende Rolle, welche die sexuellen Instinkte in der Entwicklung 
aller menschlichen Kultur gespielt haben. Dass das Schamgefühl — wie alle 
eng verwandten Gefühle — auf Furcht, einer der primitivsten Gefühle, be¬ 
gründet ist, wird allseitig zugegeben werden müssen. Schamgefühl ist eine 
Anhäufung von Furchtgefühlen, und man kann hauptsächlich zwei Fnrchtge- 
fühle unterscheiden: das eine, von noch vormenschlichem Ursprung und nur 
vom weiblichen Wesen ausgehend, das zweite von ausgesprochen menschlichem 
Charakter und eher sozialem als sexualem Ursprung. Das erste Gefühl ist 
ursprünglich dazu geschaffen, den agressiven Mann fernzuhalten, fordert aber 
vielmehr ihn zu seiner Ueberwindung auf; unter den Furchtgefüblen mehr 
sozialen Ursprungs steht in erster Linie die Befürchtung, Ekel zu erregen. 
Da die Verdauungs- und Geschlechts -Exkrete nnd -Sekrete entweder nutzlos 
oder nach weitverbreiteten primitiven Anschauungen sogar höchst gefährlich 
sind, wurde die genito-anale Region znm gemeinsamen Mittelpunkte des Ekels. 

Im Zusammenhang damit ist eine ganz spezielle Art des Schamgefühls hei 
wilden Völkern sehr interessant, nämlich das Gefühl der Schamlosigkeit in 
Bezug auf das Essen. Wo dieses Gefühl besteht, wird daB Schamgefühl dureh 
gemeinschaftliches oder öffentliches Essen schwer verletzt; neben anderen Rei¬ 
senden erzählt z. B. v. d. Steinen in seinem bekannten Buch über Brasilien, 
dass die Bakairi in Zentralbrasilien ein Schamgefühl bezüglich ihrer Nacktheit 
nicht kennen, aber nicht gemeinschaftlich essen. Sie sieben sich zum Essen 
zurück; v. d. St. bemerkte, dass sie ihren Kopf in beschämter Verwirrtheit 
hängen Hessen, als sie ihn selbst öffentlich essen sahen. — Neben dieser Furcht, 
Ekel zu erregen, beruht das Schamgefühl häufig auch auf gesellschaftlichen 
und rituellen Rücksichten. Ursprünglich ist jedes Schamgefühl ganz unab¬ 
hängig von der Kleidung, die nicht sowohl den Zweck hat, die Geschlechts¬ 
organe zu verbergen, als vielmehr sie hervorzuheben, da Nacktheit eben keuscher 
ist, als theilweise Verhüllung. Als die physiologische Grundlage des Scham¬ 
gefühls sieht unser Autor den vasomotorischen Mechanismus an, dessen sicht¬ 
bares Zeichen das Erröthen ist. Alle verwandten Abarten der Furcht: Scham, 
Schüchternheit, Aengstlichkeit, werden in gewissem Grade von diesem Mecha¬ 
nismus getragen. Es ist daher auch bis zu einem gewissen Grade richtiger, 
zu sagen, dass Menschen schamhaft sind, weil sie erröthen oder fühlen, dass 
sie erröthen können, als dass sie erröthen. weil sie schamhaft sind. Eine merk¬ 
würdige kompletäre Beziehung besteht zwischen dem Gesicht und der regio 
sacro-pubica als anatomischem Sitz des Schamgefühls. Wo — wie bei den 
mohamedanisohen Völkern — das Gesicht der Brennpunkt des Schamgefühls ist, 
wird die Blossstellung des übrigen Körpers ganz gleichgültig behandelt; jeder 
Arzt bat gesehen, dass bei einer Untersuchung der Geschlechtsorgane Frauen eine 
Beruhigung darin finden, ihr Gesiebt in den Bänden zu verbergen, obwohl gerade 
diesem Körpertheil nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt wird. 

Der zweite Abschnitt behandelt die Erscheinung der sexuellen 
Periodizität. Wie Rythmus überhaupt das Kennzeichen jedes biologischen 
Vorganges ist, so sind auch in der ganzen pflanzlichen und thierischen Welt 
die geschlechtlichen Funktionen periodisch. Die Menstruation, die ihrem Wesen 
nach eigentlich ganz unbekannt ist, mit ihrem starken Einfluss auf die soziale 
Stellung des Weibes, hat im Geschlechtsleben des Mannes einen Parallelvor¬ 
gang; auch beim Manne werden monatliche Schwankungen und Aenderungen 
von körperlichen nnd geistigen, von gesunden und kranken Eigenschaften beob¬ 
achtet. Von einigen Autoren wird ein Zyklus von 23 Tagen behauptet; es 
scheint, als ob die Pollutionen ebenfalls eine gewisse Periodizität innehalten. 
Nelson, Professor für Biologie, veröffentlichte 1888 im American journal of 
psychology eine 8tudie über eigene Träume und Pollntinnen auf Grund zwei¬ 
jähriger eigener Beobachtungen und glaubte, alle 28 Tage einen Höhepunkt 
der Träume und Pollutionen konstatiren zu dürfen. Eine andere eigene, durcV^ 
12 Jahre hindurch geführte Beobachtung schien einen deutlich wöchentlich'' 



980 


Besprechungen. 


Rythmus hinsichtlich der Pollutionen erkennen zu lassen. Immerhin ist dis 
ganse Frage noch nicht spruehreit 

Der dritte und grösste Abschnitt des Buches behandelt den „Auto- 
Erotismus“, d. h. das Phänomen der spontanen geschlechtlichen Erregung 
ohne irgend welche Anregung, direkt oder indirekt, seitens einer anderen 
Person. Dies Gebiet ist sehr ausgedehnt; es erstreckt sich von den ge¬ 
legentlichen wollüstigen Tagesträumen, bei denen das Individuum völlig passiv 
bleibt, bis zu den beständigen schamlosen Versuchen zur geschlechtliches 
Selbstbefriedigung, die man häufig bei Geisteskranken beobachtet. Die typische 
Form des Autoerotismus aber ist die gesteigerte geschlechtliche Erregung wäh¬ 
rend des Schlafes. Der Verfasser bringt ein riesenhaftes Th&tsachen- Material 
zusammen; bespricht die Masturbation bei Thieren, bei unkultivirten Völkern, 
den Missbrauch gewöhnlicher Gerttthe und Gegenstände (Haarnadeln), die Unter¬ 
schiede der erotischen Träume bei Mann und Weib und kommt dann eingehend 
auf die Beziehung dieser Erscheinung zur Hysterie zu sprechen. Er zeigt 
ausführlich, welche Umwandlungen die Lehre von den Ursachen der Hysterie 
im Laufe der Zeit erfahren hat, und erklärt, dass er der neuesten Theorie von 
Freud und Breuer sympathisch gegenübersteht, ohne damit die ganse Frage 
als definitiv gelöst zu betrachten. 

Was die Häufigkeit der Onanie anbetrifft, so wird Burg er’s An¬ 
sicht, dass 99 Prozent aller jungen Männer und Frauen gelegentlich mastur- 
biren, während der Hundertste die Wahrheit verbirgt, als zu weitgehend be¬ 
zeichnet; Moraglia stellt durch Nachfragen 60 Prozent fest. Ob diese Ge¬ 
wohnheit bei Männer oder Frauen häufiger ist, ist zweifelhaft Retau’s 
Selbstbewahrung und ähnliche Litteratur unserer Tage hat übrigens, wie der 
Verfasser des Näheren ausführt, schon Anfang deB 18. Jahrhunderts einen Vor¬ 
läufer gehabt in dem Buche eines Engländers, das 80 Auflagen erlebt haben 
soll und in welchem eine „stärkende Tinktur“ empfohlen und in den mitabge- 
druokten Briefen der Patienten gelobt wird. Entgegen der früher herrschenden 
Ansioht von der grossen Gefährlichkeit und Schädlichkeit der Onanie vertritt 
Verfasser den Standpunkt, dass mEssige Masturbation bei gesunden, erblich 
nicht belasteten Menschen keine verderblichen Folgen hat. Masturbation 
schadet nicht mehr und nicht weniger, als geschlechtlicher Verkehr, der ebenso 
häufig und bei demselben allgemeinen Gesundheitszustände, in demselben Alter 
unter anderen Verhältnissen gepflogen wird. Als allgemeine Regel stellt Autor 
die Ansicht auf, dass, wenn Masturbation nur in langen Zwischenräumen geübt 
wird, und um faute de mieux Erleichterung von psychischem Druckgefübl und 
geistigem Unbehagen zu erzielen, sie als ein natürliches Resultat unnatürlicher 
Umstände betrachtet werden kann. Wenn sie aber, wie es bei Degenerirtea 
häufig vorkommt und wie es bei schüchternen und phantasiereichen Personen 
auch manchmal der Fall sein kann, dem geschlechtlichen Verkehr vorgezogen 
wird, dann ist sie sofort anormal und kann möglicherweise zu einer Reihe von 
geistigen und körperlichen schädlichen Folgen führen. — Eine kurze Ueber- 
sicht über die Beurtheilung, welche die Onanie bei verschiedenen Völkern und 
in den verschiedensten Religionen findet, bildet den Schluss des dritten Ab¬ 
schnittes des Buches. Im Anhang wird zunächst der Einfluss der Menstruation 
auf die Stellung der Frau, dann eine Arbeit von Perry-Coste über Sexual- 
PerioiizitKt beim Manne im Auszug wiedergegeben und schliesslich der auto- 
erotische Faktor in der Religion besprochen. 

Die Lektüre des Buches fesselt durch die ausserordentliohe Belesenheit 
des Verfassers, durch seine Fülle von Beobachtungen und durch den kritischen 
Geist, vou dem es durchweht wird. Dr. Lewald-Obernigk. 


Profi Dr. mod. Max Flesoh, Frauenarzt, und Dr. Jur. Ludwig Wost- 
heinuer, Rechtsanwalt in Frankfurt a. M.: Geschlechtskrankheiten und 
Rechtsachats. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1908. 82 Seiten. 

Preis: 2 Mark. 

Mit Rücksicht auf die Erweiterung unseres medizinischen Wissens be¬ 
züglich der Geschlechtskrankheiten und ihrer Folgen wird sehr eingehend die 
Notwendigkeit einer Abänderung der zivilrechtlichen, dagegen nicht der straf¬ 
rechtlichen Bestimmungen erörtert und zwar werden bezüglich der Ehe folgende 
Forderungen gestellt.: 



Besprechungen. 


631 


1. Gonorrhoe und Syphilis gelten eo ipso, wenn sie wihrend der Ehe bei 
einem Ehegatten direkt oder indirekt auftreten, als Eheseheidnngsgrund, ohne 
dass es des Nachweises des Ehebruchs bedarf. 

2. Die Zulassung der Eidessuscbiebnng als Beweismittel in allen den 
Ehesachen, die auf das Auftreten von Syphilis und Gonorrhoe gestütnt sind, 
für die Tatsachen, welche sich auf die Entstehung und Art der Krankheit 
besiehen. 

8. Entbindung des behandelnden Arztes von Wahrung des Berufsgeheim« 
nisses in solchen Ehesachen. 

Betreib der Entschädigung des mit einer Geschlechtskrankheit Infizierten 
wird verlangt, dass schon die Veranlassung einen Grund zum Schadenersatz 
abgibt und zwar ohne Unterschied, ob die Infizierung beim ehelichen oder 
ausserehelichen Geschlechtsverkehr erfolgt; mindestens aber mttsse umgekehrt 
dem Urheber des Schadens die Beweislast aufgebürdet werden, dass der Schaden 
trotz der von ihm angewendeten ordnungsmissigen Sorgfalt eingetreten ist. 

„Aber auch diese Bestimmungen würden ohne praktischen Wert sein, 
solange nicht durch eine Umwandlung der Sitten häufiger Ansprüche auf 
Schadenersatz geltend gemacht würden. Erst wenn die Auffassung eine allge¬ 
meine wird, in jedem Akte geschlechtlichen Verkehrs nicht einen Moment 
flüchtigen Sinnenrausches, sondern ein folgenschweres Handeln zu sehen und 
wenn derjenige, der sich dieser Verantwortung entzieht, der allgemeinen Ver¬ 
achtung anheimfällt, wird aus dem Kampfe gegen die venerischen Seuchen ein 
sittlicher Fortschritt der Menschheit hervorgehen.“ 

Dieser Standpunkt des Verfassers ist ein sehr idealer und kann man 
nur wünschen, dass ihre Hoffnungen in Erfüllung gehen. Im übrigen haben 
die Verhandlungen des Frankfurter Kongresses doch etwas andere Ansichten, 
nicht nur der Juristen, sondern auch der Mediziner ergeben. 

Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rh. 


Dr. Beranrd Boainskl, Privatdozent für Gynäkologie in Königsberg: Die 
Syphilis in der Schwangerschaft. Verlag von Ferdinand Enke. 
Stuttgart 1903. 206 Seiten. Preis: 10 Mark. 

Es handelt sich um eine Monographie über das gesamte Gebiet der fötalen 
Lues, insbesondere über die uterine Uebertragung, teils referierend, teils be¬ 
sonders in den kontraversen Pnnkten, anf Grund persönlicher Erfahrungen bezw. 
Untersuchungen, so z. B. betreffs der postkonzeptionellen Uebertragung. Be¬ 
sonders eingehend erörtert und durch vorzügliche farbige Illustrationen er¬ 
läutert werden die spezifischen Plazentarveränderungen, auf Grund deren Ver¬ 
fasser zu sehr abweichenden Schlüssen kommt. 

Das Buch ist nicht nnr für Spezialisten geschrieben, sondern auch für 
den praktischen Arzt, dem es durch seine übersichtliche Anordnung des Stoffes 
eine schnelle Orientierung bei den mannigfachen Kombinationen ermöglicht. 
Unter den heutigen Verhältnissen wichtig sind neben anderen auch die Fragen 
betreffs deB Ehekonsenses der Syphilitiker. 

Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rh. 


Profi Dr. Prausnitz - Graz: Physiologische und sozial - hygienische 
Studien Aber Säuglings-Ernährung und Säuglings-Sterblichkeit. 
Mit mehreren Abbildungen und Tabellen. München 1902. J. F. Lehmanns 
Verlag. Gr. 8«, 123 S. Preis: 3 Mark. 

Der Verfasser bringt eine Menge Zahlen über den Nahrungsbedarf seiner 
Eiinder während des ersten Lebensjahres. Eine Verallgemeinerung dürfte nicht 
ohne weiteres zulässig sein. Er wendet sich nach ausführlich begründetem 
Hinweis auf die grossen Schwankungen in der chemischen Zusammensetzung 
der Milch gegen die Sitte, die für den Säugling herznrichtende Milch, ohne 
im speziellen Falle ihre Zusammensetzung zu kennen, nach irgend einer Vor¬ 
schrift zu verdünnen. Nach Ansicht des Referenten unterschätzt P. die prak¬ 
tische Einsicht einer ihr Kind beobachtenden Mntter. Wo aber Unvernunft 
und Böswilligkeit dem Säugling aus Milch einen Gifttrank bereiten, da hilft 
auch — so ist es wenigstens in der Heimat des Referenten — der ärztliche 
Rat nichts, P. gibt an, dass in Graz die bisherigen Versuche zur Bekämpfung 
der Säuglingssterblichkeit kein deutlich sichtbares Resultat*gehabt haben und 



532 


Besprechungen. 


folgert daraus, „dass entweder die Aetiologie der Säuglingssterblichkeit nicht 
richtig erkannt wurde, oder aber nicht die richtigen Mittel au ihrer Be* 
kämpfang angewandt wurden bezw. angewandt werden konnten. Dass in der 
Aetiologie der Säuglingssterblichkeit soziale Verhältnisse eine bedeutende 
Rolle spielen, hat P. im letzten, sehr interessanten Teil seiner Arbeit bewiesen. 
Br teilt die Bevölkerung von Graz in 4 Wohlhabenheitsklassen. In der ersten 
Klasse ist in den letzten 20 Jahren kein Säugling an Magendarmerkrankungen 
gestorben. 

Die Unterschiede der Kindersterblichkeit in den verschiedenen Klassen 
von Graz, Brünn, Braunschweig, Salzburg und Triest sind sehr übersichtlich 
in den Diagrammen auf S. 101—103 dargestellt. P. erkennt zwar selbst an, 
dass man die gestorbenen Kinder einer Wohlhabenheitsklasse in zahlengemässer 
Beziehung zu den lebenden Kindern dieser Klasse bringen müsste; er hält eine 
solche Statistik aber für unmöglich. 

Die Einschränkung der Kindersterblichkeit ist eine der grossen hygieni¬ 
schen Aufgaben. Die P.sche Schrift enthält für die Beurteilung vieler in 
Betracht kommender Fragen sehr wertvolles Material. 

_ Dr. Hirschbruch-Posen. 

Dr. W. Ebstein, Geh. Med.-Rat und a. o. Professor in Göttingen: Dorf- 
und Stadthygiene. Unter besonderer Berücksichtigung auf die Wechsel¬ 
beziehungen für Aerzte und für die mit der Wahrnehmung der Interessen 
der öffentlichen Gesundheitspflege betrauten Verwaltungsbeamten. Mit Ab¬ 
bildungen. Stuttgart 1902. Verlag von Ferd. Enke. Gr. 8*, 160 Seiten. 
Preis: 4 Mark. 

Die Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Land haben stets den 
Hygieniker hervorragend interessiert. Auf der letzten Versammlung des Deut¬ 
schen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege widmete Roth denselben ein¬ 
gehende Behandlung. In der Tat ist es ein reizvolles Thema voll vielseitiger 
Anknüpfungspunkte aus den verschiedensten Gebieten. E. beleuchtet dasselbe 
einseitig, durchweg auf Grund von brieflichen Mitteilungen und Zitaten, er 
hebt die Gefahren, welche den Städten vom Lande her drohen, besonders her¬ 
vor. Besser als der noch so einsichtsvolle Stadtbewohner dürfte aber zu solcher 
Darstellung der kluge, hygienisch gebildete Landarzt berufen sein. Vielleicht 
aus dieser Ueberzengung heraus gibt E. seinen Gewährsmännern selbst in aus¬ 
gedehntem Masse das Wort, ein Verfahren, welches allerdings der Einheitlich¬ 
keit des Werkes nicht zum Vorteil gereicht. Die so notwendige kritische Ver¬ 
arbeitung fehlt. Dass die Wasserversorgung auf dem Lande durchweg sehr 
mangelhaft ist, dass unzweckmässige Lage und Bauart der Brunnen gelegent¬ 
liche Verunreinigungen ihres Inhalts durch tierische und menschliche Abgänge 
zulassen, ist zu bekannt, als dass man viele Worte darüber verlieren sollte. 
Wer Augen hat zu sehen, der sieht das oft. Uns Norddeutschen sind anch die 
Gefahren der Marschen nur allzu geläufig, wo der Mensch demselben Wasser- 
lanf seinen Bedarf entnimmt, dem er die Abgänge anvertraut, wie Dr. Tom- 
f orde-Hechthausen es so anschaulich schildert (S. 9). Dass die Ehen zwischen 
Blutsverwandten, wie sie auf dem Lande so häufig Vorkommen, dass die Be¬ 
schäftigung mit lungenkrankem Milchvieh, dass die feuchte Lage der Woh¬ 
nungen für die Ausbreitung der Schwindsucht von Bedeutung seien, wird oft 
behauptet. Die Verbreitung von Typhuskeimen durch die Luft vom Lande zur 
Stadt (S. 85) ist eine kühne Annahme. Kritisch behandelte, bestimmte Fälle 
würden zur Klärung dieser Fragen mehr beitragen, als wiederholte theoretische 
Erörterungen. WeT kennt endlich nicht die Angst der Landbewohner vor 
frischer Luft in seinen Räumen, wem wären nicht die Alkoven-Betten ein 
Gräuel?! Entsprechend dem örtlichen Stande der Hygiene fordern denn anch 
in den betreffenden ländlichen Bezirken alle Infektionskrankheiten mehr oder 
weniger zahlreiche Opfer, und die Behauptung, dass der Gesundheitszustand 
der Landbewohner besser sei, als derjenige der Städter, dürfte nur, wie Kruse 
hervorgehoben hat, für das kräftige Mannesalter zutreffend sein. — Gewiss ist 
E. zuznstimmen, wenn er sagt, dass „die grössten Anstrengungen der Städte, 
ihre sanitären Verhältnisse zn bessern, ihr Ziel so lange nnr unvollkommen 
erreichen können, als die ländliohen Ortschaften niebt von einem gleichen Be¬ 
streben erfüllt sind.“ Grössere Reinlichkeit im allgemeinen und besonderen, 



Respreehungeü. 


533 


das ist mit Hecht auch E.s Hauptforderung. Br wünscht auch lindliche Orte 
mit ein wandsfreier Wasserleitung zu versehen, verlangt Anlage dichter Aborte 
und Desinfektion der Abgänge von Infektionskranken, hebt die Wichtigkeit 
reinlicher Milchgewinnung hervor und befürwortet Verbesserung der Fleisch¬ 
beschau und der Bäckereien. Wirksamere Desinfektionsmassregeln empfiehlt 
E. durch „einheitliche Staatsgesetze“ anzustreben, dem Transport infektiöser 
Kranken vom Lande zur Stadt sei besondere Aufmerksamkeit zu widmen. — 
Und wer sorgt fttr die Durchführung aller dieser hygienischen Verbesserungen P 
Es ist der Kreisarzt, dem aber eine grössere Bewegungsfreiheit gegeben werden 
muss, und der von der gerichtsärstlichen Praxis zu entlasten ist. Seinem ver¬ 
ständnisvollen Einfluss auf Gemeindeverwaltungen und Einzelpersonen, in har¬ 
monischem Zusammenarbeiten mit den Behörden wird es besser gelingen, Fort¬ 
schritte zu zeitigen, als dem Zwangsmittel einer drakonischen Gesetzgebung. 
Und wer trägt die Kosten? _ Dr. Sieveking-Hamburg. 

Dr. E. Roth, Reg.- u. Geb. Med.-Rat in Potsdam: Die Wechselbe¬ 
ziehungen zwischen Stadt und Land in gesundheitlicher Be¬ 
ziehung und die Sanierung des Landes. Mit einem Anhang und 
acut Tafeln. Braunschweig 1903. Verlag von F. View eg & 8 oh n. Gr. 8, 
74 S. Preis: 2,50 Mark. 

Verfasser hat jetzt den von ihm auf der vorjährigen Versammlung des 
Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege gehaltenen höchst inter¬ 
essanten Vortrag, über den bereits in dieser Zeitschrift referiert ist, als be¬ 
sondere und nach verschiedenen Richtungen hin erweiterte Arbeit herausge¬ 
geben, deren Studium nicht nur den Aerzten und Medizinalbeamten, sondern 
auch den Vertretern der Städte, insbesondere der Landkreise und Landgemeinden 
warm empfohlen werden kann. Als Anhang ist eine recht zweckmässige Anwei¬ 
sung, betreffend Binzeianlagen für Trink- und Hauswässer, Abort-, Jauche- 
und Düngergruben nebst Ausführungsbestimmungen beigefügt Rpd. 


Dr. EL Holts, Regierungsassessor und Hilfsarbeiter im Ministerium für Land¬ 
wirtschaft, Domänen und Forsten: Die Fürsorge für die Reinhaltung 
der Gewässer auf Grund der Allgemeinen Verfügung vom 20. Februar 
1901. Auf amtliche Veranlassung erläutert. Berlin 1902. C. Heymanns 
Verlag. Gr. 8o, 50 S. PreiB: 1 Mark. 

Ein recht brauchbarer Kommentar für die praktische Handhabung der 
allgemeinen ministeriellen Verfügung, der den zuständigen Behörden deren 
Ausführung wesentlich erleichtern wird. Die gegebenen Erläuterungen weisen 
nicht nur auf die praktischen und rechtlichen Gesichtspunkte der Verfügung 
hin, sondern ergänzen auch die in dieser angezogene einschlägige Judikatur und 
gehen auf den Inhalt der hier nur kurz erwähnten wichtigsten oberstrichter¬ 
liehen Entscheidungen ausführlicher ein. Die Schrift wird sicherlich zur Förde¬ 
rung der auf die Reinhaltung der Gewässer gerichteten Bestrebungen beitragen. 

_ Rpd. 


Dr. E. v. Esm&roh, o. ö. Professor der Hygiene in Göttingen: Hygienisches 
Taschenbuch, für Medizinal- und Verwaltungsbeamte, Aerzte, Techniker 
und Schulmänner. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin 1902. 
Verlag von Julius Springer. 12°; 294 S. Preis: geb. 4 Mark. 

Dm bei dem Erscheinen der früheren Auflagen bereits in dieser Zeit¬ 
schrift besprochene Taschenbuch ist von seinem Verfasser einer gründlichen 
Umarbeitung unterzogen, namentlich gilt dies in bezug auf die Abschnitte über 
die Desinfektion und die Beseitigung der Abfallstoffe. Ueberall sind die 
neueren Forschungen und deren Ergebnisse auf dem Gebiete der Hygiene be¬ 
rücksichtigt ; auch die Angaben über die Bezugsquellen sind mit Sorgfalt revi¬ 
diert und ergänzt. Dabei ist der Charakter eines handlichen Taschenbuchs 
gewahrt, ein unseres Erachtens ausserordentlicher Vorzug, dem das Buch nicht 
zum geringsten Teile seine grosse Beliebtheit in den beteiligten Kreisen ver¬ 
dankt. Es kann daher, insbesondere den Medizinalbeamten, in seinem neuen, 
wesentlich verbesserten Gewände nur auf das Wärmste empfohlen werden, da 
es ihnen bei ihrer amtlichen Tätigkeit zweifellos recht gute Dienste leisten 
wird. _ Rpd. 



Besprechungen» 


t>U 


Dr. M. Bubner, Geh. Med.-Eat, Professor und Direktor des Hygienischeta tn- 
Btituts in Berlin: Lehrbuch, der Hygiene. Systematische Darstellung: 
der Hygiene und ihrer wichtigsten Untersuchungsmethoden. Zum Gebrauche 
für Studierende der Mediain, Physikatskandidaten, Sanitätsbeamte, Aerite, 
Verwaltungsbeamte. Mit 260 Abbildungen. 7. Auflage. Leipzig und Wien 
1903. Verlag von Frans Deuticke. Gr. 8. Lieferung 1., 2. zu je 80 8. 
Preis: je 2 Mark. 

Nur wenige Jahre sind seit dem Erscheinen der sechsten Auflage des 
Rubnersehen Lehrbuches verflossen, und schon wieder hat sich die Herausgabe 
einer neuen Auflage als notwendig erwiesen, der beste Beweis für die Vortieff- 
lichkeit des Werkes und für seine ausserordentliche Beliebtheit in den be¬ 
teiligten Kreisen. Wie sehr dasselbe die letztere verdient, braucht hier nicht 
von Neuem hervorgehoben zu werden; dass sie ihm aber auch künftighin er¬ 
halten bleiben wird, dafür hat Verfasser durch die sorgfältige Berücksichtigung 
aller Fortschritte und neuer wissenschaftlicher Tatsachen auf allen Gebieten 
der öffentlichen Gesundheitspflege Sorge getragen. Nicht minder verdient an¬ 
erkannt zu werden, dass trotz der Berücksichtigung der neuen Errungen¬ 
schaften hygienischen Wissens das Lehrbuch auch in seiner neuen Auflage 
seinen bisherigen Umfang, soweit sich nach den vorliegenden Lieferungen be¬ 
urteilen lässt, nicht wesentlich überschreiten und demgemäss seinen kompen- 
diösen Charakter beibehalten wird. 

Die Einteilung des Stoffes ist unverändert geblieben. Nach einer kurzen 
die Geschichte der Gesundheitspflege behandelnden Einleitung werden zunächst 
die Atmosphäre, sodann der Boden, das Klima und hierauf das Wohnhaus be¬ 
sprochen. Ueberall sind hierbei die wichtigsten Untersuchungsmethoden in 
klarer, leicht verständlicher und präziser Weise geschildert, z. T. unter Bei¬ 
fügung zweckentsprechender Abbildungen. Insbesondere hat das Kapitel über 
Kleidung eine den neuesten Forschungsergebnissen des Verfassers entsprechende 
Umarbeitung erfahren. 

Hoffentlich folgt das Erscheinen der weiteren Lieferungen ebenso schnell, 
wie bei den früheren Auflagen!, _ Rpd. 

Dr. Leo Burgerzteln und Dr. Ang. Netolitzky : Handbuch der 
Schulhygiene. Mit 860 Abbildungen. Zweite umgearbeitete Auflage. 
Jena 1902. Verlag von Gustav Fischer. Gr. 8°; 997 S. Preis: 20 Mark. 

Die zweite Auflage des Baches ist bedeutend vergrössert erschienen, der 
Inhalt ist von 429 Seiten der ersten Auflage auf 997 der zweiten gestiegen, 
die Zahl der Illustrationen ist von 154 auf 360 gewachsen. Bei der Neube¬ 
arbeitung sind nur wenige Textseiten unverändert geblieben und ganze Kapitel 
haben beträchtliche Veränderungen erfahren, z. B. die Hygiene des Unterrichts; 
als neue Abschnitte sind das Kapitel über Hygiene des Lehrerbernfes und das 
Kapitel über den Kindergarten einbezogen. Bei der Erörterung der Infektions¬ 
krankheiten sind Cholera, Malaria, Pest und Typhus neu aufgenommen worden, 
da diese Krankheiten für die Schulen in den meisten Kulturstaaten bereits der 
Anzeigepflicht unterliegen. 

Das vorliegende Handbuch zählt zu den besten, die wir in der sohul- 
hygienischen Literatur besitzen und stellt eine erschöpfende Darstellung der 
umfangreichen Doktrin dar, in der die einschlägige Originalliteratur in 
dänischer, deutscher, englischer, französischer, holländischer, italienischer, 
russischer und schwedischer Sprache verwertet ist. Es ist ein Werk von 
hoher praktischer and wissenschaftlicher Bedeutung, das namentlich von Aerzten, 
die sich aus Beruf oder aus wissenschaftlichem Interesse mit der Scbulgesund- 
heitslehre befassen, als ein willkommener Berater in allen schulhygienischen 
Fragen begrüsst werden kann. _ Dr. Rump-Osnabrück. 


Dr. O. Dummer: Handbuch der Arbeiterwohlfahrt. Mit zahlreichen 
Textfiguren. Stuttgart 1902 u. 1903. Verlag von Ferd. Enke. Zwei Bände. 
Gr. 8*; 880 S. bezw. 440 S. Preis: 22 M., geb. 24,60 M. bezw. 12,40 M. 
Das Handbuch dürfte nicht nur den Arbeitgebern, sondern auch den 
Verwaltungs-, Gewerbeaufsichts- und Medizinalbeamten in hohem Grade will¬ 
kommen sein, da es sowohl alle sozialpolitischen Gesetze, als alle Einrichtungen 
berücksichtigt, die zur Förderung der Arbeiter in gesundheitlicher, geistiger 



Besprechungen. 


595 


Und wirtschaftlicher Beziehung Bich als zweckmässig bewährt haben. Der Ver¬ 
fasser hat zur Bearbeitung des Überaus reichhaltigen und interessanten Mate¬ 
rials eine stattliche Anzahl von Mitarbeitern gewonnen, die sich alle mit Er¬ 
folg bemüht haben, die von ihnen bearbeiteten Kapitel in erschöpfender und 
saehgemässer Weise zu behandeln; trotz dieser zahlreichen Mitarbeiter ist aber 
doch der einheitliche Charakter des Handbuches gewahrt, desgleichen sind 
Wiederholungen tunlichst vermieden. 

Der erste Band umfasst die Kapitel: Arbeiterwohnungen von Architekt 
Friedrich Wagner in Rostock — hier haben auch die einschlägigen Verhält¬ 
nisse des Auslandes Berücksichtigung gefunden —, das Schlafstellenwesen von 
Kreisassistenzarzt Dr. Ascher in Königsberg i. Pr., die Desinfektion der Woh¬ 
nungen von Privatdozent Stabsarzt Dr. Diendonnä in Wttrzburg, die Er¬ 
nährung von Privatdozent Dr. Hirschfeld in Berlin, die Kleidung von Dr. 
F. Leppmann in Berlin, die Fabrik von Prof. Büsing in Berlin — beson¬ 
ders eingehend sind hier Heizung, Lüftung und Beleuchtung besprochen —, 
die Beschädigungen der Arbeiter bei der Arbeit und die Behandlung von Ver¬ 
unglückten und deren Transport von Dr. Ascher und die spezielle Gewerbe- 
hygiene nebst Unfallverhütung von Qewerbeinspektor Dr. Fischer in Berlin. 
In diesem letzten Kapitel sind nicht blos die Schutzvorrichtungen gegen Unfall, 
Feuergefahr u. s. w., sondern auch alle Vorrichtungen zur Erhaltung von 
frischer Luft (Bekämpfung von Staub, Gasen, Dünsten und Bauch) im allge¬ 
meinen sowohl, wie bei den einzelnen Gewerbetrieben berücksichtigt; es bildet 
gleichsam eine ge werbe- technische Ergänzung des von Ascher bearbeiteten 
Kapitels über die Beschädigungen der Arbeiter, bei dem der medizinisch-tech¬ 
nische Standpunkt in den Vordergrund tritt und das demgemäss besonders den 
Arzt und Medisinalbeamten interessiert. Dasselbe gilt betreffs der aus der 
Feder desselben Verfassers stammenden Kapitel über Hausindustrie und Ar- 
beiterschuts, die den Anfang des zweiten Bandes bilden, der ausserdem 
noch die Kapitel über staatliche Gewerbeaufsicht von Gewerbeinspektor Dr. 
Schröder in Magdeburg, Privatrechtschutz der Arbeiter von Amtsgerichtsrat 
Laubhardt in Berlin, Arbeitsnachweis von Gewerbeinspektionsassistent Dr. 
Glühmann in Berlin, Kranken- u. Unfallversicherung von Beg.-Bat Prof. 
Dr. Lass in Berlin, Invalidenversicherung von Beg.-Bat Klehmet in Berlin, 
gewerkschaftliche Organisationen der Arbeiter von Dr. Mombert in Karlsruhe 
und über Arbeitsvertrag, Lohnform, Arbeitervertretung nnd Fabrikwohlfahrts¬ 
pflege von Gewerbeinspektor Dr. Möller in Wittstock enthält. 

Diese kurze Uebersicht wird genügen, um dem Leser ein Bild von dem 
reichen Inhalt des Handbuches zu geben. Die Ausstattung desselben ist eine 
vorzügliche; sein Wert für den praktischen Gebrauch wird durch zahlreiche, 
recht instruktive Abbildungen, namentlich im ersten Bande (344), wesentlich 
erhöht. _ Bpd. 


Dr. R. dränier, Geh. Med.-Bat u. Kreisarzt in Berlin: Lehrbuch für 

Heilgehilfen und Masseure. Dritte vermehrte Auflage. Berlin 1903. 

Verlag von B. Schoetz. Gr. 8°, 213 S. Preis: geb. 6 Mark. 

Das von der Zentralinstanz empfohlene Graniersche Lehrbuch für 
Heilgehilfen und Masseure hat infolge der neuen ministeriellen Bestimmungen 
vom 8. März v. J. eine bedeutende Umarbeitung und Vermehrung erfahren. 
Die Krankenpflege und Badehilfe sind neu hinzugefügt, alle anderen Abschnitte 
unter Berücksichtigung der neuesten Erfahrungen durchgearbeitet und bei der 
Desinfektion auch das Vorfahren mit Formaldehyd eingehend besprochen. Von 
den einschlägigen gesetzlichen und polizeilichen Bestimmungen haben mit Becht 
nur die zur Zeit geltenden Bestimmungen Aufnahme gefunden, soweit sie für 
die Tätigkeit der Heilgehilfen und Pflegepersonen in Betracht kommen. Durch 
vorzüglich ausgeführte Abbildungen und tadellose Ausstattung in Bezug auf 
Papier und Druck hat das Lehrbuch an Brauchbarkeit ausserordentlich ge¬ 
wonnen ; es sei deshalb in seiner neuen Gestalt den beteiligten Kreisen, insbeson¬ 
dere den Kreisärzten und Krankenhausärsten, als Leitfaden für die Heranbildung 
eines tüchtigen Pflegepersonals wiederum aufs Wärmste empfohlen. Bpd. 


Dr. O. v. Baxdeleben: Handbuch der Anatomie den Mennohen. 
Jena 1902 u. 1903. Verlag von G. Fischer. Gr. 8«; Lieferung 8 mit 



Tageen&chrichtetl. 


586 

89 Abbildungen und 182 8.; Preis 6 Mark für die Abnehmer des ganzen 
Werkes, 7,60 Mark bei Einsei verkauf; Lieferung 9 mit 86 Abbildungen and 
170 S., Preis 6,0 bezw. 7,50 M. and Lieferung 10 mit 198 Abbildungen und 
178 S. Preis: 4,60 bezw. 6 M. 

Nach längerer Pause sind von dem vorliegenden Handbuche der Anatomie 
wiederum 8 Lieferungen erschienen: In der 8. Lieferung behandelt Prof. Dr. 
Disse-Marburg die Harn- und Geschlechtsorgane, in der 9. Lieferung Prof. 
Dr. Merk ei- Göttingen die Atmungsorgane, während die 10. Lieferung die Fort¬ 
setzung der Anatomie des Nervensystems von Prof. Dr. Ziehen-Utrecht bildet 
und eine vorzügliche Darstellung der mikroskopischen Anatomie des Gehirns 
gibt. Wenn auch gerade diese Lieferung den Gerichtsarzt besonders inter¬ 
essieren dürfte, so sind für ihn doch auch die beiden anderen Lieferungon des 
Handbuches höchst wertvoll; denn für die gerichteärztliche ObduktionBtecbnik 
und Beurteilung der Obduktionsergebnisse bildet eine genaue Kenntnis nicht 
nur der pathologischen, sondern auch der normalen Anatomie die Hauptgrund¬ 
lage. Er muss auch mit den vorkommenden angeborenen Abweichungen, mit 
der fortschreitenden Entwickelung des menschlichen Körpers im jugendlichen 
Alter, wie mit dessen rückschreitender Umbildung im Alter bekannt sein; will 
er nach dieser Richtung hin seine Kenntnisse erweitern oder in Zweifelfällen 
einen sicheren Ratgeber haben, dann wird er ihn in dem Bardelebensehen 
Handbuche finden. Die Ausstattung der jetzt zur Ausgabe gelangten Lie¬ 
ferungen ist eine ebenso gediegene wie die der bereits erschienenen; die zahl¬ 
reichen Abbildungen lassen sowohl in bezug auf Naturtreue, als in bezug auf 
künstlerische Ausstattung nichts zu wünschen übrig. Rpd. 


Tagesnachrichten. 

Zur Bekämpfung des Typhus. Im diesjährigen Etat für das Deutsche 
Reich sind bekanntlich für die Förderung der Bekämpfung des Typhus (s. die 
betreffende Denkschrift in Nr. 2, 8. 79 der Zeitschrift) 150000 Mark eingestellt 
und vom Reichstag bewilligt worden. Auf Veranlassung des Reichskanzlers 
hat sich nun vor Kurzem eine Kommission unter Leitung des Präsidenten des 
Kaiserlichen Gesundheitsamts Dr. Köhler nach dem Westen des Reiches be¬ 
geben. Vom Reichsamt des Innern nahm an der Reise der Geh. Ober-Beg.-Rat 
Bumm teil, vom preußischen Kriegsministerium Oberstabsarzt Dr. Paalzow, 
vom Ministerium des Innern Geh. Ober-Reg.-Rat Maubach, vom Finanzmini¬ 
sterium Geb. Reg.-Rat Dulheuer. Für die elsass - lothringische Regiernng war 
Geh. Med.-Rat Dr. Biedert, von Bayern Stabsarzt Dr. Hertel, von Olden¬ 
burg Reg.-Rat Dr. Trost delegiert. Die Kommission besichtigte in Strassburg, 
Landau, Saarbrücken, Metz und Trier die teils schon in Betrieb befindlichen 
Einrichtungen, teils wurden die der Ausführung noch entgegensehenden Pläne 
einer Untersuchung unterzogen. In Trier schlossen sich auch die Kommissare 
des preussischen Kultusministeriums, Ministerialdirektor Dr. Förster und 
Geh. Ober-Reg.-Rat Prof. Dr. Kirchner, an. Unter Zuziehung der Leiter 
sämtlicher Typhusstationen fand hier eine Beratung statt, in der ein Plan 
festgestellt wurde, nach dem sämtliche Stationen in Uebereinstimmung mit den 
Verwaltungsbehörden vorzugehen haben, um eine systematische Bekämpfung 
des Typhus nach der Anregung des Geh. Rats Prof. Dr. Koch zu erzielen. 


In der Sitzung des Württembergisoben Landtages am 10. Jnni 
d. J. ist die Errichtung eines homöopathischen Lehrstuhls wiederum 
zur Sprache gebracht. Kultusminister Dr. v. Weizsäcker erklärte mit grosser 
Entschiedenheit, dass er sich nach dem ablehnenden Gutachten des akademischen 
Senates nicht veranlasst gesehen habe, dem vorjährigen Beschlüsse des Landtages 
entsprechend einen Lehrauftrag für Homöopathie in Tübingen zu erteilen. 

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Personalien. Der Privatdozent Dr. Paul Stolper, langjähriger Mit¬ 
arbeiter der Zeitschrift, hat einen Ruf als außerordentlicher Professor der 
gerichtlichen Medizin nach Güttingen erhalten und angenommen. 

Verantworte Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u.Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 

J, C. 0. Bruns, Herzog). 8Xehe. u. F. 8eh.-L. KfofbucbdruckereJ ln Minden, 




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16. Jahrg. 


Zeitschrift 


1903. 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


Zentnlblatt für gerichtliche Medizin und Psychiatrie, 
fir ärztliche Sachverständigentatigkeit in Unfall- und Invaliditatssaehen, sowie 
fir Hygiene, ofentl. Sanitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung und Rechtsprechog. 

Henuugegeben 

TOB 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Eeglerangi- Bad Geh. HedistBalrat in Minden. 


Verlag von Fiseher’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer-Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Iniento Böhmen die ▼erlegehandlang sowie alle ABoonoeoezpeditloBfin de« Ib- 
BBd Aaslande« entgegen. 


Nr. 15. 


Krsehehit am 1. und 15. Jeden Monats 


1. Aug. 


Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 

Reforagedanken von Dr. Placzek - Berlin. 

Za den bemerkenswertesten Erscheinungen, die der deutsche 
Einheitsgedanke, je tiefer er Warzel schlng, mit zwingender Not¬ 
wendigkeit im Gefolge hatte, zählen die deutschen Einheits- 
Schöpfungen auf juristischem Gebiete. Begonnen mit dem anfänglich 
für den Norddeutschen Bund geplanten und in unveränderter 
Gestalt für das Reich übernommenen Strafgesetzbuch vom 
22. Juni 1870, folgten in kurzen Intervallen das Gerichtsver¬ 
fassungsgesetz vom 27. Januar 1877, mit den Aenderungen vom 
17. Mai 1897, die Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877 in 
der Fassung vom 17. Mai 1898, die Strafprozessordnung für das 
Deutsche Reich vom 1. Februar 1877 und schliesslich als Krönung 
des Einheitsstrebens das Bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Januar 1900. 

Was für die Vertreter des Rechtes möglich wurde und sich 
als wohltätig erwies, nach deutschen Einheitsnormen za handeln, 
sollte es nicht auch erfüllbar sein für die Gehilfen der Gerichts¬ 
behörden, die Gerichtsärzte in ihrer Funktion als technische 
Berater P Sollte nicht der Zeitpunkt gekommen sein, um mit der 
Bnntscheckigkeit der einzelstaatlichen Sektionsregulative, wie sie 
jetzt noch im zwecklos gewordenen Sonderdasein fortexistieren, 
endgiltig aufzuräumen P Erscheint nicht der jetzige Zeitpunkt 
ganz besonders geeignet, da auch die deutschen Medizinalbeamten 
unter Rapmunds tatkräftiger Initiative sich zu einem Deutschen 
Medizinalbeamtenverein vereinigt haben? 



038 


Dr. Placzek. 


Wenn aber einmal ein einheitliches Sektionsregulativ an¬ 
gestrebt wird, so müssen zn grundlegender Vorarbeit Vorzüge 
und Mängel der gegenwärtig gütigen Regulative gekannt, kritisch 
betrachtet und gegen einander abgewogen werden, um ihre Fort¬ 
existenz befürworten oder etwas Besseres an ihre Steüe setzen 
zu können. Dass hier Mängel bestehen und sich den Obduzenten 
lästig fühlbar machen, dürfte niemand bestreiten. Ich brauche 
nur zum Beweise an die Anweisung des §. 22 des Preussischen 
Regulativs „Ueber die Herausnahme des Magens bei Vergiftungen 41 
zu erinnern. Das hier angegebene Verfahren hält der erfahrungs¬ 
reiche Fr. Strassmann 1 ) nicht nur „leider durchaus nicht für 
glücklich gewählt 41 , sondern kritisiert es noch mit den herben Worten: 

„Hätte man eine Prämie auf die Entdeckung des unbequemsten Verfahrens 
ansgesetzt, so wäre sie wahrscheinlich der durch das Regulativ bestimmten 
Methode zu Teil geworden“. 

Ehe man die Frage eines Leicheneröffnungsverfahrens für 
das Deutsche Reich aufwirft, erscheint es nicht unangebracht, sich 
zu fragen, ob bindende Vorschriften überhaupt zweck¬ 
mässig sind? Nach meiner persönlichen Anschauung sicherlich; 
mag auch volle Freiheit des Sektionsmodus im Einzelfalle günstig 
sein, die grosse Mehrzahl der Obduzenten dürfte ein bindendes Re¬ 
gulativ wohltätig empfinden, vorausgesetzt, dass sie nicht zu skla¬ 
vischer Befolgung seiner Vorschriften für jeden Fall verpflichtet sind. 

Da schon das preussische Regulativ dem Handeln des Ob¬ 
duzenten eine Variationsbreite lässt und nur einschränkend eine 
ausdrückliche Motivierung jeder Abweichung verlangt, wäre nach 
dieser Richtung eine Aenderung nicht nötig; indessen dürfte ein 
ausdrücklicher Hinweis auch im deutschen Zukunftsregulativ 
wünschenswert sein. Vorbildlich erscheint mir hierfür der §.10 
des Württembergischen Regulativs: 

„Die nachfolgenden technischen Vorschriften sollen nicht schablonenhaft 
angewendet, sondern deren Reihenfolge nur im allgemeinen eingehalten, im 
übrigen aber als Leitfaden für den Qang der speziellen Untersuchung angesehen 
werden, welche jedesmal der Eigentümlichkeit des Falles anznpassen ist . . .“ 

Der Wortlaut dieses Paragraphen kann jedoch nur inhaltlich 
als Vorbüd gelten und durchaus nicht stilistisch; denn ich möchte 
nur darauf hin weisen, dass die Mehrzahl „sollen 44 unmöglich auf 
„deren Reihenfolge 44 mitbezogen werden kann. 

Welche deutschen Bundesstaaten besitzen nun ein 
eigenes Sektionsregulativ? Hierauf gibt die folgende Auf¬ 
zählung Antwort, deren Voüständigkeit ich der liebenswürdigen 
und bereitwilligen Unterstützung durch die Obersanitätsbehörden 
der einzelstaatlichen Ministerien verdanke: 

1. PreuBsen: Regulativ für das Verfahren der Qeriohtsärste bei den 

gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 15 Februar 

2. Bayern: Instruktion für das Verfahren der Aerzte bei den gericht¬ 
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen vom 9. Dezember 1880. 

8 . Sachsen: Anleitung für das Verfahren der Aerzte bei den gericht¬ 
lichen Untersuchungen menschlicher Leichen. Justiz-Min.-Bl.; 1886, 8 . 21. 

*) Lehrbuch der geriehtl. Medizin. Stuttgart 1896. Verlag von Ferd. 
v n k e, 8 . 406. 


Sin deutsche! gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 689 

4. Württemberg: Instruktion für das Verfahren nnd die Stellung 
der Aerzte bei der richterlichen nnd polizeilichen Leichenschau nnd Leichen¬ 
öffnung vom 81. Dezember 1885. 

5. Baden: Dienstanweisung für OerichtsKrzte nebst Sektionsanleitnng 
Tom 4. Januar 1888. 

6 . Hessen: Regulativ vom 19. Dezember 1877. 

7. Sachsen-Weimar: Anweisung zur Vornahme der richterlichen 
Leichenschau und Leichenöffnung. 1890. 

8 . Mecklenburg-Schwerin: Regulativ für das Verfahren der Aerzte 
bei Leichenöffnungen. Regierungsblatt; Beilage zu Nr. 80, 1889. 

9. Mecklenburg-Strelits: Regulativ ftkr das Verfahren der Gericfats- 
ttrzte bei den medizinisch-gerichtlichen Untersuchungen der menschlichen 
Leichname vom 28. Juli 1862. 

10. Oldenburg hat kein besonderes Regulativ. 

11. Braunschweig: Regulativ für das Verfahren der Gerichtsärzte 
bei den gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 1882. 

12. Sachen - Meiningen hat kein eigenes Regulativ. 

13. Sachsen-Altenburg: Eier gilt daB sächsische Regulativ. 

14. Sachsen-Koburg-Gotha: Hier gilt das preussische Regulativ. 

16. Anhalt: Regulativ fttr das Verfahren der Gerichtsärzte bei den 

gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichen. 1900. 

16. Schwarzburg-Rudolstadt: Anweisung fttr die Vornahme der 
gerichtlichen Leichenöffnung zur Nachachtung seitens der Gerichte, Staats¬ 
anwaltschaften und Aerzte, Ministerial-Bekanntm. vom 27. Dezember 1895. 

17. Schwarzburg - 8ondershausen: Verfahren bei der gerichts¬ 
ärztlichen Untersuchung menschlicher Leichname vom 2. Februar 1887. 

18. Waldeck: Hier gilt das preussische Regulativ. 

19. Renas ältere Linie: Desgleichen. 

20. Reuse jüngere Linie: Ein besonderes Regulativ Uber das von 
den Gerichtsärzten bei Sektionen zu beobachtende Verfahren ist nioht erlassen. 

21. Lippe-Detmold: „Meistens“ wird das preussische Regulativ 
angewendet. 

22. Schaumburg-Lippe hat kein eigenes Regulativ. 

23. Lübeck besitzt kein besonderes Regulativ; gearbeitet wird nach 
dem preus8ischen. 

24. Hamburg: „Als näherer Anhalt“ gilt das preussische Regulativ. 

25. Bremen besitzt kein eigenes Sektions-Regulativ. 

26. Eisass-Lothringen: Anweisung fttr das Verfahren der Aerzte 
bei gerichtlichen Leichenöffnungen; Beilage zu Nr. 4 des Amtsblattes des 
Minist, f. Eis.-Lothringen; 1882 *). 

Diese Uebersicht kann zunächst einen Anhalt für die zu¬ 
künftige Bezeichnung des deutschen Leichenöffnungsverfahren 
liefern. Bei derselben sollten jedenfalls Fremdwörter vermieden 
werden. Deutsche Worte, wie „Anleitung“, Anweisung, Dienst¬ 
anweisung“ sind wenigstens ebenso bezeichnend, wie Regulativ 
oder Instruktion und erfüllen ihren Zweck gleich gut. Mir 
würde die Fassung „Dienstanweisung für die deutschen 
Gerichtsärzte bei gerichtlichen Leichenöffnungen“ am 
besten gefallen; indes sind hier zahllose Fassungen möglich und 
annehmbar, sobald sie kein Fremdwort enthalten, auch nicht 
Worte wie Sektion, Obduktion, Obduzenten. Ob das letzte Wort 
sich vollständig wird vermeiden lassen, ist allerdings fraglich; 

*) Der ausserordentlichen Liebenswürdigkeit der Herren Geh. Med .-Prof. 
Dr. Biedert-Hagenau und Geh. Ober-Med.-Rat Dr. Krieger verdanke ich 
es, dass ich ein Exemplar des ganz vergriffenen els.-lothr. Regulativs zur Ein¬ 
sieht erhielt. Nach Mitteilung der letzteren Herren ist jedoch schon vor 
mehreren Jahren angeordnet, dass bei gerichtlichen Sektionen nach dem 
preussischen Regulativ zu verfahren sei; deshalb ist jene ältere Anweisung 
inhaltlich hier nicht erörtert. 



640 


Dr. Plaozek. 


mindestens würde,man sich an die Bezeichnung „Leichenöffner“ 
erst gewöhnen müssen. 

Schwanken könnten die Ansichten über die Beibehaltung des 
Wortes „Protokoll“, denn es ist ein Fremdwort und stammt aus 
dem Griechischen; ursprünglich Bezeichnung des den Papyrus¬ 
rollen vorgeklebten Zettels, gegenwärtig Bezeichnung für die ur¬ 
kundliche Festlegung einer Verhandlung, ist es allmählich durch 
den strafrechtlichen, zivilrechtlichen und völkerrechtlichen Verkehr 
so fest eingeführt, dass man es ohne Bedenken beibehalten kann. 
Es dürfte auch nicht leicht ein es inhaltlich gut wiedergebendes 
deutsches Wort gefunden werden. 1 ) 

Hecht mannigfaltig ist die Hauptdisposition der geltenden 
Regulative. Ueberwiegend ist die Dreiteilung: 

Preusseii, Mecklenburg-Schwerin,*) Mecklenburg - Strelltz, 
Braunschwelg, Schwarzburg-Sondershausen, Anhalt: 1. Allgemeine 
Bestimmungen. — II. Verfahren bei der Obduktion. — III. Abfassung des 
Obduktionsprotokolls und des Obduktionsberichts. 

Bayern: I. Allgemeine Bestimmungen. — n. Verfahren bei der 
Obduktion. — III. Abfassung des Obdnktionsprotokolls und der Gutachten. 

Sachsen: I. Allgemeine Bestimmungen: — II. Verfahren bei der 
gerichtlichen Obdnktion. 

Württemberg: I. Von den su einer Leichenschau und Leichenöffnung 
beiznziehenden Aerzten und ihren Pflichten. — n. Vorschriften für das Ver¬ 
fahren bei der richterlichen und polizeilichen Leichenschau und Leichenöffnung. 
— in. Protokolle und Gutachten. 

Sachsen - Weimar - Eisenach: I. Allgemeine Bestimmungen. — 
II. Die Leichenschau. — III. Die Leichenöffnung. 

Bl8as8-Lothringen: I. Allgemeine Bestimmungen. — II. Verfahren 
bei der Leichenöffnung. — III. Abfassung der Leichenöffnungs - Protokolle und 
der Sohlussgutachten (Obduktionsberichte). 

Eine ganz eigenartige Disposition hat die Dienstanweisung 
in Baden: 

I. Allgemeine Bestimmungen. — II. Besondere Bestimmungen Aber das 
Verfahren bei einzelnen Verbrechen und Vergehen. — HI. Bestimmungen Aber 
Untersuchung der Körper- und Geistesbeschaffenheit im allgemeinen. An¬ 
hang: Vorschriften fflr Vornahme von Leichenöffnungen. 

Bei einer vergleichenden Betrachtung dieser inhaltlich und 
stilistisch verschiedenen Hauptdispositionen finde ich am prak¬ 
tischsten die Dreiteilung, und zwar in der Form: 

„1. Allgemeine Bestimmungen . *) 

2. Verfahren bei der Leichenöffnung. 

3. Protokoll und Gutachten. 11 

„Leichenschau“ und „Leichenöffnung“ zu Hauptabteilungen zu 
machen, wie in Sachsen-Weimar-Eisenach geschieht, halte 
ich nicht für gut. Diese Begriffe gehören unter den allgemeineren 
Begriff „Verfahren“; wollte man sie aber als Hauptabteilungen 
gelten lassen, so müsste man eine IV. Rubrik „Protokoll und Gut¬ 
achten“ schaffen, die in Sachsen-Weimar-Eisenach fehlt. 

*) Die Verdeutschung durch „Befund“, wie der Herausgeber der Zeit¬ 
schrift mir vorschlftgt, erschöpft nicht die Bedeutung des Wortes. Es geschieht 
das nicht einmal durch „schriftlichen Befund*. 

*) Die betreffenden Regulative stimmen in der Disposition Aberein statt 
„Obduktion“ heisst es nur vereinzelt, z. B. in derjenigen fflr Mecklenburg- 
Schwerin: „Leichenöffnung*. 

*) Die Vorschläge fflr die neue Fassung sind in Kursivschrift gedruckt. 



Bin deutsches gerichtsürstliohes Leichenöffnungsverfahren. 541 

Auch nach ihrer kurzen and präzisen Form halte ich die 
vorgeschlagene Hauptgruppierung für ausreichend; grössere Aus¬ 
führlichkeit macht sie recht schwerfällig, wie die Württem- 
bergischen Abteilungen I, II beweisen. 

Selbstverständlich ist das Wort „Obduktion“ durchgängig, 
und zwar im gesamten Text der Anweisung, durch „Leichen¬ 
öffnung“ zu ersetzen. 

Ueber die weitere Einteilung der drei Hauptgruppen 
dürften Meinungsverschiedenheiten kaum entstehen. In allen drei 
Gruppen kann es sich nur, wie bisher, um eine Aufeinanderfolge 
einzelner, durch arabische Zahlen gekennzeichneter Abschnitte 
handeln. Allerdings stimmen die geltenden Sektionsregulative auch 
nur in dieser Anlage nach Paragraphen überein, weichen aber 
erheblich voneinander in deren Anzahl, Inhalt und äusserer Kenn¬ 
zeichnung ab. Einige Anweisungen, wie die von Preussen, 
Bayern, Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Schwarzburg- 
Sondershausen weisen durch prägnante Ueberschriften in ge¬ 
sperrter Schrift auf den wesentlichen Inhalt eines jeden Para¬ 
graphen hin; Sachsen, Württemberg, Baden, Sachsen- 
Weimar-Eisenach, Mecklenburg-Strelitz tun dies nicht, 
sondern heben das den Hauptinhalt des Paragraphen kenn¬ 
zeichnende Schlagwort nur durch gesperrte Schrift hervor; 
Braunschweig unterlässt auch dies. Für nachahmenswert halte 
ich die erstere Kennzeichnungsart durch prägnante, kurz gefasste 
Ueberschriften. 

Bei einer vergleichenden Betrachtung der 

Allgemeinen Bestimmungen 
fällt inhaltlich zunächst auf, dass zwei Regulative, von Bayern 
und Sachsen-Weimar-Eisenach, es für nötig erachten, im 
Einleitungsparagraphen den Begriff „Obduktion“ resp. ihren Zweck 
noch detailliert zu bestimmen, während andere Regulative, wie 
die von Preussen, Sachsen, Württemberg, Baden gleich 
mit den Obduzenten und deren Pflichten beginnen: 

Bayern: „§. 1. Obduktion ist die gerichtliche Untersuchung einer 
menschlichen Leiche lur Feststellung des Süsseren und inneren Befundes, 
Leichenöffnung im Sinne des §. 87, der B. Str. P. 0. Dieselbe serf&llt in swei 
Hauptteile: 

A. Aeussere Besichtigung (Inspektion). 

B. Innere Besichtigung (Sektion).“ 

Sachsen - Weimar - Eisenach : „§. 1. Zweck der Leichenschau und 
Leichenöffnung iBt die Feststellung der Todesursache, soweit die Süssere und 
innere Besichtigung der Leiohe dies gestatten. 

Zweck der richterlichen Leichenschau und Leichenöffnung ist die Fest¬ 
stellung der Todesursachen mit Rücksicht auf die Beantwortung der Schuldfrage. 

Der Zweck ist bei Feststellung des Leichenbefundes überall im Auge 
su behalten und alles, was su seiner Erreichung dient, genau und vollst&ndig 
zu untersuchen.“ 

Man kann zweifelhaft sein, ob solche ausdrückliche Begrifis- 
deflnition des Wortes Obduktion notwendig ist. Dagegen spricht 
schon die Erfahrungstatsache, dass die anderen Regulative ohne 
sie auskamen und auskommen. Unnötig ist eine solche Inter¬ 
pretation für die Zukunft auch deswegen, weil das Fremdwort 



542 


Dr. Placsek. 


„Obduktion“ in seiner Verdeutschung als gerichtliche Leichen¬ 
öffnung die Bedeutung zweifelsfrei erkennen lässt. Will man 
aber trotzdem eine Definition, so könnte man dem §. 1 von 
Sachsen-Weimar-Eisenach folgende Fassung geben: 

§. 1. „Zweck der gerichtlichen Leichenöffnung ist die Feststellung der 
Todesursache mit Rücksicht auf die Beantwortung der Schuldfrage“ 

Das Hauptschema, wie es die bayerische Instruktion schon 
hier in §. 1 gibt, gehört nicht hierher, sondern in die Bestimmung 
über die Abfassung des Protokolls. 

Ueber die obduzierenden Aerzte und ihre Pflichten 
sprechen die Begulative fast durchgängig unter Wiedergabe der 
Vorschriften, wie sie §. 87 der R. St. P. 0. enthält. *) 

Preussen: „§. 1. Die obduzierenden Aerzte nnd ihre 
Pflichten. Die gerichtliche Untersuchung einer menschlichen Leiche (Ob¬ 
duktion) darf nach den bestehenden Gesetzen nur von 2 Aersten, in der Regel 
einem Physikus (Gerichtsarzt) und einem Gerichts- (Ereiswundarzt) im Beisein 
eines Richters vorgenommen werden. 

Die Obduzenten haben die Pflichten gerichtlicher Sachverständiger. 

Wenn Uber die technische Ausfflhrung der Obduktion Zweifel entstehen, 
so entscheidet der Physikus oder dessen Vertreter, vorbehaltlich der Befugnis 
des anderen Arztes, seine abweichende Ansicht zu Protokoll zu geben.“ 

Bayern: „§. 2. Die obdnzierenden Aerzte und ihre Pflich¬ 
ten. Die Obduktion ist nach §. 87 der St. P. 0. im Beisein eines Riohters von 
2 Aerzten, einem Amtsarzt und einem zweiten Arzt vorzunehmen. Demjenigen 
Arzte, welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar vorhergegangenen 
Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu übertragen. Derselbe 
kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung boisuwohnen, um aus der 
Krankheitsgeschichte Aufschluss zn geben. 

Die Obduzenten haben die Pflichten gerichtlicher Sachverständiger. 

Wer von den beiden Aerzten die Leichenöffnung auszuftthren hat, bleibt 
der Vereinbarung der Aerzte flberlassen. Kommt eine solche nicht zu stände, 
so findet §. 78 der St. P. 0. Anwendung. Einem Bader darf die Ausfflhrung 
der Sektion nicht flberlassen, sondern ein solcher nur zur Vornahme der niederen 
Dienstleistung bei der Obduktion zugezogen werden.“ 

Sachsen: „§. 1. 1. Die gerichtliche Obduktion einer menschlichen Leiche 
wird im Beisein des Richters von 2 Aerzten, unter welchen sich ein Gerichts¬ 
arzt befinden muss, vorgenommen. Demjenigen Arzte, welcher den Verstorbenen 
in der dem Tode unmittelbar vorausgegangenen Krankheit behandelt hat, ist 
die Leichenöffnung nicht zn übertragen. Derselbe kann jedoch aufgefordert 
werden, der Leichenöffnung anzuwohnen, um Aber die Krankheitsgesohichte 
Aufschluss zu geben. (§. 87,1 St. P. 0.) 

2. Der Richter hat, soweit ihm dies erforderlich erscheint, die Tätigkeit 
der Sachverständigen zu leiten. ($. 78 St. P. 0.)“ 

Württemberg: „§. 1. Von den zu einer Leichenschau und 
Leichenöffnung beizuziehenden Aerzten und ihren Pfliohten. 
Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines Arztes, die richter¬ 
liche Leichenöffnung im Beisein des Richters von 2 Aerzten, unter welchen 
Bich ein Geriohtsarzt befinden muss, vorgenommen. (§. 87,1 der R. St. P. 0.) 
Die Zuziehung eine* Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben, wenn sie 
nach dem Ermessen des Richters entbehrlich ist (§. 87,2 der R. St. P. 0.). 

Zu der Leichenschau ist als Sachverständiger in der Regel der Oberamts¬ 
arzt, zu der Leichenöffnung nebsn dem Oberamtsarzt als zweiter Arzt der 
Oberamtswundarzt beizuziehen. 


*) Der §. 87 der Skr. P. O. lautet: „Die richterliche Leichenschau wird unter Zuziehung 
eines Arztes, die Leichenöffnung im Beiseln des Richters von 2 Aerzten, unter welchen sich ein 
Geriohtsarzt befinden muss, rorgenommen. Demjenigen Arzte, welcher den Verstorbenen iu der 
dem Tode vorausgegangenen Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu übertragen. 
Derselbe kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung anzuwohnen, um aus der Krankheits¬ 
geschichte Aufschlüsse zu geben. 

Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben, wenn sie nach dem 
Ermessen des Richters entbehrlich ist. Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon be¬ 
erdigten Leiche ist ihre Ausgrabung statthaft.“ 



Ein deutsche« gerlohtsärstliches LeichenOffhungsverfahren. 


548 


Im Fall der Verhinderung oder der Abwesenheit des Oberamtsarztes 
tritt an seine 8teile der Oberamtawundarst, wenn er zugleich innerer Arzt ist, 
anderenfalls, oder wenn ein Oberamtswondarst nicht aulgestellt ist, derjenige 
Arzt, welcher als Stellvertreter für den abwesenden oder verhinderten Ober¬ 
amtsarzt bestellt ist. — Unter der in §. 78,2 der B. St. P. 0. bezeichneten Vor¬ 
aussetzung eines durch besondere Umstände begründeten Bedürfnisses können 
statt des Oberamtsarztes und Oberamtswundarztes auch andere Aerzte als 
Sachverständige sngezogen werden, übrigens schon mit der in Abs. 1 hervor¬ 
gehobenen Massgabe, dass unter den zu einer Leichenöffnung zuiuziehenden 
Aerzten sich ein Qerichtsarzt befinden muss. 

Einem Arzte, welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar 
vorausgegangenen Krankheit behandelt hat, darf die Leichenöffnung nicht über¬ 
tragen werden, derselbe kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung 
anzuwohnen, um aus der Krankheitsgeschiohte Aufschluss zu geben (§. 87,1 
der B. St. P. 0). 

Die Leichenöffnung selbst verrichtet in der Begel der zweite der beige¬ 
sogenen Aerzte, doch bleibt die Verteilung des Geschäfts der beiderseitigen 
Vereinbarung überlassen. Kommt keine Vereinbarung zu stände, so entscheidet 
der Bichter (§. 78 der B. St. P. 0.). 

Niederen Wundärzten kann die zweite Stelle nur dann übertragen werden, 
wenn sie förmlich angestellte Oberamtswundärzte sind, anderenfalls sind solche 
nur zu niederen Dienstleistungen zu verwenden. 

Haben sich an die Leichenschau oder Leichenöffnung nach Lage der 
Sache mikroskopische oder ähnliche Untersuchungen durch andere Sachver¬ 
ständige anznschliessen, so kann der Bichter auch diese zur Anwohnung bei 
der Leichenschau oder Leichenöffnung zuziehen. 

Im übrigen finden auf die zu einer richterlichen Leichenschau und Leichen¬ 
öffnung suznsiehenden Aerzte die Vorschriften in den §§. 72—80, 82—91 der 
B. St. P. 0. Anwendung.“ 

Baden: §. 23, Abs. 2. Die Leichenschau wird durch den Bichter, unter 
Zuziehung des Gerichtsarzte. 0 , vorgenommen. Letztere kann unterbleiben, wenn 
sie nach dem Ermessen des Bichters entbehrlich ist (§. 87 der St. P. 0.). 

Wird der erwähnte Verdacht durch die Leichenschau beseitigt, so behält 
es bei dieser sein Bewenden. Andernfalls wird zur Leichenöffnung geschritten. 

§. 24. Die Leichenöffnung geschieht in Gegenwart des Gerichts durch 
zwei Aerzte, unter welchen sich ein Gerichtsarzt befinden muss. Demjenigen 
Arzt, welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittelbar vorausgegangenen 
Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu übertragen. Derselbe 
kann jedoch aufgefordert werden, derselben anzuwohnen, um aus der Krank¬ 
heitsgeschichte Aufschlüsse zu geben (§. 87 St. P. 0.). 

Dem ersten Gerichtsarzt steht bei der Leichenöffnung die Leitung su; 
er besorgt in der Begel auch die technische Ausführung derselben, kann diese 
aber anch dem Assistenzärzte des Bezirks übertragen.“ 

Sachsen - Weimar - Eisenach: „§. 2. Die richterliche Leichenschau 
wird unter Zuziehung eines Arztes, die Leichenöffnung im Beisein des Bichters 
von 2 Aerzten vorgenommen. Die zuzuziehenden Aerzte sollen in der Begel be¬ 
amtete Aerzte (Bezirksärzte) sein; an der Leichenöffnung muss mindestens ein 
beamteter Arzt teilnehmen (§. 87 der St. P. 0.). 

Beide Aerzte haben während der ganzen Dauer der Leichenöffnung an¬ 
wesend zu sein. 

Demjenigen Arzte, welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittel¬ 
bar vorausgegangenen Krankheit behandelt bat, ist die Leichenöffnung nicht 
su übertragen. Derselbe kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung 
anzuwohnen, um aus der Krankheitsgeschichte Aufschlüsse zu geben. 

Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben, 
wenn sie nach dem Ermessen rfes Bichters entbehrlich ist. 

Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon beerdigten Leiche 
ist ihre Ausgrabung statthaft.“ 

Schwarzbnrg - Sonderhaasen: „§. 1. Die gerichtliche Untersuchung 
einer menschlichen Leiche (Obduktion) wird den bestehenden Gesetzen gemäss 
im Beisein des Bichters von dem Pbysikns, als dem ständigen Gerichtsarzt 
und einem vom Gericht für den einzelnen Fall zugezogenen Arzt vorgenommen. 

Die Obduzenten haben die Pflichten gerichtlicher Sachverständiger. 




544 


Dr. Placsek. 


Wenn Uber die technische Ausführung der Obduktion Zweifel entstehen, 
so entscheidet der Physikus oder dessen Vertreter, vorbehaltlich der Befugnis 
des anderen Arstes, seine abweichende Ansicht su Protokoll su geben.“ 

Braunechweig leitet die allgemeinen Bestimmungen mit wörtlicher 
Wiedergabe der §§. 87—92 der B. 8t. P. 0. ein. 

Mecklenburg • Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Anhalt haben 
keine allgemeinen Bestimmungen fttr die obdusierenden Aerste und ihre 
Pflichten. 

Vergleicht man die Fassung des vorbildlichen §. 87 der R. 
St. P. 0. mit seiner praktischen Ausgestaltung in den verschiedenen 
Regulativen, so findet man nur formelle Unterschiede, geringfügige 
Zusätze und praktische Hinweise auf die speziellen Verhältnisse 
der Einzelstaaten. Auch für das Zukunftsregulativ wird sich für 
diesen Paragraphen „Die obduzierenden Aerzte und ihre Pflichten“ 
eine wortgetreue Wiedergabe des §. 87 empfehlen mit ausdrück¬ 
licher Berücksichtigung der obduzierenden Personen. Vielleicht 
dürfte folgende Fassung annehmbar sein: 

„Die gerichtliche Leichenschau wird unter Zuziehung eines Arztes, die 
gerichtliche Leichenöffnung im Beisein des Richters von zwei Aerzten vor- 
genommen. Die zuzuziehenden Aerzte sollen in der Regel beamtete sein; an einer 
Leichenöffnung muss mindestens ein beamteter Arzt teilnehmen. 

Die Aerzte haben die Pflichten gerichtlicher Sachverständiger. 

Wer von den beiden Aerzten die Leichenöffnung auszuführen hat, bleibt 
der Vereinbarung der Aerzte überlßssen. Erst wenn eine solche nicht zu stände 
kommt, entscheidet der Richter. 

Wenn über die technische Ausführung der Leichenöffnung Zweifel ent¬ 
stehen, so entscheidet der die Leichenöffnung leitende Arzt, vorbehaltlich der 
Befugnis des anderen Arztes, seine abweichende Ansicht zu Protokoll zu geben. 

Demjenigen Arzte, welcher den Verstorbenen in der dem Tode unmittel¬ 
bar vorangegangenen Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu 
Übertragen; er kann jedoch auf gefordert werden, der Leichenöffnung anzuwohnen, 
um aus der Krankheitsgeschichte Aufschluss zu geben. 

Beide Aerzte haben während der ganzen Dauer der Leichenöffnung an¬ 
wesend zu sein. 

Die Zuziehung eines Arztes kann bei der Leichenschau unterbleiben, wenn 
sie nach dem Ermessen des Richters entbehrlich ist. 

„Zur Besichtigung oder Oeffnung darf eine schon beerdigte Leiche aus¬ 
gegraben werden. a 

Ueberflüssig erscheint mir der Passus desWürttembergi- 
schen Regulativs: 

„Haben sich an die Leichenschau oder Leichenöffnung nach Lage der 
Sache mikroskopische oder ähnliche Untersuchungen darob andere Sachverständige 
aniuschliessen, so kann der Siebter auch diese zur Anwohnung bei der Leichen¬ 
schau oder Leichenöffnung suziehen.“ 

Ueberflüssig erscheint mir dieser Passus, weil ein Obduzent, 
der nicht in der Lage ist, eine bestimmte Untersuchung selbst¬ 
ständig vorzunehmen, das betreffende Objekt so vorbereiten und 
aufbewahren kann, dass der andere Sachverständige seine Spezial¬ 
aufgabe später erfüllen kann. Seine Anwesenheit aus diesem 
Gründe allein dürfte unnötig sein. 

Ueber die Stellvertretung treffen folgende Dienstan¬ 
weisungen eine spezielle Verfügung: 

Prenasen: „§.2. Stellvertretung. Der Physikus (Gerichtsarzt) 
und der Gerichts- (Kreis*) Wundarzt sind nur in den gesetzlichen Behinderungs¬ 
fällen berechtigt, sich durch einen anderen Arzt vertreten su lassen. Als Ver¬ 
treter ist, wenn möglich, ein pro physicatu geprüfter Arzt su wühlen.* 

Württemberg: „§. 1, Abs. 8; s. vorher S. 542 u. 548.* 



Bin deutsches gerichtsärztliches Leichen Offnen gs verfahr en. 


546 


8 oh varsbarg - Sondershftusen: „§. 2. Der Physikus ist in den 

gesetzlichen Behinderungsfällen berechtigt, sich durch einen anderen Arzt ver¬ 
treten za lassen. Als Vertreter ist, wenn möglich, ein pro physicatn geprüfter 
Arzt za wühlen.“ 

Bayern, Sachsen, Baden, Mecklenburg-Schwerin, Mecklen¬ 
burg-Strelitz, Sachsen-Weimar, Anhalt nnd Brannsohweig ent¬ 
halten keine Bestimmungen darüber. 

Für das deutsche Regulativ dürfte sich die Uebernahme des 
preussischen §. 2 in nachstehender Fassung empfehlen: 

„Der beamtete Arzt (Gerichtsarzt, Kreisarzt, Landgerichtsarzt, Oberamts- 
arzt, Kreisassistent, Oberamtswundarzt u. 8. te.) ist in den gesetzlichen Behinde¬ 
rungsfällen berechtigt, sich durch einen anderen Arzt vertreten zu lassen. Als 
Vertreter ist, wenn möglich, ein amtsärztlich geprüfter Arzt zu wählen. 1 ) 

Wenn das Württembergische Regulativ von einer gesetzlichen 
„Voraussetzung eines durch besondere Umstände begründeten Be¬ 
dürfnisses“ — nebenbei eine stilistische Ungeheuerlichkeit, selbst 
im Juristendeutsch — spricht, in der statt des beamteten Arztes 
auch andere Sachverständige zugezogen werden dürfen, so möchte 
ich dagegen nichts einwenden, wenn nur die Bestimmung bleibt, 
dass ein beamteter Arzt anwesend sein muss. Uebrigens erwähnte 
ich schon zuvor, dass gerade die Anwesenheit von Spezialsach¬ 
verständigen kaum nötig sein dürfte. Die „gesetzliche Voraus¬ 
setzung“ ist auch durchaus nicht bestimmt; ihr Wortlaut: „Sind 
für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich be¬ 
stellt, so sollen nur dann andere Personen gewählt werden, wenn 
besondere Umstände es erfordern“, lässt dem Richter weiten 
Spielraum. 

Ueber die Zeit der Obduktion sprechen sich die geltenden 
Regulative verschieden aus: 

Preussen: „§. 8. Zeit der Obduktion. Obduktionen dürfen in 
der Regel nioht vor Ablauf von 24 Stunden nach dem Tode vorgenommen 
werden. Die blosse Besichtigung einer Leiche kann früher geschehen.“ 

8 aobsen-Weimar-Bi8enaob: „§.8. Leichenschau und Leichenöffnung 
können vorgenommen werden, sobald der Tod festgestellt ist.“ 

Brannsohweig: „§. 1. Leichenöffnungen sind regelmässig nioht vor 
Ablauf von 24 Standen nach dem Tode vorzunehmen.“ 

Mecklenburg - Schwerin, Anhalt und 8ohwarsburg - Sonders¬ 
hausen: Identisch mit Preassen. 

Bayern, Sachsen, Württemberg, Mecklenburg-Strelitn: Hier 
fehlt eine derartige Bestimmung. 

Da vom ärztlichen Standpunkte eine möglichst frühzeitige 
Sektion am wünschenswertesten ist, möchte ich die Einschränkung 
des preussischen Regulativs nach Ablauf von 24 Stunden nicht 
für nachahmenswert halten, wohl aber den §. 3 von Sachsen- 
Weimar-Eisenach; nur würde ich in dem Wortlaut statt 
„Leichenschau“ und „Leichenöffnung“ „gerichtliche Leichenunter¬ 
suchung“ wünschen. Der Paragraph würde dann lauten: 

„Eine gerichtliche Leichenuntersuchung kann vorgenommen werden f sobald 
der Tod festgestellt ist “ 

Praktisch scheint es mir, dass der Zeit der Obduktion in der 
Anweisung Ort und Beleuchtung für die Leichenöffnung so- 

*) Es bleibt der Erwägung Vorbehalten, ob „pro physicatn“ durch 
„kreisärztlioh“, „amtsärztlich* oder „staatsärztlieh* übersetzbar ist. 



646 


Dr. Placzek. 


fort folgen. In dieser Beziehung schreiben die jetzigen Regu¬ 
lative vor: 

Preassen: „§. 6. Lokal and Beleuchtung. Behufs der Ob¬ 
duktion ist für Beschaffung eines hinreichend geräumigen und hellen Lokales, 
angemessene Lagerung der Leiche und Entfernung störender Umgebung mög¬ 
lichst sa sorgen. Obduktionen bei künstlichem Licht sind, einzelne keinen 
Aufschub erleidende Fälle ausgenommen, unzulässig. Eine solche Ausnahme 
ist im Protokoll unter Anführung der Gründe ausdrücklich zu erwähnen.“ 

Bayern: Identisch mit Preussen. 

Sachsen: „§. 5. Zum Zweck der Leichenöffnung ist für Beschaffung 
eines hinreichend geräumigen und hellen Baumes und für angemessene, die 
genaue Besichtigung gestattende Lagerung der Leiche möglichst zu sorgen. 
Vornahme der Leichenöffnung bei künstlicher Beleuchtung ist, wenn tunlich, 
zu yermeiden.“ 

Württemberg: „§. 8. Zeitig genug soll für einen hellen, genügend 
grossen Baum zur Vornahme der Inspektion und Sektion, sowie für ein zweck¬ 
mässiges, den sezierenden Arzt nicht hinderndes Lager der Leiche gesorgt 
werden. Bei Licht darf die Leichenöffnung teilweise oder ganz nur unter 
zwingenden Umständen yorgenommen werden. Geschieht es, so sind die Gründe 
dafür ins Protokoll aufzunehmen.“ 

Baden: §. 80. Identisch mit Preussen, nur heisst es statt „Obduktionen“ 
„Leichenöffnungen“. 

Mecklenburg • Schwerin: §. 4. Identisch mit Preussen. 

Mecklenburg - Strelitz: „§. 2. Identisch mit Preussen, enthält nur 
noch den weiteren Zusatz: „Ist die Anwendung des künstlichen Lichtes 
während der Obduktion eingetreten, so ist in dem Protokoll der bezügliche 
Zeitpunkt zu erwähnen.“ 

Sachsen-Weimar-Eisenach: „§. 4. Da das Tageslicht für die Be¬ 
urteilung der Farbe der Leichenteile durch keine künstliche Beleuchtung ganz 
ersetzt werden kannn, sind Leichenschau und Leichenöffnung in der Begel am 
Tage und in genügend hellem Baum vorzunehmen. 

Erfolgt die Leichenuntersuchung ausnahmsweise bei künstlichem Licht, 
so ist dies unter Anführung der Gründe in dem Besichtigungsprotokoll aus¬ 
drücklich zu erwähnen.“ 

Braunschweig: „§. 8. Obduktionen sind tunlichst in einem geräumigen 
und hellen Lokale bei Tageslicht vorzunehmen. Geschieht es bei künstlichem 
Licht, so ist solches im Protokoll zu bemerken.“ 

Anhalt, Schwarzburg-Sondershansen und Elsass-Lothrlngen: 
Identisch mit Preussen. 

Ans einem Vergleich der genannten Bestimmungen würde 
ich einen Paragraphen folgender Fassung für brauchbar halten: 

„Ort und Beleuchtung. Frühzeitig genug ist für einen geräumigen 
und hellen Raum zur Vornahme der gerichtlichen Leichenuntersuchung und für 
zweckmässige, die genaue Besichtigung aller Teile der Leiche gestattende Lage - 
rung dez Leiche zu sorgen. Störende Umgebungen sind möglichst zu beseitigen. 
Leichenuntersuchungen bei künstlichem Lichte sind, wenn tunlich, zu vermeiden . 
Eine Ausnahme ist im Protokoll unter Anführung der Gründe ausdrücklich zu 
erwähnen. Das Gleiche hat zu geschehen, wenn die künstliche Beleuchtung 
während der Leichenöffnung eintrat. u 

An nächster Stelle kommt in den Anweisungen eine Vor¬ 
schrift für die „Behandlung von Leichen mit Fäulnis- 
erscheinungen“. Wenn das preussische Regulativ hier von 
„Behandlung von Leichen, die in Fäulnis übergegangen“ spricht, 
so kann ich diese Schlussform nicht als stilistisch glücklich ge¬ 
wählt ansehen. Hier fehlt das Wort „sind“, allerdings eine 
Wendung, die den ganzen Titel etwas schwerfällig macht. Ohne 
dieses Schlusswort hat der Titel eine poetische Form, die wieder 
für eine nüchterne Dienstanweisung nicht passt. Die einzelnen 




Bin deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfehren. 


647 


Regulative behandeln den Gegenstand verschieden, wie die folgende 
Zusammenstellung lehrt: 

Preussen: „§.4. Behandlung toüL eiohen, welche in Fäul- 
nie libergegangen. Wegen vorhandener Fäulnis dürfen Obduktionen in 
der Regel nicht unterlassen und von den gerichtlichen Aerzten nicht abgelehnt 
werden. Denn selbst bei einem hohen Grade der Fäulnis können Abnormitäten 
und Verletzungen der Knochen noch ermittelt, manche, die noch zweifelhaft 
gebliebene Identität der Leiche betreffende Momente, z. B. Farbe und Be¬ 
schaffenheit der Haare, Mangel von Gliedmassen u. s. w., festgestellt, einge¬ 
drungene Fremdkörper aufgefunden, Schwangerschaft entdeckt und Vergiftungen 
naehgewie 8 en werden. Es haben deshalb auch die Aerzte, wenn eB sich nur 
Ermittelung derartiger Momente um die Wiederausgrabung einer Leiche 
handelt, für dieselbe zu stimmen, ohne RUoksicht auf die seit dem Tode ver¬ 
strichene Zeit.“ 

Bayern: {$. 4. Identisch mit Preussen; ausserdem jedoch folgender 
Zusatz: „Bei einer Exhumation hat der Amtsarzt darauf anzutragen, dass 
dieselbe in der Art erfolgt, dass das Resultat der Untersuchung der Leiche 
nicht gefährdet wird." 

Sachsen: §. 2. „Wegen vorhandener Fäulnis darf die Vornahme der 
LeichenOffauug nicht verweigert werden. Wenn jedoch die beiden Aerzte über¬ 
einstimmend der Meinung sind, dass nach der Beschaffenheit des Falles von 
der Leichenöffnung oder von der Fortsetzung derselben ein Ergebnis nicht zu 
erwarten sei, haben sie dies dem Richter anzuzeigen. Bei Ausgrabungen von 
Leichen (§. 87,8 St. P. 0.) ist darauf zu achten, dass dieselben in einer Weise 
ausgeführt werden, welche den Erfolg der Leichennntersuchung nicht gefährdet." 

Württemberg: „§. 8. Gerichtlichen Ausgrabungen hat mindestens 
einer der Aerzte beizuwohnen, welche später die Besichtigung oder Eröffnung 
der Leiche vornehmen. Derselbe hat im Einvernehmen mit dem Richter dafür 
zu sorgen, dass die Blosslegung und Erhebung des Sarges, sowie dessen spätere 
Eröffnung mit möglichster Vorsicht geschehe. Liegt der Verdacht einer Ver¬ 
giftung vor, so ist das Mittelstück der unteren Seite des Sarges herauBzunehmen 
und aufzubewahren. Von der unterhalb desselben gelegenen Erde, sowie auch 
zur Kontrolle von dem gewachsenen Boden der Seitenwände des Grabes Uber 
dem Sarge oder in einiger Entfernung von demselben sind Proben zur chemi¬ 
schen Untersuchung mitzunehmen. 

Niemals darf von seiten der Aerzte eine Ausgrabung in alleiniger Rück¬ 
sicht auf die seit dem Tode verstrichene Zeit oder einen vermuteten hohen 
Fäulnisgrad für zwecklos erklärt oder abgelehnt werden. 

g. 4. Hochgradige Fäulnis einer Leiche darf kein Hindernis für ihre 
genaue und sorgfältige geriohtsärztliche Untersuchung abgeben. Immer können 
einige Umstände erhoben werden, welche die etwa noch zweifelhaft gebliebene 
Identität feBtstellen helfen. Auch Schwangerschaft, eingedrungene Fremdkörper, 
Vergiftung, Knochenverletzungen und je nach Umständen Verletzungen der 
Weichteile können noch längere Zeit nach dem Tode nachgewiesen werden. 
Selbstverständlich ist aber, dass je nach dem Grade der Fäulnis die später für 
die Oeffoung der Leiche gegebenen Vorschriften modifiziert werden müssen." 

Baden: „§. 23, Abs. 2. Die Leichenschau ist auch bei eingetretener 
Fäulnis, wenn und soweit sie noch irgend tunlich ist, vorzunehmen. 

Sollte die Leiche schon beerdigt sein, so kann Bie zum Zwecke der 
Leichenschau wieder ausgegraben werden, sofern nach den Umständen davon 
noch ein erhebliches Ergebnis erwartet werden kann, und die Rücksicht auf die 
Gefahr für die Gesundheit der Personen, die au der Leichenschau teilnehmen 
müssen, es nicht widerrät." 

Sachsen-Weimar-Eisenach: „§. 8, Abs. 2. Fäulnis ist nur dann ein 
Unterlassungsgrund, wenn durch sie die Beweismittel sicher vernichtet sind. 

Vorher §. 2,4. 

Behufs der Besichtigung oder Oeffnung einer schon beerdigten Leiche 
ist ihre Ausgrabung statthaft." 

Mecklenburg-Schwerin (§. 2), Braunschweig (§. 1), Anhalt (§. 2), 
Bohwarzburg - Sondershausen (§.4) und Blsass - Lothringen (§. 4) 
identisch mit Preussen. 




548 


Dr. Pl&ozek. 


Meoklenburg-Strellta: Hier fehlt eine Vorschrift. 

Braunsohweig: 1.wegen rorgesehrittener Fäulnis aber 

nicht in unterlassen and ist die Länge der seit dem Tode verstrichenen Zeit 
kein Grand, sich gegen die Wieder&asgrabang einer Leiche behob deren Unter¬ 
suchung su erklären.“ 

Wie schon ein Blick auf diese der Form und dem Inhalt 
nach recht verschiedenartigen Bestimmungen lehrt, die alle den 
gleichen Zweck verfolgen, Anweisungen für die Behandlung von 
Leichen mit Fäulniserscheinungen zu geben, stimmen sie darin 
überein, dass Fäulnis, selbst die hochgradigste, kein Motiv gegen 
Ausführung der Leichenöffnung abgeben darf; denn immer dürften 
sich forensisch wertvolle Befunde erheben lassen. Eine einzige 
Ausnahme führt Sachsen an: „wenn nämlich beide Aerzte über¬ 
einstimmend der Meinung sind, dass nach der Beschaffenheit 
der Fäulnis von der Leichenöffnung oder von der Fortsetzung 
derselben ein Ergebnis nicht zu erwarten sei.“ Diese Aus¬ 
nahme ist wohl theoretisch denkbar, ich glaube aber nicht, 
dass sie oft praktisch wirksam werden dürfte. Jeder gericht¬ 
liche Mediziner, der sich gegenwärtig hält, dass und welche 
Veränderungen trotz hochgradigster Fäulnis auffindbar bleiben, 
wird sich doch sehr bedenken, so kategorisch, wie es hier als 
conditio sine qua non gefordert wird, ein negatives Ergebnis vor¬ 
auszusagen; tut er es aber trotzdem, so bleibt es gefahrvoll. Um 
nur eine recht betrübende Erfahrung für diese Ansicht zu zitieren, 
möchte ich auf die Mitteilung des Oberjustizrats Schwabe „Raub¬ 
mord* (Fall Ludwig-Chemnitz) 1 ) hin weisen. Hier hatten die 
ärztlichen Sachverständigen bei der ersten Ausgrabung einer Leiche 
die Fäulnis für so weit vorgeschritten erklärt, dass nichts mehr 
zu konstatieren wäre. Und was ergab sich, als eine verhängnis¬ 
volle Verkettung von Indizien auf neue Spuren wies und eine 
zweite Ausgrabung erforderlich machte P Eine schwere Schädel¬ 
zertrümmerung! Dass ein solcher Widerspruch auf den Juristen 
besonders angenehm gewirkt haben sollte, wage ich zu bezweifeln. 
Ich halte deshalb die Ausnahme des sächsischen Regulativs, ob¬ 
wohl durch die Forderung, dass beide Aerzte übereinstimmen 
müssen, eine relative Garantie gegeben wird, für unheilvoll, und 
möchte demzufolge auch nicht für ihre Aufnahme in das zukünftige 
Regulativ stimmen. Mir erscheint vielmehr folgende Fassung 
empfehlenswert: 

Behandlung von Leichen mit Fäulnis erscheinungen. 
Fäulnis einer Leiche, selbst hochgradige, darf kein Hindernis für eine genaue 
und sorgfältige gerichtsärztliche Untersuchung der Leiche abgeben . Immer noch 
können Befunde erhoben werden, welche die etwa noch zweifelhaft gebliebene 
Identität feststellen helfen . Auch Schwangerschaft, eingedrungene Fremdkörper, 
Vergiftungen, Knochenverletzungen und je nach Umständen Verletzungen der 
Weichteile können noch längere Zeit nach dem Tode nachgewiesen werden . Selbst¬ 
verständlich ist, dass je nach dem Gerade der Fäulnis die später für eine Leichen¬ 
öffnung gegebenen Vorschriften entsprechend geändert werden dürfen . 

Fäulnis ist nur dann ein Unterlassungsgrund, wenn durch sie die Beweis¬ 
mittel vernichtet sind . 

Gerichtlichen Ausgrabungen hat mindestens einer der Aerzte beizuwohnen, 
welche später die Besichtigung und Eröffnung der Leiche vornehmen . Derselbe 


l ) Archiv für Krimin&lanthropologie, 8. Heft, 1903. 



Bin deutsches geriehtsKntliches Lelehe&Offx&iiDgsTerfahies. 


649 


hat im Einvernehmen mit dem Richter dafür zu sorgen, dass die Blosslegung und 
Herausnahme des Sarges sowie dessen spätere Eröffnung mit möglichster Vorsicht 
geschehe . Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so ist das Mittelstück der 
unteren Seite des Sarges herauszunehmen und aufzubewahren . Von der unter 
dem Sarge befindlichen Erde sowie auch zur Kontrolle von dem bewachsenen 
Boden der Seitenwände des Grabes, über dem Sarge oder in einiger Entfernung 
von demselben sind Proben zur chemischen Untersuchung mitzunehmen . 

Niemals darf von seiten der Aerzte eine Ausgrabung allein mit Rücksicht 
auf die seit dem Tode verflossene Zeit oder einen unvermuteten hohen Fäulnis¬ 
grad für zwecklos erklärt oder abgelehnt werden“ 

In Sonderparagraphen geben die Regulative auch Anweisung 
für die Behandlung gefrorener Leichen. Die folgende Zu¬ 
sammenstellung gibt hiervon ein Bild. 

Preussen : „§. 7. Ist die Leiche gefroren, so ist sie in ein geheiztes 
Lokal za bringen, nnd es ist mit der Okduktion za warten, bis die Leiche 
gentlgend anfgetant ist. Die Anwendung von warmem Wasser oder von anderen 
warmen Gegenständen zur Beschleunigung des Aaftaaens ist unzulässig.“ 

Bayern : Identisch mit Preussen. 

Sachsen : „§. 3. Ist die Leiche gefroren, so ist sie in ein geheiztes 
Lokal zu bringen. Mit der Leichenöffnung darf nicht eher begonnen werden, 
als bis die Leiche aufgetaut ist. Bei etwa zur Beschleunigung des Anftanens 
getroffenen Massnahmen ist darauf za achten, dass alles unterlassen werde, was 
den Leichenbefund wesentlich verändern könnte.“ 

Württemberg: „§. 6. Gefrorene Leichen sollen vor Beginn der inneren 
Besichtigung aufgetaut sein. Zu diesem Zweck bringt man sie in einen mässig, 
etwa auf 16° B. erwärmten Raum und lässt sie darin im Durchschnitt 12 
Stunden liegen. Es ist unzulässig, das Auftauen durch Einlegen in warmes 
Wasser, Bedecken mit warmen Tüchern oder auf andere Weise zu beschleunigen.“ 

Baden: „§. 30, Abs. 1. Ist die Leiche gefroren, so ist sie vorher in 
einen geheizten Raum zu bringen, und zu warten, bis sie genügend aufgetaut 
ist. Die Anwendung von warmem Wasser oder von anderen Erwärmungsmitteln 
zur Beschleunigung des Auftauens ist unzulässig.“ 

Sachsen-Weimar-Eisenach: „§. B. Da die Beurteilung der Festig¬ 
keit der Leichenteile durch Gefrieren unmöglich wird, sind gefrorene Leichen, 
wenn irgend tunlich, vor der Leichenschau und Leichenöffnung in einer Weise 
aufzutauen, welche die Erhebung des Befundes nicht beeinträchtigt.“ 

Eine ähnliche Bestimmung wird natürlich das zukünftige 
Regulativ enthalten müssen. Vielleicht dürfte sich die folgende 
Form empfehlen: 

„Gefrorene Leichen. Da die Beurteilung der Leichenteile durch Ge¬ 
frieren unmöglich wird, sollen gefrorene Leichen möglichst frühzeitig vor Beginn 
der Leichenöffnung in einen mässig erwärmten Raum (12 — 20 0 R.) gebracht 
werden und dort so lange bleiben, bis sie aufgetaut sind. Unzulässig ist es, das 
Auftauen in einer Weise zu bewerkstelligen, welches die spätere Erkennung des 
Befundes beeinträchtigt. Deswegen soll weder Einlegen in warmes Wasser, noch 
Bedecken mit warmen Tüchern oder ein anderes, das Auftauen beschleunigendes 
Verfahren angewandt werden.“ 

Als nächste allgemeine Bestimmung für die Behandlung von 
Leichen enthalten die Regulative eine Anweisung für den Trans¬ 
port. Auch hier wird eine Nebeneinanderstellung der ein¬ 
schlägigen Bestimmungen sich nützlich erweisen. 

Preussen: „§. 8. Transport der Leichen. Bei allen mit der 
Leiche vorzunehmenden Bewegungen, namentlich bei dem Transport derselben 
von einer Stelle zur anderen, ist tunlichst darauf zu achten, dass kein zu 
starker Druck auf einzelne Teile ausgeübt, und dass die Horizontallage der 
grösseren Höhlen nicht erheblich verändert werde.“ 

Bayern: Identisch mit Preussen. 

8 aohsen: „§. 8. Ist vor der Leichenöffnung der Transport der Leiche 
von einer Stelle zur anderen erforderlich, so hat, wenn möglich, die äussere 




660 


Dr. Plaesek. 


Besichtigung des Leichnams vor dem Transport stattznfinden. Bei allen mit 
der Leiche vorzunehmenden Bewegungen, namentlich beim Transport derselben 
ist darauf an achten, dass kein an starker Druck anf einzelne Teile ansgettbt, 
and dass die wagerechte Lage der grossen KOrperhöhlen möglichst innege¬ 
halten werde.“ 

Württemberg: „§. 5.sie (PoliseibehOrde) selbst soll auch die 

Lage, in welcher die Leiche gefunden wurde, genau erheben und womöglich 
eine gerichtliche oder polizeiliche Leichenschau veranlassen, ehe dieselbe an 
einen anderen Ort gebracht wird. Ferner haben eie darüber zu wachen, dass 
die Leiche beim Transport in eine horizontale Rückenlage gebracht, kein 
Druck auf einzelne Teile ausgeübt und die etwa durch die Totenstarre fixierte 
Stellung der Glieder nicht verändert werde.“ 

Baden: „§. 26. Sollte behufs Vornahme der Leichenöffnung der Leich¬ 
nam an einen anderen Ort verbracht werden müssen, so ist, wo immer tunlich, 
vorher wenigstens die äussere Besichtigung des Leichnams vorzunehmen. Der 
Gerichtsarst hat bei der Verbringung die erforderliche Anleitung zu geben und 
dafür zu sorgen, dass dies nur unter gehöriger Aufsicht und Begleitung ge¬ 
schehe, dass namentlich die wagrechte Lage der grosseren Hohlen nicht erheb- 
lioh beeinträchtigt und überhaupt an dem Leichnam keine wesentliche Ver¬ 
änderung bewirkt werde. 

Die Gründe einer solchen Verbringung und die Art und Weise, wie sie 
geschehen, müssen im Protokoll angegeben werden.“ 

8 aohsen-Weimar: Hier fehlt eine solche Bestimmung. 

Man wird gewiss die Sorgsamkeit billigen, die ans der 
sächsischen, württembergischen und badischen Bestimmung spricht, 
indem sie nicht nur für den Transport der Leiche strikte und 
recht beherzigenswerte Massregeln anempfiehlt, sondern wenn 
irgend tunlich, die äussere Besichtigung seitens des Gerichtsarztes 
schon vor dem Transport wünscht. Da heutzutage die Kriminal¬ 
polizei die Mitwirkung des Gerichtsarztes für den ersten Augen¬ 
schein stetig mehr schätzen gelernt hat, eine derartige aus¬ 
nahmslose Mitwirkung in allen deutschen Landen ein höchst 
erstrebenswertes Ziel wäre, so kann man die Forderung einer 
äusseren Besichtigung* vor dem Transport für das zukünftige Re¬ 
gulativ nur wünschen. Es kann dabei der sächsische §. 8 als 
Muster dienen: 

„Fortschaffung der Leichen. 1 ) Ist vor der Leichenöffnung Fort¬ 
schaffung der Leiche von einer Stelle zur anderen erforderlich, so hat, wenn möglich, 
die äussere Besichtigung des Leichnams vor der Fortschaffung stattzufinden. Bei 
allen mit dem Leichnam vorzunehmenden Bewegungen, namentlich bei Fortschaf¬ 
fung desselben ist darauf zu achten, dass kein zu starker Druck auf einzelne 
Teile ausgeübt, die wagerechte Rückenlage innegehalten und die etwa durch die 
Totenstarre bewirkte Stellung der Glieder nicht geändert werde. u 

Erst jetzt, nachdem Art und Behandlung der Leichen in 
ihrem Einfluss auf die Leichenöffnung besprochen, erscheint mir 
derZeitpunkt für die Anführung der erforderlichen Instrumente 
gekommen. In dem geltenden preussischen Regulativ geschieht 
das unmotiviert zwischen „Behandlung der Leiche mit Fäulnis¬ 
erscheinungen“ und „gefrorenen Leichen“. Am besten wird auch 
hier wieder eine übersichtliche Nebeneinanderstellung der ein¬ 
schlägigen Bestimmungen nützen. Der bequemeren Uebersehbar- 
keit wegen habe ich in den einzelnen Regulativen die Reihenfolge 
so weit geändert, als es nötig war, gleiche oder zusammengehörige 
Dinge auf eine Linie zu bringen. 

‘) Gern folge ich dem Vorschläge des Herausgebers der Zeitschrift, 
„Transport“ darob „Fortschaffang“ za ersetzen. 



Sin deutsches geriohtsärstliches Leich enCffnongsverfahren. 


661 


Preneeen. §. 6. Instrumente. 1 ) 
Die Gerichtsärzte haben dafür an 
sorgen, dass zur Verrichtung der ihnen 
obligenden Obduktion folgende Sek- 
tionsmatrumente in guter Beschaffen¬ 
heit sur Stelle sind: 

4—6 Skalpelle, davon 2 feinere mit 
grader und 2 stärkere mit bauchiger 
Schneide, 


1 Scheermesser, 

2 starke Knorpelmesser, 

2 Pinzetten, 

2 Doppelhaken, 

2 Seheeren, eine stärkere, deren einer 
Arm stumpf, der andere spitsig ist, 
und eine feinere, deren einer Arm 
geknOpft, der andere spitsig ist, 

1 Darmscheere, 

1 Tubulus mit drehbarem Verschluss, 
1 grobe und 2 feine Sonden, 


1 Säge, 

1 Meissei und 


1 Schlägel, 


1 Knochenscheere, 

6 krumme Nadeln von verschiedener 
Grosse, 

1 Tasterzirkel, 

1 Meterstab mit Einteilung in Zenti¬ 
meter und Millimeter, 

1 Mensuriergefäss mit Einteilung in 
100 , 50, 25 cbcm, 

1 Wage mit Gewichtsstücken bis zu 
10 Pfund, 

1 gute Lupe, 


Bayern. §.5. Instrumente. Die 
Amtsärzte sollen zur Verrichtung der 
obliegenden Obduktion folgende In¬ 
strumente in guter Beschaffenheit sur 
Stelle haben: 

4—6 Skalpelle, davon 2 feinere, eines 
mit grader und eines mit bauchiger 
Schneide, 2 stärkere, eines mit 
bauchiger und eines mit langer ge¬ 
rader Schneide. Beide 23 cm, die 
Klinge 10 cm lang, 

1 Scheermesser, 

2 starke Knorpelmesser, 

2 Pinzetten, 

2 Doppelhaken, 

2 Seheeren u. s. w. 


1 Darmscheere, 

1 Tubulus mit drehbarem Verschluss, 

Mehrere Metall- und Fiscbbeineonden, 

1 Luersches Doppel-Rhachiotom, 

1 Bogensäge, 

1 2—2*/* cm breiter Meissei mit höl¬ 
zernem Griff, 1 sog. Quermeissel u. 
1 Hammer, 

2 Knochenscheeren, eine grosse und 
eine kleine, 

6 krumme Nadeln von verschiedener 
Grosse mit dem notwendigen Faden 
und Bindfaden, 

1 Tasterzirkel, 

1 englisches Stahlzentimeterband mit 
Einteilung in Zentimeter und Milli¬ 
meter, 

1 Mensuriergefäss u. s. w. 

1 Schnellwage zum Wägen bis zu 5 kg, 

1 gute, wenigstens 5 mal vergrOssernde 
Lupe, 

1 wenigstens 100 cbcm haltende Spritze 
und 2,3 und 5 mm besitzende Tubuli, 

Blaues und rotes Reagenspapier, 

Schluss identisch mit Preussen. 


Blaues und rotes Beagenspapier, 

Die schneidenden Instrumente müssen 
vollständig scharf sein, auch ist dem 
Obduzenten zu empfehlen, dass sie 
ein Mikroskop mit 2 Objekten und 
mindestens 400 maliger Vergrösse- 
rang, sowie mit den zum Präparieren 
erforderlichen Instrumenten, Gläsern 
u. Beagentien in Bereitschaft halten. 

Sachsen. §. 6: Weicht darin von Prenssen ab, dass es nur 1 Knorpel¬ 
messer fordert, dagegen noch besonders 1 Hohlsonde und 1 Katheter. 

Württemberg: §. 2. Weicht von der preussischen Anweisung 
darin ab, dass es 5 Messer verlangt, ferner 2 Seheeren „von mittlerer Grosse, 


*) Statt „Instrumente" konnte, wenn das Wort verdeutscht werden soll, 
„Werkzeuge* gesagt werden. Allerdings bliebe dann die Tatsache ungeändert 
wie bisher, dass „Beagenspapier" eigentlich nicht an diese Stelle gehört. 



062 


Dr. Placsek. 


eine davon mit geknöpfter Spitse, die längere Scheere mit einem breiten, 
atnmpfen Blatt* (Darmscheere ohne Widerhaken). 

Baden: §. 1. Die Vorschrift gleicht ganz der bayerischen Anweisung, 
wünscht den Meusel „mit einschiebbarem Hebel, damit er als Quermeissei be¬ 
nutzt werden kann*, ferner „1 einfaches Rhachiotom (oder ein Luersches 
Doppelrhachiotom).“ 

Mecklenburg - Schwerin, Braunschweig, Schwarsburg- Son- 
derehausen, Bisass - Lothringen: Identisch mit Prenssen. 

Sachsen-Weimar, Mecklenburg - Strelltz, Anhalt: Hier fehlen 
Bestimmungen. 

Die Vorschriften über die Instrumente weichen demnach, 
soweit überhaupt solche getroffen sind, nur wenig nnter einander 
ab; sie sind aber nach manchen Richtungen ergänzungsbedürftig. 
Allgemein beherzigenswert dürfte zunächst eine Empfehlung 
Entres sein, die das Zeitalter der Asepsis notwendig mit sich 
bringt. Alle Instrumente sollen aseptisch, d. h. ganz aus 
Metall sein. Ob ein weiterer Wunsch „alle Scheeren, die 
Knochenscheere, den Tasterzirkel, das Rasiermesser, alle Pinzetten, 
die Säge und besonders das Doppelrhachiotom zerlegbar anzu¬ 
fertigen", leicht erfüllbar ist, halte ich für zweifelhaft. 

Wenn das Regulativ 4—6 Messer für wünschenswert hält, 
also einen Spielraum lässt, so sollte das zukünftige Regulativ 
getrost 6 Messer als Norm fordern. Bedenkt man, dass Messer 
leicht schadhaft, durch Reparaturen, Schleifen nicht benutzbar 
werden, so kann die Anzahl 6 nicht zu hoch bemessen erscheinen. 

Ueber die Messergrösse lässt sich nur das bayrische Regulativ 
aus. Für die zwei stärkeren verlangt es 23 cm Länge, davon 
die Klinge 10 cm lang. Nauwerck wünscht sie 28 cm lang, 
davon 16 cm auf die Klinge (mit Einschluss des 2—3 cm langen 
Halses). Betreffs der Messerform kann die in den jetzigen 
Regulativen gegebene Anweisung getrost beibehalten werden, 
wenigstens wird es wohl kaum nötig sein, mit den bistouriförmigen 
Seziermessern, wie sie von Recklinghausen angegeben hat, 
zu rechnen, da sie anscheinend keine grössere Verbreitung ge¬ 
funden haben. Es wird sich auch in Zukunft empfehlen, 2 feinere 
Skalpelle mit grader, und 2 stärkere mit bauchiger Schneide zu 
besitzen. Dazu könnten, nm die Sechszahl voll zu machen, 
2 ähnliche, aber kleinere Skalpelle kommen, mit einer Klingen¬ 
länge von 10 und 8 cm, wie sie Nauwerck empfiehlt. 

Während alle Regulative ein starkes Knorpelmesser 
verlangen, wünscht Bayern zwei. Man kann diese Forderung nur 
gutheissen, angesichts der Tatsache, dass gerade die Knorpel¬ 
messer an der ihnen zugewiesenen Aufgabe leicht schadhaft 
werden, ein Ersatzstück daher nur willkommen sein kann. Ueber 
seinen Ban geben die Regulative nichts an, wohl aber tut es 
Nauwerck: 

„Wo es nötig ist, einen kräftigen Druck aussuüben, da bedarf es eines 
Messers mit breitem Bücken, auf den man bequem den Zeigefinger oder selbst 
den Daumen auflegen kann. Virchow hat für diesen Zweck das gewöhnliche 
Knorpelmesser weiter ausgebildet, indem er die Klinge (10 cm lang mit Hals) 
dieker und bauohiger, namentlich aber seinen (11—12 cm) langen Griff stärker 
macht. Der Bücken ist 16 mm breit.* 



Bin deutsches gerichtsftrstliches LeichenöffnuHgsverfahren. 


558 


Als Ergänzung würde ein Gehirnmesser recht nützlich sein, 
ganz besonders, wenn nicht mehr die Gehirnsektionstechnik, wie 
üblich, zur Anwendung käme. Ein solches Messer beschreibt 
Nanwerck: 

„Klinge lang, bis zum Ende gleich breit, doppelschneidig, dünn, blatt¬ 
artig, aber ohne sn federn, vorn abgerundet, dabei scharf, die Klinge 2B cm 
lang, 0,4 cm breit.“ 

Abweichend lauten die Angaben über Pinzetten. Preussen 
begnügt sich mit 2, Sachsen-Weimar-Eisenach wünscht eine davon 
mit Schieber, Bayern und Württemberg verlangen 3; ersteres 
bestimmt sogar ihre Länge auf 20 und 10 cm. Wünschenswert 
erscheinen mir 3 Pinzetten verschiedener Grösse, davon eine 
mit Schieber. 

' Was die Scheeren anlangt, so stimmen die Regulative in 
ihrer Zahl überein, weichen aber in der für sie wünschenswerten 
Form ab. Baden, Bayern, Sachsen verlangen „eine stärkere, 
deren einer Arm stumpf, der andere spitz und eine feinere, deren 
Arm geknöpft, der andere spitz ist“. Württemberg wünscht 
ausserdem die längere Scheere mit einem breiten, stumpfen Blatt 
(Darmscheere ohne Widerhaken) und beide Scheeren von „mittlerer 
Grösse“. Es dürfte fraglich sein, ob eine solche „Darmscheere 
ohne Widerhaken“ nötig ist. Wenn nur die Einkerbung nicht so 
ausgesprochen ist, dass sie den gleitenden Blattteil zum Wider¬ 
haken macht, wird die Darmscheere in ihrer bisherigen Form 
ihren Zweck weiter gut erfüllen. Nanwerck wünscht, dass die 
übliche Darmscheere mit einem „längeren breiteren Blatt, welches 
das andere um etwa 2,5 cm überragt und abgerundet endet“. 
Er verlangt noch eine zweite Darmscheere gleicher Form, die 
nur in allen Dimensionen kleiner ist. Sicher würde diese dem 
Obduzenten angenehm sein, speziell bei Kinderleichen. 

Ueber Zahl, Art und Form der Sonden differieren die 
Regulative wesentlich. Preussen fordert „eine grobe und 2 feine 
Sonden“, macht keine Angabe über das Material, ebenso Baden. 
Bayern wünscht „mehrere Metall- und Fischbeinsonden, Sachsen 
eine Hohlsonde und mehrere Sonden verschiedener Stärke, 
Württemberg 2 metallne und 1 Fischbeinsonde von verschiedener 
Stärke. Als Material wird also Metall und Fischbein bevorzugt. 
Nauwerck wünscht die Sonden verschieden dick und lang, 
auch geknöpft; er sowohl wie Puppe, Entres fordern auch 
Borsten. Vielleicht dürfte sich, um allen, auch den weitgehendsten 
Wünschen zu entsprechen, die Fassung empfehlen: 

„2 Fischbein-, 2 Metallsonden geknöpft, verschieden stark und lang, eine 
Hohlsonde, Schweinsborsten.“ 

Für die Säge machen die Regulative keine Vorschriften, 
es sei denn, dass einzelne ausdrücklich eine Bogensäge verlangen. 
Eine solche findet Nauwerck am praktischsten „mit bequem 
liegendem Griff“, das Sägeblatt 25 cm lang, 1 mm dick, 1,5 cm 
breit, bequem spannbar. Die Zähne sollen nach vorn sehen. 
Eine kleinere Bogensäge findet er für die Oefihung des Kinder¬ 
schädels brauchbar. Recht praktisch bewährt sich die Einrichtung 



564 


Br. Placzek. 


der Säge, wie sie Prof. Strassmann benutzt, mit nach ver¬ 
schiedenen Richtungen einstellbarem Sägeblatt. Für das zu¬ 
künftige Regulativ dürfte sich demnach empfehlen: 

„2 verschieden grosse Bogensägen mit bequem liegendem Holzgriff, Säge¬ 
blatt 25 resp. 50 cm lang, 1,5 cm breit, 1 mm dick, bequem spannbar, drehbar 
und auswechselbar . Die Zähne sehen nach vom.“ 

Ueber Meissei und Schlägel weichen die Regulative 
beträchtlich voneinander ab. Preussen gibt gar keine weiteren 
Anweisungen; Baden wünscht einen Meissei „mit einschiebbarem 
Hebel, dass er als Quermeissei benutzt werden kann“ und ausser 
dem Schlägel ein einfaches Rhachiotom (oder ein Luersches 
Rhachiotom). Bayern verlangt einen (2—2 1 /* cm) breiten Meissei 
mit hölzernem Griff, einen sogenannten Quermeissei und einen 
Hammer, Sachsen einen Meissei mit hölzernem Griff und Schlägel, 
Württemberg 2 Meissei, beide mit starkem, hölzernem Griff, der 
eine davon mit grader, 2 cm breiter Schneide, der andere ein Hohl- 
meissel, dessen Schneide 1,5 cm breit ist. Nauwerck empfiehlt: 

1 . Meiseei mit grader, 3 and 2 cm breiter Klinge and kräftigem 
hölzernem Griff; 

2. Holzmeissei verschiedener Grösse, ebenfalls mit Holzgriff; 

3. einen dreiarmigen Metallmeissei, dessen einer Arm 12—18 om lang 
and geschärft, dessen zweiter Arm 6 cm lang and gleichfalls geschärft ist and 
dessen dritter Arm abgestampft ist, am darauf za hämmern; 

4. einen Hammer aas Holz oder mit stählernem, zylindrischem, 5—6 cm 

langem Schlagteil, dessen beide je 2,6—3 cm Durchmesser haltende Endflächen 
zum Hämmern dienen; breite Holzschlegel wirken etwas schonender. 

Ohne die Berechtigung der über die Regulative hinaus¬ 
gehenden Wünsche Nauwercks zu verkennen, glaube ich doch, 
dass ein Meissei mit starkem hölzernem Griff, ein Hohlmeissei 
und ein breiter Holzschlägel vollauf genügen dürften, ganz 
besonders, wenn das sehr praktische Lu ersehe Rhachiotom 
hinzukommt. 

Die zur Durchtrennung der Rippen dienende Knochen- 
scheere empfehlen alle Regulative, Bayern sogar doppelt, gross 
und klein. Ich glaube, dass eine Enöchenscheere bekannten For¬ 
mats ausreicht. Willkommen würde eine sogenannte Larynxscheere, 
für verknöcherte Kehlkopfknorpel etc. bestimmt, sein mit kräftigen, 
allmählich spitz auslaufenden Blättern. Hie und da könnte eine 
Knochenhaltezange vielleicht nützlich sein. 

Seltsamerweise lassen die Regulative eine Angabe über ein 
Raspatorium vermissen, obwohl doch dieses Instrument gerade 
für gerichtliche Zwecke zur sorgfältigen Durchforschung der 
Knochen auf Verletzungen dringend notwendig ist. Den Katheter 
erwähnt nur das sächsische Regulativ. Ein solcher ist unum¬ 
gänglich nötig, und zwar ein männlicher und ein weiblicher. 

Ein sehr wichtiges Instrument sind auch Nadeln, von 
denen die Regulative 6 verschiedener Grösse verlangen. Entres 
findet ausserdem eine grosse krumme Nadel von mehr als 10 cm 
Bogenweite sehr geeignet, auch ein Nadelhalter wird im Einzel¬ 
falle praktisch sein. Fäden verschiedener Art dürfen natürlich 
nicht fehlen. 




Ein deutsches gerichtsäritliches Leichenöffnnngsverfahren. 666 

Uebereinstimmend fordern die Regulative einen Taster- 
zirkel. Nauwerck möchte ihn so eingerichtet sehen, dass die 
Arme im Schlosse vollständig drehbar sind und auch mit auswärts 
gewandten Spitzen gebraucht werden können. Es kann diese 
Einrichtung in manchen Fällen nützlich sein. 

Statt des Meterstabs, wie ihn das prenssische und säch¬ 
sische Regulativ fordert, wünschen die anderen ein Stahlmeterband 
mit entsprechender Einteilung. 

In den anderen Anforderungen stimmen die Regulative überein; 
es erübrigt sich also ihre Einzelbesprechnng, zumal auch alle 
die Teile notwendig in das neue Verzeichnis übernommen werden 
müssen. 

Das Instrumentarium, wie es die Regulative geben, ist nach 
mancher Richtung weiter ergänzungsbedürftig. Entres und 
Puppe wünschen: 

2 kleinere Gläschen mit Glasstopfen, Fingerhttte ans Kautschuk oder 
mehrere Gnmmifinger eventl. solche Handschuhe, 1 Gläschen Jodoformkollodium 
mit Pinsel, Nagelbürste, Seife, 1 Röhre Sublimatpastillen (nach Entres 
Hydrarg. oxycyan., um die Instrumente nicht anzugreifen). 

Ausserdem wünscht Puppe: 

1 grösseren Schwamm, 1 geeignetes Schöpfgefäss, Hanfzwirn, Schürze 
mit Aermeln, Sau de Cologne; für Vergiftungsfälle 3 Gläser mit weitem Halse 
zu 3—500 gr. mit Stöpseln, Bindfäden und Pergamentpapier. 

Entres verlangt ferner: 

Gewichte zu 1 gr, 10 gr, 100 gr. Einige Objektträger und Deckgläschen 
und eine leere schwedische Zündholzschachtel zu deren vorläufiger Aufbewahrung; 
Jodoformgaze, Verbandwatte, Bänder; Guttaperchapapier, amerikanisches Heft¬ 
pflaster, einige anatomische Schemata und die Obduktionsinstruktion. 

Nauwerck fordert: 

Reagensgläser, verschiedene Holzteller, Schüsseln, Eimer zur Aufnahme 
der flüssigen Abfallstoffe, 1 Giesskanne, Holzklötze. 

Diesen speziellen Ergänzungen werden, wie ich glaube, noch 
weitere folgen müssen, wenn anders man die Ergebnisse der 
neueren Forschungen berücksichtigen will. Allerdings wird man 
hier unterscheiden müssen zwischen der Ausstattung eines Ob¬ 
duktionsraumes, der ein für alle Mal dafür bestimmt ist, und 
deshalb auch mit allem ausgestattet sein sollte, was zur Klar¬ 
stellung forensischer Streitfragen dienen kann, und einem gelegent¬ 
lich dafür eingerichteten Raum. In letzterem Falle werden na¬ 
türlich kompliziertere oder zeitraubendere Untersuchungen für die 
spätere Untersuchung zurückgestellt werden müssen. Die not¬ 
wendigen Utensilien sollte der Gerichtsarzt besitzen, aber nicht 
für jede Sektion mitzunehmen haben. 

Als Instrumente, die sich nutzbar erweisen dürften, möchte 
ich nennen: 

1 Handspektroskop, 1 Doppelmesser; 1 Kryoskop, 1 Aräometer, 1 Pykno¬ 
meter zur Feststellung der Blutdichte. 1 Troikart mit abschliessbarem Seiten¬ 
ventil zur Lungenprobe. 1 Wasser oder Quecksilbermanometer. Eine Sammlung 
folgender Reagentien: Chloroformbenzolmischung vom spezif. Gew. von 1055, 
Chloroform und Benzol einzeln, Silbersalzlösung, Bleilösung, Filtrierpapierstreifen, 
Cyankalium, alkoholische Guajakharzlösung, Terpentinöl, schwache Kupfersulfat¬ 
lösung (etwa 1:1000); konzentrierte Schwefelsäure, Kalium bichromatum, 
Eisenchlorid, 3°/ 0 ige Tanninlösung, gelbes Schwefelammon, verdünnte Essig- 



556 


Au Versammlungen und Vereinen. 


süure, Uhlenhut-Wassermannsches Serum znr Prüfung auf Menschenblut, 
physiologische Kochsalzlösung, Pacinische Flüssigkeit (Aqua 300,0, Gly¬ 
zerin 100,0, Kochsalz 2,0, Sublimat 1,0), Pepsinglyzerin mit Zusatz vom Formal- 
dehyd, Schwefelammonium, Eisessig, Flor encesches Reagens (Jodkalium 1,66, 
Jod 2,54, Aqua dest. 80), 

Für ganz wünschenswert halte ich, dass das zukünftige 
Regulativ die Konservierung wichtiger Befunde für eine 
bestimmte Zeit verlangt. Da wir in der glücklichen Lage sind, 
in der Kayserlingschen Flüssigkeit ein Mittel zu haben, dass 
die natürlichen Farben vortrefflich erhält, ist diese Forderung 
um so mehr berechtigt; denn dann erst werden Nachuntersucher 
ihre Aufgabe voll erfüllen können. Stets wird das wirkliche 
Objekt leichter und deutlicher Klarheit schaffen, als selbst die 
eingehendste, niemals von subjektiven Anschauungen und sub¬ 
jektivem Wissen ganz losgelöste Schilderung. Dieser persönliche 
Wunsch ist nicht etwa ganz neu, sondern wird schon im sächsischen 
Regulativ §. 20 ausgesprochen. Es heisst da: „Wo es im Interesse 
der dauernden Erhaltung eines klaren Tatbestandes liegt, kann 
der Gerichtsarzt die Aufbewahrung und Konservierung von Körper¬ 
teilen oder von in der Leiche gefundenen Fremdkörpern be¬ 
antragen“. Ich wünschte daher, dass das folgende modifizierte 
Keyserlingsche Verfahren vorgeschrieben würde, wie es in der 
Berliner Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde üblich ist: 

„Frisch abgespült kommt das Präparat in Lösung I: Aqua fontana 4000, 
Formalini puri 800, Kal. acet. 85, Kal. nitr. 45. 

Hierin bleibt es je nach Grösse bis zur völligen Entfärbung. Je schneller 
Entfärbung eintritt, desto schöner und 'natürlicher später die Farbe ! Entfärbung 
kann beschleunigt werden durch Einschnitte. Man legt dann das Präparat, 
nachdem es ganz abgelaufen ist, in Lösung II (80 °j 0 igen Alkohol); hierin treten 
die natürlichen Farben wieder hervor, und zwar bei verschiedenen Präparaten 
in verschieden langer Zeit, meist in 4—5 Stunden . Man kann durch Reinigen, 
Bürsten, Schaben der Schnittfiächs nachhelfen. Nachdem die natürlichen Farben 
leuchtend wiedergekehrt sind, kommt das Präparat in Lösung III (Aqua dest. 
9000, Glyzerin 3000, Kal acet. 2 000); hierin bleibt das Präparat zur definitiven 
Aufbewahrung“ 

Als Schluss der allgemeinen Bestimmungen dürfte sich die 
folgende Vorschrift empfehlen: 

„Die nachfolgenden technischen Vorschriften sollen nicht schablonenhaft 
angewendet, sondern deren Reihenfolge nur im allgemeinen eingehalten, im übrigen 
aber als Leitfaden für den Gang der speziellen Untersuchung angesehen werden, 
welcher jedesmal der Eigentümlichkeit des Falles anzupassen ist. a 

(Fortsetiung folgt.) 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die 18. Versammlung der Medizinalbeamten 
des Reg. - Bez. Merseburg zu Merseburg am 19. Mai 1903. 

Za der Versammlung waren erschienen der Oberpräsident der Provinz 
Sachsen Herr v. Bötticher, der Regierungspräsident von Mersebarg, Freiherr 
von der Reeke, der Oberregierungsrat v. Terpitz, ferner der Direktor 
des hygienischen Institutes der Universit&t Halle, Prof. Dr. Fr&nkel, sowie 
der Vorsitzende, Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr. Penkert, 18 Kreisärzte, 
1 Kreisarzt z. D. und 3 pro physicatu geprüfte Aerzte. 

Nachdem der Vorsitzende den Herrn Oberpr&sidenten und den Herrn 
Regierungspräsidenten begrünst und denselben für ihr Erscheinen gedankt hatte, 
ergriff zunächst der Herr Oberprüsident das Wort und verbreitete sich 



Ans Versammlungen and Vereinen. 


B57 


Aber das in letzter Zeit das öffentliche Interesse mehr and mehr in Anspruch 
nehmende Verhältnis zwischen Aersten and Krankenkassen. Er bedanerte die 
in letzter Zeit mehrfach stattgehabte Zuspitzung der Differenzen zwischen 
diesen beiden Parteien, da der dadurch geschaffene Kriegszustand weder im 
Interesse der Kassen, noch in dem der Aerste sei, und richtete die Aufforde¬ 
rung an die Kreisärzte, soweit als ihnen möglich, auch ihr Teil dazu beitragen 
su helfen, dass auftauchende Differenzen in friedlichen Bahnen verlaufen 
möchten. Insbesondere sollten sie einerseits, da wo es nötig sei, bei den 
Kassenvorständen Verständnis für die Forderungen der Aerste su erwecken 
suchen, anderseits bei den Kassenärzten dahin wirken, dass diese sich mit 
ihren Ansprachen der Aufsichtsbehörde erster and eventuell auch zweiter 
Instanz anvertrauten, welche berechtigten Forderungen sicher ein wohlwollendes 
Entgegenkommen beweisen würden. 

Hierauf besprach der Vorsitzende die seit der letzten Versammlung 
ergangenen Verfügungen und Verordnungen, welche zu einer Diskussion 
diesmal keine Veranlassung gaben, worauf noch einige geschäftliche Ange¬ 
legenheiten (Rechnungslegung etc.) erledigt wurden. 

Danach trat man in Punkt 2 der Tagesordnung ein, wozu Kollege 
Fielitz Mitteilungen über die Grundlagen einer beabsichtigten Versiche¬ 
rungskasse für Hebammen machte, welche ähnlich, wie die reichsgesetz¬ 
lichen Kassen sich auf die Versicherung gegen Krankheit, Unfall, Alter und 
Invalidität erstrecken solle. Die kurze Besprechung, welche sich daran an¬ 
schloss, endete damit, dass der ausgearbeitete Entwurf zunächst den Vorge¬ 
setzten Behörden zu weiterer Berücksichtigung eingereicht werden boU. 

Bevor nun zum Hauptpunkte der diesmaligen Tagesordnung, der Be¬ 
sichtigung der im vorigen Jahr neu erbauten, nach der sogenannten biologi¬ 
schen Methode eingerichteten Abwässerreinigungsanlage der Stadt Merseburg 
übergegangen wurde, gab der Unterzeichnete Berichterstatter als Ein¬ 
leitung einen Ueberblick über die verschiedenen Reinigungsverfahren städti¬ 
scher Abwässer, besprach die Grenzen ihrer Wirksamkeit und ihren Wert 
und verbreitete sich insbesondere in Anlehnung an die neuesten Veröffent¬ 
lichungen von Dunbar über das sogen, biologische Verfahren im 
engeren Sinne, welches sich auch hier in Merseburg in nunmehr einjährigem 
ununterbrochenem Betriebe bewährt und nach jeder Richtung hin günstige 
Resultate ergeben habe. 

An diesen Vortrag anschliessend betont Prof. Fränkel, dass die Haupt¬ 
wirkung des biologischen Verfahrens in der Beseitigung des grössten Teiles 
der gelösten organischen Stoffe liege; der Bakteriengehalt der Abwässer würde 
wenig alteriert. Diese Wirkung sei aber auch völlig ausreichend, denn dadurch 
würde eben der Zustand, der am meisten die sanitären Missstände in den 
Flussläufen hervorrufe, nämlich die stinkende Fäulnis, beseitigt. Speziell auf 
die Merseburger Verhältnisse übergehend, fasste er das Ergebnis der im 
hygienischen Institut zu Halle stattgefundenen regelmässigen Kontrollunter- 
suchungen dabin zusammen, dass von den gelösten organischen Stoffen ein 
Prozentsatz entfernt worden sei, der zwischen 40 und 90 •/« geschwankt habe. 
Stinkende Fäulnis sei auch bei den Proben nicht mehr aufgetreten, bei denen 
nur ein relativ geringer Prozentsatz der gelösten organischen Stoffe durch die 
Filter zurückgehalten sei, so z. B. habe eine Probe, welche nur einen Verlust 
von 50°/ 0 dieser Stoffe gezeigt habe, trotz längerer Aufbewahrung im Brut¬ 
schrank nicht mehr gefault. Woran das liege, könne er nicht mit voller Sicher¬ 
heit sagen, wahrscheinlich sei ihm, dass in solchen Fällen keine stickstoffhaltigen 
organischen Substanzen mehr in dem Filtrat seien, sondern nur Kohlenhydrate 
und Fette. 

Auf die Dunbar 1 sehen Untersuchungen übergehend, halte er es eben¬ 
falls als ein hauptsächliches Erfordernis für eine ausreichende Wirkung des 
Verfahrens, dass vor der biologischen Behandlung die suspendierten Teile der 
Abwässer soweit wie nur irgend möglich entfernt werden müssten. Dagegen 
müsse er nach seinen eigenen in England gemachten Erfahrungen im Gegen¬ 
satz zu den neuesten Veröffentlichungen von Dunbar 1 ) einen Faulraum vor 

*) Prof. Dr. Dunbar und Dr. B. Thumm: Beiträge zum derzeitigen 
Stande der Abwässerreinigungsfrage mit besonderer Berücksichtigung der bio¬ 
logischen Reinigungsverfahren. Verlag von Oldenbourg. München 1902. 



558 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


dem Auflassen auf die Filter für durchaus zweckmässig, ja sogar notwendig 
ansehen, weil durch die darin eingeleiteten Fäulnisprozesse unlösliche Stoffe in 
LOsnng übergeführt, die Schlammenge vermindert and dadurch die Wirkung 
der Filter erhöht würde, was ja auch bei der Merseburger Klftranlage in aus- 
gibigem Umfange beobachtet worden sei. 

Ferner sei bisher immer nur von einem intermittierenden Verfahren die 
Rede gewesen; er wolle aber nicht die Gelegenheit vorübergehen lassen, ohne 
auf die letzten im Gesundheits-Ingenieur veröffentlichten Dnnbarsehen 
Untersuchungen über kontinuierlichen Betrieb aufmerksam zu machen. Dabei 
werde entweder die Flüssigkeit mit sogen. Sprinklern auf die Oberfläche 
der Filter versprüht oder aber in einer ganz oberflächlichen feinen Deck¬ 
schicht von etwa 15 cm Höhe in feinste Teilchen zerlegt, und nachdem dies 
geschehen, gelange sie in die tieferen Abschnitte der Filter, die aus grobem Ma¬ 
terial, Schlacken von Fanst- bis KindskopfgröSBe, bestehen, und nun den von 
oben kommenden Wasserteilchen Gelegenheit geben, sich wieder zu grösseren 
Tropfen zu vereinigen und so duroh den Filterkörper hindurohzurieseln (Tropf¬ 
filter). Die dadurch erzielte Berührung mit der Luft genüge, um auch in 
dauerndem Betriebe eine genügende Wirkung zu erzielen. Fränkel hat 
die neuen Tropffilter vor wenigen Tagen selbst auf der Hamburger Anlage in 
Augenschein genommen und sich von den guten Resultaten überzeugen können. 

Es erfolgte nunmehr die Besichtigung der Kläranlage, welche durch 
den Erbauer derselben, Stadtbaumeister Krüger, der schon vorher die tech¬ 
nischen Einzelheiten erläutert hatte, in Betrieb gezeigt und erklärt wurde. 
Die Anlage ist naeh Art ihrer Einrichtung die erste derartige für ein grösseres 
Gemeinwesen in Deutschland und geradezu vorbildlich. Die Kollegen nahmen 
mit hohem Interesse die sämtlichen Einrichtungen in Augenschein, insbesondere 
fanden die vorgezeigten Proben des abgeklärten Wassers, welche teilweise 
schon seit Monaten aufbewahrt waren, ohne die mindeste Spur von Fäulnis 
oder Geruch zu zeigen, allseitige Anerkennung. 

Nachdem die Besichtigung beendet war, erholte man sich von den An¬ 
strengungen der Sitzung und Besichtigung noch, wie üblich, bei einem gemein¬ 
samen Mahle. Dr. Schneider-Merseburg. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Gerichtliche Medizin nnd Psychiatrie. 1 ) 

Lysolvergiftung. Experimentelle Untersuchungen aus der k. Univer¬ 
sitäts-Frauenklinik zu Wflrzburg. Von Assistenzarzt Dr. Fritz Hammer. 
Münchener mediz. Wochenschrift; 1908, Nr. 21. 

Verfasser hält die Lysolvergiftungen durchaus nicht für so selten nnd 
glaubt, dass die Befunde für Lysolintoxikation sowohl in bezug auf den Symp- 
tomenkomplex, als auch auf die Organveränderungen sehr schwer zu deuten 
sind. So wurden mehrmals bei Uterusausspülungen mit Lysol üble Zufälle 
gesehen, die sich ans der Anämie allein nicht erklären Hessen. 

Hierfür bringt Verfasser ein Beispiel mit Krankengeschichte und Obduk¬ 
tionsbefund, gibt dann einige kurze Bemerkungen über das chemische Ver¬ 
halten des Lysols, lässt hierauf einige kasuistische Mitteilungen aus der Li¬ 
teratur folgen, die ihm geeignet erscheinen, zur Erklärung des Wesens der 
Lysolvergiftung beizutragen. 

Wie unglückliche Zufälle an Menschen die Giftigkeit des Lysols dartun, 
ist dieselbe auch experimentell an Tieren bewiesen worden. Auch hier zeigte 
sich durchaus, dass neben lokaler Aetzwirkung vorwiegend das Zentralnerven- 


*) Mit Rücksicht auf die in Nr. 12 gebrachten Referate über 12 Vor¬ 
träge, gehalten von Privatdozeut Dr. Gottschalk. Geh. Med.-Rat Dr. Jolly, 
Prof. Dr. Israel, Prof. Dr. Köppen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Liebreich, 
Prof. Dr. Mendel, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Moeli, Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. Ohls hausen, Gerichtsart Privatdozent Dr. Puppe und Gerichtsarzt 
Prof. Dr. Strassmann, bemerken wir, dass dieselben im besonderen Heft 
bei G. Fischer in Jena erschienen sind; der Preis des Heftes beträgt 6 Mark. 



Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 659 

sjstem in der Form von Krämpfen eines Teiles der gesamten Körpennuskulatur 
beeinflusst wird. 

Bei UterusausspOlungen im Wochenbett gleioh nach der Gebart besteht 
die Möglichkeit, dass von den geöffneten Venen Teile des Desinfiriens aspiriert 
oder resorbiert werden and so aaf dem Wege der Blat- oder Lymphb&hn in 
den Körper bezw. in kflrzester Zeit za den Zentralorganen gelangen, wobei 
noch verhältnismässig geringe Mengen von Lysol gentlgen, am die Zentral* 
organe empfindlich reizen za können. 

Aas den Erscheinungen, die Verfasser bei den Tierversuchen gesehen 
hat, glaubt er vor allem folgern za mttssen, dass es insbesondere nicht darauf 
ankommt, wieviel von der Flüssigkeit gegebenen Falles aspiriert oder absorbiert 
wird, sondern insbesondere auf die Konzentration der Lösang and die Schnellig¬ 
keit, mit der eine konzentrierte Lösang in die Gewebssäfte gebracht wird. 

Die Lehre, die sich für den Verfasser aus seinen Beobachtungen and 
Untersuchungen bezüglich der Anwendangsweise des Lysols in der Geburtshilfe 
ergibt, ist eine doppelte: 

1. Bei Aasspfllungen des paerperalen Uterus ist eine möglichst geringe 
Konzentration der Lysollösnng zu wählen (ob sie dann noch nützt P Bef.). 

2. Ist es absolut za verwerfen, die Ausspülung unter hohem Drucke aus- 
zaführen. Insbesondere darf sie bei Placenta praevia nur unter ganz geringem 
Drucke ausgeführt werden, weil sonst zu leicht eine Aspiration einer Lysol¬ 
menge durch die klaffenden Venen erfolgen kann. Dr. Waibel-Kempteu. 


Lokale Wirkungen der Chroms&ure. Ein Fall von akuter Chrom- 
■äureverglftung. Von Dr. Robert Rössle. Deutsches Archiv für klinische 
Medizin; Bd. 76, H. 6, S. 569. 

Einer eingehenden Besprechung der bisher in der Literatur nieder¬ 
gelegten Beobachtungen von Chromsäurevergiftungen beim Menschen schliesst 
Verfasser die ausführliche Beschreibung eines selbst beobachteten, tödlich ver¬ 
laufenen derartigen Falles an. 

Bei einer älteren Frau, die wenige Stunden nach dem Genuss einer be¬ 
trächtlichen, der Menge nach genau nicht mehr festzustellenden Quantität einer 
sehr konzentrierten Lösung von reiner ChromBäure tot im Bette aufgefonden 
war, fand sich als voirnehmlicher Befand Häutung und starke Grünfärbung der 
Zungen* und Speiseröhrensohleimhaut, der Magen wand und des oberen Duo¬ 
denum; sehr starke Rötung und Schleimhautablösung am Schlund, Kehldeckel 
und Stimmbändern. Mikroskopisch zeigten sich die Gewebe in den betroffenen 
Organen ziemlich tief nekrotisiert, in den Kapillaren fanden sich in diesen 
Bezirken überall eigentümlich angeordnete, durch Haematoxylin blaugefärbte 
Niederschläge, die Verfasser als Chromatinsubstanz anspricht und von einem 
Zerfall der Kerne der Leukozyten und Endothelien herleitet. 

_ Dr. Risel-Leipzig. 


Vergiftung mit Kalibichrom&t. Von Dr. Franz Berka, Sekundär¬ 
arzt am Krankenhause in Brünn. Münchener medis. Wochenschrift; 1903, Nr. 16. 

Die ChromBäure und ihre Präparate, das gelbe und das rote (auch saure) 
chromsaure Kali, gehören zu den, zwar in der Technik hänfig angewandten, 
jedoch wegen ihrer Giftigkeit wenig gewürdigten Substanzen. Nach Vogl 
bewirken schon die Gaben von 0,05—0,1 g des roten (zeitweilig arzneilich an¬ 
gewendeten) Salzes Erbrechen und Durchfall, 0,3 erhebliche Intoxikationszu¬ 
fälle, 1 g den Tod. 

Eine 22 jährige, seit Jahren mit schwerer hysterischer Psychose behaftete 
Person, die schon fünfzehnmal Selbstmordversuche unternommen hatte, kaufte 
sich ungefähr 20—35 g Chromkali, wickelte dasselbe in Feigen ein und ver¬ 
giftete sich damit. Nach einem kurzen 12 ständigen Krankheitsverlaufe, 
welcher in seinen Symptomen an das Stadium algidum der Cholera erinnerte, 
starb die Patientin. 

Die später vorgenommene chemische Prüfung sowohl der Spülflüssigkeit, 
als des Erbrochenen weist ausser starkem Sodagehalt und dementsprechender 
alkalischer Reaktion (von der Ausspülung herrührend) in beiden ChromBäure 
in reichlicher Menge nach. 



560 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Obduktionsbefund: Körper mittelgross, mässig kräftig, tou entsprechender 
Er nährung . Haut blass; Bindehaut, sowie Lippenscbleimhant ohne anifallenden 
Befand. 

Hirnhäute zart, die Sinns mit dnnkelflttssigem Blute gefallt; Gehirn 
1250 g, blutreich. 

Rechte Lange angewachsen, linke frei; beide lufthaltig, blntreich; in 
den Bronchien kein Inhalt. Herzbeutel leer, Herz von gewöhnlicher Grösse, 
im rechten Anteile stark schlaff; Herzfleisch granbrann, m&ssig fest; Klappen zart. 

Schleimhaut der Mund-, Rachenhöhle and der Speiseröhre blass; in der 
letzteren ein leichter brauner Sehleimbelag; Zungenbalgdrüsen leicht vergrössert. 
In der Luftröhre unter den Stimmbändern mehrere flohstichartige Blntnngen. 

In der Bauchhöhle kein abnormer Inhalt; Darmserosa glatt and glänzend. 

Magen m&ssig ausgedehnt; in demselben ca. 200 ccm branner schleimiger 
Flüssigkeit, in welcher sich 5 walnassgrosse unverdaute Feigensttlcke(ohne fremd¬ 
artige Sabstanzen) befinden. Schleimhaut in zahlreiche Falten gelegt, geschwellt, 
oberfl&ohlich braunrot imbibiert. Duodenum von brauner Farbe, welche sich im 
Jejnnnm in eine dunkelkarminrote, diffus die ganze Schleimhaut färbende, um¬ 
wandelt. Schleimhaut geschwellt, weder im Magen, noch im Darme Ulzera- 
tionen; in der oberen Darmh&lfte wässrig schleimiger, dunkelroter Inhalt. Erst 
im unteren Dünndarm nimmt der Darm die gewöhnliche Färbung an; die 
Schleimhaut, sowie die Dickdarmschleimhant ist leicht iniiziert, stellenweise 
mit rötlich fingiertem Schleime belegt. 

Die übrigen Bauchhöhlenorgane von gewöhnlicher Beschaffenheit, Geni¬ 
talien virginal. 

Die mikroskopische Untersuchung des Magens and Dünndarms ergab 
kleinzellige Infiltration der obersten Schleimhantschichten, dann im Magen 
kapilläre H&morrhagien an der Oberfläche der Magendrflsen. 

Dass die Haut der Mnndöffnung und die Schleimhaut des ganzen oberen 
Verdauuugsweges nicht, wie gewöhnlich, rot gefärbt war, dürfte wohl 
durch die Einhüllung des Giftes in Feigen an erklären sein. Nephritis fehlte, 
wahrscheinlich wegen des schnellen Krankheitsverlanfes. 

_ Dr. Weibel-Kempten. 


1. Lokalisation und Elimination der metallischen Gifte bei den 
gewerblichen Vergiftungen. Von G. MeiHöre. Comptes rendns soo. 
biol.; 1902, S. 1134. 

2. Ueber das Vorkommen von Blei im Organismus. Von G. 
Meillöre. Ibidem; 1903, S. 517. 

3. Lokalisation des Bleies im Organismus der Bleikranken. 
Ibidem; 1903, S. 518. 

An Bleikranken, die im Hospitale lagen and schon lange Zeit der Ein¬ 
wirkung des Bleies entzogen waren, wies der Antor nach, dass das Blei sich 
besonders in den Haaren und den Horngehilden der Haut anhäuft nnd 
durch dieselben aus dem Körper ausgeschieden wird. Bis zu 1 cg fand sich 
in 20 g Haaren, eine Menge, die besonders gross im Verhältnis zn der in den 
Eingeweiden gefundenen Quantität ist. Das Metall wurde durch Elektrolyse 
der Salpetersäuren Lösung des Schwefelhleis dargestellt; der Niederschlag löst 
sich leicht in angesammeltem Wasser. 

Hatte es sich bei diesen Versuchen meist nm Arbeiter gehandelt, die 
lange Jahre bereits ihre Tätigkeit anfgegeben hatten nnd im Kranken¬ 
hanse an Bleiniere oder an anderen Erkrankungen behandelt wurden, so prüfte 
der Autor in einer weiteren Reihe chemischer Untersuchungen auch die Organe 
solcher Bleikranken, die ihren Tod mitten in ihrer Tätigkeit fanden. 

Während die weisse Substanz des Zentralnervensystems in Millionteln 
ausgedrttckt 1—4 Teile Blei enthielt, wies Verfasser in der grauen Substanz 
15—60 Teile nach. Die elektive Lokalisation des Metalls in der Nervenzelle 
wurde hierdurch auch chemisch bewiesen. Dr. Mayer-Simmern. 


Vergleichende Wirknng des Jods und der Jodsalze auf die Lunge. 
Von Marcel Labbö and Löon Lortat-Jacob. Ans dem Laboratorium des 
Prof. Landonzy). Comptes rendns soc. biol.; 1903, S. 625. 

Nach Vergiftung von Meerschweinchen mit Jodkali oder Jodkalilösung 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


661 


zeigten die Langen starke Blutüberfüllung mit manchmal reichlichen Blutungen. 
Ausserdem fanden sich in der Longe sehr reichliehe eosinophile Leukozyten. 
Die Gefahr der Jodide bei bestimmten Tuberkulösen, bei denen Blut¬ 
überfüllung und Verschlimmerung der Lungenerkrankung auftreten 
kann, lässt sich wohl durch diese Versuche begründen. 

Nach Anwendung von Jod selbst, etwa in Vaselinöl gelöst, hat die Ver¬ 
giftung der Tiere eine weit weniger stark ausgesprochene Kongestion der 
Lungen und seltener Blutungen sur Folge. 

Wenn die bei Anwendung der Jodide beobachtete Vermehrung der 
eosinophilen Zellen die Bedeutung einer Verteidigungsreaktion des Organismus 
hat, etwa in der Art, dass das Salz dieselbe Reaktion auslöst, wie ein Irritans, 
das Asthma bedingt, so lässt sich vielleicht auf diesen Mechanismus ein Teil 
der Wirkungen des Jodkali zurückführen. Dr. Mayer -Simmern. 


Versuche über die Dauer des Aufenthalts von Flüssigkeiten im 
Magen. Von G. Leven. Aus dem Laboratorium von Prof. Bouchard. 
Comptes rendus soc. biol.; H. 64, S. 1262. 

Im Anschluss an die Arbeiten von G. Corin, C. Ferrai, 1 ) Hoff¬ 
man n-Elberfeld*) und die Diskussionsbemerkung von Herrn Prof. Strass¬ 
mann*) dürfte sich eine Besprechung der vorliegenden Darlegung empfehlen. 

Der Autor liess 4 Hunde 24 Standen fasten. Alsdann reichte er ihnen 
eine bekannte Menge Wasser. Nach verschieden langer Zeit wurden die Tiere 
durch Injektion von Chloroform ins Herz getötet. Unmittelbar nach dem Tode 
wurde der Magen aufgesucht, Pylorus und Cardia unterbanden und die Menge 
des im Magen befindlichen Wassers geschützt. Bei 4 Hunden, die in den ersten 
12 Minuten getötet wurden, befand sich die gesamte von den Tieren aufge¬ 
nommene Menge Wassers noch im Magen; bei einem, der nach 15 Minuten ge¬ 
tötet wurde, waren von 46 ccm noch 10 darin. Im Magen eines nach 30 Mi¬ 
nuten getöteten Hundes fand sich von 100 ccm Wasser nichts mehr im Magen 
vor. In den ersten 12 Minuten hatte also das Wasser den Pylorus noch nicht 
überschritten, um die 16. Minute beginnt die Entleerung, nach 30 Minuten 
war sie beendet. 

(Erweisen sich diese Versuche als rechtzeitig und als auf den Menschen 
übertragbar, so würde eine halbe Stunde nach Aufnahme von 
100 ccm Flüssigkeit an der Leiche ein leerer Magen gefunden 
werden.) _ Dr. May er-Simmern. 


Funktionsprüfnngen bei akuten Mittelohrentzündungen. Von Dr. 
Friedrich Wanner. Zeitschrift für Ohrenheilkunde; Bd. XLIH. 

Von den Arbeiten des 43. Bandes der Zeitschrift für Ohrenheilkunde, 
welcher als Jubiläumsband Friedrich Besold gewidmet ist, hat die Arbeit 
von Wanner ein besonderes Interesse. Die Ergebnisse der Hörprüfungen 
wurden mit Hülfe der Bezold-Edelmannschen kontinuirlichen Tonreihe 
gewonnen. Es wurden die untere und obere Tongrenze bestimmt, die Versuche 
nach Schwabach, Weber und Rinne angestellt, und die Hördauern für 
die einzelnen Töne im Verlaufe der ganzen Tonreihe festgestellt. Bei der 
Prüfung mit Flüstersprache war die Zahl 6 diejenige Zahl, welche weitaus am 
schlechtesten gehört wurde, nicht ganz so schlecht wurden die Zahlen 4, 6 
und 7 verstanden, während die Zahlen 3 und 8 am besten gehört wurden. 

Die untere Tongrenze zeigte bei den Füllen von Otitis media catarrhalis 
acuta keine wesentliche Einengung, eine etwas grössere aber bei den Füllen 
von akuter Mittelohreiterung. 

Die obere Tongrenze war bei den Füllen von Otitis media catarrhalis 
acuta stark eingeengt, etwas weniger stark dagegen bei den Füllen von akuter 
Mittelohreiterung. 

Der Versuch nach Rinne war bei Otitis media purulenta acuta stets« 
negativ, bei Otitis media catarrhalis acuta stets verkürzt positiv. 

Auf eine Reihe interessanter Einzelheiten kann nicht näher eingegangen 
werden. Rudloff-Wiesbaden. 


*) Vierteljahrssohr. f. ger. Med.; XXI, 1901, S. 240. 

*) XIX. Hauptversammlung des Pr. Med.-B.-V.; S. 68 und S. 68. 



562 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Anatomische Besonderheiten des kindlichen Gehörorganes. Von 
Priratdosent Dr. G. Brüh 1. Archiv für Kinderheilkunde; Bd. XXXV. H. 5 u. 6. 

Der Autor hobt in seiner Arbeit hervor, dass wichtige anatomische 
Eigentümlichkeiten des kindlichen Gehörorganes — das dicke resistente 
Trommelfell, der fibröse Verschloss der durch das Tegmen tymp. verlaufenden 
Fissura petrosquamosa, die durch dieselbe hindurchgehenden Aeste der Arteria 
meningea media und mitunter der reBtirende Sinus petrosquamosus — das 
Uebergreifen von Eiterungen auf den Sch&delinhalt begünstigen. 

Dr. Rudloff-Wiesbaden. 


Sektionsergebnis eines Falles von angeborenem Herzfehler. 
Von Dr. A. Gut kin d in Mannheim. Münchener mediz. Wochenschr.; 1903, Nr. 17. 

Verfasser behandelte ein dreijähriges Kind mit systolischem, blasendem 
Geräusche an der Herzspitze, bronchitischen Erscheinungen, blauer Hautver¬ 
färbung, 3 Jahre hindurch. 

Nachdem dasselbe einige Wochen hindurch keuchhustenähnliche Anfälle 
gehabt hatte, starb es, scheinbar an Herzlähmung. 

Die Sektion des Herzens (vom Verfasser und von Dr. Luss ausge¬ 
führt) ergab: 

Das Foramen ovale nicht geschlossen, somit offene Kommunikation zwischen 
beiden Vorhöfen, ln den linken Vorhof münden die Lungenvenen normal ein, 
desgleichen in den rechten Vorhof die Vena cava snperior und inferior. Beide 
Ventrikel sind durch eine Scheidewand vollständig getrennt. Ans dem rechten 
Ventrikel geht keine Arteria pulmonaris ab, sondern die Aorta entspringt aus 
beiden Ventrikeln gemeinsam und hat die normale Anzahl von Klappen. Die 
Mitral- und Trikuspidalklappe sind normal entwickelt, die Muskulatur beider 
Ventrikel stark hypertrophisch. Ein Ductus Botalli ist, da keine Pulmonalis 
vorhanden ist, nicht nachzuweisen. Da leider die Sektion des Kindes nicht 
vollständig gemacht werden konnte, weil der Vater des Kindes dasselbe nicht 
zerstückeln lassen wollte, war der Abgang der Arteria pulmonalis aus der 
Aorta nicht mehr zu finden, obwohl das Herz an den grossen Gefässen abge¬ 
schnitten und ein grosses Stück der Aorta mit dem Herzen herausgenommen 
war. _ Dr. Waibel-Kempten. 


Hermaphroditismus verus. Von W. Simon. Virchows Archiv für 
pathol. Anatomie; Bd. 172, H. 1, S. 

Die Abhandlung bringt einen ausführlichen Bericht über einen kürzlich 
iu der Garröschen Klinik beobachteten, durch histologische Unter¬ 
suchung ganz zweifellos sicher gestellten Fall von wahrem 
Hermaphroditismus. Es handelte sich um ein 20jähr. Individuum, das als 
Knabe aufgewaohsen war. Dasselbe besass im ganzen mehr weiblichen Habitus, 
wenn auch männliche und weibliche Geschlechtscharaktere innig vermischt waren. 
Beide Mammae waren stark, aber ungleiohmässig entwickelt, schwollen mit ca. 
5 Jahren bisweilen vorübergehend an. Allmonatlich traten in regelmässigen 
^wöchentlichen Intervallen mehrtägige Blutungen aus dem Genital ein. Seit 
einigen Jahren trat dann und wann unter geschlechtlicher Erregung und Erek¬ 
tion des Geschleohtsgliedes Abgang von weisslich schleimiger Flüssigkeit auf. 

Aeusserer Genitalbefund: Unterhalb der Mons veneris an der Symphyse ein 
zylindrischer, penisartiger Körper mit haselnussgrosser, nicht perforierter Glans 
und operativ behandelter, ursprünglich offener Rinne an der unteren Seite 
(Hypospadie). An dieses Gebilde setzen sich nach unten zwei stark behaarte 
Hautwülste an, zwischen denen zwei kleinere unbehaarte Hautfältchen liegen, 
die kammartig eine dem normalen Orificium ezt. urethrae an Grösse ent¬ 
sprechende schlitzförmige Oeffnung umschliessen. Von da aus gelangte man 
mit einem geraden Katheter nach etwa 4 cm langer Strecke in die Harnblase 
Bei endoskopischer Untersuchung dieses Ganges werden kleine in das Lumen 
vorspringende Hautfältchen gesehen. Die Rektaluntersuchung liess linkerseits 
einen bleistiftdicken walzenförmigen Körper fühlen, über dem sich ein flaches, 
kastaniengrosses verschiebliches Gebilde konstatieren liess. Vor der Oeffnung 
des rechten Leistenkanals lag ein über kirschgrosser länglicher Körper. Bei 
der Operation ergab sich, dass sich an dieses Gebilde an dem einen Pole ein 
etwa erbsengrosser, weisser Nebenknoten ansetzte und dass auf der einen Seite 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


563 


von hier ans in die Bauchhöhle sich ein seiner (ranzen Konfiguration nach ent¬ 
sprechender KOrper mit einem kurzen plumpen Fimbrien tragenden Ostinm an 
einem Ende anschloss, w&hrend sich am anderen in einer als Lig. latnm aufzu¬ 
fassenden Peritonealduplikatur ein Qewirr verschieden dicker grangelblieber 
Stränge fand, die als Parovarialschläuehe anzusprechen waren. Von dem als 
Keimdrüse zu deutenden Organ führte ein bandartiges Ligament in die Bauch¬ 
höhle, in dem ansser Gefässen ein dünner, als Vas deferens anzusehender 
Strang verlief, neben dem ein länglicher, halberbsengrosser KOrper — Nebenhode 
— lag. 

Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Keimdrüse eine 
Zwitterdrüse darstellte, so dass die grossere Hälfte aus Hodengewebe mit 
atrophischen Hodenkanälchen ohne Zeichen von Spermatosoeen, nnd mit starker 
Wucherung der Zwischenzellen — ähnlich wie bei Leistenhoden — bestand, 
die kleinere dagegen von Ovarialgewebe, mit z. T. erhaltenem Keimepithel, 
stark ausgebildeter Albuginea und der Parenchymschioht mit gnt entwickelten 
Primärfollikeln gebildet wurde; der unter der Tube subperitoneal gelegene 
KOrper erwies sich als zweifelloses Parovarium, das neben dem Vas deferens 
gelegene Gebilde als Nebenhode. _ Dr. Ri sei-Leipzig. 

1. Einwirkung der Kastration auf die Entwickelung des Skelettes. 
Von Prof. Antonin Poncet. Comptes rendus soc. biol.; 1908, Nr. 2, 8. 65. 

2. Zusammenhang zwischen männlichen Geschlechtsdrüsen nnd 
Skelettentwickelung. Von P. B. Launois und P. Roy. Ibidem; 1908, 
Nr. 1, 8. 22. 

1. Bei allen Tieren, ausser bei den Pferden, geht die Kastration mit 
einer Verlängerung des Skelettes einher; besonders die hinteren Glied¬ 
massen, in erster Linie die Tibiae, sind betroffen. Die kompakte Knochen¬ 
substans ist verdickt, die Epiphysenknorpel dagegen ossifizieren abnorm spät. 
Beim Stier ist die Ossifikation in 2 Jahren, beim Ochsen aber erst nach vier 
Jahren vollendet. 

Eine ähnliche Beziehung zwischen Hodenfunktion und Entwickelung des 
Knochengewebes findet sich beim Menschen. Eunnehen pflegen eine grossere 
KOrperlänge infolge von Wachstumsvermehrung von Femur und Tibia zu haben, 
als Männer desselben Volksstammes. Personen mit Riesenwuchs haben gewöhn¬ 
lich eine unternormale Hodenentwickelung. Aehnliches lehrt die klinische Be¬ 
obachtung an Kastraten, an Männern mit doppelter Hodenatrophie oder 
doppeltem Kryptorchismus. 

2. Auch L. und R. betonen, dass bei Entwiekelungshemmnng der Ge¬ 
schlechtsdrüsen ein übertriebenes Wachstum der Extremitäten, insbesondere 
der unteren Gliedmassen, durch übermässige Verzögerung der Verknöche¬ 
rung der Epiphysenknorpel sich zu vollziehen pflegt. Dr. Mayer-Simmern. 


Ueber psychische Störungen nach Schädelverletzungen. Von 
Dr. Viedens, zweiter Arzt der Landesirrenanstalt zu Eberswalde. Archivf. 
Psycb.; 1903, 36. Bd., 3. H. 

Verfasser bereichert die Kasuistik gut beobachteter Fälle von trauma¬ 
tischer Psychose um 4 bemerkenswerte Beobachtungen. Für die gerichtsärzt¬ 
liche Begutachtung erscheint die Kenntnis solcher Fälle — einmal halluzina¬ 
torischer (Pseudo-) Stnpor, einmal Katatonie, ferner Epilepsie mit schweren 
psychischen Aequivalenten und ein Fall vod langsamem, Paralyse ähnlichem 
Verlauf — von grosser Wichtigkeit. Die Schlüsse, die der Verfasser ans 
seinen Beobachtungen nnd denen anderer Autoren zieht, dass für die nach 
Trauma auftretenden Psychosen keine bestimmten Krankheitsbilder charak¬ 
teristisch seien, werden kaum Widerspruch erwecken. Gewisse Symptome sind 
jedoch diesen Fällen stets eigen, wie Gedächtnisschwäche, Alkoholintoleranz 
und Charakterveränderung mit erhöhter Reizbarkeit. Es wird hervorgehoben, 
dass die traumatischen Storungen viele Aehnlichkeit haben mit solchen alko¬ 
holischer Provenienz. Dr. Pollitz-Münster. 


Ueher das Gans ersehe Symptom mit Berücksichtigung seiner 
forensischen Bedeutung. Von Dr. Lück in Dresden. Allg. Zeitschrift f. 
Psychiatrie; 60. Bd., 1. u. 2. H., 1903. 



564 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Der Verfasser bringt eine Reihe Beiträge zu dem interessanten und 
forensisch wichtigen Krankheitsbilde des hysterischen Dämmerzustandes nnd 
des von Ganser zuerst geschilderten Symptomenkomplozes, der, wie es scheint, 
nicht ganz selten im Verlaufe jener Psychose einzutreten pflegt. Bs bleibt 
dabei eine offene Frage, ob dieser Ganser sehe Symptomenkomplex nur bei 
hysterischen Psychosen beobachtet wird, oder ob weiteres Material ergibt, 
dass er auch im Verlaufe anderer Störungen sich einstellt. Das Charakteristische 
dieses Symptomes ist, dass die Kranken — meist unter dem Einfluss einer 
Haft erkrankt — nach einem Stadium von Stupor, der oft halluzinatorisch 
bedingt ist, in eine halbe Luzidität gelangen, in der sie die einfachsten Dinge 
falsch beantworten, Erinnerungslücken und Defekte fttr die täglichsten Ge* 
dächtnisgegenstände haben (z. B. Zahl und Namen der Monate, bis 10 zählen, 
einfache Gegenstände bezeichnen u. a. m.). Stets finden sich hysterische Stig* 
mata, wie Sensibilitätsstörungen, Druckpunkte, Parästhesien. Da die Zustände, 
besonders bei Gefangenen in der Untersuchungshaft beobachtet werden, so wird 
der Verdacht der Simulation leicht erweckt werden. In dieser Hinsicht ist 
von Wichtigkeit, dasB die Anfälle nur kürzere Zeit dauern und stets von den 
erwähnten somatischen Symptomen begleitet werden. Es besteht später ein 
Erinnerungsdefekt für die Zeit des Anfalles. Im übrigen weist Verfasser 
mit Recht darauf hin, dass Stuporzustände nicht selten in Strafanstalten simu¬ 
liert werden. Schon dieser Umstand zeigt, dass die Erkennung des kompli¬ 
zierten Krankheitsbildes nicht ganz leicht ist. In forensischer Hinsicht kann 
wohl die Haftfähigkeit eines solchen Kranken zweifelhaft sein, hinsichtlich der 
Zurechnungsfähigkeit bei Begehung einer vor Ausbruch der Krankheit began¬ 
genen strafbaren Handlung kann die Störung nicht in Betracht kommen (conf. 
d. Zeitschr., 1898, S. 785 und 1901, S. 293). Dr. Pollitz-Münster. 


Beitrag zur Lehre von der Melancholie. Von Dr. A. Schott, Assi¬ 
stenzarzt. Aus der psychiatrischen Klinik zu Tübingen. Archiv f. Psych., 1903, 
36. Bd«, 3. H. 

Schott hat sich der verdienstvollen Aufgabe unterzogen, an der Hand 
eines grösseren Materiales von 280 klinischen Fällen die von den Autoren auf¬ 
gestellten Lehren über die Melancholie auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Sowohl 
in der Definition wie in der Abgrenzung des Begriffes Melancholie herrschen 
manche Widersprüche und Differenzen. Von Wichtigkeit erscheinen folgende 
Ergebnisse des Verfassers: 

1) Mehr als die Hälfte der Melancholien heilen, die jugendlichen in 
erheblicherem Masse, als die des höheren Alters. Bei enteren ist die Ab¬ 
grenzung von der Dementia praecox wichtig, nur selten gehen sie in Schwach¬ 
sinn oder Paranoia über. 2) Im fünften Dezennium treten einfache nnd rezi¬ 
divierende Fälle besonders beim weiblichen Geschlecht am häufigsten ein. 3) Die 
Auffassung Kräpelins, dass die Melancholie eine Krankheit des Rückbildungs- 
alters sei, trifft nicht vollkommen zu, doch ist die Neigung zu Rezidiven bei 
Melancholien Jugendlicher sehr deutlich. 4) Der Uebergang der Krankheit in 
Paranoia findet sich vorzüglich bei Fällen des Involutionsaltere. 5) Prognostisch 
ungünstig ist das Auftreten von Beziehungswabn, im späteren Alter von Hallu¬ 
zinationen. Das Gleiche gilt allgemein von Zwangsvorstellungen, Stupor und 
der Notwendigkeit der Sondenfütterung. Dr. Pollitz-Münster. 


Zur Frage der Dementia praecox. Eine Studie von Dr. Max Jahr¬ 
märker, Oberarzt der psychiatrischen Klinik zu Marburg (Prof. Tuczek). 
Halle a. S. 1903. Verlag von Mar hold. Preis: 3 Mark. 

Verfasser zeigt an einer grossen Zahl von eingehend geschilderten 
Krankheitsfällen, wie befruchtend die Kräpelinsche Auffassung der De¬ 
mentia praecox für die Diagnose vieler bisher dunkler Fälle geworden ist. 
Es gilt dies nicht nur für solche, die auffallende Bilder der Paralyse oder 
einer „abnorm* verlaufenden Paranoia boten, auch mancher Fall von eigen¬ 
artiger Melancholie musste bei genauer Untersuchung der Dementia praecox 
zugewiesen werden. Verfasser fand Psychosen von katatonem Charakter viel¬ 
fach bei Kranken, die im Klimakterium zuerst erkrankt waren; im übrigen 
konstatiert er, die Häufigkeit des Krankheitabildes und die Mannigfaltigkeit 
der Symptome. Auf die einzelnen interessanten Fälle kann hier nicht einge- 



Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften. 


665 


gangen werden, sie müssen in der der LektOre warm empfohlenen Schrift 
studiert werden. Dr. P o 11 itz- Münster. 


Die Grenzen der geistigen Gesundheit. Von Prof. Dr. Ho che in 
Freiburg i. Br. Halle a. S. 1903. Verlag yon Marhold. Preis: 0,80 Mark. 

Die kleine Schrift des durch seine gerichtsärztlichen Abhandlungen be¬ 
kannten Antors enthält eine grosse Zahl wertvoller Winke für die forensische 
Begutachtung zweifelhafter Fälle. Verfasser weist auf die Schwierigkeit der 
Aufgabe und die häufige Abneignng der juristischen Kreise, psychiatrische 
Auffassungen sich zu eigen zu machen, besonders hin. Nicht immer kann der 
Irrenarzt mit einem einfachen Ja oder Nein sein Gutchten scbliessen, aber 
grade die zahlreichen Uebergangsformen zwischen geistiger Gesundheit und 
Krankheit bilden den häufigsten Gegenstand der Begutachtung. 

Der Laie hat meist eine höchst unklare Vorstellung von dem Verlaufe 
und dem Wesen geistiger Störung und ist infolge dieser Vorurteile häufig 
gegen die psychiatrische Begutachtung eingenommen, besonders gilt dies für 
die Fälle sozialer Minderwertigkeit, in denen in erster Linie von Jugend auf 
ein Fehlen sittlicher Geftthle als prägnantestes Symptom im Vordergründe 
steht. In den meisten Fällen wird ein mehr oder weniger schwerer intellek¬ 
tueller Defekt das Pathologische des Individuums deutlicher machen. Solche 
Menschen sind, wie H. betont, als psychisch Kranke zu betrachten. Ein mehr 
theoretisches Interesse kommt in diesem Zusammenhang den Zwangszuständen 
zu, die Verfasser zum Schlüsse seiner Abhandlung behandelt, der eine Antritts¬ 
rede beim Antritt des akademischen Lehramtes in Freiburg zugrunde liegt. 
Im Übrigen wäre dem Vortrage eine weite Verbreitung in den Kreisen der 
Juristen besonders zu wtlnschen. Dr. Pollitz-Münster. 


Die Exhibitionisten vor dem Strafrichter. Von Dr. G. Bur gl, Kgl. 
Landgerichtsarzt in Nürnberg. Allg. Zeitschr. f. Psych.; 1903,60. Bd., 1. u. 2. H. 

Die eigenartige Perversität auf sexuellem Gebiete, die als Exhibitio¬ 
nismus bezeichnet wird, kommt nach den Erfahrungen des Verfassers nicht 
selten zur gerichtlichen Aburteilung. Grade in solchen Fällen erscheint die 
psychiatrische Beobachtung überaus notwendig, da der grösste Teil dieser 
Täter Störungen auf psychischem Gebiete von verschiedener Art und Intensität 
auf weist. Verfasser grenzt eine Beihe Gruppen ab: 1) die verschiedenen 
Formen des angeborenen und erworbenen Schwachsinns. Zu ersteren gehören 
die leichteren Zustände von Debilität, in denen die intellektuelle Schwäche 
zurücktritt hinter der ethischen. Vorstellungen dieser Art sind bei derartigen 
Individuen „so schwach gefühlsbetont, dass sie das Handeln so gut wie gar 
nicht beeinflussen“. Es kommen ferner besonders oft in Frage der senile und 
paralytische Schwachsinn. 2) Kommt das Delikt als triebartige Handlung bei 
den verschiedenen Formen von Dämmerzuständen (epileptischen, traumatischen, 
alkoholischen) vor. Hier besteht oft die Schwierigkeit, Dämmerzustände von 
wenig ausgeprägtem Charakter als solche nachzuweisen. Besonders wenn die 
Kranken beim Herannahen einer störenden Person oder eines Schutzmanns ent¬ 
fliehen oder später ihre Handlung eingestehen, ist es schwierig, den Bichter 
von der Krankhaftigkeit des Zustandes zu überzeugen. Die Erinnerung des 
Kranken ist vielfach nicht aufgehoben, aber lückenhaft. Nahe verwandt sind 
diesen Fällen solche, bei denen der Exhibitionismus begangen wird unter dem 
Einfluss des Alkohols, sei es während alkoholischer Dämmerzustände oder 
in traumartiger (Trance) Bewusstseinstrübung. 3) Kommen verschiedene Geistes¬ 
störungen, wie periodische Erregungszustände, impulsives Irresein bei Entar¬ 
teten und Zwangshandlungen als physische Grundlage des Deliktes in Frage. 
— In einzelnen Fällen ergibt schliesslich die Untersuchung keinerlei Störung, 
hier handelt es sich um Wollustakte strafrechtlich zurechnungsfähiger Personen. 

Verfasser weist schliesslich darauf hin, dass die Umstände, unter denen 
die Handlung begangen wurde, von grösster Bedeutung ist. Der Arzt muss 
feststellen, ob der Täter in Gegenwart einer grösseren Anzahl von Personen 
sein Delikt begangen, ob er es einmal (Exhibition) oder mehrfach (Exhibi¬ 
tionismus) ausgeführt hat. Auch die sonstigen Bedingungen, sowie die Art 
der Ausführung, die sieh in den Fällen des Verfassers stets verschieden ge¬ 
staltete, sind festzustellen. Dr. Pollitz-Münster. 



566 


Besprechungen. 


Ueber einige Fälle von Simulation. Von Dr. Bolte, I. Assistent 
am Jttrgenhospital zu Bremen. Allg. Zeitsehr. I. Paych.; 1903, 60. Bd., 1. n. 2. H. 

Im allgemeinen gilt die bewusste Simulation von Geistesstörung bei 
den Irrenärzten als eine seltene Erscheinung, dagegen kombiniert sie sich in 
manchen Fällen mit Geistesstörungen, die oft recht schwer von dem simulierten 
Krankheitsbilde abzugrenzen sind. B. stellt den m. E. etwas zu weit gehenden 
Satz auf, dass „ein sog. Simulant uns immer als psychopathisch oder als Psychose- 
kandidat verdächtig erscheinen muss und meistens anstaitsbedttrftig ist“. Es 
ist allerdings zuzugeben, dass Degenerierte, besonders auch Epileptiker zur 
Simulation und speziell zur Uebertreibung von Symptomen neigen, die Schwierig¬ 
keit der Diagnose besteht ganz besonders bei den wunderlichen Krankheits- 
bildera, welohe die Hebephrenen und Katatoniker oft darbieten, und die grade 
bei der forensischen Begutachtung so leicht den Verdacht des absichtlich Ge¬ 
machten erwecken. Es ist sehr anzuerkennen und der Nachahmung wert, dass 
der Verfasser eine Beihe Fehldiagnosen veröffentlicht. Im ersten Falle han¬ 
delte es Bich um einen jugendlichen Einbrecher, der in der Haft an einer 
akuten Psychose erkrankt war; in der Irrenanstalt machte er den Eindruck 
eines schwachsinnigen Menschen, dem die einfachsten Kenntnisse fehlten. 
Später stellte sich heraus, dass seine Intelligenzschwäche simuliert war, und er 
absichtlich alle Fragen falsch und töricht beantwortet hatte, so dass die Dia¬ 
gnose auf angeborenen Schwachsinn fallen gelassen, während die vorangegangene 
Haftpsychose als zweifelhaft bezeichnet werden musste. 

In einem zweiten Falle war der Angeschuldigte bereits früher in einer 
Irrenanstalt als Simulant erklärt worden, er bot ein Bild von Desorientiertheit 
und Imbezillität bei epileptischem Dämmerzustand. Später hatte er angeblich 
einen Krampfanfall, war zeitweise vollkommen benommen und gegen alle Beize 
unempfindlich. Der Zustand änderte sich in der Art, dass der Kranke den 
Aerzten gegenüber verwirrt und desorientiert blieb, bei den anderen Kranken 
jedoch korrekte Angaben machte und sich über alles orientiert erwies. Er 
wurde als Simulant bezeichnet. 

Im folgenden Fall wurde ein paranoisches Krankheitsbild vorzutäuschen 
gesucht, in einem vierten ein wirres Bild, das als Paralyse imponieren sollte 
mit Gedächtnisdefekten, Wahnideen und Schriftstörang; der Angeklagte be¬ 
hauptete u. a., dass er Fetisehist sei (nach der Lektüre der Psychopathie von 
Krafft-Ebing). 

Der fünfte Fall ist von besonderem Interesse: Der Angeklagte, ein 
internationaler Taschendieb, war bereits von Autoritäten als schwachsinniger 
Epileptiker in früheren Fällen exkulpiert worden. Bei der nunmehrigen Beob¬ 
achtung, die durch Entweichen des Kranken einen schnellen Abschluss fand, 
erschien er als Katatoniker, fiel aber durch ausserordentliche Intelligenz auf. 

Im letzten sechsten Falle wurde ebenfalls ein Hemmungszustand mit 
einiger Geschicklichkeit vorgetäuscbt. Dr. Pollitz-Münster. 


Besprechungen. 

Dr. Hoohu, Kreisarzt in Geestemünde: Arst und Hebamme. Hamburg 
1903. Verlag des Aerstlichen Zentral -Anzeigers. Preis: 1 Mark. 

Verfasser hat sich der sehr zweckmässigen Aufgabe unterzogen, die zer¬ 
streut liegenden Bestimmungen für Hebammen, soweit sie den Arzt angehen, 
zu ordnen. Es ist für den praktischen Arzt tatsächlich schwer, sich schnell 
und sicher zu orientieren, z. B. darüber, was eine Hebamme tun darf und was 
sie unterlassen muss, ferner wenn sie auf Zuziehung des Arztes sowohl während 
der Schwangerschaft, ab während der Geburt und bei Erkrankung der Wöch¬ 
nerin und des Kindes dringen muss. Durch Anschaffung des Büchelchens wird 
sieh der Arzt einerseits manchen Aerger und Zeitversäumnis ersparen, ander¬ 
seits aber auoh besser als jetzt zu der so notwendigen Kontrolle der Hebammen 
beitragen können. Dr. Blokusewski-Niederbreiaig. 


Dr. Osorg LsbMn, Öffentlich bestallter und beeideter Handels- und Gerichts- 
Chemiker in Berlin: Dm Weingesets vom 24. Mal 1901. Mit den ergange- 



Tagesnachrichten. 


667 


neu Ausführungsbestimmungen. Berlin 1902. Verlag von J. Gnttentag. 
Taschenformat. 168 S. Preis: geb. 1,50 Hark. 

Dr. Georg Iaebbin, öffentlich bestallter und beeidigter Handels* and Gerichts* 
Chemiker in Berlin, and Dr. Georg Baum, Bechtsanwalt beim Kammer¬ 
gericht: Das Fleisohbesohaugeeetz vom 3. Jnni 1900. Mit den er¬ 
gangenen Ansftthrangsgesetsen and Verordnungen im Beiche and in Preassen. 
Berlin 1903. Verlag von J. Gattentag. Taschenformat. 468 Seiten. 
Preis: geb. 4 Mark. 

Diebeiden, Nr. 65 and 68 der bekannten Gatte nt ag sehen Sammlung 
Deutscher Reichsgesetze bildenden Textausgaben nebst Erläuterungen werden 
den beteiligten Kreisen nicht nar wegen ihres handlichen Formats, sondern auch 
wegen der vollständigen Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Be¬ 
stimmungen and der daza gegebenen, ebenso sacbgemässen, als karsen, präzisen 
and das juristische wie technische Bedürfnis gleichmässig berücksichtigenden 
Erläuterungen sehr willkommen sein. Rpd. 


Dr. Eaoble, Direktor der Kreis-Pflegeanstalt in Sinsheim (Baden): Das 
Arbeltsanatorium. München 1902. Verlag von Gmelin. Gr. 8°; 26 8. 
Preis: 1,20 Mark. 

Verfasser versucht au beweisen, dass aus einer Reihe von Gründen die 
bestehenden und bereits projektierten Anstalten den vorhandenen Bedürfnissen 
nicht genügten. — Für gewisse Klassen von Kranken sei die Gründung soge¬ 
nannter Arbeitssanatorien erforderlich, da bei ihnen durch die Arbeitstherapie 
ein Erfolg am ersten zu erwarten sei. Er bespricht die Beschäftigungsarten, 
die nach den bisherigen Erfahrungen in einer derartigen Anstalt vorwiegend 
zu kultivieren seien, die Organisation und die Kosten einer solchen Anstalt 
und die Art, wie dieselben aufzubringen seien. 

Dr. Schraka mp-Düsseldorf. 


Tagesnachrichten. 

Die schon längst erwartete Regelung des Verkehrs mit Geheim- 
mitteln und ähnlichen Arzneimitteln ist jetzt für Preussen durch Erlass 
vom 8. Juli d. J., und für Hamburg durch Verordnung vom 8. Juli d. J. (s. 
Beilage zur heutigen Nummer, S. 194) erfolgt; die übrigen Bundesstaaten 
werden jedenfalls in allernächster Zeit durch gleiche Vorschriften nachfolgen, 
so dass nunmehr die seit Jahren von der Reichsregierung angestrebte einheit¬ 
liche Regelung dieser Materie erreicht wird. Bekanntlich ist ein Entwurf von 
Vorschriften über die Regelung des Geheimmittelverkehrs nach wiederholten 
Beratungen mit Vertretern der beteiligten Kreise zunächst im Jahre 1898 
(s. Nr. 6 dieser Zeitschrift, 1898, S. 201) festgestellt und dieser dann im Jahre 
1900 (s. Nr. 2 dieser Zeitschrift, 8. 71) erheblich abgeändert. Die jetzt er¬ 
gangenen Vorschriften entsprechen im allgemeinen diesem Entwürfe, nur mit 
dem Unterschiede, dass die Bestimmungen der §§. 2, 3 und 6 desselben teils 
fortgefallen sind, weil sie sich durch die beigefügten Verzeichnisse von Ge¬ 
heimmitteln (Anlage A. und B.) erübrigen, teils z. B. über die Ankündigung, 
an anderer Stelle eingefügt sind. Die Handhabung der jetzigen Vorschriften 
wird jedenfalls durch die Beifügung der Geheimmittelverzeichnisse wesentlich 
erleichtert. Es finden darnach nur auf 93 Geheimmittel die in den Vorschriften 
vorgesehenen Beschränkungen Anwendung; eine Ergänzung der Verzeichnisse 
ist aber Vorbehalten. Das ursprünglich beabsichtigte Verbot des Feilbaltens 
für alle diejenigen Geheimmittel, durch deren Verwendung die Gesundheit ge¬ 
fährdet oder durch deren Vertrieb das Publikum in schwindelhafter Weise aus¬ 
gebeutet wird, ist jetzt fallen gelassen, und nur das absolute Verbot für 
die Ankündigung aller in den Verzeichnissen genannten Mittel ausge¬ 
sprochen, gleichgiltig, ob die Bestandteile auf der Ankündigung angegeben 
sind oder nicht. Für alle hier nicht genannten Geheimmittel bleiben dagegen 
die bisher geltenden Vorschriften bestehen; ihre Ankündigung ist also nicht 
verboten, wenn ihre Bestandteile bekanntgegeben werden und sie dadurch den 
Charakter des Geheimmittels verlieren. Ausser dem unbedingten Verbot der 
Ankündigung sind genaue Bestimmungen über die Bezeichnung der Gefässe 



668 


Tagesnaohrlchten. 


und der Umhüllungen, in denen die Abgabe der Mittel erfolgt (§. 2, Abs. 1 nnd 
§. 8, Abs. 8), gegeben; — es muss darnach der Name des Mittels, des Fabri¬ 
kanten nnd des Verkäufers, sowie die Hohe des Abgabepreises und bei denen, 
die nur auf ärztliche Anweisung abgegeben werden dürfen, eine dement¬ 
sprechende Inschrift angegeben sein. Ferner ist die Beigabe von An¬ 
preisungen, Empfehlungen, Danksagungen oder Gutachten 
über Heilerfolge verboten (§.2, Abs. 2) und die Abgabe der in Anlage B., 
sowie der in Anlage A. aufgeführten Mittel, über deren Zusammensetzung der 
Apotheker sich nicht vergewissern kann, nur auf ärztliche Anweisung gestattet. 

Da es sich beiden in den Verzeichnissen aufgeführten Geheimmitteln fast 
ausschliesslich um solche handelt, die nach der Kaiserlichen Verordnung vom 
22. Oktober 1901 dem freien Verkehr entzogen sind, so werden die neuen Vorschrif¬ 
ten jedenfalls nicht ohne Erfolg bleiben, wenn die Aerzte sich der Verordnung 
derartiger Mittel enthalten, und die Apotheker somit nicht gezwungen sind, sie 
vorrätig zu halten. Geschieht dies seitens der letzteren dann trotzdem, so 
wird ihnen mit Recht der Vorwurf der Begünstigung des Geheimmittelunwesens 
gemacht werden können. _ 


Im Königreich Sachsen ist jetzt ebenfalls unter dem 14. Juli d. J. 
eine Bekanntmachung, betreffend die Ausübung der Heilkunde durch Kur¬ 
pfuscher usw., erlassen, die ihrem Inhalt nach den in den einzelnen prenssi- 
sohen Regierungsbezirken infolge des Ministerial-Erlasses vom 26. Juni 1902 
(s. Beilage zu Nr. 15 der Zeitschrift, S. 199) erlassenen Vorschriften entspricht. 


75. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Cassel 
vom 20. bis 26. September 1908. 

28. Abteilung: Gerichtliche Medizin. Einführende: Geh. Med.-Rat 
Dr. Gottfried Krause, Kreisarzt Dr. Ulrich Dreising; — Schriftführer: 
Dr. Richard Meder, San.-Rat Dr. Wilh. Fey. — Sitzungsraum: Saal des 
Ständehauses, Ständeplatz 8. — Tagesordnung: 1. Schäfer-Bingen a. Rh.: 
Ueber akute Kupfervergiftung (mit Demonstration). 2. Strauss-Berlin: 
Anatomische Beiträge zur Lehre von den Stichverletzungen des Rückenmarks 
in gerichtlich-medizinischer Beziehung. 8. Wey g and -Würzburg: Ueber die 
(zivilrechtliche) psychiatrische Begutachtung in Zivilsachen lediglich auf Grund 
der Akten. 

29. Abteilung: Hygiene, Bakteriologie und Tropenhygiene. Ein¬ 
führende: Reg.- u. Med.-Rat Dr. Karl Rockwitz, Stadtbaurat P. Höpfner; 
— Schriftführer: Dr. Franz KOltzschky, Dr. Wilhelm Willgerodt. — 
Sitzungsraum: Hanusch, Schlaraffensaal, Ständeplatz 1. — Tagesordnung: 
1. Am Ende-Dresden: GemeindeOrtliche Einrichtungen auf dem Gebiete der 
Gesundheitspflege. 2. Fick er-Berlin: Die Typhusdiagnose im Laboratorium 
und in der Praxis. 3. Klein-Amsterdam: Thema Vorbehalten. 4. Neisser- 
Frankfurt a. M.: Thema Vorbehalten. 6. Obertttsohen -Wiesbaden: Kinder¬ 
heilstätten und Schwindsuchtsbekämpfung. 6. Stich-Leipzig: Messung und 
Abwehr von Luftstaub, nebst Demonstration eines Sprengapparates für Turn- 
und Exerzierhallen, Krankenhäuser etc. 7. v. Wunsch heim-Innsbruck: 
Ueber Hämolyse bei experimentellen Infektionen. 


Das Komitee für Krebsforschung hat sioh entschlossen, eine 
Zeitschrift für Krebsforschung herauszugeben, die einen Sammelpunkt für 
die wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiete der Krebsforschung bilden soll. 
Es werden in derselben Originalartikel und Referate zum Abdruck gebracht 
und in jeder Nummer eine tunlichst vollständige Bibliographie aus dem Gebiete 
der Krebsforschung des In- und Auslandes zusammengestellt werden. 

Die Redaktion der im Verlage von G. Fischer in Jena erscheinenden 
Zeitschrift haben Prof. Dr. v. Hansemann und Prof. Dr. George Meyer- 
Berlin übernommen. Die Zeitschrift bildet eine besondere Abteilung des 
Klinischen Jahrbuches; die Hefte werden je nach dem vorhandenen Stoffe 
ausgegeben, um baldigstes Erscheinen der eingehenden Arbeiten zu ermöglichen. 
Der Ladenpreis eines Bandes zu 40 Druckbogen wird 20 Mark betragen. 


VerantwortL Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-n.Geh.Med.-Rat in Minden L W« 

J. 0. 0. Braus, Henogl. Bis oh. «. P. Soh.-L. Hofbuehdruokerel lnMlnden. 





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16. Jahrg. 


1908. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zeutralblatt für gerichtliche Medizin and Psychiatrie, 
für ärztliche Sachverstandigentätigkeit in Unfall- and Invalid itatesachen, sowie 
für Hygiene, öfentl. Sanitatswesen, Medizinal -Gesetzgebung und Rechtsprechung. 

Herausgegeben 

Ton 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Regierung«- und Geh. Medizinulrat in Minden. 


Verlag von Fiseher’s mediz. Bnehhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Bachhändler. 

Berlin W. 85, Lützowstr. 10. 

Imerate nehmen die Verlugthandlung sowie alle Annoncenexpeditionen dee In- 
und Auslände« entgegen« 


Nr. 16. 


Kraehelnt am 1. and 15. 


jeden Monate 


15. Aug. 


Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 

Beformged&nken von Dr. Placzek-Berlin. 

(Fortsetzung.) 

U. Die verschiedenen Verfahren bei der Leichen¬ 
öffnung. 

Ausdrücklich wird der „richterliche Zweck der Leichen¬ 
öffnung“ in den Regulativen für Preussen und Bayern definiert. 
In der preussischen Anweisung besagt der §. 9: 

. „Beim Erheben der Leichenbefunde müssen die Obdnzenten überall den 

richterlichen Zweck der Leichennntersacbnng im Ange behalten nnd alles, was 
diesem Zwecke dient, mit Genauigkeit nnd Vollständigkeit untersuchen. Alle 
erheblichen Befände müssen, bevor sie in das Protokoll aufgenommen werden, 
dem Bichter von dem Obduzenten vorgezeigt werden.“ 

Wenn eine derartige den Zweck der gerichtlichen Leichen¬ 
öffnung noch besonders präzisierende Bestimmung überhaupt ge¬ 
wünscht wird, dürfte sich gegen die vorhandene .Fassung kaum 
etwas einwenden lassen. 

Von weit grösserem Interesse sind die Bestimmungen über 
die Aufnahme des Augenscheinbefundes. Sein Wesen 
scheint nicht einheitlich erkannt zu werden; denn das eine 
Regulativ rubriziert ihn unter die allgemeinen Bestimmungen, das 
andere hält ihn für einen Teil des Verfahrens. Ich möchte ihn als 
Einleitung zu letzterem sehen und daher nicht zögern, ihn an 
dieser Stelle auch in das Zukunftsregulativ einzureihen. Sehen 
wir zunächst zu, in welcher Form hier die Vorschriften in den 
verschiedenen Regulativen getroffen sind: 

Preuazen: „§. 10. Pflichten der Obdnzenten in bezog anf 
die Ermittelung besonderer Umstände des Falles. Die Obdn- 






670 


Dr. Placzek. 


Kenten sind verpflichtet, in den Fällen, in denen ihnen dies erforderlich er* 
scheint, den Siebter rechtzeitig zn ersuchen, dass vor der Obduktion der Ort, 
wo die Leiche getänden worden, in Angenschein genommen, die Lage, in welcher 
sie gefunden, ermittelt and ihnen Gelegenheit gegeben werde, die Kleidungs¬ 
stücke, welche der Verstorbene bei seinem Auffinden getragen, zu besichtigen. 

In der Hegel wird es indes genügen, dass sie ein hierauf gerichtetes 
Ersuchen des Sichters abwarten. 

Sie sind verpflichtet, auch über andere, für die Obduktion und das abzu¬ 
legende Gutachten erhebliche, etwa schon ermittelte Umstände sioh von dem 
Sichter Aufschluss zu erbitten.“ 

Bayern: (§. 10) Identisch mit Preussen. 

Sachsen: Hier fehlt eine Bestimmung. 

Württemberg: „§. 5.sie (dieAerzte) selbst sollen auch die 

Lage, in welcher die Leiche gefunden wurde, genau erheben und womöglich 
eine gerichtliche oder polizeiliche Leichenschau veranlassen, ehe dieselbe an 
einen anderen Ort gebracht wird. 

§. 9. Vor der Leichenschau und Leichenöffnung haben die Aerzte den 
Sichter zu ersuchen, ihnen Gelegenheit zu geben, den Ort, an welchem die 
Leiche gefunden wurde, genau zu besichtigen und ihre Lage daselbst festzu- 
stellen, vorausgesetzt, dass der Tod ohne Zeugen und ohne vorausgegangene 
Krankheit erfolgt ist. Wurden diese Umstände schon genau ermittelt, so sollen 
sich die Aerzte die nötigen Aufklärungen verschaffen und wenn nötig, die 
Erhebung weiterer für die ärztliche Beurteilung des Falles erheblichen Um¬ 
stände veranlassen. 

§. 11, Abs. 1. Haften an den Kleidern der Leiche oder an anderen 
in ihrer unmittelbaren Nähe befindlichen Gegenständen Haare oder dergl., 
bo werden dieselben pünktlich aufgesammelt. Verdächtige Flecken, 
Werkzeuge, Strangulationsmittel und Gegenstände, welche 
die Sparen eines stattgefandenen Kampfes an sioh tragen, oder die Entstehung 
vorhandener Verletzungen, oder die Art des Todes aufklären können, sind an 
den verdächtigen Stellen mit der Lupe zu besichtigen. Hierbei soll die Auf* 
merksamkeit auch darauf gerichtet werden, ob in den Flecken von Blut, Eiter, 
Samen, Speiseresten usw. nicht Haare, Zeugfasern oder andere fremde Körper 
festgeklebt sind. 

Zum Zwecke einer späteren mikroskopischen oder chemischen Unter¬ 
suchung werden die betreffenden Stellen der Kleider, Bettstücke usw. ausge¬ 
schnitten. Wäre die Zahl der Flecken an einem solchen Gegenstand eine sehr 
grosse, so wird daB ganze Stück aufbewahrt. Verdächtige Stellen auf der Ober¬ 
fläche hölzerner Gegenstände werden ausgesägt oder mit einem Holzmeissei ent¬ 
sprechend tief abgehoben, auf Flächen von Stein im Notfall mit einem Stein- 
meissei abgesprengt. 

Alle diese Gegenstände werden, ebenso wie Werkzeuge von Metall, auf 
welchen näher zu untersuchende Stellen gefunden wurden, jedes für sich in 
reines glattes Papier gewickelt und mit der nötigen Aufschrift versehen. 

Die mikroskopische Untersuchung ist ohne Verzug oder wenigstens am 
nächsten Tage zu beginnen; zutreffendenfalls sind die fraglichen Gegenstände 
dem sie untersuchenden weiteren Sachverständigen mit den erforderlichen An¬ 
gaben über die mutmassliche Art und die Zeit der Entstehung der verdächtigen 
Erscheinungen zu übergeben.“ 

Baden: „§. 28. Ferner ist im Protokoll der Ort, wo der Verstorbene 
gefunden wurde, zu beschreiben; etwa eingetretene Veränderungen des Leich¬ 
nams seit der ersten Besichtigung, falls eine solche stattgehabt hat, sind zu 
bezeichnen. Auch ist der Wärmegrad des Ortes, wo der Leichnam gelegen, 
nach möglichst genauer Abschätzung anzugeben.“ 

Sachsen-Weimar-Bisenach: „§. 6. Die Aerzte sind verpflichtet, 
alle äusseren Umstände zu berücksichtigen, deren sachgemässe Beurteilung zur 
Beantwortung der Schuldfrage beizutragen vermag. 

In allen Fällen, in welchen ihnen dies erforderlich erscheint, haben sie den 
Sichter rechtzeitig zu ersuchen, dass vor der Leichenuntersuchung der Ort, wo 
die Leiche gefunden wurde, in Augenschein genommen, die Lage, in welcher 
sie angetroffen, ermittelt, und ihnen Gelegenheit gegeben werde, die Kleidungs¬ 
stücke, welche an der Leiche vorgefunden worden sind, zu besichtigen. Auch 
sind die Aerzte wie berechtigt, so verpflichtet, sich auch über andere, für die 



Bia deutsches geriehtsftrstliches Leichenöffnungsverfahren. 


571 


Leichennntersuchung und das abzugebende Gutachten erhebliehe etwa schon 
ermittelte Umstände von dem Richter Aufschluss zu erbitten." 

Mecklenburg - Strelitz: „§. 3. Es kann erforderlich sein, zuvörderst 
den Ort und die Umgebungen, wo der Leichnam aufgefunden worden ist, auch 
ärztlicherseits in Augenschein zu nehmen, die Lage, in der der Leichnam ge¬ 
funden worden, zu ermitteln und dessen Bekleidungsstücke zu besichtigen. 

In der Regel werden zwar die Obduzenten eine hierauf bezügliche richter¬ 
liche Requisition abwarten können, doch kann es den Umständen nach auch 
angemessen sein, dass die Obduzenten bei Zeiten auf die Notwendigkeit einer 
solchen Voruntersuchung aufmerksam machen. 

Dieselben sind auch berechtigt, über andere als die hier bezeichneten 
Umstände des Todes des Verstorbenen, wenn und soweit solche zur Zeit der 
Obduktion bereits ermittelt sind, sich Aufschluss von den anwesenden Gerichts¬ 
personen zu erbitten." 

Mecklenburg- Schwerin, Anhalt, Braunechwelg, 8chvara- 
burg- Sondershausen und Blsass- Lothringen: Identisch mit Preussen. 

Der preussische §. 10 könnte unverändert akzeptiert werden, 
nur müssten abgekürzte Wortverbindungen wie „gefunden worden“, 
„gefunden“, „getragen“, die sich mehr für die dichterische Aus¬ 
drucksweise eignen, vermieden werden. Besser wird es lauten 
„der Ort, wo die Leiche gefunden wurde“, „die Lage, in der sie 
sich befand“, „die Kleidungsstücke, welche der Verstorbene an 
sich trug“. Die Einschränkung des württembergischen Regulativs: 
„vorausgesetzt, dass der Tod ohne Zeugen und ohne voraus¬ 
gegangene Krankheit erfolgt ist“, möchte ich fortlassen; denn 
auch wenn diese Voraussetzung nicht zutrifft, kann das persönliche 
Urteil des gerichtsärztlichen Fachmannes sich im Einzelfalle er- 
spriesslich erweisen. 

Ueber mikroskopische Untersuchungen geben die 
Regulative bestimmte Anweisungen. 

Preussen: „§. 11. Mikroskopische Untersuchung, ln allen 
Fällen, in denen es znr schnellen and sicheren Entscheidung eines zweifelhaften 
Befundes, z. B. zur Untersuchung von Blut und von blos gefärbten (hämatin¬ 
haltigen) Flüssigkeiten erforderlich ist, eine mikroskopische Untersuchung vor¬ 
zunehmen, ist diese sofort bei der Obduktion zu veranstalten. 

Wenn die äusseren Umstände dies unmöglich machen oder schwierige 
mikroskopische Untersuchungen, z. B. von Gewebsteilen der Leiche, nötig sind, 
welche sich nicht sofort ausfilhreu lassen, so sind die betreffenden Teile zurück- 
zalegen, unter gerichtliche Obhut zu nehmen und so schnell als möglich einer 
nachträglichen Untersuchung zu unterwerfen. 

In dem darüber zu erstattenden Berichte ist die Zeit, zn welcher diese 
nachträgliche Untersuchung vorgenommen wurde, genau anzugeben." 

Bayern: §. 27, Abs 1 stimmt mit §. 11, Abs. 1 des preussischen Re¬ 
gulativs überein. Dann heisst es weiter: 

„Ausserdem und insbesondere bei schwierigen mikroskopischen Unter¬ 
suchungen, z. B. von Gewebsteilen der Leiche, welche sich nicht sofort uub- 
ftthren lassen, sind die betreffenden Teile zorückzulegen, unter gerichtliche 
Obhut zu nehmen nnd so schnell als möglich einer nachträglichen Untersuchung 
nach Massgabe der allerhöchsten Verordnung vom 29. September 1878 (Ges.- 
und Verord. -Bl. S. 435) zu unterwerfen. Dieselben sind zu diesem Zweck, 
wenn nach dem Zustande der Leiche erforderlich, in Weingeist, Teile des 
Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) aber in */» prozentige wässerige Chrom- 
säurelösung einzulegen. 

In dem darüber zu erstattenden Berichte ist die Zeit, zu welcher die 
nachträgliche Untersuchung vorgenommen wurde, genau anzugeben." 

Württemberg: „§. 20. Mikroskopische Untersuchungen 
sind schon während der Leichenöffnung immer dann vorzunehmen, wenn ein 
zweifelhafter Erfund rasch und sicher aufgeklärt werden kann, so z. B. die 



572 


Dr. Placzek. 


Natur aspirierter Stoffe in der Luftröhre and deren Aesten oder die einer 
blatigen Färbung der Gewebe in der Richtung, ob Blutergüsse oder nur blutige 
Tränkung stattgefunden haben und dergl. — Umständlichere mikroskopische 
Untersuchungen werden womöglich am nächsten Tage begonnen. Die Zeit 
dieser Vornahme ist in dem darüber zu erstattenden Berichte anzugeben. 

Die betreffenden Leichenteile werden von dem Arzt zur Hand genommen 
und aufbewahrt, welcher die Untersuchung ausführt. Dieselben sind im Not¬ 
fall in reine Tücher einzuschlagen, welche mit Glyzerin oder Weingeist, mit 
Karbolsäure (3 proz.) getränkt sind. In der Regel sollen sie aber in geeigneten, 
diese Flüssigkeiten enthaltenden Gläsern anfbewahrt werden. Bei Teilen des 
Gehirns oder Rückenmarks hat dies immer zu geschehen, jedoch hat in diesem 
Falle die Flüssigkeit aus einer wässerigen 1 / t proz. Lösung von doppelt chrom- 
saurem Kali zu bestehen. 

Die Aufbewahrung yon Flüssigkeiten, welche der Leiche entnommen sind, 
geschieht zum Zwecke einer späteren Untersuchung auf einem gewöhnlichen 
Deckgläschen für mikroskopische Untersuchungen, wenn nur eine geringe Menge 
zu Gebote steht, oder eine solche zur Aufhellung ihrer Natur genügt. Die 
Flüssigkeit wird in sehr dünner Schicht auf dem Gläschen ausgebreitet und 
rasch eingetrocknet. Das Präparat wird dann mit einem zweiten Deckgläschen 
oder einem Objektträger bedeckt und in reinem weissen Papier sorgfältig auf¬ 
bewahrt. Grössere Mengen werden in Kapillarröhren, wie sie sonst für flüssigen 
Stoff verwendet werden, aufgesaugt, und diese nach ihrer Füllung versiegelt. 

Hat keiner der Aerzte genügende Erfahrung und Fertigkeit in mikro¬ 
skopischen Untersuchungen, oder soll eine solche aus anderen Gründen einem 
weiteren Sachverständigen übertragen werden, so hat die Uebersendung, wie 
schon in §. 11 vorgeschrieben warde, sofort zu geschehen, weil durch eine Ver¬ 
zögerung nioht nur die positiven Ergebnisse nnsicher werden können, sondern 
auch die negativen an Wert verlieren.“ 

Sachsen-Weimar-Eisenach: „§.20. Soweit dies möglich ist, sollen 
mikroskopische Untersuchungen, welche zur Entscheidung zweifelhafter Be¬ 
funde notwendig sind, während der Leichenöffnung vorgenommen werden. 

Wenn die äasseren Umstände dies unmöglich machen oder die mikro¬ 
skopische Untersuchung besondere Vorbereitungen erfordert, so sind die be¬ 
treffenden Teile dem Richter zur möglichst baldigen Veranlassung des nach 
Lage des Falles Erforderlichen zu übergeben.“ 

Mecklenburg - Schwerin, Anhalt, Braunschweig, Schwarz- 
burg - Sondershausen und Eisass - Lothringen: Identisch mit Preussen. 

Sachsen, Mecklenburg-Strelits, Baden: Hier ist eine derartige 
Bestimmung nicht vorgesehen. 

Vergleicht man diese der Form und dem Inhalt nach sehr ver¬ 
schiedenen Anweisungen, die den gleichen Gegenstand betreffen, 
so dürfte sich aus teil weiser Verschmelzung der preussischen 
und der württembergischen Bestimmung eine ausreichende Neu¬ 
anweisung etwa in folgender Form empfehlen: 

„ln allen Fällen, in welchen es zur schnellen und sicheren Entscheidung 
eines zweifelhaften Befundes erforderlich ist, eine mikroskopische Untersuchung 
vorzunehmen, hat dies sofort bei der Obduktion zu geschehen. Sind schwierigere 
mikroskopische Untersuchungen nötig oder machen äussere Umstände die sofortige 
Ausführung unmöglich, so sind die betreffenden Teile in ausreichend grossen 
Stücken zurückzulegen, unter gerichtliche Obhut zu nehmen und so schnell als 
möglich einer gerichtlichen Nachuntersuchung zu unterwerfen . Die Zeit der 
Vornehme ist in dem darüber zu erstattenden Bericht anzugeben. — Die Leichen¬ 
teile werden von dem Arzte aufbewahrt, der die Untersuchung vor nimmt. Die 
Aufbewahrung von Organteilen soll in geeigneten, 10°j 0 ige Formalinlösung ent¬ 
haltenden Gläsern geschehen. Flüssigkeiten sollen, wenn sie in grösserer Menge 
vorhanden sind, in zugeschmolzenen Glasröhren auf bewahrt werden, wenn sie in 
nur geringer Menge vorhanden sind, in dünner Schicht auf Deckgläschen ge¬ 
strichen, rasch eingetrocknet, mit einem zweiten Deckgläschen oder Objektträger 
bedeckt und in reinem weissen Papier sorgfältig aufbewahrt werden. 

Hat keiner der Aerzte genügende Erfahrung und Fertigkeit in mib'o- 
skttpischen Untersuchungen oder soll eine solche aus anderen Gründen einem 



Ein deutsches gerichts&ntliches LcichenöffnnngsTerfahren. 


B73 


weiteren Sachverständigen übertragen werden, so hat die Uebersendung sofort zu 
geschehen y weil durch eine Verzögerung nicht nur die positiven Ergebnisse 
unsicher werden können, sondern auch die negativen an Wert verlieren.“ 

Wir kommen nun zur eigentlichen Leichenöffnung. Deren 
Hauptteile wünschen die Regulative fast übereinstimmend in 
folgender Form: 

Preussen: „§.12. Obduktionen. Die Obduktion zerfallt in zwei 
Hauptteile: A. Aeussere Besichtigung (Inspektion). B. Innere Besichtigung 
(Sektion). 

Bayern: Identisch mit Preussen. 

Sachsen: §. 8. Desgleichen. 

Württemberg: I. Leichenschau (äussere Besichtigung, Inspektion). 
II. Leichenöffnung (innere Besichtigung, Sektion). 

Baden: §. 36. A. Leichenschau. B. Leichenöffnung. 

Sachsen- Weimar -Eisenach: IL Leichenschau. UI. Leichenöffnung. 

Mecklenburg - Schwerin (§. 10), Mecklenburg-Strelits (§. 5), 
Anhalt (§. 9), 8chwaraburg-Sondershausen (§. 12): Identisch mit Preussen. 

Braunschweig: Vaeat. 

Es dürfte kein Anlass vorliegen, von der bewährten Zwei¬ 
teilung des preussischen Musters abzugehen; die Beifügungen 
„Inspektion“ und „Sektion“ könnten allerdings als überflüssig 
wegfallen. 

Für die äussere Besichtigung selbst geben die Regulative 
sehr eingehende Hinweise. Auch in Zukunft sollte diese recht 
minutiös ausgestaltet werden, damit der gerichtliche Mediziner 
schon hier erkennt, dass nichts, auch nicht der unwesentlichste 
Befund, übersehen werden darf und, dass die gerichtliche Medizin 
wesentlich andere Zwecke verfolgt wie die pathologische Anatomie, 
bei der die äussere Besichtigung zumeist als Stiefkind, etwas 
Nebensächliches, gilt und entsprechend behandelt wird. 

Preussen: „§. 13. Aeussere Besichtigung. Bei der äusseren 
Besichtigung ist die äussere Beschaffenheit des Körpers im allgemeinen und 
die seiner einzelnen Abschnitte zu untersuchen. 

Demgemäss sind, betreffend den Körper im allgemeinen, soweit die Be¬ 
sichtigung solches ermöglicht, zu ermitteln und anzugehen: 

1. Alter, Geschlecht, Grösse, Körperbau, allgemeiner Ernährungszustand, 
etwa vorhandene Krankheitsresiduen, s. B. sogen. Fussgesohwüre, besondere 
Abnormitäten (z. B. Mäler, Narben, Tätowierungen, Ueberzahl oder Mangel an 
Gliedmassen); 

2. die Zeichen des Todes und die der etwa schon eingetretenen Ver¬ 
wesung. 

Zu diesem Behuf müssen, nachdem etwaige Besudelungen der Leiohe 
mit Blut, Kot, Schmutz und dergl. durch Abwasohen beseitigt worden, ermittelt 
werden: die vorhandene oder nicht vorhandene Leichenstarre, die allgemeine 
Hautfarbe der Leiche, die Art und die Grade der etwaigen Färbungen und 
Verfärbungen einzelner Teile derselben durch die Verwesung, sowie die Farbe, 
Lage und Ausdehnung der Totenflecke, welohe einzuschneiden, genau zu unter¬ 
suchen und zu beschreiben sind, um eine Verwechselung derselben mit Blut- 
auatretungen zu vermeiden. 

Betreffend die einzelnen Teile ist folgendes festsustellen: 

1. bei Leichen unbekannter Personen die Farbe und sonstige Beschaffen¬ 
heit der Haare (Kopf und Bart), sowie die Farbe der Augen; 

2. das etwaige Vorhandensein von fremden Gegenständen in den natür¬ 
lichen Oeffnungen des Kopfes, die Beschaffenheit der Zahnreihen und die Be¬ 
schaffenheit und Lage der Zunge; 

3. demnächst sind zu untersuchen: der Hals, die Brust, der Unterleib, 
die Bückenfläche, der After, die äusseren Geschlechtsteile und endlich die 
Glieder. 



574 


Dr. Pl&ozek. 


Findet sieh an irgend einem Teile eine Verletzung, so ist ihre Gestalt, 
ihre Lage and Bichtang mit Beziehung aaf feste Punkte des Körpers; ferner 
ihre Länge and Breite in Metermass anzageben. Das Sondieren von 
Trennaugen des Zusammenhanges ist bei der äusseren Besichtigung in der 
Kegel za vermeiden, da sich die Tiefe derselben bei der inneren Besichtigung 
des Körpers und der verletzten Stellen ergibt. Halten die Obduzenten die Ein* 
ftthrang der Sonde für erforderlich, so ist dieselbe mit Vorsicht za bewirken 
and haben Bie die Gründe für ihr Verfahren im Protokoll besonders anzageben. 

Bei Vorgefundenen Wanden ist ferner die Beschaffenheit ihrer Bänder 
and Umgebungen festzastellen and nach erfolgter Untersuchung and Be¬ 
schreibung der Wunde in ihrem ursprünglichen Zustande dieselbe zu erweitern, 
um die innere Beschaffenheit ihrer Bänder und ihres Grandes za prüfen. 

Bei Verletzungen and Beschädigungen der Leiche, die unzweifelhaft 
einen nicht mit dem Tode in Zusammenhang stehenden Ursprung haben, s. B. 
bei Merkmalen von Bettnngsversuchen, Zernagungen von Tieren and dergl., 
genügt eine summarische Beschreibung dieser Befunde.“ 

Eine wörtliche Anführung 1 der entsprechenden Parallel¬ 
bestimmungen aus allen anderen Regulativen dürfte sich erübrigen; 
es wird vielmehr für die Folge ausreichen, die wesentlichen Ab¬ 
weichungen, event. eine klarere Begriffsbestimmung, hervor¬ 
zuheben. 

In Bayern sollen, bevor etwaige Besudelungen der Leiche 
entfernt werden, etwa noch vorhandene äussere Wunden oder 
Verletzungen festgestellt werden. Ferner soll nach fremden 
Gegenständen „auch unter den Nägeln gesucht werden“. Die 
betreffende Bestimmung (§. 12) lautet: 

„Besudelungen der Leiche mit Blat, Eiter, Schleim, Kot, Schmatz and 
dergl. sind mit der Lupe, nötigenfalls auch mit dem Mikroskop, aaf ihre Be¬ 
schaffenheit an sich, sowie aaf ihren etwaigen Gehalt an fremden Bestandteilen 
za untersuchen; dann erst ist die Leiche za reinigen.“ 

Sachsen gibt noch genau die Orte an, an welchen die 
Leichenstarre geprüft werden soll, i. e. Kiefer, obere Extremitäten 
und untere Extremitäten. 

Die eingehendste Direktive gibt dass württembergische 
Regulativ; sie zieht sich auch durch 6 §§. (§§. 12—17 inkl.). Sie 
könnte, weil ausserordentlich eingehend, vorbildlich werden, wenn 
einige Aenderungen vorgenommen werden, vornehmlich in der 
Reihenfolge. Schon im §. 12 kann es nicht als praktisch an¬ 
gesehen werden, wenn gleich nach der Bestimmung von Geschlecht, 
Alter, Grösse, Körperbau, Ernährungszustand schon Farbe 
und Beschaffenheit der Haare am Kopfe und den übrigen 
behaarten Stellen, sowie etwa an denselben haftende fremde 
Geg enstände und endlich die Farbe der Iris und das Verhalten 
der Pupillen festgestellt werden. Als Durchgangsprinzip sollte 
doch gelten erst das Allgemeine und dann das Spezielle. 
Befolgt man dieses Prinzip, so gehören an diese Stelle zunächst 
die Zeichen des Todes, dann erst kann man, vom Kopf nach den 
Füssen vorwärtsschreitend, die Details aufsuchen. Ebensowenig 
empfehlenswert ist es, wenn schon in §. 12, und wieder vor den 
Zeichen des Todes, „auch aut andere individuelle Eigentümlich¬ 
keiten“ die Aufmerksamkeit zu richten ist, wie „die Stellung der 
Kiefer, das Verhalten der Zahnreihen, sowie die Beschaffenheit 
der Füsse, Arme und Hände“. Auch alle diese Dinge gehören 
in die Spezialbetrachtung. 



Ein deutsches gerichtsärztliehes Leiohenöflhungsverfahren. 


576 


Lnnt §. 13 „dürfen Angaben Ober das Vorhandensein der Leiohenstarre 
überhaupt und über ihren Grad an den verschiedenen Körperteilen nicht fehlen, 
ebenso wie über die Farbe nnd allgemeine Beschaffenheit der Hant. Finden 
sich auffällige Verschiedenheiten der Temperaturen an einseinen Körperstellen, 
ho ist dies gleichfalls zu bemerken.“ 

Erst nach diesem Satz sollte kommen „sodann sind die 
Zeichen des Todes zn ermitteln, also vor allem die Grösse, Farbe 
nnd Verbreitung der Totenflecke“. Das Verhalten der Augen und 
den Zustand ihrer einzelnen Teile jetzt zu untersuchen, ist nicht 
angebracht, sondern soll erst bei der Spezialbetrachtung erfolgen. 
Wenn hierbei nur die Sichtung vom Kopf nach den Füssen inne¬ 
gehalten wird, dürfte nichts übersehen werden. 

Bei der „allgemeinen Beschaffenheit der Haut“ könnte auch 
die Bestimmung Platz finden, die erst in §. 14 sich findet und in 
Preussen fehlt: „Auch soll das Verhalten der Haut (Stehenbleiben 
von Hautfalten etc.) festgestellt werden“. 

Für die Bestimmung des preussischen Regulativs „über das 
etwaige Vorhandensein von fremden Gegenständen in den natür¬ 
lichen (Hoffnungen des Kopfes“ kann als Ergänzung die Anordnung 
des württembergischen Regulativs aus §.14 dienen: 

„Die Nägel werden mit der Lupe nntersncht, nm su ermitteln, ob sich 
nicht nnter den ihnen anliegenden Hantfalten grössere Fetzen von Oberhaut, 
Blut, Haare, Zeuefasern, abgerissene Teile von Pflanzen, Erde oder dergleichen 
finden. Etwaige Fnnde sind sofort mit dem Mikroskop zn untersuchen oder für 
eine spätere Prüfang sorgfältig anfznbewahren. 

Ist dem Eintritt des Todes ein Kampf vorausgegangen, oder kann ver¬ 
mutet werden, dass sonst nähere Berührungen mit anderen stattgeftanden haben, 
so sollen auch Proben von den Haaren der Leiche anfbewahrt werden.“ 

Beachtenswert ist ferner eine Bestimmung aus dem §. 15, 
Abs. 1: 

„Bei ebenen Flächen werden die Masse mit dem Massstab genommen, 
bei gekrümmten nicht mit dem Bande, sondern mit dem Zirkel.“ 

Strittig kann sein, welches von den angegebenen Verfahren 
zur Untersuchung einer Verletzung den Vorzug verdient. In 
Preussen heisst es: 

„Bei Vorgefundener Wände ist ferner die Beschaffenheit ihrer Bänder 
nnd Umgebungen festznstellen nnd nach erfolgter Untersuchung nnd Be¬ 
schreibung der Wnnde in ihrem ursprünglichen Zustande, dieselbe zn erweitern, 
nm die innere Beschaffenheit ihrer Bänder nnd ihres Grandes zn prüfen.“ 

In Württemberg lautet die Bestimmung: 

„In keinem Fall dürfen die zn diesem Zweck gemachten Schnitte die 
verletzte Stelle qner durchsetzen oder ihre Enden erweitern. Die betreffende 
Stelle der Hant soll Umschnitten, d. h. es soll ein im Zusammenhang mit den 
übrigen Teilen bleibender Lappen gebildet werden, welcher die Verletzung der 
Fläche nach unversehrt enthält. In ähnlicher Weise sind die darunter liegenden 
Weichteile als einzelne Lappen schichtenweise zn präparieren, damit man die 
Schichten wie die Blätter eines Buches Umschlägen nnd die Dimensionen, 
sowie das sonstige Verhalten der verletzten Stellen in jeder einzelnen Schicht 
feststellen kann.“ 

Den folgenden Passus des württembergischen Regulativs 
möchte ich aufgenommen wissen: 

„Ihre (der Verletzung) Gestalt im grossen sowie die Beschaffenheit 
ihrer Bänder nnd Winkel ist zn beschreiben. Sind die letzteren nicht ganz ein¬ 
facher Art, so empfiehlt es sich, dieselben ansserdem durch Zeichnnngen zu 



576 


Dr. Plaosek. 


veranschaulichen. Namentlich soll auch die gegenseitige Lage mehrerer auf 
einem kleinen Baum zusammenliegender Verletzungen, wie s. B. Wflrgespuren 
am Halse und Gesichte auf diese Weise dargestellt werden. Finden Bich Ver¬ 
legungen an behaarten Teilen, so sind die Haare in ihrer Umgebung mit der 
Seheere knapp absuschneiden oder mit einem bauchigen Skalpell absurasieren. <> 

Hier wäre einzufügen: „die Verletzungsstelle und ihre nächste 
Umgebung ist möglichst sorgfältig in Kays erlingscher Flüssig¬ 
keit aufzubewahren.“ Auf diese Weise wird etwaigen Nachunter¬ 
suchern ihre Aufgabe erleichtert, gleichzeitig aber auch die Mög¬ 
lichkeit gegeben, wichtige Befunde an Gerichtsstelle zu demon¬ 
strieren und so theoretische Ausführungen wirksam zu unter¬ 
stützen. 

Recht angebracht ist die weitere Bestimmung des württem- 
bergischen Regulativs, dass 

„von Hautabschürfungen, unter welchen mit blossem Auge kein Blut- 
ergass bemerkt werden kann, von welchem es also zweifelhaft ist, ob sie im 
Leben entstanden, Darohschnitte in senkrechter Richtung zu machen und diese 
mit der Lupe, nötigenfalls auch mit dem Mikroskop zu untersuchen sind. 
Beim Anfsuohen verletzter Nerven und Gefässe wird der Stamm in einiger 
Entfernung von der betreffenden Stelle blosgelegt, und diese von hier aus auf- 
gesucht.“ 

Das letztgenannte Vorkommnis behandelt noch eingehender 
der bayerische §. 26, der „Verletzungen, Durchschneidungen 
oder brandige Zerstörungen von Gefäss- und Nervenstämmen 
unterscheidet und auf genaue Feststellung und Bezeichnung von 
deren Lokalität und Namen aufmerksam“ macht. Bei Aufsuchung 
solcher verletzter Gefässe und Nerven ist nicht die verletzte 
Stelle direkt in Angriff zu nehmen, sondern man muss dieselben 
von den betreffenden Stämmen aus aufsuchen und präparieren. 
Und da es oft schwer ist, bei angeschnittenen oder brandig zer¬ 
störten Gefässen die verletzten Stellen aufzusuchen, so ist es 
rätlich, in solchen Fällen in den Stamm des Gefässes einen Tubulus 
einzuführen und von dort aus Wasser in dasselbe einzuspritzen, 
um durch den Ausfluss desselben die Stelle der Verletzung zu 
entdecken. 

Gleichfalls zur Aufnahme wert erscheint mir §. 17 des 
württembergischen Regulativs: 

„Zerschnittene and in ihren einzelnen Teilen versehleppte Leichen, deren 
Weiehteile genügend erhalten sind, werden genau gemessen and aach sonst 
sorgfältig untersacht, nioht allein, am die Identität der Personen, sondern 
wenn möglich, noch Verletzungen za konstatieren, welche unmittelbar vor dem 
Tode entstanden. 

Leiehen von im Fener amgekommenen Personen, selbst wenn sie halb¬ 
verkohlt sind, sollen gleichfalls genaa untersucht werden, weil es möglich 
ist, aaoh an ihnen noch brauchbare Anhaltspunkte für die gerichtliche Unter¬ 
suchung anfzufinden. 

In ihren einzelnen Teilen erhaltene Skelette können Aufschlüsse über 
das Geschlecht, das Lebensalter, die Körpergrösse and über etwaige Knochen¬ 
verletzungen geben. Sie sind deshalb nach stattgefundener Reinigung einer 
sorgfältigen Messung und weiteren Untersuchung zu unterziehen.“ 

Sehr beachtenswert sind die Gewichts- und Masstabellen, 
welche Bayern in seinem §. 26 Abs. 1—3, der inhaltlich dem 
§.17 des württ. Regulativs entspricht, zur leichteren Identifi¬ 
zierung einer Person binzutügt. Nach Krause ist: 



Bia deutsche* goriohtsftrztliohes Lcichenöffnungsverfahren. 


577 


das Gewicht eines Kopfe» . . = */„—Vit Abs ganzen Körpergewichtes, 

* * de» Stammes ..=»/* » 

„ „ der beiden oberen 

Extremitäten zasammen 

mit der Schalter . . . = '/« „ „ „ 

„ Gewicht der beiden unteren 
Extremitäten mit den 

Hüften.= */r » n „ 

Zur Beziehung auf die Masse können folgende Angaben von 
Quetelet als Anhaltspunkte dienen: 

Wird die Totalhöhe eines Menschen zu 1,000 angesetzt, so betrügt die 


Ectfernang 

vom Scheitel bis »am Kinn.0,133 

„ Kinn „ „ Brustbein.0,039 

„ Brustbein bis zam Schambein.0,320 

„ Schambein zur Brde.0,508 

1,000 

vom Schambein bis zur Mitte des Knies.0,225 

von der Mitte des Knies bis Knöchel.0,232 

vom Knöchel bis znr Erde.0,051 

von einem Akromium zum anderen.0,232 

von einer Hüfte zur anderen.0,139 

vom Akromium bis Ellbogen.0,196 

vom Ellbogen bis Handwarzel.0,145 

die Hand.0,113 


Die Regulative von Mecklenburg-Schwerin, Anhalt und 
Braunschweig stimmen mit dem preussischen überein; ebenso fast 
gauz §. 6 von Mecklenburg -Strelitz. Letzterer enthält nur fol¬ 
genden unwesentlichen Schlusssatz: 

„Ebenso ist es gestattet, bei Blutunterlaufungen, abgesohürften Haut¬ 
stellen and dergleichen . . . dieselben ihrer allgemeinen Gestalt nach mit be¬ 
kannten Körpern zu vergleichen, s. B. einem Geldstück, einer Fracht a. dergl.“ 

Au8 dem Regulativ von Sachsen-Weimar-Eisenach halte 
ich für beachtenswert, was es in den §§. 12 und 14 angibt. In 
ersterem heisst es: 

„Die Feststellung der Lftnge erfolgt dorch Messung der Entfernung des 
8cheitels von dem unter dem Knöchel befindlichen Teile der Fusssohle bei 
wagerechter Lage der Leiche.“ 

Im §. 14 sind so sorgfältige Detailanweisungen über die 
Untersuchung der Körperteile gegeben, wie sie kein anderes 
Regulativ aufweist, deshalb wünschte ich auch ihre wortgetreue 
Wiedergabe in der zukünftigen Bestimmung. B r iernach würde 
sich für A. äussere Besichtigung folgende Form ergeben: 

„Bei der äusseren Besichtigung ist die äussere Beschaffenheit des Körpers 
im allgemeinen und die seiner einzelnen Abschnitte zu untersuchen. 

Für die allgemeine Betrachtung des Körpers sind zu ermitteln und an¬ 
zugeben : 

1. Alter 7 Geschlecht, Grösse (durch Messung der Entfernung des Scheitels 
von dem unter dem Knöchel befindlichen Teile der Fusssohle bei xcagerechter 
Lage der Leiche), Körperbau, allgemeiner Ernährungszustand, etwa vorhandene 
Krankheitsresiduen, individuelle Eigentümlichkeiten, wie Schwielen, Karben, Tä¬ 
towierungen, Verfärbungen, welche auf die Beschäftigung hinweisen. 

2. Die Zeichen des Todes und die der etwa schon eingetretenen 
Verwesung. 















578 


Dr. PUoBek. 


Zur Bestimmung der Zeichen des Todes sind etwaige Besudelungen der 
Leiche durch Abwaschen zu beseitigen; wenn nötig, sind sie mit der Lupe, erfor¬ 
derlichenfalls mit dem Mikroskop auf ihre Beschaffenheit an sich, sowie auf ihren 
etwaigen Gehalt an fremden Bestandteilen zu untersuchen; dann erst ist die Leiche 
zu reinigen. Nun wird die Leichenstarre ermittelt. Angaben über ihr Vorhandensein 
überhaupt, sowie über ihren Grad an den verschiedenen Körperstellen, dem Unter - 
kiefer, den oberen und unteren Gliedmassen dürfen nicht fehlen. Demnächst ist 
ist zu schildern: die allgemeine Beschaffenheit der Haut, ihre Farbe, Temperatur, 
Art und Stärke etwaiger Verfärbungen durch Fäulnis, sowie die Bildung von 
Hautfalten. Alsdann sind zu beschreiben die Totenflecke nach Farbe, Grösse 
und Verbreitung. Sie sind einzuschneiden, um eine Verwechslung mit Bluter¬ 
güssen ins Gewebe auszuschliessen. Dass dies geschehen ist, muss im Protokoll 
erwähnt werden. Endlich muss noch festgestellt werden, ob Verwesungsgeruch 
vorhanden gewesen ist. Die einzelnen Körperteile sind in folgender Reihenfolge 
und Art zu beschreiben: 

a. Am Kopf ist Farbe, Beschaffenheit, Länge, Dicke und Dichtigkeit des 
Haares festzustellen, event. eine Haarprobe aufzubewahren ; ferner die Beschaffen¬ 
heit der weichen Bedeckung, Umfang, Form und Festigkeit des Schädeldaches 
und Form der Stirn anzugeben. 

b. Am Gesicht ist festzustellen: ob die Augenlider geschlossen oder geöffnet 
sind, die Beschaffenheit der Augenbindehaut (Farbe, Blutaustretungen), der Horn¬ 
haut, der Regenbogenhaut und die Weite der Pupillen, die Durchsichtigkeit der 
Linse, Farbe, Form und Dichte der Augenbrauen. 

c. Form der Nase, Beschaffenheit der Nasengänge, Beschaffenheit des 
äusseren Ohres und der Gehörgänge, event. des Trommelfelles; Form, Farbe und 
Beschaffenheit der Lippen, in gleicher Art der Zunge; Zahl, Stellung und Be¬ 
schaffenheit der Zähne und Verhalten des Zahnfleisches, Vorhandensein fremder 
Gegenstände in diesen Oeffnungen. 

d. Am Hals sind die Beweglichkeit, natürliche Hautfalten, Strangulations- 
falten zu prüfen, sowie Lage und Beschaffenheit des Zungenbeins, des Kehlkopfs, 
der Schilddrüse, der oberen und unteren Lymphdrüsen zu berücksichtigen. 

e. An der Brust soll Form und Umfang des Brustkorbes, die Beschaffen¬ 
heit der Brustwarzen, der Milchdrüsen, des Inhalts der Milchgänge ermittelt 
werden. 

f. Am Bauch ist Wölbung und Beschaffenheit der Wand, ob einge¬ 
sunken, schlaff, aufgetrieben festzustellen, auf das Vorhandensein von Brüchen, 
Schwangerschaftsnarben, Pigmentierungen zu achten. 

g . An den äusseren G es chl echt st eilen ist die Beschaffenheit der Vor¬ 
haut und ihres Bändchens, der Eichel, Hamröhrenmündung, des Gliedes, des 
Hodensacks und seines Inhalts zu prüfen. 

An den weiblichen Geschlechtsteilen sind die grossen und die kleinen Scham¬ 
lippen, der Kitzler, das Hymen, der Scheidenvorhof zu beschreiben. 

Der Damm ist bei beiden Geschlechtern auf Narben und Trennungen zu 
untersuchen. 

h. Am Nacken ist die Beschaffenheit der Haut, der Muskeln , der Dom¬ 
fortsätze der Halswirbel, 

i. am Rücken der Verlauf der Wirbelsäule, die Symmetrie der beiden 
Seiten, die Beschaffenheit der Schulterblätter, 

k. am Gesüss die Beschaffenheit der weichen Decken und der unterlie¬ 
genden Knochen festzustellen. 

l. An den oberen Gliedmassen ist die Form und Beschaffenheit der 
Finger , Hände, des Unter- und Oberarmes anzugeben, das Knochengerüst 
auf Zusammenhangstrennungen zu prüfen, die Beschaffenheit der Gelenke zu 
berücksichtigen. Die Nägel werden mit der Lupe untersucht, um zu ermitteln, 
ob sich nicht unter den ihnen anliegenden Hautfalten oder ihren vorderen Enden 
grössere Fetzen von Oberhaut, Blut, Haaren, Zeugfasern, abgerissenen Teilchen 
von Pflanzen, Erde oder dergl. finden. Etwaige Funde sind sofort mit dem 
Mikroskop zu prüfen oder für eine spätere Prüfung sorgfältig aufzubewahren. 

m. Das Gleiche gilt für die unteren Gliedmassen. 

n. Findet sich an irgend einem Teil eine Verletzung, so ist ihre Gestalt, 
Lage und Richtung mit Beziehung auf feste Punkte des Körpers, ferner ihre 
Länge, Breite, die Beschaffenheit ihrer Ränder, der Randwinkel und der Um¬ 
gebung festzustellen. Ist die Form der Wunde nicht ganz einfacher Art, so 



Bin deutsches geriohtslntliohes LeiohenOffnungSTerfähren. 


B79 


empfiehlt es sich, dieselbe durch Zeichnung zu veranschaulichen, namentlich soll 
auch die gegenseitige Lage mehrerer auf einem kleinen Raum zusammenliegender 
Verletzungen, wie z. B. von Würgespuren am Halse und Gesicht auf diese 
Weise dargestellt werden. Findet sich die Verletzung an behaarten Teilen, so 
sind die Haare in ihrer Umgebung knapp abzuschneiden. 

Das Sondieren von Trennungen des Zusammenhangs ist bei der äusseren 
Besichtigung in der Regel zu vermeiden, da sich die Tiefe derselben bei der 
inneren Besichtigung des Körpers und der Verletzungsstelle ergibt. Halten die Ob¬ 
duzenten die Einführung der Sonde für erforderlich, so ist dieselbe mit Vorsicht 
zu bewirken, und müssen die Grütide für dieses Verfahren im Protokoll beson¬ 
ders angegeben werden. In keinem Falle dürfen Schnitte die Verletzungsstelle 
quer durchsetzen oder ihre Enden erweitern; die betreffende Stelle der Haut 
soll Umschnitten, d. h. es soll ein im Zusammenhang mit dem übrigen Teil blei¬ 
bender Lappen gebildet werden, welcher die Verletzung der Fläche nach unver¬ 
sehrt erhält. In ähnlicher Weise sind die darunter liegenden Weichteile als 
einzelne Lappen schichtweise zu präparieren, damit tnan die Schichten wie die 
Blätter eines Buches Umschlägen und die Dimensionen, sowie das sonstige Ver¬ 
halten der verletzten Stellen in jeder einzelnen Schicht feststellen kann. 

Die Verletzungsstelle und ihre nächste Umgebung ist möglichst sorgfältig 
in Kayserlingscher Flüssigkeit aufzubewahren. 

o. Bei gekrümmter Fläche werden die Masse nicht mit dem Bande, son¬ 
dern mit dem Zirkel gemessen. 

p. Hautabschürfungen, welche mit blossem Auge keinen Bluterguss be¬ 
merken lassen, von denen es also zweifelhaft ist, ob sie im lieben entstanden sind, 
sind senkrecht einzuschneiden und mit der Lupe, nötigenfalls auch mit dem 
Mikroskop zu untersuchen. 

q. Zerschnittene und in ihren einzelnen Teilen verschleppte Leichen, deren 
Weichteile genügend erhalten sind, werden genau gemessen und auch sonst sorg¬ 
fältig untersucht, nicht allein, um die Identität der Person, sondern, wenn mög¬ 
lich, auch die Verletzungen zu konstatieren, welche unmittelbar vor dem Tode 
entstanden sind. 

laichen von im Feuer umgekommenen Personen, selbst wenn sie halbver¬ 
kohlt sind, sollen gleichfalls genau untersucht werden, weil es möglich ist, auch an 
ihnen brauchbare Anhaltspunkte für die gerichtliche Untersuchung aufzufinden. 
Die Zähne in ihren Besonderheiten, speziell die Zahnfüllungen , sind zu beachten. 

ln ihren einzelnen Teilen erhaltene Skelette können Aufschluss über das 
Geschlecht, das Lebensalter, die Körpergrösse und etwaige Knochenverletzungen 
geben. Sie sind deshalb nach stattgefundener Reinigung einer sorgfältigen Messung 
und weiteren Untersuchung zu unterziehen. Zur leichteren Identifizierung einer 
Persönlichkeit sollen folgende Anhaltspunkte dienen: 

Nach Krause: 


Gewicht des Kopfes .= 1 / 11 — 1 l l7 des ganzrn Körpergewichts. 

„ „ Stammes .= */* » „ » 


„ der beiden oberen Extremi¬ 
täten mit Schulter . . == l j 6 » n 

„ der beiden unteren Extremi¬ 
täten mit Hüften . . . = */ 7 „ „ 

Nach Quetelet ist, wenn die Totalhöhe 1,000, die Entfernung 


von Scheitel bis Kinn . 0,133 

„ Kinn bis Brustbein . 0,039 

„ Brustbein bis Schambein . 0,320 

„ Schambein zur Erde . 0,508 


1,000 

vom Schambein bis Mitte Knie . 0ß25 

von Mitte Knie bis Knöchel . 0J232 

„ Knöchel bis Erde . 0,051 

„ Akromium zum andern . 0,232 

„ Hüfte zur anderen . . 0,139 

„ Akromium bis Ellbogen . 0,196 

„ Ellbogen bis Handwurzel . 0,145 

die Hand . 0,113 


Beschädigungen der Leiche, welche unzweifelhaft erst nach dem Tode ent- 

















680 


Dr. Placzek. 


standen, wie die Folgen von Rettungsversuchen, Nagetieren u. dergl. sind nach 
Angabe ihrer vermutlichen Ursache kurz zu beschreiben .“ 

Der Tatsache, dass in Vergiftungsfällen schon die äussere Be¬ 
sichtigung wertvolle Anhaltspunkte geben kann, trägt allein Sachsen- 
Weimar-Eisenach Rechnung. Hier heisst es in §. 14, Abs. p.: 

„Liegt Verdacht auf Vergiftung vor, so ist auf die Färbung der Haut 
und der Bindehaut der Augäpfel, das Vorhandensein von Stichkanälen in der 
Haut, Farbe der Totenflecke, das Vorhandensein von Blutaustritten, das Vor« 
halten der Lippen und des Zahnfleisches besonders zu achten. 

Ergiesst sich Flüssigkeit aus Hund oder Nase, so ist deren Farbe und 
Geruch anzugeben, die Beaktion mit Lakmus oder Kongorot zu prüfen." 

Wie man sieht, ist diese Bestimmung so prägnant, dass ich 
nicht zögere, ihre Aufnahme auch für das Zukunftsregulativ zu 
empfehlen. 

Eine gewisse Sonderstellung nimmt die äussere Besichti¬ 
gung von Neugeborenen ein. Hier sind so viele wesentliche 
Momente zu beobachten, dass alle Regulative ihr eine Besprechung 
in Sonderparagraphen widmen. Auch hier sollen wieder die 
anderen Bestimmungen mit der preussischen verglichen, doch nur 
in ihren wesentlichen Abweichungen zitiert werden. 

Preuaaen: „§.23. Neugeborene, Ermittelung der Reife und 
deren Entwickelungszeit. Bei den Obduktionen Neugeborener sind 
ausser den oben angeführten allgemeinen Vorschriften noch folgende besondere 
Punkte zu beachten: 

Es müssen erstens die Zeichen ermittelt werden, aus welchen auf die 
Reife und Entwickelungszeit des Kindes geschlossen werden kann. Dahin ge¬ 
hören: Läoge und Gewicht des Kindes, Beschaffenheit der allgemeinen Be¬ 
deckung und der Nabelschnur, Länge und Beschaffenheit der Kopfhaare, Grösse 
der Fontanellen, Länge-, Quer- und Diagonaldurchmesser des Kopfes, Be¬ 
schaffenheit der Augen (Pupillarmembran), der Nasen- und Ohrknorpel, Länge 
und Beschaffenheit der Nägel, Qnerdurohmesser der Schultern und Hüften, bei 
Knaben die Beschaffenheit des Hodensacks und die Lage der Hoden, bei Mäd¬ 
chen die Beschaffenheit der äusseren Geschlechtsteile. 

Endlich ist noch zu ermitteln, ob und in welcher Ausdehnung in der 
unteren Epiphyse des Oberschenkels ein Knochenkern vorhanden ist. Zu diesem 
Behuf wird das Kniegelenk durch einen unterhalb der Kniescheibe verlaufenden 
Querschnitt geöffnet, die Extremität im Gelenk stark gebeugt und die Knie¬ 
scheibe entfernt. Alsdann werden dünne Knorpelsohichten so lange abgetragen, 
bis man auf den grössten Qaerdurchmesser des etwa vorhandenen Knochen¬ 
kerns gelangt, welcher nach Millimeter zu messen ist. 

Ergibt sich aus der Beschaffenheit der Frucht, dass dieselbe vor 
Vollendung der 80. Woche geboren ist, so kann von der Obduktion Abstand 
genommen werden, wenn dieselbe nicht von dem Richter ausdrücklich ge¬ 
fordert wird.“ 

Bayern enthält im §. 22 „Neugeborene, Ermittlung der 
Reife und der Entwicklungszeit“ eine ähnliche, aber nach den 
verschiedensten Richtungen abweichende Bestimmung. 

Schon zu Anfang wird die Ermittelung der Zeichen gefordert, 
„aus welchen auf die Reife, die Entwicklungszeit und Lebens¬ 
fähigkeit“ des Kindes geschlossen werden kann. Es wird also 
schon hier die Frage nach der Lebensfähigkeit in den Vordergrund 
geschoben, die das preussische Regulativ an dieser Stelle nicht 
aufwirft. Von deren Zeichen wird die Beschaffenheit der Nabel¬ 
schnur hier durch die Worte ergänzt „nämlich der Einpflanzungs¬ 
stelle und der Trennungsfläche derselben“. Weiter abweichend 
ist hier die Bestimmung der Kopfdurchmesser. Während das 



Bin deutsches geriehtsärstliches LeichenöffnungsYerfahren. 


681 


preussische Längs-, Quer- und Diagonaldurchmesser verlangt, 
wird hier noch der Umfang des Kopfes genannt. Ausserdem wird 
gleich die Art ihrer Messung festgelegt. „Erstere werden mit 
dem Tasterzirkel, letzterer durch das Zentimeterband bestimmt, 
welches entsprechend dem graden Durchmesser um die grösste 
Peripherie des Kopfes herumzulegen ist.“ 

Die im preussischen Regulativ nur allgemein angeführten 
Querdurchmesser der Schultern und Hüften sind hier durch die 
Worte „an den Trochanteren“ genauer lokalisiert. 

Eine Bestimmung über das Recht, von einer Obduktion ab¬ 
zusehen, wenn die Frucht vor Vollendung der 30. Woche geboren 
wurde, fehlt in Bayern, dafür enthält das betreffende Regulativ 
folgenden Schlusspassus: 

„Zweitens ist womöglich die Nachgeburt herbeizuschaffen, deren Gewicht, 
sowie die Länge der Nabelschnur zu bestimmen, dieselbe auf ihre Eigenschaften 
zu untersuchen und die Beschaffenheit des Trennungsendes der Nabelschnur 
genau zu beschreiben, sowie aus der Beschaffenheit des Nabelringes und der 
Nabelschnur, auch etwa aus der Beschmutzung der Haut mit Käseschmiere und 
Blat die Zeichen der Neugeburt su ermitteln und endlich auf das Vorhanden¬ 
sein einer Geburtsgeschwulst Bttcksicht zu nehmen.“ 

Sehr nachahmenswert, sodass ich nicht zögere, sie auch für 
die zukünftige deutsche Bestimmung zu empfehlen, ist die Ein¬ 
fügung einer ausführlichen Tabelle über Masse und Gewichte von 
neugeborenen Kindern und deren Skeletteilen. 

Die sächsische Anweisung beginnt abweichend von den 
bisher erwähnten den §. 18 in folgender Form: 

„Bei Oeffnung der Leiobe eines neugeborenen Kindes ist nach §. 90 der 
St. P. 0. die Untersuchung auch insbesondere darauf zu richten, ob dasselbe 
während oder nach der Geburt gelebt habe, und ob es reif oder wenigstens 
fähig gewesen sei, das Leben ausserhalb des Hutterleibes fortzusetzen. 

Zur Beantwortung der letzten Frage mflssen genau die Zeichen er¬ 
mittelt werden, aus welchen auf die Beife und Entwickelungszeit geschlossen 
werden kann. . . .“ 

Erwähnenswert ist bei der Aufzählung der Zeichen nur, 
dass bei der Nabelschnur auch „die Lage ihres Ansatzpunktes in 
der Bauchgegend oder des noch vorhandenen Nabelschnurrestes“ 
verlangt wird, ferner dass man sich nicht mit der Freilegung 
des Knochenkerns in der unteren Epiphyse des Oberschenkels 
begnügt, smdern in folgender Weise fortfährt: 

„Nachdem in dieser Weise das Knorpelende (Epiphyse) untersucht, wird 
durch die Verknöcherungsschicht hindurch in den Knochen (Diapbyse) mit dem 
Messer oder der Säge ein den letzteren in seiner Längsachse spaltender Schnitt 
geführt, um an der in dieser Weise erhaltenen Schnittfläche, etwa an der Ver¬ 
knöcherungslinie zwischen Knorpel und Knochen, yorhandene krankhafte Be¬ 
funde (Syphilis, Bhachitis) festzustellen.“ 

Das die Untersuchung Neugeborener sehr eingehend be¬ 
handelnde württembergische Regulativ beginnt in §. 31 mit 
folgenden Worten: 

„Der dnrch §. 90 der B. St. P. 0. festgestellte Zweck dieser Untersuchung 
erfordert es, dass sie sich, ausser auf die Feststellung der Todesursache, auch 
noch auf die Ermittelung der Beife, Lebensfähigkeit und des Lebens Tor, 
während und nach der Geburt beziehe. Das Verfahren bei der Leichenschau 
und Leichenöffnung bedarf daher folgender Abänderungen und Erweiterungen.“ 

Beachtenswert ist hier zunächst die genauere Präzisierung 
der Kopfpunkte, an denen die Durchmesser bestimmt werden: 



682 


Di. Pl&cxek. 


„Den grössten Umlang des Kopfes bestimmt man (dem geraden Durch¬ 
messer desselben entsprechend) mit dem Zentimeterband. Seine Durchmesser, 
ebenso wie die der Schultern und Httften mit dem Tasterzirkel.* 

In Württemberg soll auch festgestellt werden, 

„ob eine Kopfgeschwulst ftusserlioh bemerkbar, wie die Haut beschaffen 
ist, und ob sie behaart, mit käsigem Schleim, Blut, Kindspech und dergleichen 
bedeckt ist.* 

Für die Feststellung der Augenbeschaffenheit wird folgende 
Anweisung gegeben: 

„Soll der nicht gans leichte Nachweis der Pupillarmembran geliefert 
werden, so sind die Augen herauszunehmen, einige Millimeter hinter der Horn¬ 
haut senkrecht zu durohschneiden, das vordere Segment in dünner Chromsäure- 
lOsung oder in Alkohol zu erhärten und dann auf einem Objektglase mit der 
Lupe zu untersuchen.* 

Auch für die Nachgeburt werden präzise Angaben gemacht. 
Es ist die Beschaffenheit ihrer Fläche, namentlich etwaige Ver¬ 
änderungen derselben, das Gewicht, die Breite und Dicke, sowie 
die Länge und das übrige Verhalten des an ihr haftenden Teiles 
der Nabelschnur zu ermitteln. 

Baden besitzt einen besonderen Abschnitt, betitelt „bei 
Kindestötungen“. Hier heisst es: 

„§. 40, Abs. 1: „Insbesondere ist zu erheben und genau zu Protokoll an- 
zogeben: wo der Kindesleichnam aufgefunden worden, womit er bekleidet oder 
umwickelt, und wie und wodurch er etwa verunreinigt gewesen; ob der Mutter¬ 
kuchen mit aufgefunden, wie dieser und der etwa noch daran befindliche Teil 
der Nabelschnur beschaffen gewesen sei.* 

§. 48. Das Gutachten Aber todgefundene, neugeborene Kinder hat sich 
darüber auszusprechen: 

1. ob das Kind reif oder wenigstens fähig gewesen sei, das Leben ausser¬ 
halb des Mutterleibes fortzusetzen; 

2. ob das Kind vor, während oder nach der Geburt gestorben ist; 

S. ob der Tod des lebend geborenen Kindes zufällig, (etwa infolge der 

Geburtsvorgänge) oder infolge der Unterlassung der nötigen Fürsorge oder von 
Gewalttätigkeiten eingetreten sei; 

4. ob anzunehmen ist, dass das Kind in oder gleich nach der Ge¬ 
burt und zwar innerhalb welchen Zeitraumes getötet worden sei.* 

Von den Abweichungen, welche das Regulativ von Sachsen- 
Weimar-Eisenach in der Untersuchung Neugeborener aufweist, 
ist nur anzugeben: 

1. „Die Länge der Leiche ist in Millimeter, ihr Gewicht in Grammen 
anzugeben. An der Brust sollen die Milchgänge auf ihren Inhalt unter¬ 
sucht werden. 

8. Bei Knaben ist auf das Vorhandensein von Harnsäurebelag der Vor¬ 
haut, sowie auf die Lage der Hoden, bei Mädchen auf das Verhältnis der 
grossen zu den kleinen Schamlippen die Aufmerksamkeit zu richten.* 

Mecklenburg-Schwerin stimmt inhaltlich in seinem §. 21 
mit Preussen überein, nur lautet der Schlusssatz: 

„Ergibt sich aus der Beschaffenheit der Frucht und besonders daraus, 
dass sie in gestrecktem Zustand bei normaler Körperform vom Scheitel bis 
zur Ferse in gerader Linie gemessen weniger als 36 cm misst, mit Sicherheit, 
dass eine unzeitige Frucht (Fehlgeburt) vorliegt, so kann von der Obduktion 
Abstand genommen werden, wenn dieselbe nicht von dem Richter ausdrücklich 
gefordert wird. 

Anhalt (§. 20), Braunschweig (§. 17), Schwarzburg- 
Sondershausen (§. 23) stimmen mit Preussen überein, Braun- 



Bin deutsches gerichts&rstliches LeiohenMEsungsTetfahren. 


688 


schweig allein führt nur an, dass der Schlussabsatz, wonach unter 
gewissen Umständen die Sektion unterbleiben kann, dem §. 90 
R. St. P. 0. entspricht. 

Diese Eventualität erwähnt der §. 12 von Mecklenburg- 
Strelitz gar nicht. Hier soll auch der Knochenkern in der Weise 
freigelegt werden, dass „die Hautbedeckung über dem Knorpel 
durch einen Querschnitt bis auf den Knochen getrennt* wird. 

Aus dem Vergleich der zitierten Bestimmungen und ihrer 
Abweichungen dürfte sich folgender Wortlaut für das zukünftige 
Regulativ empfehlen: 

n Neugeborene. Ermittelung der Reife und der Entwich- 
l un gszeit. 

Der durch §. 90 der R. St. P. 0. festgestellte Zweck dieser Untersuchung 
erfordert es, dass sie sich ausser auf die Feststellung der Todesursache auch 
noch auf die Ermittelung der Reife, Lebensfähigkeit und des stattgehabten Lebens 
vor, während und nach der Geburt erstreckt. Das Verfahren bei der Leichen- 
besichtigung bedarf daher folgender Veränderungen und Erweiterungen: 

Es müssen 1. die Zeichen ermittelt werden, aus welchen auf die Reife, 
die Entwicklungszeit und Lebensfähigkeit geschlossen werden kann. 

Dahin gehören: Länge (in mm) und Gewicht (in gr) des Kindes; Be¬ 
schaffenheit der allgemeinen Bedeckung; Vorhandensein oder Fehlen von Blut, 
Hauttalg, Kindspech und sonstiger Beläge, etwaiger Mazeration; lAnge und Be¬ 
schaffenheit der Nabelschnur oder des noch vorhandenen Nabelschnurrestes, Lage 
des Ansatzpunktes (Entfernung von der Schambeinfuge), Beschaffenheit der Einpftan- 
zungs- und der Trennungsfläche; Länge und Beschaffenheit der Kopfhaare; Grösse 
der Fontanellen ; Vorhandensein der Kopfgesch wulst; Form des Schädels; sein 
grösster Umfang wird mit dem Zentimeterbandmass gemessen; mit Tasterzirkel 
wird der Stimhinterhauptsdurchmesser, der Kinnhinterhaupts- und der Quer¬ 
durchmesser bestimmt; ferner Durchmesser der Schultern und Hüften; Be¬ 
schaffenheit der Augen; Feststellung der Pupillarmembran, indem man die 
Augen herausnimmt, einige mm hinter der Hornhaut senkrecht durchschneidet, 
im vorderen Segment die Regenbogenhaut frei präpariert, auf einem Objektträger 
ausbreitet, mit der Lupe event. Mikoskop untersucht; Nasen- und Ohrknotpel auf 
Festigkeit zu prüfen; Länge und Beschaffenheit der Nägel; Brustmilch¬ 
gänge; bei Knaben die Beschaffenheit des Hodensacks und die Lage der Hoden, 
bei Mädchen die Beschaffenheit der äusseren Geschlechtsteile . 

Wenn möglich, ist die Nachgeburt herbeizuschaffen, deren Gewicht, die 
Beschaffenheit der äusseren Fläche, namentlich etwaige Veränderungen demselben, 
die Breite , Dicke, Länge und das übrige Verhalten des an ihr haftenden Teiles 
der Nabelschnur zu bestimmen. 

Endlich ist zu ermitteln, ob und in welcher Ausdehnung in dem unteren 
Knorpelende des Oberschenkels ein Knochenkern vorhanden ist . Zu diesem Zweck 
wird das Kniegelenk durch einen unterhalb der Kniescheibe verlaufenden halb¬ 
mondförmigen Schnitt geöffnet, die Extremität im Gelenk stark gebeugt und die 
Kniescheibe nach oben geklappt. Alsdann werden dünne Knorpelschichten so 
lange abgetragen, bis man den etwa vorhandenen Knochenkern im grössten Durch¬ 
messer vor sich hat, welcher in Millimetern festzustellen ist. 

Ergibt sich am der Beschaffenheit der Frucht, dass dieselbe vor Vollen¬ 
dung der 30. Woche geboren ist, so kann von der Leichenöffnung Abstand ge¬ 
nommen werden, wenn dieselbe nicht von dem Richter ausdrücklich gefordert wird. 

Zur leichteren Durchführung der in vorstehendem Absatz verlangten An¬ 
gaben folgen hier: 

1 . Die von v. Hecker in „Hecker und Buhl Klinik f. Geburtskunde u , 
T. I, von nahezu 1000 Kindern gewonnenen Zahlenwerte: 


Maximalgewicht eines reifen Kindes . 5000 gr 

Minimalgewicht „ n „ 2500 „ 

Durchschnittsgewicht n „ 3275 n 

n » » Knaben . 3310 „ 

„ p » Mädchens . 3230 „ 








584 Dt. Placsek: Bin deutsches gerichts&rztliches LeichenOfEhnngsyerfahien. 


Maximale Länge eines reifen Kindes . 

Minimale „ „ * „. 

Durchschnittslänge „ „ . . 

Durchschnittsumfang des Schädels . 

Durchmesser des Schädels von der Kinnspitze bis zur kleinen Fontanelle 
Gerader Durchmesser von der Nasenwurzel bis zur hervorragendsten 

Stelle des Hinterhaupts . 

Grosser querer Durchmesser von einem Seitenbeinhöcker zum anderen 
Kleiner querer Durchmesser vom unteren Ende der Kranznaht 

einer Seite zur anderen . 

Breite der Schultern . 

Breite der Hüften . 

Sagitaler Durchmesser des Brustkorbes . 

2. Knochenmassbestimmungen eines reifen Neugeborenen nach 

Höhe des Stirnbeins ... 

Breite desselben . 

Länge seines Augenteils . 

Durchmesser des Scheitelbeins vom vorderen oberen bis hinteren Rande 
Derselbe vom vorderen unteren bis hinteren oberen Winkel . . . 

Höhe der Pars occipitalis des Hinterhauptbeins . 

Breite derselben . 

Höhe des Schuppenteils des Schläfenbeins vom oberen Rande des 

Gehörringes an . 

Höhe des Jochbeins . 

Weite des Jochbogens . 

Höhe des Nasenbeins . 

Breite n n .. 

Höhe des Oberkiefers vom Processus alveolaris bis zur Spitze des 

Processus nasalis . 

Länge des Oberkiefers von der Spina nasalis ant . bis zur Spitze 

des Proc . zygomatic . 

Länge jeder Hälfte des Unterkiefevs . 

Höhe des Unterkiefers . 

„ der 7 Halswirbel . 

„ „12 Rückenwirbel . 

n „5 Lendenwirbel . 

„ des Kreuz - und Steissbeins . 

Länge des Schlüsselbeins . 

„ n Schulterblatts . 

Breite „ „ . 

Länge des Oberarmknochens . 

„ der Ulna . 

„ des Radius . 

„ „ Oberschenkelknochens . 

„ der Kniescheibe . 

Breite derselben . 

Länge der Tibia . 

. „ Fibula . 


58,0 

cm 

48,0 

n 

51,0 

9 

34,44 

» 

13,38 

19 

11,44 

19 

9,22 

19 

8,00 

19 

12,2 

19 

9,8 

19 

9,4 

19 

Guenz: 

4,1 

19 

4,96 

19 

2,71 

19 

8,8 

19 

8,8 

19 

5,42 

19 

4,94 

19 

2,71 

19 

1,34 

19 

2,71 

19 

1,13 

19 

0,48 

19 

2,71 

19 

2,93 

19 

4,94 

19 

1,58 

19 

3,93 

19 

10,14 

9 

4,10 

19 

4,10 

19 

4,28 

9 

4,04 

9 

3,04 

9 

8,12 

9 

7,47 

9 

7,22 

9 

9,48 

9 

2,03 

9 

1,80 

9 

8,57 

9 

8,35 

9 


3. Gewicht und Längenbestimmung des Fötus für die einzelnen Monate 
der Schwangerschaft nach v. Hecker: 

Gewicht. Länge . 


Zweiter 

Monat 

4 

9r 

2,5— 3 

Dritter 

9 

5—20 

9 

7— 9 

Vierter 

n 

120 

9 

10—17 

Fünfter 

9 

284 

9 

18-27 

Sechster 

9 

434 

9 

28—34 

Siebenter 

9 

1218 

9 

35-38 

Achter 

9 

1549 

9 

39-41 

Neunter 

9 

1971 

9 

42-44 

Zehnter 

9 

2334 

9 

45-47 


(Fortsetzung folgt.) 









































Dr. Keferstein; Bekämpfung der Kurpfuscherei n. s. w. 


585 


Bekämpfung der Kurpfuscherei auf gerichtlichem und 
polizeilichem Wege. 1 ) 

Von Dr. Keferstein, Königlicher Gerichtsarzt in Magdeburg. 

Die Mitteilungen, welche hier gemacht werden, gründen sich 
auf in öffentlichen Gerichtsverhandlungen festgestellte Tatsachen, 
wie sie der Verfasser in seiner Eigenschaft als Gerichtsarzt in 
Erfahrung brachte. 

Was zunächst die Beilegung eines arztähnlichen Titels 
anbetrifft, so hatten in einem Strafverfahren, wo ein Kurpfuscher 
wegen Betruges angeklagt werden sollte, fast sämtliche Zeugen 
ausgesagt, der Titel „Homöopathischer Praktikant“, welchen sich 
der Beschuldigte zugelegt hatte, hätte in ihnen den Glauben er¬ 
weckt, der Betreffende wäre ein praktischer Arzt, welcher sich 
deshalb „Homöopathischer Praktikant“ nenne, weil er als Arzt eine 
homöopathische Praxis betriebe. Der Beschuldigte wurde daher 
vom Schöffengericht auf Grund des §. 147, Ziffer 3 der Gewerbe¬ 
ordnung wegen Führung eines arztähnlichen Titels verurteilt, und 
auch die Berufungskammer des Landgerichts in Magdeburg be¬ 
stätigte, dass „Homöopathischer Praktikant“ ein arztähnlicher 
Titel sei. Gleich darauf sind auch noch zwei andere Homöopathen 
wegen desselben Titels gerichtlich bestraft worden, von denen der 
eine mit gewissem Stolz angab, dass er früher Assistent bei 
Dr. Volbeding gewesen sei. 

Kurbadeanstalten sind nicht konzessionspflichtig, solange 
sie nicht gleichzeitig zur Aufnahme von Kranken behufs Ver¬ 
pflegung und Behandlung dienen. Doch kann der Betrieb von 
Badeanstalten überhaupt durch die zuständige Behörde untersagt 
werden, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit 
des Gewerbetreibenden in Bezug auf diesen Gewerbebetrieb dartun. 

Wo aber hier Kurbadeanstalten sind, hat sich anscheinend stets 
ein approbierter Arzt gefunden, der die Wasserheilmethode ausübt, 
und dessen Anleitung dann die Badeanstalt in ärztlicher Beziehung 
untersteht, so dass ein gerichtliches Eingreifen bei den Kurbade¬ 
anstalten in den letzten Jahren nicht vorgekommen ist. Dagegen 
hat ein solches bei Hebammen, die eine Privatentbindungs¬ 
anstalt im Betriebe haben, mehrere Male stattgefunden. Hier 
handelte es sich um Gesundheitsbeschädigungen wegen Zurück¬ 
lassen von Nachgeburtsresten und um Abtreibungen. Von dieser 
Seite konnte man auch andere weise Frauen, die nicht Hebammen 
waren, kennen lernen. Ueber gerichtliche Vorgänge betreffs Pri¬ 
vatkranken-und Privatirrenanstalten ist nichts weiter 
mitzuteilen. 

Einmal ist die Bestrafung eines Kurpfuschers, der sich 
Krankenheiler nannte und mit Sympathie kurierte, angeregt, weil 
er auch die Heilkunde im Umherziehen ausübte. Der Mann 
war insofern merkwürdig, als er kaum seinen Namen schreiben 
konnte. Dabei sprach er als geborener Pole gebrochen deutsch. 

*) Nach einem in der Magdeburger medizinischen Gesellschaft gehaltenen /~~ 
Vortrage. 




586 Bf* Kefersteiu. " 

Die Sympathie wandte er siete zri drei verschiedenen Malen durch 
Besprechet! an. Wollte er stärker Vorgehen. 30 beleckte er mit 
asM# Zunge die Steil e d^ Körperg bei den Kr&nkeb, die uach 
^seiner Auffassung der Sits der, Krankheit war. Eine Kranke, 
welch# er wegen Kopfschmerzen die Stirn »bleckte, will ein deut¬ 
liches Knirschen bemerkt hal>ea, als wenn Salz auf ihrer Stirn 
gewesen wäre, Ausserdeiö gab. dieser Krankeaheiler Aipenkräutör- 
tee als Heilmittel ab, und dann als Beheimmittel Jerusalemer 
i&isäün den er als besonders heüki’äftjg aus einer Apotheke in 
Böhmen be^og. Wegen dieser IJebertretimgen der Kaiserlichen 
Verordnungist # dann bestraftiwordei}. Derartige Bestrafungen 
wegen Abgab e von Arzneien, wobei gegen die jetzt gültige 
Kaiserliche Verordnung vom 22. Oktober 1901 über den Verkehr 
mit Arzneimitteln ausserhalb der Apotheken verstosse» wurde, 
sind noch mehrfach vovgekoinmeu, ebenso auch Bestmfus,gen wegen 
öffentlicher Ankündiguag vea Beheltöniittehs, welche dazu 
bestimmt sind, zur Verhütung: oder Heilung: menschlicher Krank¬ 
heiten zu dienett. 

Dagegen konnte gegen deu erwähnten Krankenheiler eine 
Anklage, wegen Betruges nicht erhoben werden, weil er selbst 
behauptete, an die Wirksamkeit seiner Heilmethode zu glauben. 
Ausserdem fanden sich auch noch mehrere dankbare Patienten, 
welche auäs&gtea, dass das Besprechen und Lecken mit der Zunge 
bei ihrem Leiden ## grossem Erfolg gewesen sek 

Nicht so .glimpflich kam ein anderer ; Kurpfusch# weg, der 
folgeöden Schwindel betrieben hatte; 

Er kündigte io den Zeitungen ausser veraüMedecen anderen HeUmethodea 
atscb eine, besondere Kur an, welche Gallensteine in drei Stunden beseitigen 
sollte. Bienen Hess et Me betreffenden Kranken mehrere Tfinkgiäaer toll einer 
Flüssigkeit einnebmen» die halb and halb aus Klaionsöl and Mohnöl bestand, 
unter Zusatz von Holzkohle, so dass das betreffende Medikament vollkommen 
schwär» auasab. Er gab es für ein Oei an» Änstralie» ans, welches darch den 
Zoll besonders verteuert wäre: auch die Holzkohle sollte ei« iremdlKndfgcbe» 
Pal rer sein. Die Kur war dementsprechend teuer find kostete 0 bis 50 Mark. 
Nach dem Oel bekatnea die Kranken mehrere FUacben Selterswasser w trinken 
Und mussten sich la seianr Wohnung auf eia Buhebett legen. Trat dann ab« 
führende Wirkung ein, «0 untersuchte der Knrpfascher den Stuhlgang auf Ab¬ 
gang von Gallensteinen. Bald sagte er« die Steine wdreö »o Schleim ver¬ 
wandelt ahgegangen, bald, die Steine würen derartig serhieMert, dass man sie 
nicht finde» könnte. Einer Dame, die sich bei ihm 1» Karpeusion »nfhielt, 
eeigte er im Stuhlgang vorhandene Feigehkejfoe als abgegangene öaneasteine. 
Damit aber die Kranken wirklich Stein« tu sehen bekämen, warf öez 
Kurpfuscher spltez kleine Kieselsteine in den Stuhlgang. Auch Barnnntcr- 
rochnngsn waren von ihm in seiner Annonce ftügeMndigt. BeV der späteren 
Hatuwncbong fand die F»H*ei aasaer einem Hanfes kleiner dunkler Kimlateine 
eine Menge Medizin flaschen mit strobgeihem , W deserigeffi Inhalt. Bei der 
tinteranchnng wnrde festgesteUc, dass in affe» dt» Flasche» iholender Urin 
war. Der Knrpfascber hatte Harnanter^nöbußgeö gar nicht gemacht, hatte 
auch hieran gar keine KenntniBsavund war aachlSeelg g-ettng gewesen, den za 
aoteraachenden U«a nicht einmal sofort fort?«giössea. 

Als nach und nach dem Kurpfusche* der Boden in heiss geworden war 
{et hielt sich nftxalicb hier troter falschem Namen auf; da er noch eise Strafe 
abzübSeues hatte), nahm er sich einen sogenannten Assistenten an, der ihm 
später eeine Praxis abkaafen sollte. Diesen Assistenten führte et als jungen 
Arzt, mit dem er in Heidelberg »ns&mmen atndiert hatte, in seine Praxis ein. 
fjta Wahrheit war dieser junge Mann ein - MaiergehUfe', der so geistig beschränkt 





Bekämpfung der Kurpfuscherei auf gerichtlichem u. polizeilichem Wege. &S7 

war, dass später das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde, da mau zu der 
Ueberzeugung gekommen war, dass derselbe willenlos unter dem Einfluss des 
andern gehandelt hatte. Dieser angebliche Assistent musste sich mit der 
Tochter eines wohlhabenden Mannes verloben. Der zukünftige Schwiegervater 
kaufte dann wirklich die Praxis für 5000 Mark für den zukünftigen 
Schwiegersohn. 

Der frtthere Assistent beging nun als erstes selbständiges Auftreten die 
Dammheit, dass er einer Dame nach der berühmten Gallensteinkur die in den 
Stuhlgang geworfenen Kieselsteine als abgegangene Gallensteine mit nach 
Hause gab. Hier wurden die Steine als Kieselsteine erkannt, und der Schwindel 
damit offenkundig. Der Haupttäter war aber mit den erscbwindelten 5000 M. 
verschwanden, und wäre auch nicht so bald festgenommen worden, wenn er 
nicht die Dreistigkeit gehabt hätte, in einer benachbarten Grossstadt unter 
dem Mädchennamen seiner Frau eine Praxis zu gründen, wie er sie hier ge¬ 
habt hatte. Der betreffende Kurpfuscher war eine vielmals vorbestrafte Person; 
im Untersuchungsgefängnis spielte er dann den wilden Mann, so dass er auf 
seinen Geisteszustand beobachtet werden musste. Bei der Verurteilung wurden 
ihm sämtliche nachweisbaren Gallensteinkuren als Betragsfälle angerechnet, 
desgleichen die magnetischen Kuren, denn er hatte auch mit Lebensmagnetis* 
mos kariert und bei unheilbaren Leiden sicheren Erfolg versprochen. 

Bei einem nicht approbierten Homöopathen lagen die Betrags- 
fälle auf einem ganz anderen Gebiet. 

Dieser Kurpfuscher verschrieb homöopathische Medikamente der vierten 
Potenz, welche bei ihrer ausserordentlichen Verdünnung kaum noch etwas 
anderes sind, als verdünnter Spiritus, und deshalb in den Apotheken im Hand¬ 
verkauf abgegeben werden dürfen, ausserdem gab er stets noch ein unschäd¬ 
liches Abführmittel. Seine Rezepte schrieb er aus einem homöopathischen 
Arzneimittelbach ab. Wusste er ausnahmsweise gar nicht, was er verschreiben 
sollte, so gab er ein Rezeptblatt mit zur Apotheke, auf welches er geschrieben 
hatte: „Da remedium contra morbum“, und überliess es dem betreffenden Apo¬ 
theker das Mittel selbst zu wählen. In der Hauptverhandlung gab er an, dass 
er diese lateinischen Brocken kenne, weil er sich mit dem Italienischen be¬ 
schäftigt habe; in Rom und Umgegend spräche man jetzt noch lateinisch. 

In seinen Zeitungsannoncen hatte er überraschend grosse Erfolge gegen 
fast alle Krankheiten mit diskreter Behandlung und keiner Berufsstörung ver¬ 
sprochen. Letstere Worte sind die Umschreibung dafür, dass er auch Ge¬ 
schlechtskrankheiten behandele. Und gerade derartige Kranke haben ihn mit 
Vorliebe aufgesueht. 

Kam ein Kranker zu ihm, so musste er erst drei Mark im voraus ent¬ 
richten; eine Mark für die Unterredung und zwei Mark für die Untersuchung. 
In seinen Zeitungsannoncen hatte der Heilkünstler auch Harn- und Auswurf- 
Untersuchungen angekündigt, die er so auBführte, dass er die etwa vom 
Kranken mitgebrachte Harnflasoho gegen das Licht hielt und beschaute; für 
irgend welche andere Untersuchung fehlte ihm jede Kenntnis. Die körperliche 
Untersuchung bestand darin, dass er dem Kranken in die Augen sah, angeblich 
um festsustellen, in welchem Grade Blutarmut oder Vollblütigkeit vorläge, um 
hiernach die stärkere bezw. schwächere Gabe der zu verordnenden Arznei aus- 
zuwählen. Diese Behauptung war aber unwahr, da er stets die homöopathische 
vierte Verdünnung verschrieb. Die Leiden stellte er in der Weise fest, dass 
er sich von dem Kranken erzählen liess, was ihm fehlte, jede einzelne mitge¬ 
teilte Beschwerde galt als besondere Krankheit. Hierauf wurde ein vorge- 
drucktes Formular aasgefüllt, in welches der Kranke selbst nach Diktat des 
Heilkünstlers seine Krankheiten einschrieb, und diesem gleichzeitig einen Auf¬ 
trag für Krankenbehandlung und Krankenpflege unter Verschwiegenheit erteilte. 
Auf dem Formulare fand sich noch folgende Klausel: „Die Arznei, Bemühung 
und Auslage zahle ich noch ausserdem bei Uebernahme voll aus.“ Was diese 
Worte bedeuten sollten, wurde weiter nicht erklärt. Als Preis für die ganze 
Behandlung wurden meist 40 Mark vereinbart. Nachdem eine Anzahlung er¬ 
folgt war, wurde die Restschuld auf demselben Formular eingetragen mit der 
Verpflichtung, dieselbe nach Ablauf von etwa einem Vierteljahr zu bezahlen. 
Hierauf wurde der Kranke elektrisiert, wobei derselbe je einen Griff eines In¬ 
duktionsapparates in je eine Hand bekam, etwa in derselben Weise wie man 



588 


Dr. Keferstein. 


sich auf Jahrmärkten and Schützenfesten für sehn Pfennige elektrisieren lassen 
kann. Nachher trat die Ehefraa des Heilkünstlers in Tätigkeit, indem sie den 
nackten Bücken und anch manches Mal die Oberarme des Kranken massierte. 
Diese Teile worden stets massiert, gleichgiltig, ob der Kranke Kopfschmersen 
oder Unterleibsschmerzen hatte; dadurch sollte nur die Anregung des Blut¬ 
kreislaufes bewirkt werden, wozu der Bücken die geeignete Stelle sei. Die 
Massage musste besonders bezahlt werden; denn für den vereinbarten Preis war 
nur das Elektrisieren and das Verschreiben des homöopathischen Bezeptes frei. 
Kam der Kranke öfter, so schlag der Heilkünstler ihm vor, dass er selbst die 
Medikamente ans der Apotheke besorgen würde, nnd der Kranke diese von 
ihm abholen sollte. Der Heilkünstler nahm dann 8 bis 5 Mark mehr, als die 
Medikamente in der Apotheke gekostet hatten. Dieses Geld rechnete er für 
den Weg, den er zar Apotheke gemacht hatte; das war die sogenannte Arznei¬ 
bemühung. In zwei Fällen hatten die Kranken nicht Lust gehabt, den Auftrag 
zum Abholen der Medikamente zu geben; der Heilkünstler hatte ihnen infolge 
dessen vorgespiegelt, die von ihm neuerdings verschriebenen Medikamente 
wären so stark, dass der Apotheker dieselben nicht an die Kranken abgeben 
würde, sondern nur an ihn selbst, da er mit ihm bekannt wäre. In Wahrheit 
waren es nur homöopathische Arzneien vierter Verdünnung gewesen. Es war 
also hier der Betrug erwiesen. 

Auch gegen Blutstockungen hatte dieser Pfuscher sichere Hilfe ver¬ 
sprochen, doch hatte er sich anch hier gehütet, etwas Anderes zu geben, als 
seine homöopathischen Gaben. Den Betrag darin za finden, dass überhaupt 
wertlose Medikamente gegeben wurden, war nicht angängig; denn der Sach¬ 
verständige musste selbst zageben, dass nach den Lehren der Homöopathie die 
4. Potenz ein wirksames Medikament sei. Auch die wunderbare Elektrisier¬ 
end Massier - Methode konnte im guten Glauben ausgeführt worden sein. 
Fanden sich doch wirklich in der Hauptverhandlung Entlastungszeugen, welche 
den Wert dieser Behandlungsart am eigenen Körper verspürt haben wollten. 

Im allgemeinen ist bei Kurpfuscherei Betrug dann anzu¬ 
nehmen, wenn bei offenbar unheilbaren Kranken sicherer Erfolg 
versprochen wird in der Absicht, den Kranken zu bewegen, weiter 
die wertlosen Mittel anzuwenden und dieselben weiter zu be¬ 
zahlen, ausserdem auch noch bei sonstigen nachweisbaren lügen¬ 
haften Vorspiegelungen. 

Bei Gefährdung von Leben und Gesundheit seitens 
der Kurpfuscher kann wegen fahrlässiger Tötung bezw. Körper¬ 
verletzung vorgegangen werden. Die zu verhängende Strafe wird 
verschärft, wenn der Kurpfuscher sein Tun gewerbsmässig aus¬ 
übte, auch ist dann bei der fahrlässigen Körperverletzung kein 
Antrag seitens des Verletzten notwendig. In einem derartigen 
Falle handelte es sich um Unterleibsentzündung mit tödlichem 
Ausgang durch Massnahmen eines Kurpfuschers, der an einer tod¬ 
kranken Frau die Massage mit dem Stubenschlüssel ausgeführt 
hatte, so dass man noch nach zwei Tagen die blauen Flecken am 
Körper der Kranken bemerken konnte. Die Kranke hatte Krebs 
des Mittelfelles und sonstige schwere krankhafte Organverände¬ 
rungen; der Heilkünstler erklärte aber, es handele sich hier nur 
um versetztes Blut. In der Hauptverhandlung brachte der Be¬ 
treffende diese Theorie auch wieder vor, und rühmte sich, dass er 
Unterricht in der Massage genossen habe und sein Gewerbe schon 
Jahre lang ausübte. Das war freilich die ungeschickteste Art 
der Verteidigung; denn dadurch war der Nachweis leicht zu er¬ 
bringen, dass der Täter die Aufmerksamkeit aus den Augen ge¬ 
setzt hatte, zu welcher er vermöge seines Gewerbes besonders 
verpflichtet war. Auch hätte der Betreffende nach dem Masse 







Bekämpfung der Kurpfuscherei auf gerichtlichem u. polizeilichem Wege. 589 

seiner Kenntnisse und nach seiner sonstigen Einsicht nnd Er¬ 
fahrung bei Anwendung gehöriger Sorgfalt jene schädlichen Folgen 
voraussehen müssen. 

Zur Herbeilockung yon Kranken wenden die Kurpfuscher 
mit Vorliebe marktschreierische Zeitungsannoncen an. Um dieses 
Verfahren einzudämmen, ist das Gesetz zur Bekämpfung des un¬ 
lauteren Wettbewerbes anwendbar und zwar der §.4. Der 
Antrag auf Bestrafung kann nach §. 1 sowohl von jedem Gewerbe¬ 
treibenden, der Waren oder Leistungen verwandter Art herstellt, 
als von Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen gestellt 
werden. Da sich bei den Aerzten ein Antragsteller selten fand, 
haben die Aerztekammem die Angelegenheit in die Hand genommen. 
Der Strafantrag ist aber, um alle Zweifel zu beheben, von dem Vor¬ 
sitzenden der Kammer zu unterzeichnen, da nach juristischer Auf¬ 
fassung nur der Vorsitzende die Kammer nach aussen vertreten kann, 
und nicht willkürlich jedes Vorstandsmitglied. Es sind auch hier in 
Magdeburg eine ganze Reihe von Bestrafungen auf Grund dieses 
Gesetzes erfolgt. Wo hier das Schöffengericht ausnahmsweise zu 
einer Freisprechung kam, wahrscheinlich, weil die Schöffen selbst 
für Naturheilmethode oder Homöopathie schwärmten, wurde von 
dem Amtsanwalt Berufung eingelegt; die Sache kam an die Be¬ 
rufungskammer, und es erfolgte dann hier die Verurteilung. 

1. Bin Kurpfuscher, der mit dem von Alimond&schen elektrischen 
Strome arbeitete, führte ans, dass hier die Stellung einer Diagnose nicht nötig 
sei. Der Strom selbst gäbe den Sitz des Leidens an, da sich dann hier ein 
prickelndes, bohrendes Gefühl einstelle; ja selbst wenn man sich Uber den Sitz 
des Leidens täuschte, so schadet dies nichts, da doch Heilung oder wenigstens 
Besserung eintrete. Deshalb fühlte sich der Heilkünstler berechtigt, die gross¬ 
artigsten Brfolge bei sämtlichen inneren und äusseren Leiden anzukündigen. 
Das Gericht glaubte aber diesen schönen Worten nicht und schloss sich der 
entgegengesetzten Ansicht des medizinischen Sachverständigen an. 

2. Auch ein Homöopath hatte die gründlichsten Brfolge gegen alle 
Leiden versprochen, ohne beim Gerichtshof Glauben zu finden, der bei der 
Ueberzeuguog blieb, dass nicht alle menschlichen Leiden heilbar wären. 

3. Eine Frau behauptete, durch russischen Anis und Wasserkerbel 
„monatlich hunderte von Hals- und Lungenkranken zu heilen oder zu helfen“; ihre 
Verurteilung wegen unlauteren Wettbewerbs erfolgte erst in der Berufungs¬ 
kammer, da sie vor dem Schöffengericht behauptete, dass sie bei Lungen¬ 
leidenden hochgradige Lungenschwindsüchtige stillschweigend ausgeschlossen 
habe, auch eine grosse Zahl von Dankesbriefen wirklich vorlegen konnte. 

4. Bin Badehalter hatte allen an Syphilis Leidenden durch seine Kalt¬ 
wasserkuren Heilung versprochen, doch erfolgte auch hier Verurteilung. 

Da es sich hier überall am Zeitungsannoncen handelte, 
konnte auch ein Strafantrag gegen den verantwortlichen Re¬ 
dakteur wegen Beihülfe gestellt werden. Notwendig war 
dieser Antrag, wenn es sich um Annoncen mit unlauteren Wett¬ 
bewerb aus dem Auslande handelte. So hatte ein Schweizer Arzt 
Hautkrankheiten jeder Art brieflich in kürzester Zeit gründlich 
heilen wollen, z. B. unter andern auch Haarausfall; hier erfolgte 
die Verurteilung des verantwortlichen Zeitungsredakteurs. Bei 
unlauterem Wettbewerb von Ausländern durch Zeitungsannoncen 
kann gegen den verantwortlichen Redakteur deshalb vorgegangen 
werden, weil es sich um ein Vergehen handelt, und bei einem 
solchen Beihülfe möglich ist. 



590 


Dr. Referate in: Bekämpfung der Earpfascherei u. s. w. 


Uebrigens ist nach einer Kammergerichtsentscheidung: Kahl¬ 
köpfigkeit keine Krankheit, sondern die Folge einer Krankheit. 
Daher kann bei Annoncen, in denen sicherer Erfolg gegen Kahl¬ 
köpfigkeit versprochen wird, ein Arzt oder die Aerztekammer 
keinen Strafantrag stellen, das müsste ein Friseur tun. Dagegen 
ist Haarausfall eine Krankheit. Doch ist hier eine Verurteilung 
auf Grund der Kaiserlichen Verordnung über den Verkehr mit 
Arzneimitteln nicht mehr möglich, da nach der neuesten Verord¬ 
nung kosmetische Mittel (Mittel zur Reinigung, Pflege oder Fär¬ 
bung der Haut, des Haares oder der Mundhöhle) auch als Heil¬ 
mittel verkauft werden können. 

In Betracht kommt endlich noch die infolge Ministerial - Er¬ 
lasses vom 6. Juni 1902 ('s. Beilage zu Nr. 15 der Zeitschrift, 
Jahrg. 1902, S. 199) in allen Regierungsbezirken erlassene Po¬ 
lizeiverordnung über die Anzeigepflicht der Kurpfuscher 
und das Verbot prahlerischer, auf Vortäuschung berech¬ 
neter Anpreisungen von Behandlungsmethoden usw. Ziffer 8 
dieser Polizeiverordnung verbietet Personen, welche, ohne appro¬ 
biert zu sein, die Heilkunde gewerbsmässig ausüben, öffentliche 
Anzeigen, sofern diese über Vorbildung, Befähigung oder Erfolge 
dieser Personen zu täuschen geeignet sind oder prahlerische Ver¬ 
sprechungen enthalten. Ziffer 4 verbietet weiterhin die öffentlichen 
Ankündigungen zur Heilung von Krankheiten, wenn den ange¬ 
kündigten Gegenständen, Vorrichtungen, Verfahren oder Mitteln 
besondere über ihren wahren Wert hinausgehende Wirkungen bei¬ 
gelegt werden usw. Wegen solcher prahlerischen Versprechungen 
sind hier bereits mehrere Verurteilungen erfolgt. 

So hatte ein Kurpfuscher annonciert: „Schnellste Hülfe für innere, 
äussere und chronische Leiden.“ Das Gericht nahm an, dass mit den Worten 
„Schnellste Hülfe usw.“ hat gesagt werden sollen, der Angeklagte könne und 
werde'den Kranken, die sich an ihn wenden, durch Heilung oder doch Besse¬ 
rung in schnellster Weise helfen. Der Angeklagte behaupte, schneller als 
andere die Kranken heilen zu können, so dass über die Erfolge des Ange¬ 
klagten die Annonce zu täuschen geeignet sei. Sie enthalte aber auch prahle¬ 
rische Versprechungen; letztere sind in der Superlativfora gefunden worden, 
die dazu geeignet ist, Leichtgläubige zu betören und den Angeklagten mit 
seiner Tätigkeit in ein hellstrahlendes Licht zu setzen. Das aber sei gerade 
das Wesen der Prahlerei. 

Wie gemeingefährlich die Kurpfuscherei ist, kann man auch 
daraus erkennen, dass gerade die nicht approbierten Heilkünstler, 
welche sich am hartnäckigsten vordrängen, häufig vielfach vor¬ 
bestrafte Persönlichkeiten sind; manche haben sogar schon 
mit dem Zuchthause Bekanntschaft gemacht. Will man die Kur¬ 
pfuscherei als solche nicht überhaupt verbieten, so wäre doch 
wenigstens zu wünschen, dass Personen, welche, ohne dazu appro¬ 
biert zu sein, die Heilkunde gewerbsmässig ausüben oder ausüben 
wollen, dieser Gewerbebetrieb untersagt werden könnte, wenn 
Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbe¬ 
treibenden in bezog auf den Gewerbebetrieb dartun, damit nicht 
die Gesundheit der Mitmenschen Personen anvertraut wird, die 
schon wegen schwerer Vergehen und Verbrechen vorbestraft sind. 
Fraglich dagegen scheint mir ein Verbot der Anfertigung 



Dr. Status: Beitrag zur Verbreitung des Krebses. 


591 


von Kurpfuscher-Rezepten in den Apotheken und ein Ver¬ 
bot der brieflichen Behandlung, wie sie der Königsberger Aerzte- 
t&g in Anregung bringt. Ausserdem wäre es schwer zu kon¬ 
trollieren, ob diese Gebote nicht umgangen würden. Wirksamer 
wären vielleicht von den Behörden erlassene Warnungen gegen 
schwindelhafte Heilmethoden und Mittel. Auch müssten die Kur¬ 
pfuscher durch Polizeiverordnung gezwungen werden, ein Tage¬ 
buch zu führen, aus welchem Namen und Wohnung derjenigen 
Personen zu ersehen sind, denen sie Hilfe geleistet haben und 
die Veranlassung, wie auch Zeit und Art der Hilfeleistung. 

Um noch einige statistische Angaben zu machen, so kommen in 
Magdeburg auf 190 Aerzte etwa 19 Kurpfuscher, die den Gewerbe¬ 
betrieb angemeldet haben, so dass ein Kurpfuscher ein zehnmal 
so grosses Terrain hat, wie ein Arzt. 

In einem Jahre kamen bei einer Einwohnerzahl von etwa 
230000, soweit der Gerichtsarzt davon Kenntnis erlangt hat, an 
Kurpfuscherprozessen vor wegen: 

„Fahrung eines arztähnlichen Titels".3 

„Uebertretung der Kaiserlichen Verordnung, betr. Verkehr mit 

Arzneimitteln".4 

„Uebertretung der Polizei Verordnung, betr. Geheimmittel" .... 2 

„Unlauteren Wettbewerb".10 

„Uebertretung der Polizeiverordnung, betr. Personen, welche, ohne 

approbiert zu sein, die Heilkunde aosttben*.5 

„Betrug“.2 

„fahrlässiger Tötung". 1 

„fahrlässiger Körperverletzung" .2 

Also zusammen 29 Prozesse, die sämtlich zur Verurteilung 
der betreffenden Kurpfuscher führten. 


Beitrag zur Verbreitung des Krebses. 

Von Oberamtsarzt Dr. Staues in Hechingen. 

In einer mir näher bekannten Gemeinde von ca. 600 Ein¬ 
wohnern sind in den letzten 30 Jahren 10 Personen an Krebs 
erkrankt: 

1. 1870 eine Frau an Brustkrebs, 

2. in der zweiten Hälfte der 70iger Jahre ein Hann an Nasen- und 
Gesiohtskrebs, 

3. in den ersten Jahren der 80ger Jahre die Schwester von Nr. 1 an 
Brustkrebs, 

4. zu Ende der 80ger Jahre eine Frau an Gebärmutterkrebs, 

5. Mitte der 90ger Jahre eine Frau an Magenkrebs, 

6. Ende der 90ger Jahre eine Frau an Magenkrebs, 

7. zu derselben Zeit eine Frau an Gebärmutterkrebs, 

8. 1901 der Sohn von Nr. 2 an Magenkrebs, 

9. in demselben Jahre ein Mann an SpeiserOhrenkrebs, 

10. im Jahre 1902 eine Frau an Lippenkrebe. 

Von diesen Personen stammen Nr. 1, 2, 3, 4, 7, 8 und 10 
von denselben Urgrosseltern ab. Ein reger persönlicher Verkehr 
bestand zwischen 1, 2 und 7; Nr. 7 war ein Geschwisterkind von 
Nr. 1 und 2; Nr. 1 war ausserdem die Taufpate der Kinder von 
Nr. 7. Nr. 7 und Nr. 10 waren Geschwisterkinder zu einander, 
Nachbarn und Gegenschwiegermütter, standen also natuigemäss 
ebenfalls in sehr regem Verkehr untereinander. 










592 Dr. Status: Beitrag rar Verbreitnag des Krebses. 

Nr. 5, 6 und 9 gehören nicht za der Krebsfamilie. Nr. 5 
war aber an einen Mann verheiratet, der in erster Ehe mit einer 
Frau aus der Krebsfamilie verheiratet war, hierdurch, und weil 
aus dieser Ehe noch Kinder vorhanden waren, blieb zwischen 
dieser Familie und der Krebsfamilie ein persönlicher Verkehr noch 
viele Jahre bestehen. Nr. 9 wohnte in unmittelbarster Nachbar¬ 
schaft von 5, ein reger persönlicher Verkehr zwischen diesen 
beiden Familien war also schon durch die Nachbarschaft gegeben. 
Ebenso wohnte Nr. 6 in unmittelbarster Nachbarschaft von Nr. 2 
und auch in der Nachbarschaft von Nr. 4. 

Die Krebsfälle sind über das ganze Dorf, das aus einem 
Unter- und einem Oberdorf besteht und sehr trocken liegt, gleich- 
mässig verteilt. Das Dorf ist sehr lang gestreckt, so dass die 
Nachbarschaft der Fälle um so mehr auffallen muss. 

Aus der Krebsgeschichte dieses Dorfes fällt besonders auf, 
dass von den 10 erkrankten Personen 7 einer Familie angehören, 
und alle Fälle untereinander durch verwandtschaftliche Be¬ 
ziehungen, persönlichen Verkehr und Nachbarschaft Zusammen¬ 
hang aufweisen. Als die Trägerin der Krankheit erscheint die 
Krebsfamilie, die eine grosse Disposition zu der Krankheit zu 
haben scheint und die Krankheit sowohl auf ihre Familienmit¬ 
glieder, als auf die in ihrer Nachbarschaft wohnenden, zu der 
Krankheit disponierten Personen übertragen hat. Besonders auf¬ 
fallend ist das wiederholte Auftreten mehrerer Fälle bei benach¬ 
barten, in einer verwandtschaftlichen Beziehung nicht zueinander 
stehenden Personen. Als ein Zufall kann dies nicht angesehen 
werden. Wenn ich hiermit die Beziehungen der Geisteskranken 
dieses Dorfes, die auch vorwiegend einer Familie angehören, zu¬ 
einander vergleiche, so fehlt hierbei dies nachbarliche Moment 
völlig. 

Will man hieraus einen Schluss über die Natur des Krebses 
ziehen, so kann nur ein infektiöser Charakter der Krankheit an¬ 
genommen werden. In dieser Annahme werde ich auch durch 
folgende Beobachtung, die ich in meinem Bezirk schon wiederholt 
gemacht habe, bestätigt. Der Krebs zeigt gar nicht selten ein 
epidemisches Auftreten, besonders in den kleineren Ortschaften. So 
sind z. B. in einer Ortschaft meines Amtsbezirks mit ca. 800 Ein¬ 
wohner im Jahre 1902 5 Todesfälle an Krebs vorgekommen, der 
vierte Teil der Krebstodesfälle des ganzen Bezirks, deren Zahl 
im letzten Halbjahr überhaupt eine auffallend grosse gewesen ist. 

Ueber die mutmasslichen Keime selbst ist zu sagen, dass 
diese sehr langlebig und widerstandsfähig sein müssen. Die Zeit¬ 
räume. welche zwischen zwei Fällen liegen, die aller Wahrschein¬ 
lichkeit nach in Zusammenhang miteinander stehen, können jahre¬ 
lang sein. Als Lieblingssitz des Krebses erscheint ferner der 
Magen, in dem so viele andere Krankheitskeime ihr Ende finden. 
Die Inkubationszeit scheint eine sehr verschiedene, und die Dis¬ 
position für die Erkrankung nach dem immerhin nur sporadischen 
Auftreten des Krebses eine sehr beschränkte zu sein. 

Aus dieser Zusammenstellung ergeben sich in bezug auf das 



Aas Versammlungen and Vereinen. 


693 


epidemiologische Verhalten des Krebses keine Anhaltspunkte für 
eine Bodentheorie oder Wassertheorie, sondern nur für eine kon- 
tagiöse Natur des Krebses. Da bei der Mehrzahl der Fälle die 
Nahrungswege den Sitz der Krankheit bilden, so würden als die 
Hanptvermittler der Krankheitskeime die Nahrungsmittel anzu¬ 
sehen sein, durch deren Verunreinigung das Krankheitsgift in den 
menschlichen Körper gelangt. 

Die Bekämpfung des Krebses hätte sich demnach aufznbanen 
auf seiner vermutlich kontagiösen Natur und dem Umstand, dass 
als die Hanptvermittler desselben die Nahrungsmittel erscheinen. 
Wir hätten also in jedem einzelnen Falle dafür fürs erste Sorge 
zn tragen, dass der erkrankte Mensch nicht der Ausgangspunkt 
zn weiteren Erkrankungen wird. Die Hauptwaffen hierbei sind 
frühzeitige Diagnose und Therapie, Isolierung, Desinfektion, Be¬ 
lehrung über die infektiöse Natur des Krebses u. s. w. Unheil¬ 
bare, offene Krebsfälle werden am besten in Pflegeanstalten unter¬ 
gebracht werden. Das zweite Hauptaugenmerk wäre auf die Ver¬ 
besserung der Ernährung zu richten, wobei zwei Ziele zu 
verfolgen sind: Einmal müsste vermieden werden, durch unzweck¬ 
mässige Ernährung einen geeigneten Boden für die Erkrankung 
zu schaffen, und anderseits müsste die Bevölkerung zn grösserer 
Sorgfalt und Reinlichkeit in bezug auf Auswahl, Aufbewahrung, 
Zubereitung und Aufnahme der Nahrungs- und Genussmittel er¬ 
zogen werden, um einer Infizierung durch diese möglichst vorzu¬ 
beugen; ein Ziel, das auch aus vielen anderen hygienischen 
Gründen erstrebenswert ist. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die offizielle Versammlung der Medlzinal- 
beamten des Beg.-Bez. Stade am 1%. November 190% im 
Kreishanse zn Geestemünde. 

Anwesend waren aas dem Beg.-Bez. Stade die Herren: Reg.-Präsident 
Frhr. v. Reiswitz, Reg.- a. Med.-Rat Dr.Nesemann, Reg.-Rat Hesterberg 
aas Stade nod Landrat Geiger aas Lehe, die Kreisärzte Dr. Elten-Frei- 
bnrg, Med.-Rat Dr. Ga eh de- Blamenthal, Dr. Ho che-Geestemünde, Dr. 
litt 11 e r - Rotenburg, Dr. Oek er-Verden, Dr. Saehrendt - Zeven, Geh. Med.- 
Rat Dr. Vogel-Stade and komm. Kreisarzt Oberstabsarzt Dr. Nothnagel- 
Lehe, Kreisassistenzarzt Dr. Ritter- Bremervörde and die amtsärztlich ge- 
prüften Aerzte Dr. Brack mann - Bremervörde, Dr. Gattmann-Otterndorf, 
Dj. Proelss-Scheessei. 

Ansserdem waren aof besondere Einladung des Herrn Regierungsprä¬ 
sidenten erschienen aas Hamborg: Med.-Rat Dr. Reineke, Prof. Dr. Dunbar 
und Hafenarzt Physikus Dr. Nocht; aas Bremen: Med.-Rat Dr. Focke, Reg.- 
Rat Dr. Tjaden, Direktor des hygienischen Instituts; ans Bremerhaven: 
Amtmann Hey er. 

Der Herr Regierungspräsident eröffnete die Versammlung unter 
Hinweis darauf, dass die Befürchtungen, welche man mit bezog auf eine bal¬ 
dige Wiederkehr der Cholera hegen müsse, Veranlassung zur Wahl der zur 
Verhandlung stehenden Themata gegeben habe; er übertrug sodann den Vor¬ 
sitz dem Regierangs- u. Medizinalrat. 

Es folgte das Referat des Dr. Ocker über die Frage: Welche sanitäts¬ 
polizeilichen Massnahmen sind zulässig oder geboten, falls die Cholera 
im Reg.-Bes. Stade auftritt oder denselben bedroht? 

Referent ging von der Cholera-Epidemie des Jahres 1892 aus, welche 


594 


Ans Versammlungen nnd Vereinen. 


den Reg.-Bez. Stade mit 164 Erkrankungs- nnd 88 Todesfällen in Hitleiden- 
scbaft zog. Er führte ans, dass wohl eine derartige Gefahr nicht wieder zn 
befürchten sei, dass aber der Reg.-Bez. Stade, welcher zwischen zwei der 
bedeutendsten Ströme des Reiches gelegen ist, stets zn den am meisten ge¬ 
fährdeten Teilen der prenssischen Monarchie gehöre nnd es daher geboten sei, 
sich jederzeit anf den Einbruch der Seuche gefasst zn halten. 

Er bezeichnete sodann die Dresdener Sanitätskonvention vom 
15. April 1893 nnd das Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfnng 
gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 1900 als die beiden 
bedeutsamsten Vorgänge anf dem Gebiete der Seuchenbekämpfung, 
erstere für die internationalen, letzteres für die inländischen Hassnahmen. 

Da Ansführnngsbestimmnngen betreffend die Cholera für das Reichs- 
senchengesetz noch nicht erschienen seien, müsse man z. Zt. noch anf den 
Ministerialerlass vom 8. August 1893 zurückgreifen, anch könnten die Bundes- 
ratsbesehlüsse, betreffend Anweisung znr Bekämpfnng der Pest, vom 3. Juli 1902 
zum Teil sinngemässe Anwendung finden. Nach kurzer Erwähnung derjenigen 
Hassnahmen, welche von den Landeszentralbehörden anzuordaen sind, besprach 
Referent eingehender an der Hand der dafür massgebenden Bestim¬ 
mungen erstens diejenigen Hassnahmen, welche im Regierungsbezirk beim 
Drohen der Cholera und zweitens diejenigen, welche beim Ansbrnoh 
derselben zu treffen sind. 

Im ersten Teil wurden nacheinander besprochen die Wasserentnahme- 
steilen, einschliesslich der Seen, Teiche nnd Flussläufe, Abführung der Schmutz¬ 
wässer, Behandlung der Abtritte und Abtrittsgruben, Desinfektionsapparate 
und Desinfektoren, sowie Bereitstellung von Desinfektionsmitteln, Bereitstellung 
von Unterkunftsräumen, wobei auf die Bereitwilligkeit des Zentralkomitees der 
Vereine vom Roten Kreuz, bei Notständen seine transportablen Baracken den 
Gemeinden zur Verfügung zu stellen, verwiesen wurde. Sodann wurden die 
Massnahmen, welche gegenüber solchen Personen, die aus Choleraorten zureisen, 
zulässig sind, sowie die weitergehenden Hassregeln gegen Obdachlose, Land¬ 
streicher, Zigeuner, Saisonarbeiter einer Besprechung unterzogen und schliesslich 
noch die öffentliche Bekanntmachung der vom Reichsgesundheitsamt aus¬ 
gearbeiteten Belehrung über das Wesen der Cholera u. s. w., die „Ratschläge 
für praktische Aerzte“ und die „Schutzmassregeln für die Schiffer“ als not¬ 
wendig gefordert. Im zweiten Teile wurde die Notwendigkeit der sofortigen 
Feststellung des ersten Falles dringliohst betont und die dem Kreisärzte ob¬ 
liegenden, zu diesem Zwecke geeigneten Hassnahmen wie Leichenöffnung, Ent¬ 
nahme und Versendung von Untersuchungsmaterial an die offiziellen Unter¬ 
suchungsstellen besprochen. 

Es folgten die Behandlung der Isolierung und des Transportes der 
Kranken, der Leichenbestattung nnd Wohnungs-Desinfektion, der Meldungen 
an die höhere Verwaltungsbehörde, des Verbots des Verkaufs von Nahrnngs- 
und Genussmitteln, der zulässigen Ausfübrungsverbote von gebrauchter Leib¬ 
wäsche, getragenen Kleidern, Hadern und Lumpen, Hassnahmen gegenüber den 
Schulen, Verbot der Hessen, Märkte und andere Volksansammlungen. 

Der Korreferent Dr. Hoche-Geestemünde besprach zunächst die beson¬ 
deren geographischen und geologischen Verhältnisse des Reg.-Bez. Stade nnd 
die daraus sich einerseits infolge der regen Benntzung selbst der kleinsten 
Wasserläufe als Transportwege, anderseits des Gebrauchs des Wassers von 
Gräben u. s. w. als Trinkwasser sich ergebende hochgradige Gefährdung der 
Bevölkerung bezüglich der Einschleppung von Cholera. Von diesem Gesichts¬ 
punkte aus ging er sodann auf die einzelnen, den Kreisärzten bei Cbolera- 
gefahr erwachsenden Aufgaben über und beschäftigte sich besonders mit der 
Kontrolle des Schiffsverkehrs in den Hafenorten, ferner mit dem Schutze der 
Anwohner der Wasserläufe duroh Belehrung einerseits, durch Beschaffung ein¬ 
wandfreien Wassers anderseits. In letzterer Beziehung wies er auf die durch 
die Bestimmungen des Reichsseuchengesetzes und der im Reg.-Bes. Stade gü¬ 
tigen Bauordnungen gegebenen Vollmachten hin. 

Hit Bezug auf die Tätigkeit dez Kreisärzte nach erfolgter Einschleppung 
der Cholera besprach er den Verkehr mit Nahrungsmitteln (MUch, Gemüse 
u. s. w.), ferner die Beschaffung von Pflegepersonal, von Unterkunftsräumen 
sowie von Desinfektoren nnd schloss nach kurzer Berührung der §§. 10, 12, 
14, 15, 18, 19, 21 des Reicbsgesetzes mit einem Hinweise auf die im Reg.- 



Aus Versammlungen and Vereinen. 


595 


Ben. Stade bereite gütigen, im Oesetee gleichfalls vorgesehenen, aber noeh 
nicht feetgelegten Bestimmungen Ober Leichentransporte n. s. w. in Choleraseiten. 

An diese Vorträge knüpfte sich eine lebhafte Diskussion. 

Der Vorsitzende wies darauf hin, wie noch im Jahre 1892 in betreff 
der gegen die Cholera zu ergreifenden Massregeln eine gewisse Unklarheit und 
Verwirrung geherrscht habe, und wie sich allmählich die Anschauungen Aber das 
Wesen und die Verbreitungsweise der Cholera dank den Forschungen R. Kochs 
geklärt und die zu ergreifenden Massregeln so wesentlich vereinfacht hätten. 
Das Gesetz, betr. die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten sehe eine 
Reihe von Massregeln schon fOr den Fall vor, dass eine Bedrohung durch eine 
gemeingefährliche Krankheit bestehe. Eine solche Bedrohung des Regie¬ 
rungsbezirks sei aber schon vorhanden, wenn in einem auswärtigen 
HafenCholera vorkomme. Die Gefahr sei dann zunächst eine imminente, 
sie kOnne aber sofort eine eminente werden, sobald ein Fall eingeschleppt 
sei. Daher gelte es bei Zeiten einen Mobilmachungsplan zn entwerfen. 
Vor allem müsse man alle Wege ins Auge fassen, auf welchen sich etwa die 
Cholera ausbreiten könne. Diese Wege seien uns im hiesigen Regierungsbezirk, 
in welchem der Unterleibstyphus nie ausgehe und von Zeit zu Zeit zu Epide¬ 
mien geführt habe, gewiesen, da die Cholera, wie auch Koch hervorhebt, 
dieselben Wege gehe, wie der Typhus. Ausser einer Prüfung und Ueber- 
waohung der Wasserentnahmestellen sei daher im Bezirk ganz beson¬ 
ders eine solche der Molkereien geboten. Im Reichsseuchengesetz werde 
direkt die Ausführung sacbgemässer Desinfektion verlangt, daher müsse eine 
Hauptsorge die Ausbildung guter Desinfektoren sein. Eine fernere 
Fürsorge betreffe die Krankenpflege und Beschaffung von Räumen 
für die Erkrankten, wenn man auch von der Einrichtung stationärer Ba¬ 
racken wegen des sprungweisen Auftretens der Cholera nach Koch wohl ab- 
sehen müsse. Der V or sitz ende berührte dann noch kurz die Punkte, welche 
bei der Versammlung der Regierungs- und Medizinalräte unter Leitung der 
Herren Ministerialkommissare im August in betreff der Cholera behandelt 
worden waren. 

Med.-Rat Dr. Reineke hält für die Verbreitung der Cholera den 
Landweg wichtiger als den Wasserweg. In Hamburg sei die Ver¬ 
schleppung wesentlich mit durch den Marktverkehr erfolgt, namentlich 
schienen Gemüse gefährlich zu sein. Bei verschiedenen Epidemien in Hafen¬ 
städten haben sich allerdings die Fälle auch um die Stellen gruppiert, wo das 
Ballastw&sser des Schiffes abgelassen worden sei, so auch in Hamburg. 

Regierungspräsident Frhr. v. Reiswitz erwähnt, dass am Rhein 1898 
zweimal die Cholera durch Flussschiffer eingeschleppt worden sei, einmal von 
Rotterdam her. Bei den zu ergreifenden Massregeln handele es sich 
1) um die schon ietzt zu treffenden, 2) um die beim Ausbruch der 
Cholera zu treffenden. Er geht dann in näherer Ausführung auf ein¬ 
zelne Punkte der Vorträge, so besonders die Ausbüdung der Desinfektoren, die 
Fürsorge für einwandfreies Trinkwasser und Regelung des Verkehrs auf den 
Flüssen ein. 

Dr. Proei es hält eine Verbreitung der Cholera durch Hausierer für 
möglich. 

Prof. Dr. Dun bar führt auf verschiedene Anfragen etwa folgendes ans: 
Die Rohrbrunnen schützen nicht vor jeder Infektionsgefahr, da 
das Wasser gewöhnlich auch seitlich in die Röhre eintreten kann, und man die 
Rohre oft unterhalb der Erde absebneide. Besonders lehrreieb war hierin eine 
Typhusepidemie in Wilbelmsburg bei Hamburg. Von den Ring- 
sementbrunnen ist zu verlangen, dass sie bis in eine tiefe Wasser¬ 
schicht, welche von dem Grundwasser durch eine Lehmschicht ge¬ 
trennt ist, geführt werden. Das Brunnenpnmprohr ist am besten seitlich 
abzuführen, der Rrunnenkrans bis 1 m über die Erde zu führen. 

Für die Desinfektion eines verseuchten Brunnens kommen 
naeh Fränkel Karbolsäure und Schwefelsäure in Betracht, es bleibe freilich 
der Geschmack; bei Anwesenheit einer Dampfmaschine empfehle sich auch 
Einleitung von Dampf. Das beste Mittel sei wohl zur Zeit der Chlor¬ 
kalk, welcher zu 1 °/ 0 der Gesamtmenge des Brunnenwassers zuzusetsen sei; 
der Geschmack verschwindet nach einer Stunde. 

Dr. Tjaden macht darauf aufmerksam, dass auch der Urin des Typhus- 



596 


Au Versammlungen and Vereinen. 


kranken infektiÖB and geeignet sei, die Bronnen na infizieren. Um etwaige 
unreine Zuflüsse za einem Bronnen heransxnfinden, empfehle er du Fluoreszin. 

Regierungspräsident Frhr. v. Beiswitz weist im Laafe der Debatte 
darauf hin, dass nach der Baupolizeiordnong für die Landgemeinden des Re* 
gierangsbezirks die Braunen schon so erhalten werden mttsaen, dass sie nicht 
gesandheitsgefäbrlich sind. 

Hafenarzt Dr. Nocht hält es für dringend geboten, dass den Schiffern 
an Land gutes Trinkwasser zur Verfügung stehe. In Hamborg sei 
es ihm gelangen, dieses za erzielen and die Schiffer auch an die Benutzung 
zu gewöhnen. 

Eine Anfrage von Dr. Ocker, ob man nicht die Kanalisation desinfi¬ 
zieren müsse, beantwortete Dr. Nesemann dahin, dass bei der Kanalisation 
etwa hineingelangte Krankheitskeime durch die kolossale Verdünnung unschäd¬ 
lich werden, Dr. Reinke dahin, dass die Desinfektion der Abgänge schon am 
Krankenbett einzusetzen habe. 

Dr. Nocht glaubt, dus die Flusskontrolle noch milder gehandhabt 
werden könne; namentlich sei die Ueberwachung der Reisenden auf den Lokal¬ 
dampfern nicht anders zu behandeln, als auf der Eisenbahn, nur die Mannschaft 
sei zu beobachten. 

Dr. Nothnagel erwähnt, dass 1892 im Rhein die Schiffe im Fahren 
überwacht worden seien mit nur geringer Verzögerung der Fahrt. 

Nachdem Herr Regierungspräsident Frhr. v. Reisswitz wegen not¬ 
wendiger Weiterreise sich von der Versammlung verabschiedet hatte und noch 
besonders den aus Hamburg und Bremen erschienenen Herren für ihr Erscheinen 
und ihre rege Teilnahme gedankt hatte, folgt das Referat von Dr. Gaehde 
über die Bestimmungen der §§. 74 (Wasserversorgung) und 76 (Rein¬ 
haltung der Wasserläufe) der Dienstanweisung für die Kreisärzte unter 
Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Regierungsbezirks 
Stade und führt etwa folgendes aus: 

Der §.74 der Dienstanweisung überträgt dem Kreisarzt die 
umfassende Aufgabe der Ueberwachung der Trinkwasserver¬ 
sorgung seines Bezirks. Er soll um eine ausreichende Versorgung mit gutem, 
einwandfreien Trinkwasser stetig bemüht sein. Die vorhandenen Wasserver- 
sorgungsanlagen, sowohl die zentralen, wie die Einzelbrunnen, unterstehen 
seiner dauernden Beaufsichtigung. Diese soll vorwiegend in einer Örtlichen 
Besichtigung, weniger in chemischer und bakteriologischer Untersuchung 
bestehen. 

Bei zentralen Anlagen wird indessen der Kreisarzt, welcher Wert 
darauf legt, dass sein Gutachten berücksichtigt wird, ohne eigene bakte¬ 
riologische Untersuchungen nicht auskommen. Storungen im Be¬ 
triebe lassen sich meist nicht durch das Auge erkennen, und wenn auch den 
Verwaltungen von Wasserwerken die bakteriologische Wasserkontrolle aufzu¬ 
geben ist, so wird doch der Kreisarzt nicht umhin können in dieser Richtung 
selbst tätig za sein, wenn er die Kontrolle in der Hand behalten will. 

Bei Brnnnenanlagen wird es leichter sein durch Besichti¬ 
gungen Schädlichkeiten aufzudecken. In wichtigen Fällen wird er indessen 
auch hier die chemische und bakteriologische Untersuchung nicht entbehren 
können, besonders wenn es sich um den Nachweis handelt, ob bereits eine 
Verunreinigung des Wassers eingetreten ist, bezw. auch ob eine einge¬ 
tretene Verunreinigung beseitigt ist. Vergleichende Untersuchungen 
mit Wasserbrunnen und vorausgegangene Analysen können hier Auf¬ 
klärungen geben. 

Der Reg.-Bez. Stade ist durch häufige über das ganze Jahr verteilte 
Niederschläge reichlich mit Wasser versorgt. Auf der Geest kommen für die 
gewöhnlichen Brnnnenanlagen 2 wasserführende Schichten in Betracht; 
eine sehr oberflächliche, die durch den Geschiebelehm der Gletscherzeit 
gebildet wird, und eine tiefere Sandschicht, welche über einer sehr weit ver¬ 
breiteten Tonschicht liegt. Der Geschiebelehm ist westlich der Elbe nur in 
einfacher Schicht abgelagert, aber nicht überall vorhanden, auch ist seine Durch¬ 
lässigkeit verschieden; das „Oberwasser“ fehlt daher häufig. Im Winter 
reicht sein Niveau oft bis nahe an die Oberfläche, im Sommer trocknet die 
Schicht oft aus. Das Wasser führt nur wenig gelöste Bestandteile. Das Wasser 
der tieferen Schicht ist fast überall zuerbohren, je nach der Höhenlage 



Ans Versammlungen und Vereinen. 


597 


in fast sicher in berechnenden Tiefe. Es ist erheblich härter, auch nicht 
immer wohlschmeckend, häufig von bitterlichem Nachgeschmack, der wohl anf 
den Gehalt von Chlormagnesium zu beziehen ist. 

Stellenweise, besonders bei Stade, treten tertiäre Schichten an die Ober¬ 
fläche, namentlich reicher Salzton. Auch sonst kommen lokale Abweichungen yor. 

Das Moor ist an den Talrändern auf dem präglazialen Sande aufge- 
waohsen. Durch Kanäle und Schiffgräben ist es bewohnbar gemacht. Die Be¬ 
wohner haben eich bisher mit diesem Grabenwasser begnügt, oder sie haben 
in der Nähe der Gräben im Torfboden Wasserlöcher oder Flachbrunnen 
angelegt, ln jüngster Zeit sind nicht selten Bammbrunnen eingeschlagen, 
die ein stark eisen- und ammoniakhaltiges Wasser liefern, das zwar 
wirtschaftliche Mängel besitzt, in gesundheitlicher Beziehung aber dem 
Grabenwasser weit voransteht. 

Schwieriger noch ist die Wasserversorgung in der Marsch. 
Die tonigen Schichten sind häufig mit Pflanzenresten gemischt (Darg). Das 
Wasser ist brackig uni meist ungeniessbar, nur selten finden sich Sandschiohten 
mit brauchbarem Wasser. Der arme Marschbewohner ist auf Grabenwasser 
angewiesen; der wohlhabendere, der in Häusern mit fester Bedachung wohnt, 
benutzt auch in Zisternen gesammeltes Regenwasser. 

5 Städte: Stade, Horneburg, Leehe, Geestemünde und Verden besitzen 
zentrale Wasserversorgung; das Wasser wird aus Grundwasserbecken der Geest 
bezogen. Alle übrigen Orte sind auf Hausbrunnen angewiesen. Neuere Brunnen¬ 
anlagen werden meist zur Zufriedenheit hergestellt, wenn auch in kleineren 
Orten von den Brunnenmachern, die nur Handwerker sind, häufig Fehler ge¬ 
macht werden. Auf dem Lande überwiegt der Ziehbrunnen. Auf der hohen 
Geest kann dieser der oft grossen Wassertiefe wegen noch nicht entbehrt 
werden. Nicht selten sind Ziehbrunnen, die ein hohes Alter anfweisen. Die 
Brunnen auf den Bauernhöfen sind meist recht unsauber und primitiv; die 
Steinritzen werden mit Moos verstopft, oft genug dienen Torfsoden als Bau¬ 
material. Hier Besserung zu schaffen, wird bei der sähen Bauernnatur viel 
Mühe machen. Die Baupolizeiordnnngen geben nur allgemeine 
Vorschriften und sind für bestehende Anlagen nicht anwendbar. 

Der §. 76 der Dienstanweisung eröffnet dem Kreisarzt ein 
neues Gebiet der Beobachtung: Die Ueberwachung der Flussver¬ 
unreinigung. Der Kreisarzt hat die Pflicht, selbständig die Ini¬ 
tiative zu ergreifen, sobald Misstände vorhanden sind. Die ministerielle 
Anweisung vom 20. Februar 1901 gibt darüber klare Anweisung. In dieser 
Richtung wird die Tätigkeit des Kreisarztes im wesentlichen eine beobachtende 
sein. Nur selten wird er in der Lage sein, eigene chemische und bakteriologi¬ 
sche Untersuchungen anzustellen, leichter noch wird es ihm gelingen, Fauna 
und Flora mit dem Mikroskop zu beobachten. Bei den Ortsbesichtigungen und 
Begehungen der Flussufer wird er die Einlassstellen aus industriellen Anlagen, 
Kanälen u. s. w. zu beachten haben und sich über die Zusammensetzung der 
Abwässer Aufklärung zu verschaffen suchen; besonders wird er dem Einlass 
von Fäkalien seine Aufmerksamkeit zu widmen haben. 

Natürliche Verunreinigungen finden sich im Bereich der Ebbe und Flut 
durch Aufwirbelung von Schlick, auch das organische Plankton ist in den 
grossen Strömen recht reichlich. Die den Flüssen und Bächen anwohnende 
Bevölkerung ist sehr geneigt, die Haushaltungsabfälle den Flussläufen zu über¬ 
geben. Aborte und Dttngerstätten liegen oft in der Nähe der Wasserzüge und 
führen die Jauche diesen zu. Die Baupolizei Verordnungen verbieten den Ein¬ 
lass von Jauche und Fäkalien nur innerhalb der Ortschaften. 

Der Korreferent Dr. Ritter schildert im speziellen die Trinkwasser- 
verhältniese im Regierungsbezirk. Er bespricht zunächst die Wasserver¬ 
sorgung auf der Geest und hält die Qualität des Wassers sowohl über der 
ersten, wie über der zweiten undurchlässigen Bodenschicht für hygienisch 
einwandfrei, wenn nur die Art der Brunnenanlage überall eine gute 
wäre. Er bespricht sodann die Verhältnisse in den Marschen (Zisternen 
und Oberfläohenwasser) und in den Moorgebieten, wobei er zwischen 
Binnen- und Randmooren unterscheidet. Letztere liegen in den Fluss¬ 
niederungen. Ihre Bewohner sind nur anf Oberflächenwasser ange¬ 
wiesen. Br ist der Ansicht, dass in diesen Gegenden die Bestimmung der 
Baupolizeiverordnung für die Landgemeinden vom 1. Januar 1891, wo- 


696 


Tagesnachrichten. 


nach jedes Wohngebäude einen eigenen Abort haben muss, mit 
besonderer Soh&rfe durchgeführt werden muss, da in ihnen eine Vernnreinignng 
der Öffentlichen Wasserläufe mit besonderen Gefahren verbanden ist. 

Sodann geht er noch anf die Untersaohangsarten ein; er ist, gestützt 
anf eine grossere Zahl von Brunnenuntorsuchungen, der Ansicht, dass in der 
Regel die lassere Besichtigung aasreicht, dass die bahteriologische 
Untersuchung aomeist die Resultate der Besichtigung bestätigt 
and nar in wenigen Aasnahmefällen Schäden anfdeckt, die daroh die Be¬ 
sichtigung nicht klargestellt waren. Die ohomisohe Untersuchung der 
Brannenwässer zeigt namentlich in Moorgegenden meistens eine sehr erheb¬ 
liche Uebersohreitnng der üblichen Grenzwerte (Ammoniak, or¬ 
ganische Substanzen and Chlor), ohne dass dies eine hygienische Be¬ 
deutung hat. 

Der Vorsitzende hält die Verhältnisse in den Marschen, wo vielfach 
aas denselben Wasserläufen, in weiche die Dejektionen entleert werden, Wasser 
za Trink- and Haushaltungszwecke geschöpft werde, für besonders tibelständige 
and einen circalas vitiosas vorliegend, wie er beim Aaftreten der Cholera, des 
Typhös usw. nicht schlimmer gedacht werden konnte. Hier sei es Pflicht des 
Kreisarztes in Gemeinschaft mit dem Landrat, Besserangen darchzasetzen. 

Bei der Begutachtung einer Wasserentnahmestelle lege er den Haupt- 
nachdraek auf die Örtliche Besichtigung, die festzastellen habe, ob die 
Entnahmestelle äasseren Veranreinigangen zugänglich sei. Die chemische und 
bakteriologische seien unter Umständen aber anch als Index für das Vor¬ 
handensein von Veranreinigangen wertvoll. 

Aach Quellwasser, namentlich das aas den Wiesen kommende, sei 
nicht immer einwandfrei. 

Die Debatte erstreckt sich dann noch auf einige, mehr nur ein lokales 
Interesse beanspruchende Pankte. Dr. Ga eh de wünscht, dass eine gedruckte 
Anweisung über die bei der Anlegung von Bronnen za berücksichti- 
gendea Pankte an die Gemeinden versandt würde. Auf Wunsch des Vor¬ 
sitzenden erklären sich Dr. Gaehde and Dr. Ritter bereit, eine derartige 
Anweisung auszuarbeiten. Hiermit schliesst die Versammlung. 

Dr. Nesemann-Stade. 


Tagesnachrichten. 

Von dem Grundsätze aasgehend, dass durch gemeinsame Arbeit aller 
Nationen die Aufgaben und Bestrebungen der Schulhygiene erleichtert und ge¬ 
fordert werden, sollen jetzt auch internationale Kongresse für Schul¬ 
hygiene ins Leben gerufen werden und diese alle drei Jahre tagen. Der 
erste Kongress soll an den sechs Tagen der Woche nach Ostern des Jahres 
1904 in Deutschland und zwar in Nürnberg stattfinden. Mitglied des Kon¬ 
gresses kann jeder werden, der für die Förderung sohulhygienischer Bestrebungen 
Interesse besitzt. Der Beitrag ist auf 20 Mark festgesetzt. Der Kongress 
wird folgende Abteilungen haben: 1. Hygiene der Schulgebäude und ihrer Ein¬ 
richtungen. 2. Hygiene der Internate. 3. Hygienische Untersuchungsmetboden. 
4. Hygiene des Unterrichts und der Unterrichtsmittel. 5. Hygienische Unter¬ 
weisungen der Lehrer und Schüler. 6. Körperliche Erziehung der Schuljugend. 

7. Krankheiten und Kränklichkeitszustände und ärztlicher Dienst in den Schulen. 

8. Hilfsschulen für Schwachsinnige, Parallel- und Wiederholungskurse, Stotter- 
kurse, Blinden- und Taubstnmmenschulen, Krüppelschulen. 9. Hygiene der 
Schuljagend ausserhalb der Schule, Ferienkolonien und Organisation von Eltern¬ 
abenden. 10. Hygiene des Lehrkörpers. Dem permanenten internationalen 
Komitee gehören aus Deutschland als Mitglieder an: Griesbach-Mühl¬ 
hausen i.E., A. Baginsky, Hoffa, A. Eulenburg-Berlin, H. Cohn- 
Breslau und Finkler-Bonn. 


Von der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder ist ein Preisaus¬ 
schreiben ergangen für ein kurz gefasstes und gemeinverständ¬ 
liches Plakat über die Notwendigkeit und Nützlichkeit des 









Tagesnachrichten. 


599 


regelmässigen Badens. Der Inhalt soll sich auch znm Abdruck als Flug¬ 
blatt eignen und einerseits zur Belehrung der Bevölkerung Überall da dienen, 
wo Badegelegenheiten vorhanden sind, anderseits dazu anregen, solche zu schaffen. 
Für die drei besten Arbeiten sind drei Preise ausgesetzt: 200 Mark als erster, 
150 Mark als zweiter und 100 Mark als dritter Preis. Die Entwürfe sind (mit 
einem Kennwort versehen) spätestens bis zum 30. September 1903 an die Ge¬ 
schäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder in Berlin NW., Karl¬ 
strasse 19, einzusenden. Dasselbe Kennwort ist auf einen verschlossenen Brief¬ 
umschlag, welcher den Namen und Wohnort des Verfassers enthält, zu setzen. 
Die preisgekrönten Entwürfe werden Eigentum der Gesellschaft, welcher die 
Verwertung im Sinne ihrer gemeinnützigen Bestrebungen zusteht. Die übrigen 
Entwürfe werden den Verfassern auf Wunsch zurückgesendet. 


Berichtigung. In Nr. 15, S. 560, Zeile 14 von unten lies „unge¬ 
säuertem“ statt „angesammeltem“ Wasser; und Zeile 1 von unten: „Jod-Jod¬ 
kalilösung" statt „Jodkalilösung“. 


Preussischer Medizinalbeamtenverein. 

Die Vereinsmitglieder werden nochmals auf die am Sonnabend, den 
12. September 1903 in Halle a.|S., „Grand-Hötel Bode“, 
Magdeburger - Strasse, nahe am Bahnhof Btattfindende 

XX. Hauptversammlung 

aufmerksam gemacht. 

Tagesordnung: 

Freitag, «len 11. September: 

8 Uhr Abends: Begrfiesnng im „Grand-Hötel Bode“ (mit Damen). 

Sonnabend, den 1Ä. September: 

9 Uhr Vormittags: Sitsong im Feeteaal des „Grand-Hötel Bode“. 

1. Eröffnung der Versammlung. 

2. Geschäfts- und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren. 

3. Praktische Erfahrungen bezüglich der Dienstanweisung der Kreis¬ 

ärzte, Insbesondere betreffs Ortsbesichtigrungen und Jahres¬ 
berichte. Referenten: H. Kreisarzt Dr. Scnäfer in Frank¬ 
furt a. 0. nnd H. Kreisarzt Dr. Herrmann in Bitterfeld. 

4. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren. 

5. Ueber die gerichtsärztliche Benrteilnng der Epilepsie. Referent: 

H. Gerichtsarzt Dr. Neid har dt in Altona. 

Maoh Sohluss der 8itznng : Besichtigung des Knappschafts- 
Krankenhauses Bergmannstrost (Mersebnrgerstrasso 59 ). 

6 Uhr N&ohmittags: Festessen (mit Damen). 

Bestellungen auf Wohnung sind an den Schriftführer, H. 
Kreisarzt n. Med.-Rat Dr. Fielitz-Halle a./S. möglichst rechtzeitig unter 
Angabe der gewünschten Preislage oder anch direkt an das „Hötel Bode“ 
zu richten. Hier stehen Zimmer in grosser Anzahl zur Verfügung; der ver¬ 
einbarte Preis beträgt im I. Geschoss: 3,50 Mark für 1 Person, im II. Geschoss: 
3 Mark und im III. Geschoss: 2,50 Mark. Frühstück: 1 Mark. 

Die verehrlichen Mitglieder werden dringend ersucht, alsbald nach 
ihrer Ankunft in Halle sich im Anmeldeburean im .,Grand - Hötel 
Bode“, Magdeburgerstrasse 65 zu melden, um daselbst ihre Namen in die 
Präsenzliste eintragen zu lassen. Dasselbe ist geöffnet Freitag, den 
11. September von Nachmittags 4 Uhr bis Abends 11 Uhr, &m Sitzungs¬ 
tage von Vormittags 8 Uhr bis nach Schluss der Sitzung. 

Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins. 

Im Anftr.: Dr. Rapmund, Vorsitzender, 

Reg.- u. Geh. Med.-Rat In Minden. 



Deutscher Medizinalbeamten - Verein. 

Die Vereinsmitglieder werden nochmals aal die am 14. und 15. Sep¬ 
tember 1903 in Laeipzig im Gartensaal des Zoologischen 
Gartens 1 ) (Hingang von a«r Pfattendorferstrasse) stattfindende 

Zweite Hauptversammlung 

aufmerksam gemacht. 

Tagesordnung: 

Sonntag, «len 13. September. 

8 Uhr Abende: Gesellige Vereinigung zur Begrttssung im Garten¬ 

saal des Zoologischen Gartens (mit Damen.) 

Montag, den. Id» September. 

9 Uhr Vormittags: Erste Sitzung (Gartensaal des Zoolog. Gartens). 

1. Eröffnung der Versammlung. 

2. Geschäfts- und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren. 

3. Die reichsgesetzliche Regelung des Irrenwesens. Referenten: H. 

Landesrat Dr. Vorster in Düsseldorf, H. Geh. Med.-Rat Dr. Weber, 
Direktor der Heil- und Pflegeanstalt in Sonnenstein nnd H. Reg.- u. 
Med.-Rat Dr. Rnsak in Köln. 

Hittagessen nach freier Wahl, am besten im Zoologischen Garten, 
da von hier aus 3*/• Uhr Nachmittags die Besichtigungen (nach Wahl): 
Kläranlage der Stadt Leipzig auf der Staxwlese oder Ent- 
eiaenungsanlage der 8tadt Leipzig am Napoleonstein, daran 
schliessend „Hermann-Haus“, UnfallnerYenklinik der Sächsischen 
Baugewerks- Berufsgenossensch&tt, oder Heil- nnd Pflegeanstalt der 
8tadt Leipzig in Dösen stattfinden sollen. 

7 Uhr Naohmlttags: Festessen mit Damen im Gartensaal des Zoologischen 
Gartens (Preis des trocknen Gedeckes 3 Mark). 

Dienstag', den IS. September. 

0 Uhr Vormittags: Zweite Sitzung (Gartensaal des Zoolog. Gartens). 

1. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrerisoren. 

2. Verhütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten durch die 

Schalen. Referenten: H. Prof. Dr. Leabnscher, Reg.- and Med.- 
Rat in Meiningen nnd H. Reg.-Rat a. D. Prof. Dr. Tj&den, Direktor 
des bakteriologischen Institnts in Bremen. 

3. Beiträge zur pathologischen Anatomie der Kohlenoxidvergiftung. 

Referent: H. Kreisarzt Dr. Sch&ffer in Bingen a. Rh. 

4. Die Photographie im Dienste der gerichtlichen Medizin. (Mit De¬ 

monstrationen.) Referenten: H. Proi. Dr.Strassmanc in Berlinn.H. 
Dr. Arth. Schulz, Assistent am Institut für Staatsarzneikunde in Berlin. 
Wohnungen werden am besten direkt bestellt; empfehlen werte Bötels 
sind: Hötel Han ff e am Rossplatz: Zimmer von 3,50 M. an, Frühst. 1,40 M., 
Hötel Prasset, Rossplatz 7: Z. von 3,00 — 7,50 M., Frühst. 1,25 M., Hötel 
Kaiserhof, Georgiring 7a: Z. von3—7 M., Frühst. 1,25M., Hötel Sedanf, 
Blücherstr. 1: Z. von 2,50—6 M., Frühst. 1,26 M., Hötel de Rnszie, Peterstr. 
20: Z. von 2,50—3,50 M., Frühst. IM., Hötel de Polognef, Hainstr. 16/8: 
Z. von 2,50—5 M., Frühst. 1 M., Hötel Hentschel, Rossstr. 1: Z. von 2,50 M. 
an, Frühst. IM., Hötel Stadt Rom, Georgiring 18: Z. von 2,50—8,60 M., 
Frühst. IM., Hötel Palmbaum*, Gerberstr.3: Z. von 2—4M., Frühst. 1 M., 
Hospiz des ev. Vereinshauses, Rossstr. 19 Z. von 1,50 M. an. f Bötels 
des Deutschen Offizier - Vereins. * Hötels des Waarenhauses für deutsche Beamte. 

Die verehrlichen Mitglieder werden dringend ersucht, alsbald nach 
ihrer Ankunft in Leipzig sich im Anmeldebure&u lm Gartensaal das 
Zoologisohen Gartens, Pfaffendorferstrasse, zu melden. Dasselbe ist ge¬ 
öffnet Sonntag, den 13. September von Nachmittags 4 Uhr bis Abends 
11 Uhr , an den Sitzungstagen von Vorm. 8 Uhr bis nach Schluss der Sitsnng. 

Auskünfte erteilt bereitwilligst der Schriftführer Med.-Rat n. Bezirks- 
arzt Dr. Flinzer in Planen i/Vogtl. 

Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereins. 

Im Anftr.: Dr. Rapmand, Vorsitzender, 

Reg.- u. Geh. Med.-Rst in Minden. 

*) Gegen Lösung einer Karte zum Preise von 90 Pf. haben die Theil- 
nehmer für die Versammlnngstage freien Eintritt in den Zoologischen Garten . 

Vorantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-n.Geh.Med.-Rat in Minden L W- 

J. O. 0. Brau, Herzog). Slaoh. u. F. Sch.-L. Hofbachdruckerei ln Min den. 



















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lg. Jahrg. 


Zeitschrift 


1903. 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt fir geriehtüehe Medizin und Psychiatrie, 
fir ärztliche Säehyerstindigeutatigkeit in Unfall- und Invaüditätssaehen, sowie 
fir Hygiene, oYentl. Sanitätswesen, Medizinal - Gesetzgebung und Rechtsprechung. 

Herausgegeben 

Ton 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Regierangi- and Geh. Medlrinalrat in Sünden. 


Verlag von Fiseher’s mediz. Bnehhandlg., H. Kornfeld, 

Heraogl. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inierato nehmen die Verlnfehendlonf sowie olle Annoncenexpeditionen des In* 
and Auslandes entgegen. 


Nr. 17. 


Erscheint am 1« und 15« Jedem Monats 


1. Septbr. 


Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 

Reformgedanken von Dr. Placzek-Berlin. 

(Fortsetzung.) 

Wir kommen nun zur 

inneren Besichtigung. 

Ueber deren Gang geben die Regulative folgende allge¬ 
meine Bestimmungen: 

Preneeen: „§. 14. Behufs der inneren Besichtigung sind die drei 
Haupthöhlen des Körpers, Kopf-, Brust- und Bauchhöhle zu öffnen. 

In allen Fällen, in welchen von der Oeffnung der Wirbelsäule oder ein¬ 
zelner Gelenkhöhlen irgend erhebliche Befunde erwartet werden können, ist 
dieselbe nicht zn unterlassen. 

Besteht ein bestimmter Verdacht in Bezug anf die Ursache des Todes, 
so ist mit derjenigen Höhle zn beginnen, in welcher sich die hauptsächlichsten 
Veränderungen vermuten lassen, andernfalls ist zuerst die Kopf-, dann die 
Brust- und zuletzt die Banohhöhle zn öffnen. 

In jeder der genannten Höhlen sind zuerst die Lage der in ihr befind¬ 
lichen Organe, sodann die Farbe und Beschaffenheit der Oberflächen, ferner ein 
etwa vorhandener ungehöriger Inhalt, namentlich fremde Körper, Gas, Flüssig¬ 
keiten oder Gerinnsel, und zwar in den letzteren beiden Fällen nach Mass bezw. 
Gewicht zn bestimmen, nnd endlich ist jedes einzelne Organ äusserüch nnd 
innerlich zn untersuchen.“ 

Bayern: „§. 13. Stimmt mit dem vorstehenden §. 14 des prenssischen 
Regulativs ttberein mit Ausnahme des Schlusssatzes, der hier lautet: „die 
Brust- nnd Bauchhöhle nnd znletst den Kanal der Wirbelsäule an öffnen“. 

„§. 20. Die Eröffnung des Kanals der Wirbelsäule hat in der Begel 
von der Rückseite her zn erfolgen. Ist nicht zn befürchten, dass durch das 
Liegen anf der Bauchseite das Resultat der Untersuchung der Brust- nnd 
Bauchhöhle gefährdet wird, so ist es vorteilhaft, die Eröffnung der Wirbelsäule 
vor der Sektion des Halses, der Brust nnd des Bauches zn unternehmen, weil 











602 


Dr. Pl&czek. 


nach derselben der erforderliche Widerstand snr Eröffnung des Wirbelkanals, 
insbesondere durch einen Meissei, fehlt and dieselbe dadurch wesentlich er¬ 
schwert wird. Dies ist weniger der Fall, wenn man sich des La er sehen 
Rhachiotoms bedienen kann.“ 

Sachsen: „§. 10. Die Sektion moss sich, soweit der Zastand der 
Leiche dies gestattet, stets aaf die Oeffnnng der Kopf-, Brast- and Bauchhöhle 
erstrecken (§. 89 St. P. 0.). 

In allen Fällen, wo von der Eröffnung der Wirbelsäule oder einseiner 
Gelenkhöhlen, sowie von der Freilegung der Knochen oder tief liegender Weich¬ 
teile der Extremitäten (Blutgefässe, Nerven usw.) irgend erhebliche Befände 
erwartet werden können, ist dieselbe nicht zu unterlassen. Bei vorhandenen 
Knochenbrüchen und Verrenkungen muss auf die verletzte Stelle eingeschnitten 
und der Einochen in der Ausbildung der Verletzung frei präpariert werden. 

g. 17. Die Oeffnnng der Wirbelsäule findet in Fällen, wo sie angezeigt 
ist, erst nach vollendeter Untersuchung der übrigen Körperhöhlen statt.“ 

Württemberg: „§. 18. Jede richterliche oder polizeiliche Leichen¬ 
öffnung hat ohne Ausnahme Kopf, Hals, Brust nnd Bauch (§. 89 der R. St. P. 0.) 
za umfassen. Die Eröffnung der Wirbelsäule oder einzelner Gelenke findet nur 
dann statt, wenn irgend erhebliche Befände erwartet werden können, immer 
aber erst am Ende der inneren Besichtigung, um deren Ergebnisse nicht zu 
trüben. Ebenso ist die Untersuchung von Venenthrombosen, Muskelabszessen, 
Phlegmonen usw. bis dahin aufzuschieben. Die genannten Körperteile sind in 
der Regel in der oben aufgeführten Reihenfolge zu untersuchen. 

ln den Fällen, in welchen ob von Wert ist, die Füllung der grossen 
Blutgefässe der Brust und deB Herzens genau zu erheben, wird die Brust zu¬ 
erst geöffnet. Finden sich schwere Verletzungen, oder sind sonst Gründe vor¬ 
handen, die wesentliche Todesursache oder sonst wichtige Zustände in einem 
der Teile za vermuten, so wird mit diesen begonnen. Zunächst sollen etwaige 
Veränderungen beschrieben werden, welche im äusseren Verhalten der Leiche 
seit der ersten Besichtigung eingetreten sind. 

Der Gang der nun folgenden anatomischen Untersuchung soll vom Allge¬ 
meinen zu den Einzelheiten fortsohreiten. Jedes Organ soll also nach seiner 
Lage, Grösse, Gestalt, Farbe, der Beschaffenheit seiner Oberfläche, seiner Kon¬ 
sistenz und seinem Gefüge untersucht werden. Dann folgt die Ermittelung 
seines inneren Znstandes, seines Inhalts (Gase, Flüssigkeiten, Gerinnsel) und 
unter Umständen der Nachweis fremder Körper. Die Menge der Flüssigkeit 
oder Gerinnsel soll, wenn sie erheblich genug ist, nach Mass oder Gewicht 
bestimmt werden. Endlich soll auch den Veränderungen der inneren Organe, 
welche erst nach dem Tode eingetreten sind (Leichenerscheinungen), die er¬ 
forderliche Aufmerksamkeit zugewendet, vor allem also die Verwechselung der¬ 
selben mit krankhaften Vorgängen vermieden werden.“ 

Sachsen- Weimar -Eisenach: „§. 16. Die Oeffnnng der Körper¬ 
höhlen und die Untersuchung der in ihnen enthaltenen Organe hat nach dem 
Verfahren zu erfolgen, welches die pathologische Anatomie lehrt. 

§. 17. Die Oeffnung muss sieb, soweit der Zustand der Leiche dies ge¬ 
stattet, stets auf die Kopf-, Brust- und Bauchhöhle erstrecken. (§. 89 der R. 
St. P. 0.) Von der Oeffnung der Rückgratshöhle ist nur in den Fällen absu- 
sehen, in welchen der Befand der drei Haapthöhlen genügenden Aufschluss 
gegeben hat, oder die Untersuchung der Rückgratshöhle keinen irgend erheb¬ 
lichen Befund erwarten lässt. Die Untersuchung jeder Höhle hat mit der Fest¬ 
stellung der Lage der Organe, der Beschaffenheit ihrer Oberfläche, der Art und 
gegebenen Falles der Menge etwaigen ungehörigen Inhalts zu beginnen. 

§. 18. Ist die Todesursache nach der Leichenschau ungewiss, so ist mit 
der Untersuchung der Kopf- bezw. Rückgratshöhle zu beginnen, diejenige der 
Brust- und Bauchhöhle anzuschliossen. Liegen Gründe zur Annahme einer be¬ 
stimmten Todesursache vor, so ist mit der Untersuchung derjenigen Körperböhle 
zu beginnen, welche den entscheidenden Befand verspricht, insbesondere bei 
Verdacht auf Erstickung mit der Brusthöhle, bei Verdacht auf Vergiftung mit 
der Bauchhöhle.“ 

Baden (§. 32 der Dienstanweisung und §. 2 der Vorschriften), Meck¬ 
lenburg - Schwerin (§. 12), Mecklenburg - Strelitz (§. 7), Anhalt (§. 11), 
Braunschweig (§.8), Schwarzburg - Sondershausen (§.14) stimmen 
mit Preussen überein. 



Ein deutsches geriehtstrztliches LeiehenSffhnngsrerfahren. 603 

Alle diese „allgemeinen Bestimmungen für die innere Be¬ 
sichtigung“ geben bindende präzise Vorschriften über die Reihen¬ 
folge, in der die Körperhöhlen eröffnet werden sollen. Auffallend 
ist nur, dass der Zeitpunkt der Eröffnung der Rücken¬ 
markshöhle nicht gleich scharf bestimmt ist. Württemberg 
allein gibt an, dass diese Eröffnung nur dann stattfinden soll, 
„wenn irgend erhebliche Befunde erwartet werden können, immer 
aber erst am Ende der inneren Besichtigung, um deren Ergebnis 
nicht zu trüben“. Aehnlich lautet Sachsen-Weimar-Eisenach. 

Ob das im Hinblick auf die relativ seltene Notwendigkeit 
der Eröffnung dieser Körperhöhle geschieht, weise ich nicht. Ver¬ 
wunderlich wäre es; denn einerseits handelt es sich um eine 
selbständige Körperhöhle, anderseits kann das Ergebnis ihrer Er¬ 
öffnung gleich bedeutungsschwer wie das der anderen Höhlen sein. 

Die Regulative begnügen sich alle mit einer Angabe, wann etwa 
von einer Eröffnung der Wirbelsäule abzusehen ist. Preussen 
und Baden wünschen, dass sie nicht unterlassen werde, wenn 
irgend erhebliche Befunde erwartet werden können. Den Zeit¬ 
punkt der Sektion der Rückenmarkshöhle findet Puppe am zweck- 
mässigsten „nach derjenigen der Bauchhöhle“. Ob das Sektions¬ 
ergebnis dann unter jenes der Bauchhöhle kommt, und mit deren 
arabischen Zahlen weiter fortgeführt wird, oder als Sondergruppe 
nach der Bauchhöhle, sagt er nicht. Strassmann eröffnet 
die Rückenmarkshöhle gleichfalls nach der Bauchhöhle und rubri¬ 
ziert es unter III; nur wenn der wichtigste Befund in der 
Rückenmarkshöhle erwartet werden kann, wird sie am Beginn der 
„Inneren Besichtigung“ eröffnet. Entres gibt als Schema bei 
Verletzung der Wirbelsäule und des Rückenmarks: 

A. Aenssere Besichtigung. 

B. Innere Besichtigung. 

I. Kopf- und Bückenmarkshöhle. 

a. Kopfhohle; b. Bückenmarkshöhle. 

Diese Rubrizierung entspricht auch der vorher mitgeteilten 
Bayerischen Instruktion (§. 20), die allerdings auch den Fall 
vorsieht, dass die Eröffnung der Wirbelsäule von vorn durch Ent¬ 
fernung der Wirbelkörper notwendig wird (§. 20, Abs. 4): 

„Was dann natürlich erst nach der ErOffnnng der Brnst- nnd Bauch¬ 
höhle and Entfernang der in denselben gelagerten Organe, sowie aach der 
Halsorgaue geschehen kann.“ 

Hier ist mir nur das für diese Eventualität vorgesehene 
Schema, wie es Entres gibt: „I. Kopfhöhle. II. Brust- und Bauch¬ 
höhle. b. Rückenmarkshöhle“, nicht recht verständlich. Soll hier 
Brust- und Bauchhöhle gemeinsam unter IIa rubriziert werden? 
Verständlicher erschiene a. Brusthöhle, b. Bauchhöhle, c. Rücken¬ 
markshöhle. 

Sachsen wünscht die Oeffnung der Wirbelsäule erst nach 
vollendeter Untersuchung der übrigen Körperhöhlen (§. 17). 

Württemberg fordert sie unter B gleich nach Eröffnung 
der Kopfhöhle, sagt aber nichts über die Bestimmung (§. 23). 
Nicht recht verständlich ist aber auch, dass dieselbe Instruktion 
im §.18 „die Eröffnung der Wirbelsäule .... immer aber erst 
am Ende der inneren Besichtigung“ fordert, „um das Ergebnis 



604 


Dr. Plaezek. 


nicht zn trüben“. Es ist das ein Widerspruch, der aus der In¬ 
struktion allein sich nicht erklärt. 

Sachsen-Weimar-Eisenach bestimmt den Zeitpunkt 
mit den Worten: 

„lat die Todesursache nach der Leichenschau ungewiss, so ist mit der 
Untersuchung des Kopfes bezw. der Rttchgratshöhle zu beginnen, diejenige der 
Brust- und Bauchhöhle anzuschliessen.“ 

Meiner Ansicht nach würde sich die Eröffnung der Bücken¬ 
markshöhle, wenn sie notwendig wird, am besten an die diejenige 
der Kopfhöhle anschliessen lassen. Das Protokoll würde dann 
«I. Kopf- und Rückenmarkshöhle: a. Kopfhöhle, b. Rückenmarks¬ 
höhle; II. Brust- und Bauchhöhle“ lauten. 

Nach diesen Erwägungen würde sich für das zukünftige 
Regulativ die für die innere Besichtigung geltende allgemeine Be¬ 
stimmung am besten in folgender Form empfehlen: 

Jede gerichtliche Leichenöffnung hat Kopf-, Brust- und 
Bauchhöhle zu umfassen, soweit der Zustand der Leiche es 
gestattet (§. 89 R. St. P. 0 .). Die Eröffnung der Wirbelsäule oder 
einzelner Gelenke findet nur dann statt , wenn irgend erheb¬ 
liche Befunde erwartet werden können; sie erfolgt dann im 
Anschluss an die der Kopf höhle. 

Die Oeffnung der Körperhöhlen und die Untersuchung der in ihnen ent¬ 
haltenen Organe hat nach dem Verfahren zu erfolgen, welches die pathologische 
Anatomie lehrt. 

Die Reihenfolge ist ein - für allemal: Kopf-, Br u st - und Bauch¬ 
höhle. Ist die Eröffnung der Rückenmarkshöhle nötig, so geschieht sie im An¬ 
schluss an die Kopf höhle. 

In jeder Höhle ist zunächst die Lage der in ihr befindlichen Organe, 
sodann Farbe und Beschaffenheit der Oberfläche, ferner ein etwa vorhandener 
ungehöriger Inhalt, namentlich Fremdkörper, Gase, Flüssigkeiten oder Gerinnsel, 
und zwar in den letzteren beiden Fällen nach Mass und Gewicht zu bestimmen, 
und endlich auch jedes einzelne Organ äusserlich und innerlich zu untersuchen . 
Auch Veränderungen der inneren Organe, welche erst nach dem Tode eingetreten 
sind (Leichenerscheinungen), soll die erforderliche Aufmerksamkeit zugewendet, 
vor allem also die Verwechslung derselben mit krankhaften Vorgängen vermieden 
werden . 

Wenn von Eröffnung einzelner Gelenkhöhlen sowie von dei Freilegung der 
Knochen oder der tiefliegenden Weichteile der Extremitäten (Blutgefässe, Nerven 
usw.) irgend erhebliche Befunde erwartet werden können, ist dieselbe nicht zu 
unterlassen. Bei vorhandenen Knochenbrüchen oder Verrenkungen muss auf die 
Verletzungsstelle eingeschnitten und der Knochen in der Ausdehnung der Ver¬ 
letzung frei präpariert werden“ 

Absichtlich möchte ich die Bestimmung fortgelassen sehen, 
dass mit der Körperhöhle begonnen werden soll, in der man die 
Haupttodesursache vermutet. Hierfür sehe ich keinen zwingenden 
Grund. Da mit der Eröffnung der hauptsächlich in Frage 
kommenden Körperhöhle die Vollständigkeit der Sektion nach 
keiner Richtung verkürzt werden darf, liegt hierfür gar kein An¬ 
lass vor. Zur Zeit ist das Verfahren hauptsächlich für Vergif¬ 
tungen notwendig. Da das hierbei gebräuchliche Verfahren aber 
zweifellos änderungsbedürftig ist, und zwar in einer Weise, dass 
dann Brust- und Bauchhöhle in regelrechter Aufeinanderfolge er¬ 
öffnet werden können, darf die Bestimmung fortfallen. 

Wenn wir jetzt zu den speziellen für die Sektion der Körper¬ 
höhle geltenden Bestimmungen übergehen, so wird sich schon der 



Bia deutsches gerichtsärztlir.hes Leiohenöffnungsverfahreu. 


605 


Raumersparnis wegen eine wörtliche Anführung der einschlägigen 
Paragraphen aller Regulative erübrigen. Für den hier ange¬ 
strebten Zweck wird es vollkommen genügen, wenn ich mich auf 
die wesentlichen Abweichungen beschränke und in einer Schluss¬ 
zusammenfassung bespreche, was beibehaltenswert oder änderungs¬ 
bedürftig ist. 

Für die Oeffnung der Kopfhöhle gilt in Preussen fol¬ 
gende Vorschrift: 

„§. 15. Die Oeffnung der Kopfhöhle geschieht, wenn nicht etwa Ver¬ 
letzungen, die so viel als möglich mit dem Messer umgangen werden müssen, 
ein anderes Verfahren gebieten, mittelst eines von einem Ohr znm anderen 
mitten über den Scheitel hingeführten Schnitte, worauf zunächst die weichen 
Kopfbedeckungen nach vorn und hinten abgezogen werden. 

Nachdem alsdann die Beschaffenheit der Weichteile und die Oberfläche 
der knöchernen Sohädeldecke geprüft worden, wird letztere durch einen Sägen- 
kreiaschnitt getrennt, abgenommen und sowohl die Schnittfläche und die Innen¬ 
fläche, als auch die sonstige Beschaffenheit des Schädeldaches festgestellt. 

Hierauf wird die äussere Oberfläche der harten Hirnhaut untersucht, der 
obere lange Blutleiter geöffnet und sein Inhalt bestimmt, sodann die harte 
Hirnhaut zuerst auf einer Seite getrennt, zurtlokgeschlagen und sowohl die 
innere Oberfläche derselben, als auch die Beschaffenheit der vorliegenden Ab¬ 
schnitte der weichen Hirnhaut untersucht. 

Nachdem dasselbe auch auf der anderen Seite geschehen ist, wird das 
Gehirn kunstgerecht herausgenommen, wobei sofort auf die Anwesenheit eines 
ungehörigen Inhalts am Schädelgrunde zu achten und die Beschaffenheit so¬ 
wohl der harten, als auch der weichen Hirnhaut am Grunde und an den Seiten¬ 
teilen zu ermitteln, auch das Verhalten der grösseren Arterien festzustellen ist. 

Nachdem auch die queren, und, falls ein Grund dazu vorliegt, die übrigen 
Blutleiter geöffnet sind und ihr Inhalt bestimmt worden ist, wird die Grösse 
und Gestalt des Gehirns ermittelt und endlich durch eine Reihe geordneter 
Schnitte die Untersuchung der einzelnen Hirnteile, namentlich der Grosshirn¬ 
hemisphären, der grossen Ganglien (Seh- und Streifenhttgel), der Vierhflgel, des 
Kleinhirns, des Gehirnknotens und des verlängerten MarkeB vorgenommen, 
wobei namentlich die Farbe, die Füllung der Gefässe, die Konsistenz und die 
Struktur festzustellen sind. 

Ausserdem ist stets der Zustand des Gewebes und der Gefässe an der 
oberen Gefässplatte (Velum chorioides) zu ermitteln. 

Die Ausdehnung und der Inhalt der einzelnen Hirnhöhlen, sowie die 
Beschaffenheit und Gefässfülle der verschiedenen Adergeflechte sind bei den 
einzelnen Abschnitten besonders ins Auge zu fassen, auch das Vorhandensein 
etwaiger Blutgerinnsel ausserhalb der Gefässe zu ermitteln. 

Den Schluss macht die Untersuchung der Knochen des Grundes und der 
Seitenteile des Schädels, welcher Btets eine Entfernung der harten Hirnhaut 
voraufigehen muss.“ 

§. 14 in Bayern zeigt folgende Abweichungen. Während 
in Preussen nur gesagt ist, dass die Schädeldecke 

„durch einen Sägekreisschnitt“ 

getrennt wird, heisst es hier: 

„wird letztere durch einen Sägekreisschnitt in der grössten Peripherie 
des Schädels getrennt und zuletzt mit Hammer und Meissel oder mit dem 
Quermeissel abgesprengt.“ 

Ebenfalls eingehender ist hier die Darstellung der Eröffnung 
der harten Hirnhaut. Hier heisst es nicht nur „sodann wird die 
harte Hirnhaut zuerst auf einer Seite getrennt zurückgeschlagen“, 
sondern es wird auch die Art der Trennung genau beschrieben. 

„Sodann wird die harte Hirnhaut entweder durch einen Kreisschnitt oder 
durch zwei längs des langen Blutleiten geführte Längsschnitte und zwei Quer- 



606 


Dr. Plaozek. 


schnitte getrennt nnd nach Ablösung der Hirnsichel von dem Hahnenkamme 
unter Durchschneidung der in den Blntleiter einmündenden Hirnnerven zurück¬ 
geschlagen. . . 

Bayern verlangt ferner, dass das Gehirn nicht nur nach 
Grösse und Gestalt, sondern auch nach Gewicht bestimmt wird. 
Hier wird auch die „Reihe geordneter Schnitte, durch die das 
Hirn zerlegt werden soll“, genau beschrieben, und zwar weichen 
diese von dem in Preussen üblichen Verfahren beträchtlich ab. 

„Zu diesem Zwecke wird das Gehirn auf seine Basis gelegt und werden 
hierauf mit einem grossen scharfen Messer die beiden Hemisphären im ganzen 
bis auf den Balken abgetragen und durch Querschnitte in Stücke zerlegt, 
welche durch die Pia mater im Zusammenhang gehalten werden, um sich Über 
ihre relative Lage stets versichern zu können. Alsdann werden durch zwei zu 
beiden Seiten der Raphe des Balkens angelegte Schnitte die beiden Seiten¬ 
ventrikel in ihrer Mitte geöffnet, diese Schnitte in die Vorder- und Hinter¬ 
hörner fortgesetzt, der Balken hierauf vorn vom foramen Monroi aus durch¬ 
schnitten, aufgehoben und zurückgeschlagen, wodurch nun die beiden Seiten¬ 
ventrikel und der dritte Ventrikel, letzterer noch bedeckt von der tela oho- 
rioidea superior, blossgelegt sind. Nach Entfernung der letzteren und der 
plexus chorioidei aus den absteigenden Hörnern der Seitenventrikel werden 
auch diese geöffnet, der Inhalt und die Beschaffenheit der inneren Oberfläche 
der Ventrikel untersucht und sodann die beiden Hemisphären voneinander und 
mit Durchschneidung der Hirnschenkel von dem Kleinhirn und der Brücke ge¬ 
trennt. Jetzt legt man durch jede Hemisphäre senkrechte Querschnitte, weläe 
wiederholt durch die Streifenhttgel und Sehhügel dringen und das Innere der¬ 
selben zur Ansicht bringen, ohne dieselben ganz zu zerlegen. 

An dem Kleinhirn wird zunächst durch einen senkrechten Schnitt in der 
Mittellinie durch den Wnrm der 4. Ventrikel eröffnet und sodann die beiden 
Hemisphären durch Radiärschnitte, endlich die Brücke und das verlängerte 
Mark auf Querschnitten untersucht. ..." 

In Sachsen beschreibt §.11 anfs Genaueste die Eröffnung 
der Kopfhöhle. Hier sind zunächst an dem freigelegten knöchernen 
Schädeldach 

„etwa an demselben vorhandene Blutaustritte und Verletzungen genau 
ihrer Ausdehnung und ihrem Sitze nach zu beschreiben. Bei Frakturen ist die 
Beschaffenheit der Bruchränder und das Fehlen oder Vorhandensein ausge¬ 
tretenen Blutes zwischen denselben anzugeben.“ 

In Preussen soll an dem abgesägten Schädeldach „sowohl 
die Schnittfläche und die Innenfläche, als auch sonstige Beschaffen¬ 
heit des Schädeldaches“ festgestellt werden. In Sachsen heisst es: 

„Dann wird das Verhalten der Schnittfläohe (Dicke, Entwickelung der 
schwammigen Substanz, Blutgehalt) und der Innenfläche des Schädeldaches fest- 
gestellt.“ 

Das sächsische Regulativ enthält weiter eine sehr eingehende 
Beschreibung der kunstgerechten Herausnahme des Gehirns: 

„. . . mit der linken Hand wird der vordere Teil des Grosshirns vor¬ 
sichtig emporgehoben, während die Hirnnerven nnd die Gefässstämme in der 
Richtung von vorn nach hinten durchschnitten werden; das Kleinhirnzelt wird 
durch zwei unmittelbar hinter dem Felsenbein durchlaufende Schnitte durch¬ 
trennt; es wird hierauf das Gehirn noch weiter emporgehoben, das Kleinhirn 
mit dem verlängerten Mark und der Brücke vorsichtig unterstützt und mit 
dem langen, in den oberen Teil des Wirbelkanals eingeführten Messer das 
Rückenmark mit seinen Häuten quer durchschnitten." 

Für die Gehirnsektion wird hier gewünscht, dass von der 
grossen Längsspalte aus horizontale Schnitte durch die Gross¬ 
hirnhalbkugeln gelegt werden. 



Sb deutsches geriehtzärztliehes Leichenöffaugaverfahrez. 607 

.Durch solche Schnitte, welche am besten nur bis dicht anter die weiche 
Hirnhaut n führen sind, damit letztere die einzelnen Schnitte nsammenhalte, 
wird das Groeshirn bis dicht über der Hobe des Hirnbalkens nach nnten 
zerlegt; dann werden die Seitenkammern. . . .* 

Hecht bemerkenswerte Abweichungen finden sich in §. 21 
Württembergs. Zunächst darf die Durchsägung des Schädels 
erst stattfinden, „nachdem die Schläfenmuskeln zu beiden Seiten 
abgeschabt und nicht quer durchschnitten sind.* Sodann heisst es: 

.Ist die harte Hirnhaut durch pathologische Veränderungen mit dem 
Schädel verwachsen, so dass er weder von vorn noch von hinten her ohne grosse 
Gewalt abgezogen werden kann, so wird sie dem Sägesehnitt entsprechend mit 
der geknöpften Scheere durchschnitten, die Sichel in der Nähe des Hahnen* 
kammes und ihre Verbindung mit dem Gehirnzelt gespalten und dann das 
Ganse abgenommen.“ 

„Bei Kindern bis zum 7. Jahre ist immer ein ähnliches Verfahren ein¬ 
suschlagen, weil bis zu dieser Zeit die im Säuglingsalter normale Verwachsung 
der harten Hirnhaut mit den Nähten und deren nächster Umgebung fortbesteht.* 

Sachsen-Weimar-Eisenach gibt in §. 22 die Anweisung: 

„Fissuren sind in zweifelhaften Fällen durch Eingiessen tob Farbstoff¬ 
lösungen mit nachherigem Abspülen oder durch vorsichtiges Anbringen einer 
Spreize von Holz festzustellen. 

In allen Fällen, in welchen sie angezeigt erscheint, soll die mikroskopi¬ 
sche Untersuchung veränderter oder verdächtiger Stellen an frischen, gegebenen 
Falls an dem in entprechender Weise gehärteten Gehirn stattfinden.* 

Baden (§. 3 der Vorschriften), Mecklenburg-Schwerin 
(§. 17), Anhalt (§. 12), Braunschweig (§. 9), Schwarzburg- 
Sondershausen (§. 15) stimmen mit Preussen überein. Meck- 
lenburg-Strelitz weicht in §. 8 nur unwesentlich von der 
preussischen Bestimmung ab. 

Die instruktive Vergleichung der verschiedenen Bestimmungen 
lehrt, dass die eigentliche Eröffnung der Kopfhöhle nur wenig 
differiert. An ihr wird wohl auch in Zukunft nicht viel ge¬ 
ändert werden, es sei denn, dass die schon oben angeführten ge¬ 
naueren Schilderungen einzelner Regulative vorbildlich werden. 
Für die Schnittführung durch die weichen Kopfbedeckungen auf 
die Modifikation zurückzugreifen, wie sie s. Z. Griesinger 1 ) 
empfahl, wird sich wohl kaum empfehlen. Hier wird ein verti¬ 
kaler möglichst feiner Sägeschnitt von einem Ohr zum anderen 
durch Schädel und Hirn gemacht, ein zweiter horizontaler Schnitt 
durch die vordere Kopfhälfte. 

Nicht die gleiche Unveränderlichkeit dürfte man für die zu¬ 
künftige Gehirnsektion wünschen. Hier dürfen wenigstens 
die Bestrebungen nicht unberücksichtigt bleiben, welche die gegen¬ 
wärtige Zergliederung des Gehirns durch eine vollständig andere, 
bessere ersetzen möchten. Namentlich seitens der Neurologen sind 
in neuester Zeit dahin zielende Vorschläge gemacht worden. Hier 
wird die Ausarbeitung und Vervollkommnung der Manipulation, 
welche zur Eröffnung des Innenraums des Schädels, zur Ent¬ 
fernung des Hirns aus der Schädelhöhle und zur Sektion des Ge¬ 
hirns notwendig ist, nicht blos Sichtbarmachung und Bloslegung 
der Teile im Auge haben dürfen, sondern auch die Aufrechthaltung 


*) Archiv für Psychiatrie; Bd. I, S. 817. 



608 


Dr. Placzek. 


der Teile, um die möglichst ausgedehnte mikroskopische Unter¬ 
suchung zu ermöglichen. 

Die älteste Methode, die Galen sehe, wie Spiegel 1 ) und 
Ruysch*) sie nennen, untersucht das Gehirn von oben her. 
Weniger zweckmässig und auch nicht zu allgemeiner Einführung 
gelangt ist die erst von Varol (1573—1641) angegebene Methode, 
das Gehirn von unten her zu untersuchen. Ein drittes Verfahren 
nach Silvius kombiniert beide Methoden. In den 40 er Jahren 
änderte Virchow das Verfahren und in der von ihm angegebenen 
Fassung ist es auch mit geringen Abänderungen in die Regulative 
übergegangen. Nur das bayerische wendet die alte anatomische 
Methode an. Das Grundprinzip des Virchow’sehen Verfahrens 
ist, bei möglichster Wahrung des Zusammenhangs der Teile eine 
vollständige Einsicht in die Ausdehnung der Veränderungen zu 
gewinnen. 

Die an sich sehr interessante Methode Meynerts, 3 )die eine 
Trennung der verschieden gebauten und verschieden bedeutungs¬ 
vollen Gehimteile bezweckte, um ihre Masse durch Wägung mit¬ 
einander vergleichen zu können, dürfte für die Zwecke des Ge¬ 
richtsarztes kaum in Frage kommen. Eher hätte man ihre Modi¬ 
fikation durch Weigert ins Auge zu fassen, der sie mit der 
Virchow sehen Technik verschmilzt. Er öffnet zunächst die 
Seitenventrikel und geht dann längs des fornix ins Unterhorn. 
Hierauf werden die Stammganglien um- und ausgeschnitten, so 
dass man Hirn, Stamm und Mantel getrennt erhält. Die grossen 
Hemisphären werden nun von aussen her bis zu den Zentral¬ 
windungen durch Frontalschnitte zerlegt. Von den Zentral¬ 
windungen ab gelangen Horizontalschnitte, welche auch den Hinter¬ 
hauptslappen zerlegen, zur Anwendung. (Die Herausschälung des 
Hirnstammes aus dem Mantel wird zuerst 1865 in der österreichi¬ 
schen Zeitschrift für Heilkunde beschrieben.) 

Zu dem Virchowschen Verfahren empfiehlt Nauwerck 4 ) 
für bestimmte Fälle neben der gewöhnlichen einseitigen Durch¬ 
trennung der Ganglien die frontale Durchschneidung derselben 
auf beiden Seiten zugleich. Er durchtrennt auch den Wurm in 
der Mitte, ohne den Aquädukt zu durchspalten, zerlegt von oben 
her die Vierhügel mit Pedunculis, Brücke, medulla oblongata in 
frontale Schnitte. 

Die neuerdings von Neurologen bevorzugte Methode wählt 
vornehmlich Frontalschnitte. So macht Pitres 5 ) 6 Schnitte. 

1. Schnitt 5 cm vor dem sulcus rolando, 2. Schnitt durch den Fass der 
Stirnwindnng, 8. Schnitt darch die vordere Zentr&lwindang, 4. Schnitt dnreh 


*) Adri&ni Spiegelii, Brnzellensis, opera, quae extant omnia. 
Amstelod. 1645. 

*) Opera omnia. Amstelod. XU. t 

*) Das Gesamtgewicht und die Teilgewichte des Hirns in ihren Be¬ 
ziehungen. . . . Vierteljahrschrift für Psychiatrie; 1867. 

4 ) Sektionstechnik etc. 3. Auflage. Jena 1899. 

*) Bech. sur 16sions du centre ovale des hemisph. c6i6br.; 6tude au 
point de vue des localisations c6r6br. Paris 1877. 



Bin deutsches gerichtsärstliohes Leichenöffnungsverfahren. 609 

die hintere Zentralwindung, 5. Schnitt durch den Fnss der beiden Scheitel- 
lftppohen, 6. Schnitt 1 cm vor der fissnra parieto-ocoipitalis. 

Nothnagel 1 ) variierte die Methode. Die von Burckhardt*) 
und Byron Bramwell 3 ) empfohlenen Verfahren sind keine Sek¬ 
tionsmethode mehr im gewöhnlichen Sinne. 

Siemerling*) empfiehlt neuerdings folgende Frontalschnitte: 
a. dicht hinter dem Balkenknie, b. vor dem Chiasma, c. unmittel¬ 
bar hinter demselben, d. durch die Corpora candicantia. Man 
durchtrennt dann das splenium, entfernt den Hirnstamm und kann 
nun den hinteren Teil jeder Hemisphäre für sich zerlegen. 

Für die zukünftige Eröffnung der Kopfhöhle empfiehlt sich 
folgende Fassung: 

„Kopfhöhle. Die Leiche liegt auf dem Rücken, der Kopf am Rande 
des Tisches. Der Keilklotz erhebt den Kopf derart, dass der Scheitel nach oben 
zu liegen kommt. 

Ein kräftiger Messerzug mit dem Knorpelmesser durchtrennt die Weich¬ 
teile bis auf den Knochen. Er beginnt hinter dem linken Ohr an der Spitze 
des Warzenfortsatzes, geht über die Scheitelhöhe und endet an der Spitze des 
rechten Warzenfortsatzes. 

Verletzungen und anderweitige pathologische Befunde, die man zu schonen 
Anlass hat, werden so viel als möglich mit dem Messer umgangen. 

Nun werden die weichen Kopfbedeckungen nach vom und hinten abgezogen, 
indem man mit dem Quermeissei von dem Schnitte aus die Knochenhaut ablöst, 
nach vom bis zum oberen Rande der Augenhöhle, nach hinten bis zum Hinter¬ 
hauptshöcker, nach den Seiten bis zum Gehör gang. 

Die Schläfenmuskeln werden jetzt in der Weise abgelöst, dass ein längeres 
Messer mit aufwärts gerichteter Schneide über dem Jochbogen von vom oder 
hinten her zwischen Muskel und Knochen eingestossen, unter der ganzen Breite 
des Muskels durchgeführt und womöglich durch einen gerade nach aufwärts 
geführten Schnitt den Muskel von allen Befestigungen löst, sodass er herab- 
gsechlagen werden kann. Etwaige Weichteilreste werden nach abwärts weg¬ 
geschabt. 

Man prüft nun die Weichteile und die Oberfläche des knöchernen Schädel¬ 
daches, achtet besonders auf etwa vorhandene Blutaustritte und Verletzungen, 
die genau nach Ausdehnung und Lage zu beschreiben sind. Bei Brüchen ist die 
Beschaffenheit der Bruchränder und das Fehlen oder Vorhandensein ausgetretenen 
Blutes zwischen denselben anzugeben. 

Jetzt wird die Schädeldecke durch einen Sägekreisschnitt in der grössten 
Peripherie des Schädels durchtrennt und zuletzt mit Hammer und Meissei oder 
mit dem Quermeissei abgesprengt. Das Verhalten der Schnittflächen (Dicke, 
Aussentafel, schwammige Substanz, Blutgehalt) und der Innenfläche des Schädel¬ 
dachs wird sorgfältig festgestellt. Auch die Gestalt des Schädels im allgemeinen 
wird beachtet, insbesondere also Abweichungen desselben von der normalen Form 
durch frühzeitige Verwachsung einzelner Nähte, das Vorhandensein von Schalt¬ 
knochen und anderen krankhaften Veränderungen. Hierauf wird die äussere Ober¬ 
fläche der harten Hirnhaut auf Spannung, Durchsichtigkeit und Blutgehalt 
geprüft. Der obere lange Blutleiter wird geöffnet und sein Inhalt bestimmt. 
Sodann wird die harte Hirnhaut auf einer Seite durchtrennt, und zwar dicht 
oberhalb des Sägerandes bis zur Längsspalte in die Höhe geschlagen und ihre 
Innenfläche besichtigt. Ist das Gleiche auf der anderen Seite geschehen, so wird 
sie vom Hahnenkamm gelöst und nach hinten zurückgeschlagen. 

Nachdem auch die Beschaffenheit der weichen Hirnhäute geprüft ist , wird 
das Gehirn kunstgerecht herausgenommen. Zu dem Zweck wird seht Vorderteil 
mit der linken Hand vorsichtig emporgehoben, wobei die Himnerven und die 

*) Topographie and Diagnose der Gehirnkrankheiten; 1879. 

*) Zentralblatt f. d. m. Wissenschaft: 1881, Nr. 29. 

•) Brain. Vol. X. 1887. 

4 ) Archiv für Psychiatrie; 1893. 



610 


Dr. Placzek, 


Gefässstämme in der Richtung von vorn nach hinten durchschnitten werden. 
Das Kleinhirnzelt wird durch 2 unmittelbar hinter dem Felsenbein verlaufende 
Schnitte durchtrennt. Es wird hierauf das Gehirn noch weiter emporgehoben, 
das Kleinhirn mit dem verlängerten Mark und der Brücke vorsichtig unterstützt 
und in dem oberen Teil des Wirbelkanals das Rückenmark mit seinen Häuten 
durch 2 Kreuzschnitte durchtrennt. Nun wird der Schädelgrund untersucht, 
die haHe Hirnhaut abgezogen, auf ungehörigen Inhalt und Verletzungen unter¬ 
sucht. Die Quer- und falls ein Grund dazu vorliegt, die übrigen Blutleiter 
werden geöffnet und ihr Inhalt bestimmt . 

Zunächst werden jetzt, während das Hirn auf der Grundfläche ruht, die 
Hirnhäute betrachtet, auf ihre Abziehbarkeit geprüft , alsdann wird das Gehirn 
umgedreht, die Gefässe an der Basis werden losgelöst, bis in die Sy Irische 
Furche verfolgt und auf ihre Elastizität und ihren Inhalt geprüft. Nun werden 
mit dem Himmesser Frontralschnitte gemacht: 

1. dicht hinter dem Balkenknie, 

2. vor der Sehnervenkreuzung, 

3. unmittelbar hinter demselben, 

4. durch die weichen Markkörper. 

Zur Feststellung des Verlaufs einer Verletzung soll die 
Schnitt Wirkung entsprechend abgeändert werden. 

Der untere Teil jeder Hemisphäre icird für sich zerlegt. Man durch¬ 
trennt nun den Balken an seinem hinteren Wulst und weitet * die Vierhügel und 
den Wurm in der Mittellinie, sodass die 5. Gehimkammer freigelegt wird. Die 
Kleinhirnhalbkugeln werden erst durch Horizontalschnitte, sodann durch Radiär¬ 
schnitte zerlegt. Man klappt nun das Gehirn um und trennt das verlängerte 
Mark und die Brücke und das Rückenmark durch Querschnitte. Wenn not¬ 
wendig, muss vor diesem letzten Aid die Grundschlagader abpräpariert werden.“ 

Ueber die Freilegung von Gesicht, Ohrspeicheldrüse 
und Gehörorgan stimmen die Regulative ziemlich überein. In 
Preussen sagt §. 16: 

„Wo es nötig wird, die Oeffnung der inneren Teile des Gesichts, die 
Untersuchung der Ohrspeicheldrüse oder des Gehörgangs vorzunehmen, da ist 
in der Regel der über den Kopf geführte Schnitt hinter dem Ohre bis znm 
Halse sn verlängern and von hier aas die Haat nach vorn hin absapräparieren, 
am dieselbe za schonen. Bei diesen Untersachangen ist stets besondere Auf¬ 
merksamkeit auf den Zastand der grösseren Arterien and Venen za richten.* 

Die bayerische Instruktion stimmt im §. 15 hiermit wört¬ 
lich überein, enthält aber zwischen beiden Teilen noch folgenden 
Passus: 

„Die Untersuchung der gesamten inneren Teile des Gesichts und Kopfes 
geschieht dann am besten an frontalen S&geschnitten durch den ganzen Kopf, 
die Untersuchung der Paukenhöhle durch Wegmeisseln des Daches derselben 
von der Schädelhöhle aus.“ 

Sachsen enthält in dem die Eröffnung der Kopihöhle de¬ 
tailliert schildernden §.11 den Satz: 

„Wo die Untersuchung der inneren Gehörorgane angezeigt ist, muss 
dieselbe nach Entfernung ihres barten Hirnbantüberzuges von der Scbldelböble 
aus mit Hilfe des Meisseis eröffnet werden.“ 

Ueber die Untersuchung des Gesichts, der Ohrspeicheldrüse 
und der äusseren Gehörorgane sagt es nichts. 

Sehr eingehend ist die Anweisung in Württemberg (§. 22), 
die folgenden Wortlaut hat: 

„Sind Verletzungen oder andere Veränderungen am Gesiebt vorhanden, 
so ist der über den Scheitel gehende Schnitt zu beiden Seiten nach abwärts 
in entsprechender Weise zu verlängern, der vordere Lappen durch einen über 
den Nasenrücken verlaufenden weiteren zu spalten, unter Umständen auch ein 
Querschnitt entlang dem unteren Bande des Unterkiefers anzulegen, um durch 



Eia deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfthren. 


611 


Lostrennung entsprechender Lappen den Untergrnnd der Veränderungen unter- 
suchen zu können. 

Für die weitere Untersuchung des Gehörorgans wird zuerst ein Säge- 
schnitt gemacht, welcher dnroh die Schläfeschuppe, unmittelbar vor dem hinteren 
Rand des äusseren Gehörganges und am vorderen Rand des inneren vorüber, 
nach der Spitze des Felsenbeins verläuft und letzteres vollständig durchdringt. 
Die Richtung des Schnittes geht von oben und rückwärts nur wenig nach vor¬ 
wärts und unten, also nicht ganz senkrecht auf die horizontale Ebene. Die 
beiden Teile werden dann durch zwei weitere Sägeschnitte vom übrigen Schädel 
losgelöst, welche gegen jene Spitze konvergieren. Der eine von ihnen beginnt 
an dem hinteren Rande des Warzenfortsatzes, der andere am vorderen der 
Gelenkgrube für den Unterkiefer. 

Zur Untersuchung der vorderen Abschnitte der Nasenhöhle genügt es, 
die Oberlippe und die seitlichen Teile der Nasenöffnung vom Knochen zu trennen 
nnd dann die Nasenscheidewand so tief als möglich durchznschneiden. Die 
tiefer gelegenen Teile können nnr durch Sägeschnitte im harten Gaumen neben 
den beiden Alveolenrändern blosgelegt werden . . . .“ 

Dazu kommt Abs. 1: 

„Wird in den Augen oder deren Umgebung eine Veränderung ver¬ 
mutet, so sind behufs weiterer Untersuchung zwei von den Anssenrändern 
der Augenhöhle nach dem Sehloch (Foramen opticum) konvergierende Säge¬ 
schnitte zn machen, die Decke abzunehmen und dann der Bulbus zu untersuchen.“ 

Sachsen-Weimar-Eisenach enthält die Bestimmung 
über die Untersuchung von Gehörorgan und Auge in §. 22: 
Zopfhöhle. 

„Verletzungen der Augen sind in Bezug auf Art and Sitz zn be¬ 
schreiben. In den Fällen, in welohen dies zur Feststellung der Ausdehnung 
und der Folgen einer solchen Verletzung geboten erscheint, soll nach vor¬ 
heriger Trennung der Bindehaut und Wegnahme der knöchernen Decke der 
Angenhöhle das Auge mit dem Sehnerven herausgenommen und der methodi¬ 
schen Zergliederung unterzogen werden. Auf das Verhalten der Umgebung 
des Auges, der in und am Sehnerven verlaufenden Blut- und Lympbgefässe und 
des schwammigen Blutleiters ist zu achten. 

Liegt eine Verletzung des mittleren oder inneren Ohres vor, so ist die 
Schläfenbeinpyramide mit dem Eörnerven und der Ohrtrompete nach vorheriger 
subkutaner Ablösung des äusseren Ohres nnd des Gelenkkopfes des Unterkiefers 
mittelst der Ohrsäge herausznnebmen; dies geschieht durch drei Sägescbnitte, 
von denen der erste vor der Pyramide zum vorderen Keilbein, der zweite hinter 
der Pyramide zur hinteren Fläche der Sattellehne verläuft und der dritte die 
Enden der beiden anderen in der Mittellinie der Schädelbasis verbindet. So¬ 
dann ist durch geeignete weitere Zergliederung die Art der Verletzung fest¬ 
zustellen.“ 

Baden, Mecklenburg-Schwerin (§.14), Anhalt (§.13), 
Braunschweig (§. 16), Schwarzburg-Sondershausen(§.16) 
stimmen mit Preussen überein; in Mecklenburg-Strelitz fehlt 
eine entsprechende Bestimmung. 

Vergleicht man die eben erwähnten Bestimmungen mitein¬ 
ander, so wird man zweifellos der württembergischen den Vorzug 
geben, wenigstens wegen der Genauigkeit und Ausführlichkeit, 
mit der die Eingriffe geschildert werden. Eine andere Frage ist, 
ob man auch das hier geschilderte Verfahren zur Freilegung des 
Gehörorgans für das beste hält, oder die einfachen Sägeschnitte, 
wie sie Sachsen-Weimar-Eisenach angibt. Das Verfahren, wie 
es bei uns üblich ist, von der Schädelbasis aus das innere Gehör¬ 
organ freizulegen, ist wohl einfach, gibt aber doch nicht ein aus¬ 
reichend klares Uebersichtsbild. Für das deutsche Begulativ 
würde mir folgende Fassung geeignet erscheinen: 




612 


Dr. Plaozek. 


„ Gesicht, Ohrspeicheldrüse, Gehörorgan, Nasenhöhle, 
Stirnhöhle, Keilbeinhöhle . Wo es nötig wird, die inneren Teile des 
Gesichts, die Ohrspeicheldrüse, das Gehörorgan zu untersuchen, ist der über den 
Scheitel gehende Schnitt zu beiden Seiten nach abwärts in entsprechender Weise 
zu verlängern und von hier aus nach vorn abzupräparieren, um dieselben zu 
schonen . Ist letzteres nicht nötig, so spaltet man den vorderen Lappen durch 
einen über den Nasenrücken gehenden Schnitt und legt unter Umständen noch 
einen Querschnitt entlang dem unteren Rande des Unterkiefers . 

Für die weitere Untersuchung des Gehörorgans sägt man die Schläfen¬ 
pyramide mit dem Ilömerven und der Ohrtrompete nach vorheriger Ablösung des 
äusseren Ohres und des Gelenkkopfes des Unterlciefers heraus; dies geschieht 
durch drei Sägeschnitte, von denen der erste vor der Pyramide zum vorderen 
Keilbeinrande, der zweite hinter der Pyramide zur hinteren Lehne der Sattel¬ 
fläche verläuft, der dritte die Enden der beiden anderen in der Mittellinie der 
Schädelbasis verbindet. Zur Untersuchung der Nasenhöhlen mit ihren Neben¬ 
räumen, des Nasenrachenraumes und des Mund rachenraumes wird die Gesichts¬ 
haut bis an die Augenbogen und Nasenbogen vorsichtig abpräpariert und so weit 
als möglich über das Gesicht herunter gezogen. Dann wird mit der Säge der 
Schädel vorn bis in die Nasenbeine, hinten bis ins Hinterhauptsloch in der 
Mitte durchsägt . Mit einem breiten Meissei, welcher in den Sägeschnitt eingesetzt 
wird, biegt man die Schädelhälften auseinander, sodass man einen Einblick in 
die Nasenhöhle, Stirn-, Keilbeinhöhle und die Rachenhöhlen erlangt“ 

Wir kommen nun zur Eröffnung der Wirbelsäule. Wie 
wir schon früher erwähnten, soll diese, wenn nötig, sich gleich 
an die Kopfhöhle anschliessen. Für ihre Eröffnung schreibt 
Preussen folgendes Verfahren vor: 

„§. 17. Wirbelsäule and Rückenmark. Die Oefihnng der Wirbel¬ 
säule erfolgt in der Regel yon der Rückseite her. Es wird zunächst die H&nt 
and das Unterh&utfett über den DornfortsStzen durchschnitten; sodann wird 
zn den Seiten der letzteren nnd der Bogenstücke die Mnsknlatnr abpräpariert, 
dabei ist anf Blntanstretnngen, Zerreissungen nnd sonstige Veränderungen, 
namentlich anf Brüche der Knochen, sorgfältig zn achten. 

Sodann wird mittels des Meisseis, oder, wo eine solche vorhanden ist, 
mit einer Wirbelsäge (Rhachiotom) der Länge nach ans allen Wirbeln der 
Dornfortsatz mit dem nächst anstossenden Teile des Bogenstückes abgetrennt 
and herausgenommen. Nachdem die äussere Fläche der nun vorliegenden harten 
Haut geprüft ist, wird letztere darch einen Längsschnitt vorsichtig geöffnet 
and dabei sofort ein etwaiger ungehöriger Inhalt, namentlich Flüssigkeit oder 
aasgetretenes Blat, festgestellt; auch Farbe, Aussehen nnd sonstige Beschaffen¬ 
heit des hinteren Abschnittes der weichen Haut and darch sanftes Hinüber¬ 
gleiten des Fingers über das Rüokenmark der Grad des Widerstandes der¬ 
selben ermittelt. 

Nächstdem werden jederseits durch einen Längsschnitt die Nervenwnrzein 
durchschnitten, das Rückenmark an seinem unteren Ende vorsichtig mit der 
Hand heraasgehoben, auch die vorderen Verbindungen nach and nach getrennt 
nnd endlich das obere Ende ans dem grossen Hinterhanpteloche hervorgezogen. 

Bei allen diesen Tätigkeiten ist besonders darauf zn achten, dass das 
Rückenmark weder gedrückt noch geknickt wird. Ist es herausgenommen, so 
wird die Beschaffenheit der weichen Haut an der Vorderseite geprüft, nach¬ 
dem die Grösse nnd Farbe des Rüokenmarks nach der äusseren Erscheinung 
angegeben nnd endlich darch eine grössere Reihe von Querschnitten, die mit 
einem ganz scharfen und dünnen Messer zu führen sind, die innere Beschaffen¬ 
heit des Rückenmarks, and zwar sowohl der weissen Stränge, als der granen 
Substanz dargelegt. Schliesslich wird die harte Haut von den Wirbelkörpern 
entfernt and naehgesehen, ob hier Blutergüsse oder Verletzungen oder Ver¬ 
änderungen der Knochen oder der Zwisehenwirhelscheiben aufsnfinden sind.* 

In Bayern stimmt der §. 20 mit Preussen überein. Hier 
wird nur gewünscht, 

«dass die Mnsknlatnr «im Zusammenhang längs der ganzen Wirbelsäule* 
abpräpariert, auch ans allen Wirbeln nnd Dornfortsätzen mit dem nächst an- 



Bia deutsches geriohtslntliches Leichenöffnungsrerfahren. 613 

stosseodenden Teile des Bogenstüekes „im Zusammenhang längs der ganzen 
Wirbelsäule* entfernt wird. Nach der Prüfung der äusseren Fläche der vor« 
liegenden harten Hirnhaut soll „das auf derselben anfliegende Fett* ent¬ 
fernt werden. 

Natürlich wird das obere Ende des Bückenmarks ans dem 
Hmterhanptsloche nicht hervorgezogen, sondern abgeschnitten, 
wenn das Gehirn noch nicht seziert ist. 

„In besonderen Fällen kann es übrigens auch angezeigt sein, den 
Kanal der Wirbelsäule von vorn her durch Entfernung der WirbelkOrper an 
eröffnen, was dann natürlich erst nach der Eröffnung der Brost- und 
Bauchhöhle and Entfernung der in denselben gelagerten Organe, sowie auch 
der Halsorgane geschehen kann.* 

Baden, Sachsen, Württemberg, Mecklenburg- 
Schwerin, Anhalt, Brannschweig, Schwarzburg- 
Sondershansen stimmen in dem Verfahren mit Preussen 
überein; Württemberg wünscht nur direkt, dass anch hier, 
wie überall, mit Vorliebe die Lupe zu Hilfe genommen werde. 
Mecklenburg-Strelitz enthält keine spezielle Anweisung. 

Sachsen-Weimar-Eisenach hat in §. 28 eine sehr ein¬ 
gehende Anweisung, die inhaltlich mit dem Vorerwähnten über¬ 
einstimmt, doch im Wortlaut abweicht. Für die Untersuchung 
wird gewünscht, 

„auf das Vorhandensein yon Trübungen und Verkalkungen der Spinn- 
wehehant, Füllung der Qefässe, Menge und Beschaffenheit der Flüssigkeit in 
den Maschen der weichen Bückenmarkshänte und Festigkeit des Bückenmarks 
so achten.* 

Auf den Bückenmarksquerschnitten soll Vorwölben oder Ein¬ 
sinken der Schnittfläche, Färbung nnd Festigkeit der einzelnen 
Faserzüge, Färbung der grauen Substanz, Weite des Zentral¬ 
kanals beachtet werden. Die Beschaffenheit veränderter Stellen 
soll beschrieben, ihre Lage nnd Ausdehnung durch Sezierung 
auf die Nervenwurzel genau angegeben, nötigenfalls durch Ein¬ 
tragung in ein Schema deutlich gemacht werden. In allen 
Fällen, in welchen dies geboten erscheint, soll die mikroskopische 
Untersuchung veränderter Stellen am frisch oder am zweckmässig 
gehärteten Bückenmark stattfinden. 

Von diesen letzten Vorschriften, so eingehend sie sind, kann 
man die Prüfung „auf Färbung und Festigkeit der einzelnen 
Faserzüge“ getrost streichen. Man darf das um so mehr, da selbst 
das beste Auge am frischen Präparat die Forderung nicht er¬ 
füllen kann. Im allgemeinen sollte man auf derartige makroskopi¬ 
sche Beurteilungen nicht viel geben, da der grösste Teil der 
pathologischen Bückenmarksveränderungen erst bei der mikro¬ 
skopischen Untersuchung zu Tage tritt. Ich möchte nur an die 
Veränderungen in den Vorderhornganglienzellen bei Poliomye¬ 
litis acuta, bei progressiver Muskelatrophie und dem Hungertode 
erinnern. 


(Fortsetzung folgt.) 



614 


Dr. Friedei. 


Manganvergiftungen in Braunsteinmühlen und gesundheits¬ 
polizeiliche Massregeln zu ihrer Verhütung. 1 ) 

Von Dr. Friedei, Kreisarzt in Wernigerode. 

Aus den mannigfachen Betriebsarten, in denen Mangan ver¬ 
arbeitet wird, sind bisher mir — und zwar mit einer Ausnahme 
aus allerletzter Zeit — bei Arbeitern in Braunsteinmühlen und 
beim Trocknen von Manganhyperoxydschlamm Vergiftungen be¬ 
kannt geworden. Ueber die letzte Beschäftigung schreibt Prof. 
Dr. R. v. Jaksch-Prag: 2 ) 

„Der genannte Schlamm wird mittele Pressen von der Chlorcalcium- 
l&age getrennt, mit Wasser gewaschen und kommt in die Form von Press¬ 
kohlen, die circa 60 Prozent Wasser, 2 Prozent Chlorcaloinm and rectifiziertes 
Mangansaperoxyd enthalten, and gelangt anf grosse Platten, welche auf 100 0 C. 
erhitzt sind. Die drei Leate hatten mit Holzschahen auf den Platten zu 
stehen and die gebildeten Knollen za verkleinern.“ 

Es hat danach die Vergiftung in den drei von v. Jak sch 
beobachteten Fällen offenbar durch Mangandämpfe stattgefunden. 
Die Krankheitserscheinungen stimmen jedoch völlig mit den bei 
Arbeitern in Braunsteinmühlen beobachteten überein. 

In den Braunsteinmühlen wird der aus Japan und dem 
Kaukasus über Hamburg eingeführte und der viel hochwertigere, 
an verschiedenen Stellen Deutschlands, so in unmittelbarer Nähe 
von Wernigerode am Büchenberge, ferner in Ilfeld am Harz und 
vor allem der an mehreren Orten Thüringens geförderte Braunstein 
durch Trocknen, Auslesen, Zerbrechen, Sieben und Mahlen für die 
Industrie gebrauchsfähig gemacht. Bei dieser Prozedur, besonders 
beim Sieben und Mahlen entwickelt sich ausserordentlich viel 
feinster Braunsteinstaub, der sehr flugfähig ist. 

Die ältesten Berichte über Vergiftungen in diesen Braun¬ 
steinmühlen stammen von Couper aus dem Jahre 1837. Bereits 
damals schreibt Couper nach dem Embden sehen Referat in der 
Deutschen Med. Wochenschrift, 1901, Nr. 46, dass „das Mangan- 
Superoxyd ein Gift für den Menschen sei, welches, wenn es lang¬ 
sam dem Organismus zugeführt wird, wie Quecksilber und Blei 
wirkt und die Funktionen der Nerven schwächt“. 

Die Coup er sehe Arbeit war bereits völlig in Vergessenheit 
geraten, als Dr. Emb den-Hamburg, wie eben erwähnt, im Jahre 
1901 in einer Hamburger Braunsteinmühle drei und in einer 
Thüringer einen Fall von Braunsteinvergiftung fand. 

Zu diesen Fällen kommen nun noch die von Prof. v. Jak sch 
im Herbst 1902 auf der Naturforscher Versammlung in Karlsbad 
vorgestellten Erkrankungen. 

Sämtliche von den vorstehend genannten Autoren bei den 


l ) Nach einem in der Frtthjahrsversammlang des M&gdebargischen Me- 
disinalbeamtenvereins gehaltenen Vortrage. 

*) (Jeher gehäufte diffaae Erkrankungen des Gehirns and Bttcbenmarks, 
an den Typas der multiplen Sklerose mahnend, welche durch eine besondere 
Aetiologie gekennzeichnet sind. Wiener Klinische Bandschau; 1901, Nr. 1. 
Für diejenigen, welche diese Arbeit im Original nachlesen, mochte ich noch 
bemerken, dass Prof. v. Jaks oh jetzt diese Fälle für reine Manganvergiftungen 
ansieht, wie er mir schriftlich mitteilte. 



MugUTeigiftnga ia Bnaitduttka uw. 


615 


von ihnen veröffentlichten Mangen Vergiftungen übereinstimmend 
geschilderte Symptome habe ich wiedergefunden bei einer in einer 
hiesigen Braunsteinmiihle vorgekommenen schweren Erkrankung. 
Ausserdem bot aber die hier vorgekommene Vergiftung eine bisher 
nicht erwähnte Erscheinung, die mir den Charakter der Metall- 
vergiftung ganz besonders überzeugend zum Ausdruck zu bringen 
scheint. Zu dem ist der hiesige Fall vielleicht geeignet, auch 
ätiologisch zur Klärung der Manganvergiftung beizutragen. 

Krankengeschichte. 

17. Febr. 1903. Beinhold Beckjer, 34 Jahre alt, war seit Herbst 1898 
bis Bade 1902 als Müller in der Braunste inmtthle von W. & Comp, in Wernige¬ 
rode beschäftigt. Vor Eintritt in die Mühle ist er bis aal eine chronische 
Lidentzündang and einen fast gänzlichen Verschloss der Nase (infolge Hyper¬ 
trophie der Maschein), der den Kranken snr Mondatmong geswungen, völlig 
gesund gewesen. Syphilis hat er nicht gehabt and Schnaps überhaupt nie 
getrunken. Btwa ein Jahr nach seinem Eintritt hat er angeblich gtosae 
Mattigkeit gefühlt, so dass er eingeschlafen sei, sobald er sich niedersetzte. 
Die Beine hätten ihm den Dienst versagt. Im Genick hätten sich rhythmische 
Krampfbewegungen eingestellt, die den Kopf abwechselnd in Nick- and Schüt¬ 
telbewegungen versetzten. Kr habe gespürt, dass er magerer wurde. Dazu 
hätte sich eine Erschwerung der Sprache gesellt, die zuletzt ganz unverständ¬ 
lich geworden sei. Seine Muskeln, besonders die des Gesichts hätten angefangen 
zn zittern; er habe nicht mehr schreiben können. Des Nachts hätten sich 
starke Schweisse eingestellt. Sein Gedächtnis hätte abgenommen, doch sei er 
im übrigen geistig klar geblieben. Zu all diesen Veränderungen habe sich im 
letzten halben Jahre starker Speichelfluss gesellt. Allmählich sei er dann immer 
noch schlaffer geworden. Er habe nicht mehr die Energie gehabt, den im 
offenen Munde sich ablagernden Manganstaub auszuspucken. Gleich bei den 
ersten Krankheitsseichen sei er zum Arzt gegangen. Derselbe habe erklärt, 
es sei Nervenschwäche und habe nichts mit seiner Beschäftigung zu tun; 
infolgedessen habe er weiter gearbeitet, bis es nicht mehr gegangen sei. 

Objektiver Befand: Ans dem offen stehenden Munde fliesst ständig 
klarer Speichel in grosser Menge. Die Angenlidränder sind intensiv gerötet. 
Der Gesiehtsausdruck ist starr, zu ständigem Lachen verzogen. Die Sprache 
ist leise, monoton, völlig unartikuliert und fast unverständlich. Der Gang ist 
stampfend und ungeschickt mit leicht vornüber geneigtem, schwankendem 
Oberkörper. Das Aussehen entspricht dem angegebenen Alter. Die Patellar- 
reflexe sind unverändert, die Lichtreflexe erhalten. Die hintere Bachenwand 
und die Gaumenbogen sind leicht gerötet. Die Stimmbänder erscheinen im 
Spiegelbilde leicht granrot injiziert. Puls regelmässig, klein, 110 in der Minute. 
Während der Untersuchung fangen Lippen und Wangen an in fibrilläre 
zitternde Bewegung zu geraten, dazu gesellt sich ein klonischer Krampf der 
Halsmuskeln, die den Kopf in langsamer rhythmischer Schttttelbewegung um 
eine vertikale Axe bewegen. 

Status vom 25. Februar. Die in der Zwischenzeit vorgenommene Unter¬ 
suchung des schleimig zähen Auswurfs hat nichts besonderes ergeben. Der 
Urin war frei von Eiweiss und Zucker. Aus den mir mittlerweile von Herrn 
Prof. Dr. v. Jaksoh-Prag und Dr. B. Embden-Hamburg freundlichst über¬ 
sandten Abhandlungen hatte ich ersehen, dass eine der merkwürdigsten Er¬ 
scheinungen der chronischen Manganvergiftung die Unfähigkeit sei, rückwärts 
zu gehen. Ich fand diese Erscheinung bei meinem Kranken voll ausgebildet. 
Beim Versuch rückwärts zu gehen, stürzt er zu Boden. Einen weiteren Ver¬ 
such, einen Gegenstand vom FaBsboden aufzuheben, führt er umständlich in der 
Weise aus, dass er mit beiden Händen gleichmässig den Fussboden zu erreichen 
sucht. Auch dabei wäre er zu Boden gefallen, wenn ich ihn nicht aufgefangen 
hätte. Willkürlich vermag er nicht im geringsten den Kopf zu schütteln, 
weil ihm „alles steif sei“. Ein Versuch zu pfeifen gelingt nicht. Die Lippen 
fangen dabei heftig an zu zittern. 

Status vom 12. März. Patient gibt an, dass er sich noch immer ausser¬ 
ordentlich matt fühle. Er könne in einem fort schlafen. Stehen auf einen 



616 Dr. Friedel: Manganvergiftungen in ßraonsteinmühlen usw. 

Bein ist nur für gang kurze Zeit ausführbar. Wendungen nach rechts und 
links sind unmöglich. Der Speichelfluss ist heute etwas geringer. Während 
der Untersuchung geraten die Halsmuskeln in rytmische klonische Zuckungen, 
die den Kopf in Schöttelbewegung um die vertikale Aze und nach einiger Zeit 
in Nickbewegung nm die horizontale Aze bewegen. Durch festes Anlegen des 
Kopfes an die Stuhllehne werden die Bewegungen allmählich unterdrückt. 

Status vom 26. April. Patient fühlt sich etwas kräftiger. Der Speichel* 
floss ist fast verschwunden. Die leise monotone, unartikulierte Sprache ist 
unverändert. Ratschend vollführt er, mit einem Beine sich abstossend, langsam 
eine Viertelwendung. Rückwärtsbewegnngen sind auch heute noch gänzlich 
unmöglich. Zwangslachen noch vorhanden, geht bei Erregung in Weinen über. 
Im Laufe der Untersuchung geraten die Gesichtsmaskein in zitternde Be¬ 
wegung. — 

Die am 24. April von Herrn Dr. Wagner vom hygienischen Institut 
zn Berlin vorgenommene Untersuchung des Urins auf den Nachweis von Mangan 
hat ein negatives Ergebnis gehabt, was nicht verwunderlich erscheint in An¬ 
betracht des Umstandes, dass Patient seit Weihnachten 1902, also volle vier 
Monate, aus dem Betriebe ausgesohieden ist. 

Wiederholen wir nun kurz die Hauptpunkte des Krankheits¬ 
bildes, so beobachten wir bei einem 34 Jahre alten, vorher ge¬ 
sunden Menschen nach vierjähriger Tätigkeit in einer Braunstein¬ 
mühle : Mattigkeit und Schlafsucht, Sprachstörungen, Zwangslachen, 
Speichelfluss, Zittern und Zuckungen, ataktischen schwerfälligen 
Gang und völlige Unfähigkeit, rückwärts zu gehen. Alles Er¬ 
scheinungen, die teilweise für eine allgemeine, teilweise mehr 
für eine lokalisierte schwere Schädigung des Zentralnerven¬ 
systems sprechen. 

Von diesen Erscheinungen findet sich in den bisherigen Ver¬ 
öffentlichungen über Manganvergiftungen Speichelfluss nicht er¬ 
wähnt; gerade dieses Symptom aber erscheint mir nicht unwichtig 
für die Diagnose einer Metall Vergiftung, da wir es bei Vergiftungen 
mit anderen schweren Metallen, wie Quecksilber und Blei, als 
gewichtiges Kriterium kennen. 

Was die Prognose betrifft, so erscheint mir nach meinen 
Beobachtungen die Erkrankung besserungsfähig. Eine völlige 
Wiederherstellung wird von keinem der in letzter Zeit veröffent¬ 
lichten Erkrankungsfälle berichtet. 

Es folgt also der chronischen Manganvergiftung offenbar 
eine dauernde hochgradige Beeinträchtigung der Gesundheit und 
Erwerbsfähigkeit. Sie verdient daher die besondere Aufmerk¬ 
samkeit des die gesundheitlichen Verhältnisse im Gewerbebetriebe 
überwachenden Medizinalbeamten. 

Wenn man nun auch annehmen darf, dass bei der bisher wenig 
verbreiteten Kenntnis der Symptome der chronischen Manganvergif¬ 
tung die Zahl der wirklich vorgekommenen Erkrankungen die der 
bekannten veröffentlichten Fälle etwas übersteigt, so muss bei der 
bedeutenden Ausdehnung, welche die Manganindustrie in den letzten 
Jahren genommen hat, doch immerhin die Anzahl der Erkrankungen 
als gering bezeichnet werden. Es gehört zweifellos zum Zu¬ 
standekommen der Manganvergiftung eine andauernde, lang fort¬ 
gesetzte Aufnahme des Metalls, wie sie nur in wenigen Betriebs¬ 
arten möglich und die in den Braunsteinmühlen wohl sicher in 
feinster staubförmiger Form durch Magen und Darm vor sich 








Dr. Friedei: Manganvergiftungen in BrannsteinmOblen new. 


617 


geht. Anderseits spielt wohl in weit höherem Grade wie bei 
Blei- und Quecksilbervergiftungen die persönliche Disposition eine 
wichtige Rolle. In dem von mir beobachteten Falle möchte ich 
ein beförderndes Moment darin erblicken, dass der Kranke schon 
vor dem Eintritt in die Mühle nicht frei durch die Nase atmen 
konnte; er atmete von anfang an durch den Mund und schluckte 
infolge dessen natürlich auch grössere Mengen des sich in den 
Schleimhäuten des Mundes festsetzenden Braunsteinstaubes. 

Nach den Untersuchungen von Harnack und Schreiber 
(Zeitschrift für physiol. Chemie; 1901, Bd. 46, H. 5 und 6) wird 
Mangan bei intakter Schleimhaut vom Darmtraktus resorbiert. 

Nach Untersuchungen von Robert und zuletzt von Cahn 
rufen leicht lösliche Mangansalze, Warmblütern in toxischen Dosen 
intravenös oder subkutan eingeführt, grosse Schwäche, Somnolenz, 
Abnahme der Reflexe, erschwertes Atmen, Sinken des Blutdruckes 
und der Wärmeproduktion, heftige Krämpfe und Tod durch Herz¬ 
lähmung hervor (Eulenburg; Real - Enzyklopädie). 

Die ersten Zeichen fortgesetzter Manganaufnahme bestehen 
also in grosser Mattigkeit und Schläfrigkeit. Diese wiederum wird 
in dem betreffenden Arbeiter das Gefühl und Verlangen für und 
nach Sauberkeit allmählich vernichten. Er wäscht sich vor der 
Nahrungsaufrahme nicht mehr die staubbedeckten Hände und 
wird mit der Zeit so schlaff, dass er die Mühe des Ausspuckens 
scheut und den im Munde angesammelten Manganstaub einfach 
herunterschluckt. So kommt es denn immer mehr zu den eben vor¬ 
geführten schweren Vergiftungserscheinungen. 

Von den übrigen sechs Müllern und Arbeitern des hiesigen 
Betriebes fand sich keiner, bei dem die freie Nasenatmung irgend 
behindert war. Sämtliche Arbeiter hatten mehr oder weniger in¬ 
tensive Reizerscheinungen in den oberen Luftwegen, keiner davon 
erregte den Verdacht einer tuberkulösen Erkrankung der Lunge. 
Nur zwei davon waren über zwei Jahre in der Mühle tätig; sie 
zeigten keines der oben angeführten charakteristischen Krank¬ 
heitszeichen, nur gaben sie an, dass sie sehr viel schlafen müssten. 
In dem Urin beider wurde von Dr. W ag n er (im hygienischen Institut 
zu Berlin), Mangan in Spuren nachgewiesen. Auf den Nachweis vop 
Mangan in den Fäces glaubte ich weniger Gewicht legen zu sollen, 
da mir sein Vorkommen dort selbstverständlich schien. 

Die gesundheitspolizeilichen Massnahmen zur Verhütung von 
Erkrankungen in Braunsteinmühlen ergeben sich ohne Weiteres 
aus der Art des Betriebes und bei der Annahme, dass das Metall 
vom Darm aus dem Körper zugefUhrt wird: 

I. Einschränkung der Staubatmung durch kräftige Venti¬ 
latoren an jeder Arbeitsstätte, ähnlich den in Schleifereibetrieben 
vorgesehenen, deren Konstruktion im einzelnen den Gewerbe¬ 
inspektoren überlassen werden muss. 

n. Schaffung eines vom Betriebe abgesonderten Raumes für 
die Arbeiter zur Aufnahme der Mahlzeiten. 

III. Schaffung von Gelegenheit zum Händewaschen und Mund¬ 
spülen vor jeder Mahlzeit und strengste Anordnung dieser Massregel. 



618 


Dr. Kornfeld: Znr Desinfektion der Hebammen. 


IV. Beibringung einer ärztlichen Bescheinigung über volle Ge¬ 
sundheit mit Hervorhebung freier Nasenatmung vor der Anstellung. 

V. Vierteljährliche Untersuchung sämtlicher Arbeiter von 
einem mit den Erscheinungen der Manganvergiftung völlig ver¬ 
trauten Arzte. 


Zur Desinfektion der Hebammen. 

Von Geriohtsarzt Dr. H. Kornfeld in Gleiwitz. 

§.71 des Hebammenlehrbuches schreibt vor, wie die Heb¬ 
amme sich vor einer innerlichen Untersuchung zu desinfizieren 
hat. Auf diesen Paragraphen wird Bezug genommen in §. 202 
(Wendung) und §. 296 (Entfernung der Nachgeburt). Vergleicht 
man diese Anweisung, wie die Hebamme sich desinfizieren soll, 
mit denjenigen Vorschriften, welche in den Lehrbüchern den 
Operateuren gegeben werden (z. B. die von Ahlfeld, Lehrbuch 
d. Geb.; 1898, S. 146), so muss man es befremdlich finden, dass 
für dieselben Eingriffe der Hebamme nicht eine ebenso präzise 
Anleitung gegeben ist, wie den Geburtshelfern. So ist nicht 
gesagt, wie lange die Hebamme ihre Hände bürsten soll; es ist 
nicht darauf Rücksicht genommen, inwieweit eine 1 °/o ige Lösung 
von Lysol den gegenwärtigen Anforderungen an ein Desinfektions¬ 
mittel genügt. Um nackzuweisen, wie wichtig in foro diese im 
Lehrbuch vorhandene und in dem neuen zu verbessernde Unvoll¬ 
kommenheit werden kann, möge die Veröffentlichung des nach¬ 
folgenden Falles gestattet sein. Wenn auch in demselben eine 
Verurteilung erfolgte, so wird sich doch zeigen, dass der be¬ 
zeichnet« Mangel sehr leicht zu einer Freisprechung hätte führen 
können. 

Die unv. W., Ip., 30 J., wurde yon der Hebamme J. entbunden. Un¬ 
mittelbar nach Austritt des Kindes erfolgte starke Blutung, wegen der zum 
Armenarzt geschickt wurde. Nicht dieser, aber sein Vertreter kam — */* oder 
1 Stunde später. Er fand gutes Aussehen und kräftigen Puls, die Gebärmutter 
susammengezogen, keine Blutung, die Placenta z. T. zerfetzt. Ein Eingriff 
schien ihm nicht angeseigt, und er verschrieb nur etwas gegen Wiederkehr 
der Blutung. 4 Tage nachher, nachdem die W. schon einmal aufgestanden 
war, wurde die Hebamme abends geholt, weil die Wöchnerin „tobte“. Sie 
erklärte aber, nicht kommen zu können. Am nächsten Morgen machte sie 
dann einen Besuch und liess den Arzt holen, der die W. sofort ins Krankenhaus 
schickte. Es war Puerperalfieber schwerster Form vorhanden, und nach einigen 
Tagen starb die Kranke. Die Sektion ergab: 2 kleine, festanhaftende Beste 
der Placenta im Uterus; Eiter in der Wand an der Ansatzstelle der Placenta, 
putride Entzündung der Uterusschleimhaut, Peritonitis, Pleuritis u. s. w. Die 
Hebamme bestritt beim 1. Besuche des Arztes, dass sie die Placenta manuell 
herausbefördert hätte, gab es aber später zu. 

Zur mündlichen Verhandlung waren ausser Verfasser 4 Aerzte 
geladen, die sämtlich den Kausalzusammenhang zwischen Eingriff 
der Hebamme und der tötlichen Ansteckung bejahten. Verfasser 
sprach sich dagegen im schriftlichen und mündlichen Gutachten 
wie folgt aus: 

Wenn man den Nachweis führen könne, dass die an der vorliegenden, 
unzweifelhaften Infektion schuldigen Strepto-, 8taphylo- u. s. w. Kokken von 
der Hand der Hebamme hergerührt hätten, so könne man eine anderweitige 
ausschiiessen. Nun könne aber von der jedenfalls nicht skrupulös reinen 







Dr. Baomm: Entgegnung nnf den Aufsatz des Herrn Med.-Bnte Dr. Coeeter. 619 

Bettwäsche, den Unterlagen, der Hand der Entbundenen, ja von schon vorher 
in der Vagina befindlichen — dort vorher nioht, aber nunmehr virulent 
gewordenen — Bakterien die Ansatsstelie infiziert worden sein. Ja, die 
desinfizierte Hand der Hebamme könne sie hineinbefOrdert haben, weil die 
nur nach dem Lehrbuche erfolgte Desinfektion nach dem jetzigen Standpunkte 
die Hand nicht steril mache. Operateure haben sich in peinlicherer Weise zu 
desinfizieren; es befände sich demnach eine Lücke im Hebammen-Lehrbuch. 
Auch über die Berechtigung zum Eingriffe spreche sich das Lehrbuch nicht prä¬ 
zise genug aus. Ob angeblich die Schwäche hochgradig genug, ob Brechneigung 
vorhanden gewesen, sei nach dem ärztlichen Befunde zwar zweifelhaft; aber 
die Hebamme, die bei einer Blutung mtlssig zusehen müsse, ohne das einzige 
hier wirksame und tatsächlich mit Erfolg gegen sie angewendete Mittel ergreifen 
zu dürfen, und die gleichseitig Angst haben müsse, wegen fahrlässiger TOtnng 
infolge Unterlassung eines ihr gebotenen Eingriffes ins Gefängnis zu kommen, 
wenn sie zu spät zur Entleerung der Gebärmutter schreite, sei jedenfalls sehr 
milde zu beurteilen, wenn sie hier zu früh eingegangen sei. Der Fall liege 
ähnlich wie bei einer Uebersohreitung der Notwehr. Die Hebamme müsse 
allerdings ihre Approbation verlieren, aber gerichtlich • medizinisch liege nur 
eine, im St.G. ß. nicht bedrohte, fahrlässige Gefährdung des Lebens vor. 

Der Staatsanwalt beantragte l 1 /» Jahr. Der Verteidiger 
hob insbesondere hervor, dass eine nnvorschriftsmfissige Des¬ 
infektion nicht nachgewiesen sei und dass auch nach Ausführung 
des Gerichtsarztes die Infektion trotzdem durch die Hand der Heb¬ 
amme entstanden sein könne, also eine Schuld nicht sicher vor¬ 
liege. Nachdem aber anderweit bekundet worden war, dass die 
Hebamme auch sonst unsauber, deshalb auch nicht mehr zu Ent¬ 
bindungen im Krankenhause zugelassen und als Bezirkshebamme 
abgesetzt sei, nahm der Gerichtshof mit Rücksicht auf die unter¬ 
lassene rechtzeitige Herbeiholung des Arztes beim Auftreten des 
Fiebers an, dass der Kausalzusammenhang genügend wahrschein¬ 
lich sei, und verurteilte die Hebamme unter Zubilligung mildernder 
Umstände zu 3 Monaten. 


Entgegnung auf den Aufsatz 

des Herrn Med.-Rats Dr. Coester „Wochenbettfieber und 
Fieber im Wochenbett“ in Nr. 9 dieser Zeitschrift 

Von Dr. Baumm, Direktor der Hebammen-Lehranstalt zu Breslau. 

Man pflegt Erwiderungen sofort zu machen. Leider war 
mir das nicht möglich, weil ich erst jetzt Kenntnis von dem 
Coesterschen Artikel bekommen habe. Ich bin nicht regel¬ 
mässiger Leser dieser Zeitschrift, auch ist mir bedauerlicher Weise 
kein Abzug der Arbeit Coesters von der verehrlichen Redaktion 
zugegangen. Ich kann aber, wenn auch spät, diese Arbeit nicht 
unbeantwortet lassen. 

Herr Coester stimmt meinen Vorschlägen für die Neube¬ 
arbeitung unseres Hebammenlehrbuches nicht bei. Gut. Zweck 
meiner Arbeit war auch nur der, Meinungsäusserungen über das 
wichtige Thema anzuregen. Er polemisiert aber, z. T. in per¬ 
sönlicher Weise, gegen Dinge, die ich nie verbrochen habe. Nur 
ungenügende Bekanntschaft mit meinen Ausführungen und mit den 
Bestimmungen des Hebammenlehrbuches haben ihn dahin gebracht. 
Beweis: 



P, Battnam: Botgegoting auf des Aafaaw dee Hart« Meä,*Rata Dr. Caestet, 

1) Er kan» «ich nicht »ntecblksöe% iö)6i»er Ansicht, beizii- 
;mmen r »dass die bisherige PflicM der Hebamme», bei einer 

Temperatar von 38,5“ dem Kreisärzte Anzeige za m/statten, auf 
-aben sei,“:. Wo steht diese Bestimmung'? teh kenne sie: nicht 
»H t. habe daher auch nicht ihre ..Abschaffung verlangt, Herr 
>-.ster verwechselt die Bestimmungen des Lehrbacbs aber die 
Meldepflicht mit denjenigen über Herbeirutung des Arztes, Bei 
38,5° ist der Arzt so rufen (§§.. 158, 308:, 333J. Die Melde¬ 
st ist sicht an eine bestimmte Temperaturhöhe 
gebundbö, sondern laut §. 303 ist lediglich•WOekenbe^fleber 
• r eine als eobdre verdächtige Krankheit dem Kreisarzt anzn* 
$ß iigen. Was als verdächtig aazuseheu ist, davon buh 2 das Nähere 

2) Herr Chester insinuiert mir die Ansicht, „dass eine 
. geklagte Hebamme ■ nicht straffällig sei, wenn sie Fieber im 
Woahenhetf dem Kreisarzt verschweige, sobald der zugezogene Arzt 

•it die Diagnose auf Wochenbettfieber gestellt habe. 0 Wann und 
WO. hat Herr Coester solches von mir gehört? In dem ange* 
enen Termin mag er mich miseverstanden haben. Das ist 
-cischuldbar. Unentschuldbar aber ist es, dass er meine achrift- 
: h&n Ausführungen nicht mit derjenigenAufmerksamkeit gelesen 
bat, die allein ihn zu einer Polemik gegen mich berechtigt hätte, 
v. , iil wissend, dass die Aerzte den Ausdruck * Wocheubettfiober* 
i- ;h Mdgfiickheit./vermeiden,' habe ich gesclirieben, letue und 
trete ich auf Grund nicht meiner persönliche» Anschauung, wiu 
fr Coe s t e r meint, sondern auf Grund des mir zwar zn milden, 
•v-nnöch aber allein massgebenden Lehrbuches folgendesVer¬ 
dacht auf Wochen bsttäeber uud somit Meldepflicht, liegen für die 
Hebamme bei jedem Fieber im Wochenbett vor, auch dann, wenn 
der bebandefiide Arzt die Diagnose »Wocbeübettftöber“ nicht 
.stoßt. Nur eine Aasnahme beäteht hier, nämlwlij wenn der Arzt 
nimmt -eine andere Krankheit diagnostiziert, und damit Wochen- 
J>* t rfieber ausschllesst. Typhus* Pneumonie, Diphtherie, Genick- 
üre u$w, sind für die jäsbämmö nicht meldepflichtig und wenn 
das Fieber dabei 42 8 ';erroiehtv-;~-.‘leider! denn der einzig in Be¬ 
fracht kommende §, 303 spricht nur vom Wocbenbetfcfieber. Die 
Anordnung einzelner Kreisärzte, ausnahmslos bei B8,5° oder 
r ähnlichen Temperatur ^n^dige zu erstatten, gellt über die 
r . timamttgett des Lehrbuches hinaus und bedeutet unter Om- 
Mfhüden eine Ueberschreituog ihrer Matditliefiognisse, 

3) Lediglich in dem sub 2 :.ch»)ßaktBriüierten Trrtume be¬ 
engen konnte Ooeetef ausrufen; ^Dahth gelangt man, wenn 
tou! die, Meldepflicht der Hebammen bestfeitOL' 1 Auf entstellte» 
TrcUachea aufgebaut, fällt die Anklage in sich selbst zusammen. 

4) Mit Erstaunen lese ich: »Der Ansicht, daes Beunruhi¬ 

gungen der Wdcbmsrirmen und der Familie» Ker^||erii|ehv'^M6a,;’ 
^*eun die- Hebammeu bei Tempomtursteigeruöge» . . gezwungen 

> i, einen Arzt, zu rufen* kann ich nicht beistimraeu Mas muss 
sehr auf dein Standpunkte der Naturheilmethodisten stellen, um 
an etwas zu glauben. Kinder schreckt man wohl mit dem ,Onkel 
l'vktor“ uswA Nicht die Zuziehung des Arztes, sondern 



Dr. Coester: Bemerkungen so der yor« teilenden Erklärung. 


621 


die Meldung an den Kreisarzt habe ich als Beunruhigung 
für Kranke und Umgebung bezeichnet. Wer wollte das leugnen P 
Zum mindesten durfte ich verlangen, dass Herr Coester richtig 
las, ehe er f&r gut fand, seine Bemerkungen über „Naturheilme¬ 
thodisten“ und den „Onkel Doktor“ vorzutragen. So sind sie 
deplaziert und gerichtet. 

Auf diesen unbegreiflichen Irrtümern Coesters baut sich 
seine Schlussthese 4 auf: „Es ist im Interesse des Hebammen¬ 
standes, dass die Lehrer an Hebammenlehranstalten das Ver¬ 
hältnis der Hebamme zu ihrem Vorgesetzten Kreisärzte nicht 
dadurch trftben, dass sie ihnen andere Lehren einprägen, als im 
Hebammenlehrbuch stehen und dieselben bei gerichtlichen Terminen 
vertreten.“ Wahrlich ein Vorwurf, wie er nicht schwerer unsere 
Hebammenlehrer treffen kann und in erster Linie mich treffen 
soll! Wo aber die Bausteine morsch sind, da ist das ganze Ge¬ 
bäude faul. Es bricht, ohne dass man daran rühren braucht, 
von selbst zusammen. Vorsicht, dass es im Fall nicht den Bau¬ 
meister selber trifft! 

Breslau, im Juli 1903. 


Bemerkungen zu der vorstehenden Erklärung. 

Von Med.-Rat Dr. Coester, Kreisarzt in Bnnslan. 

Zunächst wiederhole ich, dass mein kleiner Aufsatz veran¬ 
lasst wurde durch das in öffentlicher Gerichtssitzung abgegebene 
Gutachten des Herrn Dir. Baumm; ich habe ihm meine Absicht, 
dieses öffentlich zu besprechen, auch sofort mündlich mitgeteilt. 
Er belehre, so führte Herr B. damals aus, seine Schülerinnen 
dahin, Fieber im Wochenbett nicht immer dem Kreisarzt anzu¬ 
melden, da es die verschiedensten Ursachen haben könnte. Dieser 
Ausspruch wird unter Nr. 4 der vorstehenden „Erklärung“ zu¬ 
gegeben. Jeder Kreisarzt wird darin eine Einmischung in seine 
Funktionen finden, da er die Hebammen seines Kreises auf das 
Hebammenlehrbuch (insbesondere §. 303) und die Dienstanweisung 
für Kreisärzte (§. 57) hinweisen muss, die vorschreiben, dass ihm 
jeder Fall von Kindbettfieber, Gebärmutter- oder Unterleibsent- 
zündung oder eine als solche verdächtige Krankheit gemeldet 
werden muss. Eine Polizeiverordnung vom 24. April 1884 und 
30. Januar 1886 bestimmt dasselbe für die Provinz Schlesien. 
Ausserdem sind die Hebammen „als Personen, die mit der Pflege 
und Behandlung der Erkrankten beschäftigt sind“, auch nach der 
Polizei Verordnung vom 3. Juni 1901 verpflichtet, jeden Typhus-, 
Diphtherie- u. s. w. Fall anzuzeigen, falls ein Arzt nicht zuge¬ 
zogen ist. Jedenfalls sagt das Hebammenlebrbuch (§. 304) klipp 
und klar, dass die Hebamme bei Temperaturen über 38° stets in 
erster Linie an Wochenbettfieber zu denken und sich demgemäss 
nach §. 303 von dem Kreisarzt Verhaltungsmassregeln zu holen 
hat. Wenn daher in einem gerichtlichen Termine in Gegenwart 
einer Hebamme eine solche Aeusserung wie die vorher erwähnte 
von dem Direktor einer Hebammenlehranstalt fällt, so bin ich 



622 


▲tu Versammlungen und Vereinen. 


als Kreisarzt zur Aufstellung meiner Schlusstbese wohl berechtigt; 
ich halte diese auch trotz des Einspruches des Herrn Dir. Baumm 
in ihrer Allgemeinheit völlig aufrecht, weil solche Lehren in den sowie 
so nicht immer klaren Köpfen von Hebammen nur Verwirrung, 
wenn nicht bösen Willen und feindlichen Widerstand gegen die 
gegebenen Vorschriften zum Schaden der Wöchnerinnen hervorrufen. 

Damit fällt auch Nr. 2; denn ich insinuiere Herrn Dir. 
Baumm nicht die Ansicht, dass eine angeklagte Hebamme nicht 
straffällig sei, wenn sie Fieber im Wochenbett dem Kreisarzt 
verschweigt, sobald der zugezogene Arzt nicht die Diagnose auf 
Wochenbett gestellt hat, sondern Herr Dir. Baumm belehrt frei¬ 
willig ohne meinen Einfluss seine Schülerinnen selbst, nicht jeden 
Fieberfall dem Kreisärzte mitzuteilen; er findet es eben nicht 
strafbar, wenn die Meldung unterbleibt. 

Der Ansicht des Herrn Dir. Baumm, dass nicht jeder 
Fieberfall im Wochenbett dem Kreisärzte gemeldet zu werden 
brauche, kann ich auch jetzt nicht beipflichten und würde es im 
Interesse der Wöchnerinnen und mit Rücksicht auf die Disziplin 
bedauern, falls diese Ansicht künftighin als massgebend anerkannt 
werden sollte. Zugleich benutze ich die Gelegenheit, den be¬ 
rufenen Herren, welche meine kleine Arbeit so gütig aufgenommen 
haben, meinen ergebensten Dank auszusprechen. 1 ) 

Bunzlau, den 6. August 1903. 


Aut Versammlungen und Vereinen. 

Versammlung der Medizinal beamten des Regierungsbez. 

Magdeburg in Magdeburg am 26. April 1903. 

Anwesend sind die Herren: Begiernngspräsident Dr. Baltz, der Vor¬ 
sitzende Reg.- and Geh. Med.-Bat Dr. Hirsch, die Kreisärzte Probst, 
Moritz, Herms, Kühn, Strassner, Janert, Holthoff, Plange, 
Thilow, Friedei, Klage, Sohade, Dippe and der Gerichtsarzt 
Keferstein. 

Der Vorsitzende begrflsste die Versammlung and dankte dem Herrn 
Begiernngsprlsidenten für sein Erscheinen. 

Der Begiernngspräsident dankte für die Begrtlssang and betonte 
die Notwendigkeit gemeinschaftlicher Arbeit, am die neue Institution der 
Kreisärzte ein- and darchsaführen. Die grossen Errungenschaften der Medizin, 
besonders der Hygiene, haben dem Kreisarzt einen grossen Wirkungskreis zu¬ 
gewiesen, einen grosseren, wie früher, so dass kanm noch ein Gebiet der Ver¬ 
waltung vorhanden sei, wo nicht der Kreisarzt mit seinem Gutachten not¬ 
wendig werde. 

Der Kreisarzt soll nach dem Gesetz der technische Berater des Landrats 
sein, deshalb muss zwischen beiden ein kollegiales Verhältnis bestehen, ein 
Verhältnis des gegenseitigen Vertrauens. Wie weit ein solches hier im Bezirk 
besteht, sei ihm noch unbekannt, im Breslauer Bezirk, wo er bis zum 1..April 
gewesen, habe sich jedenfalls das Kreisarztgesetz gut eingefübrt und dement¬ 
sprechend sich auch das Verhältnis zwischen Landrat und Kreisarzt entwickelt. 
Zu Beibungen sei es nie gekommen, das sei auch Aufgabe des Taktes. Der 
Begiernngspräsident wünscht, dass hier die Verhältnisse ebenso liegen. 

Bei der Erfüllung seiner vielseitigen Aufgaben soll aber der Kreisarzt 
nicht zu weit gehen, damit er die neue Institution nicht diskreditiert. Er 
muss deshalb Mässigung walten lassen, denn das Bessere ist auch hier der 
Feind des Guten; er muss auf die Verhältnisse, besonders auch anf die Finanz- 


*) Damit ist für die Bedaktion die Angelegenheit erledigt. 




Au Versammlungen und Vereinen. 


628 


läge der Gesamtheit nnd des einseinen Rücksicht nehmen. 

Der Regierungspräsident schloss damit, er würde sich freuen, wenn er 
in dieser Auffassung mit seinen Kreisärzten harmoniere. 

Der Vorsitzende berührte vor der Tagesordnung noch kurz die 
Schulrevisionen und wies besonders darauf hin, in die beizufügenden 
Haud-*kizzen die Himmelsgegend nach Feststellung mit Kompass einzueichnen 
und die Protokolle möglichst sofort und nicht zu grosserer Zahl gesammelt 
einsureichen. 

Hierauf wurde in die Tagesordnung eingetreten: 

1. Dr. Keferstein referierte über gerichtsärztliche Sachver¬ 
ständigentätigkeit des Kreisarztes vor dem Amtsgericht in Straf¬ 
sachen. (Autoreferat.) 

Uebertretungen, bei denen der Kreisarzt besw. der Gerichtsarzt 
vorzugsweise als Sachverständiger gehOrt wird, sind zunächst solche der Kaiser¬ 
lichen Verordnung, betreffs Verkehr mit Arzneimitteln, vom 22.Oktbr. 
1901. Hier ist gewissermassen ein Widerspruch zu beachten in der Freigabe 
der kosmetischen Mittel. Letztere werden in der Verordnung als Mittel 
erklärt znr Reinigung, Pflege oder Färbung der Haut und des Haares sowie zur 
Reinigung und Pflege der Mundhöhle; da sie aber auch als Heilmittel freige¬ 
geben sind, kOnnen sie, soweit Haut, Haar oder Mundhöhle in Frage kommen, 
sich in ihrer Wirksamkeit weiter erstrecken, nämlich bis zur Beseitigung und 
Linderung von Krankheiten, denn das ist die in der Verordnung gegebene Er¬ 
klärung des Heilmittels; nur dürfen diese Mittel nicht Kreosot, Phenylsalizylat 
oder Resorzin enthalten. Die Fabrikanten sind jetzt bestrebt, alles Mögliche 
als kosmetische Mittel zu erklären; so z. B. ein Mittel gegen Fettsucht. Hier 
kann aber von eiuer Haut-, Haar- oder Mundhöhlenpflege keine Rede sein; auch 
muss man anerkennen, dass Fettsucht krankhaft ist, wenn arzneiliche Zube¬ 
reitungen gegen dieselben angewandt werden sollen. 

Die Polizeiverordnung, betr. Verbot der öffentlichen Ankündigung von 
Geheimmitteln, welche zur Verhütung oder Heilung menschlicher Krank¬ 
heiten dioncn sollen, wird gleichfalls nicht selten übertreten. Zur Entschuldi¬ 
gung wird angeführt, dass diese Mittel nur Hausmittel seien und aus durch 
Kaiserliche Verordnung freigegebenen Vegetabilien beständen. Die Bezeichnung 
als Hausmittel ist aber ganz willkürlich und die Freigabe der einzelnen Be¬ 
standteile ändert nichts daran, dass man verlangen muss, es sollen die Be¬ 
standteile und Mengenverhältnisse für jedermann bei der Ankündigung er¬ 
kennbar gemacht sein, sofern das Mittel nicht ein Geheimmittel sein soll. Als 
HauB- oder Gennssmittel ist es nur dann anzusehen, wenn es nicht znr Ver¬ 
hütung oder Heilung menschlicher Krankheiten gebraucht wird, wobei als 
Krankheit eine solche Abweichung des KOrpers gilt, welche die Erhaltung des 
Organismus und seine vollkommene Leistungsfähigkeit zu gefährden droht. Bei 
der Ankündigung von Geheimmitteln in der Zeitung ist nach dem ReichsprcBS- 
gosotz auch der verantwortliche Zeitungsredakteur strafbar. 

Zur Bekämpfung der Kurpfuscherei ist seit Herbst 1902 eine Poli- 
zeiverordnung erlassen. Ziffer 3 verbietet hier Personen, welche, ohne approbiert 
zu sein, die Heilkunde gewerbsmässig ausüben, öffentliche Anzeigen, sofern sie 
über Vorbildung, Befähigung oder Erfolge dieser Personen zu täuschen geeignet 
sind oder prahlerische Versprechungen enthalten. So wurde ein Kurpfuscher 
verurteilt, welcher Harnuntersuchungen öffentlich angekündigt hatte, obgleich 
er solche knnstgemäss nicht ausführen konnte, weil diese Anzeige geeignet war, 
über seine Befähigung zu täuschen; ein anderer, weil er schnellste Hilfe ver¬ 
sprochen hatte, da diese Superlativform prahlerisch sei. 

Bei Vergehen der Kurpfuscher gegen das Gesetz, betr. unlauteren Wett¬ 
bewerb, wird der Kreisarzt vor Gericht als Gutachter gehOrt, ob hierbei 
wissentlich unwahre und zur Irreführung geeignete Angaben tatsächlicher Art 
gemacht worden sind. Hierbei kann der verantwortliche Zeitungsredakteur, 
falls auch gegen diesen ein Strafantrag gestellt ist, gleichfalls bestraft werden. 
Diese letztere Massnahme hat bewirkt, dass die marktschreierischen Ankündi¬ 
gungen selten geworden sind, weil der Redakteur aus Furcht vor Strafe solche 
Anzeigen nicht nfehr in seine Zeitung aufnimmt. 

Verhältnismässig wenig wird der ärztliche Sachverständige vor dem 
Schöffengericht in Anspruch genommen bei Körperverletzungen, we :< 



624 


Ans Versammlungen and Vereinen. 

# 

bei leichteren Verfettungen, wie solche nnr vor dem Schöffengericht abge- 
urteilt werden, das schriftliche ärztliche Gutachten verlesen werden kann 
ohne persönliche Vernehmung des Sachverständigen. 

Selten wird auch vor dem Schöffengericht der Sinwand der Geistes¬ 
krankheit gemacht, weil der Betreffende befürchten muss, in eine Irren¬ 
anstalt kommen su können, und einen solchen Aufenthalt mehr scheut, als 
eine karse Gefängnisstrafe. Nnr Landstreicher nnd derartige Personen 
kommen hier mit diesem Einwand, nm dem Arbeitshauso zu entgehen; auch 
bei jugendlichen Personen wird dieser Einwand gelegentlich von den Ange¬ 
hörigen erhoben. 

2. Dr. Friedei sprach über Manganvergiftung nnd stellte den be¬ 
treffenden Kranken vor. (Siehe S. 614.) 

In der Diskassion fragte der Regierungspräsident, welche 
Schutzmassregeln die Berufsgenossenschaft getroffen habe, und ob die Lente 
Kenntnis besässen, dass sie in einem gefährlichen Betriebe arbeiten. Friedel 
verneinte letzteres, teilte aber mit, dass regelmässige periodische Untersuchungen 
stattfinden sollen. Kühn fragte nach etwaiger hereditärer Anlage zu Nerven¬ 
krankheiten. Moritn erwähnte seine Erfahrungen, wonach in Solinger Schlei¬ 
fereien Exhanstoren, welche der Vorsitzende in Anregung brachte, durch Zug¬ 
luft häufig noch mehr Staub aufgewirbelt haben. Bei Besprechung etwaiger 
Unfallentschädigung der Erwerbsbeschränkung wies Strassner darauf hin, 
dass hier nur eine Gewerbekrankheit, kein Unfall in Frage komme. 

8. Dr. Schade machte Verbesserungsvorschläge ihr ein neues 
Hebammenlehrbueh. (Autoreferat.) 

Er kritisiert die Vorschläge Baum ms in Nr. 7 der Zeitschrift fürMedl- 
sinalbeamte und wünscht vor allem klare unzweideutige Vorschriften über das 
Verhalten der Hebammen bei Fieber und Wochenfieber. Er hält am Thermometer, 
als dem Hauptkriterium des Fiebers, fest nnd kann von Baum ms Vorschlägen 
in dieser Beziehung keine Besserung erwarten. Er will ferner die Meldepflicht 
der Hebammen unabhängig von der Diagnose deB behandelnden Arztes machen, 
einmal auf Grund eigener Erfahrungen, zweitens weil die Hebamme zur 
Meldung verpflichtet sei, der Arzt aber nicht, und Entscheidungen vorlägen, 
nach denen die Hebamme wegen unterlassener Meldung des eigenen Verdachts 
des Kindbettfiebers bestraft sei, der Arzt aber straffrei ausging, und drittens, 
weil die Hebamme oft bei den Besuchen des Arztes nicht zugezogen und der 
Arzt auch za einer Meldung seiner Diagnose an die Hebamme nicht verpflichtet 
sei. Heute erführe die Hebamme die oft falsch verstandene oder verklausulierte 
Diagnose des Arztes nicht selten auf Umwegen; durch diese Verzögerung ent¬ 
ständen stets Gefahren für andere Wöchnerinnen. 

Im übrigen lauteten seine Leitsätze: 

,1. Die Hebamme hat über jede WOchnerin einen Temperaturzettel su 
führen; die Eintragungen in diesen haben regelmässig bei jedem Besuch sofort 
nach der Messung sn erfolgen. 

2. Der Kreisarzt hat nach einem vom Regierungspräsidenten su ge¬ 
nehmigenden Plane die Hebammen seines Kreises an ihrem Wohnort su kon¬ 
trollieren, insbesondere auch darauf, dass die Eintragungen in das Tagebuch 
und die Temperaturzettel regelmässig erfolgen. 

8. Besteht Fieber zwischen 87,9—88,3°, so ist die Zuziehung eines 
Arztes geraten, ebenfalls, wenn die Hebamme aus schlechtem Allgemeinbefinden, 
Schmerzhaftigkeit des Leibes oder sonstiger Ursache auf eine Erkrankung der 
WOchnerin schliesst. 

4. Die Zuziehung eines Arztes ist stets su verlangen, wenn der Thermo¬ 
meter in der Achselhöhle der WOchnerin 88,6° C. zeigt, oder wenn das Fieber 
zwischen 37,9—38,6° auch am zweiten Tage nicht unter diese Temperatur 
gefallen ist. 

5. Findet die Hebamme hierbei eine besondere Schmerzhaftigkeit des 
Leibes und übelriechenden Ausfluss oder eine ansteckende Krankbeit, oder be¬ 
findet sich eine an solcher Krankheit leidende Person in der Wohnung der 
Hebamme oder WOchnerin, so ist gleichseitig der Kreisarzt zu benachrichtigen. 

6. Derselbe ist ebenfalls su benachrichtigen, wenn dem Verlangen der 
Hebamme, einen Arzt su rufen, nicht entsprochen wird, oder wenn der be¬ 
handelnde Arst Kindbettfieber oder eine ansteckende Krankbeit feststellte, 



Ans Versammlungen and Vereinen. 


626 


oder wenn er den Verdacht, dass es sich am Kindbettfieber oder am eine 
andere ansteokende Krankheit bandele, nicht aossobliesaen kann. Diese Fragen 
sind dem behandelnden Arste in vorstehender Form vorzulegen and die Dia¬ 
gnose des Arztes dem Kreisarzt za melden. Za diesem Zwecke erhält die 
Hebamme frankierte Meldekarten mit Vordruck. 

7. Ueber jede Zuziehung des Arztes, jede Erkrankung and jeden Todes¬ 
fall hat die Hebamme mit Angabe der Ursachen eine Notiz unter Bemerkungen 
im Eatbindnngsverzeichnis einzntragen. Die Ueberschriften der betreffenden 
Rubriken sind entsprechend abzuändern. 

8. Am Schlüsse des Verzeichnisses hat die Hebamme za versichern, dass 
die Eintragungen im Verzeichnis richtig, keine Entbindung aasgelassen sei and 
alle Fragen nach bestem Wissen beantwortet worden. 

9. Um Unterschlagnngen von Todesfällen im Wochenbett im Ent- 
biadangsVerzeichnis der Hebammen dem Kreisarzt auffindbar za machen, haben 
die Standesbeamten bei Todesfällen im Wochenbett ein W. am Rande der 
Sterbekarten za verzeichnen. Das statistische Bnrean hat diese Karten dem 
Kreisarzt vorzulegen.“ 

In der Diskassion erklärt Kluge, dass in seinem Kreise jetzt wohl 
jeder Kindbettfieberfall gemeldet werde; erreicht habe er dies durch einige 
Bestrafungen von Hebammen und Belehrung im Hebammenverein. Er erwähnt 
als erschwerend die Opposition der Aerzte, besonders der Gynäkologen; 
Keferstein teilt als Erfahrung aus seinem früheren Kreise mit, dass Baumm 
die Hebammen im Kursus lehre, dass sie Kindbettfieber nnr auf Grund ärzt¬ 
licher Diagnose zu melden hätten. 

Auch der Regierungspräsident beteiligte sich wiederholt an der 
Diskussion. Her ms erwähnt die obligatorische Leichenschau als bestes Mittel 
gegen Unterschlagung der Todesfälle. 

4. Kluge behandelte die Schularztfrage für ländliche Gemeinden. 
(Autoreferat.) 

Im Anschluss an sein am 16. Dezember 1902 in der amtlichen Konferenz 
der Mediziaalbeamten des Regierungsbezirks erstattetes Referat: „Ueber die 
bisherigen Erfahrungen bei den kreisärztlichen Schulbesichtigucgeu“ spricht 
Referent über die „Schalarztfrage für ländliche Gemeinden“. 

In der Spalte 12 des Formulars IX der Dienstanweisung für die Kreis¬ 
ärzte sind unter der Ueberschrift „Krankheiten der Schulkinder“ Fragen ge¬ 
stellt, deren genaue Beantwortung eingehende Untersuchungen aller Schalkinder 
voraassetzt, andernfalls haben die Ergebnisse keinen Wert. — Solche Unter¬ 
suchungen erfordern viel mehr Zeit, als dem Kreisarzt jetzt für die Besichtigung 
der Schulen einer Ortschaft zur Verfügung steht, aber auch gesetzt, er hätte 
die Zeit dazu, so sind die Ergebnisse ohne wesentlichen Nutzen, da sie nur 
alle 5 Jahre kontrolliert werden können. — Eine Untersuchung des neu in den 
Schulunterricht eintretenden Kindes ist im Interesse einer „vollkommenen Schul¬ 
hygiene“ aber ebenso notwendig, als die Ueberwachung der gesundheitlichen 
Beschaffenheit des Gebäudes nebst Zubehör, desgleichen die fortlaufende Ueber¬ 
wachung der gesundheitlichen Entwickelung durch halbjährige oder wenigstens 
jährliche Wiederholang der Untersuchungen, wenn auch in nicht so eingehender 
Weise, wie beim Eintritt in die Schale. Die Durchführung dieser Massregel 
wird die Notwendigkeit der Anstellung von Schulärzten auch für ländliche 
Gemeinden ebenso herbeiführen, wie dies jetzt in den meisten grösseren Ge¬ 
meinwesen bereits der Fall gewesen ist. — Nach Ansicht des Referenten soll 
sich die Tätigkeit der Schulärzte auf dem Lande völlig auf die gesundheitliche 
Kontrolle der Kinder beschränken; die Kontrolle der Gebäude etc. ist lediglich 
dem beamteten Arzt Vorbehalten. 

Die Untersuchung der neu in den Schulunterricht eintretenden Kinder 
hat sich auf allgemeine Körperbeschaffenheit und Ernährungszustand (eventuell 
mit Gewichtsbestimmungen), auf den Zustand der Eingeweide in den grossen 
Körperhöhlen (speziell Lungen und Herz), auf den ZnBtand der Sinneswerkzeuge 
(Gesicht, Gehör) und eventuell auch auf den Zustand der Zähne zu erstrecken. 
— Körperliche Gebrechen, Hautkrankheiten werden bei der Feststellung der 
allgemeinen Körperbeschaffenheit gleich mit festgestellt. — Der bei der Unter¬ 
suchung anwesende Lehrer trägt den Befand in vorgedruckte Schemata (ärzt¬ 
liche Stammrolle) ein, welche als Anhalt bei den jährlichen bezw. halbjähr- 



626 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


liehen Gesundheitskontrollen sämtlicher Schulkinder dienen. — Nach angestellten 
Berechnungen wird ein Schularzt für die Aufsicht über 700 Kinder zu den 
Untersuchungen und Besichtigungen im ganzen 28 bis 80 Stunden im Schuljahr 
nötig haben, die sich auf einen Zeitraum von 2‘/»— 3 Wochen verteilen würden. 

Mit der schulärztlichen Tätigkeit würden am besten die praktischen 
Aerzte zu beauftragen sein, welche in dem Ort bezw. in dem Bezirke die 
Praxis aasüben (also analog der Binrichtnng bei der öffentlichen Impfung). 

Oie grösste Schwierigkeit bei Einführung von Schulärzten für ländliche 
Gemeinden würde, wie bei fast allen die Gesundheitspflege betreffenden Neue¬ 
rungen, die Lösung der Kostenfrage bilden. — Berger-Hannover ist für 
Uebernahme der Kosten auf den Kreis und berechnet für einen solchen von 
30000 Einwohnern die Gesamtkosten auf nur 1200 Mark, indem er annimmt, 
dass ein Schularzt für seine Tätigkeit bei 700 Kindern 160 Mark erhalten solle, 
allerdings vorausgesetzt, dass er in denselben Bezirken impf- und Vertrauens- 
ärztliche Tätigkeit mit besonderem Honorar austtbt. 

Nach Berechnungen des Referenten Bind diese Kosten zu gering veran¬ 
schlagt. Sie werden mindestens das doppelte betragen müssen, wenn gute und 
zuverlässige Aerzte gewonnen und damit zuverlässige Resultate erreicht 
werden sollen. 

Der Kreisarzt muss für sämtliche Schulärzte die Zentralinstanz bilden, 
an ihn müssen alle Berichte und Vorschläge gehen. Konferenzen des Kreis¬ 
arztes mit den Schulärzten würden zur gemeinsamen erspriesslichen Tätigkeit 
sich als notwendig erweisen. 

Oie Diskussion eröffnet Friedei mit der Erklärung, dass nach 
seinen Erfahrungen auf dem Lande bei den vorliegenden Verhältnissen Schul¬ 
ärzte nicht notwendig seien; er warnt, mit den Forderungen zu weit zu gehen, 
und erinnert daran, dass man in Greifswald bereits die Schularzttätigkeit als 
überflüssig erkannt und eingestellt habe. Kühn will das nicht unterschreiben; 
er wünsche eine solche Gesundheitskontrolle; die Notwendigkeit bestehe unbe¬ 
dingt, aber es fehle noch an dem notwendigen Verständnis dafür. Der Re¬ 
gierungspräsident hält die allgemeine Einführung der Schularzttätigkeit auf 
dem Lande noch für verfrüht, man solle erst die Erfahrungen der Städte mit 
dieser Einrichtung ab warten; die Forderungen, welche das Kreisarztgesetz 
bedingt, sind für ländliche Gemeinden schon jetzt und noch für längere Zeit 
recht erhebliche. 

Auf die Anfrage von Herms, wie es mit der in Aussicht gestellten 
Desinfektionsordnnng stehe, erwidert der Vorsitzende, dass eine solche 
für die Provinz in Bearbeitung sei und bald erscheinen werde. 

Infolge der weiteren Mitteilung von HermB, dass in seinem Bezirk 
häafig Granulöse bei den fremden Arbeitern vorkomme, aber häufig von den 
Aerzten nicht als solche erkannt werde, wurde darauf aufmerksam gemacht, 
dass sie nach anderer Erfahrung, besonders auch der Magdeburger Augenärzte, 
hier nicht gerade häufig vorkomme. Auch sprach der Regierungspräsi¬ 
dent über seine Erfahrungen, die er bezüglich der Granulöse alB Landrat des 
Kreises Gr. Wartenberg gemacht hat, und beauftragte Herme, einen 
amtlichen Bericht über diese Frage zu erstatten, um auf Grund der Unterlagen 
der Angelegenheit selbst näher treten zu können. 

Dr. Strassner-Magdeburg. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitätswesen. 

Die Blutserumtherapie bei der Dysenterie. Von Prof. Dr. K r u s e. 
Aus dem hygienischen Institut der Universität Bonn. Deutsche Med. Wochen¬ 
schrift ; 1903, Nr. 1 und 3. 

Verfasser berichtet zunächst über seine Heil- und ImmunisierungsveTsuebe 
an Tieren mit dem von ihm hergestellten Rohrheilserum. Darnach gelang 
es ihm, Meerschweinchen, die mit Ruhrbazillen infiziert waren und ohne Be¬ 
handlung nach sieben bis zehn Tagen gestorben wären, noch durch die am 
dritten Krankheitstage eingeleitete Blutserumtherapie zu heilen. Desgleichen 



Kleinere Mitteilangen and Referate aas'Zeitschriften. 


627 


genügte der aohtsigtansendete Teil eines Grammes Ruhrsernm, am Meerschwein* 
eben ror dem sonst binnen 24 Standen erfolgenden Tode durch Rahrbasillen 
sn retten. 

Für die Wirkung des Rahraernms auf den Menschen war non die 
Beobachtang wichtig, dass, wenn Blatsernm gesunder Menschen mit Rahrbasillen 
geimpft and zu diesem Gemisch eine Spar, z. B. der tausendste Teil Rahr- 
seram hinsagefttgt wurde, binnen wenigen Standen die Bazillen, statt zn wachsen 
and sich zu vermehren, ihre normale Form und ihr Aussehen veränderten, auf- 
qaollen, sich teilweise aaflösten and schliesslich mit Zarttcklassnng spärlicher 
kOrniger Reste ganz verschwanden. 

Verfasser zog aas diesem Versaohsergebnis mit Recht den Schloss, dass 
das Blutserum des normalen Menschen durch Zuführung von Rnhrseram in den 
Stand gesetzt wird, der Rahrbasillen Herr zn werden. 

Es frag sich jetzt: Entspricht die Praxis der Theorie and bat die Blot* 
sernmtherapie wirklichen Wert bei der Ruhr? Obwohl Krnse das von ihm 
hergestellte Serum unentgeltlich zur Verfügung stellte nnd bei den Aerzten 
allenthalben das freundlichste Entgegenkommen fand, weist seine Liste über 
Versuche bei Menschen doch nur etwa 100 Kranke anf. Von diesen sind 8 = 8°/ 0 
gestorben, während 10—11 °/ 0 Mortalität bei Ruhrepidemien die regelmässige Sterb¬ 
lichkeitsrate ist. Bleiben ausserdem drei Fälle ausser Betracht, bei denen es sich 
zur Zeit der Serameinspritzung schon nm Todeskandidaten handelte nnd diese 
somit von vornherein keine Aussicht auf Erfolg bot, so ergibt Bich eine Mor¬ 
talität von nur 5°/ 0 . Die gleiche Sterbeziffer stellt sich heraus, wenn man nur 
die von den Krankenhäusern mit Serum behandelten Ruhrkranken (86) berück¬ 
sichtigt, von denen 4 starben, eine jedenfalls recht günstige Ziffer, nament¬ 
lich wenn man bedenkt, dass die drei oben erwähnten Todeskandidaten, bei 
denen die Behandlung von vornherein aussichtslos erschien, dazu gehörten, nnd 
dass 19 von diesen Krankenhanspatienten im Alter von unter zehn Jahren 
standen and von diesen nur einer verstorben ist, während die Sterblichkeit 
sonst in diesen Altersklassen durchschnittlich dqs drei- bis vierfache beträgt. 
Hervorgehoben zn werden verdient ferner der mehrfach beobachtete abortive 
Verlauf der Krankheit nach der Einspritzung. 

Das Urteil der Praktiker, die das Serum znr Anwendung gebracht haben, 
lässt sich dahin zusammenfassen, dass die grosse Mehrzahl von ihnen, and 
zwar gerade diejenigen, die die meisten Fälle zu behandeln hatten, einen deut¬ 
lichen Einfluss der Sernmtherapie, insbesondere bei den frischen Fällen, gesehen 
haben wollen nnd zwar insofern, als die Schwere der Erkrankung and der Re¬ 
konvaleszenz abgekürzt, die Zahl der Todesfälle vermindert wird. 

Nach Ueberzengung des Verfassers würde der Erfolg der Serambehand- 
luDg ein noch günstigerer gewesen sein, wenn gleich von Anfang an grössere 
Dosen des Serams eingespritzt worden wären. Zunächst hatte er geglaubt, 
die Dosis für den Erwachsenen anf 10 ccm, für die Kinder auf die Hälfte be¬ 
messen zu müssen; später hat er jedoch gesehen, dass die doppelte Menge, 
also 20 ccm, auf einmal oder in zwei Portionen, nicht nur von den Erwachsenen, 
sondern auch von Kindern ausgezeichnet vertragen wurde and bessere Heil- 
resaltate ergab. 

Ueber den prophylaktischen Wert des Rnhrsernms kann Krnse 
noch nichts Sicheres aussagen, obwohl er überzengt ist, dass gerade diese 
Art der Anwendung die besten Aussichten auf Erfolg bietet. Im ganzen 
sind im Jahre 1902 10 solche Einspritzungen in Familien, in denen Rahr- 
erkrankungen vorgekoinmen waren, gemacht. Neunmal trat bei den Ge¬ 
spritzten keine Infektion auf, einmal erfolgte sie am dritten Tage nach der 
Einspritzung von 2 ccm Serum; der Termin der Injektion fiel danach schon 
in die Inkubationszeit. Jedenfalls liegt es im Interesse der öffentlichen Ge¬ 
sundheitspflege, dass die praktischen Aerzte, vor allem aber die Anstaltsärzte 
und Medizinalbeamten von diesem sicher rationellen Vorbengnngsmittsl künftig¬ 
hin allgemeinen Gebranch machen. Es wird ihnen dies dadurch wesenU*“ 
erleichtert, dass der Verfasser das von ihm hergestellte RubTsernm nnen 1 
lieh abgebe (s. Notiz anter Tagesnachrichten). 

Nicht za beeinflussen dnrch das Rnhrseram sind die Amöbendysi 
und die sogenannte Pseadodysenterie, die teils sporadisch, teils als Rui 
Irren vorkommt. Rpd. 



628 


Kleinere Mitteilangen and Referate ans Zeitschriften. 


Ueher Fütter ungstuberknlose. Von Prof. Dr. v. Esnsemtsn. Vor¬ 
trag, gehalten am 4. Februar 1908 in der Berliner medizin. Gesellschaft. 
Berliner klinische Wochenschrift; Nr. 7 n. 8, 1908. 

Kochs Aufforderung an die pathologischen Institute, ihm Fälle von 
primärer Ffltternngstnberknlose zugänglich in machen d. b. Fälle von angeb¬ 
licher Infektion nach Gennas von Perl9nchtmilch unter Berücksichtignng gewisser 
Bedingungen (Obduktion, Ausschluss anderer Infektionsquellen, Verhalten der 
übrigen Personen, die dieselbe Milch genossen haben, Nachweis der Euter- 
tuberkulo8e) ist anerfüllbar, da selbst in denjenigen Fällen, wo naebgewiesen 
wurde, dass die Patienten tnberkelhaltiges tierisches Material genossen hatten, 
es immer noch möglich ist, dass auch noch ansserdem menschliche Tuberkel- 
bazillcn aufgenommen worden. Mit dieser Einschränkung veröffentlicht Ver¬ 
fasser 25 Fälle primärer Darmtuberkulose, sichere Fälle, bei denen die Tuber¬ 
kulose vom Darm ihren Ausgangspunkt genommen hat. Sie verteilen sich 
über 7 Jabre. Zunächst 5 Fälle, bei denen sich ausschliesslich ein tuber¬ 
kulöses Geschwür im Darm als Nebenbefund nnd sonst nichts von Tuberknlose 
fand. Die weiteren 12 Fälle waren solche, bei denen die Tuberkulose sich von 
einem Darmgeschwür ausgehend auf die mesenterialen Lymphdrflsen oder auf 
das Peritoneum fortgepflanzt hatte, während im übrigen Körper sich nichts 
von Taberkulose vorfand. Dann folgen Fälle mit Ausbreitung der Tuberkulose 
auf die Bauchhöle und zum Schluss solche, die an Tuberkulose endeten, deren 
Deutung jedoch zur Annahme primärer Darmtuherknlose führen musste. Bin 
Teil der primären Darmtuberkulosen heilt aus; die schweren zum Tode 
führenden Fälle bilden die Ausnahmen. Darch irgendwie kranke, entzündete 
oder ulzerierte Schleimhäute können Tuberkelbazillen hindurebgehen, ohne an 
der Eingangspforte haften zu bleiben, besonders an den Stellen lymphatischer 
Einrichtungen (Tonsillen, Darmfollikeln). Auch primäre Mundschleimhauttuber¬ 
kulose ist keine Seltenheit (oft mit Zungenkrebs verwechselt), dagegen primäre 
Tonsillentuberkulose äus9erst selten, ebenso Tuberkulose des Magens. Die 
Speiseröhre ist noch niemals als Eingangspforte bezeichnet worden. Am 
meisten kommen tuberkulöse Geschwüre im Ileum in der Gegend der Bauhin- 
sehen Klappe and im Dickdarm vor. Von den mit Lungenschwindsucht be¬ 
hafteten Menschen, die ihre Taberkulosebasillen in Massen verschlucken 
(Kinder unter 10 Jahren) bekommen nur wenige Darmtnberkulose. Man muss 
daher für die primäre Darmtuberkulose eine gewisse Disposition vorausaetzen. 

Verfasser kommt zu folgenden Schlüssen: Die primäre Ftttterungs- 
tuberkulöse vom Darm aus ist eine seltene Erkrankung. Sie kommt meist bei 
Schwerkranken und Greisen oder bei besonders disponierten Individuen vor. 
In den meisten Fällen kann sie frühzeitig ausheilen. Zuweilen nimmt sie 
grössere Dimensionen an und kann durch Propagation auf andere Organe oder 
allerhaud Zufälligkeiten den Tod herbeifuhren. Es ist bisher in keinem Fall 
beobachtet worden, dass durch Infektion vom Darm aus eine Lungenschwind¬ 
sucht entstanden wäre und insofern kommt Verfasser, wenn auch auf ganz 
anderen Wegen zu demselben Schluss wie Koch. 

_ Dr. Räuber-Düsseldorf. 

Fütterungstuberkulose ln einer Abdeckerei. Von Dr. med. vet. 
Köhler. Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene; 1908, Nr. 6. 

Im Schlachthause der 8tadt Bremen beobachtete man, dass die Schweine 
einer dortigen Abdeckerei durchweg stark tuberkulös waren. Der Besitzer 
verfütterte an dieselben z. T. als untauglich auf dem Schlachthofe bean¬ 
standetes und ihm zur technischen Verwertung überwiesenes Fleisch nnd Organ¬ 
teile. Naturgemäss befand sich darunter viel tuberkulöses Material. Es steht 
fest, dass alles derartige Fleisch vor dem Abholcn zerschnitten und reichlich 
mit Petroleum ttbergossen war. Ferner wurde seitens des Wasenmeisters be¬ 
hauptet, dass stets die betr. Stücke vor der Verfütterung 9 Stunden lang (?) 
stark, allerdings in einem gewöhnlichen, grossen Kessel, gekocht haben. Dass 
sie in der Tat gründlich gekocht gewesen sind, ist anznnehmen, weil die Schweine 
das mit Petroleum stark übergossene Fleisch sonst nicht gefressen haben 
würden. Das Kochen muss aber dennoch nicht stark genug gewesen sein, da 
die Taberkelbazillen durch dasselbe nicht abgetötet wurden. 

Der Fall liefert einen unfreiwilligen Beitrag zu der Lehre von der 



Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


629 


F&tternngstnberknlose nnd neigt, wie notwendig stellenweise noch eine Rege¬ 
lung des Abdeokereiwesens ist Dr. Schrakamp-Düsseldorf. 


Beitrag tarn Studium der Binder- und menschlichen Tuberkulose. 
Von Dr. Angelo Cipollins. Aus dem Institut für das Studium der Tuber¬ 
kulose in Genua, Direktor Prof. D. Maragliano. Berl. klin. Wochenschrift, 
Nr. 8. 1908. 

Cipollina gelang es, einen weiblichen Affen darch Fütterung mit 
Milch, die eine Aufschwemmung von tuberkalöien Rinderbazillen enthielt, all¬ 
gemein tuberkulös zu machen (tuberkulöse Peritonitis, Schwellang and käsige 
Entartung der Mesenterialdrüsen, tuberkulöse Knoten in Milz, Nieren, 
Lungen. Magenschleimhäut und Darmscnleimhant intakt). Ein Kalb wurde 
mit Inhalationen von Bazillen menschlicher Taberknlose, später mit Injektionen 
von Aufschwemmungen solcher Bazillen in das Peritoneum behandelt. Bei der 
Autopsie keine Tuberkulosis, also Widerstand gegen menschliche Taberknlose. 
Der menschliche Bacillus ist auf alle Haustiere übertragbar, die empfindlich 
sind für den Rin lerbacillns mit dem Unterschied, dass der erstere fast immer 
weniger virulent erscheint als der zweite. Verfasser zieht daraus in Ver¬ 
bindung mit seinen Versuchen den Schluss, dass der Rinderbacillus auch für 
den Menschen virulenter ist als der menschliche Bacillus selbst. 

_ Dr. Räuber-Düsseldorf. 

Zur Kritik der Tuberkulosefrage. Von Dr. Sohottelius. Zieg¬ 
lers Beiträge zur patholog. Anatomie usw.; Bd. XXXIII, H. 1—2, S. 32. 

Verfasser betont die Gefährlichkeit des Spntnms von Phthisikern hin¬ 
sichtlich der Verbreitung der menschlichen Taberknlose. Er vertritt die An¬ 
sicht, dass auch die weitaus grösste Zahl der Fälle von Rinder¬ 
tuberkulose direkt durch Infektion mit den Auswurfstoffen 
(Dejektionen, besonders aber das Sputum) tuberkulöser Menschen 
(Melker, Kuhmägde usir.) entstehe. Es ist ihm gelungen, durch längere 
Zeit hindurch fortgesetzte Fütterungsversuche bei 3 Rindern, denen Futter 
mit grösseren Mengen tuberkulösen Sputums infiziert wurde, Tuberkulose, und 
zwar Ftttterungstuberkulose hervorzurufen. Besonders beweisend lür die Mög¬ 
lichkeit einer auf diesem Wege erfolgenden Uebertragung der menschlichen 
Tuberkulose auf das Rind erscheinen ihm die Befunde bei zwei Kühen. 

_ Dr. Riesel-Leipzig. 


Der Kampf gegen die Tuberkulose als Volkskrankheit. Von Dr. 
Jalius Katz. Berliner Klinische Wochenschrift; Nr. 6, 1903. 

Wenn aus den Berichten des Reichsversicherungsamts hervorgeht, dass 
die Sterblichkeit an Tuberkulose abgenommen hat, so scheint dies bei den in 
Kassen organisierten Industriearbeitern nicht in gleichem Masse der Fall zu 
sein. Bei einer Anzahl Berliner Kassen betrug die Sterblichkeit 1894 : 38, 
1896 : 28, 1898 : 37 und 1901: 35 auf je 10000. Die an die Errichtung von 
möglichst viel Heilstätten geknüpften Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Nach 
der Engelmannschen Statistik sind von 424 Patienten, die sich bei der 
Aufnahme im ersten Stadium befanden, nur 44 °/ 0 nach 3‘/*—4 Jahren arbeits¬ 
fähig geblieben. Dazu kommt, dass unter diesen 66,3 °/ 0 waren, bei denen man 
keine Taberkelbazillen gefunden hat — also vielleicht nur anämische. Segens¬ 
reich hat die Heilstättenbewegung dadurch gewirkt, dass sie das Volksgewissen 
aufgerttttelt hat; man darf sich aber nicht mit den erzielten Erfolgen be¬ 
gnügen, sondern muss eine weitere Ausgestaltung der Tuberkulösen-Fürsorge 
fordern. 

Verfasser tritt für grössere Berücksichtigung des Klimas ein, die in der 
letzten Zeit fallen gelassen worden ist. Auch Erb hat vor kurzem betont, 
dass zur Erzielung energischer klimatischer Wirkung es eines Klimawechsels 
bedarf. Den unleugbar günstigen Einfluss mancher Klimate und des Klima¬ 
wechsels für die Tuberkulösen sollte man ausnützen. Ein begrenzter Aufent¬ 
halt von ein paar Monaten, selbst im günstigsten Klima der Welt genügen 
aber nicht, lungenkranke Arbeiter dauernd gesund zu erhalten, wenn der Kur 
nicht eine Kolonisierung dieser Patienten als Ackerbauer und Landwirte ip“^ 
einem Klima folgt, das für den dauernden Aufenthalt von Phthisikern geeigr 



630 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


ist. Eine Kolonisation in Deutschland, wie von anderer Seite empfohlen, ist 
nicht gtlnstig; dagegen entspricht allen notwendigen Anforderungen Deutsch* 
West-Afrika, wie alle Personen, die dort gelebt haben, bestätigen. Warum 
sollten unsere deutschen Arbeiter nicht Heimat und Beruf verlassen, um 
im fremden Lande Gesundheit und Existenzmöglichkeit wiedersugewinnen. 
Nicht minder wichtig ist die finanzielle Durchführbarkeit des Kolonisa- 
tionsplanes. Von den Landesversicberungsanstalten sind in den letzten 
Jahren 5 Millionen fttr die Tuberkulosebekämpfung und aber bO Millionen fOr 
andere gemeinnützige Zwecke aufgewendet worden, während das von diesen 
Anstalten aufgesammelte Kapital aber 900 Millionen beträgt. Ein kleiner Teil 
dieser Samme konnte fOr koloniale Zwecke aufgewendet werden. Ferner 
werden später durch eine Zentralisierung der tuberkulösen Behandlung inner¬ 
halb der Krankenkassen grosse Summen fOr den gedachten Zweck frei werden. 
Der vierte bis fünfte Teil aller Kraokenhausausgaben, die sich 1900 auf 176 Mil¬ 
lionen beliefen, wird fttr die Behandlung der Phthisiker aufgewendet. Mit 
diesen 35—10 Millionen könnte eine ganz andere planvolle Verwendung ermög¬ 
licht werden als bisher. 

Verfasser bittet, seinem eine wertvolle Ergänzung bildenden Plan zur 
Durchführung za verhelfen. Dr. Räuber- Düsseldorf. 


Tuberkulosebekämpfung. Ausgearbeitet für einen Vortrag am 12. April 
1903 im Wiener Verein für innere Medizin. Von E. ▼. Behring in Marburg 
(Lohn). Berliner Klin. Wochenschrift; Nr. 11, 1903. 

B. legt den gegenwärtigen Stand seiner tierexperimentell gewonnenen 
tuberkulosetherapeutischen Ergebnisse dar, nachdem die Institutsexperimente 
zum Studium der Tuberkuloseschutzimpfung an Bindern im wesentlichen abge¬ 
schlossen sind. Seine weiteren Versuche an Bindern geschehen nur noch, um 
für den Menschen eine praktisch durchfürbare schützende Behandlung auf 
sichere experimentelle Grundlagen zu stellen. In Bezug auf die Schutzimpfung 
von Bindern verweist B. auf seine Veröffentlichung in Johns Zeitschrift für 
Tiermedizin: »Die Jennerisation als Mittel zur Bekämpfung der Rindertuber- 
kulose in der landwirtschaftlichen Praxis“. 

Die für die Bekämpfung menschlicher Tuberkulose wichtigen Versuchs¬ 
ergebnisse beziehen sich auf das Verhalten von Bindern in den verschiedenen 
Lebensaltern gegenüber der gleichen Dosis und der gleichen Applikationsart 
seines Impfstoffes. Letzterer wird aus einer virulenten Kultur menschlicher 
Taberkelbazillen gewonnen, die, mit Wasser emulsioniert, in eine Halsvene 
eingespritzt wird. Die Binder reagieren um so heftiger auf die intravenöse 
Einspritzung von Taberkelbazillen, je länger sie unter dem Einflüsse einer 
ursprünglich krankmachenden Tuberkelinfektion gestanden haben, woraus sich 
die praktische Konsequenz ergiebt, zur Vermeidung übler Zufälle in der land¬ 
wirtschaftlichen Praxis jede Schutzimpfung von Bindern, die älter als 1 Jahr 
sind, za vermeiden. B. empfiehlt sogar zur Schutzimpfung die Bevorzugung 
von Kälbern unter 3 Monaten. Da nun eine schützende Behandlung tuber- 
kulosebedrohter Kinder schwerlich in gleicher Weise wie bei den Kälbern 
durch intravenöse Einspritzung von lebendem Tuberkulosevirus durchführ¬ 
bar sein wird, so ist v. Behring auf die Idee gekommen, den mensch¬ 
lichen Säuglingen mit der Milch von tuberkuloseimmun gemachten Kühen 
Antikörper suzaführen und sie auf diese Weise über die gefährlichste Periode 
der Taberkulose - Ansteckungsgefahr hinwegzubringen. Denn die Hauptgefahr 
für die tuberkulöse Durchseuchung ist in der infantilen Infektion zu suchen, 
die in dem ersten Lebensjahre deshalb so leicht bewirkt werden kann, weil 
die intestinale Schleimhaut (Fehlen einer kontinuierlichen Schleimzellenschicht) 
für die Resorption korpuskulärer Elemente besonders gut disponiert ist und 
antibakteriell wirkende Fermente noch nicht produziert werden. Wie die In¬ 
fektionsstoffe, so gehen aber auch die Antikörper während der ersten Lebens- 
wochen unverändert hindurch und werden im Blut aufgehäuft. 

Mit Behrings Erfahrungen bezüglich der Binderimmunisiernng stimmen 
die Versuche von Thomüssen in Utrecht überein. Verfasser wird mit 

K rosser Vorsicht die Uebertragung seiner Institutsexperimente in die menseh- 
che Praxis vornehmen lassen. Wenn aber dann der Taberknlosesehntz für 



Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


631 


jugendliche Individuen auch des Menschengeschlechts ein sicher nnd ohne Ge¬ 
fahr erreichbares Ziel geworden ist, dann werden wir ein grosses Mittel haben, 
geeignet zur Ausrottung der Tuberkulose, nicht blos zur Milderung 
des Tuberkuloseelends. Was bis jetst im Kampfe gegen die Tuberkulose ge¬ 
schehen ist, gehört nur zn den kleinen, den Palliativmitteln. B. erkennt aber 
den Nutzen der HeiLatättenbewegung an, die in Deutschland zu der Er¬ 
richtung von 67 Anstalten geführt habe, dem die Eröffnung von 27 wei¬ 
teren Anstalten in allernächster Zeit folgen wird. Auch die Anstrebung 
von Nachkuranstalten in ländlichen Kolonien, sowie die Errichtung von 
Heimstätten sind beachtenswert, ebenso die Fürsorge für gute Arbeiter- 
wohnnngen. Allein ebensowenig wie hygienisch-musterhafte Unterkunftsräume 
für Tiere die Weiterverbreitung der Tuberkulose hindern, wenn nicht gleich¬ 
seitig durch Entfernung der Rinder mit offener Tuberkulose die Ablagerung 
von Tuberkelbasillen verhindert oder eingeschränkt wird, ebensowenig bleibt 
die Infektion der wegen ihrer leicht permeablen und durch Fermente nicht 
geschützten Schleimhäute dieser besonders exponierten neugeborenen Kinder 
in einem Raume aus, in dem sich ein hustendes phthisisebes Individuum be¬ 
findet. Das Problem der erblichen Belastung erklärt sich dadurch, dass die 
tuberkulosefrei geborenen Neugeborenen im Zusammenleben mit tuberkulösen 
Eltern usw. der Infektionsgefahr nicht entgehen können. Für den Tuberkulose¬ 
schutz neugeborener Kinder in menschlichen Wohnungen sollte daher mehr 
da bisher geschehen. _ Dr. Räuber-Düsseldorf. 


Tuberculosis und the Sanatorium. Von Prof. Dr. John Lowman in 
Cleveland. 

Nach einer klaren Ausführung über die Notwendigkeit und den Nutzen 
der Sanatorien, ihre Einrichtung, Lage usw. schliesst Verfasser mit der sehr 
beherzigenswerten Mahnung: „Ahmen wir nicht das Experiment mit den 
Staats-Irrenanstalten nach, wo Einer 1000 Patienten kontrolliert, eine Monster- 
Anstalt leitet und nebenbei noch diversen politischen Pflichten nachkommt. 
Wie bei der Laparotomie die Peritonitis, so ist es bei der Tuberkulose die 
Frühdiagnose, die uns zu schaffen macht. Wenn erst die Patienten alsbald 
Sanatorien, Gebirge usw.aufauchen werden, dann ist das erste Aussen werk ge¬ 
stürmt.“ _ Dr. Kornfeld-Gleiwits. 

Ueber Abtötung von Tuberkelbazillen in erhitzter Milch. Vor¬ 
läufige Mitteilung von Dr. Ru 11 mann-München. Münchener med. Wochen¬ 
schrift ; 1903, Nr. 31. 

Die im hygienischen Institut München aasgeführten Untersuchungen 
haben entgegen der auf Smiths gleichnamiger Arbeit fassenden Behauptung 
Hesses-Dresden, dass ein nur 20 Minuten währendes Pasteurisieren bei 
60* C. unter ständigem Umschütteln genüge, um die einer Milch zngesetsten 
Tuberkelbazillen abzutöten, ergeben, dass selbst eine halbstündige Er¬ 
hitzung mit Sputum infizierter Milch bei 66° C. unter ständigem Schütteln 
und Beachtung aller Kautelen (gleichbleibender Temperatur etc.) nicht ge¬ 
nügt, um solches mit Sicherheit zu erreichen, sondern dass die Abtötung 
der Tuberkelbazillen mehr als eine halbstündige Erhitzung 
bei 66° C. in der Milch erfordert. 

Gleichzeitig angestelhe Versuche über die Einwirkung einer ein- 
stündigen Erhitzung bei 66* C. auf den Geschmack reiner, roher Milch 
unter Anwendung des Ger berschen Schüttelverfahrens haben gezeigt, dass 
bei dieser Zeitdauer und Temperatur keine Geschmaoksänderung und 
Beeinflussung des Ernpyms statthat; der Keimgehalt der rohen Milch 
ging von 229120 Keimen auf 340 Keime in 1 ccm der dem eben genannten 
Verfahren unterzogenen Milch zurück. 

_ Dr. Waibel-Kempten. 


Für und wider die Anneigepflicht bei Tuberkulose. Verhand¬ 
lungen des engl. Medisinalbeamtenvereins. Diskussion im Anschluss an einen 
Vortrag von Dr. Alfred Hi liier im engl. Medisinalbeamtenverein. Public 
Health; März 1908, 8. 801-826. 



632 Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 

Auf Grund der Untersuchungen von Koch, Plügge, B. Frftnkel, 
Niyen-Manchester entwickelte Hillier seine Ansichten über den Kampf 
gegen die Tuberkulose, über die Notwendigkeit der Anzeigepflicht, über die 
Art der Unterbringung der Phtisiker in den späten Stadien in eigenen Kranken¬ 
häusern. Br hatte mit Koch im vergangenen Dezember eine Besprechung 
nnd erfahr, dass dieser das Sinken der Sterblichkeitsziffer an Tuber¬ 
kulose in Preussen vorläufig noch nicht in wesentlichem Massstabe auf die 
Sanatorien zurückzoführeu geneigt ist, sondern anf die Vor sich tsmaBsregeln, 
die selbst in den untersten Klassen der Bevölkerung gegen die Ansteckung 
durch Tuberkulöse getroffen werden. 

Hillier hatte ferner die Abgeordneten der „Friendly sooieties“ in 
Deutschland mit unseren modernen Einrichtungen bekannt gemacht. Er schliesst 
seine von Begeisterung diktierteu Worte mit den Goetheschen Sätzen: „Die 
sollen mit Fülle die Tätigen lohnen! Wir heissen Euch hoffen.* 

In der Diskussion teilte zunächst der Vorsitzende, Dr. Cameron, 
mit, dass die Zentralbehörde sich unbedingt geweigert habe, 
die Schwindsucht auf dieListe der anzeigepflichtigen Krank¬ 
heiten zu setzen, da es sich um eine Beeinträchtigung der persönlichen 
Freiheit handle. Gehe man mit dem Gesetze zu weit, so werde es ein toter 
Buchstabe bleiben; anderseits müsse man allerdings sehen, dass man auch 
wieder weit genug gehe. Manchester habe bereits die Anzeigepfiioht. Die 
Hindernisse, die sich der „freiwilligen* Anzeigepflicht entgegenstellten, 
beständen darin, dass wenn ein Arzt anzeige und der andere nicht, der 
letztere vom Pablikum bevorzugt werde. 

P. Caldwell Smith führte aus, dass viele Medizinalbeamten der Haupt¬ 
stadt zwar die Einführung der Anzeigepflicht gern sähen; es bestehe aber 
wenig Hoffnung, dass die Behörden die Frage entnähmen; vor 12 Jahren habe 
auoh der Verein selbst nicht viel davon gehalten. 

Dr. Sydney Davis: In Woolwich bestehe die fakultative Anzeige- 
pflioht. Die Aerzte hätten aber nicht den Mut, ihren Kranken die Diagnose 
mitzuteilen. Es sei eine weitere Schalung der Aerzte nötig. 

Dr. Herbert Jones: Zuerst müsse das geltende Gesundheitsgesetz noch 
besser ausgeftthrt werden. Die Hi liiersahen Forderungen Hessen sieh ins¬ 
besondere auf dem flachen Lande nicht erfüllen. 

Auch Dr. Allan war der Ansicht, bei Einführung der Anseigepflicht 
sei beträchtliche Vorsicht nötig. In einigen amerikanischen Staaten sei das 
Gesetz zu Tode gehetzt worden; die Leute bekämen keine Arbeit mehr, da die 
Mitarbeiter sich vor einer Infektion fürchteten. 

Von den übrigen in der Disknssion geäußerten Ansichten — für die 
obligatorische Anzeigepflicht, war nur ein Redner, Dr. Nash — ist zu er¬ 
wähnen, dass man den Nutzen ländlicher Kolonien insbesondere auch ausser¬ 
halb Europas empfahl, und dass der Plan, Schwindsüchtigen in ihren letzten 
Stadien in eigene Krankenhäuser zu senden, auf Widerstand stiess. Dr. Mc. 
Vail, dessen sympathische Persönlichkeit bereits aus einem früher in dieser 
Zeitschrift 1 ) besprochenen Vortrage hcrvorleuchtete, sagte: „In der Welt giebt 
es ausser der öffentlichen Gesundheitspflege auch noch andere Dinge. Die 
menschlichen Empfindungen, die Familienbande müssen geschont werden. Einen 
Familienvater zu einem Abschied auf ewig in ein solches Hospital zu senden, 
komme einem lebendigen Tode gleich.* Dr. Mayer-Simmern. 


Beitrag zur Kenntnis der Tuberknloseverbreitung in Baden. 
Von Dr. W. Hoff mann-Heidelberg. Mit 4 Karten und 5 Tafeln. Beiträge 
zar Klinik der Tuberkulose; 1903, H. I. 

Nach allgemeinen Ausführungen über die Verbreitungsweise der In¬ 
fektionskrankheiten auf Grund ihrer ätiologischen Momente kritisiert Verfasser 
die verschiedenen statistischen Untersuohungsmethoden. Daran anschliessend 
gibt er an der Hand eines selten genau verarbeiteten statistischen Materials 
des grossherzoglich badenschen Landesamtes ein Bild von der Verbreitung der 
Schwindsucht in Baden, sowie von ihrer Beeinflussung durch die verschiedenen 
sozialen Verhältnisse, Ernährungsweise, Berufsarten und durch das Moment der 


*) Zeitschr. f. Medizinalbeamte; 1901, S. 668. 



Kleinere Mitteilangen and Referate aas Zeitschriften. 


633 


Disposition. Die Haaptgesichtspankte und Ergebnisse der interessanten Arbeit 
sind in folgende Schlusssätze kurs zusammengefasst: Mit zunehmender 
Erhebung über den Meeresspiegel sinkt die Tuberkulose* 
mortalitüt der Bewohner. Dieses Absinken wird gesteigert durch 
den häufigeren Betrieb der Landwirtschaft in grosserer Hohe, 
vielleicht durch die geringere Volksdichte und durch noch wenig be¬ 
kannte Faktoren, welche mit dem geographischen Höhenbegriff 
in direkterem Zusammenhang stoben. Für den Einfluss bestimmter 
Berufsarten auf die Schwindsuchtsverbreitung innerhalb der ganzen Be¬ 
völkerung kommt in Betracht die prozentuarische Beteiligung der 
Berufsarten an der Zusammensetzung der Bevölkerung, ferner die Zu¬ 
sammensetzung der betreffenden Berufsart ans Erwerbstätigen 
und nicht im Beruf beschäftigten Angehörigen, schliesslich die Schädigung 
durch den Beruf oder die vermehrte Infektionsgefahr an dem 
Arbeitsplatz. Im allgemeinen zeigt sich Zunahme der Tuberkulose- 
mortalität mit Zunahme der Industrie und Abnahme der Land¬ 
wirtschaft. Kein Einfluss konnte auf statistischem Wege nachgewiesen 
werden für Armut, Ernährungsweise, Alkoholkonsum. EinGegen- 
s a t z in der geographischen Verbreitung besteht zwischen Krebs und Tuber¬ 
kulose, indem sich diese mehr im Norden zu hohen Mortalitätsziffern auf¬ 
schwingt, während der Krebs im Süden bedeutendere Zahlen erreicht. Ein 
Einfluss einer Rassendisposition ist wahrscheinlich. 

_ Dr. Roepke-Lippspringe. 

Das Auftreten der Tuberkulose iu Zigarrenfabriken. Von Prof. 
Dr. Brauer. Beiträge zur Klinik der Tuberkulose; 1903, H. 1. 

Der Herausgeber der „ Beiträge zur Klinik der Tuberkulose“ leitet ihr 
erstes Erscheinen mit einer eigenen Arbeit ein, die den staatlichen GeBundheits- 
beamten hinsichtlich seiner Mitwirkung bei der Gewerbeaulsicht inseressieren 
wird und daher eine eingehendere Besprechung rechtfertigt. Um die Fragen 
zu klären, ob und in welcher Weise die Zigarreniudustrie der Ausbreitung der 
Tuberkulose Vorschub leistet, hat sich Prof. B. der mühevollen Arbeit unter¬ 
zogen, die Tuberkulose-Morbidität und -Mortalität unter den Zigarrenarbeitern 
Nord-Badens und der bayerischen Pfalz festznstellen. Die in Tabellen und 
Tafeln übersichtlich geordneten Zusammenstellungen berücksichtigen das 
stationäre Krankenmaterial der Heidelberger medizinischen Klinik, die Kranken¬ 
scheine einer Zigarrenarbeiter-Hanptkrankenkasse, die Sterberegister und Ge¬ 
sundheitsverhältnisse tuberkulös belasteter Stämme eines bestimmten Distriktes 
und schliesslich die an Zigarrenfabrik-Orten reichen Gemeinden der BezirkeMann- 
heim, Heidelberg, Bruchsal, Wieslocb, Weinheim, und Schwetzingen nach Höhen¬ 
lage, Gesamtzahl der Erwerbstätigen, der Zigarrenarbeiter, der Gesamtsterb¬ 
lichkeit und der Tuberkulose-Sterbefälle. Aus der kritischen Verarbeitung dieses 
Stoffes geht hervor, dasB die Lungentuberku lose unter den Zigarren¬ 
arbeitern Nordbadens und der Pfalz nicht nur häufiger vor¬ 
kommt, alswie unter der übrigen Bevölkerung dieser Distrikte, 
sondern dass auch mit der Zunahme der Zigarrenfabrikation 
die Tuberkulose-Mortalität im allgemeinen steigt, dasB so¬ 
mit Beziehungen beider Faktoren zu einander bestehen. 
Welcher Art diese Beziehungen sind, behandelt der II. Teil der Arbeit. Die 
Angabe, dass die badische Zigarrenindustrie sich in Orten niedergelassen habe, 
die von jeher ein Herd der Tuberkulose waren, erklärt die Beziehungen 
zwischen Zigarrenfabrikation und Tuberkulosesterblicbkeit nicht; ebenso wenig 
bietet die Lage der Zigarrenorte in der Rheinebene, noch der 
starke Zustrom von Schwächlingen zu den Zigarrenfabriken eine Er¬ 
klärung dafür, noch die vielfach verfochtene Anschauung, dass unter Prole¬ 
tariern und der vorwiegend die Zigarrenfabriken bevölkern¬ 
den Altersklasse (15 — 30 Jahre) die Tuberkulose überhaupt 
häufiger vorkäme. Nach Br.s Ansicht besteht vielmehr ein ursäch¬ 
licher Zusammenhang zwischen Zigarrenindustrie und Tuberkulosemortalität; 
derselbe ergibt sioh direkt aus dem Leben in den Arbeitsränmen 
oder indirekt aus der Gesamtlage der Industrie und ihren öko¬ 
nomischen Eigenheiten. So macht die Ungunst der Lohnverhältnizse 



634 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


die stärkere Heranziehung der Kinder and Franen zar Fabrik¬ 
arbeit oder gar sor Hausindustrie notwendig. Während dnrch die Mitarbeit 
der Kinder ein Teil der Schwächlinge in der Fabrik entsteht, beruht der Nach¬ 
teil aasgedehnter Frauenarbeit in der Zigarrenfabrikation darin, dass die Frau 
▼on ihrer eigentlichen Tätigkeit abgehalten wird, and dass dadurch die Zabe¬ 
reitang der Speisen, die Reinhaltung des Hauses nnd die Erziehung der Kinder 
notgedrungen leiden muss. 

Ob die Wohnungsverhältnisse den der Zigarrenindastrie parallel 
gehenden Anstieg der Tuberkulose-Mortalität in nennenswerter Weise be¬ 
herrschen, ist bislang nicht erwiesen, wenn es auch selbstverständlich unbe¬ 
stritten bleibt, dass diejenigen Individuen unter den Zigarrenarbeitern, welche 
in unreinlichen und überfüllten Häusern leben, der Tuberkulose besonders leicht 
verfallen werden. Endlich ist der Zigarrenfabrikation ein engeres Zu¬ 
sammenarbeiten der Geschlechter eigentümlich; dieses führt zu 
frühzeitigem sexuellen Verkehr und damit indirekt snr Schädigung der Gesund¬ 
heit. Eine Besserung der genannten Faktoren verspricht sich Verfasser von 
der Beschränkung der Hausindustrie, derKinder- und Frauen¬ 
arbeit, soweit dies mit der wirtschaftlichen Lage der Industrie vereinbar 
ist. Weiter empfiehlt es sich, im Anschluss an den Fabrikbetrieb 
Speisehäuser zu schaffen, welche den Arbeitern eine bessere und wohl 
häufig auch billigere Kost liefern könnten. 

Von den Schädlichkeiten, welche den Zigarrenarbeiter während und 
daroh seinen Beruf direkt gefährden, erwähnt Verfasser zunächst die 
durch die Einatmung des Tabakstaubes verursachte Schädigung, 
welche die Empfänglichkeit der Luftwege für eine event. Infektion steigert. 
Die Tabakstaubeinatmung äussert sich aber nicht in eigenartigen Verände¬ 
rungen der Longe, einer sog. Tabacosis, sondern in chronischen, zur 
Schleimhautatrophie führenden Nasen- und Kehlkopf¬ 
katarrhen, sowie in chronischen trockenen Bronchial¬ 
katarrhen, die eine Resistenzveränderung der Schleimhäute Infektionen 
gegenüber bedingen, oder zu Sekretanhäufungen führen, welche hinzntretenden 
Keimen als Nährboden dienen, oder Epitheldefekt als Eingangspfoite für die 
Bakterien schaffen. Für das Zustandekommen dieser Vorgänge ist weniger die 
Menge, als wie das physikalische und chemische Verhalten des Staubes von 
Bedeutung. Die tuberkulöse Infektion der so vorbereiteten Schleimhautpartien 
kann nun entweder in der Fabrik selbst oder erst in der Wohnung erfolgen, 
so dass im letzteren Falle die beiden ähnlichen Momente — Disposition und 
Infektion — räumlich und zeitlich getrennt zur Wirkung gelangen werden. 

In der Körperhaltung der Zigarrenarbeiter während ihrer Tätigkeit 
ist ein weiterer begünstigender Faktor zu Beben; denn die gebückte Haltung, 
sowie ganz besonders die Feststellung der oberen Brusthälfte durch die Schulter- 
und Oberarmmuskulatur hindert die respiratorische Tätigkeit der Oberlappen 
und befördert dadurch die Ablagerung von Staub und Keimen. 

Ferner sind den häufigen dyspeptischen Erscheinungen der 
Zigarrenarbeiter gewisse zur Tuberkulose disponierende Einflüsse nicht abzu- 
spreohen. Als Ursache der Verdauungsstörungen hat man die sitzende Lebens¬ 
weise in Verbindung mit ungeeigneter und mangelhaft zubereiteter Kost, das 
Kauen des Tabaks zwecks Herrichtung der Zigarrenspitze, sowie die Ein¬ 
wirkungen der Luftverunreinigungen in den Arbeitsräumen anzusehen. 

Die Frage, ob in Zigarrenfabriken auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit 
besteht, ein mit Tuberkelbazillen beladenes Material zu in¬ 
halieren, ist entschieden zu bejahen. Einmal muss man die Mehrzahl der 
lungenkranken Zigarrenarbeiter als unreine Kranke im 8inne Cor net’s an- 
sehen, weil sie fast alle auf den Boden speien, dann aber befördert der Pflanzen¬ 
staub die Austrocknung der schleimigen Sputa und damit ihre Verstaubung 
und Einatmung, für deren Zustandekommen in den Fabriken stets reichlich 
Gelegenheit gegeben ist. So stellt schon ein einzelner Phthisiker während der 
vielen Monate, welche er in der Fabrik zubringt, eine recht beträchtliche 
Quelle der Infektion dar, zumal der Tabakstaub trotz der bekannten antipara¬ 
sitären Eigenschaften der beizenden Tabakinfuse nicht im stände ist, die Tuber- 
kelbasillen abzutöten. 

Auch für eine wirksame Tröpfcheninfektion sind die Bedingungen 






Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


636 


vorhanden, da die Arbeiter vielfach in 1—1 ‘/» m Entfernung einander gegen* 
Obersitzen, und der hustende auf diese Entfernung seinen Answurf ver¬ 
stäuben kann. 

Ueber die Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der 
Tuberkulose in Zigarrenfabriken ist man sich ziemlich einig. Folgende Punkte 
scheinen indes dem Verfasser besonderer Hervorhebung zu bedürfen. 

In erster Linie soil man die Zigarrenindustrie nicht als 
ein Gewerbe ansehen, das im Hinblick auf die Verbreitung der 
Tuberkulose indifferent ist; es sind daher die Schwächlichen und die¬ 
jenigen, welche durch ihre familiären Verhältnisse zur Tuberkulose disponiert 
scheinen, den Fabriken fern zu halten. 

Der Infektionsgefahr würde am besten dadurch entgegengearbeitet, dass 
man Lente mit tuberkulösem Lungenleiden aus dem Fabrik¬ 
betriebe eliminierte, sie auch möglichst bei vorhandener 
Hausindustrie isolierte. Zu erreichen wäre dieses Ziel mit der Zeit, 
wenn den Kranken in Lungenheilstätten ein anderes Gewerbe 
gelehrt würde, welches neben dem gleichen Verdienste die Kranken ent¬ 
weder in gesundere Verhältnisse brächte oder sie Berufen zuführte, die ein 
Zusammenarbeiten mit Gesunden nicht nötig machen. 

So lange aber die Entfernung der Infektionsquellen nicht möglich ist, 
muss besonders sorgfältig im Sinne der üblichen Prophylaxe gehandelt 
werden. Die Krankenkassen haben den Patienten Spuokgläser zu geben. Die 
Arbeiter, die trotz Belehrung auf den Boden oder in die Taschentücher spucken, 
sind strafweise aus der Fabrik zu entlassen. Der Fussboden ist nach der Arbeit 
nicht trocken zu kehten, sondern mit Wasser aufzunehmen, dem ein- bis zwei¬ 
mal pro Woche Kalk als Desinftziens hinzugesetzt sein muss (einen Teil Kalk 
mit 4 Teilen Wasser löschen; von diesem Brei eine 2proz. Lösung verwenden, 
d. h. einem Eimer von etwa 25 Liter Inhalt */» kg Brei zusetzen). — Die 
Arbeitsplätze sind durch eine Zwischenwand zu trennen, um direktes Anhasten 
beim diohtea Gegenübersitzen unmöglich zu machen. 

Die viel diskutierte Frage der Ventilation hat erstens die Ent¬ 
fernung eines event. keimbeladenen Staubes und zweitens die Erneuerung der 
Atemluft zu berücksichtigen. Ersteres wird am sichersten und schnellsten durch 
kräftige und grobe Lüftung unter Oeffnen der Türen und Fenster 
erreicht, letzteres durch die Darbietung eines grossen Luftkubns 
und tunlichste Entfernung der Tabake aus den Arbeitsräumen. 
Verfasser kann das von Wörishoffer in den badischen Zigarrenfabriken ein¬ 
geführte Ventilationssystem nicht weiter empfehlen, auch nicht raten, über die 
bestehenden künstlichen Ventilationsvorrichtungen noch hinauszugehen. Eher 
wäre die Fensterlüftung unter gleichzeitigem feuchten Auf¬ 
nehmen des Bodens und der Arbeitstische noch häufiger und 
energischer auszuführen, als es bisher schon geBohieht. 

Zum Schluss schlägt Br. vor, den Kassenärzten oder den Medi- 
zinalbeamten Sitz und Stimme in den Vorstandssitzungen der 
Krankenkassen zu geben. Dadurch würde in zweckmässiger Weise das 
Zusammenarbeiten des Arztes mit jenen Leuten gefördert, welche die wirt¬ 
schaftliche Lage der Industrie kennen und in gewissen Grenzen mit beein¬ 
flussen. Nur das bedachte gemeinsame Streben der wirtschaftlichen und ärzt¬ 
lichen Elemente wird viele Momente beseitigen können, denen ein die Tuber¬ 
kulose-Infektion vorbereitender Einfluss zuzuerkennen ist. 

Dr. Roepke-Lippspringe. 


Ueber die Septumperforation der Chromarbeiter. Von Dr. Bam- 
berger in Bad Kissingen. Aus dem hygienischen Institut zu Würzburg. 
Münchener medizinische Wochenschrift; Nr. 61, 1902. 

Chromfabrikarbeiter werden bekanntlich, wenn sie nioht genügend durch 
Respiratoren geschützt sind oder wenn die sonstigen fabrikbygienischen Vor- 
sichtsmassregeln nicht beachtet werden, von einem eigentümlichen Leiden be¬ 
fallen, das in einer fast schmerzlos zu stände kommenden Perforation des 
Septum narium besteht. 

Nach Albrecht übt das Chrom einen ganz seltsamen Reiz auf die 
Nasenschleimhaut aus, dadurch dass in der Nase ein heftiges Prickeln entsteht 



636 


Kleiaere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 


dass die Leute nun häufigen Niessen reist, worauf dann an der Nasenschleim- 
haot ein kleines Geschwür mit nachfolgender Perforation der Nasenschleimbaut 
entsteht. Das Loch vergrössert sich bis zur vollkommenen Zerstörung des 
8eptams, worauf dann der Prozess aufhört, ohne irgend ein anderes Organ in 
Mitleidenschaft za ziehen. Bei Arbeitsniederlegung tritt Heilung ein, mit 
Wiederaufnahme der Arbeit beginnt auch wieder das Leiden. In Russland 
sollen 60 d / o der Chromfabrikarbeiter zerstörte Nasenhöhlen besitzen. Einige 
Arbeiter bekommen das Leiden bald nach dem Eintritte in die Fabrik, während 
andere Arbeiter jahrelang in derselben arbeiten und nicht daran erkranken. 

Schnupfende Arbeiter werden weniger von dem Leiden betroffen. Es ist 
nun sonderbar, dass immer zuerst am Septum die Perforation cintritt, bevor es 
au weiteren Zerstörungen in der Nasenhöhle kommt. Man sollte viel eher 
erwarten, dass der mit der Inspirationsluft in die Nasenhöhle eingezogene 
Chromstaub sich Überall an den Wänden der Nasenhöhle niederschlägt und« 
so au gleicher Zeit seine zerstörende Aetzwirkung an verschiedenen Punkten 
entfaltet. 

Verfasser erklärt sich das Zustandekommen der Septumperforatioa da¬ 
mit, dass der Inspirationstrom derart in die Nase eintritt, dass 
er in einem aufwärts gerichteten Bogen von der Seitenwand 
der Nase her nach dem Septum herttbergeftthrt wird, wo er an¬ 
prallend dann längs des Septums weiter nach den Choanen 
zieht. Dies trifft wenigstens für eineu grossen Teil der Atmungsluft zu. 
Die der Luft beigemischten Chrompartikelchen gelangen so an das feuchte 
Septum, wo sie hängen bleiben, nnd so dnreh Aetznng dieses schliesslich durch¬ 
bohren. Diese Erklärung steht im Einklänge mit den Experimenten und Er-' 
klärungsversuchen anderer Autoren (Kaiser, Pommkarö etc.), welche 
Verfasser am Schlüsse seiner Arbeiten anfOhrt. Dr. W a i b e 1 - Kempten. 

Die Glasuren unserer irdenen Geschirre vom Standpunkte der 
Hygiene. Von Prof. Dr. K. B. Lehmann. Aus dem hygienischen Institut 
zu Wttrsburg. Hygienische Rundschau; 1902, Nr. 16. 

Das deutsche Reichsgesetz betr. den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen 
Gegenständen bestimmt, dass Esb-, Trink* und Kochgeschirre nicht mit Email 
oder Glasur versehen sein dürfen, welche bei halbstündigem Kochen in 4proz. 
Essigsäurelösung Blei an letztere abgeben. Nachdem Verfasser von einem aus¬ 
wärtigen Geschirrhändler veranlasst worden war, eine Sendung feiner französi¬ 
scher Geschirre darauf hin zu untersuchen, ob sie dem deutschen Gesetz ent¬ 
sprächen, und gefunden hatte, dass eine erhebliche Bleiabgabe beim Anskochen 
mit 4 proz. Essigsäurelösung in diesen Geschirren eintrat, dehnte er seine Unter¬ 
suchungen weiter aus and nahm Bleibestimmnngen an den Auskochungen des 
in Wttrsburg üblichen Geschirrs verschiedenster Provenienz vor. Es ergab sich 
dabei, dass von den in Wttrsburg zum Kauf gebotenen Geschirren nur 28°/ 0 
annähernd den Anforderungen des Deutschen Reichsgesetzes entsprachen, aller¬ 
dings war auch bei einem Teil dieser Proben noch immer so viel Blei vor¬ 
handen, dass man den Auszug als absolut bleifrei nicht bezeichnen kann. 14 # / 0 
enthielten im Liter Auekocbflttesigkeit 1—5 mg, 22°/» 6—10 mg, 24°/o 10,7 bis 
86,8 mg, 12 o/ 0 55—155 mg Blei. Die Bleiabgabefähigkeit lässt sich durch das 
Aussehen nicht beurteilen. Im allgemeinen verhielt sich das teuerere Ge¬ 
schirr gttnstiger als das billigere. 

Auch die hygienisch hochbedeutsame Frage, ob bei weiter fortgesetzter 
Auskochung längere Zeit hindurch Blei abgegeben werde, hat Verfasser ver¬ 
folgt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass, wenn die Bleimenge in der 
ersten Auskochung bedeutend ist, sie in der zweiten meist eine geringe ist. 
Von der dritten Auskochung ab bis zur achten sind in 4 methodisch durebge- 
führten Versuchen jedesmal ziemlich gleichmäsBige Mengen gefunden. Die 
Konstatierung einer einmaligen starken Bleiabgabe berechtigt zu dem Schluss, 
dass das betreffende Geschirr lange Zeit beim häuslichen Gebrauch Blei abgeben 
wird. Verfasser hält anf Grund seiner Untersuchungen lttr erwiesen, dass viel¬ 
fach in Deutschland Geschirre zum Verkauf gelangen, die durch starke Blei¬ 
abgabe zu akuten, wie chronischen Vergiftungen fahren können und schlägt 
als besten Ausweg aus diesen bedenklichen Verhältnissen folgendes vor: Einer¬ 
seits sollen häufige Untersuchungen vorgenommen und rücksichtslos strenge 







Besprechungen. 


687 


Strafen für Verstösse gegen das Gesetz verhängt werden, anderseits sollte Geschirr 
aber nur dann beanstandet werden, wenn es 8—5 mg Blei pro Liter Anskoch* 
flttssigkeit abgibt. Bei Gestattung einer solchen Minimalabgabe wird den 
Forderungen der Hygiene voll Rechnung getragen nnd gleichzeitig dabei er¬ 
reicht, dass die Gesetzesvorschriften nicht wegen ihrer zu grossen Härte nnr 
auf dem Papier stehen bleiben. _ Dr. Wolff-Stralsund. 


In welchen Fällen schreibt das Hebammenlehrbneh das Hinsu- 
sieben des Arctes vor? Von Dr. Dahlmann. Allgemeine Deutsche 
Hebammen-Zeitung; 1008, Nr. 1 und 2. 

Die Medizinalbeamten werden naturgemäss wohl kaum etwas ihnen Neues 
in dem von Herrn Med.-Rat D. gehaltenen Vortrage finden. Derselbe ist 
aber für sie insofern wichtig, als er vorbildlich wirken sollte. Immer wieder 
sollten in den Vereinsversammlungen die Hebammen darauf hingewiesen werden, 
dass sie in der kurzen Zeit ihrer Ausbildung nur das Allernotwendigste und 
auch dieses nur in Sachen der Geburtshfilfe und ersten Pflege des Neugeborenen 
sieh angeeignet haben können, — dass sie daher in ihrem eigenen Interesse 
handeln, wenn sie, um eine ihnen nicht zustehende Verantwortung zu ver¬ 
meiden, den Kreis ihrer Tätigkeit nur auf das beschränken, was nach dem 
Lehrkurse ihnen zu tun gestattet ist. — Es ist dieses um so wichtiger für sie, 
als bekanntlich eine stellenweise recht lebhafte Bewegung dafttr eintritt, die 
Geburtshilfe als einen Teil der Medizin den Aersten zu ttbertragen. Die 
Hebammen sollten daher vor allem streben, sich das Vertrauen des Publikums 
zu erhalten. Dieses wird ihnen am besten dadurch gelingen, wenn sie, sich 
korrekt an den Vorschriften des Lehrbuches haltend, keinerlei Tätigkeit über¬ 
nehmen, die dem Umfange ihrer Ausbildung nicht entspricht. 

Dr. Schrak am p-Dflsseldorf. 


Besprechungen. 

Dr. A. Baur, Arzt und Lehrer der „Schulgesundheitspflege“ am K. Lebrer- 
und Lehreriunenseminar in Sohw. • Gmünd: Das kranke Schulkind. An¬ 
leitung zu physiologisch-psychologischen Beobachtungen in der Schule. Mit 
Beiträgen von Dr. J. L. Koch, Irrenanstaltsdirektor a. D. - Cannstatt, Prof. 
Dr. Eversbusch, Direktor der Köaigl. Universitätsangenklinik in München, 
Hofrat Dr. Köbe 1, Ohrenarzt• Stuttgart, Dr. Schmid-Monnard, Kinder¬ 
arzt-Halle. Für Schalamtsvorstände, Schulärzte, Lehrer und Schulbibliotheken. 
Mit 1 Farbentafel und 138 Abbildungen. Verlag von Ferd. Enke. Stuttgart 
1902, Gr. 8°, 306 S. Preis: 6 Mark. 

Der Zweck des vorliegenden Buches ist, dem Lehrer das Verständnis ffir 
die an den Kindern im Laufe der Schuljahre hervortretenden Veränderungen 
näher zu rücken. Der Lehrer soll mit den Erscheinungen an gesunden und 
kranken Schulkindern bekannt werden, soll merken, wenn ein Kind krank zu 
werden beginnt und soll die Wechselbeziehungen zwischen Körper und Geist 
in gesunden und kranken Tagen kennen lernen, damit er in der Beurteilung 
eines Kindes keine Trugschlüsse mache nnd damit einem zarten, kranken Kinde 
schweren, vielleicht nicht wieder gut zu machenden Schaden zufüge. Er soll 
durch systematische Beobachtung sein Interesse für die Gesundheit der Kinder 
rege erhalten und ein Verständnis gewinnen nicht nur fflr körperlich kranke, 
sondern auch für psychopathisch minderwertige Kinder. Viele Erscheinungen 
können nur vom Lehrer, der ein ständiger Beobachter der Kinder in der Schule 
ist, aufgefangen und zur Erkennung einer Krankheit verwertet werden. So 
kann er dem Arzte wertvolle Anhaltspunkte für die Stellung der Diagnose 
geben. Den Arzt soll der Lehrer nicht ersetzen. 

Die 6 Abschnitte des Werkes behandeln die Anatomie und Physiologie 
des gesunden Schulkindes, dann das kranke Schulkind nnd zwar die Störungen 
in der Ernährung und im Wachstum des Schulkindes, die Krankheitserscheinungen 
des Kreislaufs-, Attnungs-, Verdauung«- und Harnsystems, die die Wärme¬ 
bildung und Wärmeabgabe betreffenden Störungen, die Krankheitserscheinungen 
am Aeussern des Körpers, am Nervensystem, an den Sinnesorganen und infolge 
äusserer Gewalteindrücke. Hierauf folgte ein kurzer Abschnitt über die Ur 



638 


T&gesnaohrichten. 


Sachen der Erkrankungen der Kinder nnd du Krankenezamen nnd im An* 
sohla88 daran die einielnen Kinderkrankheiten. Aneh die Simulationen nnd 
die WechselbeZiehungen zwischen Körper and Geist finden Berücksichtigung. 

Von besonderer Wichtigkeit sind die Beiträge von Dr. Koch über die 
psychopathisch Minderwertigen in der Schule, von Prof. Eversbusch über 
Augenkrankheiten, von Dr. Köbel über Ohrenkrankheiten und von Dr. Schmid- 
Monnard Uber Morbidität und Mortalität der Schulkinder. 

Wohl mögen einseine Abschnitte deB Werkes zu ausführlich erscheinen 
und über den Bahmen des für den Lehrer Wissenswerten hinausgehen, indessen 
soll das Bach zugleich zeigen, dass die Bestrebungen mancher Laien, den Arzt 
za ersetzen, ebenso unsinnige wie gefährliche sind und soll dem Lehrer in 
zweifelhaften Fällen hauptsächlich als Nachschlagebuch dienen. Damit dürfte 
der Zweck, den Lehrer mit den Krankheiten der Schulkinder bekannt zu 
machen, sein Interesse hierfür zn wecken und ihn zu befähigen, die Tätigkeit 
des Schularztes wesentlich zn ergänzen, erreicht werden. Hoffen wir, dass der 
Lehrer in diesem Sinne das Bach studiert und dem Arzte sein Recht lässt. 
Dann wird es Segen stiften und dazn beitragen, dass krankhafte Zustände unter 
den Schulkindern richtig aufgefasst und dementsprechend berücksichtigt werden. 

_ Dr. Räuber-Düsseldorf. 

Berichtigung in dem Berioht Aber die Versam m l u n g des 
Medizinalbeamten-Vereins des Beg.-Bez. Stade. 

In der heute mir zugegangenen Zeitschrift für Medizinalbeamte yom 
16. August, Nr. 16, Seite 696, wo über die Versammlung der Medizinalbeamten 
des Regierungsbezirks Stade vom 12. November 1902 berichtet ist, finde ich 
angegeben, dass ich bei der Verbreitung der Cholera den Landweg für wich¬ 
tiger als den Wasserweg erklärt habe. Du ist nicht meine Meinung und auch 
sicher von mir nicht gesagt worden. Ich habe nur gegenüber dem Referat 
von Kollegen Hoche, der verschiedene Choleraaasbrüche in Orten des Regie¬ 
rungsbezirks Stade, die an kleinen Zuflüssen zur Unterelbe belegen sind, auf du 
mit der Flutwelle dorthin verdrängende Elbwasser zurückführen wollte, ausge¬ 
führt, dasB in diesen Fällen meiner Meinung nach die Einschleppung zutref¬ 
fender durch den Marktverkehr der Bewohner mit Hamburg zu erklären sei. 

Hamborg, den 20. August 1908. Med.-Rat Dr. Reineke. 


Tagesnachrichten. 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Koch in Berlin ist von der Akademie der 
Wissenschaften in Wien zum Ehrenmitglied gewählt. 


Durch Rundschreiben deB Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheitsamtes 
vom 26. Juni d. J. — Nr. 4691/08 — ist jetzt sämtlichen Bezirksbehörden der 
einzelnen Bundesstaaten eine Anzahl Exemplare der im Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamte unter Mitwirkung von Geh. Med.-Rat Dr. Kirchner, Geb. Med.- 
Rat Prof. Dr. Koch nnd Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Krieger-Strassbnrg aus¬ 
gearbeiteten Ratschläge für Aerzte bei Typhus und Ruhr zur Verteilung 
an sämtliche Aerzte des Bezirks versandt. 


In Stralsund ist jetzt du au Privatmitteln errichtete hygienisch- 
bakteriologische Laboratorium von der Medizinalverwaltung übernommen 
und der königlichen Regierung unterstellt worden. Nach einer Bekanntmachung 
des zuständigen Regierungspräsidenten vom 13. August soll daB Arbeitsgebiet 
des Laboratoriums umfassen: 1. Bakteriologische Untersuchungen zum Zwecke 
der möglichst schnollen Feststellung von ansteckenden Krankheiten (Typhus, 
Diphtherie uw.) sowie 2. die wichtigsten Prüfungen auf dem Gebiete der 
Trinkwasser-, Wohnungs-, Sohul- und Gewerbe-Hygiene. Vorsteher des La¬ 
boratoriumsist der Kreisassistenzarzt Dr. Wollf in Stralsund. 


Herr Prof. Dr. Kruse teilt uns mit, dass er auch in diesem Jahre eine 
grössere Menge Ruhrheilserums hergestellt habe, die er an Kollegen im Amt 



Tagesnachrichten. 


639 


und in der Praxis anentgeltlich abgeben könne. Besteilangen sind za 
richten an das hygienische Institut in Bonn. Den Serumfläschchen sind 
Gebrauchsanweisungen beigegeben._ 

Der III. internationale Tnberbnlosekongress findet vom 24. Sep¬ 
tember bis 1. Oktober 1904 in Paris statt. 

In der in München am 26. Augast d. J. abgehaltenen 82. Hauptver¬ 
sammlung des Deutschen Apothekervereins wurde einstimmig eine Reso¬ 
lution betreffend die Einführung einer Zwangsversicberung der Apo¬ 
theker, und zwar einer Alters-, Iuvaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung 
auf dem Wege der Reichsgesetzgebung angenommen. Ferner sprach sich die 
Versammlung für eine Reichsarzneitaxe aus, wenn diese mindestens die 
Höhe der jetzigen Durchschnittssätze verschiedener deutscher Arzneitaxen fest¬ 
hält. Desgleichen wurde eine beschleunigte Neuregelung de rApotheker- 
Vorbildung für notwendig erkl&rt, wobei als Grundlage das Reifezeugnis 
eines humanistischen oder Realgymnasiums zu wählen sei. Als Ort der nächst¬ 
jährigen Versammlung wurde Hamburg gewählt. 

Preu8sischer Medizinalbeamtenverein. 

Die Vereinsmitglieder werden nochmals auf die am Sonnabend, den 
13. September 1903 in XXEtile Et./S., „Grand-Hötel Bode“, 
Magdeburger-Strasse, nahe am Bahnhof stattfindende 

XX. Hauptversammlung 

aufmerksam gemacht. 

Tagesordnung: 

Freitag, den. 11. September: 

8 TJhr Abends: Begrüssung im „Grand-Hätel Bode“ (mit Damen). 

Sonnabend, den 1Ä. September*: 

9 Uhr Vormittags : Sitzung im Festsaal des „Grand - Hötel Bode". 

1. Eröffnung der Versammlung. 

2. Geschäfts- nnd Kassenbericht; Wahl der Kassenrevlsoren. 

3. Praktische Erfahrungen bezüglich der Dienstanweisung der Kreis¬ 

ärzte, insbesondere betreffs Ortsbesichtignngen nnd Jahres¬ 
berichte. Referenten: H. Kreisarzt Dr. Schäfer in Frank¬ 
furt a. 0. und H. Kreisarzt Dr. Herrmann in Bitterfeld. 

4. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren. 

5. Veber die gericbtsfirztliche Beurteilung der Epilepsie. Referent: 

H. Gerichtsarzt Dr. Neid har dt in Altona. 

Naoh Sohluss der Sitzung : Besichtigung des Knappsohafts- 
Krankenhauses Bergmannstrost (Merseburgerstrasse 59). 

6 Uhr Naohmittags: Festessen_(mit Damen). 

Bestellungen auf Wohnung sind an den Schriftführer, H. 
Kreisarzt u. Med.-Rat Dr. F ielitz - Halle a./S. möglichst rechtzeitig unter 
Angabe der gewünschten Preislage oder auch direkt an das „Hötel Bode“ 
zu richten. Hier stehen Zimmer in grosser Anzahl zur Verfügung; der ver¬ 
einbarte Preis beträgt im I. Geschoss: 3,50 Mark für 1 Person, im II. Geschoss: 
3 Mark und im III. Geschoss: 2,50 Mark. Frühstück: 1 Mark. 

Die verehrliohen Mitglieder werden dringend ersucht, alsbald nach 
ihrer Ankunft in Halle sich im Anmeldeburoan im .,Grand - Hötel 
Bode“, Magdeburgerstrasse 65 zu melden, um daselbst ihre Namen in die 
Präsenzliste eintragen zn lassen. Dasselbe ist geöffnet Freitag, den 
U. September von Nachmittags 4 Uhr bis Abends 11 Uhr, am Sitzungs¬ 
tage von Vormittags 8 Uhr bis nach Schluss der Sitsung. 

Der Vorstand des Preussischen Medizinalbeamtenvereins. 

Im Auftr.: Dr. Rapmund, Vorsitzender, 

Reg.- u. Geh. Med.-R*t in Bünden. 


Deutscher Medizinalbeamten - Verein. 

Die Vereinsmitglieder werden nochmals auf die am 14. und 16. Sep¬ 
tember 1903 in Leipzig im Gartenaaal des Zoologischen 
Gartens 1 ) (Eingang von der Pfaffendorferstrasse) stattfindende 

Zweite Hauptversammlung 

aufmerksam gemacht. 

Tagesordnung: 

Sonntag, den 13. September. 

8 Uhr Abends: Gesellige Vereinigung zur Begrttssung im Garten¬ 

saal des Zoologischen Gartens (mit Damen.) 

Montag, «len. 14. September. 

9 Uhr Vormittags: Erste Sitzung (Gartensaal des Zoolog. Gartens). 

1. Eröffnung der Versammlung. 

2. Geschäfts- und Kassenbericht; Wahl der Kassenrevisoren. 

3. Die reichsgesetzliche Regelung des Irrenwesens. Referenten: H. 

Landesrat Dr. Vorster in Düsseldorf, H. Geb. Med.-Rat Dr. Weber, 
Direktor der Heil- und Pflegeanstalt in Sonnenstein nnd H. Reg.- n. 
Med.-Rat Dr. Rnsak in Köln. 

Mittagessen nach freier Wahl, am besten im Zoologischen Garten, 
da von hier aus 3*/* Uhr Nachmittags die Besichtigungen (nach Wahl): 
Kläranlage der Stadt Leipzig auf der Stazwieae oder Ent- 
eiaenungaanlage der 8tadt Leipzig am Napoleonstein, daran 
schliessend „Hermann-Hans“, Unfallnervenkllnik. der Sächsischen 
Baugewerks-Berufsgenossenschait, oder Heil-und Pflegeanstalt der 
Stadt Leipzig in Dösen stattfinden sollen. 

7 Uhr Naohmitt&gs: Festessen mit Damen im Garteneaal des Zoologischen 
Gartens (Preis des trocknen Gedeckes 3 Mark). 

Dienstag, den 13. September*. 

9 Uhr Vormittags : Zweite Sitzung (Gartensaal des Zoolog. Gartens). 

1. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren. 

2. Verhütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten durch die 

Schalen. Referenten: H. Prof. Dr. Lenbnscher, Reg.- nnd Med.- 
Rat in Meiningen nnd H. Reg.-Rat a. D. Prof. Dr. Tjaden, Direktor 
des bakteriologischen Instituts in Bremen. 

3. Beiträge znr pathologischen Anatomie der Kohlenoxidvergiftung. 

Referent: H. Kreisarzt Dr. Sch&ffer in Bingen a. Rb. 

4. Die Photographie im Dienste der gerichtlichen Medizin. (Mit De¬ 

monstrationen.) Referenten: H. Prof. Dr. Strass mann in Berlin u.H. 
Dr. Artb. Schals, Assistent am Institut für Staatsarzneiknnde in Berlin. 
Wohnungen werden am besten direkt bestellt; empfehlenswerte Hötels 
sind: Hötel Hau ff e am Rossplatz: Zimmer von 3,60 M. an, Frühst. 1,40 M. 
Hötel Prasset, Rossplatz 7: Z. von 3,00—7,50 M., Frühst. 1,25 M., Hötel 
Kaiserhof, Georgiring 7a: Z. von3—7 M., Frühst. 1,25 M., Hötel Sedanf, 
ßlücherstr. 1: Z. von 2,50—6 M., Frühst. 1,25 M., Hötel de Rnssie, Peterstr: 
20: Z. von 2,50—3,50 M., Frühst. IM., Hötel de Polognef, Hainstr. 16/8. 
Z. von 2,50—5 M., Frühst. IM., Hötel Hentsohel, Rossstr. 1: Z. von 2,50 M. 
an, Frühst. IM., Hötel Stadt Rom, Georgiring 18: Z. von 2,60—3,60 M., 
Frühst. 1 M., Hötel Palmbanm*, Gerberstr.3: Z. von 2—4M., Frühst. 1 M., 
Hospiz des ev. Vereinshauses, Rossstr. 19 Z. von 1,60 M. an. f Hötels 
des Deatschen Offizier - Vereins. * Hötels des Warenhauses für deutsche Beamte. 

Die verehrlichen Mitglieder werden dringend ersucht, alsbald nach 
ihrer Ankunft in Leipzig sieb im Anmoldebureau lm Gartensaal des 
Zooiogisohen Gartens, Pfaffendorferstrasse, zu melden. Dasselbe ist ge¬ 
öffnet Sonntag, den 13. September von Nachmittags 4 Uhr bis Abends 
11 Uhr, an den Sitzongstagen von Vorm. 8 Uhr bis nach Schluss der Sitzung. 

Auskünfte erteilt bereitwilligst der Schriftführer Med.-Rat n. Bezirks¬ 
amt Dr. Flinzer in Planen i/Vogtl. 

Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereine. 

Im Anftr.: Dr. Rapmnnd, Vorsitzender, 

_ Reg.- u. Geh. Med«-Rat in Minden. 

*) Gegen Lösung einer Karte znm Preise von 90 Pf. haben die Teil- 
nehmet für die Versammlnngstage freien Eintritt in den Zoologischen Garten. 

Verantwort!. Redaktetu: Dr. Rapmnnd, Reg.-n.Geh.Med.-Rat in Minden L W. 
* « " ■— "* • - - - -■- - 











































EIN NATURSCHATZ VON WELTRUF. MILO, ZUVERLÄSSIG 


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16. Jahr*. 


Zeitschrift 


1903. 


für 


MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt für gerichtlich« Medizin und Psychiatrie, 
für ärztliche Sachverstandigentätigkeit in Unfall- und Inraliditatssachen, sowie 
für Hygiene, ofentL Sanitatswesen, Medizinal - Gesetzgebung und Rechtsprechnng. 

Heraasgegeben 

Ton 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Regierangfl- and Geh. Medixtnalrat ln Minden. 


Verlag von Fischer’s mediz. Bnehhandlg., E Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die Verlegshandlang sowie alle Annoncenexpeditionen des In- 
and Aaslandes entgegen. 


Nr. 18 


Brseheint 


1. and 15. Jeden Monate 


15. Septbr. 


682 Typhusfälle und ihre Entstehungsursachen. 

Von Dr. Schlegtendal, Beg.- n. Med.-Rat in Aachen. 

Das Bestreben, in einem gegebenen Falle von Erkrankung 
an Unterleibstyphus die Wege der Ansteckung anfzudecken, 
gleicht oft der Jagd nach dem Glück, und manchmal bieten sich 
dem Medizinalbeamten, der bis zur Quelle der Infektion vorzudringen 
bemüht ist, nicht mehr Aussichten anf Erfolg als einem Lotterie¬ 
spieler. Es gibt zwar zahlreiche Fälle, wo die Ansteckung oder 
die Uebertragung handgreiflich ist; in anderen Fällen ist die 
Ursache immerhin noch mit einer an Gewissheit grenzenden 
Wahrscheinlichkeit festzustellen. Daneben gibt es aber noch eine 
Anzahl von Fällen, die weder sicher noch wahrscheinlich zu er¬ 
klären sind, und zwar einmal solche, wo immerhin noch ein Weg 
der Ansteckung als möglich hingestellt werden kann, dann aber 
alle die, wo alle Nachforschungen, und wären sie noch so gründlich, 
gewissenhaft, amsichtig und scharfsinnig angestellt worden, er¬ 
gebnislos bleiben. Und gerade die Zahlen dieser letzten Art sind 
so gross, grösser vielleicht, als manche ahnen! 

Es bedarf keines Hinweises darauf, wie bedauerlich dies ist. 
Es leuchtet ein, dass jede Bekämpfung des Typhus nur dann von 
ganz befriedigendem Ergebnis ist, wenn auch die Quelle erkannt 
und unschädlich gemacht worden ist, die den jeweilig vorliegenden 
Erkrankungsfall bedingt hat; können doch, so lange wie sie nicht 
verstopft ist, noch ungezählte andere Ansteckungen von ihr aas¬ 
gehen. Es ist und bleibt deshalb für den Medizinalbeamten neben 
der Aufgabe, am Bette und im Hanse des Kranken alle die An¬ 
ordnungen zu treffen, die eine weitere Verbreitung der Ansteckungs- 











642 


Dr. Schlegtendal. 


keime verhindern sollen, das als wichtigstes Ziel der Bemühungen, 
dass er die Entstehungsnrsache auffinde. 

Dieser Ursachen gibt es verschiedene. Die Beobachtungen 
der letzten Jahre haben gezeigt, wie die Wege sich ändern, oder 
richtiger, wie sie sich vermehren können in Anpassung an neu¬ 
zeitliche Einrichtungen (Molkereien, zentralisierte Käsereien, von 
den schon älteren zentralen Wasserleitungen abzusehen). Es ist 
aber, wie ich glaube, noch nicht bewiesen, dass ältere Annahmen 
darum etwa ganz unberechtigt seien, wie die, dass Typhuserkran¬ 
kungen ohne weiteres Zutun beim Arbeiten in altem, schlechtem 
und jedenfalls auch von Alters her verseuchtem Erdboden entstehen 
können. Die Lehre, die sich Koch 1 ) bei seinen Untersuchungen 
im Regierungsbezirk Trier gezogen, wonach der Typhus ähnlich 
der Malaria in einem Orte lediglich durch Uebertragung von 
Mensch zu Mensch zu herrschen vermöge und durch Ausschaltung 
jeder Uebertragungsmöglichkeit getilgt werden könne, hat auf den 
ersten Blick etwas sehr Bestechendes, zumal da der erfahrene 
Autor ihre Richtigkeit durch den praktischen Erfolg seiner Mass¬ 
nahmen belegen konnte. Aber sie ist doch nicht so ganz neu; 
auch die Beteiligung der Kinder ist schon bekannt gewesen und 
wohl schon jedem, der sich mit einer länger währenden Endemie 
zu beschäftigen hatte, immer wieder aufgestossen. Vor allem 
darf sie aber den Beamten nicht dazu verführen, dass er etwa 
meine, solche Epidemien, wie sie Koch in beneidenswerter An¬ 
schaulichkeit beschrieben hat, bildeten die Regel, oder sie nähmen 
unter den Typhusfällen im grossen und ganzen auch nur eine 
hervorragende Stelle ein, und er brauche nicht an andere In¬ 
fektionswege zu denken. 

Das Material, das der folgenden Zusammenstellung zu Grunde 
liegt, beweist, wie verschieden die Wege sein können, auf denen 
sich der Typhus in die Ortschaften und in die Häuser einschleicht. 
Es wird an und für sich nichts Neues damit gebracht. Aber die 
Frage nach der Aetiologie des Unterleibstyphus verliert nicht 
leicht ihre Spannung, und es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass 
die Kochschen Ausführungen die Untersuchungen und Erörterungen 
hierüber neu anregen werden. Es werden dabei grössere Zu¬ 
sammenstellungen einen gewissen Wert haben, und so hoffe ich, 
dass auch die 682 Fälle, von denen hier die Rede sein soll, 
willkommen sein werden. Die Arbeit Kochs erschien übrigens, 
während ich schon mit dieser Zusammenstellung beschäftigt war. 

Das Ende des Jahrhunderts hatte im diesseitigen Bezirk die 
wohl als bekannt anzunehmenden Molkerei - Typhusepidemien auf- 
treten lassen. Die letzte Seuche wurde dadurch besonders ver¬ 
hängnisvoll, dass sie sich auf den Truppenübungsplatz Elsenborn 
erstreckte, hier Mannschaften von 4 Regimentern ergriff und 
durch diese in die Garnisonen Aachen, Cöln-Mülheim und Coblenz 
verschleppt wurde. Gleichzeitig hatten sich ausgedehnte und 

') Ko oh: Die Bekämpfung des Typhus. Veröffentlichungen auf dem 
Oebiete des Militär-Sanitttswesens. Heft 21. Berlin. Verlag von Angnst 
Hlrsohwaid. 



682 Typhoafftil« nu<i Ihre Sntatehooganreacheu. 


hartnäckige Epidemien im Trierer Bezirk gezeigt. Auf Ver¬ 
anlassung das Herrn O'berprftsidenten wurde deshalb mittelst Ver¬ 
fügung vom 22. November 190Ö ü, a. »»geordnet, dass jeder 
Typhuafail, der bei der Örtspotizeibebörde angemeldet wurde, so* 
fort dem EieismediziißalbeaiÄtfeä bekannt gemacht würde, und der 
JKreißphyetku» ..erhielt die Anweisung, hieraufhin jeden 
einzelnen Typbuafall an Ort und Stelle zu unter* 
Buchen u. s. w. und wöchentlich hierüber kurz zu berichten. 
Dieses ausserordentliche Verfahren fand die Billigung des Herrn 
Medizinal'Ministers - und ist hier auch, da es sich offensichtlich 
gut bewährte, mit seiner Genehmigung weiterhin durchgefährt 
und beibehaltftü worden, obwohl in §. 82 der Dienstanweisung 
der UüteiieibBtyphu8 noch nicht zu den „weitere Volksfcreise 
gefährdenden Krankheiten* gerechnet wird, deren Ausbruch die 
unverzüglich vorzn nehmenden Ermittelungen des Kreisarztes not¬ 
wendig machen. Die Berichte der Kreisärzte sind im a-Ügemeinen 
nur dann eingehend gewesen, wenn die Krankheit ton vornherein 
iü grösserer Verbreitung auftiat. oder wenn sonstige Umstände 
eine breitere Darlegung erforderten. Der wöchentliche Bericht 
erfolgt mittelst eines einfachen Formulare, das aber in der Rubrik 
„ßntsfcehaagsursache u. A-usführungen 

reichlichsten Platz gewährt 

Diese Berichte begannen mit der ersten Woche des' De¬ 
zembers iüOö; ich habe sie für diese Zusammenstellung 
banutzt bis zum 31. Dezember 1902. Es handelte sich also um 
25 Monate. Während dieser Zeit trat ein Wechsel in den Beamten 
insofern ein, ala am i. April 18öl 2 Kreisphysiker itussehiedeü; 
toti diesen hatte übrigens bis dahin nur einer eine Meldung vor¬ 
gelegt. ■ Das Material ist deshalb bezüglich der Autoren recht 
glöiehmä8sig geblieben. Wollte man es nach Jahrgängen and 
Kreisen zerpflücken, so würden natürlich manche Unterschiede 
zu Tage treten, bedingt durch etwas umfangreichere Haun- oder 
Ortschaffcs-Epidemien, die eiahi&l hier, ein ahderes Mal dort die 
Gesamtziffern häuften, die aber auch von grösstem Einflüsse auf 
die Verhältuiszifferü seiu mussten, die betreffe der Aerologie der 
Krankheit entweder unter „Triakw&aser“ oder „Ansteckung 4 oder 
unter „unbekannt“ an wüchse». 

Es standen im ganzen t)82 untersuchte Fälle zur Verfügung; 
sie verteilen sich an/ die einzelnen Jahre wie folgt*. 

1 Mooat iw Jt&n 1900 5 t FäUe 

13 Kopite „ „ tflOi : 419 , 

. ißi l J m : 212 „ 

Die Verteilung der Fälle auf die unten anfgeführten ein¬ 
zelne» Rubriken wir manchmal nicht ganz leicht, da die von den 
Kreisärzten beigebr&chfcett .Angaben: die üdhw#iäb|si 

lassen konnten. Ich habe alsdann den F 
mir am ehesten schien, wo aW< von zww 

keiten die eine doch noch etwas meh/ . Wabrachoüittokkeit »# 
bieten schien, als die andere./ Die fNuunckfwhmi V ivhöitnme 
des praktischen Lebens veranlassten begreiffieberw«*^ 




644 


Dr. 8chlegtendaL 


solche Zweifel. Grundsätzlich habe ich sodann nie einen Fall 
zur Rubrik „unbekannt“ gewiesen, wo auch nur in etwa eine 
bestimmte Ursache als Möglichkeit erwähnt worden war. Um 
die Uebersicht nicht durch zu kleinliche Teilung zu stören, habe 
ich endlich nur möglichst wenige Rubriken gewählt. 

Hiernach verteilen sich die 682 Fälle, wie folgt: die Ur¬ 
sache war 


a) Uebertragung 

in 

151 Fällen 

= 22,1 v. 

H. 

b) Einschleppung 

D 

35 

7t 

= 5,0 „ 

7t 

c) Wasser 

n 

223 

Ji 

= 32,7 „ 

rt 

d) Milch, Obst 

ji 

7 

71 

= U * 

yt 

ej Typhös schon früh, in 

dems. Hans „ 

19 

7t 

= 2,8 „ 

7t 

f) unbekannt 

7t 

247 

7t 

= 36,3 „ 

1» 


682 Fällen = 100,0 v. H. 

Einige Bemerkungen seien hierzu gestattet: 

а. Uebertragungen. Unter den 151 Fällen finden 
sich 5, die die Erkrankung berufsmässiger Pflegerinnen betreffen; 
kurz vor dem 1. Dezember 1900 waren noch 3 andere Opfer dieser 
ihrer Tätigkeit bekannt geworden; die meisten (7) Ansteckungen 
entfallen hiervon auf Krankenhauspersonal, nur 1 auf eine freie 
Pflegerin. 2 mal waren es ferner Wäscherinnen, die nachweislich 
die Wäsche von Typhuskranken besorgt hatten. 5 Uebertraguögen 
erfolgten im Bett bezw. durch die Bettwäsche: einmal hatten 
2 Burschen, von denen der eine unbekannter Weise schon krank 
war, das Bett geteilt; die 4 anderen Ansteckungen erfolgten 
durch Benutzung von Betten, in denen vorher ein Typhuskranker 
gelegen hatte. In 3 Fällen handelte es sich um Männer, die 
berufsmässig mit dfer Entleerung der Abortgruben beschäftigt 
waren. Bemerkenswert sind ferner folgende einzelne Beob¬ 
achtungen : 

1. Ein 8jähriger Knabe in Aachen spielte im Juli mit Kinderspielseng, 
das als Geschenk von einer Familie ins Hans gelangt war, wo im August des 
▼oraofgegangenen Jahres Mutter und 2 Söhne (9 n. 18 Jahre alt) an Typhus 
gelitten hatten. 

2. Eine 46jährige Näherin erkrankte an Typhus; sie besserte die ihr 
▼on auswärts sagesandten Kleidungsstücke ans. 

3. Der Vater des erkrankten Knaben hat 2 Monate vorher die Leiche 
eines an Typhus gestorbenen Ackergehilfen gewaschen. 

4. Die Mutter eines anderen 10jährigen Knaben hat in dem Hause des 
vorerwähnten Falles verkehrt, bevor die Erkrankung als Typhus erkannt 
worden war. 

5. Der Erkrankte hat wiederholt seinen an Typhus erkrankten Schwager 
besucht and sich bei ihm längere Zeit „mit ansgesprochenem Widerwillen“ 
aufgehalten. 

б. Ein Kind Sch. in Aa. erkrankt; die Krankheit wird nicht als Typhus 
erkannt und nicht angemeldet; es erkranken in schneller Folge seine Matter, 
ein Geselle und ein Laufbursche, die in demselben Hanse beschäftigt waren, 
und endlich noch die Schwester der Matter, die das rekonvalessente Kind au 
sich in Pflege genommen hatte. 

In 7 Fällen wurden mindestens je 3 Uebertragungen bekannt, 
einmal 4 und ein anderes Mal sogar 5. Dass infolge einer grösseren 
Dorfepidemie, die durch einen verseuchten öffentlichen Brunnen 
entstanden war, noch mehr Ansteckungen von Person zu Person 



682 Typhusfälle und ihre Entstehongsnrsaeben. 


646 


erfolgten, ist natürlich; sicher als solche gemeldet 'wurden 12; in 
Wirklichkeit dürften es noch mehr sein. 

b Einschleppungen. Die hier untergebrachten 35 Fälle 
sind die, bei denen nichts weiter festgestellt worden war. Alle 
von ausserhalb des Bezirks oder von einem Ort in den anderen 
Ort eingeschleppten und vertragenen Erkrankungen, deren Ent¬ 
stehung bestimmter auf Uebertragung oder Trinkwasser u. 8. w. 
zurückgeführt werden konnte, sind nach dieser besonderen Ursache 
eingeschätzt worden. 

c. Wasser. Die 32,7 v. H. betragenden 223 Fälle, die 
auf eine Ansteckung durch Wasser beruhen dürften, teilen sich 
in 2 Gruppen: 187 = 27,4 v. H. erkrankten durch Brunnen¬ 
wasser, 36 = 5,3 v. H. dagegen erkrankten durch Bach-, 
Flusswasser. Beide Ziffern sind verhältnismässig hoch, und 
sie bleiben hoch, auch wenn man 2 grössere Epidemien als ausser- 
gewöhnlich abziehen wollte; es verblieben dann dort (187—53) 
134 und hier (86—16) immer noch 20 Fälle. Wie zahlreich die 
auf das Wasser zurückzuführenden Ansteckungen sind, erhellt 
ferner, wenn man auch andere Mehrzahlfälle abzieht und sie nur 
einfach d. i. in der Einzahl anrechnet. Es wurden nämlich 
gezählt: 2 mal je 7 zusammengehörende Fälle, 1 mal 5, 3 mal 
je 4, 2 mal je 3 und zwei mal je 2. Es sind dies 41 Fälle an 
nur 10 Stellen. Die beiden Epidemien entsprechen 2 Stellen. 
Es ergibt sich dann, dass an 125 Stellen das Wasser als Er¬ 
krankungsursache angenommen werden musste. Auf diese 125 Stellen 
entfallen zunächst obige 223 Erkrankungen, ferner aber auch 
mittelbar eine nicht geringe Zahl der unter „Uebertragungen“ 
aufgezählten Fälle. 

Der Erwähnung wert sind noch folgende Einzelheiten: 

1. An 9 Stellen, darunter einmal gleichzeitig 2 Erkrankungen, ist der 
Genuss von Grubenwasser beschuldigt worden (es handelte sich hierbei um teil¬ 
weise tiefe Kohlengruben, in denen hier und da z. 6. auch das Anchylostomnm 
vorkommt). 

2. An 6 Stellen musste angenommen werden, dass der Brunnen vom 
Nachbarhanse her Typhuskeime aufgenommen habe, wo vorher Typhus geherrscht 
hatte, mutmasslich oder sicher aber nicht genügend beachtet worden war. 
Die Erkrankung im Nachbarhanse lag zurück 1 mal 1 */* Jahre, 1 mal 2 Jahre 
und in einem 3. Falle war vor 1 nnd vor 3 Jahren dort Typhus gewesen. 

3. In Mtj. erkrankte ein 9 jähriges Mädchen, das eingestandenermassen 
10—14 Tage vorher viel im Wasser der Bnr gespielt batte. Bei der engen 
Talbildnng nnd dem felsigen Untergrund bildet die Bnr von alters her den 
natürlichen Abwässerkanal des Städtchens, nnd fast sämtliche Hänser leiten 
auch die Fäkalien dahin ab. Zn jener kritischen Zeit war eine Kranke mit 
unbestimmter Diagnose in das Hospital gebracht worden; ancb ihre Abgänge 
flössen znr Bnr ab. Nach 2 Tagen erst wurde die Diagnose auf Typhus 
gestellt; die Fäkalien wurden nunmehr sorgsam desinfiziert. Das Kind 
hatte aber das Unglück gehabt, in der Zeit der ungewissen Diagnose mit dem 
verseuchten Flusswasser zn spielen. 

4. Im Kreise A.-L. erfolgte eine Ansteckung vermutlich durch den Genuss 
von verdächtigem Wasser eines Brunnens, der dicht bei einem Aborte gelegen 
ist; dieser Abort war aber nachweislich von mehreren Arbeitern benutzt worden, 
die ans dem Orte kamen, wo die eine der erwähnten Epidemien herrschte, 
nnd die selbst an Unterleibstyphus erkrankten. 

5. Im Kreise A. - L. entfielen 7 Fälle gleichzeitig auf folgende Quelle: 
an einem sonst unverdächtigen Brnnnen war der Sangkolben der Pompe 




646 Dr. Sohlegtendfcl. 

wkidlttft geworden; er wirkte ent wieder, wenn ron oben Warner eingegoMen 
war; dieeee Wueer wurde aber stete dem nahen Bache entnommen, dessen 
Wasser auch bei anderen Typhnsf&llen eine Bolle spielte. 

6. Recht klar verliefen die Ansteckungen in 0. Das DOrfchen siebt sich 
in einem Tale hin und ist, da eine Wasserleitung bisher nicht su beschaffen 
war, sehr viel auf das Baehwasser angewiesen. An einem der oberen Hftnser 
wurde die Wische eines — einstweilen unbekannten — Typhusfalles gespftlt, 
und nach einer Zeit lagen talabwärts 16 andere Kranke darnieder. 

d. In 5 Fällen (S einzelnen, 2 zusammen) ist die Milch als 
infiziert zu bezeichnen gewesen. Je 1 mal fiel der Verdacht auf 
Obst nnd Gemüse. In dem letzteren Falle hatte der Patient 
in Gartenland gearbeitet, wohin nachweislich Typhuskeime ge¬ 
langen konnten; entweder erfolgte die Ansteckung unmittelbar 
oder aber durch Gemüse, was diesem Garten entnommen wurde. 
Dass diese letztere Annahme berechtigt sein kann, war vor einigen 
Jahren in einer Hausepidemie ersichtlich gewesen. 

e. Es folgen nunmehr die 19 Fälle = 2,8 v. H., die unter 
der Bezeichnung „Typhus in demselben Hanse schon 
früher* zusammengefasst worden sind. Diese gesonderte Auf¬ 
führung wird vielleicht mannigfach beanstandet werden. Ich bin 
mir wohl bewusst, wie sie sowohl allen denen nicht genehm sein 
kann, die weder Pest- oder Diphtheriehäuser noch auch die früher 
keineswegs unbekannten Typhushäuser anerkennen, wie sie aber 
anch den Beifall derer nicht finden wird, die auf Grund der bis¬ 
herigen Laboratoriumsversuche u. s. w. dem Typhusbacillus im 
Erdboden nur eine geringe Langlebigkeit zuerkennen wollen. Es 
ist aber zunächst einfach Pflicht, diese 19 Fälle, die schon von 
den untersuchenden Kreisärzten so ihre eigene Bezeichnung er¬ 
halten haben, auch in einer eigenen Gruppe aufzuzählen. Sodann 
wird man sich ja aber wohl damit trösten dürfen, dass denen, 
die eine derartige Sonderstellung nicht anerkennen wollen, immerhin 
eine nicht geringe Anzahl von Praktikern gegenübersteht, die 
ähnliche Erfahrungen und Beobachtungen gemacht haben. Endlich 
aber dürften die Untersuchungen über die in der Freiheit belassenen 
Typhuskeime, ihre Lebensbedingungen und ihre Lebensdauer (sei 
es mit, sei es ohne eine besondere Form, die eine grössere Aus¬ 
dauer gestattet) noch nicht als abgeschlossen zu betrachten sein. 
Es ist immerhin recht bemerkenswert, dass Koch a. a. 0. S. 13 
an- und zugibt: „Sie können sich vielleicht in einem feuchten 
Boden, wenn sie etwa mit Dungstoffen u. s. w. dahin gelangten, 
ein paar Wochen, selbst einige Monate halten. Es ist möglich, 
dass sie sich einen Winter hindurch auf den Feldern lebend er¬ 
halten können, wenn sie durch Latrineninhalt u. s. w. dahin ge¬ 
kommen sind*. Koch schliesst den Satz mit „aber viel länger 
nicht*. Hiermit meint er zunächst offenbar die kurz vorher er¬ 
wähnte alte Ansicht, die Keime könnten in den Boden gelangen, 
sich dort einnisten und vermehren, „Jahrzehnte, womöglich Jahr¬ 
hunderte darin leben, so dass, wenn ein verseuchter Boden 
angerührt und umgewühlt würde, dann der Typhus zum Ausbruch 
käme*. Derartig lange Fristen können aber hier unberücksichtigt 
bleiben, und die von Koch zugestandene Dauer ist lang genug, 











682 TyphugfEUe and ihre Bntetehmigsanmeheo. 


647 


am viele Ansprüche zn befriedigen. Es ist aber nicht recht 
ersichtlich, warum unter günstigen Verhältnissen (lockerer, lnftiger, 
günstig angefeuchteter, von geeigneten Nährstoffen durchsetzter 
Boden z. B.) die Keime nicht auch noch einen Sommer und noch 
einen Winter aushalten sollten. Was im Laboratorium bei der 
Züchtung der Stämme möglich ist, wird in der freien Natur doch 
nicht unter allen Umständen ganz und gar unmöglich sein, auch 
ohne dass die Keime zwischendurch erst mal wieder einen mensch¬ 
lichen Körper passiert haben. Ich möchte diese Möglichkeit einst¬ 
weilen jedenfalls noch als zu Recht bestehend anerkannt sehen! 
Dann dürfen aber auch die fraglichen 19 Fälle gesondert auf¬ 
geführt werden, und es verschlägt dabei auch nichts, dass wir 
nicht wissen, ob die Infektionskeime auf dem Hofe oder gar im 
Hause, etwa zwischen und unter den Holzdielen ihr Leben ge¬ 
fristet haben. Im einzelnen ist dazu nicht viel zu sagen; es 
gehört unter die Fälle dieser 25 Monate auch nicht eine Fest¬ 
stellung, die vorher bei einem Gehöfte gemacht worden war, die 
aber hier erwähnt sein möge: In diesem Gehöft erkrankt jeder 
neue Dienstbote nach einiger Zeit an Typhus und ebenso alle hier 
geborenen Kinder noch während ihrer Jugend. Wie lange dies 
schon zurückreicht, weiss man nicht. Es fehlen auch alle greif¬ 
baren Momente zur etwaigen Annahme, dass hier oder da etwas 
gesundheitswidrig sei und geändert werden müsse. Je nach den 
Umständen vergehen Jahre, bevor ein neuer Erkrankungsfall 
auftritt. Bei unseren 19 Fällen lag die letzte Typhuserkrankung in 
dem betreffenden Hause zurück: 

1 mal 2 Hoaate 1 mal 8 Monate 8 mal 18—24 Monate 

1. 3 „ 1„ 9 „8„8 Jahre 

2 „ 4 „ 1 „ 14 „ 1 . ß , (damaleSF.) 

1 „ mehrere „ 4 „ 18 „ 

Zu bemerken ist endlich noch, dass 1 mal 2 Fälle und 
1 mal 3 Fälle in demselben Hause aufgetreten sind; die übrigen 
14 Erkrankungen waren vereinzelt. Sie verteilen sich auf 
5 Kreise. 

f. Den Beschluss machen 247 Fälle = 36,3 v. H., deren 
Herkunft unbekannt geblieben ist, die aber gerade deshalb 
einer besonderen Besprechung wert sind, weil sie beweisen, dass 
auch der so bekannte und viel erörterte Typhus noch seine Rätsel 
hat. Wir können in der Schar allerdings noch etwas sondern. 
Die Kreisärzte haben in solchen Fällen nicht immer nur lakonisch 
gemeldet „Ursache unbekannt“, sondern sie haben erfreulicher¬ 
weise oft noch angegeben, wenn in oder an dem Hause etwas 
nicht iu Ordnung war, wenn sich sanitäre Misstände fanden, die 
der Abstellung bedurften. Dabei war die Sachlage aber so, dass 
diese Misstände keineswegs ätiologisch mit der Erkrankung in 
Verbindung gebracht werden konnten. 

So ist 23 mal angegeben, dass das Gelände, auf dem das 
Haus steht, schlecht, nicht entwässert oder von alten Zeiten her 
mit organischen Stoffen durchsetzt sei. Es reihen sich 5 Fälle 
aus einer grösseren Anstalt an, wo das Gelände gar nicht einmal 



648 Dr. Sohlegtendal: 682 TyphuBf&lIe und ihre Entstehanganraaeheii. 

besonders grosse Mängel aufwies, wo aber doch der einzige be¬ 
stimmtere Verdacht, der gefasst werden konnte, nur das Erdreich 
treffen musste. Es sind ferner 43 Häuser genauer bezeichnet 
worden, wo gröbere Misstände herrschten, wie Schmutz, schlechte 
Ableitung der Abwässer, Ansammlung von Kehricht, schlechte 
Luft und dergl. Gerade solche Häuser sind es auch gewesen, 
wo entweder sofort oder nach und nach 2 und mehr Erkrankungen 
auf traten, so in Aachen 3 mal je 3 Fälle und 2 mal je 5 Fälle, 
ohne dass eine Uebertragung nachweisbar oder eine bestimmte 
Infektionsquelle zu erkennen gewesen wäre. 

Alles in allem genommen ist bei 82 Fällen etwas Besonderes 
nebenbei bemängelt worden, und es bleiben 165 = 24 v. H. der 682 
Fälle übrig, wo der Kreisarzt nichts gefunden hat, wo die Infek¬ 
tion gänzlich rätselhaft geblieben ist. Dass die Untersuchung 
in rund */ 4 aller Fälle entweder die Ursache feststellen konnte oder 
doch eine Reihe von Misständen gewissermassen als Verdachts¬ 
momente beizubringen vermochte, finde ich nicht so verwunderlich, 
nachdem jeder Medizinalbeamte aus eigener Erfahrung oder auf 
Grund seiner Studien und litterarischen Forschungen die Schleich¬ 
wege des Typhus kennen gelernt hat. Das ist aber m. E. ver¬ 
wunderlich, dass bei 24 v. H. d. i. fast bei jedem 4. Falle gar nichts 
aufzudecken gewesen ist: kein schlechtes Wasser, keine Erkrankung 
vorher in der Familie und in der Freundschaft, keine Misstände, 
kein Schmutz. 

Noch verwunderlicher wird diese Tatsache, wenn wir zum 
Schluss noch einen kurzen Blick auf diese Reihen der Unbekannten 
werfen. Es ist begreiflich, wenn die Nachforschungen bei einem 
einzelnen Falle in einer grösseren Stadt ergebnislos bleiben: 
es ist tatsächlich ein Ding der Unmöglichkeit, hier allen den 
Wegen nachzuspüren, die das erkrankte Individuum vor 2—3 Wochen 
gegangen ist, festzustellen, was und wie es damals gegessen und 
getrunken hat, welche Menschen mit ihm in Berührung gekommen 
sind, und von welchem Gesundheits- oder Krankheitszustand diese 
waren. Dieselben Verhältnisse finden sich auch in Landbezirken, 
wo etwa die Industrie die Bevölkerung dichter wohnen macht 
und zu unverfolgbarem Verkehrstreiben durch einander wirbelt, 
wo dann noch die schärfere Kontrole der Nahrungsmittel, wie sie 
der Grosstädter kennt, fehlt, wo es entweder keine Wasserleitung 
gibt, oder wo daneben noch alte Brunnen zweifelhaften Wertes 
in Benutzung stehen, wo die allgemeinen Ansprüche an Anstand 
und Reinlichkeit minder laut auftreten, und wo der wertvolle 
Dung nicht sofort weggespült, sondern sorgsam gesammelt 
wird u. s. w. Dass ein grosser Teil der 165 unbekannten Fälle 
auf die Stadt Aachen und auf die Arbeiterviertel im Landkreise 
Aachen u. s. w. fällt, ist also begreiflich. Ich lasse sie beiseite; 
beiseite auch die aus Kreisen und Ortschaften, die seit Jahr¬ 
zehnten als hervorragend von Typhus heim gesucht gelten; denn 
hier drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf: wo einmal so 
viele Brunnen verdächtig sind, und wo Jahr aus Jahr ein so viele 
Erkrankungen auftreten, da ist es doch nicht unbegreiflich, dass 



Df, Romeick : Regelung des DeMnfektloßswesen« im Kreise na*-. 649 

non auch der jeweilig in Betracht kommende Mensch hat an* 
gesteckt werden müssen,, seinem Schicksal nicht entrinnend. 

Ich möchte aber &ui § Kreiäe terweieefi, die durchaus zu 
den ländlichen Bezirken gehören, die verhältnismässig schwach 
bevölkert sind, wo es nur wenige und nur kleine geschlossene 
Ortschaften, gibt., und wo der Typhus keineswegs heimisch ist 
oder letzthin verbreitet war. Hier fallen die Schwierigkeiten, 
die vorstehend dargelegt sind, grösstenteils fort; es lassen eich 
alle Wege, die der Mensch gegangen, alle Mitmenschen, die er 
gesprochen hat, u. s. w. weit eher feststellen, und die öertlichfceit 
ist übersichtlich, selbst wenn es sich nicht nur um Hinan einzelnen 
Hof, sondern um ein ganzes Dorf handelt. Da ist: 

t. Dar Kreis Erkelenz; uaf raad 289 qkm wohnen 87000 Ein*.; die 
KreUst&dt zählt 4600 Ebw. und Wegberg ist fast ebenso gross. Es sind ge¬ 
meldet worden te den & Jahren 22 Tyjsliusf&ile ia zusammen 9 Orten. Hiervon 
blieben onaufgeblbrt 10 Fälle An 7 Off.eo. 

2. Der Kreis Geilenkirchen; 26öOÖ Einw. auf 197 $km, die Kreisstadt 
bat -4200 Biow. Die 6 gemeldatau Erkrankungen verteilen eich auf 6 Orte, 
die 3 öoaufgekUrten aber auf 2 Orte. 

3. Xm Krmaa Heitttfberg (36000 Eiaw., 243 qkm) kamen Überhaupt ho* 

3 Anzeigen eia ; n 2 Fälle wurden aufgeklärt, der 3. war ganz isoliert und 
blieb dunkel, . 

4. Keeie Jülich (42700 Einw. auf 318 qkm); die Kreisstadt, bat. 
Ö&ÜÖ Einw^iLiunieb 2100 Einw. Es wurden 47 Erkrankungen angeseigt; 
hiervon blieben besUglicb der Entsteh an g unbekannt 23, Diese 33 Falle ver¬ 
teilen sieb auf 9 Orte, aber so, dass 17 Fälle auf 3 Ortschaften entfallen und 
0 Fälle ganz vereinzelt vorgekommen sind, 

6, Der Kreis Schleiden erstreckt »ich Uber 824 qkm; dis 'Ortschaften 
(Schleiden 660, Gern find 1900, Mechernich 3600. Biankenbejm 860 Einw.) sind 
nur klein; *b verteUen «ich die 45600 : Slow,; 'daher sehr stark. Dabei ist 
meistens wenig Verkehr, da die Industrie im wesentlichen auf einen Talzng 
beschränkt ist. Von 39 Fälle« blieben30 dunkel t Diese verteilen afab aber 
auf nicht weniger ab 18 Orte, sog war, dang auf 13 Orte nur je eie Fall kam! 

Diese Ergebnisse gemahnen an das bekannte Wort, dass es 
zwischen Himmel und Erde manche Dinge gebe, die der Schul-. 
Weisheit spotten, Sie werden aber auch* wie Ich hoffe, manchem 
Leser zum Abtrieb werden, ähnliche ^naamtaehstelluagen zu 
machen hhd:#^3!ifc«Bhh. Für die Natürgesehihht^ des üüterieibs- 
typhös werden dieselben vielleicht ebenso wertvoll aein, wie für 
die noch nicht geschriebene endgüUige Kulturgeschichte des 
hinterlistigen E 5>e r t hsehen Bacillus, 

Regelung des Desinfektionswesens im Kreise und Absönde- 

rungsve(fahren, 

; Von Kr6isar*t Or, Romeick i» Mobtungun, 

Das dem A.bgeordnetenhauee. vorgelegte, aber von diesem flieht 
verubschiedet« pceussfsdie Souchengesetz für die eiuh^mischeo 
Heu eben fordert, ehe d*o wie -das Beidmeu;-iiengesetz ($ vm : 
last, alten Iw^ikhette» die ttesmfektidö Uöd iö der B . ' ; ' 

dazü {s. § 8, Nr. II) heisst es ausdrücklich, ft die ricuit.biile.« 
and Kreise werden für die ßereithaltung eines geschultst; D* 
inlektionspersonals und die Bereitstellung wirksamer Fr ; j 




650 


Dr. Romeick. 


tionsmittel, sowie zureichender und im leistungsfähigen Zustande 
zu erhaltender Desinfektionsapparate Sorge zu tragen haben/ In 
dem hiesigen ländlichen Kreise besteht bereits das Institut von 
Kreisdesinfektoren seit 4 1 l a Jahren und es dürfte von Interesse 
sein, die Einrichtung und den Betrieb desselben kennen zu lernen. 

Der 1265 qkm grosse Kreis mit 58350 Einwohnern wird 
durch den Röthloffer See von Nord nach Süd in zwei annähernd 
gleiche Teile geteilt. Der Mittelpunkt des einen ist die Stadt* 
Mohrungen, der des anderen die Stadt Saalfeld. In diesen 
beiden Städten ist für je eine Hälfte je ein Kreisdesinfektor 
angestellt, früher ein Maler- und ein Schuhmachermeister, jetzt 
beide Schuhmachermeister. Aus den Kreisen der kleinen Hand¬ 
werker dürfte stets, falls einer ausscheidet, Ersatz zu schaffen 
sein; sie sind an fleissiges Arbeiten gewöhnt und jederzeit ver¬ 
hältnismässig leicht abkömmlich, während letzteres für Barbiere, 
untere Polizeibeamte u. s. w. weniger der Fall ist. Mehr als 
zwei im Kreise anzustellen, etwa in jedem Amtsbezirke einen, 
wäre für hiesige Verhältnisse unzweckmässig; denn dann hätten 
alle zu wenig Einnahmen aus diesem Nebenamt und würden auch 
aus der Uebung kommen. 

Im März 1898 bewilligte der Kreistag die erforderlichen 
Mittel. Auf die betr. Annonce in den Kreisblättern liefen eine 
Anzahl von Meldungen ein. Die beiden Ausgewählten wurden in 
der städtischen Desinfektionsanstalt in Berlin drei Wochen lang 
unentgeltlich sowohl in der Haus* und Transportkolonne, wie in 
der Bedienung der Desinfektionsapparate ausgebildet. Sie er¬ 
hielten während der Zeit 4 Mark Tagegelder und freie Hin- und 
Rückfahrt 4. Klasse. Ihre Ausrüstung wurde ihnen von Gebr. 
Schmidt in Weimar für je 100 Mark angeschafft. Ihre Tätig¬ 
keit ist nach folgenden Grundsätzen geregelt: 

Der Landrat bestimmt nach dem Vorschläge des Kreisarztes, 
wo und wann eine Desinfektion durch den Kreisdesinfektor auszu¬ 
führen ist. Der Gemeinde- bezw. Gutsvorstand hat denselben zur 
vorgeschriebenen Zeit zu requirieren. Der Kreisdesinfektor erhält 
4 Mark Tagegeld, sowie Hin- und Rückfahrt, angemessene Ver¬ 
pflegung und event. Unterkunft für die Nacht. Der Kreis über¬ 
nimmt die Hälfte des Tagegeldes und die Hergabe der aus der 
Apotheke zu beziehenden Desinfektionsmittel. Die Gemeinden 
haben also nur 2 Mark Tagegelder zu zahlen, den Desinfektor mit 
Fuhrwerk hin- und zurückzuschicken oder ihm Bahngeld (5 Pfg. 
pro km) zu bezahlen, die Desinfektionshausmittel (grüne Seife, ge¬ 
löschten Kalk u. s. w.) zu liefern und ihm Verpflegung und event. 
Unterkunft zu gewähren. Der Kreis stellt ausserdem die Dampf¬ 
apparate in beiden Kreiskrankenhäusern für die durch den Desin¬ 
fektor vorzunehmenden Desinfektionen unentgeltlich zur Verfügung. 
Sofort nach ausgeführter Desinfektion schickt der Desinfektor seine 
Rechnung an den Kreisausschuss. Dieser zieht die Beträge ein und 
liefert sie ohne Verzug an den Desinfektor ab. Die Einnahme 
für seine Arbeit wird ihm also vom Kreise garantiert, so dass er 
keine Verluste erleiden kann und dadurch besser steht als die 




Desinfektionaweaen im Kreise and Absonderaogaverfahreii. 651 

Bezirkshebammen. Im Kalenderjahr 1902, wo allerdings hier eine 
* sehr ausgedehnte Scharlachepidemie herrschte, hat der Kreisdes¬ 
infektor in Mohrungen 198, der in Saalfeld 171 Desinfektionen 
ansgeffihrt; ersterer hat also 792, letzterer 696 Mark Tagegeld 
erhalten. Rechnet man noch die freie Verpflegung und vielleicht 
noch kleine Ersparnisse von den Reisegeldern, so dürfte sich auch 
weiterhin das durchschnittliche Einkommen jedes der beiden Des¬ 
infektoren auf etwa 500 Mark stellen. Die Hebammen des Kreises 
haben 1902 durchschnittlich 50 Entbindungen gehabt; rechnet 
man jede zu 6 Mark (was sehr oft noch nicht erreicht wird), so 
ergibt sich erst ein Jahreseinkommen von 300 Mark und die Ein¬ 
treibung ihrer Forderungen ist ihre eigene Sache. Die finanzielle 
Sicherstellung leistet also dem Institut der Kreisdesinfektoren Ge¬ 
währ für Bestand und Dauer. 

Die grossen Vorzüge, welche die Formalindesinfektion für die 
überwiegende Zahl der Infektionskrankheiten bietet, führten dazu, 
beide Kreisdesinfektoren im vorigen Jahre abwechselnd zu einem 
14 tägigen Nachkursus zur Erlernung der Formalindesinfektion nach 
Berlin zu schicken unter denselben Bedingungen wie beim ersten 
Lehrkursus. Auch dieser Nachkursus wurde in der städtischen 
Desinfektionsanstalt kostenlos gewährt und jedem ein Prüfungs¬ 
zeugnis ausgestellt. Der eine hat „gut“, der andere „sehr gut“ 
bestanden. Danach wurde jedem ein F1 ttg g e scher Apparat nebst 
Ammoniakentwickler von G. Härtel-Breslau zum Preise von 
60 Mark angeschaflt, Watteschnurstreifen von Krafft & Buss- 
Wetzlar, die übrigen Ausrüstungsgegenstände von einheimischen 
Kaufleuten. Die Ausrüstung ausser dem Apparat kostet für jeden 
ca. 50 Mark. Die Desinfektionsmittel aus den Apotheken (For¬ 
malin und Ammoniak und Sublimatpastillen) werden aus diesen 
zu Engrospreisen bezogen. Trotzdem hat der Kreis dadurch 
gegen früher erhebliche Mehrkosten. Seitdem sind alle Woh¬ 
nungsdesinfektionen mittels Formalin ausgeführt, ausser bei Unter¬ 
leibstyphus (Ruhr und Cholera sind noch nicht vorgekommen), 
wo die frühere einfache Desinfektion mit Ueberfübrung der nicht 
waschbaren Gegenstände in die Dampfapparate ihre Geltung be¬ 
hauptet. 

Im Regierungsbezirk Arnsberg sind den für jeden Amts¬ 
bezirk vorgesehenen Desinfektoren ausser den Schlussdesinfektionen 
noch andere Aufgaben zugewiesen, wozu ich noch in Kürze 
Stellung nehmen möchte. Erstens die Kontrolle der laufenden 
Desinfektionen am Krankenbett, für die den Familienvorständen 
eine gedruckte Anweisung sofort bei Ausbruch der Krankheit ein¬ 
gehändigt wird. Auch hier wird den verseuchten Familien eine 
vom Kreisärzte ausgearbeitete Anweisung sofort durch den Amts¬ 
vorsteher zugestellt, und der Kreisarzt erläutert dieselbe bei seinen 
Untersuchungen an Ort und Stelle ausführlich. Dennoch wird 
dieselbe fast überall sehr unvollkommen oder gar nicht ausgeführt. 
Eine Kontrolle wäre also höchst nötig. Unsere beiden Kreisdes¬ 
infektoren können dieselbe aber höchstens an ihrem Wohnorte selbst 
ausüben; für ihre sonst dazu erforderlichen Reisen würden weder 



652 


Dt. Romeiek. 


Kreis, noch Gemeinden die Mittel hergeben. Die Aufstellung dieser 
Forderung würde das immerhin noch nicht überall gewürdigt * 
Institut der Kretadesinfektoren noch unbeliebter machen und eine 
Opposition gegen dasselbe wachrufen. Hier bleibt noch eine 
Lücke in unserem Desinfektionswesen, deren Ausfüllung auf 
anderem Wege ins Auge gefasst werden muss. Wir haben im 
Kreise fünf von den Frauenvereinen unterhaltene Gemeinde¬ 
schwestern. Bei den jährlichen Nachprüfungen der Kreisdesin¬ 
fektoren müsste der Kreisarzt auch die Schwestern heranziehen, 
sie in den Desinfektionen ausbilden, und ihnen die Ausführung 
und Kontrolle derselben am Krankenbette in ihrem Wirkungskreise 
zur Pflicht machen. Ferner sollen im Regierungsbezirk Arnsberg 
die Kreisdesinfektoren die Gehülfen und Führer des Kreisarztes 
bei den Orts- und Schulbesichtigungen sein und sogar die Kon¬ 
trolle über die Ausführung der von ihm vorgeschlagenen Mass¬ 
nahmen ausüben. Hier im Osten ist das Ortsbesichtigungsrecht 
des Kreisarztes dem Grossgrundbesitz vorläufig noch ein Dom im 
Auge, und die Schulgemeinden wehren sich mit Händen und Füssen, 
die vom Kreisärzte für nötig befundenen Verbesserungen an den 
Schulen aus ihrer Tasche zu bezahlen. Hier noch einen Unter¬ 
beamten mit dem Rechte der Mitbesichtigung und gar der Kon¬ 
trolle einzuführen, wäre wenigstens für den Osten der Monarchie 
ganz verfehlt. Ueberdies hat diese Tätigkeit auch mit den 
Funktionen eines Desinfektors gar nichts zu schaffen. 

Ich möchte nun noch in Kürze erläutern, wie das AbSonde¬ 
rung 8 verfahren nach dem neuen Gesetz auch für die ein¬ 
heimischen Seuchen zu handhaben ist, um wirklich eine Weiter¬ 
verbreitung derselben zu verhüten. Ohne gesicherte Absonderung 
der Kranken, der Krankheitsverdächtigen (die unter Erscheinungen 
erkrankt sind, welche den Ausbruch der Seuche befürchten lassen) 
und der Ansteckungsverdächtigen (die, ohne krank zu sein, das 
Ansteckungsgift wahrscheinlich in sich aufgenommen haben oder 
an sich herumtragen) hinkt auch die beste Desinfektion der Seuche 
nach, ohne wesentlichen Nutzen zu schaffen. Sie gleicht dann 
einer Feuerspritze, die ein brennendes Haus löscht, während die 
Insassen desselben ungestört alle umliegenden Häuser in Brand 
setzen. Wie ist es denn bisher gewesen? Man hat vielleicht 
eine Tafel an dem verseuchten Hause anbringen lassen und das 
Betreten der verseuchten Wohnung untersagt; man hat ferner die 
schulpflichtigen Kinder aus der Familie oder auch aus dem Hause 
von Schule und Konflrmandenunterricht ausgeschlossen. Aber die 
freie Bewegung der Kranken sowohl, wie der Haushaltungsange¬ 
hörigen hat man nicht zu beschränken vermocht. Ansteckende 
Kranke, besonders diphtheriekranke Kinder, werden in ärmeren 
Gegenden, wie hier, sehr oft zum Arzte hingefahren zur Behand¬ 
lung bezw. zur Heilserumeinspritzung. Danach wird der nötige 
Einkauf bei verschiedenen Kaufleuten gemacht oder im Gasthause 
eingekehrt und überall der Giftstoff abgelagert. Ein Antrag 
meinerseits, den Transport ansteckender Kranken, abgesehen 











Deainfektionsweaen im Kreise and Absonderangsverf&hren. 653 

den nach einem Krankenhause, zu verbieten, ist vom Landrat, als 
gesetzlich unzulässig, abgelehnt. Und die Haushaltungsmitglieder? 
Eine Absonderung von den Kranken, so dass jede Berührung mit 
Sicherheit ausgeschlossen ist, lässt sich nur ganz ausnahmsweise, 
etwa in einem Guts- oder Pfarrhause, durchführen. Die Ueber- 
führung der Kranken ins Krankenhaus ist auf dem Lande selten 
möglich, denn in diesem ist kein Platz, kein Isolierraum und kein 
geeignetes Personal. Die Kranken bleiben deshalb meist zu Hause, 
und die Haushaltungsmitglieder derselben sind dann nicht nur als 
ansteckungsverdächtig, sondern bei kleinen Handwerkern und Ar¬ 
beitern, die oft in einer einzigen Stube wohnen, essen und schlafen, 
geradezu als mit dem Ansteckungsstoff geschwängert zu bezeichnen. 
Und diese haben freie Bewegung! Der Mann geht auf seinen 
Arbeitsplatz in Landwirtschaft und Fabrik, oder als Handwerker, 
Händler, Briefträger von Haus zu Haus, oder auf sein Bureau 
zur Abfertigung des Publikums, oder nach den Mühen des 
Tages in die Schenke; wie der verseuchte Postbeamte wirkt, 
hat Herr Kollege v. Gyzicki in seinem Artikel „die Post als 
Vermittlerin bei der Weiter Verbreitung von Krankheiten“ in Nr. 2 
dieser Zeitschrift treffend geschildert. Die Frau trägt vielleicht 
Nahrungsmittel (Brot, Gemüse) von Haus zu Haus, oder sie be¬ 
sorgt Einkäufe in den Kaufläden oder auf dem Markte, oder sie 
geht an mehreren Stellen aufwarten oder kochen, oder sie macht 
Freundschaftsbesuche. Die Tochter geht in den Dienst oder in 
fremden Häusern schneidern. Die Kinder spielen tagüber mit an¬ 
deren Kindern zusammen auf der Strasse. Und wie geht es in 
dem verseuchten Hause selbst zu, trotz Tafel und Eintritts verbot? 
Unnütze Besuche werden vielleicht dadurch etwas hintangehalten, 
beim Schneider habe ich aber schon die zum Austragen oder Ab¬ 
holen bereit gestellten Kleider auf dem Bett des scharlachkranken 
Kindes lagern, den Verkaufsraum des Bäckers oder Kaufmanns in 
offener Verbindung mit dem Krankenzimmer gesehen; ebenso den 
Bureauraum beim Postagenten. Kurz, überall, wo eine Abgabe 
von Waren oder Gegenstände in einem verseuchten Hause statt¬ 
findet, tragen diese das Gift nach allen Himmelsrichtungen hin 
fort. Alles dies beruht auf eigener Anschauung; und so kann 
man wohl sagen, dass die Verhütung der Weiter Verbreitung an¬ 
steckender Krankheiten mit den bisher gesetzlich zulässigen Mass- 
regeln niemals gelungen ist und niemals gelingen konnte. 

Wie wird nun auf Grund des Reichsseuchengesetzes sowie 
des neuen Gesetzes, falls dieses zur Annahme gelangt ist, vorge¬ 
gangen werden müssen? Das Gesetz gibt nicht nur die Mass- 
regel der Absonderung Ansteckungsverdächtiger, son¬ 
dern auch die Meldepflicht zugereister, welche sich inner¬ 
halb der Inkubationszeit in einem verseuchten Bezirk aufgehalten 
haben, und die Beobachtung Ansteckungsverdächtiger und 
zwar in einfacher Form, indem zeitweise Erkundigungen nach dem 
Gesundheitszustände eingezogen werden, und in verschärfter Form 
bei umherziehendem Volk mit Beschränkung des Aufenthalts und 
der Arbeitsstätte. Schliesslich gibt es den wegen Ansteckungsver- 



654 Dr. Romeiok: Desinfektion im Kreise and Absoodernngeverfehren. 


dacht Abgesonderten Anspruch auf Entschädigung für ver¬ 
loren gegangenen Arbeiteverdienst. Mit diesen Massregeln ist die 
Verhütung der Weiter Verbreitung tatsächlich erreichbar. Gleich 
bei den ersten Ermittelungen, die der Kreisarzt auf die einge¬ 
laufene Anzeige einer Seuche hin vornimmt, wird er sämtliche 
Haushaltungsangehörige für ansteckungsverdächtig erklären und 
ihre Absonderung vorschlagen. Männer, Frauen und Kinder dürfen 
mit niemand in irgend eine Berührung treten. Jede Abgabe von 
Gegenständen aus dieser Familie — seien es Verkaufs- oder Hand¬ 
werksgegenstände — ist sofort zu verbieten. Waren, Packete und 
Briefe dürfen aus dieser Familie nicht befördert werden. Jede 
halbe Massregel ist unnütz. Für die übrigen in demselben Hause 
wohnenden Familien ist je nachdem entweder, sofern sie bereits 
in näherer Berührung mit der verseuchten gestanden haben, eben¬ 
falls die Absonderung, oder im anderen Falle die Beobachtung 
anzuordnen, so dass jeder neue Krankheitsfall im Hause sofort 
bekannt wird. Diese Massregeln bleiben in Kraft bis nach 
erfolgter Schlussdesinfektion. Aber auch nach dieser muss für 
die Dauer der Inkubation der betr. Seuche — nach Unter¬ 
leibstyphus also 3 Wochen lang — noch eine Beobachtung 
aller Hausinsassen erfolgen, da noch kurz vor der Desin¬ 
infektion eine Neuansteckung erfolgt sein kann. Erst wenn auch 
diese Beobachtungszeit ohne Neuerkrankung vorübergegangen ist, 
hat man gewonnenes Spiel und geht nun daran, den durch die 
Absonderung in ihrem Erwerb Geschädigten die gesetzlichen Ent¬ 
schädigungen zuzuweisen. — Ich habe damit nur ein grobes 
Schema des notwendigen Vorgehens gegeben; alle Möglichkeiten 
lassen sich in einem kurzen Artikel nicht in Betracht ziehen. Ich 
wollte nur hervorheben, dass es gottlob demnächst gesetzlich mög¬ 
lich sein wird, durch energische Massregeln dem bisherigen Schlen¬ 
drian der Bevölkerung den Seuchen gegenüber entgegenzutreten, 
und dass überall ganze Massregeln getroffen werden müssen. Die 
angeordnete Absonderung muss polizeilich überwacht werden. Die 
notwendigen Lebensmittel sind den Abgesonderten so zuzuführen, 
dass dabei keine Berührung stattfindet. 

Einen Punkt muss ich aber noch in Kürze erwähnen, der 
nach meinen Erfahrungen in allererster Linie zur weiten Ver¬ 
breitung der Seuchen beiträgt, — nämlich die Gebräuche der Be¬ 
völkerung bei Todesfällen an ansteckenden Krankheiten. Hier 
geht es wie bei allen übrigen Todesfällen folgendermassen zu: 
Die Leiche wird von der Totenfrau gewaschen, dann herkömmlich 
herausgeputzt und im offenen Sarge drei Tage lang mitten ins 
Zimmer gestellt. Die Nachbarn treten, so oft es ihre Zeit ge¬ 
stattet und besonders jeden Abend, zum Gebet an die Leiche und 
bleiben dann noch einige Zeit plaudernd bei der trauernden 
Familie. Zur Beerdigung werden die Nachbarn und sämtliche 
Verwandten eingeladen. Diese finden sich nicht nur aus dem¬ 
selben Dorfe, sondern oft aus weiter Feme zu Wagen oder per 
Bahn — sogar auswärtige Lehrer habe ich bei Scharlachleiehen¬ 
begängnissen angetroffen 1 — mehrere Stunden vorher ein, und im 



Dr. Placzek: Bin deutsches geriohtsürztliches Leichenöffnungsverfahren. 665 

Hause beginnt die Vorfeier; sehr oft singen die Schulkinder schon 
in der verseuchten Wohnung. Nach der Beerdigung findet dann 
ein solenner Leichenschmaus statt, der die Teilnehmer bis spät in 
die Nacht zusammenhält. Die Auswärtigen nächtigen dann noch 
in der verseuchten Stube und fahren erst am anderen Tage fort. 
Dabei liegen oft noch mehrere Kinder in derselben Stube an Schar¬ 
lach oder Diphtherie schwerkrank darnieder. Auch dieses alles 
habe ich viele Male mit eigenen Augen gesehen! Die angeord¬ 
neten gegenteiligen Massregeln werden nie befolgt, weil religiöse 
Vorstellungen mit diesen altgeheiligten Beerdiguugsgebräuchen 
enge verknüpft sind. Auch hiergegen muss man mit ganzen Mass¬ 
regeln so energisch wie möglich vorgehen. Die Leiche ist sofort 
in mit desinfizierender Flüssigkeit getränkte Tücher zu hüllen 
und in einen dichten Sarg zu legen. Das Waschen derselben ist zu 
verbieten, ebenso die Ausstellung derselben im Sterbehause oder 
im offenen Sarge. Der Sarg ist, wenn möglich, sofort in eine 
Leichenhalle zu schaffen, die Beerdigung tunlichst zu beschleunigen. 
Das Leichengefolge ist möglichst zu beschränken und dessen Ein¬ 
tritt in das Sterbehaus zu verbieten. Von auswärts darf niemand 
zur Beerdigung eingeladen werden. Die Ausführung dieser Mass¬ 
regeln muss jedesmal polizeilich überwacht werden. 


Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 

Reformgedanken von Dr. Placzek- Berlin. 

(Fortsetzung.) 

Der nächste Paragraph behandelt die Eröffnung von 
Hals-, Brust- und Bauchhöhle. 

Preussen: ,§.18. Die Oeffnung des Halses, der Brust-und Bauchhöhle 
wird in der Regel eingeleitet durch einen einzigen langen, vom Kinn bis zur 
Sohambeinfage, und zwar links vom Nabel geführten Schnitt. In den gewöhn¬ 
lichen Fftllen ist derselbe am Unterleibe sogleich bis in die Bauchhöhle zu 
fahren, so jedoch, dass jede Verletzung der Organe derselben vermieden wird. 
Dies geschieht am besten derart, dass nur ein ganz kleiner Einschnitt in das 
Bauchfell gemacht wird. Bei dem Einschneiden ist darauf zu achten, ob Qas 
oder Flüssigkeit austritt. Es wird dann zuerst ein, sodann noch ein Finger 
eingeführt, dann mittels derselben die Bauchdecke von den Eingeweiden abge¬ 
zogen und zwischen beiden Fingern der weitere Schnitt durch das Bauchfell 
geführt. Dabei ist sofort die Lage, die Farbe und das sonstige Aussehen der 
vorliegenden Eingeweide, sowie ein etwa vorhandener ungehöriger Inhalt anzu- 
geben, auch durch Zuftthlen mit der Hand der Stand des Zwerchfells zu be¬ 
stimmen. 

Die Untersuchung der Organe der Bauchhöhle wird nur in dem Falle 
sofort angeschlossen, wo eine besondere Vermutung besteht, es sei die Todes¬ 
ursache in der Bauchhöhle wirksam gewesen. Für gewöhnlich hat die Unter¬ 
suchung der Brusthöhle der weiteren Erforschung der Bauchhöhle voranzugehen." 

Bayern weicht in §. 16 nach folgender Richtung ab: 

„Hierauf wird auch unterhalb des Nabels ein eingehender Querschnitt 
durch die Bauchdecken geführt und die gebildeten 4 Lappen zurückgeschlagen." 

Natürlich müsste hier im Nachsatz das Wort „werden“ stehen. 
Ferner heisst es nach „ein etwa vorhandener ungehöriger Inhalt 
anzugeben“, 



Dl. Placsek. 


,>3t»&jgeo V<>nraB'iange 2 oisr Durchbohrungen des Magens und Daraus, 
der Qo< Ue von ?oraan4enen Blutungen nacbzuspsieo, auch durch ZalfiiUen ®it 
•1-jf ßs&d der Staad de« Zwerchfells auf beiden Seiten nach den Kippen und 
i Knorpeln za benimmen, Will xuaa auch noch des Baud hinter dem 
il i.v." len sogenanntes W ins law sehen Beatei besehen, so hass dieses ohne 
w«tW* ätöniag der späteren Sektion der Übrigen Stuck- und Brusthöhle da* 
■!*»*>’& :g nsebeheu, da« ®*a läng» der grossen Knrratur des Magens das grosse 
:r vielmehr das Ligameatust gastro-saUcum einschneidet, wodurch »an 
«oglc&& in diesem Baum gelangt, und das Pancreas vor sieh liegen hat, an 
und in d«*8M* üagebang etwaige Blutungen sofort za kon* 

- tterest sind.* 

In dieser allgemein gütigen Art der Eröffnung von Hals-, 
und Bancbhökie macht der wtirttembergische 24 
einige AussteUüngen. Gleich nach Beschreibung des Hautlängs- 
schaHttes kommt folgender Satz js 

r Vorausgesetzt, dass keine Veränderungen Ycrhaadea aad, welche eine 
geeon<tefte Prlparierung der Muskel» erfordere, wird asm die Haut von der 
iche des Halses (mit Einschluss «Ua fiaatmoskels} und der Brust tu- 
--b «it sämtlichen Muskeln lusgetrennt. 

im Bauche wird nur die Haut und. das ünterhaatMtidegenebe von der 
■ «bgelöat. Es wire nicht zweckmissig, diese letzte Abteilung des 
Scauttce« sofort durch alle Bauchdecken za führen, weil dabei sehr leicht das 
J£rgeJ<*M der späteren Untersuchung getrübt werden könnt*. 4 

.Sachsen-W:feima^Elkenach sondert in seinem §. 24 
»teilt in allgemeine Bestimmungen und spezielle. Eine seltsame 
v i u es. die hier fUr die Bestimmung des Zwerehfellst&ndes 
ivGcklich vorgeschrieben Wird. Es soll geschehen »durch Ein* 
iiftg eines Fingers längs der linken Seite des Aolhängebandea 
her und Empordrängen der Brustwand in der Ebene der 
Zw* i. ’ifellkuppe 4 . 

Legt man auch heutzutage Aut die Bestimmung des Zwerch* 
felter^udes kein besonderes Gewicht, so wird es sichte wenn Bie 
überhaupt auagetührt werden »oll, doch empfehlen, dies auf beiden 
».iten zu ton. 

ln Mecklettlvurg-St relitz sagt §. 9 kurz: 

. .. Guoügt es in toriSegtiS, durch die »Ugomome Deck« vom Sinh bis zur 
■i-hi^t.-AHifuge an der lutkeu Sethe de» Kabole vorbei eine» Schnitt zu führen, 
K- '1 '‘s^bb Schnitt durch da*BhucitMt c« dri&gen, die WeSchteiie an der 
•/•>r4vf.£» ThoraxAftcbe jtdemiu bie einig«* Zoll weit hinter der 'Verhindungs- 
•*r ttippsakuarpel und der Kippen jaaisutr^nnen und sie sodann samt den 
i'cktn itaek-.- beiden Seiten zarüekzBsrkjkggb.*' 

: aehsert 11), Bade«, Mecklenburg-Schwerin 
• . Braansehweig (§♦ 12), Anhalt (§. 15), Schwarz- 
So u dev s hausen (§. 18} stimmen ganz oder fast ganz mit 
{'feäwteu überein te . . 

Üinzuzufügert wäre dem Wortlaut des preussiseben Para* 
gru-photn 

Alm ‘U* ßadclultcfon l^*aerzurückklappen tu könnten vrt/i #ö dw i-kbeiy. 

■ ti uie iviit«re .Sektion zt* *rl<Hihlern, duntethneid tman dir >jcraäv.» . 
nahe rtfi ihrem ,lwwi um Bavkm dm Hauchr&uw avb, ohd* dü 
fiW* .-:<ihei z'v verletze. Sind dft Baurfttranduni/m .^ehr fettrvick adetr eiurk 
;}-$$, mv führt *>>un den Schnitt zugleich durch die gatuen Suhkvtia hindurch.“ 

vie die Brusthöhle zu sezieren ist, schildert in 
seen sehr eingehend §. 19* 






Bin deutsches gericbteäntüicbes LeichenöffnuBgsverfnhren. 857 

„Für die Oaffnang der Brusthöhle ist «s erforderlich, da*s wanächat die 
Waichteile der Brost bis aber die Aasatastellc der Bippenfcnorpni an die Bipjun 
hinäUB »bpiäpariert werden, 

Näcnetdem werden die Rippeahaorpel^ and awur um einige Millimeter 
nach innen von ihren Ansatzstdien An die Hippen mit einem «türken Kesser 
durchschnitten} dasselbe ist so *a führen, dass das gindringen der SpItote sn tiie 
Longe oder das Hers vermieden wird* 

Bei Verknöcherung der Knorpel ist es vorzaziehen, die Bippsn seihst 
etwas nach aussen von den AnBatzstelien der Knorpel mit einer Säg® oder 
einer Knocheoachere su trennen. 

Sodann wird jederaeits das Schlttaselbeingelenk vom Handgriffe des Brust¬ 
beins durch halbmondförmig geführte vertikale Schnitte getrennt und dis Ver¬ 
bindung der erstes Rippe, sei es im Knorpel,, sei cs ln der Verknöcherung, mit 
Kerner oder Knoohenschere gelöst, wobei die grösste Vorsicht nur Vermeidung 
einer Verletzung der «liebt darunter gelegenen Gefässc ansawanden lat. Als¬ 
dann wird das Zwerchfell, soweit es swischen den Endpunkten der genannten 
Soimjt.iliaieu augeheftet ist, dicht an den falschen Knorpeln und dem Befcweri- 
fortaata abgetrennt, das Brustbein nach aufwärts geschlagen und da» Mittel¬ 
feld mit sorgsamer Vermeidung jeder Verletzung des Herzbeutels und der 
grossen <üe&sse durchschnitten. 

Nachdem das Brustbein entfernt ist, wird sunichot der Zustand der 
BnMtfsHsSflke, namentlich ein ungehöriger Inhalt derselben, nach Maas und 
Beschaffenheit, sowie der Ausdehauagsznst&ud und das Aussehen der vorliegenden 
Luugseteile festgestelit. Hat bol der Entfernung des Brustbeins eine Vor- 
testzang von Hefässen stattgefuadea, so ist sofort eine Unterbindung oder 
wenigstens ein Abflass derselben durch einen Schwamm vöraunehmen, damit 
das auadiesseade Blut nicht ia die Brustfeüdeck* trete and später das Urteil 
störe, Die Zustände des MittelfeUes und besonders das Verhalten der darin 
vorhandenen Brust- oder Thymüsdriies, sowie die äussere Beschaffenheit der 
grossen ausserhalb des Herabeuteis gelegenen Gtatässe, welche jedoch noch nicht 
tu Offnen sind, werden schon hier festgestellt. 

Nächatde» wird der Herzbeutel geöffnet Und untersucht und das Her* 
selbst geprüft. Bei letzterem ist Grösse, Füllung der Kranzgefässe und der 
einzelnen Abschnitte (Vorhöfe und Kammern), Farbe und Konsistexn (Leichen- 
farbe'i st» -bestimmen, bevor irgend ein Schnitt in des Herz gemacht oder gar 
dasselbe aus dem Körper entfernt wird. Sodann ist, während das Her* noch 
in samern natürlichen Zusammenhänge sich befindet, jede Kammer and jeder 
Vorbot einzeln su öffnen und der Inhalt jedes einzeisen Abschnittes nach 
Konge, Hertauungssustaßd und Aussehen au bestimmen, auch die Weite der 
Atrioventrikularklappen durch Einführung zweier Finger vom Vorhof sub *u 
erproben. Alsdann wird das Herz herarageachnitten, der Zustand der arteriellen 
Mündungen zuerst durch Eingiessen von Wasser, sodann durch Aufschneiden 
geprüft and endlich die Beschaffenheit des Haraffeisches nach Farbe und Aus¬ 
sehen genauer festgestellt. Entsteht die Verantong, dass Veränderungen des 
Muskelgewebes, z. B. Fettenisrtacg desselben, in grösserer Ausdehnung v®r- 
bandan seien, so ist jedesmal eine mikroskopische Untersuchung su veranstalten. 

An die Untersuchung dns Herzens schlieest sich die dar grösseren Ge- 
fässe mit einziger Ausnahme der absteigenden Aorta, weiche erst oash den 
Lungen zu prüfen ist. 

Die genauere Untersachuog der Lungen setzt die Herausnahme der¬ 
selben aus dar Brusthöhle voran». Dabei ist jedoch mit gwmiwp -VdisstoSk zu 
verfahren und jade Z«urrßi.SBa»g and Zerdrilckong des . » :.bw zu matttidim. 

Stad ausgedehnter«, namentlich Altera Verwachsungen vntfakads», so sind die¬ 
selben nicht zu trennen, sondern as ist *n dieser B.tdfö dät nippenbrastfali 
mit za eoiisrnes. Nachdem di» Longen feafatugeao!»??^ stad, wird 0 : 0 h 
einmal sorgsam ihre Oberfläche betrachtet, um namr#jiii tfieehe Vwäodf- 
rniigen, «. B. 41» Anfänge 8nt*ftodiföher Attsschwit*ar^ «r ttbewebw». 

Sodann werden Luftgehait, Farbe und Konsiaiaas dar Ak&eJmm LnjtgM&b- - 
schnitte angegeben; endlich grosse glatte Einschnitte jtemaebt und 1:. 
sobstfenheit der Schnittflächen, der Luft-, Blut- and F!ßesigkfciwg*h*D. dy® ' - 

etwaige fest* dnbnit der Lungenbläschen, der Zwstasd der Bronabwri > 
Langenarterlen, letzterer namentlich mit Rüoksieht and ntsgfttMttase Vtt 



668 


Dr. Plaozek. 


stopfangen, ubw. feztgestellt. Zu diesem Zwecke sind die Luftwege und die 
grosseren Lungengefässe mit der Schere aufzuschneiden und in ihren feineren 
Verästelungen zu verfolgen. 

Wo der Verdacht vorliegt, dass fremde Massen in die Luftwege hinein* 
gelangt sind und wo Stoffe in den Luftwegen gefunden werden, deren Natur 
durch die groben Merkmale derselben nicht sicher angezeigt wird, da ist eine 
mikroskopische Untersuchung zu veranstalten.“ 

Bayern gibt im §.17 für die Messerführung, um das Ein¬ 
dringen der Messerspitze in Lungen oder Herz zu vermeiden, an, 
dass es „in wiegenartiger Bewegung“ geschehe. 

„Dabei muss man sich daran erinnern, dass sich die erste Bippe mit 
kurzem Knorpel an das breitere Mannbrium sterni ansetzt, also nicht in un¬ 
mittelbarer Fortsetzung der sich nach oben verjüngenden Linie des Ansatzes 
der Übrigen Hippen. Das Messer muss also etwas weiter nach aussen geführt 
und mit der Schneide desselben vorsichtig die Stelle des Knorpels aufgesucht 
und dieser durchschnitten werden.“ 

Beträchtlich ist die Abweichung in der Anweisung, wie das 
Schlüsselbein von dem Brustbein zu trennen ist. Hier heisst es: 

„Dieses kann allerdings von Sachkundigen durch halbmondförmige, ver¬ 
tikal um den Gelenkkopf des Schlüsselbeines von vorn und aussen gefflbrte 
Schnitte bewerkstelligt werden. Allein die Operation gelingt nicht ganz leicht, 
und es geschieht dann oft, dass bei unnötig grosser Kraftanwendung das 
Messer durch das Gelenk in die Tiefe fährt und die dicht hinter demselben 
liegenden grossen Blutgefässe ansticht, wodurch störende und das Obdnktions- 
resultat leicht verwirrende Blutung entsteht. Es ist daher ein anderes Ver¬ 
fahren, den ersten Rippenknorpel und die Articulatio sternoclavicnlaris zu 
trennen, anzuempfehlen. 

Man beginnt zu diesem Zwecke, naohdem man die übrigen Rippenknorpel 
auf beiden Seiten dnrchschnitten hat, damit, dass man auf einer Seite die 
Knorpel der falschen Rippen mit der linken Hand fasst, möglichst stark in 
die Höhe zieht und sie von den sich an sie ansetzenden Zacken des Zwerch¬ 
fells abschneidet. Indem man dieses auch anf der anderen Seite anaftkhrt, löst 
man zugleich das Brustbein auch von den hinter ihm liegenden Teilen ab nnd 
schiebt dasselbe nach oben, bis man an die erste Rippe kommt. Es ist jetzt 
leicht, das Messer an der rechten Seite durch den ersten Rippenknorpel dnrch- 
zuftthren. Biegt man nun das Brustbein noch stärker in die Höhe, so gelingt 
es leicht, von der hinteren flaohen Seite in das Brostbein-Schlüsselbeingelenk 
mit dem Messer einzudringen nnd dann das Brustbein mit der linken Hand 
gewissermassen aus dem Gelenk heransznbrechen, sobald dasselbe nur einiger- 
massen angeschnitten ist. Eine Verletzung der Blutgefässe ist dabei fast nicht 
möglich, und man hat endlich nur noch die M m. sternocleido - mastoidei, sterno- 
hyoidei und sternothyreoidei abzuschneiden. Bei wirklicher, aber nur selten 
vorkommender Verknöcherung des Schlüssel - Brustbeingelenkes mnss anch dieses 
mit der Knochenschere oder mit der Säge getrennt werden . . .“ 

Sehr wichtig ist, dass das bayerische Regulativ nicht die 
Eröffnung des Herzens, während es noch „in seinem natürlichen 
Zusammenhang“ sich befindet, als einzige Sektionsmethode em¬ 
pfiehlt, sondern die Herzeröfifnung auch ausserhalb des Brustkorbes 
gestattet. Allerdings ist ja der natürliche Zusammenhang auch 
gewahrt, wenn die Halsorgane mit den gesamten Brustorganen 
herausgenommen werden. Zweifellos ist diese Methode bequemer, 
übersichtlicher und auch reinlicher. 

Nicht weiter beachtenswert ist, dass in dem bayerischen 
Paragraphen die einzelnen Anweisungen über die Herausnahme 
der Lungen im Wortlaut mit den preussischen übereinstimmen. 
Wichtig ist nur, dass die Sektion des Herzens ganz detailliert 
geschildert wird. 



Bin deutsches gerichts ärztliches Leichenöffnungsverfabren. 


669 


Der wtirtt embergische §. 27 hat gleichfalls die eben 
erwähnte Eröffnung des Schlüsselbein -Brustbeingelenks und der 
ersten Rippe, gibt auch noch genaue Anweisung über die Messer¬ 
führung bei Durchtrennung der Rippenanknorpel. 

. am besten in der Weise, dass man ein bauchiges Skalpell, das aber 
nicht an dick sein soll, mit der ganzen Hand fasst, den Zeigefinger Aber seinen 
Rficken nahe an der Spitze legt, so dass sein letztes Glied anf die Brnst zu 
liegen kommt, and dass man dann von der zweiten Rippe an abwärts die 
Knorp 1 mit wiegendem Schnitte durchtrennt. Hierbei ist darauf zu achten, 
ob nicht während des Durchschneidens der Brustwand Luft aua der Brusthöhle 
dringt (Pneumothorax). 

Für das Herz ist .bei allen plötzlichen Todesarten darauf zu achten, ob 
sieb nicht grössere Gasblasen oder kleinere (Schaum) in der Herzhöhle finden, 
bei deren Beurteilung selbstredend der Fäulnisgrad in Betracht zu ziehen ist.* 

Sehr wesentlich weicht der §. 24 von Sachsen-Weimar- 
Eisenach von den anderen Regulativen ab. Hier wird sogar 
eine andere Herzsektion gefordert. Zunächst wird verlangt, dass 

.der Grad des Zusammensinkens der Lungen unter der Wirkung des Luft¬ 
drucks* erwähnt werde." 

Ferner heisst es: 

„Wo dies angezeigt erscheint, soll durch einen neben der Scheidewand 
geführten Längsschnitt jede der 4 Herzhöhlen zum Zweck der Feststellung 
des Inhalts sogleich geöffnet werden." 

Später kommt die Schilderung: 

„Vom Herzen ist die Grösse, der Grad der Zusammenziehung, der Fett¬ 
gehalt des Epikard anzugeben, ferner die Dicke und Farbe des Herzfleisches. 
Veränderungen des letzteren sind nach Lage, Ausdehnung und Beschaffenheit 
zu beschreiben, eintretendenfalls durch mikroskopische Untersuchung festzu- 
stellen, die Eranzgefässe, veränderte Stellen zn untersuchen. 

Das Endokard ist anf Blutaustritte und Verdickungen zu prüfen, der 
Umfang der Klappenringe anzugeben, ebenso die Beschaffenheit der Herz¬ 
klappen, 8 fttr den rechten, 2 für den linken Vorhof, je eine für jede Kammer 
(and ihrer Sehnenfäden). Soweit dies möglich ist, ist die Sohlussfähigkeit der 
Klappen festzustellen. 

Im Inneren des Herzens ist auf Menge, Farbe und Beschaffenheit des 
flüssigen Blutes, der ausgeschiedenen Leichengerinnsel und auf das Vorhanden¬ 
sein der Thromben zu achten. 

An die Untersuchung der Lungenarterie soll sich jene des arteriellen 
Ganges, an jene der Aorta die der Halsschlagader, an jene des rechten Vorhofs 
die der Halsvenen anschliessen." 

M ecklenburg-Strelitz sagt in seinem §. 9: 

„Um die Brusthöhle zu eröffnen, ist es am sweckmässigsten, zunächst 
die Rippenknorpel an ihren Vereinigungsstellen mit den Rippen mit Ver¬ 
meidung von Einschnitten in die Lange zu durchschneiden. Hierauf wird das 
Zwerchfell von den untersten Rippen und dem schwertförmigen Knorpel ge¬ 
trennt, das Brustbein nach aufwärts geschlagen und dessen Handhabe ans der 
Verbindung mit dem Schlüsselbein und den Knorpeln der ersten Rippe — mit 
sorgfältiger Vermeidung der darunter gelegenen Blutgefässe — getrennt." 

Baden, Mecklenburg-Schwerin, Brannschweig 
(§. 13), Anhalt (§. 16), Schwarzburg-Sondershausen 
(§. 19) stimmen mit Preussen überein. 

Ehe ich mich dahin äussere, wie ich mir die Eröffnung der 
Brusthöhle in Zukunft denke, wird es sich empfehlen, die Vor¬ 
schriften für die Eröffnung des Halses zu prüfen. Hier sagt 
zunächst der preussische §. 20: 



>860 


Dt. Plaezsk. 


„Hals. Die Untersuchung des Halses kamt je nach der Eigentümlich¬ 
keit des Falles vor oder nach der Oeffnang der Brost oder der Herausnahme 
der Longe veranstaltet werden. Aooh ist es den Obdosenten anheimgegeben, 
die Untersuchung des Kehlkopfes and der Luftröhre von derjenigen der übrigen 
Teile za trennen, wenn desselben eine besondere Wichtigkeit beisalegen ist, 
wie es z. B. bei Ertrunkenen oder Erh&ngten der Fall ist 

In der Begel empfiehlt es sieh, zunächst die grossen Gefässe ond die 
Nervenstämme so untersuchen, näohstdem den Kehlkopf nnd die Luftröhre 
daroh einen Sahnitt von vornher za öffnen and den Inhalt derselben za prüfen. 

Wo letzterer Betrachtung ein grösserer Wert beisalegen ist, da ist die¬ 
selbe vor Herausnahme der Langen anzastellen and dabei sogleich ein vor¬ 
sichtiger Drack auf die Langen aaszaüben, am za sehen, ob and welche Flüssig¬ 
keiten asw. dabei in die Laftröhre aufsteigen. 

Es wird alsdann der Kehlkopf im Zusammenhänge mit der Zange, dem 
Gaumensegel, dem Schlunde and der Speiseröhre heraasgenommen, die einzelnen 
Teile werden vollständig aufgeschnitten nnd ihre Zustände, namentlich anch 
die dar zugehörigen Schleimhäute, festgestellt. Es sind dabei die Schilddrüse, 
die .Mandeln, die Speicheldrüse nnd die Ljmphdrüsen des Halses zn beachten. 

Wo Verletzungen des Kehlkopfes oder der Luftröhre stattgefunden haben 
oder wichtige Veränderungen derselben vermntet werden, da ist jedesmal die 
Oeffnung der Luftwege erst nach der Herausnahme derselben, und zwar von 
der hinteren Seite her vorzunehmen. 

Wo bei Erhängten oder bei Verdacht des Erwürgangstodes eine Oeffhnng 
der Karotiden vorgenommen wird, am za ermitteln, ob die inneren Hänte der¬ 
selben verletzt sind oder nicht, da ist diese Untersuchung zu veranstalten, 
während die Gefässe sich noch in ihrer natürlichen Lage befinden. 

Sohliessliah ist der Zustand der Halswirbelsäule and der tiefen Musku¬ 
latur za berücksichtigen.“ 

Bayern. §. 18: 

...... In allen Fällen, in welohen dem Inhalte des Kehlkopfes and 

der Laftröhre, sowie dem Zustande der grösseren Geffisse am Halse eine 

S össere Wichtigkeit beiznlegen ist, wie z. B. bei Ertrunkenen and Erhängten, 
; zuerst in vita vor Oeffhnng der Brost oder doch vor Herausnahme von 
Hers nnd Lange die Füllang der grossen Venen za bestimmen; bei Erhängten 
oder bei Verdaoht des Erwürgangstodes ist aaoh eine Eröffnung der Karotiden 
vorznnehmen. . . . 

Die Herausnahme der Halsorgane wird eingehender be¬ 
sprochen: 

„Es wird alsdann der Kehlkopf im Zusammenhänge mit der Zange, dem 
Gaumensegel, dem Schlunde und der Speiseröhre, besw. mit den gesamten Brust- 
organe in der Art heraasgenommen, dass längs des inneren Bandes des Unter¬ 
kiefers ein bis in die Mundhöhle eindringender und bis in die Wirbelsäule nach 
rückwärts gerichteter Schnitt ausgeführt, die Zunge unterhalb des Unterkiefers 
vorgezogen, das Gaumensegel von dem hinteren Bande des knöchernen Bandes 
abgesohnitten, die hintere Wand des Schlundes quer dnrchsohnitten and dann 
.sämtliche Teile, Schlund, Kehlkopf and Laftröhre von der Wirbelsäule Joege- 
trennt werden, wobei lediglich die Zange za erfassen ist. Die einzelnen Teile 
werden vollständig aufgeaehnitten.. . .“ 

Ferner heisst es: 

„In Fällen, wo dem Befände an den Halsorganen ein grösseres Gewicht 
nioht beisalegen ist, kann die ganze Untersuchung derselben auch bis nach 
der der B n m t o r gane verschoben werden.“ 

Sachsen. §. 14: 

„ .... In allen Fällen, in welchen dem Inhalte des Kehlkopfes und 
der Luftröhre, sowie dem Zustande der grossen Gefässe am Halse Wichtig¬ 
keit zukommt (namentlich wenn es sich am Feststellung des Todes von 
Ertrinken, Erhängen, Erwürgen, durch Eindringen von Fremdkörpern in die 
Luftwege handelt), muss vor der Eröffnung der Brusthöhle der Füllnngszastand 
der grossen Halsvenen bestimmt and das Verhalten der grossen Halsschlagader 




Bis deutsche« geriehtsAnrtUehes LcichenöffnuBgzverfahren. 061 

durah Anfaohneidan der letzteren ermittelt werden. NAohstdsm sind Kehlt 
köpf . . . .« 

Die Sektion der Halsorgane wird wie in Bayern eingehend 
geschildert mit der einzigen Abweichung: 

„. . . wobei dieselben durch Zug an der Zunge nach vorn gesogen 
werden. Der Zusammenhang mH den Organen der Brusthöhle kann hierbei 
erhalten werden, so dass die Halsorgane gemeinsehaftlioh mit den Brustorgaaen 
herausgenommen werden.“ 

Württemberg. §. 25 weicht im Wortlaut und Inhalt so 
beträchtlich ab, dass ich ihn wörtlich wiedergebe: 

«Zuerst wird der Kopfnioker von Brust und Schlüsselbein abgelOst. In 
den FSUen, in welchen ein abgekürztes Verfahren bei der Untersuchung: der' 
inneren Organe sulässig ist, wie bei den meisten poliseilichen Sektionen, kann 
der Kehlkopf und die Luftröhre von vorn geöffnet werden, um das Verhalten 
ihrer Oberfläche und ihres Inhaltes su ermitteln, — sonst, namentlich aber bei 
Verletzungen oder wenn man Fremdkörper oder sonst wichtige Veränderungen 
im Kehlkopf oder der Luftröhre vermutet, wird die BrOffnnng derselben spater 
nach LoslOsung und Untersuchung der Übrigen Teile des Halses von hinten 
her vorgenommen. 

Von Wert ist es, durch Druck auf das Brustbein die etwa in den tieferen 
Teilen der Luftröhre enthaltenen Flflssigkeiten aufsteigend su machen. — 
Sind Verletzungen am Halse vorhanden, oder vermutet man andere wichtige 
Veränderungen, so werden . . . vom Ende des Längsschnittes ausgehende am 
unteren Bande des Unterkiefers bis zu seinen Winkeln verlaufende. Schnitte 
geführt und die Haut der ganzen Vorderflache losgelüst. 

Der Füllung der grossen Venen des Halses, der Beschaffenheit des Blutes 
in denselben, dem Verhalten ihrer WAnde, sowie der inneren und ausseren 
Oberfläche der Karotiden und der Nervenstamme ist gleichfalls Aufmerksamkeit 
su schenken. Besonders wichtig ist es hier, Leichenersobeinungen nicht mit 
solchen zu verwechseln, welche erst nach dem Tode entstanden sind, wie s. B. 
Einrisse in den Karotiden unterhalb ihrer Teilungsstelle bei ErhAngton, welche 
auch bei solchen Vorkommen, welche erst nach dem Tode aufgehfeigt w ur d en. 

Nun werden die Weichteile hinter dem Unterkiefer durch tiefe Schnitte 
vom. Knochen losgelOst, die Zunge mit einem Haken angezogen, das Gaumensegel 
von dem Rande des harten Gaumens weggeschnitten, die hintere Wand des 
Schlundes durchschnitten, Kehlkopf, Speiseröhre und LuftTOhre von der Wirbel¬ 
säule abgetrennt, mit dem an der Zunge liegenden Haken hervorgezogen und 
dann sämtliche Teile mit Einsohluss der Schilddrüse, der Mandeln, der Speichel¬ 
und der Lymphdrüsen, sowie der Muskeln und der vorderen Flüche der Hals¬ 
wirbel untersucht. 

Wenn nicht besondete Gründe voriiegen, so werden diese Teile an ihrem 
unteren Ende vorerst nicht abgesohnitten, um sie später im Zusammenhang • 
mit dem Magen oder der Lunge herausnehmen su kOnnen.“ 

Sachsen-Weimar-Eisenach. §. 24, Abs. 10: 

.Die Herausnahme der Halsorgane soll deren Untersuchung in natür¬ 
licher Lage in allen Füllen vorhergehen, in welchen eine Verletzung vorliegt 
oder angenommen werden kann. In der Regel wird deren Herausnahme mit 
jener des Mnndbodens, des weichen Gaumens, des Herzens und der im Mittel¬ 
feld enthaltenen Teile zu verbinden sein.“ 

Wie diese Uebersicht erkennen lehrt, bestehen die Ab¬ 
weichungen der Regulative über die Sektion des Halses darin, 
dass der Zeitpunkt der Halssektion, ob vor oder nach der Sektion 
der Brusthöhle, bestimmt oder dem Ermessen des Obduzenten 
überlassen wird, dass ferner Wahlfreiheit darüber besteht, ob die 
HalBorgane in Zusammenhang mit den Brustorganen herausge¬ 
nommen werden, dass drittens der Zeitpunkt für die Prüfung der 
grossen Halsgefftsse verschieden festgestellt wird, dass schliesslich 



662 


Dr. Placzek. 


das Hervorziehen der Zunge nach einem Regulativ mit einem 
Haken, nach einem anderen dem Obdnzenten überlassen bleibt, 
also wie üblich mit der Hand za geschehen hat. 

Mir würde für das Zukunftsregulativ der Vorschlag am besten 
gefallen, zuerst den Herzbeutel zu eröffnen und seinen Inhalt etc. 
zu prüfen, sodann die grossen Halsgefässe, event. Nervenstämme 
zu untersuchen, und schliesslich die Halsorgane mit den Brust¬ 
organen im Zusammenhang herauszunehmen. Der letztere Vor¬ 
schlag, in einigen Anweisungen schon als Ausnahmemöglichkeit 
angedeutet, verdient zum Durchgangsprinzip erhoben zu werden. 
Er scheint auch an manchen Stellen schon vielfach praktisch ver¬ 
wirklicht zu sein, denn Nauwerck sagt geradezu: 

„Nioht selten werden die gesamten Hals* and Brastorgane im Zu¬ 
sammenhang heraosgenommen, entweder geradeso als das gewöhnliche Ver¬ 
fahren, oder wenn es sich daram handelt, Erkrankungen der tiefen Organe, 
besonders der Brusthöhle (Speiseröhre, Aorta, Mediastinum posterius) su den 
oberflächlicher gelegenen (Herz, Lunge), oder umgekehrt in ihren genauen Be- 
siehangen klarzalegen. Auch gewisse Herz- und Gef&ssfehler angeborener 
Natur, bei denen das Verhalten der Gefässe (Stenose der Aorta, Offenbleiben 
des Ductus Botalli) besondere Aufmerksamkeit erfordert, machen ein gleiches 
Verfahren erforderlich.* . . 

Eine Ausnahme davon sollte nur stattfinden, wenn Ver¬ 
letzungen der Halsorgane dabei in ihrer Lage so verschoben 
werden könnten, dass die spätere Untersuchung dadurch an Sicher¬ 
heit verlöre. Die Speiseröhre sollte mit den Halsorganen heraus¬ 
kommen, nur in Vergiftungsfällen im Körper bleiben, und dann im 
Zusammenhang mit dem Magen -Darmtraktus herausgenommen 
werden. Diese Art der Herausnahme hält Nauwerck auch bei 
gewissen Erkrankungen des Oesophagus (Aetzungen, Krebs) für 
wünschenswert. Sie wird es daher sicherlich bei Vergiftungsfiülen 
sein, da man auf diese Weise ein Uebersichtsbild der Oesamtein¬ 
wirkung des Giftes vom Nasenrachenraum bis zum Mastdarm¬ 
ende erhält. 

Bei dieser Art der Sektion, wo die Hals- und Brustorgane 
im Zusammenhang aus dem Körper genommen werden, wird es 
auch am leichtesten, durch Druck auf die Lungen, auf die Luft¬ 
röhre selbst „die etwa in deren tieferen Teilen enthaltenen Flüssig¬ 
keiten aufsteigen zu machen“. Es werden aber nicht nur bessere 
Uebersichtsbilder geliefert, sondern es wird auch die Herzsektion 
wesentlich erleichtert. 

Kaum nötig dürfte es sein, die württembergische An¬ 
weisung nachzuahmen, wonach, wenn Verletzungen am Halse vor¬ 
handen sind, oder dort andere wichtige Veränderungen vermutet 
werden, „vom Ende des Längsschnittes ausgehende, am unteren 
Rande des Unterkiefers bis zu seinen Winkeln verlaufende Schnitte 
geführt und die Haut der ganzen Vorderfläche losgelöst wird.*Hj 

Ob es nötig sein dürfte, an den Herzschnitten, wie sie 
Virchow wünschte, etwas zu ändern, dürfte fraglich sein. Er¬ 
wähnenswert sind jedenfalls die beiden Methoden, wie sie Praus- 
nitz zur Eröffnung der Herzventrikel, an wendet. 



Bin deutsches geriehtsKntliohes LeiebenOftmngsTerfsbren. 


668 


Als Anweisung für die Sektion der Hals- und Brust¬ 
höhle würde sich folgende Fassung empfehlen: 

„Mit einem starken Messer werden die Rippenknorpel vom zweiten ab, 
und zwar um wenige Millimeter nach innen von ihren Ansatzstellen an die 
Rippen durchschnitten. Das Messer ist so zu führen, dass das Eindringen der 
Spitze in .die Lunge oder das Herz vermieden wird. Bei Verknöcherung der 
Knorpel ist es vorzuziehen, die Rippen selbst etwas nach aussen von den Ansatz¬ 
stellen der Knorpel mit einer Knochenschere zu trennen. Man fasst nun die 
Knorpel der falschen Rippen auf einer Seite mit der linken Hand möglichst 
stark, zieht sie in die Höhe und schneidet sie von den sich an sie ansetzenden 
Zacken des Zwerchfells ab . Indem man dieses auch auf der anderen Seite aus¬ 
führt, löst man zugleich das Brustbein von den hinte. liegenden Teilen ab und 
biegt dasselbe nach oben, bis man an die erste Rippe kommt. Es ist jetzt leicht, 
das Messer durch den ersten Rippenknorpel durchzuführen. Biegt man nun 
das Brustbein noch stärker in die Höhe, so gelingt es leicht, von der hinteren 
Fläche in das Brustbein - Schlüsselbeingelenk mit dem Messer einzudringen und 
dann das Brustbein mit der linken Hand gewissermassen aus dem Gelenk her* 
auszubrechen. Eine Verletzung der Blutgefässe ist dabei fast unmöglich, und 
man hat endlich nur die am oberen Teile des Brustbeins sich ansetzenden 
Muskeln abzuschneiden . 

Bei wirklicher, aber nur selten vorkommender Verknöcherung des Schlüssel- 
Brustbeingelenks ist dieses mit der Knochenschere zu durchtrennen. 

Nach der Entfernung des Brustbeins wird zunächst der Zustand der 
Brustfellsäcke, namentlich ein etwaiger ungehöriger Inhalt derselben nach Mass 
und Beschaffenheit, sowie der Ausdehnungszustand und das Aussehen der vor¬ 
liegenden Lungenteile festgestellt. 

Der Zustand des Mittelfelles, insbesondere das Verhalten der darin vor¬ 
handenen Brustdrüse ist zu beachten. 

Nächst dem wird der Herzbeutel geöffnet und untersucht, sein Inhalt 
bestimmt, die Füllung der einzelnen Herzabschnitte durch die Besichtigung des 
Umfanges und durch Befühlen festgestellt. Ausserdem wird die Füllung der 
Kranzgefässe und der einzelnen Herzabschnitte, die Farbe und Konsistenz 
(Leichenstarre) bestimmt, bevor irgend ein Schnitt in das Herz gemacht oder 
gar dasselbe aus dem Körper entfernt wird. 

Nun werden die Weichteile hinter dem Unterkiefer durch tiefen Schnitt 
vom Knochen losgelöst , die Zunge wird angezogen, das Gaumensegel von dem 
Rande des harten Gaumens weggeschnitten, die hintere Wand des Schlundes 
durchschnitten, Kehlkopf, Speiseröhre und Luftröhre werden von der Wirbelsäule 
abgetrennt und hervorgezogen und dann mit sämtlichen Teilen der Brusthöhle 
herausgenommen. 

Bei Verwachsungen präpariert man die Halsorgane bis zur oberen Brust¬ 
öffnung frei und durchtrennt die grossen Hals- und Armgefässe, indem die linke, 
dann die rechte Lunge mit der linken Hand nach der entgegengesetzten Seite aus 
dem Brustkorb herausgehoben wird. Zeigefinger und Mittelfinger lagern sich 
dabei hakenförmig gleichzeitig über die gelösten Halsorgane und den Lungenein¬ 
gang, sodass die Lunge geschützt unter der Hohlhand liegt. Nun greift die 
linke Hand von oben her hakenförmig über das Präparat, die Hals- und Brust¬ 
organe kräftig aus dem Absatz heraus nach abwärts ziehend. Speiseröhre und 
grosse Körperschlagader werden dicht oberhalb des Zwerchfells abgeschnitten. 

Sind ausgedehntere, namentlich ältere Verwachsungen vorhanden, so. sind 
dieselben nicht zu trennen, sondern es ist an dieser Stelle das Rippenbrustfell 
mit zu entfernen. 

Durch Druck auf die iAingen werden jetzt die etwa in den unteren Teilen 
der Luftröhre enthaltenen Flüssigkeiten nach oben gepresst. 

Sodann wird, während das Herz noch in seinem natürlichen Zusammen • 
hang sich befindet, jede Kammer und jeder Vorhof einzeln durch Längsschnitte 
geöffnet, welche an den äusseren Rändern verlaufen, aber sich auf die einzelnen 
Teile beschränken, also gar bis dicht an den Sulcus circularis gehen. Aus den 
einzelnen Abteilungen wird nun das Blut herausgeholt und das Verhalten der 
Vorhofsklappen durch vorsichtiges Einführen von zwei Fingern, ferner die Farbe 
des gefundenen Blutes, seine Menge, Flüssigkeit festgestellt. 

Bei allen plötzlichen Todesarten ist darauf zu achten, ob sich nicht 



grimm * Gasblasen oder kleinere (Schaum) in der Herzhöhle finden, bei deren 
Beurteilung selbstredend der Fäulnisgrad in Betracht zu ziehen ist. 

Nun wird das Herz von den anliegenden Gefässen abgeschnitten. Die 
arteriellen Klappen werden durch Eingiessen von Wasser, während das Herz 
an den Herzohren gehalten wird, auf ihre Schlussfähigkeit geprüft. Dann wird 
die Lungensohlagader in der Weise geöffnet, dass man von der Mitte des Schnittes 
in der rechten Herzkante unter Erhaltung des Papillarmuskels der dreizipfligen 
Klappein die Lungenschlagader eingeht und sie eröffnet. Zur Untersuchung der 
grossen Körperschlagader geht man mit der Schere von der Herzspitze längs der 
Herzwand in sie hinein, während man die Lungenschlagader zur Seite schiebt. Nun 
werden die Vorhofsklappen näher untersucht, das Endokard, die übrigen grossen 
Gefässe, die Kranzgefässe, das Herzfleisch nach Dicke, Farbe und Beschaffenheit, 
sowie die Weite der Herzkammern festgestellt. 

Die Lungen werden, erst die linke, dann die rechte , noch einmal auf 
ihrer Oberfläche betrachtet, auf ihren Luftgehalt, ihre Farbe, Konsistenz geprüft, 
endlich durch grosse glatte Einschnitte zerlegt. Die Beschaffenheit der Schnitt- 
fläche, der Luft-, Blut- und Flüssigkeitsgehalt, der etwaige feste Inhalt der 
Lungenbläschen, der Zustand der Luftröhrenäste und Gefässe wird festgestellt. 
Zu letzterem Ztoecke werden die Luftwege und die grösseren Lungengefässe mit 
der Schere bis in die feinsten Verzweigungen verfolgt. 

Wo der Verdacht vorliegt, dass fremde Massen in die Luftwege hinein¬ 
gelangt sind, und wo Stoffe in den Luftwegen gefunden werden, deren Natur 
durch die groben Merkmale derselben nicht sicher angezeigt wird, ist eine mikro¬ 
skopische Untersuchung vorzunehmen. 

Nun durchschneidet man den weichen Gaumen, um ihn besser zu tr- 
haiten, nach vom von der linken Mandel durch einen Schnitt mit der Darm¬ 
schere, welcher durch die seitliche Rachenwand unmittelbar in die Speiseröhre 
hineingeht, die man an ihrer linken Seite sogleich mit aufschneidet. Sie wird 
dann bei Seite gezogen und der Kehlkopfs owie die Luftröhre aufgeschnitten . 
Hierbei sind die Schilddrüse, die Mandeln, die Speicheldrüsen und die Lymph- 
drüsen dm Halses zu untersuchen, a 

(Forteetemig folgt.) 


JCMnure> RMtteikmgen und Rnferste aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medizin nnd Psychiatrie. 

Blausäure, ein Ver br ennnngepr odukt des Celluloids. Von Prof« 
Dr. Kochel- Leipzig. Vierteljahrschrift für gerichtL Medizin n. öffentliches 
Gesundheitswesen; ifi. F., XXVI. Bd., 1. Heft, S. 1. 

Gelegentlich eines Brandes von Celluloid - Abfällen in Leipsig kamen 
sechs Personen nms Leben, welche, nach den äusseren Umstftnden zu sch Hessen, 
mit aaaecigewohnlicher Schnelligkeit den Br&ndgasen erlegen waren. Bei der 
Obdaktion wurde bei Tier der Leichen ein deutlicher Blausäuregeruch wahr* 
genommen. Verfasser konnte experimentell erweisen, dass schon 6 g Celluloid 
beim Verbrennen ungefähr soviel Blausäure liefern, als zur Tötung eines 
Monodien hinzeiohen. Kaninchen gingen an den Verbrennungsprodukten des 
Celluloids unter der Erscheinung der Blaueäurevergiftung zn Grunde. Wegen 
ihrer gefährlichen Eigenschaften müssen Celluloid waren - Fabriken daher nicht 
in nächster Nähe bewohnter Gebäude geduldet und Einrichtungen getroffen 
werden, welche die Entetehnng von Bränden verhüten nnd bei Ausbruch 
solcher den Arbeitern die Möglichkeit raschester Flucht bieten. 

Dr. Ziemke-Haile. 


Uebertritt nnd Wirkung des Phosphors auf menschliche nnd 
tierische Früchte. Von Dr. Wasemnth. Ibidem; 8. 12. 

Eine Frau, welohe 8 Wochen lang Phosphorzündhölzchen genommen 
hatte, gebar heimlich ein der Beife nahes Kind, das bald nach der Gehört 
abstarb. Die mikroskopische Untersuchung ergab in fast sämtlichen Organen 
fettige Degeneration, die für die Phosphorvergiftung charakteristische Ver¬ 
änderung, sodase auf einen Uebertritt des im mtttterliohen Blute gelösten 



I 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate ans Zeitschriften. 666 

» 

Phosphors in den kindlichen Kreislauf so schliessen war. Ai» Ursache der 
Fracht todes war nach Meiaang des Verfassers nicht die Intoxikation an siob, 
sondern die in ihrem Verlaufe eintretenden bedeutenden Blutungen an zu sehen. 
Experimentell konnte nach ungefähr 48 Stunden bereits ein Vorkommen von 
Fetttröpfchen in den fötalen Geweben der Leber, des Herzens nnd der Miere 
nachgewiesen werden. _ Dr. Ziemke-Halle. 


1. Normaler Arsengeh&lt der Tiere. Von Armand Gantier. C. R. 
soc. biol. 64, S. 727. 

2. Normales Vorkommen nnd Herkunft des Arsens bei Tieren 
and Pflanzen. Derselbe. Ibidem; S. 1242. 

Gegenüber den Ergebnissen der Untersuchungen von C. H öd 1 mos er, 1 ) 
K. Czerny 1 ) nnd E. Ziemke hält der Autor daran fest, dass Arsen schon 
in derNorm, allerdings in sehr kleinen Mengen, beim Menschen 
und bei Landtieren vorkomme. Die Haut und ihre Adnexe, Gl. thyreoidea, 
Thymus, Milchdrüse in erster Linie, dann Gehirn und Knochen enthalten dieses 
Metalloid, allerdings in sehr variablen Mengen. Es sind also besonders die 
Organe, die der Empfindung, der Reproduktion und „den Cerebralfunktionen* 
dienen, die ektodermalen Ursprungs sind, in denen sich Arsen findet. Eine Eli¬ 
mination dürfte durch Epidermis, Haare, Hörner, bei Frauen durch das 
Menstrualblut geschehen. 

In 30 positiven Versuchen bat der Autor Arsen in der Thyreoidea, in 
der Haut und ihren Adnexen gefunden; in 200 anderen liess sich Arsen bei 
denselben Tieren und mit denselben Reagentien in den übrigen Organan gar 
nicht oder nur in Mengen unter */*o Milliontel des Organgewidites nachweisen. 

G. Bertrand*) vom Institut Pasteur hat die Beobachtungen Gautiers 
bestätigt und die Mar sh sehe Methode vervollkommnet. 

Er hat übrigens Arsen ausser in der Gl. thyreoidea des Schweines und 
der Kuh sogar bei der Sehkuh von Spitzbergen nachweisen können. 

Von interessanten weiteren Beobachtungen des Verfassers ist zu erwähnen, 
dass im Auge des Schwanzes des männlichen Pfaues sich Arsen findet. Von 
Algen sind diejenigen, die an Jod reich sind, auch arsenhaltig. Es Hess sich 
auch im Plankton nachweisen. 100 g Granit der Bretagne enthielten 0,06 mg 
Arsen. Von den Gesteinen findet der Uebergang ins Meerwasser statt. 

Hödlmoser, der nur minimale Spuren Arsen im tierischen Organis¬ 
mus gefunden hatte, hatte diesem Metalloid keine wichtige Rolle zuBchreiben 
können und die Vermutung ausgesprochen, dass der Gegensatz zwischen seinen 
und Gautiers Resultaten vielleicht auf lokalen geologischen Verhältnissen 
beruhe. 

Die weitere Entwickelung der Frage wird für den Gerichtsarzt von 
wesentlichem Interesse sein. _ Dr. Mayer-Simmern. 


Resultate der Kryoskopie bei Ertrunkenen. Von Dr. R e v e n s t or f. 
Vierteljahrschrift für gerichtl. Medizin und öffentliches SanitätsweBen; HL F., 
XXVI. Bd., 1. H., S. 81. 

Man kann nach Untersuchungen des Verfassers die Resorption von Er- 
tränkangsflüssigkeit in das Blut und damit den Tod durch Ertrinken mit 
Sicherheit aus dem Vergleich der kryoskopischen Werte des Blutes in der 
linken Herzkammer und der Cerebrospinalflüssigkeit erkennen. In solchem 
Falle ist die Konzentration der Cerebrospinalflüssigkeit immer wesentlich 
geringer. In ähnlicher Weise ist auch die Untersuchung des echten Lungen¬ 
ödems von dem mit dem Ertrinken oft verbundenen Lungenödems möglich. 

Dr. Ziemke-Halle. 


Ueber den Nachweis von Blutkörperchen mittelst Chinin. Von 
Dr. Marx. Ibidem; S. 38. 

Zum Nachweis der Blutkörperchen in alten Blutflecken, empfiehlt Ver¬ 
fasser für die Sichtbarmachung der Kerne des Vogelblutes eine l°/oo Chinin¬ 
lösung und nachherige Färbung mit Metylenblau. Bei Säugetierblut muss die 


*) Ref. in Litt.-Ausz. der Berliner Klin. Wochenschrift; 1902, S. 9 u. 21. 
*) Besprochen: Münchener med. Wochenschrift; 1902, 8.1864,1978, 2106. 



606 


Kleinere Mitteilung« ud Referate au Zeitschriften. 


hämolytisch wirkende Chininlösung mit 88*/o Kalilauge so gleichen Teilen 
vermischt werden. Aoch dann ist noch eine Firbug ud zwar mit Botin 
möglich. Auf diese Weise liessen sieh die Blutkörperchen noch in gaus alten, 
auf Instrumenten angetrockneten Fleeken ud im Blut, das bis auf 200° C. 
erhitzt war, nach weisen. _ Dr. Z i e m k e - Halle. 


Die elastischen Fasern in der fötalen Lunge und in der Lunge 
du Neugeborenen. Bon Prof. Ot toi eng hi. Ibidem; 8. 46. 

Bei der fötalen Lange ist die Breite der Zwischenräume zwischen den 
alreolaren Mündungen sehr gross and durch sehr zahlreiche elastische Fasern 
gekennzeichnet, die nicht gedehnt, dünner ud schwacher gefärbt sind, als die 
einer Lange, welche geatmet hat. In dieser sind auch die Alveolarräume 
grösser. Die mikroskopische Untersuchug der Luge Neugeborener kann un¬ 
entbehrlich werden, wo die makroskopische Untersuchug nicht ansreichte zur 
Feststellung,, ob ein Kind lebend geboren wurde. Dr. Ziemke-Halle. 


Plötzlicher Tod im elektrischen Bade. Von Med.-Rat Dr. y. Brunn 
in Coethen. 

Weu schon ein wissenschaftlicher Wert den nachstehenden Zeilen 
nicht innewohnt, halte ich doch deren Veröffentlichung gerechtfertigt, weil 
das darin bekannt gegebene Vorkommnis in gesetzgeberischer Hinsicht zu 
denken gibt. 

Bin Mann, der schon seit mehreren Jahren als Bademeister und Masseur 
tätig gewesen war, errichtete Yor wenigen Monaten hier eine Anstalt zur 
Verabreichung der verschiedensten Wasser-, Dampf- ud elektrischen Schwitz¬ 
bäder sowie zar Applikation elektrischer Bestrahlung. Einige Wochen darauf 
fügte er noch ein elektrisches Bad, welches er nach seinen eigenen Angaben 
darch einen Techniker nasführen liess, hinzu. Am Abend nach der Fertig¬ 
stellung wollte er dasselbe probieren. Er nahm zunächst ein Dampfschwitzbad 
und setzte sich danach in die mit Wasser gefüllte Wanne des elektrischen 
Bades. Nachdem er etwa 10 Minuten darin verweilt hatte, forderte er seine 
Frau auf, den Strom anzustellen. Kaum war dies geschehen, so streckte sich 
der Mann, tat einen tiefen Atemzug und war eine Leiche. 

Irgend eine Veränderung konnte bei der Leichenschau an dieser nicht 
entdeckt werden. Der Apparat bestand in einer etwas kurzen Zinkbadewanne, 
an deren Kopfende innerhalb eine demselben parallel gebogene Zinkblechplatte 
befestigt war, während vom Fassende eine zungenförmig gestaltete, etwa */* m 
lange, dicht über dem Boden angebrachte, aus dem gleichen Metalle in die¬ 
selbe vorsprang, sie beide dienten alB Elektroden. An einem Schaltbrette war 
Vorrichtung getroffen zur Abstufung des Stromes in fünf verschiedenen Graden, 
deren schwächster angeblich benutzt worden ist. Die Elektrizität wurde aus 
der Zeutrale einer benachbarten grössseren Brauerei, welche ihre sämtlichen 
Maschinen damit treibt und mit 20 Ampöres bei 110—120 Volts Spannung 
arbeitet, bezogen. 

Höchst wahrscheinlich ist wohl der tödliche Erfolg dadurch herbeigefflbrt, 
dass der ziemlich grosse Mann bei der Kürze der Wanne direkt mit den beiden 
Polen in Berührung gekommen ist. Mag aber auch der Fehler stecken, wo er 
will, der Fall zeigt, wie auf allen Gebieten bei unverständiger Applikation 
von Heilmitteln oder Methoden durch Laien Unheil angerichtet werden kann. 


Verletzungen der Gebärmutter. Ans dem Stadtkrankenhaus Dresden- 
Friedrichstadt. Von Dr. Osterloh. Münchener medizinische Wochenschrift; 
1903, Nr. 21. 

Verfasser teilt 5 seltene und interessantere Verletzungen der Gebär¬ 
mutter mit. 

I. Fall. 28jährige Frau. 3 normale Geburten ausgetragener Kinder. 
Vor 2 Jahren vaginale Operation wegen Gebärmutterknickung. 
Am 15. Oktober 1902 schwere Entbindung eines schon abgestorbenen, nicht 
ausgetragenen Kindes durch Wendung und Extraktion wegen Unnacbgiebigkeit 
dar Operationsnarben in der Scheide und Gebärmutter. 



Sin deutaehee gericbts&rztliches Leicbenöffnungsverfabren. 


667 


Nach schwerem Krankheitsverlaufe unter dem Bilde von Sepsis, Peri¬ 
tonitis, Pneumonie, Verdacht auf subphrenischen Abszess, Endocaiditis, am 
3. November 1902 Tod. 

Sektionsresultat: Eitrige Pelveoperitonitis. Ulseröse Bndocarditis der 
Mitralis. Embolisehe Abssesse in Milz und Nieren. Lnngeninfarkt. Pleuritis 
rechts. Die Gebärmutter ist wenig vergrössert. Nach Lösungen der Ver¬ 
wachsungen im Douglas findet sich am Grunde derselben in der hinteren Wand 
des Uterus ein quer verlaufender Einriss mit unregelmässigen Bändern von ca. 
l‘/t cm Länge, der die Wand völlig durchsetzt. Die Schleimhaut der Gebär¬ 
mutter ist gequollen, stellenweise missfarbig. Der Ausgangspunkt der Er¬ 
krankung ist ohne Zweifel in der verhältnismässig nicht sehr ausgedehnten 
Zerreissung des Uterus zu suchen, welche mit der plastischen Operation sicher 
in ursächlichem Zusammenhang steht. Die Analogie mit den aus der Literatur 
bekannten Fällen lehrt die grosse Gefahr von vaginalen Opera¬ 
tionen bei Betroflexio für spätere Entbindungen. 

II. Fall. 83jährige Witwe, angeblich 3 Monate schwanger; seit 7. März 
Blutungen, am 11. März ins Krankenhaus aufgenommen. Kollabiertes Aussehen, 
38,2 C., Puls 136. Icterus. Meteorismus. Peritonitis. Scheusslich stinkendes 
Blut fliesst aus der Vagina. Leichte manuelle Ausräumung stinkender Abort- 
massen aus dem Uterus, 50proz. Alkoholausspülung. Der Zervikalkanal ballon¬ 
artig; an seiner vorderen Wand vorspringende Leiste, die dem inneren Mutter¬ 
munde zu entsprechen scheint. Bapider Verfall. Tod am 18. März. Sektions¬ 
befund der Gebärmutter: In der vorderen Wand des Cervix bemerkt man eine 
mit stark übelriechenden, missfarbigen, duokelbraungelben, schmierigen Massen 
erfüllte Höhle von 5 cm Breite, 3 cm Länge; sie reicht in der Tiefe bis an 
die hintere Blasenwand, nach oben bis zum Peritoneum der Exoavatio vesico- 
uterioa, welches hier mit einer ziemlich dicken Schicht von schmutzig gelbem 
Fibrin belegt ist. Der untere rauhe, wie zerfetzte Band der Höhle ist etwa 
2 mm vom äusseren Muttermund entfernt, ebenso der obere vom inneren Mutter¬ 
munde. Auch auf der hinteren Blasenwand eine dünne Schiebt Bckmierig gelb¬ 
grauer Massen. Das Gewebe des Cervix ist ausserordentlich morsch. Im Uterns 
jauchige Flüssigkeit, die Plazentarstelle mit schwarzgrauen, missfarbenen Massen 
teils locker, teils fester besetzt. In den Venen der Plazentarstelle jauchig 
schmelzende Tromben. 

III. Fall. 22 jähriges Dienstmädchen. Aufnahme am 8. März 1902, nach¬ 
dem sie am 28. Februar eine starke Blutung im 6. Schwangerschaftsmonate 
gehabt und Beit 4. März Fieber und Leibschmerzen bekommen hatte. Jeden 
Tag Schüttelfrost mit Temperatur his 40,6°. Meteorismus. Links Pleuro¬ 
pneumonie. Parametrien druckempfindlich. Stinkender Ausfluss. Tod am 
15. März unter dem Bilde schwerer Sepsis. 

Sektionsbefund: Pyämie. Embolische Pleuropneumonie. Sohwere Nieren¬ 
entzündung. Septische Milz. Thrombophlebitis. Das Beckenbindegewebe 
ödematös, die Gefässe mit eitrig schmelzenden Thromben erfüllt. In der hinteren 
Wand des Uterus wölbt sich im unteren Drittel der rechten Hälfte ein tauben¬ 
eigrosser Herd vor. Beim Einschneiden entleert sich reichlich dünnflüssiger 
Eiter; kleinere Vorwölbungen mit Eiter am Ansatz der rechten Tube. Die 
Venenplexus der rechten Seite und in der Umgebung der Harnröhre ebenfalls 
mit eitrig schmelzenden Thromben erfüllt. In der hinteren Blasenwand kleinere 
Abszesse, ein ebensolcher in der vorderen Scheidewand. An der Schleimhaut 
des. Zervikalkanals keine Verletzung, dagegen finden sich in der Gebärmutter¬ 
höhle, die mit dünnflüssigen schmierig eitrigen Massen erfüllt ist und einen 
an der Plazentarstelle fest anhaftenden, 1 mm dicken graugelben Belag hat, 
an der rechten Kante 2 cm vom inneren Mattermund entfernt, mehrere über¬ 
einander gelegene Löcher, 4,9 und 10 mm breit und ziemlich stArk klaffend. 
Durch diese Oeffnnngen kann man eine Sonde bequem nach aufwärts und hinten 
schieben und gelangt dabei in die oben beschriebene, taubeneigrosse Abszess- 
höhle. Die Bänder dieser Oeffnnngen sind dünn, nicht ganz regelmässig und 
sehen zerfetzt aus. 

Die Verletzungen waren im Fall II, wie durch das gerichtliche Ver¬ 
fahren festgestellt wurde, und ohne Zweifel auch im Falle III, mit einer Spritze 
geschehen, welcher sich die Abtreiberinnen bedienen und mit welcher sie ge¬ 
wöhnlich Wasser und Seifenwasser zwischen Eihäute und Gebärmutter ein- 



6«» ff Mrare Mitteilungen und Beferate rar Zefeaehrifteu. 

spritzen (die Sprit» ähnelt eirar gewöimRcfawr Kind crkt y st le rs prfr ac mit 
etaem- tragen biegsame n , sienüieh spit* endenden Attests aus Zins); Sobata 
die Spritze beim Einfahren aaf Widerstand stOsst, s. B. bei stark retro- oder 
anteflektiertem Uterus, sucht die Abtreiberin ibn su überwinden und bohrt das 
Instrument in die Gebärmntterwand ein. Es entstehen Verletsnngen, die durch 
Wiederholung vergrössert und zahlreicher werden. Dabei treten su der Ge¬ 
fahr des Lufteindringens die Gefahren der septischen Infektion hinzu. 

Aehniiohen Verlauf und Ausgang neigen Fälle, bei denen der Gebrauch 
der Kttrette sur Entfernung von Abortusresten su mehr oder weniger tiefen 
Verietsungen oder völliger Durchreibung der Gebärmutterwand fahrt. Sind bei 
der Aussehabang alle aseptischen VorBichtsmassregeln eingehalten worden, so 
kann eine derartige nicht su grosse Verletsung, ähnlich wie die Durchbohrung 
der Gebärmutterwand mit der Sonde, reaktionslos verlaufen; Ist dies aber 
nicht der Fall, so sehliesst sich auoh hier Sepsis oder Pyämie an. 

Verfasser führt noch swei solche Fälle mit kurzer Krankengeschichte 
an (Fall IV und Fall V). Im ersten Falle wurde durch wiederholte An¬ 
wendung der Kttrette die Zerstückelung des kleinen Fötus, die Durcbreibung 
der Gebärmutterwand and der Austritt der Fötalteile in den Douglas bewirk^ 
wobei zweifellos gleichseitig eine septische Infektion stottgefnuden hat. Im 
zweiten Falle (Fall V) fand sich im Fundus- der Gebärmutter ein. schmaler 
Fistelgang, der ins perimetrisohe Gewebe führte und der zweifellos mit-der. 
Kürette gebohrt wurde unter gleichzeitiger septischer I n f ek t ion. 

Verfasser möohte die Kürette in der Abortbehandlnng nicht entbehren, 
wendet allerdings meistens die stumpfe an und gibt zu, dass in den häufig 
schwierigen Verhältnissen der Privatpraxis jeder operative Eingriff, also rach 
die Aussehabang der Gebärmutter, nicht mit derselben Buhe und Sicherheit 
aasgeführt werden kann, wie in der Klinik. Dr. Waibei-Kempten. 


Ueber einen forensiseh interessanten Fall von Manie. (Ein Beitrag 
aur Erblichkeit der Psychosen). Von Dr. Kölpin in GroifswaldL (Ana der 
psychiatrischen Klinik des Prof. Westphal). Allg. Zeitschrift t Psychiatrie; 
60 Band, 8. Heft, 1903. 

Ein 26 jähriger Kaufmann hatte unter falschen Namen und Titeln 
(Referendar, Graf) zahlreiche Zechprellereien und Betrügereien verübt. Das 
auffallende Verhalten des sonst soliden, vollkommen orientierten Kranken ver- 
anlasste den Gefäognisarzt, eine Beobachtung desselben ln der Irrenklinik 
su beantragen. Die eingehenden Erhebungen über die Familienverhältnisse 
des Angeklagten ergaben, dass in der Familie des Vaters von 9 Geschwistern 
6 geisteskrank gewesen und dass weiterhin die Kinder von diesen ebenfalls 
zum grossen Teil erkrankt waren. Der Vater des Angeklagten leidst 
alle 8 bis 4 Jahre an BrregangsanfäUen, in denen er bei änsserlich sehr 
korrektem Wesen die ansinnigsten Handlangen begeht. Der Patient selbst 
bot in der Anstalt deutliche Symptome einer hypomanisohen Störung, und es 
ist nicht uninteressant, dass Verfasser bei den meisten Gliedern der gesamten 
Familie das Auftreten periodischer oder zirkulärer Psychosen von gleichem 
Charakter naehweisen konnte, während Störungen mit Ueberg&ng in Verblödung 
in keinem Falle mit Sicherheit festgestellt wurden. Der Fall beweist übrigens 
nach der forensischen Seite, wie notwendig in den meisten — oft scheinbar 
recht klar liegenden Fällen — eine längere Beobachtung und weitergehende 
Erhebungen in der Irrenanstalt werden können. Dr. Pollitz-Münster. 


Die einfache demente Form der Dementia praecox (Dementia 
slmplex). (Ein klinischer Beitrag snr Kenntnis der Verblödongspsychosen). 
Von Otto D i e m, vormals I. Assistensarst der psychiatrischen Klinik im Borg- 
hölzli-Zürich. Archiv f. Psychiatrie; 37. Bd., 1. H., 1903. 

Verfasser weist auf eine nicht ganz seltene Modifikation der Dementin 
praecox bin, die sich von den häufigeren hebephrenen Formen durch die Aus¬ 
bildung eines allmählich fortschreitenden Schwachsinns unterscheidet, während 
andere psychotische Symptome vollkommen fehlen. Die 19 hier mitgeteilten 
Fälle bieten in der Tat mit mehr oder weniger (s. B. Fall XIX) DentUehkeit 
das Bild der reinen Verblödung in oder nach der Pubertät. Nickt selten 
stellt sieh bei den bereits schwachsinnig gewordenen Kranken eine Neigung 



Kleinere Mitteilungen and Beferate am Zeitschriften 


<69 


m Alkohlcxzcssen ein, die leieht den Verdaeht einer alkoholistischen Störung 
vortänscht. Dass ein grosser Teil dieser Schwachsinnigen, bei denen die 
sittlichen Vorstellungen swar vorhanden, aber von geringer Wirksamkeit für 
ihre Handlangen sind, als Vagabonden in Arbeitsbfiosern and Gefängnissen 
endet, hat bereits Bonhoeffer in einer eingehenden Studie nachgewiesen. 
Nicht immer tritt die psychische Veränderung in früherem Alter auf, bei 
manchen Kranken fällt der Beginn der Störung in dae 30. Lebensjahr oder 
nach später. Die Kranken werden unstät, willenlos, die geistige Leistungs¬ 
fähigkeit nimmt immer mehr ab, oder aber es machen sich Charakterver¬ 
änderungen bemerkbar, wie Heilbarkeit und Unverträglichkeit mit unverständiger 
Begehrlichkeit und steter Unzufriedenheit mit der Lage. In der Anstalt sind 
sie meist fügsam und — besonders wenn frühere Alkoholexsesse wegfallen — 
ruhige, indifferente Patienten ohne jede Aktivität und ohne jede selbständige 
Begung. Stets stellt sich eine zunehmende gemütliche Verblödung neben der 
intellektuellen Urteilsschwäche sin. Dagegen bleiben die Schulkenntnisse, 
ebenso Gedächtnis und Merkiähigkeit lange erhalten. Ein grosser Teil dieser 
Kranken stammt aus psychisch kranken Familien; in der Hälfte der Fälle 
waren die ursprünglichen geistigen Anlagen gut. Verfasser betont am Schlüsse 
seiner Arbeit, dass wir in dem Gesamtgebiet der Dementia praecox neben der 
katatonen, hebephrenen und paranoiden Form eine weitere als einfache Demenz 
zu unterscheiden haben, der die Symptome der enteren abgehen, während der 
terminale Schwachsinn allen gleich, ist. Dr. Po 11 itz-Münster. 


lieber die Detinierung nicht entmündigter Geisteskranker in 
Irrens net alten. Von Dr. Löwenthal. (Vortrag, gehalten im psohiatrischen 
Verein in Berlin). Allg. Zeitschrift f. Psychiatrie. 60. Bd., 3. H., 1903. 

Verfasser weist in einem lehrreichen Falle nach, dass die prinzipielle 
Entlassung von Kranken aus einer Irrenanstalt, deren Entmündigung abgelehnt 
worden ist, zu recht bedenklichen Konsequenzen führen kann. Im vorliegenden 
Falle handelt es sioh um einen der Paralyse verdächtigen Gewohnheitstrinker, 
dessen Zustand sich wesentlich gebessert hatte, so dass er im Entmündigungs- 
termine keine sehr prägnanten Symptome von Geistesstörung erkennen liess, 
während er vorher Symptome von Wahn der ehelichen Untreue mit Bedrohung 
seiner Familie dargebeten hatte, die zu seiner Internierung Anlass gegeben 
hatten. Der Gutachter beseiehnete ihn im Entmündigungsverfahren zwar als 
noch krank, aber so weit gebessert, dass die Voraussetzungen des §. 6, Abs. 1 
d. B. G. B. nicht zuträfen. Bereits 2 Monate nach seiner daraufhin erfolgten 
-Entlassung musste er wiederum wegen Bedrohung seiner Ehefrau in die 
Anstalt surüokgebraeht werden, aus der dann nach kurzer Zeit aufs neue 
seine Entlassung erfolgte. Verfasser betont, dass eine Entmündigung wegen 
Trunksucht kaum erfolgreicher gewesen wäre, da eine Irrenanstalt einen der¬ 
artig Entmündigten auch nicht zu definieren berechtigt sei. In der Dis¬ 
kussion wies besonders Moeli darauf hin, dass der AnstaltBarzt gegenüber 
dem die Entmündigung ablehnenden Beschlüsse des Amtsgerichts die Staats¬ 
anwaltschaft zur Beschwerde veranlassen konnte. Znr Definierung des Begriffs 
„Besorgung der eigenen Angelegenheiten“ bemerkte Moeli, dass hierher auch 
die „richtige soziale Haitang“ gehöre. Ein anderer Bedner empfahl, in solchen 
Fällen eine Vertagung des Eatmündigungstermines um 6 Monate su beantragen; 
gleichseitig kann eine vorläufige Vormundschaft eingesetzt werden, die die 
Beehte des Detiniertea zu wahren bat. Dr. Pollitz-MUmter. 


Zur Frage der sogen, freiwilligen Pensionäre. Von Dr. Boedeker. 
(Vortrag, gehalten im psychiatrischen Verein su Berlin). Allg. Zeitschrift für 
Psychiatrie; 60. Bd., 8. H., 1908. 

Dem Besitzer eiuer Privatirrenanstalt war seitens des Begierungs- 
präsidenten aufgegeben worden, für die als freiwillige Pensinonäre eintretenden 
psychisch Kranken bestimmte Bäume zum ausschliesslichen Gebrauche su 
reservieren. Verfasser weist an einigen Beispielen nach, dass eine solche 
prinsipielle räumliche Trennung der verschiedenen Aufnahmekategorien von 
Kranken, die übrigens auch nicht im Ministerialerlass vom 26. März 1901 vor¬ 
gesehen ist, für die Anstalt schwer durchführbar und für die in Frage 
kommenden Patienten wenig vorteilhaft sei. Die Verteilung der Kranken auf 



670 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


die einzelnen Abteilungen muss sich in erster Linie nach dem Leiden nnd dem 
jeweiligen Zustande der letzteren richten nnd wird sie bald in freiere Bedingungen 
and mit weniger schwer Kranken zusammen bringen, bald in andere Umgebung 
mit strengerer Ueberwachung. Verfasser erinnert hier zutreffend an Alkoholisten 
und Morphinisten, die in sehr zahlreichen Fällen als freiwillige Pensionäre 
eintreten and eine anfangs sorgfältige Ueberwachung gern und freiwillig hin- 
nehmen. — In der Diskussion über diesen Vortrag stellte sich übrigens heraus, 
dass eine solche Trennung der freiwiligen Pensionäre von den anderen 
Kranken in den meisten Primanatalten nicht gefordert wurde. 

Dr. Pollitz-Münster. 


Jahresbericht des Hilfsvereins für Geisteskranke im Königreich 
Sachsen für das Jahr 1902. Erstattet von Geh. Med.-Rat Dr. Weber, 
Direktor der Heil* nnd Pflegeanstalt in Sonnenstein. 

Das Bedürfnis, die notleidenden Angehörigen der in den Anstalten unter¬ 
gebrachten Geisteskranken za unterstützen und vor allem den ans der Anstalts- 
behandlung Entlassenen in einem über den Rahmen der öffentlichen Fürsorge 
hinausgehenden Umfange Hilfe zu bringen, ist der Hauptzweck des seit dem 
Jahre 1900 bestehenden Hilfsvereins für Geisteskranke im Königreich Sachsen. 
Daneben hat er sich die Aufgabe gestellt, daB Verständnis für die Geistes¬ 
krankheiten and das Interesse für die Geisteskranken za erwecken und sn 
fördern; ausserdem will er seine Tätigkeit auch auf die Epileptischen nnd 
Hysterischen erstrecken. Nach dem vorliegenden Bericht haben sich nicht nur 
die finanziellen Verhältnisse des Vereins während des Berichtsjahres reoht 
günstig gestaltet, sondern es sind auch beachtenswerte Erfolge erzielt. 
Die Zahl der Mitglieder ist fast in allen Bezirken erheblich gewachsen, nicht 
weniger als 4300 Mark (2900 Mark von den Bezirksvereinen nnd 1400 Mark 
von der Zentralkasse) konnten für Geldunterstützungen verwendet werden. 

_ Rpd. 


B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditäts¬ 
sachen. 

Entstehung einer primären Herzerweiterung durch eine unge¬ 
wöhnlich grosse, plötzlich eingetretene Muskelanstrengung bei dem 
Heben eines schweren Baumstamms. Aerztliches Obergutachten, 
auf Veranlassung des Reichs-Versicherungsamts unterm 6. März 1902 erstattet 
von Dr. Frohmann, Oberarzt an der Königl. medizinischen Universitätsklinik 
in Königsberg i. P. (Amtliche Nachrichten des Reichs - Versicherungsamts; 
1903, Nr. 6.) 

Das Ergebnis der objektiven Untersuchung macht es zweifellos, dass bei 
L. ein schweres Herzleiden vorliegt. In dieser Hinsicht stimmen wir mit den 
Herren Vorgutachtern vollständig überein. Dagegen können wir uns ihrer Auf¬ 
fassung in Bezug auf die Natur der Affektion bei L. nicht anschliessen. Herr 
Dr. K. and Herr Dr. E. nehmen eine Erkrankung der Herzklappen an, and 
zwar speziell eine Schiassunfähigkeit der Mitralklappe (Mitralinsuffizienz). Herr 
Dr. G. spricht gleichfalls von einem Herzklappenfehler, wenn er anch die Mög¬ 
lichkeit einer akaten Herzerweiterung nicht für ausgeschlossen hält. Wir 
selbst sind dar Ansicht, dass eine Erkrankung der Herzklappen (Sohlnssun- 
fähigkeit der Mitralklappe» mit Wahrscheinlichkeit auszuschliessen ist, viel¬ 
mehr eine Erkrankung des Herzmuskels, und zwar eine primäre Herzerweite¬ 
rung vorliegt. Am Herzen haben wir folgende Symptome festgestellt: 1. eine 
hochgradige Erweiterung der Herzkammern, und zwar besonders der linken, 
nachweisbar an der Vergrösserung der Herzdämpfong und der Verbreiterung 
des Herzschattens im Röntgenbilde; 2. dumpfe erste systolische Herztöne, meist 
ohne Herzgeräusche; nur ab und za ist ein ganz schwaches systolisches Herz- 
geräusch hörbar. Eine Verstärkung des zweiten Pulmonaltons fehlt; 3. hoch¬ 
gradige Unregelmässigkeit in der Schlagfolge des Herzens. Hierbei ist das 
fast vollständige Zurücktreten resp. Fehlen der Herzgeränsche gegenüber der 
erheblichen Erweiterung der Herzkammer unseres Erachtens das wichtigste 
Symptom, das für eine primäre Erkrankung des Herzmuskels und gegen das 
Vorhandensein eines Heraklappenfehlers sprioht Zu dem Symptomenbude der 



Desinfektion» wesen im Kreise and Absonderangsverf&hren. 


653 


den nach einem Krankenhause, zu verbieten, ist vom Landrat, als 
gesetzlich unzulässig, abgelehnt. Und die HaushaltungsmitgliederP 
Eine Absonderung von den Kranken, so dass jede Berührung mit 
Sicherheit ausgeschlossen ist, lässt sich nur ganz ausnahmsweise, 
etwa in einem Guts- oder Pfarrhause, durchführen. Die Ueber- 
führung der Kranken ins Eirankenhaus ist auf dem Lande selten 
möglich, denn in diesem ist kein Platz, kein Isolierraum und kein 
geeignetes Personal. Die Kranken bleiben deshalb meist zu Hause, 
und die Haushaltungsmitglieder derselben sind dann nicht nur als 
ansteckungsverdächtig, sondern bei kleinen Handwerkern und Ar¬ 
beitern, die oft in einer einzigen Stube wohnen, essen und schlafen, 
geradezu als mit dem Ansteckungsstoff geschwängert zu bezeichnen. 
Und diese haben freie Bewegung! Der Mann geht auf seinen 
Arbeitsplatz in Landwirtschaft und Fabrik, oder als Handwerker, 
Händler, Briefträger von Haus zu Haus, oder auf sein Bureau 
zur Abfertigung des Publikums, oder nach den Mühen des 
Tages in die Schenke; wie der verseuchte Postbeamte wirkt, 
hat Herr Kollege v. Gyzicki in seinem Artikel „die Post als 
Vermittlerin bei der Weiter Verbreitung von Krankheiten" in Nr. 2 
dieser Zeitschrift treffend geschildert. Die Frau trägt vielleicht 
Nahrungsmittel (Brot, Gemüse) von Haus zu Haus, oder sie be¬ 
sorgt Einkäufe in den Kaufläden oder auf dem Markte, oder sie 
geht an mehreren Stellen aufwarten oder kochen, oder sie macht 
Freundschaftsbesuche. Die Tochter geht in den Dienst oder in 
fremden Häusern schneidern. Die Kinder spielen tagüber mit an¬ 
deren Kindern zusammen aut der Strasse. Und wie geht es in 
dem verseuchten Hause selbst zu, trotz Tafel und Einti-ittsverbot? 
Unnütze Besuche werden vielleicht dadurch etwas hintangehalten, 
beim Schneider habe ich aber schon die zum Austragen oder Ab¬ 
holen bereit gestellten Kleider auf dem Bett des scharlachkranken 
Kindes lagern, den Verkaufsraum des Bäckers oder Kaufmanns in 
offener Verbindung mit dem Krankenzimmer gesehen; ebenso den 
Bureauraum beim Postagenten. Kurz, überall, wo eine Abgabe 
von Waren oder Gegenstände in einem verseuchten Hause statt¬ 
findet, tragen diese das Gift nach allen Himmelsrichtungen hin 
fort. Alles dies beruht auf eigener Anschauung; und so kann 
man wohl sagen, dass die Verhütung der Weiter Verbreitung an¬ 
steckender Krankheiten mit den bisher gesetzlich zulässigen Mass- 
regeln niemals gelungen ist und niemals gelingen konnte. 

Wie wird nun auf Grund des Beichsseuchengesetzes sowie 
des neuen Gesetzes, falls dieses zur Annahme gelangt ist, vorge¬ 
gangen werden müssen? Das Gesetz gibt nicht nur die Mass- 
regel der Absonderung Ansteckungsverdächtiger, son¬ 
dern auch die Meldepflicht zugereister, welche sich inner¬ 
halb der Inkubationszeit in einem verseuchten Bezirk aufgehalten 
haben, und die Beobachtung Ansteckungs verdächtiger und 
zwar in einfacher Form, indem zeitweise Erkundigungen nach dem 
Gesundheitszustände eingezogen werden, und in verschärfter Form 
bei umherziehendem Volk mit Beschränkung des Aufenthalts und 
der Arbeitsstätte. Schliesslich gibt es den wegen Ansteckungsver- 




C 5 >l Hr. Ifuneiak: Dasiufaktion im Kmafc »ml AbsootlerangsTer/ibren. 

'.iAf'üt Abtv^sondertea Anspruch auf Entschädigung- für ver¬ 
loren gezogenen Arbeitsverdienst. .Mit diösenM&ö&regelo ist die 
;tut\£ der Weiterverbreitung tatsächlich erreichbar.- Gleich 
fm -len reu Emtfctelaijgen, die dar Kreisarzt ant die einge- 
lauluoe Auzoige einer Beuche hin vomimmt, wird er sämtliche 
Bnuaühltungsangehürige ihr anstechaageverd&chög erMären und 
ihre Absuininrang vorschlÄgen. MÄnnery FrÄhei» Kihd# dürfen 
mit niemand in irgend eine Berührung treten, Jede Abgabe von 
'.'^agen»Mh#h ans-tB® 8 ®!? .'B'aintUie--— seien es Verkaufs- oder Band- 
werksg*g%:&s£ände — ist eofort zu verbieten. Waren, Packete und 
Briefe Mtfm aus dltsseiFamilie nicht befördert »erdeu. Jede 
halbe l&^rcgei ist unnütz. Für die übrigen in demselben Hause 
»ohvtrutku Familien ist je nachdem entweder, sofern sie bereits 
in näh«« BöriÜirung mit der verseuchten gestanden haben, eben¬ 
falls die Absontleruüg, oder ins anderen Falle die Beobachtung 
anztiordoev», au dass jeder neue Krankheitsfall im Hanse sofort 
bekannr wird. Diese' Maseritgfeln bleiben .io ' Kraft bis nach 
erfolgter $S blussdesihtektm, Äbö?v auch nach dieser muss für 
Dauer” der Inkubation der betr, »Beuche — nach Uuter- 
leibetyplm» also 3 W^ebeu hoch eine Beobachtung 

aller M iooi.-sassen erfolgen, da auch kurz vor «ier Desin- 
infektioit eine Neuan&tecküög erfolgt sein kann. Erst wenn auch 
diese Bcobachtangezeit ohne Nenerkraiikung vorübergegangen ist, 
hat ihaii gewonnenem Spiel und geht hu» daran, den durch die 
Absonderung in' ihrem Erwerb Geschädigte» die gesetzlichen Ent- 
mjhädigüngeÄ zuzuweisen. — loh habe damit niti: ein grobes 
Schema dos.notwendigen Vorgehens gegeben; alle Mögliehkeiten 
iaaseft s?icb t ot einem kurzen Artikel nicht in Betracht ädöheu. Ich 
wollte nur her vorheben, dass es gottlob demnächst gesetzlich m%\ 
lieh sein wird, durch energische Maseregela dem bisherigen Schien» 
drian der Bevölkerung den Seuchen gegenüber entgegenzutreten, 
und da*s Überall ganze Massregelu getroffen werden müsBen, Die 
Absonderung muss polizeilich überwacht werden. Die 
notwendigen Lebensmittel sind de« Abgesonderten so zuzuführen, 
dass d*b«*i keine Berührung atattindet - : ; 

Eiühö. Punkt muss ich aber noch in Kürze erwähnen, der 
naeb u; i > ßttähfungen in allererster Linie zar weiten Ven- 
iKMi;!.,. Seuchen beiträgt, — nämlich die Gebräuche* der Be- 
m ^oifesfäUen aa ansteckenden Krankheiten, Bier 
b« »Hea übrigen Todesfällen folgeudermaseen zu: 
Die Wfflb v^v der Totenf^a gewaschen, dann herkömmlich 

{lei Ausgtpn ui und M ‘ iifeinen Barge drei Tage lang mitten ins 
^.uoioty Die Nachbarn treten, so oft es ihre Zeit ge- 

matter und ’>esönders jeden Abend, zum Gebet an die Leiche und 
l.deiben däno noch einige Zeit plaudernd bei der trauernden 
l ; ;u • r Beerdigung werden die Nachbarn and sämtliche 
v^i’w, eiugeladen. Diese dmlen «ich nicht nur aus dem- 
♦ielbeu X*uri\% sondern oft ans Weiter Ferne zu Wagen oder per 
ßat.i- - sogar auswärtige Lehrer habe ich bei Scharl&chleichen- 
‘‘ogeugtt.iptevi- angetroffen! — mehrere Stunden vorher ein, und im 




Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 678 

Nährboden in dem sonstigen Zustande des Fnsses des Verletaten vorge¬ 
funden habe. 


Berücksichtigung des bisherigen Berufs bei Beurteilung des 
Grades der Erwerbsunfähigkeit eines Verletzten. Rekurs-Ent- 
seheidung des Reichs-Vei sicherungsamts vom 27. Februar 1908. 

Es entspricht allerdings dem Sinne der Unfallversicherungsgesetze und 
der Praxis des Reichs - Versicherungsamts, bei der Beurteilung des Masses der 
durch den Unfall herbeigeftthrten Erwerbsunfähigkeit nicht die Berufsinvalidität, 
das heisst die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit in dem bisherigen Be¬ 
rufe, sondern die nach dem ganzen geistigen und körperlichen Zustand einge¬ 
tretene Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit auf dem gesamten Gebiete des 
wirtschaftlichen Lebens als massgebend anzusehen. Aber dabei ist doch fest- 
zuhalten und auch stets festgehalten worden, dass unbillige Härten zu ver¬ 
meiden sind, dass namentlich auf die Ausbildung und die bisherige Berufs- 
Stellung angemessene Rücksicht zu nehmen ist, und dass deshalb nicht ohne 
RQoksicht hierauf dem verletzten Arbeiter ein Berufswechsel unter allen Um¬ 
ständen zugemutet werden darf, sobald dadurch die Möglichkeit der Erzielung 
eines höheren Verdienstes als bei der bisherigen Berufsarbeit anzunehmen ist. 
Auch auf dem Gebiete der Invalidenversicherung genügt die Berufsinvalidität 
nicht als Voraussetzung für den Rentenanspruch, aber sowohl das Invaliditäts¬ 
und Altersversicherungsgesetz vom 22. Juni 1889, als noch eingehender das 
Invalidenversicherungsgesetz vom 13. Juli 1899, §. 5, Abs. 4 haben doch Härten 
vermieden, letzteres insbesondere durch die ausdrückliche Anordnung der Rück¬ 
sichtnahme auf die Ausbildung und den bisherigen Beruf des Versicherten. 
Wenn auch die Begriffsbestimmungen der Invalidität im Sinne dieser Gesetze 
nicht ohne weiteres auf das Gebiet der Unfallversicherung übertragen werden 
können, so ist doch in dieser Rücksichtnahme auf den bisherigen Beruf und 
Vermeidung unbilliger Härten ein Gedanke zu erblicken, der dem Gebiete der 
Unfall- und der Invalidenversicherung gemein ist. Unvereinbar mit diesem 
Gedanken und eine unbillige Härte aber wäre es, wenn einem Arbeiter, der in 
einem bestimmten Beruf ausgebildet ist und bisher tätig war, im Falle einer 
Verletzung, durch welche er in dieser bisherigen Berufstätigkeit in geringerem 
Masse behindert ist, zugemutet würde, um der Möglichkeit willen, in einem 
anderen, vielleicht seinen Fähigkeiten wenig entsprechenden Beruf etwas mehr 
zu verdienen, seine bisherige Berufsarbeit aufzugeben und eine andere zu suchen. 

In einem solchen Falle entspricht es vielmehr den geltenden Grund' 
Sätzen, den verletzten Arbeiter nach dem Masse der Minderung seiner Erwerbs¬ 
fähigkeit innerhalb des bisherigen Arbeitsfeldes zu entschädigen, und es kann 
deshalb ohne Widerspruch mit der Spruchübung des Reichs -Versicherungsamts 
auch die Rente des Klägers unter Zugrundelegung des Berufs des Webers 
bemessen werden. 


Geringe Winkelstellung der Brückenden nach Bruch des Unter¬ 
schenkels bedingt an sich keine Erwerbsverminderung. Rekurs-Ent¬ 
scheidung des Reichs-Versicherungsamts vom 24. Februar 1903. 

Nach dem Gutachten der Aerzte Dr. R., Dr. Sch. und Dr. Rei., die in 
Gegenwart von drei aus der Zahl der Betriebsbeamten gewählten Vertrauens¬ 
männern den Kläger am 12. September 1901 und 28. Mai 1902 untersucht haben, 
ist der Bruch des linken Unterschenkels, den der Kläger am 10. Dezember 1900 
erlitten hat, gut verheilt. Die geringe Winkelstellung des unteren Knochen- 
endes zu dem oberen hat nach dem bedenkenfreien Urteil der Sachverständigen 
auf den Gebrauch auch nicht den geringsten Einfluss. Die Gelenke sind frei 
und beweglich; die Muskulatur des linken Beines ist eher stärker als die des 
rechten. Die Klagen über Schmerzen in dem Beine halten die genannten Aerzte 
nach dem geschilderten objektiven Befunde für unglaubwürdig. Kläger ver¬ 
richtet die nämliche Arbeit wie vor dem Unfälle und bezieht denselben Lohn 
wie seine gleichaltrigen Arbeitsgenossen. 

Wenn diesem Befund gegenüber der von dem Schiedsgericht zugezogene 
Arzt bei seiner Untersuchung am 24. September 1902 eine Besserung in dem 
Zustande des Klägers als nicht eingetreten und eine Schwäche in dem Beine 
als nooh vorhanden annimmt, so findet dieses Gutachten in dem objektiven Be- 



674 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


fand insofern nioht seine Stütze, als die Maskolatnr des verletsten Beines in 
keiner Weise schwacher ist als die des rechten. Der Umstand allein, dass das 
Bein mit einem unbedeutenden, seinen Gebrauch nicht beeinträchtigenden Schön¬ 
heitsfehler geheilt ist, kann einen Entschädigungsanspruch nicht begründen, 
weil weder eine Verunstaltung des Klägers dadurch eingetreten ist, noch der 
Gebrauoh des Beines in einer ungünstigen Weise beeinflusst wird. Erfabrungs- 
gemäss pflegen auch Brüche bei so jugendlichen Personen, wie es der Kläger 
ist, unter ärztlicher Hülfe in einer nachteilige Folgen für die Zukunft aus- 
schliessenden Weise auszuheilen, so dass die aus dem Befand nicht nachweis¬ 
baren Schmerzen des Klägers in dem verletzten Beine von vornherein nicht 
wahrscheinlich sind. Immerhin könnte es sich schliesslich bei diesen als 
Schmerzen empfundenen Beschwerden nur um geringe Unbequemlichkeiten 
handeln, die bei der seit dem Unfall abgelaufenen geraumen Zeit eine Beein¬ 
trächtigung der Erwerbsfähigkeit nicht bedeuten. 


Eine messbare Beeinträchtigung im wirtschaftlichen Leben liegt 
bei Verletzung des Nagelgliedes des linken Mittelfingers nicht vor. 
Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamts vom 
26. Mai 1903. 

Der Kläger hat das Nagelglied des linken Mittelfingers verloren. Die 
Stumpfspitze des Fingers ist zwar nur mit einem dürftigen Weichteilpolster 
bedeckt, welches mit dem Knochen ziemlich fest verwachsen und mit mehreren 
Narbenzügen durchwachsen ist, aber die beiden noch vorhandenen Glieder des 
verletzten Fingers haben hinsichtlich der Beugungsfähigkeit keine Einbusse 
erlitten. Der Faustschluss ist an sich kräftig und die Hand schwielig. Der 
Kläger hat auch gleich nach dem Verlassen des Krankenhauses — etwa 7 bis 
8 Wochen naoh dem Unfälle — seine frühere Arbeit als Schmied mit voller 
Leistungsfähigkeit wieder aufgenommen. 

Hiernach liegt eine messbare Beeinträchtigung im wirtschaftlichen Leben 
nicht vor. Mit dieser Ansicht stimmt auch das ärztliche Gutachten des Prof. 
0. vom 25./26. März 1903 überein, so dass kein Grund vorliegt, den Aus¬ 
führungen des Kreisarztes Geh. Medizinalrat Dr. R. vom 27. Februar 1903 
zu folgen. _ 


Anhörung des behandelnden Arztes ist nicht nnr für das Bescheids¬ 
verfahren, sondern auch für die Rechtsmittelinstanzen vorgeschrieben. 
Rekurs-Entscheidung des Reichsversicherungsamts vom 
20. Juni 1903. 

Die Anhörung des behandelnden Arztes hat in denjenigen Fällen, für 
welche sie vorgeschrieben ist, nicht nur insofern Wert, als sie geeignet ist, 
ein etwa bestehendes Misstrauen der Verletzten gegen die Unparteilichkeit 
der berufsgenossenschaftlichen Organe bei der Erteilung ihrer Rentenfest- 
stelluagsbescheido in einem wesentlichen Pankte zu beseitigen; sie hat vielmehr 
in diesen Fällen auch eine grosse sachliche Bedeutung. Denn der behandelnde 
Arzt kennt den Verletzten und den Verlauf seiner Krankheit in der Regel 
genau, kann häufig über die oft schwer zu beantwortende Frage, ob ein Leiden 
erst durch den Unfall entstanden ist oder schon früher vorhanden war, ent¬ 
scheidenden Aufschluss geben und vermag nicht selten auch über andere für 
die Beurteilung des Entschädigungsanspruchs des Verletzten wichtige Tat¬ 
sachen Angaben zu machen. Das auch solche sachlichen Erwägungen für die 
Einführung der fraglichen Vorschrift bestimmend waren, ergeben die Verhand¬ 
lungen des Reichstags. 

Die Vorschrift des §. 76 Abs. 3 Satz 1 des Unfallversicherungsgesetzes 
für Land- und Forstwirtschaft hat daher nicht allein für das Bescheids¬ 
verfahren Bedeutung; sie kennzeichnet sich vielmehr als eine allgemeine, das 
gesamte Feststellungsverfahren beherrschende und deshalb auch von den Rechts¬ 
mittelinstanzen zu beachtende Vorschrift. 

Da sie ferner, wie schon ihre Fassung erkennen lässt, zwingender Natur 
ist, so leidet das Verfahren, in welchem sie verletzt wird, an einem wesent¬ 
lichen Mangel. Dieser Mangel ist im Rechtsmittelverfahren zu beseitigen. 
Die Heilung hat in der Weise zu geschehen, dass entweder der behandelnde 



Ein deutsches gerichtsäxstlkbes Leichenöffnungsverfahren. 867 

„Für <lie Oeffnung der Brusthöhle ist es erforderlich, dass «Bidet die 
Weichteile der Brust bis Ober die Ansatzstelle der Bippenkuorpel au die Bippcn 
hinaus abpräpariert werden. 

Nächstdem werden die Bippenkuorpel, und «war um einige Hillimeter 
nach innen von ihren Ansatzstellen an die Hippen mit einem starken Messer 
dnrchsehnitten; dasselbe ist so su fuhren, dass das Eindringen der Spitze in. die 
Lunge oder das Hers vermieden wird. 

Bei Verknöcherung der Knorpel ist es vorsusiehen, die Hippen selbst 
etwas nach aussen von den Ansatzstellen der Knorpel mit einer Säge oder 
einer Knochenschere zu trennen. 

Sodann wird jederseits das Schlüsselbeingelenk vom Handgriffs des Brust¬ 
beins durch halbmondförmig geführte vertikale 8ohnitte getrennt und die Ver¬ 
bindung der ersten Bippe, sei es im Knorpel, sei es in der VerknOcherung, mit 
Messer oder Knochenschere gelost, wobei die grösste Vorsieht zur Vermeidung 
einer Verletzung der dicht darunter gelegenen Gefüsse ansuwenden ist. Als¬ 
dann wird das Zwerohfell, soweit es zwischen den Endpunkten der genannten 
Schnittlinien angeheftet ist, dicht an den falschen Knorpeln und dem Sehwert- 
fortaatz abgetrennt, das Brustbein nach aufwärts geschlagen und das Mittel¬ 
feld mit sorgsamer Vermeidung jeder Verletzung des Herzbeutels und der 
grossen Gefftsse durchschnitten. 

Nachdem das Brustbein entfernt ist, wird zunächst der Zustand der 
Brustfellsäcke, namentlich ein ungehöriger Inhalt derselben, nach Maas und 
Beschaffenheit, sowie der Ausdehnungszustand und das Aussehen der vorliegenden 
Lungenteile festgestellt. Hat bei der Entfernung des Brustbeins eine Ver¬ 
letzung von Gefässen stattgefunden, so ist sofort eine Unterbindung oder 
wenigstens ein Abfluss derselben durch einen Schwamm vorzunehmen, damit 
das ausfliessende Blut nicht in die Brustfelldecke trete und später das Urteil 
stOre. Die Zustände des Mittelfelles und besonders das Verhalten der darin 
vorhandenen BruBt- oder Thymusdrüse, sowie die äussere Beschaffenheit der 
grossen ausserhalb des Herzbeutels gelegenen Gefässe, welche jedoch noch nicht 
zu Offnen sind, werden schon hier festgestellt. 

Nächstdem wird der Herzbeutel geöffnet und untersucht und das Herz 
selbst geprüft. Bei letzterem ist Grösse, Füllung der Kransgefäsae und der 
einzelnen Abschnitte (VorhOfe und Kammern), Farbe und Konsistenz (Leichen¬ 
farbe) zu bestimmen, bevor irgend ein Schnitt in das Herz gemacht oder gar 
dasselbe aus dem KOrper entfernt wird. Sodann ist, während das Herz nooh 
in seinem natürlichen Zusammenhänge sich befindet, jede Kammer und jeder 
Vorhof einzeln zu Offnen und der Inhalt jedes einzelnen Abschnittes naeh 
Menge, Gerinnungszustand und Aussehen zu bestimmen, auch die Weite der 
Atrioventrikularklappen durch Einführung zweier Finger vom Vorhof aus zu 
erproben. Alsdann wird das Herz herausgeschnitten, der Zustand der arteriellen 
Mündungen zuerst durch Eingiessen von Wasser, sodann durch Aufschneideu 
geprüft und endlich die Beschaffenheit des Herzfleisches nach Farbe und Aus¬ 
sehen genauer festgestellt. Entsteht die Vermutung, dass Veränderungen des 
Muskelgewebes, z. B. Fettentartung desselben, in grosserer Ausdehnung vor¬ 
handen seien, so ist jedesmal eine mikroskopische Untersuchung zu veranstalten. 

An die Untersuchung des Herzens schliesst sich die dar grosseren Ge¬ 
fässe mit einziger Ausnahme der absteigenden Aorta, welche erst nmh den 
Lungen zu prüfen ist. 

Die genauere Untersuchung der Lungen setzt die Herausnahme der¬ 
selben aus der Brusthöhle voraus. Dabei ist jedoch mit grosser Vorrieht-su 
verfahren und jede Zerreissung und Zerdrückung des Gewebes zu vermeiden. 
Sind ausgedehntere, namentlich ältere Verwachsungen vorhanden, so sind die¬ 
selben nicht su trennen, sondern es ist an dieser Stelle das Bippenbrustfhll 
mit zu entfernen. Nachdem die Lungen herausgenommen sind, wird noch 
einmal sorgsam ihre Oberfläche betrachtet, um namentlich frische Verände¬ 
rungen, z. B. die Anfänge entzündlicher Ausschwitzung nicht au übersehen. 
Sodann werden Luftgehalt, Farbe und Konsistenz der einzelnen Lnngenab- 
schnitte angegeben; endlich grosse glatte Einschnitte gemacht und die Be¬ 
schaffenheit der Schnittflächen, der Luft-, Blut- und Flüssigkeitsgehalt, der 
etwaige feste Inhalt der Lungenblftseben, der Zustand der Bronchien und 
Lungenarterien, letzterer namentlich mit Büoksieht auf emgetzehue Vtr- 



656 


Dt. Phuaek. 


Stopfungen, mw. fe&tges teilt Za diesem Zwecke sind die Luftwege und di» 
grösseren Lnhgengefäsec mit der Schere uufenschaeiden und io ihren feineren 
Verästelungen za verfolgen. 

Wo der Verdacht vorliegt, dass fremde Maasen in die Luftwege feisein- 
gelangt sind and wo Stoffe in den Luftwegen gefandeö werden, deren Natur 
dorob die groben Merkmale derselben nicht sicher' angeseigt wird, da ist eise 
mikroskopische Ouiersachang sa veranstalten.* 

Bayern gibt itn $.17 für die Messerfnbrnngy um das Ein» 
dringen der Messerspitze in Lungen oder Herz zu vermeiden, an, 
dass es „in wiegeaArtiger.Bewegung 4 ' geschehe. 

„Dabei muss man akh daran eriuneru, dass »idh die ..$»** Kippe mit 
komm Knorpel an xüm& summ. also nicht io an- 

mittelbarer Fortsetauag ’4w Äwh nach ob®» .rfe?|t(tigecdim Linie tes Ammtses 
der dhrigen Rippen. Das Messer muss also etwas weitet nach aassen geffljhn 
and mit der Schneide dtaweibeu «»tüchtig die Steile des Kaorpel» «nfgesnefct 
Old dieser darchschnittea werden.* 

Beträchtlich ist die AbwejcbiJfig m der Anweisung, wie dsE 
Schlftsselbein von dem Brustbein m trentien ist. Hier heisst m: 

„Dieses kann allerdings wo Sachkundigen dttrch 'halbtaondförinige, r*r* 
tikal am den Gelenkkopf des ScWüsseibejaaa von toru and äasshn geffihrte 
Schnitte bewerkstelligt werden. 'Allein die Operation gelingt. siebt ganz telehti:^ 
and es geschieht dann oft, dass hei an nötig grosser Jvr aftaowendang das 
Messer durch das Gelenk in die Tiefe fährt and die dicht hinter dein selben 
liegenden grossen Blutgefässe austiebt, wodurch störende and -das Obduktion«* 
resuitat Mchs verwirrende Blutung entsteht. Es ist daher ein anderes Ver¬ 
fahren, den «raten Rippenknorpel und die AiticUiaUö slernociavicälarm an 
trennen, aosnempfehlen. 

Man beginnt zu diesem Zwecke, nachdem man die Sbdgea Hippenknorpel 
auf beiden Seiten darchechnitten hat, damit, dass man auf einer Seite die 
Knorpel der falschen Rippen mit der linken Band fasst, möglichst stark in 
die Höhe zieht und sie von den ntph *n aie ansetsendeu Zacken das Zwerch - 
felis abschneidet. Indem man dieses auch auf der anderen Seit« ausffihrt, löst 
man zugleich da« Browtbein auch von den hinter ihm liegenden Teilen ab and 
schiebt dasselbe nach oben, bis man an die «rate Rippe kommt. Es ist jetzt 
leicht, das Messer an der rechten Seite durch den ersten Rippcubnorpei durch- 
sufflbre», Biegt man nun das Brustbein hoch stärker in die Höhe, ao gelingt 
es.-'leicht, von "der hinteren fiaoben Seite in daa Brostbetu-Sehlösselbeingcleak 
mit dem Messer ftiötndrtngen und dann das Brustbein mH der linken fl and 
gowissermasaen ans dem Gelenk heraaBznbreoheo, sobald dasselbe nur einiger- 
aussen Aagesebaittes ist. Eise Verletzung der Blutgefässe ist dabet fast nicht 
möglich, und man hat endlich nurnoch di© JH in> sternocleido • m&stoidei, Sterne* 
byoidei und sternothyreoldel abzaachneiden. Bei wirklicher, aber hur seltera, 
vorboromander Verknöcherung des Schlüssel- Brustiiöingelenkas muss auch diese» 
mH der Knochenschcr« ©der mit der Säge getrennt werden ..." 

Sfthr wichtig ist, dass das bayerisch«- KegulMtv nicht die 
.Eröffnung-'des Herzens, während es noch „in'«einem 'natürlichen. 
Zusammenhang'* 1 rieh' befindet, ab einzige Sek-ttottMQetfaod« em¬ 
pfiehlt, sondern die Hisrz»röffatmg atie.| r ; auaserhftlb deg jBriB^örhes 
gestattet, Allerdings ist ja der nailirlrebe Zttsämmealiaiß» auch 
gewahrt, wenn die Hnlsorgane mit den ■gesamten .Biuatörganen 
heransgenoninaeh werden. Zweifellos ist diese Methode bequemer, 
übersichtlicher and auch reinlicher. 

Nicht weiter beachtenswert ist, dass in dem bayerischen 
Paragraphen die einzelnen Anweisungen über die Herausnahme 
der Lungen im Wortlaut mit den preuseiachen fibei'emstimnien. 
Wichtig ist uar, daaa die Sektion des Herzens ganz detailliert 
geschildert wird. 




Bin deutsches gorichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 


659 


Der Württembergs che §. 27 hat gleichfalls die eben 
erwähnte Eröffnung des Schlüsselbein -Brustbeingelenks und der 
ersten Rippe, gibt auch noch genaue Anweisung über die Messer¬ 
führung bei Durchtrennung der Rippenanknorpel. 

. am besten in der Weise, dass man ein banchiges Skalpell, das aber 
nicht sa dick sein soll, mit der ganzen Hand fasst, den Zeigefinger über seinen 
Racken nabe an der Spitze legt, so dass sein letztes Glied anf die Brust zu 
liegen kommt, und dass man dann von der zweiten Rippe an abwärts die 
Knorp 1 mit wiegendem Schnitte durchtrennt. Hierbei ist darauf zu achten, 
ob nicht während des Durchschneidens der Brnstwand Loft ans der Brusthöhle 
dringt (Pneumothorax). 

Für das Herz ist „bei allen plötzlichen Todesarten darauf zu aohten, ob 
sich nicht grossere Gasblasen oder kleinere (Schaum) in der Herzhöhle finden, 
bei deren Beurteilung selbstredend der Fäulnisgrad in Betracht zu ziehen ist.“ 

Sehr wesentlich weicht der §. 24 von Sachsen-Weimar- 
Eisenach von den anderen Regulativen ab. Hier wird sogar 
eine andere Herzsektion gefordert. Zunächst wird verlangt, dass 

„der Grad des Zusammensinkens der Lungen unter der Wirkung des Luft¬ 
drucks“ erwähnt werde.“ 

Ferner heisst es: 

„Wo dies angezeigt erscheint, soll durch einen neben der Scheidewand 
geführten Längsschnitt jede der 4 Herzhöhlen zum Zweck der Feststellung 
des Inhalts sogleich geOffnet werden.“ 

Später kommt die Schilderung: 

„Vom Herzen ist die Grosse, der Grad der Zusammenziehung, der Fett¬ 
gehalt des Epikard anzugeben, ferner die Dicke und Farbe des Herzfleisches. 
Veränderungen des letzteren sind nach Lage, Ausdehnung und Beschaffenheit 
zu beschreiben, eintretendenfalls durch mikroskopische Untersuchung festzu- 
stellen, die Eranzgefässe, veränderte Stellen zu untersuchen. 

Das Endokard ist auf Blutaustritte und Verdickungen zu prflfen, der 
Umfang der Klappenringe anzugeben, ebenso die Beschaffenheit der Herz¬ 
klappen, 3 für den rechten, 2 fflr den linken Vorhof, je eine ffir jede Kammer 
(und ihrer Sehnenfäden). Soweit dies möglich ist, ist die Schlussfähigkeit der 
Klappen festzustellen. 

Im Inneren des Herzens ist auf Menge, Farbe und Beschaffenheit des 
flüssigen Blutes, der ausgeschiedenen Leichengerinnsel und auf das Vorhanden¬ 
sein der Thromben zu achten. 

An die Untersuchung der Lungenarterie soll sich jene des arteriellen 
Ganges, an jene der Aorta die der Halsschlagader, an jene des rechten Vorhofs 
die der Halsvenen anschliessen.“ 

Mecklenburg-Strelitz sagt in seinem §. 9: 

„Um die Brusthöhle zu eröffnen, ist es am sweokmässigsten, zunächst 
die Bippenknorpel an ihren Vereinignngsstellen mit den Rippen mit Ver¬ 
meidung von Einschnitten in die Lunge zu durchschneiden. Hierauf wird das 
Zwerchfell von den untersten Rippen -nnd -dem schwertförmigen Knorpel ge¬ 
trennt, das Brustbein nach aufwärts geschlagen und dessen Handhabe aus der 
Verbindung mit dem Schlüsselbein und den Knorpeln der ersten Rippe — mit 
sorgfältiger Vermeidung der darunter gelegenen Blutgefässe — getrennt.“ 

Baden, Mecklenburg-Schwerin, Brannschweig 
(§. 13), Anhalt (§. 16), Schwarzburg-Sondershausen 
(§. 19) stimmen mit Preussen überein. 

Ehe ich mich dahin äussere, wie ich mir die Eröffnung der 
Brusthöhle in Zukunft denke, wird es sich empfehlen, die Vor¬ 
schriften für die Eröffnung des Halses zu prüfen. Hier sagt 
zunächst der preussische §. 20: 



678 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


habe unvorsichtig gehandelt nnd verurteilte dieselbe an 
5000 Mark Schadenersats. Der Fall werde eine Warnung für die Behörden 
sein and sie veranlassen, schon in senchenfreien Zeiten Vorsichtsmassregeln sn 
treffen. Zn Gunsten der Verklagten mfisse allerdings gesagt werden, dass der 
Distriktsrat nicht haftbar gewesen wäre, wenn er gar keine Schritte unter¬ 
nommen hätte, die Pockenkranken zn isolieren nnd die Krankheit ruhig sich 
hätte weiter verbreiten lassen; schaffte er aber tatsächliche Misstände durch 
seine Anordnungen, so fehlte daifir im Gesetz jeglicher Rückhalt. 

(Interessant ist übrigens, dass in der ganzen Verhandlung von Impfung *) 
nicht die Bede ist. Ref.) _ Dr. Mayer-Simmern. 


Ueber die Dauer des Krankenhaosanfenthaltes infektiSs Er* 
krankter nnd über Heimkehrfälle (Retnrn cases). Von Dr. W. A. B o n d, 
med. off. of healtb of the Metropolitan Borongh of Holborn. Nach einem Vor¬ 
trag in der Sektion London des engl. Medizinalbeamtenvereins. Public Health; 
1908, S. 248. 

Nach einem Berichte Dr. Simpsons an die Londoner Zentralverwal- 
tnngsbehOrde für das Krankenhanswesen *) ist die Häufigkeit der „Return cases", 
jener Fälle von Infektionskrankheiten, die nach der Entlassung eines infektiös 
Erkrankten aus dem KrankenhauBe in seinem früheren Heim auftreten, durch 
langem Aufenthalte im Krankenhause nicht zn vermeiden. 

Auf diesen Bericht lässt sich bereits die Tatsache zurückführen, dass 
die von dem Metropolitan Asylnms Board verwalteten Krankenhäuser bei jährlich 
10—13000 Fällen den dorcüschnittlichen Krankenhausaufenthalt von 1899 bis 
1901 von 74 auf 66 Tage im einzelnen Falle herabgesetzt haben. Wesentlich 
geringer ist die Däner des Krankenhansaufenthaltes in Leicester, wo Dr. Mil¬ 
iar d die Kranken nnr durchschnittlich 35 Tage zurückhielt 

Der Autor selbst hält eine frühe Entlassung für wünschenswert. Die 
späte Abschuppung bei: Scharlach sei nicht infektiös; die Kranken, die in 
sonstiger Hinsicht zur Entlassung passend scheinen, brauchen nicht zurückbe* 
halten werden, bis die Desquamation vollendet ist. Als Hanptqnelle der 
Infektion auch in den späteren Stadien von Diphtherie und Soharlach ist 
der Mund* und besonders der Tonsillenschleim anzusehen. Um mög¬ 
lichst viele Isolierräume zu haben, die es ermöglichen, Scharlachkranke mit 
Diphtherie von den übrigen Scharlachkranken oder Diphtheriekranken zn 
trennen, dürfen die einzelnen Räume recht klein sein. Es handelt sich beson¬ 
ders darum, Hospitalinfektionen zu verhüten. Rekonvaleszenten müssen von 
frischen Fällen wenigstens eine ganze Woche vor der Entlassung getrennt 
bleiben. Diagnostische Irrtümer in Bezug auf die ins Krankenhaus eingelieferten 
Kranken sollten den Medizinalbeamten von den dirigierenden Aerzten möglichst 
jedesmal mitgeteilt, und es sollten diese Kranken selbst rasch entlassen werden. 
Auch die Anzeige von dem Entlassungstermine sollte in jedem Falle an den 
Medizinalbeamten gelangen; dieselbe sollte bei Komplikationen in Ohr oder 
Nase auch hierüber Einzelheiten enthalten. 

Bei der Entlassung der Kinder sind den Angehörigen gedruckte War- 
nnngs- and Belehrungsformulare mitzugeben. 

Von einem Zusammenarbeiten zwischen MedizinalbehOrden, dem ärztlichen 
Stande und dem Publikum einerseits, der Zentralinstanz für das Krankenhans- 
wesen anderseits erhofft Verfasser ein 8eltenerwerden der „Return cases* 
bei gleichzeitiger Verringerung der Dauer der Krankenhaus- 
anfenthaltes. Er erinnert daran, dass auch in Amerika und in Deutsch¬ 
land diese Dauer eine kürzere, als in London, ist und erwähnt, dass von den 
zu Hause behandelten Fällen 57,4 °/ 0 , von den im Krankenhause behandelten 
Fällen von Scharlach 8,8 °/ 0 weniger als 6 Wochen isoliert wurden. 

Dr. Mayer-Simmern. 


Znr Kenntnis der Arteigenheit der verschiedenen EiweisskOrper 
der Milch. Von Arthur Schlossmann und Ernst Moro. Münchener med. 
Wochenschrift; 1903, Nr. 14. 


*) Vergl. diese Zeitschrift; 1898, S. 528 nnd 681 nnd 1902, 8. 286. 
*) Vergl. das Referat Zeitsohr. f. Medizinalbeamte; 1901, 8. 649. 



Bia deutsche« geriahtsäntUchas Leichenöffnung« verfahren. 661 

duck Aufachneidcn dar. letzterem ermittelt werden. Näohetdem did KtU« 
köpf . . . .* 

Die Sektion der Halsorgane wird wie in Bayern eingehend 
geschildert mit der einzigen Abweichung: 

,. . . wobei dieselben durch Zug an der Zunge nach vorn gesogen 
werden. Der Zusammenhang mH den Organen der Brusthöhle kann hierbei 
erhalten werden, so dass die Halsorgane gemeinschaftlich mit den Brustorganen 
herausgenommen werden.* 

Württemberg. §. 25 weicht im Wortlaut und Inhalt so 
beträchtlich ab, dass ich ihn wörtlich wiedergebe: 

«Zuerst wird der Kopfnieker tob Brust und Schlüsselbein abgelöst. In 
den Füllen, in welchen ein abgekürstes Verfahren hei der Untersuchung, der’ 
inneren Organe sulüssig ist, wie bei den meisten poliseilichen Sektionen, kann 
der Kehlkopf und die Luftröhre von vorn geöffnet werden, um das Verhalten 
ihrer Oberfläche und ihres Inhaltes au ermitteln, — sonst, namentlich aber bei 
Vertetsungen oder wenn man Fremdkörper oder sonst wiohtige Veränderungen 
im Kehlkopf oder der Luftröhre vermutet, wird die Eröffnung derselben später 
nach Loslösung und Untersuchung der übrigen Teile des Halses yon hinten 
her yorgenommen. 

Von Wert ist es, durch Druck auf das Brustbein die etwa in den tieferen 
Teilen der Luftröhre enthaltenen Flüssigkeiten aufsteigend su machen. — 
Sind Verletsungen am Halse vorhanden, oder vermutet man andere wichtige 
Veränderungen, so werden . . . vom Ende des Längsschnittes ausgehend» am 
unteren Bande des Unterkiefers bis su seinen Winkeln verlaufende Schnitte 
geführt und die Haut der gansen Vorderfläche losgelöst 

Der Füllung der grossen Venen des Halses, der Beschaffenheit des Blutes 
in denselben, dem Verhalten ihrer Wände, sowie der inneren und äusseren 
Oberfläche der Karotiden und der Nerrenstämme ist gleichfalls Aufmerksamkeit 
su schenken. Besonders wichtig ist es hier, Leichenerscheinungen nicht mit 
solohen zu verwechseln, welche erst nach dem Tode entstanden sind, wie s. B. 
Einrisse in den Karotiaeu unterhalb ihrer Teilungsstelle bei Erhängten, welche 
auch bei solchen Vorkommen, welche erat nach dem Tode aufgehttngt wurden; 

Nun werden die Weichteile hinter dem Unterkiefer durch tiefe Schnitte 
vom. Knochen losgelOst, die Zunge mit einem Haken angezogen, das Gaumensegel 
von dem Bande des harten Gaumens weggeschnitten, die hintere Wand des 
Sehlandes durchschnitten, Kehlkopf, Speiseröhre und LuftTOhre von der Wirbel¬ 
säule abgetrennt, mit dem an der Zunge liegenden Haken hervorgesogen und 
dann sämtUohe Teile mit Einschluss der Schilddrüse, der Mandeln, der Speiohel- 
und der Lymphdrüsen, sowie der Muskeln und der vorderen Fläche der Hals¬ 
wirbel untersucht. 

Wenn nicht besondeoe Gründe vorliegen, so werden diese Teile an ihrem 
unteren Ende vorerst nicht abgeschnitten, um sie später im Zusammenhang • 
mit dem Magen oder der Lunge herausnehmen su können.* 

Sachsen-Weimar-Eisenach. §. 24, Abs. 10: 

.Die Herausnahme der Halsorgane soll deren Untersuchung in natür¬ 
licher Lage in allen Fällen vorhergehen, in welchen eine Verletzung voiiiegt 
oder angenommen werden kann. In der Begel wird deren Herausnahme mit 
jener des Mnndbodene, des weichen Gaumens, des Herzens und der im Mittel¬ 
feld enthaltenen Teile zu verbinden sein.* 

Wie diese Uebersicht erkennen lehrt, bestehen die Ab¬ 
weichungen der Regulative über die Sektion des Halses darin, 
dass der Zeitpunkt der Halssektion, ob vor oder nach der Sektion 
der Brusthöhle, bestimmt oder dem Ermessen des Obduzenten 
überlassen wird, dass ferner Wahlfreiheit darüber besteht, ob die 
Halsorgane in Zusammenhang mit den Brustorganen herausge¬ 
nommen werden, dass drittens der Zeitpunkt für die Prüfung der 
grossen Halsgefftsse verschieden festgestellt wird, dass schliesslich 



680 Besprechungen. 

bisher, nnr dass das intrauterine Operieren, welches das prenssische Lehrbuch 
noeh lehrt, fortfällt. 

2. Es soll keine sweite Art Hebammen unter irgend welcher Bezdch- 
nung geschaffen werden. 

3. Frei praktizierende Hebammen neben den angestellten sind auch 
ferner zuzulassen. 

5. Die Pflege der Wöchnerinnen ist womöglich der Hebamme abzu- 
nehmen; die Pflege erkrankter Wöchnerinnen unbedingt. Im Falle der Er¬ 
krankung der Wöchnerin ist die Hebamme zu desinfizieren; darüber hinaus 
keine Karenzzeit. 

6. Es ist Anordnung zu treffen, dass Geburten ohne Hinzuziehung einer 
Hebamme prinzipiell nicht stattflnden sollen. 

7. Alljährlich Revision der Tagebüoher und Instrumente der (aller) 
Hebammen mit kurzem Examen. 

8. Obligatorische Nachkurse mindestens alle 6 Jahre auf mehrere Wochen 
für jede Hebamme. 

9. Krankenversicherung. Invalidenversicherung. Altersversorgung. 

10. Nenn Monate Unterricht genügt für Ausbildung der Hebammen. 

11. Stationäre Frauenklinik, geburtshilfliche Poliklinik sind womöglich 
mit jeder Hebammenschule zu verbinden. 

12. Universitäts-Frauenkliniken sollen das Recht haben, Hebammen im 
9 monatlichen Kursus anszubilden. 

13. Unterricht mit Examen für alle Schülerinnen, auch die hoher vor¬ 
gebildeten, gemeinsam und gleich. 

14. Für Methode des Unterrichts breiter Spielraum dem Direktor der Schule. 

15. Wegfall der Präsentation der Schülerinnen von seiten der Gemeinden. 

Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rh. 


Besprechungen. 

Prof. Dr. B. Robert, Direktor des Instituts für Pharmakologie und pbysio" 
logische Chemie zu Rostock: Compendium der praktischen Toxlko* 
logie zam Gebrauche für Aerzte, Studierende und Medizinal* 
beamte. Vierte Auflage. Mit 38 Tabellen. Stuttgart 1903. Verlag von 
Ferdinand Enke. Gr. 8°, 206 Seiten. Preis: 5 Mark. 

Von der fleissigen Feder des wohlbekannten Verfassers rührt dieses 
Oompendinm her, welchem das Motto vorgesetzt ist: „Man muss dem Medi¬ 
ziner die Toxikologie mundgerecht machen; dann wird sie aufhören, ihm fremd 
zu sein“, und welches nach des Verfassers Angabe seine Aufgabe erfüllt hat, 
wenn es von solchen Aerzten und Studierenden mit Vorteil benutzt wird, 
welche auf die Toxikologie weder viel Zeit, noch viel Geld zu verwenden im 
stände sind. 

Und sicher ist gerade die kompendiOse, handliche Form nicht der kleinste 
Vorzug des Werkes, welches Uebersetzungen ins Dänische, Italienische, Russi¬ 
sche, Ungarische und Englische erlebt hat. 

Das Buch zerfällt in eine allgemeine und eine spezielle Toxikologie, 
während ein Anhang eine Uebersicht toxikologisch interessanter Stoffwechsel- 
Produkte, eine Uebersicht toxikologisch interessanter Pflanzenfamilien, eine 
Uebersicht wichtiger Klassen und Gattungen der Invertebraten und eine Ueber- 
sicht wichtiger Reaktionen bringt. 

Auch dem Anhänge sind eine Anzahl von Tabellen beigegeben, welohe 
im Hauptteile zur sohndien Orientierung beitragen, da sie „auf den ersten 
Blick die Aehnliohkeiten und Unterschiede zusammengehöriger Gifte er¬ 
kennen lassen". 

Dem überaus praktischen, lesenswerten und wohl ausgestatteten Buohe 
werden, wie bisher, die Leser nicht fehlen. Dr. Hoff mann-Berlin. 


Dr. Walther Frleboer: Beiträge nur Kenntnis der Guajokpräpa- 
rate. Von der mediz. Fakultät der Landeiuniversität Rostock gekrönte 
Preisschrift. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. R. Kobcrt. Mit 10 in den 



Besprechungen. 


681 


Text gedruckten Abbildungen. Stuttgart 1908. Verlag ton Ferdinand 
Bake. Gr. 8®, 119 Seiten. Preis: 4 Mark. 

Im Vorworte weist Kobert daran! hin, was für ein Interesse die Syphi- 
lldologen an dem Thema haben müssen, nnd Frieboer sohildert in seinem 
amten Kapitel in sehr ansprechender Welse die Gnajakmedisin als Panasen 
gegen die „Fransosenkrankheit* ans dem Anfang des 16. Jahrhunderts. 

Es folgt dann die Beschreibung des Gnajakholzes, seiner chemischen Be- 
standteile, die Gesehiehte des Saponins, die Methoden snr Gewinnung von 
Baponlnsnbstansen nnd ein Verseiehnis der Saponin enthaltenden Pflannen. 
Weiterhin sohliessen sich an eine Reihe chemischer Untersuchungen nnd An»* 
IjBen, sowie die Versnobe Uber die physiologisch-toxikologische Wirkungen der 
Gnajaksaponinsftnre nnd des neutralen Guajaksaponins. Nachdem noch Unter¬ 
suchungen an! 8aponin und Studien über die Wirkungen des Gnajakholsüles 
nnd des Guajols gemacht sind, wird eine ausführliche Zusammenstellung der 
neuesten Literatur über die therapeutische Wirkung des Guajaks gegeben. 

Den Schluss der Arbeit bilden 16 Leitsfttae, in welohe die Ergebnisse 
nasammengefasBt sind. 

Die interessante nnd flelssige Arbeit ist glatt nnd messend geschrieben, 
ihre Ausstattung — besonders auch hinsichtiioh der Bilder — ist eine recht gute. 

Dr. Hoffmann-Berlin. 

Dr. Hann Knrella: Zareohzmngef&higkeit nnd BIrizninalanth.ro- 
pologla. Halle a. S. 1903. Verlag von Gebaner-Schwetschke. 
Gr. 8°; 123 S. Preis: 3 M. 

Die vorliegende Schrift hat der auf diesem Gebiet sehr bekannte Autor 
dasu bestimmt, das gebildete Publikum mit den schwierigen Fragen bekannt 
xn machen, die als Grennprobleme der Lehre von der Zurechnung beseichnet 
werden können. Die Frage nach der forensischen Beurteilung Schwachsinniger 
hat er dabei aus guten Gründen ausgeschlossen. Es werden im übrigen die¬ 
jenigen Zustünde behandelt, Welche die Zurechnungsfähigkeit aussohliessen 
können, ohne doch su den Erscheinungen derjenigen Bewusstlosigkeit oder der- 

E iigen krankhaften Störungen der Geistestätigkeit su gehören, welche nach 
61 Str. G. B. die Straffähigkeit aussohliessen. Dies sind die Anomalien des 
schleohtsgefUhls (Päderastie, Sadismus usw.), die Trübungen und Verände¬ 
rungen des Stumpfsinns bei impulsiven und unbewussten Handlungen und die 
Störungen des Gedächtnisses, sowie die unter dem Namen der Entartunge- 
sustände zns&mmengefassten Krankheitsbilder. Hierauf kommt der Verfasser 
auf die Kriminalanthropologle im allgemeinen zu sprechen, streift kurz ihre 
Geschichte und erörtert auf Grund seines Materials schlesischer Zuchthaus- 
insassen eine Reihe interessanter und strittiger Punkte. Eine kurze Darstellung 
der praktischen Folgerungen, die sich für Strafrecht, Strafvollzug und Sozial¬ 
politik ergeben, macht den Schluss der interessanten Schrift. 

_ Dr. Lewald-Obernigk. 

Dr. B. Farnsteiner, Dr. F. Buttenberg und Dr. O. Korn, Chemiker am 
hygienischen Institut in Hamburg: Leitfaden für die chemische Unter¬ 
suchung von Abwasser. Aus dem staatlichen hygienischen Institut zu 
Hamburg. München 1902. Verlag von R. Oldenbourg. Gr.8», 165 S. 
Preis: 3 Mark. 

Die Verfasser dieser Abhandlung haben sich das dankenswerte Ziel ge¬ 
steckt, gestützt auf die im Hamburger hygienischen Institute gesammelten 
Erfahrungen, aus der Unsumme der Methoden nnd Reaktionen für die Unter¬ 
suchung von Trink- nnd Abwasser die zuverlässigsten Verfahren anssnwählen, 
dieselben eingehender zu erläutern und in verständlicher Form zusammenzu¬ 
fassen. Sie haben bei dieser Sichtung es gut verstanden, auch dem Neuling 
auf diesem Gebiete wertvolle Fingerzeige zu geben, so dass es dem Lernenden 
nteht schwer fallen wird, an der Hand dieses Buches sich in die fragliche 
Materie einsuarbeiten. Berücksichtigt wurden in erster Linie die Unter¬ 
suchungen städtischer Abwässer, sodanu auch die Analysierung der in vielen 
Orten in reichliches, leider uuvermeidlichen Mengen produzierten Abwässer 
aus industriellen Anlagen. 

Verfasser weisen zunächst anf die Bedeutung der Abwässeruntersuchnsg 
hin und reden mit Recht einer saehgemässen Berücksichtigung der örtlichen 



682 


Tagesnachrichten. 


Verhältnisse das Wort, indem eie die Notwendigkeit einer Besichtigung an Ort 
nnd Stelle zwecks Begutachtung eines Betriebes in erster Linie betonen. 
Weiterhin ist die Zeit der Probeentnahme von Wichtigkeit, da die Kanäle 
nicht zu jeder Tageszeit gleiche Mengen Schmutzstoffe enthalten. Man hat 
deshalb zu verschiedenen Zeiten Proben zu entnehmen oder aber sich eine 
Durchschnittsprobe herzustellen, welch’ letzteres wohl als das praktischere er¬ 
scheinen dürfte. 

Verfasser gehen sodann zu der Beschreibung der eigentlichen Wasser- 
Untersuchung über. Wenngleich sie sich hierbei ihrer Aufgabe, die Methodik 
der einzelnen Untersuchungen „in kurzer, aber auch dem Fernstehenden ver¬ 
ständlicher Form“ wiederzugeben, im allgemeinen trefflich entledigt haben, so 
kann anderseits doch nicht verschwiegen werden, dass infolge der gedrängten 
Uebersicht die gebräuchlichsten und am leichtesten ausführbaren Methoden 
meist allzuwenig im Verhältnis zu andern, wenigstens nicht genügend hervor¬ 
gehoben worden sind. 

Bei der gesonderten Besprechung der Untersuchung von Schlammproben 
sind wertvolle Anhaltspunkte gegeben für eine eventuelle landwirtschaftliche 
Ausnützung des Schlammes, z. B. als Düngermittel. 

Schliesslich wird die Herstellung der zur chemischen Wasseruntersuchnng 
notwendigen Beagentien und Lösungen zusammenhängend in einem besonderen 
Kapitel besprochen, desgleichen noch die Fragen nach dem Qrade der Verun¬ 
reinigungen von Wässern und ihren Gefahren. 

Als Leitfaden für die chemische Untersuchung von Abwässern kann das 
vorliegende Buch wärmstens empfohlen werden. Dr. Engels-Posen. 


Dr. A. Deutsoh und Dr. O. Feistmantel : Die Impfstoffe und Sera. 
Grundriss der ätiologischen Prophylaxe und Therapie der In¬ 
fektionskrankheiten. Leipzig 1903. Verlag von G. T hie me. 

Dieses vorzügliche Buch, eine Fundgrube des Wissenswertesten aus den 
Gebieten der Impfstoffe und Sera, sollte in der Bibliothek eines Kreisarztes 
nicht fehlen. 

Der allgemeine Teil bietet in den Kapiteln: „Festigung gegen Gifte, 
gegen Bakterien und Bakterienvirulenz allgemeine Bemerkungen über das 
Zustandekommen des Impfschutzes und über die Bedeutung der Schutzimpfung, 
antitoxisohe Sera, bakterienfeindliche Sera, die Phagozytose, allgemeine 
Bemerkungen über die Serumtherapie, allgemeines über Zustandekommen der 
Immunität, über Antikörper oder Immunsubstanzen, Haemolysine und Haem- 
agglutinine, Cytotoxine und Praozipitine“ eine Wissensquelle, die erstaunlich ist. 

Als ein besonderer Vorzug des Buches muss ferner hervorgehoben werden, 
dass die Verfasser nicht nur die Ansichten der deutschen Schulen zur Geltung 
kommen lassen, sondern vor allem auch der französischen Schule durchaus 
gerecht werden. Sie halten, und nach des Beferenten Ueberzeugung mit Becht, 
die zur Zeit bestehende Neigung, die Vernichtung der in die lebenden Orga¬ 
nismen dringenden Keime nur den Antikörpern zuzuschreiben, für ungerecht¬ 
fertigt. Hierbei fällt vielmehr dem Tierkörper eine aktive Bolle zu, indem er 
gegen die bakteriellen Leukotoxine Antileukotoxine bildet. 

Der zweite spezielle Teil des Werkes wird vorzüglich dem Praktiker 
willkommen sein. Er findet darin eine ganz erstaunliche Menge von Tatsachen, 
eine Fülle wissenschaftlicher Anregungen, die ihn erfreuen werden, und die 
er fruchtbringend verwerten kann. 

Dr. Wolfgang Weichardt-Berlin. 


Tagesnachrichten. 

Die fortgesetzt von der Typhusgefahr bedrohten Gesundheitsverhält¬ 
nisse der Stadt Metz haben vor wenigen Tagen Se. Majestät den Kaiser 
zum Einschreiten und Absendnng folgenden Telegramms an den Statthalter 
Fürsten Hohenlohe-Langenburg veranlasst: „Wiederum wie in den letzten 
Jahren ist in Metz, vorläufig in der Zivilbevölkerung, eine Typhusepidemie 
ausgebrochen, welche die Garnison ernstlich gefährden kann. Sie hat ihren 
Ursprung in der schlecht verwahrten „Bouillon-Quelle“ nnd ihrer in unerhörtem 
Zustande befindlichen Leitung. Diese Sachlage ist lediglich Schuld der Stadt- 



Tagesnachrichten. 


683 


Verwaltung Mets, welche absolut nicht zu energischem Handeln bezüglich ihrer 
Wasserversorgung sich entsehliessen kann. Laut Meldung der Kommission, welche 
im Vorjahre die sanitären Verhältnisse in Metz und Umgegend untersuchte — 
darunter Exsellens v. Leuthold und Koch — sind die Zostände geradeso 
himmelschreiend und empörend; trotz allen Drängens und Protestierens des 
Generalkommandos des 16. Armeekorps, welches andauernd auf die schwere 
Gefahr für das Militär hingewiesen und das Wasser als unbrauchbar beseichnete, 
hat die Stadt nichts Ernstes getan 1 Das ist nun nicht länger angängig; 
Im Kriegsfälle würden diese Zustände eine Katastrophe unvermeidlich zur 
Folge haben. Ich ersuche Ew. Darchlauoht umgehend mit den allerschärfsten 
Mitteln den Zuständen ein Ende zu machen und die Stadt zu ihrer Pflicht zu 
zwingen." Inzwischen hat die Stadtverwaltung, die übrigens eine Verseuchung 
der Bouillon -Quelle und das Vorhandensein von Typhus in Metz bestreitet, 
bereits energisch die Sanierungsarbeiten und Neufassung der Quelle in An¬ 
griff genommen, so dass auch die während dieser Arbeiten eingetretene 
Wassersnot demnächst als beseitigt angesehen werden kann. 

Neues Irrengesetz. Nach der „Nationallib. Korr." wird dem Beiohs- 
tag in der nächsten Gesetsgebungsperiode ein Entwurf vorgelegt werden, 
welcher die Grundsätze über Aufnahme und Aufenthaltsverhältnisse 
von Geisteskranken in Irrenanstalten, sowie die Entlassung aus 
denselben reichsgesetzlich regeln soll. 


Nach der „Neuen polit. Korrespondenz" soll Düsseldorf die erste 
Akademie fdr praktische Medizin erhalten und zwar in Verbindung mit dem 
neu anzulegenden städtischen Krankenhause. Weitere Akademien sind für Frank¬ 
furt a./M., Breslau, Magdeburg oder Halle und in Berlin in Aussicht genommen. 


Eine ganz aussergewühnliche Auszeichnung ist anlässlich der An¬ 
wesenheit Sr. Majestät in der Provinz Hessen-Nassau, dem Direktor des 
hygienischen Instituts in Marburg, H. Prof. Dr. v. Behring durch Verleihung 
des Charakters als Wirklicher Geheimer Bat mit dem Titel Exzellenz 
zu Teil geworden. Bisher haben Mediziner nur ganz vereinzelt diese höchste 
Auszeichnung erhalten, und dann sind es, soweit uns bekannt, nur stets 
Chirurgen gewesen; diesmal ist sie zum ersten Male einem Hygieniker, 
dem berühmten Entdecker des Diphtherie und- Tetanusheilserum, ob seiner 
hervorragenden Verdienste auf hygienischem und bakteriologischem Gebiete 
verliehen und zwar in einem früheren Lebensalter, als dies sonst, insbesondere 
Aerzten gegenüber, der Fall gewesen ist. Die Verdienste v. Behrings 
haben damit eine Anerkennung erfahren, durch welche die ganze medizinische 
Wissenschaft geehrt wird, und zu der wir ihm deshalb um so freudiger unsere 
herzlichsten Glückwünsche darbringent 


Am 27. AugUBt d. J. hat sich der frühere Verein Braunschweigischer 
Physid unter den Namen Verein der Medizinalbeamten des Herzogtums 
Braunschweig neu konstituiert und zu seinem Vorsitzenden den Physikus 
Sanitätsrat Dr. Cr eite in SchOningen, sowie zu dessen Stellvertreter und 
Kassenführer den Physikus Dr. Müller in Braunschweig gewählt. In der 
betreffenden Sitzung gelangten zur Beratung: 

I. Satzungen des wiedergegründeten Vereins; 

K. Entwurf einer vom Herzoglichen Landes-Medizinal-Kollegium her- 
auszugebenden Dienstanweisung für die Physid. 

Wir können die Bildung dieses neuen Landesvereins der Medizinal¬ 
beamten nur mit Freuden begrüssenl 


Der internationale Kongress für Volkshygiene in Brüssel vom 
2.—8. d. M. hat unter grosser Beteiligung aus den beteiligten Kreisen, speziell 
auch aus Deutschland, einen glänzenden Verlauf genommen. In der Sitzung 
vom 8. September gelangte u. a. die Wurmkrankheit der Gruben¬ 
arbeiter zur Erörterung, die zur Annahme des Antrages führte, dass sich 
die Grubenarbeiter angesichts der Gefahr dieser Krankheit einer ärztlichen 
Untersuchung zu unterziehen haben, und dass eventuell die Anzeigepflioht ein¬ 
geführt werde. Die durch] die Untersuchung entstehenden Kosten hätten die 



684 


Tageszaehrlohteo. 


Gemeinden zu tragen, wie die» auch ia England der fall »ei. —« Aa den« 
selben Tage beriet die 6. Sektion ln einer siebenstüadigen Sltaoag Iber die 
Bekämpfung der Tuberkulose. Berichterstatter ftr die Beratung»- 
gegenstände waren: Brouardel-Paris, Faber-Eopeahagea, Pana wita- 
Beriin and andere. Die deatsche Heilstättenbewegung fand hOohate An¬ 
erkennung, namentlich seitens Broaardels, der die Heilstfttten als wieh- 
ttgste therapeutische and wesentlichst prophylaktische Waffe beaeichaete. 
Eine ia diesem Sinne abgefasste Sehlassreselnticn gelangte einstimmig aar 
Annahme. 

In der Sltanng derselben Abteilang am 6. d. M. fand eine lebhafte 
Debatte tber die Frage der Uebertragang der Tiertaberkalose aaf 
den Menschen statt, aa deren Sehlass mit grosser Mehrheit ein Kompromiss¬ 
en trag angenommen werde, dahin laatend: die Taberkaloae sei swar speziell 
tibertragbar non Menschen aaf den Menschen, nichtsdestoweniger liege beim 
gegenwärtigen Stande der Forschnng Anlass vor, auch hygienische Massnahmen 
zur Verhinderung der Uebertragang von Tiertaberkalose aaf den Menschen 
Torzuschreiben. 

In der Sohlasssitaung am 8. d. M. wurde Berlin als Ort itlr den 
nächsten, im Jahre 1907 stattfindenden Kongress gewlhlt. 

Im Aufträge des internationalen Komitees für Schulhygiene-Kon¬ 
gresse und des allgemeinen deutschen Vereins für Gesundheitspflege fordert 
Jetzt der Ortsausschuss des vom 4. bis 9. April 1904 in Nürnberg tagenden 
internationalen Kongresses dnreh Aufruf nur Beteiligung am Kongress aaf, sowie 
aar Anmeldung Ton Vertragen oder ron Objekten für die schalhygienisehe 
Ausstellung. 

Meldungen zur Teilnahme and Mitgliedschaft, Ankündigung ron Vor¬ 
trägen unter Bezeichnung des Themas and der Kongressabteilnng, für welche 
sie bestimmt sind, sowie Ansage ton Ausstellungsgegenständen sind sobald 
als müglich, spätestens aber bis znm 15. Dezember d. J., an dea 
Generalsekretär Hofrat Dr. Schubert- Nürnberg einzuaenden, der Mitglieds- 
beitrag tob 90 Mark dagegen an den Schatzmeister des Kongresses, Herrn 
Kaufmann Bmil Hopf, Nürnberg, Blameastrasse 17. 

Vor längerer Zeit bst die „Nationalseitung* einen Artikel über eine 
in Preossen beabsichtigte Reform des Apothekenwesens gebracht, der an¬ 
scheinend offiziösen Ursprungs gewesen ist. Danach sollen neue Konzessionen 
sowie frei werdende, bereits vorhandene Personalkonzessionen in Zukunft nicht 
mehr verschenkt, sondern nnr unter der Bedingung der Entrichtung einer 
jährlichen, von dem Reinertrag der Apotheke abhängenden Abgabe verliehen 
werden. Der Ertrag dieser Abgabe soll teils zum Ankauf veräusserlicher 
Konzessionen, die dann ebenfalls in Personalkonzessionen nmgewandelt werden 
würden, teils za besonderen, dem Apothekenstande (Pensionsfonds nsw. für nicht 




demzufolge nicht in die Staatskasse, sondern in einen besonderen, mit 
juristischer Persönlichkeit ansgestatteten Apothekenfonds fliessen. Dass die 
Regierung einen solchen Plan ernsthaft ins Auge gefasst hat, geht aus den 
Erklärungen ihres Vertreters aus der diesjährigen Hauptversammlung des 
Deutschen Apothekervereins, vor allem aber ans einem Min.-Erlass an die 
Herren Oberpräsidenten hervor, dessen Inhalt jetzt durch eine Verfügung 
des Königlichen Regierungspräsidenten in Merseburg vom 28. August 1903 an 
einen Konzessionsbewerber bekannt wird. Hiernach ist eine anderweitige 
Regelung des Apothekenkonzessionswesens beabsichtigt und zwar in der Weise, 
dass den Konzessionären eine nach den Erträgnissen des Geschäfts abgestufte, 
mehr oder minder erhebliche Botriebsabgabe aufznerlegen ist. Um diese 
Betriebsabgabe womöglich auch auf die jetzt zu erteilenden Konzessionen auszu* 
dehnen, also dem neuen Gesetze rückwirkende Kraft geben zu könuen, sollen 
die betreffenden Bewerber stets gefragt werden, ob sie gewillt sind, sich 
diesen Bedingungen zu unterwerfen. 

Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden i. W. 

J. 0. 0. Brno*, Heraof L Stieb. n. F, Seb.-L, Hofbnehdruekerel In Minden. 


Sin deutsches gerichtsftntliches Leicbenöffnungsverfabren. 


667 


Nach schwerem Krankheitsverlanfe unter dem Bilde von Sepsis, Peri¬ 
tonitis, Pneumonie, Verdacht auf subphrenischen Abszess, Endocarditis, am 
3. November 1902 Tod. 

Sektionsresultat: Eitrige Pelveoperitonitis. Ulzeröse Endocarditis der 
Mitralis. Embolische Abszesse in Milz und Nieren. Lungeninfarkt. Pleuritis 
rechts. Die Gebärmutter ist wenig vergrössert. Nach Lösungen der Ver¬ 
wachsungen im Douglas findet sich am Grunde derselben in der hinteren Wand 
des Uterus ein querverlaufender Einriss mit unregelmässigen Bändern von ca. 
l'/t cm Länge, der die Wand völlig durchsetzt. Die Schleimhaut der Gebär¬ 
mutter ist gequollen, stellenweise missfarbig. Der Ausgangspunkt der Er¬ 
krankung ist ohne Zweifel in der verhältnismässig nicht sehr ausgedehnten 
Zerreissung des Uterus zu suchen, welche mit der plastischen Operation Bicher 
in ursächlichem Zusammenhang steht. Die Analogie mit den aus der Literatur 
bekannten Fällen lehrt die grosse Gefahr von vaginalen Opera¬ 
tionen bei Betroflexio für spätere Entbindungen. 

II. Fall. 83jährige Witwe, angeblich 3 Monate schwanger; seit 7. März 
Blutungen, am 11. März ins Krankenhaus aufgenommen. Kollabiertes Aussehen, 
38,2 C., Puls 136. Icterus. Meteorismus. Peritonitis. Scheussüch stinkendes 
Blut fliesBt aus der Vagina. Leichte manuelle Ausräumung stinkender Abort- 
massen aus dem Uterus, 50proz. Alkoholausspülung. Der Zervikalkanal ballon¬ 
artig; an seiner vorderen Wand vorspringende Leiste, die dem inneren Mutter¬ 
munde zu entsprechen scheint. Bapider Verfall. Tod am 13. März. Sektions¬ 
befund der Gebärmutter: In der vorderen Wand des Cervix bemerkt man eine 
mit stark übelriechenden, missfarbigen, duokelbraungelben, schmierigen Massen 
erfüllte Höhle von 6 cm Breite, 3 cm Länge; sie reicht in der Tiefe bis an 
die hintere Blasenwand, nach oben bis zum Peritoneum der Excavatio vesico- 
uterka, welches hier mit einer ziemlich dicken Schicht von Bchmutzig gelbem 
Fibrin belegt ist. Der untere rauhe, wie zerfetzte Band der Höhle ist etwa 
2 mm vom äusseren Muttermund entfernt, ebenso der obere vom inneren Mutter¬ 
munde. Auch auf der hinteren Blaseuwand eine dünne Schicht schmierig gelb¬ 
grauer Massen. Das Gewehe des Cervix ist ausserordentlich morsch. Im Uterns 
jauchige Flüssigkeit, die Plazentarstelle mit schwarzgrauen, missfarbenen Massen 
teils locker, teils fester besetzt. In den Venen der Plazentarstelle jauchig 
schmelzende Tromben. 

III. Fall. 22 jähriges Dienstmädchen. Aufnahme am 8. März 1902, nach¬ 
dem sie am 28. Februar eine starke Blutung im 5. Schwangerschaftsmonate 
gehabt und seit 4. März Fieber und Leibschmerzen bekommen hatte. Jeden 
Tag Schüttelfrost mit Temperatur Ms 40,6°. Meteorismus. Links Pleuro¬ 
pneumonie. Parametrien druckempfindlich. Stinkender Ausfluss. Tod am 
15. März unter dem Bilde schwerer Sepsis. 

Sektionsbefund: Pyämie. Embolische Pleuropneumonie. Schwere Nieren¬ 
entzündung. Septische Milz. Thrombophlebitis. Das Beckenbindegewebe 
ödematös, die Gefässe mit eitrig schmelzenden Thromben erfüllt. In der hinteren 
Wand des Uterus wölbt sich im unteren Drittel der rechten Hälfte ein tauben¬ 
eigrosser Herd vor. Beim Einschneiden entleert sich reichlich dünnflüssiger 
Eiter; kleinere Vorwölbungen mit Eiter am Ansatz der rechten Tube. Die 
Venenplexus der rechten Seite und in der Umgebung der Harnröhre ebenfalls 
mit eitrig schmelzenden Thromben erfüllt. In der hinteren Blasenwand kleinere 
Abszesse, ein ebensolcher in der vorderen Scheidewand. An der Schleimhaut 
des. Zervikalkanals keine Verletzung, dagegen finden sich in der Gebärmutter¬ 
höhle, die mit dünnflüssigen schmierig eitrigen Massen erfüllt ist und einen 
an der Plazentarstelle fest anhaftenden, 1 mm dicken graugelben Belag hat, 
an der rechten Kante 2 cm vom inneren Muttermund entfernt, mehrere über¬ 
einander gelegene Löcher, 4,9 und 10 mm breit und ziemlich stark klaffend. 
Durch diese Oeffnungen kann man eine Sonde bequem nach aufwärts und hinten 
schieben und gelangt, dabei in die oben beschriebene, taubeneigrosse Abszess¬ 
höhle. Die Bänder dieser Oeffnungen sind dünn, nicht ganz regelmässig und 
sehen zerfetzt aus. 

Die Verletzungen waren im Fall II, wie durch das gerichtliche Ver¬ 
fahren festgestellt wurde, und ohne Zweifel auch im Falle III, mit einer Spritze 
geschehen, welcher sich die Abtreiberinnen bedienen und mit welcher sie ge¬ 
wöhnlich Wasser und Seifen Wasser zwischen Eihäute und Gebärmutter ein- 



608 Elemere lßtSvUsagos aai Betonte m Z dtwfaltw a, 

spricaea (di* Sprit» ähnelt einer gewöhnliches SOnäerkiyBtierepm»* mit 
tiUMai Images biegsames, ziealica »piw endenden Awiw au Znm). S obal d 
3 a* Sprit*« beim Einfuhren auf Widerstand stöeat, *. B. bei stark w o» oder 
Ubhedektiertaa Oterua, sackt die Abtmberin tun » überwinden ud bohrt du 
i i'rameei i» die Gebinnaitetwand eia. Es eatstebea Verleimung«, die durch 
WtÄ ierbolttBg vergröeaert and atkineicher werde». Dabei treten ra du Ge- 
tmr des Lafmibdriageas die Gefahr« der septischen Infektion hinzu. 

AehnUcb« Verlief and Augaag »eigen Pille, bei denen der Gebrauch 
la "'vörette sv Entfernung von Abortasresten tu mehr oder weniger tiefen 
V$rietaaBgen oder völliger Darehreibttng der GobärmutterwaBd führt. Sind bei 
4er Ausschabung »Ile aseptischen VorsiehüuBUsregela eingehaUen worden, so 
kann eine derartige sieht ta grosse Verietsung, ihslieh wie die Dsrehbohrong 
der iobirmntterwand mit der Sonde, reaktivnsloe verlaufen. Ist die« aber 
tttabt der Pall, so aehliesst «ich a&eh hier «Sepsis oder Pyfcmie an. 

Verfasser fahrt noch xwei solche Fülle mit kur «er Krankengeschichte 
iP (Fall LV and Pall V). Im ersten PalJe wurde durch wiederholte An* 
•*rfc& lang der Kürette die Zerstückelung des kleinen Fötus, die Onrchreihnng 
•W •iehirmauerwand and der Aastritt der Fötalteile in den Deuglss bewirkt, 
wetei zweifellos gleichzeitig eise septische Infektion stattgefanden hat. Im 
»weiten Palle (PaU V) fand sich im Fand» der Gehirns teer rin schmier 
Pistelgaog, der in« perimetriacke Gewebe fOhrte und der sweiüeUoe mit der 
Sorbite gebohrt wurde unter gleichseitiger septischer Infektion. 

Verfasser möchte die Kürette u> der Abort beb oodlimg nicht entbehren, 
fielet aller ding-< mewtene die stampfe an and gibt», dau in dea häufig 
« .aw-erigeo Verhältnis*« der Privatpraxis jeder ojmrntive Eingriff, »if« ati 
die Aassoaabang der Gebärmutter» nicht mit derselben Buhe and Sieheriwdt 
«angeführt werden bann, wie in 4er K-liöik. Dt. Waihel*Kempten. 


Geber einen forensisch interessant«»« PaU m Manie. (Bin Beitrag 
zur Erblichkeit der Psychose«?. Vce Pr. Kftlpie ta Greifswald. (An* der 
pvychiatriseh« Klinik des Prof. Waetphai). Allg. Zeitschrift L Psychiatrie•, 
8? Band, 3, Heft, 1903. 

Elin 26 jähriger Kaufmann batte nnter falschen Hamu and Titeln 
(liefsreadar, Graf) zahlreiche Zechprellereien and BetrSgereiee verübt. Du 
eaif eilende Verhalten des sonnt soliden, vollkommen arifcnriertea Krank» vor* 
«U-me den Gefäogßtaarat, eine Beobachtang desselben in der Irrenklinik 
ta beantragen. Die eingehenden Erhebungen Aber die PamiUenrnrhUtaian 
• Angeklagten ergaben, dam io der Familie des Vaters von 9 Geschwistern 
6 g-?«steokraak gewesen and dass weiterhin die Kinder von diesen ebeefalla 
groanes Teil erkrankt waren. Der Vater des Angeklagten leidet 
ail* 8 bla 4 Jahr* an BrregoegsaafiUen, in denen er bei iasserlioh aebr 
fco»si?tUwt Wesen die unsinnigsten Handlang et begeht. Der Patient salbet 
Ws- in der Anatalt deatliche Symptome einer hypntaanisohen Störung, and es 
.. oht aninteresiiant, dass Verfasser bei den meUten Gliedern der gesamten 
das Auftreten periodischer oder zirkulärer Psychosen von gleichem 
Ithkter nachwelseu konnte, während Störungen mit Uebergang in Verblödung 
ü» keinem Palle mit Sicherheit faatgektaUs wurden. Der Fall beweist übrigens 
der forentisohen Seite, w{* »Awendig in dsn meisten — oft scheinbar 
:.r klar liefernden Philea —' eins Hoger* Beobachtung und weitergeksnde 
ßrh- ittagöft in der lrr*nan*t&lc■•werden kflenep. Dr. Pollita-Münster. 

Die ela fache dement* Fon» der Dementia praeeor (Dementia 
*irv';l*x). (Bin klinischer Beitrag »nr Kenntnis der YerblMangvpaychoaen). 
V^’ir Otto Diem, vormals f. Assistensam der psychiatrische» Klinik im Burg’ 
Zürich. Archiv t Psychiatrie; 37. Bd., L R» 1903. 

Verfasser weist auf eine nicht ganz seltene Modifikation der Dementia 
ox bin, die Bich von den häufigeren bebepbrenea Farmen durch die Au¬ 
ing eine» allmählich fortschreitenden Schwachsinn* unterscheidet, während 
**i ditfe psychotische Symptom* voUknrameo fehlen. Die 19 hier mitgeleilten 
bieten in der Tat mit mehr oder weniger (*. B. Pall XIX) Deutlichkeit 
Bfld der reinen Verblödung in oder nach der Pubertät. Nicht selten 
U sich bei den bereits schwachsinnig gewordenen Kranken eine Neigung 



KJ«Laers Mitteilungen und Bef «ratai km Zeitschrift«® 


689 


xu Alkohlexsca&eu eis, die leicht dea Verdacht einer alkoholisiisaben St&raug 
»ort&necht, Data eie grosse? Teil dieser Schwachsinnigen, bei den cd die 
sittlichsa VorsteUaagen «wer Torbtedeo, aber von geringer Wirksamkeit ffir 
ihre Handlungen sind, eis Vagabonden ia Arbeitshäusern und Gefängnisses 
endet, bat bereite B.onkoelfer ia einer eingebe&dea Studie Bswbgerrjesaa. 
Nickt immer tritt die ptjdüadse Veränderung in früherem Alter aof, bei 
»uneben Krankes füllt der Beginn der Störung ia da« SO. Lebensjahr oder 
nach «pater» Dis Kranken werden unstät, willenlos, die geistige Leistungs¬ 
fähigkeit nimmt, immer mehr ab, oder aber ee tnaeben sich Charaktervet- 
änderäugen bemerkbar, wie Beusbatkeit uud ünrestrSg'lichkesc mit na verständiger 
Begehrlichkeit und steter Unsnitiedenheit mit der Lage.In der Anstalt sind 
xia meist fügsam und — besonders wenn freiere Aikoholeataeasö Wegfällen — 
ruhige, indifferente Patienten ohne jede Akimtät und ebne jede eelbstäaäige 
Regung. Stets stellt sich eine »nnebmeadt gemütliche Vcrb!“Kjtiftg «eben der 
intellektaeUec üneilsaehwäcfee eis, Dagegen bleiben die ScbnlkeontniBse, 
ebenso Gedächtnis and Merkiahigfcelt Irmge erkalten. Bin grosser Teil dieser 
Kracken stammt am psychisch kranken Familien^ in der Hälfte der Fälle 
waren die ursprünglich oo geistigen Anlagen gut. Verfaaserhetont am Schlüsse 
seiner Arbeit, dass wir ia dam Oesamtgebiet der Deme&tta praecox sehen, der 
katateoes, hefeephrenen nod paranoiden Form eine weitere als einfar.be Demsns 
m antereafeeiden haben, der die Symptome der eroteren ahgeben, während der 
itxaiiftale Schwachsinn «dien gleich lat. Münster. 

____ 

Debet die Detiniercsg »lebt entmUndigtur Geisteskranker ln 
Ixtenuanataiten, Van Dr. Löwenthal. (Vortrag, gehalten imnaohiatrisiUien 
Verein in Berlin). Allg. Zeitschrift L Psychiatrie. 80, Ed., 3. H. v i908, 

Verfasser weist in einem lehrreiches Pali« nach, da» die gmsipielle 
Entlassung Tun Keankea aas einer Irrenanstalt, deren Bnuattädigusg abgelehnt 
worden ixt, aa recht bedenklichen Koneeqaensen führen kann. Im vorliegenden 
Falle bandelt es siob um eines der Paralyse verdächtigen Qewo&nheitstrlnker, 
dessen Zustand sich wesentlich gebessert hatte, m dass er im gntmündigaogs* 
tsrais» keine sehr prägnanten Symptome von ßei.-te&at&ruug erkennen lieas, 
während er vorher Symptome von Wahn der ehelichen Untreue mit Bedrohung 
serawr Familie dar geboten hatte, die an seiner Internierung Anlass gegeben 
hatten. Der Gutachter bexetohnete ihn im fhatmtadigusvgB verfahren swar als 
aosh krank, aber so weit gebessert, da» die Veroossetsiusgen des §. 6, Abs, 1' 
4, ß. Q. E. Dicht sntr&fen Bereits 2 Monate nach seiner daraufhin erfolgten 
gaüaesaag tansate er wiederum wegen Bedrohung seiner Ehefrau in die 
Anstalt »tf rück gebracht werden, ans der dann nach kurser Zeit wate neue 
seine Kntiftasßag erfolgte. Verfasser betont,, dass eine Entmündigung wegen 
Tr Habsucht kswm «ffoigreieber gewesen wäre, da eine IrreDsnatsH eiten der¬ 
artig Entmündigten auch nicht sn definieren berechtigt sei, In der Dis¬ 
kussion wies besondere Moeli darauf bin, dass der Anstaltsarat gegenüber 
dem die EBimüBdigaug ablehnenden Beschlüsse des Amtsgerichts di« Stsate* 
aowaJtschaft sur Beschwerde veranlaeaen konnte. Zar Ddhierttng des Begriffs 
„ Besorgung der eigenen Angelegenheiten“ bemerkte M oeli, dass hierher auch 
die .richtige sozuis Haftung“ gehöre. Ein anderer Bednar empfahl, tu solchen 
Fällen-eine Vertagung: des Buttnttndigungstermines um 6 Monate sn beantragen; 
gleichseitig keea eine vorläufige Vormundschaft eingesetst werden, die die 
Rechte des De linierten xu wahren bat Dr. Polilti-Münster. 

Zur Frage der »ogea. ik®iwlJMgm> Frtu*j«*Jüre. Vw Dr. Be edelkwjf, 
(Vortrag, gehalten im psychiatrischen. Vwtd* s« Berl t»)- Aifg Zetag&rift SHt ; 
Psycbiarrie; 60. Öd,, ff, .BL, 1903. 

Dem Besitzer einer FriTatirrc!»«5?MaJt war dehma des #«&»'«! 
Präsidenten aufgegeben worden, ftr die ifer freiwillige PcBßinosäna «taifipBlp 
psycktoeb Krank«« heatimaate Räum^', srtrm »ussehÜe«tUebeb< 
reservieren, Verfasser weist an.' einismj ' Itei^piciiU nach, dass 
pmeipieüe räumliche Trennung der *«fjj$jad*uy» Aufenhmxlij&qgteii 
Krank«», di» übrigen« »ach nicht im^^ikh^jakrtAia vm S.)l Mb«* " 
gasehan ist, für die Anstalt schwer '■ yi'iüi^jhrtflhri»nr. otu« für. 
kwnmeadoB Patiencen wenig vwteUhtk ml. Dh VarteEtutg A 




mal 







670 Kltd«*®* MirteütlUgön uq< 1 Referate *ob Zeitschriften.. 

die ebenen Abteilungen muss sio'a in tratet Linie nach dem Leiden and dem 
je welligen Zustande def ietsteron richtjen and wird Bie bald in freiere Bedingungen 
uni mit weniger sdiwer Krank-» sasaunnenbrinven, bald in andere Umgebung 
Ott strengerer Uftberwachaag. Perfauatir erinnert hier *q treffend na Aikoholiaten 
Uod Morphinisten, die in »ehr sahireicUen Fallen nie freiwillige Pensionäre 
eintreten und eins anfangs sorgfältige üeberwachnsig ger« and freiwillig hin' 
nehmen. In dar Diskussion aber diesen Vortrag stellte sieb, übrigens heraus, 
dass eine solche Trammag der Irewligeu Pensionäre von den anderen 
Staaken in den meisten Pmatanataltön ainht gefordert würde. 

:0n PollHf*Münster. 

Jahresbericht des Hüfsrereins för Geisteskrank© ins Königreich 
'Stehst»* für das Jahr 1902, Erstattet von Geb. Med,-Bat Dt. Weber, 
Direktor der Seilv «ad Pflegeaastalt in Sooneaatein. 

Das Bedhriais* die nöUefdeadea Angehörigen der in den Anstalten nnti.f- 
gebrachtea Geiateakranken so uut>;r»tüUt:a and vor allem den ans der Anstalts- 
behandlang Entlassenen in eines» über den Bahnten der Bfentlichen Fürsorge 
hmunsgehendeu Umfang* Sills an bringen, ist der Häuptaweck des «eit dem 
Jahre 1900 h.t«itiB^en4^/.|^fl^tiShs : ifhf’ öeisteskrank« i& SÜnigretch Sachsen. 
Daneben hat er sich die Aoigabe gestellt. das Verständnis för die Geistes- 
krankbaiten and du ftttöresse für die uei&teAk tunken «t er wecken and au 
fördern; ausserdem »ach auf die %ileptiiiöit«n und 

Hysterischen eretreckeu. iNach dem eorliegeaden Bericht haben sieh nicht nur 
die finaasielldu VetbSÜtaissa des Vereins wfthrend des BericfcisjubreB recht 
günstig gestaltet, sondern es sind auch beachtenswerte Erfolge ereielt. 
Die Zahl <ler Mitglieder l*t fast in all«* Bewrkfru erheblich gewachsen, nicht 
weniger als 4300 Mark (2900. Mark *ou den Beairltavereinen und 1400 Mark 
von der Zantraik&sse) konnten für GelduntcrattUaangen verwendet werden. 

Bpd. 

3 ä ach verständigen titigkeit in Unfall- and Invalid! tits- 

suchen. 

EaMtebung einer primären Herxerwettor ang durch eine nage« 
wohnlich graue*. ptöt»Heti eiogetretene Maskelanstrengung bei dem 
Hobo« «law» schwären BaaiBst«iaius. A erat lichesObergnt achten, 
auf Veranlassung de« Reichs- Fernehr rans'sanuts notem 6. Mira 1902 erstattet 
von Dr. F r o b jh a n a, Oberem an der Käaigl. medizinischen üoivemt&taklinik 
in Kdatgsberg i. P, (Amtliche Nachrichten des Reichs • Veraleherougsamta; 
190c», Nr. 0.) 

Das Ergebnis der sbjektWen Untersachang macht es zweifellos, da« bei 
L. ein schwere* Herzleiden yorljejjftv In dieser Hinsicht stimmen wir mit den 
Herren Vorgauchtetn vollmliadiig ttberdin. Dagegen können wir aas ihrer Auf* 
tusnng in Besag »nt iliKJ Nui-ar dett jAffektioa bei L. nicht ss«cbiieeseo. Herr 
Dr. E. und Herr Dr. E. nehmea «iine Erkrankung der Herzklappen an, und 
awar spexietl eine Sabl'tssuüt'aUigkcU der Mitralklappe (Mitr&Jiiunffiriees). Herr 
Dr. G, spricht gleichfalls vou einem Sertkiappeofehler. wenn er auch die Müg* 
üchkttit einer akuten Hcnerweiteraag nicht für ausgeschlossen hiit. Wir 
•i.-h*at sind der Ansicht, das« eine Erkrankung der Herakisppen (Snhlassun- 
fkUtgkeK der 'Mitralklappe- mit Wahrscheinlichkeit ausutmehüease.n ist, viel¬ 
mehr eine- Erkrankung -les HersinaskrJa, nod zwar eine primfre HeruerWeite- 
m«g rerliegt. Am Herren haben wir folgende Symptome festgestellt: 1. eine 
hachgraügo Er weiteraug der ileaktumueni, und zwar besonders der linken. 
jiachwMebaf an Inr ViirgTibseraag 1er Hert-Bimpfung and der V»krelttrt«| 
de* H«r«ach*UetN im Röntge nfcilde; 2. dampfe erste systolische Herztöne, meist 
s**ä«. *•■!** *!>• ;rti4 vü w> «•;-£• »•*&* y jüdisches Hers- 

fehlt; 3. hoch-- 

f?<*5*V v &*** * WmwÄMV 4 *\ -ds-W ■&<&.'&*!&&*. Hierbei Ist du 

• • >> ' 1 ' gegenüber der 

' 'HM das wichtigste 

' ■>. “'■'••• -.-v*u, • >3x‘rr<5iVi'!i<-ii und gegen du 

i'eÄi*MfAW'#A * -* .T-a 1«« r=rr: ptomenbüde der 




Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


671 


Sshlnssnnf&higkeit der Mitralklappe — nur dieser Klappenfehler käme hier in 
Frage — gehören «war anoh Erweiterungen der Herzkammer, aber neben ihnen 
dominieren immer die systolischen Herzgeräusche, während bei den primären 
Herzerweiterungen Geräusche entweder völlig fehlen oder wenigstens ganz in 
den Hintergrund treten. Dazu kommt noch, dass der Mangel der Akzentation 
des zweiten Pulmonaltons und auch das Verhalten des Pulses gegen die An¬ 
nahme eines Herzklappenfehlers zu verwerten ist. Einen so unregelmässigen 
kleinen Puls, das Fehlen des klappenden zweiten Pnlmonaltons finden wir bei 
den primären Herzerweiterungen ganz gewöhnlich, bei einer Mitralinsuffizienz 
aber nnr dann, wenn sich die Zeichen des VersagenB der Herztätigkeit ein¬ 
stellen, besonders hochgradige Atemnot und Schwellung der Reine, Symptome, 
die bei L. völlig fehlen. Aus diesen Gründen halten wir es daher für äusserst 
wahrscheinlich, dass L. an einer primären Herzerweiterung leidet. 

Für ebenso wahrscheinlich halten wir es aber auch, dass dieses Herz¬ 
leiden bei L. als Folge des von ihm angegebenen Unfalls zu betrachten ist. 
Ungewöhnlich grosse, plötzlich eintretende Mnskelanstrengungen sind bereits 
seit längerer Zeit als relativ häufige Ursachen der primären Herzerweiterung 
bekannt. Das Herz hat in solchen Fällen eine erhebliche Mehrarbeit bei 
wesentlich vermehrtem Widerstande za leisten. Beicht seine Kraft dazu nicht 
ans, so tritt Ueberdehnnng, Herzerweiterung ein. Diese Herzerweiterungen 
können sioh entweder wieder zurüokbilden oder aber dauernde Folgeerscheinungen 
am Herzen machen. 

Eine solche plötzliche Mnskelanstrengnng hat aber L. im Oktober 1899 
leisten müssen. Ans den Akten geht hervor, dass L. in der genannten Zeit 
einen ausserordentlich schweren Baumstamm mit nur zwei anderen Arbeitern 
hat heben müssen, während er gewöhnlich die weniger schweren Baumstämme 
mit drei anderen Arbeitern zusammen getragen bat. Der Baumstamm war so 
schwer, dass der eine Arbeiter sich damals geweigert hat, beim Tragen mit¬ 
zuhelfen. L. hat also damals zweifellos eine ungewöhnlich schwere, das Mass 
seiner gewöhnlichen Arbeit übersteigende, zeitlich abgrenzbare Anstrengung 
gehabt, die sehr wohl geeignet gewesen ist, eine Herzerweiterung bei ihm 
hervorzurufen, umsomehr, als er schon vorher körperlich schwer gearbeitet 
hatte, und demgemäss die Anforderungen an die Herzarbeit bei ihm schon vor¬ 
her recht grosse gewesen waren. Dass L. damals nicht plötzlich umgesunken 
oder ohnmächtig geworden ist, kann durchaus nicht gegen den von uns ange¬ 
nommenen Zusammenhang sprechen. Denn wenn auch in den meisten Fällen 
von Ueberanstrengung des Herzens die Symptome von Anfang an recht schwere 
zu sein pflegen, so können dieselben mitunter auch zunächst viel geringfügiger 
sein und sich allmählich erst stärker ausbilden. 

Es ist nun durch das Zeugnis des Oberförsters B. festgestellt, dass L. 
bis zum Oktober 1899 ununterbrochen im HolzBchlage gearbeitet hat, nnd dass 
die Krankheitsersoheinungen sich bei ihm zeitlich an den Unfall ange¬ 
schlossen haben. 

Wir halten es daher für in höchstem Masse wahrscheinlich, dass bei L. 
das Heben des schweren Baumstamms im Oktober 1899 eine Erweiterung des 
Herzens verursacht hat, deren Folgen dauernd fortbestehen. Ob L. bis zu dem 
Tage des Unfalls ein ganz gesundes Herz gehabt hat, lässt sich natürlich nach¬ 
träglich nicht feststellen, ist aber auch für die ursächliche Vei knüpfung 
zwischen Unfall uud Herzerweiterung belanglos. Denn wenn auch sein Herz 
bereits vorher nicht mehr normal gewesen sein sollte, so hat es jedenfalls bis 
zu dem Unfälle noch so kräftig funktioniert, dass L.’s Arbeitsfähigkeit völlig 
normal gewesen ist. Durch den Unfall wäre aber erst die schwere Herzer¬ 
weiterung hervorgerufen, die bei L. die subjektiven Krankbeitserscbeinnngen 
ausgelöst hätte. Aber selbst bei der von uns zurückgewiesenen Annahme, dass 
es sich bei L. nicht um eine primäre Herzerweiterung, sondern um einen Herz- 
klappenfebier handelt, wäre der ursächliche Zusammenhang zwischen Unfall 
und Herzleiden ein äusserst wahrscheinlicher. Denn plötzliche Mntkelan- 
strengungen können, wie sicher bewiesen ist, auch zu Zerreissungen von Berz- 
klappen nnd dadurch zu Herzklappenfeblern führen. Dass eine derartige 
Klappenserreissung zunächst ohne wesentliche Störungen des Befindens ein- 
treten kann, ist ebenfalls bereits bewiesen (vergl. den bei 8tern „Ueber trau¬ 
matische Entstehung innerer Krankheiten* zitierten Fall von Burney-Yeo). 



*. .• ........ ■' X \/ ;. v V' SY«:'.' .V:,*’. ' 

H72 Kleiner* Üit teil unsren and fl?f«rate «ft» ZSeitschnlteü, 

Dar et sein Bersleideu Wt L. narbig geworden, körperlich« Arbeit, irgend 
welcher Art *u leiste», was bei seinem Bildungsgrade mit einer völligen Kr- 
w<-rbsaa?ähigkeit gieicbbeüeaiöad int. Es ist afizunehme», dw diese bereite 
»«it der visrsekntea Kraokheiwwaaho hei ihm besteht. 

Das Reichs-Yefsicherasgsamt bat anf Grond deB vorstehenden Ober- 
gatacbieaa, mit Ae© aSah abeb der Geh. Med.-Rat Prof, Br tjchtbetim ein- 
leratanden srrhiSri hatte, aßgeuom men, dass «ich der Kläger durch eint* aoaeer- 
c-r leBÜiche AftstrCflgnng bei dem Heben and Tragen eines besondere «sbwereis 
Baumstamm« eine Erkrankung des Herzmuskels, und «war eine primäre 
äenttjriveiterahg^^ hat und infolge dieses Leidens völlig «rwezbsaa- 

fähig geworden ist,. Es ist deshaih dem Kläger unter Aufhebung der Voreat* 
ocheidangen ?öli*ente vom Beginne der vierzehnten Woohe nach diesem 
als iktiriebsaniiUi angesehenen Ereignis ab sageuproehen worden. 

Lu a$Qumixüuümng infolge von Erkältung. BetriebsanfaJU euaer- 
banst, Rekbrs’Entscheid aog des Eriche-Yeraickuvangsanits 
vom &. Jnni 1903, 

öet Bergmann Johann A. hatte in der Nacht vom ■-% auf de» 3. Mär* 
IvWA attT der Grabe Löchborn bei Bieber zusammen mit einem anderen Arbeiter 
die Nachtwache. Während der Schicht, weiche von abends 6 Uhr bis morgens 
<5 Obr daaecte, versagte der in einem Gesenke eingebaute PolHator, Hierbei 
«««stand infolge der andauernden Wärmeansstrahlnng de» Dampfes eine aaessr- 
ordentlich grosse Hitze. A. warfast die ganze Nacht hindurch in anstrengender 
Arbeit bemüht, die Maschine wieder in Gang zn bringen. Diese Bein Übungen 
bv-tten xox Folg«, dass er mehrere -Stnndec Jang nicht bloss der aehr starben, 
*m der Maschine amMtt»blead*n Wärme ansgesetzi, sondern noch vollständig 
öaröhnfeat wurde. Data kam, dass sein Arbeitsplatz von starkem Wetfcerange 
berührt. worde. Schon am nächsten Tage neigten sich bei A, deutliche Sparen 
«inet Erkältung» Nach vier Tagen wurde eine Lungenentzündung festgestein 
mul ae&b sechs Tage später starb A. an dieser Krankheit. Der Sekritmsvat* 
efood hat den Anaprboh der Hinterbliebenen auf Gswährung einer Usfolirente 
»bgÖ«iict ( w*iI eie Unfall im Sinne des ünf.^YerÄ -Gea. aicht voeHsge. Jfte 
S-.aiBdsg«rioht Arabbtete jedoah als erwiesen, dass dl« Lüageaemzttndsng die 
namiVtelbare Folge eines bestimmten Betriebsereignisses gewesen 8«i and be- 
w Üligt* die gesetzlichen Uafallrenten. Bas Reichst eraiehei ungssuat schloss sich 
dieser Ansicht an und wies den Rekurs mit folgender Begründung zurück*. 

Unter den obwaltenden Umständen kann nicht angenommen werden, dass 
*3 sich um ein darob die andanerode und regelmässige Arbeit im feuchten 
Bergwerk aüaiähliöb entstandenes Leiden handelt. Vielmehr liegt eine tu zeit- 
ücäer Entwickelung geaaa begrenzte and mit dem Betriebe im engsten 25a» 
Käutmenbasjc« stehende Körper schädig an g vor, die mit einer Beiriebartöfong; 
ur«ächhoh «flsaffiitteohlflgt and die'den Tod des Verstorbenen unmittelbar Var* 
macht hat and bei einer eiazelneo, bestimmten, innerhalb einer Schicht ans- 
geführte» Arbeit, also ia diesem Sinne pldtbüch entatauden ist. Hiermit ist 
Begriff des BetriebsOBfoli» gegeben. 

UrsAchUcher Zusammenhang AwUwhen Tod nnd Unfall. Urteil 
4v# RefcbsgerUbis (VJX Z.-S.Lvom &. Btjaember 1902. 

Der erkennende Senat hkt he*«iis in Wiede , rbol.teB, gleich liegende Fälle 
v:f.re8eotien Entscheid tagen ausgesprochen,' das* es rechtlich bedenkfrei ms, 
ßinen Unfall als >i|rekte and äaedcbliössUch« Ursache des Todes nach Maasgabi* 
4w VersiAberftagsbcdiagattge« anob daan zu bcxeichueDi Wenn eine gewisse 
S /ipfiogUcbkeiv des Körper« für die BscbleiUgen Einwirkungen der Vaxletmwg 
»orbwrleu gewesen «fi, wenn also möglicher'Weiae hei anderer körperlicher 
i:haffenk«H des BeecbAdigten der Unfall ganstiger Verianfen wäre. Auch 
i« solcbvn Fäil'en lä«5 sieb sagen, dass der Tod lediglich die Folge des Oofalis 
and dass die Vsr»foh«rttag eicht d%dtireh aasgcschjwsen werde, däas im 
2<:i»«tfalle dar Verstchemegsnehmer zieh gegenüber Cofällett m geringerem 
r-rade widorvtandsf&hlg «elgt. 3o verhält cs *4cb offenbar f» d«r gege-owärtigsn 
-«che. D*r Bvmfocgsriefcier will sage», dass der Blntcrgnaj allein den tiMt- 
i)ohaa Ausgang verashuwt haha, obsebon er einen dar BlntvergUtong günstigen 





Kleinere Mitteilungen und Befente ans Zeitschriften. 678 

Nährboden in dem sonstigen Zustande des Fnsses des Verletzten vorge- 
funden habe. _ 

Bertteksichtignng des bisherigen Berufs bei Beurteilung des 
Grades der Erwerbsunfähigkeit eines Verletzten. Bekurs-Ent- 
seheidnng des Beichs-VeiSicherungsamts vom 27.Februar 1903. 

Es entspricht allerdings dem Sinne der Unf&llversicherungsgesetze und 
der Praxis des Beichs- Versicherungsamts, bei der Beurteilung des Masses der 
durch den Unfall herbeigeführten Erwerbsunfähigkeit nicht die Berufsinvalidität, 
das heisst die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit in dem bisherigen Be¬ 
rufe, sondern die nach dem ganzen geistigen und körperlichen Zustand einge¬ 
tretene Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit auf dem gesamten Gebiete des 
wirtschaftlichen Lebens als massgebend anzusehen. Aber dabei ist doch fest- 
zuhalten und auch stets festgehalten worden, dass unbillige Härten zu ver¬ 
meiden sind, dass namentlich auf die Ausbildung und die bisherige Berufs- 
Stellung angemessene Bficksicht zu nehmen ist, und dass deshalb nicht ohne 
Bücksicht hierauf dem verletzten Arbeiter ein Berufswechsel unter allen Um¬ 
ständen zugemutet werden darf, sobald dadurch die Möglichkeit der Erzielung 
eines höheren Verdienstes als bei der bisherigen Berufsarbeit anzunehmen ist. 
Auch auf dem Gebiete der Invalidenversicherung genügt die Berufsinvalidität 
nicht als Voraussetzung für den Bentenanspruch, aber sowohl das Invaliditäts¬ 
und Altersversicherungsgesetz vom 22. Juni 1889, als noch eingehender das 
Invalidenversicherungsgesetz vom 13. Juli 1899, §. 5, Abs. 4 haben doch Härten 
vermieden, letzteres insbesondere durch die ausdrückliche Anordnung der Bück- 
sichtnahme auf die Ausbildung und den bisherigen Beruf des Versicherten. 
Wenn auch die Begriffsbestimmungen der Invalidität im Sinne dieser Gesetze 
nicht ohne weiteres auf das Gebiet der Unfallversicherung übertragen werden 
können, so ist doch in dieser Bücksichtnahme auf den bisherigen Beruf und 
Vermeidung unbilliger Härten ein Gedanke zu erblicken, der dem Gebiete der 
Unfall- und der Invalidenversicherung gemein ist. Unvereinbar mit diesem 
Gedanken und eine unbillige Härte aber wäre es, wenn einem Arbeiter, der in 
einem bestimmten Beruf ausgebildet ist und bisher tätig war, im Falle einer 
Verletzung, durch welche er in dieser bisherigen Berufstätigkeit in geringerem 
Masse behindert ist, zugemutet würde, um der Möglichkeit willen, in einem 
anderen, vielleicht seinen Fähigkeiten wenig entsprechenden Beruf etwas mehr 
zu verdienen, seine bisherige Berufsarbeit aufzugeben und eine andere zu suchen. 

In einem solchen Falle entspricht es vielmehr den geltenden Grund¬ 
sätzen, den verletzten Arbeiter nach dem Masse der Minderung seiner Erwerbs¬ 
fähigkeit innerhalb des bisherigen Arbeitsfeldes zu entschädigen, und eB kann 
deshalb ohne Widerspruch mit der Spruchübung des BeichB-Versicherungsamts 
auch die Beute des Klägers unter Zagrundelegung des Berufs des Webers 
bemessen werden. _ 

Geringe Winkelstellung der Bruchenden nach Bruch des Unter¬ 
schenkels bedingt an sich keine Erwerbsverminderung. Bekurs-Ent- 
Boheidung des Beichs-Versicherungsamts vom 24. Februar 1903. 

Nach dem Gutachten der Aerzte Dr. B., Dr. Sch. und Dr. Bei., die in 
Gegenwart von drei aus der Zahl der Betriebsbeamten gewählten Vertrauens¬ 
männern den Kläger am 12. September 1901 und 28. Mai 1902 untersucht haben, 
ist der Bruch des linken Unterschenkels, den der Kläger am 10. Dezember 1900 
erlitten hat, gut verheilt. Die geringe Winkelstellnng des unteren Knochen- 
endes zu dem oberen hat nach dem bedenkenfreien Urteil der Sachverständigen 
auf den Gebrauch auch nicht den geringsten Einfluss. Die Gelenke sind frei 
und beweglich; die Muskulatur des linken Beines ist eher stärker als die des 
rechten. Die Klagen über Schmerzen in dem Beine halten die genannten Aerzte 
nach dem geschilderten objektiven Befunde für unglaubwürdig. Kläger ver¬ 
richtet die nämliche Arbeit wie vor dem Unfälle und bezieht denselben Lohn 
wie seine gleichaltrigen Arbeitsgenossen. 

Wenn diesem Befand gegenüber der von dem Schiedsgericht zugezogene 
Arzt bei seiner Untersuchung am 24. September 1902 eine Besserung in dem 
Zustande des Klägers als nicht eingetreten und eine Schwäche in dem Beine 
als noch vorhanden annimmt, so findet dieses Gutachten in dem objektiven Be- 



688 


Dr. Bundt. 


Knoten am Kinn, Nr. 23 überdies vergesellschaftet mit einer 
starken Schwellung der Halslymphdrüsen. Bei beiden vergingen 
trotz mehrfachen, schmerzhaften Epilationen viele Wochen bis 
zur Heilung. 

Auch noch einige der anderen Fälle kann ich heranziehen, 
um meine Aeusserung zu belegen, dass der Herpes tonsurans 
schwerere Erscheinungen gemacht habe: 

Der Knabe Nr. 1 hatte grosse, nicht unerheblich schmerzende 
Schwellungen der Nackendrüsen, die ihm den Schlaf raubten und 
ihn im Verein mit der durch häufige Epilationen quälenden Behänd* 
lung appetitlos und elend machten. Seine Heilung nahm drei 
Monate in Anspruch. Seine Mutter (Nr. 3) war durch die Loka¬ 
lisation der grossen Flechte an der Hand, deren ganze Umgebung 
entzündlich gerötet und geschwollen war, wochenlang arbeitsun¬ 
fähig. Sie, sowie zwei ihrer Söhne bekamen infolge der Chry- 
sarobinbehandlung ausgebreitete, stark juckende Ekzeme über 
einen grossen Teil des Körpers. 

Den einen der Unterschweizer traf ich mit einer Temperatur 
von 39,2 im Bette. Eine handgrosse Herpesstelle am linken Ober¬ 
schenkel war entzündet und sezernierte stark. Die Leistendrüsen 
waren pflaumengross geschwollen. Er war 14 Tage bettlägerig, 
bekam später noch ein allgemeines Ekzem, doch Flechte und 
Drüsenschwellung gingen ohne Inzision zurück. 

Ausser diesen 25 Fällen erhielt ich noch von einigen anderen 
Meldung, deren Träger ich jedoch nicht gesehen habe, weil sie 
sich ohne Konsultation mit den von mir vorgeschriebenen, anderen 
entliehenen Medikamenten behandelten. Es sind wohl sicher im 
ganzen 30 Fälle gewesen, deren Erkrankung in letzter Reihe 
auf jenen importierten Stier zurückzuführen sind. 

Nicht unerwähnenswert erscheint mir noch eine Beobachtung. 
Es rezidivierten ganz plötzlich einige Fälle, die schon fast voll¬ 
kommen abgeheilt erschienen. Und zwar trat bei allen vier Fällen, 
dem acht- und zwölfjährigen Knaben, deren Mutter und dem Sohn 
des Schweizers dieser akute Ausbruch zahlreicher kleiner Knötchen 
in kreisförmiger Anordnung, die sehr bald in Schuppen übergingen 
und so das Bild einer Herpes tonsurans squamosus und maculosus 
darboten, im Anschluss an das Erscheinen eines Masernexanthems 
auf. Ob die gesteigerte Blutfülle der Haut oder die erhöhte 
Temperatur der Masernkranken dem Pilz ganz besonders günstige 
Wachstumsbedingungen boten, oder ob äussere Momente, z. B. die 
gleichmässige Wärme des Bettes hier mehr mitspielen, vermag 
ich nicht zu entscheiden. 

Ich sah ferner Herpeskreise auf oberen und unteren Augen¬ 
lidern, ohne dass jemals die Erkrankung auf die Lidränder oder 
die Bindehaut überging. 

Die Behandlung bestand meist in Anwendung von lOproz. 
Chrysarobin - Traumatizinlösung, Aufpinseln von Seifenspiritus, Auf¬ 
legen von 3proz. Naphtol-sapo-kalinus-Salbe. Hie und da liess 
ich Sublimatumschläge machen. Gegen die dicken Infiltrate in 
Haupt- und Barthaar hat Quecksilber-Karbolsäure-Pflastermull 



Ueber eine Epidemie von Herpes tonsnrans. 


689 


gute Dienste getan, und die zwar etwas sehr komplizierte, aber 
gute, von Kaposi empfohlene Mischung von Ol. Rusci 15,0, 
Spirit, sapon. kalin. 25,0, Lact, sulfur. 10,0, Spiritus Lavand. 50,0, 
Bals. peruv. 1,5, Naphtoli 0,5. Zurückbleibende Reizzustände 
wurden mit Lassars Paste bekämpft. 

Unter dieser Behandlung sind zur Zeit (März 1908) die 
meisten Flechten bis auf einige unbedeutende Reste geheilt. Von 
einigen neuen Kranken hörte ich noch vor wenigen Tagen. Bei 
der weiten Entfernung werden sie den Arzt voraussichtlich erst 
in Anspruch nehmen, wenn unangenehme Erscheinungen eintreten, 
oder wenn die Heilung gar zu lange auf sich warten lässt. 

Wenn nun ja auch eine Erkrankung an Scherflechte wohl 
kaum jemals ernstliche, dauernde Gesundheitsschädigungen im Ge¬ 
folge haben und das Leben gefährden wird, so ist sie doch, zumal 
wenn sie sich auf stark behaarten Körperteilen lokalisiert, ein so 
unangenehmes, so langwieriges und entstellendes Leiden, dass ein 
jeder Arzt es für seine Pflicht halten wird, seine Klientel nach 
Möglichkeit vor derselben zu schützen. Und wenn man bei jedem 
Falle von Herpes tonsurans der Ansteckungsquelle nachforscht, 
so wird man, glaube ich, nicht allzu selten dazu kommen, ihn auf 
eine Erkrankung von Tieren zurückzuführen. Wenigstens meiner 
Erfahrung nach ist dieser Weg der Ansteckung ein häufiger, 
während ich mich nicht erinnere, eine Scherflechte aus einer 
Barbierstube herleiten zu können. 

Die Verhütung der Verbreitung ist nach Bekanntwerden der 
Quelle sehr leicht. Erkrankte Tiere dürfen nicht von einer Ortschaft 
zur anderen gebracht werden. Das mit der Pilzkraukheit besetzte 
Tier ist allein zu stellen. Der Fütterer und Pfleger gebrauche 
zur Reinigung dieses Tieres besondere Apparate (Striegel, Bürsten 
u. s. w.), besorge und futtere es, nachdem er sich ein leicht wasch¬ 
bares Obergewand (Drillichhose und Drillichjacke) angezogen hat. 
Ein nachheriger Kleiderwechsel und Reinigen der Hände mit 
Lysol- oder Kreolinlösung, sowie eine Desinfektion des Standes 
des Tieres nach Ablauf der Erkrankung mit Kalkmilch tun das 
übrige. 

Wenn die Art der Erkrankung, die ^Möglichkeit der Ueber- 
tragung auf den Menschen und diese einfache Sorge für Ver¬ 
meidung der Verschleppung den Viehbesitzern mehr als bisher 
bekannt gemacht wird, so wird die Scherflechte unter dem Vieh 
seltener werden und somit auch seltener auf das Viehpflegepersonal 
und von diesem auf andere Menschen übertragen werden. So ganz 
leicht muss die Ansiedelung des Pilzes auf und in menschlicher 
Haut überhaupt nicht sein; denn andernfalls müssten wir noch 
viel häufiger bei Schweizern 3 und Viehfütterern den Herpes , ton¬ 
surans zur Behandlung bekommen, da ja zur Zeit noch oft ganze 
Herden, namentlich Jungviehherden, von dieser £ Hautkrankheit 
befallen werden sollen. Es gehört doch wohl zum Haften des 
Pilzes, dass er mit einer gewissen Kraft in die Haut eingerieben 
wird, oder in eine präformierte, wenn auch noch so kleine Ver¬ 
letzung oder Schrunde der Oberhaut hinein kommt. Für eine 



*574 Stainers Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 

fand insofern «iaht seine Stütze, ata die Muskulatur des verletsten Beine« in 
Keiner Welse schwächer ist eis die des rechten. Der Umstand allein, dass das 
Rain mit einem unbedeutenden, seinen Öchransii nicht beeinträchtigenden Schön-? 
feaitefehler geheilt ist, kann eisen Eatschädignngeanspmch nicht begründen, 
«eil weder eine V er uns taitang des Klägers dadurch emge treten ist, noch der 
t>ebraüch de* Beines in einer nnghnstigen Weise beeinflnsst wird. Ertahrungs- 
gamäss pdegsn auch Bräche hei so jugendliche»» Personen, wie es der Kläger 
tat, Unter ärztlicher Hülfe in einer nachteilige Folgen für die Zukunft ans- 
«« hlieasenden Weise auszohdile«, eti dass die aus dem Befand nicht n&chweta- 
ktren Schmerzen des Klägers in dem verletzten Beine von vornherein nicht 
^ahtecheißiioh sind. Immerhin könnte es sich schliesslich bei diesen als 
•vtimersufi empfundenen Beschwerden nur um geringe Unbequemlichkeiten 
.todein, die hei. der seit dem Unfall abgelau/onen geraumen Zeit eine Beein- 
teäehtigoag der JErwerbsfähigkeit nicht bedeuten. 

Bind messbare Beeinträchtigung im wirtschaftlichen Laben liegt 
bei Verletauog des Nagelgliedes de» Unken Mittelfinger» nicht vor. 
K ekors-Euipebai.dnng des Befchs-TersicherstagasMits vom 

\;.h, Mai 1903, 

Her Kläger bat das Nagelgiiad des Unken Mittelfingers verloren. Die 
vitumpfspltze des Fingers ist zwar nur mit einem dürftigen WwchteilpoUt« 
.'deckt, welches mit dem Knochen ziemlich fest verwachsen und mit mehreren 
Narbeuzttgeü durchwachsen tat, aber di« beiden noch vorhandenen 6fjeder des 
' ■'.rletztea Fingers haben hinsichtlich der Bengungsfähigkeit keine Einbusae 
imea. Der FaöEteckluss ist an sich kräftig und die Hand schwielig. Der 
Kläger hat auch gieicii nach dem Verlassen des Krankenhauses — etwa 7 bi» 
ß Wochen nach dem Unfälle —- sein* frühere Arbeitata Schmied mit voller 
r.eistnngsiäbjgkeit wieder anfgeudnimeD. 

Hiernach liegt eine messbare BeeinirllehügiasgIm wDtscbaftiicheji Leben 
nicht vor. Mil dieser Ansicht stimmt.auch das ärztliche Gutachten des Prot 
fit vom 25./8B. März 1903 Überein, ao» daas kein Orund vorliegi, den Ans- 
fithruagea dt» Kreisarztes '3eb. Mediziaalrat t>r. R. vom 27. Februar 1903 
m felgen. ~ • : V'*\ v> ; \ ' ' • 

AnMrung des behandelnden Arztes ist nichtnur für des Besehe!As- 
v«r fahren, somit*«» auch für die RedatsmiUelitistanzea vorguschrieben. 
!•: ekurs-En tscheidnng des Reich« vere icberangsem ts Vota 
'0. Juni 1003. 

Djta Anhörung des behandelnde« Ar*tes bat in denjenigen Fällen, füf 
vralcfce sie. vorgssebrjeben tat, nicht nur insofern Wert, als sie geeignet Ist, 
tauf etwa bestehendea Misstrauen der Verletzten gegen; die Unparteilichkeit 
4 er beruf sgenusBcseehftftUehett. Organe bei der Erteilung ihrer Ben teufest' 
v ;ellaagshosohel da in einem waseotltchea Funkte au beseitigen.*, sie hat vielmehr 
diesen Fällen auch aiue grosse sachliche Badeötnng. Denu der behandelnde 
*;m kennt den Verletzten nnd den Verlauf seiner Krankheit in der Regel 
gbaan, kann häufig (Iber die oft schwer zu beautwertende frage, ob ein Leiden 
rat durch de« Unfall entstanden ist oder schon früher vorhanden war, erste 
«oddeaden Aufschluss geben und vermag nicht selten adek über «adere fftti 
»ata- Beurteilung des Entschädigungsanspruchs des Vörtetzteu wichtige Tate 
jvclien Angaben zu machen. Das auch sulche sachlich«« Erwägungen für äia 
infübiung der fraglichen VorÄubriit bestimsjend wkren, ergeben die Varhand- 
. mgen Iss Reichet*»?-». 

Bla Vorschrift 3 Sät* 1 des ITofaUYersjcheTdngsgeBetze* 

i.ttr Land- and Fötetwirtac&kftteh&t daher nicht allem für das Bescheids' 
-erfahren B8deal«dgf^#iis^ sich vjdaeir als eine nTlgdmeine, das 

gesamte Feststellungs^^ähteil^eMrfschenile nuä desbadb auch von den Recht«' 
riitteiiasteasen au heMSteM*- v-?r?shrift . \ "■{ . . .. 

Da sie ferner, wie schon ihre Fassrang erkennen lässt, awingendtr Statur 
• ,t. so leidet das Verfahren,, in welchem sie verletzt wird, an einem weaent* 
; eben Mangel. Dieser Mangel ist Ta» RechtemiHclvt-rfobren zu beseitigen, 
tii* Heilung hat in der Weise zu geschehen, dass entweder der behandelnde 



Dr. Pl&czek: Bin deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 691 


Gebührenordnung vom 15. Hai 1896 (Min.*Bl. S. 105) erlassen worden .... 
Insbesondere sollen nach derselben die niedrigsten Sätze znr Anwendung 
gelangen, wenn nachweisbar Unbemittelte die Verdichteten sind, soweit nicht 
besondere Schwierigkeiten der ärztlichen Leistnng oder das Mass des Zeit¬ 
aufwandes einen höheren Satz rechtfertigen (§. 2 a. a. 0). Im übrigen soll 
die Höhe der Gebühren innerhalb der festgesetzten Grenzen nach den besonderen 
Umständen des einzelnen Falles — bemessen werden. Mag hiernach auch die 
Berücksichtigung des besonderen Rufs, dessen der liquidierende Arzt bei seinen 
Fachgenossen oder doch beim Publikum genieBst, als ein innerhalb der fest¬ 
gesetzten Grenzen einen höheren Satz begründender Umstand nicht grundsätzlich 
ausgeschlossen sein, so ist sie doch in der Bekanntmachung keinesfalls hervor¬ 
gehoben worden. Auf diese Frage kommt indessen, wie sich weiterhin zeigen 
wird, für die Entscheidung des vorliegenden Falles nichts an. 

Naeh §. 612 B. G. B. ist bei Dienstverträgen, wenn die Vertrag- 
sohliessenden die Höhe der Vergütung nicht bestimmt haben, beim Bestehen 
einer Taxe die taxmässige Vergütung als vereinbart anznsehen .... 

.... Der Kläger verlangt eine Vergütung, deren Gesamthöhe den ihm 
unter Zugrundelegung der höchsten Sätze der Gebührenordnung zustehenden 
Betrag erheblich überschreitet. Um durchzudringen, würde er also zu beweisen 
gehabt haben, es sei zwischen den Parteien vereinbart worden, dass er nicht 
nach den Sätzen der Gebührenordnung, sondern nach den in seiner ärztlichen 
Praxis üblichen Sätzen liquidieren solle. Das Zustandekommen einer Verein¬ 
barung sei im vorliegenden Falle darin zu finden, dass der Beklagte, als er 
sich in die ärztliche Behandlung des Klägers begab, sich habe sagen müssen, 
dass der Kläger ihn nicht zu den Maximalsätzen der Gebührenordnung, sondern 
zu höheren Sätzen behandeln werde. So zutreffend diese tatsächlichen Ans¬ 
führungen und die daran geknüpften rechtlichen Ausführungen an sich sind, 
so wenig sind sie doch nach Lage der Sache geeignet, mit ihrer Hilfe zu den 
vom Kläger gezogenen Schlussfolgerungen zu gelangen. Denn zn der Unter¬ 
stellung einer stillschweigenden Willenseinigung darüber, dass die Anwendung 
der Taxe ausgeschlossen und die Bestimmung der Gegenleistung in das billige 
Ermessen der Gegenpartei gestellt sein solle, würde man auf Grund des oben 
charakterisierten Vorganges der Aufsuchung nnd Gewährung ärztlicher Hilfe 
ohne besondere Preisabreden regelmässig gelangen können. Für alle Fälle der 
vorliegenden Art mnss aber, um znr Ueberzengnng einer stattgehabten still¬ 
schweigenden Willensbe8timmnng besonderen Inhalts zu gelangen, umsomehr 
der Nachweis gefordert werden, dass der Wille, wenn auch ohne Worte, 
zuverlässig erkennbar in die Anssenwelt getreten ist, als §. 612 B. G. B. eine 
bestimmte Vermutung aufstcllt, was als vereinbart anzusehen ist. wenn gegen¬ 
teiliges nicht zuverlässig erhellt ... Wer sich in die Behandlung eines 
ausserordentlich hervorragenden namhaften Arztes begibt, 
ohne dass besondere Honorarabreden getroffen werden, kann 
daher wohl stillschweigend der Willensmeinung sein, in Er¬ 
mangelung solcher Abreden werde die bestehende Taxe in 
Anwendung kommen müssen . . . .“ 


Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 

Reformgedanken von Dr. Placzek-Berlin. 

(Fortsetzung.) 

Was die Sektion der Bauchhöhle anlangt, so ist es zunächst 
wertvoll, festzustellen, in welcher Reihenfolge die Regulative 
die einzelnen Organe herausnehmen. In Preussen soll es laut 
§. 18 in einer Reihenfolge geschehen, 

„dass durch die Herausnahme des einen Organs die genauere Erforschung 
seiner Verbindung mit einem anderen nicht beeinträchtigt wird. So hat die 
Untersuchung des Zwölffingerdarms und des Gallengangs der Herausnahme der 
Leber voranzugehen. In der Regel empfiehlt sich folgende Reihenfolge: 

1. Netz, 2. Milz, 3. Nieren und Nebennieren, 4. Harnblase, 5. Ge- 



$76 Kleinere Mitteilangen and Referate atu Zeitschriften. 

Erkrankung und der letzten Impfung ein Zeitraum von mindestens 21 Jahren, 
hat den meisten, so hei den beiden Verstorbenen, 40 Jahre und mehr. 

ln der Diskussion über den Vortrag wies Prof. Dr. Naunyn anf die 
ausgezeichnete Wirkung dea roten Licktea hin. Unter den von ihm Bo-, 
handelten befanden sieh 5 Fälle von schwerer, konfluierender Erkrankung, 
einer mit ziemlich ansgehreitetcr- Purpura tarioloaa, und zahlreiche Bindungen 
iß die Pusteln. In keinem dieser 5 Falle, sowie auch ln keinem der übrigen, 
die rechtzeitig in rote» Licht kamen, trat eine .richtige Eiterung anf. Sobald 
die Pusteln aufgeschossen warn», begannen sie, ohne sich erst prall mit Flüssig¬ 
keit za füllen, bereits eimmtroekueo. Auch in den konfluierenden Formen kam 
3 S nirgends *ar Entwickelung irgend welcher kutaner Eiterung. Bei der 
Heilung stiesB sich dann di« Haut, s. B. an den Fingern, ln Form Ton Hand- 
scbahiiogetu ab, and auf isr lanoaftkche der Epidermis tragen diese Hand- 
jcbtthüuger eibc staiieaweise mehr wie 1 mm dicke Schicht elngetrocknetea 
Exsudates. Die Kranken kamen zum Teil mit schon beginnendem Eiterfieber 
in das Spital. Nachdem sie dann 24 Stunden unter HolUchtbeh&ndinng ge¬ 
wesen waraa, fiel die Temperatur anr Norm, «dar wenigstens annähernd nur 
Norm, und blieb so, abgesehen ton Komplikationen. 

Demgegenüber kamen die drei ersten Fälle leichterer Variola, die ohne 
rotes Lieht behandelt worden waren, zur Eiterung mit richtigem Suppu¬ 
rationsfieber. 

Prof Df. Wo l f f kuaaerfc die Ansieht, dass die günstige Wirkung nicht 
dem roten Eichte aU' solchem, sonder« der Ausschaltung der blauen, : violetten 
aal ultra violetten Strahlen za verdanken sei. Man würde wahrscheinlich eie- 
lalboö Erfolge haban, wenn man zwischen doppelwandige Fensterscheiben eine 
itir blaue Lichtstrahlen uodnrohdrmgUche Flüssigkeit bringe, a. B. eine ange- 
sänert» Chiaialösnng. Dr, Hecker-Weissenbnrg (Els-E 

Ergebnisse der amtlichen Pockentodesfallstatistik int Deutnohen 
Reiehe vom Jhhre iüOI, nebst Anhang, betreffend die Pockener- 
krankatt^en im Jahre 1900. Berichterstatter: Eegiernngsrat Dr. Kfcible. 
McdiKinisch-statistisahö Mittellnng ans dem Kkiaarb Gesundheitsamt. {Beiheft 
so den yeröökntUcbungßn de» K&iaeriiöhee Gesundheitsamt®.) Siebenter Sand. 
Dritte® (Soblfls»') Heft, ßerlin ;lü<)3. Verlag von Jni, Spränge t. 

Im Jahrs 190Ö ät&rbeu Im Deutschen Reich 49 Personen an Pocken; &# 
ist demnach diese Zahl gegenüber dem Vorjahren weiter gestiegen, aber immer« 
hin noch Unter dem Däfchschmtt de® iöjährigen Zeitraums. 1890/99, wo sie 
545 botrag, zurBckgcblieber/. Aaf je 1 Million Einwohner 1» Reiche kommen 
während dos Berichtsjahres 0,87 Todesfälle an Pocken, gegen 0,52 im Jahre 
1899; 1,04 hn 10jährigen Durchschnitt IHe Fäll« venolle» sich anf 8S Ort- 
oehafteu, von denen 31 auf PteusBoif, js eine auf Bayern, Reden, Hesjssß nnd 
Hamburg entfallen. 3 t Todesfälle kaiaea in den nahe den Reicfcsgreszee ge¬ 
legenen Kreisen vor. In 2 Städten starben je 4 Pernioe«, in «leer Gemeinde 
j, in 0 Gemeinden, je 2; die übrigen Fälle traten vereinzelt küf. Anf Kinder 
de» 1. Lebensjahres caUaiiee iß Fälle; ton ihnen waren 12. noch nicht geimpft 
and 3 unbekannten Impfünstsades». Im 2; Lebensjahr starb kein Kind, im 
3* bi« 10. 1. mit anbakftönthöä>, JmpfzasUndö. Im 11. bis 20. limbenajahre 
.darben 6 Personen, darunter eine im lukabationsstadinm wiedorgeimpfte, 2 un- 
geimpfte, l einmal- and l :wf«äaisb^pfte,'^Iii'.’Aek Altersklasse • vom ES. bis 
10. Lebensjahr« standen 4 Vewtorbene, nämHch i vier Tage vor der Erkrankung 
id. ii ®o spät} geimpfter rnaslscbcr Arbeiter, 2 Geimpfte and1 unbekannten 
implzastandos. Im Alter Vom Bl, bis 4CI. Lebensjahre starben 2 Personen n.u* 
bekannten Intpfzastandes. ha 4L bis öö. LelwoBjahre erlagen 11 ?BW$nae v 
davon eine erst im Inknhatlonsstadtäm zum «raten Male geimpft», ferner 7 
-'jnmal geimpfte. 1 wiedergeimpfte and 2 UftHekannieo Impf zustande«. Im 61. 
ܧ i)0. Jahr« starben 2 einmal Geimpfte, 2 Wiedeigeimpitr nod 1 unbekannt«« 
Impfzastandea. Toi Altervon mehr>1* 0 labten eturben ebenfalls & P«woneo; 
I cinnjol geimpfte, 2 wjgdergeimpfte, 2 Hoheknnnien Impfstisiaiadce, 'ObIw* 
lanatec Altera and mit unbekanntem Impfanatande starb endlich, noch ein 
.russischer Arbeiter. 29 waren männlichen, 20 weiblichen Geschlechts. 

Seat man die Verhältniaiiffer der PookentödesfttUe la den 287 Städten 
Deatachlaad* (0 k 09:10 000 Einwohner} als Einheit, io entfielen auf die Städte 



Ein deutsches gerichtslntliches Leichenöffnnngsverfahren. 


693 


Sachsen-Weimar-Eisenach: §. 25, Abs. 1. 

„Jedes der beiden Organsysteme, welche im Baach liegen, das vom 
Baachfell umschlossene System der Verd&aangsorgane and das ausserhalb des 
Bauchfells liegende System der Harn- und Geschlechtsorgane soll f&r sich in 
fortlaufender Reihe untersucht werden. Es ergibt sich hier nachstehende 
Reihenfolge: Milz, Inhalt und Beschaffenheit der im Zwölffingerdarm ver¬ 
laufenden Gallenwege und Gefässe, Leber, Magen und Darm mit der Bauch¬ 
speicheldrüse zugleich mit Gekröse und Netz, Bruchpforten, Oeffnung des Magens, 
des Zwölffingerdarms, des Dünndarms, des Dickdarms, des Wurmfortsatzes; Ge¬ 
kröse und Notz, Harn- und Geschlechtsorgane topographisch, Nebennieren nnd 
Nieren, Nierenbecken, Harnleiter, Harnblase und Harnröhre, Herausnahme der 
Vorsteherdrüsen, der S&menblase und des Baachteils der Samenleiter zngleich 
mit jener der Harnblase. Spaltung des Hodensackes und Ereilegnng der Teile. 
Herausnahme der weiblichen Geschlechtsorgane und Verbindung mit jener der 
Harnblase und des Mastdarmes. Untersuchung auf Schamlippen, Kitzler, 
Scheide, Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke, Nebeneierstöcke, Mutterbänder, Blut¬ 
end Lympbgefässe.“ 

Mecklenburg-Strelitz: §. 10. 

„Nach den allgemein jede Höhle betreffenden Ermittelungen sind in 
der Bauchhöhle zu untersuchen: Leber, Magen- nnd Darmkanal, Netz und 
Gekröse, Milz, Niere und Harnblase, bei weiblichen Leiohen, Gebärmutter mit 
ihren Anhängen, die grossen Blutgefässe und, wenn es nach Lage der 8ache 
erforderlich erscheint, das Bauchfell . . .“ 

Baden, Mecklenburg-Schwerin, Braunschweig, 
Anhalt, Schwarzburg-Sondershausen stimmen mitPreussen 
überein. 

Ein Vergleich dieser mannigfach differierenden Bestimmungen 
führt nicht leicht zu einer Entscheidung, welche Reihenfolge die 
gerichtsärztlich brauchbarste ist. Es dürfte sich gegen die Bei¬ 
behaltung der in Preussen üblichen Sektionsfolge wohl kaum etwas 
wesentliches sagen lassen. Immerhin könnte in Erwägung ge¬ 
zogen werden, ob sich die umständliche Eröffnung von Zwölffinger¬ 
darm und Magen in situ verlohnt, allein zu dem Zweck, die 
Durchgängigkeit des Gallenganges herzustellen. Das Interesse 
des pathologischen Anatomen hieran ist doch ein durchaus anders¬ 
artiges wie jenes des Gerichtsarztes. Etwas Wesentliches oder 
Erspriessliches für den forensischen Zweck sah ich bei dieser 
Methode bisher nicht. Sie könnte deshalb für die gerichtsärztliche 
Praxis getrost der Herausnahme des Magen -Darmtraktus in toto 
weichen. 

Ueber die Sektionsart der einzelnen Bauchorgane 
geben die Regulative Anweisungen, die mannigfach von einander 
abweichen. 

A. Milz. 

Preussen: „Die Milz wird jedesmal in Bezug auf Länge, Breite und 
Dicke und zwar in liegender Stellung (nicht in der Hand) und ohne dass der 
Massstab ausgedrückt wird, gemessen, sodann der Länge nach und, falls sich 
veränderte Stellen zeigen, in mehreren Richtungen durchschnitten. Jedesmal 
ist eine Beschreibung ihres Blntgeh&lts zu geben.“ 

In Bayern ist die betreffende Vorschrift verschieden für die beiden 
zuvor geschilderten Verfahren der Bauohsektion: 

„a. Ebenso verfährt man darauf mit der Milz, die gleichfalls der Länge 
nach und, falls sich veränderte Stellen finden, in mehreren Richtungen durch¬ 
schnitten nnd namentlich der Blntgehalt angegeben wird.“ 

b. Stimmt wörtlich mit Preussen überein. 



694 


Dr. Placzek. 


Sachsen: „Bei der Untersuchung der drüsigen Organe der Unter¬ 
leibshöhle (Leber, Milz, Nieren, Bauchspeicheldrüse) ist auf das Verhalten der 
Kapseln zu achten und das Volumen, die Konsistenz und bei Abweichung von 
der Norm das Gewicht derselben festzuBtellen. Es sind weiter durch die 
Organe ausgiebige Schnitte zu legen, um die Beschaffenheit der Schnittflächen 
nach Farbe, Konsistenz und Blutgehalt zu bestimmen.“ 

Württemberg: „Zuerst wird die Lage der Milz nfther festgestellt, 
dieselbe dann, mit sorgfältiger Sohonung des Magens, herausgenommen, auf den 
Tisch (nicht auf die Hand) gelegt und ihre Länge, Breite und Dicke gemessen. 
Veränderte Stellen auf ihrer Oberfläche werden eingeschnitten und dann auf 
Längsschnitten die Beschaffenheit der Kapsel, des Gewebes und dessen Blut¬ 
gehalt ermittelt.“ 

In Sachsen- Weimar -Eiaenaoh soll die Milz unter Trennung ihrer 
Befestigungen am Magen und Zwerchfell herausgenommen, ihre Grösse, das 
Verhalten der Kapseln und Schnittflächen angegeben werden. 

Mecklenburg-8trelitz unterlässt es, im §. 7 die Art der Milzsektion 
zu beschreiben. 

Baden, Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Braunsohwelg, 
Schwarzburg - Sondershausen stimmen mit Preussen überein. 

Eine Vergleichung dieser Bestimmungen lehrt, dass sie in 
der Mehrzahl die schon aus der Bauchhöhle herausgenommene Milz 
behandeln. Wie sie aber herauszunehmen ist, wird gar nicht aus¬ 
gesprochen, nur wünscht Sachsen-Weimar-Eisenach, dass 
es „unter Trennung ihrer Befestigungen am Magen und Zwerch¬ 
fell“ geschehe, Württemberg, dass es „mit sorgfältigster 
Schonung des Magens“ ausgeführt werde. Beides ist erwähnens¬ 
wert, ausserdem aber die Art der Handhabung unter normalen 
und anormalen Verhältnissen. Für die Zukunft erschiene mir 
demgemäss folgende Fassung passend: 

„Die Milz wird mit der linken Hand gefasst und aus der Bauchhöhle 
emporgehoben. Von links aussen her durchschneidet das Messer die Gefässe an 
der Einmündungssteile utid die Verbindungsbrücken zu anderen Organen. 

Bestehen untrennbare Verwachsungen mit dem Zwerchfell 9 so werden sie 
Umschnitten und mit der Milz herausgenommen. 

Sie wird nun in liegender Stellung (nicht in der Hand) und ohne dass 
der Masstab angedrückt wird , nach Länge, Breite und Dicke gemessen, sodann 
der Länge nach und, falls sich veränderte Stellen zeigen, in mehreren Richtungen 
durchschnitten. Jedesmal ist der BlutgehaU zu beschreiben.“ 

B. Die Nieren. 

Preussen: „Jede der beiden Nieren wird in der Art heransgenommen, 
dass ein vertikaler Längsschnitt dnreh das Bancbfell nach aussen hinter dem 
auf- oder absteigenden Dickdarm gemacht, letzterer znrückgeschoben und die 
Niere ausgelöst wird. Alsdann wird zunächst durch einen über den konvexen 
Band geführten Längsschnitt die Kapsel eingesebnitten und langsam abgezogen, 
die freigelegte Oberfläche der Niere in Bezug auf Grösse, Gestalt, Farbe, Blut¬ 
gehalt, etwaige krankhafte Zustände beschrieben. Dann wird ein Längsschnitt 
durch die ganze Niere bis zam Becken derselben geführt, die Schnittfläche in 
Wasser abgespült und beschrieben, wobei Mark- and Bindensubstanz, Gefässe 
und Parenchym zu unterscheiden sind.“ 

Bayern: „a) Hierauf kommen die Nieren und Nebennieren an die Beihe, 
welche man, nach Einschneiden der Capsula adiposa, ans derselben mit der 
Hand herausschält, von dem Harnleiter absohneidet, and nun einen Längs¬ 
schnitt durch die ganze Niere von ihrem äusseren Bande bis zum Becken führt, 
und die Schnittfläche betrachtet. 

b) Nachdem man sodann die noch in der Bauch- und Beckenhöhle be¬ 
findlichen Harn- und Geschlechtsorgane einer Inspektion in situ unterworfen 
hat, werden dieselben im Zusammenhänge herauBgenommen. 

Dazu löst man zuerst jede der beiden Nieren mit ihren Nebennieren 
aus ihrer Fettkapsel nnd verfolgt die Harnleiter mit den entsprechenden 



Bin deutsches gorichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 


695 


Schnitten bis in das kleine Becken gegen den Grand der Harnblase hin, wobei 
man die Vasa deferentia der Hoden, die sich mit ihnen kreuzen, nicht durch- 

scb neiden darf. 

Die so heransgeschnittenen Organe sollen nnn genauer untersucht werden and 
zwar zunächst die Nieren. An denselben wird durch einen Uber den konvexen 
Rand geführten Längsschnitt die Kapsel eingeschnitten and langsam abgezogen, 
wobei gewöhnlich die Nebenniere mit abgelöst and untersucht wird. Die frei- 
gelegte Oberfläche der Niere wird in Bezug auf Grösse, Farbe, Blntgehalt und 
etwaige krankhafte Zustände beschrieben. Dann wird ein Längsschnitt dnrch 
die ganze Niere vom konvexen Rande ans bis znm Becken geführt, die Schnitt¬ 
fläche mit Wasser abgespült nnd beschrieben, wobei Mark and Rindensubstanz, 
Gefässe and Parenchym za unterscheiden sind. “ 

Sachsen macht keine Angaben über die Art der Herausnahme und der 
Sektion von Nebennieren and Nieren. 

In Württemberg heisst es: „Um die Nieren and Nebennieren 
heraaszanehmen, werden Längsschnitte gemacht, welche sich auf das Bauchfell 
zu beschränken haben. Nachdem dieses abgezogen ist, werden ihre Lage nnd 
das Verhalten der Blutgefässe am Hylns untersucht, dann die Harnleiter, 
nachdem sie eine Strecke weit verfolgt sind, abgescbnitten. nicht abgerissen, 
das Organ mit der Hand herausgeschält nnd seine Grösse, Gestalt und Farbe 
bestimmt. Hieranf macht man in der Mitte des konvexen Randes einen Längs¬ 
schnitt bis znm Nierenbecken and ermittelt auf der Schnittfläche das Ver¬ 
halten der Rinden- and Marksubstanz, der Pyramiden, sowie der Oberfläche 
des Beckens, wobei die Lape za Hilfe za nehmen ist. Jetzt erst wird fdie 
Kapsel abgezogen and ihre Beschaffenheit sowie die der Nierenoberfläche 
festgestellt. Eine nähere Untersuchung der zunächst liegenden Blutgefässe, 
ihre Füllung and sonstige Beschaffenheit, sowie das Verhalten der hinteren 
Banohwand an der betreffenden Stelle darf nnter keinen Umständen versäumt 
werden. 

Hierauf sind die Lage and Grösse der Nebennieren nnd nach ihrer 
Herausnahme die Beschaffenheit ihrer Schnittfläche zu untersuchen.“ 

In Sachsen-Weimar-Eisenach beginnt die Untersuchung der Harn- 
und Geschlechtsorgane mit der Beschreibung der Lageverhältnisse. 

„Die Nebennieren sind auf Grösse und Beschaffenheit zu prüfen. 

An den Nieren, welche zugleich mit den Nebennieren der Leiche zu 
entnehmen sind, ist die Beschaffenheit der Fettkapsel und der Faserkapsel, 
der Grad des Haftens der letzteren, nach ihrer Ablösung, Grösse und Form 
der Niere, Grad der Festigkeit, Verhalten der Oberfläche nnd der Schnittfläche 
anzugeben. Bezüglich letzterer ist in der Rinde auf die Markstrablen und die 
die Gefässknäuel beherbergenden Kapseln, im Mark auf Abscheidungen in 
Lichtung oder Wand der geraden Harnkanälchen zu achten, eintretenden 
Falles deren Natur durch mikroskopische und mikrochemische Untersuchung 
festzustellen. Die grösseren Blutgefässe sind auf Inhalt und Beschaffenheit 
der Wand zu prüfen.“ 

Baden, Mecklenburg - Schwerin, Anhalt, Braun schwelg, 
Sohwarsburg- Sondershausen stimmen mit dem preussischen Verfahren 
überein. 

Mecklenburg -Strelltz gibt keine Anweisung über die Art, wie 
Nieren und Nebennieren zu sezieren sind. 

Wenn man die vorerwähnten Bestimmungen vergleicht, so 
findet man allenthalben die Sektion der Nieren nnd Nebennieren 
nach der Herausnahme ans der Bauchhöhle mehr weniger 
eingehend geschildert ("mit alleiniger Ausnahme von Mecklenborg- 
Strelitz), die Herausnahme wird dagegen anscheinend als bekannt 
vorausgesetzt. Wenigstens wird nirgends erwähnt, in welcher 
Weise die Nieren erst bequem freizulegen und zu unterscheiden 
sind, die Herausnahme selbst wird aber teils gar nicht (Sachsen, 
Sachsen-Weimar-Eisenach, Mecklenburg - Strelitz), teils unvoll- 





680 Besprechungen. 

bisher, nur dass das intrauterine Operieren, welches das prenssische Lehrbuch 
noch lehrt, fortf&llt. 

2. Es soll keine nweite Art Hebammen unter irgend welcher Bezeieh- 
nung geschaffen werden. 

8. Frei praktisierende Hebammen neben den angestellten sind auch 
ferner nuzulassen. 

5. Die Pflege der Wöchnerinnen ist womöglich der Hebamme absu- 
nehmen; die Pflege erkrankter Wöchnerinnen unbedingt. Im Falle der Er¬ 
krankung der Wöchnerin ist die Hebamme zu desinfizieren; darüber hinaus 
keine Karenzzeit. 

6. Es ist Anordnung zu treffen, dass Geburten ohne Hinzuziehung einer 
Hebamme prinzipiell nicht stattfinden sollen. 

7. Alljährlich Revision der Tagebücher und Instrumente der (aller) 
Hebammen mit kurzem Examen. 

8. Obligatorische Nachkurse mindestens alle 6 Jahre auf mehrere Wochen 
für jede Hebamme. 

9. Krankenversicherung. Invalidenversicherung. Altersversorgung. 

10. Neun Monate Unterricht genügt für Ausbildung der Hebammen. 

11. Stationäre Frauenklinik, geburtshilfliche Poliklinik sind womöglich 
mit jeder Hebammenschule zu verbinden. 

12. Universitäts-Frauenkliniken sollen das Recht haben, Hebammen im 
9 monatlichen Kursus auszubilden. 

18. Unterricht mit Examen für alle Schülerinnen, auch die hoher vor- 
gebildeten, gemeinsam und gleich. 

14. Für Methode des Unterrichts breiter Spielraum dem Direktor der Schule. 

15. Wegfall der Präsentation der Schülerinnen von seiten der Gemeinden. 

Dr. Blokusewski-Niederbreisig a. Rh. 


Besprechungen. 

Prot Dr. B. Kobert, Direktor des Instituts für Pharmakologie und physio* 
logische Chemie su Rostock: Compendium der praktischen Toxlko* 
logie zum Gebrauche für Aerzte, Studierende und Medizinal* 
beamte. Vierte Auflage. Mit 88 Tabellen. Stuttgart 1908. Verlag von 
Ferdinand Enke. Gr. 8°, 206 Seiten. Preis: 5 Mark. 

Von der fleissigen Feder des wohlbekannten Verfassers rührt dieses 
Compendium her, welchem das Motto vorgesetzt ist: „Man muss dem Medi¬ 
ziner die Toxikologie mundgerecht machen; dann wird sie aufhören, ihm fremd 
zu sein“, und welches nach des Verfassers Angabe seine Aufgabe erfüllt hat, 
wenn es von solohen Aerzten und Studierenden mit Vorteil benutzt wird, 
welche auf die Toxikologie weder viel Zeit, noch viel Geld zu verwenden im 
stände sind. 

Und sicher ist gerade die kompendiöse, handliche Form nicht der kleinste 
Vorzug des Werkes, welches Uebersetzungen ins Dänische, Italienische, Russi¬ 
sche, Ungarische und Englische erlebt hat. 

Das Buch zerfällt in eine allgemeine und eine spezielle Toxikologie, 
während ein Anhang eine Uebersicht toxikologisch interessanter Stoffwechsel¬ 
produkte, eine Uebersicht toxikologisch interessanter Pflanzenfamilien, eine 
Uebersicht wichtiger Klassen und Gattungen der Invertebraten und eine Ueber¬ 
sicht wichtiger Reaktionen bringt. 

Auch dem Anhänge sind eine Anzahl von Tabellen beigegeben, welohe 
im Hauptteile zur schnellen Orientierung beitragen, da Bie „auf den ersten 
Blick die Aehnliohkeiten und Unterschiede zusammengehöriger Gifte er¬ 
kennen lassen“. 

Dem überaus praktischen, lesenswerten und wohl ausgestatteten Buche 
werden, wie bisher, die Leser nicht fehlen. Dr. Hoff mann-Berlin. 


Dr. Walther Frieboer: Beiträge zur Kenntnis der Guajakpräpa- 
rate. Von der mediz. Fakultät der Landcjuoiversität Rostock gekrönte 
Preisschrift. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. B. Kobert. Mit 10 in den 








Besprechungen 


681 


Text gedruckten Abbildungen. Stuttgart 1908. Verleg ton Ferdinand 
Bnke. Gr. 8®, 119 Seiten. Preis! 4 Mark. 

Im Vorworte weist Eobert daraal hin, was für ein laterem die Syphi- 
lidologen an dem Thema haben müssen, nnd Frieboer sohildert in seinem 
ersten Eapitel in sehr ansprechender Weise die Gnajakmedisin als Panaae« 
gegen die „Pransosenkrankheit* ans dem Anfang des 16. Jahrhnnderts. 

Es folgt dann die Beschreibung des Goajakholzes, seiner ehemischen Be¬ 
standteile, die Gesehichte des Saponins, die Methoden snr Gewinnung ton 
Saponinsubstansen nnd ein Verseiehnis der Saponin enthaltenden Pflansen. 
Weiterhin sohliessen sieh an eine Reihe chemischer Untersuchungen nnd Ana¬ 
lysen, sowie die Versuche über die physiologisch-toxikologische Wirkungen der 
Gnajaksaponinsäure und des neutralen Gugjaksaponins. Nachdem noch Unter¬ 
suchungen auf Saponin und Studien über die Wirkungen des Guajakholsüles 
und des Guajols gemacht sind, wird eine ausführliche Zusammenstellung der 
neuesten Literatur über die therapeutische Wirkung des Gnajaks gegeben. 

Den Schluss der Arbeit bilden 16 Leitsltse, in welche die Ergebnisse 
atnammengefasst sind. 

Die interessante und fleissige Arbeit ist glatt nnd lliessend geschrieben, 
ihre Ausstattung — besonders nach hinsichtlioh der Bilder — ist eine recht gute. 

_ Dr. Hoff mann «Berlin. 

Dr. Hann Kurella: Zurechnungsfähigkeit und Kriminalanthro¬ 
pologie. Halle a. S. 1908. Verlag von Gebauer-Schwetschke. 
Gr. 8®; 123 S. Preis: 3 M. 

Die vorliegende Schrift hat der auf diesem Gebiet sehr bekannte Autor 
daun bestimmt, das gebildete Publikum mit den schwierigen Fragen bekannt 
si machen, die als Grensprobleme der Lehre von der Zurechnung beseichnet 
werden können. Die Frage naah der forensischen Beurteilung Schwachsinniger 
bat er dabei aus guten Gründen ausgeschlossen. Es werden im übrigen die¬ 
jenigen Zustände behandelt, welche die Zurechnungsfähigkeit ausschliessen 
können, ohne doch su den Erscheinungen derjenigen Bewusstlosigkeit oder der¬ 
jenigen krankhaften Storungen der GeiRtestätigkeit su gehören, welche nach 
|. 51 Str. G. B. die Straffähigkeit ausschliessen. Dies sind die Anomalien des 
Gesehleohtsgefühls (Päderastie, Sadismus usw.), die Trübungen und Verände¬ 
rungen des Stumpfsinns bei impulsiven nnd unbewussten Handlungen und die 
StOrangen des Gedächtnisses, sowie die unter dem Namen der Entartungs- 
sustände susammengefassten Krankheitsbilder. Hierauf kommt der Verfasser 
auf die Kriminalanthropologle im allgemeinen su sprechen, streift kurz ihre 
Geschichte und erörtert auf Grund seines Materials schlesischer Zuchthaus- 
issassen eine Reihe interessanter und strittiger Punkte. Eine kurze Darstellimg 
4er praktischen Folgerungen, die sich für Strafrecht, Strafvollzug und Sozial¬ 
politik ergeben, macht den Schluss der interessanten Schrift. 

_ Dr. Lewald-Obernigk. 

Dr. 36. Fanwteiner, Dr. P. Battenberg und Dr. O. Korn, Chemiker am 
hygienischen Institut in Hamburg: Leitfaden für die chemische Unter¬ 
suchung Ton Abwasser. Aua dem staatlichen hygienischen Institut zu 
Hamburg. München 1902. Verlag von B. Oldenbourg. Gr.8», 166 S. 
Preis: 3 Mark. 

Die Verfasser dieser Abhandlung haben sich das dankenswerte Ziel ge¬ 
steckt, gestützt auf die im Hamburger hygienischen Institute gesammelten 
Erfahrungen, aus der Unsumme der Methoden und Reaktionen für die Unter¬ 
suchung von Trink- und Abwasser die zuverlässigsten Verfahren auszuwählen, 
dieselben eingehender zu erläutern und in verständlicher Form zusammenzu¬ 
fassen. Sie haben bei dieser Sichtung eB gut verstanden, auch dem Neuling 
auf diesem Gebiete wertvolle Fingerzeige su geben, so dass es dem Lernenden 
nicht schwer fallen wird, an der Hand dieses Buches sich in die fragliche 
Materie elnsuarbeiten. Berücksichtigt wurden in erster Linie die Unter¬ 
suchungen städtischer Abwässer, sodann auch die Analysierung der in vielen 
Orten in reichlichen, leider unvermeidlichen Mengen produzierten Abwässer 
aus industriellen Anlagen. 

Verfasser weisen zunächst auf die Bedeutung der Abwässeruntersuchung 
Mn und reden mit Recht einer sachgemässen Berücksichtigung der Örtlichen 



682 Tageanaehricktcn. 

Verhältnisse das Wort, indem aio die Notwendigkeit einet Besichtigung an Ort 
ond Stelle zwecks Begatack taug eines Betriebes in erster Linie, betonen. 
Weiterhin ist die Zeit der Probeentnahme von Wichtigkeit, da die Kanäle 
'trinkt i-ft jeder Tageszeit gieiehe Mengen Sebmntsstoife enthalten. Man h»t 
deshalb so. Verschiedenen Zeiten Prcbeö ae eatnehmen oder aber sieb elo« 
Darefchitittsprohe herzustellen, Weich’ letzteres wohl als «Us praktischere er¬ 
scheine« dürfte. t'!/'i 

Verfasser geben sodann ws der Beschreibung der eigentlichen W&sser- 
nntersacbtuiLg Über. Wenngleich sie sich hierbei ihrer Aufgabe, di« Methodik 
der einzelnen Untersuchungen -*in kurzer, aber mich dem Fernstehenden ?eS^ 
etän<Ukher Form“ wiedersägeben, im kllgemeinea trefflich entledigt haben, to 
kann anderseits doch nicht rer sch wiegen werden, dass infolge der gedrängten 
üahcrah:ht die gebräuchlichste« und am leichtesten aoai'Ührbaren Methode» 
meist Älisuwenig im Verhältnis zu andein, wenigstens nicht genügend hervor- 
gehoben worden sind. 

Bei der gesonderten Besprechung der Untersuchung von Schlamm proben 
sind wi-rtvoiiß Anhaltspunkte gegeben für eine eventuelle lajadwistsohaftllohd 
Ansntitaung des Schlammes, ». B, alo Pftugertaittel.: : 1v v 

Hahliesslicb wird dt« Herstellung der sur chemischen W’aasevüfitersuchung 
notwendige» Keagenüeu und IdisöagBn snsamniänhäög,e»d in einem; besonderen 
Kapitel besprochen, desgleichen noch, dis Frage» nach dem örad« der Vornn- 
reinigtogen von Wässern und ihren Gefahreu. 

Ala Leitfaden für die cbemische Untersuchung ton Abwftssör» kann dag 
vorliegende Buch wärmsteus empfohlen werden. "Br. Kugels-Posen. 

Dr. A. und Dir. ft FMitnutfMx Di© Impfstoff© and Sern. 

Öruadrtaa dar ÄtiologischenProphylaxe und Therapie der In- 
fektibaskraakhöltea. Leipzig 1903. Verlag von G. T hie me. 

: *iesesi vörfftgliöhe Büch, eine Fundgrube dea Wissenswertesten aas den 
GnMctcu der Impfstoffe und Sera, sollte tu der Bibliothek eines Kreisarzt*» 
nicht fehlen. 

Der allgemeine Teil bietet in den Kapiteln: „Festigung gegen Gifte, 
gegen Bakterien und Bakterienviralens allgemeine Bemerkungen über das 
Zustaa l«kommen, des Impfschutzes und übe? die Bedautnuff de? Söhunimpfang, 
antiUtSi.HCks Sera, b-tkterienfesndliche 3«ra, die Phagozytose, allgememe 
Bemerkangeu über die Sernoatherapie, allgemeines über Zustandekommen der 
fmmuuit&t, Aber Antikörper oder ImmuaBabatanzen, HaemoIyatB« und Haeni- 
oggliitisino, Cytotaxine and HranKtpitins" sins WissensqueUe, die erstaunlich Ist. 

Als eie besonderer Vorzug des Bucheii muss ferner hervorgfthobea werden, 
>U-j3 di-.c Verfasser nicht nur die Ansichten der dänischen Schalen zur Geltung 
komme« lassen. «andern vor allem auch der französischen Schoiei dorchaoa 
gerecht werden. Sie halten, and nach des Befereoten Ueberzeugtsiig mit .Hecht, 
die ■/ Zeit bestehende Neigung, die Vernichtung der lu die febenden O-rga- 
niaoieo dringenden Keime nur den Antikörpern znzaachmbeo, für Ungerecht- 
IsSrfigt. Hierbei fällt vielmehr dem Tierkörper eine aktive Bolle zn, indem er 
gvgeo die bakteriellen Leokotoiine Antlleftkotoxiha bildet. 

Der «weite spezielle Teil des Werkes wird vorzüglich dem Praktiker 
wilts '. men sein. JSr badet darin eine ganz erstaunliche Menge von Tatsachen, 
’ :üs wissenschaftlicher Anregungen, die Jhu erfreuen werden, und di« 
»c fioohtbringend verwerten kann. v 44irD- 

Dr. Wclfgang Weicbardt-BerOo. 

TagesnaefrricJiteaf 

.•'•de fottgeserft von der Typbusgefahr bedrohten Gesandheitaverhält- 
Shit'iv d$c Stadt Met* haben vor wenigen Tag«« Sb. Majestät den Kaiser 
• .•schreiten und Abseoduog folgenden Telegramms an den Statthalter 
Fftnreu Höh*alö&e>L*ogenbn:rg veranlasst: „Wiedarnsn wfeia deh Ietaten 
•Taurett ist ia Metz, vorläufig in der ZtVÜbevölkBiiSng, eine Typhuaepidemie 
riehen, welche die Garnison ernstlich gefährden kann. Sie bst ihren 
Ursprung in der schlecht verwahrtes „BöaiUan*Qanlle“ und ihrer in, unerhörtem 
ZnsitAnde befindlichen Leitung. Disso Sachlage ist lediglich Scltuld der Stadt- 






Bin deutsches geriehtsärztlicbes Leichenöffnangsverfehren. 699 

der Samenblasen und des Baachteils der Samenleiter zugleich mit jener der 
Blase. Die Teile sind nach Grösse, Beschaffenheit nnd Inhalt za beschreiben. 

Die Untersuchung des im Leistenk&n&l und Hodens&ck verlaufenden 
Teils der Samenleiter, der Nebenhoden, Hoden und Scheidenhaut erfolgt in 
der Regel durch Spaltung des Hodensacks in der Mittellinie und deren sich 
anschliessende Freilegung. Grösse und Beschaffenheit der Teile ist anzugeben, 
auf Verwachsungen und ungewöhnlichen Inhalt der Scheidenhaut, auf das Ver¬ 
halten der im Samenstrang verlaufenden Blutgefässe zu achten. 

Vor der Herausnahme der weiblichen Geschlechtsorgane, welche in Ver¬ 
bindung mit jener der Harnblase und des Mastdarms erfolgt, ist die Lage und 
Form der Gebärmutter, Eileiter und Eierstöcke festzustellen, auf ungewöhn¬ 
liche Verbindungen dieser Teile unter sich und mit den Nachbarorganen zu 
achten. 

Nach der Herausnahme soll die Untersuchung auf Schamlippen, 
Kitzler, Scheide, Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke, Nebeneierstöcke, die 
runden und breiten Matterbänder und die in letzteren verlaufenden Blut- und 
Lymphgefässe sich erstrecken. Inhalt und Wand Bollen gleichmässig berück¬ 
sichtigt, vorhandene Blataustritte, Verletzungen, Narben nach Lage und Aus¬ 
dehnung beschrieben, eintretenden Falls die Anwesenheit von Samenfäden durch 
mikroskopische Untersuchung festgestellt werden. 

Besteht Schwangerschaft, so ist deren Dauer aus der Grösse der 
Gebärmutter und des Kindes soweit als möglich iestzusteUen, auf Verletzungen 
der Geschlechtsorgane und Eihüllen zu achten. 

Ist der Tod im Wochenbett erfolgt, so ist dem Verhalten der Scheide, 
der Innenwand der Gebärmutter, der in der Wand der letzteren verlaufenden 
und der von ihr ausgehenden Blut- und Lymphgefässe besondere Aufmerksam¬ 
keit zu widmen, die Lage des Graafsehen Bläschens, welchem das befruchtete 
Ei entstammte, anzugeben.“ 

Baden, Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Braun¬ 
schweig und Schwarzburg-Sondershausen stimmen mit 
Preussen überein. 

Mecklenburg-Strelitz sagt nur, dass „die Harnblase, 
bei weiblichen Leichen die Gebärmutter mit ihren Anhängen“ 
zu untersuchen sind, ohne die Art dieser Untersuchung anzugeben. 

Ein Vergleich der angeführten Bestimmungen ergibt zunächst 
die auffällige Tatsache, dass Bayern und Sachsen die Möglich¬ 
keit einer Sektion der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane 
in situ frei lässt, wenn kein wesentlicher Befund zu erwarten ist; 
Es dürfte fraglich sein, ob eine derartige Ausnahme sich bewährt, 
Voraussagen lässt sich ein Sektionsergebnis doch nie. Schon des¬ 
halb dürfte daher ein einheitlicher Sektionsmodus für jeden Fall 
erwünschter sein. 

Für diesen Sektionsmodus könnten die in Preussen, und ähn¬ 
lich in Württemberg und Sachsen - Weimar Eisenach geltenden 
Bestimmungen als Vorbild dienen, obwohl hier die Herausnahme 
der äusseren Geschlechtsorgane unterbleibt. Diese Erweiterung 
der Sektion könnte im Zukunftsregulativ als Ausnahmefall Er¬ 
wähnung finden. Ihre praktische Ausführung könnte wie in 
Sachsen geschehen, wo die Herausnahme „durch einen von der 
vorderen Beckenfuge beginnenden, bis zum Schwanzbein sich er¬ 
streckenden, die äusseren Geschlechtsteile und die Aftermündung 
umkreisenden und die Weichteile bis in das Becken hinein durch¬ 
setzenden Schnitt“ erfolgt. Es sollten dann aber nicht, wie es 
Bayern will, die inneren Beckenorgane unter der Symphyse durch¬ 
geschoben werden, sondern die äusseren Geschlechtsteile auf diesem 



Tageimachrtohtwn- 

Ge®ei»dsn n> tragen, wie die« saefa in England dar Fall aal. — Aa dam* 
«Uwe Tage beriet die 6. Sektion ln «Isar su.be« attodigan Sitsang Aber die 
Bekbmpfaug dar Tsbaffealoae. Berichterstatter flfcr die Beratung»* 
gegvwflAad* wataoi 8 roca rdsl* Paris, Pa bar-Kopenhagen, Pm«wH** 
Berun. nu& »adere. Die deutsche Eeätet&ttsn bewegttag fand hösfeata An» 
«rkeaeRng, aameatUrA settene Brount&ni», der di« Heilstätten ab wsteh«' 

tberapeetiwbe and wweatUohst prophylaktische Waffe bsaaisiWf«*«. 
BXa« ln diesem &ia»a «hgafasrt« Behioaereeolatioa gelangt« einstimmig rar 
Annahme« 

In der Btixasg demlWn Abteilung am S. d. M iaad eine lebhaft« 
Pel-rite Aber die Frage dar tJafcerirngaag der Ti ertu fesrfcaloa« auf 
den ?l e a s c h *n statt, a« deren Sehlas* mit grosser.Mehrheit ein Kompromiss* 
aatra# angenommen ward«, dahin lastend i die Tuberkulose sei nwar apeaiall 
ftber^egbar wou Meaeehe» »ul da« Männchen, aichtadastowvaigeir Hege beim 
gegy « Artigen Stande der Forschung Anlass tot, nach hygienische Masen&hm«« 
tnr Verhinderung der Gebertragnog von Tiertnberimto»« sui' den Menschen 
Vorfcri.^hrelben. 

In der Bohlcussltxnng o. d. M. wurde Berlin als Ort lür des 
atefeMe, lw lehre iWt milfiadeeden Kongress gewiblc, 

im Aufträge des inteirBÄtlonaleB Komitee» für SohoJhygieße-Kon- 
gre*** an# des aÜgerueliien deutschen Vereins für Gesundheitspflege fordert 
jhi: der OrtaangsehRBs des vom i\ bis 9. April 1904- io Nürnberg tagenden 
mern&iünalefl Kongresses durch Aufruf snr BeteÜignog am Kongress nuf, eowie 
mt damoldomg von Vertrtgaa oder von Objekten für die aehulbjgienl&ehe 
AOBeieilnag. 

Meldungen snr Teilnahme und Mitgliedschaft, Ankandsgang von 
trägt« unter Bexeichnung des Themas and der Kongteesabieilting, für welche 
eie'bestimmt sind, sowie Ansage von Anfstelinngeg«geaBtS»dce Sind sobald 
ei« r;<lgllch t . spätestens aber bis sbr 16. Heaember d. J., an Amt. 
fknerttfeekreiÄr Hoff»! I) t. Schab ert- Sötsherg einsrasendea, der Mitglieds* 
bei fr»# vor 20 Mark dagegeo aa des Scbntwnelster des Kongresse«, Herrn 
Kaufmann Emil Hopf, Nürnberg, Blnmenstrsiwe 17. 


Vor längerer Zeit hat die „NailooaiBetfcuog 4 einen Artikel Aber sine 
in Proosseu beabsichtigte KefonndeS Apotheken wesen« gebracht, der an* 
Aäjm.ir.yad ofdriöseu Ursprungs gewesen ist. Danach sollen neue Kouxessioa« 
sowj» frei werdead«, bereits Vorhandene Persouaikoategsioaen in Zukunft nicht 
lOfrttr verschenkt, Sündern nur unter der Bedingung ifcr Eutricbtung einer 
]ftlu'li?hen, toa dom Beinenrag der ApCftheke »bhängeoden Abgabe verlieht« 
werUrs. Der Ertrag dieser Abgabe soll teils aum Ankauf voiSufieerlichet 
Iv-xMj^sioheii,' di« dann ebenfalls iu peraüaadkonpCSek>nen umgewandelt werden 
, teils xq besonderen, dem Apotbekonstand« (Penstonsfoiids usw. für nicht 
W-Uwocie Apotheker) und dem Gemeinwohl dienenden Zwecken dienen und 
■•.•olgo niebc in di« Staatskasse, sondern in einen besonderen, mit 
\ur>;!liA>uber Persönlichkeit aosgestaiteten Apolhekeofonds fliessen. Dass di« 
mg einen solchen Fiat) ernsthaft ins A»g». gefasst bat, geht «aa dem 
Erklärungen ihres Vertreters au» dar diesjährigen HauptveraiunmlaDg des 
Apüthekervereine, vor »Hem aber aus einem Min.- Erlass aa die 
a&jttfiÜ Oherpräiidentea hervor, . (fasse» Inhalt jetat doxek eine Verfügung 
uigticheo Regierungspräsidenten in Merseburg vom 28. Auguet 1908 an 
Scmesaioasbowerber bekannt wird. Hiernach ist ein« anderweitige 
Ik£■•-.iVAg des Apothehe.iikoiixceejbti8wese.us beabsichtigt und »war in der Wehe, 
dr.«*. i=;U Kotuessionäreu ffauo nach Jeu Erträgnissen dea Geschäfts abgestufte. 
ui.-b; jder minder «rbubikbe Butrkbsftbgabe «afinerlegsn ist. Dm diese 
Ibirs^’^abgahs wmaögiich andh auf dio jetsi su erteilenden Koniessionen ammm* 
. also dam neuen Öeeetxe rückwirkende Kiaft geben in können, »ollen 
ÄHnffend*» Bewerber stot» geirsgt werden, pb 9ie gewillt sind, sich 
dicev« Bödimrungeij xu unterwerfen. 

Vyjri'WWprU. Bedakferur; Dr, Bspitiatid, Reg.-n.Geh.Med.-Iiat in Minden i. W.. 

S.. C, C r Knixu, Herro«L Ültcht fÜ ftclt.*JU ^oÜfUfikiiriKiliÄrel in Minden* 



Bin deutsche« gerichts&rztliches Leich enöffnuDgsverfahreii. 


701 


leert and nach in Beziehung auf seinen Geruch untersucht ist, setst man den 
Sohuitt durch die Speiseröhre fort und stellt zum Schluss das Verhalten der 
einzelnen Ge websschichten dieser Organe fest/ 

Sachsen-Weimar-Eisenach: „Hagen und Darm mit der Bauch¬ 
speicheldrüse sollen zugleich mit Gekröse und Nets der Bauchhöhle entnommen, 
bei der Herausnahme die gewöhnlichen Bruchpforten nachgesehon werden. 

Die Oeffaung des Hägens geschieht lftngs der Hitte der vorderen Wand 
vom H&genmund bis zam Pförtner, der Zwölffingerdarm wird lftngs der Hitte 
der vorderen Wand, . . . geöffnet 

Iu allen Abschnitten soll der Beschaffenheit der Wftnde gleiche Berück¬ 
sichtigung werden, wie jener des Inhalts. Im Magen ist es insbesondere die 
Drüsenschicht, im Zwölffingerdarm die Papille. . . 

Mecklenburg - Strelitz sagt nur, dass der Magen „nach den allge¬ 
meinen, jede Höhle betreffenden Ermittelungen“ zu untersuchen ist. 

Baden, Mecklenburg - Schwerin, Anhalt, Braunsohvelg, 
Sohwarzburg-Sonderahausen stimmen mit Preussen fiberein. 

Wie eine vergleichende Betrachtung der Bestimmungen lehrt, 
weichen sie vielfach von einander ab. Bald sollen Magen und 
Zwölffingerdarm ohne vorhergehende Sicherung in ihrer natür¬ 
lichen Lage aufgeschnitten werden, bald soll dies erst nach 
Unterbindung dieser Organe geschehen, bald soll die Speiseröhre 
im Zusammenhang mit entfernt werden, bald der ganze Darm 
gleichzeitig herausgenommen werden. Auch die Art und Stelle, 
an der die Organe eröffnet werden sollen, differiert. Die meisten 
Regulative wünschen, dass der Zwölffingerdarm an der vorderen 
Wand, der Magen an der grossen Kurvatur aufgeschnitten werde, 
nur Sachsen-Weimar-Eisenach verlangt die Magenöffnung längs 
der Mitte der vorderen Wand. 

Das ganze, bisher übliche Verfahren, die Sektion des Magens 
und Zwölffingerdarms von jener des übrigen Darmes zu trennen, 
sie durch komplizierte Doppelunterbindungen zu erschweren und 
endlich Organe mit flüssigem Inhalt in situ zu untersuchen, er¬ 
scheint mir für gerichtsärztliche Leichenöffnungen nicht beibe- 
haltenswert. Diktiert wird es hauptsächlich durch die übertriebene 
Rücksichtnahme auf die Bedeutung der Tatsache, den Oallengang 
auffinden und auf seine Durchgängigkeit prüfen zu können. Ge¬ 
wiss kann diese Feststellung pathologisch - anatomisch änsserst 
wertvoll sein, aber doch nur pathologisch - anatomisch, viel seltener, 
wenn überhaupt, auch forensisch-medizinisch. Es brauchte des¬ 
halb eine Rücksichtnahme in dieser Richtung nicht allein aus¬ 
schlaggebend zu sein, um einerseits die Magen- and Zwölffinger¬ 
darm-Sektion in der bisherigen Form beizubehalten, anderseits 
die wünschenswerte Herausnahme des Magens und Darmkanals 
in toto zu hindern. Diese Rücksichtnahme ist um so weniger 
nötig, wenn man erwägt, dass die Papille anch ohne Konstatierung 
der Ausflussmöglichkeit der Galle durch Kompression der Gallen¬ 
blase auffindbar ist. Jedenfalls reichen Angaben wie „vier Finger 
breit unterhalb des Pylorus“ und „ein kleiner, in der Längsachse 
verlaufender Wulst“ (Nauwerck 1. c. S. 103) zur Auffindung aus. 
Noch sicherer wird Orths Direktive führen, laut welcher man 
den leicht zu fühlenden Kopf des Pankreas aufsucht, den Darm 
in der Querrichtnng anspannt und dann etwas nach unten von der 
Mitte des Pankreaskopfes die Papille leicht erkennt. 



702 Dr. Placzek: Bia deutsches geriehtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 


Mein Vorschlag geht deshalb dahin, im zukünftigen Regulativ 
Magen und Darmkanal (event. auch die Speiseröhre) im Zusammen¬ 
hang herauszunehmen, in Vergiftungsfällen aber die Speiseröhre 
unbedingt in diesem Zusammenhänge zu lassen. Die entsprechende 
Bestimmung würde etwa folgendermassen lauten: 

„Nachdem die einzelnen Abschnitte des Magendarmkanals äusserlich auf 
Ausdehnung, Farbe und sonstiges Aussehen geprüft worden sind, wird das Ge¬ 
kröse mit einem Messer dicht am Darm abgeschnitten. Es geschieht dies in der 
Weise, dass das Messer, während der Darm kräftig angespannt wird, fast senk¬ 
recht zur Richtung des Darmes schnell hin und her bewegt wird. Ist so der 
ganze Dünndarm bis zum horizontalen Teile des Zwölffingerdarmes herausge¬ 
nommen, so wird dieser von Leber und Bauchspeicheldrüse gelöst, ebenso die 
kleine Magenki'ümmung und der noch am Magen haftende Teil der Speiseröhre 
von ihren Verbindungen. 

Nun wird zunächst der Magen von der Speiseröhre aus an der grossen 
Krümmung aufgeschnitten, der Inhalt mit Schöpfbecher entfernt und auf Farbe, 
Geruch, Konsistenz, chemische Reaktion geprüft, die Schleimhaut des Speise¬ 
röhrenendes und des Magens auf Farbe , Dicke, Schleimbelag, Glätte und Blut¬ 
gehalt untersucht. Des Weiteren wird der Zwölffingerdarm an seiner vorderen 
Seite, der Dünn- und Dickdarm an der Ansatzstelle des Gekröses auf geschnitten, 
abgespült, ausgebreitet. Der Darminhalt wird auf Farbe, Konsistenz, Geruch 
geprüft. Es wird die Mündungsstelle des Gallenganges aufgesucht und die 
Schleimhaut nach Farbe, Dicke, Schleimbelag, Zotten, Falten und Drüsen 
betrachtet. Der Wurmfortsatz ist aufzuschneiden. 

Das Gekröse wird an der Wurzel abgetrennt, auf Farbe , Dicke unter¬ 
sucht und mehrfach eingeschnitten. u 

E. Es folgt nun die Herausnahme von Leber und Bauch¬ 
speicheldrüse. Darüber bestimmt 

Preussen: „Die Leber wird zuerst äusserlich in ihrer natürlichen Lage 
beschrieben and, nachdem gegebenenfalls die Untersuchung ihrer Ausführungs- 
gänge stattgefunden, heraasgeschnitten. Durch lange, quer über das Organ 
gelegte glatte Schnitte wird der Blutgehalt und das Verhalten deB Parenchyms 
festgestellt. Bei der Beschreibung ist stets eine kurze Mitteilung Uber das 
allgemeine Verhalten der Leberläppchen, namentlich Uber das Verhalten der 
inneren und äusseren Abschnitte derselben zu geben.“ 

Bayern: Die Leber ist „von dem Zwerchfell und ihren Verbindungen 
mit anderen Teilen unter zweimaliger Durchtrennung der unteren Hohlvene in 
lösen und dann durch lange, quer durch daB Organ gelegte Schnitte anf den 
Blutgehalt und das Verhalten des Parenchyms zu untersuchen. Auch ist dabei 
auf die Gallenblase zu achten and dieselbe anzuschneiden. 

b) Zuerst, wenn es angezeigt ist, wendet man sich an die Porta hepatis, 
präpariert hier die Gallengänge und prüft sie auf ihre Durchgängigkeit, 

etwaigen Inhalt etc.An der Leber wird durch lange, quer durch das 

Organ gelegte, glatte Schnitte der Blntinhalt und das Verhalten des Paren¬ 
chyms festgestellt, auch eine kurze Mitteilung über das Verhalten der Leber- 
läppohen, namentlich übor die Unterschiede in ihrem Zentrum und in ihrer 
Peripherie gegeben.“ 

Sachsen: Bei der Untersuchung der drüsigen Organe der Unterleibs¬ 
höhle (Leber, Milz, Bauchspeicheldrüse) ist auf das Verhalten der Kapseln zu 
achten und das Volumen, die Konsistenz und bei Abweichung von der Norm 
das Gewicht derselben festzustellen. Es sind weiter durch die Organe aus¬ 
giebige Schnitte zu legen, um die Beschaffenheit der Schnittflächen nach Farbe, 
Konsistenz und Blutgehalt zu bestimmen.“ 

Württemberg: „Nun wird die Leber heransgeschnitten, nachdem ihre 
äussere Beschaffenheit und das gegenseitige Verhalten ihrer Lappen ermittelt 
sind. Auf langen querlaufenden Schnitten unter sucht man das Verhalten des 
Gewebes, die Beschaffenheit, sowie die Füllung der Blutgefässe und der Gallen¬ 
gänge. Jetzt kann auch das Gefüge, die Farbe und Gestalt der Bauchspeichel¬ 
drüse festgestellt werden.“ 

Sachsen - Weimar - Eisenach: „Grösse und Form der Leber, die 




Atu Versammlungen and Vereinen. 


703 


Beschaffenheit der Kapsel and der Schnittflächen ist anzugeben, auf Fett¬ 
beschlag der Messerklinge za achten. Die Untersnchnng der Gallenblase, der 
grosseren Gallengänge and Gefässe innerhalb der Leber bildet den Schloss.“ 

Baden, Mecklenburg - Schwerin, Anhalt, Brannnchwelg, 
Schwarzburg - Sonderehaueen stimmen mit Preassen überein. 

Es dürfte unerheblich sein, welche dieser Bestimmungen in 
das zukünftige Regulativ übergeht, da sie doch wesentlich nur im 
Wortlaut ab weichen. Hinzuzufügen wäre, was Sachsen-Weimar- 
Eisenach ausdrücklich erwähnt, dass auf Fettbeschlag der Messer¬ 
klinge zu achten ist, und ferner die Orthsche Anweisung über 
die Herausnahme des Organs. Hiernach wird dieses am besten 
am rechten Lappen in die Höhe gehoben und von allen Befesti¬ 
gungen bis zur Mitte der Wirbelsäule losgetrennt. Man legt dann 
den rechten Leberlappen über den rechten Rippenrand und durch¬ 
schneidet, indem man nunmehr den linken Leberlappen in die Höhe 
hebt, die noch vorhandenen Befestigungen. 

Ob die Bauchspeicheldrüse in der Bauchhöhle oder nach 
ihrer Herausnahme aus dieser eingeschnitten wird, dürfte auf 
eins herauskommen. (Schloss folgt.) 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die Hamburger allgemeine Ausstellung für 
hygienische Hilchversorgung unter besonderer Berück¬ 
sichtigung der die Medizinalbeamten interessierenden 

Fragen. 

Ia den folgenden Zeilen soll es nicht meine Aufgabe sein, eine irgendwie 
amfassende and erschöpfende Uebersicht über die gesamte Ausstellung za geben, 
deren Tendenz ja nicht ganz ausschliesslich nur auf sanitäre Bestrebungen and 
Interessen gerichtet war, aach will ich an dieser Steile nicht ihre hohe allge¬ 
meine Bedeutung beleuchten, sondern ich verfolge lediglich die Absicht, aus 
der bunten Menge der zur Ausstellung gelangten Dinge diejenigen herauszu- 
heben and za besprechen, welche besonders im Hinblick anf §. 79 der Dienst¬ 
anweisung den Medizinalbeamten za interessieren mir geeignet erscheinen. Nor 
eine karze Bemerkung allgemeiner Art sei mir gestattet. Während der Aus¬ 
stellungstage las ich in einem grossen Hamburger Blatte die Auslassungen 
eines Berichterstatters, dem wohl der Lokalpatriotismus die Augen leicht ge¬ 
trübt und das kritische Vermögen etwas verwirrt haben musste. In jenem 
Blatt stand nämlich zu lesen, wie jedermann beim Betreten der Ausstellung 
von der enormen Reichhaltigkeit des Gebotenen und der hervorragenden Ueber- 
siohtlichkeit überrascht sein musste. Nun, über die Reichhaltigkeit liesse sich 
ja streiten. Je nach dem Grade der Bescheidenheit des einzelnen Beurteilers 
wird dem einen überwältigend erscheinen, was der andere vielleicht als etwas 
dürftig bezeichnen wird; hinsichtlich der Frage der Uebersichtlichkeit kann es 
aber meines Brachte» nur eine Ansicht geben, nämlich die, dass darin die Aus¬ 
stellung allerlei zu wünschen übrig liess. Vielleicht wäre es auch richtiger 
gewesen, in etwas weniger volltOniger Weise, als es von gewisser Seite ge¬ 
schah, die Ausstellung schon im voraus in einigen Fachblättern zu besprechen; 
ihre hohe Bedeutung und die Tatsache, dass von ihr gewiss für eines der 
wichtigsten und am meisten brach liegenden Gebiete der Volksernährung und 
der Volksgesundheit eine nachhaltige Forderung ausgehen wird, wird niemand 
bestreiten wollen, aber so manches, was mau in einigen präliminarischen Be¬ 
richten las, kann mau nachträglich beim besten Willen nicht unterschreiben. 
Auf eine künstlich hochgeschraubte Erwartung ist noch stets die Ernüchterung 
gefolgt. Umgekehrt verlangt es aber die Billigkeit, den FleisB und die Um¬ 
sicht ansuerkennen, welche nötig waren zur Ueberwindung aller jener dem 
erstmaligen Zastandebringen eines so einzigartigen Unternehmens sich ent¬ 
gegenstellenden Schwierigkeiten; und dass von den meisten an den Vorarbeiten 



704 Ans Versammlungen und Vereinen. 

beteiligten ein emsiger Fleiss anfge wendet ist, kann ich ans eigener Erfahrung 
versichern. 

Eine im eingangs angedenteten Sinne systematische Besprechung des 
Au3stellangsmateriale8 hat sich zunächst dem eigentlichen Produktionsorte der 
Milch, dem Kuhstall znznwenden. Es war auf dem Ausstellungsterrain ein 
nach den neuesten Erfahrungen konstruierter, für 40 Kühe berechneter Muster¬ 
stall von der Firma Hüttenrauch in Apolda aufgestellt, in welchem in Be¬ 
zug auf Reinlichkeit, Jaucheabführung, Ventilation und Helligkeit weitgehenden 
hygienischen Anforderungen entsprochen war. Das helle, luftige und saubere 
Innere des Stalles stand in einem wohltuenden Gegensatz zu dem, was man 
sonst in den ländlichen Kuhställen, namentlich bei kleineren Besitzern zu sehen 
gewohnt ist. Die Wände waren bis über Mannshöhe mit Porzellanemaillefarbe 
gestrichen, jede geringste Verunreinigung daher an ihnen sichtbar und leicht 
abznwaschen. Selbstverständlich waren Fussboden und die Gänge aus undurch¬ 
lässigem Material hergestellt, die Krippen aus glasierter Chamotte besw. 
Ton. Zur leiohteren Säuberung des Stalles waren alle scharfen Winkel und 
Ecken sorgfältig vermieden. Die Ventilation war in der Weise vorgesehen, 
dass zum Eintritt frischer Luft in der Aussenmauer Kanäle eingebaut waren, 
in welche die Luft durch verstellbare Klappen in die Fensterlaibnng eintrat 
und in der Richtung nach der Decke geleitet wurde. Zum Ableiten ver¬ 
brauchter Luft, sowie zum Zuführen vorgewärmter frischer Luft dienten Luft¬ 
schächte aus Ziegelsteinen mit Isolierung, Luftaustrittkasten und Ventilations¬ 
säulen. Die Fenster waren mit Kippflügeln versehen und es war durch seitliche 
Schutzbleche dafür gesorgt, dass die Tiere nicht unmittelbar vom Luitsuge 
getroffen werden konnten. Das Fehlen von Waschgelegenheit für das Melk¬ 
personal und einiger anderer zu einem Musterstall gehörender Details lag wohl 
in der relativ geringen räumlichen Abmessung des Stalles begründet. Viel¬ 
leicht wurde aus diesem Grunde auch nicht dem Aussteller der grosse vom 
Preussischen Landwirtschaftsministerium gestiftete und überhaupt nieht zur 
Verteilung gelangte Geldpreis, sondern nur der zweite Preis zuerkannt. Die 
acht Standreihen für je 5 Kühe waren in vier verschiedenen Ausführungen her¬ 
gestellt, und zwar eine nach dem holländischen System, an dem die Art 
der Jaucheabführung besonders bemerkenswert ist. Der kurze Stand wird von 
einer schmalen tiefen Rinne abgegrenzt, in welche, wenn die Kühe vor der 
Krippe stehen, die flüssigen und festen Fäkalien fallen. Es wird dadurch er¬ 
reicht, dass sich die Tiere beim Liegen nie die Hinterteile und Euter mit Ex¬ 
krementen beschmutzen können. Angeblich werden die Tiere durch diese Ein¬ 
richtung in keiner Weise belästigt; sie gewöhnen sich insofern sehr schnell 
daran, als sie das Zurücktreten beim Hinlegen, durch das sie mit den Hinter¬ 
beinen in die Rinne geraten würden, bald vermeiden lernen. Ob das System wirk¬ 
lich das ideale darstellt, erscheint mir aber doch noch etwas zweifelhaft; denn 
wenn auch einerseits eine grosse 8auberheit der Tiere im Gegensatz zu allen 
anderen Systemen unbedingt gewährleistet ist, so scheint es doch anderseits, 
als ob die Tiere mit ihren teilweise frei in der Luft schwebenden Hinterteilen 
unbequem liegen. Auch halte ich die tiefen Rinnen für das Stallpersonal nicht 
für ganz gleichgiltig und ungefährlich. 

Ein sehr instruktives und exaktes Modell seines Mustermilchstalles mit 
Meierei-Einrichtung hatte E. Li pp er t -Hohenbüchen ausgestellt. Daeraneh 
die Ausstellungsbesuoher zu einer Besichtigung seiner Ställe eingeladen hatte, 
so bot sich die Gelegenheit, einen im wahrsten Sinne des Wortes musterhaft 
eingerichteten Stall mit einem tadellos geschulten Personal ans eigener An¬ 
schauung im Betriebe kennen zu lernen. Neben der peinlichen Sauberkeit, die 
in diesen Ställen herrschte, den guten Ventilationsvorrichtungen, der reichlichen 
Waschgelegenheit für das Melkpersonal, verdienen eine besondere Beachtung 
die Vorkehrungen, welche in der Stallluft eine Verbreitung von Heu- und 
Futterbazillen, die bekanntlich für die Milch eine besondere Gefahr bedeuten, 
zu vermeiden suchen. Zu diesem Zweok gelangen die Futter- und Streu¬ 
materialien vom Stallboden durch eine grössere Anzahl von dichten Hoin- 
sehächten an die Kuhstände heran und werden hier möglichst vorsichtig aus¬ 
gebreitet und verteilt Die Staubentwickelung durch Heu, Stroh und dergL 
ist dadurch in der Tat eine sehr geringe, und um auch die wenigen bei diesem 
MeduB in die Stallluft gelangten Keime von der Milch fernzuhalten, ist die 
Anordnung getroffen, dass die Verteilung von den genannten Materialien stets 



Au Versammlungen and Vereinen. 


706 


nar eine Reihe von Standen yor dem Molken geeehehen darf, so dass etwaige 
Keime Zeit haben, an Boden za sinken. Aach die sonstigen aaf eine möglichst 
reinliche Qewinnang der Milch absielenden Anordnungen sind als mnstergiltig 
an bezcichnon. Das Melkpersonal ist z. B. mit weissen Schürzen and Mützen 
bekleidet; es ist selbstverständlich verpflichtet, vor dem jedesmaligen Melken 
die Hände sorgfältig za sänbern; auch die Eater der Kühe werden vor dem 
Melken regelmässig mit reinen trockenen Tüchern gereinigt. Durch alle diese 
Massnahmen, die noch durch eine rationelle Kühlung der Milch und durch die 
seitens eines beamteten Tierarztes geübte ständige Ueberwachnng des Gesund¬ 
heitszustandes und der FUtterangsart der Kühe wirksam unterstützt werden, 
hat es Herr Lippert erreicht, eine Milch nach Hamburg zu liefern, die an 
Güte und Reinheit z. Z. wohl nicht mehr übertroffen werden kann. Ich habe 
ungefähr während eines halben Jahres, das sich zum Teil auch über die Sommer¬ 
monate erstreckte, Gelegenheit gehabt, diese Milch ein- bis zweimal wöchent¬ 
lich auf ihre Haltbarkeit und ihre bakterielle Beschaffenheit zn untersuchen. 
Die Befände waren derartige, dass ich anfangs kaum glauben wollte, es mit 
nicht pasteurisierter Milch za tan za haben, da Keimzahlen von 600—600 pro 
Kabikzentimeter verschiedentlich za beobachten und höhere als 8000—4000 
seltene Ausnahmen waren. Die stets zum Vergleiche mit untersuchte Markt¬ 
milch enthielt dagegen fast nie unter 600000 Keime, sehr häufig 8—4 Mil), 
und vereinzelt sogar 20—30 Millionen. Naturgemäss ging die Däner der Halt¬ 
barkeit der Milch diesen Keimzahlen parallel. Der Preis für die Li pp er t- 
sche Milcb, die nur in plombierten Literflaschen zur Stadt geliefert wird, be¬ 
trägt pro Liter trotz der kostspieligen Fütterung der Kühe und der subtilen 
Gewinnung und Kühlung nur 30 Pfg., wobei allerdings nicht verschwiegen sein 
darf, dass dies die Selbstkosten sind. Herr Lippert betreibt nämlich seine 
Milchwirtschaft aus Liebhaberei und will keinerlei Gewinn aus ihr enielen. 

Wie e>>en erwähnt, werden in dem Lippertschen Stall die Euter der 
Kühe vor dem Melken mit trockenen Tüchern gereinigt. Hinsichtlich der Frage, 
in welcher Art die Enterreinigung am rationellsten vorzunehu en ist, d. h. so, 
dass beim Melken einerseits keine Keime vom Euter herabfallen und in die 
Milch gelangen, anderseits aber auch keine entzündlichen Reizungen am Enter 
entstehen können, gab Prof. Dr. Ostertag vom hygienischen Institut der 
Berliner tierärztlichen Hochschule in seinem lehrreichen auf der Ausstellung 
gehaltenen Vortrage: „Ueber die Regelung des Milchverkebrs vom hygienischen 
Standpunkte“ eine sehr bemerkenswerte Anregung. Bekanntlich reagieren die 
Euter anf Waschungen mit Entzündungserscheinungen, deshalb wird in der 
Schweiz seit längerer Zeit ein Verfahren geübt, dass in folgenden Akten 
besteht: 

1. Grobe Reinigung der ganzen Euteroberlläehe und der Umgebnng (be¬ 
nachbarte Teile, Hinterscfaenkel) mit den Händen. 

2. Einfetten der ganzen Enteroberfläche and der Umgebnng mit einem 
Wolltuch, (las leicht angefettet ist. 

3. Reinigung der Hände des Melkers mit Seife und Wasser. 

4. Wegmelken der ersten Kubikzentimeter in die Streu. 

Wird so vorgegangen, so lässt sich eine keimfreie Milch erzielen. Wie 
Herr Prof. Ostortag mir vor kurzem brieflich mitzuteilen die Güte hatte, 
konnte er sich bei der Herstellung von Milchnährböden von der Brauchbarkeit 
des Verfahrens zur Gewinnung steriler Milch überzeugen. Nachdem ich einen 
Stallbesitzer gefunden habe, der sich bereit erklärt hat, nach dieser Methode 
eine Zeitlang melken zu lassen, bin ich zar Zeit in dem hygienisch - bakterio¬ 
logischen Laboratorium der hiesigen Königl. Regierang mit der Bearbeitung 
der noch offenen Frage nach der bakteriellen Eigenschaft von Milch beschäf¬ 
tigt, welche nach dem Verfahren nnter gewöhnlichen Stallverhältnissen 
gewonnen ist. Von dem Ausfall dieser Untersuchung und den sonstigen in der 
Stallpraxis gemachten Erfahrungen soll cs abhängen, ob wir künftigbin im 
diesseitigen Regierungsbezirk für die Anwendung eintreten wollen. 

Die Wiener Molkerei, deren hervorragende und nngeteilten Beifall bean¬ 
spruchende Ausstellungsgegenstände später noch Erwähnung finden sollen, hat 
nnter ihren wichtigsten Massnahmen zur Erzielung einer hygienisch einwand¬ 
freien Verkaufsmilch auch einige Vorschriften für eine rationelle Stall- and 
Melkhygiene erlassen, die als recht nachahmenswert kingestellt werden können. 
Die wichtigsten davon mögen hier folgen, sie lauten: 



706 


Ana Versammlungen and Vereinen. 


a. Haitang der Ktthe. 

1) Haitang der Ktthe in einem reinen, lichten, gnt ventilierbaren Stalle. 

2) Reinlichste Haitang der Ktthe, Vermeidung der Enter • Veranreinignng, 
tägliches Striegeln and Bttrsten der Ktthe. 

3) Tägliche Entfernung des Düngers ans dem Stalle, Verwendung guter and 
reiner Streu. 

4) Genaue Einhaitang der Patter- and Melkzeiten. 

5) Tägliche Bewegung der Ktthe im Freien bei günstiger Witterang. 

b. Fütterung der Ktthe. 

1) Aassohlass eines jeden verdorbenen oder stark riechenden oder sonst nicht 
normalen Futtermittels. 

2) Ausschluss von Mais- oder Kartoffelschlempe, eingesänertem Mais, gähren- 
den Biertrebern n. a. 

3) Aenderung der Fütterung beim Auftreten eines auf die Futtermittel 
zarttckzaftthrenden Milchfehlers. 

o. Melken, Behandlung and Ve rsendang der Milch. 

1) Reinigung der Eater vor dem Melken. 

2) Vornahme des Melkens mit reinen Händen. 

3> Vornahme des Melkens vor der Fütterung oder mindestens eine halbe 
Stunde nach derselben. 

4) Sorgfältiger Schatz der Milch vor jeder Veranreinignng; rasches Entfernen 
der Milch ans dem Stalle; Seihen derselben unmittelbar nach dem Melken 
mittelst Sieb and Seihtuch; möglichst rasche Abktthlnng der Milch anf 6 
bis 8 0 G. Aufbewahrung der Milch in einem gnt ventiliertem Ktthlraam 
(Milchkammer) bei einer Temperatur von 6—8° G. bis znr Versandzeit. 

5) Verwendung von sanitär einwandfreien, gut gereinigten Milch-Transport- 
kannen. 

c. Vorschriften bezüglich des Personals. 

1) Verwendung vollkommen gesander Personen bei der Gewinnung und Be¬ 
handlung der Milch. Ausscbliessung solcher, welche an Tuberkulose, 
Haut- nud anderen Infektionskrankheiten leiden. 

2) Aasschliessung solcher Personen vom Dienste im Hofe, in deren Wohnung 
eine Infektionskrankheit, z. B. Scharlach, Masern, Diphtherie, Blattern 
eingetreten ist, bis zum vollständigen Erlöschen einer Infektionsgefahr. 

3) Sofortige Einstellung der Milchlieferung bei Auftreten von Typhus auf 
einem Gehöfte und Sohadloshaltung des Genossenschafters durch die 
Wiener Molkerei. 

Man steht heute mit Reoht noch allgemein auf dem Standpunkte, die 
auch bei den reinlichsten Melken gewonnene Milch zu seihen oder zu fil¬ 
trieren, um Bie von etwa hineingeratenen Schmutzt ei len zu befreien. 
Seit Jahren bat die Molkereitechnik, um die diesen Zweck nur unvollkommen 
erfüllenden Seihtücher zu ersetzen, die verschiedenartigsten Milchsiebe und 
Milchfilter auf den Markt gebracht, nnd neuerdings wird dabei ein im Hinblick 
auf den Bakteriengehalt bezw. die Haltbarkeit der Milch ganz überaus wich¬ 
tiges, leider aber immer noch längst nicht genügend gewürdigtes Moment mehr 
nnd mehr berücksichtigt. Alle älteren, aber auch jetzt noch vielfach im Ge¬ 
brauch befindlichen Filter, ob sie nun aus Draht- oder Haarsieben bestanden, 
oder ob sie sich ans zwei oder drei zu einandergestellten Siebplatten zusammen¬ 
setzten, krankten nämlich an dem Fehler, dass die Milch mit mehr oder weniger 
starkem Drnck, d. h. durch den Flttssigkeitssänlendruck durch die Siebe ge¬ 
presst wurden. Dabei kann es nun nicht ausbleiben, dass namentlich bei der 
Filtration grösserer Milchmengen durch ein und dasselbe Filter die auf den 
Sieben anfangs zurückgehaltenen Kotpartikelchen oder sonstige auflösbare 
Schmutzbestandteile von den nachfolgenden Milchmengen allmählich zerrieben 
werden und nun in feinsten Teilchen ungehindert die Sieböffnungen passieren. 
Es leuchtet ohne weiteres ein, dass eine so filtrierte Milch wohl von gröberen 
Schmutzbestandteilen frei sein kann, während sie in bazillärer Hinsiebt und in 
besag auf Haltbarkeit als höchst zweifelhaft bezeichnet werden muss und unter 
Umständen viel bedenklicher sein kann, als eine überhaupt nicht geseihte oder 
filtrierte. Diese Kalamität bei der Filtration lässt sich in zweierlei Weise 
umgehen.^ Einmal dadurch, dass man die Milch ohne jeglichen Druck ein enges 
Sieb panieren lässt, so dass sie nur durch ihre eigene Schwere hindurchfliesst. 
Diese Filtrationsmethodik repräsentierten auf der Ausstellung das vom Tier- 



Ans Versammlungen and Vereinen. 


707 


arzt Levens erfundene and von der Firma Levens & AndrA in Goch ver¬ 
triebene Patent-Hilchsieb and ferner das Schebensohe Milehsieb. Beide 
haben sich in der Praxis schon gat bewährt. Wählt man anderseits das Filter¬ 
material so dicht, dass feinste Schmatzpartikelchen nicht mehr passieren 
können and ohne dass dabei dnrch Verstopfen der Filterporen die quantitative 
Leistungsfähigkeit za schaell erschöpft wird, so wird ein solcher Apparat 
ebenfalls zweckentsprechend sein. In dieser Weise ist der Ul and ersehe 
Milchreiniger, bei dem das wirksame Prinzip die Anwendung von einer oder 
zwei zwischen zwei bezw. drei Siebplatten befestigten Wattescheiben darstellt, 
konstruiert. Prof. Dr. Vieth, der Direktor deB milchwirtschaftlichen Insti¬ 
tutes Hameln empfiehlt diesen Apparat aaf das wärmste and sagt, dass ihm 
bisher keine Reinigangsvorrichtang für Milch näher bekannt geworden ist, 
welche ihren Zweck in gleich einfacher and gleich vollkommener Weise er¬ 
reichen lässt. Aach die quantitative Leistangsfähigkeit befriedigte durchaus, 
insofern als ent nachdem 120—150 Liter Milch das Filter passiert haben, die 
Anwendnng einer neuen Filterscheibe notwendig wird. In ganz ähnlicher, 
sogar noch etwas einfacherer Weise arbeitet der von F. Pittias ansgestellte 
hygienische Milchreiniger „Freya“, bei dem nnr eine Wattescheibe, die zwischen 
Metallscheiben aas gelochtem Blech angebracht ist, zur Verwendung kommt. 
— Einen Versach, jede Seih- and Filtriervorrichtang annOtig za machen und 
dnrch einen entsprechend konstruierten Melkeimer za ersetzen, stellt der 
WertgenBche Sicherheitsmelkeimer, Purificator“ dar. Die Milch läaft 
bei ihm daroh eine hinreichend grosse Oeffnang zunächst durch ein gröberes 
Sieb, dann darch ein feines Haarsieb. Beide Siebe können mit einem Griff 
abgenommen, aaseinandergezogen and in Wasser gereinigt werden. Am Ans¬ 
guss findet sich ein luftdichter Verschloss. Ich mochte die Anwendung eines 
solchen Eimers dann als einen Fortschritt ansehen, aber auch nur dann, wenn 
bei seinem Gebrauch streng darauf geachtet wird, nach dem Melken jeder ein¬ 
zelnen Kuh die Siebreinignng in reinem Wasser vorzunehmen; dagegen mOchte 
ich nicht den Filtrier-Zentrifugen, die neuerdings verschiedentlich empfohlen 
werden und auch in der Ausstellung vertreten waren, das Wort reden. An¬ 
geblich ist mit ihnen, ohne dass Entrahmung eintritt, eine genügende Heini- 
gang der Milch za erzielen. Ich kann mir das .nicht vorstellen, am aller¬ 
wenigsten dann, wenn sie fttr den Handbetrieb eingerichtet sind, da man mit 
etwa 600 Umdrehungen in der Minnte unmöglich die leichtesten Scbmntzteile 
aus der Milch herauszentrifugieren kann. 

In diesem Zusammenhänge sei noch der Desinfektion von Milch¬ 
viehstallungen gedacht. Leider bot die Ausstellung nichts, was die Unzu¬ 
länglichkeit der bisherigen Desinfektionsverfahren zu vervollkommnen geeignet 
gewesen wäre. Da die Milch bekanntlich gegen Aromata irgend welcher Art 
sehr empfindlich ist und leicht deren Geschmack und Geruch annimmt, so ergibt 
sich — unter selbstverständlicher Voraussetzung eines guten Effektes — als 
Haupterfordernis einer für Kuhställe sich eignenden Desinfektionsmethode not¬ 
wendigerweise die Gernchlosigkeit der znr Desinfektion verwendeten Mitte). 
Annähernd ebenso wichtig ist die Ungiftigkeit. Erst in dritter Linie kommt 
es auf die Einfachheit und Handlichkeit der anzuwendenden Apparate an. 
Die ausgestellten einschlägigen Apparate, z. B. der LflbbeckeBche, ein nach dem 
Prinzip des Heronsballes arbeitende 3prayapparat, waren als zweckentsprechend 
zu bezeichnen, nicht aber die von den Ansstellern vorgeschlagenen Desinfektions¬ 
mittel, mit welchen die Apparate arbeiten sollten. Heisse SodalOsung versprüht, 
ist in ihrer desinfizierenden Wirkung ebenso unsicher wie parfümierter Nitro¬ 
benzol. Chinosol ist aber für Ställe im allgemeinen unbrauchbar, weil es 
Eisenteile stark angreift. Aus diesen Gründen musste auch die gestellte Preis¬ 
aufgabe: „Desinfektionsverfahren für Milchviehstallungen“ als nngelOst be¬ 
trachtet werden. So lange wir keine für die allgemeine Anwendnng brauch¬ 
bare Desinfektionsmethode haben, wird zn deren Ersatz darauf hinzuwirken 
sein, die Ställe so einzurichten, dass sie der mechanischen Reinigung leicht 
zugänglich sind, womit aber nicht gesagt sein soll, dass dies nicht unter allen 
Umständen anzustreben wäre. A1b Muster in dieser Hinsicht konnte der er¬ 
wähnte Hüttenrauchsohe Stall dienen. Auch der altbewährte Kalkanstrich, 
welcher den Tieren nicht schadet, wohl aber alles sich ansetzende Ungeziefer, 
und sei es auch nur Fliegenbrut, vernichtet, keinen unangenehmen Geruch 
hinterlässt, welcher auf die Qualität der Miloh nachteiligen Einfluss ansübt, 



706 


Aas Versammlungen und Vereinen 


wirt vorteilhaft snr Desinfektion heranzusiekea sein; wer ihn oft erneuert, 
übt eine wirksame Prophylaxe. 

Wenn ich bei einigen Punkten der MUebgewinnnng etwas länger ver¬ 
weilt habe, so geschah das in wohlüberlegter Absicht. Enthält das andeutungs¬ 
weise Besprochene auch nur die Hinweise auf die elementarsten örnndsätse der 
Milchgewinnung, so sind sie doch auch gleichzeitig die wichtigsten, nnd 
die sanitäre Beanfsichtignng der Milchwirtschaft hat diese Verhältnisse 
besonders ins Ange an fassen. Mit Recht wird daher auch neuerdings 
bei der gesamten Milehprodnktion, vornehmlich der der Kindermilch, der 
Hauptwort auf die saubere nnd einwandfreie Gewinnung gelegt; ist erst 
einmal im Stalle die Milch verschmutzt, so ist sie durch kein Mittel der Welt 
wieder su einem wohlschmeckenden und bekömmlichen Nahrungsmittel umzu¬ 
gestalten. Zum Glück finden aber hier die sanitären Bestrebungen bis su einem 
gewissen Grade eine Stütze am pekuniären Interesse der Produzenten selbst, 
denn nur eine saubere Milch lässt beim Versand an Molkereien und Milchhändler 


oft grosse Verluste vermeiden, und bei der Gewinnung der allein gutbezahlten 
erstklassigen Butter spielt die Sauberkeit des Rohmaterials die Hauptrolle und 
eine vielleicht noch grössere in der Käserei. 

Dem Melken hat sich bekanntlich, sofern nicht die Milch am Produktions¬ 
orte selbst sofort weiter verarbeitet wird, unmittelbar die Kühlung der 
Milch anzuscbliessen; es ist zu fordern, dass sie auf mindestens 12° C. 
gekühlt wird, ehe sie zum Transport gelangt. Ueber die zur Ausstellung ge- 
langten Kühlapparate ist im allgemeinen nichts Besonderes zu berichten. So¬ 
wohl die kleineren für die Produktionsart der Milch bestimmten, welche die 
für den Transport notwendige Temperaturerniedrigung bezwecken sollen, als 
auch die grösseren für die Sammelmolkereien waren, soweit ich mich unterrichten 
konnte, nur in den bekannten Formen —Röhrenkühler nach Lawrence schein 
System und Schmidt scher runder Kühler mit gewellter Blech wand — ver¬ 
treten. Neu war nur der von Sem ml er & Gsell in Düsseldorf ausgestellte, 
einen enormen Kälteeffekt erzielende Berieselungsmilcbkühler, in dem die 
Kälteerzeugung durch Verdampfung von Schwefeldioxyd geschieht. Gelegentlich 
der Besprechung der Milchkühlung sei aber nachdrttcklichst bingewiesen auf 
die Ausstellungsgegenstände der „Gesellschaft für allgemeine hygienische Milch¬ 
versorgung“ in Berlin, dorrt» System einer hygienischen Milchversorgung als 
prinzipielle Grundlage die Tiefkühlung der Milch hat. Der Leiter der Gesell¬ 
schaft, der bekannte Milchtechniker Ingenieur Wilhelm Helm in Berlin, bat 
in einer sehr sehr lesens- und beherzigenswerten Arbeit, die in der im Aufträge 
der wissenschaftlichen Abteilung der Ausstellung herausgegeberen Festschrift: 
„Die Milch und ihre Bedeutung für Volkswirtschaft und Volksgesundheit“ 
veröffentlicht ist, die Vorzüge des Verfahrens der Milchtiefktthlung in 
Ueberzeugung dargelegt. Diese Vorzüge der Neuorganisation basieren in erster 
Linie darauf, dass die Arbeiten der Milchversorgnng auf einen viel grösseren 
Zeitraum, als es bisher möglich war, verteilt werden können; denn die tief¬ 
gekühlte Milch ist von grosser Haltbarkeit und nicht mehr ein Handelsartikel, 
der mit aller Hast vertrieben werden muss, will man nicht durch sein Ver¬ 
derben empfindliche Einbussen erleiden. Die Molkereien, welche das neue 
System eingeführt haben, arbeiten in der Weise, dass sie die eingelieferte 
MUch durch Kältewirkung haltbar machen, den Tag über aufbewahren und am 
nächsten Tage vor Einlieferung der frischen MUch verkaufen oder versenden. 
Wer daher einen solchen Betrieb besichtigt, erhält den Eindruck, als ob die 
Molkereien die MUch eher verkaufen, als Bie solche erhalten. Die gewonnenen 
VorteUe sind so bedeutend, dass die Betriebsführung mit der Kältemaschine 
auch im Winter aufrecht erhalten wird. Eine derartige Organisation des 
Betriebes mit ihrer Rahe und Ordnung ermöglicht natürlich eine ganz andere, 
viel sorgfältigere und subtilere Behandlung der Milch und auch ihrer Trans- 


portgefässe, als man sie ihnen in anderen Molkereien angedeihen lassen kann, 
in denen Anlieferung, Prüfung und Verteilung der Milch sowie Reinigung der 
Transportgefäsae, also fast die ganze Arbeit sich auf wenige Vormittagsstunden 
zusammendrän$t und in grösster Eile erledigt zu werden pflegt. Auch dem 
Produzenten bietet die Neuorganisation, da die Milch erst viel später als 
früher angeliefert su werden braucht, eine nicht zu unterschätzende Er- 
leichtecang mancher Unbequemlichkeiten, die mit der Milcbgewinnung auf dem 
Lande verknüpft sind. „Während sonst, namentlich im Winter, in sehr früher 



Am Venamnlungea uad Vuebna 


709 


Morgenstunde bei der Lntene die Mi lob ermolken werden müsste, wobei und 
reinliches Melken, gutes Ausmelken, reinliebe Behandlung der Milch kaum 
Blicksieht genommen werden konnte, ist jetst fttr alle diese Arbeiten die nötige 
Zeit gewonnen, und der strebsame Landwirt ist in die Lage versetzt, vor¬ 
zügliche Milch zu liefern und dadurch die Anwartschaft auf einen höheren 
Preis zu gewinnen. * Um die Temperaturerniedrignng, welche die Milch in 
der Zentrale erfahren hat, zu erhalten, sind zum Transport an die einzelnen 
Milchhändler die Transportgefässe so konstruiert, dass eich die einzelnen Qefässe 
dicht an dicht und dicht auf dicht stellen lassen, um dadurch einen einzigen 
Milchblock zu bilden, der nun von oben und den Seiten her durch einfache 
Isolierung mit Strohdecken oder dgl. vor Erwärmung leicht geschützt werden 
kann. Um der Milch auch in den Verkaufslokalen die Kälte zu erhalten, 
gelangen die Transportgefässe in einfache isolierte Aufbewahrungsräume. Zum 
Verkauf der Milch werden die Transportgefässe mit einer einfachen Hebe¬ 
vorrichtung herausgehoben, mit einem Zapfdeckel versehen nnd umgekippt. 
Alle diese Manipulationen können leicht und ohne Kraftanstrengung von 
einer einzigen Person ausgeführt werden. Auf die geschilderte Weise ist der 
geringste Verbrauch an Kälte gesichert; ein Umgiescen der Milch wird ver¬ 
mieden und damit die Möglichkeit ihrer Infizierung oder des Hin ein geratene 
von Fliegen und anderen Insekten ausgeschlossen. Ueberall dort, wo das neue, 
übrigens billig arbeitende Verfahren eingeführt ist, hat es sich schnell den 
Beifall des Pablikums erworben und solche Mehreinnahmen zur Folge gehabt, 
dass die Anschaffangskosten für die Kältemaschinen und Transportgefässe in 
kurzer Zeit gedeckt werden konnten. Wer auf der Ausstellung den von der 
Berliner Gesellschaft eingerichteten Milchausschank und die blitzsauberen 
Verkaufsläden mit all ihren ebenso einfachen wie praktischen Einrichtungen 
gesehen hat, wird sich der Ansicht nicht verschliessen können, dass es sich hierbei 
um einen hervorragenden Fortschritt in der städtischen Milchversorgung handelt, 
der als ein glänzendes Vorbild auf diesem anerkanntermassen ausserordentlich 
bedeutungsvollem Gebiet bezeichnet werden kann. 

In vortrefflicher Weise war das Milchtr aasportwesen in der Aus¬ 
stellung seitens einer Beihe von Firmen behandelt. Von Milchwagen nnd 
Karren, welche bestimmt waren für Beförderung der Milch von der Produktions- 
Stätte bis zur Eisenbahnrampe bezw. bis zum Geschäftslokal des Händlers und 
für den Vertrieb der Milch im Stadtverkehr, war eine stattliche Zahl von 
Exemplaren zu sehen. Ihre nähere Schilderung dürfte über den Rahmen dieser 
Besprechung hinansgehen. Auch Miicktransportkannen waren in mannigfach 
varierten Formen und Ausstattungen ausgestellt. Als beste konnte eine 
Kollektion von gestanzten, nahtlosen mit Verzinnung versehenen und mit 
Stechdeckel und Gummidichtung ausgestatteten angesehen werden. Interessant 
war mir, dasB als zweckmäßigster Deckelverschlnss für Milcheimer im städtischen 
Verkehr ein staub- und wasserdicht konstruierter Holzdeckel von den Preis¬ 
richtern bezeichnet wurde, und zwar, wie mir von kompetenter Seite mitgeteilt 
wurde, besonders deshalb, weil nur ein bölzener Deckel nicht der Gefahr des 
Vcrbeulens und infolge dessen der der Undichtigkeit unterliegt. 

Von verschiedenen Firmen waren vollständige Molkereien mit 
Beinigungs-,Pa8teurisiernng8-,Kühlungs-und Verarbeitungs¬ 
apparaten ausgestellt, in denen Behandlung und Vertrieb der Milch teils 
im Original, teils in Modellen vorgeführt wurde. An der Spitze stand die 
Wiener Molkerei, „die schönste Molkerei der Welt“, die in tadellos gearbeiteten 
Modellen, Photographien und graphischen Darstellungen ein vollständiges Bild 
ihrer grossartigen und interessanten Tätigkeit geboten hatte. Das, was 
Modellen ja überhaupt an unmittelbarer Wirkung und Eindrncksfähigkeit ab¬ 
geht, ersetzte hier die minutiöse und anschauliche Darstellung des umfang¬ 
reichen Betriebes. Imposant wirkte die grosse Arbeitshalle, eines 75 m langen, 
11 m breiten und durch zwei Stockwerko reichenden Raumes, in welchem den 
hygienischen Anforderungen durch eine entsprechende Ansstattung sorgfältig 
Rechnung getragen ist, insofern als die Verwendung von Holz ganz vermieden 
ist, die Wände 2 m hoch mit glasierten Tonplatten verkleidet Bind, der 
Fussbodeu aus starken heilen Klinkerplatten hergestellt und somit jede 
Gelegenheit zur Staub- und Schmutzansammlung vermieden ist Für Luft und 
Licht sorgen 48 grosse Fenster, nebenbei ist eine künstliche Ventilation ein¬ 
gerichtet. In der Halle befindet sich die grosse Milchtribüne, auf welcher 



710 


Aus Versammlungen nnd Vereinen. 


Filter, Kühlapparate nnd Sammelbassins anfgestellt sind. Die Mileh wird nach 
Kiesfiltration anf 4° C. herabgekfiblt nnd sofort entweder in Kannen gefüllt, 
welche für grossere Kunden, sowie fflr die Ansschankmilch in den Filialen 
bestimmt sind, oder nnd «war mm grösseren Teil in Flaschen gefüllt. Der 
Milchverkauf anf offener Strasse wird ans hygienischen Gründen grundsätzlich 
vermieden nnd fast die ganze Milchproduktion in plombierten Flaschen ab¬ 
gesetzt. Znr Zeit gelangen täglich ca. 30000 Flaschen znr Ansgabe. Es ist 
nicht zu leugnen, dass vom hygienischen Standpunkte ans der Flaschenmilch¬ 
handel nnstreitig die vollendeste Art des Milchverkanfes darstellt. Dass ihm 
anch an vielen anderen Orten allmählich mehr nnd mehr der Vorrang vor 
allen anderen Verkanfsarten eingeränmt wird, ist als eine höchst erfreuliche 
Ereoheinnng zn hegrüssen; als ein Beweis für seine znnehmende Beliebtheit 
konnten anch anf der Ausstellung die zahlreichen Kollektionen von Milch¬ 
flaschen, FlaschenverschlüB8en sowie von Apparaten znr Flaschenfüllung nnd 
Reinigung gelten. Der Verkauf von pasteurisierter Milch ans der Wiener 
Molkerei ist nnr gering, da die dortige Bevölkerung gegen solche Milch znr 
Zeit einen Widerwillen hegt nnd roher Milch den Vorzug gibt. Die Wiener 
Molkerei legt ans diesem Grunde nm so grösseren Wert anf die hygienisch 
einwandsfreie Gewinnnng nnd Behandlung der Milch, vom Melken angefangen 
bis zum Verkaufe derselben. 

Ueberhanpt sollte man davon zurückkommen, in der Milchpasteurisie- 
rnng, deren allgemeine gesetzliche Einführung ja von mancher Seite bestimmt 
verlangt wird, ein unbedingt sicheres Schutzmittel gegen gewisse Gefahren 
des Milchgennsses zu erblicken. „Es lässt sich", wie Rnbner in seinem Ans- 
stellungavortrage ansführte, „nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob die 
Milch als Nahrungsmittel besser wäre, wenn sie nnr pasteurisiert in den Handel 
gelange. Die pasteurisierte Milch hält sich länger, ehe sie sichtbare Ver¬ 
änderungen, die sie als Handelsware untauglich macht, eingebt. Voraussichtlich 
wird der Detailhändler die pasteurisierte Milch eben auch länger aufbewahren 
können und wollen. Er braucht sie nicht mehr so sorglich zu behandeln, wie 
die nicht pasteurisierte Milch. Die schliesslichen Veränderungen sind aber 
wesentlich andere, als die bei roher Milch. Diese wird sauer, dadurch ist 
die Genussfähigkeit aufgehoben. Die pasteurisierte Milch macht aber zu¬ 
nächst unsichtbare und unmerkliche Verändernngen durch, die dem Kon¬ 
sumenten den Darm gründlich verderben können. Man sollte derartige Vor¬ 
schläge, die meist nur Vorteile nach einer Seite bieten, gründliehst überlegen, 
wenn man nicht von der Scylla in die Charybdis gelangen will." 

Der Hygieniker wird daher aus diesen und anderen Gründen die Miloh- 
pastenrisierung nnr als einen Notbehelf, dessen wir aber leider z. Zt. noch 
nicht entraten können, ansehen müssen und nur diejenigen Bestrebungen, welche 
anf die Möglichkeit der Lieferung einer unverdächtigen Rohmilch an die Kon¬ 
sumenten hinanslaufen, mit wahrer Genugtuung verfolgen und hegrüssen können. 
In besonderem Masse gilt dies fflr die Ernährung der Säuglinge, forderen 
Organismus nur eine Milch im Rohzustände, nicht aber eine durch Einwirkung 
hoher Wärmegrade in ihren biologischen, chemischen und physikalischen Eigen¬ 
schaften stark veränderte, als ein rationelles Nährmittel angesehen werden 
kann. Wohlverdientes Interesse wurde daher allseitig dem von dem Leipziger 
Privatdozenten Dr. med. Seiffert ausgestellten, höchst originellen Verfahren 
gewidmet, bei welchem die Milch durch Bestrahlung mittels ultra¬ 
violettem Licht sterilisiert wird. In kurzem dargestellt ist das Ver¬ 
fahren folgendes: Die Milch wird möglichst sauber gewonnen, gelangt sofort 
dnrch Glasheber aus dem Melkeimer in den Keimtötnngsapparat, d. h. eine 
Anzahl von terrassenförmig angeordneten Gefässen, welche die Milch in einem 
solchem Gefälle dnrcbfliesst, dass sie 2 Minuten der Einwirkungsdauer der 
über den Gefässen befindlichen Belenchtungkörpern ansgesetzt sind. Der Be¬ 
leuchtungskörper besteht für jedes Gefäss aus einer von zwei Leydener Flaschen 
gespeisten Funkenstrecke mit Aluminium oder Kadmiumspitzen, welche dnrch 
den hochgespannten Strom eines Ruhmkor ff sehen Apparates versorgt wird. 
War die Milch die angegebene Zeit der Bestrahlung ausgesetzt, so ist sie ab¬ 
solut steril. Sie wird dann in einen Ahfüllapparat in sterile Flaschen gefüllt, 
so zwar, dass eine Luftinfektion dabei mit Sicherheit ausgeschlossen ist, auch 
die Aufbringung von sterilen Staniolkapseln anf die Flaschen geschieht mit 



Aas Versammlungen und Vereinen. 


711 


einer sinnreich konstruierten Maschine so, dass ein Hineingeraten von Keimen 
in die Milch gans unmöglich ist. 

Wenn sich das Verfahren, welches jetzt vorläufig noch den Eindruck eines 
allerdings hochinteressanten wissenschaftlichen Experimentes macht, so gestalten 
lassen wird, dass es in der Praxis relativ leicht durchführbar und im Betriebe 
nicht zu kostspielig wird, so wird es, meine ich, einen Wendepunkt in der 
ganzen Milchhygiene bedeuten. 

Das vielnmstrittene, überaus schwierige Problem einer geeigneten Mager- 
milohyerwertung bot natürlich auch auf der Ausstellung den vielen, die 
sich um seine Lösung mühen, Gelegenheit, ihre einschlägigen Arbeiten und 
Versuche vorzulegen. Die Ausstellnngsleitnng hatte mit ihrer Preisaufgabe: 
„Verfahren snr Herstellung eines billigen Volksnahrnngsmittels ans Magermilch 
evt. unter Mitbenutzung anderer Nährstoffe" den, glaube icb, einzig richtigen 
Weg gewiesen, auf welchem sieh die Versuche einer rationellen Befreiung der 
Molkereien von der Magermilchscbwemme künftig zu bewegen haben. Denn 
gegen alle anderen Verwertungsarten, sei es zn Viehfntterzwecken, sei es zu 
technischen Zwecken, lassen sich gntgegründete Bedenken erheben. Der für 
Lösung der Preisaufgabe gestiftete Preis wnrde geteilt und es erhielt die 
Schweizer Firma Streckeisen für kondensierte Magermilch, ungezuckert, offen 
und in Flaschen, Magermilch ohne Zusatz und Magermilcbhafermehl, Lactaven 
genannt, die grössere, und die Berliner Fabrik von E. Passburg für Mager- 
milchpulver und Magermilchbrocken, die kleinere Hälfte. Mir möchte scheinen, 
als ob derjenigen Richtung, welche die Herstellung eines wohlfeilen haltbaren 
Volksgetränkes, das aber billiger oder wenigstens nichts teurer als Bier sein 
müsste, zum Ziele hat, die Zukunft gehört. Diese Richtung war in beachtens¬ 
werter Weise mehrfach vertreten. Die Berliner „Adsella-Gesellschaft" z. B. 
vertreibt einen gut schmeckenden Milehsekt zum Preise von 10 Pfg. für */ 10 Liter 
und hat bereits ausser in Berlin in Stettin und Breslau ein gutes Absatzfeld 
gefunden. 

Wenn ich der sehr wohlgelungenen und gediegenen wissenschaft¬ 
lichen Abteilung anf der Ausstellung nicht gedacht habe, so geschah das 
nicht etwa, weil ich ihren Wert unterschätze, sondern nur aus der Ueberzeugung, 
dass mit einem kurzen Bericht darüber niemanden gedient sein kann. Ein 
Bild der instruktiven Demonstrations- und Unterrichtsobjekte, der zahreichen 
vorzüglichen pathologisch-anatomischen Präparate, der vielen graphischen Dar¬ 
stellungen statistischer Arbeit lässt sich zudem in Worten nicht wiedergeben; 
sie wollten gesehen sein. 

Schliesslich sei nochmals hingewiesen auf die schon erwähnte literarische 
Beigabe zur Ausstellung, die Festschrift: „Die Milch und ihre Bedeutung 
für Volkswirtschaft und Volksgesundheit". 1 ) Sie ist von ausgezeichneten Fach- 


J) C. Boysers Verlag, Hamburg 1903; Gr. 8; 522 S. Die Festschrift ist 
im Aufträge der wissenschaftlichen Abteilung der Ausstellung von dem Physikus 
Dr. Sieveking herausgegeben und enthält die nachstehenden Arbeiten: 1 Die 
Hauptphasen der geschichtlichen Entwickelung des Molkereiwesens in den 
letzten Jahrzehnten von Geb. Hofrat Prof. Dr. Kirchner in Leipzig. 2. Stati¬ 
stisches über Rindviehhaltung und Milchwirtschaft in verschiedenen Ländern 
von H. Mohr in Hamburg. 3. Grnndzüge der Stallbygiene von Dr. Wilhelm 
Stödter, Polizeitierarzt in Hamburg. '4. Fütterung des Milchviehes von 
Dr. Noll, Assistent am hygienischen Institut zu Hamburg. 5. Die schädliche 
Wirkung der Krankheiten der Milchkühe, der Verabreichung bestimmter Arz¬ 
neien nnd einer ungeeigneten Fütterung mit Bezug auf die Beschaffenheit der 
Milch von Friedrich Glage, Polizeitierarzt nnd Leiter der bakteriologischen 
Station des Veterinärwesens zu Hamburg. 6. Die Tiefkühlung der Milch als 
Grundlage der hygienischen Milchversorgnng von Wilh. Helm, Ingenieur in 
Berlin. 7. Ueber Einrichtung und Betrieb von Milchbandlnngen mit besonderer 
Berücksichtigung der Hamburger Verhältnisse und 8. welche Rolle spielt die 
Milch bei der Verbreitung von Typbus, Diphtherie und Scharlach? von Dr. 
G. H. Sieveking, Physikus und Stadtarzt in Hamburg. 9. Milch und Tuber¬ 
kulose von Dr. med. Rosatzin in Hamburg. 10. Milchkonservierungsmittel 
nnd deren Gesundheitsscbädlicbkeit von Dr. C. Hagemann, Kreisassistenz- 
arzt, Münster i. W. 11. Säuglingsmilch und Milcbpräparate von Prof. Dr. 



712 


Besprechungen. 


männern geschrieben and enthält eine Sammlung tob gemeinverständlichen 
aber streng wissenschaftlichen Aafsätsen ans den verschiedenen Gebieten der 
MilohWirtschaft. Dr. Wolff-Stralsund. 


Besprechungen. 

Dr. Th. Ziehen, o. Professor an der Universität Utrecht: Psychiatrie. 

Bearbeitet für Aerste and Studierende. Zweite vollständig amgearbeitete 

Auflage. Leipzig 1902. Verlag von L. Eirzel. Preis: 16 Mark. 

Wir verdanken dem Verfasser des vorliegenden Baches eine Darstellung 
der physiologischen Psychologie, die bereits in 6. Anflage erschienen ist und 
sieh einer weitgehenden Beliebtheit erfreut, während sein Lehrbuch erst jetst 
— 8 Jahre nach seinem ersten Erscheinen — su einer sweiten Auflage gelangt ist. 
Die Gründe für diesen geringen Erfolg des Werkes liegen nicht an diesem 
selbst, sondern wie uns scheint, in erster Linie an dem Vorherrschen der 
Kraepelinschen Lehren. Jedenfalls wird man dieser sweiten Anflage eine 
gute Prognose stellen können. Der Verfasser geht von einfachen und klaren 
psychologischen Anschauungen aus, die sich im Gegensatz nur herrschenden 
Wundtsohen Lehre auf ein grundlegendes Schema reduzieren lassen, das ihm 
zur Erklärung aller psychischen Phänomene ausreicht. 

Nach Ziehens Auffassung gibt es nur zwei psychologische Elemente 
(S. 5): Empfinden und Vorstellen, mit beiden arbeitet die Ideenassoziation; 
das Ergebnis ist die Handlang. Begleitet werden jene beiden von Gefühls- 
tönen, aus Lust- oder Unlastgeftthlen entstehend, die von verschiedener Qualität 
und Quantität, wie Intensität sein können. Verfasser erörtert im Anschluss 
an diese fundamentalen Sätze die Störungen der Empfindungen und Vorstellungen, 
der Affekte, der Ideenassoziation und des Handelns stets unter Hinweis auf 
ihren Zusammenhang mit psychischen Störungen. Ein vortreffliches Kapitel 
bildet die Besprechung der somatischen Begleiterscheinungen der Psychosen, 
aus dem nur einige wichtige Sätze über die erbliche Belastung und ihre 
Bedeutung hervorgehoben werden mögen. Nach Verfasser unterscheiden sich 
Psychosen, die sich auf Grund der Belastung entwickeln, nicht von solchen 
andersartiger Entstehungsweise; dagegen verleiht die erblich - degenerative 
Modifikation den Störungen in vielen Fällen ein spezifisches Gepräge; im 
eigentlichsten Sinne gilt dies für die degenerative psychopathische Konstitution. 
Mit grosser Regelmässigkeit finden sich bei letzterer somatische und psychische 
Degenerationszeichen; hierher rechnet Verfasser u. a. Labilität der Affekte, 
neben bisarren einseitigen Gefühlsbetonungen, Ungleichmässigkeit der Ver¬ 
anlagung, Neigung zu überwertigen Vorstellungen; Symptome, die sich oft 
schon recht früh bemerkbar machen. Aus den Bemerkungen über allgemeine 
Prognose interessiert die Angabe Ziehens (S. 247), dass etwa 30 \ dauernde 
Heilungen bei Geistesstörungen nnter sachgemässer Behandlung erzielt werden. 
Ein sehr lesenswertes Kapitel über die Therapie der Psychosen, das eine 
Menge zutreffender Angaben und Erfahrungen enthält, beschliesst den all¬ 
gemeinen Teil. 

Im speziellen Teil finden wir eine eigehende Darstellung der psychischen 
Störungen unter Gruppierung des Materials in zwei Hauptgruppen: solche ohne 
und solche mit Intelligenzdefekt. Wie gegen die meisten bisher versuchten 


Edlefsen in Hamburg. 12. Kindersterblichkeit und Milch Versorgung von 
Dr. v. Oh Ion. 13. Die Behandlung der Milch im Haushalt von Dr. Wolfgang 
Weichardt. 14. Uober Käse Vergiftung von Physikns Dr. Lochte in Ham¬ 
burg. 15. Ueber die durch Mikroorganismen bedingte Gesnndheitsschädlicbkeit 
der Butter and anderer Produkte von Dr. Kister, AbteilungsVorsteher am 
hygienischen Institut in Hamburg. 16. Die Saprophyten der Milch und ihre 
Beziehungen zur Milchwirtschaft und zum Molkereigewerbe von Prof. Dr. 
H. Weigmannn in Kiel. 17. Die pathogenen Mikroorganismen in Milch und 
Milchprodukten von Dr. phil. nnd med. H. L. Plaut in Hamburg. 18. Chemie 
der Milch von Dr. Eichloff, Vorsteher des milch wirtschaftlichen Instituts der 
pommerschen Landwirtschaftskammer in Greifswald. 13. Die Analyse der Milch 
von J. Zink, wissenschaftlicher Assistent des hygienischen Instituts in Hamburg. 



Tagesnachrichten. 


718 


Einteilungsprinzipien lassen sieh auch gegen die des Verfassers manche schwere 
Bedenken geltend maohen. Es sei gleich erwihnt, dass Ziehen sn den Defekt* 
psychosen alle Schwaohsinnsformen angeborener and erworbener Natur rechnet, 
so dass die epileptische Demenz an dieser Stelle ihre Erörterung findet, während 
der epileptische Dämmerzustand und die epileptische psychopathische Konstitution 
zu den Psychosen ohne Intelligenzdefekte gezählt werden. In der viel* 
umstrittenen Paranoiafrage stellt sich Verfasser auf den älteren Standpunkt 
Westphals, der eine einfache und halluzinatorische Form annabm, beide 
in chronischer oder akuter Weise verlaufend. Hierher gehören alle Psychosen 
mit primären Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen. Wie man sieht, 
nähert sich Ziehen in dieser umfassenderen Auffassung des paranoischen 
Krankheitsbildes den Anschauungen Wernickes. Darchaus originell ist die 
Zusammenfassung aller Dämmerzustände unter den gemeinsamen Gesichtspunkt 
des klinischen Verlaufes; sie stehen den akuten Formen der Paranoia (Delirium 
tremens) sehr nahe. Unter zusammengesetzten Psychosen versteht Verfasser 
die periodisch und zirkulär verlaufenden Geistesstörungen, zu denen er auch 
die Katatonie im 8inne Kahlbaums rechnet. Diese kleine Gruppe von 
Krankheitsbilder gibt den Uebergang zur zweiten Hauptgruppe: den Störungen 
und Intelligenzdefekt, letzterer ist zusammengesetzt aus Gedächnisschwäche 
und UrteilsBchwäche. Hier finden alle Schwachsinns- und Verblödungsprozesse 
eine einheitliche Darstellung. Zum Schlüsse gibt Ziehen eine sehr dankes¬ 
werte Uebersicht Uber die für die Psychiatrie wichtigen straf* und zivil¬ 
rechtlichen Gesetzesbestimmungen. Auch den einzelnen Kapiteln sind kurze 
Erörterungen über die gerichtsärztliehe Bedeutung der einzelnen Störungen 
beigefttgt, so dass das Buch neben seiner vortrefflichen klinischen Darstellung 
auch ein reiches Material an gerichtsärztliohen Angaben und Hinweisen enthält 

Dr. Pollitz-Münster. 


Tagesnachrichten. 

Die am 12. September d. J. in Halle a.'S. abgehaltene XX. Haupt¬ 
versammlung des Preussisehen Medizinalbeamtenvereins hat unter ver¬ 
hältnismässig reger Beteiligung der Vereinsmitglieder einen recht befrie¬ 
digenden Verlauf genommen, der nicht zum geringsten Teile den vom Orts¬ 
ausschüsse in vorzüglicher Weise getroffenen Vorbereitungen zu danken ist. 
Als Vertreter des Herrn Ministers war H. Geh. 0b.-Med.-Bat Dr. Schmidt¬ 
mann erschienen, der die Versammlung in dessen Aufträge mit warm em¬ 
pfundenen Worten begrüsste und ihren Verhandlungen den besten Erfolg 
wünschte. Dasselbe geschah von dem als Vertreter des H. Regierungspräsi¬ 
denten erschienenen H. Ob.-Beg.-Rat Czirn v. Terpitz in Merseburg und von 
dem als Vertreter der Stadt erschienenen Geh. Beg.-Bat Oberbürgermeister 
8taude. 

Ein reicher Damenflor trug bei dem unter grosser Teilnahme stattfin¬ 
denden Festessen wesentlich dazu bei, dass an demselben eine lusserst ver¬ 
gnügte Stimmung herrschte. 

Nicht ganz so gut war der Besuch der sich anschliessenden II. Haupt¬ 
versammlung des Deutschen Medisinalbeamtenvereins in Leipzig am 
14. und 15. September di J., aber trotzdem ihr Verlauf ebenfalls ein 
durchaus befriedigender, sowohl in Bezug auf die Verhandlungen, als auf die 
sich anschliessenden Besichtigungen und das am Abend des ersten Sitzungstages 
stattgehabte Festesten, das den grössten Teil der anwesenden Mitglieder mit 
ihren Damen zu frohbewegtem Beisammensein vereinigte. Die Versammlung 
wurde hier von H. Geh. Beg.-Bat Grünl er-Leipzig als Vertreter des Mini¬ 
sters des Innern und von H. Bürgermeister Dittrich-Leipzig als Vertreter 
der Stadt begrttsst. 

Von der sonst üblichen Erstattung eines vorläufigen Berichtes 
über beide Versammlungen ist Abstand genommen mit Bttck- 
sicht darauf, dass die Drucklegung der offiziellen Berichte 
diesmal auf Wunsch des Vorstandes beschleunigt werden wird, 
und die Berichte voraussichtlich schon den am 1. bezw. 15. November d. J. 
erscheinenden Nummern der Zeitschrift beigelegt werden. Mitgeteilt sei jedoch 
schon jetzt, dass auf der Versammlung des Preussisehen Medizinal- 



714 


Tagesnachrichten. 


beamtenvereins beschlossen ist, die nächstjährige Jahresversamm¬ 
lung wieder in Berlin and zwar im Frühjahr (womöglich in der zweiten 
Hälfte des Aprils) abzahalten sowie zwei Verhandlungstage dafür in Aussicht 
za nehmen. Der Deatsche Medizinalbeamtenverein wird nach einem 
Beschlasse des Vorstandes voraussichtlich ebenfalls in Berlin tagen, aber 
wie bisher im September. Die Vorstände beider Vereine sind per Akklamation 
wiedergewählt, in dem Vorstande des Deutschen Medizinalbeamtenvereins ist 
jedoch insofern eine Aenderang eingetreten, als an Stelle des eine Wiederwahl 
ablehnenden Med.-Bats Dr. Kürz-Heidelberg H. Ob.-Med.-Rat Dr. Greiff 
in Karlsruhe gewählt ist. _ 


An der in Posen errichteten Akademie ist Prof. Dr. Wernicke, 
Direktor des dortigen hygienischen Instituts zam Pofessor ernannt und gleich¬ 
zeitig zam Prosektor für die erste Amtsperiode bestallt. 


Mit dem 1. Oktober d. J. werden auch im Grosaherzogtam Baden 
zwei Untersnchangsämter für ansteckende Krankheiten, eins in Heidel¬ 
berg, das andere in Freibarg i./Br. in Wirksamkeit treten. Die Einrichtung* 
dieser Untersuchungsanstalten beraht auf der Erwägung, dass es den in der 
Praxis stehenden Aerzten, auch denjenigen, welche sich über die Fortschritte 
aaf dem Gebiete der bakteriologischen Untersuchung auf dem Laufenden er¬ 
halten haben, doch im angegebenen Falle vielfach nicht nur an der durch fort¬ 
gesetzte Uebung erreichbaren technischen Sicherheit und Fertigkeit, sondern 
auch an der für solche Untersuchungen notwendigen Zeit gebricht. 


Betreffs Bekämpfung der Kurpfuscherei hat der Reichskanzler Graf 
Bülow an die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten auf eine Petition derselben folgende Antwort erteilt: 

„Der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 
beehre ich mich ergebenst mitzuteilen, dass ich aus der überreichten Petition 
gern Veranlassung genommen habe, den Herrn Staatssekretär des Innern um 
Erwägungen über die Bekämpfung der Kurpfuscherei, jedoch nicht für ein, 
sondern für alle Gebiete der Heilkunde zu ersuchen.“ 


Die in Breslau am 14. d. Mts. abgehaltene Jahresversammlung 
des Zentralverbandes von Ortskrankenkassen im Deutschen 
Reiche nahm naoh einem Vorträge von Geheimrat Neisser: „Inwiefern 
können die Krankenkassen zur Bekämpfung der Geschlechtskrank¬ 
heiten beitragen?“ folgende Resolution an: „Der Ortskrankenkassentag 
in Breslau sieht im Anschluss an die Ausführungen des Geheimrats Prof. Dr. 
Neisser den Mitteilungszvrang der Kassenärzte an die Krankenkassen als 
unbedingt notwendigen, wenn in eine wirksame Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten seitens der Krankenkassen eingetreten werden soll. Er beauftragt 
daher den Zentral verband, an massgebender Stelle dahin vorstellig zu werden, 
dass die Aerzte gegenüber den Krankenkassen von der Wahrung des Berufs¬ 
geheimnisses (§. 300 des Str. G. B.) entbanden, dagegen die Strafbestimmung 
des §. 300 des Str. G. B. auf die Kassenorgane im Interesse der Versicherten 
ausgedehnt werde.“ _ 


Die diesjährige in Kassel vom 21.—26. September abgehaltene, sehr 
zahlreich besuchte 75. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte 
wählte Breslau als Ort der nächstjährigen Tagung. Zu Geschäftsführern 
wurden die Professoren Geh. Med.-Rat Dr. Ponfik und Dr. Ladenburg- 
Breslau, zum zweiten stellvertretenden Vorsitzenden Geh. Rat Prof. Dr. 
v. Winkel-München gewählt. Ein ausführlicher Bericht über die Ver¬ 
sammlung wird in einer der nächsten Nummern gebracht werden. 


Auf dem XXXI. Deutschen Aerztetag in Cöln a. Rh. am 11. und 
12. September 1903 waren 259 Delegierte, welche 264 Vereine mit 19814 
(von 20790) Mitgliedern vertraten, anwesend. Beschlossen wurde die Ver¬ 
einigung des „Verbandes der Aerzte Deutschlands zur Wah- 



Tagesnachrichten. 


715 


rang ihrer wirtschaftlichen Interessen“ mit dem Deutschen 
Aerztevereinsbnnde. Der erstere soll künftig eine besondere Abteilung 
in der Organisation des Deutschen Aersteyereinsbnndes bilden; seine Kasse 
aber als selbständige Kasse bestehen bleiben. 

Betreffs Bekämpfung der Kurpfusohrei wurde der Geschäfts* 
aussohuss beauftragt, „unter Zuziehung eines juristischen Beirates beim Bundes¬ 
rat und Reichstag für die in Aussicht genommene Novelle zum Gesetze gegen 
den unlauteren Wettbewerb auf die Kurpfuscherei bezügliche und geeignete 
Massnahmen zu beantragen.“ 

Hinsichtlich der Förderung des ärztlichen Unterstützungs- 
Wesens und des Ausbaus schon bestehender Kassen fanden die Leitsätze des 
Referenten (Geh. San.-Rat Dr. 8 e 1 b e r g - Berlin), wonach die staatlichen ärzt¬ 
lichen Vertretungen der Bundesstaaten und — wo jene noch nicht vorhanden — 
die Vereine die Bildung von grösseren UnterstUtzungakassen für jeden Bezirk 
einer Aerztekammer in die Hand nehmen und zwischen den einzelnen Aerzte- 
kammer- und Landes-Unterstützungsk&ssen Beziehungen geschaffen werden sollen, 
die eine einheitliche Besteuerung, gleiche Unterstützungsgrundsätze, Austausch 
und Unterstützung verzogener Klienten anbahnen können, einstimmige Zustim¬ 
mung. Angenommen wurden hierzu noch Anträge von Windeis und David¬ 
sohn, die den Aerzten die rechtzeitige Fürsorge für ihre Hinterbliebenen 
durch Beitritt zur Versicherungskasse für die Aerzte Deutschlands bezw. die 
Einsetzung einer ständigen Kommission empfehlen, die insbesondere die tech¬ 
nischen und anderen Bedingungen zunächst iür eine Witwen- und Waisen¬ 
versicherung und eine solche für Invalidität ermitteln soll. 

Ebenso sprach sich der Aerztetag zustimmend auB für den Erlass einer 
Reiehsarzneitaxe sowie für eine an alle Bundesregierungen zu richtende 
Eingabe zwecks Aufhebung des SelbstdispensierreohtB der Homöo¬ 
pathen, soweit ein solches Selbstdispensierrecht noch besteht. Anch der 
Antrag Uer ärztlichen Bezirksvereins Leipzig - Stadt: „Der Deutsche Aerzte¬ 
tag wolle seinen Geschäftsausschuss beauftragen, die erforderlichen und geeig¬ 
neten Schritte zu tun, um die Herausnahme aller auf die Aerzte bezüg¬ 
lichen Bestimmungen aus der Gewerbeordnung und den Erlass einer 
Deutschen Aerzteordnung herbeizuführen“, wurde angenommen. 

Endlich wurde ein Antrag des allgemeinen ärztlichen Vereins zu Göln, 
„dass eine Beschränkung der Ableistung des praktischen Jahres auf die zwecks 
Ablegung des praktischen Jahres zu bildenden medizinischen Akademien nicht 
den bei dem Vorschlag eines praktischen Jahres leitenden Intentionen ent¬ 
sprechen würde“, dem Geschäftsausschusse als Material überwiesen. 


Die Dentsche Gesellschaft für Volksbftder hat, der ihr gewordenen 
Einladung nach Kassel folgend und im Einvernehmen mit den städtischen 
Behörden daselbst, ihren nächsten Jahreskongress auf den Tag nach Himmel¬ 
fahrt, 13. Mai 1904, festgesetzt. _ 

Geh. San.-Rat Dr. Alex Spiess, ständiger Sekretär des Deutschen 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, ist von diesem Verein 
bei seiner diesjährigen Versammlung in Dresden (16.—19. September) zum 
Ehrenmitglied und von der staatswissenscbaftlichen Fakultät der Uni¬ 
versität München zum Ehrendoktor ernannt worden. 


Zu der für Preussen geplanten Reform des Apothekerwesens (siehe 
Nr. 18 dieser Zeitschrift, S. 684) hat der Vorstand des Deutschen Apo¬ 
theker-Vereins folgende fünf Leitsätze einstimmig angenommen: 

1. Die Verpflichtung eines Apothekers, der die Erlaubnis zur Neuein¬ 
richtung einer Apotheke erhält, zu einer angemessenen Abgabe an den 
Staat erscheint gerechtfertigt. 

2. Die Aufhebung der Veräusserlichkeit der Apotheken bedeutet keinen 
Fortschritt, sondern einen Rückschritt für die Pharmazie. Lässt man dabei 
den Privilegien die freie Verkäuflichkeit und Vererblichkeit, so beseitigt man 
nicht einmal die ungesunde Preissteigerung der Apotheken, sondern man fördert 
sie. Zur Beseitigung der vorhandenen Misestände und zur Herbeiführung eines 
einheitlichen Systems muss die Veräusserlichkeit aller Apotheken anerkannt und 



716 


Tagesnachrichten. 


rechtlich festgelegt werden. Insbesondere darf die freie Veräusserlichkeit und 
Vererblichkeit der von 1811 bis 1894 konsessionierten Apotheken nicht in Frage 
gesogen werden. 

3. Es ist dringend an wünschen, dass solche Apotheken entschuldet 
werden, welche daroh übermässig hohe Preise über Gebühr belastet erscheinen. 
Für eine Reform in diesem Sinne ist die Zuhilfenahme des Staatskredits un¬ 
entbehrlich. 

4. Apotheken, denen gegen eine Abgabe an den Staat die Verlasserlich- 
keit eingeräumt worden ist, sowie diejenigen, welche den in Sats 3 vorge- 
ehenen Staatskredit in Anspruch nehmen, Bind nur mit jedesmaliger Genehmi¬ 
gung verkäuflich. Die Genehmigung erfolgt naoh gesetzlich festzulegenden 
Grundsätzen und nach Anhörung von dazu berufenen Fachmännern. 

5. Die Erteilung von Konzessionen nur Anlage neuer Apotheken ist ge¬ 
setzlich za regeln and unterliegt dem verwaltnngsgeriohtliohen Verfahren. 


Auf eine Eingabe der Zentralvertretung der tierärstlichen 
Vereine betreffend die Einführung einer staatlich anerkannten Standes¬ 
vertretung hat der H. Landwirtschaftsminisfer von Podbielski folgenden 
Bescheid erteilt: „Zur Verwirklichung des vorgetragenen Wunsches, dem näher 
zu treten ich nicht abgeneigt bin, kann die staatliche Anerkennung der Zentral- 
Vertretung der tierärztlichen Vereine nicht in Betracht kommen, vielmehr dürfte 
die Einrichtung von Tierärstekammern nach dem Muster der Aerzte- 
und Apothekerkammern als der geeignete Weg erscheinen. Den Aerzte- 
kammern ist das Recht der Besteuerung und der Ehrengerichte durch das Ge¬ 
setz vom 25. November 1899 verliehen worden. Die den Aerztekammern nach¬ 
gebildeten Apothekerkammern entbehren dieser Einrichtungen. Es bleibt ihnen 
überlassen, für die Bereitstellung der erforderlichen Mittel 8orge zu tragen, 
und nur die Befugnis der Entziehung des aktiven und passiven Wahlrechts 
gibt ihnen ein Mittel in die Hand, der Missbilligung des Verhaltens eines 
Standesgenossen Ausdruck zu geben. Wenn die Tierärztekammern den Apo¬ 
thekerkammern nachgebildet werden, so würde ihre Schaffung durch eine gl. 
Verordnung erfolgen können, während sowohl die Beilegung des Besteuerungs¬ 
rechtes als auch die Einrichtung von Ehrengerichten die Form des Gesetzes 
notwendig machen würde. Ob auf das BeBtouerungsrecht besonderer Wert zu 
legen ist, erscheint in Anbetracht der zu erwartenden geringen Ausgaben 
zweifelhaft. Sollte dieses der Fall sein, so wird auch auf die Einführung von 
Ehrengerichten, die von der überwiegenden Mehrzahl der Aerzte für geboten 
erachtet wurden, nicht verzichtet werden können. Diese beiden Punkte werden 
zunächst einer eingehenden Prüfung zu unterziehen sein. Ich stelle anheim, 
Bich hierüber, sowie über den sonstigen Inhalt der gewünschten Verordnung 
zu äussern.“ 

Nicht so günstig lautet dagegen ein anderer Bescheid desselben Ministen 
auf eine Eingabe der vorgenannten Zentralvertretung betreffs Reform der 
Dienststellung der Kreistierärzte. Der Bescheid lautet: „Die Ausführungen 
sollen bei den zurzeit schwebenden Verhandlungen nach Möglichkeit verwendet 
werden. Der Erlass eines Gesetzes über die Dienststellung der Kreistierärste 
nach dem Vorbilde des Gesetzes über die Dienststellung der Kreisärzte vom 
16. September 1899 liegt einstweilen nicht in in der Absicht, da ein Bedürfnis 
hierfür bei der wesentlich verschiedenen Rechtslage nicht anzuerkennen ist. 
Dagegen ist in Aussicht genommen worden, dem Landtage einen Gesetzentwurf 
zu unterbreiten, der den Kreistierärzten die Pensionsberechtigung ver¬ 
leiht und ihre Dienstbezüge unter Aufhebung des Gesetzes vom 9. März 1872 
anderweit regelt. Unter Voraussetzung des Zustandekommens dieses Gesetzes 
sollen die Gehälter der Kreistierärzte durch den Staatshaushalt erhöht werden. 
Die Ordnung der Rangverhältnisse endlich, von der auch die Höhe der Reise- 
gebührnisBe abhängt, muss der Allerhöchsten Entscheidung Vorbehalten bleiben.“ 


In Marseille sind infolge von Einführung pestveraeuchter Lumpen in 
einer Papierfabrik der Vorstadt Baint Barnabö Anfang September 14 Personen 
an Pest erkrankt und 4 davon• gestorben. Die Krankheit scheint auf diesem 
Herd beschränkt geblieben zu sein. _ 

Verantwertl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Geh. Med .-Bat in Minden L W. 

i. C. O. Brau, Htrmoffl. Slftoh. •. F. Seh.-L. HofbnohdniekErel In Mlnde«. 





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16. Jahrg. 


1908. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt für geriehtliehe Medizin nnd Psychiatrie, 
für ärztliche Saehverstandigentätigkeit in Unfall- nnd Invaliditätssachen, sowie 
für Hygiene, offentl. Sanitätswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung. 

Herausgegeben 

Ton 

Dr. OTTO RAPMOND, 

Regierung«- nnd Geh. Medistnalrat in Minden. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof* u. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lntzowstr. 10. 

Inserate nehmen die Verlagshandlung sowie alle Annocenexpedltionen des In- 
und Auslandes entgegen. 


Nr. 19. 


Brseheint 


1. und 15. Jeden Monats 


1 . 


Oktbr. 


Ueber eine Epidemie von Herpes tonsurans. 

Von Dr. 6. Bon dt, Kreisarzt in Bublitz. 

Uebertragungen von Hautkrankheiten der Tiere auf Menschen 
sind gar nicht so selten beobachtet worden. Nicht nur tierische, 
sondern auch pflanzliche auf Tieren schmarotzende Parasiten 
wechseln meiner Erfahrung nach des öfteren ihren Wirt und 
gehen von Vierfüsslern auf Menschen über und zwar zumeist auf 
diejenigen Menschen, die mit Wartung und Pflege hautkranker 
Tiere betraut sind. So sind mir in meiner Klientel auffallend 
häufig Erkrankungen an Krätze bei Schweizern vorgekommen, 
denen hier zu Lande meist die Milchwirtschaft grösserer Güter 
obliegt, nicht ganz selten auch bei Pferdeknechten. Es kann dies 
kaum zufällig sein; denn mit Ausnahme des intimen Verkehrs mit 
ihren vierfüssigen Pflegebefohlenen, stehen sie unter denselben 
Daseinsbedingungen wie das andere ländliche Dienstpersonal. Die 
meisten Fälle der hier nicht gerade übermässig häufigen Scheer- 
fleehte (Herpes tonsurans) habe ich ebenfalls bei Schweizern ge¬ 
sehen. Ich erinnere mich auch zweier Fälle dieser Erkrankung 
bei Molkereiangestellten, bei denen eine Infektion aus irgend 
einem Kuhstall auch nicht gerade fern liegt. 

Eine mit Herpes tonsurans behaftete junge Katze hat in 
meinem eigenen Haushalte im Jahre 1895 drei Mitglieder infiziert. 

Aber epidemieartiges Auftreten dieser Hautkrankheit ist 
immerhin seltener beobachtet; deshalb teile ich hier eine diesbe¬ 
zügliche Erfahrung mit, die ich im Winter 1902/03 gemacht habe. 
Es handelt sich um mindestens 25 Fälle von Herpes tonsurans in 
einem Dorfe hiesiger Gegend, bei denen die Ansteckung von einem 








386 Dr. Bondt. 

‘uugen Bullen ausging. Einzelne der Fälle gingen mit, ich will 
nicht äageav- so schweren, aber doch so langwierig^ . und onan-' 
genehmen Erscheinungen einher, dass man die Erkrankung nicht 
»1 ehr für eine, gäöz- gleiehgtitige halten konnte,: und dass es mir 
iuch deshalb nicht übei-flüssig erscheint, die Aufmerkeamkeit aut 
dieselbe und ihre Quelle zu lenken; 

Am 8. Oktober 1902 wurde ich *u eidenj seit 14 Tageü erkraukteu, 
.attfctj&Mgen Knabe» auf ein Gut swei Meilen ton fc»er geraten, leb «ab vor 
und Über dem rechten Ohr dee Kindes eine etwa T 6m lange und 5 cm breite, 
orale, braunrote, erhabene Stelle ohne Bi&eeben, ohne Schaden, die zuerst aut 
mich niobt den Eindruck einer Scheräecbte machte, sondern wie ein derbes, 

'. sofachea Hautinflltr&t ausaah. lieber der tnfiltrtmea Stelle Witten Ai« Haare 
«tim Teil im Niveau der Haut oder wenig oberhalb denselben abgebrochen; ein 
grosser Teil derselben ataud jedoch noch io voller Länge, ni't inmitien einer 
kleinen Eiterpustel schon leichtem Zago folgend. Nach Entfernung der lockeren 
laare und Attsqüetscbuiig de» Eiters oder Serums aus den Pusteln sah die 
4 Anzo erhabene Stelle siebartig durchlöchert aus. Sprachen schon die letzteren 
Reichen für einen Herpes tv)aßttra.Be, so war die Diagnose sofort sicher, ais ich 
sine zweite (erkrankt« Stella am Hinterkopfe zu Gesichte bekam. Hier war 
6in markstöckgroaahr Pieck, 8bor dem die meisten Haare ebenfalls abgebrochen 
wareu und dessen kreisförmig»« R&ßd nioe ganz typische Eruption von Knöt¬ 
chen zeigte, wie nie fttr den öerpeb tonbar an» reeic. charakteriatisch sind. Die 
Mitte zeigte fast normale oür noch etwas gerötete Haöt. 

Wo hatte der Knabe die Flechte hur? In einer Bartdemtufee. 
war er seit Jahren nicht mehr gewesen; die Mutter schnitt dem 
Kinde selbst: 'las Haar, Meiue fr üheren Erfahrungen Hesse», mieh 
nach einer Bauterkraukung uuier deuj Vibk fragen, und ieh er¬ 
fuhr, dass ein im August aus Östfiieskßd eiögetdhptef junger 
Bolle einen Hautaussehkg bäbov äehuu bei®.Kauf fei eine weiss- 
iiche Abschuppung an der Wurzel des Schwanzes Anfallend ge¬ 
wesen • Der Verkäufer habe auf dieselbe aufmerksam gemacht 
und geraten, Lysolwasciumgeii vomuelimaü IHcs sei auch ge¬ 
schehen, aber trotzdem sei die Flechte li&nientHch ÄU allen StbÜeti 
mit zarterer Hanfe (unter dem LeiliH und an der looenselfee der 
Beine) Schritt für Schritt vorwärts gegangenj nun aber sei sie ;; 
fast geheilt, Die Besichtigung ergab nur noch einige trockene, 
mit kicienfönnigeu, leicht * zu entfernenden Schuppen bedeckte, 
Steiles am Leibe- Am Kopfe dagegen befanden sieh noch zwei ; 
nässend Stellen entzündeter Haut ohne Posteln und Bläscheu oiit 
verklebten Haaren darüber, anderen der Haut zugekebrten Teilen 
reichlich Borken and Öberimtscli^peB saesen, > 

Von dem Öbei öchweizer erfuhr ich, »lass man diese nässende 
Stellen Teig Warzen nenne, und dass soleh eih schuppender Aus¬ 
schlag wie arn Leibe des Tieres oftmals ganze Herden befalle, 
und datm namentlich auf dem Jungvieh mit zarter Häufe zu finden 
Me». Die gleiche Auskunft gab mir der behandelnde: Tierarzt, 
der öbeusGWbuig, wie der de« Vieh» lassen 

wollte, dass jene i^cherflechte des Knaben auf (diese: Etkrankiuig 
des Bullen zttrickzufiikren» sei, bis ich ihn einem 

schuppenden Herpesdecke ■ &sa linken Käsen Winkel .nab, und er mich 
bat, ihm etwas zu verschreiben. Der Vater gab oluie weiteres 
die Möglichkeit der TJebertragung zu, da der Kunbe sieb sehr 
viel im Kuhstall aufgehalteu und sich gerade mit diesem schönen 
und sehr frommen »Stier beschäftigt habe. 




Ueber eine Epidemie von Herpes tonsnrans. 


687 


Ein sicherer Beweis wurde auch sehr bald dadurch gebracht, 
dass sowohl die abgebrochenen Haare des Knaben, wie diejenigen 
des Bullen und einzelne Schuppen nach Behandlung mit lOproz. 
Kalilauge unter dem Mikroskop die langgestreckten segmentierten 
schmalen Pilzfäden des Trichophyton tonsurans mit vereinzelten 
Gonidien zeigten. Ein Versuch direkter Verimpfung übertrag¬ 
baren Materials vom Bullen auf menschliche Haut ist von mir 
nicht gemacht worden, weil einige weitere auf demselben Gut 
vorgekommenen Fälle mir die Sicherheit des Experiments zu haben 
schienen; denn es war schon vor dem Knaben der Oberschweizer, 
welcher den Bullen pflegte, an Hand und Vorderarm, und dessen 
Sohn, welcher den Vater einige Male vertreten hatte, ebenfalls 
an denselben Hautstellen erkrankt. 

Hat nun auch meiner Ueberzeugung nach der Bulle ohne 
allen Zweifel die Flechte von Ostfriesland nach Hinterpommem 
eingeschleppt, so sind doch, mit nur wenigen Ausnahmen, die 
weiteren Erkrankungen auf die schon erwähnten sekundären In¬ 
fektionsherde zurückzuführen, auf den erstgenannten Knaben und 
auf den Oberschweizer mit seinem Sohn, denn von diesen aus 
wurden mit grosser Wahrscheinlichkeit die betreffenden beiden 
Familien mit Pilzen infiziert: 

Um die erste Quelle 

1. den Knaben mit Herpes tonsnrans capillitii nnd mit kreisförmigen 
Herpesstellen im Gesiebt nnd auf dem Körper, 

gruppieren sich zwanglos folgende Fälle: 

2. Der Vater desselben mit einer kleinen Stelle von Herpes tonsnrans 
vesionlosns am Arm. 

3. Die Mntter mit einer überaus langwierigen Herpeseruption an der 
linken Hand, von der Ulnarseite ans in einem Durchmesser von 10 cm 
anf Hoblhand nnd Handrücken übergehend. Die starke Infiltration 
machte wochenlang heftige Schmerzen. 

4. Ein zehnjähriger Brnder \ mit Beteiligung des Gesichts nnd des 

5. „ achtjähriger „ , / Körpers. 

6. Das KinderfrSnlein mit mehreren Stellen im Gesicht. Eine der¬ 
selben die linke Angenbrane betreffend trotzte der Heilnng lange Zeit. 

7. Die Wirtschafterin mit Flecken im Gesichte. 

Von dem zweiten Herde 

8. dem Schweizer nnd 9. seinem Sohne 

erkrankten: 

10. die Sehweizerfran nnd 

11. deren Mntter, beide mit mehreren kleinen zerstreuten Stellen. 

11—15. 5 kleinere Kinder des Schweizers, alle mit vornehmlicher Beteiligung 

des Gesichts. 

16 —21. 6 Unterschweizer nnd Lehrlinge bis anf einen mit leichteren Affektio¬ 
nen. Anf diesen einen schwerer Erkrankten werde ich noch zorück- 
kommen. 

Nicht mit Wahrscheinlichkeit auf einen dieser Ansteckungs¬ 
herde zweiter Linie sind zurückzuführen Erkrankungen: 

22. des Rechnung sführers, 

23. des Pferdefütterers, 

24. deB Meiers nnd 

25. des Tierarztes. 

Von diesen hatten Nr. 24 und 25 nur einige kleine schnell 
abheilende Stellen. Nr. 22 und 23 kennzeichneten sich aber als 
sehr langwierige, echte parasitäre Sykosen mit derb infiltrierten 



Ö88 


Pr- ßootU- 


Kuoten am Kinn, Nr. 23 Überdies vergesellschaftet mit einer 
starken Schwellung der Hals]ymphcir üs ei i. Bei beiden vergingen 
trotz : mehrfachen,. aebl»'er.zba!t«B Epilationen viele Woeben bis 
zur Heilung. 

Auch owj^ ifeibige tlef aja^ä$ßti Fülle kann ieU heramzieben, 
um meine Äeusserung ij» betegeo, dass der Herpes tonanrans 
sebwefere Erscheittnugeii gemacht habe; 

Bor Knabe Nr 1 hatte grosse, nicht unerheblich aohmerzeMÖl 
Schwellungen dfcr Nahkbhdrühen, die ihm den Schlaf raubten und 
ihn im Vereiri mit iler clnrcb häutige Epilationen fühlenden Behänd-; 
laug appetit !ös rrrsd eiend machten. Seine Heilung nahm drei 
Monate in Anspruch- Seine Mutter t Nr 3 ) war durch die UokH - 
ILsatiim der grossen Flechte an der Hand, dere‘a gauze. Umgebung 
entzündlich gerbtet und geschwollen war, wochenlang arbeliRm- 
iahig. Sie, sowie zwei ihrer Söhtre KekÄme» infolge der 
aarobinbehandlurfg öimgebresietei stÄrk .jtickeude Ek?etu6 ii^E 
einen g rossen Ted des Körpers, 

Deo einen der Untemhweteer traf ich mit einer Törnp^räUir- 
von 10,2 ha Betle. Bitte bAbdgrdsse ara 

schhiikel war •/ ’ liie LeisteudtilBeiii 

waren pliaurneagross geschwollen. Br war Ti Tage bettlägerig, 
bekam später noch ein allgemeines Ekzem, doch Flechte aoi 
BrUshh§(#we8h«lr ging# obnÄ luzfeion zurttek. : : 



fiü»öippi ir _.n.._ .i. _ % _m 

sich ohne KbusnUafiuii mit den von tglr Vöpgesdhrbeb^i^i», anderen 
entlielieften MedikflüHUiHi) behanöeiten. Es sind' wohl sicher im 
ganzen 10 Fülle geweeen, -jforen Erkrauküttg jo ; letzter Reihe 
auf jenen impoilhrikh SHer _zurh«A2Ufhin'^h sind* 

Nicht unerwähnt* uswert emtbelMmtr hötii eine Beobachtung. 
Es rezidi vierten ganz .■plötzlich einige Fälle, die schon fast voll- 
kommen abgeheilt erschienen, "Und zwar trat bei alle» vier Fallen, 
dem acht- und zwölfjAhrigt» Knaben, deren Mutier und dem Sohn 
des •Schweizers öfi&er akute Ausbruch zahlreicher kleiner Knötchen 
in kreisförmiger Anordnung, die «ehr bald in Schuppen ülmrgiugett 
und ho das Bild einer Herpes tonsufätta shuumusus und roaettlösus 
darhoteu, m Anschluss k» 4$S E^^eTiieh eines Masernexantliemö 
aut Oh die igevte BiutfülleBdor Haut oder die erhöht« 
Temperatur der Maeeimkväukeu dem Pilz ganz besonders gunstige 
Wachstums beding ungern boten, oder # attseem Momertic, z. B. die 
gleiehroassire Wären « des Beu.ee hier mehr mit spielen, veriöhju 
ich nicht zu 'iui*scheidest" 

leb a&h lerner Berposkraöe übf oberen und nuferen Augen* 
lidetu, ohne -dass jemals die Fukraukung ärifdie Lidränder oder 
die Biiüdehaut überging. ;; i? , y ••/ ü^:\v> t : f'K .;*’ ■( ‘ 

Bit* RehandBing bestand meist in Anwendung von 10pro;',. 
(’iirysaröbin - Traumatiziulösuiig, Aufpiiisclu von Seifenspiritus, Auf¬ 
legen von 3 proz. Naphthi* aitpo- kalittus-Salbeu. Hie und dg ljhfis 
ich Sublunat,Umschläge maeheu, (legen die dicken iniUtrate in 
Haupt- und Barth«är|;hat Quecksilber - Karbolsäure - Pftaeteriil'uU 




Ueber eine Epidemie von Herpes tonsnrans. 


689 


gute Dienste getan, und die zwar etwas sehr komplizierte, aber 
gute, von Kaposi empfohlene Mischung von Ol. Rusci 15,0, 
Spirit, sapon. kalin. 25,0, Lact, sulfur. 10,0, Spiritus Lavand. 50,0, 
Bals. peruv. 1,5, Naphtoli 0,5. Zurückbleibende Reizzustände 
wurden mit Lassars Paste bekämpft. 

Unter dieser Behandlung sind zur Zeit (März 1903) die 
meisten Flechten bis auf einige unbedeutende Reste geheilt. Von 
einigen neuen Kranken hörte ich noch vor wenigen Tagen. Bei 
der weiten Entfernung werden sie den Arzt voraussichtlich erst 
in Anspruch nehmen, wenn unangenehme Erscheinungen eintreten, 
oder wenn die Heilung gar zu lange auf sich warten lässt. 

Wenn nun ja auch eine Erkrankung an Scherflechte wohl 
kaum jemals ernstliche, dauernde Gesundheitsschädigungen im Ge¬ 
folge haben und das Leben gefährden wird, so ist sie doch, zumal 
wenn sie sich auf stark behaarten Körperteilen lokalisiert, ein so 
unangenehmes, so langwieriges und entstellendes Leiden, dass ein 
jeder Arzt es für seine Pflicht halten wird, seine Klientel nach 
Möglichkeit vor derselben zu schützen. Und wenn man bei jedem 
Falle von Herpes tonsurans der Ansteckungsquelle nachforscht, 
so wird man, glaube ich, nicht allzu selten dazu kommen, ihn auf 
eine Erkrankung von Tieren zurückzuführen. Wenigstens meiner 
Erfahrung nach ist dieser Weg der Ansteckung ein häufiger, 
während ich mich nicht erinnere, eine Scherflechte aus einer 
Barbierstube herleiten zu können. 

Die Verhütung der Verbreitung ist nach Bekanntwerden der 
Quelle sehr leicht. Erkrankte Tiere dürfen nicht von einer Ortschaft 
zur anderen gebracht werden. Das mit der Pilzkrankheit besetzte 
Tier ist allein zu stellen. Der Fütterer und Pfleger gebrauche 
zur Reinigung dieses Tieres besondere Apparate (Striegel, Bürsten 
u. s. w.), besorge und futtere es, nachdem er sich ein leicht wasch¬ 
bares Obergewand (Drillichhose und Drillichjacke) angezogen hat. 
Ein nachheriger Kleiderwechsel und Reinigen der Hände mit 
Lysol- oder Kreolinlösung, sowie eine Desinfektion des Standes 
des Tieres nach Ablauf der Erkrankung mit Kalkmilch tun das 
übrige. 

Wenn die Art der Erkrankung, die''Möglichkeit der Ueber- 
tragung auf den Menschen und diese einfache Sorge für Ver¬ 
meidung der Verschleppung den Viehbesitzern mehr als bisher 
bekannt gemacht wird, so wird die Scherflechte unter dem Vieh 
seltener werden und somit auch seltener auf das Viehpflegepersonal 
und von diesem auf andere Menschen übertragen werden. So ganz 
leicht muss die Ansiedelung des Pilzes auf und in menschlicher 
Haut überhaupt nicht sein; denn andernfalls müssten wir noch 
viel häufiger bei Schweizern 3 und Viehfütterern den Herpes, ton¬ 
surans zur Behandlung bekommen, da ja zur Zeit noch oft ganze 
Herden, namentlich Jungviehherden, von dieser l< Hautkrankheit 
befallen werden sollen. Es gehört doch wohl zum Haften des 
Pilzes, dass er mit einer gewissen Kraft in die Haut eingerieben 
wird, oder in eine präformierte, wenn auch noch so kleine Ver¬ 
letzung oder Schrunde der Oberhaut hinein kommt. Für eine 



'}!K> Dr. Moritz: Zur Frage der Honoraraneprflche der Spezial8r*te. 

Vermeidung der Uebertraguog von Mensch zu Mensch wird eine 
zweckmässige Belehrung das meiste leisten, Man wird engere 
Berührungen, Zusammensehlatet), Benutzung desselben Handtuches 
und Waschgeschirres verbieten und wird die Erkrankten aus den 
öffentlichen Barbierstuben; mriiekbalten. lieber eine Prophylaxe 
and Desinfektion in letzteren weiteres zu sagen, liegt nicht im 
Rahmen meiner Äuseinandm setpugi. ; Die Schntzro^ssrngnin gegen 
Trichophyton torisurans sind Utör dieäeJiberi wie ffie Erreger 

anderer übertragbarer Haut- und Bj^arkJraäkheite». ' 



Zur Frage der Hönoraranspröche der Spezialärzte. 

Von Med.* ft« PK Mtwif», KreJamt in HiltottNdt. 

Ein uamhafbav Spesialarzt in Berlin hatte für mehrere 
schwierige Operationen nnd längere Nachbehandlung ein Honorar 
von 770 Mark beansprucht, wahrend er nach den Höchstsätzen 
der Gehnhrßwtlnu Hg vom iä, Mai 1S9B nur 495 Mark zn fordern 
hatter Da ihqi. dt« Äuszahlung der Differenz von 1275 Mark sei- 
tens deÄ i'afciehteü verweigert wurde, wurde er klagbar. 

Das Landgericht; zu Bklhwvö tafft sprach ihm obige 
275 Mark, also seihe ursprüngliche Forderung mit folgender Be- 
griindttpg zur; • 

. ;C; Ss ist allgemein bekannt and konnte anch dem Pätientea sieht 
verhorgeo »ein, ltn anerkannte ärzUibh* SpezfaÜeten ihr» Hilfe Patienten »lebt 
gegen die Sätze der Gebührenordnung m gewähren pflegen, sonder» Ißr ihre 
besondere Geschicklichkeit erhöhte Koischädlgeng beeaepmehei], pÄtietit«», 
die sich in die Behandlung derartiger Spezialisteii begeben, erkenne» dsSber, 
ebne dass es einer besonderen Abrede bedarf, MÜlsohw eigen dan, dass für die 
Dienste des Arztes nicht die Qebührenordnnng, sonder« allein die Angetbensen- 
beit massgebend sein soll. Dieser aUgdtnr jiiea Ktfahrnng des täglichen Lfhens 
»tebt det Umstand nicht entgegen, dass die n<m« GoMbrenordnbiig für appro¬ 
bierte Aerat». die Sätze aUgeweia erhöbt bat; den» naebdem Gntaebten des 
Dr. Morit* besteht die allgemeine Anscbsottfig, ilaae Spezialisten sich nicht 
an die Sätze der nun schon seit sechs Jahren geltenden t'/ebübreoordnoag 
bladen, ancb noch jetzt. Der Beklagte kann daher, Als et zur Hetlong seiner 
Leiden die Hilfe des Klägers la Anspruch nahm, nicht der Aesicbt gewesen 
sein, das« daeHönotar äaf Grnad der Geböhreßordnang iieBtitamt werden 
würde, sondern er hat sich, da er eine Vefßiüb&rßng de« Honorars nicht für 
erforderlich hielt, stillschweigend damit einverstanden erklärt, das» Klüger; 
die angemessene Entsehädlgneg erhalten «olle. . , .* - , 

Der Zivilsenat des hieraach vom Beklagten Äßgerufeneß 
OberlahdesgeJtichts ühteebieil dagegen dmreh 

Erkenntnia vom 23, März 1903 wie folgt: 

. , „ Wa* b«b die rechtliche ftenrteiinög des streitigen Ansprache an* 
langt, ist der Vorderrichter davon »angegangen, dass der Kläger berechtigt 
sei, eine Vergütung 1» Höbe de» angetnessenett Betrages für die »on ihm 
geloiateten Ärztlichen Dienste na fordern, weil eine bestimmte Vereinbarung 
über d|« Höhe de» Honorars nicht stzttgefanden hat. 

Dleeer AnSasaung könnte nicht Wigatretrn werden, §. 80 der deutschen 
Gewerbeordnnng vom 18, Jnni 1868 beBtiiorat: ^.Die Bezahlung der approbierten 
Aerzte tww. <§. 29 Abs. 1} bleibt der Vereinbarn»g überlassen. Als Sonn für 
streitige Fälle im Mangel «itier Vereinbarnng können jedoch für dieselben 
Taxen von den Zentralbehörden festgeetellt Werden,“ 

) Anf Grüfld diirter Be»timmn»g ist für Prewen vom Minister der geist¬ 
lichen new Angelegenheiten die Bekaoatsmebung hetr den Erfass einer 




Pr. Pl&czek: Bin deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnun gsverfahren ■ 691 


Gebührenordnung vom 15. Hai 1896 (Hin.-Bl. S. 105) erlassen worden 
Insbesondere sollen nach derselben die niedrigsten Sätze znr Anwendung 
gelangen, wenn nachweisbar Unbemittelte die Verdichteten sind, soweit nicht 
besondere Schwierigkeiten der ärztlichen Leistung oder das Hass des Zeit¬ 
aufwandes einen höheren Satz rechtfertigen (§. 2 a. a. 0). Im übrigen soll 
die Höhe der Gebühren innerhalb der festgesetzten Grenzen nach den besonderen 
Umständen des einzelnen Falles — bemessen werden. Hag hiernach auch die 
Berücksichtigung des besonderen Rufs, dessen der liquidierende Arzt bei seinen 
Fachgenossen oder doch beim Publikum geniesst, als ein innerhalb der fest¬ 
gesetzten Grenzen einen höheren Satz begründender Umstand nicht grundsätzlich 
ausgeschlossen sein, so ist sie doch in der Bekanntmachung keinesfalls hervor¬ 
gehoben worden. Auf diese Frage kommt indessen, wie sich weiterhin zeigen 
wird, für die Entscheidung des vorliegenden Falles nichts an. 

Nach §. 612 B. G. B. ist bei Dienstverträgen, wenn die Vertrag- 
sohliessenden die Höhe der Vergütung nicht bestimmt haben, beim Bestehen 
einer Taxe die taxmässige Vergütung als vereinbart anzusehen .... 

.... Der Kläger verlangt eine Vergütung, deren Gesamthöhe den ihm 
unter Zugrundelegung der höchsten Sätze der Gebührenordnung zustehcnden 
Betrag erheblich überschreitet. Um durchzudringen, würde er also zu beweisen 
gehabt haben, es sei zwischen den Parteien vereinbart worden, dass er nicht 
naeh den Sätzen der Gebührenordnung, sondern nach den in seiner ärztlichen 
Praxis üblichen Sätzen liquidieren solle. Das Zustandekommen einer Verein¬ 
barung sei im vorliegenden Falle darin zu finden, dass der Beklagte, als er 
sich in die ärztliche Behandlung des Klägers begab, Bich habe sagen müssen, 
dass der Kläger ihn nicht zu den Haximalsätzen der Gebührenordnung, sondern 
zu höheren Sätzen behandeln werde. So zutreffend diese tatsächlichen Aus¬ 
führungen und die daran geknüpften rechtlichen Ausführungen an sich sind, 
so wenig sind sie doch nach Lage der Sache geeignet, mit ihrer Hilfe zu den 
vom Kläger gezogenen Schlussfolgerungen zu gelangen. Denn zu der Unter¬ 
stellung einer stillschweigenden Willenseinigung darüber, dass die Anwendung 
der Taxe ausgeschlossen und die Bestimmung der Gegenleistung in das billige 
Ermessen der Gegenpartei gestellt sein solle, würde man auf Grund des oben 
charakterisierten Vorganges der Aufsuchung und Gewährung ärztlicher Hilfe 
ohne besondere Preisabreden regelmässig gelangen können. Für alle Fälle der 
vorliegenden Art muss aber, um zur Ueberzeugung einer stattgehabten still¬ 
schweigenden Willensbestimmnng besonderen Inhalts zu gelangen, umsomehr 
der Nachweis gefordert werden, dass der Wille, wenn auch ohne Worte, 
zuverlässig erkennbar in die Aussenwelt getreten ist, als §. 612 B. G. B. eine 
bestimmte Vermutung aufstellt, was als vereinbart anzusehen ist, wenn gegen¬ 
teiliges nicht zuverlässig erhellt ... Wer sich in die Behandlung eines 
ausserordentlich hervorragenden namhaften Arztes begibt, 
ohne dass besondere Honorarabreden getroffen werden, kann 
daher wohl stillschweigend der Willensmeinung sein, in Er¬ 
mangelung solcher Abreden werde die bestehende Taxe in 
Anwendung kommen müssen . . . .“ 


Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenölfhungsverfahren. 

Reformgedanken von Dr. Placzek-Berlin. 

(Fortsetzung.) 

Was die Sektion der Bauchhöhle anlangt, so ist es zunächst 
wertvoll, festzustellen, in welcher Reihenfolge die Regulative 
die einzelnen Organe herausnehmen. In Preussen soll es laut 
§. 18 in einer Reihenfolge geschehen, 

„dass durch die Herausnahme des einen Organs die genauere Erforschung 
seiner Verbindung mit einem anderen nicht beeinträchtigt wird. So hat die 
Untersuchung des Zwölffingerdarms und des Gallengangs der Herausnahme der 
Leber voransugehen. In der Regel empfiehlt sich folgende Reihenfolge: 

1. Netz, 2. Hilz, 3. Nieren und Nebennieren, 4. Harnblase, 5. Ge- 



724 


Dr. Placzek. 


Während es in Preussen heisst: „Jedes dieser Gefässe wird 
verschlossen, versiegelt und bezeichnet“, wird hier verlangt: 

„Damit die Gegenwart der zur Aufnahme nnd Konservierung aller ge¬ 
nannten Teile notwendigen Gefässe, deren Verschluss und Transport sicher 
gestellt Ist, ist es notwendig, einen hierzu passenden Apparat vorrätig zu halten. 

Derselbe kann aus einem in vier Abteilungen geteilten, verschliessbaren 
Kasten bestehen, welcher vier nummerierte Gläser enthält. Diese sollen von 
zylindrischer Gestalt sein mit möglichst wenig eingezogenem Halse und mit 
eingeschliffenen, gläsernen Stopfen. Zwei dieser Gläser sollen einen Durch¬ 
messer von 12 cm und eine Höhe von 20 cm besitzen, zwei andere können 
einen geringeren Durchmesser, aber eine gleiche Höhe haben, damit der Deckel 
des Kastens alle vier noch ausser ihrem eigenen Verschluss festbält. Die 
Gläser werden in duplo angeschafft, damit, wenn die eine Serie in Gebrauch 
ist, die andere in Bereitschaft sich befindet. 

Die Gefässe sollen zur Konservierung der in sie aufzunehmenden Organe 
samt Inhalt reinen Weingeist enthalten. Wenn sie gefüllt sind, werden sie 
luftdicht mit dem Stopfen und darüber gelegter Blase oder Pergamentpapier 
verschlossen, versiegelt, bezeichnet nnd dem Bichter zur weiteren Veranlassung 
übergeben.“ 

Inhaltlich abweichend ist ferner der vorletzte Abschnitt. 
Dieser lautet in Bayern: 

„Da bei dem Verdachte einer Vergiftung auch die chemische Unter¬ 
suchung von etwa nooh vorhandenen Ausleerungen, namentlich Erbrochenem, 
sowie von Besten genossener Speisen, Getränke und Arzneien, ferner von Ge¬ 
schirren und anderen verdächtigen Gegenständen im Hause des mutmasslich 
Vergifteten von Wichtigkeit sein kann, so hat der Amtsarzt auch auf solche 
Gegenstände Bücksicht zu nehmen und solche in zweckmässiger Verpackung 
dem Bichter zur weiteren Veranlassung zu übergeben.“ 

In Sachsen -weicht § 18 gleichfalls vielfach von der 
preussischen Bestimmung ab: „Zunächst ist ein etwa im Bauchfell¬ 
raume vorhandener freier Inhalt (z. B. Mageninhalt nach Durch¬ 
ätzung oder Ruptur des Magens) in einem reinen Gefässe zu 
sammeln und nötigenfalls in der unten beschriebenen Weise für 
die chemische Untersuchung aufzubewahren. Für die Aufbewahrung 
der Organe wird ausserdem gewünscht, dass „der Inhalt des 
Leerdarms in allen Fällen, wo seine chemische Untersuchung an¬ 
gezeigt erscheint, ebenfalls in einem besonderen Gefässe auf¬ 
zuheben“ ist. 

Ferner muss 

„in allen Fällen, wo die chemische oder spektralanalytische Unter¬ 
suchung des Blutes (bei Verdacht auf Vergiftung durch Blausäure, durch 
Kohlenoxyd oder durch chlorsaures Kali) für die Feststellung der Todesursache 
wesentlich ist, eine aus den Gefässen der Leiche entnommene Blutmenge 
ebenfalls in einem besonderen Gefässe aufbewahrt werden.“ 

Von Organteilen sind auch StückederEörpermuskulatür 
aufzubewahren. Schliesslich besteht hier noch folgende Variante: 

„Die Gerichtsärzte haben in allen Fällen, wo im Interesse eines klaren 
Ergebnisses der chemischen Untersuchung die Ausführung derselben vor weiter¬ 
gehender Zersetzung der zu untersuchenden Substanzen stattznfinden hat, den 
Bichter auf diese Sachlage aufmerksam zu machen. 

Damit die Gegenwart von Gefässen, welche für Aufnahme nnd Transport 
der für die chemische Untersuchung bestimmten Teile geeignet sind, sicher 
gestellt werde, ist den Gerichtsäriten zu empfehlen, dass sie einen passenden 
Apparat vorrätig halten. Derselbe kann aus einem verschliessbaren Kasten 
bestehen, in welchem sich zylindrische Glasgefässe mit wenig eingezogenem 
Halse und gläsernen Stopfen befinden. Es müssen mindestens zwei solche 



Bin deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahrcn. 725 

Gläser, deren Rauminhalt einen Liter fasst, vorhanden sein; ausserdem noch 
mindestens sechs Gläser, deren Inhalt bis zu einem halben Liter beträgt. 

Wo die rasche Zersetzung der für die chemische Untersuchung bestimmten 
Organe und Organteile zu fürchten ist, ist die eine Hälfte eines jeden dieser 
Organe oder Organteile durch Zusatz von reinem Weingeist (Spiritus rec- 
tificatissimus der Pharmakopoe) zu konservieren, die andere Hälfte aber ohne 
jeden Zusatz anfzuheben. Zu diesem Ende haben die Gerichtsärzte eine 
genügende Menge von reinem Weingeist vorrätig zu halten. Mit den für die 
chemische Untersuchung bestimmten Teilen ist in Füllen der bezeichneten Art 
eine Probe des verwendeten Weingeistes einzusenden. 

Nach der Füllung werden die Gefüsse möglichst dicht verschlossen.* 

Beträchtlich weicht die Bestimmung Aber Vergiftungsfälle 
in Württemberg ab: 

„Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so hat der Oberamtsarzt oder 
dessen Stellvertreter 5 Gläser mit weitem, möglichst wenig eingezogenem 
Halse bereit zu halten. Zwei derselben sollen eine Höhe von etwa 20—25 cm und 
einen Durchmesser von 10—12 cm haben, die übrigen drei können kleiner sein. 
Gläser wie sie gewöhnlich zum Binmachen von Früchten oder dergleichen 
dienen, können verwendet werden, wenn keine mit eingeriebenen Glasstöpseln 
zu Gebote stehen. Der endgültige Verschluss geschieht mit Blase oder doppeltem 
Pergamentpapier; der mehrfaoh umgelegte Bindfaden wird (fest geschnürt, 
jedes versiegelt und der Inhalt der nummerierten Gläschen im Protokoll 
angegeben. 

In Württemberg soll ferner: 

„bei Vergiftungen der an seinem oberen Ende schon unterbundene Dünn* 
darm auch an seinem unteren Bnde doppelt unterbunden werden .... Sein 
ganzer Inhalt, sowie einzelne Stücke seiner Häute, an welchen besondere Ver* 
änderungen bemerkt wurden, sollen in dasselbe Gefäss mit dem Magen usw. 
gebracht oder für eine etwaige mikroskopische Untersuchung zurüokgelegt 
werden.“ 

Besondere Anweisungen werden hier für die chemische 
Untersuchung gegeben: 

„Können mehrere Methoden für die Auffindung eines Giftes mit Aus¬ 
sicht auf Erfolg angewendet werden, so sind mindestens zwei derselben zur 
gegenseitigen Kontrolle in Anwendung zu bringen. 

Ist es gelungen, die giftigen Stoffe in ihrer ursprünglichen Form aus- 
zuscheiden, oder sind sie sonst bei der Untersuchung nachgewiesen worden, so 
sind dieselben wohl zu verwahren und mit den entsprechenden Aufschriften 
zu versehen. 

Ueber die angewendeten Untersuchungsmethoden und deren Ergebnisse 
•ist ein fortlaufendes Protokoll aufzunehmen, von den dabei tätig gewesenen 
Sachverständigen zu unterzeichnen und zugleich mit dem darüber auszustellen¬ 
den Gutachten und den oben erwähnten Stoffen dem Richter zu übergeben.“ 

In einer besonderen Bestimmung (§ 30) wird hier das Ver¬ 
halten bei Tod durch Infektion mit Trichinen geregelt. Es 
ist dann 

„der Inhalt des oberen Teils des Dünndarms einer genauen mikros¬ 
kopischen Untersuchung zu unterwerfen. Teile des Zwerchfells, der Muskeln 
des Halses, der Brust und der Augen sind, besonders an den Ansätzen der 
Sehnen, herauszonehmen und später zu untersuchen. 

In Sachsen-Weimar weicht der Paragraph für Ver¬ 
giftungen vornehmlich darin ab, dass hier eine dreifache Doppel¬ 
unterbindung vorgeschrieben wird, und zwar die Speiseröhre dicht 
über der Einmündung in den Magen, der Anfang des Leerdarms, 
der Mastdarm oberhalb des Beckenbodens, ferner eine einfache 
Unterbindung der Speiseröhre an ihrem Anfang. 

Mecklenburg-Strelitz bestimmt in seinem kurz gehaltenen 



726 


Dr. Placzek. 


§ 11, dass „um den unteren Teil der Speiseröhre und etwa den 
mittleren des Dünndarms doppelte Ligaturen gelegt werden“, ausser¬ 
dem die Speiseröhre nahe am Halse unterbunden werde. 

An den zitierten Bestimmungen, wie sie mit mehr weniger 
breiter Detailschilderung als Zwangsanweisung für Vergiftungs¬ 
fälle gelten, wird durchgreifend reformiert werden müssen. Zu¬ 
nächst wird der Schematismus fallen müssen, der alle Vergiftungs¬ 
arten nach dem gleichen Gesichtspunkt beurteilt, als lieferten sie 
alle ihre Hauptmerkmale im Magen und Darmkanal. Dass dies 
nicht zutrifft, bedarf keiner weiteren Begründung. Es muss daher 
dem Obduzenten ein Spielraum bleiben, nach persönlichem Er¬ 
messen zu entscheiden, wann er die Magen-Darmsektion nach 
dem Vergiftungsschema ausführen und Organteile nach Vorschrift 
konservieren will. 

Sodann muss die unglückselige, komplizierte und oft genug 
dem Geschicktesten missglückende Magen-Darmunterbindung, wie 
sie bisher üblich ist, durch eine andere Methode ersetzt werden. 
Schon früher erwähnte ich, wie hart Strassmann das geltende 
Verfahren kritisiert. Hier brauche ich nur hinzuzuftigen, dass die 
Methode, die er vorschlägt, und die ein einheitliches Uebersichts- 
bild vom Anfang der Speiseröhre bis zum Mastdarm anstrebt, alle 
billigen Anforderungen erfüllt. Wird, wie Strassmann wünscht, 
Speiseröhre, Magen und Darmkanal in toto herausgenommen, so 
sind nur zwei Unterbindungen nötig, am Anfang der Speiseröhre 
und am Mastdarm oberhalb des Beckenbodens; ausserdem über¬ 
blickt man so die Gesamtwirkung des Giftes bei der Passage durch 
den Verdauungstraktus. 

Natürlich fällt auch bei Annahme dieses Sektionsmodus die 
Vorschrift, in Vergiftungsfällen stets mit der Bauchhöhle zu be¬ 
ginnen. 

Für die Aufbewahrung der Organteile etc. könnte ein Gläser¬ 
kasten nach dem Muster des bayerischen vorgeschrieben werden, 
doch keine Zusatzflüssigkeit. 

Hiernach würde die Obduktion eines Vergiftungsfalles genau 
so verlaufen, wie die eines gewöhnlichen Falles, nur dass vor 
Herausnahme der Halsorgane die Speiseröhre und der Mastdarm 
unterbunden werden, und die Halsorgane ohne Speiseröhre heraus¬ 
genommen werden. 

Da wir die Besonderheiten der äusseren Besichtigung 
Neugeborener, wie sie zur Ermittelung ihrer Reife und Ent¬ 
wickelungszeit notwendig werden, bereits früher besprachen, 
können wir uns hier auf Vergleichung der Anweisungen be¬ 
schränken, welche speziell für die innere Besichtigung Neugeborener 
gelten. Hier gelten zunächst folgende Bestimmungen für die Er¬ 
mittelung stattgehabter Atmung: 

Preussen: 

„§. 24. Ist aniunehmen, dass das Kind nach der dreißigsten Woehe 
geboren worden, so muss zweitens nntersncht werden, ob es in oder nach der 
Geburt geatmet bat. Es ist deshalb die Atemprobe ananstellen, und an diesem 
Zweck in nachstehender Reihenfolge vorzugehen: 
a. Schon nach Oeffnnng der Bauchhöhle ist der Stand des Zwerchfells in 



Ein deutsches geriehtsärztliches Leichenüffnuugsverfzhren. 


699 


der Snmenblaaen und des Baachteils der Samenleiter zngleich mit jener der 
Blase. Die Teile sind nach GröBse, Beschaffenheit nnd Inhalt zn beschreiben. 

Die Untersuchung des im Leistenkanal und Hodensack verlaufenden 
Teils der Samenleiter, der Nebenhoden, Hoden und Scheidenhaut erfolgt in 
der Regel durch Spaltung des Hodensacks in der Mittellinie und deren sich 
anschliessende Freilegung. Grösse und Beschaffenheit der Teile ist anzugeben, 
auf Verwachsungen und ungewöhnlichen Inhalt der Scheidenhaut, auf das Ver¬ 
halten der im Samenstrang verlaufenden Blutgefässe zu achten. 

Vor der Herausnahme der weiblichen Geschlechtsorgane, welche in Ver¬ 
bindung mit jener der Harnblase und des Mastdarms erfolgt, iBt die Lage und 
Form der Gebärmutter, Eileiter und Eierstöoke festzustellen, auf ungewöhn¬ 
liche Verbindungen dieser Teile unter sich und mit den Nachbarorganen zu 
achten. 

Nach der Herausnahme soll die Untersuchung auf Schamlippen, 
Kitzler, Scheide, Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke, Nebeneierstöcke, die 
runden und breiten Matterbänder und die in letzteren verlaufenden Blut- und 
Lymphgefässe sich erstrecken. Inhalt und Wand sollen gleichmässig berück¬ 
sichtigt, vorhandene Blutaastritte, Verletzungen, Narben nach Lage und Aus¬ 
dehnung beschrieben, eintretenden Falls die Anwesenheit von Samenfäden durch 
mikroskopische Untersuchung festgestellt werden. 

Besteht Schwangerschaft, so ist deren Dauer aus der Grösse der 
Gebärmutter und des Sandes soweit als möglioh festzustellen, auf Verletzungen 
der Geschlechtsorgane und Eihttllen zu achten. 

Ist der Tod im Wochenbett erfolgt, so tat dem Verhalten der Scheide, 
der Innenwand der Gebärmutter, der in der Wand der letzteren verlaufenden 
und der von ihr ausgehenden Blut- und Lymphgefässe besondere Aufmerksam¬ 
keit zu widmen, die Lage des Graafsehen Bläschens, welchem das befruchtete 
Ei entstammte, anzugeben.“ 

Baden, Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Braun¬ 
schweig und Schwarzburg-Sondershausen stimmen mit 
Preussen überein. 

Mecklenburg-Strelitz sagt nur, dass „die Harnblase, 
bei weiblichen Leichen die Gebärmutter mit ihren Anhängen“ 
zu untersuchen sind, ohne die Art dieser Untersuchung anzugeben. 

Ein Vergleich der angeführten Bestimmungen ergibt zunächst 
die auffällige Tatsache, dass Bayern und Sachsen die Möglich¬ 
keit einer Sektion der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane 
in situ frei lässt, wenn kein wesentlicher Befund zu erwarten ist; 
Es dürfte fraglich sein, ob eine derartige Ausnahme sich bewährt, 
Voraussagen lässt sich ein Sektionsergebnis doch nie. Schon des¬ 
halb dürfte daher ein einheitlicher Sektionsmodus für jeden Fall 
erwünschter sein. 

Für diesen Sektionsmodus könnten die in Preussen, und ähn¬ 
lich in Württemberg und Sachsen-Weimar Eisenach geltenden 
Bestimmungen als Vorbild dienen, obwohl hier die Herausnahme 
der äusseren Geschlechtsorgane unterbleibt. Diese Erweiterung 
der Sektion könnte im Zukunftsregulativ als Ausnahmefall Er¬ 
wähnung finden. Ihre praktische Ausführung könnte wie in 
Sachsen geschehen, wo die Herausnahme „durch einen von der 
vorderen Beckenfuge beginnenden, bis zum Schwanzbein sich er¬ 
streckenden, die äusseren Geschlechtsteile und die Aftermündung 
umkreisenden und die Weich teile bis in das Becken hinein durch¬ 
setzenden Schnitt“ erfolgt. Es sollten dann aber nicht, wie es 
Bayern will, die inneren Beckenorgane unter der Symphyse durch¬ 
geschoben werden, sondern die äusseren Geschlechtsteile auf diesem 



728 


Dr. Placzeb. 


Sachsen enthält eine mit Bayern inhaltlich übereinstimmende 
Anweisung. 

Württemberg erklärt, abweichend von den anderen Regu¬ 
lativen, dass „die innere Besichtigung Neugeborener ohne Aus¬ 
nahme mit der Eröffnung der Brust und des Unterleibes durch 
einen Längsschnitt“ beginnt. Weiter wird hier gefordert, dass die 
Luftröhre „mit Einschluss der Speiseröhre, sowie der anliegenden 
Gefässe dicht oberhalb des Brustbeins mit einem doppelten, nicht 
zu dünnen Faden einmal unterbunden, und jetzt erst die Brust¬ 
höhle mit der Schere geöffnet werde“. 

Endlich werden hier die Speiseröhre, Aorta und untere 
Hohlader unmittelbar vor ihrem Durchtritt durch das 
Zwerchfell unterbunden, über dieser Ligatur durchschnitten 
und dann erst besichtigt. 

Sachsen-Weimar-Eisenach sagt kurz: 

„Bei Herausnahme der Lungen soll auf den Inhalt der Bronchien bei 
deren Durchsehneidung geachtet werden. Die Oberfläche der Lungen soll erst 
mit freiem Auge, dann mit der Lupe besichtigt werden, die hydrostatische 
Probe der Besichtigung nachfolgen und sich auf die Lunge im ganzen und auf 
die einseinen Abschnitte erstrecken.“ 

Mecklenburg-Strelitz stimmt im §. 13 im allgemeinen 
mit Preussen überein: Baden, Mecklenburg-Schwerin, 
Anhalt, Braunschweig, Schwarzburg-Sondershausen 
sind ganz identisch. 

Sehr praktisch ist die Art, wie Prof. Strassmann die Hals¬ 
organe herausnehmen lässt: Der Unterkiefer wird an seinen 
Winkeln beiderseits durchtrennt und bietet nun an seinem Mittel¬ 
stück einen vortrefflichen Halt, um Zunge, Gaumen etc. zu lösen. 

Nicht recht verständlich ist die preussische Bestimmung in § 24 b, 
„vor Oeffnung der Brusthöhle“ die Luftröhre einfach zu unterbinden. 
Warum P Fürchtet man wirklich einen vollständigen Luftaustritt 
aus lufthaltigen Lungen, wenn die Unterbindung nicht erfolgte? 

Die Befürchtung ist grundlos. Sie wird gegenstandlos durch 
die physiologisch feststehende Tatsache, dass kein Druck von 
aussen die Luft aus den Lungenalveolen vollständig verdrängen 
kann. Es dürfte daher- die Erwägung angebracht sein, ob die 
Luftröhrenunterbindung fortbestehen soll. 

Wünschenswert erscheint mir, dass 1. das Strassmann sehe 
Verfahren Regel würde, 2. als Ergänzung die von mir angegebene 
Lungenprobe angewendet würde. Gerade weil sie das Verfahren 
des Regulativs in keiner Weise beeinträchtigt, könnte sie nach 
Unterbindung der Luftröhre und vor Eröffnung des Brustkorbes 
schnell und leicht ausgeführt werden, mag es mit Quecksilber¬ 
oder, einfacher, mit Wassermanometer geschehen. 

Während Preussen es an den beiden Sonder-Paragraphen für 
Neugeborene: „Ermittelung der Reife und der Entwickelungs¬ 
zeit“, und „Ermittelung stattgehabter Atmung“ genügen lässt, 
haben andere Regulative noch weitere Sonderbestimmungen. So 
heisst es in Bayern: 

*) Siehe Placsek: „Eine neue Luneenprobe“. Münchener mediz. Wochen¬ 
schrift; 1902. 



Bin deutsches gerichtaüritliches LeichenBffnusgsverfabreo. 


701 


leert and nach in Beziehung auf seinen Geruch untersucht ist, setst man den 
Schnitt durch die Speiseröhre fort und stellt zum Schluss das Verhalten der 
einzelnen Ge websschichten dieser Organe fest.“ 

Sachsen-Weimar-Eisenach: „Magen und Darm mit der Bauch¬ 
speicheldrüse sollen zugleich mit Gekröse und Netz der Bauchhöhle entnommen, 
bei der Herausnahme die gewöhnlichen Bruchpforten nachgesehen werden. 

Die Oeffaung des Magens geschieht längs der Mitte der vorderen Wand 
vom Magenmund bis zam Pförtner, der Zwölffingerdarm wird längs der Mitte 
der vorderen Wand, . . . geöffnet. 

Iu allen Abschnitten soll der Beschaffenheit der Wände gleiche Berfick- 
sichtignng werden, wie jener des Inhalts. Im Magen ist es insbesondere die 
DrQsenschicht, im Zwölffingerdarm die Papille. . . .“ 

Mecklenburg - Strelitz sagt nur, dass der Magen „nach den allge¬ 
meinen, jede Höhle betreffenden Ermittelungen“ zu untersuchen ist. 

Baden, Mecklenburg - Schwerin, Anhalt, Braunsohwelg, 
Sohwarzburg-Sondershausen stimmen mit Preussen überein. 

Wie eine vergleichende Betrachtung der Bestimmungen lehrt, 
weichen sie vielfach von einander ab. Bald sollen Magen und 
Zwölffingerdarm ohne vorhergehende Sicherung in ihrer natür¬ 
lichen Lage aufgeschnitten werden, bald soll dies erst nach 
Unterbindung dieser Organe geschehen, bald soll die Speiseröhre 
im Zusammenhang mit entfernt werden, bald der ganze Dam 
gleichzeitig herausgenommen werden. Auch die Art und Stelle, 
an der die Organe eröffnet werden sollen, differiert. Die meisten 
Regulative wünschen, dass der Zwölffingerdarm an der vorderen 
Wand, der Magen an der grossen Kurvatur aufgeschnitten werde, 
nur Sachsen-Weimar-Eisenach verlangt die Magenöffnung längs 
der Mitte der vorderen Wand. 

Das ganze, bisher übliche Verfahren, die Sektion des Magens 
und Zwölffingerdarms von jener des übrigen Darmes zu trennen, 
sie durch komplizierte Doppelunterbindungen zu erschweren und 
endlich Organe mit flüssigem Inhalt in sitn zu untersuchen, er¬ 
scheint mir für gerichtsärztliche Leichenöffnungen nicht beibe- 
haltenswert. Diktiert wird es hauptsächlich durch die übertriebene 
Rücksichtnahme auf die Bedeutung der Tatsache, den Gallengang 
auffinden und anf seine Durchgängigkeit prüfen zu können. Ge¬ 
wiss kann diese Feststellung pathologisch - anatomisch änsserst 
wertvoll sein, aber doch nur pathologisch - anatomisch, viel seltener, 
wenn überhaupt, auch forensisch - medizinisch. Es brauchte des¬ 
halb eine Rücksichtnahme in dieser Richtung nicht allein aus¬ 
schlaggebend zu sein, um einerseits die Magen- and Zwölffinger¬ 
darm-Sektion in der bisherigen Form beizubehalten, anderseits 
die wünschenswerte Herausnahme des Magens und Darmkanals 
in toto zu hindern. Diese Rücksichtnahme ist um so weniger 
nötig, wenn man erwägt, dass die Papille auch ohne Konstatierung 
der Ausflussmöglichkeit der Galle durch Kompression der Gallen¬ 
blase auffindbar ist. Jedenfalls reichen Angaben wie „vier Finger 
breit unterhalb des Pylorus“ und „ein kleiner, in der Längsachse 
verlaufender Wulst“ (Nauwerck 1. c. S. 103) zur Auffindung aus. 
Noch sicherer wird Orths Direktive führen, laut welcher man 
den leicht zu fühlenden Kopf des Pankreas anfsncht, den Darm 
in der Querrichtnng anspannt und dann etwas nach unten von der 
Mitte des Pankreaskopfes die Papille leicht erkennt. 












M' 


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702 0/, Placzä'b - Bia deutsches gerichtsärstliches LeicheaöiJnungflrcrfÄbrM). 


dies «» rdty. 
frd. fdst ^estk' 


Mein Vorschlag. geht, deshalb «lahm, iaj zukünftigen Regulativ 
Magen und Därmkaiiai £eveiit. auch die Speiseröhre) im Zxtmwmvt}* 
hang her&uszimehtüeft,, aber <üe Speiseröhre 

unbedingt m diesem Zuaamiüeiiliüage zu lassem Oie entsprechende 
Beatimmung würde etwa folgeridemasseii lauten; 

„Nachdem dfe *}ifi MagendurmktuiaU 

Ä uedehnükff, War he und HGiisügtä Au^chta würden $$$'/■ 't%& 

"4v^h 4 ■ mH ' Mb$&r dicfit am iprfm M. geschieht du* . a*«. 

y0%i‘i4jr dü&f das Mtja&er, ■ w&krmä iUrS&dri* Ivüfivg angespannt u h 
dc4Dari7\e^ $e v ” ' ~ 
gwizt Dünndarm bis 

• - -.-I M HJ| ... .. v ., ,|||PPHRPPV|||MP .......... . 

/kdeiat Mtigtidcrdmmnng und, der noch <tM Mä<ßn haftende Ted '(fpr.’Sfip&tr&h-r* 
Kpn ihren Verbindungen. 4 

;: .. .-w-irtf^Untfehtf der Etagen von der Speiseröhreaus m* diT g?ak&üi- 

Krümmung aüfg^chn/Uen f der Inhalt mii 'SchÖpfbedutf mdfe? ui and auf Farbe % 
chcmisckt fienktitrh rtepriifL di# ÜehlnmhMid dtb Speise- 
and d$$ Magens mf Farbe, bickund Blut- 
gehiift untersucht, . ih'S Weiteren mrd der.!&$?•%ffinper darrt* tm ^iner vorderen 
.Seite,-, der Dünn- and llkkdurm an der Amaizstelfe dn Dekrusi^ pufgenchnittm, 
trbge*pidl r nusgtbreüiii. Der Imrmiuhalt wird auf Farbe, KixmhUn2 r - ilrr^ h 
geprüft _Ki udril. dit;.. MtDfd^ugs'ShUe :-d*x Gatfanyanges aufgesuchi und 

iiifiiHi 




Dr#(?ett 


Utufa- 


Schied fnhfjut 
betrachtet. 

Hi 

sucht Und mehrfach tinfj&vkmkenA 

ö^''|||^praüsiiÄhraL!e! von Leber und Bauch* 
Speicheldrüse, ßarübsr bestimmt 

Preusseu: „Die Leber wird zuerst äusserlicb. in ihrer natürliche» Lage 
beimh lieben «md, aaeftdem gegebenenfalls die Untersuchung ihrer AUBfabmiigB- 
gäoge ebskttgefaudeo,; hefSkCdgöSbhuit.ten. Dttrah lange, quer aber da# Örgao 
gelegte glatte Sahaitta wird der Blutgehalt and das Verhalten dca t’äreacb’fin» 
fcstgestellt. Bei der Beschreibung ist stets eine kurze Mitteilung öhäx das 
allgeujeine^ Verhalten det Lebßrlhppchen, namentlich Über das Verhalten;; dtr 
inneren und änsseren Abschnitte derselben zn geben.“ 

Bayern i Die Leber Ist „von dem Zwerchfell und ihren Verbindungen 
mit andern» Teiieii unter zweimaliger Dnwhtrennnng der nuteten Hoblvene zn 
lösen und dann durch lange, quer durch das Organ gelegte Schnitte auf den 
IJhitgshfclfc und das Verhalten des Parenchyms za untersuchen. Auch ib* dabei 
auf die Gallenblase an achten und die,selbe anzüaehneiden. 

b) Zuerst, wenn es angezeigt ist,. Wendet man aich an die Porta hepati«, 
präpariert hier die Galieugttnge and prüft sie anf ihre Durchgängigkeit, 

etwaigen Inhalt etc.. Aa der Leber wird darch lange, quer durch da« 

Organ gelegte, glatte Schnitte der Bintinhalt nnd das Verhalten des Paron- 
chyms festgegtellt, auch eine kurze Mitteifaug fiber ditB Verhalten der Leber* 
läppchen, namentlich Über die ünterHchiede in ütrem ZaBiram und in ihrer 
Peripherie gegeben.“ 

Sncheen: Bel der UnterBuebung der drüsigen Organe der Unterleib«- 
höhle (Leber, Milz, Baechepeicbeldrliae) iat auf das Verhalten der Kapseln in 
wehten und d&a Volumen, die Sohsiatenz und bei AbWeinhong von der ^ona 
das Gewicht derselben lestznsteUan, Ee sind weiter durch die Organe aoa- 
yiebige Schnitte zu S«gco, um die ßeschafenheit der ScbniUft&ebbn »ach Parbe, 
KDoaietenz und Blutgefealt an bestimmen.“ 

, v WUrttwinberg t „Nhn wird die Leber herauBgeBchniUea, naebdam ihre 

äussere Beschaffenheit «jjd das gegenseitige Verhalten ihrer läppen ermittelt 
«lad. Auf lang«» dtterlaufett&eir Schnitten nhtersneht man das Verhallen d«w 
Gewebes, die Bsschaffftuhsit, sowie die Füllung der Blutgefässe und der Qallea- 
Jetzt haha atush da» Oafüge, die Farbe und Gestalt der Battchspehdiel- 
drflsa festgesstelit werden.“ 

• Wdtr.ar- Einunacb: »Gröese and Form der Leber, die 





Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 


781 


wünscht, dass man nach Griesingers Methode horizontal von 
vorn nach hinten mit den Knochen zugleich das Gehirn durchsägt. 
Nach Orths kompetentem Urteil erleidet das Gehirn hierbei nnr 
geringe Verletzungen, in jedem Falle geringere als bei der anderen 
Methode. Vielleicht lässt man in Zukunft den Obduzenten die 
Wahl zwischen beiden Methoden. 

Preussen und Württemberg, sowie die mit Preussen 
übereinstimmenden Staaten haben noch folgende, auch für die Zu¬ 
kunft empfehlenswerte Bestimmungen über sonstige Unter¬ 
suchungen nnd Schliessung der geöffneten Leiche: 

Preussen: „§.25. Sonstige Untersuchungen. Schliesslich wird 
den Obduzenten zur Pflicht gemacht, auch alle in dem Regulativ nicht nament¬ 
lich aufgeftthrten Organe, falls sie an denselben Verletzungen oder sonstige 
Regelwidrigkeiten Anden, zu untersuchen. 

§. 26. Schliessung der geöffneten Leiche. Der Geriehts- 
(Kreis-) Wundarzt, bezw. der zugezogene zweite Arzt, hat die Verpflichtung, 
nach beendigter Obduktion und nach der soweit als möglich erfolgten Beseiti¬ 
gung der Abgänge die kunstgerechte Schliessung der geöffneten XOrperhöhlen 
zu bewirken.“ 

Württemberg: „§.32. Schluss der Leichenöffnung. Ergeben 
sich bei der inneren und Äusseren Besichtigung Verletzungen oder sonstige 
Veränderungen in Organen, welche im Vorstehenden nicht namentlich aufge- 
führt sind, so darf doch deren nähere Beschreibung unter keinen Umständen 
unterlassen werden. Der zweite Arzt hat die Verpflichtung, nach Beendigung 
der Protokoll-Aufnahme und der Abgabe des vorläufigen Gutachtens für die 
Beseitigung der Abgänge und die regelrechte Verschliessung der KOrperhöhlen 
zu sorgen.“ 

Wir kommen nunmehr zum dritten Teil des geltenden Regu¬ 
lativs der 

Abfassung der Obduktionsprotokolle und des 
Obduktionsbericbts. 

Dieser Hauptabschnitt zerfällt noch zumeist in die Unterab¬ 
teilungen: 

1. Aufnahme des Obduktionsprotokolls, 

2. Einrichtung und Fassung des Protokolls, 

8. Vorläufiges Gutachten, 

4. Obduktionsbericht. 

Hierzu kommen noch in Preussen „Zusätzliche Erklärungen 
über Werkzeuge“. 

Allein Sachsen-Weimar-Eisenach lässt einen derartigen 
Hauptabschnitt vermissen und ersetzt ihn durch kurze Anweisungen 
unter I. Allgemeine Bestimmungen. 

Preussen: 

㤠27. Aufnahme der Obduktionzprotokolle. Ueber allez die 
Obduktion Betreffende wird an Ort und Stelle von dem Richter ein Protokoll 
aufgenommen (ObduktionaprotokoU). 

Der Phyzikus (Gerichtzarzt) hat dafür zu aorgen, dazz der teehnieehe 
Befund in allen zeinen Teilen, wie er von dem Obduzenten feztgeztellt worden, 
wörtlich in das Protokoll anfgenommen werde. 

Der Richter ist zu ersuchen, dies so geschehen zu lassen, dass die Be¬ 
schreibung nnd der Befand jedes einzelnen Organs aufgezeiehnet ist, bevor zur 
Untersuchung eines folgenden geschritten wird.“ 

Das bayrische und sächsische Regulativ stimmen fast 
wörtlich mit dem preussischen überein. 



782 Dr. Placzek: Bia deatschea geriohtsärstliches Leichenöffnungsverfahren. 

Eine Sonderbestimmung mit eigener Fassung hat Württem¬ 
berg, dessen §. 33 „das Protokoll“ in seinem I. Teil lautet: 

„Das Protokoll wird während der änsBeren and inneren Besichtigung 
▼on dem Gerichtssohreiber nach den Angaben der Aerzte niedergeschrieben. 
In der Regel soll sofort nach Untersuchung eines Organs auch die Schilderung 
des Erfundes su Papier gebracht werden. Jedenfalls ist es su vermeiden, eine 
längere Reihe von Beobachtungen vor dem Niederschreiben Zusammenkommen 
zu lassen. 

Der erste Arst (Oberamtsarzt) hat dafür zu sorgen, dass die Beschrei¬ 
bung aller Erfände wörtlich so aufgenommen wird, wie sie durch die Unter¬ 
suchung festgestellt wurden. Beide Aerzte können nicht dringend genug auf- 
gefordert werden, auch solche Funde, welche nach der gewöhnlichen ärztlichen 
Anschauung unbedeutend erscheinen, wie z. B. kleine Hautabschürfungen, Blut¬ 
unterlaufungen, kleine Fremdkörper u. dgl. so vollständig als möglich zu unter¬ 
suchen und zu beschreiben. Denn nicht selten tritt im weiteren Verlaufe der 
gerichtlichen Untersuchung zu Tage, dass gerade sie von allergrösster Wichtig¬ 
keit sind. 

Das Protokoll wird also um so brauchbarer sein, je unverrückter es den 
gerichtlichen Zweck im Auge behält, und je eingehender, klarer und bündiger 
es die aufgefundenen Veränderungen im einzelnen beschreibt. 

Am allerwenigsten darf die Würdigung und Aufnahme der Funde vou 
irgend einer vorgefassten, durch äussere Umstände und Verhältnisse hervor¬ 
gerufenen Meinung Uber die Todesursache beeinflusst werden.“ 

Sachsen-Weimar-Eisenach: 

㤠7. Ueber jede Leichenuntersuchung ist ein Protokoll aufsunehmen, 
in welchem das Wesentliche der Befunde in möglichst gemeinverständlichen 
Ausdrücken und in gehöriger Aufeinanderfolge wiederzugeben ist. Soweit als 
möglich sollen Messungen an die Stelle von Schätzungen treten, Urteile für 
das nach Schluss der Leichenschau bezw. Leichenöffnung abzugebende Gut¬ 
achten aufgespart werden.“ 

Der preussische § 27 kann vorbildlich bleiben. Es bedarf 
nicht der übermässigen Ausführlichkeit des württembergischen 
§ 33, zumal die dort gegebenen besonderen Hinweise nur einen 
Teil der „Allgemeinen Bestimmungen“ wiederholen. Betreffs der 
Einrichtung und Fassung des Protokolls wünscht Preussen: 

㤠28. Der den technischen Befand ergebende Teil des Obduktions 
protokolls muss von dem Physikas (Gerichtsarzt) deutlich, bestimmt und auch 
dem Nichtarzt verständlich angegeben werden. Zu letzterem Zwecke sind 
namentlich bei der Bezeichnung der einzelnen Befunde fremde Kunstausdrücke, 
soweit es unbeschadet der Deutlichkeit möglich ist, zu vermeiden. 

Die beiden Hauptabteilungen — die äussere und innere Besichtigung — 
sind mit grossen Buchstaben (A und B), die Abschnitte über die Oeffnungen 
der Höhlen in der Reihenfolge, in welcher dieselben stattgefunden, mit römischen 
Zahlen (I, II), die der Brust- und Bauchhöhle aber unter einer Nummer zu 
bezeichnen. 

Die Befände müssen überall in genauen Angaben des tatsächlich Beob¬ 
achteten, nicht in der Form von blossen Urteilen (z. B. „entzündet“, „brandig“, 
„gesund“, „normal“, „Wunde“, Geschwür“ u. dergl.) zu Protokoll gegeben 
werden. Jedoch steht es den Obduzenten frei, falls es ihnen zur Deutlichkeit 
notwendig erscheint, der betreffenden Angabe des tatsächlich Beobachteten 
derartige Bezeichnungen in Klammern beizufügen. 

In jedem Falle muss eine Angabe über den Blutgehalt jedes einzelnen 
wichtigen Teiles und zwar auch hier eine kurze Beschreibung nnd nicht blos 
ein Urteil (s. B. „stark“, „rnässig“, „ziemlich“, „sehr gerötet“, „blutreich“, 
„blutarm“) gegeben werden. Bei der Beschreibung sind der Reihe nach die 
Grösse, die Gestalt, die Farbe und die Konsistenz der betreffenden Teile an¬ 
zugeben, bevor dieselben zerschnitten werden.“ 

Bayern: § 31 stimmt wörtlich überein, ebenso Baden, 
Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Braunschweig. 




Kleinere Mitteilungen und Beferate nun Zeitschriften 


788 


Sachsen: § 22 stimmt nur znm Teil überein. Hier findet 
sichnoch folgender Sehlussteil: 

„So notwendig für den Zweck der Leichenöffnung die genaue und be¬ 
stimmte Wiedergabe der wichtigen Befunde ist, so überflüssig erscheint die 
umständliche Beschreibung solcher Befunde, welche für das Interesse des 
Biohters unwesentlich sind. Für solche Verhältnisse genügt eine kurze, zu¬ 
sammenfassende Bemerkung. Ueber die technische Ausführung der Leichen¬ 
öffnung in ihren einzelnen Teilen sind nur dann Angaben im Protokoll nieder¬ 
zulegen, wenn und soweit dieselbe aus bestimmten Gründen von der vorge¬ 
schriebenen Form abwoioht.“ 

Württemberg: 

„Die Darstellung des Gefundenen soll bestimmt, vollständig und so 
deutlich sein, dass sie bei gleichzeitiger Vermeidung aller Weitschweifigkeiten 
auch solchen ein klares Bild ermöglicht, welche nicht bei der Leichenschau 
und Leichenöffnung anwesend sein konnten.* 

Ausserdem werden „ungezwungene kurze, deutsche Ueber- 
setzungen* gewünscht, aber „die Kunstaasdrücke jedesmal in 
Klammern“. 

.... _Im Falle sich beide Aerzte über die Abfassung der Beschrei¬ 
bung einzelner Veränderungen, oder über die Aufnahme solcher in das Protokoll 
nioht einigen können, bo ist jede der beiden Auffassungen unter dem Namen 
des betreffenden Arztes aufzunehmen. Ist die Beschaffenheit des Gegenstandes 
der Meinungsverschiedenheit der Art, dass sie noch nach seiner Konservierung 
oder wenn die Veränderung einen Knochen, insbesondere den Schädel betrifft, 
nach der Mazeration erkannt werden kann, so ist eine solche Konservierung 
bezw. Mazeration vorzunehmen und das Präparat dem Bichter zu übergeben, 
damit dieser sofort das Urteil eines weiteren Sachverständigen einholen kann.* 

Mecklenburg-Strelitz: § 17 entspricht inhaltlich der 
württembergischen Vorschrift. 

Es liegt kein Anlass vor, den preussischen § 29 inhaltlich 
oder formell zu ändern. Hält man ihn für ergänzungsbedürftig, 
so könnte der Schlussteil des sächsischen § 22 nutzbringend an¬ 
gefügt werden. 

Es erübrigt sich, die Paragraphen 20 „Vorläufiges Gut¬ 
achten“, 30 „Zusätzliche Erklärungen über Werkzeuge“ 
und 81 „Obduktionsbericht“ vergleichend zu betrachten. Sie 
können ohne jede Aenderung in das Zukunfts- Regulativ übergehen. 

Es war der Gedanke an ein einheitliches gerichtsärztliches 
Leichenöffnungsverfahren für das Deutsche Reich, der zu dieser 
vergleichenden Studie führte. Sollte er einst verwirklicht werden, 
so würde ich zufrieden sein, hierzu eine bescheidene Anregung 
gegeben zu haben. _ 


Kleinere Mitteilungen und Referate aue Zeitschriften. 

A. Gerichtliohe Medizin und Psychiatrie. 

Kohlenoxydvergiftung. Verschwinden des Gases aus dem Blute. 
Von L. Garnier. Biologisch chemisches Laboratorium der medizinischen 
Fakultät zu Nancy. C. B. de la sociötö de biologie; 1803, Bd. 66, 8. 761. 

Bericht über 4 Personen, die unter verschiedenen Umständen einer 
Kohlenoxydvergiftung ansgesetzt waren. 

Im ersten Falle lag ein Selbstmordversuch vor. Der Mann hatte sich in 
einer Novembernacht 1902 mit Leuchtgas zu vergiften gesucht, war am nächsten 
Morgen bewusstlos gefunden worden; ins Krankenhaus gebracht, lag er dort 
einen Tag im Koma. Nach starkem Aderlass, NaCl.- Injektionen kehrte das 




?06 Ans VerBamralaugeu and Vereinen, 

i. Haltnng der Ktth*. 

tjtjl.ajtaag 4 et Eflhe in einem -ischtc«,; grti venfcüierbaren Stalle, 

i .oljcbste Haltung' ier yerjo«i4ßAg der Eoter- Terwireiwgtinf, 

iä^ticheB Striegeln und Bürsfen Ät? KÖbe. 
gliche Enlfernnng tles Pfingen an? den» Stalle, V«rwendnag guter und 
h «/ Streß. 

t;V iüsnaoe Rtabaltttttg der Patter- and Melka&iien. 

T>) T4güfihe Bewegung der £fihe t« Freien bet günstig« Witterung, 
b, FhtlöiUug der Kflb«. 

H v.:saehlttÄs ein«# jeden ««derbenen «4« stark riechenden oder sonat nicht 
FfttteiTBtit'tefe. •/ 

äjfvÄmüidblä» '• fea .Mai*- :04 äV K anoffeSsdiierope, eaftgetänerle® Ha», g»kre.n- 
*r; fr.ertrebetn n, ft. 

, üderaog der Ffittefuflg beim Auftreten eines auf die Futtermittel 
nif&ek^eiflhrende& Milchfehler«. • 

t. Melken , Behandlung und ?e reendnag det Milch. 
Ke4igabg der Kater ’ffor dem Melken. 

$ - nähme de» Melken* mit reinen Händen. 

;'M'tuae des Melkens vor der .Fütterung oder mindestens eine halbe 
- jsde nach derselben. 

4T '^{.i^fälturer Söhnt* der Milch v»sr jeder Veranreinignng: resebes Entfernen 
<fe* Milch ans dem Stelle; Seihen derselben turtniltelbttr nach dem Melken 
ijjtltelBt Sieb and Seihtuch, möglichst rasche Abfcübltibg d« Milch auf 
Ä* C. Aufbewahrung der Milch in einem got ventiliertem EtiMranim 
liJiifeb'kammer} bei einer Temperatur von t»-—S ö bis nur Tereandteit, 
Verwendung von sanitär einwftudfreieni: gut gereinigten Mslcb-Trensjiürt- 
• v:n. 

. yorschrifton bezüglich dev Persona!?. 

1} Verwendung vollkommen gesuader Personen bei der Ocwinntmg and Be- 
ti tlang der MÜcb. • AnseeWiesrnng solcher, ' welche an Tuberkulose. 
EU.at- und. anderen lnfekticrafckrankheiten leiden. : H‘ '•.'.■/ 

2> Ati'Sfihtiaaaong solcher Personen vom Dienate im H^fe, in deren Wohnung 
eine Infektionskrankheit., z. B : Scharlach, Masern, Diphtherie, Blattern 
■ .getreten ist. bis «um- voli<üt.8ndigen Erlösdieo einer Infektionsgefabt. 

3.i ^x&ltlge EinsteUußg der Milch}ieferttng bei Auftreten tc.» Typhös auf 
■xitem tJehöfte and Sohadloslialtitflg des Genossenschafters durch die 
"Mener Molkerei.' ■’ \ 

Mnn stöbt heute mit Hecht noch allgemein an! dem Standpunkt«, ili« 

, den reialicfisten Melken gewonnene Milch Jtn seihen odet je« fi 1 - 
■ , im eis voo etwa bineingeratenen Schm n tat eilen re'befreien.. 
Seit . «n bat die Uolkereitecbuik, am die diesen Z-weck nur unvollkommen 
»rfilite«usn Seihtücher *u eraetsen, die verschiedenartigsten Milehsiebe and 
-r auf den Markt gebracht, und iiotterdisg» wird dabei ein im Hinblick 
■tut > - laktcritngehftlt bex». die Haltbarkeit der Mikb gdne überaus wkh* 
ler aber immer noch.tängst nicht gentigend gewhTdlgtes Moment mehr 
nnd i*&*r berücksichtigt Alle älteren, aber »ach jetst noch mlfVh 
>rn.^ befindlieben PiUer, ob sie nün ans Draht- oder SaarsiehecB bestanden, 
<>*« sich aas *wel oder drei «a einaiutergesteütea SiebplattaH ausamnien- 
dankten nSmllcb an dep» Fabier, dass die Milch mit »ehr oder vrebtger 
xr.ark«»i Druck, d. h. durch den FlBsaigkeitssäuletidruck durch die Siebe ge- 
prsyH wardeo, , Dabei kann es nun nicht ftnsbleiben, da es naffientllcil bei der 
>2 gröfiacrer Mtlchroengen darch «in and daescibe Filter die nnf den 
v * snfanga rarftckgehalteneo Kotpanikelchen oder, sonstige anfUbbäre 
Sihrvn ?,Bestandteile von den aachfolgeede« MilcböHtigea ftHtlibbÖch zerrieben 
•verde*. «aä non ha feinste» Teilchen nngRbstHtert 4teiiSiebi?llaiiiitgen pasBierv». 
Es •;> : -et ohne weiteres ein, dass eine so filtrierte Miicih woki von (gröberen 

schrsdltbestaadtettea frei sein kan«, «rÄhrend; eie in bazijlÄrer Hinsicht tmd in 
t .Äitg rt'if Haltbarkeit als hfichst swiedlelbsät &ee»icb««t werden mnas eod unter 
t'asstSaden viel bedenklicher aein kann, als eiae hberbaapt nicht geseihte bdif 
Diese Kalamität bei der Filtration lässt sich I» swelerlei Weist 
i'O'ft 'fces Einmal dadurch, dass man die Mücb ohne jeglkbeu Brack ein eng« 
r vc'- v" i rdess» lässt, m dass sie nur durch Uim eigen* Schwere StiödurcbfUeMt. 

ivvo Ftitrationsmethodik repräsentierten auf det’AauRtsBcftg das vom Tier* 




Aub Versammlungen and Vereinen. 


707 


nrst Levens erfundene and von der Firma Levens & Andrö in Goch ver¬ 
triebene Patent-Milchsieb and ferner das Sch eben sehe Milchsieb. Beide 
haben sich in der Praxis schon gat bewährt. Wählt man anderseits das Filter¬ 
material so dicht, dass feinste Schmatzpartikelchen nicht mehr passieren 
können and ohne dass dabei dnreh Verstopfen der Filterporen die quantitative 
Leistangsfähigkeit za schnell erschöpft wird, so wird ein solcher Apparat 
ebenfalls zweckentsprechend Bein. In dieser Weise ist der Ul and ersehe 
Milchreiniger, bei dem das wirksame Prinzip die Anwendung von einer oder 
zwei zwischen zwei bezw. drei Siebplatten befestigten Wattescheiben darstellt, 
konstruiert. Prof. Dr. Vieth, der Direktor des milch wirtschaftlichen Insti¬ 
tutes Hameln empfiehlt diesen Apparat anf das wärmste and sagt, dass ihm 
bisher keine Beinigangsvorrichtnng für Milch näher bekannt geworden ist, 
welche ihren Zweck in gleich einfacher and gleich vollkommener Weise er¬ 
reichen lässt. Aach die quantitative Leistungsfähigkeit befriedigte durchaus, 
insofern als erst nachdem 120—150 Liter Milch das Filter passiert haben, die 
Anwendung einer neuen Filterscheibe notwendig wird. In ganz ähnlicher, 
sogar noch etwas einfacherer Weise arbeitet der von F. Pittins ansgestellte 
hygienische Milchreiniger „Freya“, bei dem nur eine Wattescheibe, die zwischen 
Metallscheiben auB gelochtem Blech angebracht ist, zur Verwendung kommt. 
— Einen Versuch, jede Seih- und Filtriervorrichtung unnötig zu machen und 
dnreh einen entsprechend konstruierten Melkeimer zu ersetzen, stellt der 
Wertgensche Sicherheitsmelkeimer, Purificator“ dar. Die Milch läuft 
bei ihm dnreh eine hinreichend grosse Oeffnnng zunächst durch ein gröberes 
Sieb, dann durch ein feines Haarsieb. Beide Siebe können mit einem Grift 
abgenommen, auseinandergezogen und in Wasser gereinigt werden. Am Aus¬ 
guss findet sich ein luftdichter Verschluss. Ich möchte die Anwendung eines 
solchen Eimers dann als einen Fortschritt ansehen, aber auch nur dann, wenn 
bei seinem Gebrauch streng darauf geachtet wird, nach dem Melken jeder ein¬ 
zelnen Kuh die Siebreinigung in reinem Wasser vorzunehmen; dagegen möchte 
ich nicht den Filtrier-Zentrifugen, die neuerdings verschiedentlich empfohlen 
werden und auch in der Ausstellung vertreten waren, das Wort reden. An¬ 
geblich ist mit ihnen, ohne dass Entrahmung eintritt, eine genügende Reini¬ 
gung der Milch zu erzielen. Ich kann mir das .nicht vorstellen, am aller¬ 
wenigsten dann, wenn sie für den Handbetrieb eingeriohtet sind, da man mit 
etwa 600 Umdrehungen in der Minute unmöglich die leichtesten Schmutzteile 
aus der Milch herauszentrifugieren kann. 

In diesem Zusammenhänge sei noch der Desinfektion von Milch¬ 
viehstallungen gedacht. Leider bot die Ausstellung nichts, was die Unzu¬ 
länglichkeit der bisherigen Desinfektionsverfahren zu vervollkommnen geeignet 
gewesen wäre. Da die Milch bekanntlich gegen Aromata irgend welcher Art 
sehr empfindlich ist und leicht deren Geschmack und Geruch annimmt, so ergibt 
sich — unter selbstverständlicher Voraussetzung eines guten Effektes — als 
Haupterfordernis einer für Kuhställe sich eignenden Desinfektionsmethode not¬ 
wendigerweise die Geruchlosigkeit der zur Desinfektion verwendeten Mittel. 
Annähernd ebenso wichtig ist die Ungiftigkeit. Erst in dritter Linie kommt 
es auf die Einfachheit und Handlichkeit der anzuwendenden Apparate an. 
Die ausgestellten einschlägigen Apparate, z. B. der Lübbeckesche, ein nach dem 
Prinzip des Heronsballes arbeitende Sprayapparat, waren als zweckentsprechend 
zu bezeichnen, nicht aber die von den Ausstellern vorgeschlagenen Desinfektions¬ 
mittel, mit welchen die Apparate arbeiten sollten. Heisse Sodalösnng versprüht, 
ist in ihrer desinfizierenden Wirkung ebenso unsicher wie parfümierter Nitro¬ 
benzol. Chinosol ist aber für Ställe im allgemeinen unbrauchbar, weil es 
Eisenteile stark angreift. Aus diesen Gründen musste auch die gestellte Preis- 
aufgabe: „Desinfektionsverfahren für Milchviehstallungen" als ungelöst be¬ 
trachtet werden. So lange wir keine für die allgemeine Anwendung brauch¬ 
bare Desinfektionsmethode haben, wird zu deren Ersatz darauf hinzuwirken 
sein, die Ställe so einzurichten, dass sie der mechanischen Reinigung leicht 
zugänglich sind, womit aber nicht gesagt sein soll, dass dies nicht unter allen 
Umständen anzustreben wäre. Als Muster in dieser Hinsicht konnte der er¬ 
wähnte Hüttenrauch sehe Stall dienen. Auch der altbewährte Kalkanstrich, 
welcher den Tieren nicht schadet, wohl aber alleB sich ansetzende Ungeziefer, 
und sei es auch nur Fliegenbrut, vernichtet, keinen unangenehmen Geruch 
hinterlässt, welcher auf die Qualität der Milch nachteiligen Einfluss ausübt, 



Au Varafcaunltwgefl und Vereinen 


Vß8 


<>ii4 vorteilhaft *nr Desinfektion heransuaieheB sei«; wer ihn oft erneuert, 
»M «i«e wirksam« Prophylaxe 

i Wcailioh imuinig«» Funkte» der ÄikthgewianuBg etwas l&aget ver- 

* »»Ut habe, aa getebab du i* wobittberlegt er Absicht, JgJnth&il 4 m andestüfiga- 
v«iH Besprochen© auch ottt die Hinweise auf die elejnestant^ Oroadsfttafcdw 
MficbiEewiaoRng, so sind sie doch auch giejcbaeHtg die wichtigsten, und Y 
>ti© »ßiitltre Baaäfsichtignng der Milchwirtschaft bat diese V&hllttdtöte 
Iwtend«* in* Aags *u fassen. Mit Recht wird daher auch neuerdings 
b*ä 4W gmmte» Müch^rodabtioa, vornehmlich der der Eindermilch, der 
Hcupiwert «tf Ais sanbora and Bjnwaodfrei'e Gewinnuog gelegt ; ist erst, 
etumai in» Stelle die Milch versctmuwt. ?o ist sie dtttefc kein Mittel der Welt 
wiedäf »i etecm wohlschmeckenden und bekömmlichen KbbJ^lpmitteJ um*»- 
gestalte«. Zu® Glück finden aber hier die sacitfiren Seetrshußgea bis so einem 
gewisse» Grade «Ute Sthue am pekftnihre» Interesse der ProdteeBteo selbst, 
denn i»#t ei&e saxtbere Milch Hast behö V>mod ah Molltweie» »»4 Milchhtndlei 
oft grosse Vurlaste vermeiden, and hei der Gewiennog der allein gnthesahltcn 
oratkl&ssigeB Butter spielt die Sauberkeit des Rohmaterial* dt« Hauptrolle und 
eine vielieiaht auch, grössere in der ft&serei. 

Dam Melken hat «loh bekanntlich, eofero »icliuUe Milch ata Prodaktioas- 
arta selbst sofort weiter verübeltet wird, unmittelbar die Kühlung der 
Milch aszaschlieseen.} es ist- sa fordern, d&s* sie auf mindestens 12 ° C. 
gekühlt wird, eh* sie «tn Transport gelangt. Uebor dl* bar Austeilung ge- 
u-agUMi KühiappiMr«te ist itn silgomoinen atebt* Bosoodor««' k» berichten. So- 
wähl di© kleiner»* für die Prodnktiansart der Milch bestimmt«*, welche dis 
für den Transport notwendige Tewpeoaluyeritfedngiing bezweckest Mfow« «3* 
Mich die grösaaraa für die SaounelRwikemco waren, soweit ich mich unterrichte» 
konnte, not in den bekannten Formen — Rökrenkttbler nach La wr*sc-ß schein 
£y*te® and Sc k m id t scher rundvr Kühler mit gewellter Bleebwapd— ver¬ 
treten. Non war nur der von So® mier & Hsell in Düsseldorf aassttstelifc*, 
einen enormen Kiifceeffekt eraidende Beriecclnngsmilcbfcbfeter, io dem dl» 
Xtltee««ogasg dorob Yerdampfoag ton Schwefeldioxyd geschieh.!. GetegenUieb 
iw Bvsprechnog der Müchküblncg sei aber »aobdrfickUchst biogewiecon wnf 
4» Aasatdllangsgegenstande der „G©*ell*ehaft jfllr allgwneiiw bygiejwteb« Milch- 
taraorgnng 4 isßerii», deren System eioer hygkinechcn Milchveiworg»»# kJ» 
prinsdpteUe Grundlage die Tiefkübiueg de? Milch hat. per Leiter dag. Gstell« 
eohaft, der bekannte Kilchteehniker X»ge»ie«f Wilhelm Helm io Berlin, b»t 
io einer sehr «ehr lesen«- und helfe r*Üge**itöHeh Arbeit, die in der im Anftrage 
der wissenschaftliche» Abteilnogtiejr Ausstellung hf-raoegegefefren Ferttebffllti 

* Di« Milch und ihre Bodeateog für Volkswirtschaft and Volksgesufidhuit* 

veröffentlicht ist, die Vorsüge das Varfshieus der Vilcbtiefkhhleng in 
Ueberaeugong dargalegt. Die«« Voraüge der Nenorgeniaation basiere» I» ervteri.- 
Linie darauf, dass dl» Arbeiten der Milchversorgnog auf einen viel grösseren 
Zeitraum, als es bisher; möglich war, verteilt weiden können; denn 41« t»*’ 
gekühlte Milah ist von grosser Haltbarkeit und nicht mehr ©in fiasdf lsertXkeh 
4er mit aller Hut vertrieben Werda» i»a*s, will man nicht durch sein Ver¬ 
derb co empfindliche Rinbtuwen erleide». Die Molkereien, welche da* neue 
System eingefttbtt haben, arbeiten so der Weise, dass sie die. «logeliefarte 
Milch durch KMtewirkang halte« machen, den Tag 1 über antbewahren aail am 
bSchsten Tage vor BU»li*ferong der frischen Milch verkaufen, oder versende®. 
Wer daher einen solche« Betrieb hteichtigt, «rfcllt den Bindrnck, als ob di? 
Molkereien die Milch eher verkaufe«, als aic solche ©rhalten. Di«'gdwonaenen 
Vorteile sind so bedeutend, das» die Batriehafftkruiig uut der RSltemBK'hiiic 
auob im Winter aufrecht v4:halt»» wird. Bin»., derartige Organisation d« 
Betriebes mit ihrer Kuh© und Ordnung: smügUchk oatttilich eice gac* andere, 
viel gorgf&ltigere und «»htllete Bcbjkftdlu»g der Milch und auch ihrer Trsn»- 
portgefÄsse, als tnaa ata ihnen in «öderen M<itk«rOien angedeiben laaseu k*»n, 
in deaeo AnKa/exung, PrUf>u»g n»4 dvj Milcb ?ow»c Reinigung der 

Trauaportgeffcs»e, also fast di« gws*e Arbeit eich ao! wenige Voroittogsrtosden 
ruaamta«ndrÄnal und in grösster Silo ©tied%f «» werden pflegt. Anch dem 
Frodosenten bietet die ifonorganisatjoo, da die Milch erst viel »pAtci »1» 
früher aag©li«fert an werden braucht, öStia nicht su uuterechfttÄend* Kr- 
laiohteinug uutnoher ünbequemiichkcUsn, die mit 4or Müchgewinnung »nf 4®« 

:> Landa verkodpft sind. „ Während sonst, namaatUcb im Winter, sa sehr Mb» 




Au Varsammlnogea ud Vereinen. 


70» 


Morgenstunde »ei der Laterne die Milch ermolken werden müsste, wobei nf 
reinliches Melken, gutes Ausmelken, reinliehe Behandlung der Milch kann 
Rücksicht genommen werden konnte, ist jetst für alle diese Arbeiten die nötige 
Zeit gewonnen, and der strebsame Landwirt ist in die Lage versetzt, vor¬ 
zügliche Milch an liefern and d&darch die Anwartschaft anf einen höheren 
Preis za gewinnen.* Um die Temperatarerniedrignng, welche die Milch in 
der Zentrale erfahren hat, za erhalten, sind zam Transport an die einzelnen 
Milchhändler die Transportgefässe so konstruiert, dass eich die einzelnen Gefftsse 
dieht an dicht and dicht anf dicht stellen lassen, nm dadurch einen einzigen 
Milchblock zn bilden, der nnn yon oben and den Seiten her darch einfache 
Isolierung mit Strohdecken oder dgl. vor Erwärmung leicht geschätzt werden 
kann. Um der Milch auch in den Verkanfslokalen die Kälte an erhalten, 
gelangen die Transportgefässe in einfache isolierte Aufbewahrungsräume. Zum 
Verkauf der Milch werden die Transportgefässe mit einer einfachen Hebe¬ 
vorrichtung heraasgehoben, mit einem Zapfdeckel versehen nnd amgekippt. 
Alle diese Manipulationen können leicht und ohne Kraftanstrengnng von 
einer einzigen Person ausgeführt werden. Auf die geschilderte Weise ist der 
geringste Verbrauch an Kälte gesichert; ein Umgieseen der Milch wird ver¬ 
mieden und damit die Möglichkeit ihrer Infizierung oder des Hin ein geratene 
von Fliegen und anderen Insekten ausgeschlossen. Ueberall dort, wo das nene, 
übrigens billig arbeitende Verfahren eingeführt ist, hat es sich scbnoll den 
Beifall des Publikums erworben und solche Mehreinnahmen zur Folge gehabt, 
dass die Anschaffangskosten für die Kältemaschinen und Transportgefässe in 
kurzer Zeit gedeckt werden konnten. Wer auf der Ausstellung den von der 
Berliner Gesellschaft eingerichteten Milchausschank und die blitzsauberen 
Verkaufenden mit all ihren ebenso einfachen wie praktischen Einrichtungen 
gesehen hat, wird sich der Ansicht nicht verschlieBsen können, dass es sich hierbei 
am einen hervorragenden Fortschritt in der städtischen Milchversorgung handelt, 
der als ein glänzendes Vorbild auf diesem anerkanntermassen ausserordentlich 
bedeutungsvollem Gebiet bezeichnet werden kann. 

In vortrefflicher Weise war das Milchtr aasportwesen in der Aus¬ 
stellung seitens einer Reihe von Firmen behandelt. Von Milchwagen and 
Karren, welche bestimmt waren für Beförderung der Milch von der Produktions¬ 
stätte bis zur Eisenbahnrampe bezw. bis zum Geschäftslokal deB Händlers und 
für den Vertrieb der Milch im Stadtverkehr, war eine stattliche Zahl von 
Exemplaren zu sehen. Ihre nähere Schilderung dürfte über den Rahmen dieser 
Besprechung hinansgehen. Auch Miicktransportkannen waren in mannigfach 
varierten Formen und Ausstattungen ausgestellt. Als beste konnte eine 
Kollektion von gestanzten, nahtlosen mit Verzinnung versehenen und mit 
Stechdeckel und Gummidichtung ausgestatteten angesehen werden. Interessant 
war mir, dass als zweekmässigster Deckelverschluss für Milcheimer im städtischen 
Verkehr ein staub- und wasserdicht konstruierter Holzdeckel von den Preis¬ 
richtern bezeichnet wurde, und zwar, wie mir von kompetenter Seite mitgeteilt 
warde, besonders deshalb, weil nur ein hölzener Deckel nicht der Gefahr des 
Vcrbeulens und infolge desgen der der Undichtigkeit unterliegt. 

Von verschiedenen Firmen waren vollständige Molkereien mit 
Reinigungs-,Pasteurisierung8-,KühlungB-und Verarbeitungs¬ 
apparaten ausgestellt, in denen Behandlung und Vertrieb der Milch teils 
im Original, teils in Modellen vorgefübrt wurde. An der Spitze stand die 
Wiener Molkerei, „die schönste Molkerei der Welt“, die in tadellos gearbeiteten 
Modellen, Photographien nnd graphischen Darstellungen ein vollständiges Bild 
ihrer groasartigen und interessanten Tätigkeit geboten hatte. Das, was 
Modellen ja überhaupt an unmittelbarer Wirkung und Eindrncksfähigkeit ab¬ 
geht, ersetzte hier die minutiöse und anschauliche Darstellung des umfang¬ 
reichen Betriebes. Imposant wirkte die grosse Arbeitshalle, eines 75 m langen, 
11 m breiten und durch zwei Stockwerke reichenden Raumes, in welchem den 
hygienischen Anforderungen durch eine entsprechende Ausstattung sorgfältig 
Rechnung getragen ist, insofern als die Verwendung von Holz ganz vermieden 
ist, die Wände 2 m hoch mit glasierten Tonplatten verkleidet sind, der 
Fassboden aus starken hellen Klinkerplatten hergestellt und somit jede 
Gelegenheit zur Staub- und Schmutzansammlang vermieden ist Für Laft und 
Licht sorgen 48 grosse Fenster, nebenbei ist eine künstliche Ventilation ein¬ 
gerichtet. In der Halle befindet sich die grosse Milchtribüne, aaf welcher 



788 


Kleinen Mitteilungen und Referate atu Zeitschriften. 


Eine befriedigende Erklärung Uber den möglicherweise auch nicht intra 
partum erfolgten Tod war also auch durch die Untersuchung der Plaoenta nicht 
su finden. 

Solche sichere Beobachtungen beweisen aber immer wieder ton neuem, 
wie vorsichtig man bei der Beurteilung der forensen Begutachtung sein muss, 
Wenn man nicht den unglücklichen Müttern einmal bitter unrecht tun will, fy 

_ Dr. Waibei-Kempten. 


Fett, Glykogen und Zellentfttigkeit der Leber des Neugeborenen. 
Von L. Natlan-Larrier. Comptes rendus de la socidtd de biologie; 1908, 
Bd. 56, S. 885. 

Die Frage des Glykogengehaltes der Leber ist nach den Arbeiten von 
Lacassagne und Martin, von Modioa, L. Wachholz tu a. von 
geriohtsärztlicher Bedeutung. 

Die mikroskopischen Untersuchungen des Autors an der Leber des neu¬ 
geborenen Menschen und neugeborener Nagetiere ergaben nun das Resultat, 
dass die normale Leber des Neugeborenen Fett und Glykogen 
enthält. Beide Sabstanzen zeigen insofern ein charakteristisches Verhalten, 
als das Fett in der Umgebung der afferenten, das Glykogen in der der efferenten 
Wege sich hauptsächlich findet. 

Da sich die Zellen in lebhafter Tätigkeit befinden, handelt es sich nicht 
um ein einfaches Aufspeichern dieser Stoffe; es muss angenommen werden, 
dass das Fett zunächst in Glykogen, dann in Zucker nmgesetzt wird Und zur 
Ernährung und Wärmebildung des Neugeborenen beiträgt. 

(Leider ist nicht angegeben, welches die Todesursachen der Neugeborenen 
waren, an deren Leber die Untersuchungen angestellt wurden.) 

_ Dr. Mayer-Simmern. 


Ueber den Mechanismus des Todes infolge von Lufteintritt in die 
Venen. Embolien der Koronargefftsse. Von Ch. A. Fran$ois-Franck. 
Aus dem physiol.-pathol. Universität*-Laboratorium, Paris. Comptes rendus 
de la soo. de biol.; 1903, Nr. 25, S. 960. 

Mit Hilfe einer eigenartigen, vom Verfasser ansgebildeten Methode der 
Momentphotographie gelang es ihm, an Tieren die einzelnen Phasen der Ver¬ 
änderungen im Gefässsystem nach Eintritt von Luft in die Venen genauer als 
es bisher bekannt war, darzustellen. 

In kleinen Quantitäten in die Venen eingedrungene Luft 

S assiert dieselben in den meisten Fällen ohne Schaden, es sei denn, dass 
ie Luft in besonders intolerante Organe, wie ins Hirn oder ins Herz gelangt. 
Wird dagegen eine bedeutendere Menge in die Venen angesogen 
oder unter Druck in dieselben injiziert, so sammelt sie sich zuerst im rechten 
Atrium und im rechten Ventrikel an, dehnt diese aus und gelangt von da ln 
die Art. pulmonales; zum Teil aber auch geht sie in die Venen surück. 

Dieser letztere Anteil kann ins Zentralnervensystem gelangen und sieh 
in den feinsten Netzen der Gehirn- und Rückenmarksvenen fangen. Die übrige 
dem Blut beigemengte Luft tritt zum Teil in die Venae coronariae cordis ein, 
deren Vorhofmündungen erweitert sind. In diesen Venen geschieht die Fort¬ 
bewegung der Luftblasen unter dem Einflüsse der perikardialen Aspiration. 

In den Lungenkapillaren findet keine Behinderung für die dem 
Blute beigemischte Loft statt, ein Beweis, dass der Tod von Menschen und 
Tieren nioht auf einer mechanischen Behinderung der Atmung 
bernht. 

Nachdem Luft- und Blutmassen die Lunge passiert haben, treten sie im 
linke Herz ein, gelangen in die Aorta und von da in die verschiedenen 
arteriellen Gefässgebiete. Besonders wichtig ist die Verteilung im Karotiden- 
und Vertebralesgebiete einerseits, in den AA coronariae cordis anderseits. 

Die akute Anaemie des Zentralnervensystems wird bedingt durch ein 
Eindringen schaumigen Blutes in die feinsten Schlagaderverzweigungen desselben. 

Der Tod aber tritt ein durch eine Luftembolie der Koro¬ 
nararterien. Stossweise entleert sich mit Luft gemengtes Blut in die« 
Gefässe, während sich gleichzeitig auch die Koronarvenen mit Luftblasen 
füllen. Das Herz stirbt ^Infolge Absperrung des Blutsuflusses^. zum Myokard. 



Ddnore Mitteilungen und Referate mu Zeischriften. 


7 ® 


(Die Frage der Luftembolie ist jüngst in der Arbeit S tu eins [Viertel- 
jabrsscb. f. ger. Medisin; 1908, Sopplb. 1] snsammenfassend besprochen worden. 
Die Vemcbe des Antors geben eine aneh gerichteärstlich wichtige Srglnsnng 
sn jener Darstellnng.) _ Dr. Mayer-Simmern. 


Der Nachweis individueller Blntdifferenzen. Von Dr. Wolfgang 
Weiehardt, Assistent am hygienischen Institut der Universitftt Berlin. 
Hygienische Rundschau; 1903, Nr. 15. 

Die Spezifizität der durch Injektion gewonnenen Blntdiagnosenseia kann 
durch Absorption der heterologen Bestandteile erhöht werden. 1 ) Verfasser 
stellte Pferdeblutdiagnosensera her, mittels deren er im stände war, swischen 
mehreren Pferdeblutsorten sichere diagnostische Unterschiede festzustellen.*) 
Nach diesen ermutigenden Vorversuchen legte Verfasser zunichst eine von 
bestimmten Gesichtspunkten ausgehende Methodik des biologischen Blntnaeh- 
weises fest, mit Hilfe dessen nicht nur die sichere diagnostische Unterscheidung 
von Blut nahestehender Arten, wie das vom Menschen und Affen, sondern 
aueh von dem zweier menschlicher Individuen gelingt. 

Da ferner Verfasser mittels 4 maliger Injektion von Leiehenblut A. 
binnen 8 Tagen ein Kaninchenserum erzielen konnte, mit dem nach Absorption 
der heterologen Bestandteile ein ganz deutlicher Unterschied festzustellen war 
zwischen dem Blut der Leichen A. und B., so ist auch zu erwarten, dass die 
Gerichtsärzte in forensischen Fällen mit Hilfe dieser Methode event. das Blut 
eines Gemordeten zu diagnostizieren im stände sein werden. 

Deshalb dürfte es sich empfehlen, bei betreff, gerichtlichen Sektionen 
ca. 50 ccm Blut zu asservieren und mit Phenol zu versetzen, damit event. ein 
für das Blut des Gemordeten spezifisches Kaninchenserum gewonnen werden kann. 

_ (Autoref.) 


Ueber Röntgenstrahlen in gerichtlich • medizinischer Beziehung. 
Von Dr.Troeger. Friedreichs Blätter f. gerichtl. Medizin; 1903,Heft IV. 

Die Epipbysenbildnng der einzelten Knochen und abnorm vorkommende 
Knochen muss der Gerichtsarzt genau kennen, da er sonst normale ROntgen- 
bilder als anormale bezeichnen kann. Bei Brüchen, Verrenkungen und ihren 
Folgen am Knochengerüst gibt das Röntgen-Verfahren den besten und 
sichersten Aufschluss. Manche Brüche und Risse im Knochen sind häufig nur 
mit Hilfe der ROntgen - Strahlen zu erkennen. Die ROntgen • Strahlen sind am 
Knochengerüst, ausgenommen Kopf und Wirbelsäule, da sie hier noch der er¬ 
forderlichen Sicherheit ermangeln, ein gerichtsärztliches Postulat. Ein ge- 
richtsärstliohes Postulat sind die ROntgen-Strahlen auch bei in den mensch¬ 
lichen KOrper eingedrungenen Fremdkörpern, da dieselben in allen KOrper- 
gegenden und KOrperhOhlen nach ge wiesen werden können, wenn sie mit Rücksicht 
auf ihre GrOsse und Konsistenz überhaupt einen Schatten geben. Wenn 
auch zugegeben werden muss, dass bei manchen inneren Krankheiten das 
ROntgen-Verfahren den alten klinischen Methoden in der exakten Diagnosen- 
stellung überlegen ist, so kann es jedoch, mit Rücksicht auf die der ROntgen- 
Methode noch anhaftende Mangelhaftigkeit, ein gerichtsärztliches Postulat 
nicht sein. Ueber die Lebensfähigkeit eines neugeborenen Kindes und darüber, 
ob ein Foetus in oder nach der Gebuit geatmet habe, sowie über etwa be¬ 
stehende Schwangerschaft gibt das ROntgen* Verfahren bis jetzt keine gerichts- 
ärstlich verwertbaren Aufschlüsse. Bei einigen Hautkrankheiten ist die 
ROntgen-Therapie als die beste anzuerkennen. Nicht zum geringsten hängt 
das Urteil über den diagnostischen etc. Wert einer ROntgen • Untersuchung 
davon ab, wer die Untersuchung vorgenommen hat, da nur ein mit dem 
ROntgen-Verfahren seit Jahren auf das genaueste vertrauter Untersuchpr be¬ 
rechtigt ist, ein massgebendes Urteil abzugeben. Dr. Rump. 


Ueber angeborenen Mangel der Schlüsselbeine. Von Privatdozent 
Dr. Gross, Oberarzt der medizinischen Klinik in Kiel. Münchener medizin. 
Wochenschrift; 1903, Nr. 27. 


>) Cool Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1902, Nr. 20. 

*) Münchener med. Wochenschrift.; 1903, Nr. 25, S. 1077. 



712 


Beepreehvngen. 


otawn geacheltbe« und enthält ei ob Sammlung to» gemeinverständlichen 
aber -vimensebaf tischen Aufsitzen aas des verschiedenes Gebieten der 

IttfehffiriftAsfl. Dr. Wolff- Stralsund. 


Besprechungen. 

Dt, Th. Ziehen, o. Professor an der Universität Utrecht: Psychiatrie. 
Bearbeite: für Aerzte and Studierende. Zweite vollständig amgearbeitete 
Anftagt. Leipzig 1902. Verleg von L. Hirse 1. Preis: 16 Merk. 

:-Sanken dem Verfasser des vorliegenden Baebes eine Darstellung 
der ph • • ; 'dien Psychologie, die bereits in 6. Anflage erschienen ist and 

«•ich «oer weitgehenden Beliebtheit erfreut, während sein Lehrbnch erst jetst 
- fl J*hr< «JMtb seinem ersten Erscheinen — zu einer zweiten Anflage gelangt izt. 
L»i- !'>t diesen geringen Erfolg des Werkes liegen nicht an diesem 

selbst, «-.«der» wie ans scheint, in erster Linie an dem Vorherrschen der 
K reepe Huschen Lehren. Jedenfalls wird man dieser zweiten Auflage eine 
gute Pft-giK«»» stellen können. Der Verfasser geht von einfachen and klaren 
Aaschanangen aas, die sich im Gegensatz zur herrschenden 
W fl n d t«ehe» Lehre aaf ein grundlegende» Schema reduzieren lassen, das ihm 
enr Sfklä’osg aller psychischen Phänomene ausr eicht. 

Nach- Ziehens Auffassung gibt es nar zwei psychologische Elemente 
Stspfluden and Vorstellen, mit beiden arbeitet die Ideenassoziation; 
iU“. Ergebne ist die Handlang. Begleitet werden jene beiden von GefBhlt- 
1 '.neu > t-oder Unlnstgefühlcn entstehend, die von verschiedener Qualität 

ao<l *;Ai, wie Intensität sein können. Verfasser erörtert im Anschluss 

•aent&len Sätze die Störangen der Empfindungen and Vorstellungen, 
d&f ■ >sr ideenassoziation and des Handelns stets nBter Hinweis auf 

ihren Zosummanhang mit psychischen Störangen. Ein vortreffliches Kapitel 
!. -prechüng der somatischen Begleiterscheinungen der Psychosen, 
»*w da« nur einige wichtige Sätze Uber die erbliche Belastung and ihre 
i oatueg hervorgehoben werden mögen. Nach Verfasser unterscheiden sich 
p 8 y.- , ti-, «ich auf Grund der Belastung entwickeln, nicht von solchen 
nad -rr v;-! ; Eutstehungsweise; dagegen verleiht die erblich - degenerative 
*» den Störangen in vielen Fällen ein spezifisches Gepräge; im 
«tg^ntlicbstsb 8ione gilt dies für die degenerative psychopathische Konstitution. 

■ ■ r '«egolmä-wigkeit linden sieb bei letzterer somatische und psychische 

wichen; hierher rechnet Verfasser a. a. Labilität der Affekte. 
B\be» bissmn einseitigen Gefühlabetonnngen, UngleichmässigkcU der Vex- 
afliageeg, Neigung zu Überwertigen Vorstellungen ; Symptome, die sich oft 
schon r$ehf früh bemerkbar machen. Ans den Bemerkungen über allgemeine 
Prognose interessiert die Angabe Ziehens (3. 247), dass etwa 30% dauernde 
Heilung- -1 Geistesstörungen unter sachgemässer Behandlung erzielt werden. 
Ei« $nh% UMmswortes Kapitol über die Therapie der Psychosen, das eine 
Meng« toi reifender Angaben und Erfabrangen enthält, beschlieest den all- 
\, 

Im ^«ziellen Teil finden wir eine eigehende Darstellung der psychischen 
Mtöruage« «ater Gruppierung des Materials in zwei Hauptgruppen; solche ohne 
und JtaTrb* mit Iotelligenzdefekt. Wie gegen die meisten bisher versuchten 

E d l - f # >t« )n Hamburg. 12. Kindersterblichkeit und Milehversorgung von 
Dr. v ('UiIon. 13. Dio Behandlung der Milch im Haushalt von Dr. Woltg&ng 
Weichet ; . 14. Uober Käse Vergiftung von Pbysikns Dr. Lochte in Ham¬ 

burg. 1h. Heber die durch Mikroorganismen bedingte Gesnndbe-itsschädlichkeit 
dnr Butt-.-f und anderer Produkte von Dr. Kister, Abieilnngsvowteber am 
bygios>**cbna Institut in Hambarg 16. Die Saprophyten der Milch und ihre 
- <- > zur Milchwirtschaft uud zum Molkereigewerbe von Prof. Dr. 

H. W »t on in Kiel. 17. Die pathogenen Mikroorganismen in Milch und 

Mil IufcteB von Dr. pbil. und med. H. L. Plant in Hamburg. 18. Chemie 
' . •.'«» Dr. Eic. bl off, Vorsteher des milch wirtschaftlichen Instituts der 

■’.'uHjj Landwirtscbaftskammer in Greifswald. 13. Die Analyse der Milch 
'»n .1, /.Ink, wissenschaftlicher Assistent des hygienischen Instituts in Hamburg- 











Tagesnachrichten. 


718 


Einteilungsprinzipien lassen sich anch gegen die des Verfassers manche schwere 
Bedenken geltend machen. Es sei gleich erwähnt, dass Ziehen sn den Defekt* 
psychosen alle Schwachsinnsformen angeborener nnd erworbener Natur rechnet, 
so dass die epileptische Demenz an dieser Stelle ihre Erörterung findet, während 
der epileptische Dämmerzustand nnd die epileptische psychopathische Konstitution 
za den Psychosen ohne Intelligenzdefekte gezählt werden. In der viel¬ 
umstrittenen Paranoiafrage stellt sich Verfasser anf den älteren Standpunkt 
Westphals, der eine einfache nnd halluzinatorische Form annahm, beide 
in chronischer oder akuter Weise verlaufend. Hierher gehören alle Psychosen 
mit primären Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen. Wie man Bieht, 
nähert sich Ziehen in dieser umfassenderen Auffassung des paranoischen 
Krankheitsbildes den Anschauungen Wernickes. Darchaus originell ist die 
Zusammenfassung aller Dämmerzustände unter den gemeinsamen Gesichtspunkt 
des klinischen Verlaufes; sie stehen den akuten Formen der Paranoia (Delirium 
tremens) sehr nahe. Unter zusammengesetzten Psychosen versteht Verfasser 
die periodisch und zirkulär verlaufenden Geistesstörungen, zu denen er auch 
die Katatonie im 8inne Kahlbaums rechnet. Diese kleine Gruppe von 
Krankheitsbilder gibt den Uebergang zur zweiten Hauptgruppe: den Störungen 
und Intelligenzdefekt, letzterer ist zusammengesetzt aus Gedächnisschwäche 
und Urteilsschwäche. Hier finden alle Schwachsinns- und Verblödungsprosesse 
eine einheitliche Darstellung. Zum Schlüsse gibt Ziehen eine sehr dankes¬ 
werte Uebersicht über die für die Psychiatrie wichtigen straf- und zivil- 
rechtlichen Gesetzesbestimmungen. Auch den einzelnen Kapiteln sind kurze 
Erörterungen über die gerichtsärztliehe Bedeutung der einzelnen Störungen 
beigefügt, so dass das Buch neben seiner vortrefflichen klinischen Darstellung 
auch ein reiches Material au gerichtsärztliohen Angaben und Hinweisen enthält 

Dr. Pollitz-Münster. 


Tagesnachrichten. 

Die am 12. September d. J. in Halle a.'S. abgehaltene XX. Haupt- 
Versammlung des Preussischen Medizinalbeamtenvereins hat unter ver¬ 
hältnismässig reger Beteiligung der Vereinsmitglieder einen recht befrie¬ 
digenden Verlauf genommen, der nicht zum geringsten Teile den vom Orts¬ 
ausschüsse in vorzüglicher Weise getroffenen Vorbereitungen zu danken ist. 
Als Vertreter des Herrn Ministers war H. Geh. Ob.-Med.-Bat Dr. Schmidt- 
mann erschienen, der die Versammlung in dessen Aufträge mit warm em¬ 
pfundenen Worten begritsste und ihren Verhandlungen den besten Erfolg 
wünschte. Dasselbe geschah von dem als Vertreter des H. Regierungspräsi¬ 
denten erschienenen EL Ob.-Reg.-Rat Czirn v. Terpitz in Merseburg nnd von 
dem als Vertreter der Stadt erschienenen Geh. Reg.-Rat Oberbürgermeister 
Staude. 

Ein reicher Damenflor trug bei dem unter grosser Teilnahme stattfin¬ 
denden Festessen wesentlich dazu bei, dass an demselben eine äusserst ver¬ 
gnügte Stimmung herrschte. 

Nicht ganz so gut war der Besuch der sich anschliessenden II. Haupt¬ 
versammlung des Deutschen Medizinalbeamtenvereins in Leipzig am 
14. und 15. September d> J., aber trotzdem ihr Verlauf ebenfalls ein 
durchaus befriedigender, sowohl in Bezug auf die Verhandlungen, als auf die 
sich auschliessenden Besichtigungen und das am Abend des ersten Sitzungstages 
stattgehabte Festessen, das den grössten Teil der anwesenden Mitglieder mit 
ihren Damen zu frohbewegtem Beisammensein vereinigte. Die Versammlung 
wurde hier von H. Geh. Reg.-Rat Grünl er -Leipzig als Vertreter des Mini¬ 
sters des Innern und von H. Bürgermeister Di t tri oh-Leipzig als Vertreter 
der Stadt begrüsst. 

Von der sonst üblichen Erstattung eines vorläufigen Berichtes 
über beide Versammlungen ist Abstand genommen mit Rück¬ 
sicht darauf, dass die Druoklegung der offiziellen Berichte 
diesmal auf Wunsch des Vorstandes beschleunigt werden wird, 
und die Berichte voraussichtlich schon den am 1. bezw. 15. November d. J. 
erscheinenden Nummern der Zeitschrift beigelegt werden. Mitgeteilt sei iedoch 
schon jetzt, dass anf der Versammlung des Preussischen Medizinal- 



TageaD&cfefichleii 

ä 'o te ave re io» beschlossen ist, die «Sahst jährige Jahresvsraamm- 
1 1 >. ö? wieder io Berlin und *w*f im Frühjahr (womügücb in der zweiten 
HaU:v dos Aprils) nbzub&iten *»wtezwei Verhandlung-stage dafür in Ansicht; 
üo a^?oea- Üer Keutschö äfod'uiaalbsäffiteareretii wird auch eisern 
Bsscb.hjsae des Vorstandes voraussichtlich. «benfbHs !r Berl?n t&geo» aber 
wie imiior im September. 'Die VurstSsdö beider Vereine sind per Akklamation 
«<e<»afgew&hlt, in dem Vorstände de» Deutschen KedirisRibeamteurereius ist 
j^docU iosütern eine Aendernag eiogetreteo, &i» an Stelle des «JBe Wiederwahl 
abletaujndau -Med-Rats Kr Kürz-Heidelberg H„ Gb,-Med.*Bat Dr\ C* toi ff 
io Karlsruhe gewählt ist. _ 


An der io Posen errichteten Akademie ist Prof. Dr. Wer nicke, 
DirekMtr des dortigen hygienischen Instituts «am PofeSso* ernannt and glefch- 
zeitig «tna Prcsektor fttt di* erst«; .Amtaperiode bestallt. 


Mit dem 1, Oktober d. J. «erden auch im Orosaberzogtoui Baden 
rwel bfttsrsacb%agsämt6r flir ansteckende Kraofcheitea, eins in Heidel¬ 
berg, das s-ßdeteia Fr eibarg i ./Br. in Wirksamkeit treten. Die Einrichtung 
•liosi-r ü n ternociiungsanstaitea beraht auf der Erwägung, dass es den. in der 
Praxis steteodbo Aeratea, aucü denjenigen, welche sich über die Fortschritte 
Änt • ••( Gebiete der bakteriologischen Dntersackang auf dem Laufenden er- 
li Ala'ä haben, «ibob itn angegebenen Falb vielfach nicht nur; an der dnrch fort 
gi.se t?‘4 Debnng erreichbaren technischen Sicherheit und Fertigkeit, sondern 
«aeli au der für solche Untersaohnagen notwendigen Zeit gebricht. 

Betreffe Bekhmpfaag der Kurpfuscherei bat der Reichskaasler Graf 
ß b m> • an die Deutsch« öeseHschnft zur Bekämpfung dar Ge- 
s c b 1/j.fjh tek Paakhe i t en aal eine Petition derselben folgende Antwort erteilt: 

,Ödr Deutschen Gesellschaft aor Bekämpiang der Gescblechtekraakbeiteä 
beehr* ick mich ergebenst miteateilen, dass ich «ns der überreichten Petition 
gern \ eranlassnng genommen habe, den Herrn Staatssekretär des Innern am 
K»*«%$sngön über die Bekämpfung der Karpfnscherei, jedoch nicht für ein, 
rna^'rc für alle Gebiete der Heilkunde in ersuchen.“ 

Die in Breslau am 14, d. Mts. abgebaltene Jahresversammlung 
des Zentralverbandes von Gr tskrank o n-k-ansc-n iu> Kentsehen 
BeUtve nahm nach einem Vorträge yon Geheiratet NeUser: „Inwiefern 
Jt.. u vi «a die & f a n fceakassea *u r Bekämpfung: der Gwchleehtekrank- 
UelteK beitragonf 1 “ folgende Resolution an: „Der Ortskrankenkassentag 
m Brodau sieht im Anschluss an die AOsfiihrtuJgcn des Geheiratet« Prof. Dr. 
N •: i * e r den lÜttetiaagsswang der Kasgoaärzte an die Krankenkassen ähr 
itub-iiegt notwendigen, wenn Ln eine trirkenme Bekämpfung dw Goschlechts- 
..Mi iitea seitens der Sraakenkassen eingetreten werden soll.. Br beauftragt 
tirii-ir loa Zsntral Vorhand, an raas$gebtedet Stelle dahin vorstellig; an werden, 
•lass eis Aerete gegenüber den Kränkenkissön yba dör Wahrung' des Berufs- 
sisses (§. 300 des Stt. tf. 8.) entbanden, dagegen die StröJbestimmuDg 
; 300 de» Str. Q. Bf, auf die Eassänorgane im Interesse der Vereicherten 
a*isg.rd.«hot werde.“ 


Die diesjährige in Kassel yoa September »hgehalteno, sshr 

«ahlroicfa besuchte ?3, Veriattanlüttg 4*atsene? N’«anrfor!»t’ii**r «*»4 A brate 
wäbJÄ. Br esl au »1* pii der a&ghatjähi'igen Tagung, Zu G#«rblfteiUhrctu 
wurdp! die PrbfesBofeti Geh- Med. Kat Dr P o n f i k mini Br. tind e h b tt rg- 
Brasld^«. anip »weiten «tcllyertrtjtenden. VoMitzenden ^ Prof- Kr 
■ vr, a &e l - Münchec gewählt- Kid aasfiihriicker Belicht übh’r dt« Ver- 
samuP mg wird in einer der ßichüteu Nomtnerti gebracht wc?den. 

Auf dem HXl Beattdiea Aerzietag in i'üti* ä. Ith. am 11. and 
.13. ;^<>ptsijnber 1908 waren 259 Delegierte» welche 364 VaretBO isit 19814 
(*on 3)Öi790) Mitgliedern vertraten, anwesend. BeschUvtht« Wurde d ie Vor- 
«inlgting des *Verbftnd«B dar Aerstn De ötBChlaads zur Währ 






Tagesnachrichten. 


715 


rang ihrer wirtschaftlichen Interessen“ mit dem Deutschen 
Aerztevereinsbunde. Der erstere soll künftig eine besondere Abteilung 
in der Organisation des Deutschen Aerztevereinsbnndes bilden; seine Kasse 
aber als selbständige Kasse bestehen bleiben. 

Betreffs Bekämpfung der Kurpfuschrei wurde der Geschäfts¬ 
ausschuss beauftragt, „unter Zuziehung eines juristischen Beirates beim Bundes¬ 
rat und Reichstag fOr die in Aussicht genommene Novelle zum Gesetze gegen 
den unlauteren Wettbewerb auf die Kurpfuscherei bezügliche und geeignete 
Massnahmen zu beantragen.“ 

Hinsichtlich der Förderung des ärztlichen UnterBtützungs- 
wesens und des Ausbaus schon bestehender Kassen fanden die Leitsätze des 
Referenten (Geh. San.-Rat Dr. S e 1 b e r g - Berlin), wonach die staatlichen ärzt¬ 
lichen Vertretungen der Bundesstaaten und — wo jene noch nicht vorhanden — 
die Vereine die Bildung von grösseren Unterstützungskassen für jeden Bezirk 
einer Aerztekammer in die Hand nehmen und zwischen den einzelnen Aerzte- 
kammer- und Landes-Unterstützangskassen Beziehungen geschaffen werden sollen, 
die eine einheitliche Besteuerung, gleiche Unterstützungsgrundsätze, Austausch 
und Unterstützung verzogener Klienten anbahnen können, einstimmige Zustim¬ 
mung. Angenommen wurden hierzu noch Anträge von Windeis und David- 
s o h n, die den Aerzten die rechtzeitige Fürsorge für ihre Hinterbliebenen 
durch Beitritt zur Versicherungskasse für die Aerzte Deutschlands bezw. die 
Einsetzung einer ständigen Kommission empfehlen, die insbesondere die tech¬ 
nischen und anderen Bedingungen zunächst für eine Witwen- und Waisen¬ 
versicherung und eine solche für Invalidität ermitteln soll. 

Ebenso sprach sich der Aerztetag zustimmend auB für den Erlass einer 
Reichsarzneitaxe sowie für eine an alle Bundesregierungen zu richtende 
Eingabe zwecks Aufhebung des Selbstdispensierrechts der Homöo¬ 
pathen, soweit ein solches Selbstdispensierrecht noch besteht. Auch der 
Antrag der ärztlichen Bezirksvereins Leipzig-Stadt: „Der Deutsche Aerzte¬ 
tag wolle seinen Geschäftsausschuss beauftragen, die erforderlichen und geeig¬ 
neten Schritte zu tun, um die Herausnahme aller auf die Aerzte bezüg¬ 
lichen Bestimmungen aus der Gewerbeordnung und den Erlass einer 
Deutschen Aerzteordnung herbeiznführen“, wurde angenommen. 

Endlich wurde ein Antrag des allgemeinen ärztlichen Vereins zu Cöln, 
„dass eine Beschränkung der Ableistung des praktischen Jahres auf die zwecks 
Ablegung des praktischen Jahres zu bildenden medizinischen Akademien nicht 
den bei dem Vorschlag eines praktischen Jahres leitenden Intentionen ent¬ 
sprechen würde“, dem Geschäftsausschusse als Material überwiesen. 


Die Deutsche Gesellschaft für Volksbäder hat, der ihr gewordenen 
Einladung nach Kassel folgend und im Einvernehmen mit den städtischen 
Behörden daselbst, ihren nächsten Jahreskongress auf den Tag nach Himmel¬ 
fahrt, 13. Mai 1904, festgesetzt. 

Geh. San.-Rat Dr. Alex Spiess, ständiger Sekretär des Deutschen 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, ist von diesem Verein 
bei seiner diesjährigen Versammlung in Dresden (16.—19. September) zum 
Ehrenmitglied und von der staatswissensohaftlichen Fakultät der Uni¬ 
versität München zum Ehrendoktor ernannt worden. 


Zu der für Preussen geplanten Reform des Apothekerwesens (siehe 
Nr. 18 dieser Zeitschrift, S. 684) hat der Vorstand des Deutschen Apo¬ 
theker-Vereins folgende fünf Leitsätze einstimmig angenommen: 

1. Die Verpflichtung eines Apothekers, der die Erlaubnis zur Neuein¬ 
richtung einer Apotheke erhält, zu einer angemessenen Abgabe an den 
Staat erscheint gerechtfertigt. 

2. Die Aufhebung der Veräusserlichkeit der Apotheken bedeutet keinen 
Fortschritt, sondern einen Rückschritt für die Pharmazie. Lässt man dabei 
den Privilegien die freie Verkäuflichkeit und Vererblichkeit, so beseitigt man 
nicht einmal die ungesunde Preissteigerung der Apotheken, sondern man fördert 
sie. Zur Beseitigung der vorhandenen Missstände und zur Herbeiführung eines 
einheitlichen Systems muss die Veräusserlichkeit aller Apotheken anerkannt und 



716 


Tagesu&chrichten. 


rechtlich festgelegt werden. Insbesondere darf die freie Veränderlichkeit und 
Vererblichkeit der von 1811 bis 1894 konzessionierten Apotheken nicht in Frage 
gezogen werden. 

3. Es ist dringend za wünschen, dass solche Apotheken entschuldet 
werden, welche darob übermässig hohe Preise über Gebühr belastet erscheinen. 
Für eine Reform in diesem Sinne ist die Zuhilfenahme des Staatskredits un¬ 
entbehrlich. 

4 Apotheken, denen gegen eine Abgabe an den Staat die Ver&uaserlich- 
kftit eingeräamt worden ist, sowie diejenigen, weiche den in Satz 3 vorge- 
ebroen Staatskredit in Ansprnch nehmen, sind nnr mit jedesmaliger Genehmi¬ 
gung verkäaflieh. Die Genehmigung erfolgt nach gesetzlich festzalegenden 
Grundsätzen and nach Anhörung von dazu berufenen Fachmännern. 

5. Die Erteilung von Konzessionen zar Anlage nener Apotheken ist ge¬ 
setzlich za regeln and unterliegt dem verwaltangsgerichtlichen Verfahren. 


Auf eine Eingabe der Zentralvertretnng der tierärztlichen 
Vereine betreffend die Einführung einer staatlich anerkannten Standes¬ 
vertretung hat der H. Landwirtechaftsminisfer von Podbielski folgenden 
Bescheid erteilt: „Zur Verwirklichung des vorgetragenen Wunsches, dem näher 
za treten ich nicht abgeneigt bin, kann die staatliche Anerkennung der Zentr&l- 
vercretang der tierärztlichen Vereine nicht in Betracht kommen, vielmehr dürfte 
die Einrichtung von Tierärztekammern nach dem Muster der Aerzte- 
rind Apothekerkammeru als der geeignete Weg erscheinen. Den Aerste- 
kaumero ist das Recht der Besteuerung und der Ehrengerichte durch das Ge¬ 
rs vom 25. November 1899 verliehen worden. Die den Aerztekammern nach- 
gebiideten Apothekerkammern entbehren dieser Einrichtungen. Es bleibt ihnen 
oUerl&ssen, für die Bereitstellung der erforderlichen Mittel Sorge zu tragen, 
nn-1 nnr die Befugnis der Entziehung des aktiven und passiven Wahlrechts 
gibt ihnen ein Mittel in die Hand, der Missbilligung des Verhaltens eines 
Btaadesgenossen Ausdruck zu geben. Wenn die Tierärztekammern den Apo- 
thekorkammern nachgebildet werden, so würde ihre Schaffung durch eine gl. 
Verordnung erfolgen können, während sowohl die Beilegung des Besteuerungs- 
rechtes als anch die Einrichtung von Ehrengerichten die Form des Gesetzes 
notwendig machen würde. Ob anf das Bestonernngsrecht besonderer Wert zu 
lugen ist, erscheint in Anbetracht der zn erwartenden geringen Aasgaben 
• veifelhaft. Sollte dieses der Fall sein, so wird auch auf die Einführung von 
Ehrengerichten, die von der überwiegenden Mehrzahl der Acrzte für geboten 
».rächtet wurden, nicht verzichtet werden könuen. Diese beiden Punkte werden 
zunächst einer eingehenden Prüfung zu unterziehen sein. Ich stelle anheim, 
wi.h hierüber, sowie über den sonstigen Inhalt der gewünschten Verordnung 
z« äussern.“ 

Nicht, so günstig lautet dagegen ein anderer Bescheid desselben Ministen 
auf eine Eingabe der vorgenannten Zentralvertretnng betreffs Referat der 
Dienststellung der Kreistierärzte. Der Bescheid lautet: „Die Ausführungen 
wllen bei den zurzeit schwebenden Verbandlongen nach Möglichkeit verwendet 
Werden. Der Erlass eines Gesetzes Uber die Dienststellung der Kreistier&rzte 
»ach dem Vorbilde des Gesetzes über die Dienststellung der Kreisärzte vom 
i6. September 1899 liegt einstweilen nicht in in der Absicht, da ein Bedürfnis 
hisrfiir bei der wesentlich verschiedenen Rechtslage nicht anzuerkennen ist. 
Dagegen ist in Aussicht genommen worden, dem Landtage einen Gesetzentwurf 
zu unterbreiten, der den Kreistierärzten die Pensionsberechtigung ver- 
< ht und ihre Dienstbezüge unter Aufhebung des Gesetzes vom 9. März 1872 
anderweit regelt. Unter Voraussetzung des Zustandekommens dieses Gesetzes 
sollen die Gebälter der Kreistierftrzte durch den Staatshaushalt erhöht werden. 
Die Ordnung der RangverhftUnisse endlich, von der auch die Höhe der Reise- 
^ bührnisse abhängt, muss der Allerhöchsten Entscheidung Vorbehalten bleiben." 


In Marseille sind infolge von Einführung pestverseuchter Lumpen in 
«luer Papierfabrik der Vorstadt Saint Barn&be Anfang September 14 Personen 
au Pest erkrankt nnd 4 davon gestorben. Die Krankheit scheint anf diesem 
Herd beschränkt geblieben zu »ein. _ 

. Verantwort!. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-n. Geh. Med .-Rat in Minden i. W. 

1 C O. Brun», H«nto*l. Bi»ch. a. F. Meh.-L. HoOntetidtuehcrci Io Mieden 

9ESbP^' < 












Kleinen Mitteilungen and Befernte au Zeitschriften. 


746 


ist anf Rechnung der Schntsbehandlang mit Pestseram za setzen. Markgraf 
bekam am selben Tage, wo er dem Kranken zuerteilt war, SO and 20 ccm 
Seram, nach seiner Erkrankung weitere Dosen, im ganzen in 8 Tagen 186 ccm. 
Die Isolierung der mit dem Kranken in Berührung gekommenen Personen, 
Beobachtang Ansteckungsverdäohtiger mit Untersuchung des Rachenschleimes 
and Fahndung auf Bubonen, Schutzimpfung der am meisten gefährdeten 
Personen, Desinfektion der Wohnung des Verstorbenen, worden alsbald vor- 
genommen, letztere besonders sorgf&ltig, nachdem die Nacht über Formalin* 
dampf eingewirkt hatte. 

Dass man der Infektionsgefahr Herr geworden ist, ist in erster Linie der 
Isolierung der Kranken und der mit ihnen in Berührung gekommenen Personen, 
sowie der Fahndung auf etwaige Bazillenträger zu verdanken. Wegen etwaiger 
Uebertragung der Krankheit auf Ratten des Wohnhauses des Kranken wurden 
auch die Bewohner dieses Hauses unter Aufsicht des Medizinalbeamten gestellt 
und die Kinder vom Schulbesuch ferngehalten. Es ist nicht zu befürchten, 
dass man sich mit Pest leichter im Laboratorium ansteckt, als mit irgend einer 
anderen Krankheit. Solchen Betriebsunfällen, wie dem vorliegenden, sind aber 
die geschicktesten Arbeiter gelegentlich unterworfen. 

_ Dr. Räuber-Düsseldorf. 

Der Berliner Pestfall in seiner epidemiologischen Bedeutung. 
Von Prof. Dr. F. Plehn, Reg.-Arzt a. D. Vortrag, gehalten in der Berliner 
mediz. Gesellschaft am 1. Juli 1903. Berliner klin. Wochenschrift ; 1903, Nr. 29. 

Die Befürchtung, dass solche vereinzelte Fälle, wie der in Berlin auf¬ 
getretene, Anlass zu einer allgemeinen PeBtepidemie in Deutschland geben 
konnten, tritt P. entgegen. Seine Erfahrungen in Indien nnd Aegypten sprechen 
dagegen. Die Ansteckungsgefahr sowie die Schwierigkeit, die Seuche vom 
Lande fernzuhalten und die Gefahr einer allgemeinen Verbreitung bei einer 
Einschleppung würden überschätzt. Die englischen Aerzte und das Pflegeper¬ 
sonal in Indien denken nicht daran, eich in ihrem Verkehr nnd speziell ihrer 
Aussenpraxis irgend welche Beschränkung aufzuerlegen. Uebertragungen auf 
diesem Wege gehören zu den ganz verschwindenden Ausnahmen. Die Pest ist 
eine Krankheit des schmutzig und zusammengedrängt lebenden Eingeborenen¬ 
proletariats; die Exemption der in günstigen Verhältnissen lebenden Euro¬ 
päer geht so weit, dass unter den Farbigen der Verdacht aufsteigt, die Pest 
werde ihnen von den Europäern beigebracht, um sie auszurotten. Daher die 
Schwierigkeit, die Eingeborenen in Hospitäler zu bringen, nnd ihr Widerstreben 
gegen alle seitens der Regierung getroffenen hygienischen Massnahmen. Die 
Beulenpest ist nur infektiös im septicämischen Stadium, in dem die Bazillen 
auch in Urin und in Fäces übergehen. Leichter können die Pestbazillen bei 
der Lungenpest ins Freie gelangen, aber in den indischen Pesthospitälern sind 
die Lungenpestkranken nur selten gründlich isoliert. Gross ist die Ansteckungs¬ 
gefahr bei Obduktionen. In Ceylon ist es gelungen, sich gegen die Einschlep- 

S ung einer Epidemie aus dem Mutterlande Indien zu schützen. Durch gründl¬ 
iche Untersuchung jedes zugelassenen Kuli am Ausfahrt- und Ankunftshafen, 
Darchmachung einer Quarantäne und einer regelmässigen weiteren etappen- 
mässigen Kontrolle auf den Stationen an den Strassen nach den Theeplantagen. 
In Aegypten dagegen hat die völlige Fernhaltung der Pest wegen der vielen Ein¬ 
gangspforten und dem jährlichen Zuströmen Tausender aus dem verseuchten 
Mekka zurüokkebrender mohamedanischer Pilger sich unmöglich erwiesen, aber 
auch hier ist es möglich gewesen, durch schnelle Ermittelung und Isolierung 
der Kranken, Absperrung aller mit ihnen in Berührung getretenen Personen 
uni Desinfektion aller von ihnen benutzten Gegenstände am Seuchenherd 
diesen jedesmal zu begrenzen und in kurzem zum Erlöschen zu bringen. 

Bezüglich der Diagnose kommt die bakteriologische Untersuchung für 
die praktischen Zwecke zu spät, selbst bei der Lungenpest. Aus der Anamnese 
und dem allgemeinen Eindruck kann die Diagnose von dem Erfahrenen in den 
meisten Fällen leicht gestellt werden. Bezüglich der Therapie hat der Ver¬ 
fasser von der Anwendung des Haffkinschen, Lustig sehen und Verein 
sehen Serums keine Erfolge gesehen. Die Wirksamkeit des bei dem Wärter M. 
angewandten Serums zieht er in Zweifel. Dr. Räuber- Düsseldorf. 



16 


Tagesn&chrichten. 


rechtlich festgelegt werden. Insbesondere darf die freie Verftnsserlichkeit und 
Vererblichkeit der von 1811 bis 1894 koasessionierten Apotheken nicht in Frage 
gezogen werden. 

3. Es ist dringend za wünschen, dass Bolche Apotheken entschuldet 
werden, welche daroh übermässig hohe Preise über Gebühr belastet erscheinen. 
Für eine Reform in diesem Sinne ist die Zuhilfenahme des Staatskredits un¬ 
entbehrlich. 

4. Apotheken, denen gegen eine Abgabe an den Staat die Veräusserlich- 
keit einger&nmt worden ist, sowie diejenigen, welche den in Satz 3 vorge- 
ehenen Staatskredit in Anspruch nehmen, sind nur mit jedesmaliger Genehmi¬ 
gung verkäuflich. Die Genehmigung erfolgt nach gesetzlich festzulegenden 
Grundsätzen und nach Anhörung von dazu berufenen Fachmännern. 

b. Die Erteilung von Konzessionen nur Anlage neuer Apotheken ist ge¬ 
setzlich za regeln und nnterliegt dem verwaltungsgeriohtlichen Verfahren. 


Auf eine Eingabe der Zentralvertretung der tierärztlichen 
Vereine betreffend die Einführung einer staatlich anerkannten Standea- 
vertretung hat der H. Landwirtechaftsminisfer von Podbielski folgenden 
Bescheid erteilt: „Zur Verwirklichung des vorgetragenen Wunsches, dem näher 
zu treten ich nicht abgeneigt bin, kann die staatliche Anerkennung der Zentral- 
vertretung der tierärztlichen Vereine nicht in Betracht kommen, vielmehr dürfte 
die Einrichtung von Tierärztekammern nach dem Muster der Aerzte- 
und Apothekerkammern als der geeignete Weg erscheinen. Den Aerzte- 
kammern ist das Recht der Besteuerung und der Ehrengerichte durch das Ge¬ 
setz vom 26. November 1899 verliehen worden. Die den Aerztekammern nach¬ 
gebildeten Apothekerkammern entbehren dieser Einrichtungen. Es bleibt ihnen 
überlassen, für die Bereitstellung der erforderlichen Mittel Sorge zu tragen, 
und nur die Befugnis der Entziehung des aktiven und passiven Wahlrechts 
gibt ihnen ein Mittel in die Hand, der Missbilligung des Verhaltens eines 
Standesgenossen Ausdruck zu geben. Wenn die Tierärztekammern den Apo¬ 
thekerkammern nachgebildet werden, so würde ihre Schaffung durch eine gl. 
Verordnung erfolgen können, während sowohl die Beilegung des BeBteuerungs- 
rechtes als auch die Einrichtung von Ehrengerichten die Form des Gesetzes 
notwendig machen würde. Ob auf das Bestouerungsrecht besonderer Wert su 
legen ist, erscheint in Anbetracht der zu erwartenden geringen Ausgaben 
zweifelhaft. Sollte dieses der Fall sein, so wird auch auf die Einführt.ng von 
Ehrengerichten, die von der überwiegenden Mehrzahl der Aerzte für geboten 
erachtet wurden, nicht verzichtet werden können. Diese beiden Punkte werden 
zunächst einer eingehenden Prüfung zu unterziehen sein. Ich stelle anheim, 
sich hierüber, sowie über den sonstigen Inhalt der gewünschten Verordnung 
zu äussern.“ 

Nicht so günstig lautet dagegen ein anderer Bescheid desselben 1 inietera 
auf eine Eingabe der vorgenannten Zentralvertretung betreffs Refe m der 
Dienststellung der Kreistierärzte. Der Bescheid lautet: „Die Ausfüi rangen 
sollen bei den zurzeit schwebenden Verhandlungen nach Möglichkeit ve 'wendet 
werden. Der Erlass eines Gesetzes über die Dienststellung der Kreist lerärste 
nach dem Vorbilde des Gesetzes über die Dienststellung der Kreisär te vom 
16. September 1899 liegt einstweilen nicht in in der Absicht, da ein fi idürfnis 
hierfür bei der wesentlich verschiedenen Rechtslage nicht ansuerkei len ist. 
Dagegen ist in Aussicht genommen worden, dem Landtage einen Geset: mtwurf 
zu unterbreiten, der den Kreistierärzten die Pensionsberechtigu ig ver¬ 
leiht und ihre Dienstbesüge unter Aufhebung des Gesetzes vom 9. Mi rz 1872 
anderweit regelt. Unter Voraussetzung des Zustandekommens dieses fesetzes 
sollen die Gehälter der Kreistierärzte durch den Staatshaushalt erhöht werden. 
Die Ordnung der Rangverhältnisse endlich, von der auch die Höhe d< Reise¬ 
gebührnisse abhängt, muss der Allerhöchsten Entscheidung Vorbehalten leiben." 


In Marseille sind infolge von Einführung pestverseuchter Li npenin 
einer Papierfabrik der Vorstadt Baint Barnabt Anfang September 14 ersonen 
an Pest erkrankt und 4 davon gestorben. Die Krankheit scheint at diesem 
Herd beschränkt geblieben zu sein. 


Veraatwertl. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.-u. Geh. Med.-Rat in Mim»* L W. 

J. O. 0. Brau, Hermotfl. SftMh. s. F. Beh.-L. Hofbnehdruekeret ln Minden. 



Kleinere Mitteilungen und Betente atu Zeitschriften. 


747 


Ohne die bakteriologischen Untersuchungsmethoden wäre es aneh nicht möglich 
gewesen, bei dem Wärter feststellen in können, dass er virulente Pestbasillen 
hatte. Die Veröffentlichung aller in Betracht kommenden Umstände habe auf das 
Publikum ausserordentlich beruhigend gewirkt. Dr. Bäuber-Düsseldorf. 

- * . _ • 

Sammlung von Gutachten über Flussverunreiuiguug. (Fortsetsung.) 
XIV. Gutachten des Relchsgenundbeltsamtes über die Einleitung der 
Abwässer Dresdens in die Elbe. Berichterstatter: Geh. Hofrat Prof. Dr. 
Gärtner u. Geh. Hed.-Bat Prof. Dr. Bubner (Hierzu die Tafeln XII—XIV.) 
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. Beihefte zu den Veröffent¬ 
lichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. Neunzehnter Band. Drittes 
(Schluss-) Heft. Mit 8 Tafeln. Berlin 1903. Verlag von Julius Springer. 

Die Stadt Dresden mit 430000 Einwohner entleert zur Zeit schätzungs¬ 
weise drei Viertel ihrer gesamten abschwemmbaren Schinutzstoffe in den Elb- 
strom, ohne dass nach den Ermittelungen der Berichterstatter bis jetzt sicher 
nachweisbare Gesundheitsschädigungen oder eine erhebliche Belästigung dadurch 
entstanden wäre. Die Zunahme des Elbwassers an Gesamtrückstand und an 
suspendierten organischen Stoffen ist eine sehr geringe, die chemischen, durch 
die übliche Wasseranalyse bestimmten Stoffe werden in ihren Mengen kaum 
verändert; es findet sich auch keine weitere Aenderung der Wasser- 
beschaffenheit bis zur preussischen Grenze. Die Zahl der Bakterien allerdings 
nimmt erheblich zu; ein beträchtlicher Teil der Mikroben verschwindet in 
kürzester Zeit — 1 Stunde — ans dem Wasser, im übrigen bleibt der Bakterien¬ 
gehalt ein verhältnissmässig hoher und nimmt bis zur preussischen Grenze 
nicht wesentlich ab. Die Entfernung der Abwässer und Fäkalien der Stadt 
Dresden in der jetzigen Art und Weise ist daher nicht mehr angängig, aber 
es besteht für die Stadt die Möglichkeit, ihre Abgänge in besserer Weise, als 
bisher in die Eibe zu schicken. Die Zulässigkeit dieses Zugeständnisses beruht 
auf folgenden Erwägungen. Bei dem Wasserreichtum der Elbe, ihrer guten 
Begulierung, den regelmässigen und starken Hochwässern sind Schlammbildungen 
im Flussbett und aus solchen entstehende üble Gerüche nicht zu erwarten, 
dagegen können gröbere Schwimmstoffe oder leichtere Sinkstoffe auf grosse 
Entfernungen fortgesehwemmt und als ekelerregende, üble Gerüche erzeugende 
Massen an den Ufern abgelagert werden. Ferner ist die Gefahr einer Ueber- 
tragung von Krankheitskeimen auf die Uferbevölkerung durch das Flusswasser 
verschwindend klein, auf die Flussbevölkerung gering; sie lässt sich ausserdem 
noch dureh verschiedene Massnahmen erheblich vermindern. Endlich kommen 
schädliche industrielle Abwässer zur Zeit in erheblichem Masse nicht in 
Betracht. Die Bedingungen nun, unter welchen die Einleitung gestattet werden 
kann, sind: a) Die Entfernung der gröberen Schwimm- und Sinkstoffe bis her¬ 
unter zu Teilchen von 3 mm im stärksten Durchmesser, und die Beseitigung 
der so erzielten Bückstände in einer den Anforderungen der Gesundheitspflege 
und Aesthetik entsprechenden Weise, b) Die regelrechte Desinfektion der 
Abgänge der in Betracht kommenden Kranken und die Ueberwachung der 
Desinfektion, sowie die Gewährung der Möglichkeit, in besonderen Ausnahme¬ 
fällen eine allgemeine Desinfektion der Abwässer vornehmen zu können, 
e) Es ist auf ausreichende Reinigung schädlicher industrieller Abwässer Bedacht 
su nehmen. Dr. Bost-Rudolstadt. 


Beitrug sur Untersuchung der Erdfarben auf Arsen. Von Dr. 
Carl Fisolier, Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamte, Ibidem. 

Durch die Untersuchungen wurde festgestellt, dass ein grosser Teil der 
im Handel befindlichen Erdfarben frei von Arsen ist. In den Fällen, in denen 
Arsen nachgewiesen werden konnte, war seine Menge mit wenig Ausnahmen 
so gering, dass vor einer quantitativen Festsetzung abgesehen werden musste. 

Dr. Rost-Rudolstadt. 


Tagesnachrichten. 

Dem Bundearat sind jetzt die noch ausstehenden AusfBhrungsbestim- 
mumgen nu dem Reichs-Seucbengesetz vorgelegt worden; derselbe hat sie 



748 Tagesnachriohten. 

in seiner ersten Sitzung nach den Sommerferien dem anständigen Ausschass 
überwiesen. 


Am 10. d. 11. ist die internationale Sanitätskonferens in Paris 
znsammengetreten, am die auf den Konferenzen in Dresden (1893) and Venedig 
(1897) getroffenen Vereinbarungen Aber gemeinsame Massregeln znm Schatze 
gegen Pest and Cholera eine den nenen Erfahrungen auf dem Gebiete der 
Seuchengefahr entsprechende Revision zu unterziehen. Als Delegierte Deutsch¬ 
lands nahmen an der Konferenz teil: Botschaftsrat Graf Gr Oben, Geh. Ober« 
regierungsrat im Reichsamt des Innern Bumm, Geb. Med.-Rat Professor 
Dr. Ga ff ky -Giessen and Hafenarzt Dr. No oh t -Hamburg. 


Das ablehnende Verhalten der Stadtverwaltungen gegenüber der Er¬ 
richtung von Untersuchnngsämtern wird meist unter Hinweis anf die 
nicht nur durch die Errichtung, sondern auch durch den Betrieb verur¬ 
sachten hohen Ausgaben begründet, die durch die Einnahmen nur zum geringen 
Teil gedeckt würden. Dieser Ansioht gegenüber ist es interessant, zu erfahren, 
dass z. B. das städtische Untersuchungsamt in Dortmund während des Etats- 
jahres 1901/02 nicht nur keine Zuschüsse, sondern nach Abzug aller Unkosten 
sogar einen Ueberschuss von 3000 M. ergeben hat. Das Untersuchungsamt hat 
allerdings auch eine sehr grosse Tätigkeit gehabt; denn im Berichtsjahre Bind 
nach der Dortmunder Zeitung 3199 Untersuchungen ausgeführt und zwar 
2900 Untersuchungen von Nahrungs-, Genussmitteln und GebrauchBgegenständen, 
29 hygienische und bakteriologische, 51 forensische und 219 andere technische 
Untersuchungen. _ 


Ueber die Zahl der vor ihrem Tode nicht ärztlich behandelten 
Gestorbenen sind in Bayern und Baden für das Jahr 1901 Ermittelungen an¬ 
gestellt. Es ergibt sich daraus, dass ihre Ziffer verhältnismässig hoch ist, 
besonders in Bayern; in Niederbayern und in der Oberpfalz betrug 
diese mehr als 50°/o, in den Bezirksämtern Parsberg und Viechtach sogar 
76,8 bezw. 81,6°/o und im Bezirksamt Obervieohtach 89,5°/o. In Baden liegen 
die Verhältnisse zwar wesentlich günstiger, die Prozentziffer der nicht ärzt¬ 
lich behandelten Gestorbenen stellte sich im Jahre 1901 aber doch auf 28,7 °/o 
and erreicht im Bezirksamt Mosbach mit 37,9 °/o den höchsten Stand. Von 
den im ersten Lebensjahre verstorbenen Kranken waren 48,3 °,o nicht ärztlich 
behandelt, von den über 1 Jahr alten Gestorbenen dagegen nur 8,1 °/ 0 . 


Sprechsaal. 

Anfrage: Wann ist für den Transport einer Leiche auf Land¬ 
wegen ein Leichenpass erforderlich? Kommt es dabei auf die Grösse der 
Entfernung an, oder — ohne Rücksicht auf die Entfernung — auf die Ueber- 
führung in ein anderes Dorf, einen anderen Amtsbezirk oder ein anderes 
Kirchspiel? 

Antwort: Nach §. 463 d. Allg. L. R. Teil II Tit. 11 bedarf es znm 
Transport einer Leiche auf dem L a n d w e ge eines Leichenpasses, wenn dieser 
ans einen Polizeibezirk (Amt) in einen anderen erfolgt, abgesehen jedoch von 
den Fällen, wo sich der Begräbnisplatz des Sterbeortes etwa ausserhalb des 
betreffenden Polizeibezirks befindet, oder die Leiche in unmittelbarem 
Bestattungszuge vom Sterbeort nach ihrem ordentlichen, nahe gelegenen 
Begräbnisplatz übergeführt wird, auch wenn dieser nicht im Polizeibezirk des 
Sterbeortes liegt. Erfolgt die Ueberführung der Leiche nicht in unmittelbarem 
Bestattungszuge nach einem nahe gelegenen Begräbnisplatz eines anderen 
Polizeibezirks, so bedarf es nach dem Min.-Erl. vom 12. Juli 1838 auch keines 
Leichenpasses, sondern es genügt eine von der Polizeibehörde des Sterbeortes 
ausgestellte Legitimation des Begleiters der Leiche. Eine solche 
Legitimation ist ebenfalls ausreichend, wenn eine Leiche von einem Orte nach 
einem anderen, in demselben Polizeibezirke liegenden Orte transportiert 
werden soll. 


Verantworti. Redakteur: Dr. Rapmnnd, Reg.-n. Geh. Med.-Rat in Minden i W. 

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Emser K«9»elörumi«n„ l!Ca.i*ßrbrunncu, STikiorJabramum, 
»cfcvrAlfräclier stähl' and WeittbKanaeta. 

Emser Pastillen und Quellsalz 

.-*« batep to allen Afiothekeu n Minern]waHKejrWad! aus^ii { u»wiv! durch die betr 

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16. Jahrg. 


1903. 


Zeitschrift 

für 

MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt für geriehtliehe Medizin und Psychiatrie, 
für ärztliche Saehverständigentätigkeit in Unfall- und Invaliditätssaehen, sowie 
für Hygiene, offentL Sanitatswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung. 

Heraasgegeben 

Ton 

Dr. OTTO RAPMÜND, 

Rnglnrangi- and Geh. Medlrinelret in Minden. 


Verlag von Fiseher’s mediz. Buchhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogi. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Eiammer - Buchhändler. 

Berlin W. 35, Liitzowstr. 10. 

Inserate nehmen die Verlagshandlung sowie alle Annoncenexpeditionen des In- 
und Auslandes entgegen. 


Nr. 21. 


Eriekeint 


1. nad iS. Jedem Monate 


1 . 


Novbr. 


Beitrag zur Bekämpfung der Tuberkulose. 

Von Oberamtsarzt Dr. Staues in Hechingen. 

Das mir in meiner Tätigkeit als praktischer Arzt, Kranken¬ 
haus- und beamteter Arzt im Laufe der Jahre durch die Hände 
gegangene Material von tuberkulösen Erkrankungen ergab mir 
eine Reihe interessanter Beobachtungen, die ich einer Veröffent¬ 
lichung für wert halte. Sie stimmen zwar mit manchen heutigen 
Anschauungen nicht über ein, ohne dass ich sie im Gegensatz zu 
denselben stellen will, weil ich Schlussfolgerungen aus diesen Be¬ 
obachtungen aus engbegrenzten eigenartigen Verhältnissen nicht 
für verallgemeinerungsfähig halte. Immerhin aber verdienen 
solche Beobachtungen aus dem täglichen Leben m. E. mindestens 
ebensoviel Beachtung, wie die aus Statistiken und Sammelfor- 
schongen ans anfechtbarem Material und von dem täglichen 
Leben fernstehenden Bearbeitern gewonnenen Anschauungen. 

Die Erforschung der Häufigkeit der Haustiertuberkulose in 
meinem Bezirke führte zn dem auffallenden Resultat, dass zwei 
Ortschaften, in welchen die Sterblichkeit an Tuber¬ 
kulose bei den Menschen eine erhöhte ist, auch eine 
erhöhte Tnberknlosenerkranknngsziffer unter den 
Haustieren anfweisen. Während die sozialen Verhältnisse 
in der einen Gemeinde schlechte, in der anderen recht gute sind, 
sind die hygienischen Verhältnisse in beiden schlechte; in der 
wohlhabenden Gemeinde hauptsächlich deswegen, weil dessen Be¬ 
völkerung ausserordentlich fleissig und sparsam ist, sich in der 
Arbeit geradezu schindet und sich wenig gönnt. Diese schlechten 
hygienischen Verhältnisse bewirken jedenfalls in beiden Gemeinden 






750 


Dr. Staun. 


bei den Menschen, wie bei den Haustieren gleichmässig eine er¬ 
höhte Erkrankungs- und Sterbeziffer an Tuberkulose. Daneben 
spielt aber auch die gegenseitige Uebertragung eine, wenn auch 
offenbar nur untergeordnete Bolle. Zn dieser Ansicht bin ich dnrch 
folgende Beobachtungen gekommen: 

In einer in der jetzigen Generation bestimmt tnberkulose- 
freien gut situierten Familie starb ein ca. 2jähriges Kind an 
allgemeiner Tuberkulose. Das Kind war von den ersten Lebens¬ 
tagen ab bis fast zu seinem Tode mit Kuhmilch ernährt worden. 
Diese Milch stammte von einer den Eltern des Kindes gehörigen 
Kuh, die noch während der Krankheit des Kindes wegen schwerer 
Tuberkulose geschlachtet werden musste. Ich nehme keinen An¬ 
stand, hier eine Uebertragung der Tuberkulose von der erkrankten 
Kuh durch die MUch auf das Kind anzunehmen. 

Eine weitere Beobachtung spricht für den umgekehrten Gang 
der Uebertragung. Von Hühnern, welche zum Haushalte eines 
mehrere Jahre schwer tuberkulösen und später auch an Tuber¬ 
kulose verstorbenen Mannes gehörten, gingen kurz nach dem Tode 
des Mannes zwei Stück an Bauchfelltuberkulose ein, wie ein Tier¬ 
arzt durch die Sektion feststellte. Diese Hühner hatten ihren 
Weideplatz unter den Fenstern des Krankenzimmers ihres ver¬ 
storbenen Besitzers; auf diesen Weideplatz entleerte der Mann 
beim Hinausschauen zum Fenster erwiesenermassen häufig sein 
Sputum. Diese Beobachtung ist um so auffallender, als Tuber¬ 
kulose nnter Hühnern selten ist und es sich in den vorliegenden 
Fällen um Tuberkulose am Verdauungstraktus handelte. Es ist 
mehr wie gerechtfertigt, anzunehmen, dass eine Uebertragung der 
Tuberkulose von dem erkrankten Manne auf die Hühner stattge¬ 
funden hat durch Vermittelung des von den Hühnern aufgefressenen 
Sputums desselben. 

Weitere Beobachtungen erstrecken sich auf den Einfluss 
der sozialen und hygienischen Verhältnisse, der Here¬ 
dität, Disposition und Kontagiosität bei der Tuber¬ 
kulose. Die Tuberkulose ist unter den hiesigen ländlichen Ver¬ 
hältnissen nichts mehr und nichts weniger eine Krankheit des 
Proletariats, wie alle anderen Infektionskrankheiten. Allerdings 
muss gesagt werden, dass unter unseren kleinbäuerlichen Verhält¬ 
nissen die Lebensweise bei Reich und Arm keinen allzu grossen 
Unterschieden unterliegt, dass im Gegenteil die Lebensweise 
mancher Besitzlosen eine bessere ist, als die der Besitzenden. 
Jedenfalls ist aber nach den hier gemachten Beobachtungen die 
Tuberkulose keineswegs sehr überwiegend eine Krankheit der 
sozial und hygienisch schlechter Gestellten. Abgesehen davon, 
dass schlechte hygienische Verhältnisse durchaus nicht immer mit 
schlechten sozialen Verhältnissen vergesellschaftet sind und um¬ 
gekehrt, kommt Tuberkulose in meinem Bezirk auch verhältnis¬ 
mässig häufig in Familien mit guten Vermögensverhältnissen und 
guter Lebenshaltung vor. Vielfach waren die Erkrankten schon 
vor ihrer Erkrankung an Tuberkulose gesundheitlich minderwertig. 
Diese Minderwertigkeit war häufig hereditäre Belastung; diese 



Beitrag nur Bekämpfung der Tuberkulose. 


751 


war aber nicht immer oder auch nur vorwiegend eine tuber¬ 
kulöse Belastung. Ebenso häufig fanden sich bei den Vorfahren 
andere chronische Krankheiten, namentlich des Verdauungstraktus, 
der Nerven, Haut u. s. w. Noch häufiger war aber die Minder¬ 
wertigkeit eine erworbene, namentlich durch fortgesetzte Ex¬ 
zesse in baccho et venere, Unterernährung, Ueberarbeitung, an¬ 
haltendes Arbeiten in Hausindustrie u. s. w. In wieder anderen 
Fällen waren disponierende Momente überhaupt nicht zu erforschen. 

Hecht interessant und lohnend sind in jedem einzelnen Falle 
von Tuberkulose die Nachforschungen, von welchem anderen Falle 
er stammt; denn nach unserem ganzen epidemiologischen Denken 
muss doch jeder Tuberkulosefall wieder von einem anderen her¬ 
stammen. Naturgemäss führen diese Nachforschungen recht häufig 
auf einen Zusammenhang mit einem vorangegangenen oder gleich¬ 
zeitigen Fall in der eigenen Familie, ebenso häufig aber auch 
in der Nachbarschaft, oder im engeren Verkehrskreis der Er¬ 
krankten. Nicht selten führen mehrere gleichzeitig auftretende 
Fälle in einer Gemeinde auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt. 
Nur verhältnismässig selten gelingt es, nicht einen Zusammen¬ 
hang mit einem anderen Fall aufzufinden. 

Als einer der wichtigsten Faktoren für die Verbreitung der 
Schwindsucht auf dem Lande erscheinen mir die Wirtschaften. 
Von den vier Wirtschaften einer mir näher bekannten Gemeinde 
sind bis jetzt in drei Schwindsuchtsfälle unter den Besitzerfamilien 
vorgekommen. In einer Wirtschaft starben vor mehreren Jahren 
der Vater und drei erwachsene Kinder kurz nacheinander an 
Schwindsucht. In dieser Zeit erkrankten mehrere in der Nach¬ 
barschaft dieser Wirtschaft wohnende und zu ihrem ständigen 
Besucherkreis gehörende erwachsene Personen ebenfalls an Tuber¬ 
kulose und übertrugen ihrerseits wieder zum Teil die Erkrankung 
auf Angehörige ihrer eigenen Familie. Aehnlich waren die Ver¬ 
hältnisse in einer anderen Wirtschaft, in der Mutter und Sohn an 
Tuberkulose erkrankten und starben. In der dritten Wirtschaft 
ist die Besitzerin erst neuerdings an Tuberkulose erkrankt. Wenn 
man sich den Betrieb so- vieler ländlichen Wirtschaften vergegen¬ 
wärtigt, begreift man auch ihre Gefährlichkeit. Zu ihren häufigsten 
Besuchern gehören in ihrer Arbeitsfähigkeit beschränkte Tuber¬ 
kulöse, welche dort Unterhaltung suchen, durch Genuss von 
schlechtem Bier u. s. w. die vom Arzt angeratene bessere Lebens¬ 
haltung und Ernährung in Wirklichkeit umsetzen wollen und 
dabei alles voll spucken. Dazu kommt dann noch die übliche Reini¬ 
gung und Reinlichkeit dieser Wirtschaften, um sie zu wahren 
Pflanzstätten für Tuberkulose zu machen. 

Weiter möchte ich eine für die Möglichkeit einer kongeni¬ 
talen Uebertragung der Tuberkulose sprechende Beobachtung des 
beamteten Tierarztes meines Bezirks mitteilen. Für eine Ge¬ 
meinde, in der sonst Tuberkulose unter dem Rindvieh ganz selten 
war, wurde ein Farren angekauft, der sich bald nachher als 
schwer tuberkulös erwies und geschlachtet werden musste. Ein 
von diesem Farren stammendes Kalb, dessen Mutter gesund war, 



752 


Dr. Staues: Beitrag sur Bekämpfung der Tuberkulose. 


erwies sich gleich nach der Geburt als schwer tuberkulös, so dass 
es weggeschafft werden musste. 

Was zum Schlüsse noch die Häufigkeit der Tuberkulose 
betrifft, so war in meinem Bezirk in früheren Jahrzehnten Schwind¬ 
sucht entschieden häufiger wie heute. Auch scheint mir früher 
die Tuberkulose der Lungen mehr unter dem Bilde einer sehr 
chronischen Erkrankung verlaufen zu sein. Hand in Hand mit 
dieser Abnahme der Tuberkulose ging auch eine sehr erhebliche 
Abnahme der jährlichen Sterbeziffer, die im letzten Jahrzehnt 
rund durchschnittlich 15°/ 00 niedriger ist, wie vor ca. 40 Jahren. 
Entschieden besser geworden ist in dieser Zeit auch die Lebens¬ 
haltung der Leute, ob dies auch bei den Vermögens Verhältnissen 
zutrifft, möchte ich bezweifeln. Diese Verbesserung der Lebens¬ 
haltung, also der hygienischen Verhältnisse, betrachte ich als die 
Ursache sowohl des Rückganges der Sterblichkeit überhaupt, wie 
auch der Tuberkulose. 

Ziehen wir aus diesen Beobachtungen noch die Schlussfolge¬ 
rungen, welche sich für die Epidemiologie und Bekämpfung der 
Tuberkulose ergeben. In epidemiologischer Beziehung wird nach 
meiner Ansicht heute der infektiöse und vor allem der kontagiöse 
Charakter der Krankheit zu wenig beachtet. In den Vordergrund 
unserer epidemiologischen Anschauungen hat mehr der Tuberkel¬ 
bacillus als Erreger der Krankheit und massgebender Faktor für 
die Verbreitung zu treten an Stelle der Disposition, Heredität u.s.w. 
Die Disposition zu der Erkrankung ist jedoch keineswegs so eng 
begrenzt, wie wir heute annehmen, wie ja auch durch zahlreiche 
Sektionsbefunde festgestellt ist, dass ein sehr hoher Prozentsatz 
der Menschen einmal im Leben an Tuberkulose erkrankt. Wie bei 
allen Infektionskrankheiten ist diese Disposition bei dem einen 
mehr, bei dem anderen weniger vorhanden. Wer sich lange Zeit 
in der unmittelbaren Umgebung eines Schwindsüchtigen aufhält, 
erkrankt nach meinen Erfahrungen mit Wahrscheinliche^ eben¬ 
falls an Tuberkulose, wie wir auch an dem Pflegepersonal der 
Krankenhäuser, Lungenheilstätten und iu den Familien befindlicher 
Kranken leider nur zu oft erfahren. Die Heredität spielt nach 
meiner Ansicht bei der Tuberkulose keine grosse Bolle. 

Auch in der Bekämpfung der Tuberkulose haben wir neben 
der Bekämpfung der Disposition durch Verbesserung der Lebens¬ 
haltung unser Hauptaugenmerk mehr auf den Tuberkelbacillus 
und den Hauptträger desselben, den erkrankten Menschen, und die 
von ihm ausgehende Ansteckungsgefahr zu richten. Die Haupt¬ 
mittel zur Bekämpfung dieser Gefahr sind die Isolierung und Des¬ 
infektion. Diese lassen sich unter unseren Verhältnissen häufig 
nicht durchführen. In solchen Fällen wird es sich darum handeln, 
die Erkrankten, sowie sie eine Ansteckungsgefahr werden, aus 
ihreu Familien zu entfernen und in Heilanstalten unterzubringen. 
Lässt sich eine Heilung oder Besserung, so dass sie keine An¬ 
steckungsgefahr mehr bieten, nicht erzielen, sind sie Pflegeanstalten 
zu überweisen. Für ganz besonders notwendig möchte ich, soweit 
immer möglich, die Ueberweisung solcher Kranken in Pffegean- 



Dr. Schmidt: Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus new. 763 


stalten in den unheilbaren Stadien halten, da in diesen die An¬ 
steckungsgefahr am grössten ist. Mit der einfachen Belehrung, 
wie diese Ansteckungsgefahr zu beseitigen ist, ist zumeist nur 
wenig geholfen, die Krankheit verbreitet sich deswegen in der 
Familie der Schwindsüchtigen doch weiter. Dass wir in der Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose noch nicht mehr erreicht haben, beruht 
neben dem, dass sich bis jetzt die Fürsorge für Tuberkulose nur 
auf Unbemittelte erstreckt und das ganze Heer der weniger 
Bemittelten, die sich allein ebenfalls nicht helfen können, sich 
selbst überlässt, hauptsächlich darin, dass wir keine Pflegean¬ 
stalten für unheilbare Tuberkulöse haben. 

Auch für die Versicherungsanstalten würde sich m. E. die 
Errichtung solcher Pflegeanstalten ebenso rentieren, wie die Heil¬ 
anstalten; denn bei einer Belassung der Unheilbaren in ihren 
Familien kann die Versicherungsanstalt mit Bestimmtheit auf 
weitere Fälle rechnen, für die sie die Fürsorge zu übernehmen hat. 

Ausserdem darf bei der Bekämpfung der Tuberkulose die 
gegenseitige Uebertragbarkeit der Menschen- und Tiertuberkulose 
nicht ausser Acht gelassen werden. 


Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus durch 

Flusswasser. 

Von Dr. Schmidt, Kreisarzt in Elbing (früher in Beigard). 

Als ein Beitrag zum Beweise für den ursächlichen Zusammen¬ 
hang zwischen dem Gesundheitszustand einer Stadt und einem 
diese durchziehenden Flusslaufe sind die nachfolgenden Aus¬ 
führungen gegeben. Es handelt sich um das Auftreten von Unter¬ 
leibstyphus auf Grund der Benutzung eines verseuchten Fluss¬ 
wassers in Beigard. 

Beigard, eine Hinterpommersche Kreisstadt mit 8000 Seelen, 
wird von dem Leitznitzbache. einem Nebenflüsse der Persante, 
durchflossen, bezw. es lehnt sich an die Ufer dieses Flüsschens. 
Die Leitznitz entspringt von den Ausläufern des Baltischen Höhen¬ 
zuges und mündet nach einem in gerader Bichtung gemessenen 
N. W. gekehrten Laufe von 80 km Länge unterhalb Belgards in 
die Persante. Das Weichbild der Stadt Beigard berührt die 
Leitznitz an seiner N. 0. - Grenze. Von hier geht sie in ihrem 
weiteren Verlaufe an der N. 0.-Grenze der Altstadt entlang, durch¬ 
schneidet nach etwa 200 m Wegslänge die Stadt an der Grenze 
zwischen Alt- und Neustadt, um sich, wieder nach N. W. wendend, 
an die nach S. W. gerichtete Stadtgrenze anzulegen. — Kurz nach 
ihrem Herantreten an die Stadt gibt die Leitznitz auf dem linken 
Ufer einen Graben ab (Strille), welcher anfangs die Stadt im 
S. W. gekehrten Laufe durchzieht, dann nach N. W. umbiegt, 
längs der Stadtgrenze entlang geht, um weiter in unregelmässigem 
Laufe der Persante zuzustreben. 

Die Beziehungen zwischen den Bewohnern der Stadt Beigard 
und den Wasserläufen der Leitznitz und Strille sind yon Alters 



722 


Dr. Plaonek. 


Gerade bei Behandlung der Knochenbrüche trifft in ländlichen 
Gegenden der Arzt auf die grössten Schwierigkeiten. Das Ge¬ 
heimnis der „Knochenflicker“ hat von jeher darin bestanden, dass 
sie auf Einrichtung und auf oft wiederholte Nachuntersuchung 
grosses Gewicht gelegt haben, selbst in Zeiten, in denen der Arzt, 
befangen in der Vorstellung, dass die Anlegung des Gypsverbandes 
das wichtigste sei, das ausschliessliche Gewicht auf das Anlegen 
dieses Verbandes, ein geringeres auf exakte Reposition zu legen 
pflegte, während die Kontrolle des Befundes in den ersten Tagen 
oft unmöglich war. So sagt Riedel (Berl. klin. Wochenschr., 
1902, S. 630) mit Recht: „Der Schwerpunkt der Behandlung 
liegt immer in der primären Reposition, und dies wird, und das 
behaupte ich mit voller Sicherheit, noch heute in zahlreichen 
Fällen versäumt oder unvollständig gemacht.“ Spricht er auch 
nur vom Radiusbruch, so gilt unter den notwendigen Ein¬ 
schränkungen auch für andere Frakturen ähnliches. 

Bei Unterlassung von Repositionsversuchen ist hierzulande 
die Gefahr, dass ein Kurpfuscher hinter dem Rücken des Arztes 
zugezogen wird, eine grosse und es bedarf des ganzen persön¬ 
lichen Einflusses des Arztes, wenn es ihm gelingen soll, dieser 
Gefahr vorzubeugen. So war es auch hier. Während der Dauer 
der Behandlung verlangten die Nachbarn und Freunde, dass eine 
Einrichtung der gebrochenen Knochen durch einen Knochenflicker 
stattfinden solle. Sie beobachteten, dass ich von jeder Reposition 
aus Rücksicht für die Atmungsorgane Abstand nahm, hielten also 
eine solche für geboten, das Unterlassen aber für fehlerhaft. 

Als sich nun bei der Leichenöffnung neben den Verände¬ 
rungen am Schädel und Gehirn, neben den zahlreichen Rippen¬ 
brüchen eine Zerreissung (Anspiessung) der Lunge fand, musste 
eine objektive Darlegung der vorliegenden Verhältnisse auf frucht¬ 
baren Boden fallen. Es gelang, die Leute davon zu überzeugen, 
dass jede forzierte, an den Rippen ausgeführte Bewegung, jeder 
gewaltsame Versuch, denselben ihre normale Krümmung wieder 
zu geben, das Loch in der Lunge hätte vergrössern müssen. 

Durch den Fall wird übrigens auch die Ansicht v. Bra- 
manns (vgl. Peters: Ueber die Entwicklung des allge¬ 
meinen Körperemphysems nach Lungenverletzungen. Diss. Balle 
1894) bestätigt, dass nach Verletzungen der Pleura parietalis 
und cost&lis sich ein hochgradiges allgemeines Körperemphysem 
der Lunge frei entwickeln könne, auch wenn die Lunge frei von 
Verwachsungen ist. 


Ein deutsches gerichtsärztliches Leichenöffnungsverfahren. 

Beformgedanken von Dr. Placzek- Berlin. 

(Schloss.) 

Wir kommen nun zu den Sonderbestimmungen für Ver¬ 
giftungsfälle. Die betreffenden Bestimmungen des preussischen 
Regulativs lauten: 

„Boi Verdacht einer Vergiftung beginnt die innere Besichtigung mit der 
Baachhohle. Bs ist dabei vor jedem weiteren Eingriff das Süssere Aussehen 



Bin deutsche« gerichtsärztliches Leloh enöfinungsverfahren. 723 

der oberen Baacheingeweide, ihre Lage and Ausdehnung, die Füllung ihrer 
Gewisse und der etwaige Geruch zu ermitteln. 

In Besag auf die Gefässe ist hier, wie an anderen wichtigen Organen, 
stets festsuBtellen, ob es sich um Arterien oder Venen handelt, ob auch die 
kleineren Versweigungen oder nur Stämme und Stftmmehen bis sn einer ge¬ 
wissen Grösse gefüllt sind, und ob die Ausdehnung der Gef&sslichtung eine 
beträchtliche ist oder nicht. 

Alsdann werden um den untersten Teil der Speiseröhre dicht über dem 
Magenmnnde, sowie um den Zwölffingerdarm unterhalb der Einmündung des 
Gallenganges doppelte Ligaturen gelegt und beide Organe swischen denselben 
durchschnitten. Hierauf wird der Magen mit dem Zwölffingerdarm im Zu¬ 
sammenhänge heransgeschnitten, wobei jede Verletzung derselben sorgfältig sn 
Termeiden ist. Die Oeffnung geschieht in der im §. 18 angegebenen Weise. 

Es wird sofort der Inhalt nach Menge, Eonsistens, Farbe, Znsammen- 
setsung, Reaktion und Geruch bestimmt und in ein reines Gefäss von Porsellan 
oder Glas getan. 

Sodann wird die Schleimhaut abgespült und ihre Dicke, Farbe, Ober¬ 
fläche, Zusammenhang nntersuoht, wobei sowohl dem Zustande der Blutgefässe, 
als auch dem Gefüge der Schleimhaut besondere Aufmerksamkeit susawenden 
und jeder Hauptabschnitt für sich zu behandeln ist. Ganz besonders ist fest- 
sustellen, ob das vorhandene Blut innerhalb von Gefässen enthalten oder aus 
den Gefässen ausgetreten ist, ob ob frisch oder durch Fäulnis oder Erweichung 
(Gährung) verändert und in diesem Zustande in benachbarte Gewebe einge- 
drungen (imbibiert) ist. Ist es ausgetreten, so ist festsustellen, wo es liegt, ob 
auf der Oberfläche oder im Gewebe, ob es geronnen ist oder nicht usw. 

Endlich ist besondere Sorgfalt zu verwenden auf die Untersuchung des 
Zusammenhanges der Oberfläche, namentlich darauf, ob Substanzverluste, Ab¬ 
schürfungen (Erosionen), Geschwüre vorhanden sind. Die Frage, ob gewisse 
Veränderungen möglicherweise dnrch den natürlichen Gang der Zersetzung 
nach dem Tode, namentlich nnter Einwirkung gährenden Mageninhalts, zu 
stände gekommen sind, ist stets im Ange zu behalten. 

Nach Beendigung dieser Untersuchung werden der Magen nnd der 
Zwölffingerdarm in dasselbe Gefäss mit dem Mageninhalt (s. oben) getan und 
dem Richter zur weiteren Veranlassung übergeben. In dasselbe Gefäss ist auch 
später die Speiseröhre, nachdem sie nahe am Halse unterbunden und über der 
Ligatur durchschnitten worden, nach vorgängiger anatomischer Untersuchung, 
sowie in dem Falle, dass wenig Mageninhalt vorhanden ist, der Inhalt des 
Leerdarms zu bringen. 

Endlich sind auch andere Substanzen nnd Organteile, wie Blut, Harn, 
Stücke der Leber, der Nieren usw. aus der Leiche zu entnehmen und dem 
Richter abgesondert zur weiteren Veranlassug zu übergeben. Der Harn ist für 
sich in einem Gefässe zu bewahren, Blut nur in dem Falle, dass von einer 
spektralanalytischen Untersuchung ein besonderer Aufschluss erwartet werden 
kann. Alle übrigen Teile sind zusammen in ein Gefäss zu bringen. 

Jedes dieser Gefässe wird verschlossen, versiegelt und bezeichnet. 

Ergibt die Betrachtung mit blossem Auge, dass die Magenschleimhaut 
durch besondere Trübung und Schwellung ausgezeichnet ist, so ist jedesmal 
und zwar möglichst bald eine mikroskopische Untersuchung der Schleimhaut, 
namentlich mit Bezug auf das Verhalten der Labdrüsen, zu veranstalten. 

Auch in den Fällen, wo sich im Mageninhalt verdächtige Körper, z. B. 
Bestandteile von Blättern oder sonstige Pflanzenteile, Ueberreste von tierischer 
Nahrung, finden, sind dieselben einer mikroskopischen Untersuchung zu unter¬ 
werfen. 

Bei Verdacht einer Trichinenvergiftung hat sich die mikroskopische 
Untersuchung zunächst mit dem Inhalt des Magens und des oberen Dünndarms 
zu beschäftigen, jedoch ist zugleich ein Teil der Muskulatur (Zwerchfell, Hais¬ 
und Brustmuskeln) zur weiteren Prüfung zurückzulegen.“ 

Bayern hat eine anch dem Wortlaute nach mit der preussi- 
schen gleiche Bestimmung, die nur nach folgenden Richtungen 
weiter ausgestattet ist. 



766 


Dr. Schmidt. 


1897; September bis November: 9 F&lle. \ - 
1898; Januar: 1 Fall. / Äp - 

1898; Juni: 1, Anglist bis November: 11 F&lle. \ 

1899; Januar: 6 Fälle. / P * 

1899; August bis Oktober: 6 F&lle. 

1900; Januar: 1, Februar: 1, August 1, Oktober: 3 F&lle. 

1901; Mai: 2, Juni: 3, Juli: 30, August: 18, September: 16, Oktober: 
10, November: 10, Dezember: 14 F&lle. 

1902; Februar: 8 F&lle, M&rz, April, Mai und September je 1 Fall. 

Epidemiologisch bemerkenswert ist, dass auch hier, wie 
andernorts beobachtet, die grösseren Anhäufungen der Erkrankungen 
in der zweiten Hälfte des Jahres aufzutreten pflegen, während 
die erste Hälfte nur durch sporadische Fälle ausgezeichnet ist 
oder die abklingenden Erscheinungen einer mehr weniger grossen 
Anhäufung der Erkrankungszahl des voraufgegangenen Jahres dar- 
stnllt. Handelt es sich auch nur um ein sehr beschränktes Kranken¬ 
material, welches der epikritischen Beurteilung unterzogen werden 
kann: Das gruppenförmige Auftreten oder die Herausbildung kleiner 
Lokalepidemien treten aus der vorliegenden Zusammenstellung 
als greifbare Erscheinung heraus. 

Für die ätiologische Betrachtung über das Auftreten deB 
Typhus am hiesigen Orte lässt sich die vorstehende Zusammen¬ 
stellung der Jahre 1886—1902 in 3 Gruppen gliedern: 1886 bis 
1895; 1896—1900 und 1901—1902. — Die erste Gruppe umfasst 
die Jahre vor der amtlichen Tätigkeit des Berichterstatters in 
Belgard, von 1896—1900 sind die Erkrankungen unter den Augen 
des Berichterstatters verlaufen; 1901—1902 tritt besonders hervor 
durch das Umsichgreifen einer bedeutenden Epidemie. 

Soweit sich nach den vorliegenden Aufzeichnungen die Ver¬ 
teilung der Erkrankungen im Orte verfolgen lässt, ist das Auf¬ 
treten stets ein derartiges gewesen, dass die Krankheitsfälle sich 
in unregelmässiger Verteilung über den ganzen Stadtbezirk zeigten, 
ohne eine Abhängigkeit von bestimmten Brunnen erkennen zu 
lassen; bemerkenswert ist nur die Bevorzugung der Altstadt, 
welche durch Leitznitz und Strille bis auf eine kleine Spanne 
ganz umfasst wird und ihre Wasserversorgung zum Teil mit 
Leitznitzbrunnen habt, und das Seltenerwerden der Erkrankung 
entsprechend der Entfernung von Leitznitz und Strille in der 
Neustadt. 

Greifbare Unterlagen erhielt das Forschen nach der Ursache 
des Auftretens des Typhus in der Stadt für den Berichterstatter 
mit seinem Amtsantritte im Jahre 1896. — Die von den Jahren 
1896—1900 hervorgetretenen Erkrankungen haben sämtlich das 
gemein, dass in den Haushaltungen, in denen die Krankheit vor¬ 
kam, Leitznitz- oder Strillenwasser zur Verwendung kam. Die 
Erkrankungen traten auch in dieser Zeit stets in weiter Ver¬ 
teilung über das Stadtgebiet auf. Jeder verbindende Anhalt der 
Fälle unter einander fehlte; weder Kontakt, noch Trinkwasser, 
noch Milchversorgung, noch der Bezug sonstiger Nahrungsmittel 
konnten als Infektionsquellen beschuldigt werden; nur in den ange¬ 
führten Punkten kamen sie zusammen, wie von den behandelnden 



Ein deutsche» goricbtsäratliehes Leiehenöffnungsverfahren. 725 

Gläser, deren Haaminfa&lt einen Liter fasst, vorhanden sein; ausserdem noch 
mindestens sechs Gläser, deren Inhalt bi« an einem halben Liter beträgt. 

Wo die rasche Zersetzung der für di« cbemisehe ITntersuehnng bestimmten 
Organe nad Organteile an fürchten ist., ist die eine Hälfte eines jeden dieser 
Örgaisa edef Organteiie durch Zusatz von reinem Weingeist (Spiritus rec- 
tifisatUsimna der Pharmakopoe) an kooaermreo, die andere HElfte aber ohne 
jeden Zusatz aafzahebeß. Zu diesem Ende haben, die Geriehtsärste eine 
genügende; Menge voö reinem Weingeist vorrätig au halten. Mit den für die 
ehenmobe Hatötsuehang bestimmten Teilen ist in Philen der beseichoeten Art 
eine Probe des verwendeten Weingeistes etusoseoden. 

Nach der Fdilnng werden die Gef&sse möglichst dicht verschlossen.“ 

Beträchtlich ■weicht die Begtiarnttfigf über Yergfiffcangafälle 
in Württemberg ab: 

»Liegt der Verdacht einer VergjftUBg vor, so hat der Oberamtsarzt oder 
dessen Stellvertreter 5 Gläser mit weitem, mtlgöchat wenig eingezogenem 
Halse bereit an halten. Zwei derselben sollen «ine Höh« von etwa .20—25 ein und 
einen Durchmesser von 10—12 cm haben, die übrigen drei können kleiner sein, 

Glaser wie sie gewöhnlich zu® Einmachea ton Früchten oder dergleichen 
dienen, können verwendet wertf»», wenn keine mit einseriebenen Glasstöpseln 
*n Gebote stehen, per endgültige Yferscblna» geschieht mit Blase oder doppeltem 
Pergameotpapier; der mehrfach nrogelegte Bindfaden wird (fest geschnürt, 
jedes versiegelt und der Inhalt der nammerierten Gläschen im Protokoll L 
angegeben. ; A 

In Württemberg soll Mmv: 

„beli Vergifirmgea der nn seinem oberen Ende schon unterbundene Dünn¬ 
darm aftch aa oeiaem notererr Ende doppelt «nterbandeft werden . . . . Sein 
ganzer Inhalt, sowie einzelne Stücke eeiu.«T filate, an welchen besondere Ter* 
ftndernngen bemerkt worden. Sollen in dasselbe öef&ss mit. dem Magen usw. 
gebracht oder für ein« etwaig« miktöslsopische Üntersncbnng xnrückgeiegt 
werden.“ - •' 

V(?££i Bespftdeftb' Anwcisung-gri•. -wertig® hier für die chemische. 

U b fc e r s ü c b u n g gegeben 

„Können mehrere Methoden für die Auffindung eines Giftes mit Aus¬ 
sicht auf Erfolg ««gewendet werden, so sind inindestetas zwei derselben zur 
gegenseitigen Kontrolle in Anwendung sn'.bringen. 

Ltt *8 gelungen, die giftigen Stoffe in ihrer ursprünglichen Form ans- 
znscheidsn. oder sind sie sonst bei 3er Untersnchnng naebgewieee» worden, so 
sind dieselben wob! za verwahren and mit den entsprechenden Aufschriften 
zu versehen. 

lieber die aftge wendeten Hntersnchnngemethoden und deren Ergebnisse 
»ist ein fortlÄnfendes Protokoll anfzunebmen, von den dabei tätig gewesenen 
Sachverständigen >u nhierzeichneo und zugleich mit dem darüber anszoBteilen¬ 
den Gutachten und den eben erwähnten Stoffen dem Hiebt er- ra übergeben.“ 

In einer besonderen Bestilnömßsf (S 30 \ wird hier das Ver¬ 
halte?! bei Tod dnreh Infektion mit Trichinen geregelt. Es 
ist. dann 

„der Inhalt des oberen Teils des Dünndarms jälasr genauen mikros¬ 
kopischen Untersuchung sn nnterwerfea. Teile des ZwercihfoUs, der Muskeln 
des Halses, der ßrnst und der Angeo sind, besondüra sn den Ansätzen der 
Sehnen» beraoszunehineii and später zn »ntei-sucben. 

In Sachsen ■•'Weimar weicht ' 4er . 
gifftiüffen vornebmlfeh darin »b, dass : -M$t ßine 1 

Unterbindung vorgeschriebe® wird, und xw&r die v (iir.hp-:.- 

über der Eulmündöiier In den der Anfang K ;,*ev4itmr 

der Mastdarm oberhalb des Bee.it enbodens, fern.• -*u• «j* 

Unterbindung der Speiseröhre an ihrem Anfang. 

Mecklenbnrg-Strelitz bestimmt in seinem kift; 





726 


Dr. Placzek. 


§ 11, dass „um den unteren Teil der Speiseröhre nnd etwa den 
mittleren des Dünndarms doppelte Ligaturen gelegt werden“, ausser¬ 
dem die Speiseröhre nahe am Halse unterbunden werde. 

An den zitierten Bestimmungen, wie sie mit mehr weniger 
breiter Detailschilderung als Zwangsanweisung für Vergiftungs¬ 
fälle gelten, wird durchgreifend reformiert werden müssen. Zu¬ 
nächst wird der Schematismus fallen müssen, der alle Vergiftungs¬ 
arten nach dem gleichen Gesichtspunkt beurteilt, als lieferten sie 
alle ihre Hauptmerkmale im Magen und Darmkanal. Dass dies 
nicht zutrifft, bedarf keiner weiteren Begründung. Es muss daher 
dem Obduzenten ein Spielraum bleiben, nach persönlichem Er¬ 
messen zu entscheiden, wann er die Magen-Darmsektion nach 
dem Vergiftungsschema ausführen und Organteile nach Vorschrift 
konservieren will. 

Sodann muss die unglückselige, komplizierte und oft genug 
dem Geschicktesten missglückende Magen-Darmunterbindung, wie 
sie bisher üblich ist, durch eine andere Methode ersetzt werden. 
Schon früher erwähnte ich, wie hart Strassmann das geltende 
Verfahren kritisiert. Hier brauche ich nur hinzuzufügen, dass die 
Methode, die er vorschlägt, und die ein einheitliches Uebersichts- 
bild vom Anfang der Speiseröhre bis zum Mastdarm anstrebt, alle 
billigen Anforderungen erfüllt. Wird, wie Strassmann wünscht, 
Speiseröhre, Magen und Darmkanal in toto herausgenommen, so 
sind nur zwei Unterbindungen nötig, am Anfang der Speiseröhre 
und am Mastdarm oberhalb des Beckenbodens; ausserdem über¬ 
blickt man so die Gesamtwirkung des Giftes bei der Passage durch 
den Verdauungstraktus. 

Natürlich fällt auch bei Annahme dieses Sektionsmodus die 
Vorschrift, in Vergiftungsfällen stets mit der Bauchhöhle zu be¬ 
ginnen. 

Für die Aufbewahrung der Organteile etc. könnte ein Gläser¬ 
kasten nach dem Muster des bayerischen vorgeschrieben werden, 
doch keine Zusatzflüssigkeit. 

Hiernach würde die Obduktion eines Vergiftungsfalles genau 
so verlaufen, wie die eines gewöhnlichen Falles, nur dass vor 
Herausnahme der Halsorgane die Speiseröhre und der Mastdarm 
unterbunden werden, und die Halsorgane ohne Speiseröhre heraus¬ 
genommen werden. 

Da wir die Besonderheiten der äusseren Besichtigung 
Neugeborener, wie sie zur Ermittelung ihrer Reife und Ent- 
wickelungszeit notwendig werden, bereits früher besprachen, 
können wir uns hier auf Vergleichung der Anweisungen be¬ 
schränken, welche speziell für die innere Besichtigung Neugeborener 
gelten. Hier gelten zunächst folgende Bestimmungen für die Er¬ 
mittelung stattgehabter Atmung: 

Preussen: 

24. iBt anranehmeB, dass das Kind nach der dreissigsten Woehe 
geboren worden, so muss >weiten» untersucht werden, ob es in oder nach der 
Geburt geatmet hat. Es ist deshalb die Atemprobe ansustellen, und au diesem 
Zweck in nachstehender Reihenfolge vorzugehen: 
a. Schon nach Oeifnung der Bauchhöhle ist der Stand des Zwerchfells in 



Zar Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus durch Flusswasser. 757 

Aerzten in Verbindung mit dem berichtenden Medizinalbeamten 
festgestellt wurde. 

Die bis zu einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit ent¬ 
wickelte Annahme, dass der Typhus in Belgard seine Verbreitung 
durch die Benutzung des Wassers aus Leitznitz und Strille haupt¬ 
sächlich finde, führte zur teilweisen Beseitigung der Leitznitz- 
brunnen bis auf die Belassung des einen Marktbrunnens und der 
Doppelleitung des Brunnens zwischen Markt und Leitznitz. Der 
Marktbrunnen sollte als ein gesundheitsgefährlicher bezeichnet 
werden und angeschlossen gehalten werden. Der Brunnen mit 
der Doppelleitung sollte in der Regel von der Leitznitzleitung ab¬ 
geschlossen sein. Die Privatleitungen waren zu jener Zeit offi¬ 
ziell nicht bekannt. 

Der Sommer 1901 brachte für Belgard mit einer grösseren 
Epidemie weitere Erfahrungen bez. des Unterleibstyphus. Das 
Jahr war ein sehr trockenes; der Wassergehalt der Stadtbrunnen 
fing an knapp zu werden. Ohne Wissen der städtischen Behörden 
hatte der Brunnenmeister, um die Leistungsfähigkeit des Brunnens 
mit der Doppelleitung zu erhöhen, den Wasserznflusshahn in dem 
Brannenkessel geöffnet. 

Im Anfang Mai 1901 wurden in der Altstadt nnd in der 
nach Polzin führenden Vorstadt die ersten beiden Fälle von Unter¬ 
leibstyphus bemerkt; Anfangs Juni reihten sich 2 weitere Fälle, 
einer in der Eösliner Vorstadt und ein zweiter in der Georgen¬ 
strasse an die voraufgegangenen. Die Fälle hatten in sich keinen 
direkten Zusammenhang; sie lagen örtlich ziemlich weit ausein¬ 
ander, ein Verkehr hat zwischen ihnen nicht bestanden. Mitte 
Juli, etwa vom 18. Juli an, kam mit steilem Anstieg eine Epi¬ 
demie zum Ausbruch, welche in der kurzen Zeit bis zum Schlüsse 
des Monates 30 Erkrankungen zur öffentlichen Kenntnis brachte; 
23 weitere Fälle reihten sich im August an die Julierkrankungen, 
nm mit diesen den Gipfelpunkt der Epidemie zu charakterisieren. 
Eigentümlich, wie für fast alle hierselbst beobachteten Epidemien 
war anch dieses Mal das weite Ausgreifen der Erkrankungen 
über das ganze Stadtgebiet. Von dem östlichen Ende der Stadt 
bis in die Vorstadt des westlichen Teiles, über 1 km Wegeslänge, 
traten mit einem Male die Krankheitsfälle in die Erscheinung. In 
dem einen B[ause um den oft genannten Brunnen der Leitznitz- 
Marktleitung, in welchem nachweisbar das dem Brunnen ent¬ 
nommene Leitznitzwasser nur zur Verwendung kam, auch ge¬ 
trunken wurde, erkrankten 3 Personen; in dem Hanse mit der 
Privatleitung am Markt erkrankten 2 Personen, auf dem Amte 
mit seinem Leitznitz Wasseranschlüsse 3 Personen. — Ergriffen 
waren Kinder, die in und an den genannten Wässern gespielt 
hatten; Waschfrauen, die in der Leitznitz Wäsche gespült hatten, 
nnd Angehörige von Familien, in denen zugestanden, Bachwasser 
zur Verwendung kam. 

Fast ausnahmslos waren es Angehörige der arbeitenden 
Klasse, die von der Krankheit ergriffen wurden, Personen, bei 
denen das immer wiederholte Mahnen, das Bachwasser als ein 



758 


Dr. Schmidt. 


gesundheitsgefährliches nicht zu verwenden, vergeblich gewesen. 
Als Ausnahmen traten beim ersten Einbruch nach dieser Richtung 
hin nur die Erkrankten am Privatanschlusse am Markt und die 
Bewohner des Amtes hervor, denen sich 2 Soldaten der hiesigen 
Garnison zureihten. — Wo lag für diese mit so grosser Heftig¬ 
keit in breiter Ausdehnung über das ganze Stadtgebiet auftreten¬ 
den Epidemie das verursachende Moment? Eine in lokaler Um¬ 
grenzung wirkende Veranlassung, etwa eine Brunnenverseuchung 
— der Nahrungsmittelbezug aus einer Krankheitsquelle — konnte 
bei der Verbreitung über die ganze Stadt von vornherein nicht 
angenommen werden und erwies sich bei den vorgenommenen ein¬ 
gehenden Nachforschungen als nicht vorhanden. Bei jedem 
fehlenden sonstigen ursächlichen Momente dieser vielen über die 
ganze Stadt verbreiteten Fälle legte sich fast ausnahmslos um 
alle als verbindendes Glied die Beziehung zur Leitznitz bezw. 
zur Strille. Die bösen Erfahrungen, welche Belgard in gesund¬ 
heitlicher Beziehung mit seinen Stadtbächen gemacht, fanden ihre 
Bestätigung in dieser relativ grossen Typhusepidemie. 

Dem kritischen Urteile musste jede andere Möglichkeit der 
Entstehung der Epidemie ausgeschlossen erscheinen: Die plötz¬ 
liche Verbreitung über das ganze Stadtterrain, die nachweisbaren 
Beziehungen der Erkrankten mit den schon seit langer Zeit ver¬ 
dächtigen Wasserläufen, die Erkrankungen in den Haushaltungen, 
in welche Leitznitz wasser direkt geführt, das Fehlen jedes andern 
die Erkrankungen vereinigenden Punktes: Beweisende Momente 
für den Schluss, dass die Typhusepidemie dem Einflüsse der Bach¬ 
wässer zu verdanken war. Unter dem energischen Durchgreifen 
strenger sanitätspolizeilicher Massnahmen (Sperre der Flussläufe, 
Kontrolle der Desinfektion in den Krankheitsfällen durch einen be¬ 
stellten Beamten, gehobene Strassenreinigung, strengere Nahrungs¬ 
mittelkontrolle) ging die Epidemie im langsamen Abstieg bis zum 
Schlüsse des Jahres zu Ende. Vereinzelte Erkrankungen des 
Jahres 1902 sind wohl als letzte versprengte Ausläufer des Krank¬ 
heitszuges zu betrachten, die in ihrer isolierten Erscheinung ohne 
besondere Bedeutung für die allgemeine Gesundheit blieben. Der 
Kampf gegen die Krankheit war für die Aufsichtsbehörde ein 
recht wenig dankbarer, da die Bevölkerung der Stadt den not¬ 
wendig gewordenen Massnahmen zum Teil mit zähem Wider¬ 
stande trotzte. 

Dass nach der reichen Aussaat des Typhus über die Stadt 
die Epidemie in ihrem weiteren Bestände die verschiedensten 
Wege der Infektion wandelte, die im einzelnen dann nicht mehr 
zu verfolgen waren, ist ja selbstverständlich und findet ihre 
Hlustration in der Tatsache, dass im Herbst und Winter (1901 
bis 1902) zahlreiche Typhen in die Umgebung von Belgard ver¬ 
schleppt wurden, die niemals nachweisbare Beziehungen zu unsern 
Flussläufen gehabt. Dass der Bach und sein Abflussgraben ihren 
Teil an der Weiter Verbreitung der Krankheit immer noch bei¬ 
steuerten, dafür sorgten sie in ihrer Eigenschaft als die grossen 
Sammelstellen jeglichen städtischen Unrats, zu welchem sich 



Zu Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus dnrch Flusswaster. 769 

zweifellos einerseits die Abgänge manches nicht erkannten oder 
nicht genügend desinfizierten Krankheitsherdes gesellten, nnd 
anderseits die nicht za bewältigende Einfalt und Renitenz der 
Bevölkerung. 

Zu der Frage, wie die Verseuchung des Flusslaufes erfolgt 
ist, lässt sich eine Antwort nur bis zu einer gewissen Wahrschein¬ 
lichkeit geben. Im Mai nnd Juni traten mehrere Typhen in Bel- 
gard in die Erscheinung (5 Fälle). Dev* zeitlichen Stellung nach 
konnten diese Erkrankungen mit Berücksichtigung der Inkubation 
für die Julierkrankungen wohl als die Primärerkrankungen ange¬ 
sehen werden. Ihrer ganzen örtlichen Lage nach scheinen sie 
jedoch nicht die Verbreiter des im Wasser kreisenden Keimes 
gewesen zu sein. Nach dem Bilde, welches die Krankheit im Be¬ 
ginne zeigte, traten die ersten Erkrankungen auch im östlichen 
Teile der Stadt auf in Haushaltungen, welche ihr Wasser der 
Leitznitz oberhalb der Eintrittsstelle des Baches in das Stadt¬ 
gebiet entnehmen. Eine allen Voraussetzungen genügende Er¬ 
klärung wurde in der Aufdeckung eines Krankheitsfalles gefunden, 
der in einem Dorfe 12 km aufwärts an einem Nebenflüsschen der 
Leitznitz im Juni 1901 vorgekommen. Hier hat um die ange¬ 
gebene Zeit ein 12 Jahre altes Mädchen 8 Wochen lang (im Mai 
und Juni) an einem schweren gastrischen Fieber krank gelegen. 
Die Wäsche der Kranken ist täglich in dem Flüsschen gewaschen, 
die Stühle sind dicht am Flussufer undesinfiziert ausgegossen, die 
Geschirre bezw. Eimer für Stuhl und Urin sind im Flusse ge¬ 
reinigt. Ein zwingender Beweis für den Zusammenhang dieses 
Falles mit den Belgarder (auch den Fällen vom Juni) ist nicht 
zu erbringen; jedoch muss unter den vorliegenden Umständen 
der erwähnten Erkrankung eine hohe Wahrscheinlichkeit der Ver¬ 
schuldung in der Verseuchung des Belgard durchziehenden Fluss¬ 
laufes und der Infizierung der Stadt zugeschrieben werden. 

Die vorstehenden Ausführungen geben in ihrer Gesamtheit 
den Niederschlag der Erfahrungen, welche der Berichterstatter 
über das Auftreten des Unterleibstyphus an der Stelle seines 
Amtssitzes gemacht hat: Die die Stadt durchziehenden Bäche sind 
die Verbreiter der Typhuskeime über das Stadtgebiet und somit 
die Schuldigen in dem Auftreten der Typhusepidemien in der Stadt. 
Das alljährliche Hervortreten des Typhus am Ort beweist, dass 
in der Stadt und wohl auch auf den Aeckern der Umgebung der 
Stadt eine reiche Saat von Typhuskeimen verstreut liegt. Den¬ 
selben ist nicht nachzuspüren, und deshalb ist das Auftreten des 
Einzelfalles vielfach nicht zu begründen. Dass aber der Einzel¬ 
fall seine Beziehungen zu der Allgemeinheit gewinnt, das ver¬ 
dankt er den Wasserarmen, die die Stadt umspannen. Mit ihrem 
Nehmen und Geben werden sie die Vermittler zwischen dem Ein¬ 
zelnen und der Bevölkerung, zwischen Kranken und Gesunden, 
werden sie zum Verbreiter von Seuchen in der Gemeinde. 

Das Vorgehen gegen den Unterleibstyphus wird grundsätz¬ 
lich stets nach 2 Richtungen hin geführt werden müssen: 1. Er¬ 
kennen und Festlegen des Einzelfalles mit Beseitigung der An- 



760 


Dr. Seydel. 


steckungsgefahr für andere Personen. 2. Sicherung der Seiten 
des öffentlichen Lebens gegen das Eindringen von Infektionskeimen, 
welche bez. der Typhnsgefahr anerkannt von massgebender Be¬ 
deutung sind. Die letztere Forderung wäre hinfällig, sobald es 
gelänge, der ersteren zu genügen. Solange dieses nicht geschieht, 
muss sie, selbständig für sich bestehend, als notwendig anerkannt 
werden. — Zur Erfüllung der ersteren Forderung bedarf es in 
reichem Masse des Entgegenkommens des behandelnden Arztes 
und der Einsicht des Publikums neben der Voraussetzung eines 
rechtzeitigen Eintretens des Arztes in die Behandlung. — Die 
zweite Aufgabe ist Sache der Sanitätspolizei. Die Trinkwasser¬ 
frage ist für diese lange Gegenstand eifriger Fürsorge in der Be¬ 
handlung des Unterleibstyphus; die Gefahren, welche der immer 
weiter um sich greifende Grossbetrieb genossenschaftlicher Milch¬ 
wirtschaften für die Allgemeinheit bez. der Typhusverbreitung 
bringt, lassen mit zunehmender Dringlichkeit den Ruf nach einem 
allgemein vorgeschriebenen Pasteurisierungsverfahren der ge¬ 
samten Gebrauchsmilch laut werden. Die vorstehenden Aus¬ 
führungen gehören in das Gebiet der Gefahr, welche sich aus der 
Verunreinigung von Flussläufen ergeben. Die Forderung nach 
Reinhaltung der Flüsse ist neuerdings in besonderer Weise aus¬ 
gesprochen. — Dem Schutze der Oeffentlichkeit gegen Typhus- 
gefahr möge Vorstehendes für sein kleines Teil dienstbar werden 
in der Gesundheitspflege neben den anerkannten Bestrebungen der 
Trinkwasserpflege und des Milchschutzes. 


Ueber Fischvergiftung. 

Von Prof. Dr. Seydel in Königsberg. 

Der Umstand, dass in dem Entwürfe zum neuen Seuchen¬ 
gesetze die Anzeige von Wurst-, Fisch- und Fleischvergiftung von 
den Aerzten verlangt wird, ebenso die Ausschreibung der St. 
Petersburger Akademie der Wissenschaften, welche einen höheren 
Preis auf die Erforschung der Fischvergiftung setzt, rechtfertigen 
nachstehende Mitteilung: 

In dem Städtchen Rh. im Reg.-Bez. Gumbinnen machte 
Dr. B. nachstehend beschriebene Beobachtung, die ich einer brief¬ 
lichen Mitteilung desselben entnehme. Am 11. September 1902, 
nachmittags 5 Uhr, wurde er in die Wohnung des Färbereibe¬ 
sitzers N. in Rh. gerufen und konstatierte folgenden Befund: 

Die Stieftochter des N. Frl. G., etwa 20 Jahre alt, von mehr als mittlerer 
KOrpergrOsBe, schlankem KOrperban und mftssig entwickelter Muskulatur, neigt 
eine wachsbleiche Farbe des Gesiebtes, die eingesunkenen Angen sind von 
dnnkeln Schattenringen umgeben, leichte Somnolenz vorhanden, ans der Pat. 
durch lautes Anreden erweckt, an gibt, sie fühle sieb sehr schwach, kOnne nicht 
deutlich sehen, leide an hochgradiger Uebelkeit und Brechneigung, ferner an 
Schmerzen im Halse und könne nicht schlucken. Die Hitteilung wird mit 
sehr schwacher, kaum vernehmbarer Stimme gemacht. Der Puls ist enorm 
beschleunigt, 130 in d. M., kaum fflhlbar. Beim Abziehen der scheinbar ge- 
lfthmten Lider erscheinen die Pupillen stark erweitert, ohne jede Beaktion auf 
Lichteinfall. Die Lippen trocken, *1er Mund geschlossen, lässt sich nur unvoll¬ 
kommen öffnen; Zungenrüeken gelblich bräunlich verfärbt; stattliche Abschnitte 



Sin deutsches geriehUfirztliches LeichenöffnongHverfabreD. ?3l 

wünscht, dass maß nach Öriesinvers Methode horizontal von 
vorn nach hinten mit den Knochen zugleich das Gehirn durchsägt. 
Nach Orths kompetentem Urteil erleidet das Gehirn hierbei nur 
geringe Verletzungen, in jedem Falle geringere als bei der anderen 
Methode, Vielleicht lässt man in den Obduzenten die 

Wahl zwischen beiden Methoden. 

Preussen und Wü.r11ernberg,. aowie die mit Preüssea 
übereinstimmenden Staate» haben »och folgende, auch für die Zu¬ 
kunft empfehlenswerte Bestimmungen über sonstige Unter* 
Stichlingen and Schliessung der geöffneten Leiche: 

Fr«aa»em: „§,26. Sonstige Uuteranchaitgoa. Seblioisallßb wird 
den Obdnaeaten »üt Pflicht gfensacht, auch alle, in dem Regalatiy nicht »ament- 
lieh aufgefhhrten Organe, falle eia an denselben Verletraogan oder sonstige 
Regelwidrigkeiten ßnden,zn nntownehen. 

§. 26, SchiicBHang der geöffneten Leiche. Dsr Oariohto* 
(Kreis*) WttndariU, V«iw. deär zngezogene «weite Arzt, hat die Verpflichtung, 
nach beendigter Obduktion and «ach der soweit als möglich erfolgten Beseiti* 
gung der Abgänge die kunstgerechte Schliessung der geöffnete» Körperhöblen 
«u bewirken.“ 

Württembergr „§, 32. Sohinas der Lolch anSriau 5 g. Ergebe» 
sieb bei der inneren und äosaereu Besichtigung Verleisnngen oder sonstige 
Veränderungen io Organen, welche im Vorstehenden nicht’ namentlich anfge- 
führt sind, so darf doch deren nSkere Beschreibung unter keinen Umständen 
unterlaesen werden. Der «weite Ar*t hat die 'Verpflichtung, nach .Beendigung 
der Protokoll - Aufnahme und der Abgabe des vorläufigen Gutachtens för die 
Beseitigung der Abgänge und die regelrechte Verschlieesung der Körperhöhlen 
su sorgen,“ 

Viftr kommen nunmehr zum dritte» Teil des geltenden Regu¬ 
lativs der 

Abfassung der ObduJfctionsprotokolle und des 
Obduktionsbericbts. 

Dieser Baöpt&bsehmU zerfällt noch zumeist in die Unterab¬ 
teilungen; 

1. Aufnahme des Gbdnktionsprotokolls, 

2. Einrichtung und Fassung des Protokolls, 

3. Vorläufiges Gutachten, 

4. Obduktionsbericht. 

Hierzu kommen noch in Preussen „Zusätzliche Erklärungen 
über Werkzeuge*. 

Allein Sachsen-Weit» ar-Eiseoach lässt einen derartigen. 
Hauptabschnitt vermissen und ersetzt ihn durch kurze Anweisungen 
unter 3. Ällgeöieiae Bestimmungen. 

Pre-uasen: 

»I 27. Aufnahme dor öhdnktjönsprotokolle. Ueber alles die 
Obdaktlon Betreffehdo wird *0 Ort find Stelle von dem Richter ein Protokoll 
aufgenomnien {Ohdnktiooeprotekoüp - 

Bes Phyiikas (Oeii^tsarat) hat, dafür zu sorgen, dass des technische 
Befand in alten «einen Tsiüeo, wie? er von dem Obd»^«# 
wörtlich in das l^otöfeoU *oilgehom®en werde. 

Der Richter ist zu «Machen, die» so geecb«; 

«chreibnng and, der Befund jedh» einaelnen Organa 
Untersnehnng eines folgenden geschritten wird.“ Wjj V T va-*-} j 

Das b äyr is ch b Und sä t h s i 8 c h e 
■wörtlich mit dem pr^ussiachen überein. 






732 Dr. Placsek: Bio deutsches gerichtsKrztliches Leichenöffnungsverfahren. 

Eine Sonderbestimmung mit eigener Fassung hat Württem¬ 
berg, dessen §. 83 „das Protokoll“ in seinem I. Teil lautet: 

„Das Protokoll wird während der änsaeren and inneren Besichtigung 
von dem Qerichtssohreiber nach den Angaben der Aerate niedergeschrieben. 
In der Begel soll Bofort nach Untersachang eines Organs auch die Schilderung 
des Erfandes su Papier gebracht werden. Jedenfalls ist es su vermeiden, eine 
längere Reihe von Beobachtungen vor dem Niederschreiben Zusammenkommen 
zu lassen. 

Der erste Arzt (Oberamtsarzt) hat dafttr zu sorgen, dass die Beschrei¬ 
bung aller Erfände wörtlich so aufgenommen wird, wie sie durch die Unter¬ 
suchung festgeBtellt wurden. Beide Aerzte können nicht dringend genug auf¬ 
gefordert werden, auch solche Funde, welche nach der gewöhnlichen ärztlichen 
Anschauung unbedeutend erscheinen, wie z. B. kleine Hautabschürfungen, Blut¬ 
unterlaufungen, kleine Fremdkörper u. dgl. so vollständig als möglich zu unter¬ 
suchen und su beschreiben. Denn nicht selten tritt im weiteren Verlaufe der 
gerichtlichen Untersuchung zu Tage, dass gerade sie von allergrösster Wichtig¬ 
keit sind. 

Das Protokoll wird also um so brauchbarer sein, je unverrückter es den 
gerichtlichen Zweck im Auge behält, und je eingehender, klarer und bündiger 
es die aufgefandenen Veränderungen im einzelnen beschreibt. 

Am allerwenigsten darf die Würdigung und Aufnahme der Funde vou 
irgend einer vorgefassten, durch äussere Umstände und Verhältnisse hervor* 
gerufenen Meinung über die Todesursache beeinflusst werden.“ 

Sachsen-Weimar-Ei 8 enach: 

㤠7. Ueber jede Leichenuntersnchung ist ein Protokoll aufsunehmen, 
in welchem das Wesentliche der Befunde in möglichst gemeinverständlichen 
Ausdrücken und in gehöriger Aufeinanderfolge wiederzugeben ist. Soweit als 
möglich sollen Messungen an die Stelle von Schätzungen treten, Urteile für 
das nach Schluss der Leichenschau bezw. Leichenöffnung abzugebende Out¬ 
achten aufgespart werden.“ 

Der preussische § 27 kann vorbildlich bleiben. Es bedarf 
nicht der übermässigen Ausführlichkeit des württembergischen 
§ 38, zumal die dort gegebenen besonderen Hinweise nur einen 
Teil der „Allgemeinen Bestimmungen“ wiederholen. Betreffs der 
Einrichtung und Fassung des Protokolls wünscht Preussen: 

㤠28. Der den technischen Befand ergebende Teil des Obduktions- 
Protokolls muss von dem Pbysikas (Geriohtsarzt) deutlich, bestimmt und auch 
dem Nichtarzt verständlich angegeben werden. Zu letzterem Zwecke sind 
namentlich bei der Bezeichnung der einzelnen Befunde fremde Kunstausdrücke, 
soweit es unbeschadet der Deutlichkeit möglich ist, zu vermeiden. 

Die beiden Hauptabteilungen — die äussere und innere Besichtigung — 
sind mit grossen Buchstaben (A und B), die Abschnitte über die Oeffnungen 
der Höhlen in der Reihenfolge, in welcher dieselben stattgefunden, mit römischen 
Zahlen (I, II), die der Brust- und Bauchhöhle aber unter einer Nummer zu 
bezeichnen. 

Die Befunde müssen überall in genauen Angaben des tatsächlich Beob¬ 
achteten, nicht in der Form von blossen Urteilen (z. B. „entzündet“, „brandig", 
„gesund“, „normal“, „Wunde“, Geschwür“ u. dergl.) zu Protokoll gegeben 
werden. Jedoch steht es den Obduzenten frei, falls es ihnen zur Deutlichkeit 
notwendig erscheint, der betreffenden Angabe des tatsächlich Beobachteten 
derartige Bezeichnungen in Klammern beizufügen. 

In jedem Falle muss eine Angabe über den Blutgehalt jedes einzelnen 
wichtigen Teiles und zwar auch hier eine kurze Beschreibung und nicht blos 
ein Urteil (z. B. „stark“, „mässig“, „ziemlich“, „sehr gerötet“, „blutreich*, 
„blutarm“) gegeben werden. Bei der Beschreibung sind der Reihe nach die 
GrOsse, die Gestalt, die Farbe und die Konsistenz der betreffenden Teile as- 
zugeben, bevor dieselben zerschnitten werden.“ 

Bayern: § 31 stimmt wörtlich überein, ebenso Baden, 
Mecklenburg-Schwerin, Anhalt, Braunschweig. 




Ueber Fischvergiftung. 


768 


noch ausserhalb derselben genossen worden. So blieb und bleibt 
auch jetzt nichts anderes übrig, als jenes Fischgericht tatsächlich 
der erwähnten schweren Folgen zu beschuldigen. 

Schreiber führt die Symptomatologie der Fischvergiftung 
nach Boehm und Husemann an und den Unterschied zwischen 
dem von ihm und den oben genannten Autoren beschriebenen 
Krankheitsbilde und die Aehnlichkeit desselben mit Botulismus. 
Dieselbe Ansicht vertritt Kobert in seinem Handbuche der In¬ 
toxikationen, 1893, S. 615 und 711; die Beschreibung des Krank¬ 
heitsbildes der Fischvergiftung und der Wurstvergiftung zeigt so 
viel ähnliches, dass man die eine Ursache nur nach Ausschluss 
der anderen als wahrscheinlich annehmen kann. 

Kobert nennt bekanntlich das Gift, das sich in den ver¬ 
dorbenen Nahrungsmitteln bildet, Ptomatropin und hebt die Aehn¬ 
lichkeit des Vergiftungsbildes mit Atropin und Skopolamin hervor. 

Welche Einflüsse auf das Fischfleisch einwirken, lässt sich 
nach den bisherigen Erfahrungen nicht mit Bestimmtheit sagen. 
Die einfache faulige Zersetzung des Fischfieisches, das bekanntlich 
sehr viel schneller, wie jede andere eiweisshaltige Substanz dazu 
neigt, genügt anscheinend nicht. In der Heimat der Fischver¬ 
giftungen, in Russland, werden faule, den übelsten Geruch ver¬ 
breitende Fische von den Iliaken und Tataren massenweise, 
ohne jeden Schaden genossen. In den in Ostprenssen beobachteten 
Fällen, wozu ein vor etwa 10 Jahren in Königsberg vorgekommener 
tödlich verlaufender bei einem jungen Manne zugezählt werden 
muss, sind es zweifellos Fische, die sonst ein absolut gesundes 
Nahrungsmittel bilden und nicht etwa giftige Fische, von denen 
Kobert 1. c. eine ganze Reihe aufzählt. Ob die Annahme von 
Ermenghems, dass ein besonderer Bacillus die Zersetzung her¬ 
beiführt, zutreffend ist, lässt sich bis jetzt nicht mit Sicherheit 
behaupten. Jedenfalls ist die Mitteilung von E. nicht weiter be¬ 
stätigt, aber auch nicht widerrufen. Auch die Untersuchungen 
von Siebers und Babes haben Klärung dieser Frage bis jetzt 
nicht gebracht. Die häufigste Entwickelung des Fischgiftes kann 
nach Kobert in Russland bei den zur Fastenzeit oft weithin 
versandten und mangelhaft konservierten Fischen beobachtet 
werden. Von Anrep konnte aus verdorbenem Störfleisch eine 
Menge dieses Ptomatropins hersteilen, das sich beim Tierexperiment 
in der oben ausgeführten Weise wirksam erwies. 

Für den diagnostischen Zweck wird man daran festhalten 
müssen, dass Gruppenerkrankungen, die mit heftiger Magendarm¬ 
reizung einsetzen, dann Erscheinungen der Lähmung im Gebiete 
des Oculomotorius und Glossopharyngeus erkennen lassen, die 
Wahrscheinlichkeit einer Fisch- oder Wurstvergiftung nahelegen. 
Sind konservierte Fleischwaren, die in Ostprenssen relativ selten 
Vergiftungen herbeiführen, da die Konservierung ziemlich sorgsam 
vorgenommen zu werden pflegt, ausgeschlossen, so hat man volle 
Veranlassung an Fischvergiftung zu denken, die um so wahr¬ 
scheinlicher wird, wenn es sich in der wärmeren Jahreszeit um 
ziemlich weit transportierte und dann nach ungenügendem Kochen 



784. 


Kleinere Mitteilungen and Beiernte nai Zeitschriften. 


Bewusstsein wieder. Unter Mazkelzuckangen, Entleerung schwarzer Stuhle 
trat nach 4 Tagen Heilung ein. Das Aderlansblut aeigte nach Bednktion im 
Spektroskop nur das Haemoglobinband. 

Im s weiten Falle, ebenfalls einem Selbstmordversuch, trat nach 24 Standen 
der Tod ein. Aach hier gab das bei der Antopsie geronnene Blut kein Kohlen- 
oxydhlmoglobinspektrnm mehr. Anch die chemische Analyse der Blntgase 
ergab nnr wenige Kubikzentimeter durch Cu» CI» absorbierbaren Gases. 

Im dritten Falle handelte es sich nm eine gewerbliche Vergiftung. Im 
Min 1903 wurde ein Hüttenarbeiter in einem Gewölbe tot anfgefunden, in 
welches er vor einer Viertelstunde eingetreten war and wo sich Hochofengase 
angesammelt hatten. Gewebe and Organe waren noch mit giftigem Gase ge¬ 
sättigt; es zeigte das flüssige Blut CO - Haemoglobinspektrnm. Die Hg-Pampe 
extrahierte aus dem Blate ein Gas, das zum grossen Teile ans C0> bestand. 
In 100 ccm Blut waren 61,79 ccm Gas enthalten, das zu 12,66 ccm ans CO, 
zn 0,96 ans 0 bestand. Der Best war CO t. 

In Fall 4 war ein Arbeiter einer Gasfabrik damit beschäftigt, glühende, 
der Betörte entnommene Koaks mit Wasser zn löschen. Er fiel nieder, kam 
vorübergehend zu sich, sprach von seiner Frau, klagte Ober Uebelsein, Schmers 
in der Magengrube and starb nach einer Viertelstande. 

Die Leiche zeigte charakteristische rote Flecke, der übrige Befand, die 
Art des Unfalles sprach für CO-Vergiftung; trotzdem war die spektroskopische 
Prüfung and die chemische Analyse des der Vena cava entnommenen Blutes 
negativ. 

Es ergibt sich ans dem Gesagten eine Bestätigung der bekannten Tat¬ 
sache, dass, selbst wenn der Tod der CO - Vergiftung rasch gefolgt ist, der 
chemische Naohweis der Vergiftung nicht zn gelingen braucht. 

Dr. Mayer-Simmern. 


Vergiftnngeerscheinnngen nach Aspirin. Von Dr. Franke, prakt. 
Arzt in Bad Harzbarg. Münchener med. Wochenschrift; 1903, Nr. 80. 

Verfasser nahm, weil er Schmerzen in den Waden verspürte and sieh 
unpässlich fühlte, 1 g Aspirin, nachdem er etwa 20 Minuten vorher ohne 
nassen Appetit zu Abend etwas Leberwurst und einige Appetit-Sylt aas einer 
Irisch angebrochenen Büchse verspeist und eine Tasse Tee dazu getrunken hatte. 

Höchstens */« Stunde später schwoll die linke Oberlippe an; Verfasser 
bekam Schluckbesch werden, Würgen im Halse, Atmungsbeschleunigung. Dieser 
Zustand verschlimmerte sich von Minute zu Minute, die Sohwellnng wurde 
stärker, ging über das ganze Gesicht hinweg, besonders Lippen, Augen und 
Wangen wurden gerötet und zwar so schnell, wie Verfasser es nie gesehen 
und sich ebensowenig erinnerte, je davon gelesen zu haben. 

Die Pulsfrequenz steigerte sich auf 160! Die Temperatur, leider nicht 

£ 9 messen, hatte sicher eine enorme Höhe erreicht. Nach Applikation einer 
isblase auf den Kopf und Eisumschlägen um die Stirn, Versehlneken von Eis- 
stflckchen und Trinken von mehreren Eierweiss in kurzen Intervallen besserten 
sich die Schlack- und Würgbewegungen. Etwa 20 Minuten später spürte Ver¬ 
fasser die Abkühlung des Kopfes; es Hessen allmählich die Beschwerden nach, 
bis plötzlich auf dem ganzen Körper, besonders aber auf Handrücken, Hals und 
Fass ein quadelartiger, juckender, etwa linsen- bis bohnengroeser, erhabener 
Ausschlag entstand. 

Mit Eintritt dieses neuen, fast blitzartig entstandenen Symptoms Hessen 
die Beschwerden merklich nach und besserte sich der Zustand 1 Stunde später 
derart, dass Verfasser wieder zu einem Patienten gehen konnte. Bald darauf 
legte er sich zu Bett, kam bald in starke Transpiration, Jackgefühl und Aus¬ 
schlag verschwanden, so dass Verfasser am anderen Morgen seine Praxis wieder 
versehen konnte, da er ausser einem m&asigen Spannungsgefühle und leichter 
Schwellung an den Lippen, dem Unken Auge und der linken Backe nicht die 
geringsten Beschwerden mehr hatte. Puls und Appetit normal; am daraaf- 
folgenden Tage völlige Wiederherstellung. 

Verfasser meint, dass im Magen eine chemische Zersetzung der dort 
anfeinander platzenden Säuren stattgefunden hat, eine Phenol Verbündung frei 
geworden und diese sofort resorbiert worden ist. Die Urinuntersuchung ergab 
"ämlioh grosse Mengen PhenoL 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


786 


Bin« Fleischvergiftung allein kann, abgesehen von den Phandbefunde 
in Urin, derartige 8jmptone nicht hervorrufen; auch müssten dann 2 andern 
Hauamitglieder, welche von den Fischen genossen, ebenfalls erkrankt sein. 

Eine Wirkung des Aspirins allein schliesst Verfasser deswegen aas, weil 




vertragen hat. 

Schliesslich erwähnt Verfasser noch, dass Otto und Meyer in der 
Deutschen ned. Wochenschrift, 1903, S. 123 und 124, Uber Nebenwirkungen 
nach den Gebrauche tou Aspirin in der Form Ton Odem&tOsen Schwellungen, 
besonders der Augenlider, Kopfhaut etc. berichteten. In beiden Fällen seien 
die Erscheinungen am nächsten Tage geschwunden. 

_Dr. Waibel-Kempten. 

Vier Fälle von innerer Lyaol Vergiftung. Aus der inneren Abteilung 
des Krankenhauses Bethanien su Berlin (dir. Arst Prof. Dr. Zinn). Von Dr. 
Liepelt, Assistenzarzt. Berl. klia. Wochenschrift; Nr. 25, 1903. 

Zu den bisher in der Literatur mitgeteilten 37 VergiftungsfIllen fügt 
Liepelt noch 4 in selbstmörderischer Absicht entstandene hinzu, die in 
Bethanien beobachtet wurden. Sie genasen, obwohl die grösste genommene 
Menge unveränderten Lysols 100 gr betrug und trotzdem in 2 Fällen tiefes 
(Joma vorlag. Wichtig ist in der Therapie der inneren Lysolvergifiung die 
aasgiebige MagenausspOlung mit Wasser, die solange fortzusetzen ist, bis das 
Spülwasser (in einem Fall 26 Liter) klar zurtlckkommt. Weil das Lysol vom 
Magen nur langsam resorbiert wird, hat eine Magenaussptilung noch nach 
Stunden nach der Vergiftung Erfolg; eine Unterlassung einer solchen wäre als 
Kunstfehler su betrachten. Ausserdem muss die sinkende Herzkraft durch 
kräftigende Mittel (Katapher) behoben werden. Im Handverkauf sollte Lysol 
nur in Verdünnungen, reines Lysol nur in eckigen Flaschen mit dem Gift* 
seichen abgegeben werden. Verfasser fährt die bisher veröffentlichten Fälle 
mit aut Der Eintritt des Todes infolge Uteruespölnngen mit 1°/« Lysol- 
lösong bei einer Wöchnerin hat sur Empfehlung von Spülnngen mit niedriger 
Konsentration (*/* °/o) und bei geringem Druck geführt. 

_ Dr. Bä über-Düsseldorf. 

Eta Full Ton Lysol Vergiftung. Von Dr. Schwarz ln Nestomita. 
Prager medisinieehe Woehenschrift; Nr. 27, 1908. 

Im Anschluss an die in dieser Zeitschrift (Heft 15, 1903, S. 558) bereits 
besprochene Arbeit Hammers Ober „Lysolvjrgiftnng“ bespricht Verfasser einen 
Fall aus seiner Praxis. Ein 47 jähriger, vollkommen gesunder Fabrikarbeiter 
trank aus Versehen einen „Schluck" konzentriertes käufliches Lysol aus einer 
Weinflasche. Er trank sofort etwas Milch nach, doch etwa wenige Augenblicke 
später begann er zu taumeln. Eine halbe Stunde darauf fand Schwarz den 
Patienten somnolent, jedoch auf Fragen träge reagierend. 15 Minuten später 
lag er völlig bewusstlos im Bette, das Gesteht war blaes, die Coojnnktiva 
gerOtet, Kornealreflex vorhanden, Papillen mittelweit, Pols mässig beschleunigt, 
regelmässig, Atmung laut schnarchend. Die mit 12—15 Liter vorgenommene 
Magenausspttlung forderte die charakteristisch grau gefärbte LysollOsnng zu 
Tage. Eine halbe Stunde darauf erwachte Patient aus dem somnoleuten Zu¬ 
stande und klagte über brennende Schmerzen im Mond und Magen. Patient 
hatta für dae Vorgegaageoe eine völlige Erinnerungalozigkeit. Im Harne 
neigte Mob weder Phenol, noch Eiweiss. Dr. Glogowski-GörUts. 

Neekmab Shoek und der Shoektod, speziell neck Kontusionen 
den Bauche«. Von Dr. med. P. Seliger, Kreiswundarzt z. D. in Schmiede¬ 
feld, Kreis Sehleusingen. Prager mediz. Wochenschrift; 1903, Nr. 32. 

Wir haben in Nr. 9, Jahrg. 1901 und Nr. 18, J&hrg. 1902 über Ver¬ 
fassers Arbeiten über das in der Ueberschrift genannte Thema berichtet. An 
der Hand von 14 Abhandlungen anderer Autoren, die nachträglich erschienen 
stad, hält er seine Ansichten für bewiesen und fordert die Kollegen auf, ihm 
einschlägige Fälle behufs Sammeiforsehong zugehen sn lassen. 

_ Dr. G log owski-GOrlitz. 


786 Kleinere Mitteilungen und Befer&te aus Zeitschriften. 

Fragliche Todesursache im Säuglingsalter. (Tod durch Thymus- 
drttsenhyperplasie?) Von Prof. Dr. Leubuscher, Beg.- u. Med.-Bat in 
Meiningen. Mttnchener mediz. Wochenschr.; 1908, Nr. 28. 

Nach dem Tode eines 8 Tage alten Kindes einer ledigen Person ent¬ 
standen allerlei Gerttohte, dass der Tod nicht auf natürliche Weise erfolgte. 
Die deshalb vorgenommene Sektion des Kindes ergab nirgends Spuren äusserer 
Gewalt und unter anderem neben deutlichen Erscheinungen des Erstickungs¬ 
todes (dünnflüssiger Beschaffenheit des Blutes, Ueberfülluug der Lungen mit 
Blut, namentlich des rechten Mittellappens, Ueberfüllung des rechten Hersens 
mit Blut, flohstiohartigen Blutaustritten unter die Pleura beider Lungen uni 
kleinen Blutaustritten auf die Knochenhaut des Schädels) eine ziemlich grosse 
Thymusdrüse, welche 5 cm breit, 5 1 /« cm lang, 1 cm dick nach Eröffnung der 
Brusthöhle dieselbe mit dem Herz grösstenteils ausfüllte. Bei der Frage, wo¬ 
durch die zweifellos bei dem Kinde nachweisbare Erstickung zustande ge¬ 
kommen sei, war immerhin die seitens des Arztes nicht zu entscheidende Mög¬ 
lichkeit zu erwägen, dass die Bespirationsöffnungen durch das Bedecken mit 
weichen Gegenständen (Tüchern, Betton u. s. w.) verschlossen worden seien. 
Nachdem aber die Untersuchung nicht den geringsten Anhaltspunkt für ein 
Verschulden der Angehörigen ergeben hat, blieb für den Erstickungstod des 
Kindes alB Ursache noch ein Befund übrig, d. i. der Nachweis einer exzessiv 
grossen Thymusdrüse. 

Dass die Vergrösserung der Thymusdrüse mit einem plötzlichen Tode, 
namentlich bei kleineren Kindern, in Zusammenhang zu bringen ist, lässt sieh 
wohl heute nicht mehr in Abrede stellen. Bei einer Anzahl von Kindern fand 
man eine direkt durch den Druck der grossen Thymusdrüse verursachte Platt- 
drückung der Luftröhre. Post mortem lässt sich meistens die hyperplastische 
Drüse, nicht aber die akute, den tödlichen Druck verursachende Blutstauung 
in der Thymusdrüse nachweisen. Diese Stauung kann mitunter Bchon durch 
eine abnorme, nach hinten stark übergeneigte Stellung des Kopfes, die einmal 
den Baum der oberen Brustapertur durch Nachvornetreten der Halswirbelsäule 
nooh mehr verringert, weiter aber auch eine venöse Blutüberfüllung der Hals¬ 
venen und damit eine Stauung in der Thymusdrüse zustande bringt, veranlasst 
werden. Dass ein Spasmus glottidis bei gleichzeitig vorhandener Thymusdrüsen- 
hypertrophie auch gerade nach dieser Bichtung hin wirken kann, ist zweifellos 
und damit würde auch bei Annahme eines Spasmus glottidis jedenfalls die 
Vergrösserung der Thymusdrüse das unterstützende Moment für den Eintritt 
des Todes bilden. 

ln dem vorliegenden Falle fehlten alle Zeichen von Bhachitis. Ebenso 
fehlten alle Zeichen eines allgemeinen lymphathischen Status oder einer anderen, 
den Tod erklärenden Krankheit, weshalb Verfasser berechtigt zu sein glaubt, 
den Todesfall als durch Thymusdrüsenhyperplasie verursacht anzusehen. Mög¬ 
licherweise hat das Kind im Bette mit nach hinten übergebeugtem Kopfe ge¬ 
legen and war hierdurch eine Ursache einer plötzlichen Stauung und Schwellung 
der ohnehin grossen Drüse gegeben. Dr. Waibei-Kempten. 


Ueber Todesursachen bei Neugeborenen und gleich nach der Ge¬ 
burt mit Rücksicht auf ihre forensische Bedeutung. Aus der Universitäts- 
Frauenklinik zu Würzburg. Von M. Hofmeier. Münchener med. Wochen¬ 
schrift; 1908, Nr. 85. 

Verfasser berichtet über einige unter ärztlicher Aufsicht verlaufene Fälle 
von unerwartetem und zunächst unerklärtem Tode bei scheinbar ganz gesunden 
nnd kräftig entwickelten Kindern gleich nach und kurz vor der Geburt. 

Der erste Fall betrifft die Geburt eineB ausgetragenen, spontan geborenen 
Kindes, welches sich lebhaft bewegte, laut schrie, 8800 g schwer war, nach 
einigen Minuten oberflächlich und dann bald nicht mehr atmete, so dass trotz 
aller angewandten Mittel nach */* Stunde Exitus erfolgte. 

Kind und Fruchtwasser zeigten penetranten Geruch. Die Sektion erklärte 
den unerwarteten Tod in keiner Weise (Lungen marmoriert, nicht voll ent¬ 
faltet, von ziemlich derber Konsistenz, mässigem Blutgehalt; dieselben 
schwammen im ganzen und in einzelnen Stücken; Leber und Mil« nor¬ 
mal). Bei mikroskopischer Untersuchung von Hers, Lunge und Leber fanden 
’ch Veränderungen in der Form von degenerativ veränderter, körnig getrübter, 



Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften. 


787 


die Qaerstreifong nicht erkennenlassender Herannskalatnr, interstitiellen 
Bindegewebswncherangen nnd teilweise desqnamierten Alveolenepithels in den 
Langen, trüber Schwellang der Leberzellen and m&ssiger Bindegewebsentwicke- 
lang in der Leber. 

Beim Fehlen jeder anderen Erklärung musste man den anerwarteten 
Tod des Kindes anf diese mikroskopischen Veränderungen snrückführen and so 
erklären, dass Hers and Lange trots ihrer scheinbar gans normalen Beschaffen¬ 
heit nicht im stände waren, den Ansprüchen der extraaterinen Atmung sa ge¬ 
nügen and deshalb sehr schnell versagten. 

Betreffs der Ursaohe dieser anatomischen Veränderungen kam man gleich¬ 
falls nicht über Vermutungen hinaus. 

ln einem sweiten Falle waren die Herztöne des Kindes während der 
14 Stunden dauernden Qeburt sehr wechselnd, 10 Minuten vor der Gebart 
regelmässig (140—150). Bei der Geburt Herzschlag völlig erloschen, keine 
spontane Atembewegung, längere Zeit künstliche BeBpiration. 

Sektion: Kind vollkommen normal, frischtot, 2800 g schwer; Langen 
dankeifarbig mit einzelnen hellroten Flecken, in toto schwimmend; sonst nichts 
Besonderes. Die mikroskopische Untersuchung zeigte fettige Degeneration der 
Herzmuskulatur; die Septa der Lungenalveolen stark verdickt, in der Leber 
interlobuläre Herde mit Infiltration. 

Placenta 550 g schwer, ziemlich derb, mit weisser Sprenkelung; mikro¬ 
skopisch: Gefässe, zum Teil mit Blut gefüllt, dicke Wandangen zeigend, die 
Arterien zum Teil vollkommen obliteriert. 

Wenn man hier absieht von dem geringen, durch künstliche Bespiration 
in die Lungen gebrachten Luftgehalt, der selbstverständlich nach einer heim¬ 
lichen Geburt nicht vorhanden gewesen wäre, so würde in diesem Falle bei 
der forensen Beurteilung einer solchen Leiche die Sache ja insofern anders 
liegen, als eben alle Zeichen eines Lebens nach der Geburt gefehlt hätten, nnd 
damit der Beweis, dass hier ein bereits post partum lebendes Kind getütet 
sein könnte, nicht zu führen gewesen wäre. Die Möglichkeit besteht aber doch, 
dass auch in solchen Fällen ein Kindsmord ausgeführt sein könnte, wenngleich 
die Ausführung in dieser Weise eine Ueberlegung und ein Baffinement bei der 
betr. Matter voraassetzen würde, das bei einer jungen und unerfahrenen Erst¬ 
gebärenden sicherlich nicht vorhanden ist. Trotzdem ist es für den Gerichts¬ 
arzt sehr schwierig, in solchen Fällen zu erklären, warum bei augenscheinlich 
leiohter und normaler Geburt ein normal gebildetes Kind tot geboren sein soll, 
nnd man wird stets versucht sein, bei derartigen heimlichen Geburten an eine 
Absicht der Mutter, ihr Kind zu töten, zu glauben. Zur Erklärung des Ab¬ 
sterbens der Kinder unter solchen Umständen während der Geburt, muss in 
erster Linie auf die histologische Untersuchung der Placenta zurückgegangen 
werden, weloho dann nicht selten endo- und periarteriitische Prozesse anf- 
weisen lässt. 

Solche Gefässveränderungen zeigt auch die Placenta im vorliegenden Fall; 
es bleibt daher kaum eine andere Erklärung für den ganz unerwartet eingetre¬ 
tenen Tod des Kindes, als die durch diese Erkrankungen hervorgerufenen fötalen 
Zirkulations- oder Bespirationsstörungen. 

Es folgt daraus für gerichtsärztliche Fälle, wie sehr zur völligen kau¬ 
salen Aufklärung die Untersuchung der Placenta nötig ist, ohne welche man 
ein bestimmtes Urteil nicht formulieren kann. 

Bei einem dritten Falle gab auch die Untersuchung der Placenta keinen 
sicheren Aufschluss über die Todesursache des Kindes: 

Nach 12 ständiger Geburtsdauer erfolgte Geburt eines toten, 4000 g 
schweren Kindes, keine Zeichen vorzeitiger Plazentarlösung. Lungen voll¬ 
kommen luftleer, die übrigen Organe normal, keine Zeichen von Lues, in der 
Trachea und den Bronchien überall Meconium. Herzmuskel fettig degeneriert 
mit Aufhebung der Qaerstreifong; die Placenta zeigte eine bedeutende Hyper¬ 
trophie der Decidua, starke Gefässfüllong, sonst keine Veränderung. 

Der Nachweis von Meconium in Trachea nnd Bronchien beweist die in¬ 
trauterine Inspiration des Kindes, deren Grund unklar bleibt, da von einer 
etwa eingetretenen vorzeitigen Plazentarlösung nichts zu bemerken war, eine 
direkte Schädigung des Kindes natürlieh gleichfalls ausgeschlossen war and 
Plazentarveränderungen der eben genannten Art gleichfalls nicht vorhanden waren. 



788 


Kleinere Mitteilungen und Beiente ft tu Zeitschriften. 


Eine befriedigende Erklärung Über den möglicherweise auch nicht ifltra 
partum erfolgten Tod war also auch durch die Untersuchung der Plaoenta nicht 
su finden. 

Solche sichere Beobachtungen beweisen aber immer- wieder von neuem, 
wie vorsichtig man bei der Beurteilung der forensen Begutachtung sein mnss, 
wenn man nicht den unglücklichen Müttern einmal bitter unrecht tan will, h 

_ Dr. Waibei-Kempten. 


Fett, Glykogen nnd Zellent&tigkeit der Leber des Neugeborenen. 
Von L. Natlan-Larrier. Comptes rendus de la soci6t6 de biologie; 1908, 
Bd. 66, S. 886. 

Die Frage des Glykogengehaltes der Leber ist nach den Arbeiten von 
Laeassagne und Martin, von Modioa, L. Wachholz u. a. von 
gerichtsärztl icher Bedeutung. 

Die mikroskopischen Untersuchungen des Autors an der Leber des neu* 
geborenen Menschen und neugeborener Nagetiere ergaben nun das Resultat, 
dass die normale Leber des Neugeborenen Fett und Glykogen 
enthtlt. Beide Substanzen zeigen insofern ein charakteristisches Verhalten, 
als das Fett in der Umgebung der afferenten, das Glykogen in der der efferenten 
Wege sich hauptsächlich findet. 

Da sich die Zellen in lebhafter Tätigkeit befinden, handelt es sich sicht 
um ein einfaches Aufspeicbern dieser Stoffe; es muss angenommen werden, 
dass das Fett zunächst in Glykogen, dann in Zucker umgesetzt wird Und zur 
Ernährung und Wärmebildung des Neugeborenen beiträgt. 

(Leider ist nicht angegeben, welches die Todesursachen der Neugeborenen 
waren, an deren Leber die Untersuchungen angestellt wurden.) 

_ Dr. Mayer-Simmera. 


Ueber den Meobanismns des Todes infolge von Lnfteintritt in die 
Venen. Embolien der Koronargef&sse. Von Ch. A. Fran$ois-Franck. 
Ans dem physiol.-pathol. Universitäts-Laboratorium, Paris. Comptes rendus 
de la soo. de biol.; 1903, Nr. 25, S. 960. 

Mit Hilfe einer eigenartigen, vom Verfasser ansgebildeten Methode der 
Momentphotographie gelang es ihm, an Tieren die einzelnen Phasen der Ver¬ 
änderungen im Gefässsystem nach Eintritt von Luft in die Venen genauer als 
es bisher bekannt war, darzustellen. 

In kleinen Quantitäten in die Venen eingedrungene Lnft 

S assiert dieselben in den meisten Fällen ohne Schaden, es sei denn, dass 
ie Luft in besonders intolerante Organe, wie ins Hirn oder ins Hers gelangt 
Wird dagegen eine bedeutendere Menge in die Venen angesogen 
oder unter Druck in dieselben injiziert, so sammelt sie sich zuerst im rechten 
Atrium und im rechten Ventrikel an, dehnt diese aus und gelangt von da in 
die Art. pulmonales; zum Teil aber auch geht sie in die Venen zurück. 

Dieser letztere Anteil kann ins Zentralnervensystem gelangen und sich 
in den feinsten Netzen der Gehirn- und Rackenmarksvenen fangen. Die übrige 
dem Blut beigemengte Luft tritt zum Teil in die Venae coronariae cordis ein, 
deren Vorhofmündungen erweitert sind. In diesen Venen geschieht die Fort¬ 
bewegung der Luftblasen unter dem Einflüsse der perikardialen Aspiration. 

In den Lungenkapillaren findet keine Behinderung für die dem 
Blute beigemischte Lnft statt, ein Beweis, dass der Tod von Menschen und 
Tieren nioht auf einer mechanischen Behinderung der Atmung 
beruht. 

Nachdem Luft- und Blntmassen die Lunge passiert haben, treten sie inn 
linke Hers ein, gelangen in die Aorta und von da in die verschiedenen 
arteriellen Gefässgebiete. Besonders wichtig ist die Verteilung im Karotiden- 
und Vertebralesgebiete einerseits, in den AA coronariae cordis anderseits. 

Die akute Anaemie des Zentralnervensystems wird bedingt durch ein 
Eindringen schaumigen Blutes in die feinsten Sohlagaderverzweigungen desselben. 

Der Tod aber tritt ein durch eine Luftembolie der Koro¬ 
nararterien. Stossweise entleert sich mit Luft gemengtes Blut in diese 
Gefässe, während sieh gleichseitig auch die Koronarvenen mit Luftblasen 
füllen. Das Hers stirbt .infolge Absperrung des Blutsuflusses^snm Myokard. 



Kleinere Mitteilungen ul Referate ui Zcischriften. 


780 


(Die Frage der Luftembolie ist jüngst in der Arbeit Stnelps [Viertel- 
jahrssch. f. ger. Medisin; 1903, Snpplh. 1] snsammenfassend besprochen worden. 
Die Versnobe des Antors geben eine anoh gerichtsftrstlieh wichtige Brglnsnng 
sn jener Darstellnng.) _ Dr. Mayer-Simmern. 


Der Nachweis individueller Blutdifferenzen. Von Dr. Wolfgang 
Weichardt, Assistent am hygienischen Institut der UniversitBt Berlin. 
Hygienische Bnndschan; 1903, Nr. 15. 

Die Spezifizität der durch Injektion gewonnenen Blutdiagnosensera kann 
dureh Absorption der heterologen Bestandteile erhöht werden. 1 ) Verfasser 
stellte Pferdeblutdiagnosensera her, mittels deren er im stände war, zwischen 
mehreren Pferdeblutsorten sichere diagnostische Unterschiede festzustellen. *) 
Nach diesen ermutigenden Vorversuchen legte Verfasser zunächst eine von 
bestimmten Gesichtspunkten ausgehende Methodik des biologischen Blutnach- 
weises fest, mit Hilfe dessen nicht nur die sichere diagnostische Unterscheidung 
von Blnt nahestehender Arten, wie das vom Menschen und Affen, sondern 
auch von dem zweier menschlicher Individuen gelingt. 

Da ferner Verfasser mittels 4 maliger Injektion von Leichenblnt A. 
binnen 8 Tagen ein Kaninchenserum erzielen konnte, mit dem nach Absorption 
der heterologen Bestandteile ein ganz deutlicher Unterschied festzustellen war 
zwischen dem Blnt der Leichen A. und B., so ist auch zu erwarten, dass die 
Gerichtsärste in forensischen Fällen mit Hilfe dieser Methode event. das Blnt 
eines Gemordeten zu diagnostizieren im stände sein werden. 

Deshalb dürfte es sich empfehlen, bei betreff, gerichtlichen Sektionen 
ea. 50 ccm Blnt sn asservieren und mit Phenol zu versetzen, damit event. ein 
für das Blnt des Gemordeten spezifisches Kaninchenserum gewonnen werden kann. 

_ (Antoref.) 


Ueber Röntgenstrahlen in gerichtlich • medizinischer Beziehung. 
Von Dr.Troeger. Friedreichs Blätter f. gerichtl. Medizin; 1903,Heft IV. 

Die Epiphysenbildnng der einzehen Knochen und abnorm vorkommende 
Knochen muss der Gerichtsarzt genau kennen, da er sonst normale Röntgen¬ 
bilder als anormale bezeichnen kann. Bei Brüchen, Verrenkungen nnd ihren 
Folgen am Knochengerüst gibt das Röntgen-Verfahren den besten und 
sichersten Aufschluss. Manche Brüche und Risse im Knochen sind häufig nur 
mit Hilfe der Röntgen - Strahlen zu erkennen. Die Röntgen - Strahlen sind am 
Knochengerüst, ausgenommen Kopf und Wirbelsäule, da sie hier noch der er¬ 
forderlichen Sicherheit ermangeln, ein gerichtsärztliches Postulat. Ein ge¬ 
richtsärztliches Postulat sind die Röntgen-Strahlen auch bei in den mensch¬ 
lichen Körper eingedrungenen Fremdkörpern, da dieselben in allen Körper¬ 
gegenden und Körperhöhlen nacbgewiesen werden können, wenn sie mit Rücksicht 
auf ihre Grösse und Konsistenz überhaupt einen Schatten geben. Wenn 
auch zugegeben werden muss, dass bei manchen inneren Krankheiten das 
Röntgen-Verfahren den alten klinischen Methoden in der exakten Diagnosen- 
Stellung überlegen ist, so kann es jedoch, mit Rücksicht auf die der Röntgen- 
Methode noch anhaftende Mangelhaftigkeit, ein gerichtsärztliches Postulat 
nieht sein. Ueber die Lebensfähigkeit eines neugeborenen Kindes und darüber, 
ob ein Foetus in oder nach der Gebuit geatmet habe, sowie Über etwa be¬ 
stehende Schwangerschaft gibt das Röntgen-Verfahren bis jetzt keine gerichts¬ 
ärztlich verwertbaren Aufschlüsse. Bei einigen Hautkrankheiten ist die 
Röntgen-Therapie als die beste anzuerkennen. Nicht zum geringsten bängt 
das Urteil über den diagnostischen etc. Wert einer Röntgen • Untersuchung 
davon ab, wer die Untersuchung vorgenommen hat, da nnr ein mit dem 

Ä i- Verfahren seit Jahren auf das genaueste vertranter Untersnchpr be- 
ist, ein massgebendes Urteil abzugeben. Dr. Rump. 


Ueber angeborenen Mangel der Schlüsselbeine. Von Privatdosent 
Dr. Gross, Oberarzt der medizinischen Klinik in Kiel. Münchener medizin. 
Wochenschrift; 1903, Nr. 37. 


’) Conf. Zeitschrift für Medizinalbeamte; 1902, Nr. 20. 

') Münchener med. Wochenschrift.; 1903, Nr. 25, S. 1077. 



740 


Ildn w Mitteflungea nd Referate aus Mti e tiita. 


Missbildungen an des Gttrtelzonen kommen relativ bbt selten mi ärzt¬ 
lichen Kenntnis and sind speziell Aber isolierten Sdüüsselbeinmnngel knam Aber 
30 Fälle bekannt. Da die daraus sich ergebenden Funktionsstörungen billig 
zieht bedeutend sind, fAhrt meistens eine zufällige and beliebige anderweitige 
Untersuchung der Patienten sar Kenntnis dieses Defektes. 

Verfasser berichtet Aber einen derartigen Fall, bei dem die eigentüm¬ 
liche Haitang des 12jibrigen Mädchens auffiel. Es fehlte die normalerweise 
scharfe Grenze der beiden Schlfisselbeingrnben and die Akromion sprangen 
stark hervor. 

Unwillkürlich gelang es bei der Abtastung die »lösen* Oberarmköpfe 
fest vollkommen einander za nähern, so dass sie sieh oberhalb des Brustbein* 
sehaftes berührten. Aktiv konnte das Kind die dentlicbst voispringenden Ober- 
armköpfe, deren Entfernung bei bequemer Haltung 18 cm betrag, auf 7 cm 
rase mmenbringen. Ebenso Hessen sich die »Schaltern* nach abnorm weit nach 
hinten verlagern etc. etc. 

Bei der genaueren Betastung ergab sich, dass die Schlüsselbeine in ihrem 
lateralen Teile völlig fehlten, während medial sich an das Manabriom Storni 
beiderseits 2 cm lange, frei endigende Stümpfe ansetsten. Ausserdem war der 
Brustkorb des Kindes missgestaltet — eine starke Hühnerbrust mit terrassen¬ 
förmig hervortretendem Brustbein und starker Abknickung der Bippen nahe 
der Knorpelknochengrenze. An den inneren Organen war nichts besonderes zu 
konstatieren. 

In ätiologischer Beziehung scheint es dem Verfasser am wahrschein¬ 
lichsten, dam mit Rücksicht auf die bei dem Mädchen deutlich zu konstatie¬ 
renden Entwickelongsstörungen: mangelhaftes Längenwachstum, Störungen der 
Zahnentwickelung, Anomalien am Gaumen und Schädel —, es sich bei dem 
S ch lüsselbeinmangel im vorliegenden Falle um eine wahre Hemmungsbildung 
handelt. _ Dr. Waibei-Kempten. 


Haftpflicht des Arztes bei fahrlässiger Ausstellung eines Zeug¬ 
nisses. Urteil des englischen Appellgerichtshofes. Public Health; 1903, S. 408. 

Eine Näherin, die mit ihrer Tochter in H. lebte, liess wegen der 
Erkrankung der Tochter einen Arzt rufen. Dieser stellte die irrtümliche 
Diagnose, es liege ein Fall von Pocken vor. Er sog den zuständigen Medi¬ 
zinal beamten zu. Um diesen, der die Diagnose anscheinend auch nicht richtig 
gestellt hat, in stand zu setzen, eine UeberfAhrung ins Krankenhaus zu bean¬ 
tragen, bescheinigte der Arzt auch schriftlich, dass es sich um einen Fall von 
Pocken handle. Das Kind wurde ins Krankenhaus gebracht, nach 4 Tagen 
aber entlassen, da es tatsächlich keine Variola hatte. 

Die Matter klagte nun gegen den Arzt, da infolge der falschen Diagnose 
ihr Geschäft Schaden gelitten habe. 

Sie wurde in der ersten Instanz abgewiesen, da einerseits die Klage 
unberechtigt sei, anderseits das »Gesetz zum Schatze der Beamten* von 1893 
einen Prozess gegen den Arzt unmöglich mache. Das Berufungsgericht aber 

f ab zu, dass der Arzt unrichtig gehandelt und die Bescheinigung 
ahrlässig ausgestellt habe; der Arzt sei also haftpflichtig und das An¬ 
strengen des Zivilprozesses gegen ihn sei berechtigt. 

(Der Fall ist für uns schon aus dem Grunde von Interesse, weil er eine 
bemerkenswerte Ergänznng zu einer Arbeit von Biberfeld: »Fälle ärztlicher 
Schadenersatzpflicht*, diese Zeitschrift 1898, S. 723, 763, darbietet; umsomehr 
als in jener Arbeit die Frage vom Standpunkte des Bürgerlichen Gesetzbuches 
und auch des französischen Rechtes, nicht aber des englischen Rechtes be¬ 
sprochen ist. Ref.) _ Dr. Mayer-Simmern. 


Ueber Störungen des Erwachens. Von a. o. Prof. Dr.H. Pfister, 
L Assistenzarzt der psychiatrischen Klinik Freiburg i. B. Berliner klinische 
Wochenschrift; 1903, Nr. 17. 

Unter gewöhnlichen Verhältnissen wird beim spontanen Erwachen wie 
beim plötzlichen Gewecktwerden sofort eine derartige assoziative Leistengs- 
gröase unseres Bewusstseinsorgans erreicht, dass wir völlig klar sind und dass 
auch unser Muskelapparat sofort funktionsfähig ist. Ausnahmen kommen auch 
bei nerrenro basten Menschen unter besonderen Umständen vor, so bei plöts- 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


741 


liebem Erwachen durch einen Donnerschlag in einem fremden Wirtshauce nach 
strapaziösem Marsch. In solchen Fällen kann eine Verzögerung der völligen 
Aufhebung des Bewusstseins und eine VerzOgerong der Orientierung eintreten. 

Anders bei neuropathischen Individuen. Bei solchen (Hereditariern ver¬ 
schiedenster Art, besonders Epileptikern) kOnnen sich zwischen Schlaf- und 
Wachsein längere abnorme Zustände mit Illusionen einschieben, die als „Schlaf¬ 
trunkenheit“, „verwirrtes Erwachen“ bezeichnet werden, in denen allerlei 
Delikte von forensischer Bedeutung durch Angreifen der Umgebung usw. aus- 
geftthrt werden. Disponierend wirken in dieser Bichtang auf solche neuro- 
pathisohe Individuen grosse Ermüdung, Strapazen, Trinkexzesse u. a. 

Eine andere bei neuropathischen Individuen vorkommende Form des 
verwirrten Erwachens besteht darin, dass, ohne Vorhandensein abnormer Ideen 
und AngstgefOhl, nur ein langsames Bewusstwerden und träges Zusammen¬ 
ordnen, ein ausserge wohnlich verzögerter assoziativer Zusammenschluss der 
Elemente des PersOnlichkeitsbewusstseins stattfindet. 

Eine dritte Anomalie des Erwachens schildert Verfasser durch Veröffent¬ 
lichung mehrerer Fälle, die sich dadurch auszeichnet, dass das daran leidende 
Individuum geistig sofort wach wird, im Moment vollständig bezüglich Ort, 
Zeit, eigener Person usw. orientiert, aber — bis zu mehreren Minuten in seiner 
psychomotorischen Aktionsfähigkeit alteriert ist. Solche Personen kOnnen dann 
sieh weder bewegen, noch sprechen (motorisch - aphatisch). Dieses verzögerte 
psyohomotorische Erwachen stellt ein Stigma hereditatis dar; es findet sich nur 
bei den verschiedensten Formen neuropathischer (bezw. psychopathischer) Be¬ 
lastung. In Anologie lässt sich die Störung am ehesten mit dem Eingescblafen- 
sein einer Extremität nach unbequemer Lage setzen. Man kann vermuten, 
dass zerebrale Zirkulationsanomalien oder wahrscheinlich assoziative Lockerungen 
eine Rolle spielen und dass die im Schlaf vorhandene Lockerung des Zusammen¬ 
hangs zwischen Bewegungsmechanismus und der eigentlichen Psyche infolge 
uns unbekannter (konstitutioneller) abnormer Verhältnisse beim Erwachen eine 
gewisse Zeit noch fortdauert, bis sich die normale assoziative Verknüpfung 
einstellt. Dr. Räuber-Düsseldorf. 


Ueber akute transitorische Aphasie. Von Dr. Max Roth mann, 
Frivatdosent in Berlin. Berliner klin. Wochenschrift; 1903, Nr. 16 und 17. 

Verfasser veröffentlicht mehrere Fälle von transitorischer Aphasie, die 
auf Einwirkung von Sonnenhitze (Insolation) zurttckzufübren waren, und be¬ 
rührt die nach Ueberladung des Magens mit verdorbenem Fleisch und im Ge¬ 
folge von Nikotin-Vergiftungen auftretenden toxischen, sowie die nach Embo¬ 
lien, im Verlauf der Dementia paralytica und bei Hysterie beobachteten transi¬ 
torischen Aphasien. ' Dr. Räuber-Düsseldorf. 


Ueber Psychosen unter dem Bilde der reinen primären Inko¬ 
härenz. Von Dr. L. W. Weber, Oberarzt und Privatdozent der psychiatri¬ 
schen Klinik in GOttingen (Prof. Cr am er). Münchener med. Wochenschrift; 
1903, Nr. 33. 

Nach Feststellung des Begriffes von „Inkohärens* oder „Dissoziation“ 
und ihrer sekundären oder primären Entstehungsbedingungen teilt Verfasser 
einen Fall mit, der bei weniger rapidem Verlaufe das Symptom der primären 
Inkohärenz auch für den Nichtfachmann sehr rein erkennen lässt und zeigt, 
wie das ganze, zunächst sehr kompliziert erscheinende Krankheitsbild sich auf 
primäre Störung des Vorstellungeablanfes zurückfuhren lässt, die sich sowohl 
un Reden, als Handeln zeigt. An der Hand der ausführlichen Krankengeschichte 
analysiert Verfasser dann epikritisch in höchst instruktiver Form die einzelnen 

S syohischen Symptome und kommt endlich auf Grund der Analyse des betroffen¬ 
en Krankheitsbildes, wie ähnlicher Fälle, zu den folgenden Schlussfolgerungen: 
1. Hauptsächlich unter der Einwirkung erschöpfender oder toxischer 
Schädlichkeiten kann eine akute Psychose auftreten, bei der im Vordergründe 
und als einziges primäres Symptom Lockerung und Auseinanderfall des Vor- 
stellungsablaufes steht. 

2. Auf diese primäre Inkohärenz und die dadurch bedingte Unorientiert- 
heit und Ratlosigkeit können alle übrigen Symptome, namentlich aber die 



743 KlefaMre Mitteilungen und Referate Mi Zeitschriften. 

Stimmungsasom allen, die Veränderung du Bewusstseins und die Wahnideen 
sorückgeführt werden. _ Dr. Weibel'Kempten. 


Zur Kasuistik der famfli&ren amaurotischen Idiotie. Von Dr. 
denn er, Augenarzt in Bamberg. Münchener med. Wochenschrift; 1908, Nr. 7. 

Die geringe Zahl der in Deutschland beobachteten Fälle von amauroti¬ 
scher Idiotie reranlasste Verfasser einen Fall ans seiner Praxis mitznteilen. 
Derselbe betraf ein l 1 /« Jahr altes Mädchen jüdischer Abstammung. Das Kind, 
gesnnd geboren, blieb bis sum 7. Lebensmonate gesnnd. Von da ab wnrde es 
allmählich sohwScher, es horten die Bewegungen der Beine anf, eine gewisse 
8tarre der Extremitäten trat ein, Erbrechen oder andere nerebrale Symptome 
waren anfangs nicht vorhanden, erst in letzter Zeit der Erkrankung ist Er¬ 
brechen aufgetreten. Gehör blieb gut. Schliesslich konnte das vollständig 
teilnahmslose Kind weder sitsen noch stehen noch den Kopf gerade halten. Es 
entwickelte sich spastische Lähmung des ganzen KOrpers. Das Sehvermögen 
war erloschen. Luetische Erkrankungen der Familie sind nicht nachweisbar 
gewesen, ebensowenig Tuberkulose oder nervOse Belastung. 

Die ophthalmoskopische Untersuchung ergab als pathognomischen Be¬ 
fand: Die Papillen zeigten sich beiderseits vollständig abgeblasst (Atropbia 
nerv, optie); in der Makalagegend fand sich symetriseh auf beiden Augen eine 
ungefähr 1'/» Papillendurchmesser grosse, welsse, nahezu runde Fläche mit 
einem roten Tupfen in der Mitte. 

14 Tage später starb das Mädchen. 

Die Fälle von amaurotischer Idiotie stammen hauptsächlich aus Amerika 
und England und lassen eine auffallende Prävalens der jüdischen Familien 
konstatieren. Die Symptome sind bei allen Fällen genau dieselben: Gesund 
geborene Kinder entwickeln sich in den ersten Monaten — sich bis sum 
12. Monate hinausziehend, oder aber schon in den ersten Wochen auf- 
hürend — geistig und körperlich regelmässig und normal, dann tritt Schwäche 
der Muskulatur ein, die Kinder werden vollständig teilnahmslos, können sich 
nicht mehr aufrecht halten, den Kopf nicht mehr gerade halten, das Sehver¬ 
mögen nimmt ab, in der Makulagegend der Retina zeigt sich ein weisser Fleck, 
gewöhnlich grosser als der Papillendurchmeeeer, symetriseh auf beiden Augen, 
mit einem roten Tupfen im Zentrum desselben. An diesen typischen Krank¬ 
heitsbefand an dem hinteren Augenhintergrunde reiht sich die Sehnervenaffektion 
bezw. Optikusatrophie. Das GehOr bleibt fast immer gnt, die schlaffe Lähmung 
der Muskulatur geht mitunter im Laufe der Wochen in eine spastische über, 
die Patienten magern ab und sterben an Marasmus in der Regel vor Ablauf 
des 2. Lebensjahres. Die Krankheit befällt nur ein oder mehrere Kinder einer 
Familie, entweder der Reihe nach, oder das eine oder andere überspringend. 
Aetiologische Anhaltspunkte für Lues, Alkoholismus, Taberkulose, nervOse 
Belastung etc. sind nicht vorhanden. Höchst auffallend ist nur, dass es sieh 
nahezu stets um Kinder jüdischer Abstammung handelt und dass unter diesen 
ein grosser Prosentsatz polnisch-jüdischer Familien vertreten sind. 

Die pathologisch-anatomischen Veränderungen bestehen in einem degene- 
rativen Prozess, welcher das Zentralnervensystem bei anfangs normaler Ent¬ 
wickelung ergreift. Schaffer fand „ein höchstgradiges und ausgedehntes 
Hrgriffensein des Grosshirns; die Rinde total entmarkt. Es bandelt sich also 
um eine auf das ganze Grosshirn sich erstreckende änsserst intensive Er¬ 
krankung, nebst normaler äusserer Konfiguration derselben". Die Degeneration 
kann übrigens in den einzelnen Fällen verschieden intensiv sein und das Gross- 
kirn mehr verschonen, während dann das Rückenmark tiefgehendere Degeae- 
ratianseneheinungen aafweist und umgekehrt. Dr. Waibel-Kemptnn. 


Die Beschäftiguugsneurose der Telegraphisten. Von B. Cron- 
baeh. (Aus der Poliklinik des Herrn Professor Mendel-Berlin). Archiv f. 
Psychiatrie; 87. Bd., 1. H., 1908. 

Das hier mitgeteilte Krankheitsbild verdient auch an dieser Stelle eine 
besondere Berücksichtigung. Es handelt sich um eine Besehäftigungsneurese, 
ähnlich dem Schreibkrampf oder dem Trompetenstottern u. a. Der Verfasser 
hat im Laufe einiger Jahre 17 Kranke dieser Art beobachtet, von denen zwölf 
s c h l iesslich einen anderen Beruf aufsuchen mussten, bei neun Patienten stellten 



IMam Mitteilungen und Betaut* im Zeitschriften. 


748 


floh sekundäre 8ehreibstörungen eia. In einnlnen Fällen konnten die Beamt« 
nach einen Weebsel des Apparates — Hughs statt Morse — noch eine 
Zeit lang Dienst verrichten. Die wechselnden Symptome des Leidens, bei den 
die nervOse Veranlagung offenbar nur eine geringe Bollle spielt, sind Sehmersen 
im Handracken, in die Fingerspitsen aasstrahlende Sehmersen, solche in den 
Vorderarmen im Qebiete aller Armnerven, in den Fassen, Oberschenkeln nnd 
Schulterblättern; data gesellen sich Analgesien and Hypalgesien, letsterc 
besonders durch Taabheitsgeftthl der Fingerspitsen and Gelenke charakterisiert, 
das nnm Anschlägen falscher Tasten fahrt. Weiterhin werden eine Reihe 
sekundärer Symptome genannt, Schmers and 8chwichegef0hl der Arme, 
Parnesthesien, die in die Beine and Fasse sieben (Kälte, Kriebeln, Ameisen» 
laufen), Tremor der Hände, der Zange and der Angenlider nebst Symptomen 
allgemeiner Neurasthenie. Die Prognose erwies sieh im allgemeinen als recht 
angOnstig; die therapeutische Beeinflussung gelang nur bei wenigen Fällen 
ohne dauernden Rrfolg. Verfasser erinnert an die symptomatisehe Aehnlichkeit 
dieser — wahrscheinlich nioht gans seltenen — Neurose mit dem Krankheits¬ 
bilde der Akroparästhesie. _ Dr. Pollitn-Mttnster. 

B. Bakteriologie, Infektionskrankheiten nnd Öffentliches 

8anitltswesen. 

Die Lebensdauer der Pestbacillen in Kadavern nnd im Kote tob 
Pestratten. Von Dr. Albert Maassen, technischem Hilfsarbeiter im Kaiser¬ 
lichen Gesundheitsamts. Arbeiten aas dem Kaiserlichen Gesundheitsamt«. 
Beihefte sa den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. Neun- 
sehnter Band. Drittes (8chluss-) Heft. Mit 8 Tafeln. Berlin 1908. Verlag 
von Julius Springer. 

In Uebereinstimmung mit den Untersuchungen Tokotes u. a. fand 
Maassen, dass die Lebensfähigkeit der Pestkeime im toten Körper abhängig 
ist von der Temperatur und dem Fäulnisgradc: je hoher die Temperatur und 
je stärker die Fäulnis, um so schneller gehen die Pestkeime zu Grunde. In 
den Kadavern, die bei höherer Temperatur (-f- 18 bis ■+■ 28*) gelagert hatten, 
wurden die Pestbazillen noch nach 90 Tagen gefunden, darflber hinaus konnten 
sie jedoeh auch durch den Tierversuch niebt mehr aaebgewiesen werden; ln 
den bei niederer Temperatur (+ 5 bis 4-12*) aufbewahrten hielten sie sieh 
bis zum 93. Tage lebens- und infektionsfähig. Mit der stärkeren Fialais war 
ferner eine stärkere Abnahme der Pestbazillen verbunden; in einem Falle, in 
dem der Kadaver aus e'gewöbnlieh starke Fäulniserseheinungen darbot, konnten 
die Banillen schon nach 7 Tagen durch den Tierversueh nicht mehr nach- 

G wiesen werden. Neben der Hohe der Temperatur und dem Grade der Fänlnis 
endlieh auch die Zahl der Pestbazillen in der frischen Leiehe von Be¬ 
deutung. Im allgemeinen stellte sieh heraus, dass immer diejenigen Kadaver 
am längsten lebenskräftige Pestkeime enthielten, bei denen vor der fingrahnag 
in dem durch Punktion gewonnenen Herzbluts die grossere Anzahl Pestbakterien 
durch Ausstrichpräparate und Kultur naehgewiesen worden war. Die Kadaver 
an Pest eingegangener Tiere werden hauptsächlich dadurch gefährlich, da« 
sie den Ratten zur Nahrung dienen, eine Infektion dieser Tiere vom Ver¬ 
dauen giwege aus herbeifahren und auf die« Weise die 8euehe unter den 
Batten weiter verbreiten. Von besonderer Wichtigkeit war es daher, zu er¬ 
mitteln, innerhalb welcher Zeitdauer die Pestkadaver fttr dis Infektion vom 
Verdauungswege ans ihre Ansteekungsfäbigkeit bewahren. Die Aasteeknngs- 
fähigkdt schwächt sich bei einer mittleren Temperatur von -f- 22® nach 1—2 
Tagen noch nicht, mach 3 Tagen nur wenig, nach 4 und 5 Tagen bedeutend 
ah und ging nach 6 Tagen vollkommen verloren. Bei einer mittler« Temperatur 
v« -f- 8 0 hielt sieh die Infektiosität der Kadaver längere Zeit, bis zu 12 Tagen, 
auf annähernd gleicher Höhe, aber erst nach 25 Tag« war sie erloschen. 
Abnahme und Vertut der Ansteekungsfäbigkeit stand endlich in unmittelbarem 
Zusammenhangs mit der Abnahme der Bazillen im Kadaver. 

Was die Frage nach der Lebensfähigkeit der Pestbazill« im Batteakst 
betrifft, so rathielt der frisch entleerte, noch gelbbraune fette Kot der isfixiert« 
Batten, eben« wie der Darainhalt stets fttr Meersehweineh« viral«te Pest- 
bamllra; die« verloren jedoeh in dem sn einer «ehwarnen, harten Kam bald 
eiatrocknead« Kots innerhalb knrzsr Zeit ihre Lsb«sflhifbrit In 4cm ver 



744 Kleinere Mitteilungen and Beferate aas Zeitschriften. 

Aastrocknang geschultsten Danninhalte der Pestratten liessen sich die Keime 
bis sn zwei oder bis sn vier Tagen nachweisen, je nachdem der Darminhalt 
bei -+■ 22 oder bei -f- 8° aufbewahrt worden war. 

Endlich hat Maaasen noch zn ermitteln versucht, wie lange sich die 
Pestkeime in dttnnen, flüssigen Entleerungen an Getreide angetrocknet lebens¬ 
fähig halten; er fand sie, wenn das Getreide in einem dunklen, nicht ven¬ 
tilierten Banme lagerte, bei einer mittleren Temperatur von 22 0 zwei Tage 
lang, bei einer solchen von -}- 8° drei Tage lang infektionsfähig. 

Dr. Bost-Budolstadt. 


Die Pest in Odessa. Von Dr. J. Wernitz. Berliner klinische 
Wochenschrift; 1903 Nr. 6. 

Eine sehr interessante lehrreiche Schilderung der Pesterkranknngen in 
Odessa vom 9. Oktober 1901 bis Ende 1902. Es kamen in der inzwischen 
erlassenen Epidemie 60 Erkrankungen mit 18 Todesfällen vor. Der erste 
Krankheitsfall betraf einen dem Trünke ergebenen, obdachlosen, früheren Koch, 
der sich viel am Hafen umhergetrieben hatte. Der zweite Patient hatte einen 
kleinen unbenutzten Kellerraum zum schlafen benutzt. In diesem Kellerranm 
fand man 14 zum Teil Btark verweste Battenleichen, bei denen allen typische 
Pestbazillen nachgewiesen wurden. Bei der Durchsuchung des Hafens fand 
man noch 2 Battennester mit toten Tieren, an einem Orte sogar 14 tote 
Batten. Die Pest musste also schon vor längerer Zeit eingeschleppt und die 
Infektion der Menschen in diesen Schlupfwinkeln nur durch die Batten erfolgt 
sein. Die Schwierigkeit, die Batten in Odessa ausznrotten, ist deshalb eine 
besonders grosse, weil die aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts herrllhrenden 
sogenannten Minen, lange, kellerartige, als Ersatz für Eisschränke dienende 
Gänge im Erdboden, nur zum Teil verschüttet wurden, so dass hier die Batten 
Schlupfwinkel haben, aus denen sie nicht zu vertreiben sind. Bis Ende August 
waren 4000 Batten getötet und gefangen worden. 

Erst 6 Monate nach den beiden genannten Fällen traten die Er¬ 
krankungen im Innern der Stadt auf, die zweifellos anf Verschleppung der 
Infektionskeime durch Batten zurückgeführt werden mussten. Die Krankheits¬ 
fälle waren alle solche der Bubonenpest; an primärer Lungenpest kam kein einziger 
Fall vor. Verfasser hält es für möglich, dass auch Insekten, insbesondere 
Flöhe, an der Uebertragnng der Pest beteiligt sind. 

_ Dr. Bäuber-Düsseldorf. 

Ueber die im Institute ftlr Infektionskrankheiten erfolgte An¬ 
steckung mit Pest. Von W. Dönitz. Vortrag, gehalten in der Berliner 
medis. Gesellschaft am 17. Mai 1903. Berl. klin. Wochenschr.; 1903, Nr. 27. 

Eine autentische Darstellung der im Institute erfolgten Ansteckung 
des Dr. 8achs mit Pest 1 ), aus denen im Original nacbzulesende Einzelheiten 
nur einiges hervorgehoben werden mag. Am 28. Mai hatte Dr. Sachs zuletzt 
im Institute gearbeitet, am 2. Juni erschien er wohl und munter im Pest¬ 
laboratorium nur auf 40 Minuten, ohne viel zu arbeiten. In der Nacht vom 
2. zum 3. Juni erkrankte er mit rechtsseitiger Angina, rechtsseitiger Dämpfung 
mit BasselgeräUBchen in der Lunge, Tod am 5. Juni. Bei der unter Beachtung 
der Anweisung zur Bekämpfung der Pest (Bundesratssitzung v. 3. Juli 1902) 
vorgenommenen Sektion fand sich schwammig anzufühlende Anschoppung im 
unteren rechten Lungenlappen, blutiges Oedem der ganzen rechten Lunge; 
in dem Herzblut, Lungen- und Milzsaft grosse Mengen Pestbazillen, die einen 
sehr virulenten Bazillenstamm lieferten. 

Wahrscheinlich handelte es sich um eine Tröpfcheninfektion, die dadurch 
zu stände kam, dass Sachs am 28. Mai unvorschriftsmässigerweise mit einer 
Pravazspritze den aus einen Pestbubo gewonnenen Gewebssaft auf die Agar¬ 
platte (Luft in der Spritze) verspritzte. Hierbei mag ein Tröpfchen beim 
Atmen in die Nase oder auf Umwegen in den Mund gelangt sein. 

An diese Erkrankung schloss sich die des Wärters Markgraf, in 
dessen Answurf sich zweimal reichlich Pestbazillen fanden. Der änsserzt 
milde Verlauf einer tatsächlichen Infektion an einem mit Lnngenpest Behafteten 


*) Vergl. diese Zeitschrift Nr. 12, S. 470 unter Tagesnachrichten. 



Kleiner« Mitteilungen and Referate au Zeitschriften. 


746 


ist auf Rechnung der Schntibehandlung mit Pestsernm zu setzen. Markgraf 
bekam am selben Tage, wo er dem Kranken suerteilt war, SO und 20 ccm 
Serum, nach seiner Erkrankung weitere Dosen, im ganzen in 8 Tagen 186 ccm. 
Die Isolierung der mit dem Kranken in Berührung gekommenen Personen, 
Beobachtung Ansteckungsverdächtiger mit Untersuchung des Rachenschleimes 
und Fahndung auf Bubonen, Schutzimpfung der am meisten gefährdeten 
Personen, Desinfektion der Wohnung des Verstorbenen, wurden alsbald vor* 
genommen, letztere besonders sorgfältig, nachdem die Nacht über Formalin¬ 
dampf eingewirkt hatte. 

Dass man der Infektionsgefahr Herr geworden ist, ist in erster Linie der 
Isolierung der Kranken und der mit ihnen in Berührung gekommenen Personen, 
sowie der Fahndung auf etwaige Bazillenträger zu verdanken. Wegen etwaiger 
Uebertragung der Krankheit auf Ratten des Wohnhauses des Kranken wurden 
auch die Bewohner dieses Hauses unter Aufsicht des Medizinalbeamten gestellt 
und die Kinder vom Schulbesuch ferngehalten. Es ist nicht zu befürchten, 
dass man sich mit Pest leichter im Laboratorium ansteckt, als mit irgend einer 
anderen Eirankheit. Solchen Betriebsunfällen, wie dem vorliegenden, sind aber 
die geschicktesten Arbeiter gelegentlich unterworfen. 

_ Dr. Räuber-Düsseldorf. 

Der Berliner Pestfall in seiner epidemiologischen Bedeutung. 
Von Prof. Dr. F. Plehn, Reg.-Arzt a. D. Vortrag, gehalten in der Berliner 
mediz. Gesellschaft am 1. Juli 1903. Berliner klin. Wochenschrift; 1903, Nr. 29. 

Die Befürchtung, dass Bolche vereinzelte Fälle, wie der in Berlin auf¬ 
getretene, AnlasB zu einer allgemeinen PeBtepidemie in Deutschland geben 
konnten, tritt P. entgegen. Seine Erfahrungen in Indien und Aegypten sprechen 
dagegen. Die Ansteckungsgefahr sowie die Schwierigkeit, die Seuche vom 
Lande fernzuhalten und die Gefahr einer allgemeinen Verbreitung bei einer 
Einschleppung würden überschätzt. Die englischen Aerzte und das Pflegeper¬ 
sonal in Indien denken nicht daran, sich in ihrem Verkehr und speziell ihrer 
Aussenpraxis irgend welche Beschränkung aufzuerlegen. Uebertragungen auf 
diesem Wege gehören zu den ganz verschwindenden Ausnahmen. Die Pest ist 
eine Krankheit des schmutzig und zusammengedrSngt lebenden Eingeborenen¬ 
proletariats; die Exemption der in günstigen Verhältnissen lebenden Euro¬ 
päer geht so weit, dass unter den Farbigen der Verdacht aufsteigt, die Pest 
werde ihnen von den Europäern beigebracht, um sie auszurotten. Daher die 
Schwierigkeit, die Eingeborenen in Hospitäler zu bringen, und ihr Widerstreben 
gegen alle seitens der Regierung getroffenen hygienischen Massnahmen. Die 
Beulenpest ist nur infektiös im septicämischen Stadium, in dem die Bazillen 
auch in Urin und in Fäces übergehen. Leichter können die Pestbazillen bei 
der Lungenpest ins Freie gelangen, aber in den indischen Pesthospitälern sind 
die Lungenpestkranken nur selten gründlich isoliert. Gross ist die Ansteckungs¬ 
gefahr bei Obduktionen. In Ceylon ist es gelungen, sich gegen die Einschlep- 

S ung einer Epidemie aus dem Matterlande Indien zu schützen. Durch gründ- 
iche Untersuchung jedes zugelassenen Kuli am Ausfahrt- und Ankunftshafen, 
Darchmachung einer Quarantäne und einer regelmässigen weiteren etappen- 
mässigen Kontrolle auf den Stationen an den Strassen nach den Theeplantagen. 
In Aegypten dagegen hat die völlige Fernhaltung der Pest wegen der vielen Ein¬ 
gangspforten und dem jährlichen Zuströmen Tausender aus dem verseuchten 
Mekka zurückkebrender mohamedanischer Pilger sich unmöglich erwiesen, aber 
auch hier ist es möglich gewesen, durch schnelle Ermittelung und Isolierung 
der Kranken, Absperrung aller mit ihnen in Berührung getretenen Personen 
und Desinfektion aller von ihnen benutzten Gegenstände am Seuchenherd 
diesen jedesmal zu begrenzen und in kurzem zum Erlöschen zu bringen. 

Bezüglich der Diagnose kommt die bakteriologische Untersuchung für 
die praktischen Zwecke zu spät, selbst bei der Lungenpest. Aus der Anamnese 
und dem allgemeinen Eindruck kann die Diagnose von dem Erfahrenen in den 
meisten Fällen leicht gestellt werden. Bezüglich der Therapie hat der Ver¬ 
fasser von der Anwendung des Haffk in sehen, Lustig sehen und Verein 
sehen Serums keine Erfolge gesehen. Die Wirksamkeit des bei dem Wärter M. 
angewandten Serums zieht er in Zweifel. Dr. Räuber- Düsseldorf. 



746 Heben Mitteilungen u4 Brfente au ZeitieUltii. 

Der Pestbaelllus and du Pestserum. Von Dr. Erich Martini, 
Marinestabsarzt, kommandiert zam Institut ftr Infektionskrankheiten. Tortrag, 
gehalten in der Berliner medis. öeeellsobaft am 17. Juli 1908. Berliner klie. 
Wochenschrift; Nr. 28, 1908. 

Hauptträger and Hauptverbreiter der Pest sind Menseh and Batte, 
während Hände and Frettchen imman and der bei Ausrottung von Pestratten 
eine Rolle sa spielen bestimmt sind. Die Erklärung der Epidemien des „schwarzen 
Todes* im Mittelalter liegt darin, dass die Pestbakterien, durch eine Reihe 
▼on Lungenpassagen einmal aerob angezQchtet, bei weiteren Uebertragungen 
auch von der Haut aus immer wieder in den Laagen ihre Hauptansiedelungs* 
Stätte suchen. Vor Beginn vieler Pestepidemien ist eine Rattensterben beob¬ 
achtet worden. Merken die Ratten, dass ein Teil von ihnen zu gründe geht, 
so wandern sie aus; die chronisch Pestkranken schleppen sieh mit, werden 
in der neuen Heimat von ihren Genossen gefressen und dann beginnt auch 
hier die Pest von neuem. Zur Uebertragung der Pest von den Ratten auf 
Menselien sind Flöhe nicht nötig; die in ihrer Krankheit harmlosen, zutraulichen 
Ratten werden ungefasst, verunreinigen den Boden in den Hafenspei unken mit 
Kot, Schiffsratten fallen in Trinkwassertanks und so gibt es genug Gelegen¬ 
heiten zur Infektion. Die Form der Pestbazillen ist sehr verschiedenartig, die 
Kolonien haben einen doppelten Saum am Rande. Zur Vernichtung genügen 
die tblichen Desinfizientien, 8—5°/o Karbol, 3°/o Lysol, l°/oo Sublimat. Zur 
Diaguosenstelluag gehören der Tierversuch, Zdchtungsversuch, Doppelzerum¬ 
kolonien und die mit letzteren vorzunehmende spezifische Agglutination. Bei 
zweifelhaften Fällen lassen sieh Reinkulturen polgefärbter Bakterien nicht un¬ 
mittelbar auffinden. Den pestverdächtigen Kranken muss öfters Blut entzogen, 
untersucht, auf Platten und Tiere verimpft, der Auswurf auf die rasierte Bauch- 
haut von Meerschweinchen eingerieben werden. Die Entscheidung gibt auch 
hier die Agglutination der auf Agar oder Gelatine gezüchteten Bakterien mit 
dem spezifischen stark verdünnten Pestserum. 

Zur Gewinnung des Pestserams werden Pferde-Pestbakterien, die durch 
einst findiges Erhitzen auf 60—65 0 C. abgetötet sind, subkutan oder intravenös 
in steigenden Dosen eingespritzt. Haffkine in Indien immunisiert aueh 
Mensehen aktiv gegen Pest mit abgetöteten Bouillionkulturen. Besser ist das 
von der deutschen Pestkommission zu Bombay 1897 angegebene Immunisierungs- 
Verfahren mit abgetöteter Pest-Agar-Kultur. Bei Immunisierung der Tiere 
kann man schliesslich zum Injizieren von lebenden Kulturen übergehen. Das 
dargestellte Verfahren wird im Institut Pasteur in Paris und im Serum- 
institut in Bern geübt. Ueber das Lustigache Pestserum liegen keine 
günstigen Erfolge vor. Von Zeit zu Zeit wird den Pestserumtieren Blut ans 
einer Jajalarvene entnommen, und das daraus gewonnene Serum nach Prüfung 
auf seine Wirksamkeit in Flaschen oder Taben gefüllt. 

Das Pariser Pestserum bringt die Pestbakterien zur Auflösung and ent¬ 
faltet eine grosse Schutz Wirkung, doch ist seine Heilkraft bei deutlichen Er- 
kraukangseraeheiauagea minimal. Es brachte jedoch bei Ratten nach 24 Stunden 
nach der „künstlichen Infektion durch die Lungen“ eine durchaus sichere 
Schutzimpfung. Bei Verftttterung pesthaltigen Materials fanden Kolle und 
Otto noch günstigere Resultate mit dem Berner Pestserum. Von allen mit 
dem Lungenkranken Dr. Sachs Zusammengekommenen, die sämtlich mit dem 
einen oier anderen oder beiden Pestseris behandelt wurden, erkrankte nur der 
Wärter und dieser unter der Schutzwirkung der allerdings zu gering (25 oem) 
verabreichten Schntzdoais ganz leicht. In Zukunft wird man mindestens gleick 
50 eem geben müssen. 

In den 4 Jahren, in denen Prof. Kolle die Station für besonders 

S efährliohe Krankheiten leitet, war trotz regen Arbeiteas mit virulentestem 
[aterial bis zu der uoglttakliohen Infektion des Dr. Sachs keiner der Unter- 
aaeher na Peat erkrankt. 

In der Diskussion (Nr. 27) wies Prof. Kolle auf die Notwendigkeit 
hin, in Berlin Untersuchungen und Arbeiten mH Pest vorznnehmen. Die 
Erkrankung des Dr. Sachs fasste er als eine primäre Pestsepsis, aus¬ 
gehend von der Tonsille auf, zu der eine sekundäre Luugenerkrankung 
■Ich gesellte. Wenn man in Bern und Paris das Arbeiten mit Pestserum 
ebenso untersagt hätte, wie in Wien, dann hätten wir das branehbare Schutz¬ 
mittel sieht gehabt, um die nächste Umgebung des Kranken nu schütaea. 



Kleinere Mitteilungen and Beiente aus Zeitschriften. 


747 


Ohne die bakteriologischen Unterraehungsmethoden wäre es nach nicht müglieh 
gewesen, bei dem Wärter feststellen sn können, dass er virulente Feetbasillen 
hatte. Die VerOffentlichnng aller in Betracht kommenden Umstände habe anf das 
Publikum ansserordentlich beruhigend gewirkt. Dr. Bänber-Düsseldorf. 

- * _ 

Sammlnng von Gutachten über Flussverunreinigung. (Fortsetsnng.) 
XIV. Gutachten dea Reiebagesnndbeitsamtes über die Einleitung der 
Abwässer Dresdens in die Eide. Berichterstatter: Geh. Hofrat Prof. Dr. 
Gärtner u. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bubner (Hierin die Tafeln XU—XIV.) 
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt«. Beihefte su den Veröffent¬ 
lichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. Neunsehnter Band. Drittes 
(Schluss-) Heft. Mit 3 Tafeln. Berlin 1903. Verlag von Julius 8pringer. 

Die Stadt Dresden mit 430000 Einwohner entleert rar Zeit schätzungs- 
weise drei Viertel ihrer gesamten abschwemmbaren Schaumstoffe in den Elb¬ 
strom, ohne dass nach den Ermittelungen der Berichterstatter bis jetst sicher 
nachweisbare Gesundheitsschädigungen oder eine erhebliche Belästigung dadurch 
entstanden wäre. Die Zunahme des Elbwassers an Gesamtrückstand und an 
suspendierten organischen Stoffen ist eine sehr geringe, die chemischen, durch 
die übliche Wasseranalyse bestimmten Stoffe werden in ihren Mengen kaum 
▼eiändert; es ffndet sich auch keine weitere Aenderung der Wasser- 
besohaffenheit bis rar preussischen Grense. Die Zahl der Bakterien allerdings 
nimmt erheblich zu; ein beträchtlicher Teil der Mikroben verschwindet u 
kürzester Zeit — 1 Stunde — aus dem Wasser, im übrigen bleibt der Bakterien¬ 
gehalt ein verhältnissmässig hoher und nimmt bis zur preussischen Grense 
nicht wesentlich ab. Die Entfernung der Abwässer und Fäkalien der Stadt 
Dresden in der jetzigen Art und Weise ist daher nicht mehr angängig, aber 
es besteht für die Stadt die Möglichkeit, ihre Abgänge in besserer Weise, als 
bisher in die Eibe zu schicken. Die Zulässigkeit dieses Zugeständnisses beruht 
auf folgenden Erwägungen. Bei dem Wasserreichtum der Elbe, ihrer guten 
Regulierung, den regelmässigen und starken Hochwässern sind Schlammbildungen 
im Flussbett und aus solchen entstehende üble Gerüche nicht zu erwarten, 
dagegen können gröbere Schwimmstoffe oder leichtere 8inkstoffe auf grosse 
Entfernungen fortgeschwemmt und als ekelerregende, üble Gerüche erzeugende 
Massen an den Ufern abgelagert werden. Ferner ist die Gefahr einer Ueber- 
tragung von Krankheitskeimen auf die UferbevOlkerung durch das Flusswasser 
verschwindend klein, auf die FlussbevOlkerung gering; sie lässt sich ausserdem 
noch dureh verschiedene Massnahmen erheblich vermindern. Endlich kommen 
schädliche industrielle Abwässer zur Zeit in erheblichem Masse nicht in 
Betracht. Die Bedingungen nun, unter welchen die Einleitung gestattet werden 
kau, sind: a) Die Entfernung der gröberen Schwimm- und Smkstoffe bis her¬ 
unter zu Teilchen von 3 mm im stärksten Durchmesser, und die Beseitigung 
der so erzielten Rückstände in einer den Anforderungen der Gesundheitspflege 
und Aeetketik entsprechenden Weise, b) Die regelrechte Desinfektion der 
Abgänge der in Betracht kommenden Kranken und die Ueberwachung der 
Desinfektion, sowie die Gewährung der Möglichkeit, in besonderen Ausnahme- 
fällen eine allgemeine Desinfektion der Abwässer vornehmen zu kOnnen. 
s) Es ist auf ausreichende Beinigug schädlicher industrieller Abwässer Bedacht 
su nehmen. _ Dr. Bost-Rudolstadt. 

Beitrag nr Untersuchung der Erdfarben auf Arsen. Von Dr. 
Carl Fis eh er, Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamte, Ibidem. 

Durch die Untersuchungen wurde festgestellt, dass ein grosser Teil der 
im Handel befindlichen Erdfarben frei von Arsen ist. In den Fällen, in denen 
Arsen nackgewiesen werden konnte, war seine Menge mit wenig Ausnahmen 
so gering, dass vor einer quantitativen Festsetzung abgesehen werden musste. 

Dr. Rost-Rudolstadt 


Tagesnachrichten. 

Dem Bundesrat sind jetst die noch ausstehenden Ausführungsbeetim- 
mungen su dem Beieha-Seueltengeseta vorgelegt worden; derselbe hat sie 



748 Tageinachrichten. 

in aalner ersten Sitsong nach den Sommerferien dem zuständigen Annehnss 
überwiesen. 


Am 10. d. M. ist die internationale Snnitätskonferenz in Paria 
zusammengetreten, um die auf den Konferenzen in Dresden (1893) nnd Venedig 
(1897) getroffenen Vereinbarungen Ober gemeinsame MaBsregeln zum Schutze 
gegen Pest und Cholera eine den neuen Erfahrungen auf dem Gebiete der 
Seuchengefahr entsprechende Revision zu unterziehen. Als Delegierte Deutsch* 
lands nahmen an der Konferenz teil: Botschaftsrat Graf Gr Oben, Geh. Ober* 
regierungsrat im Reichsamt des Innern Bumm, Geh. Med.-Rat Professor 
Dr. Gaffky-Giessen und Hafenarzt Dr. Nooht-Hamburg. 


Das ablehnende Verhalten der Stadtverwaltungen gegenüber der Er¬ 
richtung von Untersuchungenmtern wird meist unter Hinweis auf die 
nicht nur durch die Errichtung, sondern auch durch den Betrieb verur¬ 
sachten hohen Ausgaben begründet, die durch die Einnahmen nur zum geringen 
Teil gedeckt würden. Dieser Ansicht gegenüber ist es interessant, zu erfahren, 
dass z. B. das städtische Untersuchungsamt in Dortmund während des Etats¬ 
jahres 1901/02 nicht nur keine Zuschüsse, sondern nach Abzug aller Unkosten 
sogar einen Ueberschnss von 3000 11. ergeben hat. Das Untersuchungsamt hat 
allerdings auch eine sehr grosse Tätigkeit gehabt; denn im Berichtsjahre sind 
nach der Dortmunder Zeitung 3199 Untersuchungen ausgeführt und zwar 
2900 Untersuchungen von Nahrungs-, Genussmitteln und Gebrauchsgegenständen, 
29 hygienische und bakteriologische, 51 forensische und 219 andere technische 
Untersuchungen. _ 


Ueber die Zahl der vor ihrem Tode nicht ärztlich behandelten 
Gestorbenen sind in Bayern und Baden für das Jahr 1901 Ermittelungen an- 
geatellt. Es ergibt Bich daraus, dass ihre Ziffer verhältnismässig hoch ist, 
besonders in Bayern; in Niederbayern und in der Oberpfalz betrug 
diese mehr als 50°/o, in den Bezirksämtern Parsberg und Viechtach sogar 
76,3 bezw. 81,6 °/o und im Bezirksamt Oberviechtach 69,5 °/o. In Baden liegen 
die Verhältnisse zwar wesentlich günstiger, die Prozentziffer der nicht ärzt¬ 
lich behandelten Gestorbenen stellte sich im Jahre 1901 aber doch auf 28,7°/» 
und erreicht im Bezirksamt Mosbach mit 37,9 °/o den höchsten Stand. Von 
den im ersten Lebensjahre verstorbenen Kranken waren 48,3 °,o nicht ärztlich 
behandelt, von den über 1 Jahr alten Gestorbenen dagegen nur 8,1 °/ 0 . 


Sprechsaal. 

Anfrage: Wann ist für den Transport einer Leiche auf Land¬ 
wegen ein Leichenpass erforderlich? Kommt es dabei auf die Grösse der 
Entfernung an, oder — ohne Rücksicht auf die Entfernung — auf die Ueber- 
führung in ein anderes Dorf, einen anderen Amtsbezirk oder ein anderes 
Kirchspiel ? 

Antwort: Nach §. 468 d. Allg. L. R. Teil II Tit. 11 bedarf es zum 
Transport einer Leiche auf dem Landwege eines Leichenpasses, wenn dieser 
aus einen Polizeibezirk (Amt) in einen anderen erfolgt, abgesehen jedoch von 
den Fällen, wo sich der Begräbnisplatz des Sterbeortes etwa ausserhalb des 
betreffenden Polizeibezirks befindet, oder die Leiche in unmittelbarem 
Bestattungszuge vom Sterbeort nach ihrem ordentlichen, nahe gelegenen 
Begräbnisplatz fibergeführt wird, auch wenn dieser nicht im Polizeibezirk des 
8terbeortes liegt. Erfolgt die Ueberführung der Leiche nicht in unmittelbarem 
Bestattnngszuge nach einem nahe gelegenen Begräbnisplatz eines anderen 
Polizeibezirks, so bedarf es nach dem Min.-Erl. vom 12. Juli 1838 auch keines 
Leichenpasses, sondern es genügt eine von der Polizeibehörde des Sterbeortes 
ausgestellte Legitimation des Begleiters der Leiche. Eine solche 
Legitimation ist ebenfalls ausreichend, wenn eine Leiche von einem Orte nach 
einem anderen, in demselben Polizeibezirke liegenden Orte transportiert 
werden soll. 


Verantwort!. Redakteur: Dr. Rapmund, Reg.- u. Geh. Med.-Rat in Minden L W. 

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EfuAurit. Osb. Meü.-Rat Prof. Dr. Biedßrr ju Hagtsaaü ‘» 
'Wtöriwirtfueeptm «ad vürttagcadon Rat te S'aieer). ÄÖftäildittlß ff& “ w — 
ivütftriog«n in atmmfttftg I. Ei»,, Dr. HjorSs b Eftgesan zftftf Sr? 

Pftyziftiti? S*B.-Eßt Dr.. Ut.eisstaastt !« SüntBb&rg {Saohmi-^euüAgesi *» 
■ v.-Rai B. Mttgiieii <ior Mo-3 .-i»ftpatfttiop; der i-raftt Arat t>i. Nplrenki 
•io AAteabarg Stuq Älßdkta-’iJrePree'.ötJ öea Ber*«gHeliKß_5iiuisJefiMflys: • 
V.igftb»cbi>4#l «ßf »iigisnsss Aflß®ohßB r M'ed.'Rät Df He a'd eij f'b.ralk 

U> •-.üin^tg (Sao.bsca' Afiii; ', ; • • 

... tresttorben: Dr. TzVicä b-Scftiid*, ':.V«. 

Eriet^te Stellen. 

K4ti%r$icb Pr^MSWi, 

D)te Kt olaarataieiie des SladtkrriKes,;pft| 

iles Siroiaeft Itn U r e < t. (Rag -&ez. Dtu«eidwrf) n?iv drt» Wohodtw.ii 
fio Jyrwßyttg beaafte» weWteo, Dar dar 8Wle Ufttyägt *“ 

g>br. dw ..DkuMUUtm Sfi00~6<'00 Xf. di« Amwiiokübteji - Enfecl 

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lidVf«ft/ajigegett»B!>i& »fad Wnuen 8 Werben aa detv^igeft/ 
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16. Jahrg, 


1903. 


für 



Zentralblatt für gerichtlirh* fe&mn and Psyebiatrie, 
für ärztliche ^aehverstäfidigeiitliigkeit in Usfalf- aod InmlidiTätssachen, sowie 
für Hygiene, offentL SanitätsweseB, Medizinal - Gesetzgebung und Rechtsprechung. 

Horaa^egeben 


TQII 


Dr. OTTO RAPMUND, 

ao«! 3N?h. ModlüniLltMS lo tfliuUu, 


Verlag von Fiseher’s nisdiz. Buehhandlg., H. Kornfeld, 

Herzogl. Bayer, H<if- u, K&t&mer * ßncltfiäudfer > 

Berlin W. Lütaowstr. 10, 

Ittf-eratr a Hirnen die gowfe••«fte^ Annpt»o^T>pipeiUUpnen diis.Ic- 

udU iuslan&ei» entgegenJ 


Nr. 21. 


RrMehelfif M 1. und 45. jedes üfonAti 


1. Novbr. 


Beitrag zur Bekämpfung der Tuberkulose. 

Von Obaraoitaatzi Dr, Staute ja Hechiugen. 

Das mir in meiner Tätigkeit als praktischer Arzt, Kranken¬ 
haus- und beamteter Arzt im Laufe der Jahre durch die Hände 
gegangene Material von tuberkUltimen Erkrankungen ergab mir 
eine Reihe interessanter Beobachtungen, die ich einer Veröffent¬ 
lichung für wert halte. Sie stimmen zwar mit manchen heutigen 

A _1__ i-i. i_ _ _. LJ—.' 


Anschauungen 


übel ei u t ahne. 


ich sie im Gegensatz zu 


denselben stellen will, weil ich Schlussfolgerungen aus diesen Be¬ 
obachtungen aus eRgbegrewzten eigenartigen Verhältnissen nicht 
für veialigemeincrmigsfäbig halte.../Immerhin aber verdienen 
solche Reobaehiungeu ÄUs dem täglichen Leben m. E. mindestens 
ebensoviel Beachtung, ^ie die aus Statistiken und Sammeltor- 
sebungen aus anfechtbarem Material und von dem täglichen 
Leben fernstehenden Bearbeiter« gewonnenen Anscbauflßgen. 

Die Erforschung der Häufigkeit: der Hanstiertübijrkttlöse in 
meinem Bezirke führte zu dem auffallenden Resultat, dass zwei 
Ortschaften, in welchen die St'ex.büchJkeit ao Tuber¬ 
kulose bei den Menschen eine erhöhte ist, auch eine 
erhöhte Tuberkaloneiierkrar*k» tt*r «vier dt.n 
Haustieren auf weise«, Während die. *«.»?» aten YwrhaRuissn 
in der einen Gemeinde schlechte, ■«.- des ^ , 


sind die hygienische« Verhältnis;?*- in l;> 
wohlhabenden Gemeinde haubtsächHcb 




hygienischen Verhältnisse bewirken jvdonUlU- 



750 


bei den Menschen, wie bei den Haustieren gleichmässig eine er¬ 
höhte Erkrankung»- und Sterbeziffer an Tuberkulose. Daneben 
spielt aber auch die gegenseitige Uebertragung eine, wenn auch 
offenbar nur untergeordnete Rolle. Zu dieser Ansicht bin ich durch 
folgende Beobachtungen gekommen: 

In einer in der jetzigen Generation bestimmt tuberkulose¬ 
freien gut situierten Familie starb ein ca. 2jähriges Kind an 
allgemeiner Tuberkulose. Das Kind war von den ersten Lebens¬ 
tagen ab bis fast zu seinem Tode mit Kuhmilch ernährt worden. 
Diese Milch stammte von einer den Eltern des Kindes gehörigen 
Kuh, die noch während der Krankheit des Kindes wegen schwerer 
Tuberkulose geschlachtet werden musste. Ich nehme keinen An¬ 
stand, hier eine Uebertragung der Tuberkulose von der erkrankten 
Kuh durch die Müch auf das Kind anzunehmen. 

Eine weitere Beobachtung spricht für den umgekehrten Gang 
der Uebertragung. Von Hühnern, welche zum Haushalte eines 
mehrere Jahre schwer tuberkulösen und später auch an Tuber¬ 
kulose verstorbenen Mannes gehörten, gingen kurz nach dem Tode 
des Mannes zwei Stück an Bauchfelltuberkulose ein, wie ein Tier¬ 
arzt durch die Sektion feststellte. Diese Hühner hatten ihren 
Weideplatz unter den Fenstern des Krankenzimmers ihres ver¬ 
storbenen Besitzers; auf diesen Weideplatz entleerte der Mann 
beim Hinausschauen zum Fenster erwiesenermassen häufig sein 
Sputum. Diese Beobachtung ist um so auffallender, als Tuber¬ 
kulose unter Hühnern selten ist und es sich in den vorliegenden 
Fällen um Tuberkulose am Verdauungstraktus handelte. Es ist 
mehr wie gerechtfertigt, anzunehmen, dass eine Uebertragung der 
Tuberkulose von dem erkrankten Manne auf die Hühner stattge¬ 
funden hat durch Vermittelung des von den Hühnern aufgefressenen 
Sputums desselben. 

Weitere Beobachtungen erstrecken sich auf den Einfluss 
der sozialen und hygienischen Verhältnisse, der Here¬ 
dität, Disposition und Kontagiosität bei der Tuber¬ 
kulose. Die Tuberkulose ist unter den hiesigen ländlichen Ver¬ 
hältnissen nichts mehr und nichts weniger eine Krankheit des 
Proletariats, wie alle anderen Infektionskrankheiten. Allerdings 
muss gesagt werden, dass unter unseren kleinbäuerlichen Verhält¬ 
nissen die Lebensweise bei Reich und Arm keinen allzu grossen 
Unterschieden unterliegt, dass im Gegenteil die Lebensweise 
mancher Besitzlosen eine bessere ist, als die der Besitzenden. 
Jedenfalls ist aber nach den hier gemachten Beobachtungen die 
Tuberkulose keineswegs sehr überwiegend eine Krankheit der 
sozial und hygienisch schlechter Gestellten. Abgesehen davon, 
dass schlechte hygienische Verhältnisse durchaus nicht immer mit 
schlechten sozialen Verhältnissen vergesellschaftet sind und um¬ 
gekehrt, kommt Tuberkulose in meinem Bezirk anch verhältnis¬ 
mässig häufig in Familien mit guten Vermögensverhältnissen und 
guter Lebenshaltung vor. Vielfach waren die Erkrankten schon 
vor ihrer Erkrankung an Tuberkulose gesundheitlich minderwertig. 
Diese Minderwertigkeit war häufig hereditäre Belastung; diese 


Bfiifcr&g sttip Bekftffipfaog der Tabetkahwt 


751 


war aber nicht iöifr^er oder au'*,h nür : Vorliegend eine tuber¬ 
kulöse .Belastung,. Ji^nso häufig fanden sieh bei des Vorfahren 
andere chronische E mufcheBeiJ, km&Misfe des Verdanxiagstraktus, 


der Nerven, Ha«t u. s. w. Noch häufiger war aber die Minder$fl 
Wertigkeit eine erworbene, nasaettaieh derch fortgesetate Ex¬ 
zesse in bacebo et venerei tTntßrernÄiudngi Ueberarbeitang. an¬ 
haltendes Arbeiten in Hausindustrie) ü.s. w. In wieder anderen 
Fällen waren disponierende Momente fifaerhaujjt nicht zu erforschen. 

Recht interessant«adlofcjiend sind in jedem einzelnen Falle 
von Tuberkulose dk’.^acyurndhtuug;«^. *^^ßlcfcenotanderen Falle 
er stammt; denn «ach anaerem ganzen epidemiologischen Denken 
muss doch jeder Tuberkulosefal! wieder von: einem anderen her¬ 
stammen. Natiirgemäss führen diese Nachforschungen recht häufig 
ani einen Zusammenhang mit einem vorangegangenen oder gleich¬ 
zeitigen Fall in der eigenen Familie, ebenso häufig aber auch 
in der Nachbarschaft, oder int engeren Verkehrskreis der Er¬ 
krankten. Nicht selten fuhren mehrere gleichzeitig aultTetende 
Fälle in einerGemeinde ani einen gemeinsamen Ausgangspunkt, 
Nur verhältnismässig selten gelingt es, nicht einen Zusammen¬ 
hang mit einem anderen Fall aafzufindeü. 

Als 'einer der wichtigsten Faktoren für die Verbreitung der 
Schwindsucht auf dem Lätule erscheinen mir die W irtschaften. 
Von den vier Wirtschaften einer mir näher bekannten Gemeinde 
sind bis jetzt in drei Schwindsucbtsfälie unter den Besitzerfamilien 
»gekommen;, tu einer Wirtschaft starben vor mehreren Jahren 
der Vater und drei erwachsene Kinder kurz nacheinander an 
Schwindsucht In dieser Zeit erkrankten mehrere in der Nach¬ 
barschaft dieser Wirtschaft wohnende und ^u ihrem ständigen 
Besucherkreis gehörende erwachsene Personen ebenfalls an Tuber¬ 
kulose und übertrugen ihrerseits wieder zum Teil die Erkrankung 
auf Angehörige ihrer eigenen Familie, Aehölich waren die Ver¬ 
hältnisse in einer andfU’an Wirtschaft, in der Mutter und Sohn an 
Tuberkulose erkrankten und starben. In der dritten Wirtschaft 
ist die BesttzöWn erst neuerdings an Tuberkulose erkrankt. Wenn 
man sich deu Betrfeb so- vielmv ländlichen Wirtschaften vergegen¬ 
wärtigt, begreift man auch ihre GefährliekkeiU Zu ihren häufigsten 
Besuchern gehören in ihrer Arbeitsfähigkeit beschränkt Tuber¬ 
kulöse, welche dort Unterhaltung suche« r durch ..'v Genuas von 
schlechtem Bier u. s. w. die vom Arzt angeratone bessere Debens- 
haltung und Ernährung in Wirklichkeit umsetze« weilen und 
dabei alle# voll ipucken. Dazu kommt dann »och die Übliche Reini¬ 
gung und Reinlichkeit dieser Wirtschaften, um sie zu wahren 
Pflanzstätten $fe- Tuberkulose zu machen, 

Weitär mhehte wh eine ffir die Möglichkeit einer kongeni- 



war, wurde ein F« rcgafefr&ft., ■• •• •••• 
änkwer 

von diesem K m>- 






762 Dr. Staaas: Beitrag rar Bekämpfang der Tuberkulose. 

erwies sich gleich nach der Geburt als schwer tuberkulös, so dass 
es weggeschafft werden musste. 

Was zum Schlüsse noch die Häufigkeit der Tuberkulose 
betrifft, so war in meinem Bezirk in früheren Jahrzehnten Schwind¬ 
sucht entschieden häufiger wie heute. Auch scheint mir früher 
die Tuberkulose der Lungen mehr unter dem Bilde einer sehr 
chronischen Erkrankung verlaufen zu sein. Hand in Hand mit 
dieser Abnahme der Tuberkulose ging auch eine sehr erhebliche 
Abnahme der jährlichen Sterbeziffer, die im letzten Jahrzehnt 
rund durchschnittlich 15°/ 00 niedriger ist, wie vor ca. 40 Jahren. 
Entschieden besser geworden ist in dieser Zeit auch die Lebens¬ 
haltung der Leute, ob dies auch bei den Vermögens Verhältnissen 
zutrifft, möchte ich bezweifeln. Diese Verbesserung der Lebens¬ 
haltung, also der hygienischen Verhältnisse, betrachte ich als die 
Ursache sowohl des Rückganges der Sterblichkeit überhaupt, wie 
auch der Tuberkulose. 

Ziehen wir aus diesen Beobachtungen noch die Schlussfolge¬ 
rungen, welche sich für die Epidemiologie und Bekämpfung der 
Tuberkulose ergeben. In epidemiologischer Beziehung wird nach 
meiner Ansicht heute der infektiöse und vor allem der kontagiöse 
Charakter der Krankheit zu wenig beachtet. In den Vordergrund 
unserer epidemiologischen Anschauungen hat mehr der Tuberkel¬ 
bacillus als Erreger der Krankheit und massgebender Faktor für 
die Verbreitung zu treten an Stelle der Disposition, Heredität u. s.w. 
Die Disposition zu der Erkrankung ist jedoch keineswegs so eng 
begrenzt, wie wir heute annehmen, wie ja auch durch zahlreiche 
Sektionsbefunde festgestellt ist, dass ein sehr hoher Prozentsatz 
der Menschen einmal im Leben an Tuberkulose erkrankt. Wie bei 
allen Infektionskrankheiten ist diese Disposition bei dem einen 
mehr, bei dem anderen weniger vorhanden. Wer sich lange Zeit 
in der unmittelbaren Umgebung eines Schwindsüchtigen aufhält, 
erkrankt nach meinen Erfahrungen mit Wahrscheinliche^ eben¬ 
falls an Tuberkulose, wie wir auch an dem Pflegepersonal der 
Krankenhäuser, Lungenheilstätten und in den Familien befindlicher 
Kranken leider nur zu oft erfahren. Die Heredität spielt nach 
meiner Ansicht bei der Tuberkulose keine grosse Rolle. 

Auch in der Bekämpfung der Tuberkulose haben wir neben 
der Bekämpfung der Disposition durch Verbesserung der Lebens¬ 
haltung unser Hauptaugenmerk mehr auf den Tuberkelbacillus 
und den Hauptträger desselben, den erkrankten Menschen, und die 
von ihm ausgehende Ansteckungsgefahr zu richten. Die Haupt¬ 
mittel zur Bekämpfung dieser Gefahr sind die Isolierung und Des¬ 
infektion. Diese lassen sich unter unseren Verhältnissen häufig 
nicht durchführen. In solchen Fällen wird es sich darum handeln, 
die Erkrankten, sowie sie eine Ansteckungsgefahr werden, ans 
ihren Familien zu entfernen und in Heilanstalten unterzubringen. 
Lässt sich eine Heilung oder Besserung, so dass sie keine An¬ 
steckungsgefahr mehr bieten, nicht erzielen, sind sie Pflegeanstalten 
zu überweisen. Für ganz besonders notwendig möchte ich, soweit 
immer möglich, die Ueberweisung solcher Kranken in Pflegean- 


Dr. Schmidt: Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus ubw. 758 


stalten in den unheilbaren Stadien halten, da in diesen die An¬ 
steckungsgefahr am grössten ist. Mit der einfachen Belehrung, 
wie diese Ansteckungsgefahr zu beseitigen ist, ist zumeist nur 
wenig geholfen, die Krankheit verbreitet sich deswegen in der 
Familie der Schwindsüchtigen doch weiter. Dass wir in der Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose noch nicht mehr erreicht haben, beruht 
neben dem, dass sich bis jetzt die Fürsorge für Tuberkulose nur 
anf Unbemittelte erstreckt und das ganze Heer der weniger 
Bemittelten, die sich allein ebenfalls nicht helfen können, sich 
selbst überlässt, hauptsächlich darin, dass wir keine Pflegean¬ 
stalten für unheilbare Tuberkulöse haben. 

Auch für die Versicherungsanstalten würde sich m. E. die 
Errichtung solcher Pflegeanstalten ebenso rentieren, wie die Heil¬ 
anstalten; denn bei einer Belassung der Unheilbaren in ihren 
Familien kann die Versicherungsanstalt mit Bestimmtheit auf 
weitere Fälle rechnen, für die sie die Fürsorge zu übernehmen hat. 

Ausserdem darf bei der Bekämpfung der Tuberkulose die 
gegenseitige Uebertragbarkeit der Menschen- und Tiertuberkulose 
nicht ausser Acht gelassen werden. 


Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstyphus durch 

Flusswasser. 

Von Dr. Schmidt. Kreisarzt in Elbing (früher in Belgard). 

Als ein Beitrag zum Beweise für den ursächlichen Zusammen¬ 
hang zwischen dem Gesundheitszustand einer Stadt und einem 
diese durchziehenden Flusslaufe sind die nachfolgenden Aus¬ 
führungen gegeben. Es handelt sich um das Auftreten von Unter¬ 
leibstyphus auf Grund der Benutzung eines verseuchten Fluss¬ 
wassers in Belgard. 

Belgard, eine Hinterpommersche Kreisstadt mit 8000 Seelen, 
wird von dem Leitznitzbache. einem Nebenflüsse der Persante, 
durchflossen, bezw. es lehnt sich an die Ufer dieses Flüsschens. 
Die Leitznitz entspringt von den Ausläufern des Baltischen Höhen¬ 
zuges und mündet nach einem in gerader Richtung gemessenen 
N. W. gekehrten Laufe von 80 km Länge unterhalb Belgards in 
die Persante. Das Weichbild der Stadt Belgard berührt die 
Leitznitz an seiner N. 0. - Grenze. Von hier geht sie in ihrem 
weiteren Verlaufe an der N. 0.-Grenze der Altstadt entlang, durch¬ 
schneidet nach etwa 200 m Wegslänge die Stadt an der Grenze 
zwischen Alt- und Neustadt, um sich, wieder nach N. W. wendend, 
an die nach 8. W. gerichtete Stadtgrenze anzulegen. — Kurz nach 
ihrem Herantreten an die Stadt gibt die Leitznitz auf dem linken 
Ufer einen Graben ab (Strille), welcher anfangs die Stadt im 
S. W. gekehrten Laufe durchzieht, dann nach N. W. umbiegt, 
längs der Stadtgrenze entlang geht, um weiter in unregelmässigem 
Laufe der Persante zuzustreben. 

Die Beziehungen zwischen den Bewohnern der Stadt Belgard 
und den Wasserläufen der Leitznitz und Strille sind yon Alters 



766 


Dt. Schmidt. 


1897; September bis November: 9 FUle. \ 

1898; Januar: 1 Fall. / fip ' 

1898; Jani: 1, August bis November: 11 Fälle. \ - 
1899; Januar: 6 Fälle. / P * 

1899; August bis Oktober: 6 Fälle. 

1900; Januar: 1, Februar: 1, August 1, Oktober: 3 Fälle. 

1901; Mai: 2, Juni: 3, Juli: 30, August: 18, September: 16, Oktober: 
10, November: 10, Desember: 14 Fälle. 

1902; Februar: 3 Fälle, Män, April, Mai und September je 1 Fall. 

Epidemiologisch bemerkenswert ist, dass anch hier, wie 
andernorts beobachtet, die grösseren Anhäufungen der Erkrankungen 
in der zweiten Hälfte des Jahres aufzutreten pflegen, während 
die erste Hälfte nur durch sporadische Fälle ausgezeichnet ist 
oder die abklingenden Erscheinungen einer mehr weniger grossei 
Anhäufung der Erkrankungszahl des voraufgegangenen Jahres dar- 
stnllt. Handelt es sich auch nur um ein sehr beschränktes Kranken¬ 
material, welches der epikritischen Beurteilung unterzogen werden 
kann: Das gruppenförmige Auftreten oder die Herausbildung kleiner 
Lokalepidemien treten aus der vorliegenden Zusammenstellung 
als greifbare Erscheinung heraus. 

Für die ätiologische Betrachtung über das Auftreten des 
Typhus am hiesigen Orte lässt sich die vorstehende Zusammen¬ 
stellung der Jahre 1886—1902 in 3 Gruppen gliedern: 1886 bis 
1895; 1896—1900 und 1901—1902. — Die erste Gruppe umfasst 
die Jahre vor der amtlichen Tätigkeit des Berichterstatters in 
Belgard, von 1896—1900 sind die Erkrankungen unter den Augen 
des Berichterstatters verlaufen; 1901—1902 tritt besonders hervor 
durch das Umsichgreifen einer bedeutenden Epidemie. 

Soweit sich nach den vorliegenden Aufzeichnungen die Ver¬ 
teilung der Erkrankungen im Orte verfolgen lässt, ist das Auf¬ 
treten stets ein derartiges gewesen, dass die Krankheitsfälle sich 
in unregelmässiger Verteilung über den ganzen Stadtbezirk zeigten, 
ohne eine Abhängigkeit von bestimmten Brunnen erkennen zu 
lassen; bemerkenswert ist nur die Bevorzugung der Altstadt, 
welche durch Leitznitz und Strille bis auf eine kleine Spanne 
ganz umfasst wird und ihre Wasserversorgung zum Teil mit 
Leitznitzbrunnen habt, und das Seltenerwerden der Erkrankung 
entsprechend der Entfernung von Leitznitz und Strille in der 
Neustadt. 

Greifbare Unterlagen erhielt das Forschen nach der Ursache 
des Auftretens des Typhus in der Stadt für den Berichterstatter 
mit seinem Amtsantritte im Jahre 1896. — Die von den Jahren 
1896—1900 hervorgetretenen Erkrankungen haben sämtlich das 
gemein, dass in den Haushaltungen, in denen die Krankheit vor¬ 
kam, Leitznitz- oder Strillenwasser zur Verwendung kam. Die 
Erkrankungen traten auch in dieser Zeit stets in weiter Ver¬ 
teilung über das Stadtgebiet auf. Jeder verbindende Anhalt der 
Fälle unter einander fehlte; weder Kontakt, noch Trinkwasser, 
noch Milchversorgung, noch der Bezug sonstiger Nahrungsmittel 
konnten als Infektionsquellen beschuldigt werden; nur in den ange¬ 
führten Punkten kamen sie zusammen, wie von den behandelnden 









754 


Dr. Schmidt 


her möglichst intim gewesen. Die Stadt übergibt durch Binnen- 
leitnng den Flüssen seine Strassen- and Hauswässer und von den 
Hofwässern den Teil, der nicht mit Düngerwagen und Jauche¬ 
fässern hinausgefahren wird; die Leitznitz und Strille ihrerseits 
versorgen die Stadt zum Teil mit dem Wirtschaftswasser und zum 
Teil auch mit Trinkwasser. An dem Leitznitzufer befinden sich 
zahlreiche Wäschespül- und Wasserentnahmestellen. Diese sind 
zur bequemeren Benutzung am oberen Laufe der Leitznitz an dem 
Ufer angebracht, an welchem die Schmutzrinnen in den Floss 
treten. Eine mangelnde hygienische Einsicht hatte dieselben z. T. 
so gelegt, dass die Ausflüsse der Schmutzwässer diese Einrich¬ 
tungen umspülen. — In der Frage der Trinkwasserversorgung 
speiste die Leitznitz bis vor wenigen Jahren durch eine Kanal¬ 
verbindung zwei Marktbrunnen und einen weiteren zwischen Markt 
und Flusslauf befindlichen öffentlichen Brunnen. Ein an der Markt¬ 
ecke gelegenes dreistöckiges Haus hatte zur bequemen Wasser¬ 
versorgung Anschluss genommen an die von der Leitznitz nach 
dem Markt führende Leitung; ein in unmittelbarer Verbindung 
mit der Stadt stehendes Amt hatte ebenfalls durch Kanalver¬ 
bindung Leitznitzwasser herangeführt, welches mit einer Pumpe 
gehoben, die Bewohner des Amtes und die zunächst Wohnenden 
z. T. mit Gebrauchs- und Trinkwasser versorgte. 

Die Trinkwasserversorgung geschieht im übrigen durch 
26 öffentliche Brunnen, von denen 4 Rohrbrunnen den sanitären 
Anforderungen genügen, die übrigen 22 Kesselbrunnen in hygieni¬ 
scher Beziehung sehr angreifbar sind, und durch zahlreiche Privat¬ 
brunnen, deren Qualität in der grösseren Angabe den öffentlichen 
Kesselbrunnen gleichkommen. 

Elin einheitliches Abfuhrsystem besteht nicht. Die Haus¬ 
und Wirtschaftsabfälle liegen zum Teil auf den Höfen frei, zum 
Teil in Gruben und werden von hier in offenem Wagen entfernt. 

Dieses die hierher gehörende allgemeine Situation bis Ende 
der 90 er Jahre. Um diese Zeit wurde der eine Marktbrunnen 
von der Leitznitzverbindung gelöst und in einen Bohrbrunnen ver¬ 
wandelt, und der auf der Verbindungslinie Leitznitz - Markt 
liegende Bachbrunnen erhielt neben der Bachleitung eine Zuführung 
durch eine besondere Bodenbohrung. Elin Doppelhahn konnte die 
eine oder die andere Leitung abschliessen. Bei Feuersgefahr und 
zur Strassenreinigung sollte die reichlicher zufliessende Fluss¬ 
leitung das augenblickliche grössere Wasserbedürfnis decken. 

Die Gesundheitsverhältnisse der Stadt sind somit von Leits* 
nitz und Strille abhängig 

1. durch eine sanitäre Beeinflussung, welche das Wasser 
erleidet auf seinem Wege bis zu seinem Elintritte in das Stadt¬ 
gebiet (Gesundheit« Verhältnisse anliegender Dörfer, Zuflüsse von 
den Aeckern), 

2. durch die Beigaben, welche die Stadt selbst diesen Wasser¬ 
linien übermittelt. 

Belgard gilt von jeher als eine vom Unterleibstyphus häufig 
heimgesuchte Stadt. Der Charakter der Krankheit scheint i® 



Zur Frage der Verbreitung von Unterleibstypus ducb Flusswasser. 765 


allgemeinen durchgehend ein leichter gewesen zu sein, so dass 
sich bei älteren Aerzten die Annahme eines der Stadt eigentüm¬ 
lichen endemischen Typhoids gebildet hat. Dieses Belgard eigen¬ 
tümliche Typhoid hat auch heute noch seine teilweise ärztliche 
Anerkennung und bildet als angeblich der Anzeigepflicht nicht 
unterworfene Krankheit die Lücke, durch welche so mancher 
Typhus der sanitätspolizeilichen Würdigung entgeht. 

Nach den zu Gebote stehenden statistischen Angaben über 
die zur öffentlichen Kenntnis gebrachten Fälle von Unterleibs¬ 
typhus wurden in Belgard seit dem Jahre 1886 an Typhus¬ 
erkrankungen beobachtet: 

1886 : 5 Fälle, 1891: 14 Fälle, 1896 : 6 Fälle, 1899: 12 Falle, 
1887: 10 * 1892 : 2 , 1896: 10 „ 1900 : 6 „ 

1888 : 5 „ 1893 : 5 „ 1897 : 9 „ 1901: 102 „ 

1889: 16 „ 1894 : 5 „ 1898: 18 „ 1902 : 7 „ 

1890: 7 „ 

Dass diese Zahlen dem Typhusbild aus den angeführten 
Jahren nicht voll entsprechen, ist sicher, da, wie schon angegeben, 
die in Belgard so geläufigen Typhoide auch heute noch der An¬ 
zeige zum grossen Teile entgehen; ein weiteres hierfür sprechendes 
Moment ist das, dass die meisten Anzeigen bis zum Jahre 1892 
von der Hand des damaligen Medizinalbeamten der Stadt stammen, 
der nur eine beschränkte Praxis trieb. Die zahlreichen noch 
nachträglich bekannt gewordenen hingezogenen gastrischen Er¬ 
krankungen aus der Typhuszeit des Jahres 1901, die zum Teil 
mit Haarschwund einhergingen, sprechen an sich noch dafür, dass 
mit den 102 Typhen von 1901 die Krankenziffer auch in diesem 
Jahre bei weitem nicht erschöpft ist. Als Index für das Auf¬ 
treten der Krankheit sind die Ziffern auch der früheren Jahre 
immerhin bedeutungsvoll. 

Aus den gegebenen Krankheitsfällen der Jahre 1886 — 1902 
erhellt, dass der Unterleibstyphus Jahr für Jahr in Belgard auf¬ 
getreten ist. 

Eine zweite zu konstatierende Erscheinung ist die, dass die 
Erkrankungen in der Mehrzahl in geschlossenen Zeitabschnitten 
auftreten, während der übrige Teil des Jahres frei bleibt. Da¬ 
neben stehen vereinzelte Fälle. Die Berücksichtigung des zeit¬ 
lichen Auftretens in den betreffenden Jahren gibt einen Einblick 
nach dieser Richtung: 

1886: Oktober u. November: 5 Fälle. 

1887: März: 4, Anglist bis Dezember: 6 Fälle. 

1888: Jnli und August: 2, November: 3 Fälle. 

1889: August bis Dezember: 16 Fälle. 

1890: August und September: 9 Fälle. 

1891: Juni: 1, September: 13 Fälle. 

1892: Juni: 2 Fälle. 

1898: August: 1, Oktober bis Dezember: 4 Fälle.\ - 

1894: Januar: 3 Fälle. / “ p * 

1894: Dezember: 2 Fälle. \ - 

1896: Januar: 2 Fälle. / Mp ' 

1895: Juli: 1, November und Dezember: 3 Fälle. 

1896: Januar und Februar: 3, Mai: 1, August: 1, November und De¬ 
zember: 5 Fälle. 






Zar Prag« der Verbreitung Von Unterleibstyphus durch Flueswasper 757 

Aerzten io Verbindung mit dem berichtenden Medizinalbeamten 
fdetgesMlt .wirrde. r.. ~- 

Die bi? m einem iiobeu Drade w>h Wabrsebeiulielikeit ent- 
wiekelte ÄiHäälHBe. dass ; deb $|phuä in Belgard seine Verbreitßffg 
durch die Bemitaajfg des Wassers aus Leitzflitz und Strille hanpt* 
sächHcU finde, ikbrte #jt teil'«’eisen Beseitigung der Leitzuitz* 
bruüüeu bis auf die Be3as9»«g des einen Markibrunnens und der 
Doppelleitung des Brunnens zwischen Markt, und Leimntz. Der 
Marktbnmnen sollte als ein geRundheitsgefshrlieher bezeichnet 
werden undangeschlossefi gehalten werden. Der Brunnen mit 
dei*. Doppelleitung sollte in der Begei von der LeHzniizleituitg. ab¬ 
geschlossen sein. Die Pmutleitungen waren zu ianer Zeit offi¬ 
ziell nicht, bekannt. 

Der Sommer 1901 brachte für Belgard mit einer grösseren 
Epidemie weitere Erfahrungen bez. des Unterleibstyphus. Das 
Jahr war ein sehr trockenes , der Wassergehalt der Stadtbrunnen 
8ng an knapp zu werden. Ohne Wissen der städtischen Behörden 
hatte der Brurmenmeister, um dseLeistnngsfäMg&eit des Brunnens 
mit dar ItoppeBeiitmg zu erhöhen, dem Wasseriuflnsshalm in dem 
Brunnenkessei gebffaet. 

Im Anfang Mai 1901 wurden in der Altstadt und in der 
nach Polziu führenden Vorstadt die ersten beiden Fülle .von Unter¬ 
leibstyphus bemerkt^ ÄuBuags Juni reihten sieh 2 weitere Fälle, 
einer in der Kösliner Vorstädt und ein zweiter in Oeorghii- 
strasse an die yoraufgegängenen, Die Fälle hatten iu sich keinen 
direkten Zusammenhang, v ®.$ lagen örtlich ziemlich weit ausein¬ 
ander, ein Verkehr hat. zwischen ihnen ' nicht;, .bestanden, Mitte 
Juli, etwa vom iS. Juli an, kam mit steilem Anstieg eine Epi- 
demie zum Ausbruch, welche in der kurzen Zeit bis mm Schlosse 
des Monates 80 Erkrankungen zur öffentlichen Kenntnis brachte, 
23 Weitere Fälle reihten sich' im Asigßät hg die Jali er fcra nkungen, 
um mit diesen den (Jipielpunkt der Epidemie zu charakterisieren. 
Eigentümlich, wie für fast alle hierseibstbeobachteten Epidemien 
war auch dieses Mai das weite Änsgrcitcft der Erkrankungen 
über das ganze Stadtgebiet Von dem öatlfchen Ende der Stadt 
bis in die Vorstadt, des westlichen Teiles, Über 1 km Wegeslänge, 
traten mit einem Male .(Be .KjAnWieitsfölle in die Erscheinung. In 
dem einen Hause um den oft genannten Brunnen der Leitznitz- 
Marktleitung, • in welchem tmehweisbar das dem Brunnen ent¬ 
nommene Leitzoitzwasser nur zur Verwendung kam, auch ge* 
trunken wurde, erkrankten 3 Personen; in-dem Hause mit der 
Privatleitnxjg am Markt erkrankten 2 Personen, auf dem Amte 
mit seinem Leitzhitzwaseeimischlusse 3 Personen, — Ergriffen 
waren Kinder,, -die.' 'in'' 'and an - 
hatten; Waschfrauen. die in. 

und Angehörige von Familien, io *«£=?>•*?• »«»«•/.; 

zur Verwendung kam. 

Fast ausnahmslos waren •• 

Klasse, die von der Krankheit . • 

denen das immer wiederholte. - Mahlten mm £Uc v 



758 


Dr. Schmidt. 


gesundheitsgefährliches nicht za verwenden, vergeblich gewesen. 
Als Ausnahmen traten beim ersten Einbrach nach (ieser Richtung 
hin nur die Erkrankten am Privatanschlusse am Markt und die 
Bewohner des Amtes hervor, denen sich 2 Soldaten der hiesigen 
Garnison zureihten. — Wo lag für diese mit so grosser Heftig¬ 
keit in breiter Ausdehnung über das ganze Stadtgi hiet auftreten¬ 
den Epidemie das verursachende Moment P Eine n lokaler Um¬ 
grenzung wirkende Veranlassung, etwa eine Brum ienVerseuchung 
— der Nahrungsmittelbezug aus einer Krankheitsqi teile — konnte 
bei der Verbreitung über die ganze Stadt von vornherein nicht 
angenommen werden und erwies sich bei den vorgenommenen ein¬ 
gehenden Nachforschungen als nicht vorhanden Bei jedem 
fehlenden sonstigen ursächlichen Momente dieser fielen über die 
ganze Stadt verbreiteten Fälle legte sich fast ausnahmslos um 
alle als verbindendes Glied die Beziehung zur Leitznitz bezw. 
zur Strille. Die bösen Erfahrungen, welche Belgtird in gesund¬ 
heitlicher Beziehung mit seinen Stadtbächen gemacht, fanden ihre 
Bestätigung in dieser relativ grossen Typhusepidemie. 

Dem kritischen Urteile musste jede andere Möglichkeit der 
Entstehung der Epidemie ausgeschlossen erscheinen: Die plötz¬ 
liche Verbreitung über das ganze Stadtterrain, die nachweisbaren 
Beziehungen der Erkrankten mit den schon seit langer Zeit ver¬ 
dächtigen Wasserläufen, die Erkrankungen in den Haushaltungen, 
in welche Leitznitzwasser direkt geführt, das Fehlen jedes andern 
die Erkrankungen vereinigenden Punktes: Beweisende Momente 
für den Schluss, dass die Typhus epidemie dem Einflüsse der Bach¬ 
wässer zu verdanken war. Unter dem energischen Durchgreifen 
strenger sanitätspolizeilicher Massnahmen (Sperre der Flussläufe, 
Kontrolle der Desinfektion in den Krankheitsfällen durch einen be¬ 
stellten Beamten, gehobene Strassenreinigung, strengere Nahrungs¬ 
mittelkontrolle) ging die Epidemie im langsamen Abstieg bis zum 
Schlüsse des Jahres zu Ende. Vereinzelte Erkrankungen des 
Jahres 1902 sind wohl als letzte versprengte Ausläufer des Krank- 
heitszuges zu betrachten, die in ihrer isolierten Erscheinung ohne 
besondere Bedeutung für die allgemeine Gesundheit blieben. Der 
Kampf gegen die Krankheit war für die Aufsichtsbehörde ein 
recht wenig dankbarer, da die Bevölkerung der Stadt den not¬ 
wendig gewordenen Massnahmen zum Teil mit zähem Wider¬ 
stande trotzte. 

Dass nach der reichen Aussaat des Typhus über die Stadt 
die Epidemie in ihrem weiteren Bestände die verschiedensten 
Wege der Infektion wandelte, die im einzelnen dann nicht mehr 
zu verfolgen waren, ist ja selbstverständlich und findet ihre 
Hlustration in der Tatsache, dass im Herbst und Winter (1901 
bis 1902) zahlreiche Typhen in die Umgebung von Belgard ver¬ 
schleppt wurden, die niemals nachweisbare Beziehungen zu unsern 
Flussläufen gehabt. Dass der Bach und sein Abflussgraben ihren 
Teil an der Weiterverbreitung der Krankheit immer noch bei¬ 
steuerten, dafür sorgten sie in ihrer Eigenschaft als die grossen 
Sammelstellen jeglichen städtischen Unrats, zu welchem sich 



Zur Frage der Verbreitnog von Unterleibetypbn« dnrcb Flnwwawer. 769 

zweifellos einerseits die Abgänge manches nicht erkannten oder 
nicht genügend desinfizierten Krankheitsherdes gesellten, und 
anderseits die nicht zu bewältigende Einfalt und Renitenz der 
Bevölkerung. 

Za der Frage, wie. die Verseuchung des Flussianfes erfolgt 
ist, lässt sich eine Antwort ßür bis zu einer gewissen Wahrschein¬ 
lichkeit gaben. Im Mai und Juni tratet? mehrere Typhen in Bel- 
gard in die Erscheinung (5 Fälle). Bei’.'..zeitlichen Stellung nach 
konnten diese Erliranbungen mit ßerücksichtigußg der Inkubation 
für die Mjerfo-aukungeü wohl äis die FHmäj’erfo'ankungen ange¬ 
sehen werden. Ihrer ganzen örtlichen Lage nach scheinen sie 
jedoch meid die Verbreiter des iai Wasser toretaenden Keimes 
gewesen zu sein. Nach dem Bilde, welches die Krankheit im Be¬ 
ginne zeigte, traten die ersten Erkrankungen auch im östlichen 
Teile der Stadt auf in Haushaltungen, welche ihr Wasser der 
Deitznitz oberhalb 4er Eintrittsstelle dös Baches in das Stadt- 
gebiet entnehmen. Eine eilen Voraussetzungen genügende Er¬ 
klärung wurde in der Aufdeckung eines Krankheitsfalles gefunden, 
4«r-' iä einem' .Dorfe' 12 km aufwärts an einem Nebenflüssehen der 
Leitznitz im Juni 1801 vorgekommep, Hier hat um die ange¬ 
gebene Zeit ein 12 Jahre altes Mädchen 8 Wochen lang (im Mai 
und Juni) an einem schweren gastrischen Fiebei krank gelegen. 
Die Wäsche der Kranken ist täglich in dem Flüsschen gewaschen, 
die Stahle sind dicht am Fluesnfer undesinfiziert ausgegrisses, die 
Geschirre bezw. Eimer für Stuhl und Urin sind im Flusse ge¬ 
reinigt. Ein zwingender Beweis für den Zusammenhang dieses 
Falles mit den Belg&rder (auch den Fällen vom Jani) ist nicht 
zu erbringen; jedoch muss unter den vorliegenden Umständen 
der erwähnten Erkrankung eine hohe Wahrscheinlichkeit der Ver¬ 
schuldung rn der Versenclung des Belgard durchziehenden Flnss- 
laufes und der Infizierung der Stadt gugeschrieben werden. 

Die vorstehenden Ausfübrangen- geben in ihrer Gesamtheit 
den Niederschlag der Erfahrungen, welche der Berichterstatter 
über das Auftreten des Ünterleibstyphus an der Stelle seines 
Amtssitzes gemacht hat ’ Die die Stadt, durchziehenden Bäche sind 
die Verbreiter der Typhuskeime über das Stadtgebiet und somit 
die Schntdigco in dem Auftreten 4«f Typhttsepidemiett' in der Stadt. 
Das alljährliche Hervorlreteö des Typhus arn Ort beweist, dass 
in der Stadt und wohl auch auf. den Aeekerw der Umgebung der 
Stadt eine reiche Saat von T^husköiroe»; verstrebt Magi. 
selben ist nicht nachzttspüre«.und deshalb, ist das Auftreten des 
Einzelfalles vielfach nicht zu begründen. Dass aber - der Einzel- 
fall seine Beziehungen zu der Allgemeinheit gewinnt, das ver¬ 
dankt er den Wasserarmen, die die Stadt Mit ihrem 

Nehmen und Geben werden sie die Vermittler zwischen dem Ein¬ 
zelnen und der Bevölkerung, zwischen Kränken und Gesunden, 
werden sie zürn Verbreiter von Seuchen in der Gemeimle 

Das Vorgehen gegen den Unterleibstyphus wird gtfi,ntlp&te- 
licb stet« nach 2 Richtungen hin geführt werden mitSfe» 1 «: i, Fu* 
kennen und Festlegen des Einzelfalles mit Beseitigung’ Je* A. f > 





Dt SerfeL 


T«. 

«»fansrmge&hr Sr andere Pos»». 2. SdMmf der Seiten 
fett ftfeorättiiea Debea* regen das Eiadringet von Infektionskeimen, 
rdt«: 4er Typhu^r^-fahr anerkannt toi massgebender Be- 

tertnog frad. Die letztere Forderung wäre hm fällig. sobald es 
gelinge, der ersteren za genügen. Solange dieses nicht geschieht, 
mm sie. selbständig für sich bestehend, als notwendig anerknnnt 
▼erde», — Zur Erfüllung der ersteren Forderung bedarf es in 
reäe&emi Masse des Entgegenkommens des behandelnden Arztes 
*s*d der Einsicht des Publikums neben der Voraussetzung eines 
r*eÄrtzerag*n Eintretens des Arztes in die Behandlung. — Die 
zweite Aufgabe Ist Sache der Sanitätspolizei. Die Trinkwasser¬ 
frage ist für diese lange Gegenstand eifriger Fürsorge in der Be¬ 
handlung des Unterleibstyphus: die Gefahren welche der immer 
weher uns sich greifende Grossbetrieb genossenschaftlicher Milch¬ 
wirtschaften für die Allgemeinheit bez. der Typbusverbreitimg 
bringt, lassen mit zunehmender Dringlichkeit den Bnf nach einem 
allgemein rorgesrhriebenen Pasteuririernngsverfahren der ge¬ 
samten Gebranchsmflch laut werden. Die vorstehenden Aus¬ 
führungen gehören in das Gebiet der Gefahr, welche sich ans der 
Verunreinigung von Flnsslänfen ergeben. Die Forderung nach 
Berahaltong der Flüsse ist neuerdings in besonderer Weise aus¬ 
gesprochen. — Dem Schütze der Oeffentlichkeit gegen Typhus- 
gefahr möge Vorstehendes für sein kleines Teü dienstbar werden 
in der Gesundheitspflege neben den anerkannten Bestrebungen der 
Trinkwasserpflege and des Milchschutzes. 


lieber Fischvergiftang. 

Von Prof. Dr. 8eydel io Königsberg. 

Der Umstand, dass in dem Entwürfe znm neuen Seuchen¬ 
gesetze die Anzeige von Wurst-, Fisch- nnd Fleischvergiftung von 
den Aerzten verlangt wird, ebenso die Ausschreibung der St. 
Petersburger Akademie der Wissenschaften, welche einen höheren 
Preis auf die Erforschung der Fischvergiftung setzt, rechtfertigen 
nachstehende Mitteilung: 

In dem Städtchen Rh. im Reg.-Bez. Gumbinnen machte 
Dr. B. nachstehend beschriebene Beobachtung, die ich einer brief¬ 
lichen Mitteilung desselben entnehme. Am 11. September 1902, 
nachmittags 5 Uhr. wurde er in die Wohnung des Färbereibe¬ 
sitzers N. in Rh. gerufen und konstatierte folgenden Befand: 

Die 8tieftocbter des N. Frl. G., etwa 20 Jahre alt, von mehr als mittlerer 
Körpergrösse, schlankem Körperbau nnd mässig entwickelter Muskulatur, neigt 
eine wachsbleiche Farbe des Gesichtes, die eingesunkenen Augen sind toi 
dunkeln 8ehattenringen umgeben, leichte Somnolenz vorhanden, ans der Pnt. 
dnreh lantes Anreden erweckt, anaibt, sie fühle sich sehr schwach, könne nicht 
deutlich sehen, leide an hochgradiger Uebelkeit nnd Brechneigung, ferner an 
Sehmerzen im Halse nnd könne nicht schlucken. Die Mitteilung wird mit 
•ehr sehwaeher, kaum vernehmbarer Stimme gemacht. Der Puls ist enorm 
beschleunigt, 130 in d. M., kaum fühlbar. Beim Abziehen der scheinbar ge* 
Ithmten Lider erscheinen die Papillen stark erweitert, ohne jede Beaktion aaf 
Lichteinfall. Die Lippen trocken, der Mund geschlossen, lässt sich nnr unvoll¬ 
kommen öffnen; Znngenrüeken gelblich bräunlieh verfärbt ; sämtliche Abschnitte 



(jeher Fiechvergittnng. 


761 


des S&leea. soweit sie einer Uatewachang zngänglich sind, stark gerötet and 
trocken Die Magengegend aal Druck bcü? «u>pfb*iÜcü, na den übrigen Organen 
sind neanenawerte krankltaite Veründeiüdgen nickt nacliweiabar. Urin frei 
von Eiweius and Zucker. 

Die Diagnose^ dass es sich ura eine VergiftüDg xiorch ver¬ 
dorbene Nahrungsmittel handeln müsse, wurde durch die Tatsache 
bestärkt, dass auch bei weiteren 3 Mitgliedern derselben Familie, 
der Mutter und zwei 15—16jäiirigeu Kindern ßreehdurehfali und 
Sehstörung bestanden; der schulpflichtige Knabe war genötigt, 
eine Brille, die er bis dahin nie nötig gehabt, in der Schale zu 
brauchen. 

Die von Dt*. B. sogleich, vij^Tdiö weiteren Verlauf der 
Krankheit angestellten, korgfältigeü Nachforsehongeo bezüglich 
der in den letzten Tagen genossenen Speisen und Getränke waren 
von geringem Erfolge gekröntj da seitens der Angehörigen nur 
sehr widerwillig und unvollkommen Auskunft erteilt wurde, immer 
mit der Beteuerung, auf die Zubereitung und Aufbewahrung der 
Speisen würde die grösste Sorgfalt verwendet, hierduhih könne 
die Krankheit nicht her vorgerufen sein . 

Die Möglichkeit, durch chemische Öotersucbuüg des Magen¬ 
inhaltes die Diagnose sicher zu stellen, lies« sich nicht ausführen, 
da die im weiteren Krankheitsverlaute noch relativ häufigen 
Magen - DarmeriÜeerungeü trotz ausdrücklicher Anordnung nicht 
aufbewahrt wurden uad mm Mageoausspülusg bei dem rapiden 
Kräffeveviall und zunehmender Somnolenz, sowie bei der Unmög¬ 
lichkeit, den Mund der Patientin weit zu Öffnen, absolut ätiBge* 
schlossen war. Die Behandiang musste sich daher vorwiegend 
auf die Bekämpfung der subjektiven Beschwerden (Uebelkeit, . 
Magenschmerz, Stuhidrangv Diarrhoe) beschicken* vermochte diese 
zwar erheblich zu Imflurn, aber nicht den Kräfteverfaii ayfou* 
halten, so dass der Tod am 13. September 9 1%: abends eintrat. 

Auf die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft- wurde die ge* 
richtliche Öektiön am Hh September ausgeiührt, ui s Todes Ursache 
eine - acMetehöA. .Lungenentzündung, die sich aber bei absolut 
fieberlosem Eraokheitsverlaut nicht hatte diagnostizifere» .lassen, 
festgestellt. In dcö übrigen Organen speziell im VVrdaiiungskäiiäl 
wurden auffällige Veränderungen nicht gefunden. 

A?ön eifihf cbemischen U nt b rsuchung dm Leiehenteile 
wurde abgesehen.. Auf meine briefliche Anfrage teilte mir ür B. 
mit, dass die .Verwandten ' der Verstorbenen, erbittert Uber die 
öbduktie» der Deiche, jede Auskunft Verweigerten-, doch konnte 
er feetstellen, dass in der Familie des N. im Aiifaßg September 
Fische zubereitet und geuosseu waren. WeiteTe NachforschungeD 
waren bei der Widerh&nigkei? der -Beteiligte«/erfolglos, 

Die Admlichkeit dieser zweifellos auf -V#t-gfft»jög,:herubetMleu 
Gruppenerkrankuiig mit Botulismus ist ab- 

auch in dieser Richtung konnte von I>r. B. durch • 
gangen nicht der geringste Anhalt gewonnen wen; 

Prof. Di*. J. Schreiber hat im Jahre 13b ; tjj 
Wocheoschr., Nr. 11, S. 152} eine in Ostpreußen ‘ r: .a > . 
Gruppeherkrankung durch vergiftete Fische jj^au hu 






764 Aas Versammlungen und Vereinen. 

in Essig oder anderer Konservierungs - Flüssigkeit aufbewahrfce 
Fische handelt. 

Die Therapie ist, wenn es in frühen Stadien nicht gelingt, 
eine ausgiebige Entleerung der schädlichen Stoffe durch Magensonde 
oder Abführmittel herbeizuführen, eine wenig erfolgreiche; denn oft 
treten, wie Schreibers Fälle lehren, nach Wochen Todesfälle 
durch Lähmung der Atmung und vielleicht auch des Herzens ein. 

Es ist daher dankbar anzuerkennen, dass die Akademie der 
Wissenschaften in St. Petersburg namhafte Preise zur Er¬ 
forschung dieser noch immer rätselhaften und in ihren Folgen so 
deletären Erkrankung ausgesetzt hat. 

Sollte, wie in dem oben berichteten Falle aus Rh., das 
Publikum in unverständiger Weise den Anfklärungsversnchen 
Widerstand entgegensetzen, so müsste die volle amtliche Autorität 
des Kreisarztes eingesetzt werden, um die nötigen Ermittelungen 
zu ermöglichen. Belehrung und Warnung in den zur Fastenzeit 
nicht immer einwandsfreien Fischspeise verbrauchenden Gegenden 
wäre nicht ohne Nutzen. Jedenfalls müsste seitens der Haus¬ 
haltungen darauf gehalten werden, dass bei der Bereitung von 
Fischspeisen die Substanz bis zur völligen festen Gerinnung des 
Eiweisses bis in die tiefsten Schichten erhitzt wird. Es lässt sich 
dann das Fischfleisch zu verschiedenen Speisen auch nach einigen 
Tagen anstandslos verwenden. 

Eine unvollständige Eiweissgerinnung bedingt, namentlich 
bei hoher Lufttemperatur, stets Gefahr bei Fischspeisen. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die 28. Versammlung 
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege 
in Dresden am 10.—19. September 1903. 

Wenn die diesjährige Versammlung des Deutschen Vereine Ihr öffent¬ 
liche Gesundheitspflege fast ebenso sahireich wie die vorjährige in München 
besucht war — die Präsenzliste wies fast 600 Teilnehmer auf — so ist dies 
sicherlich s. T. auf die deutsche Städte-Ausstellung in Dresden 
surückzufflhren. Sie bildete auch während der Versammlnngstage den Haupt¬ 
anziehungspunkt für die Vereinsmitglieder, und zwar nicht blos mit Rücksicht 
auf die dort abgehaltenen Festlichkeiten — ein von der Stadt dargebotener 
Begrüssungsabend am Abend des ersten, und das Festessen am Abend 
des zweiten Sitzungstages —, sondern hauptsächlich mit Rücksicht auf die 
Ausstellung selbst, die gerade auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege recht Beachtenswertes darbot und ein ebenso interessantes, wie lehr¬ 
reiches Bild gab von den ausserordentlichen Fortschritten der Hygiene und von 
den erfolgreichen Bestrebungen der deutschen Städte, diesen Fortschritten 
tanlichst gerecht zu werden. Der äussere Verlauf der Versammlung war, wie 
immer, ein recht befriedigender, wenn er auch durch die recht ungünstige 
Witterung etwas beeinträchtigt wurde. Nur der letzte Tag war von dem 
schönsten Wetter begünstigt, so dass die Mitglieder, die bis dahin ausgebalten 
und sich an den Ausflug in die schönsten Partien der Sächsischen 
Schweiz beteiligt hatten, für ihre Ausdauer reich belohnt wurden. 

Brate Sitzung, Mittwoch, den 16. September d. J. 

I. Eröffnung der Versammlung. 

Die Verhandlungen wurden in üblicher Weise durch eine Ansprache des 
derzeitigen Vorsitzenden, H. Geb. Baurat Stubben-Köln, eröffnet, indem er 



Ana Versammlungen und Vereinen. 


765 


auf das 30 jährige Bestehen des Vereins hinwies und betonte, dass von den 
Grttadern desselben nur noch zwei — Geb. San.-Rat Prof. Dr. Lent-Köln und 
Geh. San.-Rat Dr. S p i e s s - Frankfurt a. U. — am Leben und auch hier an¬ 
wesend seien. Geh.-Rat Spiess habe seitdem nnunterbrochen als ständiger 
Sekretär die Geschäfte des Vereins in der aufopferndsten nnd vorzüglichsten 
Weise geführt und sich die grössten Verdienste um dessen Gedeihen erworben; 
deshalb schlage der GeschäftsansschUBS vor, ihn zum Ehrenmitgliede zu 
ernennen; ein Vorschlag, der einstimmig angenommen wurde. 

Nach Wahl des Bureaus erfolgte die Begrttssung durch den 
Geh. Reg.-Rat Dr. Kunze als Vertreter des Ministers des Innern und dem 
Oberbürgermeister Bentler als Vertreter der Stadt. Vor Eintritt in die 
eigentliche Tagesordnung stattete sodann noch der ständige Sekretär, Geb. 
San.-Rat Dr. Spiess, den Rechenschaftsbericht ab; darnach zählt der Verein 
z. Z. 1689 Mitglieder. 

II. Naoh welchen Richtungen bedürfen unsere derzeitigen Mass¬ 
nahmen nur Bekämpfung der Tuberkulose der Ergänzung. 

Der Referent, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Gaffky-Giessen, hatte seine 
mit grossem, alleeitigem Beifall entgegengenommenen Ausführungen in folgende 
Schlusssätze zusammengefasst: 

„I. Die unverkennbare Abnahme der Sterblichkeit an Lungenschwindsucht 
zeigt, dass wir mit unseren derzeitigen Massnahmen zur Bekämpfung der 
Taberkulose auf dem richtigen Wege uns befinden. 

II. Einer Ergänzung bedürfen die Massnahmen nach folgenden Rich¬ 
tungen : 

1. Es sind in hinreichender Zahl öffentliche Untersuchungsstellen zu schaffen, 
durch welche den Aersten in Stadt und Land die Möglichkeit geboten 
wird, die Absonderungen tuberkuloseverdächtiger Kranker unentgeltlich 
auf das Vorhandensein von Tuberkelbazillen untersuchen zu lassen. Die 
Einsendung der Proben an die Untersuchnngsstellen ist den Aerzten tun¬ 
lichst zu erleichtern. 

2. Den Aerzten ist eine beschränkte Anzeigepflicht aufzuerlegen, welche sich 
zum mindesten zu erstrecken hat: 

a) auf jeden Todesfall an Lungen- oder Kehlkopfschwindsncht; 

b) auf jeden Fall, in welchem ein an vorgeschrittener Lungen- oder 
Kehlkopfschwindsucht Erkrankter aus seiner Wohnung verzieht oder 
in eine Heilanstalt gebracht wird; 

c) auf jeden Fall, in welchem ein an vorgeschrittener Lungen- oder 
Kehlkopfschwindsucht Erkrankter in Rücksicht auf seine Wobnnngs- 
verhältnisse oder unsauberen Lebensgewohnheiten seine Umgebung 
hochgradig gefährdet. 

8. Für die Fälle unter 2 a und 2 b ist die DeBinfektionspflicht einzuführen. 
Die Kosten der Desinfektion sind, zum mindesten soweit es sich um wenig 
bemittelte Personen handelt, aus Öffentlichen Mitteln zu bestreiten. 

4. In den Fällen unter 2 c hat die Behörde tunlichst im Einvernehmen mit 
dem behandelnden Arzte diejenigen Anordnungen zu treffen, welche zur 
Verhütung der Krankheitsübertragung geeignet erscheinen. 

5. Das wirksamste Mittel, unter ungünstigen WohnungBverhältnissen und bei 
unsauberen Lebensgewohnheiten der Kranken die Krankheitsübertragung 
zu verhüten, besteht in der Verbringung der Kranken in ein Krankenhaus. 
Eine besonders dringende Aufgabe ist daher die weitere Schaffung von 
Heimstätten und Asylen, sowie von besonderen Abteilungen in den all¬ 
gemeinen Krankenhäusern, in welchen unbemittelte, für die Heilstätten 
nicht geeignete Schwindsüchtige unentgeltlich oder gegen geringes Entgelt 
Aufnahme finden können. 

6. Sofern ln den Fällen unter 2 c die Entfernung des Kranken aus der Woh¬ 
nung sich nicht erreichen lässt, iBt die Entfernung der Gesunden, soweit 
sie nicht zur Pflege nötig sind, namentlich aber der Kinder anzustreben. 
Durch Errichtung von Säuglingsheimen und Kinderasylen ist in weiterem 
Umfange als bisher die Möglichkeit zu schaffen, der in früher Jagend be¬ 
sonders grossen Gefahr einer tuberkulösen Infektion vorzubeugen. 

7. Es ist darauf hinzu wirken, dass tuberkulöse Personen solchen Berufen und 
Beschäftigungen ferngehalten werden, welohe die Gefahr einer Ueber- 



766 


Au Versammlungen and Vereines 


tragung der Krankheit besonders naheliegend erseheinen lassen, s. B. dem 
Seemannsbernfe, der Beschäftigung in stanbersengenden Betrieben, der 
Beschiftignng in Verkaufsstellen von Nahrungsmitteln und dgl.“ 

An der Hand der Statistik wies Referent auf die ausserordentlich gross e 
Zahl ron Todesfällen hin, welche lediglich der Tuberkulose sur Lut n legen 
sind. Im Jahre 1900 sind im Deutschen Reiche 112000 Personen an Tuber* 
kuloee der Lungen und 10000 Personen an solohe anderer Organe gestorben, 
während z. B. nur 66000 Todesfälle durch Diphtherie yerunaeht worden 
sind. Diese Ziffern bleiben noch weit hinter der Wirklichkeit zurück, da du 
nrseit nicht alle der Tuberkulose sar Lut fallenden Todesfälle statistisch 
su fassen vermag. Jeder zehnte Todesfall wird durch Tuberkulose yerunaeht. 
Am schwersten wird du erwerbsfähige Alter (15. bis 60. Lebensjahr) von der 
Krankheit betroffen, auf du zwei Drittel aller Todesfälle an Tuberkulose ent* 
fallen. Von den Erwerbsfähigen geht nahezu der dritte Teil aller überhaupt 
Verstorbenen an Tuberkulose mittelbar oder unmittelbar zugrunde. Mit dem 
zunehmenden Lebensalter steigt die Häufigkeit der tuberkulösen Infektion. 
Unter 1400 obduzierten Leichen von Leuten Aber 30 Jahren fand Nägeli in 
Zürich keinen einzigen Fall ohne frische oder geheilte tuberkulöse Verände¬ 
rungen und im städtischen Krankenhause in Dresden sind bei 91°/» aller ver¬ 
storbenen Erwachsenen tuberkulöse Veränderungen festgestellt. 

Obwohl seit der Entdeckung des Tuberkelbacillus erst zwanzig Jahre 
vergangen sind, lässt sich jedoch in allen Ländern schon eine unverkennbare 
Abnahme der Tuberkulose verzeichnen. Im Grossherzogtum Hessen ist z. B. die 
Tuberkulosen-Sterblichkeit von 3,35°/oo auf 2,4°/oo der Lebenden gesunken; ein 
Erfolg, der nicht nur auf die Verbesserung der Lebensbedingungen und 
Wohnungsverhältnisse zurttokzuführen ist, sondern vor allem auch auf die durch 
Warnungen, Belehrungen usw. sich immermehr unter der Bevölkerung, nament¬ 
lich der städtischen, verbreitende Erkenntnis, dass die Tuberkulose eine über¬ 
tragbare Krankheit ist, gegen die man sich schützen kann. 

Neben den allgemeinen Massnahmen, die insbesondere Besserung der 
Wohnungs- und ErnährungsverhältniBse, Erziehung zur Reinlichkeit usw. im 
Auge haben müssen, ist der Kampf gegen den Bacillus selbst nicht zu unter¬ 
schätzen. Deshalb darf anch der Wert der Lungenheilstätten nicht su gering 
geachtet werden, in denen die Kranken eine wertvolle hygienische Schulung 
erwerben und diese in das Volk hinaustragen. Schon von diesem Gesichtspunkte 
aus sind die Heilstätten als ein bedeutsamer Fortschritt ansusehen; daneben 
müssen aber auch Heimstätten, Asyle, besondere Abteilungen in 
Krankenhäusern zur Aufnahme von solchen Kranken geschafft werden, die 
nicht für die Heilstätten geeignet sind oder ihre Umgebung gefährden. Mit 
Recht betont der Referent den Wert der frühzeitigen Diagnose der Tuber¬ 
kulose, die, da es den Aerzten häufig an Zeit und den erforderlichen In¬ 
strumenten mangelt, durch unentgeltliche Untersuchung verdächtiger Sputa in 
geeigneten bakteriologischen Untersnehungsstellen erleichtert werden müsste, 
ähnlich wie dies in Belgien durch die Provinziallaboratorien sowie in einzelnen 
preussischen Reg.-Bezirken, z. B. in Halle für den Reg.-Eez. Merseburg, und 
verschiedenen deutschen Bundesstaaten (Zentralanstalt für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege in Dresden usw.) geschieht. 

Von nicht minder grosser Bedeutung für die Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose ist die Anseigepflicht, die Referent in beschränktem Masse (s. die 
Leitsätze II, 2a—c) für notwendig und durchführbar hält; dasselbe gilt betreffs 
der Desinfektion, auf deren erfolgreiche Durchführung aber nur dann ge¬ 
rechnet werden kann, wenn die Kosten aus öffentlichen Mitteln getragen werden. 

Bezüglich der von Koch angeschnittenen Frage über die Identität 
der Menschen- und Rindertuberkulose liegt zurzeit jedenfalls noch 
ein non liquet vor. Es müssen erst umfangreichere Untersuchungen ange¬ 
stellt werden, ehe an eine Revision derjenigen Massnahmen heran getreten 
werden kann, die eine Verhütung der Uebertragung der Rinder - Tuberkulose 
im Auge haben. 

Nachdem Referent noch eingehend die I sol ier u n g der K ranken in den 
Wohnungen sowie den Schutz der Gesunden, namentlich der Kinder, deren 
Entfernung aus derartigen Wohnungen erörtert und auf die Errichtung von 
Säuglingsheimen, Kinderasylen hingewiesen hatte, um jene in früher 



Ans Versammlungen and Vereinen. 


767 


Jagend gegen die Ansteckungsgefahr sn sichern, schloss er mit dem Wunsche, 
dass der Verein die Bekämpfung der Tuberkulose ebenso energisch und er¬ 
folgreich in die Hand nehmen möge, wie er dies dem Wohnungselend gegenüber 
getan habe I 

In der sich anschliessenden, verhältnismässig lebhaften Debatte fordert 
Dr. Petruschky, Direktor des bakteriologischen Instituts in Dansig, die 
Errichtung wissenschaftlicher Untersuchungsstationen, die nicht nur die Unter¬ 
suchung des Auswurfs, sondern auch die Frühdiagnose mit Tuberkulin zu hand¬ 
haben verstehen. Die städtischen Gemeinden sollten ausserdem die armen- 
ärstliche Fürsorge für die Tuberkulösen zu zentralisieren suchen, um den 
tuberkulösen Seuoheherden energischer als bisher zu Leibe za gehen. Hit den 
sanitätspoliseisichen Forderungen des Beferenten kann sich dieser Bedner nur 
einverstanden erklären, während sich der folgende, Beigeordneter Lehwald- 
Duisburg, davon nichts verspricht und mehr durch eine geeignete Erziehung, 
Belehrung, namentlich durch die Aerste, zu erreichen glaubt. iMbesondere 
empfiehlt er eine geeignete freiwillige Wohnungspflege, durch welche das Ver¬ 
bleiben der Kranken in der Pflege ihrer Familie ermöglicht wird und sieh ihre 
zu lange Unterbringung in den Krankenhäusern erübrigt. Sanitätsrat Dr. 
Altschul-Prag wendet sich gegen die heutige Medizinalstatistik, die zu 
weitgehenden und unberechtigten Schlüssen führe und gerade mit Rücksicht 
auf die zu ergreifenden vorbeugenden Massregeln im Stich lasse. Nicht 
die Tuberkulose habe abgenommen, sondern die allgemeine Sterblichkeit. Für 
die Bekämpfung der enteren müsse der Hauptwert auf Sauberkeit in den 
Wohnungen uw. gelegt werden. Auch Dr. Wolff-Beiboldsgrün bezeichnet 
die Ergebnisse der Statistik als zweifelhaft und hofft von der Anerziehung der 
Jugend mehr Erfolg als von der Heilstättenbehandlung. Nachdem sodann Ober¬ 
bürgermeister Schmidt-Erfurt einige Mitteilungen über die Ergebnisse der 
dort seit 1897 eingeführten unentgeltlichen Untersuchungen des Auswurfs 
Tuberkulöser und über die Ausführung der Zwangsdesinfektion nach Todesfällen 
infolge von Tuberkulose gemacht hat, betont Geh. Ob.-Med.-Bat Dr. Kirchner- 
Berlin, dass die Statistik des Kaiserl. Gesundheitsamtes betreffs des BUck- 
gangs der Tuberkulosesterblichkeit als einwandsfrei anzusehen sei; zur Zeit 
fange die letztere aber wieder an, langsam zu steigen. Durch Besserung der Er¬ 
ziehung des Volkes die Tuberkulose hauptsächlich bekämpfen zu wollen, sei ein 
aussichtsloses Unternehmen in anbetracht der vielfach herrschenden traurigen 
Familienverhältnisse. Auch hygienische Belehrungen, Vorträge usw. haben 
bisher wenig Erfolg gehabt; zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse werde 
in Preussen ein Wohnungsgesetz geplant. Der Forderung der Anzeigepflicht 
stimmt Bedner voli zu, ohne diese sei nichts zu machen. Bedenklich erscheine 
nur die ausschliessliche Beschränkung auf die Aerste, da diese dann 
vielfach nicht zugezogen würden und der Kurpfuscherei Tür und Tor geöffnet 
werde. Die Desinfektionspflicht müsse dauernd während der ganzen Krankheit 
gefordert werden. Mit den Heilstätten allein könne man nicht durchkommen, 
wenn sich auch ihr Nutzen nicht verkennen lasse. Die Hauptsache sei, die¬ 
jenigen Leute unschädlich zu machen, die für ihre Umgebung gefährlich sind. 

In der weiteren Debatte bemängelte Bürgermeister Job an sen-Minden, 
dass die Erfolge der Heilstätten in der Presse grösser angegeben würden, als 
sie in Wirklichkeit seien, und dadurch die öffentliche Meinung irre geführt 
würde. Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Löffler-Greifswald trat warm für die 
Gründung von Heimstätten statt Heilstätten ein; Prof. Dr. Hahn-München wies 
darauf Mn, dass die Schulärzte ihren Einfluss auf die Berufswahl bei Kindern 
um tuberkulösen Familien geltend machen sollten; Prof. Dr. v. Esmarch 
betonte die Notwendigkeit unentgeltlicher Wobnungsdesinfektion gerade mit 
Rücksicht auf die Bekämpfung der Tuberkulose. In seinem SchlMBWort sprach 
der Referent seine Freude darüber auB, dass seine Ausführungen und Vor¬ 
schläge allseitige Zustimmung gefunden hätten. Er begründe darauf die Hoff¬ 
nung, dass sie nicht ohne segensreiche Früchte bleiben würden! 

III. H 7 glenische Einrichtungen der Gasthäuser und 

Schankstätten. 

Der Referent, Reg.- u.Med.-Bat Dr. Bornträger-Düsseldorf, führte 
zunächst aus, dass auf dem Gebiete der Gasthofshygiene auffallender Weise 
bisher nur verhältnismässig wenig und eigentlich nur nebenbei durch gesetz- 



768 


Aas Versammlungen and Vereinen. 


liehe Bestimmungen, Polizei Verordnungen asw. geschehen sei, die in erster Linie 
sitken-, Verkehrs- and feuerpolizeiliches Interesse im Aage hätten. Wenn anch 
die Verhältnisse in den Gasthäusern äasserst verschieden seien, je nachdem es 
sich am eia fashionables Hotel der Grossstadt oder am ein einfaches Dorf- 
Wirtshaus handele, so müssten doch in hygienischer Hinsicht bestimmte and 
für alle geltenden Anforderungen gestellt werden, um den dnrch die Eigen¬ 
tümlichkeiten im Wirtschaftsleben für die Gäste wie für das Personal beding¬ 
ten gesundheitlichen Gefahren mit Erfolg entgegenzatreten. Referent wies 
insbesondere unter Anführung von Beispielen hin aaf die Gefahren der Uebertra- 
gong ansteckender Krankheiten dnrch die Gäste aaf andere Gäste, die Wirte 
and deren Familie sowie aaf das Personal, ferner aaf die gesundheitlichen Ge¬ 
fahren der Gäste darch verdorbene Nahrangsmittel asw. Er besprach dann 
eingehend an der Hand der von ihm anfgestellten Leitsätze (s. nachstehend) 
die hygienischen Einrichtungen, die in Gasthäusern und Schankstätten gefordert 
werden müssten and von deren Herstellung die Konzessionserlaubnis abhängig 
gemacht werden sollte. Insbesondere betonte er die Notwendigkeit einer 
einwandsfreien and reichlichen Wasserversorgung, sowie ausreichender Bade- 
einrichtangen für die Gäste sowohl, als für das Personal; desgleichen erörterte 
er eingehend die in Bezag aaf die Beseitigung der Abfallstoffe, bauliche Ein¬ 
richtung der Gasthäuser asw. za stellenden Forderungen, indem er gleichzeitig 
das bisher aaf diesem Gebiete teils durch behördliche Anordnungen, teils durch 
eigenes Vorgehen einsichtiger Wirte Erreichte hervorhob. Darch Mithalte der 
Gäste selbst kOnne gerade hier viel erreicht werden, da viele Wirte in ihrem 
eigenen Interesse nicht abgeneigt sind, den gegebenen Anregungen Folge zu 
leisten. Referent schliesst seine vortrefflichen Ausführungen mit dem Wunsche, 
dass dies künftighin in noch grösserem Masse als bisher der Fall sein ncOge. 

Die von ihm aufgestellten Leitsätze hatten folgenden Wortlaut: 

„1. Gasthäuser und Schankstätten, nötige and nützliche Anstalten des 
öffentlichen Verkehrs, bedingen zafolge der Eigentümlichkeiten des Wirtschafts¬ 
lebens leicht gewisse besondere gesundheitliche Gefahren für die Gäste, daneben 
aaoh für das Personal und für weitere ßevölkerungskreise (Uebertragnng an¬ 
steckender Krankheiten, Verursachung sonstiger Erkrankungen, Gesundheits- 
schädigangen, Belästigungen und Störungen des seelischen and körperlichen 
Wohlbefindens). 

2. Es sind daher hygienische Einrichtangen am Platze, so namentlich: 

a) Versorgung der ganzen Wirtschaft mit reichlichem, zu jedem Zwecke 
der Körperpflege and Haashaltang geeigneten, infektionssicherem Wasser 
and seine bequeme Bereitstellung für Gäste, Personal und gesamten 
Betrieb. 

b) Vorkehrungen für eine beqaeme, belästigangslose, unschädliche Beseiti¬ 
gung sämtlicher Abfallstoffe. 

c) Zweckentsprechende and gesandheitsmässige Anlage, Bauart and Ein¬ 
richtung der ganzen Wirtschaft. 

d) Geordneter, sauber and gesundheitsgemäss dnrcbgefflhrter Betrieb. 

e) Gesunde Verpflegung ohne Trinkswang. 

f) Gesundheitliche Fürsorge für das Personal. 

g) Gehörige Berücksichtigung der im Hanse aaftretenden, insbesondere an¬ 
steckenden Krankheiten.“ 

h) Massnahmen gegen mit dem Wirtschaftsverkehr gelegentlich verbundene 
Auswüchse auf moral- and sozialhygienischem Gebiet. 

3. Manche dieser hygienischen Einrichtungen sind vorgeschrieben, manche 
hier and da von einsichtigen Wirten aas eigenem Antrieb eingefübrt; im all¬ 
gemeinen ist ein grösseres praktisches Interesse znr Sache dringend za 
wünschen; and der vorsichtige Besucher von Gasthäusern and Schankstättes 
wird znm Schatze seiner Gesundheit gewisser privater hygienischer Mass¬ 
nahmen nicht entraten wollen. 

Der Vortrag gab nur za einer kurzen Debatte Veranlassung. 

(Fortsetsang folgt.) Rpd. 



Ans Versammlungen nnd Vereinen. 


769 


Bericht über die 75. Versammlung Deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte ln Kassel rem Septbr. 1903. 

Ueber den Verlauf der Versammlung kann man im allgemeinen 
sagen, dass er ein sehr gelungener war. Nicht nur klappte alles in der Organi¬ 
sation tadellos, sondern es wurde auoh das überreiche wissenschaftliche Pensum 
(über 500 Vorträge) glatt erledigt, und nicht zum wenigsten kamen, begünstigt 
von einem selten schönen Wetter, die festlichen Veranstaltungen zu 
ihrem Rechte. 

I. Allgemeine 8itaungen. 

Die allgemeinen Sitzungen worden am Montag, den 21. September, 
mit einem Vortrag von Prof. Dr. Ladenburg-Breslau: „Einfluss der Natur¬ 
wissenschaften auf die Weltanschauung“ eröffnet, der ohne wesentlich neue 
Gesichtspunkte zu bringen, doch an der Stelle und in der Form, wie er gehalten 
wurde, nicht nur lokal, sondern auch ausserhalb viel Aufsehen erregt hat. 

Sodann sprach Prof. Dr. Ziehen-Utrecht, jetzt in Halle a. S., Uber 
„Physiologische Psychologie der Gefühle und Affekte“. Redner führte aus, 
dass beim Studium seelischer Vorgänge die gewöhnlichen Hilfsmittel (Analyse 
und Synthese) naturwissenschaftlicher Forschung versagen, weil die Er¬ 
scheinungen gar zu fliessende seien. Man hat sich einstweilen vielfach mit 
Definitionen geholfen, die aber nicht als Mittel zur Erforschung dienen können. 
An Beispielen zeigt er dann, dass zum Zustandekommen einer bewussten Vor¬ 
stellung, z. B. zur Apperzeption eines Bildes nötig sind: der äussere Reiz, die 
Erregung der Hirnrinde nnd der seelische Prozess des Sehens. Diese drei 
Parallelreihen bilden auch die Grundlage, auf welcher die Affekte studiert 
werden müssen. Während aber über den äusseren Reiz vieles bekannt ist, ist 
dies Uber den gefühlserregenden Prozess der Hirnrinde nicht der Fall. 

Die Theorie, nach der die Vorstellungen und Empfindungen im Gehirn 
an und für sich affektlos sind und sämtliche Affekte nur sekundären Erregungen 
entspringen, ist ebenso wenig haltbar als die auf Darwinistischer Grund¬ 
lage beruhende Bilanztheorie des Gehirns. Ueberwiegen die Einnahmen des 
Gehirns, so soll Lust, überwiegen die Ausgaben, so soll Unlust vorhanden sein. 
Diese Theorie lässt uns indes über den gefühlserregenden Prozess völlig im 
Dunkeln und wird durch die Beobachtung nicht bestätigt; bei Erschöpfungs- 
psychosen, bei denen doch sicher eine Unterbilanz vorhanden ist, kommen ab¬ 
norm heitere Zustände vor. Ziehen selbst weist darauf hin, dass alle Ge- 
fühlsvorgäuge und Affekte auf Erregungen der Hirnrinde beruhen und stets 
mit Vorstellungen und Empfindungen verknüpft sind. Demnach sind die Affekte 
keine selbständigen Aeusserungen des Seelenorgans, sondern der gefühlserregende 
nnd der die Vorstellungen erzeugende Prozess stehen zu einander in Beziehungen. 
Um diese Beziehungen zu einander zu erforschen, bat man einerseits die Re¬ 
aktionszeit nach Hervorrufen positiver und negativer Affekte bestimmt uni ge¬ 
funden, dass positive Affekte den Vorstellnngsablauf beschleunigen, negative 
verlangsamen. Anderseits aber liess sich auch feststellen, dass ein Zusammen¬ 
hang zwischen dem Grade der Erregbarkeit der Hirnrinde und den Affekten 
nicht nachweisbar war, so dass Ziehen zu dem Schlüsse kommt, dass die Ver¬ 
änderung der Entladungsbereitschaft das wesentliche Moment für das Zustande¬ 
kommen der Affekte bildet. Die Entladungsbereitschaft bei positiven (Lust) 
Affekten ist erhöht, bei negativen (Unlust) herabgesetzt. Inwieweit diese Vor¬ 
gänge mit der Beschaffenheit der Hirnzellen Zusammenhängen, müsse erst noch 
festgestellt werden.. 

In der zweiten allgemeinen Sitzung am Freitag, den 25. Sep¬ 
tember, sprach zuerst Prof. Dr. N. Griesbach- Mühlhausen über den „Stand 
der Schulhygiene“. Aus einer sehr umfassenden Nachfrage hat Redner reiches 
Material gesammelt, das sich im Rahme • eines kurzen Referates nicht ausführ¬ 
lich wiedergeben lässt. Er fordert Anstellung von Schulärzten an allen Scbnlen, 
auoh an. den höheren, und hält es für möglich, dass ein Schularzt 1200—2000 
Kinder überwachen kann, ohne dass dadurch die nötigen saebgemässen Unter¬ 
suchungen leiden. Er weist ferner auf den Zweck nnd den Nutzen der Schul¬ 
ärzte nicht nur für die Schule, sondern auch für die Allgemeinheit hin. Bei 
der Hygiene des Unterrichts fordert G. wesentliche Herabsetzung der Anforde¬ 
rungen, namentlich in den höheren Anstalten, durch Verminderung des Lehr- 



770 


Ans Versammlungen und Vereinen. 


stoffee; er weint an Beispielen besonders ans Frankreich nach, dass dies sehr 
wohl mBglieh ist; sa seinen Forderungen gehört n. a. die Abschaffung der 
Abitorientenprüfung and eine bessere Einteilung des Schuljahres. 

Zum Schluss hielt sodann Geh. Bat Prof. Dr. y. B e h r i n g, Exz. (Marburg) 
seinen Vortrag „Ueber Tuberkulosebekämpfung“. ▼. Behring geht von 
seinen Untersuchungen am Bindrieh ans und stellt fest, dass in allen gro s sere n 
Bindriehbeständen fast sämtliche ältere Tiere auf Tuberkulose reagieren. Diese 
Tatsache wurde durch die Untersuchung mehrerer Tausdend Binder erwiesen 
und ist auch andernorts bestätigt worden. Dabei hat sich ausserdem heraus¬ 
gestellt, dass einzelne Viehrassen der Infektion nicht so ausgesetzt sind als 
andere. So berechnet s. B. r. Behring, dass das Vogelsburger Bind noch 
ror etwa 12 Jahren in der Hauptsache tuberkulosefrei war und dass der 
Prozentsatz an Tuberkulose erkrankter Tiere bei derselben Basse noch heute 
um das vielfache geringer ist, als bei den andern, in Hessen einheimischen 
Bassen. Voraussichtlich aber würde dies günstige Verhältnis bereits in zehn 
Jahren verschwunden sein, falls nicht Vorkehrungen getroffen würden, hier Ein¬ 
halt zu tun. 

Das bisher geübte Bangsohe Verfahren der Tuberkulosetilgung beim 
Bindvieh ist indes sehr umständlich und kostspielig; es lässt sieh auch nur 
auf grosseren Gütern durchführen. Es bedeutet demnach das v. Behring an¬ 
gegebene Schutzimpfangsverfahren in jeder Hinsicht einen bedeutenden Fort¬ 
schritt. Die einschlägigen Versuche wurden zunächst in der Provinz und dem 
Grossherzogtum Hessen, später auch ausserhalb derselben angestellt; ea int 
durch dieselben vor allem die Unschädlichkeit des Verfahrens nachge wiesen 
worden. Die ganze Arbeit wurde anfangs durch v. Behring und seinen Assi¬ 
stenten (B 0 m e r) allein ausgeführt und der Impfstoff unentgeltlich abgegeben, 
indes ist das beim jetzigen Umfang nicht mehr möglich und v. Behring hat 
den Vertrieb des Impfstoffes der Firma Dr. Siebert und Dr. Ziegenbeiu 
in Marburg übertragen. Nachdem v. Behring noch gegen Neufeld mit 
seiner Arbeit aus dem Kochschen Institut: „Ueber Immunisierung gegen 
Tuberkulose“ wegen der Priorität polemisiert hat, stellt er die Uebereiu- 
stimmung in den Besaiteten der Versuche von Koch und seinen eigenen lest 
und kommt zu dem Schlosse, dass „die Ausrottung der Bindertuber- 
kulose nur noch eine Frage der gewissenhaften und technisch 
einwandsfreien Ausführung der Schutzimpfungen“ sei. 

Die Studien über die Frage, ob ein Schutz nur dann erreieht werde, 
wenn der Organismus ähnlich wie bei den Pocken mit einem typischen Bat- 
zündungsprozess reagiert hat, sowie über die Frage der Immunitätsvererbung 
seien noch nicht beendet. Anscheinend aber werde die letztere nicht von der 
Mutter auf das Kalb direkt vererbt, wie aus den Versuchen an einer hoch- 
immunisierten Kuh hervorgeht, sondern das Kalb erwerbe die Immunität ent 
durch die Milch der Matter. Ob nun auf diesem Wege sich eine Immunmilch 
erzeugen lasse, ob und wie deren Gestalt an Scbutzstoffen gesteigert und 
ob eine solche Milch zur Tuberkulosebekämpfung beim Menschen verwertet 
werden kOnne, sei bis jetzt noch nicht mit Sicherheit zu sagen, indes hegt 
v. Behring die begründete Hoffnung,dass auf diese Weise ein Mitte 
gefunden werde, welches alle bisherigen im Kampfe gegen 
Tuberkulose hinter sioh lasse. Vorsichtige Versuche in diesem 8iane 
seien bereits im Gange, doch sei die Abgabe solcher Milch an andere einst¬ 
weilen noch unmöglich. 

Darauf wendet sioh der Redner zu einer Besprechung der Grundlagen, 
auf denen sein Verfahren aufgebaut ist. Er geht zuerst auf die Frage ein, 
welche Beziehungen zwischen den TuberkelbaziUen, die vom Menschen und vom 
Binde stammen, bestehen, und kommt anf Grund der vorliegenden Tatsache* 
zu dem Resultat, dass beide Erreger „artgleioh“ (im Darwinschen Sinne) 
seien und nur durch das längere Verweilen im Menschen bezw. Tierkörpen 
die im Experiment nachweisbaren funktionellen Unterschiede bezüglich der 
Virulenz erworben haben, Unterschiede, die sich jedenfalls nach v. Beh¬ 
rings Ansicht duroh Züchtungsversuche wieder verwischen lassen würden. 
Dabei soheint nach den bisherigen Beobachtungen schon jetzt festzustehen, dam 
die Taberkelbazillen des Bindes virulenter auch für den Menschen sind als dis 
des Menschen. 



Aas Versammlungen and Vereinen. 


771 


Bedner erwähnt alsdann die ungeheure Verbreitung der Tuberkulose 
beim Menschen, besonders in dichtbevölkerten Besirken, Uber deren Umfang 
man erst seit der Entdeckung des Tuberkelbacillns durch Ko eh nnd des Tm 
berkalins einen Ueberblick habe. N&geli (Zürich) fand, dass simtliche 
Leichen von Personen, welche nach dem 80. Lebensjahre starben, Zeichen von 
Tuberkulose erkennen liessen, während sich solche fanden bei Verstorbenen im 
Alter 

▼on 18—80 Jahren in 96 */ 0 der Fälle, 

. 14-18 „ ,60 •/. , , 

, 6—14 , , 88 1 /* # /o , 

1—6 


und Leichen von Kindern unter 1 Jahr deutliche Erkrankungen vermissen 
liessen. 


Die Zahlen werden völlig bestätigt durch die Tuberkuliniqjektionen am 
Lebenden. Diese Verbreitung der Tuberkulose aber lässt nach v. Behring 
die Möglichkeit der Ausrottung durch Absperrungsmassnahmen in dichtbe¬ 
völkerten Bezirken ganz illusorisch erscheinen. Ebenso sei von den bisherigen 
Mitteln zur Schwindsuohtsbekämpfnng nicht allzuviel zu halten; die Heilstätten 
sollten als Heimstätten für hustende Phthisiker — also als Qnarantäneorte — 
benutzt werden. 


Glücklicherweise deckt sich indes der Begriff der tuberkulösen Infektion 
nicht mit dem der tuberkulösen Sehwindsucht. Bei der Frage nach der Ent¬ 
stehung der letzteren behauptet v. Behring zunächst, dass bis jetzt nirgends 
einwandsfrei bewiesen sei, dass bei einem ausgewachsenen Menschen jemals 
Lungenschwindsucht in Folge einer unter gewöhnlichen Verhältnissen ver¬ 
kommenden Infektion mit Bazillen entstanden sei. Er begründet diesen Satz 
damit, dass bei der Verbreitung der Tuberkulose ob niemals von der Hand zu 
weisen sei, dass in denjenigen Fällen, in welchen die Infektion anscheinend später 
auftritt, nicht doch schon ein tuberkulöser Herd vorhanden war, der nnr durch 
irgend welche anderen Einflüsse in floride Phthise Uberging. Er will damit 
keineswegs die Infektion Erwachsener leugnen, sondern er behauptet nur, diese 
führe nicht zur typischen Lungenschwindsucht. Wenn durch Erwachsene von 
tuberkelbasillenhaltigem Staube oder Tröpfchen eine Lungenschwindsucht ent¬ 
steht, so sei diese Infektion stets nur eine „additioneile“ gegenüber der bereits im 
Kindesalter erfolgten. Nach v. Behrings tierexperimentellen Untersuchungen 
entstehen die für menschliche Lungenschwindsucht charakteristischen Gewebs¬ 
veränderungen stets erst durch eine „weitgehende und lang dauernde Um¬ 
stimmung der vitalen Apparate des Gesamtorganismus —* also durch eine 
Art „Dyskrasie“. Nach seinen Beobachtungen an Ziegen, die er zunächst 
mässig immunisiert nnd denen er alsdann starkes Virus in die Blutbahn 
spritzte, wodurch dann typische Lungenschwindsucht entstand, sei die Gewebs¬ 
zerstörung bei der menschlichen Lungentuberkulose der Ausdruck für die In¬ 
fektion bei einem Individuum, das durch eine frühere Tuberkuloseinfektion 
weniger widerstandsfähig geworden sei; die spätere Infektion könne dann auf 
eine Inhalation znrüokgeführt oder als eine Art Antoinfektion besw. Metastase 
aufgefasst werden. Jedenfalls sei der Hauptwert auf die im frühen Alter 
erworbene Taberkuloseinfektion zu legen. 


Bezüglich der Vererbu ng der Tuberkulose ist er der Ansicht, dass weder 
eine congenitale, noch prägenitale, d. h. elterliche oder weitersurückliegende 
Vererbung, sondern nur die postgenitale in Betracht kommen d. h., dass in 
den Familien, in welohen Schwindsucht anscheinend erblich ist, die Infektion 
erst nach der Geburt erfolgt und zwar sei „die Säuglingsmilch die 
Hauptquelle für die Entstehung der Schwindsuoht“. Wenn 
auch in der Begel dem 8äugling nur gekochte Miloh verabreicht werde, und 
wenn auoh die Mutter- und Ammenmiloh sehr keimarm seien, so sei der Grund 
für obige Behauptung in der Tatsache zu suchen, dass dem Säuglingsdarme 
die Schutzvorrichtungen fehlen, welche beim Erwachsenen das Eindringen von 
Krankheitserregern in die Gewebssäfte verhindern. Als Beleg hierfür führt er 
an, dass genuine Eiweisskörper im Darme Erwachsener erst in Peptone ver¬ 
wandelt und als solche in die Gewebssäfte ttbergeführt werden, während sie 
im Darm des Säuglings durchgelassen werden und als solche im Blute er¬ 
scheinen, s. B. die in Diphtherie- und Tetanusautotoxin als genuines Eiweiss 



772 


Besprechungen. 


enthaltenen Heilkörper. In derselben Weise verhalten sieh anch die Bakterien, 
nnd experimentell konnte der Beweis erbracht werden, dass nicht nnr diese, 
sondern auch davon giftige Stoffwechselprodnkte den Säuglingsdarm ungehindert 
passieren, während dies beim Darm des Erwachsenen nicht der Fall ist. Der 
erstere entbehrt nämlich zum Unterschied gegen den letzteren eine zusammen¬ 
hängende Epitheldecke, auch sind die fermentabsondernden Drüsenschläuche im 
Säuglingsdarm noch wenig entwickelt; deshalb hält v. Behring nach seinen 
Untersuchungen daran fest, dass die Entstehung der Lungentuberkulose beim 
Menschen einer intestinalen Infektion in sehr jungen Lebensjahren ihren Ur¬ 
sprung verdankt, und zwar sei die Quelle der intestinalen Infektion die Säug¬ 
lingsmilch. 

Hieraus aber ergeben sich im übrigen eine Anzahl Gesichtspunkte, 
welche bei der Bekämpfung der Tuberkulose zu berttcksichtigen seien. Vor 
allen Dingen mttsse die Ernährung der Säuglinge mit tuberkelbazillenfreier 
Milch, die Absonderung der Kinder von hustenden Geschwistern gefordert 
werden. Dabei müssten die Säuglinge und Kinder besonders dann vor der 
Infektion mit Tuberkelbazillen geschützt werden, wenn, wie z. B. bei den akuten 
Exanthemen der Darm seiner schützenden Decke beraubt wird. Bei temporären 
Exarbationen tuberkulöser Prozesse sei deshalb auch auf die Ernährung ein 
ganz besonderes Gewicht zu legen; wahrscheinlich sei ein Teil der Erfolge 
in den Lungenheilstätten auf diese Massnahmen zurückzuführen. 

v. Behrings Bestrebungen in bezug auf die Tuberkulosebekämpfung 
gehen darauf hinaus, den Menschen in frühem Alter, ähnlich wie bei der 
Impfung gegen Pocken, immun gegen Tuberkulose zu machen, wodurch alle 
Lunge&heil- und Heimstätten überflüssig werden würden und eine Ausrottung 
der Tuberkulose möglich sei. Dr. M e d e r - Cassel. 

(Fortsetzung folgt.) 


Besprechungen. 

gammlang äxxtUoher Obergutachten. Aas den „ Amtlichen Naobrichten 
des Reichs - Versichernngsamts“; 1897—1902. I. Band der Buchausgabe. 
Berlin 1903. Verlag von A. Ascher & C. Quartformat. 200 Seiten. 

Durch Abdruck euer Anzahl der in den „Amtlichen Nachrichten des 
Reichs-Versicherungsamts“ seit dem Jahre 1897 veröffentlichten Obergutachten 
in dieser Zeitschrift haben die Leser den grossen Wert derselben für die ärst- 
liehe Sachverständigentätigkeit kennen nnd schätzen gelernt. Die jetzt vor¬ 
liegende Bachausgabe, die 60 solcher Obergutachten enthält, wird daher sicher¬ 
lich vielen willkommen sein; denn sie betreffen gerade die wichtigsten und 
vielfach auch die strittigsten Fragen auf dem Gebiete der versicherungsrecht- 
liehen Medizin. Rpd. 


Dr. B. v. Krafft-Ebing, weiland K. K. Hofrat und o. o. Professor der 
Psychiatrie u. Nervenkrankheiten in Wien: Lehrbuch der Psychiatrie. 
Auf klinischer Grundlage für Aerzte und Studierende. 7. vermehrte und 
verbesserte Auflage. Stuttgart 1908. Verlag von Ferd. Enke. Gr. 8°; 
664 8. Preis: 

Wohl wenige Autoren haben eine so reiche litterarische Tätigkeit auf 
ihrem Spezialgebiete entfaltet und so viel Anerkennung in den weitesten 
Kreisen gefunden, wie der leider vor noch nicht Jahresfrist viel zu früh ans 
dem Leben geschiedene Verfasser. Die vorliegende Ausgabe ist gleichsam sein 
Schwanengesang gewesen; er hat sie noch kurz vor seinem Tode drnckfertig 
der Verlagsbuchhandlung eingesandt, und mit Wehmut wird sie von seinen 
vielen Freunden in die Hand genommen werden, die in ihn mit Recht den 
Meister auf psychiatrischem Gebiete sehen. Aus allen Kapiteln leuchten uns 
die grossen Vorzüge seiner Darstellungsgabe hervor: klare nnd verständliche 
Sprache, übersichtliche Ordnung des wissenschaftlichen Materials unter Hervor¬ 
hebung alles dessen, was das überaus schwierige Gebiet der Psychiatrie mehr 
oder weniger als gesicherten Bestand anfweist, sowie unter Vermeidung von 
theoretischen Erörterungen und Hypothesen, die gerade hier einen fruchtbaren 



Besprechungen. 


773 


Boden finden nnd nur zu leicht znr Verwirrung führen. Auch das stark subjektive 
Gepräge, die das Lehrbuch an sich trägt, kann Beinen Wert ffir den Leser nur 
erhöhen; denn es trägt nioht zum kleinsten Teil dasn bei, dass die Ausführungen 
des Verfassers, insbesondere auch die dargebotenen, aus langjähriger, reicher 
Erfahrung geschöpften Krankheitsbilder in so scharfer nnd überzeugender 
Weise hervortreten. 

Die Einteilung und Bearbeitung des Stoffes ist in der neuen Auflage 
dieselbe geblieben wie in den früheren, den Erweiterungen des psychiatrischen 
Wissens jedoch bei den einzelnen Abschnitten überall Rechnung getragen, so 
dass sich das Lehrbuch sicherlich in seiner neuen Gestalt recht viele neue 
Freunde erwerben wird. _ Rpd. 


Dr. A. Gramer, o. ö. Professor für Psychiatrie nnd Nervenheilkunde in 
Göttingen: Gerichtliche Psychiatrie. Ein Leitfaden für Mediziner nnd 
Juristen. Dritte umgearbeitete und vermehrte Auflage. Jena 1908. Verlag 
von G. Fischer. Gr. 8°. 396 S. Preis: 7 Mark. 

Die grossen Vorzüge des Crame rächen Leitfadens sind bereits bei dem 
Erscheinen der früheren Auflagen in dieser Zeitschrift hervorgehoben worden; 
sie haben jedenfalls dazu beigetragen, dass die zweite Auflage ebenso wie die 
erste in verhältnismässig kurzer Zeit vergriffen gewesen ist, der beste Beweis 
für die grosse Brauchbarkeit nnd ausserordentliche Beliebtheit des Werkes. 
In der jetzt vorliegenden Auflage hat sich der Verfasser bemüht, den Inhalt 
des Leitfadens zu erweitern, ohne dessen Umfang wesentlich zu vermehren; 
gegenüber der Reichhaltigkeit des zu berücksichtigenden Materials, das be¬ 
sonders seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches ungemein ange- 
schwollen ist, ist es jedoch nicht zu verwundern, wenn trotzdem der Umfang 
des Buches um fast 100 Seiten angenommen hat. Gleichwohl hat es seinen 
kompendiösen Charakter bewahrt und kann in seinem jetzigen Gewände nur 
noch mehr den Anspruch auf Vollständigkeit und Berücksichtigung aller ein¬ 
schlägigen Gesichtspunkte machen, als in den früheren Auflagen. Den beteilig¬ 
ten Kreisen wird es besonders willkommen sein, dass die Vermehrung des 
Leitfadens namentlich dem allgemeinen Teil nnd hier wieder denjenigen Ab¬ 
schnitten zu gute gekommen ist, die Bich mit den Beziehungen der Geistes¬ 
kranken zur Straf- und Zivilgesetzgebung sowie mit der ärztlichen 8achver- 
ständigentätigkeit beschäftigen. Die betreffenden Abschnitte haben mehr oder 
weniger eine vollständige Umarbeitung erfahren, bei der die neuere Recht¬ 
schreibung entsprechend berücksichtigt ist. Aber auch der zweite, spezielle 
Teil hat mannigfache Aendernng und Bereicherung erhalten, namentlich gilt 
dies betreffs der Abschnitte über die Formen der Paranoia, über Epilepsie nnd 
Iutoxikationspsychosen, speziell infolge von Alkohol. So sind denn zu den 
alten Vorzügen des Werkes viele neue hinzngekommen, zu denen auch derjenige 
gehört, dass durchgängig der Zeugnisfähigkeit und den Grenzzuständen eine 
besondere Aufmerksamkeit gewidmet ist. Wir können demnach das Lehrbuch 
— denn ein solches ist es in der vollsten Bedeutung des Wortes, wenn der 
Verfasser auoh die bescheidene Bezeichnung „Leitfaden" beibehalten hat — 
nur wiederum aufs wärmste empfehlen. Rpd. 


Dr. Iwan Blooh: Beiträge nur Aetiologle der Psychopathie 
sexuelle. 2 Teile. Dresden 1903. Verlag von H. R. Dorn. 

Mit vorliegendem Werke übergibt Verf. eine interessante und lesens¬ 
werte Studie über den Ursprung der verschiedenen Verirrungen des mensch¬ 
lichen Geschlechtstriebes. Nicht allein als Mediziner und Medizinbistoriker 
geht er an seine Untersuchungen heran, er betrachtet die mannigfaltigen 
Aberrationen auch mit dem „freieren und weiteren Blicke des Anthropologen 
und Etheologen“. Der Begriff „Psychopathie sexual is“ ist für ihn nur der 
Sammelname der sexuellen Anomalien ohne damit zugleich das psychopathische 
ausdrücken zu wollen. So erscheinen ihm denn auch die vielen geschlecht¬ 
lichen Missgriffe zum grössten Teil als eine physiologische, allgemein mensch¬ 
liche Erscheinung und zum wenigsten als der Ausfluss krankhafter Degeneration. 

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen gibt Verf. zunächst eine Ueber- 
sieht über die verschiedenen ätiologischen Momente der sexuellen Psychopathie. 



774 


Besprechungen. 


Klima, Basse, Nationalität spielen in der Genesis jener Verirrungen eine Bolle. 
Ebenso werden Lebensalter, Geschlecht, soziale Verhältnisse, Zivilisation, Be- 
ligion, die verschiedensten individuellen Faktoren in ihren Beziehungen zu dem 
Auftreten nnd der Verbreitung sexueller Anomalien eingehend betrachtet. Im 
Einzelnen mnss hier auf die betreffenden Stellen des Werkes selbst verwiesen 
werden. Nicht Überall wird man den Ansichten des Verfassers völlig beipflichten; 
gar oft sind seine Schlüsse doch zu gesucht und zu weit herangezogen. Immerhin 
aber bietet dieser Teil des Werkes des Interessanten recht viel und besonders 
für die forensische Beurteilung dieser Auswüchse des menschlichen Geschlechts- 
triebea nicht zu unterschätzende Gesichtspunkte. 

Diese angeführten allgemeinen ätiologiBohen Faktoren in der Genesis 
geschlechtlicher Anomalien bilden die Grundlage für eine spezielle Aetiologie 
der Psychopathie sexualis. 

Zunächst betrachtet Verfasser die spezielle Aetiologie der gleich¬ 
geschlechtlichen (griechischen, sokratisohen, lesbischen) Liebe oder der Homo¬ 
sexualität bezw. des Uranismus nnd der Tribadie. 

Die Homosexualität ist nach den Untersuchungen Bloche keineswegs 
so ausserordentlich verbreitet, wie zumeist gerade von den mit dieser Anomalie 
Behafteten behauptet wird. Im Gegenteil nur einen ganz verschwindenden 
Bruchteil der Bevölkerung bilden die Homosexuellen. Dabei ist die Anomalie 
selbst nur in seltenen Fällen angeboren; zumeist handelt es sich um frühe 
Verführung. Wir dürfen annehmen, dass die ersten Eindrücke und Beein¬ 
flussungen der vita sexualis von eingreifendster Bedeutung für die spätere 
Gestaltung sein können. Gerade in der Kindheit empfangene Eindrücke, die 
das Gebiet der vita sexualis betreffen, bleiben öfter fest haften, beeinflussen die 
späteren sexuellen Begungen und imponieren dann als ursprüngliche, angeborene. 
Des weiteren spielen für die Entstehung der H. alle jene Ursachen eine wich¬ 
tige Bolle, welohe eine unbezwingbare Abneigung gegen das Weib begünstigen, 
als da sind eigene Hässlichkeit, Furcht vor venerischen Leiden etc. Dann aber 
spielt, wie überhaupt bei den sexuellen Verirrungen, so auch beim Zustande¬ 
kommen der Homosexualität der „Reizhunger“, das Verlangen nach Variationen 
eine grosse Bolle. In diesem Teile der Untersuchungen weicht Verfasser viel¬ 
fach von dem eigentlichen Thema ab. Er kommt zu Wiederholungen und zur 
Besprechung von Dingen, die mit der speziellen Antiologie der H. nur sehr 
lose Zusammenhängen. 

Den Schluss des ersten Teiles bildet die Prophylaxe derH., die Möglich¬ 
keit sexueller Abstinenz; Verfasser empfiehlt eine Umänderung des § 175 
St. G. B., ohne aber einen festen Vorschlag selbst zu machen. 

Der umfangreichere zweite Teil des Werkes ist der speziellen Aetiologie der 
sadistisch - masochistischen Erscheinungen und der komplizierteren GescUeohts- 
verirrungen gewidmet. Die Betrachtungen sind hier in gleicher Weise durch¬ 
geführt wie im 1. Teil nnd lassen sich in Kürze schlecht zusammenfassen. 

Im Ganzen muss „der Versuch“ des Verf. als gelungen bezeichnet werden, 
und muss man wohl den Worten Prof. Eulenburgs in der mitgegebenen 
Vorrede beipflichten, dass durch die Studie des Verf. die Frage nach dem Ur¬ 
sprung, der Physiogenese und Psychogenese der mannigfaltigen Formen geschlecht¬ 
licher Anomalien ihrer Lösung um ein grosses Stück näher gerückt wird. 

Dr. Bump -Osnabrück. 


Dr. Wehm er, Beg.- u. Med .-Bat in Berlin: Enzyklopädisches Haad- 
buoh der 8ohulhyglene. Unter Mitarbeit von F. W. Büsing, Professor 
bei der technischen Hochschule in Charlottenburg-Berlin und Prof. Dr. ph. 
Krollick sowie vieler anderer hervorragender Fachmänner. I. Abt. mit 
184 Abbildungen. Leipzig u. Wien 1903. Verlag von A. Pichlers Wittwe 
& Sohn. Gr. 8°; 400 S. Preis: 10 Mark. 

Enzyklopädische Handbücher erfreuen sieh bekanntlich in den beteiligten 
Kreisen einer grossen Beliebtheit, da sie eine schnelle Informierung ermög¬ 
lichen, besonders wenn die einzelnen Artikel kurz und bündig, dabei aber doch 
genügend erschöpfend nnd vor allem zuverlässig in bezug auf ihren Inhalt 
abgefasst sind.. Diesen Vorzug besitzt das W eh morsche Hand ueb, von dem 
jetzt der erste Teil vorliegt, in vollstem Masse. Es haben sieh hier hervor- 



Besprechungen. 


775 


ragende Mediiinalbeamten, Schulärzte, Pädagogen, Bauhygieniker and sonstige 
Fachspesialisten vereinigt, nm zutreffende and abgerundete Darstellungen ans 
ihrem Spezialgebiete, soweit sie dasjenige der Schulhygiene berühren, zu bringen, 
und der Herausgeber hat durch geschickte Auswahl der Stichworte und Ein¬ 
teilung des umfangreichen Stoffes dafür gesorgt, dass dieser durch die einzelnen 
monographischen Artikel tatsächlich eine möglichst erschöpfende Behandlung 
erfahren hat, soweit dies bei dem immerhin beschränkten Baum überhaupt 
müglich war. Dabei besitzt das Handbuch den grossen Vorzug, dass es ein 
Bild von dem gegenwärtigen Stand der Schulhygiene nicht nur in den deutschen, 
sondern auch in den wichtigsten ausserdeutschen Staaten gibt, und dass die 
betreffenden Artikel von Persönlichkeiten bearbeitet sind, die inmitten des 
praktischen Lebens dieser Staaten als Schulmänner, Aerzte oder Verwaltungs- 
beamte stehen und demgemäss das einschlägige Fachgebiet beherrschen. Bei 
Ausarbeitung der einzelnen Artikel ist weiterhin sowohl dem pädagogischen 
und schulärztlichen, als dem technischen und verwaltungsrechtlichen Stand¬ 
punkte gleichmässig Rechnung getragen, während mit Recht die rein medi¬ 
zinischen Fragen, abgesehen von den hauptsächlich für die Schule in Betracht 
kommenden Krankheiten, weniger berücksichtigt sind, da ihre eingehende Er¬ 
örterung über den Rahmen des Handbuches und des Leserkreises, für den das¬ 
selbe bestimmt ist, hinausgehen würde. 

Es würde zu weit führen, auf den Inhalt der einzelnen Arbeiten, denen 
stets ein Verzeichnis der betreffenden Litteratur beigegeben ist, hier näher ein- 
zugehen; den Referenten haben besonders interessiert die vorzüglichen Dar¬ 
stellungen über die schulbygienischen Verhältnisse in den einzelnen Kultur- 
Staaten, die vielfach durch Grundrisse und Abbildungen von Schulbauten usw. 
illustriert sind. Ueberhaupt ist das Werk mit zahlreichen und zum grössten 
Teile ganz neuen Originalseichnungen usw. ausgestattet, die zur Erläuterung 
des Textes in hohem Masse beitragen und seinen Wert ungemein erhöhen. Die 
Verlagsbuchhandlung verdient daher eine besondere Anerkennung! Hoffentlich 
findet das Handbuch, dessen zweiter Teil noch in diesem Jahre erscheinen soll, 
in den beteiligten Kreisen, zu denen in erster Linie auch die Medizinalbeamten 
und Sehulärzte gehören, eine recht weitgehende Verbreitung und wohlwollende 
Aufnahme! _ Bpd. 


Dm Sanit&tswesen den Preussisohen Staates. I. ln den Jahren 

1898, 1899 and 1900; II. Im Jahre 1901. Im Aufträge 8e. Exellens 
des Herrn Ministers der usw. Medizinal-Angelegenheiten bearbeitet von der 
Medizinal-Abteilung des Ministeriums. Berlin 1908. Verlag von Richard 
Schoetz. I. Gr. 8°; 658 Seiten und 199 Seiten Tabellen. Preis 20 Mark; 
II. Gr. 8'; 497 Seiten und 117 Seiten Tabellen.Preis: 16 Mark. 1 ) 

I. Recht schnell ist der vierte Bericht über das Sanitätswesen des Preussi- 
sehen Staates dem erst im vorigen Jahre erschienenen dritten Bericht gefolgt, 
ein grosser Vorteil, der den Wert des Buches, das dem Leser einen Ueberblick 
des auf dem Gebiete des Gesundheitswesens in Preussen Geleisteten liefern soll, 
wesentlich erhöht. In der vorliegenden Form und Anordnung ist dieser Bericht 
der letzte seiner Art; die Neuorganisation des Medizinalwesens hat nunmehr 
zu jährlichen Berichten mit nur kurze Zeit zurückliegendem Material geführt. 

Der auf Grund der von den Regierungs- und Medizinalräten für die 
Regierungsbezirke erstatteten Generalsanitätsberichte sowie mit Hilfe von 
Ministerialakten und der im Königl. statistischen Bureau bearbeiteten Medizinal¬ 
statistik fertiggestellte Bericht bietet eine Fülle wissenswerten und an An¬ 
regungen reichen Materials und lässt auch vor Einführung der Medizinalreform 
einen bemerkenswerten Fortschritt auf dem Gebiete des Gesundheitswesens 
erkennen. 

In die Berichtszeit fallen das Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfung 
gemeingefährlicher Krankheiten, das Gesetz betreffend die Dienststellung den 
Kreisarztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen; hohes Interesse wird 
der Leser den Abschnitten über Bekämpfung der Pest, Lepra, Granulöse, der 


*) Für die Medizinalbeamten ist der Preis durch Min.-Erl. vom 19. Mai 
1903 und 1. Aug. 1908 bei direktem Bezüge von der Verlagsbuchhandlung und 
Berufung auf den Erlass auf 13 bezw. bezw. 10 Mark ermässigt. 



776 


Besprechungen. 


Warmkrankheit sowie Uber die ansteckenden Krankheiten überhaupt abge¬ 
winnen. Ministerialerlasse and Poliseiverordnangen sind im Text wiedergegeben. 
Besonders interessant and lehrreich ist in dieser Hinsicht der Abschnitt über 
Trinkwasserversorgung, in dem sich anch eine Uebersicht über die zentralen 
Was8erversorgang8an8talten des preussischen Staates findet. In dem statistischen 
Teil ist bemerkenswert, dass seit 1867 znm ersten Mal die natürliche Bevöl 
kerongsvermehrnng geringer als die wirkliche Volkszunahme gewesen ist, was 
sich nur durch ein Ueberwiegen der Binwanderong über die Auswanderung 
erklären lässt. Ein recht grosses Kapitel ist der Kurpfuscherei gewidmet, das 
viele interessante Mitteilungen enthält. 

Bine besondere Anerkennung wird der „Zeitschrift für Medizinalbeamte“ 
und dem „Prenssischen Medizinalbeamtenverein* zuteil. 

II. Sehr bald nach der in diesem Jahre erfolgten Veröffentlichung des 
8anitttswesens des Preussischen Staates während der Jahre 1898, 1699 und 
1900 ist das Gesundheitswesen des Jahres 1901 erschienen. Die Veränderung, 
die sich durch den nur den Zeitraum eines Jahres umfassenden Inhalt bemerkbar 
macht, ist durch die Neuordnung des Medizinalwesens und das Inkrafttreten 
des Gesetzes, betreffend die Dienststellung des Kreisarztes, und die Bildung 
von Gesundheitskommissionen bedingt. Die Form entspricht demgemäss dem 
in §. 117 D. A. für den Jahresbericht vorgeschriebenen Muster, das auch den 
Berichten der Begierungs - Medizinalräte als Grundlage dient. 

Der Umstand, dass die Gesundheitsberichte nunmehr alljährlich er¬ 
scheinen, bedeutet insofern einen Vorteil als das darin enthaltene wertvolle 
Material frühzeitiger als bisher in die Oeffentlichkeit gelangt nnd dadurch an 
Wert gewinnt. Der vorliegende Band ist trotz der geringeren Berichtszeit 
umfangreich genug; er enthält im Verhältnis zu früheren Berichten ein noch 
vermehrtes Material. Auch jetzt Bind die Ministerial - Akten, sowie die im 
Königlichen statistischen Bureau gefertigte Medizinalstatistik benutzt worden. 
Dementsprechend finden wir in der Binleitung die Mitteilungen über Bewegung 
der Bevölkerung wieder. Im Abschnitt Gesundheitsverhältnisse, der 
einen grossen Baum einnimmt, sind die Ergebnisse der am 15. Oktober 1900 
veranstalteten Sammelforsohung Uber Krebs enthalten. Hiernach wird die 
Krebsbekämpfung als eine der wichtigsten Aufgaben der öffentlichen Gesund¬ 
heitspflege erachtet. Hand in Hand mit ihr mnss die Bekämpfung der Kur¬ 
pfuscherei gehen. Anch die übrigen Mitteilungen über Krankheiten, die 
nicht zu den anstockenden gerechnet werden, bieten viel Interessantes. 

Die durch die Kreisarztreform erzielten Fortschritte auf dem Ge¬ 
biete der öffentlichen Gesundheitspflege lässt der Bericht besonders 
in den Abschnitten Uber Seuchenbekämpfung, Quarantänewesen nnd Desinfektion 
erkennen. Nicht minder anerkennenswert sind die Fortschritte anf dem Ge¬ 
biete des Wohnungswesens und der Schulhygiene. Besonders her¬ 
vorgehoben ist die segensreiche Tätigkeit der am 1. April 1901 ins Leben ge¬ 
tretenen Königlichen Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und 
Abwässerbeseitigung in Berlin. 

Die Gefängnisse, die früher als Anhang zum neunten Abschnitt be¬ 
handelt wurden, haben einen selbständigen Abschnitt erhalten, während die 
Geschäfte der Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalweeen und der 
Provinzial-Medizinal - Kollegien im Anhang zum Abschnitt der beamteten 
Aerzte aufgefUhrt sind. Dieser Abschnitt enthält ferner einen Auszog aus 
der am 10. Februar 1902 dem Hause der Abgeordneten von dem Herrn Mi¬ 
nister der Medizinalangelegenheiten vorgelegten Denkschrift. Der Abschnitt 
Kurpfuscher ist diesmal nur kurz ausgefallen, stellt aber für das fol¬ 
gende Jahr eine um so ausführlichere Darstellung in Aussieht, nachdem die 
Anzeigepflioht der Kurpfnscher überall eingefübrt ist. 

Sehr reich ist das Werk an wertvollen Tabellen, die nicht nur im An¬ 
hang, sondern auch im Text enthalten sind. Die beteiligten Kreise werden in 
ihm nicht nur viel Interessantes und Wissenswertes, sondern auch für ihre 
Tätigkeit neue Gesichtspunkte finden, die anregend nnd fördernd weiter wirken 
werden. Insbesondere gilt dies für die beamteten Aerzte, die aus dem Werk 
manche Direktiven entnehmen können. Dr. Bä über-Düsseldorf. 



Besprechungen. 


777 


Drelnnddreissig'ster Jahresbericht des Königl. Landes-Kedlsinal- 
Kolleglumz über das Medlxlnalwesen im Königreich Baohsen 
auf das Jahr 190L Leipzig 1902. Verlag von F. C. W. Vogel. 

Der bericht zeigt in seiner Einteilung keine Aendernng gegen die 
früheren Jahre. Im ersten Abschnitt wird die Zusammensetzung und Tätig¬ 
keit der ärztlichen und pharmazeutischen Organe der Medizinalverwaltung, ins¬ 
besondere auch bezüglich der Begutachtung von nen zu erlassenden Gesetzen 
und Verordnungen geschildert, der zweite umfasst das öffentliche Gesundheits¬ 
wesen. Was zunächst die Sterblichkeitsverhältnisse im allgemeinen 
anlangt, so ist ihre Ziffer von 22,7% ? im J. 1900 auf 21,2%,, gesunken; am 
niedrigsten war sie im Bezirke Oelsnitz und Dresden - Stadt (16,6 resp. 17,8), 
am höchsten in Chemnitz 29,0. Dieser Rückgang ist der geringeren Mortalität 
durch Lungentuberkulose, entzündliche Krankheiten der Atmnngsorgane, nament¬ 
lich aber der geringen Mortalität an Atrophie und Lebensschwäche der Kinder 
zuzuschreiben, dagegen ist die Statistik durch epidemische Krankheiten ge¬ 
stiegen. Auch die Zahl der Todesfälle durch Neubildungen hat absolut, wie 
relativ zugenommen: 0,95°/ 00 im Vorjahre. Die Selbstmordfälle haben 
sich vermehrt, indem die im Vorjahre schon grosse Zahl von 1820 auf 1384 in 
die Höhe gegangen ist, darunter 20 Kinder im Alter von 10 bis 15 
Jahren. Duroh Verunglückung sind 1244 gegen 1409 i. J. 1900 zu Grunde 
gegangen. Die Zahl der Diphtherie-Sterbefälle hat sich um 3,4o/ 0 erhöht, 
eine ähnliche Vermehrung zeigt der Scharlach. Die Einbusse der Bevölkerung 
durch Typhus beziffert sich, wie 1900, auf 0,06 °/ 00 der Lebenden, auch die 
Sterbeziffer ist dieselbe geblieben: 21%: nur in Dresden starben 87%. Die 
Mortalität durch Lungentuberkulose hat eine ganz erhebliche Verminderung, 
um 9,8%, erfahren, die Relativzahl der von Lebenden an Schwindsucht Ge¬ 
storbener ist von 1,90 %<, auf 1,68 % 0 gefallen. Wöchnerinnen resp. Gebärende 
sind 832 gestorben, darunter an infektiösem Kindbettfieber 310 gegen 214 im 
Jahre 1900, Zunahme also: 45 %. Die Zahl der von tollen Hunden Gebissenen 
betrug 15 gegen 35 im Vorjahre, von denen sich 14 der Schutzimpfung unter¬ 
zogen; trotzdem starben 2 von ihnen an Lyssa. Milzbrandfälle kamen 26 — 
doppelt so viel wie im Vorjahre — vor, wovon 8 zum Tode führten. 

Was die Kontrolle der Nahrungsmittel und Getränke anlangt, 
so wurden mit Tuberkulose behaftet gefunden: Rinder 29,38 Kälber 0,54 o/ # , 
Schafe 0,26°/ 0 , Ziegen 2,65%, Schweine 3,78 % der geschlachteten Tiere. 
Trichinen wurden bei 79 Schweinen unter 1058075 geschlachteten nacbge- 
wiesen. Die Ueberwachung des Handels mit Knr- und Kindermilch bestätigte 
aufs Neue die Erfahrung, wie überaus schwer es hält, bei den Landwirten und 
Stallpersonal einerseits, und den Händlern anderseits das rechte Verständnis 
für Reinlichkeit zu wecken. In Leipzig ist die Zahl der beanstandeten Milch¬ 
proben von 6,77 % im Vorjahre auf 4,07 % gesunken, während in Chemnitz 
24,17% den Anforderungen des sehr milden Reglements nicht entsprachen. In 
derselben Stadt hat ferner eine Zusammenstellung der WohnungBverhält- 
nisse sehr bedenkliche Zustände insofern ergeben, als 61,4% sämtlicher Woh¬ 
nungen kein oder nur ein heizbares Zimmer batten, und dass 55,2% aller Be¬ 
wohner auf derartige kleinste Wohnungen angewiesen sind (Berlin 49,9%, 
Leipzig 28,2%). 

In dem Kapitel: gewerbliche Gesundheitspflege fällt die grosse 
Zahl an Bleierkrankungen von Arbeitern im Gewerbeamte Dresden auf: seit 
Anfang Oktober 1901 bis Ende Februar 1902: 109 Fälle. Aus dem Kapitel 
Schulgesundheitspflege ist bemerkenswert, dass sich die Präparate des 
staubfreien Oels überall bewährt haben. Die Staubverminderung wird in allen 
beteiligten Schalen angenehm empfunden. Das Streichen macht sich jährlich 
etwa 5 bis 6 mal nötig. Die Lehrer befreunden sich immer mehr mit der 
Einrichtung der Schulärzte. Die Zahl der Kurpfuscher ist auch im Be¬ 
richtsjahre wieder erheblich gestiegen, zu Beginn deB Jahres wurden davon 
868, zu Ende desselben 945 gezählt; 676 gehören dem männlichen und 269 dem 
weiblichen Geschlechte an. Im Regbez. Bautzen beträgt die Zahl der Aerzte 196, 
die der Kurpfuscher 119; im Regbez. Dresden: Aerzte 712, Kurpfuscher 319; im 
Regbez. Leipzig: Aerzte 626, Kurpfuscher 148; im Regbez. Chemnitz: Aerzte 
250, Kurpfuscher 258; im Regbez. Zwickan: Aerzte 233, Kurpfuscher 101. Von 
den Kurpfuschern waren 44 Weber, 30 Barbiere, 27 Kaufleute, 25 Strumpf- 



778 


Besprechungen. 


Wirker, 24 Schuhmacher nsw.; 244’,behandelten Kranke nach der sog. Naturheil- 
methode, 125 mit Sympathie, 18 mit Banmsoheidtiamne nsw. Die Zahl der Aente 
ist von 1905 auf 1954 gestiegen; sehr stark war die Bewegung im ärztlichen 
Personal, indem 250 Aerzte als zugezogen und 188 als verzogen gemeldet worden 
sind. Die Zahl der Apotheken hat sich nm 7 vermehrt und beträgt 304. 
Revisionen wurden 92 ansgeftthrt; bei 17 war das Ergebnis vorzüglich, bei 87 sehr 
gut, bei 26 gnt, bei 9 genügend, bei 3 ungenügend. In den 188 Öffentlichen 
Krankenanstalten, welche 8711 Betten enthalten, wurden 57602 Kranke, 
und zwar 84228 männlichen und 23274 weiblichen Qeschlechts verpflegt. Die 
Mortalität betrug 8,31 ° # gegen 9,16°/ 8 i. J. 1900. Die vier Landes-Heil- 
und Pflegeanstalten für Geisteskranke begannen das Berichtsjahr 
mit einem Gesamtbestande von 4695 Kranken. Die Verhältniszahl der ulen 
Irrenanstalten angeführten Paralytiker beziffert Bich bei den Männern auf 
29,1 °/ 0 , bei den Frauen auf 9,3°/© des Zugangs. Von den männlichen Para* 
lytikern waren über 41°/ 0 , von den weiblichen 22 ®/ 0 sicher, oder doch mit 
grösster Wahrscheinlichkeit syphilitisch gewesen. 

Bezüglich der sonstigen Einzelheiten muss auf den ausführlichen und 
sehr instruktiven Bericht selbst verwiesen werden. 

Dr. Rost-Rudolstadt. 


Dr. 8. Borntmeger, Reg.* u. Med.-Rat in Danzig (jetzt in Düsseldorf): 
Dl&t-Vorschriften für Gesunde und Kranke jeder Art. Vierte 
verbesserte und erweiterte Auflage. Leipzig 1904. Verlag von B. Hartung 
& Sohn. In Blockform. 

Die im Jahre 1895 zum ersten Male erschienenen Diätvorschriften des 
Verfassers haben sich infolge ihrer grossen Brauchbarkeit sehr schnell einge¬ 
bürgert und sich sowohl für den Arzt, als für die Krankenpflege und 
gewissermassen auch für die Offentliohe Gesundheitspflege als praktisches Hilfs* 
mittel erwiesen. In der jetst vorliegenden vierten Auflage sind die wissen¬ 
schaftlichen Fortschritte und neuen Erfahrungen anf diätetischem Gebiete ent¬ 
sprechend berücksichtigt, aber mit Vorsicht nnd kritissher Sichtung. Einige 
Diätzettel Bind fast vollständig amgearbeitet und drei neue, für „Magenerwei¬ 
terung und Magenerschlaffung“, für „Herzkrankheiten und Kreislaufstörungen", 
sowie für „Ernährung während der Schwangerschaft zwecks Erzielung ge¬ 
sunder, doch leichter und kleiner Sünder“ hinsugefügt. Es steht somit zu er¬ 
warten, dass sich die Vorschriften das ihnen bisher entgegengebrachte Wohl¬ 
wollen in vollem Umfange erhalten werden. Rpd. 


Prot Dr. Dnnbar, Direktor des hygienischen Institutes in Hamburg: Zur 
Ursache und speziellen Heilung des Heu fiebere. Mit 8 Tafeln. 
München und Berlin 1903. Druok und Verlag von B. Oldenbourg. 60 S. 
Preis: 8 Mk. 

Nach einleitenden Bemerkungen über das Vorkommen des Heufiebers 
und über die Theorie betreffend den Erreger des Heufiebers schildert Verf. das 
Krankheitsbild des Heufiebers nach der Krankengeschichte des Londoner Arztes 
Job. Bostock aus dem Jahre 1819. Ein ausführlicherer Teil gibt die Beob¬ 
achtungen und Forschungen Dunbars in bezug auf den Heufiebererreger 
wieder, die dem Verf. dadurch nahegelegt und erleichtert wurden, dass rieh 
bei ihm selbst seit dem Jahre 1895 Heufieberanfälle jährlich einstellten. Im 
experimentellen Teil werden die Impf- und Verstäubungsversuche mit Roggen-, 
Linden- und Rosen - PollenkOrnern an Heufieberpatienten und Kontrollpersonen 
eingehend geschildert. Von den höchst interessanten Ergebnissen Bei hier nur 
erwähnt, dass die sämtlichen Symptome des Heufiebers als die Folge einer 
spezifischen Vergiftung aufzufassen sind; das Heufiebertoxin findet sich nur in 
den PollenkOrnern der Gramineen und zwar in den AmylumkOrpern — den 
Stärkestäbohen —, die im Tränensekret, Nasenschleim, Speichel oder Blutserum 
sieh auflösend Heufieberkranken gegenüber ein ausserordentlich heftig wirkendes 
Gift darstellen, während sie andern Personen gegenüber völlig ungiftig sind. 
Daraus ist mit unabweisbarer Notwendigheit auf das Vorhandensein einer invi- 
duellenHenfieberdisposition zusehliessen,für die Dunbar entsprechend der Tat- 



Besprechungen. 


779 


eache, dass der Henfiebererreger ein lösliches Gift ist and eine chemisch «phy¬ 
siologisch wirksame Substanz darstellt, eine Reihe von Erklärungsversuchen gibt. 
Zar spezifischen Behandlung des Heufiebers suchte Verfasser ein Antitoxin zu 
gewinnen; mit demselben hat er bereits auch an Heufieberpatienten Immunisie- 
rangs- and Heilversuche angestellt, ohne indes so einem für die Praxis geeig¬ 
neten spezifischen Heilverfahren gegen das Heufieber gelangt za sein. Immerhin 
erscheint die zweifellos recht mähevolle Arbeit Danbars, deren Lektüre 
durch einen gründlichen and sachlichen Forschergeist besonders wohltuend be¬ 
rührt, in praktischer wie wissenschaftlicher Hinsicht gleich beachtenswert. Den 
vielen Tausenden von Heufieberkranken wird die sichere Feststellung des Er¬ 
regers, die Gewissheit, dass dieser Erreger sich im Körper des Kranken nicht 
vermehrt and sich durch relativ einfache Massregeln ans unseren Aufenthalts- 
rinmen fernhalten lässt, Beruhigung and Erleichterung schaffen. Wissenschaft¬ 
lich wird die Feststellung, dass die fiussere Anwendung des spezifischen lös¬ 
lichen Giftes auf Nase and Augen ohne irgend welche ernste Gefahr beliebig 
hlafig wiederholt werden kann, den Ausgangspunkt für weitere Forschungen 
bieten, am ein Gegengift als Verhütnngs- oder Heilmittel gegen das Heufieber 
herzustellen. Aach werden wir jetzt, wie bei kaam einem anderen Leiden, in 
stand gesetzt, der Frage über die Grundlagen der individuellen Disposition 
naohzuforschen. Dr. Roepke-Lippspringe. 


Tagesnachrichten. 

Die Eröffnung der Königlichen Akademie in Posen findet am 
4. November d. J. statt. Nach dem Vorlesungsverzeichnis werden auf dem 
Gebiete der Medizin folgende Vorlesungen usw. gehalten: Prof. Med.-Rat Dr. 
Wer nicke: 1. Populäre Vorlesungen über Gesundheitslehre für Herren und 
Damen mit Demonstrationen. 2. Bakteriologie für Aerzte. 3. Bakteriologischer 
Kursus. 4. Kursus der hygienischen Untersuchungsmethoden für Kreisärzte. 


Nach den politischen Tagesblättern beabsichtigt die Regierung ein deut¬ 
sches Institut Behring nach dem Master des Pariser Instituts Pasteur zu 
errichten, das sich den wissenschaftlichen Aufgaben auf dem Gebiete der 
Serumforschung in grossem Umfange widmen und vor allen Dingen die Her¬ 
stellung von Serum aller Art bewirken soll, um dadurch den Preis und die 
Anwendung der Sera in der ärztlichen Praxis wesentlich zu verbilligen. Eine 
vor Kurzem zwischen dem Ministerial - Direktor Dr. Althoff und Wirkt. 
Geh. Rat Prof. Dr. v. Behring in Nordhausen stattgehabte Konferenz soll 
hauptsächlich diese Frage zum Gegenstand der Beratung gehabt haben. 


Auf eine Eingabe des Preussischen Apothekerkammer-Ausschusses vom 
4. April d. J. betreffend Beiträge an den Aerztekammern hat der H. Minister 
durch Bescheid vom 30. April d. J. entschieden, dass den Apothekerkammern ein 
Umlagerecht nicht zusteht und sie daher einen Zwang bei Erhebung von Bei¬ 
trägen nicht ausüben können. Desgleichen hat der H. Minister eine Eingabe 
betr. Ersatz des Apothekerrats durch den Apothekerkammer-Ansschnss 
und anderweitige Organisation bezw. Zusammensetzung der technischen 
Kommission für pharmazeutische Angelegenheiten durch Bescheid vom 
6. Oktober 1908 dahin beantwortet, „dass er sich nicht veranlasst sehe, eine 
Aenderung in der Stellung und Organisation der technischen Kommission für 
pharmazeutische Angelegenheiten und des Apothekerrats herbeisuführen." 


Der geschäftsfiihrende Ansschuss des Komitees zur Errichtung 
eines Denkmals für Rudolf Virehow hat am 82. Geburtstage des Ver¬ 
storbenen nochmals einen Aufruf mit der Bitte um Beiträge erlassen. Die erste 
Aufforderung hat zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen 
Kulturstaaten allseitigen Wiederhall gefunden, so dass die Hohe der bisher 
verfügbaren Mittel zu der Hoffnung berechtigt, Rudolf Virehow an Offent- 



780 


Tagesnachrichten. 


lieber Strasse Berlins, nabe der Stätte seiner rnhmreichen wissenschaftlichen 
Wirksamkeit, ein Standbild errichten zn können. Um eine künstlerisch wert¬ 
volle Ausführung dieses Standbildes zn sichern, bedarf es aber noch weiterer 
Spenden. Mit dem Ausschuss bitten daher auch wir nochmals um Einsendung 
von Beiträgen, damit dereinst ein würdiges Denkmal Zeugnis ablegt von der 
hohen Wertschätzung, welche die deutsche Nation dem grossen Forscher über 
da9 Grab hinaus bewahrt hat! 

Beiträge nehmen entgegen: der Schatzmeister, Herr Geheimer Kom¬ 
merzienrat E. von Mendelssohn-Bartholdy unter der Adresse: Bankhaus 
Mendelssohn & Cie., Berlin W., Jägerstr. 49/50, ferner die Buchhandlungen 
A. Asher & Co., Berlin W., Unter den Linden 13, A. Hirschwald, 
Berlin NW., Unter den Linden 68 und Georg Reimer, Berlin W., Lützow- 
strasse 107(108, sowie der Kustos des Langenbeck-Hauses, Herr Meiner, 
Berlin N., Ziegelstr. 10/11. 


Behufs einer Ehrung Robert Kochs hei Gelegenheit seines sechs- 
zigsten Lebensjahres sind zahlreiche Verehrer zu einem Komitee su- 
sammengetreten, das jetzt den nachstehenden Aufruf erlässt: 

„Am 11. Dezember d. J. vollendet Robert Koch sein sechzigstes 
Lebensjahr. Zahlreiche Verehrer des Begründers der modernen Bakteriologie 
haben beschlossen, an diesem Tage ihrer freudigen Teilnahme durch eine Ehrung 
Kochs Ausdruck zu geben. 

In den siebenundzwanzig Jahren, welche verflossen sind, seit Robert 
Koch mit seiner Arbeit über die Aetiologie der Milzbrandkrankheit der Wissen¬ 
schaft neue Bahnen wies, hat er mit genialem Blick und unermüdlicher Energie 
an der Erforschung der Infektionskrankheiten gearbeitet und kaum ein Jahr 
verstreichen lassen, ohne uns mit einer neuen Entdeckung zu überraschen. Mit 
Hilfe sinnreicher Untersuchungsmethoden hat er uns die Erreger zahlreicher 
Infektionskrankheiten kennen gelehrt, ihr Wesen, Werden und Vergehen er¬ 
forscht und die Wege zu ihrer Bekämpfung gezeigt. Auch auf dem Gebiete 
der Wasserversorgung und des Desinfektionswesens hat er unter stetem Hin¬ 
weis auf die Notwendigkeit verständnisvollen Zusammenarbeitens von Wissen¬ 
schaft und Technik der Öffentlichen Gesundheitspflege hervorragende Dienste 
erwiesen. 

Trotz eines Menscheualters unermüdlicher Arbeit steht er beute in 
jugendlicher Frische unter uns, fähig, noch manches Blatt seinem Ruhmes- 
kränze einzufügen. 

Das Komitee hat es unternommen, diejenigen, welche sich in der 
Verehrung Robert Kochs mit ihnen eins wissen, zur Verwirklichung des 
Gedankens einer Ehrung Kochs aufzurufen. Auch an Euere Hochwohlgeboren 
ergeht die Bitte, unsere Bemühungen gütigst unterstützen und zur Aufbringung 
der erforderlichen Mittel in einer Ihnen geeignet erscheinenden Weise bei¬ 
tragen zu wollen. 

In erster Linie ist ein Ehrengeschenk in Gestalt einer in Marmor oder 
Bronze auszuführenden Büste Robert Kochs in Aussicht genommen worden. 

Indem wir uns gestatten, eine Postanweisung zur gefälligen Benutzung 
beizufügen, bemerken wir, dass das Bankhaus Mendelssohn & Co., Berlin W., 
Jägerstrasse 49/50, sich zur Entgegennahme von Beiträgen bereit erklärt hat. 

Es ist beabsichtigt, dem Gefeierten s. Z. ein Verzeichnis der Spender, 
ohne Angabe der einzeln gezeichneten Beträge, zu überreichen. 

Alle sonstigen Anfragen und Mitteilungen werden an den mitunterseich- 
neten Geh. Ob.-Med.-Rat Dr. Kirchner, Berlin W. 64, Wilhelmstrasse 68, 
erbeten.“ 

Wir bitten die Medizinalbeamten, sich recht zahlreich an dieser Ehrung 
des aus ihrer Mitte hervorgegaugenen Meisters der Bakteriologie zu be¬ 
teiligen. 


Verantwortl. Redakteur: Dr. Rapmnnd, Reg.- u. Geh. Med .-Rat in Minden i. W. 

J. C. O. Braus, Hertogl. Bisch, a. F. 8ah.-L. Hofbachdrackerd In Minden. 





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16 , J&fcrg, 


1903 . 


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Zentralblatt för gerichtliche Medizin and Psjc&iatrie, 
fBr Srztüehe Saebfcrstaodigeiitätigkeit iD (JataH- und iafalidititssaebeo, sowie 
15r Hygiene, offeotL Saoitätsweseu., Medizinal - ßesetepfamg and feecbtspreebuBg. 

Heranagegebeo 


'fÖÖ 


Dr. OTTO RAPMTOD, 

Röj^erangtJ- *nd &*hu MadiEtaab'jU 


Verlag von FiselieF’s niediz. Baehhandlg. 1. Kornfeld, 

Harsogl. Bayer. Hof- s. ErzhersogL Kammor - BnciifeäÄdlat. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10, 

Itmer&te nehmexi dl* VevlagsbaotUaBg böwle *1 lt Aüö onceutOipedHitmeu iU* In¬ 
an d AiuUrvdes entgegen. 


Nr. 22. 


Xrachelnt Hm 1 .und 15 . Jeden p J 5 * NöVbr. 


Die Beziehungen der Riickenmarksverlefzungen zu den 
chronischen HOckentnarkskrankheiten vom gerichtlich- und 
versicherungsrechtlich - medizinischen Standpunkte. 

Von Piivatdor.oat Dr, P. Stolper, kommisBariacher Kreisarzt in Göttingen. 
Nach einem auf der 12, ord. Versäimnlang des Vereins der MeAteihalbeamten 
des Reg.-ßez, Bxetdaa am 10. Mai 1909 gehaltenen Vortrag. 

Die Verletzungen des Rückenmarks und ihre Beziehungen 
zu den chronischen Rückenmarks-ErkrauKuogeo sind in de? Lite¬ 
ratur der beiden letzten Jahrzehnte sehr viel behandelt worden, 
Im Nachstehenden soll besjoders ihre gerichtlich * vefsicberungs- 
recbtlich - medizinische Bedeutung berücksichtigt und, gestützt, auf 
eine Reibe vöö eigenen Beobaehttingen, ziinächsfe de? gegenwärtige 
Stand unserer Kenntnis von den Rückenmarks Verletzungen und 
sodann deren Beziehungen zu einzelnen klinisch> typischen Krank- 
heitsbüdern mit chronischem Verlauf und mehl lediglich traumati* 
scher Aetiologie erörtert werden, >; 

Die meisten Rückenmarksverletzungen kommen zu stände 
durch schwere Verletzungen des Rückgrats, unter denen die 
Wirbelsäulenbrilche (Kompressiönsfrakturen der Wirbelkörper, 
Luxationsirakturea, aber auch schwere DuiurimHu j - • 

kontingent stellen. Die Folge solch schwerer v ; . 


Es ist nicht blvss eine . Ir 
Sine Zerrung des töark*jMgBSHL_ 
eine Violinsette iifcJ.;; . - ^ v->- t 

prominierendeu Wj fbtd ode? - 




782 


Dr. Stolper. 


Dies hat man immer schon angenommen; es ist auch neuerdings 
durch die Tierversuche von Luxenburger wieder bestätigt 
worden. Ja es scheint als ob reine Zerrungseffekte und reine 
Kontusionseffekte auch anatomisch sich unterscheiden liessen. Die 
Zerrung kommt naturgemäss nur bei den verhältnismässig leich¬ 
teren Bückenmarksverletzungen zum Ausdruck. 

; < 4 Bei totaler Durchquetschung, dem höchsten Grade von kom¬ 

pletter Querschnittsläsion, ziehen sich die beiden Stümpfe nach 
oben und unten im Duralsack zurück, der widerstandsfähig genug 
ist, um sich meist unversehrt zu erhalten oder nur partiell einzu- 
reissen. Aber klinisch ergibt sich oft auch das Bild totaler Quer¬ 
schnittsläsion, selbst wenn die Wirbelverschiebung die Kontinuität 
des Marks nicht aufhebt, wenn dies nur abgeplattet, leicht ge¬ 
drückt ist, wenn eine Zerreissung kaum der Mehrzahl der Nerven- 
fäden innerhalb des Pialsackes durch die Kontusion zu stände 
kommt, schon bei einem Derangement der Leitungsbahnen, wozu 
sich alsbald der gesteigerte Binnendruck des Extravasats gesellt, 
des Ergusses aus gerissenen Blut- und Lymphgefässen. Es brauchen 
keineswegs alle Nervenbahnen wirklich zerrissen sein, und doch 
tritt nach solchen Quetschungen sogleich oder nach wenigen Stunden 
das Bild der schlaffen Lähmung mit Aufhebung aller Reflexe ein, 
eben weil das Extravasat von Blut und Lymphe einen gesteigerten 
Binnendruck im Pialsack hervorruft und so auch die etwa noch 
erhaltenen Nervenfäden komprimiert, ihre Funktion, wenn auch 
nur vorübergehend aufhebt. Das sind die Fälle, bei denen wider 
Erwarten nach einigen Wochen die Reflexe, schliesslich das Ge¬ 
fühl und die motorische Kraft wiederkehren; es sind auch die 
Fälle, wo die primäre operative Behandlung der Wirbelfrakturen 
ihre Scheinerfolge gezeitigt hat. 

Ganz ähnliche Quetschungseffekte, wie wir sie bei Wirbel¬ 
brüchen und -Verrenkungen sehen, kommen bei den Stichver¬ 
letzungen vor, bei denen es keineswegs die Regel ist, dass das 
stechende Instrument das Mark direkt verletzt. Die Dura spinalis 
ist sehr oft nicht durchbohrt, sondern es kommt nur zu einer 
Quetschung, nicht zu einer Durchschneidung des Rückenmarks. 
Wenn hierbei so überwiegend häufig klinisch ungefähr das Bild 
der Brown-S6quardachen Halbseitenläsion (gekreuzte sensible 
und motorische Lähmung) zu stände kommt, so liegt das daran, 
dass die Stichinstrumente immer nur auf einer Seite der Dorn¬ 
fortsatzreihe eindringen und, wenn sie nicht genau die eine Mark¬ 
hälfte durchschneiden oder durchquetschen, der erhaltene Rest der 
Bahnen einer Seite durch Extravasat und sekundäres Oedem ausser 
Funktion gesetzt wird. 

Was nun das histologische Bild der Rückenmarks¬ 
verletzungen anbetrifft, so bezeichnete man dies früher als 
Myelitis transversalis. Die neuere Forschung hat jedoch gelehrt, 
dass man es nach Rückenmarksverletzungen mit einer 
Myelitis im strengen Sinne, mit einer Entzündung 
nicht zu tun hat. Die Zermalmung des Rückenmarks hat 
keinen Entzündungsprozess, sondern eine einfache Degene- 



Besiehnngen dar Verletzungen des Rttckenmarka za dessen chron. Erenkh. nsw. 783 


ration der nervösen Elemente zur Folge, so dass es richtiger 
ist, wie Kienböck vorgeschlagen hat, von einer Myelodelese, 
oder allenfalls von einer Myelomalazie zn sprechen. Auch wo 
keine völlige Kontinuitätstrennung vorhanden, da kommt es zu 
Verschiebungen der grauen und weissen Substanz mit mehr oder 
weniger Durchblutung des Nervengewebes. Und wenn man nach 
Tagen, allenfalls Wochen das Rückenmark zu betrachten Gelegen¬ 
heit hat, so ist in der Regel eine rote Erweichung vorhanden, 
die indess ohne die Kriterien der echten Entzündung der Heilung 
zustrebt. Die zertrümmerten Leitungsbahnen sind als gequollene 
Markscheidenzylinder ohne Achsenzylinder, die Ganglienzellen als 
unförmliche Klumpen erkennbar, die Nerventrümmer liegen als die 
auch für die Hirnerweichung so charakteristischen Fettkörn¬ 
chenkugeln umher. Extravasiertes Blut und die von abge- 
flossener Lymphe erfüllten Spalträume vervollständigen das histo¬ 
logische Bild. 

Dass extramedulläre Blutungen selten eine wesentliche Be¬ 
deutung haben, dass intramedulläre Blutungen zapfenförmig im 
Zentrum über die Quetschungsstelle hinaus auch aufwärts sich 
ergiessen und so einen höheren Sitz der Markläsion anzeigen, als 
die Wirbelfraktur vermuten lässt, will ich nur nebenher erwähnen. 

Wir müssen auf die Heilungsprozesse der Myelode¬ 
lese weiter eingehen, wenn wir die Beziehungen zu den chroni¬ 
schen Rückenmarks Verletzungen betrachten wollen. Da ist be¬ 
sonders hervorzuheben, dass die Markverletzungen in der Praxis 
überwiegend subkutane Verletzungen sind. Eine bakterielle In¬ 
fektion des Läsionsherdes ist also eine exorbitante Ausnahme, die 
ich unerörtert lassen kann. Es ist darum die Regel, dass wir in 
den Rückenmarksverletzungen kein progressives Lei- 
een zu sehen haben, sondern so gut wie immer auf eine Besse¬ 
rung rechnen dürfen. Im Moment der Wirbelsäulenknickung erfolgt 
die Zertrümmerung der Nervenbahnen, dann verschlimmert sich 
bei teilweiser Querschnittsläsion das Krankheitsbild in den ersten 
Tagen allenfalls noch durch Extravasate, aber danach beginnt 
auch die Heilung. Und die Heilungstendenz ist bei partiellen 
Läsionen eine so grosse, dass sie auch den Optimisten über¬ 
raschen muss. 

Von den Blutgefässen sieht man mikroskopisch in erster 
Linie die Regeneration ausgehen; mit ihrer Neubildung hält die 
Resorption der Trümmer gleichen Schritt. Es kommt von ihnen 
aus zur Bildung von jungem Bindegewebe, von Narbengewebe, 
wie wir dies an allen Organen nach Verletzungen sehen. Aber 
die Narben des Zentralnervensystems sind ausgezeichnet durch ein 
weiteres, eben nur ihm eigentümliches Gewebe, die Glia. Auch 
diese Glia wuchert lebhaft und ergänzt besonders in der Nachbar¬ 
schaft erhaltener Nerven die traumatische Narbe. Aber auch die 
Gliawucherung hält sich an die Läsionsstellung, sie wird keine 
allgemeine, keine unbegrenzt fortdauernde. Sie bleibt räumlich 
und zeitlich beschränkt. 

Von praktischer Bedeutung ist nun das Verhalten der 



784 


Dr. Stolper. 


Nervenbahnen, denen doch allein die Leitung der spezifischen 
Energie möglich ist, ohne deren Kontinuität in die Muskeln die 
Kraft, in die Haut das Gefühl nicht wiederkehren kann. Auch 
an ihnen sieht man in den ersten Wochen Regenerationsvorgänge, 
aber es bleibt beim Versuch, den Anschluss zu gewinnen. Die 
Achsenzylinder wachsen in erhaltenen Markscheiden, oder in An¬ 
lehnung an Lymphgefässe eine Strecke weit fort, aber sie haben 
nicht genug vitale Energie, um das rascher entwickelte Narben¬ 
gewebe (fibröses und gliöses) zu durchdringen und über weitere 
Entfernungen hin den Anschluss an den korrespondierenden Nerven¬ 
stumpf zu gewinnen. Wir haben es also nicht mit einer so er¬ 
heblichen Regenerationsfähigkeit zu tun, wie wir sie an den peri¬ 
pheren Nerven kennen. Nur undurchtrennt gebliebene und ledig¬ 
lich durch Extravasat funktionsuntüchtig gewordene Nervenfasern 
erholen sich in dem Masse, wie die Aufsaugung von Trümmern 
und Extravasaten vor sich geht. Zuerst kehren die Reflexe, oft 
gesteigert wieder, dann kommt die Sensibilität, oft mit Parästhesien 
beginnend, zurück, schliesslich werden auch die Muskeln wieder 
motorisch innerviert und ihre Reservekräfte, benachbarte und 
funktionell verwandte Muskeln, kommen zu Hilfe. 

An einem total durchquetschten Rückenmark findet man also 
eine fibrös-gliöse flache Narbe, durch die, wenn die 
Quetschung nur eine partielle war, mehr oder weniger wieder 
erholte Nervenfasern hinziehen. Verwachsungen der Rücken¬ 
markshäute unter einander und mit den dislozierten Wirbeln sind 
an der Quetschungsstelle eine natürliche Folge. 

Die praktische Erfahrung lehrt, dass diese traumati¬ 
schen Rückenmarksnarben in keiner Weise progre¬ 
dienten Charakter haben. Es ist kein stichhaltiger Fall in 
der ganzen Literatur zu finden, der ein Fortschreiten dieses Ver¬ 
narbungsprozesses bewiese, oder dass es von der Narbe aus zu 
einer das ganze Rückenmark betreffenden Gliose käme oder gar 
zu einer Systemerkrankung. Man hat — und ich gehöre selber zu 
diesen — Höhlenbildung in den Narben und den diesen benachbarten 
Partien des Rückenmarks gefunden. Aber es ist, wie Kienböck 
in einer kritischen Arbeit jüngst mit vollem Recht betont, ein 
Irrtum, in solchen Fällen von traumatischer Syringomyelie zu 
sprechen. Ich komme damit zu der ersten viel erörterten Be¬ 
ziehung von Markläsion und chronischer Rücken¬ 
markserkrankung. 

Die Syringomyelie im engeren Sinne des Klinikers ist 
ein chronisch progredientes Leiden, dem eine über Jahre und 
Jahrzehnte fortschreitende krankhafte Gliawucherung mit höhlen¬ 
artigem Zerfall im Zentrum des Rückenmarks, in dessen Längs¬ 
richtung fortwachsend, zu Grunde liegt. Niemals aber ist ein 
solch fortschreitendes Leiden mit dem Symptomenkomplex der 
Syringomyelie (partielle Empfindungslähmung und zwar Erhalten¬ 
sein der Berührungsempfindung bei Aufhebung der Schmerz- und 
Temperaturempfindung, Muskelatrophie, trophische Störungen der 
Haut) im Anschluss an erwiesene schwere oder partielle Mark- 



Beziehungen der Verletzungen des Rückenmarks in dessen chron. Krankh. nsw. 786 


läsion beobachtet worden. Es handelt sich eben nnr um eine 
zystische Vernarbung eines traumatischen Destruktionsherdes, und 
da folgt den anfänglichen schweren Ausfallserscheinungen, sofern 
keine tötliche Verletzung vorliegt, stets Besserung, die auch anhält, 
bis schliesslich Stillstand der Symptome eintritt. Eine rein 
traumatische Syringomyelie beim Erwachsenen bleibt 
also zu erweisen, sie ist aller Erfahrung nach in hohem Masse 
unwahrscheinlich. 

Eine andere, später zu erörternde Frage ist die, ob ein an 
Syringomyelie erkranktes Rückenmark durch eine Gewaltein¬ 
wirkung zur weiteren Entwickelung des Leidens angeregt werden 
kann. Völliges Dunkel herrscht auch noch darüber, inwieweit 
Rückenmarkszerrungen intra partum mit der Entstehung der 
Syringomyelie Zusammenhängen. Raymond, Schnitze u. a. 
haben bei Kindern nach schwerer Geburt kleine Blutungen und 
Nekrosen im Halsmark gefunden und zur Syringomyelie in ursäch¬ 
liche Beziehung gesetzt. Bekannt ist auch die sekundäre De¬ 
generation bestimmter Fasersysteme als eine Folgeerscheinung 
herdweisen Zugrundegehens von Nervensubstanz, auch der trau¬ 
matischen. Sie besteht im Zugrundegehen aller derjenigen Fasern, 
die von ihrem trophischen Zentrum abgeschnitten sind. Es kommt 
zu einer makroskopisch sichtbaren Atrophie bestimmter Bezirke 
und zwar kaudalwärts (absteigende Degeneration) in den motori¬ 
schen Pyramidenbahnen, deren trophische Zentren in der Hirn¬ 
rinde liegen, kranialwärts (aufsteigende Degeneration) vom Läsions¬ 
herd in den sensiblen hinteren Keilsträngen, deren trophisches 
Zentrum in den hinteren Wurzelganglien liegt und in der Klein¬ 
hirnseitenstrangbahn, für die die Clark eschen Säulen trophisch 
funktionieren. Diese sekundäre Degeneration hat aber nur ana¬ 
tomisches Interesse, indem sie gelegentlich den Schluss machen 
lässt: Nach diesem typischen Sitz der Degeneration habe ich 
weiter ober- oder unterhalb den Zerstörungsherd zu suchen. Kli¬ 
nisch macht sie keine Symptome bezw. die gleichen wie die Herd¬ 
erkrankungen selber. 

Es ist in der ganzen Literatur ferner kein Fall bekannt 
dass sich nach einer wirklich schweren Markverletzung mit 
sofort einsetzenden Muskellähmungen im Laufe der Zeit eine reine 
Tabes oder eine multiple Sklerose entwickelt hätte. Ich 
weise sehr wohl, dass zahlreiche Arbeiten diesen Zusammenhang 
annehmen; aber wenn man die betreffenden Krankengeschichten 
sich näher ansieht, so findet man, dass in keiner derselben eine 
wirklich ernste Querschnittsläsion einwandsfrei beobachtet oder 
beschrieben ist. Von den zahlreichen schweren Verletzungen des 
Rückenmarks, die man beschrieben hat, bot keine das Bild einer 
Tabes oder einer Herdsklerose dar, auch nicht nach vielen Jahren. 

Nicht anders ist es mit der progressiven Muskel¬ 
atrophie, mit der spastischen Spinalparalyse. Da sind 
sogar Fälle beschrieben, von denen man sagen kann, sie sind im 
Anschluss an eine erwiesene Markverletzung unter dem Bilde der 
einen oder der anderen Erkrankung verlaufen. Aber auch da 



786 


Dr. Stolper. 


fehlt, wie bei der sogenannten traumatischen Syringomyelie, die 
chronische Progression des Leidens, wie wiederum Kienböck 
für die progressive spinale Muskelatrophie bewiesen hat. Wenn 
Erb und Go wer s, Kapazitäten der Neuropathologie, immer wieder 
als Stützen der traumatischen Aetiologie der genannten Rücken¬ 
markssystemerkrankungen zitiert werden, so ist dem entgegen zu 
halten, dass die Aeusserungen dieser Autoren viele Jahre zurück¬ 
liegen und es ihnen gar nicht darauf ankam, zu beweisen, ob 
das Trauma von Bedeutung war; unterstützende Fälle, die auch 
anatomisch genügend untersucht wären, sind aber seitdem nicht 
publiziert worden. Ich betone also nochmals, dass Fälle von 
gröberer Markläsion mit gröberer Wirbelsäulenver¬ 
letzung niemals erwiesenermassen zu einer chroni¬ 
schen progredienten Rückenmarkserkrankung geführt 
haben. Wo ein Zusammenhang behauptet worden ist, da fehlt 
die genaue Beobachtung der primären Folgen der Markverletzung, 
da sind andere ätiologische Momente nicht mit genügender Sicher¬ 
heit auszuschliessen. 

Die bisher am wenigsten klargestellte und darum am leb¬ 
haftesten diskutierte Rückenmarksverletzung, die sogenannte 
Rückenmarkserschütterung, ist lediglich ein ätiologischer 
Begriff, denn ein unanfechtbares klinisches Symptomenbild wird da¬ 
für niemand geben können. Als uns Erichsen das ebenso merk¬ 
würdige, wie verwirrend wirkende Symptomenbild der Eisenbahn¬ 
krankheit schilderte, da dachte jedermann an eine Rückenmarkser¬ 
schütterung; später verband sich, freilich schon verzagter, dieselbe 
Vorstellung mit der traumatischen Neurose. Nachdem dann 
Railway spine wie traumatische Neurose in den letzten Jahren 
zwischen den Mahlsteinen der Kritik hindurch gegangen sind, 
haben wir als Restbestand nur noch die traumatische Hy- 
sterie, die traumatische Neurasthenie undHypochon- 
drie zurückbehalten. Wir wissen, dass diese Krankheiten mit 
dem Rückenmark nichts, aber auch gar nichts zu tun haben; 
sie sind in die Psyche, also in das Gehirn zu lokalisieren. 
Aber der Begriff Rückenmarkserschütterung ist aus dem Ge¬ 
dankenkreise der Aerzte noch lange nicht ausgerottet. Es mag 
das zum Teil daran liegen, dass auch die pathologischen Ana¬ 
tomen unter der Ueberschrift „Rückenmarkserschütterung“ man¬ 
cherlei über Markverletzung berichtet haben. Auf Schmaus 
sonst so verdienstliche Arbeiten stützen sich immer wieder 
die Verfechter der Commotio medullae, obwohl dieser selbst seine 
früheren Ausführungen erheblich eingeschränkt hat. Dem ätio¬ 
logischen Begriff der Rückenmarkserschütterung Rechnung tragend, 
hat er seiner Zeit das Rückgrat von Kanninchen verhämmert — 
nach Art der älteren Klopfversuche zur Hervorrufung von Shok —, 
indem er mit einem Hammer auf ein dem Rücken der Tiere an¬ 
liegendes Brett so lange schlug, bis diese Paresen und Paralysen 
bekamen. Diese Versuchsanwendung aber entspricht 
doch ganz und gar nicht den in der Praxis vorkommen¬ 
den Fällen von Marjk Verletzung, wo ein Mensch ans der Höhe 



Beziehungen der Verletzungen des Rückenmarks zu denen ehron.Krsnkh.uw. 787 


herab stürzt, einen einzelnen Schlag gegen den Rücken bekommt nnd 
dergl. mehr. Man hat früher des öfteren Nekrosen nnd Blutungen 
im Mark gefunden, ohne dass an der Wirbelsäule eine Verletzungs¬ 
spur erkennbar gewesen wäre. In solchen Fällen glaubte man 
einen Erschtttterungseffekt annehmen zu müssen. Nun wissen wir 
aber, dass dies Quetschungseffekte bei starker Distorsion der Wirbel 
waren, und dass es nach Ablauf einiger Wochen ganz unmöglich 
sein kann, Residuen einer Wirbelverletznng noch nachzuweisen. 
Ich selbst habe einen tötlich ausgehenden Fall von Halsmark¬ 
quetschung bei zweifellos einfacher Distorsion beobachtet, seziert 
und beschrieben. Es war sicher eine Contusio medullae durch 
Ueberbeugung der Wirbelsäule, keine Commotio. Schmaus selbst 
gibt jetzt zu, „das8 die wenigen bisher beschriebenen Fälle von 
reiner Rttckenmarkserschtttterung nicht mehr ganz so überzeugend 
sind, als es früher schien“. Trotzdem kann er die Hypothese einer 
„molekulären Nervenalteration“ noch nicht ganz aufgeben; er denkt 
sich ebenso wie Luxenburger, dass es zu Bewegungen im 
Liquor cerebrospinalis kommt, bei denen die Nervenfasern wellen¬ 
förmig bewegt, gedehnt, an umschriebenen Stellen ausgebuchtet 
werden. Ich kann mir einen solchen Erschütterungseffekt nicht 
vorstellen; denn der Rückenmarksstrang ist mit Venenplexus und 
Fettgewebe so wohl umpolstert, in einem Fadenwerk (Lig. dentd- 
culatum) so subtil aufgehängt, und der Liquor cerebrospinalis 
fliesst dazwischen in so seichtem Strom — wie soll es da zu 
Wellen von zerstörender Kraft kommen P 

HF F Und wäre eine Erschütterungsschädigung des Marks im 
engsten Sinne auch wirklich theoretisch denkbar, die Praxis, mit 
der wir es zu tun haben, kennt in Wirklichkeit die Commotio 
spinalis nicht. Der Begriff muss entschieden aus der kli¬ 
nischen Diagnose ausgemerzt werden; denn man richtet mit 
ihm nur Unheil an. Obwohl man doch bisher immer nur eine leichte 
Markschädigung damit bezeichnen wollte, so wirkt das Wort auf den 
Verletzten selber doch überaus ernst, und dem Arzt, dem späteren 
Begutachter, vermag es gar keinen Anhalt zu geben, da, wie ich 
schon sagte, weder ein präzises klinisches Bild, noch eine wohl 
lokalisierte und wohl charakterisierte Markläsion darunter ver¬ 
standen werden kann. 

Luxenburgers Arbeit liefert interessante experimentelle 
Ergebnisse für die einschlägigen Fragen. Er hat sowohl die 
Quetschung wie die Zerrung studiert und bei geringgradiger 
Quetschung auch traumatische Degeneration grauer und weisser 
Substanz gefunden ohne oder fast ohne Blutung, ohne Verschiebung 
der grauen Substanz und klinisch mit nur unbedeutenden Paresen; 
solch leichteste Degeneration ist also kein ausschliessliches Charak¬ 
teristikum der Commotio. Eine völlige Absage an die Rücken¬ 
markserschütterung aber wagt er noch nicht. Soviel geht aus 
seinen Studien indes hervor, dass sich ihr Gebiet auch für ihn 
mehr und mehr einengt. Wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass 
man die intramedullären Blutungen nicht überschätzen solle, dass 
es solche ohne Nervendegeneration nicht gäbe, dass die Nerven- 



788 


Dr. Stolper. 


fasern eben viel lädierbarer seien als die Blutgefässe, so ist dem 
wohl znznstimmen, doch bleiben für die makroskopische Beurteilung 
die Blutungen sehr wichtige Hinweise auf die Verletzung, und 
wenn sie erheblicheren Umfang annehmen, sind sie auch ihrerseits 
direkt schädigend. 

Zu der Frage, ob es eine Rückenmarkserschütterung gibt 
oder nicht, muss man Stellung nehmen, sonst lässt sich über die 
Bedeutung des Traumas für die chronischen Rückenmarkskrank- 
heiten Klarheit überhaupt nicht gewinnen. Ich persönlich be¬ 
streite ihr Vorkommen, weil ich an recht vielen Frisch verletzten 
einen Symptomenkomplex niemals, auch bei besonders darauf ge¬ 
richteter Aufmerksamkeit niemals gesehen habe, dem ich eine über 
das ganze Rückenmark herdweis verbreitete „molekulare Alte¬ 
ration“ der Nervenfasern hätte zu Grunde legen können oder 
müssen. Wo ich Grund hatte, spinale Läsionen anzunehmen, da 
waren sie immer wohl lokalisiert, niemals diffus verbreitet, nie¬ 
mals multipel. Und wenn, wie ich oben ausführte, grobe 
Quetschungen, Durchschneidungen des Rückenmarks dauernd pro¬ 
grediente Systemerkrankungen nicht hervorrufen, wie soll man 
sich da vorstellen, dass die leichten, minimalen Markläsionen, 
die man als Erschütterungseffekte supponiert, Tabes oder multiple 
Herdsklerose oder Syringomyelie hervorrufen sollten? 

Von traumatischer Entstehung einer Krankheit kann man 
nur bei einem sicher gesunden Individuum reden. Ein anderes 
ist es, ob ein manifest oder latent krankes Individuum eine Er¬ 
krankung durch Gewalteinwirkung bekommt. Dass bei einem 
latent syphilitischen, oder einem durch Alkoholismus, oder sonst 
irgendwie disponierten Menschen ein Trauma gegen die Wirbel¬ 
säule als auslösendes oder verschlimmerndes Moment für eine 
noch nicht manifeste Tabes oder Sklerose in Betracht gezogen 
werden muss, ist selbstverständlich. Aber auch da bleibt es noch 
mehr als zweifelhaft, ob eine direkte Beziehung zwischen dem 
Trauma und dem Fortschreiten einer bis dahin latenten, beginnen¬ 
den Rückenmarkssystemerkrankung besteht. Ist es nicht min¬ 
destens ebenso naheliegend daran zu denken, dass das Kranken¬ 
lager mit seinen Folgen, das plötzliche Herausreissen aus der 
gewohnten Tätigkeit, der aufgezwungene Bewegungsmangel und 
andere mittelbare Momente die Krankheitssymptome steigern und 
manifest werden lassen, nicht blos dem Arzt, sondern auch dem 
Patienten, der vordem gar nicht Zeit hatte, über Parästhesien, 
über Gelenkunsicherheit nachzudenken, sie zu bemerken. 

Doch auf diese Seite wollte ich hier nicht eingehen! Es 
kam mir darauf an, der in der Literatur hervortretenden Tendenz 
entgegenzutreten, dass man nun alle möglichen spinalen Er¬ 
krankungen als direkte Folge einer Rückenmarksverletzung ohne 
weiteres ansieht und gerade vor einem Kreise von berufenen 
Gutachtern erschien mir dies notwendig. Durch die Menge der 
Publikationen über diesen Kausalnezus dürfen wir uns nicht im¬ 
ponieren lassen; sie spricht nur für das Interesse an der Frage, 
sie macht das Ergebnis nicht sicherer. 



Bestehungen der Verteilungen des Rückenmarks indessen ehron.Krankh.nsw. 789 


Ein Interesse aber, klar darin zn sehen, haben wir alle, ein 
recht grosses! Denn wenn ein leichter Fall anf den Rücken eine 
Rückenmarkserschütterung, weiterhin eine Tabes, eine multiple 
Sklerose, ergo Verfall in Siechtum bezw. Lähmung hervorrufen 
könnte, welch eine Perspektive? Aber in der forensischen Praxis 
kommen dergleichen Erwägungen sehr bemerkenswerter Weise 
höchst selten vor. Selbst bei Stichverletzungen des Marks werden 
wir uns sehr überlegen müssen, ob wir den Fall des §. 224 h 
(Verfall in Lähmung) aussprechen sollen, da gerade bei dieser 
die Heilung manchmal eine erstaunliche ist, und die dauernde 
Lähmung einzelner Muskelgruppen doch nicht als schwere Ver¬ 
letzung im Sinne des Strafgesetzbuches anzuseben ist. 

Eines interessanten forensischen Falles darf ich kurz Er¬ 
wähnung tun. Mein früherer Chef, Herr Prof. Wagner-Königs¬ 
hütte, wurde in dieser Sache als Gutachter in Czenstochau in 
Buss.-Polen gehört. Ein Arzt hatte einen anderen denunziert, 
dass er eine Verrenkung im Hüftgelenk nicht eingerichtet habe; 
der letztere stand wegen Kunstfehlers unter Anklage und ein 
Haftpflichtprozess bedrohte seine Existenz Worum bandelte es 
sich? Der Patient hatte einen Messerstich in den Rücken be¬ 
kommen, der das Rückenmark zwischen 1. und 2. Brustwirbel 
halbseitig durchtrennt hatte. Es kam während des Krankenlagers 
zn einer hochgradigen Atrophie der Hüft- und Beinmuskulatur 
und zu einer Einwärtsrollung des Beines, die den Denunzianten 
eine Luxation irrtümlich annehmen liess! — 

Aber viel häufiger verlangt die versicherungsrechtliche 
Praxis, die öffentliche wie die private, eine gutachtliche Aeusse- 
rung über den Zusammenhang von chronischen Rückenmarkskrank¬ 
heiten mit mehr oder weniger sicheren Rückenmarks- oder Wirbel¬ 
säulenverletzungen. Nun sind zwar gerade die staatlichen Unfall¬ 
versicherungsorgane nach dem wohlwollenden Grundzuge, der durch 
alle sozialen Gesetze geht, erfreulicherweise immer in dubio pro 
reo. Aber wir dürfen es doch nicht dahinkommen lassen, dass 
aus 100 Gutachten, welche zu einem für den Versicherten 
günstigen Schlüsse gelangen, der falsche Schluss gezogen wird, 
es sei nun auch wissenschaftlich der Beweis erbracht für einen 
Kausalnexus vieler Fälle von Tabes und anderen Systemer¬ 
krankungen mit Rückenmarksverletzung! 

Bekanntlich sind auch periphere Traumen, Arm-, Bein¬ 
quetschungen als anslösendes Moment für chronische Spinal¬ 
leiden nicht selten angesprochen worden; einer strengen Kritik 
halten auch diese Fälle samt und sonders nicht stand. Auf sie 
einzugehen, ist heute nicht meine Sache. Es ist der Zug der Zeit, 
das Trauma, welches allerdings ehedem in seiner Bedeutung für 
das Kranksein gründlich unterschätzt war, als ätiologisches Moment 
mehr in den Vordergrund zu stellen. Das darf aber nicht kritik¬ 
los geschehen; die forschende Medizin hat vielmehr alle Veran¬ 
lassung, durch die Betonung des Möglichen sich nicht von der 
streng wissenschaftlichen Feststellung des Tatsächlichen abbringen 
zu lassen. 



790 


Dr. Voigt. 


Literatur: 

Thorburn: Contribution to the surgeryof the spinaleerd. London 1889. 

Kocher: Die Verletsnngen der Wirbelsäule in Mitteilungen ans den 
Grensgebieten der Medisin and Chirurgie; 1897. 

Wagner-Stolper: Die Verletzungen der Wirbelsäule und des Rücken¬ 
marks. Stuttgart 1898. 

Schmaus: Pathologische Anatomie des Rückenmarks. Wiesbaden 1901. 

Kien bück: Die sogen, traumatische Syringomyelie. Jahrbuch für 
Psychiatrie; XXI, 1902. 

Derselbe: Progressive spinale Muskelatrophie nach Trauma. Monatsheft 
für Unfallheilkunde; 1902. 

Lnxenburger: Experimente über Rückenmarks-Verletzungen. Wies¬ 
baden 1903. 


Cerebro8pinalmeningiti8 oder Vergiftung? 

Von Dr. Voigt, prakt. Arzt in Holzwickede, staatsärztlich approbiert. 

Nachstehend möchte ich 5 Fälle von epidemischer Genick¬ 
starre veröffentlichen, die mir von mehr als einem Gesichtspunkte 
aus das allgemeinere Interesse zu verdienen scheinen. In den 
Besitz des tatsächlichen Materials bin ich teils durch meine eigene 
Wissenschaft als behandelnder Arzt gelangt, teils ist mir dasselbe 
von dem zuständigen Kreisarzt, Herrn Medizinalrat Dr. Schulte 
in Hörde, in liebenswürdigster Weise zum Zwecke der Veröffent¬ 
lichung in der Zeitschrift für Medizinalbeamte zur Verfügung ge¬ 
stellt worden;, ich gestatte mir, ihm hierfür auch an dieser Stelle 
den besten Dank auszusprechen. 

Krankheit 8 verlauf: 

Am 27. Februar d. J. erkrankten in dem Nachbarort S. bei Gelegenheit 
des Schweinesohlachteos nachmittags gegen 8 Uhr die 6 jährige Tochter Alwine, 
gegen 4 Uhr die 6 jährige Tochter Ida des Bergmanns G. mit Halsschmerzen 
und Abgesohlagenbeit; bald gesellte sich Erbrechen hinzu. Als der nooh in 
der Nacht benachrichtigte Arzt Dr. Sch. vormittags 10 Ubr ankam, war 
Alwine G. bereits tot; sie war nach Angabe der Eltern 7 1 /» Uhr vormittags 
unter Krämpfen gestorben (nach 16 1 /* ständiger Krankheitsdauer). Dr. Sch. 
stellte Folgendes feBt: 

Ausser der am 27. Februar erkrankten Ida klagten jetst auch die 11 jährige 
Elisabeth und die 3jährige Elfriede über Halsschmerzen; sie hatten beide heftiges 
Erbrechen. Nur, wie hier schon besonders hervorgehoben werden soll, die 
9jährige Martha, welche am Vormittag des Schweineschlachtens in der Schule 
gewesen war, sowie der einjährige Säugling waren frei von Krankheitser- 
scheinnngen. Die Kinder hatten alle ebenso wie die Erwachsenen von dem frisch- 
geschlachteten Schweinefleisch gegessen. Rachenuntersuchung ergab bei allen 
Kindern negativen Befund. Elisabeth hatte 39° Temperatur, die übrigen 
Kinder waren fieberlos. Dr. Sch. nahm an, dass es sich um beginnendes 
Seharlaehfieber handele, eine Krankheit welche derzeit vereinzelt in S. auftrat 

Befand am 28. Februar, abends 7 1 /» Uhr: Die erkrankten Kinder zeigten 
grosse Unruhe, warfen sich auf ihrem Lager hin und her, schrieen häufig laut 
auf. Sehr auffallend war bei allen die blasse Gesichtsfarbe. Petechien oder 
Hautaus8chläge, Herpesbläschen waren nicht vorhanden. Der Stuhlgang war 
angehalten oder nicht häufiger als sonst. Im besonderen fand sieb: Elisabeth: 
Temperatur 39,2, Pals beschleunigt; sie war besinnlich und klagte über Hals¬ 
schmerzen. Bei passiven Bewegungen des Kopfes nach vorn glaubte Dr. 8cb. 
einen gewissen Widerstand zu fühlen. Bei den übrigen Kindern war ein 
Widerstand der Halsmuskulatur nicht nachzuweisen, um so weniger als die sehr 
unruhigen Kinder sioh zu wehren and der Untersuchung zu entziehen sachten. 
— Ida verdrehte die Augen, Temperatur nicht gesteigert. — Elfriede war 
zyanotisch. Pals sehr rasoh, klein, kaum zu zählen, Temperatur nicht gesteigert; 
sie verdrehte die Augen, knirschte mit den Zähnen. Das helle Aufschreien 



Cerebrospinalmeningitis oder Vergiftung. 


791 


und Zähneknirschen wurden yon dem behandelndem Amt für meningitisehe 
Erscheinungen gehalten, doch fiberwog bei ihm der Verdacht auf Vergiftung. 

1. März: Auf Veranlassung des Dr. Sch. untersuchte ich gemeinschaftlich 
mit ihm die erkrankten Kinder. Befund 10 1 /» Uhr vormittags: Elisabeth war 
unbesinnlich, stürmische Herztätigkeit, Temperatur 37,2, die Pupillen reagierten 
auf Lichteinfall nicht. Kniescheibenreflexe herabgesetzt. Steifigkeit der Hals- 
wirbels&ule. Das Erbrechen hatte aufgehört. — Ida lag apathisch, von Zeit zu 
Zeit laut aufscbreiend, in ihrem Bett; die Augen waren nach oben gerichtet, so 
dass die Regenbogenhaut von dem oberen Lid verdeckt wurde. Puls beschleunigt. 
— Elfriede: Zyanose stark ausgesprochen, Puls kaum zu fühlen. Das Gesicht 
zeigte ganz auffallende Blässe. — Fritz war seit heute Morgen an Erbrechen 
erkrankt (er war schon am Tage vorher seinen Eltern hinfällig erschienen); 
er lag blass und schlaff in den Armen der Mutter. Die gestern Abend 
beobachtete Unruhe der Kinder war einer grossen Hinfälligkeit gewichen; sie 
machten alle den Eindruck sehr schwer Erkrankter. Nackensteifigkeit war ausser 
bei Elisabeth bei keinem Kind mit Sicherheit nachznweisen. 

Auf mein Schreiben an den Kreisarzt, des Inhalts, dass wir annähmen, 
die 6 Kinder des Bergmanns G. seien an epidemischer Genickstarre erkrankt, 
dass wir jedoch die Möglichkeit einer Vergiftung nicht auszusohliessen ver¬ 
möchten, traf dieser schon nach wenigen Stunden zur Feststellung des Befundes 
im Hause der Erkrankten ein. Während seiner Anwesenheit starb bereits das 
zweite Kind, Elfriede (nach 31 */* ständiger Krankheitsdauer). Bei den übrigen 
Kindern hatte sich der Befund kaum geändert; bei Elisabeth machte sich jetzt 
allerdings eine rechtsseitige Faoialisparese bemerkbar; ihre Pupillen reagierten 
wieder auf Liohteinfall. — Die drei noch lebenden Kinder wurden sofort dem 
Krankenhaus zu Hörde zugefflhrt. 

Bei der am näehsten Morgen ausgeftthrten Desinfektion wurden die Betten 
der Kinder verbrannt, die Wände mit Kalkmilch gestrichen; die Desinfektion 
der Räume selbst erfolgte durch Formalindämpfe. Die Leichen der beiden ver¬ 
storbenen Kinder wurden in mit Sublimatlösung getränkte Tficher geschlagen 
und bereits am 2 März beerdigt. 

Am 2. März starb Ida im Krankenhause (nach dreitägiger Krankheits- 
daner). — Ueber die weitere Krankbeitsgescbichte der beiden noch am Leben 
befindlichen Kinder will ich nur noch berichten, dass bei der 11jährigen 
Elisabeth am 3. März, also am 4. Krankbeitstage, eine ausgesprochene Nacken¬ 
starre festznstellen war. Das Kind war am 17. März soweit bergestellt, dass 
es sich ausserhalb des Bettes aufbalten konnte; die Facialisparese war ge- 
schwunden, das freundliche und intelligent aussehende Kind ist aber taub 
geworden. Bei dem 1jährigen Fritz ist es zu einer ausgebildeten Nacken¬ 
starre Überhaupt nicht gekommen. Am 7. März fieberte er noch stark, die 
Prognose ist zweifelhaft.') 

Zar Sicherung der Diagnose wurde am 4 . März die Ob¬ 
duktion der Leiche der am 2. März verstorbenen Ida von Herrn 
Medizinalrat Dr. Schulte und mir vorgenommen; ich lasse deren 
Ergebnis auszugsweise folgen: 

2. Verwesungserscbeinungen sind wenig ausgesprochen. Leiohenstarre 
ist in Armen, Beinen und Kiefermuskeln stark ausgesprochen. 

6. Hals leicht beweglich. 

7. Flecken oder sonstige Veränderungen auf der Haut nicht wahrnehmbar. 

8. Die Innenfläche der abgezogenen Kopfbedeckungen ist verwaschen 
graurot, die Gefässe mässig gefüllt. 

9. Das Schädeldach ist aussen und innen glatt und grauweiss. Zwischen¬ 
substanz ziemlich rot und unverändert. 

10. Die harte Hirnhaut ist aussen grauweiss, sie ffihlt sieh prall an. 
Die Innenfläche glatt und glänzend. Gefässe mässig gefüllt. 

11. Die weiche Hirnhaut ist zart durchscheinend, die Blutadern (Venen) 
ziemlich stark gefflllt. An den Venen entlang ist die weiche Hirnhaut grau- 
gelblich, wie von Eiter durchtränkt, verfärbt. Es werden mehrere Stücke hier¬ 
von in ein sterilisiertes Reagensgläschen getan. 

0 Das Kind ist Anfang Mai an allgemeiner Atrophie gestorben. 



792 


Dr. Voigt. 


12. Der Lingsblntleiter enthält einige speckige Gerinnsel. 

13. Im Sohftdelgrande finden sich 5 ccm granweiszer, dünner, wässeriger 
Flüssigkeit. 

14. Die Gef&sse der weichen Hirnhaut sind an der Aussenfläohe Qherall 
stark ansgespritst, die weiche Hirnhaut lässt sich nicht leicht ahsieben. In 
der Forche «wischen den Halbkogeln des kleinen Gehirns ist die weiche Hirn¬ 
haut graogelblich verfärbt und durch eine eitrige Flüssigkeit durchsetzt. 8tücke 
hiervon werden in ein sterilisiertes Glasgefäss getan. 

15. Das Grosshirn ist aof dem Durchschnitt feucht, granrot, siemlieh 
derb und zeigt zahlreiche Blotpunkte. 

16. An der oberen Gefässplatte beider Seitenhöhlen, die im übrigen wenig 
graue, wässerige Flüssigkeit enthalten, befindet sich eine fast erbsengrosse 
Stelle, die mit eitriger Flüssigkeit durchsetzt ist. Eine herausgeschnittene 
Stelle wird in ein sterilisiertes Glasgefäss getan. 

17. Der Seh- und Streifenhügel nnd das kleine Gehirn sind ziemlich derb, 
grauwei88 und zeigen eine mässige Anzahl Blotpunkte. 

18. Die grossen Blntleiter sind stark gefüllt mit dunklem, flüssigem Blnt. 

19. Es wird der Rüekgratskanal vorschriftsmäasig geöffnet. Die harte 
Bückenmarkshaut ist aussen und innen grauweiss; der Kanal enthält zwischen 
harter uni weicher Bückenmarkshaut eine ziemlich grosse Menge trüber, 
wässeriger Flüssigkeit. 

20. Die weiche Bückenmarkshaut zeigt über dem Lendenahscbnitt anf 
eine Länge von 10 cm eine ziemlich starke Durchsetzung von gelber, eitriger 
Masse. Es wird dieses Stück des Bückenmarks mit welcher Haut in ein 
sterilisiertes Reagensglas getan. 

21. Das Rückenmark zeigt keine besonderen Veränderungen. 

26. Die Milz ist 8:4:2 1 /» cm. gross, fühlt sich ziemlich derb an nnd 
entleert auf dem Darchsohnitt eine mässige Menge Blnt. 

28. Die Harnblase ist stark gefüllt mit trübem Harn; Schleimhaut glatt 
und grauweiss. 

Die Obduktion bat als Todesursache eine eitrige Entzündung 
der weichen Häute des Hirns und Rückenmarks ergeben. 

Durch die im hygienischen Institut in Gelsenkirchen vorge¬ 
nommene bakteriologische Untersuchung wurde aus den 
aufbewahrten Leichenteilen der Diplococcus intracellularis menin- 
gitidis (Weichseibaum) ohne irgend welche andere bakterielle 
Beimischung nachgewiesen. *) 

Fassen wir den Verlauf noch einmal kurz zusammen. Nach 
dem Genuss frischgeschlachteten Schweinefleisches erkrankten 
innerhalb 3—18 Stunden 4 Kinder, welche nach Angabe der Eltern 
sich von der ersten Kindheit an der besten Gesundheit erfreut und 
keinerlei krankhafte Anlagen von ihren Eltern überkommen haben, 
an Erbrechen, Halsschmerzen und allgemeiner Mattigkeit. Nur 
das neunjährige Kind, welches zur Zeit des Schweineschlachtens 
ausserhalb der elterlichen Wohnung sich befand, bleibt auffälliger¬ 
weise völlig frei von krankhaften Symptomen. Nachträglich er¬ 
krankt der Säugling. Selbst bei Infektionskrankheiten mit 
kürzester Inkubationsdauer ist eine Erkrankung von 4 Kindern 
innerhalb 15 Stunden als etwas ganz Aussergewöhnliches zu be¬ 
zeichnen. Ein solches fast gleichzeitiges Erkranken von 4 Kindern 
unter Erscheinungen wie Erbrechen, allgemeine Mattigkeit, auf¬ 
fallend blasse Gesichtsfarbe, beschleunigter, kleiner Puls bei 
Fehlen einer Temperatursteigerung, wird unter allen Umständen 
den Verdacht einer Vergiftung hervorrofen müssen. Diese Aehn- 


*) Nur im Präparat, nicht kulturell. 



Cerebrospinalmeningitis oder Vergiftung. 


793 


lichkeit mit einer Vergiftung war bedingt durch den eigenartigen 
Verlauf, den die Erkrankung nahm; wir hatten es mit der von 
Hirsch als Meningitis cerebrospinalis siderans, von den Franzosen 
als Möningite foudroyante bezeichneten Krankheitsform zu tun. 
Hirsch schliesst seine Darstellung dieser Modifikation der Me¬ 
ningitis c. mit den Worten: ... ein Krankheitsverlauf, von dem 
Saunders mit Recht sagt: they perish as if destroyed by the 
action of a virulent poison. 

Das Hauptsymptom, welches der Krankheit den Namen ge¬ 
geben hat und auch erst die Diagnose sichert, die Nackenstarre, 
trat bei 8 unserer Erkrankten überhaupt nicht, bei Fritz nur als 
Steifigkeit des Nackens, bei Elisabeth erst am 4. Tage in aus¬ 
gesprochener Weise auf. Zur Erklärung dieses aufiallenden Ver¬ 
haltens verweise ich auf Levy (cit. bei Hirsch), welcher an¬ 
gibt, dass bei Möningite foudroyante die Nackenstarre nicht mit 
Sicherheit zu konstatieren ist. 

Etwas Aehnliches gilt von der Temperatur; Hirsch sagt, 
dass die hyperakuten Fälle, in denen die Kranken sogleich nach 
Beginn des Leidens kollabieren, ohne wesentliche Temperatur¬ 
steigerungen verlaufen. 

Schliesslich sei noch auf die auffallende Blässe des Gesichtes 
hingewiesen, ein Symptom, das von Ziemssen, Hirsch u. a. 
besonders erwähnt wird. Es imponiert um so mehr, da man das¬ 
selbe, wie Corbin sagt, am wenigsten bei einer solchen Krank¬ 
heitsform erwarten durfte (cit. bei Hirsch). 

Die Diagnose war aber auch dadurch erschwert, dass seit 
15 Jahren — seit Bestehen des Kreises — ein Fall von epide¬ 
mischer Genickstarre im Kreise amtlich nicht bekannt geworden 
ist. Ueberhaupt ist Westfalen im allgemeinen von der Krankheit 
verschont geblieben. Nach dem Bericht des Medizinalministeriums 
sind z. B. im Jahre 1900 von den 127 in Preussen amtlich be¬ 
kannt gewordenen Fällen von Genickstarre nur 3 in Westfalen, 
und zwar im Reg.-Bez. Minden, vorgekommen. 

Es ist bisher auch nicht möglicn gewesen, die Quelle der 
Erkrankung ausfindig zu machen. Die Familienmitglieder haben 
S. nicht verlassen; der Fleischer, welcher das Schwein schlachtete, 
wohnt in der Nähe; in seiner Familie ist ein Erkrankungsfall 
nicht vorgekommen. Ich habe aber in Erfahrung gebracht, dass 
gerade am 27. Februar, weil tags zuvor Lohntag der Berg¬ 
leute gewesen war, eine Anzahl teils bekannter, teils unbekannter 
Handelsleute (Hausierer) in der Wohnung gewesen sind. 
Mir erscheint dieser Umstand der grössten Beachtung wert zu sein. 

Die sonstigen Vorbedingungen für das Zustandekommen der 
Infektion: Ueberfüllung der Wohnung und Mangel an Reinlich¬ 
keit trafen durchaus zu. Dem Mann mit seiner aus 8 Köpfen 
bestehenden Familie stand als Wohnraum ein Zimmer von circa 
25 cbm zur Verfügung. Als Schlafraum dienten für 4 Kinder eine 
einfenstrige Kammer mit schräger Wand von ca. 25 cbm, für die 
Eltern und die zwei kleinsten Kinder ein Zimmer von 31 cbm. 
Die wenig kräftige Mutter war bei der grossen Zahl ihrer kleinen 



794 Dr. Voigt: Cerebrospinalmeningitis oder Vergiftung. 

Kinder nicht im stände, ihren Haushalt in sauberem Zustande zu 
erhalten. 

Das Haus selbst ist ein sogenanntes Einwohnerhaus, welches 
ausser von der Familie GL von einer zweiten Bergmannsfamilie 
bewohnt wird. Es liegt zusammen mit einem zweiten Einwohner¬ 
haus etwas isoliert; die Entfernung bis zu den nächsten Häusern 
beträgt über 200 m. In seiner freien Lage an dem allmählich 
abfallenden Nordabhang des von Osten nach Westen verlaufenden 
Höhenzuges ist es einer reichlichen Durchlüftung ausgesetzt. 

Nach dem oben Geschilderten kann ein derartiger Er¬ 
krankungsfall leicht zur Annahme einer Vergiftung l ) und event. zur 
einem gerichtlichen Einschreiten führen. Dieses würde sicher er¬ 
folgt sein, wenn es sich nur um die drei zuerst und am schwersten 
erkrankten Kinder gehandelt hätte. Allerdings würde die Ob¬ 
duktion Aufklärung gebracht haben; denn selbst bei Fällen, 
welche innerhalb des ersten Tages tötlich verlaufen, ist, wenn 
auch makroskopisch noch keine seröse Durchtränkung der weichen 
Hirnhaut zu erkennen sein sollte (Hirsch), mikroskopisch doch 
stets in der Umgebung der Pia mater Anhäufung von Rundzellen, 
welchen extravasierte rote Blutkörperchen beigemischt sind, nach¬ 
zuweisen. Von besonderer Bedeutung wird aber ausserdem stets 
der bakteriologische Nachweis sein, sei es, dass steril entnommene 
Leichenteile als Ausgangsmaterial dienen — ein Verfahren, 
welches in unserem Falle zu positivem Resultate führte — sei 
es, dass die durch Quincke-Punktion gewonnene Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit zur Anlegung von Kulturen verwendet wird. Es soll 
hier nicht unerwähnt bleiben, dass im Jahre 1899, in welchem 
in Preussen 112 amtlich als epidemische Genickstarre festgestellte 
Fälle vorkamen, nur 7 mal die bakteriologische Untersuchung aus¬ 
geführt wurde; sie ergab in 5 Fällen den Meningococcus 
Weichselbaum, in 1 Fall den Diplococcus Fränkel, einmal 
verlief sie ergebnislos. 

Hirsch und andere Autoren geben an, dass Fälle von 
Möningite foudroyante vorzugsweise häufig im Anfang von Epi¬ 
demien beobachtet werden. Da bisher keine neuen Erkrankungs¬ 
fälle mehr vorgekommen sind, so wird hoffentlich dieser Erfahrungs¬ 
satz keine Bestätigung finden und unsere Gegend dank der 
sanitätspolizeilichen Massregeln weiterhin von der mörderischen 
Krankheit verschont bleiben. 

Benutzte Literatur: 

v. Ziemssen: Meningitis oerebro-spinalis epidemica. 

Hirsch: Die Meningitis cerebro -spinalis epidemica. 

Hirsch: Berioht Uber die im Beg.-Bes. Dannig während des Winten 
und Frühlings 1865 herrschend gewesene Epidemie von Meningitis cerebro¬ 
spinalis. 


‘) In dem in Nr. 8 (1908) der Beilage zu dieser Zeitschrift veröffent¬ 
lichten Bunderlass Aber das Vorkommen der epidemischen Genickstarre im 
Jahre 1901 werden 2 Falle erwähnt, in welchen der behandelnde Arzt die Dia¬ 
gnose Fleischvergiftung stellte. 



Dr. Prölls: Strafbare Ueberschreitung des Züchtigungsrechtes der Lehrer. 795 

Strafbare Ueberschreitung des Züchtigungsrechtes 

der Lehrer. 

Von Dr. Prölss, praktischer Arst in Scheessei, staatsärztlich approbiert. 

Die Grenze des obengenannten Hechtes scharf zu präzisieren, 
bot folgender Anlass Gelegenheit: 

Am 29. Mai 1902 hatte der Lehrer L. das 6 Jahr alte Mädchen F. in 
der Schale wegen „Nichtwissens“ gezüchtigt. Nach übereinstimmenden Zengen* 
ansB&gen hatte er mit dem sehr festen Griffelkasten die F. gegen linken Arm 
und Brost geschlagen, dann den Kasten fest auf den linken Arm anfgedrtickt 
und das nun vor Schmerz klagende nnd noch immer „nichtswissende“ Kind an 
der Brost angefasst and mit dem Kopf gegen die Schulbank geschlagen. 

Da eine Einigung an dem höhnischen nnd gioben Auftreten des Lehrers 
scheiterte, so batte der Vater des Kindes Strafantrag gestellt nnd am Tage 
darauf das Kind ärztlich untersuchen lassen. 

Die ärztliche Untersuchung hatte an den oben genannten Stellen reich¬ 
liche Blutergüsse festgestellt, welche rot nnd lila durch die Haut schimmerten; 
ferner eben dort Abschürfungen der Oberhaut. An Kopf nnd linkem Arm 
seichte Blatauflagerungen, die fest eingetrocknet waren nnd nur geringste Aus- 
dehung batten, am rechten Arm eine starke WeichteilanBchwellnng. 

Die ärztliche Behandlung bestanden in Umschlägen mit geeigneten Medi¬ 
kamenten und Einhängung des rechten Armes in eine Mitelia 14 Tage lang. 

Eine auf elterlichen Wansch am 28. September vorgenommene Unter¬ 
suchung ergab bei sonstigem Wohlbefinden: Eine Drüse am rechten Oberarm 
von Pflaamenkerngrösse nnd Schmerzhaftigkeit bei Druck. Aehnliche Drüsen 
waren nicht am linken Oberarm, wohl aber am Halse. 

Am 30. September wurden mir bei einer Vernehmung folgende 
Fragen vorgelegt: Erstens, ob die Gesundheit der F. durch die 
Züchtigung jetzt noch geschädigt sei; zweitens, ob eine solche 
Schädigung noch zu erwarten wäreP 

Beide Anfragen verneinte ich; jedoch sprach ich mich dahin 
ans, dass in Ansehung des Alters und Geschlechtes der F., in 
Ansehung der Folgezustände die Züchtigung eine übertriebene 
gewesen sei; auch sei die Art der Züchtigung unberechtigt, denn 
zur Züchtigung sei den Lehrern der Bücken vorgeschrieben. 

Diese Bemerkungen hatten aber nicht genügt, denn am 
24. Oktober erhielt ich vom ersten Staatsanwalt die Aufforderung 
zur Auskunft auf folgende Frage: 

„Ist durch die Züchtigung die Gesundheit des gezüchtigten 
Schulmädchens beschädigt gewesen oder auch nur gefährdet ge¬ 
wesen P“ 

Hierüber wurde ein Gutachten eiugefordert und dazu folgen¬ 
des beigefügt: „Es handele sich darum, ob eine Ueberschreitung 
des Züchtigungsrechtes vorgekommen sei in der Weise, dass ge¬ 
mäss §. 223 des Strafgesetzbuchs eine Gesundheitsschädigung ein¬ 
getreten sei. Dahingegen käme nicht in Frage, ob die Art der 
Züchtigung berechtigt gewesen sei; diese Art der Züchtigung 
vorzuschreiben und dahingehende Uebergriffe zu ahnden sei Sache 
der Schulbehörden.“ 

Bei Aufstellung des Gutachtens leiteten mich nun folgende 
Erwägungen. 

Der §. 223 des Strafgesetzbuches lautet: 

„Wer vorsätzlich einen Andern körperlich misshandelt oder an der Ge¬ 
sundheit schädigt wird wegen Körperverletsung mit nsw. bestraft.“ 



796 Dr. Prölss: Strafbare Uebereehreitang des ZttchtigUDgarechtes der Lehrer. 

Der im vorliegenden Falle zweifellos vorliegende Bestand 
des körperlichen Misshandelns scheidet nun aber von der Straf¬ 
barkeit aus; denn es ist dem Lehrer gegenüber dem Schüler das 
Züchtigungsrecht eingeräumt. Wenn es zu dem Begriff des 
körperlichen Misshandelns gehört, dass es das Wohlbefinden des 
Misshandelten stört, dann ist eigentlich jede Schulzüchtigung eine, 
dem Lehrer aber erlaubte, Misshandlung; der Zweck der Schul¬ 
züchtigung ist eben die Störung des Wohlbefindens. Um diesen 
Zweck zu erreichen, darf die Schulzüchtigung sogar Spuren 
zurücklassen, denn das ist unter Umständen nicht zu vermeiden, 
wenn sie wirksam sein soll. 

Strafbar wird die dem Lehrer eingeräumte Schulzüchtigung 
erst, wenn der zweite Passus des §. 223 des Strafgesetzbuches, 
die „Schädigung an der Gesundheit“, eintritt, oder wie die Notiz 
des Staatsanwaltes lautet: „sie die Gesundheit der Gezüchtigten 
beschädigt oder auch nur gefährdet hat.“ 

Dieser Begriff lässt immerhin dem subjektiven Ermessen des 
Gutachters einen gewissen Spielraum; denn dieser kann die Grenze 
der Gesundheitsbeschädigung verschieden ziehen. Vom Standpunkt 
des Psychiaters in bezug auf die Entstehung einer traumatischen 
Neurose kann er eine Gesundheitsgefährdung schon annehmen bei 
jeder schmerzerregenden Tracht Prügel; vom Standpunkt des 
Anatomen kann er schon die Striemen als Gesundheitsverletzung 
ansehen; denn ihnen entsprechen Blutaustritte, und diese sind nicht 
normal. Das Missbehagen, dass ein gezüchtigter Knabe noch 
1—2 Tage beim Sitzen empfindet, kann der Kliniker als Gesund¬ 
heitsstörung bezeichnen. Aber diese Grenzziehung würde eben 
juristisch nicht haltbar sein, denn derartige Folgen der Schul¬ 
züchtigung sind unvermeidlich, soll die Züchtigung Erfolg haben. 
Die Ausübung der Züchtigung mit den genannten Folgen ist dem 
Lehrer eingeräumt. Erst stärkere Beschädigungen der Gesundheit 
bedingen eine Strafbarkeit im Sinne des §. 223. 

In vorliegendem Falle sind zwei Tatsachen geeignet, auf 
eine solche Gesundheitsschädigung schliessen zu lassen: Die eine, 
dass das Kind 14 Tage ärztlich behandelt wird, dass es die Schule 
versäumt, dass es den Arm im Tuche tragen muss; die andere, 
dass noch fast Vs Jahr später eine vergrösserte, schmerzende Drüse 
an der Stelle der schwersten Züchtigung deutlich zu fühlen ist. 

Nun möchte ich die letzte Tatsache allein nicht als belastend 
heranziehen, denn das Kind hatte auch am Hals vergrösserte Drüsen. 
Es ist nicht zu beweisen, dass sich die Drüse am Arm durch die 
Züchtigung allein vergrössert hat; sie kann ebenso wie die Hals¬ 
drüsen von Skrophulose bedingt sein. Auffällig ist ihr Bestehen 
allerdings. 

Die erste Tatsache ist aber jedenfalls eine solche, wie sie 
nicht unter die unvermeidlichen Folgen der Schulzüchtigung zu 
rechnen ist. Denn wir pflegen eben nicht zu beobachten, dass die 
gezüchtigten Kinder den Arzt aufsuchen, dass sie die betroffenen 
Körperteile verbunden tragen, die Schule aussetzen; das Bild der 
Schule wäre dann das eines Lazaretts. 



Ans Versammlungen und Vereinen. 797 

Ganz zweifellos sind diese Folgen zu vermeiden. Sie lassen 
sich vermeiden, wenn der betreffende Lehrer mit Bedacht seine 
Schläge abmisst and dazu nicht jeden handgreiflichen Gegenstand 
wählt. Sie werden noch leichter vermieden, wenn der Lehrer 
nnr an den Körperstellen züchtigt, an denen es ihm durch Schul¬ 
statut gestattet ist, also nicht am Arm, an der Brust, an dem 
Kopf, sondern auf dem Rücken; dann kann es auch nicht schaden, 
wenn einmal, was menschlich zu erklären und zu entschuldigen 
ist, nicht die ruhige Erwägung über Kräftezustand, Alter und 
Geschlecht des Kindes, sondern Unwille und Zorn die Schwere 
der Züchtigung abmisst. 

Unter diesen Erwägungen musste das Gutachten schliesslich 
dahin ausfallen, dass durch am 29. Mai 1902 erhaltene Schul¬ 
züchtigung die Gesundheit der F. 14 Tage lang geschädigt und 
gefährdet gewesen ist. 

Infolgedessen wurde gegen den Lehrer L. das Verfahren wegen 
Vergehens gegen §. 223 aufgenommen. In der Hauptverhandlung 
stellten die Zeugenangaben die voranstehenden Tatsachen evident 
fest; ausserdem wurden noch vielfache Klagen über brutales Be¬ 
nehmen in anderen Fällen laut. L. selber leugnete den ganzen 
Vorgang rundweg ab und benahm sich auch vor dem Gerichtshof 
äusserst auffahrend und reizbar. Er wurde mit einer erheb¬ 
lichen Geldstrafe bestraft. 


Aut Versammlungen und Vereinen. 

Bericht über die 28. Versammlung 
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege 
in Dresden am 16.—19. September 1903. 

Zweiter Sitznngstag; Donnerstag, den 17. September. 

1. Die gesundheitliche Ueberwachnng des Verkehrs mit Milch. 
Der Referent, Prof. Dr. D a n b a r - Hamburg, hatte seinen interessanten Aus* 
IQhmngen s. T. das Ergebnis sehr eingehender, für das Jahr 1901 ange- 
stellter Ermittelungen Ober Verkauf, Herkunft, Menge und Verkehrswert der 
Milch in 60 deutschen Städten, sowie Ober den Milchtransport auf den deutschen 
Bahnen zu Grunde gelegt und diese Ergebnisse in graphischen Darstellungen 
veranschaulicht. Er betonte, dass die Milchversorgung su den allerwichtigsten 
Aufgaben der Öffentlichen Gesundheitspflege gehöre; denn von den zwei Millionen 
Kindern, die alljährlich in Deutschland geboren werden, gehen nicht weniger 
als 160000 infolge nicht ausreichender Ernährung zu Grunde, also alljährlich 
fast die dreifache Zahl der Opfer, welche die letzten drei Kriege zusammen- 
genommen Deutschland an Menschenleben gekostet haben. Die Ursache davon 
ist hauptsächlich darin zu suchen, dass die Sitte des Selbststillens immer mehr 
abgenommen hat, und an ihre Stelle die kOnstliche Ernährung mit Milch ge¬ 
treten ist, die bekanntlich sehr leicht der Zersetzung unterliegt. Die Schwierig¬ 
keiten, gesunde Milch zu einem angemessenen, billigen Preise su beschaffen, 
sind nicht so gross, wie von vielen Seiten angenommen wird. 8ie lassen sieh 
durch ein zielbewusstes Vorgehen der städtischen Behörden, durch entsprechende 
Einwirkung auf die Milchprodusenten und die mit Molkereien verbundenen Milch- 
Verwertungs-Genossenschaften, durch Besserung der Transportverhältnisse mehr 
oder weniger beseitigen. In erster Linie sind strengere Massregeln in bezug 
auf die Ueberwachnng der Milohproduktionsstellen erforderlich. 
Zu verlangen ist peinliche Sauberkeit der Ställe, des Milchviehs, des Melkpersonals 
und der Melkgefässe. Dadurch wird die Haltbarkeit und infolgedessen auch 
der hygienische wie der Ökonomische Wert der Mileh wesentlich gesteigert. 



798 


Ans Versammlungen and Vereinen. 


Als weitere Mittel snr Verlängerung der E&ltbarkeitsdauer und snr Herab- 
setsang der Bakterienbildung kommen Zentrifugierung and Abkühlung in 
Betracht. Auf diese Weise wird es gelingen, auch weiter entfernt liegende 
Gebiete für die Milchversorgung heranzuziehen. Das jetzige Verfahren der 
Milchkontrolle schützt nur gegen eine Herabsetzung des Nährwertes und 
gegen die Verwertung von schädlichen Konservierungsmitteln. Mit Bückeicbt 
auf die Ernährung der Säuglinge sind aber nach Ansicht deB Beferenten 
nicht minder wichtig Bestimmungen in bezug auf das Alter der Milch bei 
der Ablieferung und in bezug auf den Zersetzungsgrad. Durch schärfere poli¬ 
zeiliche Vorschriften, wozu auch eine strengere Kontrolle des Zwischenhandels 
gebürt, wird allerdings der Preis der Milch erhöht, da sie die Produktionskosten 
vermehren; deshalb müssen die Gemeinden und private Vereine helfend ein- 
greifen, um dem unbemittelten oder wenig bemitttelten Teile der Bevölkerung 
die Milch zu billigerem Preise sn beschaffen. 

Referent hatte seine Ausführungen in die nachstehenden Leitsätze 
zusammengefasst: 

„1. Die derzeitigen städtischen Milchversorgnngsverhältnisse genügen 
nicht den hygienisoherseits zu stellenden Anforderungen. 

2. Aus der Tatsaohe allein schon, dass im Deutschen Beiche jährlich 
etwa 150000 künstlich ernährte Säuglinge an dem Genüsse verdorbener Milch 
sterben, geht hervor, dass die Sanierung der Milchversorgungsverbältnisse eine 
Aufgabe darstellt, die au Bedeutung keiner anderen Aufgabe der Stldte- 
hygiene nachsteht. 

3. Bei dem hohen Entwicklungsstände der milchwirtschaftlichen Technik 
liegt die Möglichkeit vor, zur Versorgung der Städte mit einer, allen gesund¬ 
heitlichen Anforderungen genügenden, insbesondere auch für die Kinder¬ 
ernährung geeigneten Milch zu demselben Preise, der zur Zeit für die Markt- 
milch bezahlt wird. 

4. Dass diese Möglichkeit unbenutzt bleibt, liegt begründet in der auf 
Unkenntnis beruhenden Gleichgültigkeit der städtischen Konsumenten und in 
der Tatsache, dass die städtischen Behörden noch keinen genügenden Einfluss 
auf die Milchproduktions- und Transportverhältnisse besitzen. 

5. Die übliche Ueberwachung des Milchverkehrs ist ungenügend. Die 
Untersuchung von Milchproben, welche aus dem Verkehr entnommen werden, 
hat zwar den Nutzen, dass durch sie einer erheblichen Herabsetzung des Nähr¬ 
wertes der Milch und namentlich auch einer Anwendung von Konservierungs¬ 
mitteln erfolgreich entgegengetreten werden kann. Für die Beurteilung der 
Milch hat solche Untersuchung im übrigen aber nur den Wert, den die Unter¬ 
suchung einer eingelieferten Brunnenwasserprobe haben konnte. Diese aber 
würde kein Hygieniker als ausreichende Grundlage anerkennen für die Beur¬ 
teilung etwaiger Gesundheitsschädlichkeit des Brunnens, aus welchem die Probe 
stammte. Ebensowenig gibt uns die chemische, bezw. bakteriologische Unter* 
suohnng der aus dem Verkehr entnommenen Milchprobe einen genügenden Auf¬ 
schluss über etwaige, am Prodnktionsorte der Milch vorliegende Infektions¬ 
gefahr. 

6. Die Schwierigkeiten, welche einer einheitlichen Ueberwachung der 

S ausen Produktions-, Transport- und Verkehrsverhältnisse der für den städtischen 
Konsum bestimmten Milch entgegenstehen, sind auf reichsgesetzlichem Wege 
zu beseitigen. 

7. Diese Ueberwachung würde sich regeln lassen durch Einsetzen von 
Kommissionen, in welche Mitglieder der Regierung, der Landwirtschaft» 
kammern, sowie auch Vertreter der Städte sn entsenden wären. Den Kom¬ 
missionen müssten ein Landwirt, ein Tierarzt und ein Arzt angeboren. Sie 
hätten den zuständigen Aufsichtsbehörden bei Lizenzerteilungen für den Milok- 
handel als beratende Instanz zur Seite zu stehen. 

8. Bis zur Erledigung der unter 6 nnd 7 beseichneten Aufgaben sollten 
die städtischen Behörden es sich zur Pflicht machen, dafür zu sorgen, dass 
wenigstens für sämtliche künstlich zu ernährenden Säuglinge eine gesundheit¬ 
lich eiawandsfreie Milch zum heutigen Preise der Marktmilch zur Ver¬ 
fügung steht.* 

In der sloh anschliessenden, sehr lebhaften Diskussion betont Dr. 
Schlossmann-Dreeden, dass das Selbststillen der Frauen in den Vordergrund 



Ans Versammlungen nnd Vereinen. 


799 


aller Massnahmen gestellt werden müsse. Glücklicherweise mache sich in 
dieser Hinsicht sowohl in Deutschland, wie in Frankreich eine Besserung be¬ 
merkbar. Erwünscht wäre bei der nächsten Volkssählung die Beantwortung 
der Frage bei allen Kindern unter einem Jahr, ob diese an der Brust oder 
künstlich aufgesogen sind. Man würde auf diese Weise su einer wertvollen 
Statistik kommen. Kindermilch su demselben Preise hersustellen wie gewöhn¬ 
liche Marktmilch, hält Bedner (für .unmöglich. Im übrigen stehe man heute 
nioht mehr auf dem Standpunkt, dass die Trockenftttterung das beste sei, 
sondern gehe wieder sur natürlichen Ernährungsweise der Milchkühe über. 
Eine reichsgesetsliche Regelung des Milchverkehrs sei ebensowenig wie eine 
landesgesetzliche bei den grossen Verschiedenheiten der einseinen Bezirke durch¬ 
führbar und wünschenswert. Wenn das Publikum der Milchfrage ein grösseres 
Verständnis entgegenbringe und vor allem erst gute Milch erkennen und 
deren Wert schätzen lerne, dann würden sich die Verhältnisse auch ohne gesetz¬ 
liche Vorschriften bessern; denn jedes Land habe die Milch, die es verdiene 1 

Prof. Dr. Baginsky-Berlin verweist auf den ausserordentlichen Wider¬ 
stand der Milchprodusenten und Milchhändler gegen alle Vorschriften, welche 
die Reinhaltung des Milchviehes, sowie grösste Reinlichkeit beim Melken und 
insbesondere bei dem Melkpersonal verlangen. Seines Erachtens muss die Milch¬ 
kontrolle in den Stall, an den Ort der Produktion verlegt werden. Eine Her¬ 
stellung der Kindermiloh zu demselben Preise wie die Marktmilch hält auch 
er für unmöglich. Mit Gesetzen lasse sich auf diesem Gebiete wenig erreichen; 
wirksamer sei das Einsetzen der Privattätigkeit, die in Amerika bereits in 
ganz vollendeter Weise organisiert und zu einer erheblichen Besserung der 
Verhältnisse geführt habe. 

Prof. Dr. Fi sc her-Kiel erwähnt eine Beobachtung über Erkrankungen 
duroh Milch von perlsüchtigen Kühen. Dr. Meinert-Dresden bestreitet, 
dass die künstliche Ernährung mit Milch die Hauptursache der Säug¬ 
lingssterblichkeit im Hochsommer sei; hierfür kämen noch andere Momente, 
besonders ungünstige Wohnungsverhältnisse mindestens ebenso in Betracht. 
Nach seiner Ansicht habe das Sozhl et verfahren zur Vermehrung der Rachitis 
beigetragen, eine Ansicht, der von anderer Seite entgegengetreten wird. 
San.-Rat Dr. Altschul-Prag stimmt dem Vorredner insofern bei, dass 
auch er den ungünstigen Wohnungsverhältnissen eine erhebliche Schuld bei der 
grossen Säuglingssterblichkeit beimisst. Er fordert deshalb eine andere Sta¬ 
tistik auf einheitlicher Basis. — Prof. Dr. Pe tr us chky- Danzig berichtet über 
die in der Danziger Untersuchungsanstalt festgestellten Milchnntersuchungs- 
ergebnisse. Danach sind während des Hochsommers Millionen von Strepto¬ 
kokken in 1 cbcm Milch gefunden, mehr als im Kloakenwasser; diese abzu- 
töten, bedürfe es ausserordentlicher Hitzegrade. Stadtrat Pütt er-Halle teilt 
mit, dass in Halle durch Gewährung eines städtischen Zuschusses und mit Unter¬ 
stützung des Frauenvereins gute Säuglingsmilch um 2 Pf. pro Liter unter 
dem gewöhnlichen Marktpreis an Unbemittelte und wenig Bemittelte abge¬ 
geben werde. Abgabestellen sind in sämtlichen Stadtteilen (Apotheken) ein¬ 
gerichtet. 

Nachdem Prof. Dr. Erismann-Zürich noch über einen Fall von er¬ 
höhter Säuglingssterblichkeit infolge von Maul- und Klauenseuche der Milch¬ 
kühe berichtet hat, bemerkt Bezirksarzt Dr. Pött er-Chemnitz, dass dort sehr 
gute Erfolge durch die den Hebammen auf erlegte Pflicht, bei den Müttern anf 
das Stillen hinzuwirken, erzielt seien. Das Vermögen zum Stillen habe nicht 
abgenommen, sondern die Ursachen des Rückganges seien in Bequemlichkeit, 
zum Teile auch in der Eitelkeit der Männer zu suchen, die glauben, dass durch 
das Stillen die Schönheit der Frauen beeinträchtigt werde. Stadtrat Tiessen- 
Königsberg i./Pr. tritt für eine strengere Kontrolle der ländlichen Produktions¬ 
stellen ein; diese müsse aber von dem Regierungspräsidenten ausgehen, denn 
die Städte hätten in dieser Hinsicht keine Macbthabe. Nützlich erscheinen 
Belehrungen für die Mütter bei der Anmeldung der Geburten. — Der Vertreter 
des Verbandes Deutscher Milchhändler, J. Luley-Berlin, bedauert, dass der 
Produzent sich heute leider noch oft über die Behandlung der Milch nicht klar 
sei. Nach Berlin werden z. B. grössere Mengen Milch kuhwarm auf den Trans¬ 
port gebracht. Die Frage der Futtermittel für Kühe, dereu Milch zur Ernäh¬ 
rung von Säuglingen dienen soll, sei noch nioht gelöst. Kindermilch zu dem 



800 


Aas Versammlungen und Vereinen 


gleiohem Preise so liefern, wie Marktmilch, sei ausgeschlossen. In Berlin habe 
man aber auf genossenschaftlichem Wege den Versuch gemacht, eine einwand¬ 
freie Milch billig an die ärmere Bevölkerung (80 Pfg. pro Liter) absngeben. 
Im Schlusswort weiBt Prof. Dr. Dunbar die von den einselneu Bednern gegen 
seine Ausführungen gemachten Einwendungen zurück und hält seine Vorschläge 
aufrecht. Br erwähnt, dass auch in Hamburg gate Milch für 15 Pfg. pro Liter 
abgegeben wird. 

n. Reinigung des Trinkwassers durch Onon. 

Der Referent, Geb. Reg.-Rat Dr. Oh lmüll er-Berlin, der sich seit Jahren 
in seiner amtlichen Stellung gerade mit der Wirkungsweise der verschiedenen 
Wasserreinigungsmethoden beschäftigt und die Einwirkung des Ozons auf Bak¬ 
terien, namentlich auf die Erreger des Typhus, der Cholera und Ruhr eingehend 
untersucht hat, erkennt den grossen Wert der Sandfiltration für die Beschaffung 
einwandfreien Trinkwassers an, hebt aber hervor, dass das Oson die Zahl der 
krankheitserregenden Bakterien nicht nur auf ein Minimum, wie die Sandfilter es 
tun, sondern sogar auf Null su vermindern vermag. Aus diesem Grunde müsste 
in vielen Fällen der Reinigung des Trinkwassers durch Ozon den Vorzug ge¬ 
geben werden. Auf Grund eigener Versuche erläutert Referent, wie bei der 
Anlage von Ozonwasserwerken in den einzelnen Fällen ausserordentlich ver¬ 
schiedenartige Verhältnisse (Oxydationsgrad, Menge der organischen Sub¬ 
stanz, Eisenoxydulgehalt, Huminsubstanzen, Schwebebestandteile) event). unter 
Zaziehung von sogenannten Schnellfiltern berücksichtigt werden müssten, und 
wies auf die beiden bisher ausgeführten Ozonwasserwerke in Wiesbaden und 
Paderborn hin. Durch diese beiden Anlagen seien die mehr wissenschaftlichen 
Untersuchungen des Reichsgesnndheitsamts und die entsprechenden Versuche 
des Koch sehen Instituts auch in der Praxis als richtig bestätigt worden: es 
habe sich ausserdem die volle Möglichkeit, einen sicheren Betrieb hersustellen, 
ergeben. Ausser diesen von Siemens und Halske erbauten Ozonwasser¬ 
werken erwähnte Referent auch die Bemühungen und Arbeiten französischer 
und holländischer Fachmänner auf diesem Gebiete, die, wenn sie auch nicht su 
praktischen Anlagen, so doch auch zu einer Bestätigung der zuerst von un¬ 
serem Reichsgesundheitsamt konstatierten Tatsache geführt hätten, dass das 
Oson tatsächlich alle krankheitserregenden Bakterien im Wasser mit Sicherheit 
su toten vermag. Die Kosten des Verfahrens kommen, abgesehen von den¬ 
jenigen für die elektrische Kraftbeschaffung auf 0,71—1,0 Pf. pro Kubikmeter ’); 
auch zur Enteisenung des Wassers ist das Ozon brauchbar, aber seine Anwendung 
kostspieliger als bei anderen Verfahren. 

Die von dem Referenten aufgestellten Schlusssätze lauten: 

„1. Das Ozon wirkt auf Bakterien im Wasser, auch auf Sporen von 
solchen, vernichtend unter gewissen Bedingungen. 

2. Krankheitserreger, wie die der Cholera, des Typhus und der Ruhr, 
unterliegen im allgemeinen rascher der Ozonwirkung als die Wasserbakterien. 

3. Die keimtötende Wirkung des Ozons ist von der Menge und Beschaffen¬ 
heit der im Wasser befindlichen leblosen, oxydablen Stoffe, den organischen 
und anorganischen, abhängig; weniger kommt die Hohe der Keimzahl in Be¬ 
tracht. Diese Eigenschaften sind bei der Auswahl eines Wassers, dessen 
Reinigung durch Ozon beabsichtigt wird, besonders su berücksichtigen. 

4. Siohtbare Schwimmstofie müssen vor der Ozoneinwirkung durch eine 
Schnellfiltration von dem Wasser abgeschieden werden, teils aus ästhetischen 
Rüoksichten, teils weil die von diesen eingesehlossenen Bakterien der Ozon- 
Wirkung schwerer zugänglich sind. 

5. Der KonzentrationsgTad der ozonisierten Luft, d. h. deren Gehalt an 
Oson, ist nach der Menge der oxydablen Stoffe des Wassers su bemessen. 

6. Eine zuverlässige Wirkung des Ozons tritt nur dann ein, wenn eine 
innige Berührung des Osons mit dem Wasser gewährleistet ist. 

7. Entsprechend der VergrOsserung der Einwirkungsoberfläche und der 
dadurch erzielten feineren Verteilung des Wassers daselbst kann nach Um- 


‘) In Paderborn betragen sie bis jetzt, die Verzinsung und Amortisation 
des Anlagekapitals eiageeehloesen, über 8 Pf. für den Kubikmeter. Die Kosten 
für die Betriebskraft (Gas- und elektrischer Motor) sollen hier allerdings auf- 
'■»llend hoch sein. Referent. 


Au Versammlungen and Vereinen. 801 

ständen (Menge der ozjdeblen Stoffe des Weesen) die Osonkonzentrntion Ter¬ 
miniert werden. 

8. Des gelieferte Oson wird bei der Wasservereinignng nur mm gerin¬ 
geren Teil verbraucht. Die Zirknletion der osonisierten Loft im Apperete ist 
daher vorteilhaft; nur ist für Nachschub frischer Lnft za sorgen, am die Oson* 
konsentretion eaf bestimmter Hohe za halten. 

9. Vor der Planung einer Osonwaaserreinignngsanlage sind die in Frage 
kommenden Eigenschaften des Wessen festaasteilen; das Ergebnis entscheidet 
Uber die Zweckmässigkeit der Anlage and bestimmt die Art der technischen 
Einrichtung derselben. 

10. Jede fertiggestellte Anlage ist, bevor sie dem Betriebe fibergeben 
wird, einer Prüfung bezüglich ihrer bakteriologischen, physikalischen and 
chemischen Wirksamkeit za unterziehen. Diese ist bei eintretenden Ver¬ 
änderungen der Beschaffenheit des za reinigenden Wassers, beispielsweise bei 
Vermehrung des Eisengehaltes oder bei zunehmender Verunreinigung, nach 
Bedarf zu wiederholen.* 

An der Diskussion beteiligten sieh nur wenige Vereinsmitglieder. 
Geh. Med.-Bat Dr. Löffler-Greifswald hftlt ebenfalls das Ozonisierungsver- 
fahren fflr sehr wertvoll, namentlich, wenn Oberflichenwasser für Wasserver¬ 
sorgung benutzt wird; jedenfalls mfisse aber die Konzentration nach dem Grade 
der Verunreinigung bemessen werden. Auf eine Anfrage des Prof. Dr. Heyer- 
Dessau, ob ozonisiertes Wasser Metalle nicht angreife, erwidert Referent, dau 
nach seinen Versuchen Metalle nicht angegriffen werden. Er bebt dabei her¬ 
vor, dass Grandwasser Metallen gegenüber keineswegs so harmlos sei, wie viel¬ 
fach angenommen werde; allerdings gehöre die Mitwirkung von Sauerstoff und 
Kohlensfture dazu, um eine angreifende Wirkung anf Metalle ausuflben. 

(Schluss folgt.) Bpd. 


Bericht über die 75. Versammlung Deutscher Natur¬ 
forscher nnd Aerzte in Kassel vom 80.—£0. Septbr. 1003. 

(Fortsetzung.) 

ft. Gemeinschaftliche Sltnung der medizinischen Hauptgruppe. 

In der am Donnerstag, den 24. September abgehaltenen gemein¬ 
schaftlichen Sitzung der medizinischen Haoptgrnppe sprach zunächst Prof. 
Dr. Jensen-Breslau Ober „die physiologischen Wirkungen des Lichtes'*. 
Er führte aus, dass bei den Untersuchungen Aber die Wirkungen der Licht¬ 
strahlen die Wärmestrahlen ausgeschlossen werden mfissen, und dass beim 
Menschen und den höheren Tieren zwischen der Wirkung anf das Auge und 
die Haut — denn diese Organe kommen beide in Frage — unterschieden 
werden muss. Auf beide Organe wirkt intensives Licht schädigend, während 
mlssige Bestrahlung einen anregenden Einfluss ausftbt; bei der Haut speziell 
findet eine Anregung des Stoffwechsels statt, die sich vielleicht durch die 
Nerven auch zentral fortpflanzt. Fflr das Leben ist Licht nicht unbedingt 
nötig, da es einerseits Tiere gibt, die andauernd im Dunkeln leben, und 
andere, die durch ihren Pelz vor Belichtung der Haut vollkommen geschätzt 
sind. Aehnliche Verhältnisse bieten beim Menschen Blinde und die dichte 
Kleidung. Indes ist der Vorteil einer mässigen Beleuchtung doch nicht zu 
unterschätzen. Die Wirkung des Lichtes auf die Umgebung des Menschen 
ist noch weit bedeutungsvoller. Die grflnen Blätter können ohne Licht nicht 
leben, ohne Pflanzen wieder nicht Tiere und Menschen. Ferner gehört der 
Einfluss des Lichtes auf Bakterien hierher; endlioh übt die Erhellung unserer 
Umgebung auf die geistige Tätigkeit des Menschen einen sehr wesentlichen 
Einfluss aus. 

2. Hierauf hielt Prof. Dr. Ri oder-München einen Vortrag über die 
bisherigen Erfolge der Lichttherapie. Er gedenkt zunächst der Sonne als 
natürlichster, intensivster und billigster Lichtquelle. 8ie wird zu Sonnen- 
und Lichtluftbädern benutzt; bei den letzteren spielen allerdings die Wärme¬ 
strahlen die Hauptrolle. Sonnenbäder regen die Zirkulations- und Sekretions¬ 
vorgänge in der Haut an. Durch die Hyperaemie der Hast aber tritt eine 



802 


Ans Versammlungen und Vereinen. 


Entlastung der inneren Organe ein, und durch die SchweiBsabsonderung werden 
schädliche Stoffe entfernt. 

Von den künstlichen Lichtarten wird am meisten das elektrische Licht 
benutst. Bei den Glühlichtbädern handelt es sich wie bei den Sonnenlicht- 
bädern zum grossen Teil nm die Wirkung strahlender Wärme; sie sind 
Schwitzbäder, welche von vielen Menschen besser als andere Schwitzbäder ver¬ 
tragen werden. Die elektrischen Glühlichtbäder sind als Vorbengungsmittel 
und bei denjenigen Erkrankungen der inneren Organe angezeigt, bei denen 
eine reichliche Sohweissabsonderung erwünscht ist, während für lokale Behand¬ 
lung die Heissluftbäder ihrer intensiveren Wirkung halber vorzuziehen sind. 
Das Bogenlicht ist in unkonzentrierter Form, auch mit Glüblicht kombiniert, 
nicht zu verwerten, in konzentrierter hat es sich dagegen nach Beseitigung 
des grössten Teils der Wärmestrahlen bei der Behandlung der Hautkrankheiten 
glänzend bewährt und sich als den andern Methoden weit überlegen erwiesen. 
Konzentriertes Bogenlicht ruft einen in die Tiefe fortschreitenden entzündlichen 
Prozess in der Haut hervor, welcher diese für die Lebensbedingungen der 
Parasiten untauglich macht. Dabei ist das kosmetische Resultat ein hervor¬ 
ragend gutes. Das Finsenscbe Institut in Kopenhagen besitzt die voll¬ 
kommensten derartigen Einrichtungen. Meist wird weisses Licht angewendet, 
doch wird auch farbiges benutzt. So hat man Geisteskranke in farbig be¬ 
leuchteten Zimmern untergebraoht und gute Erfolge gehabt, ebenso wie 
bekannt ist, dass rotes Licht auf den Verlauf und die Narbenbildung von 
günstigem Einfluss ist. Den Erfolgen von blauem Licht steht Redner skeptisch 
gegenüber. 

Sehr günstige Resultate haben in der Hand geübter und sachverständiger 
Therapeuten die Bestrahlungen mit Böntgenstrahlen zu verzeichnen. Diese 
Strahlen wirken noch weit intensiver als Bogenlicht; deshalb ist bei ihnen 
aber auch eine genaue und vorsichtige Dosierung besonders nötig. Bogenlicht 
und R&ntgenstrahlen bewirken bei geringer Intensität Anregungen des Haar¬ 
wuchses, bei starker Intensität Vernichtung. Daneben ist ihr glänzender 
Erfolg bei Behandlung namentlich parasitärer Hauterkrankungen bekannt 
(Favus, Sykosis, Herpes tonsurans, Alopecie und vor allem Lupus); sogar bei 
Hautkrebsen und tiefersitzenden Neubildungen werden durch Röntgenbehand¬ 
lung Rückbildungen erzielt. 

Zum Schluss empfiehlt der Redner Einrichtung von Lupusheilstätten zur 
Lichtbehandlung. 

3. Prof. Dr. Macfadyan-London wies in seinem Vortrage Aber das 
Vorkommen und den Nachweis von intrazellulären Toxinen darauf hin, 
dass die biologischen Untersuchungen uns zur Erforschung der Grundlagen 
aller Erscheinungen und deren innerer Vorgänge hinfübren. Die Zellenlehre 
ist die Grundlage aller biologischen Forschung; deshalb ist das unmittel¬ 
bare Studium der Zelle heute sehr in den Vordergrund gerückt. Zum Ver¬ 
ständnis der inneren Vorgänge in den Zellen war es notwendig, die Zellen 
losgelöst von äusseren Einflüssen zu gewinnen. Der beste Weg hierzu ist die 
Methode, die Zellen mechanisch zu zertrümmern und das Plasma nnter Bedin¬ 
gungen zu gewinnen, die ihm am wenigsten schaden. Das Verfahren wurde 
von Bnehner zuerst beim Studium dieser Vorgänge bei der Hefezelle an¬ 
gewendet. 

Verfasser hat nun durch flüssige Luft diese mechanische Gewinnung des 
Plasma zu Stndienzwecken sehr gut erreicht, und zwar nicht nur für Körper-, 
sondern auch für die Bakterienzellen. Auf diese Weise konnte mit Ersparnis 
von Material und Zeit der Zellsaft von Bakterien gewonnen und untersucht 
werden. Bei Typhus z. B. enthielt der Zellsaft zweifellos ein Toxin, dem 
Meerschweinchen bei intraperitonealer Einverleibung in 3-6—12 Stunden 
erlagen. Auch bei den pyogenen Kokken Hessen sich intrazelluläre Toxine 
nachweisen. Bei der Prüfung der Frage, ob sich die gewonnenen Zellsäfte 
zur Immunisierung eignen, wurde festgestellt, dass auf diese Weise behandelte 
Affen nicht nur gegen virulente Typhusbazillen, sondern auch gegen deren 
intrazelluläres Toxin geschützt werden konnten. Ausserdem konnte noch eine 
Heilwirkung beobachtet werden. Demnach wirkt das durch BakterienzelWft 
gewonnene Serum nicht nur antitoxisch, sondern auch bakterizid. Endlich 
stellte sioh heraus, dass es auf die eben beschriebene Weise möglich ist, eine 



Ana Versammlungen und Vereinen. 


803 


Daher Produktion von antitoxischen Substanzen im Blute de« Versuchstieres 
hervonurufeu. Zugleich sei noch erwähnt, dass die Bakterienaells&fto sehr 
schnell reaorbieit werden« ein ü tu stund, der für die Behandlung mancher Kr- 
ktAttkaogea tou Wichtigkeit sein dürfte. 

3, Abteilung für gerichtlich* Medlfii». 
f, Oeber ftkate Kupfervergiftong. Der Vortragende, IreiBMsl 
Dx. 3d bkffer-Bingen, wies sanäebst darauf hin, dass die Gefahres der 
Akuten Kttpfemrgjftnng für Erwachsene sehr Überschätzt werde», und dass in 
der LUiefataf häufig Fälle als solche beschrieben sind, »eiche einer Kritik 
nicht at&nd halten. Die angeblichen Kapfervergiftoügen, die des öfteren 
nach Gebrauch von KnpfergeKsBen beobachtet sind, finden wohl ihre Br" 
kläroag richtiger in and<sren« namentlich in Ptouialuvergiftncges. Es sind denn 
auch sowohl Ökonomische, wie kriminelle Enpferverglftttngea in Deutschland in 
der leisten Zeit nnr sehrf «eite® boBchrisbea wordeii. 

Im Anschlussan einen selhstboob&chteten. Bali von kriminelle? Kupfer- 
Vergiftung; bei einem drei Tage alten Kinde bespricht der Vortragende sodann 
den patbpiogisch-uoitom'isnhea Befand and den Nachweis des Kupfers bei akuter 
Knpfervergtflnng, Pathologisch-anatomisch fand sich Ite vorliegenden Falle: 
blÄnlicber, tütssfarbeoer Belag von Zange und Zahnfleisch, Ikterus, Blutungen 
in der Muskulatur, ancb des Herzens. massenhafte Blutnngen in beiden Longen, 
so dass der Durchschnitt gesprenkelt aassah; auch auf der Zwerchfellkuppe, 
in dar ThymUs und auf der geschwollenen MsgenaahJeimfcaui zahlreiche 
Blntnugen; am Dünn- and Dtakdarm schwere hlmörrha^BOhe Entzündung, 
im Coecatn ein markstnekgroasos, zirkol&fes, scharf räudiges, bis in die Snbmncosa 
reichendes Geschwür mit woUartigem Btnd cpd ÖKchenbnfttn Blntnngen in der 
Umgebung; zahlreiche Binlnngen m den Ntarsn bei fettiger Degeneration, 
ebensolche tu der Leber— ... 

Chemisch liess sich in Stücken Von Leber and Darm Köpfer nachweisen, 
Mikroskopisch; hoebgradige Verfettung', »tat Niere und Lehar, fettige 
Degeneration dos Hers- and ScUl'treomnskols, so dass die Queratreifung grössten* 
teils sn Grunde gegangen war, und di* Körne nur.'schwer jra färben waren 
Ferner die oben erwähnte» Blutung«®, in welch«» sich ebenso wie in 
den Gofässö« ein feinkörniger, brauner bis sebwarsef Niederschlag: fond. Der* 
selbe lag io den Gefäsgeft wie in den Harnkanälchen as der Wand. . 

Boi Besprechung de« Fiüle» hob der Vortragende die Üebeveinstiminöiig k 
der Kapfervergjftnng mit der der ajBdera SahwemetftJle hervor. Da das 
Kupfer in seinen EUVetssrnbindaatfen; 4. b v ib flier matallorgauiscfcen Fora 
mit den gewöhnlichen Beagentien nicht naebweisbar ist, m fehlt noch eine 
mikrochemische Reaktion. Toi Blut ist es ule Knpferbäitol <Eobert) an die 
roten Blutkörperchen gebunden and führt als BIatgift su Kapillaribr&mbOsen 
und infolgedessen zu Blotuogefl. Der roähroekopiscb siebthw-e braune Nieder¬ 
schlag ist wahrscheinlich als Knptersi'edernoblug *« deuten. SoituoQ, ging 
Redner noch Auf den Iktdraa und die Haemogiobfntms bei XujKeryergvftnng 
ein. Die Leber speichert das vom Darm »ufgenommeoe Kupfer auf und des¬ 
halb gelingt in ihr nach so leicht der Kupfernzcbirnis; im übrigen wird das 
Köpfer auch wieder auf die Darmsohleinibaat ausgeschieden. Die hochgradige 
fettige Degeneration der Muskulatur wnrde vor SchffJferbei ahoter Knpfev- 
vergiftonK noch nicht bösobrieben. 

2. Lehre von den Bfichverietznn gen des Kücken mark« in geriebt- 
Heb - medizinischer Beziehung, Dr. Strauch. Assistent am Institut für 
Staatsarpneikonde io Börlin, beschreib«, die vom ; ; <- > ; v 

Waffe beim Stoss von vorn und hinten nehmen k*an, cud «ciri *»f di* auf¬ 
fallende Tatsache hin, das* bei diesen Versuchen di* prosnso ,<.v 

Stich von vorn so auffallend selten vertatst wertv • 

ans, dass bei Stichen tön vorn bfe in den WtTbclh?*o.- 

1. nicht einmal die RückenmaiteMnte verletzt ,•.< • •«:**; 

2. wenn diese verletzt sind, doch das Rttcksnma i 

3. beide verlest werden köases, 

4. die Hfcnfcb verletzt, das Mark nnverletzt und d'.<} ubsm 
fasern derselben Seite, 

5. bei dooselbeo Verhältnissen die austretenden Wnr«wWrw*5 
gesetzten Seite getroffen werden können. 




804 


Ans Versammlungen und Vereinen. 


Ferner ist es möglieb, dass bei Halsstiehen von vorn, indem die Waffe 
an der Vorderseite der Wirbelsäule entlang gleitet, der atutretende Nerv der 
entgegengesetzten Seite lädiert sein kann. Bei Stichen von hinten in der 
Brustwirbelgegend können äussere Wnnde nnd Bücken marksläeion anf entgegen¬ 
gesetzter Seite liegen. Der Grnnd hierfür ist in den ostalen Verhältnissen den 
Stichkanals nnd in der Möglichkeit zn suchen, dass sich die Mednlla bei 
Stichen am ihre Längsachse im Bückenmarkskanal drehen kann. 

Bs erhellt daraus, dass man ans der äusseren Wnnde keinen Schluss 
anf die Richtung des Stichkanals ziehen kann. Der Vortragende weist sum 
Schlösse noch anf die Schwierigkeit hin, die Qaerfortsätse der Halswirbelsänle 
durch Abtasten sn bestimmen, nnd anf den häufig vorkommenden abnormen 
Verlauf der A. vertebralis. 

Ans der Diskussion ist hervoranheben, dassDr. Stolper• Göttingen 
anf die Verwendung der ROntgenphotographie als diagnostisches Hilfs¬ 
mittel aufmerksam macht; das betreffende Wirbelsänlensegment muss dann 
aber in verschiedenen Richtungen durchleuchtet werden. Die ROntgenphoto¬ 
graphie sollte überhaupt bei Wirbelsäulensektionen, z. B. bei alten oder frischen 
Frakturen, immer der Sektion vorangehen, da man durch sie ein ausserordent¬ 
lich klares Bild über Verschiebungen und Verengerungen des Wirbelkanals, Aus¬ 
dehnung der Kallusbildung erhält. Jedenfalls empfiehlt es sich, das in Betracht 
kommende Segment in FormaiinlOsung aur nachträglichen photographischen 
Aufnahme zur asservieren. Interessant sei die vom Vortragenden mitgeteilte 
Tatsache, dass ein StichinBtrument den ganzen Wirbelkanal durchqueren kann, 
ohne das Hark selbst zu verletzen. Am Lebenden werden sich aber in 
einem solchen Falle doch Symptome einer Markverletzung geltend machen, die 
in Lähmungserscheinungen zum Ausdruck kommen. Stolper weist sodann, 
nachdem er noch einen forensisch interessanten Fall von Halswirbelbruch durch 
einen Kurpfuscher bei gewaltsamer Beseitigung eines Caput otstipum erwähnt 
hat, darauf hin, dass der das Rückenmark umgebende Raum, der von dem 
Arachnoidalraum und einem mächtigen Venenpolster ausgefflilt wird, ein über¬ 
raschend grosser sei und sich daraus erkläre, dass auch bei starken Wirbel¬ 
verschiebungen eine Markverletzung ausbleiben oder nur sehr gering sein kann. 
Daraus gehe auch hervor, dass eine Rückenmarkserschütternng nicht leicht 
denkbar sei, ja zu den Unmöglichkeiten gehöre. Die Diagnose Bückenmarks- 
erachtttterung solle man daher vermeiden (s. übrigens den in der heutigen 
Nummer veröffentlichten Vortrag des Dr. Stolper; S. 781). 

2. Dr. Stolper, Privatdosent und komm. Kreisarzt in Göttingen: 
„Zwei Fälle von geheilter Kehlkopffraktur“. Dazu Demonstration von 
drei anatomischen Präparaten. (Autoreferat). Im ersten Fall schnitt sich ein 
Melancholiker den Kehlkopf im Bereich des Ligam. conic. durch, fuhr dann mit 
dem Finger in die Wunde und riss sich dem Kehlkopf auf, so dass der Schild¬ 
knorpel genau in der Mitte, der Ringknorpel an der linken Seite gesprengt 
war. Die Hautwunde verlief horizontal über dem Kehlkopf. Tracheotomie- 
Naht der adaptierten beiden Hälften des Schildknorpels, Heilung mit guter 
Stimmbildung. Die Beobachtung lehrte, dass ein Mensch mit so zerstörtem 
Kehlkopf 1. noch eine gut wahrnehmbare, helle Stimme haben 
und deutlioh sprechen kann, 2. dass die Atmung so wenig be¬ 
einträchtigt, der Blutverlust so gering sein kann,“ dass der 
Verletzte noch grosse Strecken surückzulegen vermag, zwei 
Tatsachen, die bei der Bntsoheidung, ob Mord oder Selbstmord vorliegt, von 
Bedeutung sind. 

Der in Rede stehende Selbstmörder batte überdies Sohnittwunden an den 
Beugeseiten der Finger der rechten Hand, die ihm beim Bntwinden des Messers 
beigebracht waren. Auch der Krankenwärter hatte dabei Fingerverletaungen 
erlitten. 

Im zweiten Fall war ein jugendlicher Bursche im Streit mit einem 
anderen gewürgt und niedergeworfen worden. Neben dem Zeichen der Gehirn¬ 
erschütterung bestand hochgradige Atemnot bald stärkeren, bald geringeren 
Grades, die, als der Verletzte zum Bewusstsein kam, hochgradige Unruhe 
hervorrief. Inspiratorisch vermochte er mit einigen Worten auf das 
Würgen hinsuweisen. Nun bemerkte man, dass die Atmung leichter wurde, 
wenn man den Kehlkopf von den Seiten her susammendrüekte. Aber auf die 



Aua Versammlung«!! and Vereinen. 


806 


Däner liess sieh das nicht darehftthren. Es wurde auch hier die Tracheotomie 
nötig. Heilung in hllrsester Frist; die Art dieser Verletsung ist nicht auf- 

! geklärt, ohne Zweifel aber handelte es sich nm eine Zusammenbangstrennung 
m knorpligen Ring des Kehlkopfs durch Würgen oder Stoss und swar bei 
einem 16 jihrigen Indiridnnm. 

Man wird also nicht an dem alten Lebrbnchsatse festbalten können, dass 
Kehlkopfbrüche nur bei Alteren Personen Vorkommen. Dem widersprechen 
aueh einige der demonstrierten 8 anatomischen Prkparate, an die Redner 
einige Bemerknngen anschliesst, wie vorsichtig man bei der Obduktion den 
Kehlkopf behandeln müsse, nm nioht Frakturen in erzeugen. Freilich würden 
Oedem und snbmnköse Blutungen, seltener die Art der Sehleimhautwunden, 
einem Kundigen die Entscheidung, ob intravital oder postmortal, an die 
Hand geben. 

3. Dr. Weygandt-Würsburg: „Ueber die psychiatrische Begut¬ 
achtung in Zivilsachen, lediglich auf Grund der Akten 1 . Vortragender 
neigt, dass die Regel, sich als Sachverstindiger erst ein Urteil nach der Unter¬ 
suchung des Rubrikaten su bilden, eine wichtige Ausnahme erleide, wenn es 
sich um Vertrags- und Testamentsanfechtungen post mortem handele. 

Als Fortschritt des Bürgerlichen Gesetsbuches in dieser Hinsicht be- 
seiehnet und erläutert er an Beispielen die Vereinheitlichung des Rechtes, 
sumal sich angesichts der Seltenheit der Fälle eine Tradition wie bei der 
Entmündigung nicht ausbilden konnte, ferner die Tatsache, dass die §§ 104 
und 106 die Annahme einer partiellen Geisteskrankheit ansschliessen und die 
lucida Intervalle wegfallen. Endlich sind die neuen Bestimmungen nicht so 
weitgehend wie manche frühere, bei denen schon der Nachweis einer blossen 
Beeinflussung beim Vertragssehluss nur Anfechtung genügte. 

Dr. Meder-Cassel. 

(Schluss folgt) 


Bericht Aber die Xlll. Sitzung des Vereins der Medizinal- 
Beamten des Begierungsbeslrks Gumbinnen zu Tilsit 
am MO. und Al. Juni 1903. 

Die diesjährige Sitzung fand in Tilsit statt und war mit einem genuss¬ 
reichen Ausflug nach Ober-Eysseln verbunden, an dem ebenso wie bei ver¬ 
schiedenen Besichtigungen — Cellulose- und Papierfabrik in Tilsit, städtisches 
Wasserwerk auf dem Engelsberge bei Tilsit — auch die Damen der anwesenden 
Vereinsmitglieder teilnahmen. Erschienen waren: Der Vorsitzende Reg.- und 
Med.-Rat Dr. Doepner-Gumbinnen, die Kreisärzte: DrDr. Behrendt-Tilsit, 
Bredsohneider-Angerburg, Cohn-Heydekrug, Csygan-Goldap, Forst¬ 
reuter-Heinrichswalde, Herrendoerfer-Ragnit, Heyer-Loetsen, Krause- 
Sensburg, PI och-Gumbinnen, Poddey-Darkebmen, Schawaller-Pillkallen, 
Schulz - Stallupönen, Vossius-Marggrabowa und Wollermann-Johannis- 
bürg, die Kreisassistenzärzte DrDr. Boehuke-Bialla, Franz-Kaukehmen 
und Lemke -Proetken, sowie als Gäste die kreisärztlioh geprüften DrDr. Ban- 
disch -Tilsit, De ckner-Stallupönen, K a 111 u h n - Angerburg, Marcuse- 
Tilsit und V angehr-Tilsit. 

Der Vorsitzende gedenkt zunächst mit bewegten Worten der in der 
Zwischenzeit verstorbenen Kollegen Kreisarzt Dr. Dubois-Johannisburg und 
Kreisarzt und Medizinalrat Dr. Ra et zell, Hilfsarbeiter bei der Königlichen 
Regierung zu Gumbinnen. Die Anwesenden erheben sieh zu Ehren der Ver¬ 
storbenen von ihren Sitzen. 

L Med.-Rat Dr. V o s s i u s - Marggrabowa spricht hierauf über Selbstmord 
im kindlichen Lebensalter. Er berichtet über einen Fall aus seiner Praxis. 
Ein 8jähriger Knabe, Sohn eines Rentengutsbesitzers, batte sich erhängt. Der 
körperlich gesunde Knabe litt seit seinem ersten Lebenmahre an Krämpfen, die 
allmählich seltener aufgetreten waren; geistige Defekte hatte er bisher nicht ge¬ 
zeigt. Die Mutter soll dem Trünke ergeben gewesen sein, eine Schwester hatte 
ihrem Leben ebenfalls durch Erhängen ein Ende gemacht. Dieses hatte der 
Knabe gehört und hin und wieder geäuraert, er würde es auch einmal versuchen. 
Als 2 seiner Geschwister starben, sagte er: „Die Geschwister sind schon im 
Himmel, und wir müssen uns auf der Erde berumtreiben. Es kommt einmal 



806 


Au Versammlungen und Vereinen. 


du grosse Wasser and wir ertrinken. Dm beste ist, man nimmt sieh das 
Leben, dann braneht man nicht zu ertrinken. Sr wolle nach dem Himmel 
gehen and mit den Engeln spielen." In letzter Zeit war er auch auf den 
Kirchhof gegangen and hatte dort laut den Namen seiner verstorbenen Brüder 
gerufen. Ohne eine äussere Veranlassung, wie harte Strafe oder dergl., kam 
er am Todestage zu seiner 11 Jahre alten Schwester und fragte sie, ob sie 
sterben wolle. Als sie dieses verneinte, sagte er: „Ich mochte gern sterben; 
Buch wird das Wasser nehmen and wir werden alle auferstehn.“ Am Nach¬ 
mittage, nachdem er für seine Kaninchen Klee geschnitten hatte, wurde er von 
seiner Schwester im Stall auf dem Kaninohenbehälter knieend, erhängt gefunden. 

Nach Anführung einer Statistik von Morselli über die Frequenz der 
Selbstmorde der Individuen unter 16 Jahren, verglichen mit den nächsten 
Altersklassen von 16—20 Jahren bei den verschiedenen Völkern, sowie Uber die 
Ursachen des kindlichen Selbstmordes, bespricht Referent unter Hinweis auf 
die grosse Zahl in der Rubrik, „unbekannte Ursache", die durch Geisteskrank¬ 
heit bedingten Selbstmorde jugendlicher Personen. Fälle von akuter Paranote, 
zirkulärem und moralischem Irresein, Idiotie, Hysterie und Hypochondrie, sowie 
zahlreiche Fälle von Melancholie geboren hierher. Häuslicher Kummer sei 
nicht selten eine Ursache zur Melancholie, indem derselbe zunächst eine Prl- 
disposition and bei Fortwirkung die SeelenstOrung selbst hervorbringt. Die 
Farcht vor dem Examen und der Nichtversetzung, unwürdige Behandlung, 
sowie unglückliche Liebe wirkten bei angekränkelten nervOsen Kindern bis 
zum Selbstmord. Meist seien solche Kinder erblioh belastet, und spiele bei 
dieser Belastung der Alkoholismus der Eltern eine Hauptrolle. Die Tatsache 
der Vererbung der Geisteskrankheiten, sowie die direkte Erblichkeit des Selbst¬ 
mordes seien bekannt. Unter den Ursachen des Selbstmordes führt Vor¬ 
tragender ausserdem das moderne Gesellschaftsleben an, welches erhöhte An¬ 
sprüche an die Menschheit im allgemeinen und auch besonders an die Kinder 
stellt, die diesen häufig nicht gewachsen sind. Der Kampf ums Dasein, an dem 
jetzt schon häufig die Kinder teilnehmen, die mangelnde Erziehung, bei der 
die Entfaltung des Gemüts- und des Gefühlslebens auf Kosten des Denkver¬ 
mögens des Kindes leidet und oft versäumt wird, in das kindliche Hers den 
8inn wahrhafter Religiosität, echter Menschenliebe und Gerechtigkeit zu 
pflanzen, sowie die Genusssucht tragen viel dazu bei, die Widerstandsfähigkeit 
der Kinder herabzusetzen. 

Die amtlichen Ermittelungen haben zwar festgestellt, dass die Schule 
nur ausnahmsweise Schuld an dem Selbstmord der Zöglinge trägt, doch treten 
die Folgen der Ueberbürdnng gerade bei Kindern mit geringer Leistungsfähige 
keit und nervOser Disposition auf. Dazu komme in der Schule der Einfluss 
willensstarker Kinder, welche schwächere Charaktere auf den Weg des Lasters 
und der Verbrechen drängen, und endlich der Nachahmungstrieb, der ebenso 
wie bei Erwachsenen häufig auch bei Kindern zu geistigen Erkrankungen, 
aber auch zum Selbstmord führt. 

In der Diskussion weist Czygan auf den Einflass des Alkoholismus 
hin und führt eine Statistik an, nach der 90°/o sämtlicher Imbezillen von trunk¬ 
süchtigen Eltern stammen. Der Vorsitzende bestätigt zwar den schädigenden 
Einflass des Alkoholismus der Eltern, wendet sich aber gegen die Art, in der 
ein Teil der Statistiken aufgestellt werde. 

II. Kreisarzt Dr. Ploch referiert über die amtliche Tätigkeit des 
Kreisarztes bei der Schutzpockenimpfung. Referent hält sich bei der 
Besprechung des Stoffes eng an den Abschnitt XXIII, §§ 86—89 der Dienstan¬ 
weisung für die Kreisärzte, und erwähnt zunäohst mit Rücksicht auf die 
Anstellung der Impfärzte und Abgrenzung der Impfbezirke 
(§ 86), dass der Kreisarzt nur selten in die Lage kommen dürfte, anf Er¬ 
fordern der betreffenden Behörde sich gutachtlich über die Qualifikation eines 
als Impfarzt anzustellenden Arztes zu äussern, sollte es aber geschehen, so 
wird er sich begnügen müssen, darauf hinzuweisen, dass bei einem Arzte, der 
sich im Besitz einer in den Reichslandcn erteilten Approbation befindet, die 
Befähigung zur Ausübung der Impfung und Leitung des Impfgeschäftes vor¬ 
ausgesetzt werden müsste. Keinesfalls wird der beamtete Arzt sieh aber etwa 
in zweifelhaften Fällen durch eine Art von Prüfung über die Befähigung des 
Impfarstes Kenntnis zu verschaffen suchen dürfen. 



Ana Versammlungen and Vereinen. 


807 


Betreffs der Abgrensang der Impfbesirke wird der Kreisarzt in 
seinem Gutachten der Behörde gegenüber die Ansicht su vertreten haben, dass 
eine grossere Zahl von kleinen Bezirken am besten zn vermeiden ist, da mit 
der Zahl der Impfärzte zweifellos die Schwierigkeit des Impfgeschftftes wächst, 
seine Beaufsichtigung erschwert nnd das Einheitliche in der Impfong gestOit 
wird. För einen Kreis mit ca. 40000 Seelen werden 2 Bezirke mit je 1 Impf- 
arst vollständig genügen, nnd für kleinere Kreise nur 1 Impfarzt zn em¬ 
pfehlen sein. 

Die Beaufsichtigung der Impfärzte (§87 und Min.-Erl. vom 
28. Februar 1900, Abs. 8) ist jetzt durch den Min. * Erlass vom 26. Jnli 1902 
dahin geregelt, dass diese den Kreisärzten, auch wenn sie als Öffentliche Impf¬ 
ärzte tätig sind, in den übrigen Impfbezirken ihres Kreises zusteht, und sie 
auch unbedenklich ausserhalb ihres Kreises in Stellvertretung des Regierungs- 
und Medizinalrates damit betraut werden können. Der Kreisarzt bat dem¬ 
nach alle Impf bezirke seines Kreises, die nicht von ihm selbst besorgt sind, 
zu revidieren; es genügt aber, wenn von ibm in jedem Impfbezirk nur ein 
Impftermin mit der dazu geböi enden Nachschau besucht wird. Der Kreis¬ 
arzt soll aber nach § 87, Abs. 3 nicht nur den Öffentlichen, sondern auch nach 
Bedürfnis den Öffentlich ausgeschriebenen privatärztlicben Impf- und Nach¬ 
schauterminen beiwohnen, entsprechend dem Abs. 8, Nr. 6 des Min. • Erlasses 
vom 28. Februar 1900. 

Referent bespricht nunmehr eingebend die Punkte, worauf der Kreisarzt 
bei den Revisionen der Impf- und Naobschautermine zu achten hat (§ 87, 
Abs. 3 der Dienstanweisung). Zunäohst wird der Kreisarzt darauf achten 
müssen, ob der Impfarzt, bevor er zur Impfang schreitet, dem Gesundheitszu¬ 
stände der Impflinge eine genügende Beachtung widmet, die begleitenden An¬ 
gehörigen Uber den Gesundheitszustand der Impflinge befragt nnd im Falle 
einer schweren akuten oder chronischen, die Ernährung stark beeinträchtigenden 
oder die Säfte verändernden Krankheit von der Impfung Abstand nimmt, sowie 
ob die Angehörigen der Impflinge gedruckte Verhaltungsvorschriften er¬ 
halten haben. 

Bei der Impftechnik ist su kontrollieren, ob der Impfarzt vor Beginn 
des Impfaktes seine Hände und Arme desinfiziert, ob zur Impfung eines jeden 
Impflings nur Instrumente benutzt werden, die durch trockene oder feuchte 
Hitze (AnsglUhen oder Auskochen) oder durch Alkoholbehandlung keimfrei ge¬ 
macht sind. Am besten eignen sich hierzu die Platiniridinm - Messer, die in 
einer Spiritus - Stichflamme ausgeglüht werden, und von denen 3—4 mindestens 
zur Hand sein müssen, damit die Messer gut erkalten können und eine schnellere 
Ausführung der Impfung ermöglicht werden kann. Die Lymphe ist vor Staub 
zu schützen und kann, wenn das Instrument keimfrei ist, unmittelbar aus der 
Glastube entnommen werden. Einmaliges Einstreichen der Lymphe in die 
durch Anspannen der Haut klaffend gemachten Wunden ist im allgemeinen 
ausreichend. Es soll durch diese Verordnung offenbar eine Verringerung der 
Gefahr des Hineingelangens von Infektionskeimen angestrebt werden. Da aber 
gesagt ist „im allgemeinen ausreichend“, wird nichts dagegen einzuwenden 
sein, wenn der Arzt mehrmals die Lymphe einstreicht. Schädigungen sind 
davon wohl niemals bemerkt worden. Selbstverständlich darf aber der Arst 
nicht, wie Referent beobachtet hat, mit dem Impfinstrument in die Tube oder 
das 8chälehen hineinfahren, nachdem er schon 1—2 8chnitte gemacht hat, und 
ihm die auf dem Instrument befindliche Lymphe nicht genügend erscheint, ohne 
dieses von neuem sterilisiert zu haben. 

Der Impfarzt soll die Bescheinigung auf Erfolg nur ausstellen, 
wenn er selbst die Wirkung festgestellt hat; er darf demnach den Impfschein 
nicht ausstellen und anshändigen, wenn er nur auf Angaben der Angehörigen 
hinsichtlich der Impfwirkung angewiesen ist. Er würde sieb, sollten die An¬ 
gaben der Angehörigen auf Unwahrheit beruhen — solche Fälle sind schon 
vorgekommen — einer Urkundenfälschung schuldig gemacht haben und auch 
nach §. 17 des R. I. G. wegen Fahrlässigkeit mit Geldstrafe bis zu 500 Mark, 
oder mit Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft werden können. Es ist daher 
nOtig, dass der Kreisarzt bei seinen Revisionen besonders auf diesen Punkt 
achtet und die Impfärzte hierüber aufklärt. Es wird auch nach §. 10 des 
B. I. G. die Ausstellung des Impfscheines vom Impfarzt verweigert werden 



808 


Ans Versammlungen and Vereinen. 


müssen, wenn von den Angehörigen des Impflings anf dem Termine selbst 
eine Bescheinigung des Hansarstes vorgelegt wird, dass so nnd so viele 
Pastein bei dem Impfling entwickelt sind. Dagegen hat der Impfarst nach einem 
Bescheid des Medizinalministers der Verpflichtung der Öffentlichen Impfärste sor 
Ausfertigung der Impfscheine in den Nachsohanterminen Genüge geleistet dnreh 
das Vollziehen der Namensunterschrift und die Kenntlichmachung der Eigen¬ 
schaft als Impfarzt, während im übrigen die Impfscheine von der Schreibhilfe 
ausgestellt werden. 

Betreffs der Listenführung hat sich der Kreisarzt zu überzeugen, ob 
die Listen gemäsB § 7 d. B. I. G. ordnungsmässig von den Behörden und den 
Vorstehern der betreffenden Lehranstalten geführt, d. b. ob alle nach § 1, Ziff. 1 
und g 1, Ziff. 2 des B. I. G. zur Impfung gelangenden Kinder eingetragen 
sind, uni ob die Impfärzte in den Listen vermerkt haben, ob die Impfung mit 
oder ohne Erfolg vollzogen, oder ob und wesshalb sie ganz oder vorläufig unter¬ 
blieben ist. Auch auf die Anwesenheit eines Beauftragten der Ortspolizei- 
behörde bezw. eines Lehrers ist zu achten; sehr erwünscht ist das Erscheinen 
der beteiligten Gemeindevorsteher, damit diese erforderlichenfalls Uber ver¬ 
zogene und gestorbene Impflinge dem Impfarzte Aufschluss geben können. 

Hinsichtlich des Impf lokals muss ausreichende Grösse, gehörige Bele¬ 
gung, gute Lüftung und womöglich auch eine Trennung des Warteraumes vom 
Operationszimmer, bei kühler Witterung Heizung verlangt werden. Kranken¬ 
häuser dürfen zu Impflokalen nicht benutzt werden, Schulräume sind rechtzeitig 
nass zu reinigen und zu lüften; die Bänke müssen beiseite gestellt werden. Eine 
Ueberfüllung des Impflokals ist nach dem Min.-Erlass vom 81. März 1897 
anzunehmen, wenn bei Erstimpfungen die Zahl 60, bei Wiederimpflingen die 
Zahl 80 überschritten wird. Es ist dabei jedoch nicht ausgeschlossen, dam 
mehrere Impftermine an demselben Tage und in demselben Impflokale mit an¬ 
gemessenen zeitlichen Zwischenräumen angesetst werden. Diese Zwischen¬ 
räume werden grosser, bis auf 2 Stunden zu bemessen sein, je kleiner das 
Impflokal ist, und umgekehrt. Diese Vorschriften haben bei den Impfirsten, 
weil ihnen dadurch eine bedeutende Mehrarbeit erwächst, keine freundliche 
Aufnahme gefunden; es wird deshalb vielfach noch gegen sie verstossen. 

Die Beinheit der Tierlymphe wird der Kreisarzt nur mit dem Auge 
prüfen können. Als rein und unverdächtig kann diejenige Lymphe gelten, 
welche ein gleichmässiges, opaleszierendes Aussehen hat, nicht von Eiterborken 
oder Blutstreifen durchsetzt ist und der Konsistenz nach nicht zu dick- oder 
dünnflüssig ist. Ueber den Bezug der Lymphe soll der Impfarst ein Buch 
führen, dasselbe auf den Impfterminen stets bei sich führen und auf Verlangen 
dem revidierenden Medizinalbeamten vorseigen. Ein solches Buch wird aber 
meist nicht geführt, weil den Impfärsten die gesetzliche Verpflichtung hierzu 
gar nicht bekannt ist. 

Nachdem Beferent noch erwähnt bat, dass der Kreisarzt über seine 
Beobachtungen an den Revisionstenninen etwaige Misstände usw. an den Re¬ 
gierungspräsidenten zu berichten habe, bespricht er die in beeng auf die 
(Jeberwachung des Handels mit Lymphe zu beachtenden Gesichtspunkte 
(Min.-Erlass vom 28. Februar 1900). Für den Kreisarzt kommt hauptsäch¬ 
lich der Handel mit Impfstoff in den Apotheken in Betracht; Gelegenheit 
zu dessen Kontrolle geben die jährlich aussuführenden Apotheken-Muste¬ 
rungen. Zu fordern ist: Aufbewahrung der Lymphe an einem kühlen Orte 
und vor Licht geschützt; Abgabe nur in der von der Anstalt gelieferten Ver¬ 
packung; Bezug aus staatlichen Landes- oder unter staatlicher Aufsicht 
stehenden Anstalten; Beschaffenheit der Lymphe, nicht älter als 8 Monate; 
Führung eines vonchrifttmässigen Buches über den Empfang und die Abgabe 
der Lymphe. 

Hinsichtlich der Impfsohädigungen (§88 der Dienstanweisung) hat 
der Kreisarst, sobald Mitteilungen über eine solehe zu seiner Kenntnis gelangen, 
sofort alle zur Aufklärung des 8achverhalts gebotenen oder zweckdienlich er¬ 
scheinenden Massnahmen in die Wege zu leiten und geeignetenfalls durch per¬ 
sönliche Ermittelungen möglichst zu unterstützen (Min.-Erlass vom 22. Mai 
1896 und 28. Februar 19001. Zeigen sich irgendwo Schädigungen nach er¬ 
folgter Impfang, so sind diese fast immer als aocldentelle Wandkrankbeiten 
aufsufassen. Ergibt sich die Unrichtigkeit verbreiteter Nachrichten' über Impf- 



Aua Versammlungen und Vereinen. 


809 


sehidigungen, so ist erforderlichenfalls eine Öffentliche Richtigstellung so rer* 
anlassen, um irrtümliche Auffassungen in der Bevölkerung su beseitigen. Mit 
Recht betont Referent, dass gelegentliohenfaiis auch die Impfftrste vielfach 

J ewOhnliohe. Hautentsflndungen, welche infolge ausnahmsweise starker Wirkung 
er Ljmphe oder hochgradiger Empfindlichkeit des Impflings um die Impf¬ 
pusteln aufsutreten pflegen, als Rotlauf, und dadurch der Verbreitung unsu- 
treffender Mitteilungen ttber Impfbeschidigungen Vorschub leisten. Der Kreis- 
ant soll deshalb darauf hinwirken, dass diese Beseichnung nur auf Erkrankungen 
an echter Wundrose (Erysipel) angewandt wird. 

Zum Schluss beklagt Referent die Mangelhaftigkeit und Ungenauigkeit der 
von den Impfirsten su erstattenden Imp f berichte, wodurch die Anfertigung des 
Hauptimpfberichts (§ 89) sehr erschwert werde. Hier wird der Kreisarst ver¬ 
langen müssen, dass die Behörden von den Impfirsten, welche sie angestellt 
haben, auch in der Berichterstattung genaue Pflichterfüllung fordern und ihnen 
ein Muster gemiss des Runderlasees vom 26. Juli 1888 einhindigen lassen, mit 
dem Ersuchen, sieh genau an die einseinen Fragen der Reihe nach su halten 
und dieselben sorgfiltig und, wo dies aus den Fragen sich ergibt, sahlenmlssig 
su beantworten. 

Will der Kreisarst den Aufgaben in besag auf die Beaufsichtigung des 
Lnpfgesohifts vollkommen gerecht werden, so ist es jedenfalls nOtig, dass er 
die einschligigen Gesetse, Erlasse und Verordnungen beherrscht. Diese als 
Impfarst strengstens befolgt, damit er den Impfirsten gegenüber unantastbar 
und sogleich als Vorbild dasteht 

In der Diskussion wendet sich Forstreuter gegen die Ausführungen 
des Referenten, nach denen der Kreisarst über die Beobachtungen auf den 
Revisionsterminen an den Herrn Regierungsprisidenten einen Bericht einsu- 
reichen habe. Derselbe sei nicht vorgeschrieben und wire seiner Auffassung 
naeh auch nur su erstatten, wenn grobe Misstinde su rügen sind, oder der 
betreffende Impfarst sich mit den Aussetsungen des Kreisarstes nicht einver¬ 
standen erküre. 

Der Vor Bitsende bemerkt, dass die Verfügung des Königlichen Re¬ 
gierungsprisidenten su Gumbinnen vom 5. September 1902, I M. 4629, dahin 
aufsufassen ist, dass die Kreisirste berechtigt sind, in allen Impf-Besirken 
des Kreises je einen Impf- und einen Nachscbautermin su revidieren. Bei den 
Wiederimpflingen genüge sur Bescheinigung des Erfolges die Feststellung eines 
Blischens, resp. eines KnOtchens. 

IIL Dr. Cohn-Heydekrug legt die von der gewühlten Kommission auf- 
gestellte Tabelle für Granuloseambulatorien vor. Dieselbe wird dem Re¬ 
gierungs- und Medisinalrat sur event. Einführung übergeben. 

IV. Dr. Behrendt -Tilsit bespricht alsdann das am nichsten Tage sur 
Besichtigung gelangende Wasserwerk Tilsit. Naoh einer eingehenden Be¬ 
schreibung desselben begründet er seine an ein Wasserwerk su stellende Forde¬ 
rungen in folgendem Schluss - ReaumO: 

1. Kommunaler Bau und Betrieb des Werkes. 

2. Die Versorgung durch Grundwasser ist unter allen Umstünden ansu- 
streben. Die Enteisenungsfrage ist für grosse nnd kleinere Betriebe gelöst. 

8. Die Wasserentnahmestelle soll in stehendem Wasser sich befinden. 

4. Vorfilter sind durchaus notwendig um gröbere nnd feinere Verun¬ 
reinigungen von den Filtern fernsnhalten und die Filter linger aktionsfihig 
su erhalten. Empfohlen werden die sylindrisehen Quarssandälter, System 
Reisert-KOln. 

5. Die Filter sind frostfrei ansulegen. Ihre Winde und Boden sind 
undurohlissig hersustellen. 

6. Die Filterfliche ist genügend gross hersustellen. 

7. Um Drucksohwankungen su vermeiden, ist die Kontinnitit des Be¬ 
triebes su verlangen. 

8. Der Reinwasserbrunnen ist in genügender Grosse hersustellen. 

9. Regulierkammern sur Ablesung und Regelung des Druckes und der 
Filtrationsgeschwindigkeit sind hersustellen. 

10. Für grösste Dichtheit des Stadtrohmetses ist 8oige su tragen. 

11. Die Aussehaltung der Filter und des Hoehreservoirs, um bei Feuers- 



810 Besprechungen. 

gefahr Roh wasser in die Stadt so pumpen, ist unpraktisoh and nicht nn 
empfehlen. 

V. Kleinere Mitteilungen. Der Vorsitsende verliest darauf eine 
Entscheidung der Oberrechnnngskammer vom 15. April 1902, N. B. 497, Aber 
Berechnung der Entfernung der Hin* und Rückreise, die gemäss Erlass 
des Herrn Ministers der Öffentlichen Arbeiten vom 80. März 1885 (Eisenbahn- 
Verordnungsblatt S. 80), bezw. Erlass des Finansministers vom 22. November 
1898, TI 11931 anordnet, dass die für den Anspruch auf Gewährung von 
Reisekosten massgebende Wegstrecke der Hinreise auch der Berechnung 
der Reisekosten für die Rückreise su Grunde zu legen ist. 

Zweitens spricht der Vorsitzende über die neue Poliseiverorduung, betr. 
den Verkauf der Arzneimittel ausserhalb der Apotheken vom 
5. Mai 1908 (8.167) und die hierzu von dem Königlichen RegierungsprKsidenten 
zu Gumbinnen am 28. Juni 1903, I M. a. 1729, an die Verwaltungsbehörden 
und die Medisinalbeamten erlassene Anweisung. 

Drittens macht er Mitteilung von der Absicht, die Anzeigepflieht für 
Blennorrhoea neonatorum im neaen Seuohengesetz einzuführen, sowie 
das Credö’sche Verfahren obligatorisch su machen. 

Endlioh bespricht derselbe die in Aussicht stehende Reform des Heb¬ 
ammenwesens. Dr. Forstreuter-Heinriohswalde. 


Besprechungen. 

Dr. Tenholt, Reg. und Med.-Rat a. D., Oberarzt des Allgemeinen Knappschafts- 
Vereins in Bochum: Die Untersuchung auf Anohylontomiaeis, mit 
besonderer Berücksichtigung der wurmbehafteten Bergleute. Verlag und 
Druck von Wilhelm Stumpf in Bochum. Preis 1 U. 

Die Arbeit, eine kleine Broschüre, ist einem Bedürfnisse entsprungen, 
indem der Verfasser Gelegenheit batte, zu beobachten, wie häufig, selbst von Fach* 
leuten, bei der Handhabung des Mikroskops die Ancbylostomen-Eier mit anderen 
Entozoen-Eiern verwechselt werden. Ein besonderer Wert ist dem Werkchen 
durch die Beifdgung von zwei Tafeln mit Abbildungen von eigenhändigen, nach 
dem natürlichen mikroskopischen Bilde angefertigten Zeichnungen des Verfassers 
verliehen worden. Es sind zum Vergleiche einerseits die Eier und Larven von 
Anchylostomiasis, anderseits die von anderen Entozoen “und ein freies Ge¬ 
schlechtsleben führenden Rhabditiden gegenüber gestellt. 

Dr. Wiese. 


Dr. Gustav Vogel* Würzburg: Leitfaden der Geburtshilfe für prak¬ 
tische Aerste und Studierende. Stuttgart 1902. Verlag von Ferd. 
Enke. 

Wenn auch an Lehrbüohern der Geburtshilfe kein Mangel ist, so fehlte 
es bisher doch an einen für den Praktiker geeigneten kurzen Leitfaden, in welchem 
lediglich die Bedürfnisse der praktischen Geburtshilfe berücksichtigt sind. In 
dieser Beziehung füllt das vorliegende Werk diese Lücke vollkommen aus. 
In leicht fasslicher Form werden die Hauptlehren der Geburtskunde und prak¬ 
tischen, einschliesslich operativen Geburtshilfe vorgetragen; dadurch, dass die 
Therapie in besonderem Masse berücksichtigt ist, stempelt sich das Buch von 
selbst su einem vortrefflichen Grundriss der praktischen Ge¬ 
burtshilfe. Jeglicher theoretischer Ballast ist geschickt vermieden worden, 
dafür aber die praktisch therapeutische Seite um so eingehender besprochen. 

Die Anordnung des Lehrstoffes weicht zwar von derjenigen der be¬ 
kannten Lehrbücher etwas ab, doch tut dies dem Werte des Ganzen insofern 
keinen Abbruch, als das Buch in erster Linie für den fertigen Arzt gedaeht 
ist. Physiologie und Pathologie werden im Zusammenhang vorgetragen, 
während sie in den meisten Büchern beide scharf von einander getrennt sind, 
doch ist diese Trennung zwar für den Anfänger, also den Lernenden sehr 
nützlich, für den fertigen Arzt aber durchaus nicht notwendig. Die Anord¬ 
nung erscheint also für den Zweck, den der Verfasser beabsichtigt, vollkommen 
berechtigt, ja für den fertigen Azt gewinnt infolgedessen durch den stetigen 
Vergleich der physiologischen und pathologischen Vorgänge die Lektüre des 



Tagesnachrichten. 


811 


Boches gerade an Intereese. In 4 grossen Hauptabschnitten werden so Physio¬ 
logie nnd Pathologie der Schwangerschalt, der Qebnrt and des Wochenbettes 
einschliesslich Physiologie and Difttetik nnd auch Pathologie des Neugeborenen 
abgehandelt; mit einer ausführlich gehaltenen Operationslehre findet das Buch 
einen wertvollen Abschluss. Ausserordentlich brauchbar sind die in beeng auf 
die symptomatische wie operative Therapie allenthalben gegebenen praktischen 
Winke des auch in der ausserklinischen Geburtshilfe offenbar sehr erfahrenen 
Verfassers. 

Der illustrative Teil ist im Vergleich zn dem Umfang von 396 Seiten 
mit 216 Figuren sehr reichlich berücksichtigt! Unter den Illustrationen finden 
sich eine grosse Ansahl von Originalabbildungen nach Prüparaten der Würz¬ 
burger Frauenklinik, so dass man nicht, wie meist üblich, allbekannte Bilder 
im neuen Gewände sieht. Sehr zweckmässig erscheint es dem Beferenten, dass 
auch diejenigen Technizismen, welche in manchen Lehrbüchern nur im Texte 
geschildert werden, für den Praktiker auch im Bilde vorgeführt werden, so die 
Metreuryse, Dammnaht, Uterustamponade; ganz besonders bervorzuheben ist 
dabei die bildliche Darstellung der Verkleinerungsoperationen (Perforation des 
vorangehenden wie nachfolgenden Kopfes, Kranioklasie, Dekapitation), also der¬ 
jenigen Operationen, vor welchen der Praktiker meist eine, vielfach nicht be¬ 
rechtigte Scheu hat. 

Wenn auch die praktische Seite besonders bevorzugt wurde, so ist doch die 
wissenschaftliche, wie durch die zahlreichen Literaturnachweise aus der neuesten 
geburtshilflichen Literatur hervorgeht, dabei nicht zu kurz gekommen. Der 
Zweck, dem Praktiker die Geburtshilfe in leicht fasslicher Form, jedoch nicht 
nach Art der kurzen, (für den Studierenden schädlichen) Kompendien zusammen¬ 
zufassen, ist in diesem Werke dem Verfasser vollkommen gelungen. Das Werk 
kann jedem Arzte aufs beste empfohlen werden, zumal der Preis bei der 
guten Ausstattung und dem reichen Inhalt ein verhültnissmlssig niedriger ist. 

Dr. Waith er-Giessen. 


Prof. Dr. Sellhelni-Freiburg i. Br.: Leitfaden für geburtehülflloh- 
gyzr&kologisohe Untersuchung. 2. Auflage. Fteiburg n. Leipzig 1903. 
Verlag von Speyer & Kärrner. 

Speziell für die Ausbildung der Studierenden gedacht ist der vorliegende 
Leitfaden, welcher seit Jahresfrist schon die zweite Auflage erlebt hat. Er 
soll dem angehenden Mediziner den Gang der geburtshülflicben nnd gynfiko- 
logischen Untersuchung skizzieren, wie er im allgemeinen geübt werden soll. 
8. hat dazu die in der Hegarsehen Klinik gelehrten Grundsätze der Unter¬ 
suchung als Grundlage benutzt, und mit Beoht! Wer jemals Gelegenheit 
gehabt hat, die exakte Untersuchung unter Altmeister Hegar zu üben, wird 
dem Verfasser nur dankbar sein. Bei der neuen Auflage, welche durch einige 
klare, halbschematische Figuren erläutert wird, ist die geburtshttl fliehe Dia¬ 
gnose und die Untersuchung des knöchernen Beckens genauer als in der ersten 
berücksichtigt nnd auch die gynäkologische Untersuchung beigefügt. Das 
Werkohen besitzt nicht nur für Studierende der Freiburger Schule, sondern anoh 
anderer Schulen grossen Wert nnd verdient meines Erachtens auch in 
A erste kreisen weitere Verbreitung, da es in vielen Dingen reichlich Anre¬ 
gung zur Genauigkeit in der Disgnosenstellung bei geburtshülflicben und 
gynäkologischen Fällen dem Arzte bietet. Wir können auch dieses Werkchen 
aufs beste empfehlen! Dr. Walt her-Giessen. 


Tagesnachrichten. 

Ueber den Stand der Warmkrankheit im Oberbergamtsdistrikt Dort¬ 
mund wird im Staatsanzeiger wie folgt berichtet: 

Die Stichprobenuntersuchung von 20 Prozent der unterirdischen Beleg¬ 
schaft ist beendet. Unter Zuziehung früherer Untersucbungsergebnisse hat sich 
die folgende Sachlage feststellen lassen: Die Zahl der Wurmkranken ein¬ 
schliesslich der Wurmbehafteten betrug im zweiten Vierteljahr des Jahres, in 
Prozenten der unterirdischen Belegschaft ausgedrüokt, im Bergrevier Hamm 8,7, 
Dortmund I 1,6, Dortmund II 3,1, Dortmund HI 20,0, Ost - Recklinghausen 10,0, 
West-Reeklinghausen 2,8, Witten 4,0, Hattingen 6,2, Süd-Bochum 9,8, Nord- 



812 


Tagesnachriohten. 


Bochum 22,0, Herne 18,6, Gelsenkirchen 4,9, Wattenscheid 16,0, Ost-Essen 1,4. 
West-Essen 2,3, 8ttd- Essen 14,8, Werden 16,0, Oberhansen 6,7, im Durch¬ 
schnitt 9,09. Die so ermittelte Zahl der Wnrmkranhen ist mittlerweile dnrch 
die dagegen getroffenen Massnahmen gemindert worden. Es lässt sieh dies an 
denjenigen 37 Schacbtanlagen erweisen, welche die Durchmusterung zwei oder 
mehrmals vorgenommeu haben. Auf diesen 37 Schachtanlagen waren zuerst 
7768 Wurmkranke, später nur 4019 vorhanden. Die Untersuchungen von Fa¬ 
milienmitgliedern wurmkranker Bergleute sind negativ ausgefallen. 

Betreffs des gerichtlichen Verfahrens bei Anklagen wegen Ärzt¬ 
licher Kunstfehler hat der Österreichische Justizminister vor 
kurzem allen Oberstaatsanwaltschaften folgende Verfügung zu gehen lassen: 
„In Straff&Uen, in welchen es sich um Fesstellung eines von einem Arzte be¬ 
gangenen Kunstfehlers handelt, wird es sich in der Kegel empfehlen, die Ein¬ 
holung eines Fakultätsgutachtens zu veranlassen, sofern nicht den begutachten¬ 
den Qerichtsärzten eine anerkannte Autorität auf dem betreffenden Gebiete 
der Heilkunde zukommt, und der Fall nach der Sachlage zu keinen Zweifeln 
Anlass gibt. Es empfiehlt sich ferner, in solchen Fällen schon im Vorverfahren 
die Frage des Verschuldens volkommen klarzustellen, um nicht den beschul¬ 
digten Arzt im Falle eines durch Freispruch endenden Hauptverfahrens in 
seinem Ansehen schwer zu schädigen und den ärztlichen Stand einer ungerecht¬ 
fertigten Kritik in der Öffentlichen Meinung auszuseten.“ Die COlner Zeitung 
sagt hierzu sehr richtig: „Es kann nur dringend befürwortet werden, bei uns 
in ähnlicher Weise zu verfahren und so zu verboten, dass eine gerichtliche 
Verhandlung wegen ärztlichen Kunstfeblers in ihren weiteren unbeabsichtigten 
Folgen zur Vernichtung einer ganzen bürgerlichen Existens führt. Denn bei 
den Imponderabilien, die hei der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe fOr das Pu- 
blikum in die Wagschale fallen,unterliegt es gar keinem Zweifel, dass das alte 
„semper aliquid haeret“ nirgends so zur traurigen Wahrheit wird, wie in Pro¬ 
zessen gegen Aerzte wegen angeblicher Verfehlung im Berufe.* 

Im Ni oder Österreichischen Landtage haben kürzlich verschiedene 
Interpellationen wegen angeblichen Missbrauefas der Vivisection und wegen 
unberechtigte Versuche an Lebenden zu lebhaften Debatten und zu 
sohweren Beschuldigungen gegen die medizinische Wissenschaft überhaupt, ins¬ 
besondere aber gegen die Wiener Aerzteschaft und die dortige medizinische 
Fakoltät Veranlassung gegeben. In der Sitzung vom 3. d. Mts. wurden diese 
Beschuldigungen von dem Statthalter energisch zurttckgewiesen und betont, 
dass sowohl die Regierung, wie die Koryphäen der Wissenschaft jeden Missbrauch 
auf diesem Gebiete verurteilten. Von den vorgebrachten Fällen seien aber 
nur zwei in Wiener Krankenanstalten vorgekommen und sofort Gegenstand zur 
Bemedur geworden. Die andern Fälle hätten sich auswärts ereignet und 
reichten auf zwanzig und mehr Jahre zurück. Betreffs der Anwendung neuer, 
nicht genügend erprobter Heilmittel in den K. K. Krankenanstalten seien ge¬ 
naue Vorschriften gegeben; über jeden zur amtlichen Kenntnis kommenden Rdl 
eines Missbrauches würden sofort pfiiohtgemäss Ermittelungen angestellt. Die 
Aufsichtsbehörde würde unentwegt das Ziel verfolgen, dass die Wiener Kranken¬ 
anstalten wahre Humanitätsanstalten bleiben; sie habe nur den einen Wunsch, 
dass der Wiener medizinischen Schule auch fernerhin der grosse Ruf, den sie 
im In- und Auslande geniesse, erhalten werde, und die Wiener medizinische 
Fakultät wie der dortige ganze Aerztestand in Zukunft die gleiche segens¬ 
reiche Tätigkeit zum Heile der Menschheit entfalten mOge, wie bisher I 





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EIN NATURSCHATZ VON WELTRUF. IWL'Ü, ZUVERLÄSS'G 

BESITZERANDREAS SAXLEHRER SUÖAPE5T KalK. hofueferamt 


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Gmaer lEesselbr turnen, Kaiser bntrmen, Viktoriabrunne a. 
Schwalb acher Stahl- ttad. Weinbrunneu. 


•*u haben in allen Apotheken n. Mineralwasserhaudlangen sawfti durch die betr. 

Königlichen Bade- u. Brunnen 'Verwaltungen. 


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Zur postmortalen Ausstossung des Fötus. 

Gerichtsärztlicher Beitrag. 

Von Dr. M. Preyer, Medizinalrat and Kreisarzt za Stettin. 

Mit der Veröffentlichung des nachstehenden gerichtlichen 
Falles soll nicht in eine Erörterung der Frage eingetreten werden, 
durch welche austreibenden Kräfte die spontane Geburt nach dem 
Tode der Mutter zu stände kommt, da als entschieden ange¬ 
nommen werden darf, dass es die Fäulnisgase, und nicht etwa 
postmortale Wehen sind, welche die Ausstossung der Frucht be¬ 
wirken. Vielmehr soll der vorliegende Fall einen Beitrag zu der 
Frage liefern, in welcher Lage die Frucht zur Aus¬ 
stossung gelangt. Muss sie bei Kopflage mit dem Kopfe, bei 
Steisslage mit dem Steiss voran ausgestossen werden, oder gibt 
es noch andere Möglichkeiten? 

In der Epikrise zu dem Fall von Bl ei sch: „Ein Fall von 
Sarggeburt“, heisst es: 1 ) 

„Demgemäss müssen die Kindesleiche, die Nabelschnur and die N&ch- 
geburtsteile in ihrer ganzen Vollständigkeit unverletzt and in angestörtem 
gegenseitigen Zusammenhänge, sowie in einer Lagerung bei der 
mütterlichen Leiche vorgefnnden werden, welche der aas dem 
Befände an der Kindesleiche (Kopfgesohwalst, Kopfform etc.) 
za rekonstruierenden Kindeslage in der Gebart entspricht/ 

Im Gegensätze hierzu beschreibt Gottschalk*) einen Fall, 
in welchem die Kopfgeschwulst des Kindes erkennen liess, dass 
der Kopf bei der Geburt Vorgelegen hatte, das postmortal ausge- 


*) Vierteljahresechr. f. ger. Medizin, 8. Folge, 8. Band (1892), S. 61. 
*) Eine Sarggebart. Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 1892, 8. 487. 






814 


Dr. Freyer. 


stossene Kind aber mit dem Kopfe an und zum Teil unter 
der hervorgestülpten Gebärmutter, die Füsse nach 
dem unteren Sargende zu gelagert, vorgefunden wurde. 
Er stellt sich dabei vor, „dass der entwickelte Kopf auf irgend 
ein Hindernis im Sarge (mütterlicher Schenkel, Holzspan oder 
dergl.) stösst, in der Nähe der mütterlichen Geschlechtsteile fest¬ 
gehalten wird und sodann die Beine durch den unmittelbar nach¬ 
dringenden Fundus uteri inversi weiter nach unten vorgeschoben 
worden“, und folgert daraus, dass, wenn auch die Lage des Kopfes 
nach den Füssen der Mutter zu auf eine erfolgte Kopfgeburt 
immerhin hinweisen mag, ihm anderseits die umgekehrte Lagerung 
nicht ohne weiteres den Schluss zuzulassen scheine, dass die Ge¬ 
burt nicht mit vorangehendem Kopfe stattgefunden habe. 

In meinem Falle nun wurde das Kind in der Form der 
gedoppelten Frucht nach dem Vorgänge der Selbstentwicke¬ 
lung vorgefunden, während Hebamme und Arzt kurz vor dem 
Tode der Mutter eine bereits tiefstehende Steis Blage festge¬ 
stellt hatten. Es war hier die Frage zu entscheiden, ob trotz 
Steisslage das Kind in der genannten Form postmortal ausge- 
stossen sein konnte, oder ob nicht statt der Steisslage eine 
Schulterlage und somit ein Irrtum in der Diagnose bestanden hat ? 

Der Fall war kurz folgender: 

▲lg die Hebamme morgens gegen l j*2 Uhr an der Kreissenden kam, 
stellte sie zunächst eine Längste fest, ohne zu erkennen, ob Kopf* oder 
Steisslage, da noch keine Erweiterung des Muttermundes eingetreten war. 
Leben war an dem Kinde nicht zu bemerken. An dem Ende der Schwanger¬ 
schaft sollten noch etwa 14 Tage fehlen. Die Frau fieberte, mass 39° C., aus 
der Scheide floss ein sehr reichlicher, übelriechender Ausfluss. Die Frau hatte 
am Nachmittage zuvor Schüttelfrost gehabt und machte einen sehr kranken 
Eindruck. Wehen waren nicht vorhanden, sie traten erst am Nachmittage 
gegen 4 Uhr ein und förderten bis 7 Uhr den Steiss so tief herab, dass beim 
Auseinanderfalten der Schamteile ein 60 Pfennig- bis 2 Markstück grosser Teil 
der einen Hinterbacke des Kindes Bichtbar wurde. Der Bücken des Kindes lag 
nach vorn, der SteisB stand im queren Durchmesser. Hierauf hörten die Wehen 
allmählich auf. Gegen 9 Uhr traf der Arst ein. Auch er stellte eine Steiss- 
lage fest, sah aber wegen der Wehenschwäche zunächst von einem operativen 
Eingriff ab. Das Fieber bestand fort. Gegen 11 Uhr trat grössere Unruhe 
bei der Kreissenden ein, es folgte Lufnot, die Unruhe nahm zu und gegen 
3 Uhr früh trat der Tod ein. 

Die Frau, welche die Leiche einsargte, hat hierbei keinen Austritt des 
Kindes bemerkt. 

Da seitens der Angehörigen späterhin der Hebamme und dem Arzte die 
Schuld an dem Tode der Frau beigemessen wurde, so fand 36 Tage nach dem 
Tode die Wiederausgrabung der Leiche und deren gerichtliche Obduktion 
statt. Dieselbe ergab, dass das Kind, noch durch die Nabelschnur mit der in 
den Geschlechtsteilen befindlichen Nachgeburt verbunden, zwischen den Beinen 
der Leiche und dicht vor den Geschlechtsteilen derselben lag. Die Füsse des 
Kindes nebst Steiss waren den Geschlechtsteilen der Leiche zugekehrt, das 
rechte Bein nach oben und dem linken Schenkel der Leiche, das linke Bein 
nach unten und dem rechten Bein der Leiche angewandt. Kopf, Hals und 
oberer Brustteil der Frucht waren nach vorn übergeklappt 
und fest an denBauch und Beokenteil der Frucht angedrückt, 
so dass der Kopf ebenfalls den Geschlechtsteilen der Leiche zugekehrt war, 
während die rechte Schulter nebst Arm nach oben Bähen und nach dem Fuss¬ 
en de der Leiche gerichtet waren. Die rechte Schulter nebst dem angrenzenden 
1 rustteil sowie linke Schulter, linker Oberarm und oberer Bückenteil hatten 



Zur postmortalen Ansstossnng des Fötos. 


815 


eine schmutzig grüne, die ttbrigen Klndtsteile eine verwaschen rötliche Farbe. 
Der Schädel war vollkommen platt zusammeogedrückt nnd in die Unterbanoh- 
nnd Beckengegend des Kindes gewissermaesen hineingepresst. 

Die aaseinandergefaltete Fracht hatte eine Länge von nngeflhr 46 cm, 
die Kopfmasae waren wegen der langaasgezogenen and plattgedrüokten Form 
deB Kopfes nicht festzostellen, erschienen aber keineswegs angewöhnlich. Die 
Beckenmasse der Leiche waren ebenfalls die üblichen. Verletzungen an Gebär¬ 
matter oder Damm waren nicht vorhanden. 

Ich will gleich bemerken, dass als Todesursache akute Sepsis 
infolge von Zersetzung des Fruchtwassers der vorzeitig abge¬ 
storbenen Frucht mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen war. 

Dass nun die Frucht in der Form der Gedoppelung, wie sie 
bei der Obduktion gefunden wurde, auch ausgestossen worden ist, 
muss hier nicht nur aus der Vorgefundenen Lage, sondern auch 
aus dem Umstande gefolgert werden, dass die von den Geschlechts¬ 
teilen der Leiche am meisten entfernt und nach dem Fussende 
derselben hin gelegenen Kindsteile, nämlich der ganze Schulter- 
gürtel nebst den angrenzenden oberen Teilen von Brust und 
Bücken, eine schmutzig grüne, die übrigen Teile der Frucht eine 
verwaschene rötliche Farbe darboten. Die grünverfärbten Teile 
müssen eben der äusseren Luft länger ausgesetzt gewesen, daher 
bei der Ausstossung vorangegangen sein. 

Wollte man demnach annehmen, dass die bei der postmortalen 
Ausstossung vorangegangeneu Teile auch in vivo Vorgelegen haben 
müssen, so würde zu folgern sein, dass nicht eine Steisslage, wie 
von Hebamme und Arzt angenommen, sondern eine Schulterlage 
bestanden habe. 

Indessen muss die Möglichkeit zugestanden werden, dass 
das Kind trotz Steisslage postmortal in der Vorgefundenen 
Form der Selbstentwickelung aus dem Mutterleibe ausgestossen 
werden konnte. Es ist denkbar, dass die Fäulnisgase zuerst 
den im oberen Teil der Gebärmutter gelegenen Kopf des 
Kindes nach unten und gegen dessen Leib, alsdann die Schul¬ 
tern nach unten und in das mütterliche Becken hineingepresst 
haben, wobei der Steiss des Kindes aus dem Becken heraus und 
mehr nach hinten und oben gedrängt worden ist, so dass auf 
diese Weise ein Positionswechsel vollzogen wurde, bei welchem 
die Schultern in den Beckeneingang zu liegen kamen und 
die Ausstossung der Frucht mit den Schultern voran erfolgen 
konnte. 

Begünstigt konnte dieser Vorgang wohl noch durch die ver¬ 
hältnismässige Kleinheit der nicht ausgetragenen Frucht bei nor¬ 
malen mütterlichen Beckenverhältnissen werden. 

Die Stärke der treibenden Kraft der Fäulnisgase ist be¬ 
kanntlich eine sehr bedeutende. Sie hat sich in dem vorliegenden 
Falle ganz besonders in der gewaltigen Zusammenpressung des 
Körpers des Kindes, besonders des Kopfes desselben, zu erkennen 
gegeben. 



816 


Dr. Heidenhain: Eindesmord. 


Kindesmord? 

Von Kreisarzt Med.-Rat Dr. Heidenhain in Stolp. 

Die unverehelichte K. fand ihr kräftiges, vor zwei Tagen 
geborenes Kind in der dritten Nacht beim Erwachen tot vor. Die 
Obduktion hatte folgendes Resultat: 

Die äussere Besichtigung ergab nichts abnormes, abgesehen von zwei 
Eccbymosen in die Conjnnctiva bnlbi. 

Bei der inneren Untersuchung fand sich die linke Lunge gänzlich 
zurückgezogen, während die rechte ziemlich gut ausgedehnt war. Letztere hatte 
eine? hellrotblaue Farbe mit ausgebreiteter grauer Marmorierung; sie fühlte 
sich knisternd an und zeigte auf den Durchschnitten bei leichtem Druck reich¬ 
liche Mengen schaumiger, hellroter Flüssigkeit. Die linke Lunge war blaurot 
und nur im oberen vorderen Abschnitt mit grauer Marmorierung; sie itthlte 
sich derb an und zeigte auf den Durchschnitten reichlich dunkelblutige Flüssig¬ 
keit. Auf dem ganzen Lungenfell waren zahllose Eccbymosen von Mobnkorn- 
grösse bis zur Grösse eines mittelgroßen Stecknadelknopfs. 

Das Herz bot nach dem Inhalt seiner Kammern und Vorkammern die 
Zeichen der Erstickung dar. 

Am Kopfe fand sich äusserlich auf der linken Seite eine mittelgrosse 
Kopfgeschwulst. Nachdem die weichen Kopfbedeckungen zurttckgeschlagen waren, 
zeigte sich links von der Pfeilnaht eine blasige, fluktuierende Geschwulst 
vom Periost bedeckt und mit rundlicher Bads von 3>/2 : 2 cm; beim Einschneiden 
entleerte sich eine Menge dunklen flüssigen Blutes (ca. 16—20 cm). Die ganzen 
inneren Flächen der hinteren weichen Kopfbedeckungen waren dunkelrot ver¬ 
färbt und blutig durohtränkt, ebenso die ganze Knochenhaut, nach deren Zurück¬ 
klappen rechts von der Pfeilnaht eine Auflagerung von dunklem, geronnenem 
Blut in der Ausdehnung eines Zweimarkstücks und ca. 0,6 cm stark festgesellt 
wurde. 

Nach Entfernung des geronnenen Blutes trat eine KnochengewebB- 
trennung zu Tage, welche rechtwinklig von der Pfeilnaht ( ] /s cm hinter der 
Pfeilnaht) zum Seitenwandbeinhöcker verlief und unterhalb dieses, den Böcker 
intakt lassend, sich bis zum Schläfenbein erstreckte. Es war also eine feine 
lange Spalte des Schädeldachs, welche vom Höcker des Seitenwand¬ 
beins unterbrochen wurde; der Spalt war sehr fein, seine Bänder scheinbar scharf 
und glatt, doch bei näherem Zusehen ganz fein rissig und blutig imbibiert. 

Nachdem nun das ganze Schädeldach und die Dura mater mittelst 
einer Soheere durchschnitten und vom Gehirn abgehoben war, fand sich die 
Dura mater völlig unversehrt und nur ein wenig nach innen — gleichsam als 
sehr flache Blase — dem Knochcnspalt des Schädels entsprechend, abge¬ 
hoben; drückte man auf diese dünne Blase, so entleerte sieb durch den Knochen- 
spalt etwas dunkles, dickflüssiges Blut nach aussen. 

Nach Schluss der Obduktion gab ich das Gutachten dahin ab: 

1. Das Kind ist an Erstickung gestorben. 

2. Zeichen äusserer Gewalteinwirkung, wodurch der Tod hätte veran¬ 
lasst werden können, sind nicht vorhanden. 

3. Der Vorgefundene Schädelbruoh ist offenbar durch die Einwirkung des 
schweren Geburtsaktes hervorgerufen. Die durch den Schädelbruch veranlasste 
Blutung konnte, da die harte Hirnhaut erhalten war, nicht durch Einwirkung 
auf das Gehirn eine Lähmung der Atmungs- resp. Zirkulationsorgane bewirken. 

Das Kind war fraglos an der Seite der schlafenden Mutter 
erstickt durch das auf dasselbe fallende schwere Ueberbett oder 
dadurch, dass der Arm der schlafenden Mutter die Brust des 
Kindes zusammengedrückt hat. Die Gehirnblutung oder vielmehr 
die Blutung zwischen Knochen und harter Hirnhaut hat mit der 
Erstickung nichts zu tun. 



Df. Danges: Zar Verhütung ansteckender Krankheiten. 


817 


Zur Verhütung ansteckender Krankheiten. 

Von Dr. Düngen, Horn i. L. 

So wichtig und wertvoll die Anzeigepflicht bei ansteckenden 
Krankheiten nach dem zur Zeit üblichen Verfahren auch ist, so 
könnte ihr Erfolg doch nach gewisser Richtung hin noch unter¬ 
stützt werden. Bei den genannten Krankheiten handelt es sich 
durchweg um Erkrankungen, die durch ein Inkubationsstadium 
eingeleitet werden, so dass bei der Unbestimmtheit der anfäng¬ 
lichen Erscheinungen im Beginne der Erkrankung eine sichere 
Diagnose auch dem kundigen Arzte oft unmöglich ist. Was aber 
die möglichst schnelle und sichere Erkennung für Therapie und 
Prophylaxe bedeutet, braucht nicht erörtert zu werden. Erschwert 
wird diese noch durch den Umstand, dass häufig bei epidemischen 
Krankheiten einzelne Fälle überhaupt nicht zur ausgesprochenen 
Entwickelung kommen, ohne darum doch für die Uebertragbarkeit 
unwichtiger zu werden. Hier lässt sich meist nur dann eine 
richtige Diagnose stellen, hier wird nicht selten die Vermutung 
auf die betreffende Krankheit erst dann gelenkt, wenn ausge¬ 
sprochene Fälle derselben Erkrankung in dem betreffenden Orte 
oder dessen nächster Umgebung bekannt geworden sind. Wenn 
daher solche Fälle den in diesem Orte in der Regel praktizirenden 
Aerzten möglichst schnell zur Kenntnis gebracht würden, so 
würden diese zweifellos bei verdächtigen Erkrankungen weit eher 
als sonst zu einer frühzeitigen und richtigen Diagnose kommen. 
Es wäre dazu nur erforderlich, dass die Behörde, bei der die An¬ 
zeigen über ansteckende Krankheiten einlaufen, den übrigen für 
den betreffenden Ort in Betracht kommenden Aerzten wenigstens 
von jedem ersten Falle einer bestimmten Infektionskrankheit Mit¬ 
teilung machten; in grossen Städten würden sich diese Mitteilungen 
auf die in dem betreffenden Bezirk, in dem die Krankheit zum 
Ausbruch gekommen ist, wohnenden Aerzte beschränken können. 
Bei weiterhin auftretenden Erkrankungsfällen würden Mitteilungen 
von Zeit zu Zeit — etwa wöchentlich — über die Zahl der Er¬ 
krankungen usw. genügen. 


Präventiv-Impfungen bei Diphtherie. 

Von Dr. Cnrtius, Kreisaraistensarat in SohweU. 

Die Heilserumtherapie bei Diphtherie hat sich im raschen 
Siegeslauf über die ganze zivilisierte Welt verbreitet und die Zahl 
der Todesfälle, die früher mehr als die Hälfte der an Tuberkulose 
Verstorbenen betrug, wesentlich eingeschränkt. Gleichwohl starben 
auch nach der Einführung des Heilserums im Durchschnitt der 
5 Jahre von 1895—1899 in Preussen jährlich noch immer 21957 
Personen an Diphtherie. Diese Zahl zeigt freilich eine fortlaufend 
fallende Tendenz — im Jahre 1901 starben nur noch 16809 Per¬ 
sonen an Diphtherie —, ist aber, z. B. mit der Typhussterblichkeit 
verglichen, noch immer etwas mehr als 8 mal so gross. 

Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, dass die Diph- 



818 


Dr. Cortina. 


therie noch bedeutend weniger Opfer fordern würde, wenn die 
Heilserumtherapie nicht bei den erkrankten Kindern allein zur 
Anwendung gelangte, sondern auch bei allen denjenigen, die sich 
der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt haben. Hält es doch 
y. Behring (1) sogar fiir möglich, durch eine planmässig durch- 
geführte Schutzimpfung an bedrohten Orten zu erreichen, dass die 
Diphtherie aufhört, eine Krankheit mit hohen Morbiditäts- und 
Mortalitätsziffern zu sein. Diese Ansicht kann ich keineswegs, wie 
das von anderer Seite geschehen ist, als illusorisch bezeichnen, 
wenn nach den Forderungen v. Behrings die Serumtherapie „in 
jedem Falle alsbald nach dem Erkennen der ersten Symptome 
beginnt und zwar nicht erst nach der Sicherung der bakteriologischen 
Diagnose, sondern schon nach der Feststellung der klinischen 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose, und die mit einem bakteriologisch 
diagnostizierten Diphtheriefall in Berührung gekommenen jugend¬ 
lichen Individuen prophylaktisch immunisiert werden". 

Wenngleich der ausserordentliche Erfolg der Immunisierung 
von den klinischen Lehrern der medizinischen Disziplin genügend 
betont wird und in der gesamten Fachpresse die günstigste Be¬ 
urteilung erfährt, so hat sie doch zum grossen Schaden der Be¬ 
völkerung noch keinen allgemeinen Eingang in die Praxis ge¬ 
funden. Die Gründe für diese bedauerliche Tatsache sind ja zum 
Teil recht ersichtlich. Einmal und wohl hauptsächlich ist der hohe 
Preis des Serums schuld daran, dann aber kommen auch gewisse 
andere Faktoren in Frage. Warum geht man bei der Pocken¬ 
impfung so energisch vor, warum verfolgt man die Granulöse 
bei den Heerespflichtigen mit einem Aufwand von Mühe und 
Arbeit, der nicht im Verhältnis zu den Erfolgen steht, warum 
geht man der Typhuserkrankung so energisch zu Leibe und 
hat BO000 Mark für Versuche in der Bekämpfung des Typhus 
dem Institut für Infektionskrankheiten ausgesetzt und beabsichtigt 
in dem neu zu erlassenden Seuchengesetz die Anzeigepflicht auch 
auf typhusverdächtige Fälle auszudehnen P Nun, des Rätsels 
Lösung scheint mir einfach; alle diese Erkrankungen bedrohen 
unter gewissen Umständen den Bestand der Armee, sind, was 
Pocken und Typhus anbetrifft, Seuchen, die in Kriegszeiten ge¬ 
waltige Opfer gefordert haben, wie die Geschichte des Napoleoni- 
schen Feldzuges gegen Russland, und die Erfahrungen im Kriege 
von 70/71 zur Genüge beweisen. Selbstverständlich muss der 
Staat alles tun, um sein Heer schlagfertig zu erhalten und hier 
müssen Opfer gebracht werden. Deshalb bin ich überzeugt, wenn 
neben den Abertausenden von Kindern plötzlich die grossen Söhne 
des Mars in ihren Garnisonen oder auf den Manövern von der 
Diphtherie ergriffen und dahingerafft würden, wie es zuweilen 
jetzt bei Typhus der Fall gewesen ist, dann gäbe es bald eine 
Präventivimpfung in allen Diphtherieorten. 

Leider wenden noch viele Aerzte die prophylaktischen 
Impfungen überhaupt nicht an, oder betreiben ihre Durchführung 
nicht mit 5 der nötigen Energie. Wenn es Aerzte gibt, die die 
Behandlung einer Diphtherie ablehnen, sobald eine Serumein- 



Pr&Tentiv - Impfungen bei Diphtherie. 


819 


spritzung nicht gestattet wird, so kann ich mir deren Standpunkt 
erklären, wenn auch nicht rechtfertigen. Für konsequent würde 
ich es da halten, wenn ein Arzt, der seine Hilfe von der Annahme 
bestimmter therapeutischer Bedingungen bei seinen Klienten ab¬ 
hängig macht, gleichzeitig auch die Forderung stellte, dass er 
das kranke Kind nur dann impfe, wenn er auch die gesunden 
immunisieren dürfe. In der Regel macht es keine Schwierigkeit, 
wenn man in ruhiger und überzeugender Weise die Vorteile der 
Schutzimpfung den Angehörigen klarlegt, ihre Einwilligung hierzu 
zu erhalten, besonders wenn der Beschaffung des Serums keine 
pekuniären Schwierigkeiten entgegenstehen. Bedauerlicher Weise 
ist dies aber oft der Fall. Auch ich machte in dieser Beziehung 
ganz traurige Erfahrungen bei einer Diphtherieepidemie in einem 
Städtchen von 2700 Einwohnern, in dem vom 23. August bis 
Ende Dezember v. J. 64 Diphtherieerkrankungen mit 13 Todes¬ 
fällen zur polizeilichen Anmeldung gelangten. In einzelnen Familien 
schleppte sich die Diphtherie wochenlang hin und erkrankten nach 
einander 3, 4 selbst 5 Geschwister. Erst durch kostenlose Her¬ 
gabe des Serums wurde es bei der ärmeren Bevölkerung ermög¬ 
licht, die Weiter Verbreitung der Krankheit im Schosse der Familie 
fast völlig zu verhüten und gleichzeitig die Seuche einzuschränken. 

Namentlich ist aber die Schutzimpfung geboten, sobald in 
geschlossenen Anstalten, Instituten und Gefängnissen u. s. w. 
Diphtheriefälle auftreten. So konnte Guinon (2) durch Präven¬ 
tivimpfungen in einer Heilanstalt für Idioten und Epileptiker von 
145 Kindern eine Epidemie unterdrücken, bei der bereits ein Todes¬ 
fall und in 2 Tagen 12 Neuerkrankungen aufgetreten waren. 
Nach der Schutzimpfung kamen nur 4 neue Fälle vor, die jedoch 
so gutartig verliefen, dass der Belag innerhalb 24 Stunden von 
selbst verschwand. 

Dass die Anzahl der Kinder, welche durch Immunisierung 
voraussichtlich jährlich gerettet werden könnten, eine ganz erheb¬ 
liche sein muss, geht daraus hervor, dass die Diphtherie gewöhn¬ 
lich mehrere Kinder in der Familie ergreift und noch immer eine 
durchschnittliche Mortalität von über 13 % aufweist. Um dies an 
einem Beispiele zu beweisen, führe ich eine Veröffentlichung von 
Netter (3) an, der zum Vergleiche 491 Kinder in Familien, in 
denen ein Diphtheriefall vorlag, nicht geimpft hatte. 87 unter 
ihnen wurden krank, davon 38 schwer, und 18 starben. Wenn 
auch unter diesen 491 Kindern trotz der Impfung ein gewisser, 
nicht näher bestimmbarer Prozentsatz erkrankt wäre, so hätten 
doch nach den allgemeinen Erfahrungen bei den Präventivimpfungen 
die 18 Todesfälle und die 38 schweren Erkrankungen vermieden 
werden können. Zuverlässige Angaben darüber zu machen, in 
wieviel Prozent die Immunisierung tatsächlich Erfolg hat, ist nicht 
möglich. Nur so viel kann bestimmt gesagt werden, dass die 
Schutzimpfung keine absolute Immunität bedingt, die bedeutende 
Mehrzahl von Erkrankungen innerhalb der ersten 24 Stunden auf¬ 
treten, mithin ein Inkubationsstadium schon vorlag, die Ansteckungen 
um so seltener auftreten, je früher die Immunisierung erfolgt, je 



820 


Dr. Cortina. 


grössere Antitoxinmengen benutzt und je sorgfältiger alle Isolie- 
rungsmassregeln eingehalten werden. 

Nach Netters (4) Statistik acquirierten unter 32484 Kindern, 
die prophylaktisch mitten in Diphtherieherden geimpft wurden, 192 
= 6 auf 1000 die Krankheit. Diese Zahl ist entschieden zu 
niedrig gegriffen, denn es erkrankten zweifellos bedeutend mehr 
Kinder trotz der Immunisierung, wenn man nur die absolut sicheren 
Beobachtungen in der Litteratur mitrechnet und berücksichtigt, 
dass ohne Frage auch in vielen Fällen immunisiert wurde, in 
denen es sich gar nicht um Diphtherie gehandelt hat. Es ist ja 
eine bekannte Tatsache, dass viele Aerzte die Diagnose Diphtherie 
stellen, sobald sie nur einen Belag auf den Mandeln sehen. 

Die niedrigste Zahl, die für eine Ansteckung trotz Immuni¬ 
sierung angenommen werden kann, ist annähernd 3 %; dieser Prozent¬ 
satz spielt jedoch deshalb keine so grosse Rolle, weil nach allen 
Beobachtungen, wie oben angegeben, schwere und tödliche Fälle 
überhaupt vermieden werden. Wenn nun Netter (4) nicht zu 
übertreiben glaubt, dass die Ansteckung bei Kindern, die mit 
Diphtheriekranken in Berührung gekommen sind, wahrscheinlich 
in 10% erfolgt, so darf man diese Prozentzahl nicht allein be¬ 
rücksichtigen, wenn man sich eine ungefähre Vorstellung davon 
machen will, wie ausserordentlich die Diphtherie - Morbidität und 
-Mortalität eingeschränkt wird, wenn die Immunisierung zur Ein¬ 
führung gelangte. Denn durch das fast vollständige Fortfallen 
von Neuerkrankungen innerhalb der Familie ist die Gelegenheit 
zur Weiterverbreitung der Erkrankung doch ausserordentlich ein¬ 
geschränkt. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob sich ein Diph¬ 
theriefall in durchschnittlich 4—6 Tagen innerhalb einer Familie 
erledigt, oder ob nacheinander eine ganze Anzahl von Kindern 
erkranken und die Krankheit sich wochenlang durch die Familie 
schleppt. Die bereits genesenen Kinder und ihre Pfleger sind 
dann viel längere Zeit die Verbreiter des Infektionsstoffes, und die 
Isolierung kann nicht mehr genügend durchgeführt werden, zumal 
mit der Länge der Zeit Gleichgiltigkeit und Unachtsamkeit gegen 
alle Vorsichtsmassregeln eintritt. 

Die Immunisierung erübrigt, um dies hier gleich zu betonen, 
in keiner Weise die üblichen Schutzmassregeln bei Diphtherie, 
zumal auch Erkrankungen bei den Geimpften Vorkommen und die 
geimpften Erkrankten und Rekonvaleszenten die Infektionen genau 
ebenso vermitteln können, wie die Nichtgeimpften. Wohl aber 
vermindert sie durch die geringe Zahl der Infizierten die Schwierig¬ 
keit sowohl bezüglich der Isolierung, als der Desinfektion und 
gestaltet deren Durchführung leichter und wirksamer. Ist es aber 
bereits zu einer grossen Verbreitung der Krankheit, gekommen, 
dann werden freilich die Schutzmassregeln häufig ohne Erfolg sein. 

Dass die Schutzimpfung allein im Stande ist, die Ausbreitung 
und die Gefahren der Diphtherie zu verhindern, wenn man in der 
oben erwähnten Weise v. Behrings (1) vorgeht, gab ich be¬ 
reits zu. Allein eine Verallgemeinerung der Immunisierung, die 
an bedrohten Orten nach v. Behring selbst in diphtheriefreier 



Präventiv - Impfungen bei Diphtherie. 


821 


Umgebung: eine Impfung versieht, ähnlich wie man in pockenfreier 
Umgebung die Schutzimpfung austtthrt, halte ich für undurchführ¬ 
bar, zumal der Impfschutz nur 3—4 Wochen vorhält, viele Eltern 
die Impfung ihrer Kinder nicht gestatten und sich die Armenver¬ 
bände wegen der ganz erheblichen Kosten gegen die Immuni¬ 
sierung auflehnen würden. Für diese allgemeinen Schutzimpfungen 
in diphtheriefreier Umgebung sieht v. Behring allerdings ein 
billiges (40 Pfennige), sehr hochwertiges Trockenantitoxin von 
100 A. E. vor. 

Die wichtige Tätigkeit, die der Kreisarzt bei der Verhütung 
und Bekämpfung gemeingefährlicher und sonst übertragbarer Krank¬ 
heiten ausüben kann, wird bei der Diphtherie meist durch den 
bisher üblichen Gang der Requisition lahm gelegt und anderseits 
nicht genügend ausgenützt. Es ist wohl nicht zu viel gesagt, 
dass häufig der Kreisarzt an Ort und Stelle erscheint, wenn be¬ 
reits andere Kinder in der Familie erkrankt sind. Ein möglichst 
baldiges Erscheinen des beamteten Arztes wäre aber bei einer 
Krankheit, die so rasch in der Familie um sich greifen kann, 
zumal die Inkubationsdauer doch nur bis auf 2 Tage sich zu er¬ 
strecken braucht, geboten. Es müsste aber auch dem Kreisarzt 
namentlich für die ländlichen Bezirke stets Heilserum zu Präven¬ 
tivimpfungen in den verseuchten Familien zur Verfügung gestellt 
werden. Wie oft würde es auf diese Weise gelingen, eine Epi¬ 
demie im Keime zu ersticken, sehr viel Kinder am Leben zu er¬ 
halten nnd das Verständnis für die ausserordentliche Wirksamkeit 
und Zweckmässigkeit der Schutzimpfungen in weiteste Kreise zu 
tragen. Der Plan v. Behrings, der sogar unentgeltlich seine 
Trockenantitoxinpräparate den Kreisärzten zur Verfügung stellen 
will zur Feststellung der Unschädlichkeit und des Nutzens der 
prophylaktischen Antitoxininjektionen, müsste in der von mir vor¬ 
geschlagenen Weise und dauernd ausgeführt werden. 

Grade hierdurch würde sich dem Kreisarzt ein Wirkungsfeld 
eröffnen, auf dem er für das allgemeine Wohl in augenschein¬ 
lichster Weise erfolgreich sorgen und gleichzeitig auch dem 
Publikum das Verständnis dafür beibringen kann, dass man der 
Ansteckungsfähigkeit einer Krankheit nicht hilflos gegenüber steht. 

Freilich ist nach dem Entwurf eines Ausführungsgesetzes zu 
dem Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher 
Krankheiten, vom 30. Juni 1900 im §. 6, Abs. 3 eine Ermittelung 
der ersten Fälle von Diphtherie nur für erforderlich erachtet, falls 
sie nicht von einem Arzte angezeigt sind. Aus den angeführten 
Gründen möchte ich aber mit dem Referenten über diesen Artikel 
in der Nr. 4 dieser Zeitschrift der Ansicht sein, dass die Auf¬ 
nahme der Diphtherie unter die im §. 6, Abschn. 1 genannten 
Krankheiten, bei denen stets eine amtsärztliche Ermittelung vor¬ 
gesehen ist, dringend empfehlen. Ebenso kann ich mich bezüglich 
der Kennzeichnung der Diphtheriehäuser durch Tafeln zur Ab¬ 
haltung fremder Personen nur der Ansicht des Referenten an- 
schliessen, zumal in der Begründung des Entwurfs ausdrücklich 
erklärt wird: Wie an den Gebrauchsgegenständen, so haften die 



822 


Dr. Cortina. 


Krankheitskeime auch in der Wohnung des Kranken. Dies ist 
besonders bei Diphtherie u. s. w. der Fall. 

Wie spielt sich aber häufig eine kleine Diphtherieepidemie 
auf dem Lande ab? In dieser oder jener Familie stirbt ein Kind 
ganz plötzlich. Wird ein Arzt gerufen, so erscheint dieser häufig- 
bei dem Kranken, ohne sich über die Art des Leidens vorher 
orientieren zu können. Die Impfung unterbleibt deshalb; ein noch¬ 
maliger Besuch wird aber wegen der damit verbundenen Kosten 
nicht ausgefiihrt, wohl aber die Erkrankung vorschriftsmässig 
gemeldet. Nach einiger Zeit erscheint der Kreisarzt und stellt 
ebenfalls Diphtherie fest. Immunisiert wird aber nicht und die 
Ansteckung geht ihren Lauf. Ich bin wenigstens auf dem Lande 
noch nicht dazu gekommen, Schutzimpfungen auszuffihren und 
glaube auch, dass die meisten Kreisärzte noch nicht viel Präven- 
tivimpfungen bei Gelegenheit ihrer Requisitionen ausgeführt haben. 
In manchen Kreisen steht zwar den beamteten Aerzten für Schutz¬ 
impfungen Heilserum zur freien Verfügung und werden bei Ge¬ 
legenheit des Ermittelungsverfahrens von ihnen auch Präventiv¬ 
impfungen vorgenommen. Im grossen und ganzen werden sich 
aber die Vorgänge so abspielen, wie ich sie geschildert habe. 

Ich will hierbei in keiner Weise die sonstigen kreisärztlichen 
Anordnungen unterschätzen, oder gar bemängeln, denn dazu hätte 
ich die allergeringste Ursache, wohl aber will ich hier Dinge er¬ 
örtern, die ich für verbesserungsfähig und bedürftig halte. Die 
mündlichen und schriftlichen sanitätspolizeilichen Anordnungen 
werden meist in ganz unzulänglicher Weise befolgt, da das Ver¬ 
ständnis, das die grosse Masse des Volkes für Ansteckungsgefahr 
und ihre Verhütung besitzt, erstaunlich gering ist. Es liegt das 
freilich oft daran, dass die Leute meist nicht an Ansteckung 
glauben, sondern in dieser Beziehung einen fatalistischen Stand¬ 
punkt teils aus Bequemlichkeit, teils aus Mangel an Bildung und 
Ueberlegung haben. Daher erwächst den Behörden die Pflicht, 
wenn ein so einfaches und wirksames Schutzmittel gegen das Um¬ 
sichgreifen der Diphtherie vorhanden ist, dieses nach Möglichkeit 
zur Anwendung zu bringen. Das Umgehen der auf viel Schwierig¬ 
keiten stossenden und oft unausführbaren Desinfektion der Woh¬ 
nungen auf dem Lande ist auch bei der Durchführung der Schutz¬ 
impfungen weniger bedenklich, da die Zahl der Erkrankungsfälle 
innerhalb der Familie eingeschränkt wird. Ich persönlich kann 
mir auch von dem Erfolg der Desinfektion einer ländlichen Arbeiter¬ 
wohnung nicht viel versprechen; sie ist ausserdem durch die üblichen 
Formalin-Desinfektionsapparate im Winter bisweilen nicht aus¬ 
führbar, sobald ein provisorischer Unterkunftsraum für die Familie 
nicht beschafft werden kann. 

Ueber die Anzahl A. E., welche zur Immunisierung genügen, 
herrschen geteilte Ansichten, v. Behring (1') hat „die jetzt 
übliche Immunisierungsdosis von 250 A. E. empfohlen, weil die¬ 
selbe auch noch im Inkubationsstadium wirksam sein sollte, was 
gefordert werden musste wegen der bisher fast ausschliesslich 
angewendeten Serumtherapie in Familien, Krankenhäusern, Schulen 



Präventiv-Impfungen bei Diphtherie. 


823 


u. s. w. mit konstatierten Diphtheriefällen, von welchen möglicher 
Weise die zu schützenden Individuen schon infiziert waren.“ 
Baginski (5) sagt in dieser Beziehung: „Die von uns zumeist 
angewandte Immunisierungsdosis ist je nach dem Alter und der 
Grösse der Kinder 200—300 A. E.; nur selten überstiegen wir 
diese Gabe und sind in der Regel sehr gut damit ausgekommen.“ 
Französische Aerzte wenden vielfach 500 A. E. an, desgleichen 
englische. In den Fragebogen zur Sammelforschung „über die 
Anwendung des Diphtherieserums zu Immunisierungszwecken“ von 
Prof. Löffler ist in dem Muster zur Beantwortung der Fragen 
die zur Verwendung gelangende Menge auf 600 A. E. angegeben. 
Ich benutzte anfänglich 200 A. E. von dem 250fachen Serum; da 
sich aber bei 17 Immunisierungen 3 Erkrankungen nach 2, 8 und 
15 Tagen einstellten, gewann ich den Eindruck, dass 200 A. E. 
nicht genügen. Ich halte es deshalb für richtig, bedeutend mehr 
A. E. einzuspritzen, und möchte als Mindestmenge 500 A. E. an- 
raten, selbst bei kleinen Kindern. Ein Schaden wird dadurch 
nicht hervorgerufen und kommen Hautausschläge, falls diese Be¬ 
fürchtung Aerzte zu Einspritzungen mit geringen Antitoxinmengen 
bewegen seilte, bei kleinen Dosen ebenfalls vor. Da nun nach 
den Marx sehen (6) Versuchen Immunisierungs- und Heileffekt 
dem Gehalt an I. E. proportional ist, handelt man jedenfalls 
rationeller, wenn man höhere Dosen anwendet. Bei grösseren 
Kindern würde ich sogar 1000 A. E. einspritzen, wenn die Geld¬ 
frage keine Rolle spielt. Zweckmässig ist es nun, wenn man 
500 I. E. benutzt, ein hochwertiges Serum zu nehmen, da hierbei 
— Menge lg — eine kleine Spritze benutzt werden kann. 

Die Technik der Schutzimpfung schliesst sich in ihrer Aus¬ 
führung genau derjenigen bei Heilzwecken an. Sie ist dadurch 
viel einfacher, dass man sie, wie eine Morphiumeinspritzung eigent¬ 
lich an jeder Körperstelle ausführen kann, da man mit einer ge¬ 
ringen Flüssigkeitsmenge zu tun hat. Während ich sämtlichen 
Kindern in der betreffenden Familie die Brust frei machen liess, 
öffnete ich die Serumfläschchen und desinfizierte die Spritze mit 
Alkohol; so immunisierte ich einmal nacheinander 6 Kinder in 
einer Familie, mit dem grössten beginnend, um den kleineren die 
Geringfügigkeit des Eingriffs vor Augen zu führen. Will man 
den Kindern so gnt wie jeden Schmerz bei der Immuneinspritzung 
ersparen, so benutzt man zweckmässig, wie schon angedeutet, 
eine Morphiumspritze. 

Es ist sehr bedauerlich, dass ein derartiges, wirksames, 
lebensrettendes Mittel nur für einen so hohen Preis dem Publikum 
zugänglich gemacht wird. Wie schwer fällt es einem Arbeiter, 
oder einem wenig bemittelten Handwerker neben den sonstigen 
Kosten für Arzt und Apotheke die Ausgabe für das Serum zu 
bestreiten. Sind nun gar mehr Kinder erkrankt, so bedeutet das 
für ihn oft die Hingabe seiner ganzen Ersparnisse. Hier müsste 
Wandel geschaffen werden, wo es gilt vielen tausenden Kindern 
das Leben zu erhalten. Wie erstaunlich billig hiergegen das 
Lorenzsche Rotlaufserum ist, mag man daraus bemessen, dass 



824 Dr. Ccrtuu: Priveativ • Impfungen bei Diphtherie. 

die pro 10 kg Körpergewicht benutzte Dosis (1 g) nur 6 Pfennig 
kostet. 

Die Frage, weshalb man nicht eine billigere Abgabe des 
Serums ermöglicht, mag ich nicht erörtern, will aber darauf hin- 
weisen, dass z. B. in Russland das übrigens viel zweckmässiger 
und handlicher verpackte Serum bedeutend billiger ist, als bei uns 
(1,5 Rubel pro 1000 A. E.), und dass das Wiener serotherapeuti¬ 
sche Institut auf Grund eines Erlasses des Ministers des Innern 
ab 1. Januar 1903 die Preise aller Sorten Diphtherieheilserum um 
ca. 40% ermässigt hat. 

Aus Gründen der Einfachheit und Sparsamkeit empfiehlt es 
sich, wenn man mehrere Kinder immunisiert und durch die Ver¬ 
hältnisse gezwungen, nur kleine Antitoxinmengen von 200—300 A.E. 
anwenden kann, eine Flasche mit 1000 A. E. zu benutzen und die 
einzuspritzende Menge nach den Gradstrichen der Spritze zu ver¬ 
teilen. Der Vorteil besteht auch darin, dass der Eingriff viel 
schneller vor sich geht und den Kindern für weniger Geld mehr 
Serum eingespritzt wird. 

Eine andere Frage ist nun die, woher der Kreisarzt und die 
anderen Aerzte das Serum zu den Präventivimpfungen für die 
ärmere Bevölkerung unentgeltlich erhalten soll. Ich glaube die 
meisten Kreise werden, wenn sich die hier in Frage kommenden 
Persönlichkeiten erst über die ausserordentlichen Vorteile der 
Schutzimpfungen klar geworden sind, für das Land die erforder¬ 
lichen Mittel bereitstellen, zumal in manchen Fällen die Kosten 
für Verwendung des Heilserums von den in Frage kommenden 
bemittelten Ortsarmenverbänden wieder eingezogen werden können. 
In Städten müssten die Magistrate, vaterländische und lokale 
Frauenvereine dieser Sache näher treten und den Aerzten Serum 
zu Immuni8ierung8zwecken zur freien Verfügung stellen. 

Um anderseits das Verständnis für die Vorteile der Schutz¬ 
impfung in die grosse Masse des Publikums eindringen zu lassen, 
müsste ganz planmässig unter Anwendung aller nur irgendwie 
zweckdienlichen Mittel vorgegangen werden. Hierzu rechne ich 
wiederholte Vorträge und Diskussionen in Aerztevereinen, um zu¬ 
nächst die Vermittler des Verfahrens zu gewinnen, Artikel in 
Kreisblättern, Kalendern und in den populär medizinisch gehaltenen 
Zeitschriften, Vorträge in geeigneten Vereinen und auf den Volks¬ 
schullehrerkonferenzen. Nichts wird der Sache dienlicher sein, als 
ein billiger Preis des Serums. Das ist das A und Q der Frage; 
an dem Kostenpunkt scheitern aber manchmal noch ganz andere 
Dinge. 

Literaturverzeichnis. 

1. v. Behring: Die experimentelle Begründung der antitoxischen 
Diphtherin-Therapie. 6. Vorlesung aus: Die deutsche Klinik am Eingang des 
20. Jahrhunderts. 

2. G ui non: Sociätä de Pädiatrie, Sitzung vom 11. Juni 1901, nach Re¬ 
ferat der Münchener med. Wochenschrift; 1901, Nr. 20. 

8. Netter: Sem. mädic.; 1902, S. 39. Hygion. Rundschau; 1902. 

4. Netter: Soeiätä de Pädiatrie, Sitzung vom 11. Juni 1901. Münchener 
'henschrift 1901. 



Dr. Hagemann: Ein Staubsehutz fttr den Lymphebehtlter bei Impfungen. 826 


5. Baginski: Ueber Diphtherie und diphtheritisehen Croup. 1. Vor¬ 
lesung aus: Die deutsche Klinik am Eingang des 20. Jahrhunderts. 

6. Marz: Experimentelle Untersuchungen über die Beziehung zwischen 

dem Gehalt an Immunit&tseinheiten und dem schlitzenden und heilenden Wert 
des Diphtherieheilserums. Zeitschrift fOr Hygiene- und Infektionskrankheiten: 
1901, Bd. 38, 8. H. _ 


Ein Staubschutz für den Lymphebehälter bei Impfungen. 

Von Kreisassistenzarzt Dr. Hagemann in Münster. 

Die Bestimmung, dass „der Lymphevorrat während der 
Impfung durch Bedecken vor Verunreinigung zu schützen“ sei, 
hat die Erfindung und Empfehlung verschiedener Apparate ge¬ 
zeitigt; dieselben sind durchweg sinnreich konstruiert und erfüllen 
zumeist ihren Zweck, — mit dem einen Nachteil jedoch, dass dies 
unter Verwendung eines ziemlich umständlichen und komplizierten 
Mechanismus geschieht. 

Dies veranlasste mich, für meinen eigenen Gebrauch bei den 
öffentlichen Impfungen eine kleine, ganz einfache Vorrichtung zu 
benutzen, welche nach meinen Angaben von einem hiesigen 
Mechaniker hergestellt ist. Da sich dieselbe praktisch bewährt 
hat, stehe ich nicht an, sie der Begutachtung der Kollegen vor¬ 
zulegen. 

Wesentlich ist offenbar für die praktische Brauchbarkeit eines 
solchen Instrumentes, — wie ich früher bereits 1 ) hervorgehoben 
habe, — dass sich der Deckel mit grösster Leichtigkeit auf die 
Berührung eines disponiblen Fingers, — etwa des kleinen oder 
Ringfingers, — der gleichzeitig das Impfinesser führenden rechten 
Hand öffnet und schUesst, während die linke Hand zur Fixierung 
des Kinderarmes fortdauernd verfügbar bleibt. Dies lässt sich 
mit folgender Vorrichtung erreichen: 

Das (Original-) Lymphröhrchen wird eingesetzt in einen 
breiten Kork, in welchen mit dem Korkbohrer (oder einem ähn¬ 
lichen Instrument) ein zylinderisches Lager gebohrt ist. Dicht 
daneben steht eine kräftige Nadel, an welcher oben mittelst eines 
Charniers ein zierlicher, krugdeckelartiger Mechanismus ange¬ 
bracht ist. Die ganze Deckelnadel wiegt l 1 /, g, sie ist matt 
bronziert, deshalb ohne Rostgefahr sterilisierbar, solide, funktio¬ 
niert spielend leicht und doch ganz sicher. 




*) Diese Zeitschrift; 1902, Nr. 11. 




826 


Aas Versammlungen and Vereintet. 


Das Instrumentengeschäft von H. Middendorff, Spieker¬ 
hof Nr. 21/22, Münster i. W., liefert die Nadel zum Preise von 
60 Pfennig. _ 

Bericht Aber die Verhandlungen der Versammlung 
der Medininalbeamten des Beg.-Bec. Llegnits vom S5. April 

1903 

nebst einem Nachtrag über die auf den Arzneimittel- und Gifthandel 
bezügliche Regierongsverfttgungen. 

ln der letzten vom H. Regierungspräsidenten snm 6. November 1902 
einberuf enen Versammlung der Medizinal beamten war der Beschluss gefasst 
worden, alljährlich eine zweite, nicht offizielle Versammlung abzuhalten, die 
näohste im Frühjahr 1903 (s. diese Zeitschrift Nr. 1, 1908, 8. 27). 

Za dieser für Nachmittag 1 Uhr im Regierungsgebäude unter Vorsitz 
des Regierungs- u. Medizinalrats anberaumten Versammlung waren mit Aus¬ 
nahme des dienstlich verhinderten Kreisarztes Med.-Rats Dr. B r a u n - Görlitz 
sämtliche Kreisärzte, der Kreisassistenzarzt zu Carolath, sowie von den ein¬ 
geladenen staatsärztlich geprüften praktischen Aerzten des Bezirks Dr. G uer tler- 
Sagan, Dr. Neetzke-Landeshat, Dr. Kle we-Naumburg a.jQ., Dr. Talke- 
Rothenburg O./L. und Dr. Scholz-Görlitz erschienen. 

Der Vorsitzende teilte nach der Begrttssung der Anwesenden mit, dass 
der H. Regierungspräsident durch dringende Geschäfte am Erscheinen verhin¬ 
dert sei. 

I. Erster Beratungsgegenstand war das schon einmal von der Tages¬ 
ordnung (5. Nor. 1902) abgesetste Referat über das Reichsgesetz, betreffend 
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900 
nebst Ausführungsbestimmungen. 

Der Referent, Kreisarzt Med.-Rat Dr. Leder-Lauban macht zum 
Gegenstand seiner Ausführungen die allgemeinen Bestimmungen des kurz¬ 
weg als Reichsseuchengesetz bezeichneten Gesetzes. Er schickt voraus, dass 
nach dessen Inkrafttreten folgende Anordnungen ergangen seien: 

1. Die Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 4. Juli 1900, enthaltend 
Ein- und Durchfahrbeschränkungen von Waren und Gebrauchsgegenständen zur 
Abwehr von Cholera- und Pestgefahr. 2. Die vorläufigen Ausführungsbe- 
stim m u n g e n zum Gesetz vom SO. Jnni 1900, Bekanntmachung des Reichskanz¬ 
lers vom 6. Oktober 1900. 3. Die bei der Bekämpfung der Pest zu beach¬ 
tenden Grundsätze, Schreiben des Reichskanzlers vom 25. Oktober 1900 an 
die Bundesregierungen. 4. Die Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 
22. Juli 1902, betr. die wechselseitige Benachrichtigung der Militär- und Zivil- 
behürden über das Auftreten übertragbarer Krankheiten. — Seitens des Bundes¬ 
rats sind die vorgenannten Vorschriften zu einer „Anweisung zur Be¬ 
kämpfung der Pest“ verarbeitet worden. Höheren Ortes ist zur Durch¬ 
führung dieser Anweisung in dem Min.-Erlass vom 26. November 1902 — M. 
Nr. 13369 — das Nötige verfügt worden, aufgenommen in die Regierungsver- 
ffigung vom 4. März 1903 — Pa. 283 —. 

Beferent geht nunmehr auf das Reiohsseuchengesetz selbst ein und be¬ 
spricht nach einem Ausblick auf den dem preussisohen Abgeordnetenhause vor¬ 
gelegten Entwurf eines Ausführungsgesetses zum Reichsseuchengesetz a) die 
Anzeigepflioht, b) das Ermittelung»verfahren, d) die Entschädigungsvorschriftea, 
jedoch greift er hierbei nur das Wichtigste heraus. 

a. Hinsichtlich der Anzeigepflicht, die nach seinen Erfahrungei 
im allgemeinen noch sehr ungleichmässig ausgeübt wird, ist er der Ueberseu- 
gong, dass sie hauptsächlich auf den Schultern der Aerzte ruhen werde; er 
wünscht zur Erleichterung und Vereinfachung gleichmässige Meldeformulare 
bei Portofreiheit und zwar sowohl für die sechs im Reichsgesetz genannten, 
als für die auf Grund der Laudesgesetzgebung anzeigepflichtigen Krankheiten. 

b. Bei der Ermittelung der Krankheit verlangen die ersten Fälle 
umgehende Erhebungen an Ort und Stelle durch den Kreisarzt auch ohne vor- 
ansgegangene Benachrichtigung seitens der Polizeibehörde; bei den später auf¬ 
tretenden Fällen habe der Kreisarzt nur im Einverständnis mit der unteren 



Atu Versammlungen und Vereinen. 


827 


Verwaltungsbehörde (Landrat) au handeln, doeh sei ihm dureh das Gesets aus* 
reichende Vollmacht sur Vornahme der su den Ermittelungen erforderlichen 
Untersuchungen gegeben. Betreffs der endgültigen Feststellung des ersten 
Pestfalles seien nach § 14 der Anweisung sur Bekämpfung der Pest besonders 
Pest - Sachverständige vorgesehen. Im Übrigen sei der Kreisarst bei Gefahr 
im Verzage schon vor dem Einschreiten der Polizeibehörde zur Anordnung der 
erforderlichen Massregeln berechtigt; der Ortsvorsteher habe diese zunächst zur 
Ausführung zu bringen. 

c. Die Sohutzmassregeln zur Verhütung der Weiterverbreitung der 
Krankheiten erstrecken sich hauptsächlich auf die Beobachtung und Absonderung 
kranker und krankheitsverdächtiger Personen, die Bäumung von Wohnungen, die 
Desinfektion und die saohgemässe Aufbewahrung der Leichen. Besonderer 
Wert müsse auf die Absonderung im Bahmen der gegebenen Vorschriften gelegt 
und diese energisch durobgeführt werden; zu diesem Zweck sei es in erster 
Linie erforderlich, dass überall ausreichende „Un terkunf tsräum e“ zur Auf* 
nähme Kranker zur Verfügung stehen. 

In breiterem Umfange hehandelt Beferent die Desinfektion. Er 
stellt fest, dass es, namentlich auf dem platten Lande, an geschulten Desin¬ 
fektoren mangelt. Als solche will er nicht Leute wie Totengräber, Barbiere, 
Fleischbeschauer u. dergl., welche das Desinfektionsgeschäft nur nebenbei er¬ 
ledigen, herangesogen wissen, vielmehr sollten die Desinfektoren in Fach¬ 
schulen aasgebildet und geprüft sein; sie sollten gleichsam die Stellung eines 
vollamtlichen Gesundheitsbeamten einnehmen, dem die Ausführung 
der Anordnungen des Kreisarztes obliegt und der gleichseitig für die Beinhal¬ 
tung der Wohnstätten und ihrer Umgebung, der Höfe, Brunnen, Aborte usw. 
zu sorgen habe. Hierfür soll ihnen ein bestimmtes Jahreseinkommen, nicht 
unter 1500 Mark, gewährleistet werden; dieses wäre seitens des Kreises auf- 
zubringen. 

Zur Verhütung des Aussteller von Ansteckung vermittelnden Leichen 
und ihrer rechtzeitigen Entfernung aus den Sterbehäusern sind in jeder Ge¬ 
meinde Bäume sur Unterbringung bereitzustellen, eventuell für Leichen¬ 
hallen, — wenn auch in einfachster Form — zu sorgen. 

d. Die Zahlung von Entschädigungen für entgangenen Arbeits¬ 
verdienst, ebenso für die durch die Desinfektion hervorgernfene Beschädigung 
von Gegenständen usw. sei den Provinzial verbänden aufzuerlegen, da eine 
Belastung der Gemeinden oder Kreise durch diese Ausgaben nicht angängig 
ist. Die landesrechtliche Begelung der Entschädigungsfrage bedürfe in dieser 
Hinsicht einer Aenderung, insoweit ortspolizeiliche Interessen in Betracht 
kommen. 

Die allgemeinen Vorschriften des Beiohsseuchengesetzes verlangten 
im §. 86 Ueberwachung der Wasserversorgungsanlagen und der Fort- 
sohaffung der Abfallstoffe; diese habe nichtnur zu Zeiten einer herrschenden 
Seuche, sondern fortlaufend zu erfolgen, da bei einem Seuchenausbruch die zur 
Ausführung von Verbesserungen nötige Zeit fehlen dürfte. Es sei in die Hand 
der Kreisärzte gegeben, hier zum Schutze gegen übertragbare Krankheiten 
durch entsprechende Auträge jederzeit die Beseitigung gesundheitsgefährlicher 
Misstände herbeizuführen. Hierzu sei aber die Kenntnis der Landesgesetze 
(g 86, Abs. 8 a. a. 0.) unerlässlich. — 

Der Korreferent, Kreisarzt Med.-Bat Dr. Horn-Löwenberg bespricht die 
Ausführungsbestimmungenzum Beichsseuohengesetz,wie sie in der Bekannt¬ 
machung des Beichskanzlers vom 6. Oktober 1900, betreffend die Bekämpfung 
der Pest enthalten sind, jedoch in ihrer Verallgemeinerung auch die übrigen 
im Seuohengesetz namhaft gemachten Krankheiten. Es wird hierbei hervor¬ 
gehoben, dass der den gleichen Gegenstand — Ausführangsbestimmungon zum 
Beichsseuchengesetz — betr. Mio.-Erlass vom 12. Juli 1901 — M. Nr. 11576 
— (s. B.-Verf. vom 8. August 1901) infolge der vom Bnndesrat erlassenen 
Anweisung zur Bekämpfung der Pest für aufgehoben gilt. 

Hinsichtlich der Beobachtung krankheitsverdächtiger, aus verseuchten 
Orten kommender Personen hält Korreferent eine schleunige Benachrichtigung 
der Behörden im Nachbarkreise für notwendig; beispielsweise sei es bei Cholera 
oder Typhns von Wichtigkeit zu wissen, ob die Krankheit ihre Ursache in 
einer Verschleppung oder in örtlichen Verhältnissen habe, um einerseits nutzlose 



828 Aas Versammlungen and Vereinen. 

Anordnangen za vermeiden, anderseits der Lage der Sache nach notwendige 
Massregeln (z. B. bei der Verbreitung des Krankheitskeims durch fliessende 
Gewässer) nicht za unterlassen; er regt za diesen Zweck die Mitteilang von 
Krankheitsherden im Regierungs-Amtsblatt an. 

Einer Absonderung werde in ländlichen Verhältnissen wirksam am 
besten dadurch Rechnung getragen, dass man die Kranken unter Entfernung der 
Gesunden in ihrer Wohnung belässt, sobald ausreichende Bedingungen fttr die 
Absonderung (Einfamilienhäuser, genügendes Pflegepersonal) gegeben sind; in 
grösseren Gehöften oder in Massenwohnhäusern dagegen sei die Ueberführung 
schon der ersten Fälle in ein Krankenhaus unerlässlich. Da jedoch die Kranken* 
häuser der kleinen Städte, um welche es sich vorzugsweise handle, oft zn klein 
und fttr den Zweck der Isolierung unzweokmässig eingerichtet sind, wird 
empfohlen, neben dem Krankenhause eine Baracke aufzustellen; letztere 
dürfe indessen wegen der Benutzung im Winter nicht zu leicht gebaut sein. 

Bei der Desinfektion fällt die Hauptaufgabe der fortlaufenden 
Reinigung während der Krankheit zu, da es leichter ist, die Krankheits- 
keime abzufassen und zu vernichten, solange sie sich nicht bereits nach allen 
Richtungen zerstreut haben; dann werde sich auch die Schluss'Desinfektion, 
die besonders in ländlichen Verhältnissen mit grossen Schwierigkeiten ver- 
knöpft ist, um so einfacher gestalten. Ausserdem solle während der Krankheit 
das geeignete Personal (Berafspflegerin) vorhanden sein, und sei eine Kontrolle 
der Desinfektion durch den behandelnden Arzt mindestens wünschenswert. 
Erforderlich sei eine Belehrung über die Vornahme der Desinfektion durch 
gedruckte Verhaltungsvorschriften, wodurch auch mehr Einheitlichkeit in 
das Verfahren gebracht werde. Wie die Verhältnisse jetzt lägen, würden von den 
behandelnden Aerzten die Desinfektionsmittel vorgeschrieben, jeder Arzt habe 
aber seine besondere Methode and eigene Mittel; hierdurch werde die Aus* 
ftthrung der Desinfektion ausserordentlich erschwert und der Erfolg leicht ver* 
eitelt. Was die Ueberwachung der sanitätspolizeilicben Vorschriften durch den 
behandelnden Arzt anlangt, so hält ihn nach § 17 des noch geltenden Regulativs 
vom 8. August 1885 Referent hieran fttr die in diesem benannten Krankheiten 
gesetzlich verpflichtet. 

Schliesslich sei der Vertilgung von Ratten und Mäusen, 
namentlich mit Rücksicht auf ihre Gemeingefährlichkeit bei der Pest, beson¬ 
dere Aufmerksamkeit zu schenken, and nicht nur bei drohender Pestgefahr, 
sondern jeder Zeit mit Vertilgungsmatsregeln vorzugehen. Das Geschäft sei 
am besten sachverständigen Leuten (Kammerjägern) zu übertragen. — 

Die Diskussion über beide Vorträge eröffnet der Vorsitzende mit 
der Bemerkung, dass von den Referenten teilweise über den Rahmen des auf 
der Tagesordnung stehenden Gegenstandes durch Erörterung von auf die 
Landesgesetzgebung bezüglichen Fragen hinausgegangen sei. Es werde sich 
nicht ganz vermeiden lassen, in der nunmehr folgenden Besprechung auch diese 
Fragen zu streifen; es empfehle sich jedoch, sich tunlichst an das Thema 

— das Reichs seuchengesetz — zu halten. Bezüglich der von Dr. Leder ge¬ 
wünschten Meldekarten weist er darauf hin, dass solche durch die Anweisung 
zar Bekämpfung der Pest in Anlage 4 als Zählkarten für einen Pestfall bereite 
vorgesohrieben und dass durch den Min.-Erl. vom 26. November 1902 bezw. die 
Regiernngsverfttgung vom 4. März 1908 — Pa. XV/VI 228 — die Benutzung 
dieser Karten nach handschriftlicher Abänderung des Vordrucks auch bei den 
anderen im Reiohsseuchengesetz namhaft gemachten Krankheiten verbindlich 
gemacht sei. Diese Karten hätten den Aufdruck portopflichtige Dienstsache. 
Ferner macht er anlässlich eines Einselfalles von Pocken darauf aufmerksam, 
dass bei den in Rede stehenden Krankheiten und nicht bloss bei der Pest die 
Ortspoliseibehorde zur telegraphischen Berichterstattung und zur Einreichung 
der wöchentlichen Nachweisungen an den Herrn Regierungspräsidenten gemäss 
des § 13 gen. Anweisung und der Regierungs* Verfügung vom 4. März 1908 

— Pa. 223 — verpflichtet ist, und ersucht die Herren Kreisärzte, diese Vor* 
sehrift gegebenenfalls in Erinnerung zu bringen. Betreffs der z. Zeit sonst 
noch anzeigepflichtigen Krankheiten, wie Unterleibstyphus, Soharlachfleber 
u. dergl. müsse es zunächst, d. h. bis zum Erlass des preussischen Ausftthrungs- 
gesetzes, bei den bisherigen Meldeformularen und Portofreiheit bietenden Brief* 

söhligen sein Bewenden haben. Bezüglich der vom Korreferenten an ge- 



Atu Versammlungen und Vereinen. 829 

führten Pflicht der Ueberwachnng der Desinlektionsyorsohriiten durch den 
behandelnden Arzt, sei feBtzuh&lten, dass das Reicbsseuchengesetz jetzt für 
Cholera und Pocken massgebend ist, der § 17 des preussischen Regulativs vom 
8. Angast 1835 also für diese beiden Krankheiten nicht mehr verbindlich sein 
kann. Nnr Zuwiderhandlungen gegen die behördlichen Vorschriften seien anch 
hier — gemäss § 46 des Beichsgesetzes — strafbar. 

Betreffs der Absondernng, der Desinfektionen und der Assanierung der 
Ortschaften bringt Kreisarzt Dr. Meyen-Moskau einige Wünsche bezüglich 
der Badeorte zur Sprache, die sich bei den heutigen Verkehrsverhältnissen 
ebenso im Weltverkehr befinden, wie die Seehäfen und andere Eingangspunkte 
ausländischer Seuchen, und deren Betrieb durch das Auftreten der ansteckenden 
Krankheiten völlig lahm gelegt werden könne. Zunächst müsse eine voll¬ 
kommene Absonderungsmöglichkeit vorhanden sein, welcher am besten durch 
eine nicht zu kleine, den Witterangsverhältnissen trotzende feste Baracke 
Bechnung getragen werde. 

Zur gründlichen Desinfektion von verseuchten Gegenständen sei ein 
Dampfdesinfektionsapparat unerlässlich, lür die Baumdesinfektion halte er die 
mechaniscne Beinigung durch Desinfektoren für das wirksamste Verfahren. 
Als besonders hierfür geeignete Persönlichkeiten bringt Meyen die Lazaret- 
gehülfen (Sanitäts-Unteroffiziere) der Beserve und Landwehr, bezw. geübte 
Krankenwärter in Vorschlag. 

Als letztes Erfordernis zur Abwehr der Seuchen stellt er die bestmög¬ 
liche Assanierung der Badeorte durch Schaffung zentraler Wasserversorgungs- 
Anlagen, Kanalisations- und Beinigungs-Einrichtungen von Abwässern, am 
besten nach dem Sch weder sehen System, auf. 

Hinsichtlich der Isolierbaracken äussert sich Kreisarzt Dr. Stein¬ 
berg - Hirschberg dahin, dass diese für an Pest und Cholera Erkrankte in Bade¬ 
orten weniger in Frage kommen dürften, weil letztere beim Auftreten solcher 
Krankheiten von den Badegästen verlassen werden, auch die beschränkten Räum¬ 
lichkeiten einer Baracke für die Aufnahme der einzelnen Kategorien (Er¬ 
krankte, Krankheits verdächtige, Ansteckungsverdächtige) sich als unzureichend 
erweisen würden. In Betracht kämen hier lediglich die landläufigen ansteckenden 
Krankheiten, wie Diphtherie, Scharlach, Masern, Unterleibstyphus; zur Unter¬ 
bringung solcher Kranker sei die Bereithaltung einiger, eine vollkommene 
Absonderung ermöglichender Logierhäuser seitens der Badeverwaltung zweck¬ 
mässig. 

Den Vorschlag des Korreferenten Horn: Die Bekanntmachung epidemisch 
auf tretender Krankheiten durch das Regierungs-Amtsblatt erfolgen zu lassen, 
will Kreisarzt Geh. Med.-Bat Dr. KO hier-Landeshut durch eine Verfügung 
ersetzt wissen, nach der die Kreisärzte zu gegenseitiger Mitteilung ver¬ 
pflichtet werden, wogegen der Referent Leder um Uebermittelung der Mon- 
tagskarten seitens der Behörde an die interessierten Medizinalbeamten bittet. 
Auf Vorschlag von Kreisarzt Dr. Scholtz-Goldberg treffen die versammelten 
Kreisärzte, um Weitläufigkeiten zu vermeiden, dahin eine Vereinbarung, das 
Auftreten wichtigerer ansteckender Krankheiten fortab gegenseitig sich nach¬ 
barlich kurzer Hand mitzuteilen. 

Die im Anschluss an die Vorträge aufgestellten Leitsätze werden in 
folgender Fassung angenommen: 

1. Für die Unterbringung von Kranken bezw. von krankheits- oder 
anBteckungsverdächtigen Personen sind tunlichst allerorts „Unterkunfts¬ 
häuser “ bereit zu stellen. Für kleinere Krankenhäuser, in denen Abson¬ 
derungsräume fehlen, empfiehlt sich die Aufstellung von Baracken. 

2. Die Einführung der obligatorischen Leichenschan ist nach wie vor, 
jedenfalls aber die allgemeine Einrichtung von Leichenhallen auf den 
Kirchhöfen anzustreben. 

3. Es empfiehlt sieb, die Desinfektoren als vollamtliche Gesundheits¬ 
unterbeamte anzustellen, welche auch andere im Interesse der öffentlichen 
Gesundheitspflege liegenden Geschäfte übernehmen und die Ausführung der 
gesundheitlichen Anordnungen überwachen. 

4. Der Desinfektion während der Krankheit ist grossere Sorgfalt zu- 
zuwenden als bisher. 

5. Eine regelmässige gesundheitliche Ueberwachung der 



880 


AtU Versammlungen fand Vereine!. 


Brunnen, Wasserllnfe, Aborte und sonstiger Bedürfnisanstalten durch 
die Kreisärzte und Ortspolizeibehörden ist wünschenswert. 

II. Die neue Polizeiverordnung, betreffend den Verkehr mit Arznei¬ 
mitteln ausserhalb der Apotheken vom 14. April 1908 und die „An¬ 
weisung“ für die Aufsicht über die Drogen-, Material-, Farben- und 
ähnlichen Handlungen (Ministerial-Erlass vom 22. Dezember 1902, M. Nr. 6687). 

Der Belerent Kreisarzt Dr.Feige-Hoyerswerda gab zunächst kurz den 
Inhalt der Polizei Verordnung und der ministeriellen Anweisung an; die wesent¬ 
lichsten Aenderongen gegen die Anweisung vom 1. Februar 1894 bestehen in 
der Forderang der Aufstellung eines Besichtigungsplanes durch den Kreisarzt, 
der Einreichung eines Lagepianes der Geschäftsräume seitens des Geschäfts¬ 
inhabers, in den genauen Vorschriften über die Bezeichnung der Behältnisse 
und hber deren Aufstellung in den Geschäftsräumen. 

Da jedoch selbstverständlich Einzelheiten in der ministeriellen Anweisung 
fehlen, so ist fttr die einzelnen Bezirke eine Ergänzung der Anweisung 
erforderlich. Als Vorbild kann die VerfOgung des Herrn Regierungs¬ 
präsidenten in Trier vom 11. Hai 1898 dienen. 

Zanäohst ist eine Aufzählung der Waren-Kategorien nötig, welche nach 
der Reichs-Gewerbe-Ordnung die Anzeige des Geschäftsbetriebes nötig machen, 
da sonst viele Handlangen diese Anmeldung unterlassen würden und daher 
nicht besichtigt werden könnten. Auf Grund der Anzeigen der Händler solle 
der Landrat ein Verzeichnis der Handlangen aufstellen lassen und dies dem 
Kreisarzt Übermitteln. Vorher seien die §§ 36 und 148 der Gewerbeordnung 
öffentlich bekannt zu machen. Das Verzeichnis sei alljährlich zu ergänzen. 

Zar Ausführung von Beschlagnahmen bei Gefahr im Verzüge müsse der 
Vertreter der Ortspolizeibehörde bei den Besichtigungen zugleich Hülfsbeamter 
der Staatsanwaltschaft sein; 1 ) hierzu gehörten nicht Polizei-Sergeanten und 
Gendarmen, wohl aber Bürgermeister, Polizeiinspektor, Polizeikommissar, Amta- 
vorsteher. Wenn die Zuziehung des Kreisarztes, soweit tunlich, za erfolgen 
hat, so ist der Ausdruck: „soweit tunlich“ so aufzafassen, dass die Zuziehung 
nur bei Verbinderang, Erkrankung oder Anwesenheit des Kreisarztes au unter¬ 
bleiben hat, nicht aber wegen zu hoher Kosten. Um diese nicht zu hoch an- 
sohwellen zu fassen, sollten die Besichtigungen tunlichst auf Rundreisen oder 
bei gelegentlicher Anwesenheit vorgenommen werden; die Kosten seien beim 
Landrat zu liquidieren und von diesem gleichmässig zu verteilen, weil hier¬ 
durch am besten Klagen über zu hohe Liquidationen sowie Streitigkeiten ver¬ 
hindert werden. 

Falls der Kreisarzt ausnahmsweise an einer Besichtigung nicht teil¬ 
genommen habe, sei ihm die Verhandlung darüber znr Stellung von Anträgen 
sofort zu übermitteln; die verhängten Strafen seien ihm zur Aufstellung der 
Nach Weisungen für den Jahresbericht am Jahresschluss bekannt zu geben. 

Zur Aufstellung des Besiohtigungsplanes habe die Ortspolizeibehörde 
spätestens bis zum 1. Oktober jeden Jahres die erforderlichen Anträge beim 
Kreisarzt zu stellen. 

Hat die Besichtigung einer Handlung bereits durch einen Vertreter der 
oberen Verwaltungsbehörde etwa gelegentlich einer Apothekenbesichtigung 
stattgefunden, so könne die alljährliche Besichtigung durch den Kreisarst bezw. 
Apotheken unterbleiben. Nachbesichtigungen könnten meist durch die Ortspolizei- 
behörde allein vorgenommen werden, ohne Zuziehung eines Sachverständigen. 

Schliesslich wünschte der Vortragende, dass die Konzessionsbehörden von 
Aufsichtswegen ersucht werden, die Prüfung von Gifthändlern durch den Kreis¬ 
arzt gemäss § 66 der Dienstanweisung in jedem Falle vornehmen zu lassen, 
da zum Teil dieser Paragraph so ausgelegt würde, dass nur dann die Prüfung 
stattzufinden habe, falls die Konzessionsbehörde es für erfotderlich erachtet. 

In seinem Korreferat beschränkt sich Kreisarzt Dr. Meyen-Huskan 
auf die Besprechung der vom Referenten aufgestellten Leitsätze. Er hält die 
genaue Aufzählung der Waren, welche die Anzeige der Eröffnung des Gewerbe¬ 
betriebes nach § 35, Abs. 6 der Gewerbeordnung nötig machen, nioht für er¬ 
forderlich, wünscht dagegen, dass von jedem, der Drogen usw. feilhalten wolle, 
ein Verzeichnis der von ihm gehaltenen Mittel dem Landrat einzureiehen sei, 
welcher dies nach Mitteilung an den Kreisarst öffentlich bekannt gebe. 


') 8. § 98 der Str.-Pr.-O. 



Au Versammlungen and Vereinen. 


881 


Bei dem öffentlichen Hinweis auf den g 86 der Gewerbeordnung seien 
auch die im § 148 vorgesehenen Strafen in Erinnerung sn bringen, ebenso sei 
die Möglichkeit der Untersagung, falls durch die Handhabung des Gewerbe¬ 
betriebes Leben und Gesundheit gefährdet werde, bekannt tu geben. 

Hinsichtlich der Personen, welche an der Besichtigung teilnehmen, soll 
in erster Linie der Kreisarst berücksichtigt werden, eher könne der Apotheker 
iehlen; namentlich bei Drogenscbrankrevisionen lehre die Erfahrung, dass 
durch den Medizinalbeamten fast regelmässig mehr Zuwiderhandlungen fest¬ 
gestellt werden, als durch Apotheker. Der Kostenfrage wegen empfiehlt es 
sich, solche Besichtigungen gelegentlich oder auf Bnndreisen vorzunebmen. 

Nicht erforderlich sei eine Prüfung derjenigen Personen, welche die 
Genehmigung zum Gifthandel nachsuchen, vor Erteilung derselben. 

In der Diskussion macht der Vorsitzende hinsichtlich der Besichti¬ 
gung allein durch den Kreisarzt geltend, dass dies dem Wortlaut des 
Ministerial-ErlaBses widerspreche, welcher die Besichtigung in erster Linie dem 
Apotheker übertrage; es liege jedoch in der Hand des Kreisarztes, durch Ver¬ 
einbarung mit der Orts-Polizeibehörde seine Zuziehung su bewirken. 

Desgleichen hält er nach gemachten Erfahrungen die Prüfung der Kon¬ 
zessionsanwärter zum Handel mit Giften durch den Kreisarzt für notwendig. 

Geh. Med.-Bat Dr. Köhler richtet sich gegen den Vorschlag, dass die 
Gebühren für die Besichtigungen durch den Landrat auf die Verpflichteten gleich- 
mässig zu verteilen und einzuziehen seien, den er für undurchführbar hält. 

Der Vorsitzende bemerkt, dass im Beg.-Bez. Trier sich dieses Ver¬ 
fahren bewährt habe; die Landräte hätten sich nie geweigert, die Liquidationen 
der Medizinalbeamten in ihrem BOreau in der vom Bef. vorgeschlagenen Weise 
auf die Zahlungspflichtigen Verbände zu verrechnen, demgemäss einziehen zu 
lassen und die Beträge im Ganzen an den betr. Kreisarzt abzuführen. Diese 
Art der Einziehung habe viele Vorteile. Er hoffe, das Gleiche auch im Bezirk 
Liegnitz durohzuführen. 

Med.-Bat Dr. C ö s t e r - Bunslau hebt hervor, dass die Verhandlungen über 
die ohne den Kreisarzt vorgenommenen Besichtigungen sowie über die etwa 
verhängten Strafen ihm nicht erst am Jahresschluss, sondern mit BUcksicht 
auf die eintretende Verjährung spätestens innerhalb 14 Tagen nach erfolgter 
Besichtigung bekannt zu geben sind. 

Nachdem Kreisarzt Meyen die von ihm ausgearbeiteten Muster eines 
„Verzeichnisses“ der betreffenden Handlangen, sowie einer „Niederschrift“ 
über das Ergebnis der Besichtigung der Versammlung vorgelegt hat, nimmt 
diese die von den beiden Beferenten vorgeschlagenen Leitsätze in folgender 
Fassung an: 

1. Es ist mittelst öffentlicher Bekanntmachung eine Aufzählung der¬ 
jenigen Kategorien von Waren — z. B. Kräuter, Salze usw. — zu bewirken, 
welohe die Anzeige der Eröffnung des Gewerbebetriebes nach § 85, Absatz 6 
der Gewerbeordnung und zwar mit rückwirkender Kraft nötig machen. 

2. Es ist durch den Landrat nach vorhergegangener Bekanntmachung 
der gesetzlichen Bestimmungen ein Verzeichnis der zu besichtigenden Hand¬ 
langen aufzustellen und dem Kreisarzt mitzuteilen. Das Verzeichnis ist all¬ 
jährlich zu ergänzen. In zweifelhaften Fällen ist der Kreisarzt zu hören. 

8. Der Kreisarzt hat tunlichst an sämtlichen Besichtigungen teilsu- 
nehmen; bei Besichtigung von Drogenschränken ist die Gegenwart des Apo¬ 
thekers entbehrlich. 

4. An den Besichtigungen hat ein Vertreter der Orts-Polizeibehörde, der 
zugleich Hülfsbeamter der Staatsanwaltschaft ist, teilzunehmen. 

6. Die Verhandlungen (Niederschriften) über die etwa ohne den Kreisarst 
voigenommenen Besichtigungen sind dem Kreisarzt baldtunlichst, die etwa 
verhängten Strafen am Jahresschlüsse bekannt su geben. 

6. Die Besichtigungen auf dem Lande sind möglichst auf Bundreisen 
oder bei gelegentlicher Anwesenheit des Kreisarztes vorzunehmen. 

7. Die Gebühren für die vorstehend gen. Besichtigungen sind durch den 
Landrat auf diejenigen, welche die Kosten zu tragen haben, gleiohmissig su 
verteilen und einzuziehen. 

8. Die Konsessionsbehörden sind su ersuchen, gemäss § 66 der Dienst¬ 
anweisung für die Kreisärzte in jedem Falle diejenigen Personen, welche die 



832 


Au Versammlungen and Vereinen. 


Genehmigung zam Gifthandel noehsachen, vor Brteilang der Genehmigung 
durch den Kreisarzt prüfen zn lassen. — 

Zam Schiass macht der Vorsitzende einige geschäftliche Mit¬ 
teilungen, die hauptsächlich die formale Seite der Berichterstattung n. ä. 
betreffen, so die Gebührenverseichnisse, die Gesehen-Vermerke der Kreisärzte 
auf den Berichten der Landräte, die Formulare C and D für die Besichtigung 
der Privat-Irrenanstalten, die richtige Ausfüllung der Formalere IV (Drogen- 
handlangsbeBichtigangen) im Jahresbericht, die Notwendigkeit, sich bei Begut¬ 
achtung von gewerblichen Anlagen nicht anf das technische Gebiet an 
begeben n. a. 

Nach Schluss der Sitzung — 4'/« Uhr — fand ein gemeinschaft¬ 
liches Essen in den Räumen der Ressourcen - Gesellschaft statt. 

Nachtrag;. 

Die zn Punkt II der Tagesordnung beschlossenen Leitsätze haben in¬ 
zwischen in einer Reg.-Verffignng vom 21. Juli 1903 1 ) — Pa. VI 3117 — betr. 
Revision der Drogenhandlangen, Aasdraok gefunden. Es ist darin bemerkt, 
dass au Ziffer 2 der im Min.-Erl. vom 22. Dezember 1902 enthaltenen An¬ 
weisung hervorgehe, dass „von der Zuziehung des Kreisarztes nur bei dienst¬ 
licher oder anderweitiger Behinderung Abstand genommen werden könne*. 
Nachdem die Erledigung der Besichtigungen durch Rundreisen oder bei gelegent¬ 
licher Anwesenheit des Kreisarztes empfohlen ist, heisst es weiter: „Bei der 
Ausführung von Rundreisen wird es Sache des Kreisarztes sein, die Zuziehung 
entfernter wohnender Apotheker, zur Vermeidung zn hoher Reisekosten, tun¬ 
lichst zn vermeiden. Sollte aber die Zuziehung eines Apothekers auf Schwierig¬ 
keiten stossen, so wird deshalb die jährliche Besichtigung nicht unterbleiben 
dürfen, sondern von dem Kreisarzt mit der Ortepolizeibehörde allein anszn- 
führen sein.* Des weiteren wird ausgeführt, dass, wenn mit den nach dem Min.- 
Erl. vom 17. April 1903 durch den Kreisarzt zn revidierenden Gift warenhandlnngen 
gleichzeitig Arzneiwarenhandlangen von unerheblicher Ausdehnung verbunden 
seien, es keinem Bedenken unterliege, wenn in solchen Fällen von der Zu¬ 
ziehung eines zweiten Sachverständigen (Apothekers) Abstand genommen werde. 
Das Gleiche gelte ans Ersparnisrücksichten von der Besichtigung von länd¬ 
lichen Drogensohränken. 

Die neuen Verzeichnisse der in jedem Kreis ermittelten Drogen-, 
Materialwaren-, Farben- and ähnlichen Handlangen sollen zum 15. September 
d. J. in den Händen der Kreisärzte sein. 

In einem für den ganzen Reg.-Bes. erlassenen „Master* der an Ort und 
Stelle über die Besichtigung aufzunehmenden „Niederschrift* sind die in der 
Reg.-Polizei-Verordnung, betr. den Verkehr mit Arzneimitteln ausserhalb der 
Apotheken vom 14. April 1903 enthaltenen GrundzUge sämtlich berücksichtigt. 
Sie ist trotzdem so kurz als möglioh gefasst. 

In dem an die Kreisärzte gerichteten Abschnitt dieser Verfügung werden 
jene ersucht, bei der Ueberwachnng der gesetzlichen Bestimmungen über den 
gen. Arznei- und Giftwarenhandel auch anf die gegebenen Verhältnisse, nament¬ 
lich anf die finanziellen Mittel der Zahlungspflichtigen Rücksicht zn nehmen nsw. 
Bei Rundreisen sei in der Regel ein voller Arbeitstag anfzuwenden. — 

In einer weiteren Reg.-Verf. vom 4. August d. J.*) — Pa. VI/XV 3898 — 
ist die in dem Leitsatz 8 ausgesprochene Forderung betr. die Prüfung der¬ 
jenigen Personen, welohe die Genehmigung zum Handel mit Giften naebsnehea, 
berücksichtigt; in ihr wird auch Anweisung zur Erledigung der Bedürfnisfrage 


l ) Siehe Beilage zn dieser Nummer, 8. 292. 
*) Ibidem, S. 296. 



Aas Versammlungen and Vereinen. 833 

mittelst Angabe der Zahl and der Namen der sa genehmigenden Gifte 
erteilt. — 

Sbhliesslich sind die LandrKte in einer dritten Verfügung Tom 4. Aagnst 
d. J. 1 ) — Pa. VI/XV 3897 — im Anschluss an die erstgenannte vom 21. Jali d. J. 
darauf aufmerksam gemacht worden, dass in fast allen St&dten and grosseren 
Städten und grosseren Dörfern Eanflente und Krämer einen schwanghaften 
Handel mit allerlei, nach der Kais. Verordnung vom 22. Oktober 1901 ver¬ 
botenen zusammengesetzten Arzneimitteln treiben; das Gleiche geschehe durch 
Hausierer im Umherziehen, so mit Hamburger Pflaster, Hiengfong-Essenz, 
Mentholin, Harzer Gebirgsthee u. ▼. a. Es wird angeordnet, die Aufmerksam¬ 
keit der OrtspolizeibehOrden auf diese Geschäfte, auch wenn der Arzneimittel- 
handel nicht angemeldet worden sei, ebenso die der Gensdarmen auf genannten 
Arzneimittel vertrieb durch Krämer und Hausierer hinsulenken und die Herbei¬ 
führung der sofortigen Beschlagnahme der verbotenen Arzneimittel durch die 
OrtspolizeibehOrden gefordert. — 

Die vorstehenden Massnahmen sollen dazu dienen, die viel¬ 
fachen Uebervorteilungen der leichtgläubigen Bevölkerung einzuschränken, 
Gesundheitsbenaohteiligungen vorsubeugen, auch den in ihrer Lebensfähigkeit 
durch den verbotwidrigen Verkauf von Arzneien oft schwer geschädigten 
Apothekenbesitzern auf dem platten Lande und in den kleineren Städten 
Schutz zu gewähren, anderseits die Errichtung neuer Apotheken in Fällen 
des Bedürfnisses sum Nutzen der Bevölkerung zu erleichtern. 

S c h m i d t - Liegnitz. 


Bericht Aber die 28. Versammlung 
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege 
in Dresden am 16.—19. September 1903. 

(Schluss.) 

Zweiter Sitzungstag; Freitag, den 18. September. 

Den einzigen Verhandlungsgegenst&nd des letzten Sitzungstages bildete 
Die Bauordnung im Dienste der öffentlichen Gesundheitspflege. 

Die von den beiden Referenten aufgestellten Leitsätze hatten fol¬ 
genden Wortlaut: 

„1. Bedeutung der gesundheitlichen Forderungen. 

Bei allen Bauten sind die Anforderungen der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege, deren Wichtigkeit namentlich auch in sozialer Hinsicht anzuerkennen 
ist, in erster Reihe mit zu berücksichtigen. 

Diese Anforderungen sind teils zwingender Natur, teils bezeichnen sie 
nur das Wünschenswerte. Auch sind viele derselben dem Grade nach abhängig 
von den Verhältnissen des Ortes and des Ortsteiles, sowie von dem Umstande, 
ob es sich um rein ländliche und landwirtschaftliche oder um städtische, stadt¬ 
ähnliche und industrielle Verhältnisse, ferner ob es sich um Eigenwobnhluser 
oder Mietgebäude, wichtige oder minder wichtige Gebäudeteile bandelt. Länd¬ 
liche und landwirtschaftliche Bauten sollen hier ausser Betracht bleiben. 

Zwingende Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege gehen den 
wirtschaftlichen Interessen der Grundbesitzer und Bsuherren, sowie den Be¬ 
strebungen auf Erhaltung alter und sogenannter volkstümlicher Bauweisen vor. 
Zwischen diesen Interessen und Bestrebungen einerseits und den bloss wünschens¬ 
werten gesundheitlichen Anforderungen anderseits muss ein billiger Ausgleich 
gesucht werden. 

2. Stadtbauplan. 

Schon bei Feststellung des Stadtbauplans ist auf die gesundheitlichen 
Ansprüche Bedacht zu nehmen, namentlich mit Bezug auf Wasserversorgung 
und Entwässerung, auf solohe Strassenrichtungen und Blockbildungen, die eine 


*) Siehe Beilage zu dieser Nummer, S. 296. 



834 


Aus Versammlungen und Vereinen. 


ausreichende Besonnung, Erhellung und Lttftung sicherstellen, sowie auf die 
ausreichende Anlage Ton freien Plätzen und Öffentlichen Pflanzungen, nament¬ 
lich Spiel- und Erholungsplätzen. • 

Fflr die Ausführung des Stadtbauplans ist die gesetzliche Regelung der 
Grundstücksumlegungen und die Erweiterung der Enteignnngsbefngnisse, inso¬ 
weit sie jetzt noch anf die für Strassen nnd PIStze bestimmten Flüchen be¬ 
schränkt ist, insbesondere hinsichtlich der Enteignung unbebauter Bestparzellen 
und gesundheitswidriger Baulichkeiten, anzustreben. 

Auch ist es in der Begel erforderlich, dass die Gemeinden sich die eigene 
Herstellnng der Strassen, Kanäle (Schleusen) und Wasserleitungen — unter 
Umständen für Bechnnng der Grundbesitzer — Vorbehalten. 

3. Zulässigkeit der Bebauung. 

Darch die Bauordnung sind zunächst die Voraussetzungen der Bebauungs- 
ffthigkeit der Grundstücke zu bestimmen. Dabei ist im Öffentlichen Gesund¬ 
heitsinteresse fe8tsustellen, dass kein Grundstück bebaut werden darf, solange 
nicht gesorgt ist: 

a) für geeignete Entwässerung durch Kanalisation oder andere unbedenkliche 
Einrichtungen; 

b) für Versorgung mit ausreichendem und gutem Trinkwasser mittels Wasser¬ 
leitung oder bedenkenfreier Brunnen; 

c) für die Beseitigung von Ablagerungen faulender und fänlnisfähiger Stoffe; 

d) für Regelung der Grenzen, soweit dieselbe zur Erzielung einer zweck¬ 
mässigen Grundstücksform nOtig ist; 

e) endlich, im Uebersohwemmnngsgebiet, für Regelung oder Eindeichung des 
Wasserlanfs oder Aufhühung der Strassen und des Baugrundes über die 
Hochwasserlinie. 

Die Anforderungen unter a, b und c sind zwingende; diejenigen unter 
d und e sind dringend wünschenswert. 

4. Anforderungen, die dem Grade nach veränderlich sind. 

Da die Luft-, Licht und Besonnnngsverhältnisse von grösster Wichtig¬ 
keit für die Öffentliche Gesundheit sind, da ferner die dauernde Anhäufung 
vieler Menschen auf beschränktem Raum in gesundheitlichem Interesse ver¬ 
mieden werden muss, so ist die Bauweise derart festzusetzen, dass 

a) die Gebäudehohe in angemessenem Verhältnis steht sowohl zur Strassen- 
breite, als zu den Gebäudeabständen auf den Grundstücken; 

b) die Hinterlandhebauung behufs Gewinnung ausreichender HOfe nnd Gärten 
überhaupt beschränkt wird; 

c) gewerbliche Betriebe, welche durch Lärm, Staub, Rauch oder Aus¬ 
dünstungen gesundheitsschädigend oder belästigend wirken, von den Wohn¬ 
stätten tunlichst ferngehalten werden; 

d) zwischen geschlossener Bauart einerseits und halboffener oder offener 
Bauart anderseits, soweit letztere nicht ausschliesslich in Frage kommt, 
abgewechselt, 

e) die Zahl der übereinander liegenden Wohngesohosse beschränkt, 

f) auch die Zahl der Wohnungen in den einzelnen Geschossen begrenzt wird; 

g) endlich auch Licht und Luft im Innern der Gebäude überall ausreichend 
gesichert ist. 

Die vorgenannten gesundheitlichen Anforderungen sind ihrem Grade nach 
bedingt durch die Verschiedenheit der Bodenwerte, der Ortslagen, der Wohn- 
weisen und der Gebäudeteile. Sie sind deshalb in der Regel abzustufen 
nach Ortsteilen, Gebäudegattungen und Raumgattungen. 

6. Die Abstufung nach Ortsteilen 
bezieht sich auf die Anforderungen 4a bis f, und zwar ist: 

Zu a. ein solches Verhältnis zwisohen Gebäudehohe nnd 8trassenbreite, 
beaw. Gebäudeabstand anzustreben, dass allen zum dauernden Aufenthalt von 
Menschen bestimmten Räumen das Himmelslicht unter einem Winkel von 
45 Grad zugeführt wird. Ausserdem empfiehlt ob sich, die zulässige Maximal¬ 
hohe der Gebäude staffelweise zu beschränken (z. B. von 20 m bis 12 m, ge¬ 
messen bis zur Traufkante des Dachgesimses). 

Zn b. Die Freilassung des Hinterlandes kann herbeigeführt werden durch 
Verbot von Hinterwnhnungen, d. h. soloher Wohnungen, die nur von den hinteren 
Grundstücksteilen Luft und Licht beziehen, ferner durch Festsetzung rück¬ 
wärtiger Baultnien, endlich durch Vorschriften über die Mindestbreite und 



Aut Versammlungen und Vereinen. 


835 


Mindestfläche der Höfe. Die Hindesfcfl&ehe wird entweder absolut oder im Ver¬ 
hältnis snr Grösse des Baugrundstücks oder anf beide Arten bemessen; anoh 
kann sie von der Zahl der Wohnungen abhängig gemacht werden. 

‘""'Za e. Es ist wünschenswert, gewerbliche Betriebe der angegebenen Art 
▼on Wohnvierteln anssnschliessen. Dagegen empfiehlt es sieh, sie in anderen 
Ortsteilen durch entsprechende Einrichtungen, namentlich für Verkehr und 
Wasserableitung, au begünstigen. 

Zu d. Luft, Licht und Sonnenstrahlen werden den Gebäuden am besten 
gewährleistet dnrch die offene Banart; ihrer allgemeinen Verbreitung stehen 
jedoch wirtschaftliche Nachteile geschäftlicher nnd baulicher Art entgegen. 
Für Geschäftsstrassen nnd städtische Arbeiterwohnhänser muss deshalb auf die 
offene Banweise in der Regel versiebtet werden. Unter Milderung der er¬ 
wähnten Nachteile werden die Vorstlge des offenen Banens grösstenteils bei- 
bebalten dnrch Anordnung der halboffenen Bauweise oder des sogenannten 
Gruppenbaues, wobei nicht alle Häuser frei stehen, sondern geschlossene Reihen 
mit Lücken abweohseln. Besondere Empfehlung, auch für Arbeiterwohnhänser, 
verdient diejenige halboffene Bauweise, bei welcher swei Langseiten eines 
Blocks geschlossen bebaut werden, während die Querseiten in der Sonnenrich¬ 
tung offen bleiben. 

Zu e. Die Höchstsahl der Wohngesohosse pflegt in Grossstädten abge- 
stuft zu werden von 5 bis 2 (so beispielsweise in Mönchen und in Berlin mit 
Vororten) oder von 4 bis 2 (so z. B. in Köln und Düsseldorf). In minder 
grossen Städten empfiehlt es sich, die Höchstsahl der Wohngesohosse auf 3 und 
2 festzusetsen. 

Zu f. Die Zahl der Wohnungen in demselben Geschoss kann staffelweise 
eingeschränkt werden auf etwa vier bis zwei Wohnungen oder bis auf eine 
Wohnung. Die Zulassung von mehr als swei Wohnungen in demselben Ge¬ 
schoss ist davon abhängig zu machen, dass jede Wohnung für sieh ausreichend 
durchlüftet werden kann. 

6. Die Abstufung nach Gebäudegattungen 
kann besonders sich erstrecken auf die zulässige Zahl der Wohngesohosse, auf 
die Mindesthöhe derselben, sowie auf die Breiten der Treppen und Flure (4, e 
und g). Als Gebäudegattnogen kommen namentlich in Frage grosse Mietbäuser 
einerseits, sowie kleine Miethäuser und Einfamilienhäuser anderseits. Wo die 
Grenze zwischen grossen und kleinen Miethäusern liegt, ist nach den Verhält¬ 
nissen des Ortes zu bestimmen. 

Zu 4 c. Behufs Begünstigung des Baues kleiner Häuser und Einfamilien¬ 
häuser ist es zu empfehlen, för diese in den verschiedenen Ortsteilen ein Ge¬ 
schoss mehr zu gestatten als för das grosse Haus. 

Zu 4 g. Während in grossen Häusern die geringste lichte Stoekwerks- 
höhe (mit Ausnahme von Keller- und Dachgeschoss) in der Regel 8 m betragen 
soll, kann sie beim kleinen Hause und besonders beim Binfamilienhause — 
wegen der minder dichten Bewohnung — in den oberen Geschossen bis auf 
2,85 m ermässigt werden. 

Ebenso bann beim kleinen Hause und Binfamilienhause die Breite der 
Treppen und Flure bis anf 1 m und weniger eingeschränkt werden. 

7. Die Abstufung nach Raumgattungen 
besieht sich insbesondere auf solche Räume, welche zum dauernden, und 
solche, die nur zum vorübergehenden Aufenthalt von Menschen dienen, 
ausserdem auf Räume im Keller- und im Dachgeschoss (4 g). 

«) Während för dauernd zu benutzende Räume (Wohn-, 8chlaf- und 
Arbeitsräume, auoh Köchen, Wirtssimmer und Verkaufsläden) die örtlich abge- 
stuften Anforderungen zu 4 a nnd b unbedingt gelten, empfiehlt es sich, behufs 
Erleichterung der Grundrissbildung und der besseren wirtschaftlichen Boden- 
ausnntsung zu gestatten, dass vorübergehend benutzte Räume (wie Treppen, 
Flnre, Speisekammern und andere Vorratsräume, Waschküchen, Badezimmer 
und Aborte) ihre Luft und ihr Liebt auch von kleineren Höfen, sogenannten 
Liehthöfen, unter geringerem Liohtwinkel beziehen. Auoh die Flächengrösse 
solcher Hilfsböfe ist zur Höhe der sie umfassenden Wände in ein angemessenes, 
minder strenges Verhältnis zu setzen. 

P) Dauernd benutzte Räume bedürfen eines bestimmten Mindestver¬ 
hältnisses der lichtgebenden Fensteriläche zur Bodenfläche oder Raumgrösse; 



836 


Ans Versammlungen and Vereinen. 


als gutes Mindestverhältnis ist 1 qm Fensterfläche auf 8 qm Bodenillehe oder 
25 cbm Rauminhalt zu betrachten. Für vorübergehend benutzte Räume, 
die auch durch blosses Oberlicht erhellt werden können, bedarf es einer solchen 
Feststellung nur bezüglich der Aborte, deren Fenster zudem unmittelbar an 
Aussenwänden oder Lichthöfen liegen müssen. 

Y) Empfehlenswert ist die Vorschrift eines geringsten Gesamtinhaltes der 
zum dauernden Aufenthalt bestimmten Räume einer Familienwohnung von mehr 
äls 2 Personen (z. B. 50 cbm); ebenso die Vorschrift eines Mindestinhalts für 
Schlafräume der Dienstboten (Mädchenkammem), z. B. 15 cbm für die Person. 

8) Kellerräume für den dauernden Aufenthalt müssen besonderen gesund¬ 
heitlichen Anforderungen in Bezug auf die Abhaltung von Feuchtigkeit, die 
lichte Höhe und die Höhe der Decke über dem Erdreich entsprechen. Die Be¬ 
nutzung von Kellerräumen zu Wohn- und Arbeitszwecken, sowie zu offenen 
Geschäftsläden ist tunlichst zu beseitigen, und dort, wo sie noch nicht besteht, 
zu verhindern. Ganze Wohnungen im Kellergeschoss sind jedenfalls nur aus¬ 
nahmsweise, beispielsweise für die Familie des Hausmeisters, zu gestatten, 
aber nicht ausschliesslich nach Norden. 

s> Dachräume für den dauernden Aufenthalt sind durch geeignete Bauart 
gegen Hitze nnd Kälte und gegen raschen Temperaturwechsel zu schützen. 
Sie sind nur zulässig unmittelbar über dem obersten Vollgeschoss, nicht über 
dem Kehlgebälk. Ihre lichte Höhe darf wegen der begünstigten Licht- und 
Luftversorgung bis auf etwa 2,50 m (bei ungleicher Höhe im Durchschnitt zu 
messen) eingeschränkt werden. 

8. Anforderungen allgemeiner Art. 

a) Znr Verhütung des Aufsteigens von Bodenfeuchtigkeit 
sind bei allen Gebäuden geeignete Massregeln (Unterkellerung, Isolierschichten) 
zu fordern. 

b) Zur Aufhöhung von Bauplätzen nnd besonders zum Aus¬ 
füllen der Zwisohenböden darf nur eine vollständig trockene, mit 
faulenden oder fäulnisfähigen, wie überhaupt organischen Stoffen nicht ver¬ 
mischte Masse verwendet werden. 

c) Mit Bezug auf die Aborte ist ausser guten Lüftungseinrichtungen 
und den sonstigen, im Gesnndheitsinteresse erforderlichen Vorkehrungen nament¬ 
lich auch zu verlangen, dam mindestens für je 2 Wohnungen, in neuen Stadt¬ 
teilen aber unbedingt für jede Familienwohnung, ferner allgemein für jede 
grössere Werkstatt und jeden grösseren Kaufladen ein Abort herzqstellen ist. 

Sobald das Kanalsystem darauf eingerichtet ist, sind Aborte mit Wasser¬ 
spülung nicht nur zu gestatten, sondern vorznschreiben. 

d) Schliesslich sind gesundheitliche Anforderungen zu stellen: 
wegen der Hauskanalisation, deren Einrichtung, Lüftung und Prüfung; 
wegen der Gasleitungen, deren Anlage und Prüfung; 

hinsichtlich der Einrichtung der Stallungen nnd deren Abtrennung von den 

Wohnräumen; 

hinsichtlich der Abort- und Müllgruben; 

bezüglich der Brunnen und ihres Abstandes von den vorgenannten Gruben; 
wegen Verbotes der Sieker-, Senk- nnd Versetzgruben. 

9. Anwendbarkeit auf bestehende Zustände. 

Die Bauordnung muss geeignete Handhaben bieten, auch bei schon be¬ 
stehenden Bauwerken auf die Beseitigung gesundheitswidriger Zu¬ 
stände zu dringen und derartige Verfügnngen sowohl dem widerstrebenden, 
als auch dem unvermögenden Eigentümer gegenüber wirksam durohzusetsen. 

10. Arbeiterschutz. 

Um die Gesundheit der Bauarbeiter zu schützen, bestehen gegenwärtig 
im deutschen Reiche wohl überall Bauordnungsvorschriften oder sonstige Poli- 
zeiverordnungen. Es gilt jedoch deren Durchführung durch geeignete Mass¬ 
nahmen zu sichern. 

11. Bauaufsioht nnd Abnahmen. 

Um namentlich auch die Erfüllung der gesundheitlichen Anforderungen 
sicherzustellen, ist in der Regel jeder Bau von einer polizeilichen Genehmigung 
abhängig zu machen nnd während der Ausführung einer häufigen Besichtigung 
zu unterziehen. Besondere Revisionen sind zweckmässig an bestimmte Ab- 



Atu Versammlungen und Vereinen. 


837 


schnitte der Bauvollendnng (Revision der Kanal- and Gasleitungen, Rohban¬ 
abnahme, Gebrauchsabnahme) anzuschliessen. 

Die Festsetsnng sogenannter Trockenfristen zwischen der Vollendung 
des Rohbaues, der Aufbringung des Patzes und der Ingebrauchnahme des 
Hauses hängt von den örtlichen Verhältnissen ab, insbesondere von Lage, 
Jahreszeit, Witterung und Bauart. 

12. Beteiligung der Aerzte. 

Die Beteiligung der Aerzte bedarf einer Erweiterung. Die Medizinal- 
beamten sind Ober Bebauungspläne, Bananzeigen und Gesuche um Ausnahme- 
bewilligung von Bauvorschriften zu hören, sobald gesundheitliche Fragen be¬ 
rührt werden, unter derselben Voraussetzung auch zu Revisionen zuzuzieben. 
Von besonderem Wert sind regelmässige Besprechungen der Medizinalbeamten 
mit den Vertretern der Banpolizeibehörde und anderen Bausachverständigen. 

Wo mehrgliedrige Baupolizei-Kommissionen bestehen, soll auch ein Arzt 
zu den Mitgliedern zählen.“ 

Der erste Referent, Geh. Reg.-Rat Dr. Rumpelt-Dresden, der die 
Besprechung der Leitsätze 1—3 und 9—12 übernommen hatte, beleuchtete das 
Thema hauptsächlich vom allgemeinen rechtlichen und verwaltungsrechtlichen 
Standpunkte aus. Einleitend machte er auf den grundsätzlichen Unterschied 
zwischen dem römischen und germanischen Eigentnmsbegriff aufmerksam 
und hob hervor, dass schon in den ersten Bauordnungen, die in Deutschland 
bereits im 13. Jahrhundert erlassen sind, Eigentumsbeschränkungen zu Gunsten 
der Allgemeinheit vorgesehen sind, wie denn überhaupt die Bauordnungen 
nichts anderes als die gesetzliche Festlegung der Beschränkungen anf dem Ge¬ 
biete des Bebauungswesens darstollen. Früher habe man bei diesen Be¬ 
schränkungen nur auf Feuersicherheit und Standfestigkeit Rücksicht genommen; 
den wiederholten Anregungen des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege sei es nicht zum kleinsten Teil zu verdanken, dass in den neueren Bau¬ 
ordnungen auch den gesundheitlichen Anforderungen Rechnung getragen werde. 
Auf die Berücksichtigung dieser Anforderungen sei aber in sozialpolitischer 
Hinsicht der grösste Wert zu legen; denn es müsse ebensowenig erlaubt sein, 
ungesunde Wohnungen herzustellen und anf den Markt zu bringen, wie ver¬ 
dorbene Nahrungsmittel feilzubalten und zu verkaufen. Wenn die Wohnungs¬ 
frage auch im Grunde eine Geldfrage sei, so verschulden doch sehr häufig 
mangelhaftes Verständnis, althergebrachter Schlendrian, sowie Trägheit bei 
Bauherrn und Baumeister das Ausserachtlassen der gesundheitlichen Anforde¬ 
rangen. Der Baumeister müsse diese mit den ökonomischen in Einklang 
bringen und hierbei stets an dem Grundsatz festbalten, dass in Bezug auf 
Haus- und Städtebau nur das schön sei, was zweckmässig sei, und zweckmässig 
wiederum nur das, was der Gesundheit zuträglioh sei. Bei Aufstellung von 
Bebauungsplänen sei es notwendig, tunlichst zu individualisieren und die 
einzelnen Ortsteile den sozialen Verhältnissen ihrer Bewohner ansnpassen. Um 
dies durchzuführen, bedürfe es allerdings einer Erweiterung des Enteignungs¬ 
rechtes, wozu in Preussen bereits durch die Lex Adikes der Weg ungebahnt 
sei. Eine der schwierigsten Fragen sei auch die gesetzliche Regelung der 
Bebauungsfähigkeit eines Grundstücks, sowie die Anwendung zeit- 
gemässer baupolizeilicher Bestimmungen auf bestehende Gebäude. Man müsse 
solohen Gebäuden gegenüber zwar mit grosser Schonung Vorgehen, aber anderseits 
müsse vom gesundheitlichen Standpunkte aus unbedingt ein Eingreifen zulässig 
sein, wenn es sich um die Beseitigung gesundheitswidriger Zustände handelt. 
Nachdem Referent dann noch anf die Notwendigkeit, von Vorschriften zum 
Schutz der Bauarbeiter gegen Berufskrankheiten, sowie auf die 
Bestellung von Baukontrolleuren, um die Durchführung dieser Vor¬ 
schriften sicherzustellen, hingewiesen hatte, erörtert er eingehend die in bezug 
auf die Bauanfsicht (Roh-und Gebrauchsabnahme, Trockenfristen usw.) zu 
stellenden Forderungen und kommt dann auf die Notwendigkeit einer ausge¬ 
dehnteren Heranziehung der Medizinalbearaten und der Aerzte 
bei der Handhabung der Baupolizei zu sprechen. In den meisten Bundesstaaten 
sei eine solche Mitwirkung entweder gar nicht, oder nur im geringen Masse 
vorgesehen; eine Ausnahme davon mache nur das Königreich Sachsen, wo die 
Besirksärzte bei Prüfung und Begutachtung von Bebauungsplänen, bei Er¬ 
teilung von Dispensen usw. als Sachverständige mitwirken. Znm Schluss er- 



838 


Au Versammlungen and Vereinen. 


klärt der Referent anter grossem Beifall der Versammlung, die Uebertragung 
der Baupolizei auf die städtischen Selbstverwaltungen sei ebenso wünschens¬ 
wert, als durchführbar. In Sachsen habe man hiermit recht günstige Er¬ 
fahrungen gemacht. 

Der Korreferent, Geh. Baurat Stübben-Cöln, dessen Ausführungen 
sich hauptsächlich auf die Leitsätze 4—8 und auf die banteohnische Seite der 
hier in Betracht kommenden Fragen beziehen, betont zunächst, dass sich der 
deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege stets auf den praktischen 
Standpunkt gestellt nnd sich deshalb auch gehütet habe, etwas Unmögliches 
su verlangen. Gerade auf dem Gebiete des Bauwesens müsse man mit den 
wirklichen vorhandenen Verhältnissen rechnen nnd dabei dievolks- nnd privat¬ 
wirtschaftlichen berücksichtigen. Die grossen Vorzüge des im Westen von Deutsch¬ 
land, in England, Belgien, Holland und Nordfrankreicb üblichen Eigenhanses 
seien unbestritten; sein Vorherrschen lasse stets auf günstige wirtschaftliche Ver¬ 
hältnisse, auf Vermehrung des Kleinbesitzes scbliessen. Aber auch das Miethaus 
künnte den gesundheitlichen Forderungen entsprechen, man müsse nnr mit allen 
Mitteln dahin streben, dass ans dem Miethaus kein Massenhaus wird nnd dass der 
sog. Mietskasernenbau, das Produkt der von Nordosten eingedrungenen Boden¬ 
spekulation, immer mehr verschwindet. Eine Grenze zwischen Mietshaus und 
Mietskaserne sei allerdings schwer zn ziehen; das allsudichte Neben- und Ueber- 
einanderwohnen müsse aber vermieden und dnrch abgestufte Bauord¬ 
nungen darauf hingewirkt werden, dass besonders in neu aufgeschlossenen 
Bauterrains in der Umgebung grösserer Städte der Bau von Mietskasernen 
unmöglich gemacht werde. Referent bespricht hierauf ausführlich die Anfor¬ 
derungen in bezug auf die Luft- nnd Licht Versorgung der Woh¬ 
nungen, die im wesentlichen von der zulässigen Gebäudehöhe, Strassen- 
breite, Hof grösse usw. abhängen; er erörtert daun die Vorzüge der offenen 
und halboffenen Bauweise, die ein dichtes Zusammendrängen der Be¬ 
völkerung verhindere und sich auch für städtische Arbeiterwohnnngen eigne. 
Allerdings würden dadurch die Kosten für Wasserleitung, Kanalisation, 
Beleuchtung sowie für Verwaltung gesteigert, diese Mehrkosten aber dnrch 
den besseren Gesundheitszustand der Bevölkerung mehr als aufgewogen. Nach¬ 
dem Referent die hygienischen Forderungen an Wohn-, Schlaf- nnd Neben¬ 
räumen je nach ihrer Lage, Benutzungsart usw. besprochen nnd hierbei auf die 
Notwendigkeit, Kellerwohnungen in neueren Stadtvierteln überhaupt zu 
verbieten, hingewiesen hatte, erklärt auch er die Mitwirkungvon Anraten 
und Medizinalbeamten, namentlich in den Baukommissionen als beraten¬ 
des Organ für erforderlich. 

Diskussion. 

Oberbaurat Prof. Dr. Bau meist er-Karlsruhe weist darauf hin, dass die 
viel vertretene Ansicht, wonach der Bau von Mietskasernen behufs Beschaffung 
billiger Arbeiterwohnungen notwendig sei, nicht als zutreffend anerkannt 
werden könne; denn der Wohnungspreis sei wesentlich abhängig vom Boden¬ 
preise und dieser werde durch den Mietkasernenbau gesteigert. Er ver¬ 
misst den bisher noch nicht von den Hygienikern gebrachten statistischen 
Nachweis über den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Baudichtig¬ 
keit, Einfluss der Höhe, Höhenlage der Wohnung, Höhe der Zimmer usw.; 
ein solcher sei aber gerade für die su erlassenden Bauvorschriften erforderlich. 
Bauordnungen müssten nicht nnr gegen den Bau schlechter Gebäude nnd gegen 
die Entstehung von Missständen in vorhandenen Gebäuden schützen, sondern 
auch die Erhaltung bestehender unter Zustände sicherstellen, z. B. die Fern- 
haltung von Mietskasernen in Villenvororten usw. Bezirksarzt Med.-Rat Dr. 
Hes 8 e- Dresden macht auf die Schwierigkeit einer Bestimmung für Trocken- 
fristen sowie auf sonstige Schwierigkeiten in bezug auf die Banaufsicht auf¬ 
merksam und verlangt eine Vorschrift, dass das zur Auffüllnng zu verwendende 
Material nicht hygroskopisch sein dürfe. Oberbürgermeister Schneider-Magde¬ 
burg bemerkt, dass das sog. wilde Bauen in der Umaregend der Städte doch 
ausnahmsweise zngelassen werden könne, wenn eine Schädigung der hygienischen 
Forderungen dadurch nicht zn befürchten stehe und anderseits die Erbauung 
von Arbeiterwohnungen auf diese Weise erleichtert werde. In den alten 
Stadtteilen dürften ausserdem an die Hauseigentümer nioht die gleichen 
Forderangen wie in den neuen gestellt werden; ebenso sei eine snhematisehe 



Ans Versammlungen und Vereinen. 


839 


Bestimmung von Troekenfinten unzweckmässig. Prof. Dt. Nussbaum- 
Hannover stimmt dieser Ansicht bei und hebt im übrigen gegenüber den 
Ausführungen des sweiten Referenten die Vorsüge der geschlossenen Bauweise 
hervor. Nachdem sodann noch einige Redner — Baupoliseidirektor Ols- 
hauaen und Oberingenieur Vermehren-Hamburg, San.-Rat Dr. Alt- 
sohul-Prag, Legationsrat Gerstmeyer-Berlin auf Grund ihrer eigenen Er- 
fahrungon und unter Bezugnahme auf Örtliche Verhältnisse sich zu den Aus¬ 
führungen der Referenten teils suBtimmend geäussert, teils einige Bedenken 
erhoben hatten, wies Med.-Rat Dr. Reinoke-Hamburg noch darauf hin, dass 
die vom Oberbaurat Baumeister geforderte Statistik der Gesundheitsver- 
hültnisse schwer zu beschaffen und ausserdem nicht als massgebender Faktor 
ansusehen sei. In seinem Sohlnsswort betonte Geb. Baurat Stübben gegen¬ 
über den Ausführungen von Prof. Nnssbaum nochmals die hygienischen Vor¬ 
züge der offenen oder halboffenen Bauweise; die ausnahmsweise Zulassung der 
sog. wilden Bebaunng bei Anlage von Arbeiterkolonien hllt er ebenso wie der 
erste Referent, Geh. Reg.-Rat Rumpelt, für bedenklich. Letzterer ist in 
besng auf den Erlass einer Reichsbanordnung wenig optimistisch; für das 
Königreich Sachsen liege in dieser Hinsicht auch kein Bedürfnis vor, da dieses 
im Besitz eines recht brauchbaren Baugesetzes sei. Rpd. 


Bin Gang durch die diesjährige Deutsche Städte-Aus¬ 
stellung lu Dresden. 

An Ausstellungen ist in den letzten Jahren ebensowenig Mangel gewesen 
wie an Kongressen und Versammlungen; ja man kann, wenn man aufmerksam 
beobachtet, sieh nicht des Gedankens erwehren, dass hierin eine gewisse Ueber- 
Sättigung eingetreten ist. Was haben wir aber auch für Ausstellungen erlebt! 
Von den kleinen Provinzial- bis zn den Weltausstellungen, von den wenig 
umfangreichen, für eine gewisse Gruppe von Fachleuten bestimmten angefangen, 
bis zn den grossen Industrie- nnd Gewerbeausstellungen sind sie auf jedem 
Gebiete und in jeder Schattiernng veranstaltet worden. Sie kamen teils all¬ 
jährlich, teils in bestimmten Zeiträumen, andere regellos, aus irgend einem 
Anlass von Interessentengruppen angeregt. Bis auf die vorjährige Düsseldorfer 
Ausstellung hatte die grosse Mehrzahl mit Kassensehwierigkeiten «u kämpfen, 
ein Umstand, der allein znm Beweise dafür genügt, dass das allgemeine Interesse 
für Ausstellungen im grossen nnd ganzen abgeschwächt ist. So sah man die 
für diesen Sommer angekündigte Städte - Ausstellung in Dresden mit gewissem 
Bangen herankommen; die ungewöhnlich hohen Besnchssiffern und der Erfolg 
der ersten Monate zeigten jedoch recht deutlich, dass man es bei dieser Ver¬ 
anstaltung nicht mit einem jener Dutzendmacbwerke zu tun hatte, welche 
kommen nnd wieder verschwinden, ohne tiefere Spuren zu hinterlassen. 

Die günstigen Nachrichten, die in den Tageszeitungen über die Aus¬ 
stellung zn finden waren, veranlassten mich, auf der Rückkehr von meiner 
diesjährigen Erholungsreise die Städte-Anestellung zu besuchen, nnd ich kann 
voranBschicken, dass ich von dem daselbst Gebotenen vollauf befriedigt war. 
Sicherlich werden mit mir viele Kollegen Gelegenheit genommen haben, das 
schätzenswerte Material zn studieren; für diejenigen, denen dies nicht möglioh 
war, möchte ich in kurzen Zügen schildern, was bei einem Gange durch die 
Ausstellung ganz besonders geeignet war, das Interesse des Arztes nnd Medizinal- 
beamten wachznrnfen. 

Zuerst lasse ich einige allgemeine Bemerkungen folgen: 

Die Ausstellung gliederte sich in zwei grosse Teile, a) in die eigentliche 
Ausstellung der Städte, an welcher ca. 180 Städte beteiligt waren, b) in die 
Ausstellung Gewerbetreibender, die von ca. 400 Industriellen beschickt war. 
Letztere zerfiel in zwei Teile: 1. Maschinenwesen, Technik nnd sonstige 
Industrie; 2. Ausstellung rauch- und rnssverhütender Feuerungsanlagen (An¬ 
lagen nnd Einrichtungen zur Verminderung der Rauch- nnd Rnssplage in den 
Städten). Hieran reihte sich eine Anzahl von Sonder-Ausstellungen: 1. städtische 
und von den Städten konzessionierte Gas- und Wassorwerke; 2. städtische 
und von den Städten konzessionierte Elektrizitätswerke; 3. deutsche Sicher¬ 
heitspolizei; 4. Samariterwesen; 5. Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung; 
6. Arbeitsnachweis; 7. Gewerbegerichte; 8. Feuerbestattung; 9. Dresdener 



840 


Ans Versammlungen and Vereinen. 


Gartenbaufirmen. Die Ausstellungsobjekte waren in dem Industriepalast an der 
Stilbei - Allee, welcher su diesem Zwecke umgebaut war, und in dem daran- 
stossenden parkähnlichen Garten untergebraoht. Die Aufstellung war in adieu 
ihren Teilen Übersichtlich und zweckdienlich und entbehrte, wie wir zu unserer 
Genugtuung konnten, all des nebensächlichen Beiwerks, welches anderen Aus¬ 
stellungen sehr oft ihren ursprünglichen Charakter nahm. Bin gut redigierter 
Katalog erleichterte die Auffindung. 

Naturgemäss nahm die eigentliche Ausstellung der Städte selbst unser 
erhöhtes Interesse in Anspruch. Die grossen Gemeinden bähen teils freiwillig, 
teils durch die Gesetzgebung gezwungen, einen grossen Teil der allgemeinen 
Fürsorge auf ihre Schultern genommen. Was hierin von den grossen Städten 
im Laufe der letzten Jahrzehnte geleistet worden ist, findet seinen Ausdruck 
in den ersten 6 Abteilungen der Ausstellung, auf die wir nunmehr näher ein» 
gehen wollen. 

In Aht. 1 war alles das ausgestellt, was duroh die Fürsorge der Ge¬ 
meinden für die Besserung der Verkehrsverhältnisse geschehen ist. 
Bs waren darunter begriffen: Bau und Entwässerung der Strassen, Brüeken 
und Häfen, einschliesslich des gesamten Tiefbau- und Vermessungswesens, die 
Strassenbahnen usw. Hiervon interessieren den Arzt am meisten die Ent¬ 
wässerungsanlagen. Gerade auf dem Gebiete der Kanalisation ist ja 
für die Assanierung der Städte vielfach Mustergültiges geschaffen worden. 
Wir fanden Uebersichts- und Sonderpläne von ganzen Anlagen und einzelnen 
Kanaluetzen der verschiedensten Art, Modelle von Sammelbrunnen und Strassen- 
gnllys bis zur Einrichtung eines Rieselfeldes (Berlin). Zeichnungen, Situations¬ 
pläne, Kostenanschläge und Bntwürfe von den verschiedensten Arten der 
Kanalisation gaben ein lehrreiches Bild, wie wir es selten in so umfassender 
Weise zu sehen bekommen. 

Die Abt. 2 enthielt Ausstellungsobjekte von Stadterweiterungen, 
Baupolizei und Wohnungswesen. Besonders zahlreich waren Pläne 
und Abbildungen von Arbeiterwohnhäusern, welche letzteren teils von gemein¬ 
nützigen Gesellschaften und Stiftungen, teils von Städten (Güttingen, Münster) 
und grossen Industriefirmen (Krupp) errichtet waren. Etwas spärlicher fanden 
wir die Resultate der Wohnungsbeanfsichtigung ausgestellt; von Essen waren 
graphische Darstellungen über die Tätigkeit der Wohnungsinspektion in den 
Jahren 1900/1901. von Stuttgart, ein Band ausgelegt: „Das Stuttgarter Woh¬ 
nungsamt, seine Einrichtung und 6ein Betrieb“. 

Unter Uebergehnng der Abt. 8: „Fürsorge der Gemeinden für 
üffentliche Kunst“ kommen wir nnnmehr zu dem speziell hygienischen 
und sanitätspolizeilichen Teile der Ausstellung, nämlich Abt. 4: „Fürsorge 
der Gemeinden für die Gesundheit und allgemeine Wohlfahrt. 
Man kann sehr wohl behaupten, dass hier kaum ein Teil der Öffentlichen Ge¬ 
sundheitspflege unberücksichtigt geblieben war; die Städte haben zu zeigen 
versucht, wie sie für ihre Einwohner von der Gehurt bis zum Grabe zu sorgen 
bemüht sind. 

Die Sorge um die Erhaltung und Förderung des öffentlichen Volkswohls 
findet ihren Ausdruck in erster Reihe in allgemeinen Einrichtungen und An¬ 
lagen im weiteren Sinne. Hieran gehören öffentliche Gartenanlagen, Prome¬ 
naden and Plätze, besonders Spielplätze, von denen eine grosse Anzahl von 
Plänen des Studiums wert erscheinen. In dieselbe Kategorie gehören öffent¬ 
liche Badeanstalten aller Arten (Brause-, Schwimm-, Schulbäder), öffent¬ 
liche Bedürfnisanstalten nnd Begräbnisplätze. Die Stadt Gera 
batte Zeichnungen eines Mädchenheims ansgestellt, dessen Baukosten 220000 
Mark betragen: es enthält im Kellergeschoss Badeanstalten für Männer und 
Frauen, im Erdgeschoss eine Volksküche, im ersten Stock das Mädcbenheim 
(Zimmer zur längeren Vermietung an alleinstehende weibliche Personen), im 
zweiten Stock eine Mädohenherberge nnd eine Mädehenbildnngsanstalt. 

Weit zahlreicher waren diejenigen Einrichtungen zur Ansohauung ge¬ 
bracht, welche gesundheitsschädliche Einflüsse fernhalten bezw. beseitigen 
sollen. Ganz mustergültig war die Ausstellung der Stadt Dresden, betreffend 
die Reinigung nnd Sprengung der Strassen. Wiesbaden hatte die 
Anlage einer Kehriehtverbrennungsanstalt ausgestellt; ebenso hatte 
Hamburg Zeichnung und Beschreibung der Verhrennungsanstalt für 



Aas Tenuulng« ui Vereinen. 


841 


Abfallstoffe Im Modell aaageetellt. Die Anstalt, deren Baukosten 510000 
Mark betragen, ist rar Vernichtung ton Haasnnrat und sonstigen Abfalistoflen 
bestimmt, was in hygienisch einwandfreier Wehe geschieht. Ebenso ein¬ 
gehend war das Kapitel dee öffentlichen Desinfektions Wesens be¬ 
handelt. Es waren Pläne and Photographien Ton Anstalten, Kleidnngs- and 
Ausrüstungsstücke Ton Desinfektion! beamten, die Ter schieden aten Arten Ton 
Apparaten, Dienstiastrnktionen, Polixeiterordnnngen, Gebührenoi dnungen asw. 
ausgestellt. Aach Pläne and Photographien Ton PleischzersetzuDgsaubtalten 
(Chemnitz) waren sa finden. 

Dem wichtigsten Kapitel in der öffentlichen Gesundheitspflege, nämlich 
der Verhütung and Bekämpfung Ton Volkskrankheiten, war 
ein eigener PaTilloa gewidmet. Diese Sonderansstelinng, wie man sie wohl 
eigenartiger and reichhaltiger noch nirgends gesehen bat, war Ton Kommerzien¬ 
rat K. A. Lingner in Dresden Teranstaltet; die wissenschaftliche Leitung 
hatte Dr. med. L. Lange in Dresden übernommen. Es war hier nnseres 
Wissens sum ersten Male der Versuch unternommen worden, die breite Masse 
.des Volkes mit dem heutigen Stande der Wissenschaft bekannt zu machen, 
soweit sie sich mit der Bekämpfung der Infektionskrankheiten beschäftigt. 
Dass dieser Versuch sum grossen Teil gelungen ist, beweist die grome Besucbs- 
siffer, die der PaTilloa stets aalzuweisen hatte; leider war es nicht snr Heraus¬ 
gabe eines eigenen Katalogs gekommen, wie es anfangs beabsichtigt war. Die 
Anordnung der Ausstellungsobjekte in der 400 qm grossen Balle war so über¬ 
sichtlich wie möglich, ln der Mitte des PaTiiionB standen auf Tischen 80 
Mikroskope reihenweise aafgestelit. Sie waren mit einer Glashülle so umgeben, 
dass nur die Mikrometer schraube Tom Publikum berührt werden konnte. Es 
waren an dem gut beleuchteten Mikroskopen teils frische, teils gefärbte Prä¬ 
parate der Terschiedeastea Mikroorganismen anlgestellt. Ob gerade hierdurch 
sich der Laie ein Bild Ton dem Aussehen der Infektionserreger bat machen 
können, muss ich allerdings bezweifeln, besonders wss die Präparate im 
hängenden Tropfen anbetrifft. Ich fand die Präparate oft genug nicht ein¬ 
gestellt, du man die Mikrometersehranbe zu weit gedreht hatte. Es kamen 
ferner zur Demonstration Reinkulturen Ton Mikroorganismen pathogener 
and nicht pathogener Art, welche das Wachstum der kleinsten Lebewesen in 
ihrer Verschiedenheit deutlich zeigten. Besonders waren die zahlreichen wohl- 
gelungenen Präparate aus dem Paste urschen Institut in Paris sehr instrnktiT 
and mustergültig. Endlich war auch noch in Tergrösserten Wachsabbildungen 
das Wachstum der Bazillen Tor Augen geführt, nach die Einwirkung des 
Sonnenlichts auf Bakterien Ter anschaulicht. Durch zahlreiche Tabellen, Bilder 
und Bücher waren in anschaulicher Weise die Fortschritte auf dem Gebiete 
der Bekämpfung der Infektioaakraakheiten dargestellt. Ganz besonderes Auf¬ 
sehen erregten Wachsmodelle, welche die Symptome der hauptsächlichsten 
Volkskrankheiten (syphilitische Uleera, Lepra, Pocken, Windpocken, Masern, 
Seharlaeh, Granulöse, Entwickelung tou Diptheriememhranen, Tuberkulose, 
Hautkrankheiten durch Ansteckung in Frisierstaben) Tersnscbaulicbten. Für 
zartbesaitete Gemüter waren übrigens einige derselben mit MullTorhängen Ter- 
htlllt. Die Bilder des Ne iss er sehen grossen Atlasses für Hautkrankheiten 
waren, mit einem 8tereoekop Teraehea, aafgestelit. Das Kapitel der Impfung 
war mit ganz besonderer Aafmerksamkeit behandelt worden: Die gesamte 
Technik mit allen einzelnen Apparaten and Instrumenten, die Entwickelnng 
der Pusteln in Wachs m odellen wird« gezeigt und zugleich in Bildern Tor- 
gefflhrt, welche Terheereadea Wirkungen die jetzt kaum noch Ton Aerzten 
gekannten Pocken ehemals Terarsaektea. Der Erreger der Malaria, seine Ent¬ 
wickelung and Wanderung Ton der Mücke auf den Menschen, and der Malaria- 
schütz wurde ia Bild and Präparaten Torgeführt. Die Krankheiten and die 
Sterblichkeit der Säuglinge in den gromen Städten, sowie ihre Ursachen und 
Bekämpfung gelangte zahlenmissig and durch Modelle snr Darstellung; nor¬ 
male und pathologische Stahlginge waren ia Wachs naebgebildet. Die Aus¬ 
führung der Desinfektion wurde durch die dazu notwendigen Apparate ron 
der einfachen Räu c h erung bis za den kompliziertesten Vorkehrungen Teraa- 
schaulicht. Fügen wir dann noch hinzu, dam Schriften rerteilt worden, welche 
auf die Bekämpfung to* Volkakrankkeiten Bezog hatten, s. B. das Schema 
der Tuberkulose - Einrichtungen too Panawits, die Bekämpfung der 



iüs Versammlungen tmd Vereinen. 


m 

Schwindsucht in den Wohnungen von Pitter und die preisgekrönte 8ehriit 
von Knopf „Die Tuberkulose als Volkskrankheit und deren Bekämpfung“, so 
haben wir annähernd den Inhalt des überaus reichhaltigen Materials angeführt. 
Es wäre nur in wünschen, dass die hier ansgestreute Saat auf fruchtbaren 
Boden fallen und die Kenntnis von dem Wesen unserer hauptsächlichsten 
Infektionskrankheiten sich immer mehr in breiteren Volksschichten einbürgern 
mOge. Die Verbreitung solchen Wissens führt dem Arst und dem praktischen 
Hygieniker bereitwillige Mitkämpfer su, anderseits hillt sie auch indirekt das 
Kurpfuschertum bekämpfen. 

Viel geringeren Baum nahm das Kapitel der Nahrungsfürsorge 
für sich ein. Wir bemerkten Pläne und Modelle Ton Schlacht* und ViehhOfen, 
Anlagen Yon Kühlhäusern und Markthallen. Einige Untersuchungsämter und 
Laboratorien hatten Berichte und wissenschaftliche Arbeiten, Drucksachen usw. 
ausgestellt (Breslau, Dresden). Weniger berücksichtigt war die Nahrnngs- 
mitteikontrolle; u. a. hatte die Stadt Worms eine Denkschrift und graphische 
Darstellungen geliefert. 

Gruppe D war der „Darstellung Yon Hilfe in Not“ [gewidmet. 
Den Arzt fesselte hiervon am meisten die in einem eigens hierzu hergerichteten 
Pavillon veranstaltete Sonderausstellung des Samariterwesens. In derselben 
Halle war auch eine Sanitätswache (Abt. des Dresdener Vereins) untergebraeht. 
Das Samariter- und Bettungswesen, das sich an die Namen von Esmareh 
und Bergmann knüpft, ist gerade in den letzten Jahren in Deutschland au 
einer bedeutenden Höhe gelangt. Es gehören zur Zeit zu dem deutsch«! 
Samariterbunde über 40 staatliche Behörden und Stadtverwaltungen, 76 Ver¬ 
eine. Berufsgenossenschaiten, Feuerwehrverbände usw. Das Bettungswesen 
beruht auf der Erwägung, dass für plötzlich Erkrankte oder Verletste ebenso 
wichtig wie die erste Hülfeleitung die Fürsorge für den Transport sowie für 
geeignete Unterbringung ist. Man konnte bei der Ausstellung Ü Abteilungen 
unterscheiden: 1. Samariter-Untericht; 2. Samaritertätigkeit in Sanitätswachen 
und Verbandstationen und 3. Transportwesen. Ausserdem konnte man ein Bild 
von der Organisation und der Ausbreitung des Samariterwesens in Deutsch¬ 
land gewinnen. Nach der von Prof. Dr. Meyer entworfenen Karte bestehen 
in 76 Prozent aller Städte mit mehr als 10000 Einwohnern solche Einrich¬ 
tungen. Sie sind am dichtesten über Süd-, Mittel- und Westdeutschland ver¬ 
breitet. Mustergültig sind die Einrichtungen in Berlin zu nennen, wo das 
Samariterwesen vertreten ist durch die BettungsgesellBchaft, die Unfallstationen 
und die Sanitätswaohen. Ein sorgfältig ausgeführtes Modell der Zentrale der 
Bettungsgesellschaft, das wir auf der Ausstellung bewunderten, gab ein an¬ 
schauliches Bild von dem umfangreichen Wirken dieser Zentrale. Der Samariter¬ 
verein in Kiel hatte eine grosse Menge von Unterrichtsmaterial ausgestellt; 
Lehr-, Uebungs- und Verbandkästen waren in grosser Anzahl und mannigfaltigster 
Ausführung vertreten. Photographien, Grundrisse und Modelle veranschau¬ 
lichten die Tätigkeit verschiedener Samaritervereine. Interessant war ein 
naturgetreues Modell der Bettungsstation am Müggelsee, welche von den 
Wassersportvereinen von Berlin und Umgegend errichtet worden war. Von 
dem Samariterverein in Dresden waren nach Angabe des Generalarztes Dr. 
Bühlemann tragbare Kasten bezw. Schränkchen für erste Hülfe in Ferien¬ 
kolonien und Schulen aufgestellt. Es scheint mir jedoch etwas zu weit ge¬ 
gangen, wenn in dem Schränkchen für Sohulen Choleratropfen, Zahntinktnr 
und Hustentropfen enthalten sind. Der sächsische Landes-Samariterverband 
hatte in einem Schrank die verschiedenartigsten Artikel zur Krankenpflege 
ausgestellt. Der Schrank soll auf dem Lande bei Pfarrern, Lehrern oder 
Gemeindevorständen als Entleihdepot aufgestellt werden. So segensreich eine 
solche Einrichtung wirken kann, so gibt sie doch su manchen Bedenken Anlass, 
weil sehr leicht auch Schaden damit angerichtet werden kann. Einmal besteht 
bei ungenügender Beinigung die Gefahr der Uebertragung ansteckender Krank¬ 
heiten, anderseits sind auch Gegenstände in dem Depot vorhanden, welche 
man Laien nicht in die Hände geben darf. — Dass auch dem Transportwesen 
bei einer so umfassenden und erschöpfenden Ausstellung des 8amariterwesens 
genügende Beachtung geschenkt wurde, versteht sich eigentlich von selbst. 

Der Verband der Feuerbestattungsvereine deutscher Sprache 
(zur Zeit 49) hatte ebenfalls eine Kollektivausstellung in einer besonderen 



Atu Versammlungen and Vereinen. 


848 


Belle veranstaltet, zo welcher 15 Vereine Gegenatinde gesendet betten. Mo¬ 
delle von Kremetorien, Fenerbestettnngseppereten and Urnen waren sn sehen, 
ebenso Glasbehälter mit Aechenresten einer menschlichen Leiche. Von dem 
Verein gelangte eine kleine Aufklärungsschrift snr Verteilung. Städtischer- 
seits hatte man in dem Bahmen der übrigen Ansstellnng Pline nnd Zeich¬ 
nungen Ton Friedhöfen nnd Leichenhallen ansgestellt. 

Wir kommen nnnmehr anm Schulwesen. Entsprechend der hohen 
Entwickelung desselben in den grossen Städten war auch reichhaltiges Material 
nur Ausstellung geliefert. Graphische Darstellungen und tabellarische Ueber- 
sichten wechselten mit statistischen und Verwaltungsberichteu ab. Von Schul- 
bauten (Volks-, Mittel- nnd höhere Schulen) waren Modelle, Entwürfe, Pline 
und Photographien ausgestellt; beigegeben waren Kostenanschläge über Bau 
und innere Einrichtung. Eine der grössten Schulen hat Würsburg aufsuweisen: 
das Volksschulhaus für 39 Klassen au je 60 Kindern ist massiv von Stein und 
Eisen ausgeführt. Sämtliche Schulräume gruppieren sich um einen nach der 
Strasse offenen Hof; die Baukosten betrugen 620000 Mark. Ergänzt wurde 
dieser Teil der Ausstellung in trefflicher Weise durch die von zwei Firmen 
errichteten transportablen und zerlegbaren Schulpavillons. Die deutsche 
Barackenbaugeseilschaft in Köln und die durch die Fabrikation der bekannten 
Doeckerschen Baracken sich hervortuende Akt.-Ges. Christoph & Un- 
maok aus Niesky hatten je einen Pavillon mit allen notwendigen Ausrüstungen 
errichtet, welche allen Anforderungen der Neuzeit entsprachen. Was die 
spezielle Sohulgesundheitspflege betrifft, so haben wir auch auf der Ausstellung 
wahrnehmen können, dass wir uns damit erst in den ersten Anfängen befinden. 
Die Einrichtung der Schulärzte ist noch zu jung, so dass man grösseres 
Material noch nicht hat erwarten können. Breslau, Darmstadt und Dresden 
hatten die Ergebnisse der bisherigen Erfahrungen gesandt; auf die städtische 
Schulzahnklinik in Strassburg, die erste in Deutschland, sei noch besonders 
hingewiesen. 

„Armenpflege, Krankenpflege, Wohl tätigkeitsanst alten, 
Wohltätigkeitsstiftungen“ betitelte sich die Abteilung VI. Hierzu 
gehören und waren ausgestellt folgende, in das ärztliche Gebiet einschlagende 
Gegenstände: Fürsorge für Waisen und Ziehkinder, Siechen- und Armenhäuser, 
städtisches Obdach, Altersversorgungsanstalten und Bürgerhospitale. Ganz 
besonders reichhaltig war natürlich die Abteilung lür geschlossene Kranken¬ 
pflege ausgefallen. Ausser den Bauplänen und Entwürfen von grossen Kranken¬ 
häusern waren auch manche hoohbedeutende Mittel zur Krankenpflege und 
Krankenerziehung zu finden. So hatte die Idiotenanstalt in Dalldorl folgendes 
ausgestellt: Formentafeln zur Bildung des Formensinns, Nähapparate für 
Schwachbegabte Kinder, Zahlenbilder zur Darstellung des Zahlenkreises von 
1—10, Vokalbilder für spraehkranke Kinder und einen Glaskasten mit abnormen 
Kieferbildungen, wichtig für den Unterricht sprachkranker Kinder. 

Hiermit hätten wir einen Ueberblick über die Ausstellungsobjekte der 
deutschen Stätte, soweit sie zu ärztlicher Kunst und hygienischem Wissen 
Beziehung haben, gegeben; in der U ebersicht sind die wichtigsten Gegen¬ 
stände berührt worden, selbstverständlich macht das von uns gelieferte Material 
keinen Anspruch darauf, erschöpfend zu sein. Es wäre jedoch undankbar, wenn 
wir nicht der grossen Mühe gedenken wollten, welche bewährte Firmen auf 
den Aufbau der Industrie-Abteilung verwendet haben. Bei dem beschränkten 
Baum, der uns zu Gebote steht, müssen wir uns damit begnügen, nur einige 
hygienisch wichtige Gegenstände aulzuzäblen. Heizungs- und Beleuchtungs¬ 
anlagen, Kanalisation und Wassergewinnung nahmen den grössten Platz ein, 
ebenso waren 8trassenreinigung, Müllabfuhr und Pflasterung berücksichtigt. 
In grosser Menge waren auch Ausrüstungsgegenstände für 8chulen, Kranken¬ 
häuser, Desinfektions- und Badeanstalten vorhanden. 

Die Ausstellung lieferte ein getreues Bild davon, was die Städte auf 
dem Gebiete der allgemeinen Fürsorge geleistet haben. Der grösste Teil 
dessen, was insbesondere auf sozialem Gebiete geschehen ist, hat sich im 
Laufe der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts abgespielt; vor 50 Jahren 
wäre eine solche Ausstellung unmöglich gewesen. Wie der Verlauf des ersten 
auf der Ausstellung abgehaltenen Deutschen Städtetages beweist, soll mit dem 
Ausbau des einmal begonnenen Werkes fortgefahren werden. Stets haben die 



844 


Aas Versammlungen and Vereinen. 


Verwaltungen der Gemeinden bei ihren gemeinntttsigen Bestrebungen eifrige 
Mitarbeiter in den Aerzten and Gesundheitsbeamten gefunden; auch in Zokonft 
wird es sicherlich so sein und der Brfolg der gemeinsamen Arbeit nicht 
aasbleiben, Dr. Israel- Fischhausen. 


Bericht Aber die 75. Versammlung Deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte in Kassel vom tO.-Jiö. Heptbr. 1905. 

(Fortsetzung.) 

IY. Abteilung für Hygiene. 

1. Tuberkulöse und nichttuberkulöse Erkrankungen der Atmungs¬ 
organe in Preuanen seit 1875. Kreisassistenzarzt Dr. A so her-Königsberg 
i. Pr. wies an Kurven nach, dass in Prenssen seit jener Zeit ein ziemlich 
stetiger Abstieg der Kurve fttr die Tuberkulose der Atmongsorgane erfolgt 
ist. Während die Kurve fttr die Sterblichkeit an nicbttaberkulösen Erkran¬ 
kungen der Atmungsorgane sich bis zum Jahre 1899 ziemlich anf einer kon¬ 
stanten Höhe gehalten hat, kreuzen sich im Jahre 1890 die beiden Kurven 
and zwar so, dass die der tu berkalösen dauernd weiter fällt, während die der 
nicht tuberkulösen in den Jahren 1891—98 und 1899—1901 (Influenzajahren) 
einen starken Anstieg zeigt nnd im übrigen dauernd ttber der tuberkulösen 
sich hält. Aus den Tabellen geht weiter hervor, dass in den ersten fttnf Be¬ 
richtsjahren (1875—1879) und in den letzten fünf (1897—1901) die Gesamt- 
aterblicbkeit an Erkrankungen der Atmongsorgane — nämlich 50 auf 1000 Le¬ 
bende — dieselbe ist. 

Bezeichnet man die tuberkulösen Erkrankungen der Atmungsorgane mit 
T, die nicht tuberkulösen mit ET, so ergibt sich aus einer weiteren Tabelle, 
dass die Sterblichkeit an T und NT fttr die einzelnen Lebensalter ermittelt, 
im Alter von 0—15 Jahren eine Zunahme erfahren hat, die am so grösser ist, 
je jttnger die Altersklasse, so dass diese beim Säugling 107 % bei männlichen, 
110°/« bei weiblichen beträgt. Vom 15.—70. Lebensjahre nimmt die Sterblich¬ 
keit ab und naoh dem 70. wieder zu. Aus den weiteren Tabellen kann man 
schliesBen, dass T dauernd abnimmt, während NT in einzelnen Jahresklassen 
ganz enorm zugenommen hat. Im Säuglingsalter beträgt diese Zunahme 186 °/ 0 
bei männlichen, 144% bei weiblichen Individuen, im 1.—2. Lebensjahre 182 
bezw. 124 % and im 8. 100 bezw. 105 %, ebenso in den höchsten Altersklassen 
125 bezw. 130% and 167 bezw. 222%. Diese ganz ausserordentliche Zunahme 
von NT ist auf die Zunahme der akuten Lungenerkrankungen zurttckiuftthren, 
und zwar nicht erst seit den Influenzajahren; sie erklärt jedenfalls z. T. auch 
die Abnahme von T -f- NT in den mittleren und etwaB höheren Altersklassen 
insofern, als die im jüngeren Alter eingegangenen Individuen die Zahl der 
Disponierten im späteren Alter vermindert. 

Bei Betrachtung noch weiterer Tabellen geht fraglos insoweit ein Zu¬ 
sammenhang zwischen T nnd NT hervor, dass T in allen Altersklassen in zu¬ 
nehmendem Masse gegen NT zurttckbleibt; auch lässt sich nachweisen, dass 
die geringste Sterblichkeit an T im schulpflichtigen Alter besteht, was jeden¬ 
falls auf die grösste Widerstandskraft gerade in dieser Zeit zurttckzuftthren ist. 

2. Kriterien nnd Kontrolle der Heilung bei Lungentuberkulose. 
Der Vortragende, Prof. Dr. Petraschky-Danzig, definiert die Heilung als 
„einen dauernden Zustand der Wiederherstellung, in welchem Rückfälle der 
gleichen Krankheit nicht mehr zu befttrchten sind.“ Es dürfen deshalb die 
Erreger der Tuberkulose nicht blos eingekapselt, sondern sie müssen abgetötet 
oder ausgestosBen sein. 

Die sichersten Kriterien der Heilung erhält man durch Untersuchungen 
des Auswurfs und die Tuberkulinprobe. Fällt diese Probe positiv aus, so 
ist der Beweis erbraoht, dass eine Ausheilung noch nicht erfolgt ist; fällt sie 
negativ aus, so muss sie zur Sicherung in mehrmonatlichen Pausen wieder¬ 
holt werden. 

P. hat in Danzig mit der Landes versicheren geaast alt folgendes Ver¬ 
fahren eingeftthrt: 

1) Fällt die Tuberkulinprobe bei Entlassung aus der Heilstätte negativ 
aus, so wird sie nach 8—6 Monaten wiederholt. 



Ans Versammlungen nnd Vereinen. 


845 


2) Besteht bei der Entlassung kein Answarf, so wird die Tuberkulin- 
probe gemacht; fällt sie positiv ans, so erfolgt Nachbehandlung mit TubtikuJiu. 

8) Die aus der Tuberkulinbehandlnng Entlassenen werden nach 8—4 
Monaten erneut geprüft und eventuell wieder geradeso behandelt. 

Alle Geheilten werden in jedem Jahre der Sicherheit halber noch zwei- 
mal nachuntersucht. 

Bei diesem Verfahren heilen nach zweijähriger Beobachtung 80°/ o aller 
Fälle ans und zwar von schweren Fällen etwa 50*/o, von leichteren 100 °/ 0 
dauernd. Der Redner empfiehlt die Schaffung zentraler Untersuchungastellen, 
wie sie ausser Danzig noch in Stettin und Breslau bestehen. 

8 . Prof. Dr. Bonhof f-Marburg: Ueber die Identität des Löffler 
zehen Mäusetyphusbacillus mit dem Paratyphusbacillus des Typus B. 
Der Löftlersche Mäusetyphusbacillus ist seither als unschädlich angesehen 
worden, besonders, nachdem in Thessalien einige griechische Herren denselben, 
ohne Schaden an ihrer Gesundheit zu nehmen, genossen batten; indes lässt 
die Aehnlicbkeit dieses Bacillus mit dem Paratyphusbacillus die Sache in 
anderem Lichte erscheinen. Bon hoff geht auf eine genaue Vergleichung 
der beiden Bazillen ein und findet, dass sie nicht nur morphologisch, kulturell 
und im Tierexperiment, sondern auch bei der Prüfung der Immunsera im 
Agglutination»- und Pfeiffer sehen Versuche völlig übereinstimmen. B on h o f f 
steht deshalb nicht an, beide Bazillen für identisch zu erklären und fordert 
eine Abänderung der Gebrauchsanweisung, wie sie offiziell bei der Verabfol¬ 
gung der Kulturen des Mäusetyphusbacillus mitgegeben werden. Am besten 
wäre der Handel mit Reinkulturen ganz zu untersagen. 

4. Dr. Bechhold-Frankfurt a. M.: Die Agglutination der Bakte¬ 
rien, eia physikalisch - chemisches Phänomen. Bordet hat naohgewiesen, 
dass agglutininbeladene Bakterien (mit spezifischem Immunserum behandelte 
Typhus- und Diphtheriebakterien und Staphylokokken) in destilliertem Wasser 
nicht agglutinieren, sondern dass dazu die Gegenwart von Salzen nötig ist. 
Bechhold hat nun im Verein mit Neisser und Friedemann festgestellt, 
dass Anelektrolyte wie Alkohol und Rohrzucker keine Agglutination hervor- 
rufen, und dass für Elektrolyte ein bestimmter Schwellenwert besteht, unter 
welchem ebenfalls keine Agglutination erfolgt. Dieser Schwellenwert ist ab¬ 
hängig von dem Katjone des betreffenden Salzes. Bei Salzen mit einwertigen 
Katjonen (Na Gl, NaJ usw.) wirkt dasselbe von * 1 * 0 , bei zweiwertigen (BaCl*, 
Ca CI* usw.) bereits bei */*<x> Aeqaivalent, bei dreiwertigen wahrscheinlich in 
noch grösserer Verdünnung. Säuren wirken besonders intensiv (schon bei V 1000 
Aequivalent); Alkalien sind ganz ohne Einfluss. 

Wenn sich auch durch die Beobachtungen manche Aehnliohkeiten mit 
einer Suspension — Bordet hatte auf Kaolin hingewiesen — ergeben, so 
findet man aber doch Unterschiede, namentlich im Verhalten bei der Einwir¬ 
kung des elektrischen Stromes. 

6. Dr. Neisser-Frankfurt a. M.: Ueber neue, bisher latent ge¬ 
bliebene Präzipitine. Bisher wurden alle Präzipitinereaktionen in salzhal¬ 
tigen Lösungen vorgenommen. Ausser den hierbei entstehenden Präzipitinen 
gibt es indes noch andere, welche erst dann anftreten, wenn die zur Reaktion 
benutzten Sera durch Dyalyse salzfrei gemacht sind. Auch diese Reaktionen 
sind spezifisch; die so entstandenen Präzipitine zeigten Bich durch ihr schnelles 
und intensives Auftreten, sowie dnreh ihre leichte Löslichkeit in geringen 
Salz-, Säure- und Alkalimengen aus. In den untersuchten Fällen trat die Re¬ 
aktion im dialysierten Serum noch auf bei einer Verdünnung, bei der sie beim 
nicht dialysierten Serum nicht mehr auftrat. Praktisch wichtig kann diese 
letztere Tatsache werden, wenn es sich um Präzipitinereaktionen auf Bak¬ 
terienfiltrate handelt. 

6. Gemeindeörtliche Einrichtungen auf dem Gebiete der Gesund¬ 
heitspflege. Oberbürgermeister a. D. am Ende gibt in seinem Vortrage 
ohne wesentlich neue Gesichtspunkte aufzustellen, einen Ueberblick über die 
Anforderungen bezw. Leistungen, welche eine moderne Stadt auf dem Gebiete 
der Gesundheitspflege heutzutage zu stellen hat. Der Vortrag eignet sich indes 
schon um des Umfangs willen nicht zum Referat. 

7. Ueber Zahnheilkunde als Volhshyglene. Dr. Sickinger-Brünn 
führt erschreckende Zahlen über die Verbreitung von Zahnkrankheiten an, 



namentlich beim Militär, im Schalen and im Armenhäusern; er wtzsekt drin¬ 
gend die Mitairknor der Hygiene aof diesem Gebiete. 

8. Steigerung der Mtlchsekretiou bei stillemdea Müttern. Dr. 
Zloeisti-Berlin weist daran! hin, dass die Milch einer Tierspesies niemals 
einen rollen Ersatz für die einer anderen bilden k5nne and fordert das Znrttek- 
führen der Pranen mm Säugegescbäft. Die Sterblichkeit der Flaackenki der 
and die verminderte Widerstandsfähigkeit der nicht gestillten Menschen fordern 
hier Massregeln. Er verlangt deshalb die Belebrang des Publikums, staatliche 
Unterstützung von stillenden Frauen der arbeitenden Bevölkerung and Stei¬ 
gerung der Fähigkeit des Stillens der Mütter, falls ein Nachlassen eintritt. Diene 
Steigerung sei wie beim Tier mOglieh; er empfiehlt zu dieeem Zweck LaktagoL 

9. Demonstration einen neuen Desinfektion»- and Inhalatiomn- 
apparates nnd die bisherigen Versuche mit demselben, Dr. Stöcker- 
Oberwesel beschreibt einen Apparat, bei welchem mittelst eines rotierenden 
konischen Körpers die Flüssigkeit aof einen rotierenden Bing gehoben und 
von diesem durch die Zentrifugalkraft verteilt wird. Feinste and gleichmimige 
Verteilung der Tröpfchen, leichte Handhabung, Anwendung ohne Feuersgefmhr, 
bisher goto Besaitete bei Desinfektions- nnd Inhalatiensversachen scheinen den 
Apparat cur Nachprüfung zu empfehlen. 

10. Messung nnd Abwehr von Luftstaub nebst Demonstration 
eines Sprengapparates für Tarn- nnd Exerzierhallen. Kraukenhlnoer 
nsw Dr. Stieb- Leipzig beschreibt nnd demonstriert ebenfalls seinen Apparat, 
der vermittelst Velozipedes die Verteilung hervorruft. 

Dr. Med er-Cassel. 

(Schloss folgt. 


Besprechungen. 

Prof. Dr. XL Hartlg - München: Der echte Hansechwanun and andere 
das Bauholz zerstörende Pilze. Zweite Anflage, bearbeitet von Prot. 
Frb. Dr. v. Tnbenf in München. Mit 33 s. T. farbigen Abbildungen. 
Berlin 1903. Verlag von Jnl. Springer. Preis: 4 Mark. 

Im vorliegenden Werke, welches keine Erweiterung der nrsprünglieh 
Hartigschen monographischen Bearbeitung des echten Hausechwammes nnd 
der von diesem Pilze veranlassten Zersetzung des Bauholzes darstellt, sind vom 
Verfasser anch für den hinsngefügten Teil über anderweitige Erkrankungen 
von Bauhols die Hartigschen Origin&lnntersuchungen sn Grande gelegt. 
Aach der sonstigen einschlägigen Literatur wird sowohl im Text, als besonders 
eingangs der Arbeit eingehend gedacht. 

Der Inhalt des Buches gibt uns eine anschauliche, anch für Laien ver¬ 
ständlich geschriebene Beschreibung des echten HansscbwammeB, des Moralins 
lacrymans. Das erste Kapitel ist der Verbreitung des Pilzes gewidmet. Tu¬ 
ben f nimmt insbesondere an, dass die Verbreitung des Pilzes in der Begel 
von Hans sn Hans erfolge, da die bisherigen Untersuchungen kein Beweis¬ 
material dafür ergeben hätten, dass die Infektion des Bauholzes mit Haus¬ 
schwamm schon im Walde erfolge. Angestellte Knltnrversnebe haben es sogar 
wahrscheinlich gemacht, das« der Hanssohwamm im lebenden Holze der stehenden 
Bäume nicht vorkommt. Bezüglich der Holzart ist der Hansschwamm nicht 
wählerisch. Das Nadelholz ist nnr deshalb den Zerstörungen am meisten auf¬ 
gesetzt, da dasselbe zu den Haushanten im wesentlichen verwendet wird. 

Die Zusammensetzung und die Entwickelung des Moralins lacrymans 
haben eine klare, deutliche und umfassende Besprechung gefunden. Veran¬ 
schaulicht wird der Text gerade dieses Kapitels durch übersichtliche Ab¬ 
bildungen. Im allgemeinen sind die Abbildungen mehr oder weniger schemati¬ 
siert worden; jedoch hat die Deutlichkeit darunter nieht gelitten; vielmekr 
trägt anch hier die zweckmässig angebrachte Schematisierung zur Erleichte¬ 
rung des 8tndinms wesentlich bei. 

Nach einer gründlichen Besprechung der Lebensbedingnngem und dar 
r mg des Hansscbwammes geht Verfasser näher auf die Einwirkung des 



Besprechungen. 


847 


Pilses auf das Holz ein, wobei mit Recht Gewieht auf die physikalischen 
wahrnehmbaren Veränderungen des Holses gelegt ist. 

Eine etwaa stiefmütterliche Behandlung hat das Kapitel „das hygienische 
Verhalten des Hausschwammes“ erfahren. 

Die Vorbeugungsm&ssregeln zur Verhütung der Entstehung des Schwammes 
sind übersichtlich zusammengestellt und enthalten alles Erwähnenswerte. Zur 
Vertilgung des Pilses werden auf Grund eigener Versuche als Imprägniernngs- 
resp. Konservierungsmittel das Kreosotöl und das Karbolineum empfohlen. 

Einer kurzen Besprechung werden sodann noch einige andere Holzpilse 
unterzogen, besonders der Polyparus vaporarius, die Trockenfäule und die 
Rotstreifigkeit des Holzes vor allem vom ätiologischen Standpunkte aus beleuchtet. 

Dr. Engels-Posen. 


Dr. B. Gottsoh&lk, Kreisarzt in Rathenow: Grundriss der gerichtlichen 
Medizin. 2. vermehrte und verbesserte Aufl. Leipzig 1908. Verlag von 
Thieme. 878 S. Preis: 5,50 Hk. 

Dem Referenten war es ein Genuss, das schön ausgestattete, herrliche 
Werk in einem Zuge durchsniesen. In knapper, klarer Weise sind die wesent¬ 
lichen medisinischen Erfahrungen und die einschlägigen gesetztl. Bestimmungen 
und Entscheidungen, unter Berücksichtigung der neuesten, dargestellt. Die 
Zufögung des Kapitels über Unfallgesetze und die Weglassung der gerichtlichen 
Psychiatrie dürfte nicht genügend motiviert sein. In der 3. Auflage, die dem 
aufs beste zu empfehlenden Buche sicher beschieden ist, müsste einiges ergänzt 
werden; z. B. X-Strahlen, Kenntlichmachung von durch Fäulniss veränderten 
Leichen, Versicherungswesen, event. Invalidität. Ein sorgsames Register er¬ 
höht die Brauchbarkeit des Buches. Dr. Kornfeld-Gleiwits. 


Dr. F. Peterson und Dr. W. 8. Haines: Textbuch der gerichtlichen 
Medizin und Toxikologie. Philadelphia und London 1908. Preis: 20 Mk. 

Bislang erschienen ist der I. Teil (715 S.) dieses Sammelwerks, von in¬ 
struktiven Abbildungen begleitet, unter Anführung zahlreicher amerikanischer 
Kriminalfälle, und, wohltuender Weise, ohne andere Anmerkungen als die 
Quellen der Zitate und Urteile. Ein besonderes Kapitel behandelt die Lebens¬ 
versicherung sehr ansfürlich, ferner die Sprachstörungen, die Zeiohen der De¬ 
generation, die Eisenbahnverletzungen. Eine ansförlicbere Besprechung bleibt 
bis nach dem Erscheinen des II. Teils Vorbehalten. Dr. Kornfeld -Gleiwits. 


Dr. L Löwsnfsld: Sexualleben und Nervenleiden. Die nervösen 
Störungen sexuellen Ursprünge nebst einem Anbange Ober 
Prophylaxe und Behandlung der sexuellen Neurasthenie. Dritte 
bedeutend vermehrte Auflage. Wiesbaden 1908. Verlag von Bergmann. 
Gr. 8*, 326 S. Preis: 6 Mark. 

Vorgänge im sexuellen Leben werden häufig Ursache von Störungen im 
Nervensystem; bereits von altersher hat sich daher die Aufmerksamkeit des Arztes 
auf die nervösen Leiden gerichtet, welche durch geschlechtliche Tätigkeit oder 
Zustände der Geschlechtsorgane hervorgerufen werden. In der Neuzeit, in 
welcher die Lebensverhältnisse und die angeborene Prostitution das Nerven¬ 
system bei einer grossen Anzahl von Menschen für Reize jeder Art empfäng¬ 
licher machen, drängt sich der Zusammenhang vieler nervöser Erkrankungen 
mit Vorgängen und Zuständen in der Geschlechtsspbäre in überzeugenderer 
Weise auf, als wohl je früher. Das vorliegende Buch des bekannten Münchener 
Nervenarztes, das in wenigen Jahren es zur dritten Auflage gebracht bat, 
erörtert diejenigen Verhältnisse des geschlechtlichen Lebens und diejenigen 
pathologischen Veränderungen der Genitalorgane, welche am häufigsten zu 
Störungen im Nervenbereiche führen, deren pathologischer Einfluss somit das 
Interesse des Arztes am meisten in Anspruch nimmt. Der Sexualtrieb und 
die Pubertätaentwickelung, die nervösen Störungen in der Pubertät und in der 
Menstruation, im natürlichen und künstlichen Klimakterium, die sexuelle Ah- 



848 


Tagesnachrichten. 


stinens bei beiden Geschlechtern, sowie die geschlechtlichen Bxsesse, die Onanie 
und der Präventivverkehr werden nacheinander eingehend besprochen. 

Weitere Kapitel behandeln den Einfluss sexualen Verkehrs auf bestehende 
Nervenkrankheiten und Erkrankungen der Sexnplorgane als Ursache von Nerven¬ 
krankheiten, dann kommen theoretische Erörterungen Aber die Freud'sehe 
Theorie und eigene Untersuchungen des Verfassers Uber die sexuelle Aetiologie 
neurotischer Augatzustände. Das Thema: Anomalien des Geschlechtstriebes, 
wird eingehend behandelt; ein therapeutisches Kapitel macht den Schluss. 
Viele eigene Krankengeschichten illustrieren die Auseinandersetzungen des 
Verfassers; Literaturverzeichnis und Sachregister beschliessen das instruktive 
Buch. Dr. L e w a 1 d - Obernigk. 


Tagesnachrichten. 

Auszeichnung. Dem Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Schmidt in Frank¬ 
furt a. M., der vor kurzem Se. Majestät den Kaiser wegen eines Stimm* 
lippen-Polypens mit bestem Erfolg operiert hat, ist aus Anlass dieser Operation 
der Charakter als Wirklicher Geheimer Bat mit dem Prädikat 
Exzellenz verliehen worden. Es fet dies jetzt die dritte derartige hohe 
Auszeichnung, die in den letzten drei Jahren Aerzten zu teil geworden ist. 


Die auf Vorschlag des Kaiserlichen Gesundheitsamtes vom Beiohskanzler 
veranlasste Umfrage bei den einzelnen Bundesregierungen betreffs Einführung 
einer Reichsarzneitaxe scheint im allgemeinen Zustimmung gefanden zu 
haben, so dass jetzt im Beichsgesundheitsamt die Vorarbeiten und Beratungen 
fflr die Ausarbeitung eines Entwurfs begonnen haben. 


Die Internationale Sanitätskonferenz in Paris hat ihre Sitzungen 
beendet, nachdem sie die Schlussantrfige der Kommission Aber die internationalen 
Sanitätsrate in Konstantinopel und Alexandrien, Aber die im Persischen Gol 
zu treffenden Maseregeln sowie Aber Schaffung eines internationalen Sanitäts 
dienstes genehmigt hat. 


In Württemberg ist durch VerfAgung des Ministers des Innern 
vom 4. November 1903 jetzt auch der Verkehr mit Geheimmitteln dem 
Beschluss des Bundesrats vom 28. Mai d. J. gemäss geregelt unter gleichzeitiger 
Aufhebung der frAheren Verfügungen Aber die Ankündigung von Geheimmitteln. 
Gleichzeitig ist aber durch Verfügung von demselben Tage die öffentliche An¬ 
kündigung des Audiphon Bernard und der Voltamittel, die in dem 
Verzeichnis des Bundesrats auffallender Weise nicht aufgefAhrt sind, von neuem 
verboten; Württemberg ist somit der erste Bundesstaat, der Aber die Vor¬ 
schriften des Bundesrats hinausgegangen ist. 


Mitteilung'. 

Der heutigen Nummer der Zeitschrift ist der Bericht der zweiten 
Hauptversammlung des Deutschen Medlzinalbeamten • Vereins als besondere 
Beilage beigefAgt. 

Der Vorstand des Deutschen Medizinalbeamtenvereins. 

Im Auftr.: Dr. Bapmund, Vorsitzender, 

Ref.- u. Geh. Med.-R*t In Minden. 


Verantwortl. Redakteur: Dr. Bapmund, Reg.-u.Geh.Med.-Bat in Minden i. W. 

J. C. 0. Brau, Henofl. Blieb. «. F, Seh.-L. Hofbnehdrackerel ln Minden. 




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16. Jahrg. 


Zeitschrift 


1*0«. 


flu 


MEDIZINALBEAMTE. 


Zentralblatt fiir gerichtlieh« Medizin nad Psychiatrie, 
für arztliehe Sachrerstindigeiitatigkeit in Unfall- and InTiliditätesaehen, sowie 
fir Hygiene, Sfentl Saaititswesen, Medizinal-Gesetzgebung und Rechtsprechung. 

Herausgegeben 

▼OB 

Dr. OTTO RAPMUND, 

Regforanffl- and Geh. Madiilnalrat 1b Mlndtn. 


Verlag von Fischer’s mediz. Buehhandlg., E Kornfeld, 

Honogl. Bayer. Hof- n. Erzherzogi. Kammer - Buchhändler. 

Berlin W. 35, Lützowstr. 10. 

Inserate nehmen die YerUgthandlung sowie alle Annoncenexpeditionen des In- 
nnd Aaslandes entgegen. 


Nr. 24. 


Kr»ehelat am 1. ud 15. Jedem Komata 


15. Dezbr. 


Strafbare Anpreisung eines Hsiiverfahrens. 

Von Dr. jur. Biberfeld - Berlin. 

Gegen den Angeklagten, der sich gewerbsmässig mit der 
Kurpfuscherei befasst, wird eine strafbare Verfehlung gegen § 4 des 
Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs auf Grund 
folgenden Sachverhalts vorgebracht. Er hat Zeituugsankflndigungen 
veröffentlicht, in denen er dem Pnbliknm seine „Spezialbe¬ 
handlung“ anempfiehlt nnd hieran folgenden Zusatz gefügt: 
„Auswärts brieflich mit gleichem Erfolge.“ Schon die Straf¬ 
kammer des Landgerichts hatte die Verurteilung des Angeklagten 
ansgesprochen, weü sie in dieser Ankündigung die Behauptung fand, 
der Angeklagte verfüge über besondere Erfahrung und Kenntnisse, 
vermöge deren er den Kranken eine Behandlung angedeihen zu 
lassen vermöge, die diese von anderer Seite nicht erfahren 
könnten. Besonders sei in der soeben im Wortlaute hervorgehobenen 
Wendung jener Annonce die Znsichernng zn finden, dass die Heil¬ 
methode des Angeklagten regelmässig zum Erfolge führe, nnd dass 
wiederum dieser Erfolg auch bei brieflicher Behandlnng ereicht 
werden könne. Die Beweisaufnahme selbst aber hatte ergeben, 
dass alles das, was der Angeklagte anf solche Weise in tatsäch¬ 
licher Beziehung sich nachgerühmt hatte, der Wirklichkeit nicht 
entsprach. Die Revision behauptet nun, die Auslegung der in 
Rede stehenden Ankündigungen dnrch den Vorderrichter sei eine 
unzutreffende; ausserdem verlange das Gesetz, dass die wahrheits¬ 
widrigen Angaben tatsächlichen Inhalts den Anschein „eines be¬ 
sonders günstigen Angebots“ vorznrnfen geeignet seien, dass es 











850 D r. Biberfeld: Strafbare Anpreisung eines Heil Verfahrens« 

aber an diesem Momente hier gerade fehle. Angesichts dessen 
nämlich, dass in dem Annoncenteile von Tageszeitungen so viele 
approbierte Aerzte and Kurpfuscher ihre Dienste dem Publikum 
anbieten, wobei jeder sich seiner Erfahrungen und seiner Erfolge 
rühmt, kann man keiner einzelnen solchen Empfehlung nachsagen, 
dass sie ein „besonders günstiges Angebot“ darstelle. Um diese 
Eigenschaft zu besitzen, müsse noch viel mehr gesagt werden, 
als er, der Angeklagte, tatsächlich gesagt habe; höchstens könne 
man in seiner Annonce ein ebenso günstiges Angebot finden, wie 
in den andern, aber keine über diese letztere hinausragende. In 
beiden Beziehungen jedoch hat das Reichsgericht in seinem 
Erkenntnisse vom 5. Januar 1908 (Aktenzeichen D. 5125/02 I) 
den Revisionsangriff für verfehlt erachtet. 

„Der Revision des Angeklagten war der Erfolg in versagen. Die An* 
griffe in der Bevisionsbegrttndang richten sich vorsugsweise gegen die Aus¬ 
legung, welche der Richter der in Frage stehenden Annonce gegeben hat; 
die Auslegung gehört aber dem dem Rechtsmittel der Revision verschlossenen 
Gebiete der Beweiswttrdigung an und kann deshalb einer Nachprüfung ihrer 
Richtigkeit durch das Revisionsgericht nicht untenogen werden. Im Wege 
der Auslegung ist der Vorderrichter su der Feststellung gelangt: der Schluss- 
sats: „Auswärts brieflich mit gleichem Erfolge“ enthalte das Versprechen nicht 
nur eines Besserangs-, sondern eines Heilungserfolges, also die unwahre Behaup¬ 
tung, das Heilverfahren des Angeklagten gewährleiste auch bei brieflicher Be¬ 
handlung regelmässig einen BeBserungs- und Heilungserfolg, weiter aber auch die 
unwahre Behauptung, dass er solche Erfolge und swar wirkliche, nicht bloss 
Zufallserfolge in anderen Fällen schon gehabt habe. Weiter legt der Vorder¬ 
richter das Eingangswort: „Spezialbekandlung“ dahin ans, der Angeklagte 
stelle sich damit wahrheitswidrig als „Spezialisten“ hin, als einen Hann, der 
eine besondere Ausbildung und Erfahrung in der Behandlung dieser bestimmten 
Krankeiten habe und deshalb Erfolg zu versprechen in der Lage sei. Wenn 
der Vorderrichter auf Grund dieser Auslegung der Annonce su der Annahme 
gelangte, der Angeklagte habe unwahre Angaben tatsächlicher Art gemacht, 
so ist das nicht rechtsirrtümlich. Das Gesetz gestattet, wie die Motive (S. 10) 
ersehen lassen, die lobende Beurteilung eigener Leistungen, selbst wenn sie 
Uebertreibungeu enthalten, trifft die Reklame aber dann, wenn sie zur Vor¬ 
spiegelung unwahrer Tatsachen konkreter, ihrer Beschaffenheit nach beweis¬ 
barer Hergänge oder Zustände greift. Entsch. XXX, S. 411, Goldt, Archiv 
XLVIII 860.) Den Gegensatz zu solchen Behauptungen tatsächlicher Natur 
bilden rein gutaohtliche Aeusserungen, Angaben, auch übertreibende, die nur 
in einer lobenden Beurteilung der Leistungen bestehen, mag auch das Urteil 
objektiv nicht berechtigt sein. Geht die Anpreisung jedoch über die Fest¬ 
stellung einer rein persönlichen subjektiven Anschauung und Belobigung hinaus, 
was insbesondere u. a. dann der Fall ist, wenn in demselben anf Geschehenes, 
Vorhandenes ausdrücklich oder dem Sinne nach Bezug genommen wird, so liegt 
hierin eine tatsächliche Behauptung (Bachem und Roeren, N. 2 zu g. 1 S.19; 
3. Aufl.). Was speziell die Befähigung zu gewerblichen Leistungen von ge¬ 
wisser Beschaffenheit anlangt, so kann die unrichtige Behauptung soloher Fähig¬ 
keit insbesondere dann als im Sinne unrichtiger Angaben tatsächlicher Art 
aufgestellt erachtet werden, wenn z. B. vorausgegangene Ausbildung, Besits 
gewisser Mittel, Anwendung eines gewissen Verfahrens, der in anderen Fällen 
erzielte Erfolg vorgespiegelt werden. Auch innere Tatsachen können ebenso 
wie im Falle des § 268 St. G. B. in dieser Form unwahr behauptet werden, 
so z. B. wenn durch das Erbieten zu Heildiensten der Anschein eines in Wirk¬ 
lichkeit nicht vorhandenen Glaubens an die eigene Fähigkeit des Täters oder 
an den Erfolg Beiner Dienste hervorgerufen wird. Von den vorentwickelten 
Grundsätzen ausgehend, erscheint die Annahme des Vorderrichters: „das in dem 
Erfolgversprechen hier zugleich liegende Sichrühmen früherer Erfolge im Zu¬ 
sammenhänge mit der Beseiohnung, der Spezialist greife über die blosse Kund¬ 
gebung subjektiver Ansobauung auf das Gebiet tatsächlicher Behauptungen 



Dr. Biberfeld: Grundsätze für die zeitweise Entziehung der Approbation. 861 

hinttber“ nicht reehtsirrtttmlich. Dass die fragliohen Angaben objektiv unwahr 
and geeignet waren, das Pnbliknm irrezofUhren, ist im angefochtenen Urteile 
einwandsfrei festgestellt. Aach die Feststellung des subjektiven Tatbestandes 
begegnet keinen Bedenken. Da es sich bei dem „besonders günstigen Angebot“ 
keineswegs nm ein besonders hohes Maas von Vorteilen handeln muss, das An« 
gebot als ein besonders günstiges vielmehr auch schon dann anzusehen ist, 
wenn es sich den Angeboten im allgemeinen gegenüber als günstiger darstellt, 
konnte der Vorderrichter ohne Reohtsirrtnm in dem Sicherbieten an erfolg« 
reioher brieflicher Behandlung, welche den Patienten den bei sog. diskreten 
Leiden häufig beschämenden und unangenehmen persönlichen Verkehr mit dem 
Arzte erspare, ein besonders günstiges Angebot erblicken. Ob der Anschein 
ein falscher war, ist gleichgültig. Der Angeklagte hat nach den weiteren 
Feststellungen des Vorderrichten in der Absicht gehandelt, den Anschein he« 
sonders günstigen Angebots hervorzurufen, war sich der Unwahrheit seiner 
Angaben bewusst und ebenso des Umstandes, dass seine öffentlich gemachten 
Angaben nur Irreführung des Publikums geeignet seien. Mehr ist zur An¬ 
wendung des §. 4 auch in subjektiver Richtung nicht erforderlich.“ 


Grundsätze für die zeitweise Entziehung der Approbation. 

Von Dr. jur. Biberfeld «Berlin. 

Die Gewerbeordnung geht in §. 53, Abs. 1 von dem Stand¬ 
punkte aus, dass die Approbation, die einem Arzte erteilt wird, 
grundsätzlich unentziehbar sein soll. Sie kann definitiv nur dann 
von der Behörde zurückgenommen werden, wenn sich herausstellt, 
dass die Nachweise, die zu ihrer Erteilung geführt haben, un¬ 
richtige waren, z. B. wenn dem Gesuche um die Approbation ge¬ 
fälschte Zeugnisse beigefügt gewesen wären und dergl. mehr. 
Dieses ist jedoch der einzige Fall, in welchem ein Arzt der Appro¬ 
bation überhaupt definitiv verlustig gehen kann; das Gesetz kennt 
nebenher nur die Möglichkeit eines zeitweiligen Verlustes dieser 
staatlichen Anerkennung und Genehmigung; aber auch er ist wieder¬ 
um nur in einem einzigen Falle zulässig, nämlich, „wenn dem 
Inhaber der Approbation die bürgerlichen Ehrenrechte aber¬ 
kannt sind“. 

Um die Anwendung dieses Satzes handelte es sich in einem 
sehr beachtenswerten Falle, den das preussische Oberverwaltungs¬ 
gericht durch Erkenntnis vom 20. Oktober 1902 erledigt hat. 
Gegen den Angeklagten war von der Behörde das Verfahren auf 
Entziehung der Approbation für die Dauer von fünf Jahren ein¬ 
geleitet worden, d. h. für solange, als ihm durch rechtskräftiges 
Gerichtserkenntnis die bürgerlichen Ehrenrechte im Zusammen¬ 
hänge mit einer Verurteilung zu längerer Freiheitsstrafe aber¬ 
kannt worden waren. In diesem Erkenntnisse war festgestellt 
worden, dass der Angeklagte unter dem Deckmantel der Approbation 
die denkbar grösste Charlanterie getrieben, schablonenmässig, rein 
nach dem Schema auswärtige Kranke, die er nie gesehen, behandelt 
hatte, dass er ihnen Medikamente übersandte oder persönlich ver¬ 
abreichte, von denen er überzeugt sein musste, dass ihnen nicht 
die mindeste Heilkraft innewohne, ja, dass er die Personen, die 
bei ihm Hilfe suchten, von Angestellten, die keinerlei ent¬ 
sprechende Vorbildung besassen, behandeln und mit Medikamenten 
versehen Hess. Auf Grund dessen ist er wegen Betruges nicht 



nur mit längerer Freiheitsstrafe belegt worden, sondern es sind 
ihm ancb die bürgerlichen Ehrenrechte für die Däner von fünf Jahren 
aberkannt. Im Yerwaltnngsstreitverfahren behauptete der Ange¬ 
klagte non, dass jenes Gerichtserkenntnis zu Unrecht ergangen 
sei, dass die tatsächlichen Feststellungen keine genügenden ge¬ 
wesen, und dass die rechtliche Beurteilung, die der Richter ihnen 
habe angedeihen lassen, eine abwegige sei. Er beantragt deshalb, 
dass der Verwaltungsrichter auch seinerseits selbständig in eine 
Prüfung der Sachlage eintrete. Das Oberverwaltungsgericht hat 
dies jedoch von vornherein rundweg abgelehnt und zwar mit 
folgender Begründung: 

„Der g. 53, Abs. 1 G. 0. setzt fttr die Zurücknahme der Approbation 
lediglich die Tatsache der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte voraas. 
Damit ist sam Ausdrucke gebracht, dass dem Verwaltungsriohter eine Prüfung 
der Frage, ob diese Anerkennung su Recht oder zu Unrecht erfolgt sei, nicht 
sustehe. Daher ist der Verwaltungsrichter an die tats&chlichen Feststellungen 
des Strafurteils, auf Grund dessen die Aberkennung der Ehrenrechte stattge- 
funden hat, gebunden.“ 

In dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts wird dann weiter 
ausgeführt, 

„dass, wenn durch eine rechtskräftige Entscheidung ein Angeklagter 
der bürgerlichen Ehrenrechte für eine gewisse Zeit verlustig erklärt ist, der 
Verwaltungsriohter die Tatsache, auf Grund deren dieser Ausspruch erfolgte, 
ohne Weiteres als wahr hinznnehmen hat. Hat daher der Strafrichter fest- 
gestellt, dass ein Arzt sich in der bezeichneten Weise strafwürdig gemacht 
habe, weil er diese oder jene Handlung begangen habe, so steht es dem Ver¬ 
waltungsrichter nur noch frei, su prüfen, ob dieses Verhalten vereinbar sei mit 
der Ausübung der ärztlichen Praxis oder nicht. Hier kann nun die Antwort 
auf eine solche Frage durchaus nicht zweifelhaft sein; denn gerade in Aus¬ 
übung seines Berufes hat sich der Angeklagte die schweren Verfehlungen zu¬ 
schulden kommen lassen, deretwegen er verurteilt worden ist. Es muss daher 
wegen Unwürdigkeit des Angeklagten in mehrfacher Beziehung geboten er¬ 
scheinen, auf die vom Gesetze gestattete Dauer die Approbation als Arzt 
zurückzunehmen.“ 

Die höchste Instanz hat sich dabei zugleich zn dem Grund¬ 
sätze bekannt, dass die Entziehung der Approbation im Falle der 
Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte die Regel bilden muss, 
so dass nur ausnahmsweise dem Verurteilten für die Zeit während 
welcher jene Nebenstrafe wirkt, die Ausübung seines Berufes als 
Arzt gestattet werden darf. 


Induziertes Irresein. 

Von Kreisarzt Dr. Feige in Hoyerswerda. 

A. P. in H., zur Zeit 28 Jahre alt, ist in D. als Tochter 
eines Tischlermeisters geboren. Ihr Vater war Trinker und hat 
sich erhängt; die Mutter starb eines natürlichen Todes. Von den 
Verwandten soll ein Bruder des Vaters ein Sonderling gewesen 
sein. Auch der Grossvater väterlicherseits hat zeitweise stark 
getrunken und ist in diesem Zustande ertrunken. 

Im Alter von 8 Jahren zog sie mit den Eltern nach H.; ein 
Jahr darauf erhängte sich der Vater. A. P. blieb bei der Stief¬ 
mutter, bis diese starb; im Alter von 16 Jahren kam sie zu einer 



Induzierte« Irreeein. 


858 


Tante nach E., wo sie 6 Jahre blieb. Daranf zogen beide, als 
der Mann der Tante, der Bruder des Vaters von A. P., starb, 
nach H., wo sie eine Kleinkinderschule gründeten. Im Alter von 
24 Jahren ging A. P. nach Dresden, nm Zeichnen zu lernen, blieb 
dort aber nur ein Vierteljahr; dann ging sie in das Sanatorium 
von Dr. F. in M., nm die Krankenpflege zu lernen, doch gab sie 
auch dies nach 6 Monaten auf. Seitdem lebte sie ununter¬ 
brochen in H. 

Schon vor mehreren Jahren wurde davon gesprochen, dass 
A. P. an einen hiesigen unverheirateten Herrn Liebesbriefe ge¬ 
schrieben habe, die dieser in keiner Weise veranlasst oder beachtet 
hatte, doch gab niemand etwas auf dies Gerücht. Da wurde ich 
Anfang April d. J. von der Polizei aufgefordert, die A. P. zwecks 
Aufnahme in eine Anstalt auf ihren Geisteszustand zu untersuchen, 
da sie an Verfolgungswahn erkrankt zu sein scheine. 

Bei der Unterraiäang erzählte eie, im 9. Jahre ihres Lebens sei ihr 
Vater, ein Tischlermeister, den sie „Stiefvater* nennt, ebenso wie ihre richtige 
Matter „Stiefmutter*, gestorben. Man habe ihr gesagt, er habe sich erhängt, 
doeh habe man ihr ein 10 cm langes dünnes Ftdchen als Brhängnngsstrick 
geneigt. Da dies nerreissen musste, wenn sich ihr „Stiefvater daran anfge- 
hlngt hätte, so glanbt sie nicht, dass er sich erhängt habe; es hätten ihm viel¬ 
mehr böse Menschen nachgestellt and ihn umgebraoht. Als sie gann klein war, 
sei sie bereits einmal sersägt worden, anoh sei ein Mann mit einem langen 
Messer na ihr gekommen, als sie im Bette lag; weiter wisse eie davon nichts. 
In ihrer Jagend sei sie viel bei Graf A. in Mnskan gewesen (Wahn); es gäbe 
xwei Moskaus, eins liege in Bassland, wo sie in ihrer frühesten Jagend ge¬ 
wesen sei (Wahn), da ihre Grossmntter die erste Königin von Polen sei. 
Deren Sohn sei als Papst nach Rom berufen worden. Blue Tante, die de 
immer „Tante Jäniehen“ genannt habe, sei Königin von Rumänien usw. usw. 
(Za beachten ist hier die Bntstehang des Wahngebildes aus der Wortähnlich¬ 
keit.) Bin Mann, den sie für ihren Vater hält, sei einst in B. (Wohnsits ihres 
Onkels) so ihrem Onkel gekommen, habe mit diesem gesprochen and ihr einen 
goldenen Ring gegeben, den sie noch trägt. Diesem Mann seien vom Kaiser 
99 Güter zngesprochen worden. Ob ihre „Stiefmutter noch lebe, wisse de 
nicht; sie habe sie einmal in Chemnits wiedergesehen. Als de einst in D. an 
ihrer Ausbildung im Marthaheim gowesen sei, habe eine Frau, die wahrscheinlich 
ihre Mutter war, aus dem Königlichen Schloss sum Fenster herausgesehen und 
sie nach ihrem Namen gefragt; de wisse nicht mehr, ob diese Frau oder de 
selbst nmgefallen sei, jedenfalls sei sie selbst weggebraeht worden. 

Diese Sachen erzählt sie an zwei verschiedenen Tagen ganz 
gleichmässig; sie hat sich demnach ein völlig feststehendes Wahn¬ 
gebilde aufgebaut. Bei ihren Erzählungen kommt sie vom Hun¬ 
dertsten ins Tausendste, sie bleibt nie bei der Sache. Eingehender 
über einen bestimmten Gegenstand befragt, erklärt sie, sie wisse 
das nicht genau. Sic hat keinerlei Krankheitsbewusstsein, wun¬ 
dert sich auch nicht über ihre Umgebung (Zelle im Kreiskranken¬ 
haus). In der Nacht lärmt und singt sie. Alle ihre Erzählungen 
trägt sie mit der ernsteten Miene vor. In den letzten Tagen vor 
der Aufnahme in das Kreiskrankenhaus fürchtete sie sich, nach 
Hause zu gehen, da ihr überall Männer auflauerten. 

Um Genaueres über den Fall zu hören, besuchte ich am 
nächsten Tage die Tante der A. P., mit der diese seit 7 Jahren 
zusammen gelebt hatte. Beide Frauen waren wenig ausgegangen, 
lebten sehr zurückgezogen und hatten wenig Verkehr. Die Tante, 
die nur die Frau des Onkels, also keine Blutsverwandte der A. P. 



854 


Dr. Feige: Iuiuziertos Irresein. 


ist, erzählte bereitwilligst folgendes, indem sie mit keinem Wort 
ihrer Verwondernng über die Unterbringung ihrer Nichte im 
Kr&nkenh&use Ausdruck gab : 

Sie sei 1849 geboren; ihr H&nn, ein Buchdrucker, sei vor 7 Jahren an 
Harnverhaltung gestorben. A. P. sei, wie sie bis vor kursem geglaubt habe, 
die eheliche Tochter ihres Schwagers gewesen. Ihr Schwager sei ermordet 
worden, man habe ihn swar angeblich im Walde erhSngt aufgefunden, doch 
habe man als Erhängungawerkzeng ein dflnnes F&dcben gezeigt, nnd das sei 
doch nicht möglich, da daB Fädchen hätte zerreissen müssen. Gleichzeitig mit 
dem Tode des Schwagers habe man ein Messer gefunden, doch wisse sie nicht, 
ob im Walde neben der Leiche, oder in seiner Wohnnng. A. P. sollte als 
Kind von 9 Jahren einmal ermordet werden, der Mörder habe sich über sie 
gebeugt mit einem grossen Messer in der Hand. Bs hätte zwar geheissen, 
das wäre ihr Vater gewesen, aber das wäre bestimmt nioht wahr. Auf diese 
Anschuldigung sei der Vater von A. P. im Kopfe wirr geworden, doch sei da* 
bei mit Spiritismus gearbeitet worden, um ihn unschädlich zu machen. Sie 
kann nioht sagen, wie der Vorgang sei, aber etwas sei nicht in Btchtigkeit. 
Ihr Schwager habe kurz vor seinem Tode Geld für seine Tochter zur Erziehung 
erwartet; dies sei nioht angekommen und scheine gestohlen worden zu sein. 
Ihre Nichte sei schon von Kind an betrogen worden; in D. sei ihr als Kind 
einst eine Kommode weggekommen, die eine grosse Bolle spiele, da sich darin 
Wäsche mit den Zeichen ihrer hohen Geburt befunden nabe. Unbekannte 
hätten aus der Kommode etwas — was, wisse sie nioht — ins Feuer geworfen 
und zerrissen. Dass einst in B. zu ihrem Mann ein Unbekannter, der der 
Vater von A. P. sein solle, gekommen sei, habe sie erst später erfahren. Dieser 
Unbekannte habe ibre Nichte mitnehmen wollen, um sie in ein Pensionat zu 
bringen. Sie habe daB später erst nach und nach von ihrer Nichte erfahren, 
ihr Mann habe ihr, wie erwähnt, damals nichts davon gesagt. Nur einmal 
habe er sie gefragt: „Was sagst Du, wenn A. plötzlich fortkommen würde?* 
In D. habe ihre Nichte */ 4 J&hr lang das Zeichnen gelernt, doch sei es ihr 
schlecht bekommen, sie habe über die Augen geklagt; sie sei ein freies Genie 
und habe sich in D. nicht in Kleinigkeiten einzwängen lassen wollen. 8ie selbst 
sei auch in letzter Zeit ganz verwirrt im Kopf, es sei ihr alles so verdreht 

Seit einiger Zeit gehe etwas mit Aengstlichkeit hier herum: so habe 
sie eine Schlange gebissen, sie sei gezwickt worden und dergleichen. Was das 
nur sein könne? Böse Gedanken habe sie nie gehabt, auch könnten es doch 
diese allein nicht sein. Mit einem Male sei allerlei Schreckhaftes mit ihrer 
Nichte vorgekommen, das hänge auch mit Spiritismus zusammen, mit dem 
die Menschen Unfug trieben. Das sei ihr schon zum zweiten Male so passiert, 
vor einigen Jahren sei es grade so wie jetzt gewesen. Vor einigen Tagen 
habe ihre Nichte abends beim Lesen plötzlich anfgessehrien: „Komm raus, 
nimm das Geld mit.* Bs sei der Schein von einem Totengerippe mit der 
Laterne in der Hand plötzlich erschienen, dies war schon das zweite Mal. 
Darauf sei sie mit ihrer Nichte zum Fenster herausgesprnngen und sei nach 
dem Bathaus gegangen. Dort sei der Nachtwächter mit einer Laterne ge* 
kommen, und da habe sich zum zweiten Male das Totengerippe gezeigt. Seit¬ 
dem sei überall ein Geklopfe und „Gemache*, es sei fortwährend etwas los, 
was sie in Unruhe erhalte. In ihrer Jngend sollte auch sie selbst einmal nur 
Königin Olga von Württemberg, die ja eine Bussin sei (!), gebracht werden, 
die damals ein Kind gesucht habe; Genaueres wisse sie darüber nicht. 

Es sind also hier zwei Frauen vorhanden, die seit 7 Jahren 
fast ganz abgeschlossen von der Welt leben und fast ausschliess¬ 
lich aufeinander angewiesen sind. Die jüngere, die von einem 
Trinker abstammt, erkrankt allmählich — denn der Anfang geht 
viele Jahre zurück — mit Verfolgungs* und Grössenideen, die sich 
zu einem festen Wahngebilde vervollständigen. Bei dem engen 
Verkehr der beiden Frauen nimmt schliesslich die ältere die 
Hirngespinste der jüngeren, die ihr fortwährend vorgetragen 
werden, an und macht sie zu den ihrigen; denn sie gibt selbst 



Dr. Ohlemann: Ueber Intoxikationsamblyopien ubw. 855 

zu, dass sie all die Erzählungen nur von ihrer Nichte gehört habe. 
Trotz der Abenteuerlichkeit dieser Erzählungen, in die sich auch 
viel greifbar Unwahres mischt, wie der Aufenthalt bei Graf A., 
der Aufenthalt in Russland u. s. w. — dies erklärte Frau P. selbst 
als „Phantasien“ ihrer Nichte — hält sie dieselben doch für wahr 
und ist fest von der Richtigkeit derselben überzeugt. Ja, sie 
macht die Ideen ihrer Nichte schliesslich so sehr zu ihren eigenen, 
dass auch bei ihr selbst Grössenideen auftauchen, wie die Er¬ 
zählung von der Königin Olga beweist. 

Die Form der Erkrankung ist bei A. P. als chronische Pa¬ 
ranoia zu bezeichnen, bei der eine Besserung oder Heilung 
wohl nicht zu erwarten steht. Wie sich die Erkrankung 
bei der Tante entwickeln wird, bleibt abzuwarten; möglicherweise 
kehrt ihr Geist durch die Entfernung von ihrer Nichte zur Norm 
zurück, doch ist bei der festen Einwurzelung der Wahngebilde 
wenig Wahrscheinlichkeit hierfür vorhanden. 


lieber Intoxikationsamblyopien von sanitätspolizeilichem 

Standpunkte. 

Von San.-Bat Dr. Ohlemann in Wiesbaden. 

Durch die Entwickelung der Industrien im allgemeinen, der 
chemischen Industrie im besonderen und daran anschliessend der 
modernen Therapie hat das Gebiet der Intoxikationsamblyopien 
eine solche Erweiterung erfahren, dass es für den beamteten Arzt 
kaum noch zu übersehen ist, wenn er die Fachliteratur zu Rate 
ziehen will. Da aber gerade vom beamteten Arzte womöglich 
noch mehr verlangt wird als vom Spezialisten, nämlich die erste 
Diagnose und Prognose, und bekanntlich nichts so schwierig ist 
als eine Frühdiagnose, so dürfte es angemessen sein, die Fort¬ 
schritte auch auf diesem Gebiete in der Literatur der Neuzeit zu 
verfolgen. Wie sehr dieselbe angewachsen ist, das ersieht man 
aus den Bearbeitungen von Eversbusch 1 ) und Uhthoff*), so¬ 
wie aus einer grossen Reihe ausländischer Arbeiten auf diesem 
Gebiete; kaum ist ein Werk abgeschlossen, so finden sich schon 
wieder neue Gesichtspunkte. 

Pathogenese. Fasst man kurz zusammen, was die Hand¬ 
bücher über die Intoxikationsamblyopien sagen, so finden wir in 
erster Linie und nur kurz genannt die Tabak-Alkohol-Amblyopie, 
dann die Blei- und Chinin - Amblyopien, denen sich die durch Filix 
mas anschliessen. Seltener sind die durch grosse Dosen Salizyl¬ 
säure, durch Karbolsäure, durch Schwefelkohlenstoff bei der Vulkani¬ 
sation des Gummi bedingten Amblyopien. Weit artenreicher sind 
die Amblyopien in der chemischen Industrie und infolge von Medika¬ 
menten. Hierher gehören die Störungen des Sehvermögens durch 
Osmium- und Cyanwasserstoffdämpfe, — auf letztere werde ich 
später beim Furfurol zurückkommen —, dann durch grosse Dosen von 

‘) Handbuch der Therapie von Pensoldt & Stintsing; Jena 1895. 

*) Graefe & Saemiaeh; Leipzig 1901. 



866 


Dt. Ohlemann. 


Antipyrin, Azetanilid, Arsen, Bromkalium, Koffein, Ergotin, Kreosot, 
Naphthole, selbst Natrium salicylicum, Opium, Eserin, Pilokarpin, 
Secale cornutum, Strychnin, Sulfonal, Trional, Petronal, Urethan. 
Durch Hydrazethinsalbe wurden selbst Netzhautblutungen be¬ 
obachtet. Dann sind zu nennen: Silber, Quecksilber, Chlor¬ 
schwefel; von pflanzlichen Stoffen: der Gebrauch von Strammonium- 
blfttter bei Asthma, Haschisch, exzessives Teetrinken; endlich 
Organpräparate wie Thyreoidin. 

Die verschiedenen Arten der Bleiintoxikation mögen hier 
als bekannt übergangen werden. Weniger gekannt sind indess 
die Sehstörungen bei der Anilin- und Nitrobenzol- (künstliches 
Bittermandelöl) Intoxikation und bei der Roburitfabrikation. Eine 
weitere sehr wichtige Gruppe von Amblyopien ist die der Intoxi¬ 
kation durch Toxalbumine und Ptomaine. Dahin gehören die Fälle 
von SehstörQngen — meist auch noch verbunden und daran 
kenntlich mit Mydriasis — durch verdorbene Nahrungsmittel, so 
durch Wurst und Käse, durch Pilze, Fische, Fleisch, Miess¬ 
muscheln, Pasteten u. a., die daher auch meist akuter Natur sind. 

In neuerer Zeit sind im Auslande vielfach auch Amblyopien 
und selbst völlige Erblindung durch Methylalkohol, Holzgeist, 
beobachtet worden, nicht allein durch Trinken, sondern auch bei 
seinem Gebrauche im Malergewerbe durch Verdunsten. 

Für Deutschland hat diese Wahrnehmung noch kein aktuelles 
Interesse, da der Methylalkohol noch zu teuer ist. Sollte die 
Industrie des Auslandes jedoch den Holzgeist massenhafter pro¬ 
duzieren und exportieren, so könnte er derart billig werden, dass 
sich sein Gebrauch im Gewerbebetriebe, namentlich bei der Be¬ 
reitung von Farbe mit Schellak zum Lackieren, lohnte, und dann 
könnten allerdings auch bei uns Methylalkohol-Amblyopien Vor¬ 
kommen. Derselbe ist auch unter dem Namen Columbia Spirits 
in Nordamerika im Handel. 

Uhthoff 1 ) unterscheidet im allgemeinen alle die genannten 
Arten von Amblyopien als exogene Intoxikationen im Gegensatz 
zu den sog. Autointoxikationen durch innere Erkrankungen und 
gruppierte sie nach folgenden Gesichtspunkten: Die erste Gruppe 
umfasst die Fälle von Intoxikations - Amblyopien, die den Charakter 
tragen der retrobulbaeren Neuritis mit zentralem Skotom und 
intaktem periphereren Gesichtsfeld. Der Krankheits¬ 
verlauf bleibt meist partiell und beschränkt sich auf einzelne 
Nervenbündel namentlich der papillo-makularen Region. Die 
atrophische Verfärbung bleibt begrenzt auf die temporale Hälfte. 
Veränderungen pathologischer Art an den Gefässen der Netzhaut 
sind selten, auch perineuritische Veränderungen fehlen. 

Zu dieser Gruppe gehören die Tabak -Alkohol- Intoxikationen, 
dann die durch Schwefelkohlenstoff, Arsen, Jodoform, Strammonium, 
Haschisch, ferner als Autointoxikation Diabetus mellitus. 

Die zweite Gruppe von Intoxikationen enthält die Chinin-Am¬ 
blyopien und Amaurosen, die durch Salizylsäure, Filix mas, Granat- 


’) XIII. Internationaler Kongreaa der Hedinin an Paria 1900. 



Uebor Iatoxikatioasamblyopien tob sanitltepolizeiUehem Standpunkt. 867 


wnrzel. Die pathologisch > anatomischen Veränderungen bestehen 
in Verengerung der Blutgefässe, Veränderungen in den Gefäes- 
wandungen, in Ischaemie und nachfolgender Nekrose im Kapillar¬ 
gebiet, sowie in toxischer Wirkung aut die Nervensubstanz selbst. 
Das Gesichtsfeld zeigt sich hier verengt. 

Die dritte Gruppe, die Bleiintoxikation, nimmt einen mittleren 
Platz ein. Man findet am Opticus entzündliche Erscheinungen 
und auch an den Gefässen. 

Zur vierten Gruppe gehören die Intoxikations-Amblyopien 
durch Anilin, Nitrobenzol, künstliches Bittermandelöl und Schlangen¬ 
gift. Sie sind nicht typisch und noch nicht genügend studiert. 

Als fünfte Gruppe kann man nennen: Autointoxikationen in¬ 
folge ungenügender Elimination von Krankheitsprodukten bei ge¬ 
wissen Erkrankungen, wie bei der Addisonschen Krankheit, bei 
Erkrankungen der Schilddrüse. Auch diese beiden Gruppen zeigen 
ebenso wie bei Infektionskrankheiten mit Amblyopie wie Influenza, 
Rheumatismus, Syphilis ein gemischtes Krankheitsbild mit Bezug 
auf das Gesichtsfeld. Bei allen Gruppen besteht mehr oder 
weniger das Bild der Sehnervenatrophie, doch lässt sich aus dem 
pathologisch-anatomischen Befunde allein nicht die Diagnose her¬ 
leiten. Man kann nicht sagen, dass toxische Amblyopie überall 
primär in Form von Entartung der Ganglienzellen der Netzhaut 
mit aufsteigender Atrophie der Opticusfasem verläuft. 

Experimentell ist auf diesem Gebiete sehr viel gearbeitet, 
speziell über Chinin - Erblindung von B i r c h - Hirschfeld, Holden, 
Drualt 1 ), die diesen Hergang der Degeneration der Ganglien¬ 
zellen der Netzhaut und der Opticusfasem sekundär nachwiesen, 
doch ist hier nicht der Ort, auf die mikroskopischen Verhältnisse 
weiter einzugehen. 

In letzter Zeit hat man ausser diesen Gruppen noch In¬ 
toxikations-Amblyopien anderer Art beobachtet; so berichtete 
Br ose*) über Sehstörungen infolge von Dynamitdämpfen; ophthal¬ 
moskopisch fanden sich blasser Opticus, verengte Arterien, erweiterte 
Venen. Hay 8 ) fand, dass Dinitrobenzol (wird mutmasslich Ni¬ 
trobenzol, künstliches Bittermandelöl sein) durch die Haut der 
Arbeiter resorbiert wurde, Dunbar Roy 4 ), dass schweflige Säure, 
in geringem Masse der Luft beigemengt, Neuroretinitis verursachen 
könne; dasselbe fanden andere bei Nitroglyzeringasen. 

Den toxischen Einfluss des Leuchtgases auf das Sehvermögen 
hat Purtscher 8 ) untersucht. Als Symptome fand er äussere 
partielle Ophthalmoplegie; denn neben Mydriasis kam auch Miosis 
vor, vielleicht noch im Stadium der Reizung, herabgesetztes zen¬ 
trales Sehen, Verengerung der Netzhautarterien und temporale 
weissüche Verfärbung des Opticus, ausserdem in anderen Fällen 
laterale Hemianopsie. Dasselbe berichtet Friedenwald. 

*) Reoherchea anr la Pathogenie de L’Amaurose Qoinine; Pari« 1900. 

*) Archive! of Oftalmology 1899. 

*) The Lanoet: 81. Anglist 1901. 

4 ) The Ophthalmio Record; 1902, pag. 214. 

*) Zentnublatt fttr prakt. Augenheilkunde; Angast 1900. 



868 


Dr. Oklemaon. 


Jodoform-Amblyopie mit retrobnlbaerer Neuritis und zen- 
tr&lem Skotom nach Behandlung ausgedehnter Brandwunden mit 
Jodoform sah Brose 1 ) und de Vries*) nach Injektion von 49,0 gr 
Jodoform in einem Zeitraum von 4 Monaten bei Spondylitis 
tuberculosa. 

Ueber Amblyopie nach exzessivem Teetrinken berichtete 1900 
Wallace Henry*) in London. 

Differenzialdiagnose. Die Diagnose auf diesem Gebiete 
ist mitunter eine schwierige. Ausser den Recherchen nach einer 
äusseren Ursache hat man auch an die Allgemeinerkrankungen zu 
denken, in deren Verlaufe Amblyopien aufzutreten pflegen; dann 
kommen in Betracht die eigentlichen Augenerkrankungen und in 
letzter Linie auch noch Simulation und Aggravation. 

Auch von diesem Standpunkte würde es von Nutzen für den 
Begutachter sein, das ganze Gebiet der Amblyopien genau zu 
kennen; denn nichts führt besonders in der Unfallpraxis so leicht 
zu einer Annahme von Simulation als der Mangel einer genauen 
Diagnose. 

Es ist zu erinnern und hervorzuheben, dass bei Herz- und 
Nierenerkrankungen Amblyopien Vorkommen, selbstverstftndlich bei 
Erkrankungen des Gehirns, wie progressive Paralyse, dann bei 
Tabes, bei denen aber zentrale Skotome und Gesichtsfeldeinen¬ 
gungen fehlen, ferner auch bei allgemeinen Störungen des Nerven¬ 
systems, wie bei Hysterie, chronischer Anämie, Krankheiten der 
Genitalorgane bei Frauen, nach Trauma, Blitzschlag, der aller¬ 
dings auch ein Trauma ist, besonders aber nach grösseren Blut¬ 
verlusten. 

Bei den Infektionskrankheiten sind Scharlach und Syphilis 
die häufigste Ursache; hier ist die Schwachsichtigkeit infolge von 
Neuritis häufig einseitig. Weiter kann Amblyopie, namentlich die 
einseitige, auch angeboren sein; solche Fälle von Amblyopie und 
auch sogenannte Amblyopien aus Nichtgebrauch sind leicht an 
begleitenden Abnormitäten erkenntlich, wie Schielen, Iris-Kolo¬ 
bomen, Nystagmus. Endlich wurde über ganz vereinzelte Fälle 
von Amblyopie reflektorischer Art berichtet: vom Nervus supra- 
orbitalis aus, den Zahnnerven, bei Helminthiasis, bei Kontusionen 
der Nachbarschaft des Auges. 

Die Prognose ist, abgesehen von Extensität und Intensität 
der Intoxikation, von der Pathogenese abhängig. So gilt die Pro¬ 
gnose bei der Tabak-Alkoholamblyopie nicht für absolut schlecht, 
namentlich wenn die Ursache beseitigt werden kann. Dagegen 
sehr schlecht ist die Prognose bei der Methylalkohol-Amblyopie. 
Ebenfalls als ungünstig gilt die Prognose bei Amblyopien nach 
längerem Gebrauch der Thyreodinpräparate. Coppez in Brüssel 
machte darauf aufmerksam, weil das Mittel häufig gegen Fett¬ 
leibigkeit gebraucht wird. Diese Amblyopie verläuft unter dem 


‘) Arohivea of Ophthalmology; 1900. 

*) Archirei d’ Ophthalmokgta; 1901, S. 66. 
*) Ophthalmie Barlaw; 1900. 



üeber Intoxikationsanabiyopien vom sanitätspolUeilichem Standpunkte. 869 

Bilde der retrobulbären Neuritis. Die Erkrankten zeigten das Bild 
der Tabak-Alkohol-Amblyopie und zentrales Skotom. Dieser Zu¬ 
sammenhang ist leicht möglich, da das Mittel oft ohne ärztliche 
Kontrolle genommen wird. 

Tabak-Alkohol-Amblyopie. 

Die Tabak-Alkohol-Amblyopie bedarf ausführlicherer Er¬ 
wähnung, allein schon deshalb, weil ihre Trennung auf Schwierig¬ 
keit beruht. Es gibt wohl charakterisierte isolierte Alkohol-Am¬ 
blyopien, ebenso auch Tabak-Amblyopien, meist jedoch sind beide 
Ursachen gleichzeitig vorhanden. Selten treten sie vor dem 
35. Lebensjahre auf. Nach einer Statistik von Adler 1 ) waren 
unter 100 Kranken der Art nur 4, die nicht rauchten, in 12°/o 
der Fälle rauchten die Patienten, tranken aber nicht. Ueber die 
Art der Getränke fand sich keine Angabe. Der Lebensstellung 
nach waren die meisten Patienten Wirte, Hoteliers und deren 
Bedienstete, dann kamen Maurer, Fuhrleute und einige wenige 
andere. Uhthoff*) fand unter 827 Fällen von Amblyopie dieser 
Art 41 reine Tabakintoxikationen, der Best von 286 Fällen waren 
zur Hälfte reine Alkoholiker und beide gemischte. Es steht aber 
das eine fest, dass Amblyopien häufiger Vorkommen bei nicht 
reinen Getränken. Dieser Umstand führte zu Untersuchungen über 
die Art der unreinen Beimischungen der Getränke. Naturgemäss 
fiel der Verdacht auf den Fuselgehalt und damit auf die einzelnen 
Bestandteile der Fuselöle der einzelnen Getränke. Windisch # ) 
fand in einem Kilo Kartoffelfuselöl 588,8 Amylalkohol, 208,5 Iso- 
butylalkohol, 58,1 Propylalkohol, 116,0 Wasser, geringe Mengen 
Fettsäuren und 0,04 Furfurol, ferner in einem Kilo Kornfaselöl 
798,5 Amylalkohol, 157 Isobutylalkohol, 39,9 Propylalkohol, ge¬ 
ringe Mengen Fettsäuren und 0,2 Furfurol mit Heptylalkohol. 
Seil 4 ) gibt nach einer Analyse von Morin an in 100 Liter 
Kognak: 508,0 Aethylalkohol, 190 Amylalkohol, 27,0 Pro¬ 
pylalkohol und 2,19 g Furfurol. Es stellte sich ferner heraus, 
dass in den schlechteren Kognaksorten der grössere Prozentsatz 
Furfurol sich fand, dass es in den besseren Sorten mit der 
Zeit verschwand und denselben daher zur Verbesserung des Aro¬ 
mas sogar Furfurol wieder zugesetzt wurde. Furfurol gibt näm¬ 
lich dem Kognak das Aroma; es gleicht darin dem Nikotin, 
das ebenfalls nicht blos Alkaloid ist, sondern auch die flüchtigen 
Bestandteile enthält, die dem Tabak das Aroma verleihen. Aber 
auch die toxische Eigenschaft teilt es mit dem Nikotin, wenn auch 
nicht in dem Masse. Furfurol (Furol, Furanaldehyd, Fukusol, 
Methylfurol) ist ein Zersetzungsprodukt der Eiweisskörper, zuerst 
. dargestellt aus der Destillation der Kleie, aus Seetang und aus 
Pentosen (Zuckerkörpern) mit verdünnter Schwefelsäure; es ist eine 
farblose, aromatische in der Luft leicht bräunende, flüchtige Flüssig- 


*) Wiener med. Wochenschrift; 1898, 48. 

*) XIL internationaler Kongress in Paris; 1900. 

*) Arbeiten ans dem Kaiseniohen Gesnndheitsamte; 1898. VIII. Bd. 
*) Ebenda: Ueber Bnm, Kognak and Arak; 1890, VI. Ba. 



860 


Dr. Ohlemann. 


keit von bittermandelartigem Geruch. Rudolf Cohn 1 ) in Königs¬ 
berg fand nun, dass 0,1 Furfurol Fröschen injiziert, schon nach 
kurzer Zeit vollständige motorische Lähmung herbeiführte, 0,2 
Kaninchen injiziert, Krämpfe und Lähmung; wiederholte Injektionen 
führten zu tätlichem Ausgang; grössere Hunde vertrugen freilich 
noch 6—9 g. Das Auftreten von Zucker im Harn nach den 
Furfurolinjektionen, die elektrische Reizbarkeit der Muskeln nach 
dem Tode der Versuchstiere führten Cohn zu der Ansicht, dass 
das Furfurol auf die Ganglienzellen des Bodens der 4. Hirnhöhle 
einwirkt. Es ist dies aber auch die Nähe des Thalamus opticus. 
Da nun in den schlechteren Sorten Kognak der grösste Gehalt an 
Furfurol vorhanden ist, so sprach Verfasser 8 ) den Gedanken aus, 
dass bei jahrelangem Genuss von solchem Kognak schliesslich ein 
toxischer Einfluss auf das Zentrum des Sehorgans stattfinden 
könne. Läge die Ursache am Aethylalkohol, dann müsste die 
Alkohol-Amblyopie häufiger sein. In der Praxis ist auf diesen 
Punkt bis jetzt noch wenig geachtet worden, jedenfalls beBteht 
ein Missverhältnis zwischen der Zahl der vorkommenden Fälle 
von Delirium tremens und den Alkohol-Amblyopieen. 

Furfurol hat insofern etwas Aehnlichkeit mit dem Nikotin, 
als es den aromatischen Bestandteil im Genussmittel ausmacht. 
Seine aromatischen Stoffe sind noch nicht völlig bekannt, 
ihnen schreibt man aber auch toxische Eigenschaften zu. So 
wirkt z. B. ein alter Rheinwein mit etwas geringerem Alkohol¬ 
gehalt intensiver, er geht mehr ins Blut, ist feuriger, hinterlässt 
schwerere Nachwirkungen als ein jüngerer Rheinwein derselben 
Sorte trotz etwas höherem Alkoholgehalt. Aehnlich liegt es beim 
Tabak. Obwohl Pfälzer Tabak etwas mehr Nikotin enthält als 
Kubatabak, wirkt dieser doch intensiver. Die Ursache liegt 
darin, dass er mehr aromatische Bestandteile enthält, die an das 
Nikotin gebunden sind 8 ). Auch kann Furfurol noch zur Blausäure¬ 
gruppe gerechnet werden, und es ist bekannt, wie gross allein 
schon der Unterschied zwischen der Toxicität der wasserhaltigen 
und wasserfreien Blausäure ist; ebenso teilt Furfurol mit der Blau¬ 
säure die Eigenschaft der Flüchtigkeit. Alles dies sind Gründe, 
den Kognakkonsum und das Furfurol etwas mehr zu beachten, 
zumal das Liter Kognak schon zu dem Preise von weniger als 
1 Mark verkauft wird. Dazu kommt, dass die billigeren Kognak¬ 
sorten nur von dem ärmeren Teile der Bevölkerung konsumiert 


’) Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie; Leipsig 1898. 

*) Wochenschrift für Therapie and Hygiene dea Auges; 1902. 

•) Es dürfte die Tatsache auch von Interesse sein, dass selbst der Zi¬ 
garrenrauch Blaushure enthllt. Nach Habermanns Untersuchungen stellte 
sieh heraus, dass im Zigarrenrauch in der Hegel nachweisbare Spuren von 
flüchtigen Cyan-Verbindungen, wie Cyan* Ammonium vorhanden sind, undswar 
soll die Menge von 0,0098 Blausäure im Bauche von 100 gr. d. h. ea. 20—25 Zi¬ 
garren nachsuweisen sein. Die Quelle der Blausäure ist nicht das Nikotin, 
wie schon früher angegeben, sondern es sind organische Stickstoffverbindusgea 
anderer Art, Abkömmlinge von Biweisskürpern. (Zeitschrift für physiologische 
Chemie, Band 87, Heft 1; Berliner Klinische Wochenschrift Nr. 15, 1908.) 



Üeber Intoxikationaambljropiea toa «aaitttspoliaeiliohem Stu^ttkto. 861 

werden, dieser aber erfahr ungsgemäss das grossere Kontingent an 
Alkohol-Amblyopie liefert. 

Die Prüfung auf Forfhrol ist sehr leicht zn bewerkstelligen, 
nach Lehmann 1 ) qualitativ dadurch, dass über dem erhitzten 
Destillationsrückstand eines Branntweins ein mit Anilinsulfat ge¬ 
tränktes Filtrierpapierstreifchen rot gefärbt wird. 

Die weiteren Prüfungen auf Furfurol finden sich in Nr. 9 
der Wochenschrift für Therapie und Hygiene des Auges, 1902, 
zusammengestellt. 

Die Methylalkohol-Amblyopie ist bis jetzt nur in 
Nordamerika beobachtet, meist infolge Genusses scharfer alkoholi¬ 
scher Getränke, wie Jamaica Ginger oder Essence of peppermint 
oder Bay-Rum, aber auch durch Verdunstung im Malergewerbe. 
Die Amblyopie entwickelt sich rascher als beim Aethylalkohol 
und ist dauernd, v. Schweinitz 3 ) berichtet über folgenden 
Fall: Ein Maler hatte den im Handel eingeführten Columbiaspiritus, 
der etwa 95 °/ 0 Methylalkohol enthält, ähnlich wie Terpentin zum 
Anstreichen unter Zusatz von Schellack benutzt. Nach einiger 
Zeit stellte sich plötzlich Erblindung ein, die anfangs zwar wieder 
zurückging, später jedoch dauernd wurde. Als Vorboten waren 
Nebelsehen abends beim Aufhören mit der Arbeit aufgetreten und 
Verdunkelungen im Gesichtsfelde. Unter Berücksichtigung aller 
begleitenden Umstände war an einem kausalen Zusammenhang 
nicht zu zweifeln. 

Amblyopien durch den Genuss methylalkoholischer Getränke 
sind schon sehr häufig beobachtet. Die infolgedessen von Rymo- 
witsch in St. Petersburg, Birch-Hirschfeld 8 ) in Leipzig, 
Hilden 4 ) u. a. angestellten Untersuchungen mit Kontroltieren 
ergaben fettige Degeneration der Ganglienzellen, Hypertrophie 
von Nervenfibrillen, Vakuolenbildung in den Zellen, Schrumpfung 
der Zellenkeme und schliesslich Zerstörung des Zellkörpers. Die 
Veränderungen in den Sehnerven treten dann sekundär auf. 

Etwas anders liegen die pathologisch-anatomischen Verhält¬ 
nisse bei der Aethyl -Alkohol-Amblyopie, doch sind darin die An¬ 
sichten noch verschieden. Nuel meint, dass das zentrale Skotom 
nicht primär verursacht sei durch eine Neuritis des makularen 
Bündels, sondern nur durch Degeneration der Ganglienzellen der 
macula lutea, und dass die Veränderungen im Sehnerven sekun¬ 
därer Art seien. Diese Auffassung wird vonUhthoff bestritten, 
der das Umgekehrte annimmt, hauptsächlich, weil eine primäre 
Affektion der macula lutea die Regelmässigkeit des zentralen 
Skotoms nicht erklären kann; die klinischen Erscheinungen stimmen 
überhaupt am besten überein mit denen einer partiellen, in¬ 
terstitiellen, retrobulbären Neuritis. Auch die Tatsache, 
dass die Symptome und Veränderungen verschwinden, das Sehver¬ 
mögen sich bessert, wäre nicht zu verstehen mit der Annahme 


') Methoden der praktischen Hygiene; Bergmann, Wiesbaden 1901. 
*) The Ophthalmie Becord, 1901. 

*) Archiv für Ophthalmologie, 1901. 

*) Archive« of Ophthalmology, 1899. 



862 


Dr. Klose. 


einer einfachen Atrophie. Birch-Hirschfeld fand experimen¬ 
tell die Hauptveränderungen im Innern der Zellenkerne der 
Ganglienzellen der Netzhaut und hält ebenfalls die Veränderungen 
im Opticus fttr sekundär. 

Die Intoxikations - Amblyopien durch methylalkoholhaltige Ge¬ 
tränke, soweit sie beobachtet wurden, waren meist mehr oder 
weniger akute, ihre Diagnose daher nicht schwer; eine Prophylaxe 
würde demnach keine Schwierigkeit bieten. Anders liegt ob bei 
den Fällen von Intoxikations-Amblyopien, die bei uns infolge 
äthylalkoholischer Getränke Vorkommen. Hier handelt es sich nur 
um chronische Fälle, um meist jahrelangen Genuss stärkerer alko¬ 
holischer Getränke, deren Provenienz man noch keine Beachtung 
geschenkt hat 

Da wir in dem Furfurol ein nicht unerheblich wirkendes 
Gift kennen gelernt haben, so dürfte es vielleicht zeitgemäss sein, 
den Getränken, die es am meisten enthalten, namentlich den 
billigeren Sorten Kognaks, sanitätspolizeilich einige Aufmerksam¬ 
keit zu schenken. 

Man kann einwenden, dass Hunden 6, ja 9 g ohne Schaden 
experimentell beigebracht wurden, allein bei leerem Magen waren 
die giftig wirkenden Dosen erheblich kleiner, und dann kommt es 
beim Menschen ja auch auf gewohnheitsgemässem, jahrelangem 
Konsum an, der ebenfalls nicht selten in nüchternem Zustand 
erfolgt. _ 


Ein interessanter Fall von Bleivergiftung. 

Von Kreisarzt Med.-Bat Dr. Klose-Oppeln. 

Der nachfolgend mitgeteilte Fall von Bleivergiftung er¬ 
scheint mir der Veröffentlichung wert, da das Krankheitsbild ein 
so ungewöhnliches war, dass die zuerst behandelnden Aerzte die 
Kranldieit nicht erkannten, und auch im Krankenhaus, in welchem 
Patient starb, Fleischvergiftung als vorliegend angenommen wurde. 

Die Schwierigkeit der Diagnose bestand hauptsächlich darin, 
dass die Möglichkeit einer Bleivergiftung mangels jeder Gelegen¬ 
heit hierzu ausgeschlossen zu sein schien, die Kolikerscheinungen 
in den Hintergrund traten und es sich um die seltenere Form 
der Encephalopathia saturnina handelte, bei der auffallender Weise 
auch die Augenmuskeln beteiligt waren. 

Den 10. April 1903 ersuchte mich der Häusler Johann K. 
aus Gr. K. ihm ein Attest zur Erlangung eines Leichenpasses 
für seinen den 9. April er. hier verstorbenen Bruder auszufertigen. 
Der vorgelegte ärztliche Todesschein besagte, dass Konstantin K. 
infolge einer Fleischvergiftung im Hospital gestorben sei. Mit 
Rücksicht auf diesen Vermerk bescheinigte ich zwar, dass der 
Transport der Leiche gesundheitspolizeilich unbedenklich sei, doch 
die Erteilung des Leichenpasses abhängig zu machen sei von der 
Erlaubnis der Königl. Staatsanwaltschaft. 

Der Königl. Staaatsanwalt ordnete die Sektion der Leiche 
an, welche den 11. April er. stattfand und zu der gleichzeitig der 
behandelnde Arzt geladen wurde. 



Sin interessanter fall tob Bleivergiftung. 


863 


Wichtiger als der objektive Leichenbefund für die erste 
Begutachtung des Falles waren die Mitteilungen des Arztes und 
der Angehörigen des Verstorbenen. Danach war K. vor der Auf¬ 
nahme ins Krankenhaus von 2 Aerzten behandelt worden. Welche 
Diagnose die Herren geteilt hatten, erfuhr ich nicht. Der Arzt, 
welcher K. bis zu seinem Tode behandelt hatte, gab folgende 
Krankengeschichte wörtlich zu Protokoll: 

„Der Verstorbene ist am 6. April in das Hospital anfgenommen worden. 
Br war noch im stände Angaben an machen, aber sehr schwach. Er ffihrte 
selbst seine Erkrankung auf am 1. April genossenes verdorbenes Fleisch zurück. 
Am 2. April habe er erst Beschwerden gespürt und zwar sei ihm bei der Feld* 
arbeit Übel geworden; er sei sehr schwach geworden und habe nicht mehr gut 
sehen können. Bei der Aufnahme in das Krankenhaus und schon vorher be¬ 
standen sehr bedeutende Schlingbeschwerden, derart, dass der Erkrankte feste 
Nahrung überhaupt nicht nu sich nehmen konnte. Auch die fltUaige Nahrung 
nahm er nicht auf; sie lief meist durch die Nase wieder heraus, worüber 
er schon bei der Aufnahme ins Krankenhaus klagte. Ausserdem stellten sich 
Sehbeschwerden ein in der Weise, dass der Erkrankte ausser stände war, 
die gesenkten Augenlider zu heben; die Augäpfel konnte er gar nicht nach 
oben und unten, nach den Seiten nur ttusserst wenig bewegen. 

Bei der Aufnahme hatte der Erkrankte erzählt, er habe mit seiner Frau 
und Kindern am 1. April Schweinefleisch gegessen, das nicht mehr gut ge¬ 
wesen sei. Er hat sehr viel gegessen, weil er fürchtete, dass das Fleisch ganz 
verderben würde, seine Frau und Kinder weniger. Diese seien auch nicht 
erkrankt. Alles dieses bestätigte auch die Ehefran des Erkrankten, als sie ihren 
Hann einmal besuchte. 

Der Tod erfolgte sehr rasch und unvermutet ohne besondere Begleit¬ 
erscheinungen. 

Ich bemerke noch, dass ausser den Sehbeschwerden anoh direkte Seh- 
Störungen eintraten. Der Verstorbene konnte nicht mehr lesen, klagte über 
Doppelsehen und konnte ihm vorgehaltene einzelne Finger nur bis auf 2 m 
Entfernung unterscheiden. Diese Erscheinungen deuten auf eine Lähmung der 
Augennerven infolge von Giftwirkung hin.“ 

Der Leichenbefund bot nach keiner Richtung einen An¬ 
halt. Selbst das Zahnfleisch zeigte kein auf Bleivergiftung deuten¬ 
des Aussehen; die Verwesung war sehr weit vorgeschritten, die 
Schleimhaut des Magens so weich und matsch, dass hier nur eine 
recht vorsichtige Beurteilung erlaubt war. Es blieb somit nnr 
die Krankengeschichte und das zu erwartende Resultat der chemi¬ 
schen Untersuchung. 

Der vorliegende Fall, bei dem der Patient selbst als Ursache 
seiner Erkrankung den reichlichen Qenuss von bereits verdorbenem 
rohen Schweinefleisch angegeben hatte und die behandelnden Aerzte 
aus dem post hoc ein propter hoc gemacht hatten, zeigt nun so 
recht deutlich, wie falsch es ist, jede nach Genuss von Fleisch 
oder Fleischwaren auftretende Erkrankung als Fleischvergiftung 
hinzustellen. Es sollte m. E. darauf mehr geachtet werden, dass 
das Krankheitsbild der Fleischvergiftung eng begrenzt ist auf die 
Erscheinungen, welche die Entwickelung der Bacillus enteritidis 
hervorruft. 

Bereits bei der Sektion erklärte ich dem Richter, dass hier 
eine Metall-, wahrscheinlich Bleivergiftung vorläge. Diese Er¬ 
klärung war die Veranlassung, dass mir der Auftrag zu teil wurde, 
bei der chemischen Untersuchung mitzuwirken, welchem Aufträge 
ich indes hinreichend Rechnung getragen zu haben glaubte, nach- 



864 


Dr. Räuber. 


dem ich dem Vorsteher des städtischen Untersuchungsamtes die 
Mitteilung hatte zugehen lassen, „er möchte seine Untersuchung 
vor allen Dingen auf das Vorhandensein von Blei ausdehnen*. 

Die chemische Untersuchung ergab folgenden Befund: 
Antimon, Zinn, Arsen, Chrom, Zink waren nicht vorhanden, da¬ 
gegen sowohl im Harn, Leber und Gehirn Spuren von Blei. Der 
chemische Sachverständige überliess es zwar dem Ermessen der 
ärztlichen Sachverständigen zu beurteilen, ob die geringen Mengen 
Blei (Spuren) in ursächlichem Zusammenhänge mit dem Tode des 
E. gestanden haben können, fügte jedoch noch hinzu: 

„Das Auffiaden des Bleies in den Leiehenteilen findet Tlelleieht seine 
Erklärung darin, dass die genossenen Speisen in einem irdenen Tof gekocht 
worden waren, dessen Qlasnr stark bleihaltig gewesen ist. Bleihaltige Glasuren 
sind hier öfter beobachtet worden.“ 

Bei dem Erfordern der weiteren Gutachten nahm ich zwar 
keinen Anstand, ohne Weiteres eine Bleivergiftung als vorliegend 
zu erklären, doch vermochte ich der Frage des Staatsanwalts, 
woher sie komme, nicht zu genügen, zumal die Angehörigen des 
Verstorbenen, gelegentlich der Anwesenheit beim Sektionstemün, 
mir gegenüber jede Beschäftigung des Verstorbenen mit Blei in 
Abrede gestellt hatten. So blieb mir nichts übrig, als auf Möglich¬ 
keiten hinzudeuten, ähnlich wie der Chemiker, allerdings mit der 
Betonung, dass immerhin eine so ungünstig verlaufende Bleiver¬ 
giftung schwer erklärbar bleibe. 

Die Königl. Staatsanwaltschaft ging infolgedessen weiter und 
veranlasste eine nähere Ermittelung der Verhältnisse im E.schen 
Hause durch den Amtsvorsteher. Diese Ermittelungen brachten 
die überraschende Aufklärung, dass E. sich zeitweise mit Löt¬ 
arbeiten beschäftigt und gerade in der letzten der Erankheit vor¬ 
angegangenen Woche eine Reihe von Sachen, z. B. Petroleum¬ 
kannen usw. gelötet und hierzu Blei benutzt habe. 

Nun war die Sache nicht mehr rätselhaft und meines Er¬ 
achtens der Ring des Beweises geschlossen! 

Wenn man bedenkt, wie wenig derartige Leute auf Reini¬ 
gung der Hände geben, wie diese fleissig ohne Vermittelung von 
Gabel beim Essen mitbenutzt werden, so kann man sich nur über 
das verhältnismässig seltene Auftreten von Vergiftungen wundern. 

Ob den erwähnten Vergiftungserscheinungen überhaupt Eolik 
vorangegangen, ist mir nicht bekannt geworden; im Rrankenhause 
war sie jedenfalls nicht mehr beobachtet. Nicht selten ist die auch 
hier aufgetretene Amaurosis saturnina, seltener schon die Lähmung 
der Schlingmuskeln und noch seltener die Beteiligung des Ocu- 
lomotorius. Diese Beteiligung ist bereits in der Erankengeschichte 
hervorgehoben; hinzufügen will ich noch, dass der Richter, welcher 
zwei Tage vor dem Tode das Testament aufnahm, mir erzählte, 
E. habe die Augen nicht öffnen können und, um das Testament 
auch zu unterschreiben, das obere Augenlid mit dem Finger in die 
Höhe gezogen. 



Eia Beitrag zam epidemischen Auftreten von Herpes tonBarans. 865 


Ein Beitrag zum epidemischen Auftreten von Herpes 

tonsurans. 

Von Medizinalrat Dr. Räuber in Düsseldorf. 

In Nr. 19, Jahrg. 1903, dieser Zeitschrift hat Ban dt die 
Aufmerksamkeit auf ein epidemisches Auftreten von Herpes ton¬ 
surans gelenkt, das, wie er sagt, verhältnismässig selten beobachtet 
wird. Wenn dies auch im allgemeinen zugegeben werden muss, 
so sind doch in neuerer Zeit mehrfach kleinere Epidemien dieser 
Art beobachtet worden, so dass es angezeigt erscheinen dürfte, 
einige weitere Mitteilungen hier folgen zu lassen. Besonders die 
in Schulen auftretenden Epidemien von Trichophytie dürften ge¬ 
eignet sein, das Interesse der Medizinalbeamten und Schulärzte in 
Anspruch zu nehmen, zumal Herpes tonsurans von allen Der¬ 
matomykosen am leichtesten übertragbar ist. 

In Mirxheim, Er. Meisenheim, Eeg.-Bez. Koblenz, kam im 
Jahre 1898 bei 21 Schülern (davon 20 im Juni) eine derartige 
Epidemie vor, bei der eine Uebertragung in der Schule angenom¬ 
men wurde (s. das Sanitätswesen des Preussischen Staates, 1898, 
1899 und 1900, Seite 263). 

Im Jahre 1899 erkrankten 6 Schülerinnen einer Privat- 
raittel8cimle in Barmen nacheinander an Herpes tonsurans. Die 
Erkrankung ging von der Tochter eines Landwirts aus, welche 
Gelegenheit gehabt hatte, sich bei von der Krankheit befallenen 
Kühen zu infizieren. Weitere Ausbreitung der Krankheit unter 
den Schulkindern wurde dadurch verhütet, dass die erkrankten 
Kinder von der Schule ausgeschlossen wurden. 

Eine grössere Epidemie von Trichophytie unter den Kindern 
zweier benachbarten Schulen kam 1901 in M.-Gladbach vor. Es 
wurde festgestellt, dass die Erkrankung von einem Kinde ausging, 
das mit seinen Eltern aus Amerika, mit kurzem Zwischenaufenthalt 
in England, eingewandert war. Zunächst erkrankten zwei, im 
Laufe mehrerer Wochen sodann über 20 Kinder, denen noch weitere 
folgten. Im ganzen wurden 31 Knaben und 8 Mädchen von der 
Krankheit betroffen, ausserdem einige noch nicht schulpflichtige 
oder der Schule entwachsene Personen, Angehörige erkrankter 
Schulkinder. Eine Uebertragung von Tieren wurde in keinem 
Falle ermittelt; ob das zuerst erkrankte Kind die Pilzkrankheit 
vom Tier erworben hatte, mag dahingestellt sein. 

Die Verbreitung unter den Schulkindern erfolgte innerhalb 
der Familie selbst und zwar bei solchen Kindern, Knaben und 
Mädchen, bei denen vom Vater oder der Mutter die Haare mit 
derselben Scheere geschnitten wurden. Aeltere Mädchen, deren 
Haare nicht mehr geschnitten wurden, blieben innerhalb derselben 
Familie verschont. Der Sitz der Krankheit war meistens die 
Mitte des behaarten Kopfes, seltener der Nacken; an anderen 
Körperstellen als am Kopfe wurde die Erkrankung nicht beobachtet. 
Durch den mikroskopischen Nachweis des Trichophyton tonsurans 
wurde die Diagnose gesichert. 

Infolge der nicht unbedeutenden Ausbreitung der Krankheit 



863 Dr. B&aber: Bia Beitrag zum epidemischen Auftreten von Herpes tonsurans. 

unter den Schulkindern, besonders denen der katholischen Volks¬ 
schule, musste letztere vom 17. Juli bis 12. September geschlossen 
werden. Die Wiedereröffnung derselben erfolgte erst nach gründ¬ 
licher Reinigung und Desinfektion mit Formalin, wobei nur solche 
Schulkinder zugelassen wurden, bei denen die Gefahr der An¬ 
steckung nach ärztlicher Bescheinigung als beseitigt anzusehen war. 

Die erkrankten Kinder wurden einer streng überwachten 
ärztlichen Behandlung unterworfen und möglichst isoliert. Die 
Behandlung war eine sehr verschiedene; in schweren Fällen be¬ 
stand sie in Epilation der erkrankten Haare, Waschungen, Ein¬ 
reibungen mit Tinct. Jodi, Acid. carbol, Hydrat, chlorat. ana, 
Anthrarobin, Sublimatsalben u. a. Den Eltern der erkrankten 
Kinder wurden seitens der Polizei Verhaltungsmassregeln nach¬ 
stehenden Wortlauts eingehändigt: 

„Laut einer mir vorliegenden Auzeige ist in Ihrer Familie die Kopfnaar- 
krankheit — Trichophytie — ausgebrochen. Da diese Krankheit ansteckend 
und leicht übertragbar ist, so werden Ihnen behufs Bekämpfung dieser Krank¬ 
heit auf Grund des § 10 A. L. B. II, 17 und des § 6 des Gesetzes über die 
Polizei Verwaltung vom 11. März 1850 und der §§ 132 und 133 des Gesetzes 
über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 die Innehaltnng der 
nachstehend aufgeführten polizeilichen Vorschriften zur strengsten Pflicht 
gemacht: 

1. Die erkrankte Person muss von anderen getrennt gehalten werden, 
insbesondere ist das Zusammenschlafen der erkrankten Person mit anderen 
streng untersagt, auch darf die Bettwäsche des Kranken nicht ohne vorgängige 
gründliche Wäsche von anderen benutzt werden. 

Falls Kinder in Frage kommen, so darf das erkrankte Kind mit anderen 
nicht spielen. Auch ist bis zur Wiederherstellung der Schul- und Kirchen¬ 
besuch untersagt. 

2. Die zur Kopfpflege der erkrankten Person benutzten Kämme, Haar¬ 
bürsten, Scheeren, Handtücher pp. dürfen von anderen Personen nicht benutzt, 
müssen getrennt aufbewahrt und nach jedem Gebrauch gründlich gereinigt 
bezw. gewaschen werden. 

8. Das Kopfhaar der erkrankten Person muss entweder gänzlich abrasiert 
oder doch ganz kurz geschnitten und während der Dauer der Krankheit in 
diesem Zustande erhalten werden. 

4. Die abrasierten oder abgeschnittenen Haare müssen sorgfältig ge¬ 
sammelt und sofort verbrannt werden. 

6. Die erkrankte Person muss bis zur völligen Wiederherstellung stete 
in Behandlung eines Arztes gegeben werden. 

6. Bine weitere Verbreitung der Krankheit innerhalb Ihrer Familie ist 
sofort nach hier anzuzeigen. 

7. Ueber die strenge Innehaltung der vorstehenden Vorschriften ist 
diesseits Kontrolle angeordnet; dem sich als solchen legitimierenden städtischen 
Kontrolbeamten ist jederzeit bereitwilligst Auskunft über den Stand der Krank¬ 
heit und die getroffenen Massregeln zu geben. 

Wegen jeder Zuwiderhandlung gegen eine der vorstehenden Be¬ 
stimmungen drohe ich Ihnen hiermit eine Geldstrafe von sehn Hark, an deren 
Stelle im UnvermOgensfalle entsprechende Haftstrafe tritt, ausdrücklich an.“ 

Ausserdem gab die Trichophytie Veranlassung zum Erlass 
einer Polizei-Verordnung betreffend die Ausübung des Frisier-, 
Barbier- und Haarschneide-Gewerbes, durch welche eine Reinigung 
der benutzten Geräte nach jedesmaligem Gebrauch durch Ab¬ 
waschen mit Seifenlauge, Ausschluss von Personen, die an einer 
Haar- oder Hautkrankheit des Kopfes leiden, sowie besondere 
Reinigung durch Auskochen von Gegenständen, die ausserhalb der 



Aus Versammlungen und Vereinen. 


867 


Geschäftsstuben bei Bedienung solcher Personen verwendet sind, 
angeordnet wurde. 

Die Heilung nahm lange Zeit in Anspruch. Am 21. September 
1901 waren von den 31 Knaben und 8 Mädchen erst 13 Knaben 
und 3 Mädchen geheilt, am 26. Februar 1902 weitere 12 Knaben 
und 4 Mädchen, und erst am 19. Juni 1902 waren sämtliche 
Kinder wieder hergestellt, obwohl seit dem 20. August 1901 neue 
Erkrankungen nicht aufgetreten waren. 

Bedenkt man, dass in der geschilderten Epidemie diese 
parasitäre Haut- und Haarkrankheit von Juni 1901 bis Juni 1902, 
also ein Jahr, zu ihrer Heilung beansprucht hatte, obwohl fast 
alle Fälle spezialärztlich behandelt wurden, und dass die Ueber- 
tragung von Kind zu Kind leicht erfolgt, so erscheint es notwendig, 
dieser Krankheit unter den Schulkindern eine erhöhte Aufmerk¬ 
samkeit zu schenken und bei den Revisionen der Schulen durch 
Schulärzte und Kreisärzte auf sie besonders zu achten. 

Wenn auch Epidemien von Trichophytie unter Schulkindern 
nicht allzu häufig auftreten, so ist die Gefahr einer Ausbreitung 
bei Nichtbeachtung der ersten Fälle eine grosse, die Krankheit 
selbst aber ein um so unbequemerer Feind, als die Ausrottung wegen 
ihrer Hartnäckigkeit nur nach längerer sorgfältiger Behandlung 
möglich ist. 


Aus Versammlungen und Vereinen. 

Bericht aber die 75. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte in Cassel vom SO.—SO. Septbr. 1903. 

Abteilung für Hygiene, 

(Schluss.) 

11. Dr. Pani man n-Cisael sprach Ober die Klärschlammverwer- 
tnngsanlage der Stadt Cassel. Die für alle grösseren Städte so brennende 
Frage der Beseitigung bezw. Verwertung des Klärschlammes scheint hier in 
Cassel ihrer Lösung einen wesentlichen Schritt näher gekommen zu sein. In 
mehrjährigen Versuchen sind unter Paulmanns Leitung nach dem Degener- 
schen Verfahren die Klärschlammmassen zunächst in einer von der Firma Beck 
& Henkel hier geschaffenen Privatanlage geprüft worden und haben zu dem 
sehr befriedigenden Resultate geführt, dass das Verfahren nicht nnr die ent¬ 
stehenden Kosten deckt, sondern sogar einen nieht unerheblichen Ueberschusa 
erzielt. Die Schlammmassen werden, nachdem sie anf einen Lampenfänger 
gepumpt and von gröberen Veranreinigangen befreit sind, in grossen eisernen 
Behältern gesammelt. Dass in diesen sich abscheidende Wasser wird mit 
Hähnen abgelassen; der Schlamm wird in einem weiteren Kessel, wohin er ab- 
länft, mit Schwefelsäure gemischt nnd in Montejns gepresst. In diesen wird 
die Hasse erwärmt, um die Eiweissstoffe zum Qerinnen zu bringen und sodann 
in Filterpressen gedrückt. Die so gewonnenen Presskuchen werden zerkleinert, 
getrocknet nnd in den Eztraktionsapparat gebracht, während das Abwasser 
dnrch eine Kalkgrube znr Kläranlage znrückgeleitet wird. In dem Extrak- 
tioasippirat wird das Fett mit Benzin extrahiert nnd dnrch ein weiteres Ver¬ 
fahren vom Fäkalgernch befreit, sowie dnrch verschiedene Manipulationen völlig 
gereinigt, während der Bückstand getrocknet nnd als Düngemittel in den 
Handel gebracht wird. 

Wie schon erwähnt, ist bei geeigneter Maschinenanlage — auch hierüber 
sind die Versuche jetzt vorläufig abgeschlossen — das Verfahren durchaus ren¬ 
tabel, was Panimann zahlenmäs a ig nachweist. Zugleich ist es anoh hygie¬ 
nisch einwandsfrei, da dnrch die Hi SO« nnd das Erhitzen alle Krankheltskeime 
vernichtet werden. Die Stadt Cassel steht deshalb nunmehr im Begriff, dai 
Verfahren für ihre Kläranlage dnrohznfflhren. 



868 


Aas Versammlungen and Vereinen. 


12. Ueber Dysenterie in den Tropen. Der Vortragende, Dr. Buge- 
Kiel, bespricht zunächst die Aetiologie der Bahr und geht auf die Meinungs¬ 
verschiedenheiten, die hier noch herrschen, ein. Bs ist vor allem zwischen 
Amöben- und B&zillendysenterie zu unterscheiden. Beide Formen kommen auch 
in den Tropen vor. Der Streit ttber die Bedeutung der Amöben in der Aetio¬ 
logie der Dysenterie erledigt sich dahin, dass im Darm harmlose Amöben neben 
einer Art Vorkommen, welche für Tiere (Katzen) pathogen sind. Diese letz¬ 
teren infizieren, wenn sie lebend eingebracht werden, das Tier und töten es 
unter dysenterischen Brscheinungen. Diese Amöbe ist als die Ursache einer 
ganz bestimmten, auch in den Tropen vorkommenden Dysonterie anzusehen. 
Weniger klar liegen die Verhältnisse bei der Bazillenruhr. Während die Buhr 
in unsern Breiten durch den Kruse-Sbigasehen Bacillus hervorgerufen wird, 
fehlen genauere ätiologische Untersuchungen über die Bacillenruhr in den ver¬ 
schiedenen Tropengegenden. Ob überhaupt die Bohr der Tropen einen ein¬ 
heitlichen Erreger zur Ursache hat, ist bisher nicht festzustellen, da neben 
dem von F1 exner auf den Philippinen gefundenen, dem Kruse-Shigasehen 
sehr ähnlichen Bacillus noch eine Anzahl von Pseudodysenter iebazulen ge¬ 
funden sind. 

Ausser in der Aetiologie unterscheiden sich die beiden in den Tropen 
vorkommenden Buhrarten noch: a) epidemiologisch, indem die Bazillenruhr 
meist epidemisch, die Amöbenrubr endemisch vorkommt; b) klinisch, indem 
die Bazillenruhr als akute Erkrankung, die Amöbenrnhr mehr chronisch ver¬ 
läuft und sich auch häufig mit Leberabzessen kompliziert. Pathologisch¬ 
anatomisch charakterisiert sich die Bazillenruhr als ein diphthcritischer Pro¬ 
zess, der sich flächenhaft ausbreitet und die einzelnen Schichten der Darm- 
wand zerstört. Bei der Amöbenrubr dagegen wandern die Amöben durch die 
Drttsen in die Submucosa, sammeln sich dort an, bilden Entsündungs- und 
Eiterherde, die in den Darm durchbrechen und zu den bekannten Geschwttrs- 
bildungen mit unterminierten Bändern ffihreD. 

Dass die Amöbenrnhr sich häufiger mit Leberabzessen kompliziert, wäh¬ 
rend diese bei der Bazillenruhr in der Begel fehlen, wurde schon erwähnt. 
Zwar ist der Zusammenhang von Leberabszess und Dysenterie ganz geleugnet 
worden, indes hat Bog er durch seine Untersuchungen festgestellt, dass in 
einer ganzen Beihe von Leberabszessen, wenn auch nicht im Eiter, so doch in 
der Abszesswand die Amöbe gefunden ward; derselbe Autor konnte aus 
alten Sektionsprotokollen feststellen, dass es sich in 72,6 °/ 0 der Fälle von 
Leberabszess um die für Amöbendysenterie charakteristischen Veränderungen 
im Darm gehandelt hat. Auch die Verteilung der Leberabszesse Aber das 
ganze Jahr spricht fflr einen Zusammenhang mit der Amöbenruhr, da die 
Bazillenruhr ihren Höhepunkt während und nach der Begenzeit erreicht. 
Buchanan hat ferner durch Agglutinationsversuche festgeBtellt, dass die in 
den indischen Gefängnissen herrschende Buhr eine Bazillenruhr ist; trotzdem 
wird bei den tausenden dort vorkommenden Buhrfällen kaum jemals ein Leber- 
abssess beobachtet. Die Entstehung der Abszesse denkt man sich nach 
Boger so, dass die Amöben in der Flexura hepatica direkt in die Leber ein¬ 
wandern, was bei der Neigung dieser Bahrart zur Perforation sehr wohl 
denkbar ist. 

Was die Verbreitungsweise der Buhr anlangt, so spielt anscheinend das 
Wasser keine grosse Bolle fflr dieselbe, obwohl die Möglichkeit dieser Ueber- 
tragnng vorliegt. Nach Pfuhl hält sich nämlich der Buhrbacillus tagelang 
im Wasser, und Verfasser selbst führt einen Fall an, in welchem dieser Weg 
der Infektion klar vor Augen tritt. Der Annahme, dass das Wasser bei der 
Entstehung der Buhr keine Bolle spielt, steht die Tatsache entgegen, dass in 
den Tropen nach Anlage guter Wasserleitungen die Bnhrfälle wesentlich znrflck- 
gegangen sind. Da nicht anzunehmen ist, dass sich die Bazillen in den Tropen 
anders verhalten als bei uns, zumal Pfuhl nachgewiesen hat, dass sie in höher 
temperiertem Wasser leichter zu gründe gehen, und da ferner festgestellt ist, 
dais in den indischen Gefängnissen trotz guter Wasserversorgung die Buhrfälle, 
die dort naohgewiesenermassen auf Bazillen beruhen, sich nicht vermindert 
haben, so muss man annehmen, dass das Wasser in den Tropen fflr die Ver¬ 
breitung der Amöbenruhr eine Bolle gespielt bat, und dass diese Buhrart und 
damit die Buhr Überhaupt durch Anlegang von Wasserleitungen abgenommen bat. 



Atu Versammlungen and Vereinen. 


869 


Eine mehr fttr die Tropen wichtige Verbreitangeweiee der Bazillenruhr 
scheint die durch Staubstürme und Fliegen in Bein, wie eine Anuhl Beobach¬ 
tangen lehren. 

Ueber die eigentlichen Uebertragungswege der Amöbenrahr ist nichts 
Sicheres bekannt, es seheint nnr Tatsache sa sein, dass die Amöbe ausserhalb 
des Körpers ein sehr hinfälliges Oebilde und sehr viel weniger widerstands¬ 
fähig ist, als der Bahrbacillas. In dieser vegetativen Form wird also die 
Amöbe nar selten snr Infektion fahren, während sie in der Danerform 
(Zysten), in der sie gegen Ende der Krankheit entleert wird, widerstands¬ 
fähiger ist and daher auch eher eine Infektion hervorrnft. Da die Infektion 
stets per os erfolgt, nnd da bei der Amöbenrahr nar die Stahle infektiös sind, 
welche Daaerformen enthalten, so wird die Amöbenrahr in gewissen Stadien 
stärker infektiös sein als in anderen, and so erklärt sich aaoh ihr endemischer 
Charakter. 

18. Prophylaxe and Behandlung des Schwarswaeserflebers. Pro! 
Dr. PIehn-Berlin geht von der bekannten Beobachtang aas, dass bei tropischer 
Malaria nach dem Gebrauche von Chinin leicht mehr weniger schwer verlaufendes 
Schwarzwasserfieber entsteht, und dass diese Anfälle noch sehr spät, selbst wenn 
der Patient die Tropen längst verlassen hat, entstehen können. Für die Ent- 
stehang des Schwarzwasserfiebers kommen nach PI ehn zwei Momente in Be¬ 
tracht : Prädisposition nnd Gelegenheitsursachen. Der Grund der Disposition 
ist in einer Sohwäche der blutbildenden Organe zu suchen, wie sie bei verschiedenen 
Menschen in verschiedenem Grade zu finden ist. Sie wird durch längere Dauer 
einer Malariaiofektion geschaffen bezw. erhöht, auch wenn die Fieberanfälle 
selbst gar nicht schwere sind. Ein zweijähriger Aufenthalt in einer Gegend, in 
welcher die Malaria bösartig anftritt, steigert s. B. diese Disposition derart, 
dass selbst bei einer Entfernung von einem halben Jahre aus der Gegend sich 
die blutbildenden Organe noch nicht erholt haben. Als Gelegenheitsursache 
ist in erster Linie der Gebrauch des Chinins za nennen, aber auch Erkäl¬ 
tungen, Transporte asw. können einen Anfall von Schwarzwasserfieber 
hervorrnfen. 

Das sicherste Mittel gegen Schwarzwasserfieber besteht in einer richtigen 
Behandlung der ersten Malariaanfälle mit Chinin. In dieser Zeit sind die blut¬ 
bildenden Organe noch nicht geschädigt, daher wird alsdann auch das Chinin 
sehr gut vertragen. Da Chinin aber auch das einzige Mittel ist, welches die 
Malaria völlig zum Erlöschen bringt, so muss es selbst bei solchen Patienten 
angewendet werden, welche bereits an Schwa r* Wasserfieber anfällen gelitten 
haben. Im ttbrigen versteht sich eine kräftigende Behandlung des ganzen Kör¬ 
pers von selbst. 

Die Cbininprophylaxe ist demnach das wesentliche bei der Verhtttong 
des Scbwarzwasserfiebers und zu diesem Zweck sind kleine und wiederholt ge¬ 
gebene Chinindosen zweckmässiger als grosse und selten gegebene. Ueber den 
einzelnen Malariafall kommt man allerdings nicht ohne einen vollen Gramm 
Chinin hinaus. 

14. Ueber Blutparasiten der Kolonisten und ihrer Haustiere in 
tropischen Gegenden. Dr. Martini-Berlin stellt als gemeinsames Charak¬ 
teristikum fttr die durch Protozöen veranlassten Erkrankungen in den Tropen 
die Tatsache fest, dass in allen Fällen ein Schwund der roten Blutkörperchen 
eintritt. 

Die wichtigste und bekannteste dieser Erkrankungen beim Menschen ist 
Malaria, welche durch Anopheles abertragen wird. Prophylaktisch kommen 
fttr dieselbe in Betracht 1) Schutz des Menschen gegen Stiche von Anopheles 
(Netze — Celli in Italien); 2) Ausrottung der Fliegen bezw. deren Brutplätze 
(Robb in Ismailia) nnd 8) prophylakii-che Chiningaben (B. Kooh). Während 
den beiden ersten Mitteln ihre Bedeutung nicht abgesprochen worden soll, so 
sind sie doch nicht allgemein durchführbar, vi lmebr ist der Hauptwert auf 
eine Chiuinbebandlung zu legen. Am besten wird Chinin, hydrochloric. prophy¬ 
laktisch jeden 8. bis 9., nach anderen jeden 5. Tag in Grammdosen genommen 
Zugleich müssen auch alle mit Malaria Behafteten, was eventuell durch Blut- 
uutersuchungen festzustellen ist, mit Chiningaben behandelt werden. Selbst- 
roden 1 müssen alle in Tropengegenden gesandte Leute auf ihre Chiniofestigkeit 
geprüft werden. 



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Ans Versammlungen and Vereinen. 


Eine weitere ProtozOenkrankheit ist die Trypanosomenkrankbeit. 
Sie verliaft mit unregelmässigen Fieberanfällen, Erythemen, geringen Oedemen, 
Muskelschwäche, Blutarmut und Kurzatmigkeit; man weis« noch nicht 
sicher, wie die Uebertragung auf den Menschen stattfindet. Man hat in Uganda 
bei 70% der schlafkranken Neger, die stets der Krankheit erliegen, in der 
Cerebrospinalflüssgkeit Trypanosomen gefunden. Am Kongo, wo die Schlaf¬ 
krankheit hauptsächlich vorkommt, sind Trypanosomen bisher noch nicht nach¬ 
gewiesen, doch Bind sie wahrscheinlich auch hier die Ursache. 

Durch Trypanosomen ist auch die Tsetse der Haustiere, welche eben¬ 
falls fast stets tödlich verläuft, hervorgerufen. Die?e Krankheit kommt nament¬ 
lich da vor, wo auch die Schlafkrankheit der Neger sich fiudet, und für sie 
hat Bruce in der Tsetsefliege die Uebertrfigerin gefnnden. Tsetse ist auf 
alle Haustiere übertragbar und verläuft bei Pferd, Esel und Hund fast Btets 
tödlich, bei Bind, Ziege und Scbaf kommen noch Genesungen vor, bei Zebra 
uud Schwein sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Martini 
demonstriert die Erreger und beschreibt alsdann das Bild dieser Krankheit 
Sie verläuft mit Fieber vom Typus des Rückfallfiebers. Die Tiere werden matt 
und blutarm, der Gang wird kreuzlahm; sie lassen den Kopf hängen, es treten 
Oedeme der Hinterbeine, des Bauches und Manien auf; bei erhaltener 
Fresslust erfolgt rasch der Tod. Auf der Höhe des Fiebers Bind die Parasiten 
am sahlreichsten in den peripheren Venen nachweisbar (Obrvene), wo sie vor 
dem Tode iu grosser Mrnge su finden sind. Mittel gegen die Krankheit fehlen. 
Koch hat den Erreger durch graue Ratten durchgesüchtet und swei Rinder 
infiziert, die genasen und dann immun waren. 

In dieselbe Kategorie gehören und ebenfalls durch Trypanosomen her¬ 
vorgerufen sind, die Surra in Indien, das Mal de cad eras Südamerikas und 
die Beschälseuche des südlichen Europas; indes fehlt hier der Uebortra- 
gangsmodas noch gänzlich. Jedenfalls finden sich aber zwischen der Tsetse und 
4en drei letzten Erkrankungen deutliche Unterschiede. Endlich gehört noch 
die Gaiziekte der Rinder Transvaals hierher, bei der eich ein grosserer, dem 
Rattentrypanosoma ähnlicher Erreger findet. 

Auch das in gemässigten Zonen schon vorkommende Texasfieber 
wird durch Protozoen, die in den roten Blutkörperchen als birnfOimige Para¬ 
siten (Pirosomen) nachweisbar sind, bervorgernfen. Zecken sind hier die 
die Ueberträger. Bei der Erkrankung treten ebenfalls Fieberanfälle neben 
Blutarmut und Blutharnen auf. Viele Tiere gehen daran zu gründe und zwar 
speziell erwachsene. Werden junge Tiere infiziert, so kommen sie in 
der Regel durch und behalten die Parasiten als Symbioten ohne Erscheinungen 
von Kranksein bei sieb. Rückfälle kommen nur nach grossen Anstrengungen, 
n. B. längeren Transporten vor. Theobald Smith hat deshalb junge Kälber 
infisiert, ebenso wie Kolle in Argentinien; ein Heilmittel aber fehlt. 

Zur selben Gattung von Erregern gehören das von Koch 1897 in Ost- 
afrika entdeckte Piroplasma canis nnd das von Koch und Danyszl898 
beschriebene Piroplasma equi. Beide Krankheiten harren indes noch der 
näheren Erforschung. 

Hierher gehört auch noch das im tropischen Afrika vorkommende 
Küstenfieber, das ähnliche Erscheinungen wie Texasfieber (blutiger 
Nasenausflass und Atemnot) macht und ähnliche Parasiten zeigt. Dabei kommen 
neben bimförmigen Parasiten bei einzelnen Tieren auch bazillenartige Gebilde 
in den roten Blutkörperchen vor. Koch hat indes nachgewiesen, daes das 
Küstenfieber kein Texasfieber ist. Ein Mittel fehlt auch hier. 

Wie man sieht, steht der Mensch bezüglich dieser Krankeiten in den 
Tropen immer noch günstiger als die Haustiere, auf welche er angewiesen ist. 

Zam Schluss sprach Dr. Sander- Berlin Uber die praktischen Schluss¬ 
folgerungen aus den neuesten Trypanosomenforschungen. 

Nach Sander ist die Aetiologie der Tsetsekrankheit nur in deren afri¬ 
kanischer Form vollkommen bekannt. Bei der sogenannten Nagana hat näm¬ 
lich Br nee das krankmachende Trypanosoma und dessen Zwischenwirt, 
eine Tsetsefliege (Glossina morsit&cs) entdeckt und genau beschrieben, 
während bei der Surra und dem Mal de caderas genauere Untersuchungen, 
namentlich über die Wege der Uebertragung noch ausstehen. Ferner ist er¬ 
wiesen, dass die Tiere, welche von einer natürlichen Infektion nicht so ohne 



Ans Versammlungen and Vereinen. 


871 


Weiteres befallen werden, bei künstlicher stets erkranken and meist erliegen, 
so dass man mit einiger Wahrscheinlichkeit behaupten kann, dass keines der 
landlebenden Säugetiere vor der Infektion gesohtltst ist. Endlich hat Bich 
geseigt, dass wir für die Krankheit weder Vorbengnngsmittel, noch Heilmittel 
haben, allerdings scheint Menschensernm nach L ave ran und Mesnil bei 
kleinen Versuchstieren in einzelnen Fällen Heilung bewirkt zu haben. Uebri- 
gens hat das Serum durchseuchter Tiere einen abtötenden Einfluss auf daB die 
betreffende Krankheit erregende Trypanosoma, aber nur auf dieses, nicht wie 
Menschensernm auf alle. Anscheinend iat es auch möglich, durch wiederholte 
Passage des Erregers durch andere Tiere als Wiederkäuer die Infektiosität 
der Erreger für letztere ahzuschwächen. Weiter ist festgestellt, dass da, wo 
die Seuche herrscht, auch der Mensch befallen werden kann (Schlafkrankheit 
der Neger), allerdings scheinen die Weissen verschont su bleiben. Endlich 
hat man im Blute vor dem Auftreten der Parasiten noch eigentümliche Ge¬ 
bilde beobachtet, welche im Zusammenhang mit den Parasiten stehen sollen 
und bei deren Auftreten verschwinden. 

Was die Uebertragung anlangt, so ist nur bei der Nagana eine Tsetse 
als Zwischen wert nach ge wiesen, doch ist es fraglich, ob nicht noch andere 
existieren; jedenfalls fehlt ein solcher für den Menschen noch ganz. Sander 
weist alsdann noch darauf hin, dass es nicht angängig erscheint, wie bisher 
anzunehmen, dass die Uebertragung durch die Fliege in rein mechanischer 
Weise erfolge, sondern nach seinen und den Beobachtungen anderer Autoren 
scheint es, dass der Erreger sich erst in einer anderen Form in der Tsetse 
entwickelt und so übertragen erst im Tiere die Weiterentwicklung zum Try¬ 
panosoma erfährt. 

Für die Bekämpfung der Nagana hält Sander an seinem schon früher 
verfochtenen Vorschlag, die Tsetse auszorotten, fest, zamal dies Verfahren bei 
der eigentümlichen lokalen Verbreitung der Tsetse sehr wohl durchführbar 
erscheint. Weiter hält Sander zum Stadium dieser mörderischen Seuche 
Untersuchungen an Ort and Stelle dringend nötig und fordert dafür die Hülfe 
der Regierung durch Entsendung einer besonderen Kommission, zumal die 
Krankheit, abgesehen von dem Verluste, der durch dieselbe in den Kolonien 
erwächst, jeden Tag eingesohleppt werden kann. 

Zum Schluss wurde von der Sektion ein Beschluss gefasst, in diesem 
Sinne den Herrn Reichskanzler za bitten, Mittel für eingehende Untersuchungen 
an Ort und Stelle bereit zu stellen. 

Aus den 

übrigen Abteilungen 

ist noch hervorzuheben, dass in der Abteilung für Dermatologie und 
Syphilis Dr. Joseph und Dr. Piorkowsky (Berlin), sowie Dr. Pfeiffer 
(Wien) über den Syphilisbacillns vortrugen. Während die beiden enteren 
Uber ihre bekannten Untersuchungen in dieser Frage berichteten, wurde ihnen 
von Pfeiffer naebgewieeen, dass ihre Bazillen für Lues nicht spezifisch 
seien, dass es sich vielmehr anscheinend um Pseudodiphtheriebazillen Bandele. 
— Pfeiffer hatte Kulturen von Joseph und Piorkowsky direkt bezogen 
und Impfversuche mit denselben angestellt. 

In der Abteilung für Neurologie und Pathologie sprach Prof. Dr. 
Aschaffenburg-Halle über den Strafvollzug an Geisteskranken and 
kam zu dem Schlosse, dass der unheilbare Geisteskranke niemals Objekt der 
Strafrechtspflege sein könne; er halte daher auch den Vorschlag für verfehlt, 
unheilbar geisteskranke Verbrecher dauernd in gesonderten Stationen der 
Zuchthäuser unterzubringen. Derartige Kranke gehörten in die Irrenanstalten. 
Ferner hebt er hervor, dass § 493 insofern einen Misstand herbeifübre, als dem 
Geisteskranken zwar der nnverschnldete Aufenthalt in der Anstalt ungerechnet 
werde, nicht aber die Zeit, die er nach Erklärung der Strafvollzugsunffthigkeit 
dort zubringe. Dadurch bekomme der Staatsanwalt das Recht, bei der Entlassung 
mitzuentscheiden und eventuell nach der Genesung den Wiederantritt der Strafe 
zu fordern, während über die Entlassung der Arzt allein entscheiden könne and 
beim Wiedereintritt jedenfalls vorher gehört werden müsse. 

Dr. M e d e r • Cassel. 



872 


Kleinere Mitteilungen nnd Referate am Zeitschriften. 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 

A. Gerichtliche Medisin nnd Psychiatrie. 

Ein Fall von Arsenikmord. Von Prof. Rad. Robert-Rostock. Aerzt- 
liche Sachverständigen • Zeitung; 1903, Nr. 18. 

Der klinische Verlauf, soweit er beobachtet wurde, glich dem Bilde der 
gastrointestinalen Form, doch wich er in beeng auf die Zeitdauer bis snm Tode 
von diesem Bilde ab nnd ähnelte mehr der paralytischen Form, da nnr 7—8 
Stunden nötig waren, nm den tödlichen Kollaps herbeiznführen. Robert 
kennt keinen gastrointestinalen Fall, der so schnell verlaufen ist. Das im 
Magen gefundene Arsenik war gelb nnd war Schwefelarsen, welcher als Bealgar 
(As« Sa) nnd Auripigment (AsaS*) in der Natur mineralisch vorkommt. Die 
Umwandlung der arsenigen Säure in ihr Sulfid muss auf Leicbenfäulnis beruhen. 

Den Nachweis des Arseniks in der Leiche mit Penicillium brevicaule 
hält Robert für eine der segensreichsten Neuerungen der gerichtlichen Medi¬ 
zin. Diese Methode ist von jedem Arzte leicht auszuffihren, sie bietet die 
grosse Annehmlichkeit, auch ohne chemische Reindarstellnug in Extrakten aus 
Leichenteilen und in Darmhontentis lediglich nach Sterilisierung durch ge¬ 
höriges Aufkoohen direkt das Arsen nachzuweisen. Nicht einmal ein regulärer 
Brfite8chrank ist dabei erforderlich, sondern im Notfälle genügt auch ein warmes 
Zimmer. Da die Reinkulturen von Penicillium brevicaule durch jede Apotheke 
käuflich bezogen werden können und sich bei luftdichtem Verschluss sehr lange 
lebend halten, ist jeder Arzt selbst auf dem Lande in der angenehmen Lage, 
selbst ganz kleine Mengen irgend einer verdächtigen Substanz (Nahrungsmittel, 
Erbrochenes etc.) binnen 24 Stunden auf Arsenik voruntersuchen zu können. 
Entwickelt sich in der Kultur Knoblauchgeruob, so soll nach dem Verfasser der 
Arzt berechtigt, ja verpflichtet sein, der Behörde Anzeige zu machen und ge¬ 
richtliche Untersuchung zu beantragen. Robert steht ferner auf dem Stand¬ 
punkt, dass bei zweifelhaften Spuren von Arsenik der Chemiker vor Gericht 
kein Recht hat, die Anwesenheit von Arsenik zu vertreten, wenn diese so 
scharfe Probe negativ ausgefallen Bei. Dr. Troeger-Neidenbnrg. 


Findet sich Arsen in allen Geweben des tierischen Haushaltes? 
Von Armand Gautier. Comptes rendus de la soc. de biol.; 1908, S. 1076. 

Nach den Ergebnissen weiterer Untersuchungen des Verfassers — über 
die frQheren ist an dieser Stelle, 1903, S. 665, bereits berichtet — findet sich, 
berechnet auf 100 g frischer Substanz, an Arsen in Rindfleisch 0,0006 mg; in 
Stierhoden 0,0012 mg, im Gelben vom Hühnerei 0 0004 mg, in Milch 0,0008 mg. 
Der Autor hält daran fest, dass Haare, Federn, Hörner, Nägel, Gl. thyrroidca, 
Thymus, Gehirn, Knochen, Milch und Menstrualblut Arsen enthalten. Die Eli¬ 
mination findet beim Weibe auf letztgenanntem Wege, beim Manne durch die 
Hautabschuppung nnd den Verlust der Haare statt. Zu diesen Organen 
kommen nach den neuesten Untersuchungen des Verfassers und von G. Ber- 
trand noch hinzu das Muskelfleisch und das Eigelb. Im Blute liess sich 
Arsen bisher nicht nachweisen. Gegenüber den deutschen Autoren, die nur 
widersprechende Resultate erhielten, hält Verfasser an der Richtigkeit seiner 
Angaben fest und erwähnt, dass dieselben ausser von G. Bertränd-Paris 
auch von Lepierre in Oporto, Pagel in Nanoy, Imbert in Montpellier be¬ 
stätigt worden seien. Dr. Mayer-Simmern. 


Azetonvergiftung nach Anlegung eines Zelluloid-Mnllverbanden. 
Von Dr. Cossmann, Oberarzt des Krankenhauses zu Duisburg a. Rh. Münchener 
med. Wochenschrift; 1903, Nr. 36. 

Exogene Vergiftungen mit Azeton gehören zu den grössten Seltenheiten. 

Bei einem 12 jährigen Knaben wurde ein Gehverband in der Form eines 
Zelluloid - Mullverbandes (einer Auflösung von Zelluloid in Azeton) ange¬ 
legt; etwa 6—8 Stunden darnach sind bedrohliche Erscheinungen beobachtet 
worden (Unruhe des Knaben, starkes Brennen an den Beiuen, tiefes Koma, 
weite nicht reagierende Papillen, kaum fühlbarer Puls, kalte Hände und Füsse, 
ab und zu eintretende tiefe geräuschvolle Atemzüge). Sämtliche Vergiftungs¬ 
erscheinungen verschwanden unter geeigneter Behandlung bis zum nächsten 
Tage wieder. 



Kleinere Mitteilungen and Beiernte ms Zeitschriften. 


878 


Die Angestellte Untersuchung ergeh mit Toller Sicherheit eine Vergiftong 
durch Aceton. 

Vielleicht hat die Art der Anlegung des Verbandes einige 8chuld, indem 
derselbe nicht, wie gewöhnlich, mittelbar anf Gipsmodell, sondern nnmittelbar 
auf den KOrper des Kindes (allerdings Ober Trikotstoff nnd einem dicken Bing 
plastischen Pilses am Becken) angelegt war. Wahrscheinlich sind aber für 
die Vergiftung noch andere unbekannte ätiologische Faktoren mitverantwort- 
lieh zu machen. 

Verfasser glaubt, dass die Vergiftung anf dem Wege der Besorption 
durch die Haut nnd nicht durch Einatmung zu stände gekommen ist; er hält 
gegenüber den neueren Arbeiten über die Ungiftigkeit des Azetons die Mit* 
teUnng dieses Palles für sehr angezeigt, da er den zweifellos seltenen Fall 
einer AzetonTergiftung durch äussere Einwirkung des Azetons auf den KOrper 
darsutun geeignet ist. _ Dr. Waibel-Kempten. 


Aspirin-Nebenwirkung. Von Dr. Winckelmann, Arzt in Darm¬ 
stadt. Münchener med. Wochenschrift; 1908, Nr. 42. 

Verfasser fügt den bereits veröffentlichten Fällen von Nebenwirkungen 
des Aspirins (s. Bef. in Nr. 20, 1903, 8. 734 dieser Zeitschrift) einen weiteren 
▼on ihm beobachteten Fall hinzu: 

Ein mittelkTäftiger Mann von 28 Jahren erhielt wegen Angina tonsillaris 
abends 6 Uhr und 8*/* Uhr je 1 g Aspirin, worauf die Temperatur von 
89,5 anf 38,2 fiel. Gegen Mittag des nächsten Tages bemerkte Verfasser 
an den Streckseiten beider Ellenbogen, an den Vorder- nnd Innenseiten der 
Kniegelenke nnd an den oberen nnd medialen Flächen der Fnssgelenke ein 
Exanthem von leicht erhabenen, roten, bis linsengrossen Fleckchen, welche an 
den Innenseiten der Kniegelenke so dicht standen, dass sie einen handgrossen 
roten Fleck bildeten, während sie an den übrigen Stellen mit 2 bis 5 mm 
Zwisohenraum angeordnet waren. Der Ansschlag jnckte etwas, Pols und At¬ 
mung waren ruhiger als am Tage vorher, der Urin war und blieb ohne Eiweies. 
Aspirin erhielt der Knabe nicht mehr nnd das Exanthem verschwand in den näch¬ 
sten 36 8tunden. An beiden Ellbogen trat geringe Abschilferung der Haut ein. 
Verwendet wurde das reine (Original-) Aspirin. Dr. Waibel-Kempten. 


Tod einer Traeheotomierten durch Erhängen. Von Dr. Bertels¬ 
mann. Vierteljahrsschrift für gerichtl. Medizin u. Offentl. Sanitätswesen; 
1908, HI. F., XXVI. Bd., 2. Heft, 8. 251. 

Der hier mitgeteilte Fall ist sehr ähnlich dem bekannten, von Beine- 
both veröffentlichten Fall. Eine wogen Larynxkarzinoms tracheotomierte Fran 
erhängt sich so, dass die Schlinge oberhalb der Luft zufflhrenden Kanüle lag. 
Die Lnftzufnbr wurde also nicht unterbrochen, trotzdem muss das Bewusstsein 
momentan geschwunden sein, da sich nirgends Spuren eines qualvollen Todes 
an der Leiche fanden. Die Erklärung hierfür wird dnreh die Kompression der 
Karotiden gegeben. _ Dr. Ziemke-Halle a. 8. 

Zur Frage der Spätapoplexie. Ein Gutachten. Von Prof. Dr. 
0. Israel. Ibidem; 8. 242. 

Verf. beleuchtet an der Hand eines von ihm für eine Lebensverslcberunge- 
gesellschaft erstatteten Gutachtens den von Bollinger aufgestellten Begriff 
der 8pätapoplexie. Er vergleicht die Befunde, welche Dur et seiner Zeit 
experimentell an Tieren hervorrief, mit den Beobachtungen Bollingers am 
Menschen und findet, dass diese sich nur zum Teil mit den Tierexperimenten 
decken, daher für die Beweisführung einer traumatischen Spätapopiexie nicht 
za verwenden sind. In den Fällen, in welchen der Tod erst beträchtlich später 
nach der Verletzung eintritt, ist die Zeit, welche bis zum Eintritt der Blutung 
vergeht, notwendig, um die zum Zustandekommen der Blutung erforderliche, 
begrenzte Hirncrweichung, welche die Gefässe schädigt, hervorznbringen. In 
einer relativ kurzen Zeit, z. B. in 2 Stunden, kann eine Erweichung nicht zu 
stände kommen. Man darf daher in solchen Fällen nicht eine Spätapoplexie, 
sondern muss eine spontane Hirnblutung annebinen. 

Dr. Ziemke-Halle a. S. 



874 


Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


Ueber Nebennierenblutungen bei Neugeborenen. Von Besirksarst 
Dr. DOrner in Adelsheim. 

Verf. hat sich mit den Nebennlerenblntnngen bei Neugeborenen beschäf¬ 
tigt. Unter den innerhalb der letzten 10 Jahre in der Dresdener Frauenklinik 
znr Sektion gekommenen Nengeborenen fand er 8 mal Blutungen in den Neben¬ 
nieren. Für ihr Zustandekommen scheint die Ursache sowohl in den Neben¬ 
nieren selbst, wie in den Geburtsvorgfingen zu liegen. Von gerichtsärstlichem 
Interesse sind diese Blutungen schon deswegen, weil sie den Tod durch Ver¬ 
blutung in die Bauchhöhle zur Folge haben können. Wichtig ist ferner ihr 
Vorkommen bei asphyktischen Neugeborenen auch ohne längere traumatische 
Einwirkungen während des Geburtsvorganges. Hier wird die Annahme eines 
natürlichen Erstickungstodes infolge der Geburt durch daB Vorhandensein der 
Nebennierenblutungen unterstützt, eine Erstickung durch äussere Einwirkungen 
aber unwahrscheinlich. Dr. Ziemke-Halle a. S. 


Lungenfäulnis und Schwimmprobe. Von Prof. Dr. Le ub ns oh er. 
Ibidem; S. 263. 

Nach Untersuchungen, welche Verf. an Tieren und an 14 neugeborenen 
Kindern angestellt hat, glaubt er, den von Bor das und Descoust aufge¬ 
stellten Satz bestätigen zu können, dass Schwimmfähigkeit der Lungen die 
Btattgehabte Atmung des Kindes beweise. In Lungen, die nicht geatmet 
haben, tritt nur ausnahmsweise und höchstens eine geringe Fäulnisgasent¬ 
wicklung auf. Jede irgendwie reichlichere Gasentwicklung in faulenden Lungen 
weist auf ein vorheriges Eindringen von Luft in die Lungen, sei es durch 
Atmung oder durch Wiederbelebungsversuche. 

Dr. Ziemke-Halle a. S. 


Jodoformgazerest in der Vagina einer Wöchnerin. Von Dr. Pilf 
in Alsleben a. S. Ibidem; S. 266. 

Ein Arzt tamponierte bei einer heftigen Blutung nach der Geburt die 
Gebnrtswege mit Jodoformgaze. Die Blutung stand und die Wöchnerin fühlte 
sich andauernd wohl, obwohl sich nach einigen Tagen sehr übelriechender 
Ausflass einstellte. Obwohl der Arzt zweimal, am 10. und am 23. Tage des¬ 
wegen um Bat gefragt warde, untersuchte er die inneren Gebnrtswege nicht, 
sondern begnügte sich zu erklären, da kein Fieber vorhanden, sei der Ausflass 
ohne Bedeutung. Wegen des geradezu pestilenzartigen Geruches wurde der 
Verf. zugezogen, und fand in dem hinteren Scheidengewölbe einen mit fauligem 
Blut und Eiter durchsetzten Jodoformgazestreifen. Verf. erörtert die Frage, 
was wohl geschehen wäre, wenn die Wöchnerin an puerperaler Infektion er¬ 
krankt und gestorben wäre. Zweifellos hätte der Arzt fahrlässig gehandelt, 
da er eine innere Untersuchung zur Erforschung der Ursache des Geruches 
auch nicht vornahm, als er zum zweitenmal zu Bat gezogen wurde, gleichwohl 
aber den Ausfluss und Geruch für bedeutungslos erklärte. 

_ Dr. Ziemke «Halle a. 8. 

Experimentelle Studien zur Pathogenese akuter Psychosen. Nach 
einem aaf der Jahressitzung des deutschen Vereins für Psychiatrie am 22. April 
1903 in Jena gehaltenen Vortrage. Von Privatdozent Dr. Hans Berger in 
Jena. Berliner klin. Wochenschr.; Nr. 30, 1903. 

Die Annahme, dass die akuten Psychosen auf eine Toxämie, auf im Blut 
kreisende und von irgend einem in den Kreislauf gelangende Toxine znrückzn- 
führen seien, suchte Verfasser experimentell nachzuweisen. Er entnahm meh¬ 
reren akaten Psychosen Bmt und spritzte es sich subkutan in den Arm. Nach 
einer solchen Injektion von einer Dementia praecox stellte sich Schwindel und 
später heftige Angst ein, nach einer anderen von einer an vollentwickelter 
Dementia praecox leidenden Patientin herrührenden Injektion stellte sich nach 
einer Vicrtelstinde heftiges Sausen im Kopf und Erschwerung der geistigen 
Vorgänge ein, nach 3 Standen ein heftiger Schwindelanfall mit Flimmerskotom, 
Nachts Kopfschmerzen, später Kolikanfälle, Schmerzen im Hinterkopf und 
8 Tage anhaltendes Krankheitsgefühl. Nun experimentierte Verfasser an 
Tiereu, indem er sich Cytotoxine herstellte. Einer Ziege wurde Hundegehirn- 
substanz injiziert und mit diesem Serum an Händen subkutane Injektionen ge- 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


87B 


macht. Es trat nun eine deutliche Degeneration der Riesenpyramidensellen 
und eine Einwanderung zahlreicher Kerne in die degenerierten Ganglienzellen 
der Grosshirnrinde ein. Nach 14 Tagen waren die pathologischen Veränderungen 
nicht mehr sichtbar. Nach fortgesetzter Behandlung mit diesem neutozischen 
Serum zeigte Bich ein hochgradiger Zellschwund in der Hirnrinde und ein 
Hydrocephalus internus, der an die Befunde der Dementia paraiytica erinnerte. 
Aehnliche Befunde, wie hier experimentell erzeugt wurden, finden sich bei 
akuten Psychosen; die Annahme von Toxinen bat somit eine wesentliche Stütze 
erhalten. Die Versuche sollen fortgesetzt werden. 

Dr. Räuber'Düsseldorf. 


Hysterische Selbstbeschädigung unter dem Bilde der multiplen 
neurotischen Hautgangrän. Von Prof. Dr. Bett mann. Ans der Heidel¬ 
berger med. Klinik (Direktor Geheimrat Erb). Münchener med. Wochenschr.; 
Nr. 40, 1903. 

Das Auftreten multipler Hautgangrän bei hysterischen Individuen ist 
nicht allzu selten; man kann dabei an tropbische Störungen oder an Selbst- 
beschädignng, reine Artefaktbildung denken. In den meisten Fällen wird man 
bei hysterischen Individuen gut daran tun, den Verdacht der Selbstbescbädi- 
gung hartnäckig weiter zu verfolgen. Die Existenz einer neurotischen Spontan¬ 
gangrän ist aber mit der Feststellung jener Simulation keineswegs geleugnet; 
ja eB ergibt sich sogar, dass in Fällen offenkundiger Selbstbescbädigung das 
Missverhältnis zwischen der geringen Intensität des Eingriffs und der Schwere 
seiner Folgen zum mindesten die Annahme einer besonderen nervÜBen Prädis¬ 
position nahe legen kann. 

Verfasser führt nun einen Fall von Selbstbescbädigung durch Lysol 
bei einer 21jährigen Tagelöhnerstochter an, bei welcher seit ca. 2 Jahren in 
zahlreichen unregelmässigen Nachschüben und meistens an den Extremitäten 
Geschwüre auftraten mit oberflächlicher Nekrose der Haut in der Form von 
teils rundlichen, teils irregulär begrenzten, harten, derben, leder- oder per¬ 
gamentähnlichen Plaques, welche nicht Uber TalergrOsse, bräunlich gefärbt, 
unempfindlich, mit der Nadel kaum durchstechbar waren und vollkommen fest 
und unablösbar auf der Unterlage hafteten. 

Später eine demarkierende Entzündung, die zur Abhebnog des Schorfes 
und zur Bildung eines meist oberflächlichen Geschwürs führte. Stets war die 
linke Körperhälfte mehr bevorzugt; der Rumpf blieb verschont. 

Da arteriosklerotische Veränderungen und eine organische Nervenkrank¬ 
heit auszuschliessen waren, konnte die Diagnose nur zwischen der Annahme 
einer neurotischen Spontan?augrän bei einer Hysterischen oder einer hysterischen 
Selbstbescbädigung schwanken. 

Trotz Leuguens wurde allmählich der Verdacht auf Selbstbescbädigung 
immer stärker, und schliesslich kam man mit Hilfe der beobachteten hysterischen 
Erscheinungen und der objektiven Anamnese darauf, dass die Person Lysolum 
purum, zu dem sie „nach Belieben“ Wasser zusetzte, auf die Haut brachte 
und damit die Geschwüre erzeugte. 

Verfasser stellte hierauf Versuche an sich an und fand, dass reines Lysol, 
auf eine umschriebene Hautpartie aufgepinselt, nach einige Sekunden langer 
Einwirkung sehr wohl imstande ist, einen oberflächlichen Schorf hervorzurofen. 
Ueberraschend war nun die Tatsache, dass bei der Patientin auch geringe 
Konzentrationen einer Lysollösnng (von 16— 20°/o) einen intensiven Effekt 
hatten (zuerst Rötung, daun Blasenbildung, dann Schorf usw.). Das Interessante 
an diesem Falle war einmal der Nachweis der Selbstbescbädigung und dann 
der Nachweis, dass die Reaktion der Haut in einem quantitativen MisverhältniB 
za der Stärke des Eingriffs stand, eine Feststellung, die sich aus mehreren 
anderen Fällen offenkundiger hysterischer Selbstbeschädigungen mehr oder 
minder auffällig ergab. Es spielten hier abnorme tropbische Beeinflussungen 
der Haut mit herein. 

In praktischer Hinsicht drängt sich die Lehre von selbst auf, dass man 
gerade hysterischen Individuen gegenüber in der Verordnung differenter Sub¬ 
stanzen nicht vorsichtig genug sein kann. Dr. Waibei-Kempten. 



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Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Zur forensisch-psychiatrischen Beurteilung spiritistischer Medien. 
Von Dr. R. Henneberg, Privatdozent und Assistent der psychiatrischen und 
Nerrenklinik der Königlichen Charitö (Prof. Jolly). Archiv für Psychiatrie; 
37. Band, 3. Heft. 

H. teilt seine Beobachtungen und Gutachten über das viel genannte 
Blamenmedium Anna Rothe mit. Er bezeichnet sie als gemindert zurech¬ 
nungsfähig ; ihre medinmistischen Leistungen stehen im engsten Zusammenhang 
mit den bei ihr nachgewiesenen Störungen auf psychisch-nervösem Gebiete 
(Hysterie). 

Es wird ausgeftthrt, dass „bewusste betrügerische Handlungen nicht 
selten von psychisch abnormen und geisteskranken Individuen begangen werden.* 
. . . . „Die Neigung, durch anscheinend wunderbare Handlungen sich Geltung 
und Beachtung zu verschaffen, entspringt der krankhaften psychischen Kon¬ 
stitution der Hysterischen“, solche finden int Spiritismus daher am leichtesten 
ein Feld der Betätigung. — H. hat im Anschluss an diese Ausführung ein sehr 
interessantes Material znsammengestellt Uber die Beziehungen, die zwischen 
Geistesstörung, Spiritismus und bewusstem Betrug bestehen. 

Dr. Pollitz-Münster. 


Welche besonderen Einrichtungen sind bei der Anstal tsbehand- 
lnng der Epileptischen erforderlich. Von Dr. H. Stakemann in Roten¬ 
burg (Hannover). Allgem. Zeitschrift fttr Psychiatrie; 60. Bd., 6. H. 

Verfasser bat seine Erfahrungen in einer Reihe Sätze zusammengefasst, 
aus denen hier nur einige wiedergegeben Beien. Die Epileptiker sollen nicht 
mit frisch erkrankten Geisteskranken zusammengebracht werden, es sind daher 
spezielle Epileptikeranstalten, wie sie in einzelnen Provinzen bereits bestehen, 
zu schaffen. In diesen können ausnahmsweise auch andere Geisteskranke Auf¬ 
nahme finden; dieses empfiehlt sieb nicht nur im Interesse der Kranken, 
sondern auch in demjenigen der Aerzte, deren Ausbildung sonst zu einseitig 
wird. Epileptische Idioten gehören ebenfalls in die Epileptikeranstalten, 
die besondere Massnahmen zu treffen haben, um die Eiranken vor Vn- 
glocksfällen und Verletzungen zu bewahren. Unter der Voraussetzung einer 
sachgemässen psychiatrischen Leitung und entsprechender baulicher Einrich¬ 
tungen sind auch Privatanstalten fttr Epileptiker als geeignet vorzusehen. Die 
Krankenpflegerfrage wird gerade bei diesen Kranken viele Schwierigkeiten 
machen. Dr. Pollitz-Mttnster. 


Das belgische Irrenwesen, speziell die Familienpflege. Mitteilungen 
vom internationalen Kongress für Irrenfflrsorge zu Antwerpen. Von Direktor 
Dr. Gock-Landsberg a. W. Allgemeine Zeitsckrift für Psychiatrie; 1903, 
60. Bd., 4. H., S. 646 und ff. 

Der Vortragende benutzte die Gelegenheit seiner Teilnahme an dem 
oben genannten Kongress, sich eirgebender mit der viel gerühmten Familien¬ 
pflege in Belgien zu beschäftigen. Das Ergebnis ist ein wenig günstiges und 
es wäre sehr wünschenswert, wenn dieBo ruhigen nnd objektiv kritischen Aus¬ 
führungen des Verfassers besonders von den nicht ärztlichen Kreisen gelesen 
würden, die an der Irrenfürsorge beteiligt sind. Wir Bind in den letzten 
Jahren so oft auf die Familienpflege in Gheel als Muster nnd Vorbild hinge¬ 
wiesen worden, dass es an der Zeit ist, auch andere nicht einseitig begeisterte 
Stimmen zu hören. Der Verfasser zeigt, dass das belgische Irrenwesen noch 
überaus mangelhaft organisiert und dass die Fatrilienpflege in erster Linie ein 
„Notbehelf“ für das Fehlen geeigneter Anstalten ist, deren Belgien nur drei 
insgesamt besitzt. Bei der weiteren Ausgestaltung des belgischen Irrenwesens 
spielten aber mancherlei politisch-religiöse Fragen eine viel wichtigere Rolle, 
als solche der freien Behandlung. Der Verfasser hat recht viel Bedenkliches 
goeehen, mangelnde ärztliche Pflege und klinische Beobachtung — für 1900 
Kranke sind nur oin Direktor nnd 4 Assistenten angestellt —, geringe Rein¬ 
lichkeit und schlechte Versorgung unreinlicher Kranker. Ebenso Hessen die 
hygienischen Massnahmen recht viel zu wünschen übrig, besonders solche zur 
Bekämpfung der Tuberkulose. Nicht viel besser scheint eB mit den Irrenan¬ 
stalten und Kliniken zu stehen, die meist nach sehr veralteten Prinzipien ge- 



Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


877 


baat and geleitet werden. In der Krankenpflege spielen Zwangsmassregeln, 
wie Zellenbehandlung and Zwangshandschuho eine hervorragende Rolle. 

Bemerkenswert ist schliesslich noch die Mitteilung des Verfassers, dass 
die Kranken in der Familienpflege, nach einigen von ihm veranstalteten Proben, 
mit ihrer „freien Internierung“ genau so unzufrieden waren, wie Anstalts¬ 
kranke entsprechender Krankheitsformen. Dass die Familienpflege unter Um¬ 
ständen eine billigere Verpflegungsform darstellt, ist zuzugeben; eine Aus¬ 
dehnung dieser Art Irrenfflrsorge in dem breiten Masse, wie sie in Belgien 
besteht, erscheint jedoch in keiner Weise wünschenswert. 

Dr. P o 11 i t z - Münster. 


Zar Revision des Deutschen Strafgesetzbuchs. Von Direktor 
Dr. Q er lach in Königslutter. Allgem. Zeitsch. für Psychiatrie; 65. Bd., 5. H. 

Zu den Forderungen, die die besonders von v. Liszt vertretene neuere 
Strafrechtslehre aufstellt, gehört neben der Aunahme einer verminderten Zu¬ 
rechnungsfähigkeit auch die gesetzliche Bestimmung, dass der Richter die 
Ueberweisung eines gemeingefährlichen Geisteskranken in eine Irrenanstalt in 
dem freispreebenden Urteil oder im Binstellungsbeschlass verfugen kann. Ver¬ 
fasser zeigt nun an einer Reihe drastischer Beispiele, wie bei den jetzigen 
gesetzlichen Verhältnissen die Ueberweisung derartiger Kranken seitens der 
Verwaltungsbehörden, die von der Staatsanwaltschaft in Kenntnis gesetzt 
werden, gehaudhabt wird und wie viel Schwierigkeiten und Unsicherheit be¬ 
stehen. Aber auch bei einer Reform des Strafgesetzes im Sinne Liszts würde 
nach Ansicht des Verfassers die Entscheidung über die Gemeingefährlichkeit, 
die dem Richter zugewiesen wird, mancherlei Schwierigkeiten machen. Ganz 
besondere Bedenken erweckt dabei der Umstand, dass die öffentlichen Heilan¬ 
stalten damit wieder zu Gefängnis- oder Internierungsanstalten degradiert nnd 
bei der Bevölkerung kompromittiert würden. In dieser Hinsicht dürfte jedoch 
m. B. ein Aasweg za Anden sein, durch Ueberweisung solcher Kranken an die 
Gefängnisirrenabteilangen. Jedenfalls würde eine solche Refoim, wie ich 
glaube, dem Rechtsbewnsstsein des Volkes wohl entsprechen. 

Dr. Pollitz-Münster. 


B. Sachverständigentätigkeit in Unfall- and Invaliditäts- 

saohen. 

Unfallheilkunde nnd Neuropathologie in ihren Wechselbe¬ 
ziehungen. Antritts Verlesung von Dr. Paul Schuster, Privatdozent für 
Neuropathologie an der Universität Berlin. Berliner klinische Wochenschrift; 
1903, Nr. 28. 

Darch die Unfallgesetzgebung ist wie anf sozialem Gebiete, so auch auf 
dem Gebiete der ärztlichen Tätigkeit eine Umwälzung erfolgt. Bs entstand 
eine neue ärztliche Speziallehre, die Unfallheilkunde mit besonderer Inanspruch¬ 
nahme der Nervenheilkunde. Die Beziehungen der Nervenheilkunde zur Un¬ 
fallheilkunde sind Wechselbeziehungen geworden derart, dass jetzt beide Dis¬ 
ziplinen durch gegenseitiges Geben und Empfangen Bereicherung ans der 

J emeinsamen Tätigkeit erfahren haben. Die Vorteile, die die Unfallheilkunde 
arch die Neurologie empfängt, sind offenkundige, insbesondere bei der Gruppe 
der traumatischen funktionellen Krankheitszustände. Fast in jedem Fall einer 
Unfallkrankheit steckt ein Stückchen „Neurose“. Aber auch die Neurologie 
hat durah die Unfallheilkunde eine Bereicherung und Vertiefung ihrer Symp¬ 
tomatologie und Pathologie erfahren. Bs seien hier erwähnt die gründlicher 
ausgebildete Untersuchung der Sensibilität, di8 Gesichtsfeldbestimmnng, die 
Zitterzustände, die Gewohnheitslähmungen, die Kontraktuien gewisser Rücken- 
muskoln, die pseudospatistisebe Parese mit Tumor, gewisse Formen der Wirbel¬ 
säulenverkrümmung usw. Am meisten Vorteil für sich hat die Nenrologie aus 
der Bearbeitung der funktionellen Unfallkrankheiten gezogen. Beträchtlich hat 
die Kenntnis von dem Weseu der Hysterie angenommen. Büdlich ist der medi¬ 
zinisch - pädagogische Wert der Unfallheilkunde hervorzuheben, der mit der 
Abfassung der Unfallgatachten verbunden ist and in klarem diagnostischen 
nnd prognostischen Denken heranbildet. 


Dr. Räuber-Düsseldorf. 



878 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


Epilepsie and Hysterie vom Standpunkt der Invalidenversiche¬ 
rung. Von Dr. W. S t e in p e 1 - Breslan. Aerztliche Sachverständigen - Zeitung; 
1903, Nr. 17. 

Der Arzt darf Epilepsie nur diagnostizieren, wenn er sich persönlich von 
einem typischen Anfall überzeugt bat; im anderen Falle ist die Diagnose in 
saspenso za lassen and am besten Aufnahme in ein Krankenhaus za beantragen. 
Verfasser erörtert dann ausführlich die klinischen Unterschiede des epileptischen 
and hysterischen Anfalles. Dieselben haben sofort in der folgenden Nummer 
derselben Zeitschrift von Dr. Raecke in Frankfurt a. M. Widerspruch er¬ 
fahren. Wenn Stempel absolate Lichtstarre der Papillen während eines epi¬ 
leptischen Anfalles stets beobachtet hat, im Gegensätze zum hysterischen Anfall, 
bei welchem sie stets anf Lichteinfall reagieren sollen, so widerspricht Raecke 
diesen Angaben und sagt, dass beim epileptischen Anfalle das Verhalten der 
Papillen variiere, and dass im hysterischen Anfalle Lichtstarre vorhanden sein 
könne and zwar während des tonischen Stadiums infolge eines peripheren 
Iriskrampfes. Aach gegen weitere Angaben Stempels erhebt Raecke Wider¬ 
sprach, doch würden die Anführungen derselben den Rahmen eines Referates 
überschreiten. 

Epileptisch and hysterisch Kranke, welche täglich oder mindestens alle 
3—4 Tage einen Krampfanfall haben, sind nach dem Verfasser arbeitsunfähig 
und zwar erstere dauernd im Sinne des Gesetzes, letztere dagegen nicht 
dauernd, da es meist jagendliche, im übrigen vollkommen rüstige and gesunde 
Personen sind, bei denen eine Besserung bezw. Heilung za erwarten ist. Diese 
sind daher in Genesungsheime der Versicherungsanstalten aufsunehmen. Be¬ 
findet sich der Patient im Klimakterium, so ist nnr von Zeit za Zeit eine Nach¬ 
untersuchung erforderlich, ein Heilverfahren dagegen nicht einzuleiten. 

Bei Epileptikern, welche nur selten Anfälle und von geringer Intensität 
haben, ist zunächst eine längere Beobachtung im Krankenhause erforderlich 
and zwar müssen hier die Kranken nach ihrer Befähigung and ihrem Stande 
beschäftigt werden. Zeigt sich hierbei, dass der Kranke nach einem Anfall 
noch mehrere Tage leidend and matt ist, so ist anch in solchen Fällen danerndc 
Arbeitsunfähigkeit anznnehmen; fühlt dagegen der Krsnke am Tage nach dem 
Anfall sich wieder wohl, so liegt Invalidität im Sinne des Gesetzes nicht vor. 
Ein Heilverfahren bei diesen Kranken ist in Schlesien anscheinend mit leid¬ 
lichem Erfolge in der WeiBe durcbgeführt worden, dass den Kranken von der 
Versicherungsanstalt Bromsalze uater ärztlicher Kontrolle verabreicht werden. 

Bei loichten und mittelschweren Hysterieformen und sonst arbeitsfähigem 
Körporzustand besteht keine Invalidität im Sinne des Gesetzes und ist eino 
andauernde Beschäftigung in passender Form das geeignetste Heilmittel. Darch 
Aufnahme in ein Genesungsheim kann zuweilen das Auftreten schwerer hyste¬ 
rischer Erscheinungen verhütet werden. Dr. Troeger-Neidenborg. 


Zar Kenntnis der nach Trauma entstandenen AortenfnsnfAsiens. 
Vou Dr. Strappler in München. Münchener medizinische Wochenschrift; 
1903, Nr. 28. 

Dass eine den Körper treffende and speziell aaf den Brustkorb ein¬ 
wirkende Gewalt am intakten Endokard Einrisse hervorrafen könne, erscheint 
nunmehr hinlänglich erwies, n. 

Solche eindeutige, ganz reine Fälle von darch Trauma entstandenen 
Herzfehlern, in welchen an sicher vorher intakten Klappen Einrisse hervor- 
gerafen wurden, Bind allerdings nicht häufig. Wohl für die grössere Zahl der 
Fälle trifft es za, dass daroh s^hon bestehende chronische Endooarditis oder bei 
universeller oder auf die Aortenklappen lokalisierter Atheromatose die Klappen 
zam Einriss durch das Trauma prädisponiert waren. 

Nicht za vergessen ist die alte klinische Erfahrung, dass anch darch die 
traamatmch hervorgerafene Insuffizienz einer primär gesunden Klappe, sekun¬ 
däre Arteriosklerose and sogar regaläre Stenose der Semilnnarklappen ent¬ 
stehen kann. 

Verfasser berichtet non Uber einen von ihm nntersnohten and begut¬ 
achteten Fall, welcher einen 47jährigen Kätscher betraf, der darch Anprall 
eines Trambahnwagens an dem Coupö, worauf er als Kätscher sasa, nasser 
einem Vorderarmbrach eine sehr heftige Prellang der Brost and des Rüokena 



Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


879 


erlitt, so dass er vom Bocksitse rücklings gegen das feste Wagendach ge* 
schlendert wurde. 

Nach Mitteilung der Krankheitsgeschichte and des Statas praesens gibt 
Verfasser folgende Zusammenfassung: Patient leidet also nach dem Ergebnis 
der Organautersucbung an Insuffizienz der Aorta. Im Zusammenhänge damit 
stebeu die zeitweise, aber chronisch auftretenden stenokardUchen and kardial- 
gischen Beschwerden. Differentialdiagnostisch ist zu bemerken, dass akute 
Eadocarditis post trauma and deren Resilaen ausgeschlossen werden können 
(Fieber etc.), dass ferner kongenitale gefensterte Aortenklappen nicht in Be* 
tracht kommen können (beim Militär and sonst be3ohwerdefrei^; weiter sei 
darauf hingewiesen, dass fttr chronische darch Infektionskrankheiten bedingte 
Eadoiarditis kein ätiologisches Moment vorhanden ist; auch waren keine dies¬ 
bezüglichen Beschwerden vor dem Unfälle vorhanden gewesen. 

Dass es sich am eine primäre prämature, am Endokard lokalisierte Athe- 
romatose handelt, erscheint weniger wahrscheinlich, in erster Linie wegen der 
gegebenen Blutdrackverhftltnisse, ferner wegen des Mangels an hereditärer 
Belastung. 

Es mass also mit Notwendigkeit gefolgert werden, dass Patient an einer 
sog. traumatisohen Erkrankung der Aortaklappen: Aorteninsuffizienz mit ihren 
Konsequenzen (mässiger Hypertrophie des linken Ventrikels) leidet. Denn 
zwischen dem im Febraar 1902 erlittenen Unfall and der daran sich an¬ 
schliessenden Veränderung am Herzen besteht ein anzweifelhafter kausaler 
Zusammenhang. 

Znm Schlüsse bemerkt Verfasser noch, dass die Lautheit eines Klappen- 
geräasches absolut nichts Charakteristisches fttr traumatischen Klappenfehler 
darbietet. Verfasser meint sogar, dass es zweifellos Fälle von traumatischer 
Aorteninsuffizienz gibt, bei denen nur sehr schwer und nur ein unbedeutendes 
Geräusch oder bei einmaliger Aaskoltation vorübergehend überhaupt kein 
diastolisches Aortengeräasch gehört wird. Dr. aibei-Kempten. 


Ueber die Bedeutung der Aphakie nach Altersstar fttr die Er¬ 
werbsfähigkeit. Von Dr. F. Kauf f mann-Ulm. Aorztliche Sachverständigen* 
Zeitung; 1903, Nr. 18. 

Verfasser stellt folgende Sätze auf: 

1. Der Operierte verfttgt nicht Aber ein unbehindertes, deutliches Sehen, 
wie es fttr die werktätige Lohnarbeit erforderlich ist. 

2. Er kann die Entfernungen und die Lago der Gegenstände nicht sicher 
und Bohnell erkennen; es fehlt ihm daher die nötige Umsicht, er ist unsicher 
und für viele Arbeiten — auch bei guter Sehschärfe — unbrauchbar. 

8. Der Operierte muss zu jeder Arbeit eine Brille tragen, was beschwer¬ 
lich und für manche Arbeiten hinderlioh ist; der Brillenträger erscheint 
oft minderwertig und weniger konkurrenzfähig. 

4. Der Operierte muss fortgesetzte Vorsicht walten lassen, was die Arbeit 
verlangsamt und verteuert und ihn weniger tüchtig macht 

5. Das Erlernen früher nicht geübter Arbeiten ist ihm erschwert, um 
so mehr als das binokulare Sehen oft fehlt und die Anpassungs- und Lern¬ 
fähigkeit durch das Alter verringert zu sein pflegt. — In bekannten altge¬ 
wohnten Verhältnissen und Berufszweigen und bei gleichmässig sich abwickeln¬ 
den Beschäftigungen wird der Operierte noch am meisten leisten können. 

Dr. Troeger-Neidenburg. 


Ursächlicher Zusammenhang zwischen Betriebsunfall and Tod 
ist als vorliegend zu erachten. Schwefelwasserstoffgasvergiftung. 
Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versicherungsamtes vom 
1. Juli 1908. 

Die Tatsache, dass der verstorbene Steiger R. am 2. und 8. Januar 1901 
in der Grube Mont-Cenis Schwefelwasserstoffgase eingeatmet hat, ist schon 
vom Schiedsgericht anerkannt; auch das R. V. A. hat an dieser Tatsache keinen 
Zweifel. Hierin kann, da es sich um ein zeitlich bestimmtes, in einen verhält¬ 
nismässig kurzen Zeitraum eingeschlossenes Ereignis handelt, ein Betriebsunfall 
im Sinne des Unfallversioherungsgesetzes gesehen werden. Audi den ursäeh- 



880 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitsohrilten. 


liehen Zusammenhang zwischen Unfall and Tod hat das R. V. A. für er¬ 
wiesen erachtet. Ueber die Natur des Leidens, an dem R. am 8. Januar 1901 
erkrankt nnd am 6. Januar 1901 gestorben ist, gehen die Gutachten der Sach¬ 
verständigen allerdings auseinander. Während Dr. B. das Leiden zuerst als 
Folge einer Gasvergiftung ansah, hat er nach der Obduktion der Leiche in 
Uebereinstimmung mit dem Medizinalrat Dr. T. die Ursache des Leidens in 
einer Herz- und Nierenerkrankung gesehen, an der R. schon vorher gelitten 
habe, und dieser Auffassung bat sich auch Prof. Dr. L. mit den Aerzten des 
Krankenhauses Bergmannsheil angeschlossen. Prof. Dr. F. hat dagegen in 
seinem Gutachten vom 13. Mai 1903 das erste Urteil des Dr. B. für besser be¬ 
gründet erklärt; er ist der Ansicht, dass die Krankheitserscheinungen, die B. 
gezeigt hat, nicht als Folge einer durch die Nierenkrankheit verursaohten 
Harnvergiftung (Urämie), sondern als Folge der Schwefelwasserstoffgasver¬ 
giftung gedeutet werden müssen, und dass daB Herz- und Nierenleiden nurin- 
sofern zu dem tödlichen Ausgang mitgewirkt haben könne, als die Wider¬ 
standskraft des Körpers dadurch geschwächt gewesen sei. Das R. V. A. hat 
sich, obwohl es die Bedenken in der Sache nicht verkennt, dem Urteile des 
Prof. Dr. F. angeschlossen, da er durch seine klinischen Erfahrungen auf dem 
Gebiete der inneren Medizin zur Beurteilung solcher Fälle besonders berufen ist. 
Die Ausführungen seines Gutachtens sind für das R. V. A. um so mehr über¬ 
zeugend gewesen, als sich bei R. vor dem 2/3. Januar 1901 keine Zeichen eines 
schweren inneren Leidens gezeigt hatten. Er hat nach der Lohnnachweisung 
ständig gearbeitet, ist nach der Auskunft der Krankenkasse seit dem 1. Januar 
1895 niemals krank gewesen und hat sich nach der Bescheinigung des Berg¬ 
assessors T., unter dem er bis zum Sommer 1900 stand, als ein ungewöhnlich 
tüchtiger und tätiger Mann erwiesen. Die Einsilbigkeit und die tiefliegenden 
Augen, die dem Inspektor St. in der letzten Zeit der Beschäftigung an R. 
aufgefallen sind, können nicht als Zeichen eines Fortschritts der Nierenkrank¬ 
heit gedeutet werden, da sie nach der Bescheinigung des Bergassessors T. stets 
vorhanden waren. Unter diesen Umständen hat der plötzliche Zusammenbruch 
R.s etwas sehr Auffallendes und ist, wie Prof. Dr. F. erklärt, mit den Er¬ 
fahrungen über den gewöhnlichen Verlauf solcher chronischen Nierenleiden 
(Nierenschrumpfung, Brightsche Krankheit) nicht vereinbar. Anderseits sind 
freilich au Jh nicht alle Krankheitserscheinungen festgestellt, die mit Sicherheit 
auf eine Gasvergiftung schliessen lassen würden, insbesondere ist nicht erwiesen, 
dass R. sich erbrochen hat oder überhaupt starken Brechreiz gehabt hat. In¬ 
dessen kann hierauf kein entscheidendes Gewicht gelegt werden, um so weniger 
als die ärztliche Kenntnis über die Krankheitserscheinungen der seltenen 
SchwefelwasseratoffgasVergiftung noch keine unbedingt sichere ist. Das Ge¬ 
samtbild des Falls spricht für die Ansicht, dass die Einatmung der Gase, 
wenn auoh nicht die einzige, so doch eine wesentlich mitwirkende Ursache des 
Leidens und Todes geworden ist. Kompass; Nr. 20. 


Grad der Erwerbsverminderung bei glattem Verlust des linken 
Mittelfingers. Rekurs-Entscheidung des Reiohs-Versicherungs- 
amtes vom 8. Juli 1908. 

Es bleibt demnach nur der glatte Verlust des linken Mittelfingers als 
Unfallfolge zu entschädigen. Erwägt man ferner, dass seit dem Unfall vom 
14. September 1901 bereits längere Zeit verflossen ist, die dem Kläger reich¬ 
lich Gelegenheit zur Anpassung und Gewöhnung an den veränderten Zustand 
seiner verletzten Hand gegeben hat, so erscheint, auch wenn man die Be¬ 
schwerden des Klägers, wenigstens zum Teil, für begründet ansehen will, die 
auch sonst für dergleichen Verletzungen gewährte Rente von 10 Prozent ange¬ 
messen und ausreichend. Wenn der Kläger zur Zeit noch einen diesen Pro¬ 
zentsatz übersteigenden Lobnausfall haben sollte, so ist dieser auf andere Um¬ 
stände als auf die Unfallfolgen zurücksuführen. Kompass; Nr. 20. 


Eine Veränderung der Verhältnisse im Sinne des §. 47, Abs. 1 des 
Invalidenversicherungsgesetnes kann nur im Falle einer Aendernng 
des geistigen oder körperlichen Zustandes des Rentenempfängers an¬ 
genommen werden. Unter Umständen liegt eine solehe Aendernng in 



Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


881 


der Gewöhnung an einen krankhaften Zustand oder in dem Erwerbe 
neuer Fertigkeiten. Rekurs-Entscheidung des Reichs-Versiche- 
rungB&mts vom 18. Januar 1908. Amtliche Nachrichten des Reich s- 
Versicheruugsamts; 1903, Nr. 10. 

Das letztere Gesets geht nun aber bei der Bestimmung der Grenze der 
ErwerbBfähigkeit im zweiten Satze des Abs. 4 im § 6 auf die einzelnen in der 
Person des Versicherten in Frage kommenden Umstände näher ein, als das 
frühere Gesetz in seiner entsprechenden Bestimmung; es erwähnt nämlich die 
Kräfte und Fähigkeiten des Rentensuchers, seine Ausbildung und seinen bis¬ 
herigen Beruf; diese Umstände werden deshalb auch bei der Prüfung, ob ein 
Rentenempfänger infolge einer Veränderung der Verhältnisse seine Erwerbs¬ 
fähigkeit wieder erlangt bat, in Betracht gezogen werden müssen. Somit wird 
es von Bedeutung sein, ob er es gelernt hat, von seinen Gliedern einen anderen 
Gebrauch zu machen, oder ob ihm das Fehlen eines Gliedes weniger empfind¬ 
lich geworden ist; in dieser Richtung wird unter Umständen der Erwerb einer 
neuen Fertigkeit l ) einen Schluss gestatten. Immer wird aber eine Veränderung 
der geistigen oder körperlichen Verhältnisse gefordert werden müssen; äussere 
Umstände, welche die Möglichkeit der Verwertung der Arbeitskraft bedingen, 
können dagegen die Anwendung des § 47, Abs. 1 nicht rechtfertigen. Nach 
der Natur der Sache wird, wenn aus der Gewöhnung an den krankhaften Zu¬ 
stand oder aus dem Erwerb einer neuen Fertigkeit eine Veränderung der Ver¬ 
hältnisse gefolgert werden soll, eine gewisse Dauer der zum Beweise derselben 
herangezogenen Umstände vorausgesetzt werden müssen, damit nicht eine viel¬ 
leicht nur vorübergehende günstige Arbeitsgelegenheit, deren Benutzung durch 
den Rentenempfänger durchaus in der Absicht des Gesetzgebers liegt, jenem 
schädlich wird. Ueberhaupt könnte eine zu scharfe Anwendung des Gesetzes 
in der fraglichen Richtung die Versicherten davon abhalten, auf die Verwertung 
und Verbesserung der ihnen verbliebenen Arbeitskraft bedacht zu sein, was in 
sozialer Rücksicht nur zu beklagen wäre. 

Hiernach hat aber das Schiedsgericht die Anwendbarkeit des § 47, Abs. 1 
nicht in allen, vom Gesetze sugelassenen Beziehungen geprüft; die angefochtene 
Entscheidung unterlag deshalb der Aufhebung. 


Die Pflicht zur Gewährung der zur Sicherung des Erfolges des 
Heilverfahrens und zur Erleichterung der Folgen der Verletzung er¬ 
forderlichen Hilfsmittel schliesst auch die Pflicht zu deren Instandhal¬ 
tung und Erneuerung in sich. Bescheid des Reiohs-Versicherungs¬ 
amts vom 14. Mai 1908. 

Wie die Verhandlungen in dem Kommissionsberichte zu §. 8 a des Re¬ 
gierungsentwurfs, jetzt §.9 des Gewerbe-Unfallrersicherungsgesetses ergeben, 
ging man davon aus, dass die Pflicht zar Gewährung der zur Sicherung des 
Erfolges des Heilverfahrens und zur Erleichterung der Folgen der Verletzung 
erforderlichen Hilfsmittel (Krücken, Stützapparate und dergleichen) auch die 
Pflicht zur Instandhaltung und Erneuerung in sich schliesse, vorausgesetzt, 
dass nicht eine schuldhafte (mutwillige oder fahrlässige) Zerstörung oder Be¬ 
schädigung vorliege. 

Ferner ist auch hier die Frage erörtert worden, ob die Berufsgenossen¬ 
schaften der Liefernngs- oder Erneuerungspflicht in der Weise nachkommen 
könnten, dass sie eine entsprechend höhere Rente bewilligten. Diese Frage 
ist verneint. 


C. Bakteriologie, Infektionskrankheiten und öffentliches 

Sanitätsweseu: 

Ueber eine von einem atypischen Collbacillus veranlasst« typhus¬ 
ähnliche Hausepidemie hydrischen Ursprunges. Von a. o. Professor 
V. 8ion, Direktor des Laboratiums, und Professor W. Negel, Primärarzt. 


*) Im vorliegenden Falle hatte der wegen Verlust des linken Vorder¬ 
armes als Invalide anerkannte Rentenempfänger den Beruf eines Trichinen- 
sohauers ergriffen. 



882 


Kleinere Mitteilungen und Referate aus Zeitschriften. 


Ans dem hygienischen Laboratorinm an der Universität zu Jassy. Zentralbl. f. 
Bakt., Parasitenkunde u. Infektionskrankheiten; XXXII. Bd., Nr. 7, 

Sion und Negel fanden während einer in Jassy und Umgegend mit 
ganz besonderer Heftigkeit grassierenden Typhusepidemie im Blute eines 
Patienten, und nach dom Tode desselben auch in den verschiedensten Organen 
der Leiche einen Bacillus, welcher iu seinen kulturellen und biologischen Eigen¬ 
schaften in der Mitte zwischen dem Bac. typhi Eberth und dem Bact. coli 
steht. Denselben Bacillus fanden sie auch in dem Blute von 4 anderen Patienten, 
welche mit dem ersteren zusammen gewohnt hatten, und wie jener unter 
dem Bilde eines Abdominaltyphus erkrankt waren, sowie in dem Schmutze, 
welcher an den Wänden eines höchst primitiven Schachtbrunnen klebte, der in 
unmittelbarer Nähe der Viehställe auf dem Hofe des betreffenden Grundstückes 
sich befand, auf welchem die Erkrankungen vorgekommen waren. 

Der neue Parasit ist ein Kurzstäbchen von der Grösse und Gestalt des 
Typhusbacillus, er ist gut beweglich und trägt an beiden Enden Geissein. 
Gelatine verflüssigt er nicht; er wächst auf ihr gewöhnlich etwas langsamer 
als der Typhusbacillus, bildet aber auf ihr blattartige Kolonien, die sich nur 
schwer von Typhuskolonien unterscheiden lassen. Traubenzucker wird durch 
den Bacillus schwach vergohren, sodass sich längs des Impfstiches nach 
24ständigem Wachsthum in Agar-Stichkulturen nur 2 — 3 hirsekorngrosse 
Bläschen finden. Milchzucker zersetzt er nicht, dagegen ein wenig Mannit. 
Er bildet kein Indol. Milch koaguliert er nicht, dagegen wird mit ihm geimpfte 
Milch nach mehreren Tagen gleichmässig sahneartig eingedickt; ihre Reaktion 
ist dabei alkalisch. In Piorkowskischer Harngelatine wuchs der Bacillus 
wie der Typhnsbacillus. Oberflächliche Kolonien breiteten Bich hier in ganz 
feiner Schicht häutchenartig, kleine stumpfe Fortsätze seitlich aussendend ans; 
diese Häutchen erschienen bei schwacher mikroskopischer Vergrösserung fein 
parallel gestrichelt. Auf Kartoffelscheiben bildet er einen feinen trockenen, 
pergamentartigen Ueberzug von gelbbrauner bis grauer Färbung. Petruschky- 
sche Lakmusmolke wird alkalisch. Rotberger scher Neutralrotagar wird 
mehr oder weniger aufgehellt und fluoreszent, während nach Ramond mit 
saurem Fuchsin versetzter Agar eine leicht rosa Tönung in der Umgebung 
einer Kolonie des Epidemiebacillus annimmt. Das Sernm der Kranken 
agglutinierte sowohl alle 6 Stämme, wie auch je einen Typhus- und Coli- 
Stamm, die zum Vergleich dienten, noch in der Verdünnung 1 : 60. Ver¬ 
fasser ziehen hieraus mit Recht den Schluss, dass es nicht gerechtfertigt ist, 
ans dem Umstande, dass das Blut eines Patienten einen TyphuBStamm bis zur 
Verdünnung 1:60 agglutiniert, den Schluss zu ziehen, dass der Patient an 
Typhus leidet. ImmunBera, welche die Verfasser durch Impfung von Kaninchen 
mit ihrem Epidemiebacillus herstellten, agglutinierten jeden dieser Stämme in 
ganz gleichmässiger Weise bis zur Verdünnung 1 :4000, den Typhusstamm 
jedoch nur bis 1:600 deutlich und den Coli-Stamm bis 1: 1000 schwach. Um¬ 
gekehrt beeinflusste ein in gleicher Weise hergestelltes Typhusimmunserum von 
gleichem Titer die Epidemiebazillen nur biB zur Verdünnung 1:100 deutlich, 
ein analoges Coli-Immnnseram dieselben Bakterien bis zur Verdünnung 1:1000 
sohwach. 

Mit dem Schottmülle rechen Paratyphus - Bacillus ist dieses neue 
Bacterium nicht identisch. Dr. Lentz-Berlin. 


Zur Epidemiologie des Typhus abdominalis. Von Prof. Dr. Tavel, 
Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten in Bern. (Mit 1 Figur). 
Ibidem, XXXIII. Bd., H. 8. 

Im Städtchen Olten in der Schweiz herrschte im Herbst 1900 eine Typhus¬ 
epidemie; dieselbe war duroh eine Verunreinigung der Wasserleitung mit 
den Dejektionen Typhuskranker verursacht worden. Während die Epidemie 
im Orte bald erlosch, erkrankten in einem einzigen Hause noch bis in den 
April 1901 hinein nach und nach mehrere Bewohner. Bei allen diesen Er¬ 
krankten konnte der Genuss unabgekochten Leitungswassers nachgewiesen 
werden, während die wenigen Hausbewohner, welche gesund blieben, systematisch 
nur abgekochtes Wassers tranken. Da das Haus neu und nach modernen 
hygienischen Grundsätzen erbaut war, im übrigen bei der Pflege der Kranken 
peinlichste Sorgfalt herrschte, so konnte nur die Wasserleitung Schuld an 



Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeischriften. 


888 


diesen sporadischen Fällen tragen. In der Tat konnte nach hier die Uraaehe 
für die Erkrankungen in diesem Hanse einwandsfrei nacbgewiesen werden. 

Der Hanptstrang der Wasserleitung Ton Olten endigt nftmiieh in einiger 
Entfernung von dem betreffenden Hause blind. 50 om vom Ende der Leitung 
entfernt zweigt sich die 40 mm weite Nebenleitung nach dem Hause, in dem 
die letzten Typhusfälle vorkamen, ab. Die Untersuchung des in dem blinden 
Endstück der Hauptleitung stagnierenden Wassers, welche von Tavel am 
30. April vorgenommen wurde, ergab nun einwandsfrei die Anwesenheit von 
Typhuskeimen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass aus diesem Endstück 
der Wasserleitung der Infektionstoff immer von neuem in die Nebenleitung 
hineingespült wurde und so die Typbusfälle in dem betreffenden Hause vor* 
ursachte. Anderseits ist dieses Vorkommnis aber ein Beweis dafür, wie lange 
sich Typhusbazillen im Wasser lebeus- und infektionsfähig erhalten können. 

Dr. Lenti-Berlin. 


Ueber die Lebensdauer von Typhusbazillen, die im Stuhle ent¬ 
leert wurden. Von Prof. E. Levy und Dr. Heinrich Kayser. Aus dem 
hygienischen Institate der Universität Strassburg; Ibidem, XXXIII. Bd., H. 7. 

Levy und Kayser konnten an einem Falle nach weisen, dass der 
Typhusbacillus sich unter natürlichen Verhältnissen recht lange lebensfähig 
erhalten kann. Ein Herr war anfangs September 1901 an Typhus erkrankt. 
Bis zum 13. September gelangten seine Fäkalien undesinfiziert in die Abort¬ 
grabe; erst dann wurde ein Arzt su Bäte gezogen, der die Desinfektion der 
Dejektionen des Patienten veranlasste. Jene Abortgrube wurde 5 Monate 
später, am 5. Februar 1902 zum Düngen eines Gartens benutzt. Weitere 
15 Tage später entnahmen Levy und Kayser eine Probe der so gedüngten 
Gartenerde und untersuchten sie auf Typhusbazillen. Das Resultat war ein 
einwandsfrei positives. Die Typhusbazillen waren also während 5 Monaten in 
der Abortgrabe und 15 Tagen in der Gartenerde lebensfähig geblieben. 

Dieses Resultat mahnt zur grössten Vorsicht bei der Verwendung mensch¬ 
licher Fäkalien zur Düngang eines Bodens, in welchem geniessbare Pflanzen 
wachsen sollen, solange der Verdacht besteht, dass den Fäkalien nichtdesin- 
fizierte Dejektionen von Typhuskranken beigemengt sind; denn einerseits können 
durch Knollengewächse (Radieschen, Rüben usw.), anderseits durch die 
Stiele und Blätter der Pflanzen, welche, wie Wurtz und Bourges nach¬ 
gewiesen haben, beim Wachsen der Pflanzen pathogene Keime emportragen 
können, die Typhusbazillen aus dem Boden wieder auf den Menschen über¬ 
tragen werden. _ Dr. Lenti-Berlin. 


Experimentelle Untersuchungen über die Ausscheidung der 
Typhusagglutinine. Versuche an Meerschweinchen. Von C. Stäubli, 
cand. med. (Aus dem hygienischen Institute der Universität Zürich). Ibidem; 
XXXIII. Bd., 5. H. 

Stäubli wies nach, dass die Agglutinine bei mit Typhusbazillen hoch 
immunisierten Tieren weder in den Haren, noch in die Galle, die Tränenflüssig¬ 
keit, den Speichel oder das Fruchtwasser übergehen. Dagegen fand er sie in 
ausserordentlich hoher Konzentration in der Milch der betreffenden Tiere 
derart, dass nicht selten der Agglutinationswert der Milch den des Serums 
desselben Tieres erheblich überstieg. Dieses verschiedene Verhalten der Körper¬ 
sekrete entspricht ihrem verschiedenen Gehalte an Eiweiss. Stäubli zieht 
aus dem Befunde von Agglutininen in der Milch den Schluss, dass mit der 
Milch dem Säugling nicht nur die für den Aufbau seines Körpers notwendigen 
Stoffe, sondern auch die für ihn im Kampfe gegen die Infektionserreger zweck¬ 
mässigen Schutzstoffe zageführt werden, dass daher auch von diesem Gesichts¬ 
punkte aus die natürliche Ernährung des Säuglings mit Muttermilch der 
künstlichen Ernährung, bei welcher durch das Kochen der MUch etwa in ihr 
enthaltene Schutzstoffe zerstört werden, vorzuziehen ist. 

Dr. Lentz-Berlin. 


Ueber die Ankylostomagefahr in Kohlengruben. Von Dr. I b e r e r, 
sen. u. jun., Werksärzten der österr.-nngar. Staatsbahn. 

Die Verfasser sind durch jahrelange fortgesetzte Beobachtungen r 



884 


Kleinere Mitteilungen and Referate ans Zeitschriften. 


Untersuchungen su Schlussfolgerungen über das Wesen der Ankylostomafrage 
gekommen, welohe von denen, die auf Laboratorien nnd Kliniken geboren 
werden, oder sich auf einmalige flüchtige Beobachtung einzelner, aus dem Zu¬ 
sammenhänge mit der Grube gerissene F&Ue beziehen, sehr abweichend sind. 
Diese Folgerungen lassen sich in folgendem zusammenfassen: 

1. Das Vorkommen von Ankylostoma duodenale ist viel mehr verbreitet, 
als man bis jetzt ahnen konnte, ln der Donau • Theiss - Niederung (im alten 
Dazien der Römer) dürfte der Wurm vielleicht unter der Landbevölkerung 
sogar endemisch sein. Leute aus Serbien und Bulgarien, welche nie in Gruben, 
auch „über Tag“ nicht, nie auf Ziegelfeldern gearbeitet hatten, beherbergen 
den Grubenwurm. Viele Rekruten — frühere Bergleute — rücken znr drei¬ 
jährigen Dienstzeit ein, dienen mit ihren Ankylostomen ohne alle Beschwerden 
anstandslos ihre Dienstzeit ab und kehren wohlgenährt und blühenden Aus¬ 
sehens mit Ankylostoma wieder hierher zurück (deutschen Militärzten zur 
Nachprüfung empfohlen!). 

2. Bergleute können auch ohne Ankylostoma blasses, krankhaftes Aus¬ 
sehen zeigen, auoh blutarm sein. 

3. Selbst bei grösserer Anzahl beherbergter Ankylostomen müssen deren 
Besitzer weder stärker blass, sichtbar blutarm, geschweige denn arbeitsunfähig, 
wurmkrank oder an Ankylostomiasis leidend sein. 

4. Bereits sichtbar blutarm gewordene, wurmkranke Bergleute können 
unter Umständen sich erholen, trotzdem an ihren beherbergten Ankylostomen 
nichts geschah. 

5. Selbst nach jahrelangem Bewirten von Ankylostomen sehen einzelne 
blühend gesund aus, sind wohlgenährt, dick und fett. 

6. Von unseren Grubenfahrenden beherbergten seinerzeit 94 Frorent den 
Grubenwurm; krank, blutarm und zeitweilig dienstunfähig waren nur 2&°/ 0 . 
Trotzdem noch so an 50 °/ 0 den Grubenwurm besitzen, sind heute alle unsere 
Ziechen einwandsfrei gesund, von einer Wurmkrankheit ist keine Spur mehr. 

7. Die Ansteckung vermittelt die inzystierte Larve, die Weiter Verbrei¬ 
tung besorgt der eigentliche Grubenverkehr. Fehlen von luftdicbtschliessenden 
eisernen Abortkübeln und Vorhandensein von Spritzwasser dürften nur eine 
untergeordnete Rolle zukommen. 

8. Epidemisches Auftreten der Wurmkrankheit in einer Zeche setzt vor¬ 
aus, dass in derselben noch andere hygienisch schädlich einwirkende Zustände 
vorhanden sind. 

Eine Zeche, auf welcher 1) ausser einer gewissen Wärme (20—80 bezw. 
40° C.) t 2) auch die nötige Feuchtigkeit und 3) ausserdem noch andere hygie¬ 
nische ungesunde Verhältnisse und Zustände dauernd auf die Arbeiter ein¬ 
wirken, durch welche dieselben in ihrer Gesundheit fortwährend geschädigt 
und für die Aufnahme der Ankylostomalarve gleichsam vorbereitet werden 
(Wärme und Feuchtigkeit allein verursacht dies nicht), ist für eine gemein- 
gefährliche Brutstätte ansusehen; es wird diese bald verseucht werden. 

Bezüglich der Schutzmassregeln sahliessen sich die Verfasser der Ten- 
holtschen Anffassnng an, welche hauptsächlich in der Ausseracbtlassung 
der leichteren Fälle („Wurmbehafteten“) und in der Fürsorge der schwer Er¬ 
krankten („Wurmkranken“) gipfelt. Dr. Waibel-Kempten. 


* 

A propoz de Tortdopathia palustre zur un caz de trophonevrose 
ossiflante des extrdmitds ehe« un paludden. VonTroussaint. Archives 
de mddicine experimentale et d’anatomie patbolog. 1903, Nr. 1, S. 30. 

Verfasser berichtet über eine eigenartige, im Gefolge von Malaria auf¬ 
tretende und mit Knochenneubildung an den Diaphysen der Extremitäten- 
knochen einhergehende Erkrankung des peripheren Nervensystems, die er als 
Trophoneurose toxischen Ursprungs auffasst. Der mitgeteilte Fall betrifft 
einen Soldaten, bei dem kurze Zeit nach einer auf Madagaskar akquirierten 
Malaria quotidiana gleichzeitig mit Motilitäts- und Sensibilitätsetörungen das 
Auftreten von symmetrischen schmerzhaften Anschwellungen an den Handpba- 
langen der Finger beider Hände und an den Fersen beobachtet wurde, die etwas 
Aehnlichkeit mit Frostbeulen hatten. Sie erwiesen sich bei Röntgenstrahlen¬ 
beleuchtung bedingt daroh ausgedehnte Knochenneubildung an den Diapbysen 



Kleiner« MitteilojEgeu and Referat« tu Zeitschriften. 885 

der HaudphaUngen der Finger and es der basalen Fläche beider Calcanel. Di« 
Gelenke «raren dabei ganz intakt. Der Patient wurde als vollständig invalid« 
begutachtet. Dr, Ri s e1- Leipvig, 

Eotatebungsnreache der Pustula maligna. Von Dr. Hölscher. 
Archiv für klinische Chirurgie. 69. Baud, 1. u. 2. Heft, 

In 7 Fällen zeigt Hölscher, dass nach bei miizbrandverdfichtiger 
Yyrgsachicflte nicht alle Hauterkrankungen, die anatomisch und klinisch den 
Charakter der MUsbrandpustol habe», Milzbrandinfekticnen sind, sondern dass 
die unter Umständen einer anderen Infektion, wahrscheinlich der mit den so 
ausserordentlich vielseitigen Staphylokokken, ihre Entstehung verdanken. 
H. sieht, nicht eio, weshalb eine durch einen Stapbylococcas verursachte Pustula 
maligna, wenn sie klinisch den Eindruck von Milzbrand macht, eicht dieselben 
Vorsioh tem asaregeln und Verbt)tnngsvorschriIteu nötig machen soll, wie- «ine 
echte MiiaV.randpastel. Er empfiehlt den Namen „Pustula maligna 4 als Sammel¬ 
namen für alle mÜzhrandartigeu Hantaffektionen anzuwenden und ln jedem 
Einzel (alle stj spezialisieren, welcher Art die Paetnla tnalfgUÄ Iht, ob sie eine 
MiUbraufUttfektioo darsteUt, oder oh sie anderen Infektionaerregern ihre Ent¬ 
stehung verdankt. Dr, Hans F 1 eilt*-Halle »|8. 


Beitrag zgr Pathologie des Baiautidium (Parainaeciflni) coli. 
Von W. Kilmenkov Zieglers Beiträge zur pathologischen Anatomie etc.; 
B<L XXXin, H. 1 t». 2, 5t 281, 

Unter SugruBiiolegiU5g einer eigenen, wie gewöhnlich unter den Symp¬ 
tomen. schwerer fiatsritie veriaafeaen Beobachtung fön Baiantldiaiß coli beim 
Huttwbea beriehiet . Verfasser eingehend 11 her die Biologie dieses beim Schwein 
sehr häufigen und für den Wirt auecbäcSiicböB, beim Menschen dagegen »nt 
saltonen, aber gefährlichen Parasiten, das durch die Infektion, die häufig bei 
berafhebej BeDShruflg; mH Schweinen erfolgt, bervurgeruffroe ErankbeUsbild 
{schwere Diarrhoen) und. die dadurch bedingten pathologisch-anatomischen 
Veränderungen. : Letztere bestehen hauptsächlich iu mehr oder weniger aus¬ 
gedehnten entzündlichen, nekrotisierenden und ulzerösen Prozessen im Darm, 
besonders im Ctdon. . 

Mikroskopisch lassen Bich dabei die Bakntidien In allen Schichten der 
Darmiyand n&chweiaen, mitunter auch in Blut- und Lymphgefäßen, so dass es 
auch zu weitere? eaibbllsoher Verschleppung der Parasiten (in Leber and Lange) 
kommen kau», wo sie Abszesse betvorrufen. Dr. Bise 1 -Leipzig. 


The etiology of the summer diarrheas of iufants. A prelimiaary 
report fcy 0. W Öiml, University of Pensylvaula and V, fl. Bassett, 
jofrae Ht’pkia« Öniversity, (From the Laborntory of the Thomas Wilson, 
SauiUrtotn and the Bockefell er Institute of Medical Roseareb.}. Zentralb). 
fflr Bakteriologie, Parasitenkuade o. Iofoktionakrackheiten; XXXüLBd., H, i. 

Bel 42 E'iodern > . welch« an Sommerdiarrhoe litien, Uiillerten die Ver¬ 
fass« reihen Bacillus, Walcheunie iflf idenlisch mit dem Sh igaschen Dysenterie- 
Säcilltw halte«. Sowohl. morphologisch and kulturell, als auch gegenfiber der 
agglutioicreudeu Wirkung einiger Sor» verhielt sich der Baoiiins genau wie 
diejenigen, welche 8big» in Japan< Pi «st fter Und Sitottg auf den 
Philippinen, K-.-fttacin Deutschland and Vedder und Duval io Herdameilks, 
atm »ion Stöhlen vöa auhrkrankcu isoliert haben.. Zur Frtifoug der Aggluü- 
uat'iousreaktiou verwandten die Verfasser t> dag Serum des Kranken, Von 
wolahem der Isolierte Bacillus stammte, 3) Serum vuu anderen Diarrhoekrankeo, 

3} Sern ja von D/icatbriökrankon, 4) künsflicheg ' 

v(3Dio Verfasser fände» .itnusofbe» paoilln« aahh Va . - 

in . einem Falle auch Meseuterialdrüsen '•$$$ 

dlarrhoe geatorbaueu Kin iert». Bes gesun Ich n ■ »• • . 

oder anloren Krankheiten leideuIen KiBderu! v 

mos nicht. . .r.. : - • , *:^IbF 

(Se-sMiuci de* r.»n den Verfassern bebau* ■ ■ : 

der 3immerdianhue mit dem Shiga- Krasesoren • • 

ftefefeui eiutge 'ISwoUei geltend mä hen; I) sviVeji wir sfst*®jr 




886 


Kleinere Mitteilungen and Referate aas Zeitschriften. 


Sommerdiarrhoe anftreten au Zeiten nnd an Orten, an denen nicht ein einseiner 
Fall von echter Dysenterie beobachtet worden ist, nnd 2) identifizieren die 
Verfasser auch die Flexner- nnd Strongschcn Bazillen mit dem Shiga- 
K raseschen, Ton denen neuere Untersuchungen gelehrt haben, dass sie sowohl 
von den letzteren, wie von einander mit Sicherheit su differenzieren sind). 

Dr. Lentz-Berlin. 


Die Säuglingssterblichkeit und die Massregeln öffentlich-hygieni¬ 
scher Art, die zum Zweck ihrer Herabsetzung genommen werden 
können. Von Dr. med. Ad. Würz-Strassburg. Vierteljahrsschrift für Öffent¬ 
liche Gesundheitspflege; Bd. XXXV, H. 2. 

Die Frage nach der Bekämpfung der ungeheuer angestiegenen Kinder¬ 
sterblichkeit steht zur Zeit im Vordergründe des öffentlichen Interesses. Wir 
führen deshalb die Schlüsse, die der Verfasser in seinem Aufsatze sieht, aus¬ 
führlich an; die Begründung der einzelnen Punkte muss im Original nacbge- 
lesen werden. 

1. Unter den verschiedenen Ursachen für die Höhe der Kindersterblich¬ 
keit im ersten Lebensjahre gibt es vor allem zwei, Armut und Bevölkerungs¬ 
zusammensetzung, die aber durch Massnahmen öffentlich-hygienischer Art nicht 
zu beeinflussen sind. 

2. Dagegen ist die öffentliche Hygiene im Stande, diese Mortalität her¬ 
abzusetzen durch die Sorge für gesunde Wohnungen und einwandsfreies Trink¬ 
end Verbrauchswasser. 

3. Eine Verminderung der Zahl der Frühgeburten und der an Lebens¬ 
schwäche zu Grunde gehenden Kinder wird zu erreichen sein durch Ueber- 
wachung der Prostitution, die Bereitstellung öffentlicher Mittel zur unentgelt¬ 
lichen Behandlung Geschlechtskranker und die Gewährung von Krankengeldern 
an diese; endlich durch 

4. gesetzliche Einführung einer obligatorischen Ruhezeit von zwei 
Monaten vor der Entbindung und einen Monat nach der Entbindung für die 
industriell beschäftigten schwangeren Frauen. 

Eine geordnete und sachgemässe Pflege der Säuglinge in gesunden und 
kranken Tagen wird gewährleistet durch Organisation 

5. des Haltekinder wesens, 

6. Errichtung von Krippen und 

7. Säaglingsspitälern. 

Der Schwerpunkt aller Massregeln liegt aber vor allem in der .Rege¬ 
lung der Ernährungsfrage: 

8. Die bisherigen Methoden der Milohbereitung gingen von falschen Vor¬ 
aussetzungen aus, konnten daher keinen der angewandten Mühe entsprechenden 
Erfolg haben. 

9. Die Hauptsache ist eine peinlichst durchgeführte Stallhygiene. Diese 
ist nur durch allgemeine Einführung von Kindermilchregulativen, wenn möglich 
durch einheitliche Regelang der ganzen Sache von Reichswegen durchzusetzen. 

10. Wenn nötig, haben die Stadtverwaltungen selbst die Produktion, 
immer aber den Vertrieb von Kindermilch za übernehmen, um auch den 
Armen eine einwandsfreie Kindermilch zukommen zu lassen. 

Eine gründliche Ausbildung der Aerztc in der Kinderheilkunde wird 
diese befähigen, mehr und mehr den wirklichen kausalen Zusammenhang der 
bei der S&aglingssterblichkeit in Betracht kommenden Faktoren zu ergründen. 
Auf diese Weise wird die Allgemeinheit immer mehr aufgeklärt werden, und 
Staat und Gemeinde werden überall freudige und opferwillige Unterstützung 
finden bei der Durchführung der oben skizzierten hygienischen Massregeln zur 
Herabsetzung der Säuglingssterblichkeit. Dr. Glogowski*Görlitz. 


Die amtsärztliche Beurteilung der Fleischvergiftung (Botulismus!. 
Von Dr. Lochte, Prosektor am Hafenkrankenhanse zu Hamburg. Viertel¬ 
jahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege; Bd. XXXV, H. 2. 

Die Kenntnis von dem Wesen der Wnrst- wie der Fleischvergiftung ist 
für den beamteten Arzt im Hinblick auf das Nahrungsmittelgesetz und den 
§. 367,3 des Strafgesetzbuches von besonderer Wichtigkeit; denn ihm liegt es 



Kleinere Mitteilungen und Referate ans Zeitschriften. 


887 


ob, vorkommenden Falles die Erkrankungen auf ihre wahre Ursache zurückzu¬ 
führen. Der Aufsatz bespricht 

1. die Vergiftungen durch Wurstgift (Botulismus), 

2. die Vergiftungen durch den Genuss faulen Fleisches, 

3. die Vergiftungen durch den Genuss des Fleisches kranker Tiere. 

Nicht berücksichtigt sind die Fälle, in denen das Fleisch durch Milz¬ 
brand, Taberkulose, Botz, Trichinose der Schlachttiere giftige Eigenschaften 
erlangte, ferner die, in denen es sich um medikamentöse Intoxikation oder 
Giftwirkung des Fleisches nach Genuss giftiger Pflanzen dorch die Tiere 
handelte, sowie drittens von denjenigen, in denen durch KonserveBalze, durch 
Blei, Arsen usw. aus den Kochgeschirren und durch anderweitige Mineral- und 
Pflanzengifte die Giftigkeit des Fleisches bedingt wurde. 

Die Hauptergebnisse seines umfangreichen Aufsatzes fasst Autor 
in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Die Giftigkeit von Fleisch- und Wnrstwaren bei anaerober Zersetzung 
derselben beruht auf Anwesenheit eines Toxalbumins, das durch den Bacillus 
botulinus in ihm gebildet wird. 

2. Die Giftigkeit faulen Fleisches (d. h. bei aerober Zersetzung) beruht 
auf der Bildung von Ptomaine, vielleicht auch Albumosen, auf der Bildung toxi¬ 
scher Stoffwechselprodukte der Fäulniserreger und event. infektiöser Wirkung 
der letzteren. Faules Fleisch ist nicht Btets gesundheitsschädlich. 

3. Die Giftigkeit des Fleisches septico- pyämisch kranker Tiere beruht 
auf der Giftigkeit der Stoffweohselprodukte der Bakterien und infektiöser 
Wirkung der letzteren. 

4. Die Giftigkeit des Fleisches verrät sich nicht stets durch abnormes 
Aussehen, besonderen Geruch und Geschmack des Fleisches. 

5. Das typische Bild des Botulismus ist für den Gerichtsarzt leicht zu 
erkennen. Es kann nicht unterschieden werden von gewissen Formen der Fisch¬ 
vergiftung, Austern- und Pilzvergiftung. 

6. Die Krankheitserscheinungen nach Genuss faulen Fleisches zeichnen 
sich häufig durch eine Kombination von Magen - Darmstörungen mit nervösen 
Störungen — meist der Pupille — aus. 

7. Die Vergiftungen durch Fleisch kranker Tiere verlaufen häufig nnter 
cholera- oder typhusähnlichem Bilde. 

8. Der grobe anatomische Obduktionsbefund bei der Wurstvergiftung 
ist ein negativer. 

9. Der Obduktionsbefund bei Vergiftung durch den Genuss faulen 
Fleisches oder durch Fleisch kranker Tiere zeigt eine mehr oder minder schwere 
Gastroenteritis oder ein typhusähnliches Bild. 

10. Das Vorliegen einer Wurstvergiftung wird durch den Befund des 
Bacillus botulismus in der Leiche und in den asservierten Floischteilen erwiesen. 

11. Der Nachweis von Ptomainen in der Leiche kann zum Nachweise 
einer Fleisch- oder Wurstvergiftung nichts nützen. Der Nachweis derselben 
in Fleisch- oder Wnrstwaren hat nur dann Wert, wenn ein Fortschreiten der 
Zersetzung nach der Beschlagnahme verhindert war. 

12. Der Befand des Proteus in der Leiche ist für den Nachweis einer 
Fleischvergiftung ohne Belang. Für Fleisch Vergiftung spricht der gleichseitige 
Befand des Proteus vulgaris in grosser Menge in den Ausleerungen deB Er¬ 
krankten und in den asservierten Fleischwaren; wurden die Ausleerungen nicht 
untersucht, so müsste der Nachweis erbracht werden, dass der in den Fleisch- 
waren enthaltene Proteas Giftwirkang besass. 

13. Die Erreger von Fleiscbvcrgiftnngon sind koliähnliche Stäbchen, die 
in vielen Epidemien stark toxische, der Siedehitze widerstehende StoffwechBel- 
produkte lieferten und sich pathogen für Tiere erwiesen. 

14. Die Scrumdiagnostik gestattet nach Dur harn und N ob eie und 
Fischer den Nachweis der abgelaufenen Fleischvergiftung durch die aggluti¬ 
nierende Eigenschaft des Serums auf die Bazillen der Enteritidisgruppe. 

15. Wurstvergiftungen treten meist als Gruppenerkrankungen, Ver¬ 
giftungen durch faules Fleisch oder Fleisch kranker Tiere als Massen- 
erkrankungen auf. 

16. Einzelerkrankungen schränken den Verdacht einer Fleischvergiftung 
erheblich ein. 



888 


Kleinere Mitteilungen and Beferate ans Zeitschriften. 


17. Hört die Epidemie mit der Beschlagnahme des Fleisches auf, so ist 
dies ein Umstand, der für Fleischvergiftung spricht. 

18. Tiererkrankungen sind bei Massenerkrankongen geeignet, den Ver¬ 
dacht einer gesundheitsschädlichen Beschaffenheit des Fleisches an stützen. 

__ Dr. Glogowski-Görlits. 

Untersochnngen über die sogenannte „rohe Karbolsäure 1 ' mit 
besonderer Berücksichtigung ihrer Verwendung nur Desinfektion von 
Eisen bahn viehtran Sportwagen. Von Dr. Carl Fischer nnd F. Koske, 
Hfllfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt. Arbeiten ans dem Kaiserlichen 
Gesondheitsamte; XIX. Bd., Schlussheft. 

Das Gesamtergebnis der Arbeit lfisst sich in folgender Weise zusammen- 
fassen: Die im Handel befindlichen verschiedenen Handelsmarken von „Bob- 
kresol“ — Cresolum crudum des Arzneibuches — sind von wechselnder che¬ 
mischer Zusammensetzung; die Desinfektionswirkung der einzelnen Bohkresole 
nnd der aus ihnen bereiteten Präparate ist infolgedessen nicht gleicbmässig. 
Zar Ausführung von groben Desinfektionen und als Ersatz der zur Desinfektion 
von Eisenbahn-Viebtransportwagen vorgeschriebenen &°/o Lösung von Acidnm 
carbolicum depur. empfiehlt sich am meisten die 8 °/ 0 wässerige Lösung einer 
ans 1 Volumen Bohkresol und */* Volumen roher Schwefelsäure bereiteten 
Mischung, da dieselbe in den in Betracht kommenden Konzentrationen leicht 
im Wasser löslich ist, ferner eine höhere desinfizierende Wirkung ausübt nnd 
dabei bedeutend niedriger im Preise steht, wie die vergleichsweise geprüften 
Präparate. _ Dr. Bost-Bndolstadt. 


Der Bericht über die Verwaltung der Landes-Versichernngsan- 
stalt Schleswig-Holstein für das Jahr 1900 (X. Jahrg., Kiel 1901, Verlag 
der Nord- Ostsee -Zeitung; Gr. 4', 75 S.) ist dadurch besonders interessant, 
weil ihm eine Uebersicht über das Heilverfahren seit Bestehen des Ge¬ 
setzes, betr. die InvaliditätB- und Altersversicherung, (jetzt Invalidenversicbe- 
rungsgesetzes) vom 1. Januar 1891 bis Ende 1900 beigefügt ist. 

Darnach betrug in dem genannten 10jährigen Zeitraum die Gesamtzahl 
der Behandelten 2869, darunter 823 an Tuberkulöse und 1646 an anderen Krank¬ 
heiten leidende Personen; von den Tuberkulosen sind 688 = 77,5°/ 0 mit nnd 
185 = 22,5 °/ 0 ohne Erfolg behandelt, von den anderen Kranken 75 bzw. 25 °/o, 
von der Gesamtzahl 76 bezw. 24°/o. 

Betreffs der besonders wichtigen Frage des Dauererfolges wird für die 
in den Jahren 1897—1900 behandelten Tuberkulösen angegeben, dass 102 von 
565 erwerbsunfähig geworden (mit einer Ausgabe von 806 Mark pro Kopf), 
während die übrigen 468 (mit einer Aufwendung von 369 Mark pro Kopf) bis 
zum 1. Oktober 1901 noch nicht Bentenempfänger geworden waren, wobei es 
aber nicht feststebt, wie viele von diesen noch Erwerbsfähigen aus Wohlwollen 
oder auf Grund besonderer günstiger Umstände mehr als */* des ortsüblichen 
Lohnes verdienen; zadem erscheint auch die verflossene Zeit noch nicht ge¬ 
nügend zur Beurteilung des Nutzens der Heilbehandlung. Da aber die Zäl 
der Fehlerfolge trotz der Auswahl seitens der Aerzte in den letzten 4 Jahren 
nur ganz unwesentlich abgenommen hat, werden unabweislich Aerzte und Ver¬ 
waltungsbehörden den g. 18 des Gesetzes noch mehr als bisher beachten und 
eine noch strengere Auswahl als bisher treffen müssen. 

Für die Erkenntnis der Wichtigkeit eines früh einsetsenden Heilver¬ 
fahrens spricht es, dass in den letzten 3 Jahren eine starke Zunahme des 
jüngsten versioherungspflichtigen Alters von 16—20 Jahren zu konstatieren 
war, eine Erfahrung, die sich im Laufe der Zeit auch in den Heilergebnissen 
bemerkbar machen wird. Im Laufe des Jahres 1900 gelangte das Heilverfahren 
bei 641 Personen zum Abschluss. Von diesen litten an Tuberkulose der Lungen 
219 = 84°/o, an Tuberkulose anderer Organe 12, an nicht tuberkulösen Lungen- 
erkrankungen 68, an chronischen Gelenk- und Muskelrheumatismus 49, an den 
Folgen von Verletzungen der Knochen und Gelenken 47. 

Von den 219 tuberkulösen Kranken gehörten die meisten, 117 männliche 
und 7 weibliche Personen, der Industrie an. 88 von diesen 219 Kranken 
wurden örtlich und allgemein, 98 nur allgemein gebessert, während 48 ganz 
erfolglos behandelt wurden. 



feeipreckungeh. 


889 


Das Heilverfahren für die sonstigen Kranken hatte das Ergebnis, dass 
von 442 Personen 869 = 86% gebessert; während es bei 68 = 16% ohne 
Erfolg war. 

Bei 4 Trinkern musste ein vollständiger Misserfolg konstatiert werden, 
so dass die L. V. A. in Znknnft bei Anträgen auf Uebernahme des Heilver¬ 
fahrens bei Trinkern leider sieh snmeist wird ablehnend verhalten müssen. 

Die Kosten für das Heilverfahren haben im Jahre 1900 166416 Mark 
nnd 244 Mark pro Kopf betragen. 0. 


Besprechungen. 

F. Ahlfeld, Geh. Med.-Rat nnd Professor in Marburg: Lehrbuch der 
Geburtshilfe. Zur wissenschaftlichen nnd praktischen Ausbildung für 
Aerste and Studierende. Dritte umgearbeitete Auflage. Mit 462 Abbildungen 
und 17 KurBivtafeln im Text. Leipsig 1903. Verlag von Fr. W. Grnnow. 
Gr. 8°. Preis: 9 Mark. 

Die ausserordentlichen Vorsüge des Ahlfeidsehen Lehrbuches sind 
bereits bei Besprechung der früheren Auflagen von dem Referenten hervor¬ 
gehoben. Es stellt nicht, nur wie so manche andere derartige Lehrbücher, 
eine fleissige und geschickte Zusammenstellung des einschlägigen Materials 
dar, sondern es bringt die Lebenserfahrungen eines Mannes, der 30 Jahre bin 
durch mit Lust und Liebe seinem Fache ungetan gewesen ist. Daher auch 
der durchaus subjektive Charakter des Buches, der in der jetzt vorliegenden 
neuen Auflage noch mehr als in der früheren hervortritt nnd wesentlich daxu 
beiträgt, das Inteiresse des Lesers von der ersten bis zur letzten Seite in 
hohem Masse zu fesseln. 

Dass Verfasser die neuen Forschungen nnd Untersnchnngsergebnisse 
auf dem Gebiete der wissenschaftlichen nnd praktischen Geburtshilfe berück¬ 
sichtigt hat, war nicht anders zn erwarten; er hat es aber vorzüglich ver¬ 
standen, hierbei mit kritischer Hand das Korn von der Spreu zu sichten, eine 
bei der grossen Unsumme von literarischen Erzeugnissen sicherlich nicht 
leichte Arbeit. Die Einteilung des Stoffes ist unverändert geblieben, aber viele 
Abschnitte sind umgearbeitet und erweitert, desgleichen sind die Ergebnisse 
einer grossen Zahl Sonderarbeiten ans der unter der Leitung des Verfassers 
stehenden Marbnrger Entbindungsanstalt an passender Stelle eingefügt. Dies 
gilt namentlich von den die Medisinalbeamten besonders interessierenden Kapitel 
Uber Verhütung des Kindbettfiebers, über die Lehre von der Selbstinfektion, 
puerperale Wundinfektionen usw. 

Infolge der nicht zu vermeidenden Vermehrung des Umfanges (nm 
7 Druckbogen), sowie infolge der nicht minder grossen Vermehrnng der Ab¬ 
bildungen hat sich zwar eine geringe Erhühnng des Preises (anf 9 Mark) nicht 
vermeiden lassen; derselbe muss aber gleichwohl als ein verhältnismässig 
niedriger bezeichnet werden. Rpd. 


Ernst Sohnltxo - Andernach: Wichtige Entscheidungen auf dem Ge¬ 
biete der gerichtlichen Peyohiatrle. (Aus der juristischen Fachliteratur 
des Jahres 1901, zweite Folge aus der Literatur des Jahres 1902. Verlag 
von Carl Mar hold-Halle a. S. 1908. 2 Hefte. Preis je 1 Mark. 

Die beiden Hefte enthalten eine ganze Reihe Gerichtsentscheidungen 
der höheren Gerichte ohne jeden Kommentar; ihre Kenntnis wird dem Gerichts- 
erst sehr zu statten kommen, denn er ersieht aus diesen Entscheidungen, wie 
die Gerichte die Gesetze, bei denen der Arzt als Berater hinzugesogen wird, 
auffassen und wie sie die ärztliohen Gutachten verwerten. Eine Reihe Ent¬ 
scheidungen sind von grösster Wichtigkeit, z. B. (Heft 1. Seite 16) kann ein 
Geisteskranker, auch wenn er erheblich krank ist, geschäftsfähig sein; bei der 
Aufhebung einer Entmündigung kommt nur der gegenwärtige Zustand des 
Entmündigten in Frage, d. h. ob die Voraussetzungen snr Entmündigung noch 
vorliegen, eine Besserung des Zustandes ist nicht notwendig. Von grossem 
Interesse sind mehrere Entscheidungen zum f 1669 (Bheseheidung). So vor- 



890 


Tagesnachriohten. 


langt eine OberlandeegeriebtBentaeheidnng nicht den Nachweis des „geistigen 
Todes“, sondern nur, dass der kranke Ehegatte nicht mehr imstande ist, an 
„dem Lebens- nnd Gedankenkreis“ des andern teiltunehmen. Eine andere 
Entscheidung verlangt dagegen einen Zustand, in dem der Kranke die Scheidung 
nicht mehr empfindet und nur mehr von einer „animalischen“ Fortexistenz 
gesprochen werden kann. Sehr nahe steht dieser Auffassung die eines andern 
Oberlandesgerichtes, das direkt einen Zustand „völliger Verblödung“ fordert 
H. I, Seite 29). Diesen extremen Anschauungen steht eine Reichsgerichts- 
entscheidung gegenüber, in der ausgefflhrt wird, dass die geistige Gemeinschaft 
„offenbar eine höhere Gemeinschaft, als das blosse Zusammenleben der Eheleute 
bedeute, nämlich eine solche, bei der diese zu gemeinsamem Denken und Fühlen 
befähigt sind.“ Zu § 51 des St. G. B. ist eine Entscheidung von Bedeutung, 
in der ausgeftthrt wird, dass es nicht ausreiche, dass eine Störung der Geistes- 
tätigkeit zur Zeit einer Tat nicht nachweisbar, sondern dass eine solche völlig 
ausgeschlossen sei. Das Gericht muss die uneingeschränkte Ueberseugung 
von dem Nichtvorhandensein des Strafausschliessungsgrundes haben (H. I, Seite 5). 
Auch eine neuere Definition des Begriffes Siechtum — § 224 — findet sich 
Seite 10, die gegebenen Falles Berücksichtigung vordient. Schliesslich möchte 
ich nicht unerwähnt lassen, dass ein Teil der hier zusammengestellten Gerichts¬ 
entscheidungen bereits in der Beilage sn dieser Zeitschrift wiedergegeben sind. 

Dr. Pollitz-Münster. 


Tagesnachrichteii. 

Am 11. d. Mts. hat der Begründer nnd Meister der bakteriologischen 
Wissenschaft, Robert Koch, fern von der Heimat (in Britisch Südafrika) seinen 
60. Geburtstag gefeiert, zu dessen Feier ihm bekanntlich eine ausser¬ 
ordentliche Ehrung zugedacht war, die nunmehr bis zu seiner Rückkehr ver¬ 
schoben ist. Mögen dem grossen Forscher nnd Meister, der durch seine grund¬ 
legenden Arbeiten über die Krankheitserreger nicht nur für die öffentliche 
Gesundheitspflege, insbesondere für den Kampf gegen die ansteckenden 
Krankheiten, sondern auch für die Heilkunde ganz neue Bahnen geschaffen 
und sieh unsterbliche Verdienste um die medizinische Wissenschaft, wie 
kaum ein Arzt zuvor, erworben hat, noch recht viele Jahre in ungetrübter 
körperlicher wie geistiger Frische vergönnt sein zum Segen der ganzen Mensch¬ 
heit, die in ihm mit dankerfülltem Herzen ihren grössten Wohltäter erblickt, 
und zur Freude seiner zahllosen Schüler, Freunde und Verehrer, die ihm ihre 
wärmsten Glückwünsche zu seinem 60. Geburtstage darbringen! 


Atu dem Raiohstage. Nach einer Mitteilung deB Reichskanzlers 
hat der Bundesrat am 28. November beschlossen, von der Neuregelung der 
Bedingungen für die Fleischeinfuhr für die Zeit nach dem 31. Dezember 
1903 bis auf weiteres Abstand zu nehmen, da das Schlachtvieh- und Fleisch- 
beschaugesets vom 3. Juni 1900 in seinem gesamten Umfange erst am 1. April 
1903 in Kraft getreten sei, was namentlich von den Vorschriften des §12 über 
die Fleisoheinfuhr gelte, und hinreichende Erfahrungen, die als Grundlage für 
die Neuordnung der Angelegenheit dienen könnten, noch nicht gemaoht werden 
konnten. 

Unter den vielen Initiativanträgen, die im Reichstage eingebracht 
sind, befindet sich auch ein ans der Mitte der nationalliberalen Partei, des 
Rentrums und der freisinnigen Vereinigung gestellter Antrag, durch den der 
Zeichskanzler ersucht werden soll, eine ans amtlichen Vertretern des Reiches 
und einzelner Bundesstaaten, aus Mitgliedern des Reichstages und anderen in 
der Wissenschaft und der Praxis der Wohnungsfrage erfahrenen Männern be¬ 
stehende Kommission zur Aufstellung eines einheitlichen Programms für 
Lösung der Wohnungsfrage einzuberufen. Insbesondere soll diese ihr 
Augenmerk auf die Heranziehung privater, namentlich aber auch staatlicher 
und kommunaler Mittel für den Kleinwohnungsbau, sowie auf die Festsetzung 
bau- und wohnungspolizeilicher Vorschriften behufs Beschaffung gesunder und 
billiger Wohnungen für die minderbemittelten Volksklassen richten. Gleich- 



Tagesnachrichten. 


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zeitig wird in dem Antrag um eine Untersnehong dnroh das Kaiserliche statisti¬ 
sche Amt, Abteilang für Arbeiterstatistik, Uber die bei Stadterweiterungen 
vielfach hervorgetretenen Uebelstände der übermässigen Bodenpreise, des Ban¬ 
schwindels asw., Uber die Organisation, die Leistungsfähigkeit and die tatsäch¬ 
lichen Leistungen der privaten Bautätigkeit gegenüber dem anf diese Bau¬ 
tätigkeit angewiesenen Wohnungsbedürfoisse usw. gebeten. 


Entgegen den früheren Nachrichten soll nun doch dem preussisohen 
Landtage eine die Kreistierärzte betreffende Vorlage sngehen, um diesen 
die Pensionsberechtigung zu verleihen und ihre Dienstbezüge unter Aufhebung 
des Gesetzes vom 9. März 1872 anderweitig zu regeln. Auch sollen ihre Ge¬ 
hälter durch den Staatshaushaltsetat erhöht werden. Die Ordnung ihrer Rang- 
Verhältnisse, von der auch die Hohe der Reisegebühren abhängt, bleibt der 
Königlichen Entschliessung Vorbehalten. 


Unter dem 12. Oktober besw. 11. November d. J. sind vom 
Reichskanzler bezw. vom preussisohen Staatsministerium Aus¬ 
führungsbestimmungen zu aen Vorschriften über die Tagegelder und 
Reisekosten der Staatsbeamten erlassen, die am 1. Januar 1904 in Kraft 
treten. Dieselben werden in der Beilage su Nr. 1 des nächsten Jahrganges mit 
Erläuterungen versehen zum Abdruck gebracht werden. 


Am 5. d. Mts. hat wiederum im preussisohen Abgeordnetenbause in Berlin 
unter dem Vorsitze des Handelsministers eine Konferenz über die Bekämp¬ 
fung der Wurmkrankheit stattgefunden, an der ausser Vertretern der be¬ 
teiligten Ministerien, Bergbehörden und des Allgemeinen Knappscbaftsvereins 
in Bochum auch der Knappschaftsoberarzt Med.-Rat Dr. Tenholt, Prof. 
Dr. LObker, sowie verschiedene Knappschaftsärzte teilgenommen haben. 


In Preussen ist jetzt von Seiten des Kultusministers eine Unter¬ 
suchung sämtlicher höheren Schulen in Bezug auf ihre gesundheits- 
mässige Einrichtung dnroh Sachverständige angeordnet. 


Ueber die Teilnahme der Kreisärzte an den Kreislehrerkonfe¬ 
renzen bringt das „Zentralbl. für d. gea Unterrichtsverwalt, in Preussen* 
eine Mitteilung, woraus hervorgeht, dass sich diese als sehr zweckmässig er¬ 
wiesen hat. Nach übereinstimmenden Berichten der Kreischulinspektoren im 
Reg.-Bez. Köln hat sich s. B. eine in dieser Hinsicht getroffene Anordnung der 
dortigen Regierung durchaus bewährt. Die Kreisärzte haben die Gelegenheit 
benutzt, in den Lehrerkonferenzen Vorträge über Gesundheitspflege, Nahrungs¬ 
mittellehre, Bekämpfung der Trunksucht und der Tuberkulose u. a. m. zu halten. 
Das hat, wie festgestellt wird, .eine allseitige Belehrung und Anregung der 
Lehrpersonen in Bezug auf die Gesundheitspflege zur Folge gehabt*. 


Im Königreich Sachsen ist der zweiten Kammer der Entwurf eines 
Gesetzes über die Organisation des ärztlichen Standes, durch welches das 
bisherige Gesetz vom 28. März 1896 ersetzt werden soll, vorgelegt worden und 
zwar fast genau in der Fassung, in der er von der diesjährigen Plenarver¬ 
sammlung des Landes-Medizinalkollegiums angenommen ist. 1 ) Die erste Be¬ 
ratung über den Entwurf hat bereits am 26. v. Mts. stattgefunden. Abgesehen 
von einigen Spezialklagen und Spezialwünschen, sprachen sich die meisten 
Redner im allgemeinen zustimmend su dem Gesetzentwurf aus, der sohliesslieh 
einstimmig an die Gesetzgebungsdeputation verwiesen wurde. 

Der Entwurf einer Aerzteordnung für daa Grossherzogtum 
Baden 1 ) ist in der am 12. November d. J. stattgehabten Konferenz, an der 


*) 8iehe Nr. 2 der Zeitschrift, S. 80. 

*) Siehe Nr. 13 der Zeitschrift, S. 504. 



892 


l'agesnachrichtefa. 


ausser Begierungsvertretern and den Mitgliedern des ärztlichen Landesaas* 
schusses die bevollmächtigten Aerzte der 12 ärztlichen Standesvereine teilge* 
nommen haben, einer endgiltigen Beratung unterzogen und soll in der besehlos* 
senen Fassung den Landständen in der diesjährigen Sitzung vorgelegt werden. 


Ueber den Inhalt der am 3. d. Mts. von der internationalen Sanitäts¬ 
konferenz in Paris abgeschlossenen und Unterzeichneten Sanitätskonvention, 
in der die bisherigen Konventionen von Venedig, Dresden und Paris in einen Text 
zusammengefasst und unter Berücksichtigung der Interessen des Handels so¬ 
wohl als der Fortschritte der Wissenschaft zeitgemäss umgestaltet sind, wird 
folgendes gemeldet: Titel 1 enthält Vorschriften, die sogleich beim Auftreten 
der Pes t zu beobachten sind, und Abwehrmassregeln gegen das verseuchte Gebiet, 
Unter die Desinfektionsmassnahmen ist die Vernichtung der Batten auf¬ 
genommen. Titel 2 bringt Bestimmungen, welche vornehmlich das BoteMeer, 
den Suezkanal und den Persischen Qolf angehen. Titel 3 stellt Vor¬ 
schriften bezüglich der Wallfahrten nach Mekka auf. Titel 4 besagt, 
dass die Begierungen, welche die Konvention unterzeichnet haben, Überein¬ 
kommen, bei der Türkei dahin vorstellig zu werden, dass diese den ge¬ 
troffenen Vereinbarungen über das Gesundheitswesen beitrete 
da die Vorsohläge der Konferenz sonst unwirksam bleiben. Die Konvention 
ist von 20 Begierungen, also um 8 mehr, als bei der letzten Konferenz, unter¬ 
zeichnet. Ferner wurde im Prinzip die Errichtung eines internationalen 
Sanitätsamtes beschlossen, dessen Sitz in Park sein soll. 


Der nächstjährige Aerztetag soll in Bostook am 24. und 25. Juni 
1904 abgehalten werden. Den Hauptgegenstand der Tagesordnung 
wird der Bericht über die Lage des kassenärztlichen Standes 
in Deutschland und über die Entwickelung der Selbsthilfe seit 
dem Aerztetage in Königsberg bilden. 


Der 25. Baineologenkongrees wird vom 3. bis 8. März 1904 in 
Aachen stattfinden. 


Der 21. Kongress für innere Medizin findet vom 18. bis 21. April 
1904 in Leipzig statt. Am ersten Sitzungstage, Montag, den 18. April 1904, 
werden Geh. Med.-Bat Prof. Dr. Marchand-Leipzig und Prof. Dr. Bom¬ 
be rg-Marburg: Ueber die Arteriosklerose referieren. Die ganze Übrige Zeit 
ist den Einseivorträgen und Demonstrationen gewidmet. Anmeldungen von 
Vorträgen und Demonstrationen nimmt der ständige 8ekretär des Kongresses, 
Herr Geh. San.-Bat Dr. Emil Pfeiffer, Wiesbaden, Parkstr. 13, entgegen. 


In Berlin hat der Verein der freigewählten Kassenärzte 
die erste ärztliche Fttrsorgestelle für Tuberkulöse in Deutschland nach 
dem Master der belgisch - französischen Dispensaires antituberculeux errichtet 
und am 8. d. M. eröffnet. 


Im Herbst 1904 soll ein allgemeiner Deutscher Wohnungskongress 
voranasiohlich in Frankfurt a. M. stattfinden. Der Anstoss dazu geht von dem 
Verein „Beiohswohnungsgesetz“, dem Sozialen Museum, dem Institut für Ge¬ 
meinwohl und dem Verein für Förderung des Arbeiterwohnnngswesens und ver¬ 
wandter Bestrebungen, die sämtlich ihren Sitz in Frankfurt a. M. haben. Alle 
Anfragen und Anmeldungen betreffs des Kongresses sind an die Geschäfts¬ 
stelle des Vereins „Beiohswohnungsgesetz“ in Frankfurt a. M., Brönnergasse 14, 
zu richten. 


Verantwort!. Bedakteur: Dr. Bapmund, Beg.-u.Geh.Med.-Bat in Minden L W. 

J. 0. 0. Broms, Hsnofl. SIseh. o. V, S*k.*L. Hofbothdrooktrsl ftm Mlndso. 















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